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Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule [1 ed.] 9783428504176, 9783428104178

Carl Hermann Ule wurde 1955 als Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg auf den Lehrstuhl für öffentliches Re

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German Pages 114 Year 2000

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Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule [1 ed.]
 9783428504176, 9783428104178

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Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 142

Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule

Herausgegeben von Klaus König und Detlef Merten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit : Symposium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule / Hrsg.: Klaus König ; Detlef Merten. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 142) ISBN 3-428-10417-X

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-10417-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Carl Hermann Ule wurde 1955 als Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg auf den Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer berufen, den er bis zu seiner Emeritierung zum April 1972 innehatte. In dieser Zeit hat er Ruf und Ansehen der Hochschule Speyer im Inland und Ausland maßgeblich geprägt und wurde zu einem der herausragenden Lehrer des öffentlichen Rechts in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Des am 16. Mai 1999 verstorbenen Gelehrten gedachte die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer am 18. Dezember 1999 mit einem Symposium zum Thema „Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit", zu dem sich Schüler und Freunde, Kollegen und Weggefährten in Anwesenheit seiner Familie zusammenfanden. Referate und Diskussionsbeiträge werden im folgenden abgedruckt. Speyer, im November 2000

Klaus König Detlef Merten

Inhaltsverzeichnis Würdigung Von Detlef Merten

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Die Bedeutung Carl Hermann Ules für das Verwaltungsprozeß- und das Verwaltungsverfahrensrecht Von Klaus Stern

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Der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht Von Hans-Werner Laubinger

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Modernisierung des Verfahrensrechts Von Jan Ziekow

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Aspekte der Verfahrensreform Podiumsdiskussion mit Willi Bliimel, Karl-Friedrich Konrad Redeker Moderation: Helmut Quaritsch

Meyer, Jens Meyer-Ladewig, 93

Schlußwort Von Klaus König Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer

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Würdigung Von Detlef Merten „Jedem bin ich was gewesen, Alle haben sie mich gelesen, Alle kannten mich lange schon, Und das ist die Hauptsache... »kommen Sie, Cohn!'."

Mit diesen Versen schließt Fontane sein bekanntes Gedicht „An meinem Fünfundsiebzigsten".1 Carl Hermann Ule hat es mit anderen in eine Anthologie aufgenommen, die er „Weggefährten in achtzig Lebensjahren"2 nannte und die er den Gästen seiner Geburtstagsfeier und abwesenden Freunden in die Hände legte. Sie enthält, wie er im Vorwort schreibt, sein „ganz persönliches Bekenntnis" zu Gedichten, die ihn in einzelnen Lebensabschnitten oder durchwegs begleiteten, und soll dem kritischen Leser zugleich ein Urteil über den Herausgeber ermöglichen.3 Deshalb stehen Fontane, sein Geburtstagsgedicht und dessen Schluß nicht zufällig am Anfang einer Würdigung. Trägt doch die zitierte Versfolge auch Züge Carl Hermann Ules, indem sie die Breite seiner Interessen und Forschungen, seine Wirkung auf das öffentliche Recht und das öffentliche Leben sowie die nationale und internationale Reputation eines der großen Publizisten der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts spiegelt. I. Kindheit, frühe Jugend und erste Mannesjahre verbringt er in Pommern, das ihn prägt. Deshalb gehört auch Adolf Pompes „Pommernlied" als Reverenz an die Schönheit der Heimat zu den „Weggefährten". 4 Die pommerschen Vasallen beschrieb der „Soldatenkönig", inhaltlich mit seinem Nachfolger übereinstimmend, in einer meisterhaften Schilderung der Stämme Brandenburg-Preußens als „getreue wie goldt".5 Auch für Carl Hermann Ule istfides ein Charakteristikum - im Privaten 1 Rainer Bachmann und Peter Bramböck (Hg.), Theodor Fontane, Werke in fünf Bänden, Bd. III, 1974, S. 679 f. 2 Köln u.a., 1986. 3 Vorwort, S. I, II. 4 AaO. S. 101 f. 5 Instruktion vom 17.2.1722, P.6/21, abgedruckt in: Richard Dietrich, Die politischen Testamente der Hohenzollern, 1986, S.221 (229); vgl. auch das Politische Testament Friedrichs des Großen von 1752, abgedruckt ebenda, S.254 (306 f.); nach dem Siebenjährigen Krieg äu-

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wie im Öffentlichen. Beinahe unzeitgemäß kann er mit seiner Gattin noch den fünfundsechzigsten Hochzeitstag feiern, und als pater familias kennen wir ihn von seinen Geburtstagsfeiern, weshalb es wohl weniger Zufall als Fügung ist, daß er kurz vor seinem Tode an der Trauung seines Enkels Christian teilnehmen kann. Treue hält er zu Freunden und Wegbegleitern, zu Schülern, Assistenten und Habilitanden, aber ebenfalls zu Institutionen. Er bleibt seiner Alma Mater Salana trotz schwieriger Verhältnisse im kommunistischen Regime verbunden6; auf seine richterliche Tätigkeit, zuletzt als Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, verweist er auf den Titelblättern seiner Lehrbücher 7; mit dem Carl Heymanns Verlag hatte er bei seinem Tode mehr als sechzig Jahre zusammengearbeitet. Vor allem aber bleibt er der Hochschule Speyer treu 8, an der er auch als Emeritus wirkt und deren herausragende Veranstaltungen er ebenso regelmäßig besucht wie die Zusammenkünfte der Professoren am Ende eines Semesters, wobei er sich durch unterhaltende Geschichtsrätsel kaum merklich auch der Kenntnisse des Kollegiums vergewissert. Nach Jahren der Unterbrechung seiner akademischen Lehre kann ich ihn in meinem Rektorat Ende der siebziger Jahre bewegen, noch einmal seine Vorlesungstätigkeit aufzunehmen. 9 Unser gemeinsames Kolloquium über „Öffentlichrechtliche Tagesfragen" im Wintersemester 1980/81 schlägt zugleich einen Bogen von fast fünfzig Jahren. Denn im Winter 1932/33 hatte Ule an der Volkshochschule Stettin eine gleichnamige Arbeitsgemeinschaft abgehalten.10 Mit einem gemeinsamen Seminar „Zur Verwaltungs- und Rechtsgeschichte Preußens" stellt er, nun fast fünfundsiebzigjährig, seine Vorlesungstätigkeit 1982 endgültig ein. Nur zu einem eindrucksvollen Vortrag über die Weimarer Republik ist er im Sommersemester 1986 noch einmal in mein Preußen-Seminar zurückgekehrt.

II. Daß er zu einem der Nestoren des deutschen öffentlichen Rechts werden soll, ist ihm bei seiner Geburt am 26. Februar 1907 nicht in die Wiege gelegt. Zum Juristen ßert dieser: „Ich liebe die Pommern wie meine Brüder, denn sie sind brave Leute, die mir jederzeit in Verteidigung des Vaterlandes mit Gut und Blut beigestanden haben"; zitiert nach Reinhold Koser, Aus dem Leben Friedrichs des Großen, 1912, S.47. 6 Vgl. Ule, Verwehte Spuren (FN40), S. 60; s. ferner dens., Jenas Beitrag zur Entwicklung des Rechtsstaatsgedankens, in: Landes- und Kommunal Verwaltung 1991, S. 189 ff. 7 Vgl. etwa Carl Hermann Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl., 1987, Titelblatt. 8 Hierzu auch Ule, Verwehte Spuren (FN40), S. 74. 9 Die zweite Phase seiner Lehrtätigkeit von 1979 bis 1982 umfaßte folgende Veranstaltungen: Wintersemester 1979/80: Berühmte Prozesse der Weimarer Republik; Sommersemester 1980: Grundfragen des Prozeßrechts. Rechtsvergleichende Untersuchungen zum Zivil-, Strafund Verwaltungsprozeß; Wintersemester 1980/81: Öffentlich-rechtliche Tagesfragen (zusammen mit Merten); Sommersemester 1981: Grundfragen des öffentlichen Dienstes; Wintersemester 1981/82: Zur Verwaltungs- und Rechtsgeschichte Preußens (zusammen mit Merten). 10 Carl Hermann Ule, Referendar in politisch bewegten Zeiten, 1983, S. 35.

Würdigung

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ist er qualifiziert, nicht aber prädestiniert. In seiner Familie finden sich Theologen, Kaufleute, allerdings auch Juristen. Man hätte sie früher stolz als „gut bürgerlich" bezeichnet; eine Zeitströmung jedoch, die ihren Adel in kleinen Verhältnissen sucht und Bildung wie Bürgern abhold ist, gebraucht in derartigen Fällen gern den pejorativen Begriff des „Bildungsbürgertums". Zu Ules Vorfahren gehört der ehemalige Rechtsanwalt und spätere Präsident der preußischen Justizprüfungskommission sowie preußische Kronsyndikus Gotthold Ule. Die familiären Bande haben ihn mitveranlaßt, noch im hohen Alter eine Studie „Über preußische Kronsyndizi" zu verfassen. 11 Die heimatliche Verwurzelung in Pommern war wohl eine Ursache für sein Interesse am geistigen Erbe Preußens. In dieser Affinität lag einer der Gründe für unsere Zusammenarbeit und unsere persönliche Begegnung. Die nach dem Zusammenbruch verständliche und unvermeidliche Westorientierung der „Bonner Republik" gleichsam als Folge einer „Westverschiebung"12 Deutschlands und eine vordergründige Vergangenheitsbewältigung hatten dazu geführt, daß die Bedeutung Preußens „als Kulturstaat, als Rechtsstaat und als Sozialstaat für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands... völlig unbeachtet" blieb, wie wir im Vorwort zu den von uns herausgegebenen Beiträgen des Heidelberger Strafrechtlers und Rechtshistorikers Eberhard Schmidt zur Geschichte des preußischen Rechtsstaats bemerkt hatten.13 Zumal nach dem „Machtwechsel" von 1969 war die Wiedervereinigung von vielen der politischen Klasse, aber auch von zeitgeisthörigen Wissenschaftlern nicht mehr als Verfassungsauftrag, sondern nur noch als Verfassungs-Peinlichkeit empfunden worden 14, und bei den Bürgern verkam der 17. Juni als „Tag der deutschen Einheit" 15 zum Tag der westdeutschen Freizeit 16. Institutionell erinnert an Preußen heute nur noch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Mit ihr und insbesondere ihrem ersten Präsidenten Wormit, den er seit 1948 aus gemeinsamer Arbeit für die Innenministerkonferenz kannte, fühlte sich Carl Hermann Ule eng verbunden17. Über die „Rechts- und Verwaltungsprobleme" der Stiftung hat er geschrieben18, deren Einrichtungen auf den Lehrfahrten nach Berlin besucht19. Die Jahrbücher der Stiftung hat er mehr als dreißig Jahre im „Deutschen 11

In: Der Staat 32, 1993, S. 379 ff.; zum Anlaß der Untersuchung aaO. S.379. Hierzu auch Wolf Jobst Siedler, Abschied von Preußen, 2. Aufl., 1992, S.209. 13 Detlef Merten und Carl Hermann Ule (Hg.), Eberhard Schmidt, Beiträge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaats, 1980, S.7. 14 Aufschlußreich und entlarvend hierzu Jens Hacker, Deutsche Irrtümer. Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, 1992, S. 179ff. 15 Vgl. Gesetz über den Tag der deutschen Einheit vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 778). 16 Zur Feiertagspraxis Manfred Hettling, Umstritten, vergessen, erfolgreich. Der 17. Juni als bundesdeutscher Nationalfeiertag, in: Deutschland-Archiv 2000, S.433 (436f.). 17 Ule, Verwehte Spuren (FN40), S.61. 18 Ule, Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Rechts- und Verwaltungsprobleme, in: Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1966, 1967, S.29ff. 19 Ule aaO. 12

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Verwaltungsblatt" besprochen20, und er hat sie trotz Verkaufs des größten Teils seiner Bibliothek 21 in die beengten Räumlichkeiten seines Alterssitzes mitgenommen. Blättert man in den Exemplaren, so findet man etliche Anstreichungen, die nicht nur von regem Interesse, sondern auch von intensiver Lektüre zeugen. Seine letzte Besprechung ist im April 199722, also nach seinem neunzigsten Geburtstag, erschienen. Auf preußische Staatsauffassung und Rechtsstaatlichkeit ist Ule allenthalben bei seinen Forschungen gestoßen. Er hat sich aber in Ausschnitten auch gezielt der preußischen Rechts- und Verfassungsgeschichte gewidmet. Neben der schon erwähnten Studie über die preußischen Kronsyndizi sind hier vor allem Veröffentlichungen über die Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen23 und die einfühlsamen Würdigungen des letzten königlich-preußischen Innenministers und späteren Präsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Bill Drews zu nennen24, der nach Ule als einer der wenigen preußischen Verwaltungsbeamten zu den großen Männern der deutschen Verwaltung gezählt werden darf - im Unterschied zu den, wie er schreibt, wohl ein wenig überschätzten „,großen' Oberbürgermeistern" wie Adenauer, Lehr u. a. 25 Daß für Ule das Preußische Allgemeine Landrecht ein Schritt zum Rechtsstaat war, wird aus einer zustimmenden Anstreichung in einem Aufsatz Hattenhauers26 deutlich, die sich dann auch in seiner Rezension niedergeschlagen hat27. Während neuerdings dieses historische Verdienst des aufgeklärten Brandenburg-Preußen mitunter geleugnet wird, bestand zwischen uns auch hierin Übereinstimmung. Zum Schicksal Preußens hat Ule mir einmal ein handschriftliches Exzerpt aus den Werken Ernst Jüngers übermittelt, der resümiert: „Es sind auch 20

Hierzu Ule, DVB1. 1997, S.512. Vgl. Ule, Abschied von einer Bibliothek, in: VerwArch. 79,1988, S. 335 ff.; zu seinem Interesse an wissenschaftlichen Bibliotheken auch Ule, Referendar (FN 10), S. 63. 22 AaO.: Rezension des Jahrbuchs der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 1995, Bd. XXXII, 1996. 23 Ule, Zu den Anfängen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Japan, in: VerwArch. 80, 1989, S. 303 ff.; ders., Rudolf von Gneists Bedeutung für die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, in: DOSIS AGATHE, 1998, S. 651 ff. 24 Ule, Bill Drews, 1870-1938, in: Männer der Deutschen Verwaltung, 1963, S. 261 ff.; ders., Über das Wirken des Präsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h. c. B. Drews in der Zeit nach 1933, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, hg. von Dieter Wilke, 1984, S. 803 ff.; ders., Art. Drews, Wilhelm (Bill) Arnold, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.4,1959, S. 117 f.; vgl. ferner dens., Über den Einfluß der politischen Parteien auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit (in der Weimarer Republik und unter dem Grundgesetz), in: Staat und Parteien, Morsey-Festschrift, 1992, S. 59 (65 ff.) sowie dens., Das Preußische Oberverwaltungsgericht in der Weimarer Republik, in: DVB1. 1981, S. 709 (710ff.); auch v. Unruh, Wilhelm (Bill) Arnold Drews (1870-1938), in: Kurt Jeserich und Helmut Neuhaus (Hg.), Persönlichkeiten der Verwaltung, 1991, S. 323 ff. 25 Männer der Deutschen Verwaltung aaO. S.261. 26 Preußen auf dem Wege zum Rechtsstaat. Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 1994, Bd. 31, 1995, S.449 (470). 27 DVB1. 1996, S. 327. 21

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weniger die Kriege, die man den Preußen verübelt hat, es ist ihre Resistenz gegen die Zeit und deren verändernde Kraft. Sie bildete den Block, der in Europa am letzten geschmolzen wurde und der dem Fortschritt am zähesten widerstand." 28 Das skizzierte Preußen-Bild bliebe unvollständig, wenn man nicht Ules Vorliebe für Fontane, den Mann der „märk'sehen Gedichte" und der „märk'sehen Geschichte" 29 erwähnte. Dessen Spuren haben wir während einer der gemeinsamen Frankreich-Reisen auf der Insel Oléron im September 1980 berührt. Hier war der Dichter, der ein „drittes, hoffentlich letztes Kriegsbuch" 30 schreiben sollte, von den Franzosen, die ihn für einen verkappten preußischen Offizier hielten31, im Herbst 1870 interniert. Unser heiteres Austernmahl am Atlantik stand allerdings in auffälligem Kontrast zur düsteren und bedrohlichen Situation Fontanes. „Das Sterben wurde bald Tagesordnung auf Oléron", berichtet er in „Kriegsgefangen" 32. Allerdings schreibt er an seinen Verleger v. Decker 33 auch, die Gefangenschaft werde frische Farben auf seine Palette bringen. Wie sehr Fontane zu einem wirklichen „Weggefährten" Ules wurde, erhellt ein anderer Umstand. An seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag 1982 dichtet der Jubilar das bekannte Gedicht „Summa Summarum" 34 auf sich um, wobei er von den insgesamt zehn Verszeilen nur drei verändern muß. Da es damals nur einem kleinen Kreis bekannt wurde, soll es hier als ein auch in seiner kokettierenden Untertreibung dem Vorbild folgendes Selbstzeugnis festgehalten werden: „Eine kleine Stellung, ein kleiner Orden (Fast wär ich auch Präsident geworden) Ein bißehen Namen, dreimal an der Tete, Ein Sohn Jurist, der andere bei ,Goethe', Mit siebzig 'ne Jubiläumsfeier, Artikel im Brockhaus und im Meyer... Altpreußischer Durchschnitt. Summa Summarum, Es dreht sich immer um Lirum Larum, um Lirum Larum Löffelstiel. Alles in allem - es war nicht viel."

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Parerga zu „Annäherungen", Die Preußen und der Krieg, in: Ernst Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 11, Essays V, Annäherungen, 1978, S.435 ff. (437). 29 Fontane, An meinem Fünfundsiebzigsten (FN 1). 30 Brief vom 8.8.1870 an seinen Verleger Rudolf v. Decker, abgedruckt in: Theodor Fontane, Wanderungen durch Frankreich, Bd.I: Kriegsgefangen, Erlebtes 1870, Briefe 1870/71 (Ost-) Berlin 1984, S.218f. 31 Vgl. seinen Brief vom 6.10.1870 an Emilie Fontane, aaO. S.230; femer ders., Kriegsgefangen, Nr. 2, Neufchâteau, aaO., S.54ff. 32 Nr. 14, Sturm im Glase Wasser, aaO. S. 185. 33 Abgedruckt aaO. S.243 (244). 34 Abgedruckt aaO. (FN 1), S. 682.

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III. Daß gute Abiturnoten für den weiteren Lebensweg des Beurteilten nicht aussagekräftig seien, ist eine Mär der Unterdurchschnittlichen. Sie wird auch von Carl Hermann Ule widerlegt. In seinem Reifezeugnis vom Februar 1926 wird er fast ausschließlich mit „gut" und „sehr gut" beurteilt. Protagonisten der „Mens sana"-Formel könnte lediglich das „Nicht genügend" im Fach Leibesübungen stören. In aufschlußreicher Weise zeichnen sich Ules spätere Neigungen und Interessen schon in dem dürren Dokument ab. Danach hatte der Abiturient im Fach Geschichte eine „ausgezeichnete häusliche Studienarbeit über ,Die pommerschen Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung4 angefertigt." War ihm aus wirtschaftlichen Gründen schon für den schulgeldpflichtigen Besuch des Schiller-Realgymnasiums eine Freistelle der Stadt Stettin gewährt worden, so wird der Abiturient, der, wie das Abgangszeugnis vermerkt, Jura studieren möchte, zunächst probeweise, dann auf Grund der Zeugnisse seiner akademischen Lehrer endgültig in die „Studienstiftung des deutschen Volkes" aufgenommen, deren Beihilfe er allerdings später zu etwa einem Drittel zurückzahlen muß35. Vom Oberpräsidenten der Provinz Pommern erhält er wegen seines herausragenden Abiturzeugnisses zusätzlich ein kleines Stipendium36. Der Studienstiftler muß sein Rechtsstudium zügig absolvieren und tut es auch, so daß er nur sieben Semester benötigt. Am Ende wird er unter Hinweis auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse das Justizprüfungsamt bitten, zum ersten Klausurtermin geladen zu werden und auch die mündliche Prüfung möglichst frühzeitig absolvieren zu dürfen. Für Ules Studium in der Zeit von 1926 bis 1929 an den Universitäten Jena, Freiburg, Berlin und dann wieder Jena sind wir nicht auf die kargen Aussagen der Akten angewiesen, die teilweise durch einen Bombenangriff auf das Landgericht Bonn vernichtet wurden. Carl Hermann Ule hat zwar, was spätere Zeiten bedauern werden und was sich schon jetzt als schmerzlich herausstellt, keine geschlossene Autobiographie hinterlassen, er hat aber Teil-Memoiren vorgelegt. Als Fünfundsiebzigjähriger berichtet er über seine Universitätserlebnisse unter dem Titel „Ein juristisches Studium vor über fünfzig Jahren" 37, und seine Referendarzeit schildert er in der Studie „Referendar in politisch bewegten Zeiten" 38 , die er der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer widmet. Zu seiner Arbeit „Als Richter im Dritten Reich" nimmt er in dem Sammelband „Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich" 39 Stellung; seine Tätigkeit als Ordinarius an der Hochschule Speyer behandelt er unter dem Titel „Verwehte Spuren" in der Festschrift zum fünfzigjährigen 35

Siehe Ule, Referendar (FN 10), S. 21. Vgl. Ule, Studium (FN 37) S. 59. 37 Köln u.a., 1982. 38 Siehe FN 10; auch in: Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich (FN39), S. 11 ff. 39 Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, hg. von Manfred Rehbinder, Bd. 66, 1987, S. 140ff. 36

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Bestehen der Hochschule Speyer im Jahre 199740. In seiner wohl letzten Abhandlung in der Festschrift für Helmut Quaritsch erinnert er sich unter dem Titel „Verwehte Spuren II" seiner Mitwirkung als Hochschullehrer an der Gesetzgebung41. Setzt man diese Mosaiksteine zusammen, so ergeben sie in ihrer Summe fast lükkenlose Memoiren vom Studenten bis zum Rechtsanwalt Ule. Der pommersche Student, der Repetitoren „aus grundsätzlicher Abneigung" scheut42 und Grundrisse ablehnt, ist schon wegen seiner Überdurchschnittlichkeit nicht typisch. Aber gerade als untypischer Beobachter vermag er Charakteristisches des politischen, kulturellen, aber vor allem des universitären Lebens der Zeit zu erfassen, so daß seine Schilderungen ein farbiges Bild jener Jahre vermitteln. Ungeachtet des wirtschaftlichen und daher auch zeitlichen Drucks nähert sich der Stettiner Studiosus der Wissenschaft nicht schmalspurig, sondern in der Art eines Studium generale. Er besucht ein Kunsthistorisches Seminar, durch das er viele Baudenkmäler Thüringens kennenlernt, was ihn später als Ordinarius veranlaßt, auf verwaltungswissenschaftlichen Lehrfahrten die „Besichtigung von Kunstdenkmälern, einschließlich Museen, zu ihrem Recht" kommen zu lassen43. Er hört ein Semester die Vorlesung des Jenaer Universitäts-Musikdirektors über die Sinfonien Beethovens, die dann gleichzeitig unter dessen Leitung aufgeführt werden 44. Vor allem interessiert er sich für Philosophie, weshalb er in Jena zur Philosophischen Gesellschaft stößt45 und sich insbesondere mit dem Werk Max Schelers beschäftigt, der ihn nicht nur als Philosoph, sondern auch als Soziologe stark beeinflußt und ihn als Rhetoriker fasziniert. Weder vorher noch nachher, so schreibt Ule, habe er einen Redner gehört, der mit gleicher Formvollendung und Sachbezogenheit schwierigste Gedankengänge verständlich zu machen wußte46. Die Absicht des Studenten, über Schelers Rechtsphilosophie zu promovieren, läßt sich in Jena allerdings nicht verwirklichen. Aber er legt in jener Zeit das Fundament für einen homme de lettres, der später alle Nur-Juristen überragt. Sein umfassendes Interesse und seine wache Neugier hat er sich bis ins hohe Alter bewahrt. So war der Griff zur Enzyklopädie Ritual unserer Begegnungen. Daß theoretische Neigung und Begabung keinesfalls zu Weltfremdheit und Tagesferne führen müssen, wie uns das törichte Wort vom „Elfenbeinturm" glauben machen soll, zeigt auch die Vita Ules. Er besucht nicht nur Vorlesungen über „Au40 Klaus Lüder (Hg.), Staat und Verwaltung, Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1997, S.51 ff. 41 Ule, Verwehte Spuren II: Zur Mitwirkung eines Hochschullehrers an der Gesetzgebung, in: Staat - Souveränität - Verfassung, Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, hg. von Dietrich Murswiek, Ulrich Storost und Heinrich A. Wolff. , 2000, S. 551 ff. 42 Ule, Studium (FN 37) S. 29. 43 Ule, Studium (FN37), S. 43. 44 Ule, aaO. S.44. 45 AaO. 46 AaO. S. 38 ff.

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ßenpolitische Tagesfragen" 47, die ihn wohl zu seiner eigenen, schon erwähnten Lehrveranstaltung über „Öffentlich-rechtliche Tagesfragen" 48 inspiriert haben, sondern wird wegen seines Interesses an Fragen der Tagespolitik Mitglied und später Vorsitzender einer akademisch-demokratischen Arbeitsgemeinschaft, wobei es Ule vor allem um sachliche politische Information und Auseinandersetzung geht49. Er erlebt Hindenburg in Weimar, wohin er mit einem Sonderzug fährt, hört eine Hitlerrede, die ihn in ihrem historischen Teil ermüdet, im politischen Teil wegen hemmungsloser Agitation abstößt, und besucht während seines Berlin-Aufenthaltes eine Reichstagssitzung, die ohne besonderen Eindruck bleibt50. Als Referendar lernt er später auch Roland Freisler in einer flammenden und fanatischen Ansprache kennen, der, in der Sowjetunion geschult, auf ihn wie ein „bolschewistischer Kommissar" wirkt 51 . Sein Interesse an Grundfragen der Res publica und aktuellen Problemen der Tagespolitik wird ihn ein Leben lang begleiten. Noch im März 1999 äußert er sich in einem Schreiben zur doppelten Staatsangehörigkeit und zu beamtenpolitischen Fragen.52 Angesichts der fachfremden Interessen und Aktivitäten des Studenten möchte man in Abwandlung einer witzigen Pointe, auf die wir oft angespielt haben, fragen: Wann hat er eigentlich Jura studiert? Er hat studiert - umsichtig und zielstrebig, fleißig und erfolgreich und bestätigt damit ein Wort Disraelis, wonach die Beständigkeit des Ziels auch das Geheimnis des Erfolgs ist. Anders als üblich und empfohlen setzt er schon im ersten Semester seinen Schwerpunkt im öffentlichen Recht53. Später wird er dann in einem Lebenslauf für das Justizprüfungsamt hervorheben, er habe sich während seiner Studienzeit besonders eindringlich mit Problemen der Allgemeinen Staatslehre und des Deutschen Staatsrechts beschäftigt, wobei er seinem Lehrer Koellreutter, an dessen politischem Seminar er seit seinem zweiten Semester teilgenommen hat 54 , besonderen Dank abstattet. Des nach dem Zusammenbruch Verfemten gedenkt er bei dessen Ableben als einziger Wissenschaftler in einer ebenso noblen wie ausgewogenen Würdigung. 55 Für Heutige sind die Studienerinnçrungen deshalb so interessant, weil Ule die Großen seiner Zeit in ihrer Blüte persönlich erlebt hat und das Erscheinen und die 47

AaO. S.48. Hierzu auch Ule, Referendar (FN 10), S. 35. 49 Ule, Studium (FN 37), S. 46 ff. 50 AaO. S.49 f. 51 Ule, Referendar (FN 10), S. 67. 52 Briefkarte vom 3.3.1999; im Besitz des Verf. 53 Ule, Studium (FN 37), S. 21. 54 AaO. 55 Otto Koellreutter "j\ in: VerwArch. 63, 1972, S. 109 ff.; kritisch zu dessen Verdrängung des „Falles Potempa" Ule, Referendar (FN 10), S. 53; zu Koellreutter siehe auch Stolleis, Art. Koellreutter, in: Neue Deutsche Biographie Bd. 12, 1980, S.324f.; Jörg Schmidt, Otto Koellreutter 1883-1972, 1995; der Autor führte mit Ule im Februar 1994 ein Gespräch (vgl. aaO. S. VII, S. 196), auf das er sich mehrmals bezieht (vgl. S. 179 FN 825, S. 182 FN 832). 48

Würdigung

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Rezeption ihrer Werke, inzwischen vielfach zu Klassikertexten geworden, als Student verfolgen konnte. Carl Schmitts Verfassungslehre beeindruckt ihn 56 ; in der Auseinandersetzung zwischen Kelsen und Smend steht er, ohne Anhänger der Reinen Rechtslehre zu werden, auf der Seite Kelsens, da er „der Integrationslehre Smends schon damals nur wenig abgewinnen" kann57 und auch den rechtsphilosophischen Ertrag von „Verfassung und Verfassungsrecht" für „nur gering" erachtet58. Distanziert bis negativ fällt das Urteil ebenfalls über Smends verwaltungsrechtliche Vorlesung in Berlin aus59. Von den Koryphäen der in Deutschland führenden Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin enttäuschen ihn auch Eduard Kohlrausch, Ernst Heymann und Heinrich Triepel, während Martin Wolff, vor allem aber James Goldschmidt faszinieren 60. Ein Schritt in jeder Juristenwerdung ist die Anwendung des theoretischen Stoffs auf die Lösung eines praktischen Falls. Detailliertes Wissen nutzt wenig, wenn Überflüssiges an unpassender Stelle erscheint, aber den entscheidenden Weichenstellungen einer Fallbearbeitung hinreichende Begründung mangelt. Begabung und Judiz reichen für die Lösung praktischer Fälle allein nicht aus, weil es hierzu auch handwerklicher Fertigkeiten bedarf, die sich nur durch Übung und Fleiß aneignen lassen. Fleiß ist nichts Nebensächliches oder eine „Sekundärtugend" - in der verzerrenden Terminologie eines der Unfleißigsten. Ohne Fleiß bleibt auch der Erstklassige zweitklassig. Die Einstellung Ules kommt in einem Geburtstagsglückwunsch61 zum Ausdruck, den er wenige Monate vor seinem Tode versandt hat und in dem er einen Spruch Fontanes für Adolph (von) Menzel62 zitiert: „Gaben, wer hätte sie nicht? Talente - Spielzeug für Kinder, Erst der Ernst macht den Mann, erst der Fleiß das Genie."

In einer Epoche der Werteumkehrung erscheint Fleiß suspekt. Ule verwahrt sich in seinen Studienerinnerungen dagegen, ein „Scheinjäger" gewesen zu sein63. Zu Recht, denn Übungen sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Zu den Prüfungsakten reicht der Student sechzehn Übungsscheine ein, davon vierzehn von der Universität Jena, in denen ihm fast durchweg gute bis sehr gute Leistungen und großer Fleiß attestiert werden. Entsprechend fallen die Prüfungsarbeiten aus. Teilweise sind die gestellten Aufgaben für den Kandidaten schon zu leicht. Die handelsrechtliche Klausur, für deren Lösung fünf Stunden angesetzt sind, gibt er in selbstgewisser Sicherheit bereits nach etwas mehr als drei Stunden ab. Tadelnd, nicht an 56

Ule, Studium (FN37), S. 33. AaO. S. 32. 58 AaO. S. 34f. 59 AaO. S. 23 f. 60 AaO. S. 24ff. 61 Vom 26.11.1998; im Besitz des Verf. 62 Fontane, Unter ein Bildnis Adolph Menzels, in: Werke in fünf Bänden (FN 1), Bd. III, S.673. 63 Ule, Studium (FN37),S.31. 57

2 Gedächtnisschrift Ule

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den Prüfling, sondern an das Prüfungsamt gerichtet bemerkt Karl Blomeyer: „Eine ganz ungewöhnlich leichte Aufgabe, die keine Gelegenheit bot, besonderes juristisches Verständnis zu zeigen" - und beurteilt sie mit „sehr gut bis gut". Das Referendarexamen beim Prüfungsamt des Gemeinschaftlichen Thüringischen Oberlandesgerichts, das auch preußische Rechtskandidaten prüft, besteht Ule ebenso wie später das Assessorexamen am Oberlandesgericht Stettin jeweils „mit Auszeichnung". Das war auch im alten Preußen kein Durchschnitt, wie er selbst in der zitierten Umdichtung untertreibend bemerkt, sondern aufsehenerregend. Des Rufs, „Preußens Bester" zu sein, konnte er sich danach nicht mehr erwehren. IV. Die Ernennung zum Referendar bessert die wirtschaftliche Situation nicht merkbar. Der Unterhaltszuschuß in Höhe von 120 Mark übersteigt nicht die bisher gewährten Stipendien und ist gerade auskömmlich64. Bei einer Lehrfahrt von Freiburg nach Basel und dem Besuch des dortigen Zuchthauses bemerkt er, daß ein Baseler Gefangener ein wesentlich reichhaltigeres Frühstück erhalte als ein deutscher Student. Reformen, die das Entgelt für Strafgefangenenarbeit mehr als verdreifachen wollen 65 , die Bezüge der Referendare, die allerdings mit denen der Weimarer Republik nicht vergleichbar sind, in einigen Bundesländern aber senken, würde Ule wohl kritisch kommentieren. Die Stationszeugnisse des Referendars sind in ihrem einmütigen Lob beinahe schon eintönig. In einem Falle wird ihm - ob vom Zeitgeist beeinflußt, ist schwer erkennbar - „gesundes Rechtsempfinden" attestiert. Das Zeugnis des Stettiner Landgerichtspräsidenten, Dr. Ernst Zint, der Ule beeindruckte und ihm richterliches Vorbild wurde 66, vom April 1931 beleuchtet in seiner Abgewogenheit alle Eigenschaften, die den späteren Gelehrten charakterisieren: „Der Referendar ist weit über den Durchschnitt befähigt. Er hat eine besonders leichte Auffassung und ein außergewöhnliches Maß von Rechtskenntnissen, dabei auch Wirklichkeitssinn und praktische Urteilsfähigkeit. Seine Arbeitsweise ist wissenschaftlich gründlich, ohne daß aber dabei die praktischen Gesichtspunkte zu kurz kommen. Die von ihm gefertigten schriftlichen Entwürfe waren stets brauchbar, sie zeigen ihn als einen tüchtigen Arbeiter, Gelehrten und Praktiker, der auch schwierige und umfangreiche Aufgaben in kurzer Zeit sachgemäß und in knapper, durchsichtiger Formgebung zu erledigen versteht." Wer mit der Sprache ringt und um den Ausdruck kämpft, wird angesichts des unprätentiösen, aber eleganten, desflüssigen wie eingängigen Stils in Abwandlung eines bekannten Worts neidlos feststellen: Ule hatte die Gnade der leichten Geburt. 64

AaO. S. 59. Siehe den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 4.7.2000, BT-Drucks. 14/3763. 66 Ule, Referendar (FN 10), S. 33 f. 65

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Wesentlich bodenständiger urteilte später ein bayerischer Richter: „Der Ule, des is a ganz a fixer Hund, der schreibt dem Teifi die Ohrwascheln weg" 67 . Schnelle Auffassung und leichte Feder, herausragendes Wissen und sicheres Judiz, Fleiß und Selbstdisziplin können die stupende Schaffenskraft Ules aber wohl nur zum Teil erklären. Noch vor Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres habe ich zu einem Geburtstag seine Veröffentlichungen aus der Speyerer Bibliothek zusammengetragen, einen aufgeklappten Zollstock davorgelegt und alles im Bilde festgehalten. Wahrscheinlich hielt der Photograph den Einfall für geglückter als der Jubilar. Noch vor Aufnahme seiner Tätigkeit läßt sich der frisch ernannte Referendar zu Promotionszwecken beurlauben. Auch wenn Ule darauf verweist, daß juristische Doktorarbeiten in jenen Jahren nicht den später üblichen Anforderungen genügen mußten68, ist der kurze Zeitraum, den der Doktorand für die Anfertigung der Dissertation benötigt, bemerkenswert. Er wird am 23. Mai 1930, weniger als sieben Monate nach Ablegung seines ersten Staatsexamens, von der Universität Jena mit den Gutachten seiner Lehrer Koellreutter und Karl Blomeyer promoviert 69. Seine Dissertation erscheint unter dem Titel „Über die Auslegung der Grundrechte" im angesehenen Archiv des öffentlichen Rechts70. Die Erneuerung der Doktorurkunde, die Ules letzter Assistent, Rechtsanwalt Dr. Bahls, dann seit 1980 betreibt, gerät zur Odyssee, die die Spannungen zwischen Ost und West, aber auch zwischen dem Politbüro der SED und der Jenaer Universität beleuchtet. Zu guter Letzt wird ihm die Urkunde durch die Ständige Vertretung der DDR in Bonn mit der Post übersandt. Daraufhin lädt ihn der Rektor der Universität nach Jena ein und überreicht ihm die Urkunde noch einmal im Mai 1982, zweiundfünfzig Jahre nach der Promotion 71. Ule wird Assistent in Greifswald bei Arnold Köttgen, dessen Beamtenrechts-Vorlesung er in Jena gehört und der in ihm ein lebenslanges Interesse an diesem Rechtsgebiet geweckt hat72, weshalb Ule dann zu einem der führenden Beamtenrechtler Deutschlands wird. Auf der Suche nach einer wirtschaftlichen Grundlage für die geplante Habilitation gelangt er, dessen Name bereits einen „guten Klang" besitzt73, später an das von Poetzsch-Heffter gegründete Institut für Staatsforschung in Kiel, was auch in privater Hinsicht von schicksalhafter Bedeutung wird 74 . Seine Referendarzeit fällt in die turbulente Weimarer Spätphase, für die nur stichwortartig der „Altonaer Blutsonntag", der „Preußenschlag" und der „Fall Potempa" 67

Siehe Ule, Als Richter im Dritten Reich (FN39), S. 159. Ule, Referendar (FN 10), S. 22. 69 AaO. S. 20ff. 70 AöR 60, 1932, S.37ff.; s. später auch Ule, Die Grundrechte, in: Deutsche Verwaltung 1949, S. 333 ff. 71 Hierzu Ule, Verwehte Spuren (FN40), S. 60; ders., Referendar (FN 10), S. 23 f. 72 Vgl. Ule, Studium (FN37), S.29. Zu Köttgen auch ders., Referendar (FN 10), S.44f. 73 Lothar Becker, „Schritte auf einer abschüssigen Bahn". Das Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) und die deutsche Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich, 1999, S. 103. 74 Ule, Referendar (FN 10), S. 58 ff. 68

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stehen sollen75. Über diese „politisch bewegten Zeiten", insbesondere auch den „Tag der Machtergreifung" 76, berichtet er anschaulich; zum Verhältnis von exekutiver und parlamentarischer Gesetzgebung nach dem „Ermächtigungsgesetz" äußert er sich noch als Referendar 77. Der Niedergang der Weimarer Republik und die Gründe hierfür sollten ihn Zeit seines Lebens beschäftigen. Bereits in den ersten Jahren seiner Speyerer Tätigkeit setzt er sich mit der jüngeren deutschen Geschichte und den Gründen für ihre dunklen Seiten auseinander und widerlegt damit wie viele andere eine neuere „Bewältigungslegende", wonach erst die „Achtundsechziger" eine „Verdrängung" nationalsozialistischer Verbrechen beendet haben sollen78. Er hält Lehrveranstaltungen über die „Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Weimarer Republik im Spiegel der Rechtsprechung"79 und über die Staatsauffassung der Widerstandsbewegung ab 80 . An einem seiner Seminare über „Berühmte Prozesse der Weimarer Republik" haben meine Frau und ich im Wintersemester 1963/64 mit Referaten über den „Fall Kahr" und den „Erzberger-Prozeß" teilgenommen. Ule war in seiner Doppelrolle als Verfassungshistoriker und Zeitzeuge beeindruckend; zuletzt hat er dieses Seminar noch einmal im Wintersemester 1979/80 veranstaltet81.

V. Nach dem Assessorexamen im August 1933 wird „Preußens Bester" nun auch „Preußens Jüngster", weil er noch im selben Monat zum Gerichtsassessor und wenige Wochen später zum Land- und Amtsgerichtsrat in Kiel ernannt wird 82 . Zum Juli 1938 läßt er sich wegen der von ihm angestrebten Habilitation zum Landgericht München II versetzen83 und wird im Juni 1943 zum Landgerichtsdirektor in 75

Vgl. Ule, aaO. S.48f., S.52f. Der Tag der Machtergreifung: 30. Januar 1933, in: Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich (FN 39), S. 39 ff. 77 Ermächtigungsgesetz und Reichstag, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 54, 1933, S. 604 ff. 78 So die (seinerzeitige) Präsidentin des Deutschen Bundestages, Siissmuth, am 23.4.1996 (FAZ vom 25.4.1996). Die neue Legende unterdrückt dabei die anti-israelischen Strömungen der damaligen „Bewegung" („Zionisten raus"); hierzu auch Julius H. Schoeps, Deutsch-jüdische Symbiose oder Die mißglückte Emanzipation, 1996, S.389; Schoeps weist auf die Ähnlichkeit „zwischen dem Antisemitismus der Väter und dem Antizionismus der Söhne" hin. 79 Anläßlich seiner Emeritierung zum Ende des Wintersemesters 1971/72 werden ihm die dreizehn Referate des gleichnamigen Seminars, herausgegeben von seinem Assistenten Dietrich Bahls, als „Erinnerungs- und Dankesgabe für seine Speyerer Tätigkeit" (so im Vorwort) überreicht. 80 „Staatsrechtliche Pläne der deutschen Widerstandsbewegung"; hierzu auch Franz Letzelter, Epilog '99, in: Deutsche Universitätszeitung 2000, S. 18 (19). 81 Siehe auch FN 9. 82 Vgl. Ule, Referendar (FN 10), S. 68. 83 Zu den Schwierigkeiten Ule, Als Richter im Dritten Reich (FN39) S. 150; zur Tätigkeit in München aaO. S. 159 ff. 76

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Bonn befördert 84. Die Wehrmacht beruft ihn 1940 ein 85 . Als sein Regiment zur Gebirgsjägereinheit umgebildet werden soll, tritt der „Norddeutsche und Flachländer" 86 in den Dienst der Kriegsmarine und beginnt eine fast fünfjährige Tätigkeit als Militärrichter, die er objektiv und unvoreingenommen auch hinsichtlich seiner Mitwirkung an Todesurteilen beschreibt87. Entgegen vielfachen Pauschalverdächtigungen gerade gegen die Militärgerichtsbarkeit hebt er nachdrücklich hervor, daß Parteidienststellen in keinem Fall auf seine richterliche Tätigkeit Einfluß zu nehmen suchten und ihm unzulässige Eingriffe auch von Kollegen nie berichtet worden seien88. Im April 1934 hatte Ule geheiratet. Derartige Vorkommnisse pflegen in Würdigungen von Wissenschaftlern meist mit dem Hinweis auf die charmante Ehefrau ihre Erledigung zu finden. Seine Frau Ursula ist ihm jedoch mehr. Sie wird zu einer treuen Lebensbegleiterin und „Fährfrau", weil sie nicht nur Fährnisse mit ihm teilt, sondern ihn in seiner Speyerer Zeit regelmäßig von Heidelberg nach Speyer fährt, wobei in den ersten Jahren wegen der zerstörten Speyerer Rheinbrücke die Fähre benutzt werden muß und sie ihn dort erwartet. Insbesondere in seinen letzten Jahren ist sie ihm aufopferungsvolle Pflegerin. Ihr hat er seine gesammelten Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1949-1979 gewidmet, die 1979 unter dem Titel „Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit" 89 erschienen. Seiner beiden Söhne gedenkt der Vater nicht nur in der schon zitierten Umdichtung; in der erwähnten Anthologie findet sich auch ein Storm-Gedicht „An meine Söhne", in dem es heißt: „Was Du immer kannst, zu werden, Arbeit scheue nicht und Wachen; aber hüte Deine Seele vor dem Karrieremachen."

Die Universität München habilitiert Ule 1940 und ernennt ihn im Januar 1941 zum Dozenten. Seine Habilitationsschrift erscheint unter dem Titel „Herrschaft und Führung im nationalsozialistischen Reich" ohne Druckerlaubnis im Verwaltungsarchiv 90 . Als der Verlag 91 die Arbeit in Buchform publizieren will, untersagt die „Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums in der Reichsleitung der NSDAP" 92 nach fast einjähriger Prüfung im Februar 1942 den Vertrieb im 84

AaO. S. 175. AaO. S. 163. 86 Ule aaO. S. 165. 87 AaO. S. 167 ff. (179). 88 AaO. S. 185. 89 Hierzu die Besprechung von Horst Sendler, NJW 1980, S. 2346. 90 VerwArch. 45, 1940, S. 193 ff.; 46, 1941, S. 1 ff. 91 Nach freundlicher Auskunft des Carl Heymanns Verlages sind die Akten durch Kriegseinwirkungen vernichtet worden. 92 Zu ihr Dietrich Aigner, Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums" im Dritten Reich, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens 11, 1971, Sp. 933 ff.; Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im „Dritten Reich", 1995, S. 298 ff.; Lothar Becker (FN 73) S. 33 ff. 85

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Buchhandel93, weil der Autor Verfassungsrecht und Politik zu trennen versuche, indem er Herrschaft und Führung im nationalsozialistischen Reiche nebeneinanderstelle, den Herrschaftsbegriff als einen technischen gegen den Begriff der Führung abgrenze und zudem „nichtarische Autoren" wie Jellinek, Laband und Heller heranziehe, ohne kritisch von ihnen Abstand zu nehmen94. Ules Thesen führen zunächst zu scharfen wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen im Schrifttum 95 , in die dann auch das „Schwarze Korps", die Wochenzeitschrift der SS, unter dem Titel „Politik den Berufenen" eingreift. Der Beitrag ist in seiner primitiven Polemik bezeichnend für Wissenschaftsfeindlichkeit 96 und Professorenphobie des Nationalsozialismus („Nationalsozialisten gab es kaum unter den Staatsrechtlern"). Er rät den „Nur-Professoren" u. a. über „Gewerbesteuermeßbeträge" zu schreiben und schließt mit der Forderung: „Staatsrecht ist Politik, und an die Politik gehören nur die Berufenen". Ule erlebt das Kriegsende als Marinerichter in Drontheim, das die Engländer besetzen. Vor seinem Abtransport aus Norwegen überprüft die Besatzungsmacht seine frühere Tätigkeit, was weder bei ihm noch bei anderen Richtern in Norwegen zu Beanstandungen führt 97. Der Kriegsgefangene will nach München entlassen werden, gerät aber auf Grund eines Geheimabkommens zwischen amerikanischer und französischer Besatzungsmacht in die Kriegsgefangenschaft nach Westfrankreich. Auf Grund seiner Stellung und seiner Sprachkenntnisse wird er Leiter einer Lageruniversität, in der auch Kleists „Zerbrochener Krug" mit dem inzwischen bekannten Schauspieler Heinz Reincke aufgeführt wird. Ule übernimmt wohl ganz selbstverständlich die Rolle des Gerichtsherrn 98. Erst im Sommer 1947 wird er aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen und meldet sich im Juli beim Landgerichtspräsidenten in Bonn, der ihm eine Verwendung in allernächster Zeit in Aussicht stellt. Ule, der in der Spätphase der Weimarer Republik vier Jahre der liberalen, von Friedrich Naumann gegründeten Deutschen Demokratischen Partei angehört hat93 Im einzelnen Ule, in: Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich (FN39), S. 165 f.; ders., DVB1. 1985, S. 19 (17); vgl. in diesem Zusammenhang auch Wolfgang Kohl/Michael Stolleis, Im Bauch des Leviathan - Zur Staats- und Verwaltungsrechtslehre im Nationalsozialismus, NJW 1988, S.2849 (2852); Werner Hoppe, Carl Hermann Ule zur Vollendung des 90. Lebensjahres, DVB1. 1997, S.201 f.; Helmut Quaritsch, Carl Hermann Ule *j\ VerwArch. 90, 1999, S.489 (493 f.); dens. (Hg.), Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg, 2000, S. 118 f. 94 Zur Zitierung jüdischer Autoren auch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 834f. 95 Ule, Besprechung von Gottfried Neeße, Führergewalt, in: Reichsverwaltungsblatt 61, 1940, S. 611 f.; Hans Bernhard Brauße, Führung - Zu der Besprechung des Buches „Führergewalt" von Dr.Neeße durch Dr.Ule, in: Reichsverwaltungsblatt 62,1941, S.246ff.; Ule, Herrschaft, Führung, Gemeinschaft - eine Auseinandersetzung mit Hans Bernhard Brauße, Die Führungsordnung des deutschen Volkes, ebenda, S. 248 ff.; Neeße, Führung und Herrschaft, ebenda, S. 253 ff.; Koellreutter, Führung und Herrschaft, ebenda, S. 445 ff. 96 Vgl. in diesem Zusammenhang Neeße (FN 95), S. 258, die Wissenschaft habe „sich nicht durchweg in ihre neue Rolle einer Helferin der nat.-soz. Politik hineingefunden". 97 Ule, Als Richter im Dritten Reich (FN 39), S. 182 f. 98 Vgl. Ule, aaO. S.183.

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te", war 1937 aus beruflichen Gründen der NSDAP beigetreten 100. Seine „Wiederzulassung" wird schon bald für „unbedenklich" erklärt. Ule nimmt zum Bedauern des Landgerichtspräsidenten seinen Dienst in Bonn nicht auf, sondern wechselt über das hessische Wirtschaftsministerium Anfang 1948 als Regierungsdirektor in das Zentraljustizamt in Hamburg. 1949 wird er Senatspräsident am Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dessen Vizepräsident er in den Jahren von 1951 bis 1955 ist. In dieser Zeit vertieft sich auch die Freundschaft mit dem späteren Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Fritz Werner, den er seit seiner Studienzeit kennt 101 und dessen Schriften er nach dem frühen Tode Werners zusammen mit Bettermann herausgibt 102. Ule hält Vorlesungen in Hamburg, die auch der Student Helmut Quaritsch hört 103 , und wird Honorarprofessor an der Universität Göttingen. VI. 1955 erreicht ihn ein Ruf an die Hochschule für Verwaltungs Wissenschaften Speyer. Ule kennt sie noch als Akademie von einem Vortrag im Juni 1950104 und hatte fast jährlich an den Speyerer Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagungen mitgewirkt 105 . Eine brillante Vorlesung Arnold Gehlens hatte ihn für die Speyerer Einrichtung eingenommen, die jedoch, wie er später freimütig bekennt, „an der Kargheit ihres Lehrkörpers" litt, „in dem es außer Gehlen an glanzvollen Erscheinungen mangelte" 106 . Die Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz ist äußerst bemüht, den angesehenen Praktiker und Gelehrten für die Hochschule zu gewinnen. Die „äußeren Umstände"107, die den Richter aus Leidenschaft von Lüneburg Abschied nehmen lassen, 99

Siehe Ule, Studium (FN37), S.47; dens., Referendar (FN 10), S.43; dens., in: Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich (FN 39), S. 149. 100 Hierzu Ule, Als Richter im Dritten Reich (FN 39), S. 175; ders., Referendar (FN 10), S. 57. 101 Vgl. Ule, Referendar (FN 10), S. 33. 102 Karl August Bettermann und Carl Hermann Ule (Hg.), Fritz Werner, Recht und Gericht in unserer Zeit. Reden, Vorträge, Aufsätze 1948-1969,1971; dort S.447 ff.: Ule, Gedenkworte für die Freunde. 103 Vgl. dessen Vorwort, S. 14, in: Ule, Studium (FN 37). 104 Ule, Das Bonner Grundgesetz und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Heft 5, 1950. 105 Verwehte Spuren (FN40), S. 53. Im einzelnen: Ule, Die künftige Verwaltungsgerichtsordnung, Vortrag vom 2.10.1953 auf der 17. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung, in: JZ 1953, S.68Iff.; ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht und Rechtsschutzproblem, in: Staatszeitung von Rheinland-Pfalz, Nr.40 vom 3.10.1954, Beilage Nr.2 und Nr.41 vom 10.10.1954, Beilage Nr. 3 (Fortsetzung); ders., Die Leistungen der öffentlichen Verwaltung und ihre Kontrollen: Grundlagen und Grenzen des Rechtsschutzes durch die Gerichte, in: Staatszeitung von Rheinland-Pfalz, Nr. 33 vom 14.8.1955, Beilage. 106 Verwehte Spuren (FN40), S. 53. 107 So Ule, Als Richter im Dritten Reich (FN39), S. 150.

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sind günstig. Ule will sich im urbaneren Heidelberg niederlassen, der „Vaterlandsstädte ländlichschönste", wie Hölderlin in einem Gedicht sagt, das sich ebenfalls in der Anthologie findet 108. Das Land Rheinland-Pfalz erwägt sogar, ein Hausgrundstück in Heidelberg für den neuen Ordinarius zu kaufen, was dann jedoch nicht realisiert wird. Die Verhandlungen protokolliert Oberregierungsrat Duppré, der einige Jahre vorher an der Akademie in Speyer sein Examen abgelegt hatte, später ein umsichtiger und durchsetzungsfähiger Chef der Staatskanzlei mit großem Wohlwollen gegenüber der Hochschule wird und an ihr später als Honorarprofessor lehrt. Ule erhält den Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht 109, den er bis zu seiner Emeritierung zum April 1972 innehat. Er gehört zu jenen Ordinarien, die als Wissenschaftler nicht nur für die Praxis, sondern auch in der Praxis tätig sind und wissenschaftliche Methodik mit praktischer Erfahrung verbinden. Die Hochschule hat diese Berufungspolitik auch später fortgesetzt, wie die Gewinnung der Professoren Morstein Marx, König, Quaritsch, Schreckenberger und v. Arnim zeigt. Ule festigt maßgeblich den Ruf der Hochschule und wird neben Arnold Gehlen zum Magneten. Viele Referendare kommen in jener Zeit wohl hauptsächlich seinetwegen an die Hochschule; die Mär macht ihn mitunter sogar zu deren Gründer. Seine „Arbeitsgemeinschaft für die Referendare der norddeutschen Länder" wird legendär 110 Neben der Pflege der klassischen Bereiche, insbesondere des Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozeßrechts, des Beamtenrechts und des Polizeirechts, öffnet er sich modernen Entwicklungen, indem er Planspiele veranstaltet111 und Vorlesungen zur Gesetzgebungslehre anbietet, lange bevor sich die Legistik an den Universitäten etablieren kann. Als einer der ersten betritt er das Neuland der Supranationalität 112 und beschäftigt sich mit dem Rechtsschutz und der Gerichtsbarkeit in den europäischen Gemeinschaften 113. Daneben widmet er sich der Rechtstatsachenforschung, 108

Friedrich Hölderlin, Heidelberg, in: Weggefährten (FN2), S. 46. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rudolf Morsey, 50 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, in: Klaus Lüder (Hg.), Staat und Verwaltung, 1997, S. 13 (36). 110 Hierzu auch Quaritsch, Vorwort, S. 15 f., in: Ule, Studium (FN37); ders., VerwArch. 90, 1999, S. 495 f. 111 Siehe Franz Knöpfle, 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, in: Demokratie und Verwaltung, 1972, S. 11 (46 in und zu FN 40); Ule, DVB1. 1965, S. 552ff.; dens., Zum Musterentwurf eines VerwaltungsVerfahrensgesetzes. Ergebnisse eines Planspiels in der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Referendare aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Sommersemester 1964, Speyer 1966. 112 Hierzu auch Hans Peter Ipsen, DVB1. 1977, S. 128. 1,3 Ule, Der Gerichtshof der Montangemeinschaft als europäisches Verwaltungsgericht, DVB1. 1952, S. 65 ff.; ders., Verwaltungsgerichte überstaatlicher und internationaler Organisationen, DVB1. 1953, S.491 ff.; ders., Empfiehlt es sich, die Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts über den Rechtsschutz zu ändern und zu eigänzen?, in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages 1966, Bd. 1/4, S. 1 ff.; ders., Der Europäische Gerichtshof und die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1967, S. 1 ff. 109

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verfaßt einen Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz und referiert sogar über „Parkinsons Gesetz und die deutsche Verwaltung" 114. Allerdings ist er Tagestorheiten abhold. Ein „utopisches Menschenbild"115 ist seine Sache nicht, weshalb er auch den „weitgehend unausgegorenen Ideen" 116 einer „Demokratisierung" der Verwaltungsgerichtsbarkeit 117 nichts abgewinnen kann. Dreimal gelangt er als Rektor an die „Tete" der Hochschule, nämlich in den akademischen Jahren 1956/57,1962/63 und 1967/68. Den Kontakt zur Praxis hält er als nebenamtlicher Richter am Oberverwaltungsgericht Koblenz von 1956 bis 1971 und als Prozeßvertreter. Er leitet die Verwaltungsakademie in Mannheim, ist mehrfach Mitglied von Sachverständigenkommissionen118 und wirkt an bedeutenden Gesetzgebungsvorhaben wie dem Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, der Verwaltungsgerichtsordnung, dem Verwaltungsverfahrensgesetz 119 und dem Projekt einer einheitlichen Verwaltungsprozeßordnung mit. Das Scheitern dieses „Speyerer Entwurfs" hat ihn getroffen. Wiederholt wirft er dem zuständigen Bundesjustizminister Gleichgültigkeit und Schwäche vor, weil dieser nicht einmal den Versuch gemacht habe, den in seinem Hause nach eingehender wissenschaftlicher Vorarbeit erarbeiteten Entwurf durch die Klippen opponierender Ressorts zu steuern 120. In seiner Speyerer Amtszeit entfaltet er eine breite und fruchtbare literarische Tätigkeit 121 . In bewundernswerter Schaffenskraft legt Ule Lehrbücher und Kommenta114

Vortrag vor der Berliner Juristischen Gesellschaft vom 4.3.1960, in: Schriftreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 5, 1960; hierzu auch Ule, Verwehte Spuren (FN 40), S.73. 115 Ule (FN 117), S. 682. 1.6 So Sendler, NJW 1980, S.2346. 1.7 Ule, Demokratisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in: 25 Jahre Hochschule (FN111), S.663ff. 118 Hierzu Ule, Verwehte Spuren II (FN41), S. 551 ff. 1,9 Ule, Die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, 1989, S. 1162ff. 120 Ule, Abgesang auf die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung, DVB1. 1991, S. 509 (510); ders., in: Der Staat 33, 1994, S.485; ders., Verwehte Spuren (FN40), S. 71; ders., Verwehte Spuren II (FN41), S. 558. 121 Leider ist eine Gesamtbibliographie Ules bisher noch Desiderat. Ein Verzeichnis der Veröffentlichungen 1947-1967, bearbeitet von Walter Rutz, findet sich in: Studien über Recht und Verwaltung (FN 132), S. 159 ff.; ein Schriftenverzeichnis für die Zeit von 1977-1987, bearbeitet von Veronika Götz, ist abgedruckt in: Verwaltung im Rechtsstaat (FN 132), S. 421 ff.; für die Zeit von 1987-1991 veröffentlicht in: DVB1. 1992, S. 138ff.; daneben haben Werner Hoppe und Hans Schrödter im DVB1. 1982, S.89f. Schriften für die Zeit von 1977 bis 1981 zusammengestellt; für die Zeit von 1982 bis 1987 ist eine Übersicht abgedruckt in: DVB1. 1987, S. 162; seine Schriften zum öffentlichen Dienst, bearbeitet von Franz Becker, sind publiziert in: Öffentlicher Dienst (FN 132), S. 587 ff.; eine Zusammenstellung von Aufsätzen und kleinen Beiträgen für das Deutsche Verwaltungsblatt (Deutsche Verwaltung) ist publiziert in: DVB1. 1977, S. 126 f.; seine Rezensionen für das Archiv des öffentlichen Rechts in der Zeit von 1933 bis 1943 sind zusammengestellt bei Lothar Becker (FN 73), Quellen- und Literaturverzeichnis, S.238f.

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re auf den Gebieten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, des Verwaltungsprozeßrechts, des Beamten-, Polizei- und Emissionsschutzrechts vor und ist als Autor in nahezu allen Fachzeitschriften vertreten. Bei einigen ist er Mitherausgeber, das „Deutsche Verwaltungsblatt" und das „Verwaltungs-Archiv" betreut er jahrzehntelang als Schriftleiter und gestaltet sie maßgeblich mit eigenen Beiträgen 122. Die von Max von Brauchitsch herausgegebene Sammlung preußischer Gesetze begründet er unter dem Titel „Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder" neu und veröffentlicht in dieser Reihe auch eigene Kommentare. Wie viele Großen verfügte Ule über ein sicheres Gespür für wissenschaftliche Talente. Zu seinen Assistenten und engeren Schülern, die teilweise vor ihm starben, zählen Niklas Luhmann, Frido Wagener, Roman Schnur, Klaus König und Hans-Werner Laubinger. Ule öffnet für die Hochschule die Tore zum Ausland 123. Er veranstaltet internationale Tagungen und knüpft wissenschaftliche Beziehungen zu Österreich, Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und Nationalchina, woraus sich vielfach langjährige persönliche und freundschaftliche Beziehungen ergeben, die er in einer Reihe von Auslandsreisen vertieft. Seine besondere Vorliebe gilt Japan, für dessen Recht und Kultur er sich interessiert 124, mit dem er über vierzig Jahre verbunden ist und das er auf insgesamt fünf Studien- und Vortragsreisen besucht. Daher ist es auch nicht Zufall, sondern Symbol, daß sich seine Bibliothek, die für jeden wahren Wissenschaftler im Laufe der Jahre zu einem alter ego gerät, in einer Privatuniversität in Tokyo befindet 125. Im Tempelsteuerstreit von Kyoto wird er als Gutachter gehört, der bezeichnenderweise die Rechtslage nach deutschem Recht beurteilen soll 126 . Ule gelangt in Japan zu hohem Ansehen, weshalb viele bedeutende japanische Wissenschaftler seinetwegen die Hochschule besuchen und an ihr forschen. Die Emeritierung in Speyer bedeutet für Ule keine Entpflichtung, sondern nur eine Pflichtenverlagerung. Er, der Richter, Ministerialbeamter und Hochschullehrer war, beginnt nun eine vierte Berufskarriere, indem er mit seinem letzten Assistenten Dr. Bahls eine Anwaltssozietät in Heidelberg gründet. Damit setzt er seine erfolgreiche forensische Tätigkeit schon als Ordinarius fort. Daß er die Zulassung zur Advokatur vor dem Bundesgerichtshof erstreiten muß 127 , macht der Rechtsanwaltschaft wenig Ehre.

122 Vgl. in diesem Zusammenhang Hans Schrödter, Ein Leben für das öffentliche Recht. Carl Hermann Ule als Autor des Deutschen Verwaltungsblattes, in: DVB1. 1987, S. 163 ff. 123 Hierzu Ule, Verwehte Spuren (FN40), S. 61 ff. 124 Vgl. Ule, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Japan, DVB1. 1984, S. 649 ff.; dens., Japanische und deutsche Rechtsauffassungen im öffentlichen Recht, DVB1. 1988, S. 599ff.; dens., 100 Jahre Meiji-Verfassung in Japan, DVB1. 1989, 173 ff.; dens., Zu den Anfängen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Japan, VerwArch. 80, 1989, S. 303 ff.; dens., Ein Verwaltungsprozeß in Japan, VerwArch. 75, 1984, S. 272ff. 125 Hierzu Ule, Abschied von einer Bibliothek (FN 21), S. 335 f. 126 Siehe Ule, Ein Verwaltungsprozeß in Japan (FN 124), S. 273. 127 Vgl.BGHZ60, 152.

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VII. Ule hat als Vorbild gewirkt, Anstöße gegeben und Bleibendes hinterlassen, so daß sein Name mit der Entwicklung der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft seit Kriegsende untrennbar verbunden bleibt. Seine Unterscheidung von Grund- und Betriebs Verhältnis im Rahmen des Besonderen Gewaltverhältnisses128, das ihn schon als Assistent beschäftigt hatte129, sowie seine Vertretbarkeitslehre 130 sind Geschichte geworden. Ules große Lebensleistung wurde im Inland und Ausland anerkannt. Noch in meinem Rektorat konnte ich ihm in einer kleinen Feierstunde das Große Bundesverdienstkreuz überreichen; 1988 wurde er mit dem der japanischen Orden vom heiligen Schatz mit goldenen und silbernen Strahlen dekoriert. Im selben Jahr verlieh ihm die Keio-Universität in Tokio die Ehrendoktorwürde, und zu seinem neunzigsten Geburtstag erhielt er für seine Verdienste um die deutsch-japanischen Beziehungen den Tagami-Ring, der am Tage der Trauerfeier an Klaus Stern, ihm wissenschaftlich 131 und persönlich verbunden, weitergereicht wurde. Er war Ehrenmitglied der Japan Public Law Association und der buddhistischen Tempelvereinigung Kyoto. Zu seinem sechzigsten, siebzigsten und achtzigsten Geburtstag wurden ihm insgesamt vier Festschriften gewidmet132, darüber hinaus erschienen zu diesen und anderen Ehrentagen Sonderhefte von Zeitschriften 133. Ule hat alle Stationen und Brüche des 20. Jahrhunderts durchlebt. Denn dieses hat, vernachlässigt man Formales, erst 1914 mit dem Verlust des mehr als vierzig Jahre währenden stabilen Gleichgewichts in Europa und dem darauffolgenden Eintritt der Vereinigten Staaten in die Weltpolitik begonnen. Und es hat in einer merkwürdigen Parallelität zum achtzehnten Jahrhundert letztlich 1989 mit der Neuordnung Europas, dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Wiedervereinigung Deutschlands geendet. Diese Zäsur stellte für Ule, der mehr als ein Verfassungspatriot, nämlich ein Patriot war, einen politischen Höhepunkt in seinem be128 Ule, Das besondere Gewaltverhältnis, in: VVDStRL 15,1957, S. 133 ff., insbes. S. 151 ff.; siehe femer Ule, DVB1. 1951, S.338, 340; dens., VerwArch. 76, 1985, S. 129 (131). 129 Ule, Das besondere Pflichtenverhältnis und der Wandel der Staatsidee, in: Reichsverwaltungsblatt 55, 1934, S. 694 ff. 130 Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S.309ff.; siehe auch Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl. 1987, §2, S.9ff.; dens., Rechtsstaat und Verwaltung, VerwArch. 76, 1985, S. 1 (15f.). 131 Vgl. Ule, Studium (FN37), S. 41. 132 Studien über Recht und Verwaltung, 1967; Klaus König!Hans Werner LaubingerlFrido Wagener (Hg.), Öffentlicher Dienst, 1977; Willi Blümel/Detlef Merten/Helmut Quaritsch (Hg.), Verwaltung im Rechtsstaat, 1987; Jürgen Becker (Hg.), Beiträge zum Medienprozeßrecht, 1988. 133 DVB1. 1977, S. 125ff.; DVB1. 1982, S.89ff.; VerwArch. 73, 1982, S.3ff.; DVB1. 1987, S. 161 ff.; DVB1. 1992, S. 177 ff.; VerwArch. 83, 1992, S. 145 ff.

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wegten Leben dar. In die Reihe seiner „Weggefährten" 134 hatte er auch Ernst Moritz Arndts Gedicht „Des Deutschen Vaterland" aufgenommen, das mit dem Aufruf endet: „Das ganze Deutschland soll es sein!" Noch in hohem Alter kann er die Wiedervereinigung durch viele Veröffentlichungen wissenschaftlich begleiten135 und die neuen Länder und damit die alte Heimat mit seinem getreuen Ekkehard, seinem letzten Assistenten Dr. Bahls, auf drei Reisen besichtigen. Damit schließt sich ein Kreis. Nach fünfundsechzig Jahren sieht er Orte und Landschaften wieder, die er als Oberprimaner zusammen mit einem Freund im Sommer 1925 besucht hatte, wobei er zugleich den Spuren Fontanes auf dessen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" folgt. In Potsdam erinnert er sich seiner Besuche bei Verwandten als Student; in der Babelsberger Hochschule für Recht und Verwaltung (ehemals Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR) kann er sich von der nahezu lückenlosen Präsenz seiner Veröffentlichungen überzeugen; in Paretz besichtigt er das „lieblos umgestaltete" und einer Tierzuchtanstalt überlassene Schloßgebäude; Neuruppin sowie der Stechlin-See mit Neu-Globsow sind Fontane-Gedenkstätten; Rheinsberg, nicht mehr Musen-Hof, sondern Diabetiker-Heim, und Küstrin, dessen deutschen Namen man an der jetzigen deutschen Grenze nicht mehr kennt oder, wie der Chronist bemerkt, nicht mehr kennen will, erinnern an den jungen Friedrich. Neubrandenburg erachtet der Staatsrechtler als Paradebeispiel für die Rechtswidrigkeit, mit denen diese Enteignungen für „unantastbar" erklärt wurden. Am bewegendsten ist es für ihn, daß er nach knapp fünfzig Jahren wieder an der Oder steht, die er zuletzt 1943 in Stettin gesehen hatte. Mit einem Schlaganfall und der Übersiedlung in das Heidelberger Augustinum brach in den Worten des von ihm geliebten Fontane-Gedichts „Oh trübe diese Tage nicht" 136 sein Winter herein, was mancher Näherstehende im Tagestrubel wohl nicht hinreichend erkannte. Den Schluß der Anthologie Carl Hermann Ules bildet ein Sinnspruch Carossas137, der auch hier am Ende stehen mag: „Was einer ist, was einer war, beim Scheiden wird es offenbar."

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(FN 2), S. 43 f. Ule, Die DDR - ein sozialistischer Rechtsstaat?, in: DVB1. 1989, S. 1221 ff.; ders., Gerichte und Richter der DDR-Garanten der Rechtsstaatlichkeit?, in: DÖV 1990, S.419ff.; ders., Zur Beharrlichkeit sozialistischer Rechtsvorstellungen in der DDR, in: DVB1. 1990, S. 793 ff.; ders., Beamter oder Staatsfunktionär?, in: VOP 1990, S. 151 ff.; siehe auch Ule, Gesetzlichkeit in der Verwaltung durch Verwaltungsverfahren und gerichtliche Kontrolle in der DDR, in: DVB1. 1985, S. 1029ff.; dens., Gerichtliche Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen in der DDR, in: DVB1. 1989, S. 581 ff. 136 Weggefährten (FN 2), S. 90. 137 AaO. S. 174. 135

Die Bedeutung Carl Hermann Ules für das Verwaltungsprozeß- und das Verwaltungsverfahrensrecht Von Klaus Stern Carl Hermann Ule y zu dessen Gedächtnis-Symposium wir uns heute hier eingefunden haben, begegnete ich 1961 auf der Freiburger Staatsrechtslehrertagung zum ersten Mal. Schon früher standen wir allerdings im Briefwechsel über meine Dissertation „Gesetzesauslegung und Auslegungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts", die er ausführlich kommentiert hat und die seine Arbeit über die Auslegung der Grundrechte aus dem Jahre 19311 mehrfach herangezogen hatte. Freiburg vor 38 Jahren blieb mir aber immer in Erinnerung, vor allem jene längere gemeinsame Autofahrt, auf der er mich für Speyer zu gewinnen hoffte und ich ihn bedauernd wissen lassen mußte, daß ich so gut wie „verlobt" mit Berlin war. (Damals war es noch guter Stil, solche Verabredungen auch zu halten) Natürlich wäre es reizvoll, auf die Grundrechte und deren Interpretation, die Carl Hermann Ule zeitlebens beschäftigt hatten, einzugehen. Aber ich glaube, es wird seinem Lebenswerk und dem Generalthema dieses Symposiums gerechter, die Bedeutung unseres Verstorbenen für das Verwaltungsprozeß- und das Verwaltungsverfahrensrecht zu würdigen. In beiden Disziplinen war er ein Großmeister seines Faches, dem die Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Zustandekommen des Verwaltungsverfahrensgesetzes unendlich viel zu verdanken haben. I. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland darniederlag, frühzeitig einen erstaunlichen Aufschwung, der noch vor dem „Wirtschaftswunder" und vor der Existenz der Bundesrepublik Deutschland einsetzte. Das galt nicht nur für die damaligen drei sog. Westzonen, sondern auch - jedenfalls zu Beginn - zeitweise sogar für die sowjetische Besatzungszone, in der z. B. - mit dem Namen Hellmuth Loening eng verbunden2 - das ehrwürdige Thüringische Oberverwaltungsgericht schon im Juni 1946 wieder erstand.3 • AöR 21 (1931), S. 37 ff. Vgl. H. Loening, AöR Bd.75 (1949), S.56ff. 3 Vgl. etwa jüngst Th. Heil, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Thüringen 1945-1952. Ein Kampf um den Rechtsstaat, 1996. S.auch G. Brunner, in: Sächsische Justiz-Geschichte. Das 2

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Verwaltungsgerichtsbarkeit war anfänglich eine der seltenen zonenübergreifenden Institutionen. Es war ja auch eines der nicht gerade häufigen Gesetze des Alliierten Kontrollrats, das Gesetz Nr. 36 vom 10. November 1946 (ABl. Nr. 14 S. 315), das die Wiedererrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit für ganz Deutschland vorsah. Aber die Ausführung erfolgte in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone schleppend bzw. überhaupt nicht. Eine rechtsstaatliche und voll funktionsfähige Verwaltungsgerichtsbarkeit beschränkte sich sehr bald nur auf die westlichen Besatzungszonen und die Westsektoren von Berlin. 1. Während für die Amerikanische Besatzungszone der Schöpfer des später dann so genannten „süddeutschen Verwaltungsgerichtsgesetzes", genauer des von den Ministerpräsidenten der Länder Bayern, Württemberg-Baden und Groß-Hessen erlassenen Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit 4 mit Walter Jellinek, Heidelberger Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht, klar auszumachen ist,5 ist die Entstehung der verwaltungsgerichtlichen Vorschriften in der britischen Zone nicht so ganz eindeutig. Verwaltungsgerichte waren auch dort bereits 1946 entstanden (Art. IV Gesetz Nr. 2 der Mil. Reg. - ABL. Nr. 3 S. 4 - iVm Verordnungen der Oberpräsidenten), für die allerdings noch gehörige Rechtsgrundlagen zu schaffen waren. Sicher war, daß für diese der Jellinek-Entwurf oder - wie es meistens hieß - das „Heidelberger Gesetz" eine bedeutsame Rolle spielte.6 Die Einführung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel sowie von Verwaltungsgerichten und jeweils eines Oberverwaltungsgerichts für die Länder war selbstverständlich.7 Im Dezember 1947, als das Zentral-Justizamt für die Britische Zone in Hamburg schon bestand, wurde ein „Hamburger Entwurf' für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Britischen Zone vom „Beratenden Ausschuß für öffentliches Recht" mit Sitz in Herford vorgelegt.8 Carl Hermann Ule war damals noch nicht in der Britischen Zone tätig, sondern mit anderen Aufgaben in Hessen beschäftigt, nachdem er im Juli 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war. Wir finden daher auch nur andere Namen, die für die gesetzlichen Regelungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Britischen Zone verantwortlich waren, darunter seinen Amtsvorgänger im ZentralJustizamt, Vortragender Rat Dr. Erich Ρ ritsch. 9 Dieser wurde am 1. März 1948 zum Sächsische Oberverwaltungsgericht, Schriftenreihe des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz, Bd. l,o. J. (1993), S.33ff. 4 Vgl. etwa Bayer. Gesetz vom 25.9.1946 (GVB1. S.281). 5 Vgl. W. Jellinek, DRZ 1948, 269 ff. Er stand einer Sachverständigenkommission vor. 6 Vgl. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Land Nordrhein-Westfalen 1945-1969, Dokumentation 1970, S. 132 f., 142ff. 7 Ebda. S. 134 ff. 8 Ebda., S. 179. 9 Zu weiteren Mitgliedern s. B. Lehmann, DV 1948, 101 (103).

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Senatspräsidenten am Obersten Gerichtshof für die Britische Zone in Köln berufen. Ule wurde sein Nachfolger. Bei der Vorstellung, so schrieb Ule, überraschte Ρ ritsch ihn mit der Bemerkung, er habe ihn vor 15 Jahren in der Großen Staatsprüfung in öffentlichem Recht geprüft. 10 Kurz nach Ules Amtsantritt ergingen die beiden für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Britischen Zone einschlägigen Rechtsgrundlagen, die Verordnung Nr. 141 und die Verordnung Nr. 165 - beide von der Militärregierung erlassen.11 Zu seinem Amtsauftrag in Hamburg gehörte es nunmehr, sich mit „der Bedeutung dieser Verordnungen und ihren Auswirkungen auf die Justiz zu beschäftigen". 12 Bereisungen der Gerichte, verbunden mit Gesprächen mit den Gerichtspräsidenten und Richtern, und der Aufbau des Deutschen Verwaltungsblattes, zunächst als Hauptschriftleiter, dann als Herausgeber waren die ersten Schritte auf diesem Terrain. Seither ließ ihn die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht mehr los. Nicht lange blieb er für sie indessen in der Justizverwaltung zuständig. Am 1. November 1949 wechselte er in die Verwaltungsgerichtsbarkeit als Senatspräsident an das im Sommer gemäß § 2 VO Nr. 165 errichtete gemeinsame Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein über. 5Vi Jahre blieb er Richter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dort kam er u. a. mit Karl-August Bettermann, Fritz Werner und Martin Baring zusammen, die ebenfalls für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wichtig wurden. Ules Senat war für alle verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten zuständig, die nicht zu den damals praktisch sehr wichtigen Wohnungssachen gehörten, sowie nach § 27 lit. d. VO Nr. 165 für Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, sofern kein anderes Gericht errichtet war. Er hatte also die gesamte Palette des Verwaltungsrechts einschließlich verfassungsrechtlicher Fragen zu beurteilen. Wenigstens ein Urteil seines Senats soll erwähnt werden, weil es für die zukünftige Rechtsentwicklung des Verwaltungsrechts - man vergesse nicht F. Werners Diktum vom „Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht" - und für die Kunst bedeutsam geworden ist. Gemeinhin ist das Bundesverwaltungsgericht mit der Freistellung des Films „Die Sünderin" von polizeilichen Verboten in die Rechtsgeschichte eingegangen.13 In Wahrheit aber hat der Lüneburger Senat C.H. Ules schon die Weichen gestellt. Er hob das erstinstanzliche das Verbot bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg auf und sah in dem Film keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Bemerkenswert sind folgende Schlußsätze des Urteils: „Mit der Ablehnung eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung wird allein ein rechtliches Urteil über den Film gesprochen, kein moralisches oder ästhetisches. Zu einer solchen Beurteilung sind weder die Polizeibehörden noch die Verwaltungsgerichte berufen. Ihnen steht das Amt des Sittenrichters, des Volkserziehers und des 10

C.H. Ule, VerwArch Bd.78 (1987), S. 125 (127). VO Nr. 141 vom 1.4.1948 und VO Nr. 165 vom 15.9.1948 (Zentraljustizblatt 1949, S.61 ff.). Dazu C.H. Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1962, S.2f.m. w. Nachw. 12 AaO., S. 128. 13 BVerwGE 1, 303. 11

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Zensors nicht zu. Wie wenig die Polizei zu diesem Amt berufen ist, ergibt sich daraus, daß auch im vorliegenden Fall das in Lingen (Emsland) ausgesprochene Verbot erkennbar die entgegengesetzte Wirkung hatte: Es wurde dem Film ,Die Sünderin4 dadurch anderwärts zu einer Beachtung in der Öffentlichkeit verholfen, die er sonst sicherlich nicht gefunden hätte. Es mag sein, daß der Film vom künstlerischen Standpunkt wenig wertvoll ist, daß seine Darstellung die Wirklichkeit grob verzeichnet und daß an manchen Stellen die Grenzen des Geschmacks und des Taktes verletzt sind. Das alles sind aber nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum keine Gesichtspunkte, die bei der Prüfung der Frage ins Gewicht fallen, ob das Ordnungsamt der Stadt Lingen unter polizeilichem Gesichtspunkt den Film verbieten durfte. 4'14

2. Ule war schon während der Zeit seiner Richtertätigkeit wissenschaftlich ausgesprochen produktiv; darauf ist Detlef Merten bereits eingegangen. Ich möchte den Akzent auf seine rechtspolitische Tätigkeit zunächst für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und sodann für das Verwaltungsverfahren setzen.

a) Im September 1949 wurde eine Vereinigung der Präsidenten der Verwaltungsgerichte des Bundesgebietes gegründet, die sogleich einen Arbeitsausschuß einsetzte, der die Vereinheitlichung des Verwaltungsprozeßrechts behandeln sollte.15 In diesen Ausschuß, der im März 1950 erstmals tagte, wurde auch C.H. Ule berufen. Ein erster Entwurf wurde 1951 verabschiedet und als Anlage zu Heft 18 des Deutschen Verwaltungsblatts veröffentlicht. 16 Er kam der späteren Verwaltungsgerichtsordnung schon sehr nahe, wenngleich er einige Gegensätze zu Vorstellungen der Innenminister enthielt, die ebenfalls für diese Aufgabe eine Arbeitsgemeinschaft eingesetzt hatten. Nach der Verabschiedung des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl. I S. 625) ging die Arbeit an der Verwaltungsgerichtsordnung weiter, weil nunmehr ein Regierungsentwurf der Bundesregierung und Änderungsvorschläge des Bundesrates vorlagen. 17 Aber der „Leidensweg44 dieses Entwurfs und seiner Veränderungen, die Ule und andere mit großem wissenschaftlichen und rechtspolitischen Elan begleitet haben,18 währte noch lange. Erst am 1. April 1960 konnte die Verwaltungsgerichtsordnung in Kraft treten - nach 14

DVB1. 1953, 83 (88). Vgl. P. van Husen, DVB1. 1950, 546 ff. Die Entschließung der Präsidenten ist abgedruckt in: Verhandlungen des 38. DJT - Verwaltungsrechtliche Abteilung, 1951, S.D 107f. 16 Vgl. DVB1. 1951, hinterS. 568 ff. 17 BTags-Drucks. 1/4278 und BTags-Drucks. 11/462. 18 Vgl. nur C.H. Ule, JZ 1953, 681 ff., ders. DVB1. 1954, 354ff.; ders. DVB1. 1960, Iff. 15

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manchem Streit von Bund und Ländern. Ule kommentierte sie noch im gleichen Jahr; Siegmund-Schultze wußte ihm zu assistieren.19 In Süddeutschland, wo ich gerade um diese Zeit mündliches Assessorexamen hatte, war man mit diesem Gesetz nicht unbedingt zufrieden, weil sich zu viele Positionen der MilRegVO Nr. 165 durchgesetzt hatten; man eröffnete daher den Prüfungskandidaten, daß sie das Gesetz nicht kennen müßten; wichtiger sei das süddeutsche Verwaltungsgerichtsgesetz. Rechtseinheit war noch nicht das von allen verstandene große Ziel. b) Für eine bundeseinheitliche Verwaltungsgerichtsordnung begann Ule seit 1950 zu kämpfen - im Bündnis mit Professoren wie Ernst Friesenhahn und hohen Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit. 20 Er lag damit auf der gleichen Linie wie der 38. Deutsche Juristentag in Frankfurt/M., auf dem der Referent W. Jellinek und der Diskussionsredner C.H. Ule für eine solche Verwaltungsgerichtsordnung fochten. 21 In seinem Referat auf dem 42. Deutschen Juristentag 1958 in Düsseldorf hat er das Plädoyer für eine bundeseinheitliche Verwaltungsgerichtsordnung sorgfältig von den Fragen der Vereinheitlichung aller Prozeßordnungen einschließlich der Gerichtsverfassung und von der ihm immer vorschwebenden Verwaltungsprozeßordnung für allgemeine und besondere Verwaltungsgerichte abgehoben.22 Aber in seinem Denken blieb stets - parallel zu einer bundeseinheitlichen Verwaltungsgerichtsordnung - der Gedanke einer einheitlichen Verwaltungsprozeßordnung, die auch das Verfahrensrecht der Finanz- und Sozialgerichte einzuschließen hatte. Darauf ist noch zurückzukommen.

c) Zunächst trat jedoch ein anderes verwaltungsgerichtliches Großereignis in den Vordergrund: die Errichtung des nach Art. 96 GG a. F. dem Bundesgesetzgeber aufgegebenen Bundesverwaltungsgerichts. Die Präsidentenvereinigung war diesem Unternehmen nicht unbedingt hold gesonnen, konnte doch ein solches Gericht den „blauen Himmel" über den Oberverwaltungsgerichten in Gestalt einer Revisionsinstanz stark bewölken. Das sagte man natürlich nicht; man argumentierte, daß es besser sei, zuerst die bundeseinheitliche Verwaltungsgerichtsordnung zu erlassen. Bundesregierung und gesetzgebende Körperschaften waren anderer Meinung und for19

Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: M. von Brauchitsch, Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, neu hrsgg. von C.H. Ule, Bd. 1,2., 1. Aufl. 1960, 2. Aufl. 1962. 20 Vgl. C.H. Ule, DV 1950, 1 ff., 41 ff. 21 Verhandlungen, aaO., S.D3 und S.D 55. 22 Verhandlungen des 42. DJT, Empfiehlt es sich, die verschiedenen Zweige der Rechtsprechung ganz oder teilweise zusammenzufassen?, Bd. II/E, 1958, S. E 4,42. 3 Gedächtnisschrift Ule

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eierten die Errichtung des Gerichts, „weil", wie der zuständige ministerielle Referent bemerkte, „es eine dringliche Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts ist, durch seine Rechtsprechung der drohenden Rechtszersplitterung im Verwaltungsrecht entgegenzuwirken".23 Dementsprechend wurde schon am 28. September 1950 ein Entwurf vorgelegt, der zügig durch das Gesetzgebungsverfahren geschleust wurde. Nach zwei Jahren konnte er beschlossen werden (BGBl. S. 625). Ule begleitete ihn ständig, zunächst als Sachverständiger in der Anhörung des Rechts- und Verfassungsausschusses des Deutschen Bundestages, der unter der Leitung des 74jährigen Würzburger Universitätsprofessors Wilhelm Laforet stand - Juvenilismus triumphierte damals noch nicht - und später als Kommentator. 24 Wie nicht anders zu erwarten, war neben dem Verhältnis des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht zur zukünftigen Verwaltungsgerichtsordnung (§ 12 BVerwGG) Hauptstreitpunkt der Sitz des Gerichts. Die Bundesregierung hatte den Mut, hierfür Berlin vorzuschlagen und diese Entscheidung auch durchzusetzen (§ 1 BVerwGG), um die Verbundenheit mit dieser Stadt und deren Bedeutung für ganz Deutschland zu dokumentieren. Was hiergegen vorgetragen wurde, ging bis zur Aussage der „Entrechtung" aus Verkehrsgründen und des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ule blieb dazu gelassen; er kommentierte die Entscheidung des Gesetzgebers nüchtern unter Zitierung der Stimmen pro et contra. 25 Wer Berlin als geteilte Stadt erlebte, weiß wie wichtig dieses Bekenntnis für die Berliner war. In der Sache bewegte ihn weit mehr, daß dieses vorgeschaltete Gesetz die Verabschiedung einer bundeseinheitlichen Verwaltungsgerichtsordnung, ja einer die Finanzund Sozialgerichtsbarkeit mit umfassenden Verwaltungsprozeßordnung auf Jahre verzögerte. 3.

a) In wohl engster Weise ist Carl Hermann Ule s Name mit der schon genannten Verwaltungsprozeßordnung verbunden, einem Gesetzeswerk, dem allerdings kein Erfolg beschieden war, woran sich wohl auf längere Zeit auch nichts ändern wird. Über die Anfänge, die bereits in die Zeit seiner Mitarbeit in der Präsidentenvereinigung zurückgingen, aber erst an der Hochschule in Speyer voll zum Tragen kamen, berichtet er in „Verwehte Spuren" so: „Kernfrage der Beschäftigung [in seinen verwaltungsprozeßrechtlichen Seminaren] mit dem Verwaltungsgerichtsgesetz war aber die Frage, ob der Gesetzgeber mit dem frühzeitigen Erlaß des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (im Jahre 1952) und des Sozialgerichtsgesetzes (im 23

A. Koehler, DVB1. 1950, 551 (552). Vgl. C.H. Ule, DVB1. 1952, 517ff.; ders. Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, Handkommentar, 1952. 25 AaO., Erl. II zu § 1. 24

Die Bedeutung Carl Hermann Ules

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Jahre 1953)" sowie, so könnte man hinzufügen, der Finanzgerichtsordnung im Jahre 1965 „nicht einen Fehler begangen hatte, weil es richtiger gewesen wäre, die drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ... in einem einheitlichen Verwaltungsgerichtsgesetz zu regeln". 26 Ule trat nicht nur auf der wissenschaftlichen Ebene für eine einheitliche Verwaltungsprozeßordnung ein,27 sondern er nahm es 1966 auch in die Hand, hierfür praktische Vorarbeiten zu leisten. Vor allem widmete er sich der Frage, ob die Verschiedenartigkeit der einzelnen Gerichtszweige eine solche Vereinheitlichung ausschlösse, wie vielfach behauptet wurde. Seine Assistenten, Regierungsrat Dr. Dr. Klaus König, Dr. Klaus-Albrecht Seilmann, Dr. Hans-Werner Laubinger, Jörg Rüggeberg und der vom befreundeten Koblenzer Oberverwaltungsgerichtspräsidenten Dr. Meyer-Hentschel abgeordnete Verwaltungsgerichtsrat Arno Steidel, bildeten das Team. Mitarbeit leisteten Sachverständige in Seminaren, darunter mehrere Richter der obersten Bundesgerichte und Rechtsanwalt Dr. Werner Hoppe. 1969 wurde der „Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes" mit ausführlicher Begründung vorgelegt, gemeinhin Speyerer Entwurf genannt.28 Die Speyerer Hochschule hat dann noch 1978 eine Tagung zur Vereinheitlichung unter Leitung von Detlef Merten mit namhaften Referenten durchgeführt. 29 Ules und seiner Mannschaft Leistung in rechtstatsächlicher Feldforschung und Gesetzgebungskunst kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden, auch wenn sie keine Früchte trug, weil, wie er meinte, der Bundesjustizminister nicht die nötige Stärke aufbrachte, das Werk gegen opponierende andere Ressorts über die Klippen zu steuern.30 Das muß um so mehr frappieren, als im Februar 1971 vom Bundesjustizminister ein „Koordinierungsausschuß zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes" eingesetzt wurde, der 1976 seinen Entwurf vorlegte. 31 Ule wirkte in diesem Ausschuß als einziger Hochschullehrer neben einer großen Zahl von Praktikern der Gerichte, der Ministerialverwaltung und der Rechtsanwaltschaft mit. Grundlage dieser Kommissionsarbeit war der Speyerer Entwurf. Zur Arbeit bemerkte er: „Mit der Veröffentlichung des Speyerer Entwurfs war der Elan gebrochen."32 Wie gewissenhaft Ule sein Reformwerk abzusichern suchte, beweist die Übernahme eines Gutachtenauftrags des Bundesjustizministers zur Dauer der Verwal26 In: Staat und Verwaltung. Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1997, S.70. 27 Vgl. DVB1. 1958, 691 ff. und oben Fn. 22. 28 Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 40, 1969. 29 Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsgerichtsordnung, hrsg. von D. Merten, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 75, 1978. 30 In: Staat und Verwaltung, aaO., S.71. 31 Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Februar 1978. 32 Ebda.

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tungs- (Finanz-) prozesse aufgrund vom Ministerium zur Verfügung gestellter Rechtstatsachen, den er mit seinem letzten Assistenten Dietrich Bahls erfüllte. 33 b) Doch verfolgen wir das Schicksal des Entwurfs der Verwaltungsprozeßordnung weiter, gewissermaßen als Lehrstück eines gescheiterten, wissenschaftlich sorgfältig aufbereiteten Gesetzeswerks, das eine beachtliche Eindämmung der stets beklagten Gesetzesflut bedeutet hätte, das zunächst auf Politikerinteressen stieß, später aber in den Sog der tagespolitischen Beschleunigungs- und Entlastungsinteressen geriet. 1982 und nochmals 1985 wurde dem Bundestag der Regierungsentwurf einer Verwaltungsprozeßordnung vorgelegt. 34 Der Bundesrat äußerte sich im Grundsatz positiv,35 der überwiegende Teil der Wissenschaft ebenfalls, 36 ganz zu schweigen die Rechtspraxis, für die nur die Namen Meyer-Ladewig, Redeker und Sendler genannt seien.37 Allerdings fehlten von Anfang an kritische Stimmen nicht. Auch der Deutsche Juristentag gab 1982 ein zustimmendes Votum ab, brachte jedoch verstärkt Kosten-, Beschleunigungs- und Entlastungsargumente in die Diskussion ein.38 Sie traten in den Ministerien des Bundes und der Länder daraufhin in den Vordergrund; heute spricht man ja geradezu von einer „Beschleunigungstheorie" - „richtig ist, was den Geist der Beschleunigung atmet".39 Einander rasch folgende partielle Änderungsgesetze der drei öffentlich-rechtlichen Prozeßgesetze, die hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsordnung mittlerweile bei Nr. 6 angelangt sind, lösten den Vereinheitlichungswillen ab; Provisorien begannen zu dominieren. Carl Hermann Ule, 1985 noch optimistisch vom „neuen Anlauf 4 sprechend,40 begann zu resignieren; 1991 titelte er im Deutschen Verwaltungsblatt „Abgesang auf eine einheitliche Verwaltungsprozeßordnung 44,41 nicht ohne daran zu erinnern, daß der Reichsgesetzgeber 1877 nur sechs Jahre bis zum Erlaß der Reichsjustizgesetze benötigt hatte. Ein Lehrstück vom Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung!

33 Rechtstatsachen zur Dauer des Verwaltungs- (Finanz-) prozesses, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd.69, 1977; s. auch C.H. Ule, DVB1. 1983, 440ff. 34 BTags-Drucks. 9/1851 und 10/3437. 35 Bundesrat, Stenogr. Berichte, 511. Sitzung vom 30.4.1982, S. 148 ff. nebst Anlagen. 36 Vgl. etwa/?. Scholz, DVB1. 1982, 605ff.; F. Kopp, ZRP 1988, 113ff. 37 Vgl. Meyer-Ladewig, Festschrift Chr.-F. Menger, 1985, S. 833 ff. (840ff.); K. Redeker, DVB1. 1982, 805ff.; H. Sendler, DVB1. 1982, 812ff. 38 Vgl. Beschlüsse des 54. DJT, Welchen Anforderungen soll eine einheitliche Verwaltungsprozeßordnung genügen, um im Rahmen einer funktionsfähigen Rechtspflege effektivem Rechtsschutz zu genügen? Bd.II, 1982, S.L 220ff. 39 Μ. Happ, BayVBl. 1999, 577. 40 C.H. Ule, DVB1. 1985, 939ff. 41 DVB1. 1991,509.

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II. Nachhaltiger Erfolg war Carl Hermann Ule bei der Entwicklung eines deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes beschieden.

1. Bekanntlich gab es im Norddeutschen Bund, im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik mangels einer Reichszuständigkeit für ein allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz verfahrensrechtliche Vorschriften nur in Spezialgesetzen, meist im Annex zu materiellrechtlichen Bestimmungen, insbesondere in der Reichsversicherungsordnung von 1911 und in der Reichsabgabenordnung von 1919. Selbst der auf „Verreichlichung", wie das schöne Wort hieß, und auf Einheitlichkeit dringende nationalsozialistische Staat brachte nichts zuwege, auch nicht nach dem Anschluß Österreichs, wo immerhin seit 1925 ein österreichisches Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz zur Verfügung stand. Anders sah es in den Ländern aus: 1883 war das preußische Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung ergangen (GS. S. 195), ein Jahr später die badische Landesherrliche Verordnung das Verfahren in Verwaltungssachen betreffend (GVB1. S. 385). Berühmt wurde in der Weimarer Republik die Landesverwaltungsordnung für Thüringen vom 10. Juni 1926 (GS. S. 177), die als erste umfassende, auf dem Rechtsstaatsprinzip aufbauende Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts galt. Sie enthielt mehr als das Verwaltungsverfahren, ζ. B. auch das verwaltungsgerichtliche Verfahren. 42 Ihr zur Seite gesellte sich 1931 der Entwurf einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg, der auch der Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes beigefügt war, der ebenfalls den Verwaltungsrechtsweg regelte. Betrachtet man den Inhalt dieses von einer Kommission in sechsjähriger Arbeit vorgelegten Entwurfs mit ausführlicher Begründung, so erkannte man schon damals, was ein Verwaltungsverfahrensgesetz enthalten sollte.43 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wagte sich Baden-Württemberg 1955,44 Berlin 195845 und vor allem Schleswig-Holstein 196746 an Landes Verwaltungsgesetze, die auch Verwaltungsverfahrensrecht enthielten. Wo Regelungen fehlten, galten die berühmten, nicht positivierten, von Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts. 42 43

Dazu etwa Knauth, AöR Bd. 53 (1928), S.79ff. Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg. Entwurf eines Gesetzes mit Begründung,

1931. 44

Baden-Württembergisches Landesverwaltungsgesetz vom 7.11.1955 (GBl. S.225). Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung vom 2.10.1958 (GVB1. S.951). 46 Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein vom 18.4.1967 (GVOB1. S. 131). 45

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2.

In den 50er Jahren begann die Diskussion auch auf Bundesebene über die Erarbeitung eines Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes. Eine verfahrensrechtliche Regelung hielt man für noch „am leichtesten" im Rahmen einer Positivierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts. 47 1957 setzte die Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder einen Unterausschuß zur Erarbeitung von Grundsätzen für ein allgemeines Verfahrensgesetz ein. Dieser erarbeitete nur eine Gliederung, die mit stichwortartigen Angaben zum Inhalt der einzelnen Vorschriften ausgefüllt war. Ergänzend trat 1960 der Bericht der Sachverständigenkommission für die Vereinfachung der Verwaltung beim Bundesministerium des Innern hinzu, der Vorschläge für die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens der Bundesbehörden enthielt. 48 C.H. Ule war Mitglied dieser Kommission, wobei ihm Regierungsrat Dr. Michel vom Innenministerium Rheinland-Pfalz assistierte.49 Auf wissenschaftlicher Seite behandelte die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Wien 1958 das Thema „Verwaltungsverfahren" mit Referaten von K.A. Bettermann und E.Melichar. Bettermann und andere waren zurückhaltend gegenüber einer Kodifikation. 50 Demgegenüber vertrat Carl Hermann Ule die Ansicht, daß der Rechtsstaatsgedanke - der österreichischen Auffassung folgend - eine derartige Regelung zwingend fordere. 51 1960 behandelte der 43. Deutsche Juristentag das Thema: Empfiehlt es sich, den allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts zu kodifizieren? Das Gutachten von Hans Spanner sprach sich klar für die Kodifikation aus.52 Skeptisch fiel das Gutachten von Fritz Werner aus.53 Demgegenüber befürworteten die Referenten Klaus von der Groeben und Werner Weber, denen in der Diskussion Carl Hermann Ule mit einem engagierten Plädoyer zur Seite getreten ist, die Kodifizierung. 54 Aber es gab auch viele Gegner, darunter den jungen Münchener wissenschaftlichen Assistenten Klaus Stern, 55 sekundiert von unserem leider früh verstorbenen seinerzeitigen Referenten am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Wilhelm Karl Geck. 56 Daß beide gegen die Koryphäen des Faches einen schweren Stand hatten, wird jeder ahnen. Sie unterlagen; die Abteilung votierte für eine gesetzliche 47

Von Rosenlvon Hoewel, DÖV 1952, 102 (103). Zu beiden vgl. Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG 1963), 1964, S.57. 49 Vgl. in: Staat und Verwaltung, aaO., S.66f. 50 Vgl. VVDStRL Heft 17 (1959), S. 118ff. 51 Ebda., S. 225. 52 Verh. des 43. DJT, Bd. 12. Heft A, 1960, S.51. 53 Verh. des 43. DJT, Bd.I 2.Teil Heft B, 1960, S.39f. 54 Ebda., Bd. II, S. D 3 ff. und S. D 68 ff. 55 Ebda., Bd. II, S. D 96ff. 56 Ebda., Bd. II, S. D 98 ff. 48

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Regelung des VerwaltungsVerfahrens. 57 Es gab allerdings damals keine Schlußabstimmung, so daß ich mir mindestens schmeicheln kann, nicht nur ehrenvoll, sondern vielleicht auch nicht hoch verloren zu haben.

a) Jedenfalls nahm der Zug zum Verwaltungsverfahrensgesetz jetzt beschleunigt Fahrt zur gesetzlichen Regelung auf: Am 13. Dezember 1960 konstituierte sich, vom Bundesinnenminister und den Länderinnenministern berufen, ein Ausschuß aus Beamten dieser Ministerien unter Vorsitz von Fritz Rietdorf. Der in erster Lesung erarbeitete Entwurf wurde den Professoren Bachof, Fröhler und Ule zur Begutachtung übersandt, die am 1. und 2. Oktober 1962 auch vom Ausschuß angehört wurden. Ule arbeitete in diesem Zusammenhang in Speyer, vor allem mit Franz Becker, der 1962 seine Dissertation zum Thema „Verwaltungsverfahrensrecht in Theorie und Praxis" vorgelegt hatte, aber auch mit Roman Schnur an einem eigenen Entwurf. Aus dieser Tätigkeit entstand die Schrift „Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat", die sich vehement für ein bundeseinheitliches Verwaltungsverfahrensgesetz einsetzte. Gleichzeitig arbeitete er mit Becker und Klaus König an einem Buch „Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslands", die durch Sachkenner der jeweiligen Länder kommentiert wurden, erschienen 1967 in zwei Halbbänden der Speyerer Schriftenreihe. 14 Länder und die Europäische Gemeinschaft waren darin einbezogen. Vorbild war für ihn das vom Istituto per la Scienza dell' Amministrazione Pubblica in Mailand herausgegebene Sammelwerk „La Procedura Amministrativa". Ule war damit zum „Papst" des Verwaltungs Verfahrensrechts in Deutschland geworden. Sein Wort hatte Gewicht. Der Vorsitzende des Ausschusses der Sachverständigenkommission der Innenminister dankte ihm nachdrücklich für seine Arbeit. 58 b) Der 1964 publizierte Entwurf wurde trotz der blendenden Vorarbeit noch lange nicht Gesetz. Ähnlich wie die Verwaltungsgerichtsordnung hatte auch er noch einen „Leidensweg" von 12 Jahren vor sich. Im Dezember 1965 wurde der im wesentlichen auf der Kommissionsarbeit beruhende Referentenentwurf vorgelegt; ihm vorausgegangen war eine lebhafte Diskussion in der Wissenschaft 59 und die Anhörung der Verbände. Im März 1966 beriet eine Bund-Länder-Kommission erneut über den Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und gab ihm eine Neufassung, die sog. 57 58 59

Ebda., Bd. II, S.D 149. AaO., (Fn. 48) S. XII. Vgl. die Nachweise bei C.H. Ule, DVB1. 1976,421.

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Münchener Fassung.60 Carl Hermann Ule zusammen mit Klaus-Albrecht Seilmann stellten die Unterschiede beider Fassungen eingehend dar. Wichtigster Punkt war, daß das Gesetz einerseits auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts gelten sollte, soweit sie Bundesrecht im Auftrag des Bundes ausführen. Andererseits sah es eine Subsidiaritätsklausel vor, derzufolge inhaltsgleiche oder entgegenstehende besondere Rechtsvorschriften des Bundes Vorrang haben sollten. Nochmals kam es zu Ressortgesprächen und Verhandlungen mit den Ländern, ehe der Gesetzentwurf von der Bundesregierung 1970 eingebracht werden konnte.61 Die vorzeitige Auflösung des Bundestages verhinderte die Verabschiedung. Er wurde am 18. Juli 1973 als revidierter und erweiterter Entwurf erneut eingebracht.62 Der Deutsche Anwaltsverein und Hans-Werner Laubinger aufgrund eines Planspiels an der Hochschule Speyer gaben, wie Ule berichtete, gewichtige Stellungnahmen hierzu ab.63 Am 15. Januar 1976 verabschiedete der Bundestag den Entwurf in dritter Lesung als Gesetz.64 Gegenüber dem Entwurf wurden besonders die Regelungen über das Massenverfahren erweitert. Der vom Bundesrat angerufene Vermittlungsausschuß verlangte eine zweite Subsidiaritätsklausel, derzufolge das Gesetz nicht gelten sollte für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder, soweit die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist. Bundestag und Bundesrat haben dem zugestimmt.65 Am 1. Januar 1977 konnte das Gesetz in Kraft treten (BGBl. IS. 1253, § 103 Abs. 1). Konsequenz dieser Regelung war, daß die Länder eigene Gesetze erließen, die in einigen Fällen das Bundesgesetz einfach rezipierten, in anderen inhalts- oder sogar wortgleich sind. Damit ist in diesem wichtigen Bereich Rechtseinheit in Bund und Ländern gewährleistet, die Carl Hermann Ule so sehr am Herzen lag. 3.

a) Hintergrund dieses langwierigen und komplizierten Verfahrens der Kodifizierung oder besser der Positiv ierung des Verwaltungs Verfahrensrechts waren neben schwierigen Problemen in der Sache einschließlich Ressorteifersüchteleien verfas60

Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVerwVfG 1963), 2. Aufl., mit Anhang Münchener Fassung, 1968. 61 BTags. Drucks. VI/1173; Stellungnahme BRat, BRats-Drucks. 269/70. 62 BTags. Drucks. 7/910. 63 AaO., S. 422. 64 7. WP, Sten. Ber., S. 14690. 65 BTag, 7. WP, Sten. Ber., S. 16226; BRat, 433. Sitzung, Sten. Ber., S. 138f.

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sungsrechtliche Fragen, die Carl Hermann Ule von Anfang an thematisiert hatte. Auf dem 43. Deutschen Juristentag stellte er den Antrag, „das Grundgesetz dahin zu ergänzen, daß der Bund die (konkurrierende) Gesetzgebung über das Allgemeine Verwaltungsrecht einschließlich des Verwaltungsverfahrensrechts erhält", hilfsweise eine Rahmenkompetenz. Beide Anträge wurden nur mit sehr knapper Mehrheit abgelehnt.66 Sicher wäre eine solche Kompetenzzuweisung an den Bund in einem Verfassungsänderungsverfahren auf den erbitterten Widerstand der Länder gestoßen. In der Tat blieb angesichts der Lage de constitutione lata nur eine Regelung mit dem für Nicht-Föderalisten merkwürdigen Dualismus doppelter Gesetzgebungsakte. Obwohl die Länder nach § 1 BVwVfG nicht zur Landesgesetzgebung verpflichtet waren und nicht verpflichtet werden konnten, haben sie das Ihre zur Rechtseinheit getan. Sie haben den Beschluß ihrer Ständigen Innenministerkonferenz am 20. Februar 1976 auf Erlaß inhaltsgleicher Landesgesetze umgesetzt.67 Mindestens in diesem Punkt ist ein erträglicher Kompromiß erzielt worden. b) Kritisch muß hingegen der Blick auf die andere Subsidiaritätsklausel ausfallen, die Ule ein noch größerer Dorn im Auge war. Von Anfang an hatte für ihn eine Kodifizierung des Verwaltungsverfahrensrechts das Ziel einer Vereinheitlichung des Verfahrensrechts und einer Vereinfachung der Verwaltung. Dieses Ziel hielt er „in unerreichbare Ferne" gerückt, wenn das Verwaltungsverfahrensgesetz nur subsidiär im Verhältnis zu Verwaltungsverfahrensvorschriften in Spezialgesetzen gelten sollte.68 Die Bundesregierung stimmte ihm in ihrer Begründung bei der Vorlage des Entwurfs 1973 zu; sie hielt den Gedanken „einer möglichst umfassenden Geltung des künftigen Verfahrensgesetzes am Einleuchtendsten und Bestechendsten". Sie war jedoch der Auffassung, daß dieser Gedanke in seiner kompromißlosen Art nicht zu verwirklichen sei, hoffte aber, daß die Existenz eines Verwaltungsverfahrensgesetzes eine so starke Wirkung auf die künftige Gesetzgebung ausüben werde, daß nach und nach alle bestehenden verfahrensrechtlichen Gesetze ersetzt würden. 69 Ule war gegenüber dieser Ansicht von Anfang an skeptisch. Er hielt die Subsidiaritätsklausel geradezu für einen Anreiz, an abweichenden Regelungen in Spezialgesetzen festzuhalten oder in ihnen abweichende Regelungen zu treffen. 70 Er täuschte sich nicht. Die Zahl der inhaltsgleichen oder entgegenstehenden Rechtsvorschriften des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist groß, zumal auch noch das EG-Recht mit Anwendungsvorrang hinzugetreten ist. Ganz zu schweigen von den großen ausgeschlossenen Anwendungsbereichen des § 2 VwVfG, unter denen die 66 67 68 69 70

43. DJT, Bd. II, S. D 143 f. Abgedruckt bei Ule-Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, §8 Rdnr. 16. Vgl. C.H. Ule, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. V, 1987, S. 1175. Vgl. BTags-Drucks. 7/910, S.30. C.H. Ule, aaO., S. 1175.

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Verfahren der Finanzbehörden nach der Abgabenordnung hervorragen, gelten spezielle Verfahrensvorschriften nach dem Sozialgesetzbuch - zehntes Buch - , nach dem Asylverfahrensgesetz, nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, nach der Gewerbeordnung und anderen Gesetzen. Der Musterentwurf 1963 hatte wenigstens unter Hinnahme einiger Sonderbereiche das Außerkrafttreten aller übrigen inhaltsgleichen und entgegenstehenden Rechtsvorschriften acht Jahre nach Verkündung des Gesetzes vorgesehen (§ 85). Die in diese Richtung weisende Entschließung des Bundestages an die Bundesregierung 71 hat nur langsam Wirkung gezeigt. Drei Rechtsbereinigungsgesetze des Bundes von 1986 und 1990 haben das Nebeneinander von allgemeinem und besonderem Verwaltungsverfahrensrecht ein wenig eingeschränkt. 72 4.

a) Trotz unbestrittener Schwächen im Geltungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes hat Carl Hermann Ule dem Gesetz 1976 kein schlechtes Zeugnis ausgestellt: „Die gegen ein an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiertes Verwaltungsverfahrensgesetz gerichteten Bedenken gewisser Verwaltungskreise und die gegen die Aufnahme konnexer Materien des allgemeinen Verwaltungsrechts in das Verwaltungsverfahrensgesetz gemachten Vorbehalte angesehener Verwaltungsrechtslehrer haben, wenn auch aus verschiedener Blickrichtung, die Praktikabilität eines solchen Verwaltungsverfahrensgesetzes in Zweifel gezogen. Gegen die Berechtigung dieser Zweifel läßt sich außer dem Hinweis auf die unangefochtene Geltung von Verwaltungsverfahrensgesetzen in zahlreichen ausländischen Staaten seit mehr als 50 Jahren ... darauf hinweisen, daß das Verwaltungsverfahrensgesetz ein beachtlicher Schritt auf dem Wege zu einem einheitlichen deutschen Verwaltungsverfahrensrecht ist." Der Schritt wäre noch größer gewesen, wenn der Gesetzgeber auf die Subsidiaritätsklausel verzichtet hätte. Ule bemängelte auch die Unterlassung wichtiger Fragen, wie etwa die Beteiligung sachkundiger Verbände im Verwaltungsverfahren, die erkannt, aber nicht gelöst wurde. 73 b) Knapp zehn Jahre später kam er in seinem grundlegenden Aufsatz „Rechtsstaat und Verwaltung" im Verwaltungsarchiv, eine profunde kleine Monographie zur deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, nochmals auf das Thema zurück. Er be71

BTags-Drucks. 7/4494, S. 13. Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 5. Aufl. 1998, § 1 Rdnr. 187. 73 C.H. Ule, DVB1. 1976,421 (429). 72

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merkte: „Die Zurückhaltung der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft hinsichtlich der Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts für den Rechtsstaatsgedanken ist um so erstaunlicher, als das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht schon in der 2. Hälfte der fünfziger Jahre die Geltung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und des Begründungszwangs mit allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen begründet haben" Ule wies in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der Grundrechte hin, die ebenfalls durch die Gestaltung des Verwaltungs Verfahrens geschützt werden könnten und müßten. Vorbild war ihm in dieser Hinsicht der Mülheim-Kärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. 74 Später wendete er sich auch gegen die vor allem von Bettermann vorgetragene Polemik gegen die sogenannten Unifikateure und die Streiter für ein allgemeines und einheitliches Verwaltungsverfahren. Er bekämpfte auch die von Rainer Wahl vorgetragenen Thesen auf der 10. verwaltungs wissenschaftlichen Arbeitstagung 1983 zur Vereinheitlichung oder einem bereichsspezifischen Verwaltungsverfahrensrecht. Er hielt fest, daß Wahl die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrensrechts gemäß der Drei-Säulen-Theorie durch Verwaltungsverfahrensgesetz, Sozialgesetzbuch X und die Abgabenordnung außer Betracht läßt. Er blieb bei seiner Ansicht, daß es darauf und nur darauf ankomme, die Gesetze und Verordnungen des Bundes von solchen verwaltungsverfahrensrechtlichen Sonderregelungen zu befreien, die nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt sind. Seine Prognose von 1976, daß der Anreiz für Sonderregelungen bei jedem Ressort groß sei, hielt er für bestätigt. Viele Schwierigkeiten hätten vermieden werden können, wenn man dem § 85 des Musterentwurfs von 1963 gefolgt wäre. 75

c) In den Speyerer Arbeitsheften Nr. 78 hat Hermann Hill 1987 eine Studie über „Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz" vorgelegt. Er zitiert die anfänglich zwischen Kritik und Zustimmung hin- und herpendelnden Stimmen und schließt76 mit einem eigenen eher zwiespältigen Resumée: „Vorerst hat man den Eindruck, daß der Standort des Verwaltungsverfahrensrechts irgendwo in der Mitte zwischen der Klage über die Hypertrophie verfahrensrechtlichen Denkens und der Warnung vor einer zunehmenden Relativierung der Verfahrensrechte zu suchen sein wird". 77 Fünf Jahre später urteilte Thomas von Dannwitz positiver, wenngleich er vor „überhöhten Erwartungen", die beim Inkrafttreten des Gesetzes geweckt worden seien, warnte. 78

74 75 76 77 78

BVerfGE 53, 30ff. C.H. Ule, Verw. Arch. Bd.76 (1985), S. 1, 129 (140ff.). AaO., S. 1 ff. AaO., S. 59. Jura 1994, 281 (287).

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d)

Diese skeptischen Urteile sind, wenn man sie im Verhältnis zu den durchweg positiven Urteilen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit setzt, überraschend. Die Verwaltungsgerichtsordnung hat, obwohl nur 1 Vi Jahrzehnte älter, so viele Änderungsgesetze, die jedenfalls zuletzt substantieller Natur waren, erlebt und trotzdem von Anfang an durchweg Lob erfahren, das dem jüngeren Verwaltungsverfahrensgesetz, das nur wenige eher anpassende Änderungsgesetze über sich ergehen lassen mußte, 79 nie in dieser Einhelligkeit zuteil geworden ist. Die Gründe für diese Divergenz lassen sich auch 22 Jahre nach der Geltung dieses nur von Enthusiasten als „Grundgesetz der Verwaltung" gefeierten Gesetzes schwer erhellen. Liegt es wirklich nur an der doppelten Subsidiarität? Ist es die nicht immer überzeugende sprachliche Ausdruckskraft? War es der seit dem Ursprung das Gesetz begleitende Streit über den Begriff des Verwaltungsverfahrens und über die Inhalte des Gesetzes? Wer Auskunft in den großen Kommentierungen, im jüngst erschienenen „Handbuch des Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß" oder im Lehrbuch von Ule-Laubinger sucht, wird nicht fündig. Auch die Referate der Konstanzer Staatsrechtslehrertagung fünf Jahre nach Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetz von Rainer Wahl und Jost Pietzcker äußern sich dazu nicht. 80 Mein Urteil ist vorsichtig: Zweifellos hat das Verwaltungsverfahrensgesetz die Rechtsbeziehungen zwischen Verwaltung und Bürger auf eine bessere rechtsstaatliche Grundlage gestellt, als sie vor seinem Erlaß bestand. 1976 arbeitete man mit gerade nur Juristen bekannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Der Bürger wird nicht mehr als Objekt der Verwaltung betrachtet, seine Rechtsstellung ist namentlich in den Allgemeinen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren (§ 9 ff.) deutlich gestärkt worden. Insgesamt betrachtet, ist es ein Gesetz mittlerer Art und Güte, das gute Dienste leistet, aber Defizite nicht verbergen kann. Sie liegen vor allem in dem immer stärker zunehmenden sogenannten informellen Verwaltungshandeln, zu dem man im Gesetz nichts findet. Es kennt nur den Verwaltungsakt (§ 35 ff.), den verwaltungsrechtlichen Vertrag (§ 54 ff.) und den Plan (§ 72 ff.). Der heute von der Verwaltung geforderten Flexibilität dient es nur begrenzt. Manche Regelung ist auch sehr detailversessen, Vereinfachungen wären am Platze.

III. Carl Hermann Ule jedenfalls - so läßt sich resümieren - hat leidenschaftlich und gut für die Qualität des Verwaltungsverfahrensrechts gekämpft, nicht minder für die des Verwaltungsprozeßrechts. Davon zeugen viele Beiträge im Schrifttum und sein 79 Vgl. die Nachweise bei Stelkens/BonklSachs, aaO., Einl. Rdnr. 66ff.; zu den Änderungsgesetzen der Länder Brandt!Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, 1999, S.2Iff. 80 VVDStRL Heft 41 (1982), S. 151 ff.

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Engagement in der rechtspolitischen Praxis. Sein Wirken finden wir trefflich zusammengefaßt in den „Gesammelten Aufsätzen und Vorträgen 1949-1979" unter dem Titel „Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit", erschienen im Carl Heymanns Verlag, dem er ebenso wie dem Verlag Duncker & Humblot Zeit seines Lebens eng verbunden blieb. Er hat das Buch seiner Gattin gewidmet, seiner Weggefährtin über 65 Jahre. Seine Werke sind uns Vermächtnis. Des Horaz Sentenz Exegi monument, aere perennius sollte sie wie auch seine kunstsinnige Literatur einschließen.81 Wir dürfen uns vor einer den Menschen und der Natur, vor allem aber dem Recht in hohem Maße zugetanen großen Persönlichkeit ehrerbietig verneigen.

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1987.

Davon zeugt vor allem seine Gedichtsammlung „Weggefährten in 80 Lebensjahren",

Der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht* Von Hans-Werner Laubinger I. Der Verfahrensgedanke und das Verwaltungsverfahrensgesetz Seit den 70er Jahren sei - so heißt es1 - der Verfahrensgedanke im Verwaltungrecht aufgewertet worden. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß dem Verwaltungsverfahren und dem Verwaltungsverfahrensrecht seither größere Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, als dies zuvor der Fall war. Zuvor nämlich stand ganz das materielle Verwaltungsrecht im Vordergrund, während das Verwaltungs verfahrensrecht eher stiefmütterlich behandelt wurde. Wesentliche Anstöße für die Stärkung des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht haben vor allem das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1976 und der MülheimKärlich-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1979 gegeben. Allerdings gab es schon lange vor dem Verwaltungs Verfahrensgesetz - man könnte fast sagen: seit eh und je - Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren regeln. In seinen beiden Diskussionsbeiträgen auf der Wiener Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1958, auf der unter anderem über die Frage diskutiert wurde, ob das Verwaltungsverfahren gesetzlich geregelt werden solle, wies Carl Hermann Ule zutreffend daraufhin, „die verfahrensrechtlichen Fragen seien zu einem großen Teil bereits geregelt" 2, zahlreiche Gesetze enthielten mehr oder minder umfangreiche Verfahrensregelungen. Im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Staatsrechtslehrern, aber in Übereinstimmung mit den österreichischen Kollegen setzte sich Ule damals dafür ein, diese * Die Vortragsform ist mit geringfügigen Änderungen beibehalten worden. 1 Gusy, Verwaltung durch Verhandlung und Vermittlung, ZfU 1990, 353 ff., 353. Ähnlich Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, Heidelberg 1984, S. 1 ff., 3; Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, Heidelberg 1986, S. 193 f. (Erst in jüngster Zeit sei verstärkt auch in der Bundesrepublik Deutschland ein verfahrensbezogenes Denken festzustellen.); Schenke, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VB1BW 1982,313 ff., 314 (Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrens sei erst in den letzten Jahren voll in den Blickwinkel der Rechtswissenschaft gerückt.). Zu den Ursachen für den Bedeutungszuwachs des Verwaltungsverfahrens siehe auch Berg, Sicherung der Selbstverwaltung im Verwaltungsverfahren, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft - Festgabe für v. Unruh, hrsg. von v.Mutius, Heidelberg 1983, S. 1015ff., 1017ff. 2 VVDStRL 17 (1958), S.224 und 234.

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weit verstreuten, teils übereinstimmenden, teils divergierenden Regelungen in einem Verwaltungsverfahrensgesetz zusammenzufassen. Sechs Jahre später, also 1964, publizierte Ule gemeinsam mit Franz Becker die Schrift „Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat", die es sich - wie es im Vorwort hieß - zum Zweck setzte, „die Kodifizierung des Verwaltungs Verfahrensrechts ... gegenüber den Bedenken zu verteidigen, die dagegen in jüngster Zeit erneut vorgebracht worden sind". Zu erinnern ist ferner an die von Ule, Becker und König im Jahre 1967 herausgegebene Darstellung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes. Angesichts dieser und zahlreicher weiterer Beiträge kann man ohne Übertreibung feststellen, daß kaum ein anderer einen so erheblichen Beitrag zum Zustandekommen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und damit zur Stärkung des Verfahrensgedankens im Verwaltungsrecht geleistet hat wie Carl Hermann Ule.

II. Zur Kritik am Verfahrensbegriff des Verwaltungsverfahrensgesetzes War vor Erlaß des Verwaltungsverfahrensgesetzes davor gewarnt worden, das Verwaltungsverfahrensrecht zu kodifizieren, so erhoben sich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Stimmen, die seinen eingeschränkten Geltungsbereich beklagten. Die Kritik entzündete sich unter anderem an der Legaldefinition des Verwaltungsverfahrens in § 9 3 . Danach ist das „Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes" die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. In der Literatur sind verschiedentlich nicht nur rechtspolitische, sondern sogar verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Legaldefinition erhoben worden. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Eingrenzung auf solche Verfahren, die auf den Erlaß eines Verwaltungsakts oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages abzielen, sei - so wird behauptet - jedenfalls dort verfassungswidrig, wo Verwaltungstathandlungen, die nicht Rechtsentscheidungen sind, Grundrechtsrelevanz besitzen und das Verfahren im weitesten Sinne selbst zu Grundrechtsgefährdungen führt 4. Dieser Behauptung liegt eine unzutreffende rechtstheoretische Annahme zugrunde. § 9 VwVfG ist ein geradezu klassisches Beispiel für tint Nominaldefinition, also 3 So beklagte Schoch, Der Verfahrensgedanke im Allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 25 (1992), 21 ff., 50, die „Selbstbeschränkung des § 9 VwVfG" sei gefährlich, und Pietzcker, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL41 (1983), 193ff., 215, rügte, die Abgrenzung des §9 VwVfG sei „unnötig eng und beinahe willkürlich in ihrer Beschränkung auf Verwaltungsakte und verwaltungsrechtliche Verträge". 4 So Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungs verfahren, München 1990, S.44 m. w. N. in Fn. 272.

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eine sprachliche Festlegung. Nominaldefinitionen aber können weder richtig oder falsch noch rechtmäßig oder rechtswidrig, also auch nicht verfassungswidrig sein. Die Prädikate richtig und falsch, rechtswidrig und rechtmäßig, verfassungsgemäß und verfassungswidrig sind nur auf Realdefinitionen anwendbar, und eine solche trifft § 9 VwVfG gerade nicht. Bei Nominaldefinitionen kann man ein Urteil nur darüber fällen, ob sie zweckmäßig oder unzweckmäßig sind. So kann man durchaus darüber streiten, ob es zweckmäßig war, daß der Gesetzgeber nur solche Verfahren „Verwaltungsverfahren" genannt hat, die auf den Erlaß eines Verwaltungsakts oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages abzielen. Mit Verfassungsmäßigkeit hat das aber nichts zu tun. Verfassungswidrig können allerdings solche Vorschriften sein, die besagen, daß die im Verwaltungsverfahrensgesetz für Verwaltungsverfahren vorgesehenen Regeln (ζ. B. über Anhörung und Akteneinsicht) ausschließlich für Verfahren, wie § 9 VwVfG sie definiert, gelten, daß also in anders gearteten Verfahren keine Anhörung der Betroffenen und keine Akteneinsicht zulässig ist. Aber eine solche Bestimmung enthält weder § 9 noch eine andere Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Es gibt keine Norm, welche die analoge Anwendung von Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder deren Rechtsgedanken auf andersartige Verfahren der Verwaltung verbietet. Davon ging übrigens auch der historische Gesetzgeber aus. In der Begründung zum Entwurf des Verwaltungs Verfahrensgesetzes äußerte die Bundesregierung die Erwartung, eine ganze Reihe von Vorschriften des neuen Gesetzes (z.B. diejenigen über rechtliches Gehör, Akteneinsicht, ausgeschlossene Personen und Besorgnis der Befangenheit) würden ein solches Eigengewicht entwickeln, daß sie über den eigentlichen engeren Anwendungsbereich hinaus allgemeine Bedeutung für die vom Verwaltungs Verfahrensgesetz nicht erfaßten Verfahrensarten erlangen würden5. Von Verfassungswidrigkeit des § 9 VwVfG kann also weder dann die Rede sein, wenn man die Vorschrift isoliert betrachtet, noch dann, wenn man sie im Kontext des Verwaltungsverfahrensgesetzes beurteilt. Streiten kann man hingegen darüber, ob es zweckmäßig, d. h. ob es sachgerecht war, daß der Gesetzgeber seinerzeit nur solche Verfahren, die auf den Erlaß eines Verwaltungsakts oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages abzielen, als „Verwaltungsverfahren" definiert und dadurch den unmittelbaren Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes sehr stark eingeschränkt hat. Ich halte diese Zurückhaltung des Gesetzgebers - zumindest aus der damaligen Sicht - für zumindest gut vertretbar. Warum? Das Verwaltungshandeln ist so ungeheuer vielgestaltig, daß es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, solche Regeln aufzustellen, die für sämtliche Maßnahmen der Verwaltung „passen". Auf welche Schwierigkeit die Normierung des Verwal5

BT-Drucks. 7/910 vom 18.7.1973, S.42 (Zu §9 sub5).

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tungshandelns trifft, läßt sich daran verdeutlichen, wie vielgestaltig schon allein der Verwaltungsakt ist. Als Verwaltungsakte angesehen werden beispielsweise - die Versetzung, die Abordnung und die Entlassung eines Beamten, - die Versetzung eines Schülers in die nächsthöhere Klasse, - das Rotlicht der Verkehrsampel, - das durch ein Verkehrsschild verhängte Halteverbot, - die Widmung einer Straße, - die Feststellung des Plans für den Bau einer Straße und - die Baugenehmigung. Alle diese höchst heterogenen Maßnahmen und unzählige andere werden in das Prokrustesbett des Verwaltungsakts gezwängt und damit den Regeln unterworfen, die das Verwaltungsverfahrensgesetz und andere Gesetze, z.B. die Verwaltungsgerichtsordnung, für Verwaltungsakte bereitstellen. Daß dies nur mit erheblichen Einschränkungen funktioniert, läßt sich unschwer anhand eines Beispiels veranschaulichen: Können die der Straßenkreuzung zustrebenden Fußgänger, Rad- und Autofahrer angehört werden, bevor die Verkehrsampel auf Rot schaltet? Besteht hier ein Anspruch auf Akteneinsicht? Kommen Widerspruch und Anfechtungsklage hier ernstlich in Betracht? Die Antwort auf diese - zugegebenermaßen einigermaßen skurril wirkenden - Fragen lautet: natürlich nicht. In weiser Voraussicht enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz Kautelen, die in Fällen dieser Art von einer Anhörung, der Akteneinsicht und der Begründungspflicht dispensieren. Ich will durch dieses Beispiel lediglich demonstrieren, daß es schon außerordentlich schwerfällt, auch nur für Verwaltungsakte allgemeingültige Regeln aufzustellen. Diese Schwierigkeiten werden noch erheblich erhöht, wenn man sich daran macht, auch für solche Verwaltungsmaßnahmen Regeln aufzustellen, die keine Verwaltungsakte sind, beispielsweise für - das Abhalten von Unterricht in der Schule oder einer Vorlesung in der Universität, - die Bestellung von Büchern für die Universitätsbibliothek, - den Transport der Akten innerhalb einer Behörde von einem Dienstzimmer ins nächste oder - die Aufstellung eines Flächennutzungs- oder eines Bebauungsplans. Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen, ohne Vollständigkeit zu erreichen. Alle diese Maßnahmen der Verwaltung lassen sich - jedenfalls bis zu einem gewissen Grade - regeln, und sie sind teilweise geregelt, wie beispielsweise das Verfahren für die Aufstellung von Bauleitplänen. Aber es würde sehr schwer halten - und das ist meine These - , solche Regeln zu finden, die einerseits für alle diese Hand-

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lungen „passen" und andererseits so konkret sind, daß sie für eine Anwendung im Alltagsleben der Verwaltung taugen. Damit komme ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zurück, nämlich zu der Frage, ob es nicht doch von Weitsicht zeugt, daß der Gesetzgeber des Verwaltungsverfahrensgesetzes sich darauf beschränkt hat, Regeln für Verwaltungsakte und öffentlich-rechtliche Verträge aufzustellen, und zugleich anzuregen, in der Praxis gewissermaßen zu testen, ob sich diese Regeln im Wege der Analogie auch auf andere Verwaltungshandlungen anwenden lassen. Wenn entsprechende Erfahrungen in der Praxis gesammelt worden sind, wird dann allerdings zu überlegen sein, ob der Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes durch den Gesetzgeber auf weitere Handlungsformen der Verwaltung erstreckt werden und ob zu diesem Behufe die Legaldefinition des Verwaltungsverfahrens in § 9 erweitert werden sollte, so daß sie beispielsweise auch solche Verfahren umfaßt, die auf die Vornahme von Realakten gerichtet sind. Allerdings ist diese Rechtsfigur bisher noch nicht hinreichend dogmatisch konturiert worden6. Denkbar wäre eine Einbeziehung solcher Maßnahmen, die auf eine behördliche Einzelfallentscheidung ohne Außenwirkung abzielen, ζ. B. beamtenrechtliche Umsetzungen. Denn für sie dürften die meisten für Verwaltungsakte geltenden Regeln „passen". I I I . Verwaltungsverfahren, Verwaltungshandlungen und Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnis Jedes Verwaltungsverfahren ist ein Handlungsgefüge. Es setzt sich aus mehreren, oft aus zahlreichen Verfahrenshandlungen der das Verwaltungsverfahren durchführenden Behörde, der am Verfahren beteiligten Bürger, die das VwVfG als „Beteiligte" bezeichnet, und möglicherweise anderer Behörden zusammen. Zur Veranschaulichung braucht man sich nur einmal zu vergegenwärtigen, aus welchen Teilhandlungen ein Βaugenehmigungsverfahren besteht: Es beginnt damit, daß der Baulustige - nachdem er zuvor von seinem Architekten die Bauunterlagen hat anfertigen lassen (dieses „Vorspiel" gehört noch nicht zum Verwaltungs verfahren) - seinen Bauantrag nebst Unterlagen der Gemeinde vorlegt. Diese reicht - falls sie nicht selbst Genehmigungsbehörde ist - den Bauantrag nebst einer eigenen Stellungnahme an die Genehmigungsbehörde weiter. Diese beteiligt andere Behörden, deren Zuständigkeiten durch das Vorhaben berührt werden (ζ. B. die Denkmalschutz-, die Naturschutz- und die Immissionsschutzbehörde), andere Träger öffentlicher Belange sowie Nachbarn, die durch das Bauvorhaben betroffen sein können. Falls notwendig, erhebt die Genehmigungsbehörde Beweise, etwa durch Einnahme des Augenscheins, Beiziehung von Akten oder Einholung von Sachverständigengutachten. Den Abschluß dieses Verwaltungsverfahrens bildet in der Regel die Entscheidung über den 6

Sehr bedenkenswerte Überlegungen zu den Fehlem, die bei dem Erlaß von Realakten unterlaufen können, finden sich bei Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 3. Aufl., Baden-Baden 1998, S. 290-297 (Rn. 476-487).

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Hans-Weer Laubinger Bauantrag. Das Verwaltungsverfahren kann aber auch auf andere Weise sein Ende finden, beispielsweise durch Rücknahme des Antrags und Einstellung des Verfahrens.

Die einzelnen Verfahrenshandlungen, die in ihrer Gesamtheit das Verwaltungsverfahren ausmachen, folgen einander zum Teil zeitlich, zum Teil laufen sie gleichzeitig ab. Die neuere Gesetzgebung verfolgt die Tendenz, Verfahrenshandlungen nach Möglichkeit zur gleichen Zeit stattfinden zu lassen, um die Durchführung des Verwaltungsverfahrens zu beschleunigen. Ausdruck dieses Bemühens sind das Sternverfahren (§ 71d VwVfG) und die Antragskonferenz (§ 7 le VwVfG). Die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes befassen sich fast ausschließlich mit den behördlichen Verfahrenshandlungen, während die Verfahrenshandlungen der am Verfahren Beteiligten nur spärlich normiert sind. Ein Beispiel dafür bietet § 12 VwVfG, der bestimmt, wer „fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen", d. h. handlungsfähig ist. Im übrigen hält man vergebens Ausschau nach Vorschriften, die Verfahrenshandlungen der am Verfahren beteiligten Bürger regeln, z. B. die Frage, ob der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung zurückgenommen oder wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung angefochten werden kann. Erst in jüngster Zeit beginnen sich Literatur und Judikatur etwas eingehender mit der Frage zu befassen, ob bei Anträgen des Bürgers zwischen Zulässigkeit und Begründetheit zu unterscheiden ist, an welche Sachentscheidungsvoraussetzung die Zulässigkeit gegebenenfalls gebunden ist und ob die Behörde den Antrag ohne Sachprüfung zurückweisen darf oder sogar muß, falls eine Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt 7. Hier besteht noch beträchtlicher rechtsdogmatischer Nachholbedarf. Durch die Einleitung des Verwaltungsverfahrens kommt ein Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnis zustande, das die das Verfahren betreibende Behörde und die anderen am Verwaltungsverfahren Beteiligten (z. B. den Antragsteller, den Antragsgegner oder den potentiellen Adressaten des ins Auge gefaßten Verwaltungsakts) miteinander verbindet. Ob diese Erkenntnis nennenswerten Gewinn abwirft und ob sich aus dem Rechtsverhältnis eigenständige Rechte und Pflichten der am Verfahren Beteiligten ableiten lassen, erscheint mir nach wie vor zweifelhaft 8. Zu erwägen ist freilich, diejenigen Grundsätze, welche die zivilistische Dogmatik für Rechtsverhältnisse herausgearbeitet hat, auf das Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnis zu übertragen, sofern dem nicht dessen Besonderheiten entgegenstehen9.

7 Dazu U lei Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1995, S. 212 ff. Weiterführend jüngst Riedl, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl., hrsg. von Fritz, Neuwied und Kriftel 1999, Vor §9 Rn. 42-101. 8 Dazu Ule/Laubinger (Fn.7), S.216(§ 19 Rn.24). 9 Gute Ansätze dazu bei Hill (Fn. 1), S. 183-187.

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I V . Funktionen des Verwaltungsverfahrens Wie das Verwaltungsverfahren auszugestalten ist, hängt wesentlich davon ab, welche Funktion oder Funktionen man dem Verwaltungsverfahren zuschreibt. Die Antworten der Literatur auf diese Frage sind vielfältig: So wird das Verwaltungsverfahren als „Entscheidungsprozeß" 10 gekennzeichnet, als ein Verfahren, das auf eine Entscheidung abzielt. Das trifft manchmal, vielleicht sogar häufig zu, aber längst nicht immer. Was für eine „Entscheidung" treffen wir denn, wenn wir eine Vorlesung halten? Betont wird häufig die „Steuerungsfunktion" des Verwaltungsverfahrens 11 . Auch das würde ich nicht ohne weiteres unterschreiben; steuernd wirkt nicht das Verwaltungsverfahren, sondern das Verwaltungsverfahrensrec/zf. Dem Verwaltungsverfahren wird ferner eine „Informationsfunktion" zugeschrieben: Das Verwaltungsverfahren sei ein Instrument, um für eine möglichst umfassend informierte Verwaltung zu sorgen 12 . Diese These verkennt, daß die Informationsgewinnung nicht Zweck des Verwaltungsverfahrens ist, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich Mittel zum Zweck einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung. Weiter ist die Rede von der „Rechtsschutzfunktion" des Verwaltungsverfahrens 13 . Der Verfahrensgedanke diene auch und zugleich „dem subjektiven Rechtsschutz des Verwaltungskunden". 10

Dazu (kritisch) Pitschas (Fn.4), S. 31 und 105 m. w. N. Pitschas (Fn.4), S. 106. Über die Probleme staatlicher Steuerung informieren umfassend die Beiträge in dem von Klaus König und Nicolai Dose herausgegebenen Sammelband „Instrumente und Formen staatlichen Handelns", Köln/Berlin/Bonn/München 1993, sowie Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Berlin/Heidelberg/ New York 1998, S. 18 ff. (Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft). 12 Vgl. Schuppert, Konfliktmittlung bei Verhandlungen und Verwaltungs verfahren, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. II: Konfliktmittlung in Verwaltungsverfahren, hrsg. von Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Baden-Baden 1990, S.48f., der dies jedoch letztlich ablehnt. Schoch, a.a.O. (Fn. 3), S. 23f., definiert das „Verwaltungsverfahren nach dem VwVfG" als „planvoll geordneten Vorgang der Informationsgewinnung und -Verarbeitung, der in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung abläuft und der Hervorbringung einer administrativen Entscheidung i. S. d. § 9 VwVfG dient". Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee (Fn. 11), S. 288; er definiert Verwaltungsverfahren als „planvoll gegliederte Vorgänge der Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung, die in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung ablaufen". Und Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVB1.1996,950ff., 960 f., charakterisiert Verwaltungsverfahren als „normativ-strukturierte Vorgänge der Informationsgewinnung und -Verarbeitung"; das Verwaltungsverfahren sei ein „Informations- und Interessensverarbeitungsprozeß nach Maßgabe bestimmter Ziele und Verfahrensbedingungen". 13 Pitschas (Fn.4), S. 110; Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, Berlin 1984, S.41 ff.; Hill (Fn. 1), S. 205, jeweils m. w. N. 11

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Auch gegenüber derartigen Formulierungen ist Vorsicht geboten. Die Gewährung von Rechtsschutz im Sinne des Schutzes subjektiver Rechte ist in erster Linie Aufgabe der Gerichte - in unserem Zusammenhang zuvörderst der Gerichte der drei Verwaltungsgerichtsbarkeiten. Dem Rechtsschutz dienen ferner die verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere das Widerspruchsverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO. Die soeben genannten gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Verfahren eröffnen dem Bürger die Möglichkeit, sich gegen eine ihm nachteilige, ihn belastende Maßnahme der Verwaltung zur Wehr zu setzen - sei es, daß der Widerspruchsführer oder Kläger die Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsaktes begehrt, sei es, daß er den Erlaß eines verweigerten oder unterlassenen begünstigenden Verwaltungsaktes durchsetzen will. Nicht mehr als „Rechtsschutz" würde ich es bezeichnen, wenn der Bürger bei der Verwaltung die Gewährung einer Leistung beantragt und dadurch ein Verwaltungsverfahren in Gang setzt. Auch ein solches Verwaltungsverfahren dient zwar der Durchsetzung subjektiver Rechte, ist aber nach üblichem Sprachgebrauch kein Rechtsschutzverfahrtn, weil nicht die Überprüfung einer bereits getroffenen behördlichen Entscheidung, sondern erstmals die Fällung einer solchen Entscheidung begehrt wird. Daran ändert nichts der Umstand, daß die ein derartiges Verwaltungsverfahren durchführende Behörde die Verfahrensrechte des Antragstellers und etwaiger anderer Beteiligter (z. B. des Antragsgegners oder eines Hinzugezogenen) wahren, ihnen beispielsweise rechtliches Gehör und Akteneinsicht gewähren muß. Aber das hat mit „Rechtsschutz" im herkömmlichen Sinne des Wortes nichts zu tun 14 . Ferner liest man, das Verwaltungsverfahren diene auch der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Bürgernähe 15. Auch dagegen erheben sich Bedenken. Verwaltungsverfahren sollen zwar wirtschaftlich und zweckmäßig durchgeführt werden, aber das ist nicht der Sinn und Zweck des Verwaltungs Verfahrens, sondern betrifft die Modalitäten seiner Durchführung. Ähnlich verhält es sich mit der diffusen Forderung nach Bürgernähe. Was habe ich mir unter „Bürgernähe" im Baugenehmigungs- oder im Steuerveranlagungsverfahren vorzustellen? Falls eine Bürgerbeteiligung gemeint sein sollte, wie sie etwa bei Planfeststellungsverfahren, im förmlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und bei der Aufstellung von Bauleitplänen stattfindet, so muß man nüchtern feststellen, daß sich eine so geartete „Bürgernähe" nur für die wenigsten Verwaltungsverfahren eignet. Der Wahrheit noch am nächsten kommt die These, das Verwaltungsverfahren diene dazu, das materielle Recht zu verwirklichen 16. Völlig überzeugend ist jedoch 14 Zutreffend betont Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL41 (1983), 151 ff., 161, eigenständiger Auftrag des Verwaltungsverfahrens sei nicht Rechtsschutz, sondern Rechts Währung. Diese sei kein vorverlagerter Rechtsschutz; sie erfülle nämlich in den Verwaltungsverfahren nicht eine Funktion, die an sich Sache des gerichtlichen Rechtsschutzes wäre. 15 Hill (Fn. 1), S. 199; Schoch (Fn. 3), S. 25. 16 Schoch (Fn.3), S.25.

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auch diese Ansicht nicht. Denn sie berücksichtigt zum einen nicht, daß sich das Verwaltungshandeln nicht im Vollzug des materiellen Rechts erschöpft - es sei denn, man interpretiert den Begriff des Gesetzesvollzugs außergewöhnlich extensiv. Zum anderen verkennt sie, daß die Aufgabe der Verwaltungsbehörden auch dort, wo sie Gesetze vollziehen, nicht eigentlich im Gesetzesvollzug besteht, sondern in der Verwirklichung des Gesetzeszweckes: Die Polizei hat nicht die Aufgabe, das Polizeigesetz, die Strafprozeßordnung und die Straßenverkehrsordnung zu vollziehen, sondern ihre Aufgabe besteht darin, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, Straftaten aufzuklären sowie für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs Sorge zu tragen. Diesen Zwecken dienen die Maßnahmen der Polizei. Die genannten Rechtsvorschriften bilden lediglich Grundlage und Schranke der polizeilichen Tätigkeiten. Angemessen erscheint mir demzufolge die Formulierung, daß die Funktion des Verwaltungsverfahrens (im weitesten Sinne) darin besteht, die Aufgaben der Verwaltung zu erfüllen 17. Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit, Bürgernähe usw. sind nicht Zwecke des Verfahrens, sondern lediglich Randbedingungen, die bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zu beachten sind. Aus dieser Einsicht ist insbesondere die Folgerung abzuleiten, daß das Verwaltungsverfahren so auszugestalten ist, daß die Verwaltung die ihr obliegende Aufgabe sowohl effektiv als auch effizient erfüllen kann. Was das im einzelnen bedeutet, hängt naturgemäß in erheblichem Umfange von der Natur der jeweiligen Aufgabe ab: Die Planfeststellung einer Straße erfordert ein anderes Verfahren als die Erteilung einer Baugenehmigung, die Einstellung eines Beamten ein anderes Verfahren als das Verbot einer Versammlung.

V. Verhinderung des Mißbrauchs des Verwaltungsverfahrens Wenn der Zweck des Verwaltungsverfahrens - wie ich soeben ausgeführt habe - darin besteht, die Aufgaben der Verwaltung zu erfüllen, so wird dieser Zweck dann verfehlt, wenn das Verfahren für andere Zwecke mißbraucht wird. Das geschieht bedauerlicherweise nicht selten. Einen Mißbrauch stellt es beispielsweise dar, wenn Personen die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens beantragen und es weiter betreiben, obwohl eindeutig ist, daß ihnen der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle dafür bietet das Asyl- und Ausländerrecht. Ein Großteil der dort gestellten Anträge hat auch nicht den Hauch einer Chance18. Den Antragstellern 17 In diesem Sinne auch Hill (Fn. 1), S. 195: Ziel des Verwaltungsverfahrens sei „die Verwirklichung der Verwaltungsaufgaben im Rahmen der funktionell-rechtlichen Zuordnung der Staatsaufgaben". 18 Vor wenigen Tagen wurde gemeldet, die Anerkennungsquote bei Asylbewerbern betrage 3,2%: AZ Mainz vom 6.12.1999 unter Berufung auf Bundesinnenminister Schily.

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oder jedenfalls ihren Rechtsvertretern ist sehr häufig die Chancenlosigkeit auch durchaus bewußt. Da sie wissen, daß der Antrag abgelehnt werden wird, zögern sie den Abschluß des Verfahrens so lange wie nur irgendmöglich hinaus. Der Zweck der Übung ist klar: Der Antragsteller will möglichst lange staatliche Leistungen genießen. Um derartigem Mißbrauch entgegenzutreten, sollte erwogen werden, für extreme Fälle eine Mißbrauchsgebühr einzuführen, wie sie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (§ 34 Abs. 2) schon seit langem kennt. Das Verwaltungsverfahren kann aber auch seitens der Verwaltung oder der sie steuernden Politiker mißbraucht werden. Ein Beispiel dafür bietet der sog. „ausstiegsorientierte Gesetzesvollzug" im Bereich des Atomsrechts. Was sich hier abspiele, spotte teilweise jeder Beschreibung, haben Willi Blümel und Martin Pfeil schon vor zwei Jahren angemerkt19. Seither dürften sich die Dinge eher noch verschlimmert haben: Die Entscheidung über Anträge wird durch immer neue behördliche Anforderungen hinausgezögert, um die Antragsteller gefügig zu machen. Hier erlebt man das genaue Gegenteil von der ansonsten immer wieder geforderten Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens. Gegen eine derart mißbräuchliche Instrumentalisierung von Verwaltungsverfahren kann sich der Betroffene zwar durch Anrufung der Verwaltungsgerichte zur Wehr setzen und unter Umständen Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung oder Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs verlangen. Aber dieser Preis ist den politisch Verantwortlichen möglicherweise die Sache durchaus wert, solange sie nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Durchgreifende Remedur ist in derartigen Fällen nur dann zu erwarten, wenn die Verantwortlichen im Wege des Regresses zur Kasse gebeten werden. Aber das ist wohl eine schon fast abwegige Vorstellung. VI. Verfassungsrechtliche Determinanten für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens 1. Verfassungsrechtliche Pflicht zur gesetzlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens? Ob und in welchem Umfange das Verwaltungsverfahren durch förmliches (Bundes- oder Landes-) Gesetz geregelt werden muß, ist noch nicht völlig geklärt 20. 19 Blümel/Pfeil, Neuere Entwicklungen im Umwelt- und Verwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl., Speyerer Forschungsberichte 145, Speyer 1997, S. 107 ff. 20 Dazu siehe Hill, Zehn Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz, Speyerer Arbeitshefte 78, Speyer 1987, S. 11 f. In seiner Abhandlung „Verwaltungsreform und Verwaltungsvollzug" (in: Recht im Wandel - Festschrift 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, Köln/Berlin/Bonn/München 1965, S.53ff., hier zitiert nach dem Wiederabdruck in: Ule, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit-Gesammelte Aufsätze und Vorträge 1949-1979, Köln/Berlin/Bonn/München 1979, S. 383 ff., 392) schrieb Ule, die gesetzliche Festlegung der durch den Rechtsstaatsgedan-

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Daß der parlamentarische Gesetzgeber das Verwaltungsverfahren in allen Einzelheiten normiert, gebietet das Grundgesetz nicht. Soweit behördliche Verfahrenshandlungen in die Rechte am Verwaltungsverfahren Beteiligter eingreifen, indem sie ihnen beispielsweise etwas bestimmtes verbieten oder gebieten (ζ. B. Unterlagen vorzulegen oder persönlich zu erscheinen), bedarf es dafür aber sicherlich einer Ermächtigung in einer Rechtsvorschrift. Dies kann auch ein Rechtssatz im Range unter dem förmlichen Gesetz sein. Ob auch heute noch ungeschriebene allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts, die vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes eine überragende Rolle gespielt haben, eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für Verfahrenshandlungen darstellen, die in die Rechtssphäre des Bürgers eingreifen, erscheint zwar fraglich, dürfte jedoch zu bejahen sein. Fraglich ist das deswegen, weil in den letzten Jahrzehnten der Parlamentsvorbehalt immer mehr ausgeweitet worden ist. Einstmals allgemein anerkannte, unangefochtene Grundsätze des Verwaltungsrechts stoßen heute auf Mißtrauen, wenn nicht auf strikte Ablehnung. Symptomatisch dafür sind die Forderung nach einer „VA-Ermächtigung"21 und die Erosion des öffentlichen Sachenrechts22. In dieselbe Kerbe schlägt das von einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts vor drei Jahren ohne viel Federlesens verhängte Analogieverbot 23.

ken bestimmten Grundsätze des Verwaltungsverfahrens in einer für alle Verwaltungsbereiche verbindlichen Weise sei „eine unabdingbare Forderung". An anderer Stelle (in: Ule/Laubinger [Fn.7], S.4 [§ 1 Rn.6]) führte Ule aus, die Grundsätze eines rechts- und sozialstaatlichen Verwaltungsrechts zu verwirklichen, sei ein Auftrag, der den Gesetzgebern in Bund und Ländern erteilt sei. 21 Siehe dazu etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., München 1995, §44 Rn. 54ff.; Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. von Erichsen, 11. Aufl., Berlin/New York 1998, S.305ff. (§ 15 Rn.4), beide m.w.N. Demgegenüber betont Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., München 1999, S.232 (§ 10 Rn.5) zu Recht, daß die Ermächtigung der Verwaltung zur Tätigkeit aufgrund öffentlichen Rechts die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt impliziert und daß deshalb eine spezifische Ermächtigung zum Handeln gerade durch Verwaltungsakt nicht erforderlich ist. 22 Kennzeichnend dafür ist die neuere Judikatur, die dem Herrn der öffentlichen Sache einen Herausgabeanspruch gegen den Eigentümer abspricht: BVerwG, Beschluß vom 12.8.1993, NJW 1994, 144f., 145; OVGNW, Urteil vom 25.2.1993, NWVB1. 1993, 348ff., 349 (zum „Hamburger Staatssiegel", anders noch die Vorinstanz: VG Köln, Urteil vom 20.3.1991, NWVB1.1991, 425ff., 427f.); VGBerlin, Urteil vom 19.4.1995, Umdruck S.7. Angesichts dessen hat Ehlers, NWVB1.1993, 327 ff., nicht ohne Grund das öffentliche Sachenrecht als Trümmerhaufen bezeichnet. In seiner von Isensee betreuten Dissertation „Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen", Berlin 1994, S.224 und 225, stellt Axer sogar die These auf, ein Rechtsgebiet „Recht der öffentlichen Sachen" gebe es überhaupt nicht. 23 BVerfG, Beschluß vom 14.8.1996, DVB1. 1997, 351 f. mit kritischer Anmerkung von Schwabe. Begrüßt wird die Entscheidung dagegen von Konzak, Analogieverbot im Verwaltungsrecht, NVwZ 1997, 872 f.

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2. Verwaltungsverfahren

und Rechtsstaatsprinzip

Carl Hermann Ule hat immer wieder die Bedeutung des Rechtsstaatsgrundsatzes für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens hervorgehoben. In Anlehnung an ein berühmtes Diktum seines Freundes Fritz Werner hat er das Verwaltungsverfahrensrecht als „konkretisiertes Verfassungsrecht" bezeichnet24. In seinem Beitrag zur Festschrift für den Carl Heymanns Verlag 25 hat er ausgeführt, der Rechtsstaatsgrundsatz verlange unter anderem - die Gewährung rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren, - das Recht auf Akteneinsicht, - den Untersuchungsgrundsatz sowie - die Begründung belastender Verwaltungsakte. Das trifft zu und ist dahingehend zu ergänzen, daß das Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber dazu verpflichtet, das Verwaltungsverfahren so auszugestalten, daß der am Verfahren beteiligte Bürger die ihm zustehenden subjektiven Rechte wirksam wahrnehmen kann. Was dazu im einzelnen gehört, hängt naturgemäß von der Art des Verfahrens ab. 3. Verwaltungsverfahren

und Dem οkr a tiepnnzip

In der Literatur werden auch dem Demokratieprinzip Leitlinien für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens entnommen - im Ergebnis zu Recht, aber teilweise mit fragwürdiger Tendenz. So liest man beispielsweise, die Mitwirkung und Kontrolle durch die Verfahrensbeteiligten sichere dem Verwaltungsverfahren eine zusätzliche demokratische Legitimation26. Ein anderer Autor 27 schreibt, eine akzeptanzfördernde Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens werde durch das Demokratieprinzip, vor allem durch die Idee der sog. responsiven Demokratie, nahegelegt. 24 Ule/Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, Köln/Berlin 1964, S.4. Dort heißt es: „Zahlreiche Fragen des Verwaltungsverfahrensrechts, insbesondere die sog. Verfahrensgrundsätze, werden durch das Verfassungsrecht bestimmt; aber auch auf andere Fragen wirkt das Verfassungsrecht ein. Ich erwähne an dieser Stelle nur die Regelung der Beteiligten, der Bevollmächtigten und Beistände, der ausgeschlossenen Personen, des Untersuchungsgrundsatzes, insbesondere der Ermittlung des Sachverhalts, der Beeidigung von Zeugen, der Anhörung der Beteiligten, der Akteneinsicht und des Begründungszwanges, sämtlich Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts i.e.S., die ganz gewiß nicht als »technische Vorschriften' disqualifiziert werden können, sondern in ihrem Inhalt durch das Verfassungsrecht, insbesondere den Grundsatz der gesetz- und rechtmäßigen Verwaltung, bestimmt werden." 25 Verwaltungsreform und Verfassungsvollzug, a.a.O. (Fn.20), insbes. S.393ff. Ähnlich Ule, in: Ule/Laubinger (Fn.7), S.6 (§ 1 Rn.8-10). 26 Hill (Fn. 1), S.206 m.w.N. 27 Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, 257 ff., 261 links oben.

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Das scheinen mir problematische Thesen zu sein28. Denn die am Verwaltungsverfahren beteiligten Bürger - mag es sich auch um Tausende handeln - sind nicht „das Volk" 29 . Sie verfolgen im Verwaltungsverfahren nicht das öffentliche Interesse, sondern ihre Individualinteressen, die sich mit dem öffentlichen Interesse decken können, aber keineswegs müssen, ihm sogar zuwiderlaufen können. Nichts wesentlich anderes gilt für Bürgerinitiativen und andere Verbände, die sich in Verwaltungsverfahren einschalten. Auch sie sind keine Repräsentanten des öffentlichen Interesses, des Allgemeinwohls. Dabei bin ich mir spätestens seit 1968 sehr wohl bewußt, wie schillernd diese Begriffe sind. Denn meine erste Aufgabe als Mitarbeiter Carl Hermann Ules bestand darin, Material zu seinem Referat „Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte" 30 für die 36. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung dieser Hochschule zusammenzutragen. Dennoch spielt das Demokratieprinzip durchaus eine erhebliche Rolle für die Ausgestaltung des Verwaltungs Verfahrens, allerdings in einem anderen Sinne: Demokratisch legitimiert sind nicht einzelne Bürger und Vereinigungen von Bürgern, sondern die an dem Verwaltungsverfahren beteiligten Behörden, insbesondere die federführende Behörde, im Planfeststellungsverfahren die Anhörungs- und die Planfeststellungsbehörde. Sie tragen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens und sind letztlich auf dem Wege über ihren Ressortchef dem Parlament rechenschaftspflichtig; das ist eines der Grundgesetze der parlamentarischen Demokratie. Welche Konsequenzen sich daraus für die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ergeben, werde ich später erläutern (s. u. sub VIII).

4. Verwaltungsverfahren

und Sozialstaatsprinzip

Auch das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wird als Direktive für das Verwaltungsverfahren benannt. Da die Konkretisierung dieses Staatsziels bekanntlich bis dato erhebliche Schwierigkeiten bereitet 31, ist es nicht einfach festzustellen, welche 28

Kritisch auch KuniglRublack, Aushandeln statt Entscheiden?, Jura 1990, 1 ff., 8 f. Zutreffend heben Schmidt-Aßmanni Krämer, Das Verwaltungsverfahren und seine Folgen, Revue Européenne de Droit Public 1993, 99ff., 100, hervor, daß eine Anhörung oder sonstige Beteiligung von Betroffenen in einem Verwaltungsverfahren keine Beteiligung „des Volkes" ist und daß sie weder demokratische Legitimation schaffen noch einen Mangel an demokratischer Legitimation ausgleichen kann. Die Beachtung von Verfahrensvorschriften könne jedoch die Ergebnisse der Verwaltungsentscheidung verbessern und das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung stärken. Eine Verwaltung, die sich darum bemüht, das Verfahrensrecht präzise einzuhalten, werde leichter für ihre Entscheidungen Akzeptanz finden. Das seien Gesichtspunkte, die in einem weiteren Sinne zur demokratischen Idee gehören. 30 In: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 39, Berlin 1968, S. 125-148. 31 Vgl. etwa Sachs, in: ders., GG, 2. Aufl., München 1999, Art. 20 Rn.47. 29

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Konsequenzen es für das Verwaltungsverfahren hat. Aus dem Sozialstaatsprinzip wird man aber wohl die Betreuungspflichten ableiten dürfen, die den Verwaltungsbehörden den Bürgern gegenüber obliegen32. Sie lassen sich zusammenfassen in dem Postulat, daß der Beamte nicht nur Repräsentant des Staates, sondern auch „Helfer des Bürgers" sein soll 33 . 5. Verwaltungsverfahren

und Umweltschutz

Bei der Ausgestaltung solcher Verwaltungsverfahren, die die Belange der Natur tangieren, ist ferner Art. 20 a zu beachten, der 1994 in das Grundgesetz aufgenommen worden ist. Er verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Daraus folgt insbesondere, daß solche Verwaltungsverfahren, deren Produkt - beispielsweise eine Anlagengenehmigung oder ein Planfeststellungsbeschluß - Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, so auszugestalten sind, daß ein wirksamer Umweltschutz gewährleistet ist. Ob dies zur Einführung oder Beibehaltung der Verbandsbeteiligung an Verwaltungsverfahren oder gar zur Einräumung eines Verbandsklagerechts zwingt, erscheint mir allerdings zweifelhaft 34. 6. Verwaltungsverfahren

und Grundrechte

Die Gerichte - angeführt vom Bundesverfassungsgericht 35 - und ein Großteil der Literatur 36 vertreten die Ansicht, der Gesetzgeber sei verpflichtet, die materiellen Grundrechte durch eine entsprechende Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens abzusichern, indem er beispielsweise den Verfahrensbeteiligten solche Verfahrensrechte einräumt, die es ihnen gestatten, ihre Grundrechte effektiv durchzusetzen. Komme der Gesetzgeber dieser Regelungspflicht nicht nach, so seien die erforderlichen Verfahrensrechte unmittelbar aus dem jeweils gefährdeten Grundrecht abzuleiten. 32

So auch Hill (Fn.l), S.206. Näheres dazu bei Laubinger, Die Verwaltung als Helfer des Bürgers - Gedanken zur behördlichen Betreuungspflicht, in: Demokratie und Verwaltung, 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1972, S.439ff.; ferner Ule/Laubinger (Fn. 7), S. 252ff. (§ 26 Behördliche Betreuungspflichten) m. w. N. 34 Siehe dazu Ule/Laubinger, Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht? Gutachten Β zum 52. Deutschen Juristentag, Wiesbaden 1978, München 1978, S. 96ff. 35 Grundlegend sein Mülheim-Kärlich-Beschluß vom 20.12.1979, BVerfGE53, 31 ff. 36 Vgl. dazu etwa Ahlers, Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Grundrechte sowie der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, Diss. jur. Osnabrück 1984; Bergner, Grundrechtsschutz durch Verfahren, München 1998; Held (Fn. 13); Hufen (Fn. 6), S. 40-46 (Rn. 21-35), S. 121 f. (Rn. 161), S.313 (Rn.510), S.333f. (Rn. 554); Hill (Fn. 1), S.207f., 229-244. Vor einer Überstrapazierung des „in den materiellen Grundrechten angelegten verfahrensrechtlichen Moments" warnt zu Recht auch Schenke (Fn. 1), VB1BW 1982, 313ff., 319. 33

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Ich teile nach wie vor die Skepsis Ules 37 gegenüber einer derart extensiven Interpretation der Grundrechte. Es leuchtet mir nicht ein, daß sich aus so unterschiedlichen Vorschriften wie Art. 2 Abs. 2, Art. 12 und 1 4 G G - u m nur diese zu nennen - identische Verfahrensrechte, ζ. B. auf Anhörung und Akteneinsicht, ableiten lassen38. Das bedeutet aber nicht, daß die Grundrechte für das Verwaltungsverfahren keinerlei Bedeutung hätten. Denn zum einen sind solche Verwaltungs verfahren, die der Verwirklichung eines Grundrechts zu dienen bestimmt sind, so auszugestalten, daß der Grundrechtsträger dieses Ziel auch tatsächlich erreichen kann.39 Das bedeutet etwa, daß das Baugenehmigungsverfahren so zu formen ist, daß der Baulustige in angemessener Zeit und unter vertretbarem Aufwand die Erlaubnis erhält, derer er bedarf, um sein sich aus Art. 14GG ergebendes Recht auf bauliche Nutzung seines Grundstücks zu verwirklichen - vorausgesetzt selbstverständlich, daß dem Vorhaben keine rechtlichen Hindernisse im Wege stehen. Gleiches gilt, wenn ein Bürger für die Ausübung eines Berufs einer behördlichen Erlaubnis bedarf; in diesem Falle verlangt Art. 12GG, daß das Erlaubnisverfahren so geregelt wird, daß der Antragsteller innerhalb eines vertretbaren Zeitraums mit vertretbarem Aufwand die Erlaubnis erhält, sofern rechtliche Hindernisse dem nicht entgegenstehen. Und Art. 3 Abs. 1 GG verbietet der das Verwaltungsverfahren durchführenden Behörde, Verfahrensbeteiligte zu diskriminieren.

Zum anderen versteht es sich von selbst, daß sich am Verwaltungsverfahren Beteiligte gegen solche behördliche Verfahrenshandlungen zur Wehr setzen können, die in ihre Grundrechte rechtswidrig eingreifen 40.

VII. Die Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsverfahrensrecht Nur kurz erwähnen kann ich die stetig zunehmenden Einwirkungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaften (Plural), insbesondere der Europäischen Gemeinschaft (Singular), auf das Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsverfahrensrecht. Während das Allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht davon bisher noch weitgehend41 verschont geblieben ist, wird das Besondere Verwaltungsrecht und 37 Ule, Rechtsstaat und Verwaltung, VerwArch. 76 (1985), 129ff., 141 ff.; weitere Nachweise bei Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch.73 (1982), 60ff., 61 in Fn.8. 38 Vgl. Laubinger, a. a. O. (Fn. 37), S. 80ff. 39 So auch Held (Fn. 13), S. 176ff., insbes. 178 und S. 255 sub 5. 40 Auch dazu Laubinger, a. a. Ο. (Fn. 37), S. 80ff. 41 Aber nicht völlig. Praktisch bedeutsame „Einbruchstellen" des Europarechts sind die Rücknahme EG-rechtswidriger Verwaltungsakte sowie das Staatshaftungsrecht. Dazu siehe etwa Suerbaum, Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts am Beispiel der Rückabwicklung gemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, VerwArch. 91 (2000), 169 ff.; Hanf, Der Vertrauensschutz bei der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte als

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hier auch das Verfahrensrecht mehr und mehr durch EG-rechtliche Regeln überlagert. Dies gilt in besonderem Maße für das Immissionsschutzrecht, zu dessen Entfaltung Carl Hermann Ule ebenfalls einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat42. Ohne Hinzuziehung des EG-Rechts sind große Teile des deutschen Immissionsschutzrechts gar nicht mehr verständlich 43. Besonders hervorheben möchte ich die Tendenz des EG-Rechts, die Öffentlichkeit in Verwaltungsverfahren einzubeziehen und ihr eine Art Wächteramt über die Tätigkeit der Behörden zu übertragen. Seinen Ausdruck findet dies beispielsweise in der Richtlinie von 1985 über die Umneuer Prüfstein für das „Kooperationsverhältnis" zwischen EuGH und BVerfG, ZaöRV 59 (1999), 51 ff.; Fischer, Gemeinschaftsrechtliche Beihilfekontrolle und nationales Verwaltungsverfahrensrecht, JuS 1999, 749ff.; von Danwitz, Zur Entwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung, JZ 1994, 335 ff.; Böhm, Voraussetzungen einer Staatshaftung bei Verstößen gegen primäres Gemeinschaftsrecht, JZ 1997,53 ff.; Ehlers, Die Weiterentwicklung des Staatshaftungsrechts durch das Europäische Gemeinschaftsrecht, JZ1996, 776ff.; Jarass, Haftung für die Verletzung von EU-Recht durch nationale Organe und Amtsträger, NJW 1994, 881 ff.; Saenger, Staatshaftung wegen Verletzung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, JuS 1997, 865 ff.; Streinz, Auswirkungen des vom EuGH „ausgelegten" Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Recht, Jura 1995, 6ff.; Diehr, Die Einordnung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung in das nationale Rechtssystem, ThürVBl. 1998, 224ff.; Hermes, Der Grundsatz der Staatshaftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen, Die Verwaltung 31 (1998), 37Iff. 42 So hat er den Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz begründet, den ich fortführe. Aus seiner Feder stammen ferner mehrere Zeitschriftenaufsätze zum Umweltschutzrecht, u.a.: Umweltschutz im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, DVB1.1972, 437ff.; Zur Verpflichtungsklage im Umweltschutzrecht, BB 1972, 1076ff.; Unbestimmte Begriffe und Ermessen im Umweltschutzrecht, DVB1. 1973, 756ff.; Das Bundes-Immissionsschutzgesetz, DVB1. 1974, 327 ff.; Die Bindung der Verwaltungsgerichte an die Immissionswerte der TA Luft, BB 1976, 446ff.; Die Erste Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, DVB1.1976, 849ff.; Die Bedeutung des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Bundes-Immissionsschutzgesetz, DVB1.1976, 729ff.; Bundes-Immissionsschutzgesetz und Vertretbarkeitslehre, WiVerw. 1977, 80ff.; Zur rechtlichen Bedeutung von Ausschlußfristen im Verwaltungsverfahren für den Verwaltungsprozeß, BB 1979, 1009 ff.; Zum Einfluß von Verwaltungsprozessen auf den Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1988, 103 ff. 43 Ein ebenso eindrucksvolles wie erschreckendes Beispiel dafür bietet § 1 Abs. 1 der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Immiss ions werte - 22.BImSchV) vom 26.10.1993 (BGB1.I S. 1819): „(l)Die in Anhang IV, Tabelle A der Richtlinie 80/779/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Grenzwerte und Leitwerte der Luftqualität für Schwefeldioxid und Schwebestaub vom 15. Juli 1980 (ABl. EG Nr. L 229 S. 30), geändert durch die Richtlinie 89/427/EWG vom 21. Juni 1989 (ABl. EG Nr. L 201 S.53), genannten Grenzwerte für die Konzentration von Schwefeldioxid in der Luft, die in Anhang IV, Tabelle Β der Richtlinie 80/779/EWG genannten Grenzwerte für die Konzentration von Schwebestaub in der Luft, der in Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie 82/884/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften betreffend einen Grenzwert für den Bleigehalt in der Luft vom 3. Dezember 1982 (ABl. EG Nr. L 378 S. 15) genannte Grenzwert für die Bleikonzentration in der Luft und der in Anhang I der Richtlinie 85/203/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Luftqualitätsnormen für Stickstoffdioxid vom 7.März 1985 (ABl.EG Nr.L87 S. 1) genannte Grenzwert für Stickstoffdioxid in der Atmosphäre werden als Immissionwerte festgesetzt."

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weltverträglichkeitsprüfung 44 und in der Richtlinie von 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt 45 . V I I I . Konsensuales Verwaltungsverfahren und Mediation In der Diskussion über eine Reform des Verwaltungsverfahrens spielt insbesondere die Frage eine Rolle, in welchem Maße die Verwaltung mit dem Bürger im Verwaltungsverfahren kooperieren und nach einer einvernehmlichen Entscheidung streben sollte. Überspitzt formuliert: Soll die imperative, die einseitig entscheidende, durch eine konsensuale, eine einvernehmlich entscheidende, Verwaltung ersetzt werden? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Wie ich bereits dargelegt habe, gebieten das Rechtsstaatsund das Sozialstaatsprinzip sowie in gewissem Umfange auch die Grundrechte, daß denjenigen Bürgern, deren Rechte durch das Verwaltungsverfahren selbst oder durch dessen Ergebnis berührt werden können, Gelegenheit zu geben ist, diese Rechte im Verfahren geltend zu machen. Dem trägt das Verwaltungs Verfahrensgesetz unter anderem dadurch Rechnung, daß die das Verfahren durchführende Behörde - unter Umständen auf Antrag eines Bürgers ein Verwaltungsverfahren einleiten (§22 Satz 2 Nr. 1), - die Beteiligten beraten und ihnen Auskünfte erteilen (§ 25) sowie - sie anhören und ihnen Akteneinsicht gewähren (§§ 28, 29) muß, um nur einige wenige Beispiele für Beteiligungspflichten der Behörde und damit korrespondierende Beteiligungsansprüche des Bürgers zu nennen. Die Behörde ist auch nicht daran gehindert, eine Einigung mit den Beteiligten anzustreben. Eine „konsensuale Entscheidung" ist sogar erwünscht, weil sie die Chance erhöht, daß sie von den Bürgern akzeptiert wird und daß rechtliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Dabei ist freilich zweierlei zu bedenken: Zum einen muß die Sachgerechtigkeit der Lösung stets den Vorrang vor dem Konsens haben. Anders formuliert: Das Einvernehmen der Beteiligten vermag keinesfalls eine der Sache nicht angemessene und schon gar nicht eine rechtswidrige Entscheidung zu rechtfertigen. Zum anderen trägt der Konsens nur dann zur Erhöhung der Akzeptanz bei, wenn mit der Entscheidung sämtliche Personen einverstanden sind, die durch sie betroffen 44 Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) vom 27.6.1985 (ABl. Nr. L 175 S.40). 45 Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt (90/313/EWG) vom 7.6.1990 (ABl.Nr.L158 S.56).

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sind. Konsensuale Entscheidungen zu Lasten Dritter haben keinen befriedenden Effekt. Spätestens seit Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist die Verwaltung in der Regel sogar dazu befugt, mit den Beteiligten einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abzuschließen; § 58 Abs. 1 VwVfG soll jedoch verhindern, daß dabei Interessen Dritter unter die Räder geraten. Aber auch dann, wenn die Behörde eine mit den Bürgern „ausgehandelte" Entscheidung trifft, trägt sie die volle, ungeteilte Verantwortung für das Vereinbarte ihren vorgesetzten Stellen, dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber46. Eine auch nur partielle Verlagerung der Verantwortung auf den mit der Behörde kontrahierenden Bürger findet nicht statt. Alles andere wäre mit unserem parlamentarischen Regierungssystem unvereinbar. Dem Parlament ist nur der Ressortchef rechenschaftspflichtig, nicht der einzelne Bürger, der mit der Verwaltung einen Vertrag ausgehandelt hat. Die Kooperation von Bürger und Verwaltung stößt also dort auf eine unüberwindbare verfassungsrechtliche Grenze, wo die ungeteilte Verantwortung der Verwaltung für das Verfahrensergebnis beeinträchtigt wird. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Demokratieprinzip noch aus den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 1998 zu den Abfallgesetzen einiger Länder 47 und zu der Verpackungssteuer der Stadt Kassel48. In diesen zu Recht heftig kritisierten Entscheidungen hat das Gericht zwar das hohe Lied des Kooperationsprinzips gesungen, aber - wenn ich recht sehe - nicht die Behauptung aufgestellt, es habe Verfassungsrang49. Die Verwaltung trägt nicht nur die unteilbare Verantwortung für das Verfahrensprodukt - also für den Verwaltungsakt, den öffentlich-rechtlichen Vertrag oder die sonstige Maßnahme, die das Verwaltungsverfahren abschließt - , sondern auch für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens, insbesondere für die Verfahrenshandlungen, die der Verwaltung obliegen, beispielsweise für Beweiserhebungen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins. Auch dieser Verfahrensverantwortung können sich die Behörden nicht begeben. Das muß bedacht werden, wenn man die Einschaltung von „Verfahrensmittlern", „Konfliktmittlern", „Mediatoren" - oder wie die Bezeichnungen sonst noch lauten mögen - fordert 50. 46

Zutreffend betonen das Kunig/Rublack (Fn. 28), 1 ff., 8 f. Auch Schuppen (Fn. 12), S. 50, und Schoch (Fn. 3), S. 32, heben hervor, daß die staatliche Letztverantwortung sowohl für das Verfahren als auch für die Verwaltungsentscheidung aus verfassungsrechtlichen Gründen unverzichtbar ist. 47 BVerfGE98, 83 ff. 48 BVerfGE98, 106 ff. 49 Zu Recht betont Lege, Kooperationsprinzip contra Müllvermeidung?, Jura 1999, 125 ff., 129 und 130, das Kooperationsprinzip des Umweltrechts genieße keinen Verfassungsrang. 50 Der Hauptprotagonist dieser Institution ist Hoffmann-Riem; grundlegend ist seine Schrift „Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen", Heidelberg 1989. Von besonderer Bedeutung

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Ob sich diese Institution, die sich vornehmlich in der andersartigen „Verwaltungskultur" der USA entwickelt hat 51 , auch bei uns bewähren würde, ist völlig offen 52. Nur wenig53 habe ich bisher über die Kosten gehört, die durch die Einschaltung eines Mediators entstehen würden; daß er unentgeltlich tätig wird, dürfte äußerst unwahrscheinlich sein. Abgesehen von derartigen Zweckmäßigkeitserwägungen stellt sich aber auch hier wiederum die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit. Die Einschaltung von Verhandlungs- oder Konfliktmittlern in ein Verwaltungsverfahren ist wohl nicht gänzlich unzulässig, stößt jedoch alsbald auf verfassungsrechtliche Grenzen. Denn die für das Verwaltungsverfahren zuständige Behörde muß in jeder Phase Herrin des Verfahrens sein. Entscheidungsbefugnisse gleich welcher Art darf sie auf den Mediator allenfalls dann übertragen, wenn sie dazu gesetzlich ermächtigt worden ist; in diesem Falle muß die Möglichkeit umfassender parlamentarischer Kontrolle der Verfahrenshandlungen des Mediators sichergestellt sein. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, zumindest die Vorbereitung der behördlichen Entscheidung könne Konfliktmittlern übertragen werden 54. Aber selbst insoweit ist Vorsicht geboten; denn die Vorbereitung und das Fällen einer Entscheidung lassen sich häufig nur schwer, wenn überhaupt, voneinander trennen; das ist aus der Diskussion um Stäbe in der Wirtschaft und in der Verwaltung seit langem bekannt55.

sind femer die von Hoffmann-Riem und Schmidt-Aßmann herausgegebenen zwei Sammelbände „Konfliktbewältigung durch Verhandlungen", Baden-Baden 1990. 51 Dazu siehe Harter, Mediation in the Context of Administrative Rulemaking: The Experience in the United States, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen (Fn. 49), Bd. II, S. 155 ff.; Brohm, Beschleunigung der Verwaltungsverfahren - Straffung oder konsensuales Verwaltungshandeln? - Zugleich ein Beitrag zu den Voraussetzungen der „Mediation" in den USA und den strukturellen Unterschieden zwischen amerikanischem und deutschem Recht, NVwZ 1991, 1025 ff. Instruktiv femer Jarass, Besonderheiten des amerikanischen Verwaltungsrechts im Vergleich - Zugleich ein Beitrag zum Stellenwert des Verwaltungsverfahrens, DÖV 1985, 377ff.; Kunig/Rublack (Fn. 28), Jura 1990, 1 ff., insbes. 1 f. 52 Wenig ermutigend sind die Erfahrungen mit dem Mediationsverfahren, in dem die Erweiterung des Frankfurter Flughafens untersucht wurde. Nach anderthalbjährigen Beratungen legte die vom ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Eichel berufene „Mediationsgruppe" am 31.1.2000 ihren Abschlußbericht vor, in dem sie einen Ausbau des Flughafens empfiehlt. Diese Empfehlung löste sowohl Zustimmung als auch heftige Proteste aus. Eine eingehende Darstellung enthielt die Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 26 vom 1.2.2000, S.59ff. Umfangreiche Informationen über das Mediationsverfahren finden sich im Internet unter http://www.mediation-flughafen.de . 53 Einige Andeutungen bei J. P. Schneider, Kooperative Verwaltungsverfahren, VerwArch. 87 (1996), 38 ff., 64. 54 Erbguth, Die Zulässigkeit der funktionalen Privatisierung im Genehmigungsrecht, UPR 1995, 369ff., 375. 55 Siehe dazu Kühler, Organisation und Führung in Behörden, Bd. 1: Organisatorische Grundlagen, 3. Aufl., Stuttgart 1978, S.61 f. (Rn.89); Thieme, Verwaltungslehre, 4. Aufl., Köln/ Berlin/Bonn/München 1984, S. 171 f. (Rn.253). 5 Gedächtnisschrift Ule

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Für - zurückhaltend formuliert - gänzlich unrealistisch halte ich den Vorschlag, das planfeststellungsrechtliche Anhörungsverfahren durch einen privaten Konfliktmittler durchführen zu lassen56. Die Verwirklichung dieses Vorschlags scheitert sowohl aus rechtlichen als auch praktischen Gründen, weil das Anhörungsverfahren in der Regel einen Aufwand erfordert, der von einer einzelnen Person gar nicht zu bewältigen ist.

IX. Fehler im Verwaltungsverfahren und ihre Folgen57 Angesichts der großen Bedeutung, die Carl Hermann Ule dem Verwaltungs verfahren und dem Verwaltungsverfahrensrecht beimaß, verwundert es nicht, daß er sich mehrfach mit großem Nachdruck dagegen gewandt hat, Verfahrensfehler sanktionslos zu stellen und dadurch zu bagatellisieren. Die Beachtung der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze sei - so schrieb er 58 - nur dann gesichert, wenn verfahrensfehlerhaft zustandegekommene Verwaltungsakte nichtig oder vemichtbar sind. Mit Entschiedenheit wandte er sich deshalb gegen § 36 des Musterentwurfs eines Verwaltungs Verfahrensgesetzes, aus dem schließlich § 46 VwVfG hervorgegangen ist 59 . Diese Bestimmung nimmt dem durch einen verfahrensfehlerhaft zustandegekommenen Verwaltungsakt betroffenen Bürger bekanntlich unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsakts. Während die Vorschrift in ihrer ursprünglichen Fassung diese Rechtsfolge an die Voraussetzung knüpfte, daß „keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können", entfällt der Aufhebungsanspruch des betroffenen Bürgers seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12. September 1996 nunmehr schon dann, „wenn offensichtlich ist, daß die Verletzung [d.h. der Verfahrensfehler] die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat". Bei allem Verständnis für das gesetzgeberische Anliegen, Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, ist diese Gesetzesänderung u.a. deshalb zu bedauern, weil sie geeignet ist, einem laxen Umgang mit den verfahrensrechtlichen Bestimmungen Vorschub zu leisten. Um dem entgegenzuwirken, sollte §46 VwVfG restriktiv interpretiert werden, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe60. Ebenfalls Unbehagen verursacht die Neufassung des § 45 VwVfG durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, der nunmehr eine Heilung von Verfahrensfehlern noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gestattet.

56

Schuppen (Fn. 12), S.51 f. Dazu umfassend Hufen (Fn.6), passim, speziell zu den §§45 und 46 VwVfG S. 350 ff. mit berechtigter Kritik. 58 Ule, Verwaltungsreform und Verfassungsvollzug (Fn.20), S.400 und 401. 59 A. a. O. (Fn. 20), S. 400-405. 60 Ule/Laubinger (Fn.7), S.867 (Nachtrag Rn.66). 57

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Verfehlt ist ferner die Behauptung, nur solche Verfahrensfehler hätten die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts zur Folge, die sich auf dessen Inhalt ausgewirkt haben oder hätten auswirken können61. Aus § 46 VwVfG ergibt sich das genaue Gegenteil, nämlich daß es für die Rechtswidrigkeit nicht darauf ankommt, ob sich ein formeller Mangel auf den Inhalt des Verwaltungsakts, das heißt seine Regelung, hat auswirken können. Denn anderenfalls wäre diese Vorschrift - jedenfalls in der heutigen Fassung - überflüssig. X. Schlußbemerkungen Damit komme ich zum Schluß. Überblickt man die Entwicklung der letzten Jahre, so wird man nüchtern feststellen müssen, daß der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht seinen Höhepunkt überschritten hat und sich auf dem absteigenden Ast befindet. Vielleicht ein wenig zu dramatisch, aber nicht ganz ohne Grund hat vor wenigen Wochen Jörn Ipsen 62 die Frage aufgeworfen, ob der Rechtsstaat in Gefahr ist. Bewogen hierzu haben ihn die - wie er schreibt - „Tendenzen in Gesetzgebung, Verwaltung und Öffentlichkeit, die der rechtsstaatlichen Formtypik entgegenwirken", nämlich vor allem die „Entwertung des Verfahrensrechts" durch Bagatellisierung von Verfahrensfehlern und die „Entformalisierung des Verwaltungshandelns". Wenn wir diesen Tendenzen entgegenwirken, handeln wir im Sinne des Mannes, dessen Andenken wir mit der heutigen Veranstaltung ehren.

61 Nachweise zur einschlägigen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts bei Ule/Laubinger (Fn. 7), S. 562 (§ 58 Rn. 3). Dagegen wendet sich auch Hufen (Fn. 6), S. 308 f. (Rn. 499-501 ). 62 Gefahr für den Rechtsstaat?, NdsVBl. 1999, 225 ff.

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Modernisierung des Verfahrensrechts Von Jan Ziekow Das Werk Carl Hermann Ules macht deutlich, welche gewaltigen Dimensionen unter dem Wort „Verfahrensrecht" zusammengefaßt sind. Sie umspannen das Verfahren der Verwaltung ebenso wie das der Gerichte und ich kapituliere bereits vor dem Versuch, den Problemkreis auch nur annähernd vollständig beschreiben zu wollen. Noch aussichtsloser würde ein solches Unterfangen, wenn man die Dynamik des Verfahrensrechts einbezieht. Schon allein dadurch, daß Carl Hermann Ule die Wandlungen und verschiedenen Projekte des Verfahrensrechts über Jahrzehnte aktiv begleitet hat, war ihm die Umfeldabhängigkeit von Novellierungsvorhaben immer präsent. Erinnert sei nur an Ules noch vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung vorgetragenes Anliegen nach einer Vereinheitlichung der Prozeßgesetze1, das einen Höhepunkt in dem von ihm 1969 vorgelegten sog. Speyerer Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes 2 fand und mit dem 1991 verfaßten - etwas resignativen - „Abgesang auf die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung" 3 endete. Lassen Sie mich in Anbetracht dieser Spannbreite des Themas zunächst klarstellen, daß mein Zugang sektoral begrenzt ist. Unzweifelhaft lassen sich viele Phänomene der neueren Verfahrensgesetzgebung - hier in einem umfassenden Sinne - sachgerecht nur in einer integrativen Erfassung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß erfassen. Das von Peter Häberle geprägte und von Jürgen Schwarze aufgegriffene Wort von Verwaltungsverfahren und -prozeß als differenziertem Gesamtrechtsschutzsystem4 hat nach wie vor - und möglicherweise mehr denn je - seine Berechtigung. Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Rechtskonkretisierung zwar in funktioneller Trennung, der Sache nach aber gesamthänderisch aufgegeben. 5 Veränderungen, die an einem Teil dieser Gesamthandsge1 Carl Hermann Ule, Zur Vereinheitlichung der gerichtlichen Verfahrensordnungen, DVB1. 1958, S. 691 ff. 2 Carl Hermann Ule (Hrsg.), Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, 1969. 3 Carl Hermann Ule, Abgesang auf die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung, DVB1. 1991, S.509f. 4 Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S.43 (122); Jürgen Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S.44. 5 Vgl. Rainer Pitschas, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit im staatlichen Modernisierungsprozeß, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, S.27 (54 f J a n Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren,

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meinschaft ansetzen, müssen immer den anderen Teil im Blick behalten. Gleichwohl werde ich mich im folgenden auf die Betrachtung des Verwaltungsverfahrens konzentrieren. Im Vergleich zum gerichtlichen Verfahrensrecht steht es derzeit hinsichtlich der Modernisierung und Europäisierung des Staates unter dem größeren Implementationsdruck. Bezüge zum Verwaltungsprozeßrecht werde ich dort herstellen, wo sich eventuelle Folgewirkungen ergeben.

I. Zum Begriff der Modernisierung Mit dieser Eingrenzung bin ich bereits bei dem zweiten Leitbegriff meines Themas angekommen, der Modernisierung. Modern möchte jeder sein, auch die Bundesregierung mit ihrem Programm „Moderner Staat - Moderne Verwaltung", das - insoweit ganz modern - in das Internet gestellt ist. Auch abseits der Tagespolitik ließe sich über Modernisierung als verdichtender Prozeßbeschreibung ein weitgreifender Inkurs einschalten. Von dieser Last dispensiere ich mich hier. In der Trias der Deutung von Modernisierung, nämlich erstens als säkularer Prozeß der Herausbildung von „die Moderne" konstituierenden Elementen, zweitens als nachziehender Aufholprozeß weniger entwickelter Gesellschaften und drittens als Strategie von sozialen Funktionssystemen zur Erhaltung ihrer Innovations- und Problemlösungsfähigkeit 6, ist im vorliegenden Zusammenhang der letztgenannte Bezug gemeint. In dieser Sicht ist Modernisierungsfähigkeit eine Überlebensfrage von Organisationen schlechthin. Modernisierung ist die der Organisation permanent gestellte Aufgabe, Probleme und Krisensituationen zu erkennen und durch Reproduktion und Innovation der bestehenden institutionellen Bedingungen und Handlungsmuster zu bewältigen.7 „Modernisierung des Verfahrensrechts" ist danach nur ein Teilaspekt der Modernisierung der Organisation, des Staates. Sofern es um konkrete Schritte einer Novellierung des Verfahrensrechts geht, wäre es daher besser, von „Reform" anstatt von „Modernisierung" zu sprechen.8 Die Verwendung des Begriffs „Modernisierung" ist allerdings insofern gerechtfertigt, als sie auf die Permanenz der Aufgabe hinweist, die Veränderung der Verwaltungsumwelt und von Zielvorgaben in die Verfahrensordnung zu integrieren. 9

in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S.51

(66). 6

Klaus König, Verwaltungsstaat im Übergang, 1999, S. 143, im Anschluß an Wolf gang Zapf Modernisierung und Transformation, in: Schäfers/Zapf (Hrsg.), Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, 1998, S.472 ff. 7 Joachim Jens Hesse/Arthur Benz, Die Modernisierung der Staatsorganisation, 1990, S. 13. 8 Vgl. zum Zusammenhang beider Begriffe auch König (Anm.6) S. 143. 9 Zum Verständnis staatlicher Modernisierung als Prozeß zur Integration von Umbrüchen und Vorgabenänderungen vgl. Helmut Klages, Modernisierung als Prozeß, in: Lüder (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung der Zukunft, 1998, S. 153 ff.

Modernisierung des Verfahrensrechts

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II. Das Verwaltungsverfahren als Prozeduralisierungs- und Kooperationsmodus Die folgenden Bemerkungen sollen deutlich machen, daß sich auf der Grundlage des status quo eine Modernisierung zumindest partiell als Reanimation des Verfahrensrechts darstellt. Das Verwaltungsverfahren ist nicht nur schlichter Entscheidungsfindungsmodus, sondern zuvörderst Formung staatlicher Herrschaftsausübung 10, ist Vermittler zwischen Verfassungsvorgaben und Verwaltungsrealität 11. Das Verfahren schließt die Lücke zwischen abstrakt-genereller Gesetzgebung und konkret-individuellem Gesetzesvollzug.12 Es ist notwendige Schaltstelle für die soziale Realität des materiellen Verwaltungsrechts. Dessen weitestgehende Vollzugsabhängigkeit macht seine reale Wirkungsmächtigkeit von Transformationsakten der Verwaltung abhängig.13 Das Verwaltungsverfahren ist Verwirklichungsmodus des Verwaltungsrechts. 14 Als Handlungsgefüge zwischen Verwaltung und Bürger ist jener Modus als dialogische Beziehung, als Rechtsverhältnis strukturiert. In dieser Struktur kann es erfaßt werden als - um in den Worten Schmidt-Aßmanns zu sprechen - Ordnungsidee kooperativer Gemein Wohlkonkretisierung.15 Diese Ordnungsidee für den Einzelfall operabel zu machen, ist Aufgabe des Verfahrensrechts. Es muß der Struktur des Verwaltungsverfahrens gerecht werden, rechtsstaatliche Bestimmtheit und situationsgerechte Flexibilität vereinen. 16 Die sich aus diesem Modell heraus bietende Chance, die rationalitäts- und rechtssicherheitsstiftende Rolle des Verwaltungsverfahrens klarer herauszuarbeiten, ist vom Gesetzgeber vertan worden. Die Eingriffe in den Bestand des Verwaltungsverfahrensgesetzes durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.199617 stellen sich als konzeptionsloser Mix von Entwertung des „harten" Ver10 Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 1 (8 f.). 11 Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland I, 1987, §24 Rn.75. 12 Schmidt-Aßmann (Anm. 10) S. 12. 13 Rainer Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungs verfahrensrecht?, in: Blümel (Hrsg.) Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 1984, S. 19 (41). 14 Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (153 f.). 15 Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982; ders. y Verwaltungs verfahren, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland III, 1988, §70 Rn.4. 16 Vgl. Hermann Hill, Rechtsstaatliche Bestimmtheit oder situationsgerechte Flexibilität des Verwaltungshandelns, DÖV 1987, S.885 (895). 17 BGBl. IS. 1354 ff. Dazu Heinz Joachim Βonk y Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320 ff.; Nico Fengler, Rechtsprobleme zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, RiA

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fahrensrechts und diffusen „weichen" Kooperationsvorstellungen dar. Durch die Erweiterung des zur Sanktionslosigkeit von Verfahrensfehlern führenden Fehlerfolgenregimes der §§ 45,46 V w V f G ist die sog. dienende Funktion des Verfahrens gegenüber der Einhaltung materiellrechtlicher Standards stark akzentuiert und die deutsche von der Rechtsentwicklung in anderen europäischen Staaten und auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts abgekoppelt worden, die stärker auf eine Prozeduralisierung des Rechts setzt und das Verfahren als Garant einer den zu integrierenden Interessen auch inhaltlich angemessenen Verwaltungsentscheidung sieht. 18 Daneben hat sich der Gesetzgeber bemüht, Bausteine eines Kooperationsmanagements in das Verwaltungs Verfahrensgesetz aufzunehmen. Die dahingehende Marschroute war von der durch die Bundesregierung eingesetzten Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren - der sog. Schlichter-Kommission - , auf deren Vorschläge das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz teilweise zurückgreift, klar abgesteckt worden. Beratung und kooperative Beschleunigung waren wesentliche Elemente des von der Kommission vorgeschlagenen offenen Beschleunigungsmodells. 19 § 7 1 c V w V f G nennt zwar wesentliche Versatzstücke eines solchen Kooperationsmanagements 20 , deren Sinnhaftigkeit aber darunter leidet, daß 1997, S.279ff.; Caspar David Hermanns, Das GenBeschlG und die Fachplanungsgesetze, in: Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung, 1997, S. 144ff.; Henning Jäde, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nach dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, UPR 1996, S. 361 ff.; Karl Pein, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, BB 1996, S. 1399 ff.; Heribert Schmitz/Franz Wessendorf \ Das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1996, S. 955 ff. Umfassend zur Entwicklung der Beschleunigungsgesetzgebung Annette Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 17 ff. 18 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S.9 (12). Zum Gedanken von Richtigkeitsgewähr und Akzeptanz durch Verfahren vgl. nur Max-Emanuel Geis, Mehr Handlungsfreiheit durch Rücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte?, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S.97 (110); Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Verw. 25 (1992), S.21 (23 ff.). Zur Neufassung der §§45, 46 VwVfG vgl. Christian-Dietrich Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens?, DVB1. 1997, S. 534ff.; Wilfried Erbguth, Zur Vereinbarkeit der jüngeren Deregulierungsgesetzgebung im Umweltrecht mit dem Verfassungs- und Europarecht, 1999, S.79 ff.; Athanasios Gromitsaris, Fehlerfolgenregelungen im Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, SächsVBl. 1997, S. 101 ff.; Armin Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, S. 477 ff.; Helge Sodan, Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlem, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 107 ff. 19 Vgl. Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren. Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1994, Rn. 200, 230. 20 Zu §71 c VwVfG als Normierung des Kooperationsmanagements Bonk (Anm. 17) S.326, 328; Bernhard Stüer, Die Beschleunigungsnovellen 1996, DVB1. 1997, S.326 (327).

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dieses Beschleunigungsmodell selbst allenfalls rudimentär verwirklicht worden ist. Hervorzuheben sind die Pflicht der Behörde zur Erteilung von Auskunft über die Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens (§ 71 c Abs. 1 VwVfG) sowie zur Mitteilung über die voraussichtliche Verfahrensdauer (§ 71c Abs. 3 VwVfG). Im sog. Vor-Antragsverfahren erörtert die Behörde mit dem zukünftigen Antragsteller unter anderem, welche Nachweise und Unterlagen zu erbringen sind, welche sachverständigen Prüfungen im Genehmigungsverfahren anerkannt werden können und in welcher Weise die Beteiligung Dritter oder der Öffentlichkeit vorgezogen werden kann, um das Genehmigungsverfahren zu entlasten (§ 71 c Abs. 2 VwVfG). Über diese segmentarischen Ausformungen kooperativer Verfahrensbeschleunigung hinaus enthält das in § 10 S. 2 VwVfG verankerte allgemeine Gebot, das Verwaltungsverfahren zügig durchzuführen, Anforderungen an die Aufbau- und Ablauforganisation. Sie ist so zu gestalten, daß die vorhandenen Ressourcen unter dem Blickwinkel der Beschleunigung der Verwaltungsverfahren so effektiv wie möglich eingesetzt werden.21 Weiterhin sind verfahrensvorgelagerte organisatorische Bemühungen der Behörde gefordert, das für den Einsatz von Projektmanagern, Verfahrensbevollmächtigten und Konfliktmittlern nötige-auch personelle - Know-how vorzuhalten. 22 Als Elemente einer durchgreifenden Strategie der Modernisierung des Verfahrensrechts lassen sich diese Ansätze wohl kaum begreifen. Es handelt sich um punktuelle Eingriffe, die aus normativer Sicht das Verfahrensrecht entwerten, ohne für eine Kompensation durch konzeptionelle Neuorientierung zu sorgen. Ein solches Modernisierungskonzept kann natürlich auch nicht im Rahmen dieses Vortrags vorgelegt werden. Ich muß mich vielmehr auf einige Gedankensplitter zu Tendenzen beschränken, die sich teilweise auch im Programm der Bundesregierung finden und in der künftigen Verfahrensrechtsdiskussion möglicherweise (weiter) eine Rolle spielen werden.

21 Dazu Nicolai Dose, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch verbesserte Organisationsstrukturen der öffentlichen Verwaltung, in: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, 1994, S. 219ff. 22 Ziekow (Anm. 5) S. 68 f. Zum Projektmanagement Martin Bockel, Projektmanagement in Verwaltungsverfahren, DÖV 1995, S. 102ff.; Daniela BraiglUlrich Scharpf\ Die Beschleunigung administrativer Entscheidungsprozesse bei Großvorhaben, in: Fisch/Beck (Hrsg.), Abfallnotstand als Herausforderung für die öffentliche Verwaltung, 1995, S.277 (298 ff.). Zur Konfliktmittlung vgl. Winfried Brohm, Verwaltungsverhandlungen mit Hilfe von Konfliktmittlern?, DVB1. 1990, S. 321 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Konfliktmittler in Verwaltungsverhandlungen, 1989; Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, 1990; ders., Die Einschaltung Dritter in Verwaltungs verfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 279ff.; Helmuth Schulze-Fielitz, Der Konfliktmittler als verwaltungsverfahrensrechtliches Problem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, S.55ff.

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I I I . Verfahrensrechtsmodernisierung als Zielimplementation Zu diesem Zweck ist noch einmal auf den eingangs verwendeten Begriff von Modernisierung zurückkommen. Er beschreibt Verfahrensrechtsmodernisierung als die in Permanenz gestellte Aufgabe, die Veränderung der Verwaltungsumwelt und von Ziel vorgaben in die Verfahrensordnung zu integrieren. Im Kern nimmt eine in dieser Weise verstandene Modernisierung die Bereitstellungsfunktion des Rechts in Bezug. Sie weist auf die Funktion des Verwaltungsrechts hin, ein als legitim empfundenes, rechtsstaatlich geordnetes, sachadäquate Entscheidungen produzierendes, bürgernahes und effektives Verwaltungshandeln23 zu ermöglichen. Das Recht muß die hierfür erforderlichen Rechtsformen, Institute, Verfahren und Organisationstypen bereitstellen. Methodisch ergibt sich daraus die Forderung nach einer aufgabenund funktionenorientierten Betrachtungsweise: Das Verwaltungsrecht und insbesondere das Verwaltungsverfahrensrecht hat danach zu fragen, welche Funktionen und Aufgaben die Verwaltung zu erfüllen hat, und das Erforderliche vorzuhalten, damit sie dafür ausreichend gerüstet ist. 24 Aufgabenbezogene Konzepte und Wandlungen der gesellschaftlichen Realität bestimmen die Rolle und die Inhalte des Verfahrensrechts. 25 Das Verfahrensrecht ist zwar nicht holistisches Steuerungsprogramm administrativer Modernisierungsstrategien. 26 Jedoch ist es als aufgabengerechter Entscheidungsfindungs- und Koordinationsmodus unverzichtbar. Ein solches Verständnis des Verfahrensrechts trifft sich beispielsweise mit dem institutionenökonomischen Ansatz, Institutionen im Hinblick auf die Realisierung von Kooperationsgewinnen zwecks Gestaltung zu erklären. Das Ziel besteht in der Herleitung bzw. Beurteilung von normativen Gestaltungsempfehlungen auf der Grundlage vorgegebener Ziele und den zu berücksichtigenden empirischen Bedingungen. Der Kooperationsgewinn als normative Grundlage liegt in der Zustimmungsfähigkeit der jeweils relevanten Alternativen für alle Betroffenen. Ohne institutionelle Abstimmungen ist eine allgemeine Besserstellung in der Interaktionssi23

Zum magischen Vieleck (Rainer Wahl) der Bewältigungsleistung des Verwaltungsverfahrens Wahl (Anm. 14) S. 157; ders., Neues Verfahrensrecht für Planfeststellung und Anlagengenehmigung - Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrens oder bereichsspezifische Sonderordnung?, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S.83 (117); vgl. auch Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 199ff. 24 Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 65 (96f.). 25 Rainer Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen Informationsordnung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S.219 (223); ders. (Anm. 5) S.44. 26 So zu Recht Rainer Wahl, Die Aufgabenabhängigkeit von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 177 (209).

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tuation nicht möglich. Konkret geht es dabei um die Gewährleistung von hinreichender Verläßlichkeit des Verhaltens jedes Akteurs für alle anderen Akteure hinsichtlich der gemeinsamen Erreichung des Kooperationsgewinns.27 Unter Fruchtbarmachung dieses Herleitungszusammenhangs hat sich die Gestaltung des Verfahrensrechts zunächst an den formulierten Zielen zu orientieren. Dabei handelt es sich im vorliegenden Zusammenhang um regulative Ideen, die zur Primärrealisierung nicht zwangsläufig der Formensprache des Rechts bedürfen. Dem Verwaltungsrecht fällt die Aufgabe zu, einen Zielerreichungsmodus unter den Bedingungen der Rechtsstaatlichkeit zu formulieren. IV. Paradigmenwechsel durch das Neue Steuerungsmodell Im Blickpunkt von Modernisierungsanforderungen an das Verfahrensrecht steht etwa das Neue Steuerungsmodell28. Eines seiner zentralen Elemente ist die Orientierung am Ergebnis von Verwaltungsabläufen, das als Produkt verstanden wird, also der Übergang von einer input- zu einer output-orientierten Betrachtungsweise. Die Definition des Produkts soll sich vor allem am Steuerungsinteresse von Politik und Verwaltungsführung sowie am Kundeninteresse des Bürgers ausrichten.29 Der Bürger wird nicht mehr als Adressat hoheitlicher Befehlsgewalt, sondern als Kunde verstanden, der Dienstleistungsprodukte nachfragt. 30 Die Haushaltserstellung soll sich in Form eines outputorientierten Budgets an den Katalog der Produkte anlehnen. Folge ist die Kongruenz von Sach- und Ressourcenverantwortung: Die Verantwortung für das Budget wird dezentralisiert und dem für die Erreichung des Sachziels Verantwortlichen übertragen. 31 Der Dezentralisierung der Ergebnis- und Ressourcenverantwortung entspricht eine dezentrale Organisationsstruktur mit abgeflachten Hierarchieebenen. Die Koordination der dezentralisierten Einheiten erfolgt 27 Andreas Suchanek, Institutionenökonomik und Verantwortungsteilung, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S.273 (275 ff.). 28 Dazu und zum folgenden KGSt-Bericht, Das Neue Steuerungsmodell, Bericht 5/1993; Hermann Hill, Potentiale und Perspektiven der Verwaltungsmodernisierung, in: Lüder (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung der Zukunft, 1998, S. 129 ff.; Klaus König!Joachim Beck, Modernisierung von Staat und Verwaltung, 1997; Frieder Naschold, Modernisierung des Staates, 2. Aufl. 1994, S.74ff.; Olaf Otting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Beurteilungsspielräume, 1997; Christoph Reichard, Umdenken im Rathaus: neue Steuerungsmodelle in der deutschen Kommunalverwaltung, 1996. 29 Dazu KGSt-Bericht, Produktpläne und Produktbeschreibungen für die Kommunalverwaltung, Bericht 1/1996; Andreas HojfjanlCarsten Junga, Produkte als Kemelemente im Neuen Steuerungsmodell, V M 1996, S.43ff.; Andreas Osner, Ist das Produkt das Maß aller Dinge im Neuen Steuerungsmodell?, Die neue Verwaltung 4/1996, S.22ff. 30 Jörg Bogumil/Leo Kißler, Vom Untertan zum Kunden?, 1995; Helmut Klages, Kundenorientierung in der öffentlichen Verwaltung, in: ders., Verwaltungsmodernisierung: „harte" und „weiche" Aspekte II, 1998, S. 121 ff. Kritisch etwa Eberhard Laux, Vom Verwaltungskunden, DÖV 1996, S. 695 f. 31 Dazu Thomas Clauß, Budgetierung im Neuen Steuerungsmodell, V M 1999, S. 298 ff.

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nicht mehr im Wege einseitig-hierarchischer Anordnung, sondern primär über Zielvereinbarungen. Sie werden zunächst zwischen Politik und Verwaltung über die zukunftsgerichteten Zielvorgaben getroffen, wobei der Verwaltung das „Wie" der Zielverwirklichung überlassen bleibt. Diese Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung sind eingebunden in ein umfassendes Kontraktmanagement als kooperatives Steuerungsinstrument. Es zont die Vereinbarungen bis herunter auf die Ebene des einzelnen Sachbearbeiters, mit dem die zu erbringenden Ergebnisse ebenfalls vereinbart werden. 32 Die Zielevaluation erfolgt durch Installation eines Controllingsystems mit einem zielbezogenen Berichtswesen.33 Den gewandelten Anforderungen an das Personal soll ein umfassendes Personalmanagement Rechnung tragen, das im Wege der Personalentwicklung den Einsatz der Personalressourcen optimiert, einen kooperativen Führungsstil verwirklicht und Strategien der Mitarbeitermotivation entwickelt.34

1. Die Steuerungswirkung

des Verwaltungsrechts

Die verwaltungsrechtliche Reflexion des Neuen Steuerungsmodells hat zu beachten, daß es sich um einen Ansatz handelt, der nicht primär auf die rechtliche Steuerung setzt. Das Recht kann hier nur begleiten, um rechtsstaatliche Anforderungen zu sichern, und als Mittel der Öffnung zur Ermöglichung von Verhaltensänderungen eingesetzt werden. Orientierungspunkt ist das Leitbild einer kooperativen Verantwortungsordnung, die sich auf den Säulen Dezentralisierung, Kooperation, Kommunikation und Transparenz aufbaut. Die Durchführung von Verwaltungsverfahren soll in der Hand einer Organisation liegen, der die Beseitigung der „organisierten 32

Dazu KGSt-Bericht, Kontraktmanagement: Steuerung über Zielvereinbarungen, Bericht 4/1998; Anita Guth, Zielvereinbarungen, V M 1999, S.96ff.; Hermann Hill, Zur Veränderung von Handlungsspielräumen durch kommunales Kontraktmanagement, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 139ff.; Gunnar Robert Schwarting, Die Veränderung von Handlungsspielräumen durch kommunales Kontraktmanagement, in: Ziekow (Hrsg.), a.a.O., S. 131 ff.; Maximilian Wallerath, Kontraktmanagement und Zielvereinbarungen als Instrumente der Verwaltungsmodernisierung, DÖV 1997, S.57ff. 33 Hermann Hill, Strategisches Controlling in der Kommunalverwaltung, Controlling 1996, S. 232 ff.; dersJHelmut Klages, Controlling im Neuen Steuerungsmodell, 1996; Herbert König, Controlling in der öffentlichen Verwaltung, VOP 1994, S. 158 ff.; Klaus Lüder, Verwaltungscontrolling, DÖV 1993, S. 265 ff.; Ralph-Peter Rembor, Controlling in der Kommunalverwaltung, 1997; Thomas R. Wolf, Politisches Controlling im kommunalen Kontraktmanagement, VR 1999, S. 131 ff. 34 Vgl. in diesem Zusammenhang Helmut Klages, Leistungsmotivation durch Anreize?, in: ders., Verwaltungsmodernisierung: „harte" und „weiche" Aspekte, 3. Aufl. 1999, S. 143ff.; ders. y Modernisierung der Personalentwicklung, in: ders., a.a.O., S. 125 ff.; ders./Thomas Gensicke, Anreize als Instrument der Motivierung von Mitarbeitern, Die innovative Verwaltung 5/1997, S. 30ff.; dies., Führungsstil der Verwaltung im Wandel, VOP 8/1996, S. 34 ff.; Helmut Klages/Gabriele Hippler, Mitarbeitermotivation als Modernisierungsperspektive, 1991; Rainer Pitschas, Verwaltungsmodernisierung im Gegenlicht der rechtsstaatlich-demokratischen Amts- und Dienstverfassung, V M 1998, S. 324ff.

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Unverantwortlichkeit" aufgegeben ist 35 . Das Denken in Ressortgrenzen muß einer Organisationsstruktur weichen, die kundenorientierte Problemlösungsstrategien ermöglicht. Sach- und Ressourcenverantwortung müssen zusammengeführt und dezentralisiert werden. Die in der Verantwortung verselbständigten Entscheidungseinheiten werden weitgehend aus der hierarchischen Detailsteuerung herausgenommen und entscheiden autonom über Inhalt und Weg der Zielerreichung. Die Steuerung erfolgt nunmehr über die normative Definition von Zielen und die dialogische Konkretisierung im Wege von Zielvereinbarungen. 36 Ob es auf dieser instrumentellen Ebene wirklich einer rechtlichen Verarbeitung des Kontraktmanagements hinsichtlich der Einordnung, der Verbindlichkeit und des Leistungsstörungsregimes bedarf 37, sollte gründlich eruiert werden, um einengende Überregulierungen zu vermeiden. Andere europäische Staaten, die ihre Verwaltungen nach den Ansätzen des New Public Management restrukturiert haben, interpretieren Kontraktmanagement als organisierte Verhandlungskultur ohne Sanktionsmechanismen. Ziel Vereinbarungen sind in diesem Verständnis Mittel der Kontakt-, nicht der Kontraktsteuerung. 38 Die Vorstellung einer Justitiabilität von Zielvereinbarungen wird deren kooperativem Anliegen nicht gerecht. Innerhalb eines ganzheitlichen Steuerungskreislaufs kann eine Fehlerfolgenregelung nur in einer kooperativen Bilanzierung und Korrektur bestehen.39 Dementsprechend müssen das den Steuerungskreis schließende Controlling und Berichtswesen durch Installierung einer innerorganisatorischen Kommunikationsordnung flankiert werden.

2. Interne Kontrolle: Controlling, Aufsicht, Widerspruchsverfahren Es wäre allerdings ein Mißverständnis zu glauben, daß ein Verwaltungscontrolling rechtlich indifferent bleiben könnte. Auch beim Übergang zu einer zielbezogenen Steuerung fordern rechts- und demokratiestaatliche Erwägungen, der Leitungsebene die Letztverantwortung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns 35 Vgl. Stefan Schweiger, Zielorientierte Steuerung in der Kommunal Verwaltung, in: Neuausrichtung kommunaler Dienstleistungen, 1999, S.70 (73). 36 Hermann Hill, Potentiale und Perspektiven der Verwaltungsmodemisierung, in: Morlok/ Windisch/Miller (Hrsg.), Rechts- und Organisationsprobleme der Verwaltungsmodernisierung, 1997, S. 18 (46). 37 Dazu Olaf Otting, Kontraktmanagement in der Kommunal Verwaltung, VR 1997, S. 361 ff.; Hermann Pünder, Zur Verbindlichkeit der Kontrakte zwischen Politik und Verwaltung im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells, DÖV 1998, S.63ff.; Wallerath (Anm. 32) S.60ff.; Thomas R. Wolf Die Verbindlichkeit im kommunalen Kontraktmanagement, NordÖR 1999, S.3Iff. 38 So für Dänemark und Schweden Werner Jann, Wandel und Kontinuität der Verwaltungskultur in Großbritannien und Skandinavien, Vortrag auf der Sitzung des Gesprächskreises Verwaltungslehre am 6.10.1999 in Heidelberg (erscheint in der Zeitschrift „Die Verwaltung"). 39 Hill (Anm. 32) S. 147.

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und für die Zielerreichung zu belassen. In den tradierten Kategorien wird insoweit von Rechts- und Fachaufsicht gesprochen. Die Funktionen der verwaltungsinternen Kontrolle erlauben es nicht, sie vollständig in kommunikativer Unverbindlichkeit aufgehen zu lassen. Andererseits ist aber Kontrolle nicht auf eine nachziehende Rechts- und Sachkorrektur beschränkt. Sie kann ebenso prozeßbegleitend und -stützend verstanden und durch interne Wahrnehmungsspielräume der Verantwortungsdezentralisierung angepaßt werden.40 Außerhalb dieser Wahrnehmungsspielräume verbleibende Zielerreichungsversuche des einzelnen Amtswalters können nicht außerhalb der Weisungslinie gestellt sein. Im übrigen erfolgt die Kontrolle durch bilanzierendes Zusammenwirken41 und ggf. Anpassung der Ziel Vereinbarungen. Bislang noch kaum beachtet sind die Chancen des Widerspruchsverfahrens im Rahmen einer sich wandelnden Verwaltung. Die Begehrlichkeiten zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens sind bekannt.42 Ein auf Kommunikation und Kooperation aufbauendes Handlungsgefüge der Verwaltung könnte seine Bedeutung neu akzentuieren. Es läge dann in der Konsequenz des Neuen Steuerungsmodells, das Prinzip dezentralisierter Verantwortung gegenüber dem Bürger als Kunden auch in der Organisation des internen Kontroll Verfahrens durchgreifen zu lassen. Die über den Widerspruch entscheidende Einheit müßte ebenfalls außerhalb der Weisungshierarchie gestellt und durch Zielvereinbarungen in das Kontraktmanagement eingebunden werden. Hierbei könnte auf vorhandene Modelle zurückgegriffen werden. Beispiele sind die Vergabekammern zur Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge (§ 104 GWB), die ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung ausüben (§ 105 Abs. 1 GWB) sowie auf Grund einer mündlichen Verhandlung entscheiden (§112 GWB). Noch sachnäher sind die in Rheinland-Pfalz und im Saarland zur Entscheidung über Widersprüche berufenen Kreisund Stadtrechtsausschüsse. In Rheinland-Pfalz sind sie zwar Ausschüsse des betreffenden Landkreises bzw. der betreffenden Stadt, ohne jedoch den Weisungen der Organe dieser Gebietskörperschaften unterworfen zu sein (§ 7 Abs. 1 AGVwGO RP). Gleichwohl entscheidet der Rechtsausschuß außer bei Widersprüchen gegen Verwaltungsakte in Selbstverwaltungsangelegenheiten bestimmter juristischer Personen des öffentlichen Rechts (§ 6 Abs. 2 AGVwGO RP) nicht nur über die Rechtmäßigkeit, sondern auch über die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts. Kommunikation und Transparenz gegenüber dem Bürger als Kunden werden durch eine öffentliche mündliche Verhandlung (§ 16 Abs. 1 AGVwGO RP) sichergestellt. Es erscheint unschwer möglich, auch die Rechtsausschüsse in das Controlling- und Berichtswesen einzubeziehen. 40 Rainer Pitschas, Struktur- und Funktionswandel der Aufsicht im Neuen Verwaltungsmanagement, DÖV 1998, S.907 (908 ff.). 41 Vgl .Hill (Anm.32) S. 147. 42 Zu Recht dagegen zuletzt Heribert Schmitz/Susanne Olbertz, Das Zweite Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften - Eine Zwischenbilanz?, NVwZ 1999, S. 126 (131 f.).

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3. Übergang von der Konditional- zur Konzeptsteuerung Mit diesen Bemerkungen zum Widerspruchsverfahren ist bereits der Perspektivenwandel nach außen angedeutet. Durch die Dezentralisierung werden für den Bürger als Kunden die Verantwortlichkeiten transparent. Es werden Spielräume für ein auf Kommunikation aufbauendes konsensorientiertes Verwaltungshandeln eröffnet, das dem traditionellen öffentlich-rechtlichen Denken in Kategorien der Subordination nicht mehr in vollem Umfang entspricht. Das Allgemeine Verwaltungsrecht muß sich um die Aufweichung starrer Grenzziehungen im Hinblick auf das Normenregime und die Handlungsformenlehre bemühen. Das Neue Steuerungsmodell als ganzheitliches Konzept fordert auch dem Verfahrensrecht einen Paradigmenwechsel ab.43 Der Steuerung durch Zielvereinbarungen entspräche auf normativer Ebene ein Übergang von der Konditional- zur Konzeptsteuerung.44 Die gesetzgeberische Formulierung von Zielen wird im Wege von Zielvereinbarungen konkretisiert. Der Wechsel von der legislativen Handlungsprogrammierung zu einem von der Verwaltung auszufüllenden offenen Konkretisierungsrahmen führt zur Offenheit der Lösungsmodi im Einzelfall. Gegenüber der Wahl einer Handlungsform tritt die situationsgerechte und dialogisch angelegte Erreichung des gesteckten Ziels in den Vordergrund. Für die Rolle des konditional programmierten Verwaltungsakts hat dies gravierende Auswirkungen. Ganzheitliche Modelle, wie sie bisher schon in der planerischen Abwägung45 bekannt und im Konzept einer integrierten Vorhabengenehmigung46 fortgedacht waren, werden komplexe Zielintegrationen fordern, die von der 43 Dazu Rainer Pitschas, Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsrecht im „schlanken Staat", V M 1996, S.4ff., 83ff., 163ff. 44 Vgl. zur Typologie Reiner Schmidt, Flexibilität und Innovationsoffenheit im Bereich der Verwaltungsmaßstäbe, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S.67ff. 45 Zur planerischen Abwägung Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, 1995; Christian Heinze, Das planungsrechtliche Abwägungsgebot, NVwZ 1986, S.87ff.; Werner Hoppe, Das Abwägungsgebot in der Novellierung des BauGB, DVB1. 1994, S. 1033 ff.; Martin Ibler, Die behördlichen Abwägungsspielräume bei Bauleitplanung und Planfeststellung, JuS 1990, S.7 ff.; Jan-Dirk Just, Ermittlung und Einstellung von Belangen bei der planerischen Abwägung, 1996; Ulf Sieg, Abwägung bei der straßenrechtlichen Planfeststellung, ZUR 1994, S.84ff.; Bernhard Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 1998, Rn. 703 ff. 46 Zur integrierten Vorhabengenehmigung Jürgen Fluck, Das Konzept der Vorhabengenehmigung, ZAU 1998, S.23ff.; ders., Die Vorhabengenehmigung im Kommissionsentwurf eines Umweltgesetzbuchs aus Untemehmenssicht, NVwZ 1998, S. 1016ff.; Klaus Hansmann, Das Konzept der Vorhabengenehmigung, ZAU 1998, S. 14 ff.; Heinz-Joachim Peters, Die Vorhabengenehmigung nach dem künftigen Umweltgesetzbuch, ZUR 1998, S.295 ff.; Christina Preschel, Zur Umsetzung des Konzepts des integrierten Umweltschutzes in deutsches Recht, NJ 1999, S. 404ff.; Horst Sendler, Umweltgesetzbuch I mit dem Konzept der Vorhabengenehmigung, ZAU 1998, S.9ff.; Uwe Volkmann, Umweltrechtliches Integrationsprinzip und Vorhabengenehmigung, VerwArch 89 (1998), S. 363 ff.

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Verwaltung zu leisten sind. Entsprechend der kooperativ offenen Struktur der von der Verwaltung in Zusammenarbeit mit dem Bürger zu erbringenden Konkretisierungsleistung wird die umfassende Sachverhalts Verantwortung der Verwaltung zurücktreten. M i t der Abkehr von einer autoritativen Sachverhaltsfeststellung, die in immer mehr Bereichen wegen der Notwendigkeit eines Handelns unter Ungewißheitsbedingungen ohnehin an faktische Grenzen stößt 47 , nähert sich der Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung immer mehr dem aus dem Umwelt- und dem öffentlichen Wirtschaftsrecht bekannten Gedanken eines Dauerschuldverhältnisses an 4 8 . Das Verfahren muß zukunftsoffen für Wandlungen der Verhältnisse und neue Lösungen sein. Die mit der Handlungsform des Verwaltungsakts auf das engste verknüpfte Bestandskraftlehre steht damit auf dem Prüfstand. 49

4. Parallele

Implementationsherausforderungen durch Globalisierung

Die schon seit längerem zu beobachtende Abkehr von „harten" Handlungsformen zu informalen „weichen" Verhaltensweisen 50 wird sich weiter fortsetzen, wenn nicht gar verstärken. Die Verwaltung wird mehr und mehr informierend, beratend und 47 Vgl. in diesem Zusammenhang Udo Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994; ders., Entscheidungsprobleme der Risikoverwaltung, NuR 1991, S. 353 ff.; Karl-Heinz Ladeur, Risikowissen und Risikoentscheidung, KritV 1991, S. 241 ff. 48 Zum Gedanken des Dauerschuldverhältnisses im Umweltrecht Jürgen Fluck, Praktische Aspekte des Verwaltungsverfahrens aus der Sicht eines Großunternehmens, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, S. 181 ( 189); für das öffentliche Wirtschaftsrecht Jan Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000. 49 Zur Reversibilität von Verwaltungsentscheidungen vgl. Udo Di Fabio , Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im künftigen Umweltrecht, in: Blümel/Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Wandel der Staatsfunktionen, 1997, S. 199 (208 f.); Arndt Schmehl, Genehmigungen unter Änderungsvorbehalt zwischen Stabilität und Flexibilität, 1998. Zur Bedeutung der Bestandskraftlehre für die Figur des Verwaltungsakts vgl. u. a. Friedrich Schoch, Der Verwaltungsakt zwischen Stabilität und Flexibilität, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 199ff. 50 Vgl. Hartmut Bauer, Informales Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff.; Eberhard Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981; Winfried Brohm, Rechtsstaatliche Vorgaben für informelles Verwaltungshandeln, DVB1. 1994, S. 133 ff.; Manfred Bulling, Kooperatives Verwaltungshandeln (Vorverhandlungen, Arrangements, Agreements und Verträge) in der Verwaltungspraxis, DÖV 1989, S. 277 ff.; Hans-Günter Henneke, Informelles Verwaltungshandeln im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, NuR 1991, S. 267 ff.; Hanspeter Pfenninger, Rechtliche Aspekte des informellen Verwaltungshandelns, 1996; Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995; Helmuth Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1994; Stephan Tomerius, Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, 1995.

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mediativ agieren. An dieser Stelle berühren sich die aus der Modernisierung der Verwaltung herrührenden Trends mit den von Internationalisierung und Globalisierung gesetzten Herausforderungen. Bei dem Operieren mit dem Begriff der Globalisierung, der nicht zu Unrecht als „Modewort" bezeichnet wird 51 , ist allerdings Vorsicht geboten. Einigkeit besteht im wesentlichen nur darüber, daß das, was mit diesem „Modewort" gemeint ist, „die Karten politischer und wirtschaftlicher Strukturen" neu mischt52. Zu beachten ist vor allem, daß „Globalisierung" nicht auf die ökonomische Perspektive verengt werden kann, sondern einen multidimensionalen Entgrenzungsprozeß bezeichnet. Er erfaßt alle Relations- und Transaktionsebenen, also Wirtschaft, Politik, Kultur, Sozialwesen, Sicherheit, Umweltgestaltung etc. in ihrem Raum-, Zeit-, Organisations- und Hierarchiekontext. 53 In dieser Transformation bilden sich transkontinentale oder interregionale Netzwerke, die neben weiteren Akteuren weltweit operieren. 54 Die englischsprachigen Sozialwissenschaften sprechen insoweit von einem „polyarchic mixed actor system".55 Für den Nationalstaat hat diese Verbindung von Entgrenzung und internationaler Vernetzung einen Funktionswandel zur Folge, über dessen Reichweite sich trefflich streiten läßt. Als weitestgehend gesichert kann mittlerweile angenommen werden, daß die autonome Regulierungsfähigkeit des Staates zwar abnimmt, jedoch nicht in allen Sektoren. Insoweit bedarf es einer genauen Politikfeldanalyse. 56 Die Regeln des Spiels „Internationale Politik" haben sich geändert. Mitspieler sind nicht mehr nur Staaten, sondern eine Vielzahl von Formationen und Organisationen. Sie alle agieren weiträumig verflochten in der internationalen Politik und bilden ein Interdependenzsystem.57 Die staatliche Politik wird zur Entwicklung von Strategien eines Interdependenz-Managements gezwungen. Die überkommenen Handlungsmuster greifen nur noch bedingt. Die sich daraus für die Politik ergebenden Herausforde51 So Thomas Straubhaar, Unternehmen und Staaten: Internationaler LeistungsWettbewerb der immobilen um die mobilen Faktoren - Neue Maßstäbe für innerstaatliche Strukturveränderungen?, in: Hilterhaus/Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-Finanzverfassung-Globalisierung, 1998, S. 37 (38). 52 Straubhaar (Anm. 51 ) S. 38. 53 Vgl. Harald Germann/Silke Raab/Martin Setzer, Messung der Globalisierung: ein Paradoxon, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 1 (4 f.); David Held!Anthony McGrew! David Goldblatt/Jonathan Perraton, Global Transformations, 1999, S. 15 f.; Jonathan Perraton!David Goldblatt/David Held!Anthony McGrew, Die Globalisierung in der Wirtschaft, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 134 (136f.). 54 GermannIRaablSetzer (Anm. 53) S.5. 55 Held! McGrew/Goldblattì Perraton (Anm. 53) S.50. 56 Vgl. als Beispiele Fritz W. Scharpf, Globalisierung als Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Politik, JNPÖ 17 (1998), S.41 ff.; Martin Weckwerth, Die Handlungsfähigkeit des Staates vor dem Hintergrund der Internationalisierung von Unternehmen, 1998, S.98ff; Christian von Weizsäcker, Logik der Globalisierung, 1999. 57 Dazu HeidtMcGrewIGoldblattlPerraton (Anm. 53) S.49ff.; Beate Kohler-Koch/ Michèle Knodt, Konzepte der politischen Steuerung in einer globalisierten Welt, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 235 ff.

6 Gedächtnisschrift Ule

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rungen sind unter dem Stichwort „governing without government" formuliert worden. 58 Sie bestehen in erster Linie darin, nationale Politik in internationale Verhandlungssysteme einzubringen und sie so zu internationalisieren. 59 Nur am Rande sei vermerkt, daß sich auch hieraus Anforderungen für eine Weiterentwicklung des Verfahrensrechts ergeben können. Sowohl unterhalb als auch neben der institutionalisierten Ebene intergouvernementaler Organisationen besteht die Ebene kooperativer Kommunikationsnetzwerke, die informal und hochaktiv Arbeitsebenen verflechten. 60 Ihre Bedeutung für das Handeln der nationalen Verwaltungen wird an Bedeutung weiter zunehmen. Entsprechende Implementationsherausforderungen kommen auf das Verwaltungsrecht zu. Dies stellt zum einen methodische Anforderungen: Die Rechtsvergleichung wird auch im Allgemeinen Verwaltungsrecht stärkere Aufmerksamkeit beanspruchen. 61 Zum anderen muß das Verwaltungsrecht der Verwaltung die Netzwerkskooperation offenhalten. Der Verwaltung ist eine Kommunikationsordnung zur Verfügung zu stellen, die ihr eine rechtlich verfaßte Partizipation an grenzüberschreitenden Informationsflüssen ermöglicht. Der organisations- und handlungsbezogene Rahmen muß so flexibel gestaltet werden, daß ein effektives Agieren in Verhandlungssystemen mit Projektbezug erfolgen kann. 6 2

58

Exemplarisch Wolfgang H. Reinicke, Global Public Policy. Governing without Government?, 1998. 59 Dazu und zu den Problemen Guy Kirsch!Gerhard Lohmann, Globalisierung: Chaos oder legitime Anarchie?, in: Steger (Hrsg.), Facetten der Globalisierung, 1999, S. 257ff.; KohlerKochlKnodt (Anm. 57) S. 235 ff.; Beate Kohler-Koch, Die Welt regieren ohne Weltregierung, in: Böhret/Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und Regionalisierung, 1993, S. 109 ff.; dies.IC omelia Ulbert, Internationalisierung, Globalisierung und Entstaatlichung, in: Hasse (Hrsg.), Nationalstaat im Spagat: Zwischen SupraStaatlichkeit und Subsidiarität, 1997, S. 53 ff.; Fritz W. Scharpf', Legitimationsprobleme der Globalisierung, in: Böhret/Wewer, a.a.O., S. 165ff.; ders., Demokratie in der transnationalen Politik, in: Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998, S. 228 ff. 60 HeldIMcGrewIGoldblattIPerraton (Anm. 53) S. 53; Klaus König, International, Transnationalität, Supranationalität - Auswirkungen auf die Regierung, in: Hartwich/Wewer (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik V, 1993, S.235 (236). 61 Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung Wolfgang Hoffmann-Riem, Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S.9 (17 f.); IrenaLipowicz, Rechts vergleichende Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, 1999, S. 155 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. FS für Peter Lerche zum 65. Geb., 1993, S. 513 (517 ff.); Karl-Peter Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, DÖV 1999, S. 1017 ff.; Christian Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, JZ 1997, S. 1021 ff. 62 Vgl. Klaus König, Organisation und Prozeß: Zur Internationalisierung des Regierens, in: Böhret/Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert - zwischen Globalisierung und Regionalisierung, 1993, S. 143 (157).

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Für das Verwaltungshandeln bedeutet Globalisierung den Übergang zu einer „entstaatlichten" Markt-Wirtschaft 63 und damit einen Verlust administrativer Regulierungsfähigkeit. Imperative Steuerungsmodi treten zurück, ohne daß der Staat seiner Gemeinwohlverpflichtung enthoben wäre. Eine der künftigen Kernfunktionen der Verwaltung wird mehr und mehr die Beobachtung und Begleitung ökonomischer und sozialer Abläufe, gleichsam eine „Lotsenfunktion" sein. Das Modell einer „bargaining economy" wird an Boden gewinnen: Politische wie administrative Ordnungsinstanzen werden ein Kooperationsmanagement bereitzustellen haben, das die Wirtschaftsakteure einbindet64. Kooperative Handlungsmuster vermögen einerseits die Prozeßbegleitung durch die Verwaltung informationell abzusichern und andererseits Gemeinwohlparameter in ökonomische Entscheidungsprozesse zu implantieren. Auch hier geht die Tendenz also zur „weichen" Steuerung.

5. Folgewirkungen fìir das Verständnis verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Denkt man den für das Verfahrensrecht angedeuteten Paradigmenwechsel aus der Sicht des Rechtsschutzes fort, so stellt sich das Problem der Überprüfbarkeit der offenen Zielkonkretisierung. Die Einhaltung der innerorganisatorischen Zielvereinbarungen ist durch den Bürger nicht erzwingbar. Die administrative Konkretisierung konzeptueller normativer Vorgaben wird sich von den Gerichten nur auf die Einhaltung des Konzeptrahmens kontrollieren lassen. Soweit die Konzeptsteuerung auf die Einräumung subjektiver öffentlicher Rechte verzichtet und nur objektiv zu verwirklichende Ziele formuliert, stellt sich allerdings das Problem der fehlenden Klagebefugnis, sofern nicht grundrechtliche Positionen in Rede stehen. Konsequenterweise müßte sich deshalb auch für den Verwaltungsprozeß ein Paradigmenwechsel andeuten. Er könnte in der Kompensation erweiterter Handlungsspielräume der Verwaltung durch die Erweiterung der Elemente objektiver Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichte bestehen. Zu denken ist etwa an eine Zielerreichungsklage, die das „Ob" des Konkretisierungserfolgs justitiabel macht und hinsichtlich des „Wie" die Verwaltung zu einer Überprüfung unter gerichtlicher Mediation veranlaßt.65 Zentrale Bedeutung kommt dabei der Beachtung des dialogischen und auf Kommunikation angelegten Verfahrensrechts durch die Verwaltung zu. 66 Die durch verfahrens63 Rupert Scholz, Steuerungsprobleme heutiger Staatlichkeit, in: Hilterhaus/Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat-Finanzverfassung-Globalisierung, 1998, S. 14 (16). 64 Hans-Hermann Hartwich, Die Europäisierung des deutschen Wirtschaftssystems, 1998, S.324. 65 Vgl. zum Gedanken der Mediation durch gerichtliche Verhandlung Karsten-Michael Ortloff, Rechtspsychologie und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Das Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung, NVwZ 1995, S.28 (29). 66 Zur Bedeutung von Beteiligungspositionen bei einer Erweiterung von administrativen Handlungsspielräumen vgl. Michael Gerhardt, Überlegungen zur rechtlichen Struktur von

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rechtliche Rahmensetzung sicherzustellende, integrierende und konfliktlösende, rechtsschöpfende Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zur akzeptanzfähigen Optimierung der Entscheidung innerhalb des rechtlichen Gestaltungsspielraums67 muß einforderbar sein.

V. „Verantwortungsteilung" als Motor der Modernisierung des Verfahrensrechts Ein weiteres Leitmotiv der Modernisierungsdiskussion ist durch die Begriffe „Deregulierung", „Privatisierung" und „Selbststeuerung" umrissen. Sie sind verbunden durch den Gedanken einer substantiellen Kritik staatlicher Aufgaben. 68 Das Ergebnis dieser Kritik führt zur Neustrukturierung von Verantwortung. Staat und Gesellschaft bilden eine Verantwortungsgemeinschaft 69, die Raum für ein breites Kooperationsspektrum von Verantwortungsdifferenzierungen läßt70. Der Begriff der „Verantwortungsteilung" ist dabei, sich als Schlüsselbegriff des Verwaltungsrechts zu etablieren. Er nimmt Wandlungen des Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor auf, welche Staat und Private als gemeinsam zur Verwirklichung von Gemeinwohlzielen beitragende Akteure begreifen und in Dienst nehmen.71 Hierbei geht es nicht allein um eine Entlastung des Staates auf der Handlungsebene, sondern weitergehend um die Aktivierung gesellschaftlicher Problemlösungs- und Handlungspotentiale.72 Allerdings muß Klarheit darüber bestehen, daß „Verantwortungsteilung" nur eine zusammenfassende Abbreviatur für verschiedene Phänomene dieHandlungsspielräumen, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S.57

(61). 67

So treffend Thomas Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, VVDStRL 58 (1999), S. 139 (166f.). 68 Vgl. Sachverständigenrat „Schlanker Staat", Abschlußbericht, 1997, S. 15f., 59ff.; zur Bedeutung der Aufgabenkritik vgl. etwa Hans Peter Bull, Wiedergewinnung von Handlungsspielräumen durch Aufgabenkritik?, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 33 ff. 69 Zum Begriff der Verantwortungsgemeinschaft Rainer Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 237ff., 275 ff., 286; ders. (Anm. 5) S.32. 70 Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 11 (43 f.). 71 S. Hans-Heinrich Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVB1. 1996, S.950 (955 f.); ders., Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff eines sich verändernden Verhältnisses von öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 13 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Jenseits von Privatisierung und „schlankem Staat": Vorüberlegungen zu einem Konzept von Staatsentlastung durch Verantwortungsteilung, in: Gusy (Hrsg.), Privatisierung von Staatsaufgaben, 1998, S.72 ff.; Andreas Voßkuhle, Gesetzgeberische Regelungsstrategien der Verantwortungsteilung zwischen öffentlichem und privatem Sektor, in: Schuppert (Hrsg.), a.a.O., S.47ff. 72 Voßkuhle (Anm. 71) S. 86.

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ser Mobilisierungsstrategie ist.73 Folgerungen für Adaptionsnotwendigkeiten des Verwaltungs- und insbesondere des Verfahrensrechts lassen sich nur in einer bereichsspezifischen Betrachtung ziehen.

1. Privatisierung:

Typologie und Verantwortung

des Staates

Privatisierung als sektorale Reaktion innerhalb einer umfassenden Aufgabenkritik setzt auf einen Vorrang der privaten vor der öffentlichen Aufgabenerledigung: Der Staat müsse von allen Aufgaben entlastet werden, die er nicht bestmöglich erfüllen kann - so die Forderung des „Sachverständigenrates ,Schlanker Staat 4 ". 74 Für das Verwaltungsrecht stellt sich vor allem die Herausforderung einer praktikablen Privatisierungstypen- und Privatisierungsfolgenlehre. Weite Vorarbeiten sind hier bereits geleistet. Soweit es nicht um die Privatisierung von Vermögen, sondern um die von Aufgaben geht, wird zwischen formeller, materieller und funktionaler Privatisierung unterschieden.75 Bei der formellen Privatisierung verbleibt die Aufgabenverantwortung in vollem Umfang bei dem Verwaltungsträger. Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt durch eine verselbständigte juristische Person des Privatrechts, die sich jedoch vollständig in der Hand des Verwaltungsträgers befindet. Demgegenüber ist die materielle Privatisierung dadurch gekennzeichnet, daß nicht nur die Aufgabenwahrnehmung, sondern auch die Aufgabenverantwortung auf ein Privatrechtssubjekt übertragen wird, das von dem Verwaltungsträger unabhängig ist. Die Kategorie der funktionalen Privatisierung umfaßt eine Vielzahl von Formen der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Privaten. Ihr verbindendes Merkmal besteht im Verbleiben der Aufgabenverantwortung bei dem Verwaltungsträger, während in die Aufgabenwahrnehmung zumindest partiell ein von der öffentlichen Hand unabhängiger Privater eingeschaltet wird. 76 Wichtige Beispiele sind die Finanzierungsprivatisierung 77, gemischtwirtschaftliche Formen und verschiedenste Gestaltungen einer Public Private Partnership. 73

Vgl. Trute, Verantwortungsteilung (Anm. 71), S. 14. Sachverständigenrat (Anm. 68) S.59ff. 75 Zu dieser Typenbildung Alfons Gern, Privatisierung in der Kommunalverwaltung, 1997, S. 8 ff.; Johannes Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165 (170); Friedrich Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVB1. 1994, S. 962; Jan Ziekow, Rechtliche Rahmenbedingungen der Privatisierung kommunaler Dienstleistungen, in: Neuausrichtung kommunaler Dienstleistungen, 1999, S. 132 (137 ff.). 76 Lerke Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S.204 (223). 77 Zu den einzelnen Formen Jan-Holger Arndt, Die Privatfinanzierung von Bundesfernstraßen, 1998; Annegret Bucher, Privatisierung von Bundesfernstraßen, 1996; Klaus Grupp, Rechtsprobleme der Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten, DVB1. 1994, S. 140 ff.; Hannes Rehm, Modelle zur Finanzierung kommunaler Investitionen durch Private, in: Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S.93 ff.; Tilmann Schweisfurth, Privatwirtschaftliche Formen kommunaler Investitionsfinanzierung, 1991. 74

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Für die aus diesen Privatisierungstypen folgenden unterschiedlichen Probleme ergeben sich Re-Regulierungsanforderungen für das Verwaltungsrecht. Der Rückzug des Staates aus der alleinigen Erfüllungsverantwortung bedarf jedenfalls der Vorhaltung eines steuerungsfähigen Instrumentariums, um die Erreichung der Gemeinwohlziele durch die privaten Akteure zu sichern. Zu nennen sind die Überwachung der Regel- und Marktkonformität der Prozesse sowie die Intervention bei Gefährdung des angestrebten Ziels.78 Patentrezepte und Königswege gibt es insoweit allerdings nicht. Zu verschieden sind die Konstellationen der Verantwortungsverschiebung, das anzustrebende Niveau der Regulierungsfähigkeit der öffentlichen Hand sowie die zu berücksichtigenden Interessen Betroffener und Dritter. Es kann daher jeweils nur darum gehen, ein aufgabenabhängiges staatliches Verantwortungsniveau zu definieren, dessen Erreichung im Wege einer Gesamtbilanz aller verantwortungsverteilenden Elemente festzustellen ist. 79 Entsprechend differenziert stellen sich die Möglichkeiten zur Implementation in das Verfahrensrecht dar.

2. Privatisierungsfolgenaufsicht Auch hier bedarf es einer Neujustierung staatlicher Aufsicht. Eine veränderte Balance zwischen dem Staat und Privaten bei der Erreichung von Gemeinwohlzielen erweitert die gleichsam klassischen Funktionen der Aufsicht, nämlich Schutz- und Kontrollfunktion 80, auf die Gewährleistung der Einhaltung definierter Standards und die Kontrolle von Selbstkontrolle. 81 Der Verantwortungsteilung durch Privatisierung korrespondiert eine Rücknahme hoheitlicher Regulierung und ein Übergang zu selbststeuernden Modi. Die Definition von einzuhaltenden Gemeinwohlstandards läßt sich durchaus mit der normativen Zielvorgabe als Ausgangspunkt des Kontraktmanagements im Neuen Steuerungsmodell (ο. IV 1) vergleichen. Eine Privatisierungsfolgenaufsicht könnte sich an Controlling-Vorstellungen orientieren und das in der Staatsaufsicht von jeher angelegte Element der Beratung 82 zu einem dialogischen und mediativen Modell der konsensualen Standardsicherung ausbauen. Dem Verfahrensrecht fiele dann die Aufgabe zu, ein entsprechendes allgemeines Auf78 Dazu Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S.243 (253 ff.); Wolfgang Hoffmann-Riem, Telekommunikationsrecht als europäisiertes Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 191 (193 ff.); Heinz-Joachim Pabst!Rolf Schwartmann, Privatisierte Staatsverwaltung und staatliche Aufsicht, DÖV 1998, S. 315 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Vom produzierenden zum gewährleistenden Staat, in: König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1997, S. 539 ff. 79 Vgl. Voßkuhle (Anm. 71) S.84. 80 Helmut Lecheler, Verwaltungslehre, 1988, S. 247 ff. 81 Gunnar Folke Schuppert, Zur notwendigen Neubestimmung der Staatsaufsicht im verantwortungsteilenden Verwaltungsstaat, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S.299 (312 ff.). 82 Werner Thieme, Einführung in die Verwaltungslehre, 1995, S.88.

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sichtskonzept, das einer bereichsspezifischen Aufladung bedarf, zur Verfügung zu stellen. Eine zentrale Rolle in einem solchen Konzept spielt die Entwicklung kontrollfähiger selbstregulativer Mechanismen. Der Abbau regulativer Steuerung eröffnet Räume gesellschaftlicher Selbstregulierung. Unter Selbstregulierung ist dabei nicht etwa der resignative Rückzug des Staates, die Freigabe einer Aufgabe für das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte, zu verstehen. Selbstregulierung meint nicht den Steuerungsverzicht, sondern die bewußte Instrumentalisierung gesellschaftlicher Freiwilligkeit zur Erfüllung von Gemeinwohlzwecken.83 Der Staat nutzt das Kooperationsverhältnis zur Realisierung öffentlicher Interessen, der Private zur Verfolgung eigennütziger Ziele. 84 Ein Beispiel ist der Abbau behördlicher Zulassungserfordernisse, wie dies in Deutschland besonders im Baurecht geschehen ist 85 . Sie werden ersetzt durch das Eigeninteresse des Privaten an der Einhaltung bestimmter Standards, flankiert durch das zivilrechtliche Haftungsregime. 86 Eigenüberwachung findet sich aber nicht nur als Eröffnungskontrolle, sondern ebenso in der repressiven Überwachung, beispielsweise durch Betriebsbeauftragte. 87 Das aus dem Umweltrecht bekannte Auditierungsverfahren wird als verallgemeinerungsfähiges Instrument zur Entlastung von Unternehmen in Genehmigungs- und Überwachungsverfahren angesehen.88 Kompensations- und Zertifikatsmodelle wollen Marktmecha83 Udo Di Fabio , Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S.235 (238); Matthias Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1997), S. 160 (165); Trute, Verwaltungsrecht (Anm.71), S.955. 84 Schmidt-Preuß (Anm. 83) S. 166. 85 Vgl. Thomas Gnatzy, Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder, 1999; Gerd Lautner, Bauaufsichtsrecht und Deregulierung, VR 1999, S. 37 ff.; Karsten-Michael Ortloff, Abschied von der Baugenehmigung - Beginn beschleunigten Bauens?, NVwZ 1995, S. 112ff.; Christina Preschel, Abbau der präventiven bauaufsichtlichen Prüfung und Rechtsschutz, DÖV 1998, S.45ff.; Bernd H. Schulte, Schlanker Staat: Privatisierung der Bauaufsicht durch Indienstnahme von Bauingenieuren und Architekten als staatlich anerkannte Sachverständige, BauR 1998, S. 249ff. 86 Vgl. zum Haftungsrecht als Steuerungsinstrument Petra Becker, Umwelthaftungsrecht als Instrument der europäischen Umweltpolitik, 1999; Gebhard Kirchgässner, Haftungsrecht und Schadensersatzansprüche als umweltpolitische Instrumente, ZfU 1992, S. 15 ff.; Jürgen Klass, Zum Stand der Umwelthaftung in Deutschland, UPR 1997, S. 134 (136f.); Gerhard Wagner, Die Aufgaben des Haftungsrechts, JZ 1991, S. 175 (176ff.). 87 Dazu Gudrun Dirks, Die Umweltschutzbeauftragten im Betrieb, DB 1996, S. 1021 ff.; Frank Fischer, Der Betriebsbeauftragte im Umweltschutzrecht, 1996; Wolf gang Föste, Umweltschutzbeauftragte und präventiver Umweltschutz in der Industrie, 1994; Siegfried Kalmbach/Jürgen Schmölling, Der Immissionsschutzbeauftragte, 1994; Georg Kaster, Die Rechtsstellung des Betriebsbeauftragten für Umweltschutz, GewArch 1998, S. 129 ff.; Michael Kotulla, Umweltschutzbeauftragte, 1995. 88 Vgl. Heribert Schmitz, Fortentwicklung des Verwaltungs Verfahrensrechts im Schlanken Staat, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 171 (188 f.). Zum Umweltaudit Nicolas Glatfeld, Das Umweltaudit im Kontext der europäischen und nationalen Umweltgesetzgebung, 1998; Wolf gang Köck, Das Pflichten- und

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nismen zu einer Vorteil/Nachteil-Saldierung nutzen.89 Für das Verfahrensrecht ergibt sich die Aufgabe, solche Formen von Selbstregulation in die Verfahrensordnung zu integrieren. Die Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft darf allenfalls übergangsweise in einer konturenlosen Grauzone verbleiben. Wird Selbstregulierung grundsätzlich als Modell akzeptiert, so bedarf es der Entwicklung allgemeiner Verantwortungsregeln, die die Bereiche des Öffentlichen und des Privaten neu justieren. 90 In Abhängigkeit von dem zu wahrenden Verantwortungsniveau des Staates bedarf ein auf Begleitung und Beratung setzendes Aufsichtsmodell der bereichsspezifischen Ausformung. Typisieren läßt sich eine Stufung der Kontrolle gegenüber dem Privaten. Sie reicht von Berichts- und Erörterungsvorgaben über Auditierungs-, Zertifizierungs- und andere Selbstkontrollmechanismen, die Überprüfung der Einhaltung der Standards solcher Mechanismen, Verpflichtungen zur Absicherung des Zielerreichungsrisikos durch Versicherungen oder Bürgschaften bis hin zur Vorhaltung von „Feuerwehrstrukturen" für die Situation des Ausfalls des Privaten seitens der öffentlichen Hand sowie dem Einsatz imperativer Handlungsoptionen als ultima ratio. 3. Konsequenzen für das Verfahrensrecht Ebenso wie für das Kontraktmanagement als Konkretisierungsmodus muß für einen an Selbstregulation anknüpfenden Ansatz der Verantwortungsteilung der Wechsel von der handlungsprogrammierten Konditional- zur offenen Konzeptsteuerung naheliegen. Der Gedanke kooperativer Rechtskonkretisierung greift auch hier. Insbesondere für Zusammenarbeiten zwischen öffentlicher Hand und Privaten in Public Private Partnerships ist das öffentliche Vertragsrecht weiterzuentwickeln. Dies betrifft zum einen die Entwicklung sektorspezifischer Vertragstypisierungen, die eine annähernde Standardisierung des Kooperationsrechts zulasKontrollsystem des Öko-Audit-Konzepts nach der Öko-Audit-Verordnung und dem Umweltauditgesetz, VerwArch 87 (1996), S. 644ff.; Gertrude Lübbe-Wolff, Das Umweltauditgesetz, NuR 1996, S. 217 ff.; Ulrich Nissen, Die EG-Öko-Audit-Verordnung, 1999; JensPeter Schneider, Öko-Audit als Scharnier in einer ganzheitlichen Regulierungsstrategie, Verw. 28 (1995), S. 361 ff.; Siegfried Waskow, Betriebliches Umweltmanagement, 2. Aufl. 1997. 89 Dazu Michael Bothe, Rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von handelbaren Emissionszertifikaten am Beispiel von S0 2 , NVwZ 1995, S. 937 ff.; Christoph Enders, Kompensationsregelungen im Immissionsschutzrecht, 1996; Alfred EndreslEckard Rehbinder/Reimund Schwarze, Umweltzertifikate und Kompensationslösungen aus ökonomischer und juristischer Sicht, 1994; Bernhard Stiier/Holger Spreen, Emissionszertifikate - Ein Plädoyer zur Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente in die Umweltpolitik, UPR 1999, S. 161 ff.; Anne Voigtländer, Kompensationslösungen in der Luftreinhaltung, 1995; Martin Wasmeier, Marktfähige Emissionslizenzen, NuR 1992, S. 219 ff. 90 Für die Notwendigkeit einer „regulierten Verantwortungsteilung" auch Voßkuhle (Anm 71) S.84.

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sen.91 Zum anderen muß das Recht der öffentlichen Verträge, so wie es in unterschiedlichen Normativzusammenhängen geregelt ist, flexibilisiert werden. Das öffentliche Vertragsrecht ist zu sehr subordinationsrechtlichen Denkkategorien verhaftet, um dem Gedanken einer Verantwortungsteilung in vollem Umfang gerecht werden zu können. Eine „partnership", die auf dem normativen Leitbild der strukturellen Unterlegenheit des einen Partners und seiner Schutzbedürftigkeit vor hoheitlicher Übermacht beruht, ist als kooperativer Konkretisierungsmodus wenig geeignet. Abgesehen davon, daß eine Public Private Partnership niemandem rechtlich aufgezwungen wird, kann die faktische Unterlegenheit im Einzelfall durchaus auf Seiten der öffentlichen Hand bestehen. Insbesondere das Fehlerfolgenregime ist für Kooperationsverhältnisse dem Stand des privaten Vertragsrechts anzunähern. Für den Fragenkreis einer Modernisierung des Verfahrensrechts von besonderer Bedeutung sind die Erscheinungsformen einer Verfahrensprivatisierung. Im Kern geht es bei ihr darum, daß die Sachentscheidung von der Behörde zu treffen ist, vorbereitende Verfahrensschritte jedoch von Privaten vorgenommen werden. 92 Einschlägige Regelungen finden sich in den Fachgesetzen, beispielsweise dem § 4 b BauGB93, könnten aber als allgemeine Normierung des privaten Verfahrensmanagements vereinheitlicht werden. Dabei muß der Situation Rechnung getragen werden, daß einerseits das von dem Privaten durchgeführte Verfahren Grundlage der Entscheidung der Behörde sein soll, andererseits das Verfahren nicht in der Hand der Verwaltung abgelaufen ist. So kann die Verwaltung auf Grund einer Sachverhaltsermittlung entscheiden müssen, über deren Vollständigkeit sie keine Klarheit hat.94 Deshalb ist Verfahrensprivatisierung in hohem Maße auf eine begleitende Kooperation zwischen dem Privaten und der schließlich entscheidenden Behörde angewiesen, welche dafür Sorge trägt, daß das Verfahren sachadäquate Entscheidungen ermöglicht.95 91 Im einzelnen Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnership, DÖV 1998, S. 89 ff.; ders. y Zur notwendigen Entwicklung eines Verwaltungskooperationsrechts, in: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem" Staat, 1999, S. 251 ff.; Peter J. Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, S. 764 ff. 92 Zum Begriff Wolf gang Hoffmann-Riem, Verfahrensprivatisierung als Modernisierung, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 (13 f.); Franz-Joseph Peine, Verfahrensprivatisierung in der Verkehrswegeplanung, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg.), a.a.O., S.95 (101 f.). 93 S. Olaf Reidt, §4 b BauGB-Die Einschaltung Dritter in die Bauleitplanung, NVwZ 1998, S. 592ff.; Gerd Schmidt-Eichstaedt, Der Dritte im Baugesetzbuch, BauR 1998, S. 899 ff.; ders., Die Einschaltung Dritter in das Bauleitplanverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Bauplanungsrecht vor neuen Herausforderungen, 1999, S. 131 ff; Frank Stollmann, Die Einschaltung Dritter im neuen Städtebaurecht, NuR 1998, S. 578 ff. 94 Jost Pietzcker, Verfahrensprivatisierung und staatliche Verfahrensverantwortung, in: Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S.284 (306 f.). 95 Hoffmann-Riem (Anm. 92) S.29.

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VI. Schlußbetrachtung Die vorstehenden Ausführungen zu den Perspektiven einer Modernisierung des Verfahrensrechts erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ausgeblendet wurden beispielsweise die von der zunehmenden Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts ausgehenden Implementationsanforderungen. 96 Sie werden um so drängender, weil nach dem derzeitigen Stand der Gesetzgebung und Rechtsanwendung eine Zweispurigkeit des Allgemeinen Verwaltungsrechts besteht. Formal kommen zwar dieselben Normen zur Anwendung. Jedoch differiert ihr Regelungsgehalt für Fälle mit Gemeinschaftsbezug und für rein nationale Sachverhalte.97 Vorliegend ging es nur um eventuelle Wandlungen des Verfahrensrechts im Gefolge staatlicher bzw. administrativer Modernisierung. Es dürfte deutlich geworden sein, daß Modernisierung nicht zum rechtsstaatlichen Nulltarif zu haben ist. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Die angestellten Überlegungen sollten keinen Katalog von Desideraten präsentieren, sondern die rechtlichen Folgen verwaltungspolitischer Modernisierungsentscheidungen aufzeigen. Die negativen Konsequenzen sind nicht zu übersehen. Sie liegen vor allem in einem Verlust der Steuerungswirkung des Gesetzes und einem damit einhergehenden Verlust an Berechenbarkeit. 98 Die Bedeutung einer rechtsstaatlichen Ausformung des Verwaltungsverfahrensrechts ist von Carl Hermann Ule in seiner gemeinsam mit Hans-Werner Laubinger verfaßten großen Darstellung des Verwaltungsverfahrensrechts zu Recht am Beginn des Lehrbuchs hervorgehoben worden. 99 Verwaltungsrecht bleibt nun einmal „konkretisiertes Verfassungsrecht" 100. Überdies ist zu beachten, daß sich Veränderungen der ge96 Vgl. nur Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, 1996; Claus Dieter Classen , Das nationale Verwaltungsverfahren im Kraftfeld des europäischen Gemeinschaftsrechts, Verw. 31 (1998), S. 307ff.; Thomas von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996; Stefan Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999; Hans-Werner Rengeling, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht - Wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 202 ff.; Dieter H. Scheuing, Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 289ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVB1.1993, S. 924ff.; ders., Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S.9ff.; Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, JZ 1995, S. 109 ff.; ders., Europäisierung der Verwaltungsrechtsordnung, VB1BW 1999, S. 241 ff.; Karl-Peter Sommermann, Europäisches Verwaltungsrecht oder Europäisierung des Verwaltungsrechts?, DVB1. 1996, S. 889 ff. 97 Danwitz (Anm. 96) S.395; Kadelbach (Anm. 96) S.483f.; Meinhard Schröder, Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, Verw. 31 (1998), S.256 (258). 98 Kritisch Jan Ziekow, Handlungsspielräume der Verwaltung und Investitionssicherheit, am Beispiel der integrierten Vorhabengenehmigung, in: Ziekow (Hrsg.), Handlungsspielräume der Verwaltung, 1999, S. 67ff. 99 Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, §1 Rn.6ff. 100 FritzWerner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVB1.1959,S.527 ff.

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schilderten Intensität ohne eine grundlegende Wandlung der Verwaltungskultur kaum werden realisieren lassen. Vergleichende verwaltungswissenschaftliche Untersuchungen zeigen, daß theoretische Konzepte der Institutionentransformation in der Umsetzung schnell an die Grenzen des historisch gewachsenen Aufgabenbestandes stoßen.101 Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ist ein von der jeweiligen Kultur und dem politischen Institutionengefiige eines Landes abhängiger Prozeß. 102 Mit Blick darauf versteht sich mein Beitrag als „Modernisierungsfolgenabschätzung" für den Bereich Verfahrensrecht. Er legt den Schluß nahe, Modernisierungswünsche erst nach sorgfältiger Eruierung der Folgewirkungen umzusetzen.

101 Joachim Jens Hessel Arthur Benz, Die Modernisierung der Staatsorganisation, 1990, S. 225 ff; ElkeLöffler, Verwaltungsmodernisierung im internationalen Vergleich, 1998, S.264; zum Problem auch Klaus KöniglNatascha Füchtner, Von der Verwaltungsreform zur Verwaltungsmodernisierung, in: König/Füchtner (Hrsg.), „Schlanker Staat" - Verwaltungsmodernisierung im Bund, 1998, S.3 (5 ff.). 102 Löffler (Anm. 101) S. 8.

Aspekte der Verfahrensreform Podiumsdiskussion mit Willi Blümel, Karl-Friedrich Meyer, Jens Meyer-Ladewig, Konrad Redeker Moderation: Helmut Quaritsch Quaritsch: Wir kommen jetzt zum letzten Punkt des heutigen Tages, zur Podiumsdiskussion. Das Podium ist besetzt mit Herrn Kollegen Prof. Dr. Willi Blümel, Emeritus an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Herrn Dr. Karl-Friedrich Meyer, Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Rheinland-Pfalz und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, Honorarprofessor unserer Hochschule, Herrn Dr. Jens Meyer-Ladewig, Ministerialdirigent seinerzeit im Bundesjustizministerium und schließlich dem Dienstältesten dieses Kreises, Herrn Prof. Dr. Konrad Redeker, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Honorarprofessor an der Universität Bonn. Wir haben uns für den ersten Durchgang auf diese Reihenfolge geeinigt: Herr Blümel beginnt, dann Herr Redeker, es folgen Herr Meyer und schließlich Herr Meyer-Ladewig. Wir sind uns auch darüber einig, den Begriff „Verfahrensreform" im weiteren Sinne auszulegen, wir meinen also damit nicht nur das Verfahren der aktiven Verwaltung, sondern ebenso das Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dieses Begriffsverständnis kommt natürlich auch den persönlichen beruflichen Erfahrungen entgegen, die jeder an diesem Tisch in reichem Maße gesammelt hat. Ich darf also zunächst Herrn Blümel bitten. Blümel: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Stern hat heute morgen darauf hingewiesen, wie sehr sich Carl Hermann Ule um die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts bemüht hat. Das ist ein Thema, das auch mich ständig beschäftigt. Wir haben 1983 unter meiner Leitung die Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung des Forschungsinstituts unter das Thema „Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts" gestellt. Es ist heute morgen auch kurz erwähnt worden, daß der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des Verwaltungsverfahrensgesetzes eine Entschließung gefaßt hat, wonach binnen acht Jahren die sonderrechtlichen Regelungen beseitigt werden sollen, damit das Verwaltungsverfahrensgesetz oder die Verwaltungsverfahrensgesetze einen größeren Anwendungsbereich bekommen. Damals wandte sich der Bundesminister des Innern auf Anregung des Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages an das Forschungsinstitut, um bei dieser Bereinigung mitzuhelfen. Ich will es kurz machen. In der Folgezeit erhielten wir in der Bundesrepublik drei Bereinigungsgesetze. Die hatten unter anderem dann auch dazu geführt, daß einige sondergesetzliche Rege-

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lungen gestrichen wurden und damit der Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes erweitert wurde. Aber das dritte Rechtsbereinigungsgesetz war in der Bundesrepublik das letzte Bereinigungsgesetz. Seither sind eigentlich nur sondergesetzliche Regelungen zu verzeichnen, die die Verwaltungsverfahrensgesetze immer weiter zurückdrängen. Das hat sich vor allen Dingen gezeigt nach 1990, als in aller Eile Sondergesetze geschaffen werden mußten. Ich nenne nur das Planungsvereinfachungsgesetz von 1993 und dann das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz von 1996, durch welche sondergesetzliche Regelungen en masse getroffen wurden, und zwar, was ich nie verstanden habe und was ich immer bekämpft habe, nahezu gleichlautende Vorschriften in fünf Fachplanungsgesetzen. Man hätte das genauso gut im Verwaltungsverfahrensgesetz einheitlich regeln können. Nun kann man als Jurist ja sagen, es spielt keine Rolle, ob in einem Gesetz eine Regelung ist oder in fünf Gesetzen die identische Regelung. Leider ist es aber damals nicht gelungen, in allen Gesetzen identische Regelungen zu treffen. Ein Beispiel darf ich nennen: Die Plangenehmigung ist in den fünf Fachplanungsgesetzen ganz unterschiedlich geregelt, und davon abweichend wieder im Verwaltungsverfahrensgesetz seit 1996. Das ist ein Defizit der Gesetzgebung. Ich habe immer verlangt, daß diese sondergesetzlichen Regelungen abgeschafft werden. Aber der Trend geht genau in die umgekehrte Richtung. Das letzte Beispiel, und das wäre verheerend, wenn es dazu käme in diesem Bereich, wäre das Umweltgesetzbuch. Sie kennen den Streit, der geführt wird: Wo sollen die verfahrensrechtlichen Regelungen enthalten sein, im Umweltgesetzbuch oder im Verwaltungsverfahrensgesetz? Herr Sendler kämpft sehr dafür, daß die Vorschriften im Umweltgesetzbuch untergebracht werden. Das würde z.B. bezüglich der planerischen Vorhabengenehmigung bedeuten, daß die Planfeststellungsvorschriften im Verwaltungsverfahrensgesetz entfallen. Ein weiterer Punkt ist die Behandlung von Verfahrensfehlern in unserer Gesetzgebung. Das ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Der alte § 46 VwVfG, der neue § 46 VwVfG, die Fehlerfolgenregelungen in den Fachplanungsgesetzen, die alle dazu führen, daß Verfahrensfehler praktisch irrelevant sind. Mit Berufung auf einen Verfahrensfehler können Sie als Bürger oder als Gemeinde keinen Verwaltungsakt mehr zu Fall bringen. Das hängt mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zusammen, die dann in den neuen § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes eingeflossen ist. Man muß das Ganze auch vor dem Hintergrund sehen, daß Naturschutzverbände ζ. B. die Aufhebung eines Verwaltungsakts erreichen können, wenn sie geltend machen, daß sie nicht oder nicht ausreichend beteiligt worden sind. Ich verstehe das auf dem Hintergrund der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nicht. Diese Entscheidung ging ja von der Grundrechtsrelevanz von Verfahrensvorschriften aus, und ich sehe eigentlich nicht ein, warum ein Bürger oder eine Gemeinde, die sich auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufen kann, hier schwächer oder weniger effektiv bedient werden als etwa ein Naturschutzverband. Und welche gravierenden Folgen das haben kann, zeigt die be-

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rühmte A 7-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die einen Autobahnabschnitt bei Nesselwang betrifft. Der Planfeststellungsbeschluß wurde aufgehoben, weil der Naturschutzverband nicht ausreichend beteiligt worden ist, mit der Folge, daß jetzt das ganze Verfahren von vorn begonnen werden muß unter Berücksichtigung der FFH-Richtlinie. Man kann sich ausrechnen, wohin das führt. Zur Verwaltungsgerichtsordnung will ich in diesem Zusammenhang nicht viel sagen, weil das meine Kollegen hier am Tisch wahrscheinlich tun werden. Nur eine Vorschrift habe ich schon immer kritisiert. Das ist diese Gehilfenvorschrift in § 94 Satz 2 VwGO, die es dem Gericht ermöglicht, die Verhandlung auszusetzen, damit die Behörde den Fehler bereinigt, der geltend gemacht worden ist: mit der Folge, daß der Betreffende dann unter Kostenfolge mit seiner Klage baden geht. Ein anderes Thema, was vielleicht aufgegriffen werden könnte, ist die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Streitigkeiten, die in Ostdeutschland spielen. Der Bundesrat hat gestern das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz erneut abgesegnet. Es wird jetzt das Gesetz von 1991 verlängert bis 2004, d. h. es bleibt jetzt bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, obwohl wir voll funktionierende Oberverwaltungsgerichte in den ostdeutschen Ländern haben. Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß die letzte Zeit gekennzeichnet ist durch hektische Gesetzgebung. Das hat mir schon immer mißfallen, und ich habe immer wieder auf die Entstehung des Verwaltungsverfahrensgesetzes hingewiesen und darauf, wie sehr man sich damals in Kommissionen und Ausschüssen bemüht hat, eine vernünftige Regelung zustande zu bringen. Ich habe schon 1993 hier auf einem Forschungsseminar über die Reform des Verwaltungsverfahrensrechts vorgeschlagen, daß eine Sachverständigenkommission zur Reform des Verwaltungsverfahrensrechts beim Bundesinnenminister eingerichtet werden sollte. Meinem Anliegen ist dann stattgegeben worden. Man hat dort einen Beirat eingerichtet zum Verwaltungsverfahrensrecht. Was mich betrübt: als ich damals um Rat gefragt wurde wegen der Besetzung dieses Beirats, konnte ich niemanden aus Speyer nennen. Ich bin allerdings der Meinung - wenn man zurückblickt auf die langjährigen Bemühungen hier in Speyer um das Verwaltungsverfahrensrecht - , daß dieser Beirat auch hier in Speyer tagen sollte und daß vielleicht auch ein oder zwei Speyerer in diesen Beirat aufgenommen werden sollten. Herr Hill, den Ball spiele ich Ihnen zu. So weit mein Statement. Redeker. Meine Damen und Herren, ich möchte an das anknüpfen, was wir soeben von Herrn Ziekow gehört haben. Seine Ausführungen enthalten Perspektiven, die zwar nicht morgen, aber möglicherweise übermorgen wirklich ernsthaft umgesetzt werden sollen. Da entsteht die Frage, ob das überhaupt bei uns geht. Wir haben einen Art. 19 Abs. 4 GG und wir haben die Forderung der Rechtsstaatlichkeit. Wir stehen vor der Frage, was sich unter dem Begriff der Steuerung abzeichnet. Es ist im Grunde ein Abschied von der konditionalen Norm. An ihre Stelle soll Neues an Inhalt und Struktur entstehen. In der Praxis gibt es natürlich längst das Kooperations-

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modell. Als Anwalt kann ich sagen, daß man schon vor 20 Jahren bei schwierigen Vorhaben vorher mit der Verwaltung verhandelt hat, ehe überhaupt eine konkrete Planung anfing. Ebenso hat man mit der Verwaltung überlegt, wer Widerspruch einlegen könnte. Man hat sich auch mit diesen potentiellen Widerspruchsführern zusammengesetzt und versucht, die Dinge in einer Kooperation zu lösen. Das Kooperationsmodell funktioniert aber nur dann, wenn man alle Beteiligten einbinden kann. Das ist nicht gerade die Regel. Geht man von dem Begriff steuern aus, so kann er doch wohl nur bedeuten, daß Wahlmöglichkeiten für die Entscheidung der Verwaltung bestehen. Wahlmöglichkeiten sind in unserer Rechtsordnung unter dem Begriff des Ermessens bekannt, sie sind aber nicht gerade häufig, sie werden von den Grundrechten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überlagert. Die Folge ist, daß es im Rechtsstreit auch heute ganz überwiegend um Normen geht, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Wir leben in der Vorstellung, daß es auf solche Normen in Auslegung und Subsumtion nur eine richtige Antwort gibt. Diese richtige Antwort weiß am Schluß, wenn es durch die Instanzen geht, nur die höchstrichterliche Entscheidung. Persönlich habe ich immer die Meinung vertreten, daß das ein Stück Lebenslüge ist, von der diese Judikatur ausgeht, weil viele Normen mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen eben gerade keine allein richtige Antwort haben, weshalb sie eben auch „unbestimmte Rechtsbegriffe" heißen. Aber die Judikatur lebt unter dieser Vorstellung, und richtig ist das, was irgendwann rechtsbeständig wird. Wenn wir aber die Steuerung als regelmäßiges Ziel des Verwaltungsverfahrens ansehen, dann müßte die Behörde Wahlmöglichkeiten haben. An die Stelle der konditionalen Norm soll die finale treten. Wir kennen dies seit dreißig Jahren im Planungsrecht. In ihm, später in anderen Bereichen, ist der Begriff des Beurteilungsspielraumes oder der Beurteilungsermächtigung entstanden. Der Versuch, auf diesem Wege der Verwaltung außerhalb des Ermessens Spielräume zu verschaffen, ist von den Verwaltungsgerichten praktisch eliminiert worden. Wo sie angenommen werden, ist der Spielraum mit so viel Hürden umstellt worden, daß die Verwaltung im Streitfall dessen kaum Herr werden kann. Ist dies aber so, bleiben wir im Rahmen unser gegenwärtigen Rechtsordnung bei dem Bild der allein richtigen Entscheidung, so besteht dann gerade keine Steuerungsmöglichkeit der Verwaltung. Sie wird vom Verwaltungsgericht über das belehrt, was allein richtig ist. Das Bild der Verwaltungstätigkeit, wie es Herr Ziekow gezeichnet hat, würde deshalb eine grundlegende Veränderung der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit sich bringen, weniger der Gerichtsbarkeit als der Grundansätze des Verwaltungsrichtens überhaupt. Der Verwaltungsrichter müßte sich wesentlich zurücknehmen; es klingt dies in dem Begriff an, er könne Mediator sein. Es ist für mich schwer vorstellbar, daß die heutige Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Leidenschaft dahin entwickeln könnte, Mediator zu sein. Denn eigentlich besteht ihre Leidenschaft darin, mit intellektueller Feinsinnigkeit möglichst komplizierte und in der Begründung sehr umfangreiche Ergebnisse zu erzeugen. Sie kennen die Ideen des Diskurses, wie sie

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Herr Ortloff vertritt. Bisher ist er nicht nur an seinem Gericht, sondern generell ein einsamer Rufer gewesen. Nach den Vorstellungen, wie sie Herr Ziekow entwickelt hat, müßte also ein anderes Normenbild geschaffen werden, ohne den unbestimmten Rechtsbegriff mit der Vorstellung der allein richtigen Entscheidung. Wir müßten zu einer Änderung der gesamten Ansätze verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung kommen. Das führt auf den Sinn der heutigen Veranstaltung zurück. Herr Ule hat mit der Vertretbarkeitslehre begonnen. Er ist in der Verwaltungsgerichtsbarkeit damit weitgehend gescheitert, wenn man von den begrenzten Fällen der Beurteilungsermächtigung absieht, in denen man sich zum Teil auf diese Lehre bezieht. Sie wissen, daß Ule nach Erlaß des Bundesimmissionschutzgesetzes noch einmal versucht hat, die Begriffe dieses Gesetzes nach der Vertretbarkeitslehre auszulegen. Auch damit ist er gescheitert. Ob ein erneuter Ansatz am Platze ist, Anschluß an diese Lehre zu finden, lasse ich offen. Nur so könnte aber wohl eine Realisierung dessen möglich sein, was Herr Ziekow für die Zukunft ausgemalt hat. Danke. Meyer: Vielen Dank. Meine Damen und Herren, ich will kurz zu zwei Punkten Stellung nehmen, die Ule zeit seines beruflichen Lebens bewegt haben. Der eine ist die Zusammenführung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, und der zweite ist die Verschlankung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Straffung der Instanzenzüge. Zum ersten Punkt hat Ule sich ja vorgestellt, daß das Mittel einer Zusammenführung der Gerichtsbarkeiten zunächst darin liegen könnte, daß man die Verfahrensordnungen vereinheitlicht oder zumindest angleicht. Damit ist er, wie wir wissen, gescheitert. Ich glaube, er mußte scheitern: Schon aus dem einfachen Grund, weil wir in Deutschland nicht durchgängig das System der Rechtspflegeministerien haben. Wir haben es insbesondere nicht auf der Ebene des Bundes. Und wenn heute morgen die Rede davon war, dass der Bundesjustizminister sich in den 70er und 80er Jahren nicht stark genug für die VwPO eingesetzt hat, dann hängt das damit zusammen, daß er eben nur über einen Teil der Gerichtsbarkeiten auch argumentativ verfügen kann. Angesichts der Aufteilung der Gerichtsbarkeiten sind die Ressortegoismen so stark, daß es einem Justizminister, wenn er nicht gleichzeitig Rechtspflegeminister ist, wahrscheinlich nicht gelingen kann, mehrere Verfahrensordnungen unter einem prozeßrechtlichen Dach zu errichten. Insoweit, glaube ich, waren die Abläufe vorprogrammiert. Und schon deshalb wird sich in der Frage der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen wohl auch weiterhin nicht allzu viel bewegen. Dabei bestehen die Gründe für eine solche Vereinheitlichung, die Ule ja immer wieder genannt hat, zweifelsohne fort: Sie liegen insbesondere in der Benutzerfreundlichkeit für Anwaltschaft und für betroffene Bürger. Da die Dinge aber sind, wie sie sind, müssen wir meines Erachtens mittelfristig einen anderen Weg gehen. Nämlich den der zunächst einmal nur organisatorischen Zusammenfassung der Gerichtsbarkeiten. Das Nebeneinander von drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten mit einer zum Teil skurrilen Zersplitterung der Rechtsgebiete - etwa im sozialrechtlichen Bereich zwischen Verwaltungs- und Sozialgerichten oder im abgabenrechtlichen

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Bereich zwischen Finanz- und Verwaltungsgerichten - ist ein deutsches Unikum, das niemand außer uns ernsthaft in Betracht zieht. Es treibt uns auch im größeren europäischen Rahmen in die Isolierung. Deshalb sollte man, ohne die Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen völlig aus dem Blick zu verlieren, zunächst insbesondere die Verwaltungs- und die Sozialgerichtsbarkeit organisatorisch und personell verklammern, etwa durch Übertragung von Richterämtern in beiden Gerichtsbarkeiten und durch gemeinsame Verwaltungs- und Haushaltsstrukturen. Dies wird natürlich nur gelingen, wenn wir dafür eintreten, daß es, wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz, eine zentrale ministerielle Zuständigkeit für die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten gibt. Die organisatorische und personelle Verklammerung der Gerichtsbarkeiten halte ich für einen ersten, sehr sachgerechten Schritt, weil man dadurch die vorhandenen Ressourcen besser ausgleichen und nutzen kann. In einem zweiten Schritt müßte dann die Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, daß die verschiedenen Gerichtsbarkeiten in einer Gerichtsbarkeit, die sich vermutlich Verwaltungsgerichtsbarkeit nennt, aufgehen. Dabei scheint es angesichts der unterschiedlichen Verhältnisse in den Bundesländern zunächst einmal vernünftig, daß man vom Bund her eine Öffnungsklausel für die Länder schafft, die dann je nach ihren Größenverhältnissen diesen Weg der Bildung einer öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit gehen könnten. Für ein mittelgroßes Flächenland wie Rheinland-Pfalz bin ich sicher, daß es sachgerecht wäre, eine solche Möglichkeit auszuschöpfen. Ich plädiere dafür auch aus einem etwas eigennützigeren Grund als Verwaltungsrichter: Die Bedeutung unserer Gerichtsbarkeit wird nicht gerade größer. Ich glaube, Ule würde sich Sorgen machen, wenn er uns jetzt wiederbegegnete. Wir haben die Privatisierungstendenzen, die zu massiven Einbußen gerade in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren führen. Man denke nur an die Hunderttausende von Post- und Bahnbeamten, die es früher gab und die jetzt für uns als „Kunden" ausfallen. Sie lassen jetzt bei den Arbeitsgerichten Recht sprechen. Man denke an das gesamte Vergaberecht, das als eine hochaktuelle Rechtsmaterie der Zivilgerichtsbarkeit überantwortet worden ist, ebenso wie an das Baurecht, wo über Genehmigungsfreistellungen mittlerweile ein erheblicher Teil der Verfahren in den zivilrechtlichen Nachbarrechtsstreit abwandert. Der Begriff der „ordentlichen Gerichtsbarkeit" gewinnt unter diesen Vorzeichen wieder eine ganz neue Bedeutung! Auch dies spräche meines Erachtens dafür, sich nicht primär mit der Frage aufzuhalten, ob man die Prozeßordnungen vereinheitlicht, sondern gleich das größere Ziel anzupeilen, die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten zusammenzuführen. Dieser Zusammenführung würde dann auf kurz oder lang ohnehin eine vereinheitlichtes Prozeßrecht folgen. Der zweite Punkt, der Ule stark bewegt hat, ist die Frage der Straffung des Instanzenzuges in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Diskussion hat ja ihren Ursprung darin, daß die Gerichtsbarkeit aus sich heraus das Problem der überlangen Verfahrensdauer nie in den Griff bekommen hat. Ule selbst sagte in den 50er Jahren bereits, die Dauer der verwaltungsgerichtlichen Verfahren grenze an rechts-

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staatswidrige Zustände. Und wenn ich heute höre, was Herr Redeker mir - gottlob nicht aus Rheinland-Pfalz, sondern aus einem anderen Bundesland - berichtet, wie viele Jahre er dort mit Verfahren bereits in der ersten Instanz zubringt, dann bestätigt das nur, was alle seit langem wissen. Die Verhältnisse in puncto Verfahrensdauer haben sich lange Zeit eher verschlechtert und mit dazu beigetragen, daß das Vertrauen in die Verwaltungsgerichtsbarkeit schlechter und der Glaube, die ordentliche Justiz könne letztlich besser Rechtsschutz gewähren, stärker geworden ist. Das mag aus verwaltungsrichterlicher Sicht zwar ein Irrglaube sein, aber es hilft uns im Moment nicht weiter. Und hier erinnern wir uns wieder an die Haltung Ules zur Frage der Instanzenstraffung. Ule hat in seinem Speyerer Entwurf davon ja eher Abstand genommen. Er hat aber später die VwPO, die ja wesentlich rigider in der Frage der Berufungszulassung war als unser jetziges System, unterstützt und den Gesetzgeber sogar gemahnt, unter keinen Umständen von diesem Projekt abzulassen. Seit dem 1. Januar 1997 haben wir nun eine sehr beachtliche Instanzenstraffung im Verwaltungsprozeß. Und aller Kritik zum Trotz, die geäußert wird, möchte ich sagen: Ich halte diesen Weg für prinzipiell richtig, nämlich institutionell die Dreistufung beizubehalten, aber funktionell die Verfahren möglichst einer Tatsacheninstanz zuzuordnen und sie dort auch möglichst zum Abschluß zu bringen. Jetzt kommen nur noch die Verfahren in die Berufung, die berufungswürdig sind, weil sie vermutlich falsch entschieden wurden, weil sie grundsätzliche Bedeutung haben oder weil sie besonders schwierig sind. Für diese Verfahren, ebenso wie für die investitionsträchtigen erstinstanzlichen Großverfahren, haben die Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe nunmehr die Möglichkeit, sich schnell, gründlich und konzentriert an die Arbeit zu begeben. Und die nicht berufungswürdigen Verfahren gelangen auf diese Weise auch schneller zu einem rechtssicheren Ende. Ich verkenne nicht, daß dieses System gegenwärtig noch einer starken Kritik unterzogen ist. Man wirft den Obergerichten vor, die Zulassungskriterien zu rigide und wenig berechenbar zu handhaben. Aber, das ist meine These, soweit diese Kritik jetzt in der Wissenschaft ihren Niederschlag findet, beschäftigt sie sich mit einer Lage, wie sie hauptsächlich unmittelbar nach Inkrafttreten der Instanzenstraffung zu beobachten war. Wir erleben jetzt aber nach meiner Beobachtung, daß das Pendel zurückschwingt zu einer Behandlung der Zulassungsanträge mit Augenmaß. Was jetzt also an Auseinandersetzungen stattfindet in der wissenschaftlichen Literatur, ist teilweise, wie ich meine, schon wieder etwas überholt. Die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe haben nämlich mittlerweile den Berg anhängiger Altverfahren abgetragen. Und sie entdecken jetzt, daß sie sich mit einer zu rigiden Zulassungspraxis nicht nur von der Intention des Gesetzgebers wegbewegen, sondern auch ihre Daseinsberechtigung nach und nach in Frage stellen. Infolgedessen gehe ich davon aus, daß wir in relativ kurzer Zeit sowohl bei der Anforderung an die Darlegung von Zulassungsgründen als auch bei der Handhabung der Zulassungsgründe selbst zu normalen Verhältnissen kommen, ohne dabei den Vorteil der Verfahrensbeschleunigung wieder einzubüßen.

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Die Verfahrensbeschleunigung ist übrigens in einer sehr markanten Weise mit dem neuen Recht erreicht worden. In den allgemeinen Verwaltungsstreitverfahren entscheiden die Obergerichte über die Zulassung der Berufung heute in der Regel nach spätestens vier Monaten. Aber auch dort, wo die Berufung zugelassen wird, haben wir insgesamt schon eine recht günstige Verfahrensdauer. Zusätzlich muß man sehen, daß die Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe durch die Entlastung von nicht berufungswürdigen Verfahren gerade in den erstinstanzlichen Aufgaben funktionsfähiger, d. h. auch schneller geworden sind. Insoweit bewerte ich das neue Recht positiv. Bleibt noch die Frage nach der materiellen Gerechtigkeit. Denn sie ist ja neben der Schnelligkeit ein hoch bedeutsames Kriterium. Auch insoweit sagen unsere Zahlen, daß die Erfolgsaussichten im Rechtsmittelverfahren sich denen der früheren, klassischen Berufung bereits wieder annähern. Der Vorteil liegt aber eben darin, daß die nicht zugelassenen Verfahren schneller, sehr viel schneller, weil ohne mündliche Verhandlung, erledigt werden können und von daher auch positive Rückwirkungen auf alle übrigen Verfahren vor den Obergerichten ausgehen. Mein Fazit ist also: Ule, der in seinen späten Jahren der Kürzung des Instanzenzuges positiv gegenüberstand, kann sich insoweit bestätigt fühlen. Ich verkenne, wie gesagt, nicht die Kritik, die zu Recht an der anfänglichen Handhabung der 6. VwGO-Novelle geübt wird. Aber ich prognostiziere, daß wir uns wieder einem Zustand nähern, der sich, was materielle Gerechtigkeit angeht, nicht wesentlich von dem vorherigen Standard unterscheidet, dafür aber den Vorzug bietet, daß Gerechtigkeit und Rechtssicherheit wesentlich schneller herbeigeführt werden können. Damit möchte ich zunächst einmal schließen. Vielen Dank. Meyer-Ladewig: Vielen Dank. Ich möchte auch zum Verwaltungsprozeßrecht einige Worte sagen, weil ich dem Verwaltungsprozeßrecht verdanke, daß ich jahrelang mit Carl Hermann Ule zusammenarbeiten konnte im Koordinierungsausschuß, aber auch später bei einzelnen Vorhaben, ζ. B. bei der rechtstatsächlichen Untersuchung über Verzögerungsfaktoren im Verwaltungsprozeß. Ich sehe einige Dinge vielleicht etwas anders als Sie, Herr Meyer, aber das mag ja den Reiz einer Podiumsdiskussion ausmachen. Wir müssen uns hier ja auf kurze Schlaglichter beschränken: Wenn ich Ihnen zunächst mal sagen darf, was ich im Augenblick nicht für diskussionswürdig halte. Das erste, was ich nicht für sinnvoll halte, ist eine organisatorische Zusammenfassung von Gerichtszweigen, ζ. B. auch der Sozialgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wie Herr Pitschas das vorgeschlagen hat und wie es bei Ihnen eben auch anklang. Ich glaube, dadurch gewinnt man nichts. Dadurch werden die Verfahren nicht schneller, sie werden auch nicht übersichtlicher, und viel billiger werden sie auch nicht. Wir sind eben nicht auf einer grünen Wiese und fangen von Null an. Wenn wir das täten, und so gehen unsere Diskussionen in den Ostblockländern, die versuchen, einen Rechtsstaat aufzubauen, würde man sagen, das Naheliegende ist ein einheitliches Gericht mit Spezialspruchkörpern. Aber wir haben nun mal eine gewachsene Rechtstradition. Herr Pitschas hat das in seinem Aufsatz auch

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sehr schön klargelegt. Und ichfinde, es ist einfach die Mühe nicht wert, daran zu rütteln, ohne in den schwierigen Problemfeldern Beschleunigung des Verfahrens, Effizienz des Rechtsschutzes auch nur ein bißchen zu gewinnen. Der zweite Punkt: Verwaltungsprozeßordnung. Ich finde, wir schulden es auch dem genius loci, auf diesen Punkt einzugehen. Sie meinten, Herr Ziekow, das Thema ist noch nicht vom Tisch. Ich glaube, es ist doch vom Tisch. Das sehe ich genauso wie Sie, Herr Meyer, wir haben wirklich einen hervorragend vorbereiteten Entwurf gehabt, vorbereitet durch den Speyerer Entwurf unter der wissenschaftlichen Leitung von Herrn Ule, dann durch eine Neunerkommission aus Richtern der drei Gerichtszweige, dann durch den Koordinierungsausschuß. Es ist ein großer Entwurf gewesen, und das war der Nachteil. Die Zeit für große Entwürfe ist wahrscheinlich vorbei. Der Entwurf ist auch nicht daran gescheitert, wie Sie meinen Herr Meyer, daß es kein Rechtspflegeministerium gegeben hat, denn damals war ja zuständig für die Finanzgerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit das Justizministerium, für die Sozialgerichtsbarkeit das Arbeitsministerium. Das Arbeitsministerium war nicht unser Problem. Der Entwurf ist an der Finanzgerichtsbarkeit gescheitert, oder man kann auch sagen am Bundesministerium der Finanzen. Das ist ein starkes Ministerium, so daß es schwer für einen Justizminister ist, dagegen anzugehen. Ich glaube also, man sollte diesen Versuch nicht wiederholen. Ich bin da ein gebranntes Kind, ein 15 Jahre lang gebranntes Kind, also ausreichend gebrannt. Ich meine, es wäre sinnvoller bei den Novellen, die anstehen und die notwendig sind, ein bißchen auf Durchsichtigkeit und Systemgerechtigkeit zu achten, die Themen, die Carl Hermann Ule immer so besonders am Herzen gelegen haben. Wenn man es sieht, wie dagegen verstoßen worden ist in der letzten Zeit, ist es wirklich erstaunlich; beim Rechtsmittelrecht wird das wohl besonders deutlich. Da haben wir nun seit der sechsten Novelle eine Annahmeberufung, d. h. also, daß das OVG über die Zulassung der Berufung entscheidet. Wir haben in der Revision im selben Gesetz eine Zulassungsrevision, d. h. das Tatgericht entscheidet über die Zulassung und nur über die Nichtzulassungsbeschwerde das Revisionsgericht dann abschließend. Wir haben eine Sprungrevision, wo also dann das Gericht erster Instanz ein Rechtsmittel zulassen kann, die Berufung kann es aber nicht zulassen. Wir haben in den anderen Gerichtszweigen ein buntes Durcheinander, in der Finanzgerichtsbarkeit überhaupt keine Berufung, in der Sozialgerichtsbarkeit einen Streitwert und dann eine Zulassungsberufung nach dem bisherigen Muster. Warum das sein muß, verstehe ich nicht. Und ich finde, man sollte sich doch einmal Gedanken darüber machen, wo die sinnvollste Lösung ist und diese Lösung dann unter Berücksichtigung etwaiger Notwendigkeiten bei Spezialbereichen durchziehen. Man hat eine neue Chance, das zu tun. Die Rechtsmittelreform in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist gut vorbereitet worden und wird jetzt in einen Regierungsentwurf einfließen mit neuen Ideen, Schwergewicht in der ersten Instanz, zweite Instanz nur da, wo sie notwendig ist. Ich finde, diese Maxime ist richtig, und jetzt muß man sich überlegen, wie macht man's verfahrensmäßig. Es hat bei der 6. VwGO-Novelle besonders viel Kritik ge7 Gedächtnisschrift Ule

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geben an dem System der Annahmeberufung, daß eben nicht das Verwaltungsgericht die Berufung zuläßt, sondern das OVG. Diese Frage hängt natürlich mit dem Zuschnitt der Zulassungsgründe zusammen. Das ist schon immer diskutiert worden bei den Verfahrensmängeln, die für die Zulassung durch die erste Instanz natürlich kaum Sinn machen. Auch einen Zulassungsgrund der hinreichenden Erfolgsaussicht, der jetzt für die ordentliche Gerichtsbarkeit diskutiert wird, ist vielleicht für die erste Instanz ein bißchen schwierig. Soll man denn wirklich spalten, soll man sagen, das Verwaltungsgericht läßt die Berufung zu, wenn sie von grundsätzlicher Bedeutung ist oder wenn eine Divergenz im Räume steht? Und das Oberverwaltungsgericht kann auf Beschwerde auch zulassen, wenn die Berufung hinreichende Erfolgsaussicht hat oder ein Verfahrensmangel unterlaufen ist? Das sind im Grunde doch alles sehr schwierige Konstruktionen. Und noch ein zweiter Punkt, und damit will ich dann auch diese erste Runde abschließen. Man hat in dem Bestreben, das Verfahren zu beschleunigen, was legitim ist, Fristenregelungen geschaffen, die so nicht möglich sind. Das muß man ändern. Das ist sozusagen eine Reparaturgesetzgebung, die aussteht und die kommen muß, d. h. Begründungsfristen für den Zulassungsantrag, wenn es denn jetzt bei diesem System bleiben soll, oder sonst eine besondere Begründungsfrist für eine Nichtzulassungsbeschwerde. So wie es jetzt ist, geht es nicht. In der Sozialgerichtsbarkeit steht gleichfalls eine Novelle an, und in dem Bereich ist es um die Übersichtlichkeit und die Bürgerfreundlichkeit besonders schlecht bestellt, denn das geltende Gesetz steht mit der Rechtswirklichkeit nicht mehr im Einklang, wie schon die Tatsache zeigt, daß von einstweiligen Anordnungen dort nur sehr peripher und keineswegs in dem allgemeinen Umfang die Rede ist, wie sie praktiziert wird und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtens ist. Damit will ich dann schließen. Vielen Dank. Quaritsch: Herzlichen Dank. Mir ist eingefallen, Herr Redeker, daß Sie zu dem hier Vorgetragenen zunächst einmal etwas sagen müssen. Denn Sie sind als Anwalt mit allen diesen Dingen, aber aus einer besonderen Perspektive vertraut. Redeker: Herr Quaritsch, ich will dies gerne tun. Überall, wo heutzutage über die Verwaltungsgerichtsbarkeit geredet wird, gibt es zwei Themen. Das erste ist - ich habe es eben schon so genannt - eine gewisse intellektuelle Selbstsicherheit, die die Verwaltungsgerichtsbarkeit auszeichnet und bei der manchmal der Eindruck entsteht, daß sie damit in die Nähe des Glasperlenspiels kommt. Das will ich jetzt hier nicht weiter vertiefen; ich habe die Aufgabe, darüber in ein paar Wochen an anderer Stelle zu reden. Das zweite Thema, was allen auf den Nägeln brennt, ist die Rechtsmittelreform der 6. VwGO-Novelle. Man sollte hier insbesondere an den Bürger denken, der letztlich den Verwaltungsprozeß führt, naturgemäß auch die Behörde. Gegenwärtig kann es nach einer Entscheidung I. Instanz in einer noch so gewichtigen Sache auf die Frage, ob gegen ein nicht überzeugendes Urteil ein Rechtsmittel gegeben ist, keine brauchbare Antwort geben. Es geht mir nicht um die unbegreiflichen Fristen, die Herr Meyer-Ladewig bereits erwähnt hat und die einem Mandan-

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ten nicht erklärt werden können, weil er und sein Anwalt mit diesen Fristen belastet sind, während nach Ablauf der Fristen und Eingang des Antrages die Sache viele Monate, wenn nicht Jahre, bei Gericht unbeantwortet im Fach liegt. Das Unangenehme ist vielmehr, daß sie dem Mandanten nicht sagen können, ob die Berufung überhaupt zugelassen wird. Es ist praktisch gänzlich unklar und unberechenbar, ob eine Berufung zugelassen wird, gleich, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts etwas taugt oder nicht. Es ist schon schlimm genug aber unvermeidlich, daß eine materiell-rechtliche Prognose nur begrenzt möglich ist. Es ist aber unerträglich, daß eine Prognose über die Zulassung der Berufung praktisch ausscheidet. Das Bundesverfassungsgericht hat vor zehn Jahren einmal bemerkt, wenn ein Staat Rechtsmittel zulasse, dann müsse dies klar, übersichtlich und vorhersehbar geschehen. Gegenwärtig haben wir das Gegenteil. Dabei sind die Auffassungen innerhalb eines Gerichts oft ganz unterschiedlich, ohne daß sie ausgeglichen werden können. Die OVG haben einen Großen Senat. Er kann sich mit der Frage nicht befassen, weil es sich um Bundesrecht handelt, der Große Senat aber nur im Hinblick auf Landesrecht angerufen werden kann. Nicht einmal dieses Problem hat der Gesetzgeber gesehen, so daß bei einem großen Gericht wie bei uns in Münster mit 26 Senaten auch für dieses Gericht selbst keine Einheitlichkeit erreicht werden kann. Bei einem kleinen Gericht geht dies natürlich. Die Senate tauschen untereinander aus - außerhalb der Verhandlung - und bemühen sich um einheitliche Auffassungen. Bei großen Gerichten beharren bestimmte Senate auf ihren Vorstellungen, und es interessiert sie nicht, ob die Nachbarsenate sie teilen. Dieser Zustand ist so schwer erträglich, daß ein so eifriger Verfechter der Zulassungsberufung etwa wie Herr Sendler sagte, man sei in den Vorarbeiten doch nie auf die Idee gekommen, daß das Verwaltungsgericht zwar eine Sprungrevision unmittelbar an das Bundesverwaltungsgericht zulassen könne, nicht aber die Berufung. Das ist das Allermindeste, was geändert werden müßte. Ebenso müssen die Fristen geändert werden, und es müssen die Zulassungsgründe noch einmal überarbeitet werden, damit sie etwas berechenbarer werden. Sie müssen sich bitte in die Situation des vertretenden Anwalts versetzen, der seinem Mandanten über die Aussichten einer Zulassung der Berufung kaum etwas sagen kann. Auch wenn ich mit allen meinen Fähigkeiten mich um einen Zulassungsantrag bemühe, ist unsicher, ob er Gnade findet bei dem Senat, oder dieser nicht sagt, die Darlegungslast sei nicht hinreichend wahrgenommen u. ä. Eben hat Herr Meyer gesagt, das habe sich eingerenkt. Das mag beim OVG Koblenz der Fall sein; das weiß ich nicht. Die negativen Entscheidungen beschäftigen seit drei Jahren die Gazetten. In der NVwZ hat es Nummern gegeben, die praktisch nur Zulassungsentscheidungen bringen mußten. Welche Arbeitskraft hierfür verwandt worden ist, anstatt sich mit der Sache zu befassen, ist geradezu unvorstellbar. Es hat Entscheidungen gegeben, und gibt sie immer noch, von acht Zeitschriftenspalten Länge über die Frage, was ein ernstlicher Zweifel ist. Natürlich kann man dann acht weitere Spalten mit abweichender Auffassung schreiben; es wird dadurch nichts besser. Manche Senate haben erkannt, daß sie sich damit ihre eigene Arbeit wegnehmen und den Ast, auf dem das OVG sitzt. Sie haben deshalb die Rechtsprechung geändert und lassen in erheblich

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größerem Umfange zu, als früher. Nur werden solche Entscheidungen nicht veröffentlicht, weil die Zulassung aus einem Satz besteht, der als solcher nicht veröffentlichungsfähig ist. Es mag also sein, daß die Statistik im Laufe des Jahres 1999 zu brauchbareren Ergebnissen führt. Ich weiß, daß das OVG Koblenz dabei gut abschneidet. Aber eine wirkliche Änderung läßt sich kaum feststellen. Unbedingt notwendig ist, daß das Verwaltungsgericht, das doch am ehesten weiß, ob die von ihm behandelte Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat, die Berufung zulassen darf. Man kann nur hoffen, daß der Gesetzgeber seine Fehler alsbald korrigiert. Meyer. Wir liegen letztlich gar nicht so weit auseinander. Auf der Konferenz der Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ist einstimmig die Meinung vertreten und auch an das Bundesjustizministerium herangetragen worden, daß es den Verwaltungsgerichten ermöglicht werden soll, in Fällen, die sie für grundsätzlich bedeutsam halten, die Berufung selbst zuzulassen. Darüber hinaus haben wir auch Verständnis dafür, daß der Anwaltschaft bei den Fristen eine Verlängerung zugestanden wird. Ich bleibe aber dabei, daß die jetzige Regelung mit ihren verschiedenen Zulassungsmöglichkeiten sicherstellt, das Verfahren, die es verdienen und von denen Sie, Herr Redeker und Herr Meyer-Ladewig, ja eben sprachen, bei vernünftiger Handhabung durch die Richter alle in die zweite Tatsacheninstanz kommen können. Natürlich setzt dies eine vernünftige Handhabung durch die Richter voraus. Ich glaube aber fest daran, daß sich eine vernünftige, ausgewogene Handhabung auf Dauer durchsetzt - spätestens dann, wenn die Obergerichte merken, daß Unvernunft ihnen selbst schadet. Ich bleibe auch dabei, daß man sich in den Zeitschriftenaufsätzen jetzt schon mit Sünden der Vergangenheit, der anfänglich sehr restriktiven Anwendung der 6. VwGO-Novelle, auseinandersetzt. Diese Praxis scheint mir schon ersetzt durch eine nach und nach moderatere Handhabung des Zulassungsrechts. Für Rheinland-Pfalz kann ich bereits jetzt feststellen, daß jedenfalls die Quote der erstinstanzlichen Entscheidungen, die im Ergebnis geändert wird, gar nicht mehr so viel niedriger liegt als unter dem alten Rechtsmittelsystem. Nur haben wir jetzt gottlob den Vorteil, daß wir ein bestimmtes Quantum nicht berufungswürdiger Verfahren auch nicht mehr durch das Nadelöhr der mündlichen Verhandlung bringen müssen, sondern in einem schriftlichen Verfahren über die Nichtannahme entscheiden können. Dadurch gewinnen wir viel Zeit, die den Verfahren zugute kommt, die es verdienen. Und das sind neben den zugelassenen Berufungen vor allem die erstinstanzlichen Verfahren bei den Oberverwaltungsgerichten/Verwaltungsgerichtshöfen, bei denen es um sehr viel geht und die nun auch sehr viel schneller entschieden werden können. Außerdem besteht die Möglichkeit der besseren Ressourcenverteilung zugunsten der erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte. Sie können und müssen wir verstärken oder jedenfalls stark halten, denn sie entscheiden 80 % aller verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten praktisch abschließend. Auch die bessere Ressourcennutzung ist ein Plus der 6. VwGO-Novelle. Aber ich verkenne, um das nochmals zu bestätigen, nicht: Was in der Anfangszeit der 6. VwGO-Novelle von den Obergerichten praktiziert worden ist, war teilweise viel zu restriktiv, und es wird uns in der Diskussion jetzt auch zu Recht entgegengehalten.

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Meyer-Ladewig: Wir sind in einer rechtspolitischen Diskussion, aber ich glaube, das wäre auch im Sinne von Carl Hermann Ule, und ich möchte deswegen zu diesem letzten Thema noch etwas sagen. Ich habe den Eindruck, Herr Meyer hat Recht, wenn er sagt, es hat ein gewisser Wandel in der Rechtsprechung stattgefunden. Ich glaube auch, er hat Recht, wenn er sagt, ein vernünftiger Verwaltungsrichter kann mit dem jetzigen Recht im Prinzip zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Nur, wenn man die Rechtsprechung gesehen hat, Sie sagen es selbst, und Sie haben daraufhingewiesen, Herr Redeker, sieht das anders aus. In der letzten Zeit und auch jetzt noch liest man ab und zu Entscheidungen, die einen wirklich zornig machen, weil auf eine beckmesserische Weise versucht wird, um ein Urteil in der Sache herumzukommen, offenbar weil man den Eindruck hat, es sei leichter, über Formalitäten zu entscheiden. Das ist schon manchmal schlimm. Nun mag sich das, und ich hoffe, daß das so ist, bereits geändert haben. Aber es sind immerhin einige Weichen falsch gestellt worden, ζ. B. daß ein neuer Tatsachenvortrag nicht möglich ist, daß nur auf der Tatsachengrundlage der ersten Instanz entschieden werden kann. Es ist mir völlig unerfindlich, wie man auf diese restriktive Rechtsprechung kommt und sie nur damit zu begründen, und darauf läuft es im Grunde hinaus, daß die sechste Novelle das Verfahren beschleunigen wollte, ist denn ja doch wohl ein bißchen wenig. Es handelt sich ja schließlich um ein Βerufungsverfahren. Und wenn im Berufungsverfahren selbst neuer Vortrag möglich ist und neue Tatsachen berücksichtigt werden müssen, warum dann nicht im Zulassungsverfahren? Ein Wort noch zur Rechtsmittelgewißheit. Diese Prämisse, dieses Postulat des Bundesverfassungsgerichts hat in der Vorbereitung der sechsten Novelle eine große Rolle gespielt. Auch der Zuschnitt der Zulassungsgründe ist dadurch sehr stark beeinflußt worden. Das hat nicht geklappt. Darüber brauchen wir nicht lange zu reden. Ich frage mich nur, ob es überhaupt klappen kann. Denn alle diese Begriffe einschließlich der grundsätzlichen Bedeutung sind natürlich weich, und ich glaube, Herr Redeker, daß die von Ihnen erwähnten Schwierigkeiten auch bei der Revision bestehen. Das Ärgerliche ist nur, daß man die Rechtsprechung zur Nichtzulassungsbeschwerde als hohe Schule der Jurisprudenz verlagert hat in die Tatsacheninstanz. Das ist ärgerlich, und das ist der Sache nicht angemessen. Blümel: Eine ergänzende Bemerkung. Es geht hier um die Beschränkung der Rechtsmittel. Das führt dazu, daß erstinstanzliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte rechtskräftig werden können, und sehr häufig sind das Entscheidungen von Einzelrichtern. Da würde interessieren, wie sieht es eigentlich in der Praxis aus, wie hoch ist der Einsatz der Einzelrichter. Wir haben das Thema vor kurzem in einem deutsch-spanischen Kolloquium erörtert, und zwar deswegen, weil in der neuen spanischen Prozeßordnung der Einzelrichter eingeführt worden ist, unter anderem nach dem Vorbild unserer Regelungen. Und auch da haben wir uns schon Gedanken darüber gemacht, ob sich der Einzelrichter in der kurzen Zeit bewährt hat oder nicht. Meyer. Vor kurzem erhielt ich den Aufsatz eines Hochschullehrers, der sich kritisch mit den Rechtsmitteleinschränkungen der 6. VwGO-Novelle auseinandersetzt.

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Die Kritik bezieht in der Gesamtschau insbesondere auch ein, daß beispielsweise in Rheinland-Pfalz fast 70 % der Verfahren bei den Verwaltungsgerichten durch den Einzelrichter entschieden würden. Wenn dem so wäre, dann hätten wir es in der Tat mit einem unerträglichen Zustand zu tun. Denn nach meinem Verständnis geht eines nicht: Die Rechtsmittel drastisch einzuschränken und dann noch in der ersten und einzigen Tatsacheninstanz den Einzelrichter zu forcieren. Der Einzelrichter beim Verwaltungsgericht muß den Fällen vorbehalten bleiben, die keine grundsätzliche Bedeutung haben, die rechtlich und tatsächlich nicht besonders schwierig sind, bei denen also letztlich nur „ausgetretene Pfade" beschritten werden. Aber gottlob kann ich den angeblich zu hohen Einzelrichtereinsatz jedenfalls für Rheinland-Pfalz sofort widerlegen. Denn die darüber geführte Bundesstatistik ist höchst mißverständlich, weil sie alle Verwaltungsstreitverfahren in einen Topf wirft. Man muß aber immer zwischen den allgemeinen Verwaltungsstreitverfahren und den Asylstreitverfahren unterscheiden. Für die Asylstreitverfahren ist gesetzlich angeordnet, daß der Einzelrichter in der ersten Instanz praktisch immer zuständig ist. Das ist eine Notmaßnahme aus der Zeit der überbordenden Asylflut. Aber für die allgemeinen Verwaltungsprozesse ist er ja nach §6 VwGO auf Verfahren reduziert, die weder von besonderer Schwierigkeit, noch von grundsätzlicher Bedeutung sind. Und deshalb liegt, wenn man die Asyl verfahren aus der Bundesstatistik herausnimmt, die Zahl der Einzelrichterentscheidungen bei den Verwaltungsgerichten sehr viel niedriger. In Rheinland-Pfalz liegt sie bei ungefähr 25-30%. Und dabei muß man berücksichtigen, daß diese Zahl noch einen hohen Anteil an Entscheidungen erfaßt, die ausschließlich die Kosten eines erledigten Verfahrens betreffen, in denen der Einzelrichter also noch nicht einmal eine Sachentscheidung zu treffen hat. Für meinen Verantwortungsbereich möchte ich also sagen, daß der Einzelrichtereinsatz bei den Verwaltungsgerichten sachangemessen und moderat ist. Es gibt aber in der Bundesrepublik durchaus einzelne Verwaltungsgerichte, in denen sich Kammern faktisch weigern, noch als Spruchkörper tätig zu werden und in denen so gut wie alle Verfahren an den Einzelrichter überwiesen werden. Das ist skandalös und vereinbart sich weder mit § 6 VwGO, noch mit den Rechtsmitteleinschränkungen der 6. VwGO-Novelle. Der Verwaltungsprozeß lebt auch in diesem Punkt davon, daß Augenmaß bei der richterlichen Arbeit waltet. Verfahren, von denen Richtlinienfunktion für die Verwaltungspraxis ausgeht, die Sie, Herr Blümel, ja im Auge haben, müssen selbstverständlich von einem Spruchkörper entschieden werden. Redeker. Meine Damen und Herren. Lassen Sie mich zu den Worten von Herrn Meyer etwas Ergänzendes sagen. Rheinland-Pfalz ist offensichtlich eine Insel der Seligen. Es läuft dort alles wie gewünscht oder gedacht. Unsereins kommt aber herum. Die Situation ist außerhalb von Rheinland-Pfalz ganz unterschiedlich, leider aber auch ganz unvorhersehbar. Es gibt Verwaltungsgerichte, die nach dem Eingang der Klage sofort die Anfrage routinemäßig versenden, ob man mit der Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden sei, wenn auch über die Fristwahrung hinaus in der Klage noch nichts ausgeführt wird. Es gibt Gerichte, die die Kammer als

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Spruchkörper fast nicht mehr kennen. Es hat auch Folgen. Ich könnte Beispiele nennen, daß die Kammer keine einheitliche Rechtsprechung mehr hat, sondern der Einzelrichter seine eigenen Wege geht. Nehmen Sie die Frage, ob ein Bauvorhaben nach § 34 oder nach § 35 BauGB zu beurteilen ist. Das ist Alltag für jede Baukammer. Aber ist gibt Kammern, bei denen man weiß, kommt der Einzelrichter X, da liegt das Grundstück im Außenbereich, kommt der Einzelrichter Y, liegt es im Innenbereich. Irgendeine Möglichkeit, eine Kammerrechtsprechung zu dieser Frage zu erreichen, besteht nicht mehr. Die Kammer hat sich eben für das Einzelrichtersystem entschieden. Das OVG Münster hat kürzlich in einem Fall bemerkt, die Verweisung an den Einzelrichter sei rechtswidrig gewesen und an sich müsse deshalb das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen werden. Denn die Kammer habe die Probleme des Verfahrens überhaupt nicht erkannt; der Einzelrichter hätte, als sie sichtbar waren, an die Kammer zurückverweisen müssen. Freilich hat das OVG diese Sache dann selbst entschieden. Ob sich sein Standpunkt halten läßt, ist zweifelhaft. Die Handhabung ist also ganz unterschiedlich. Es liegt hier an den begrifflichen Voraussetzungen. Man kann die Frage, ob ein Verfahren besondere Schwierigkeiten mit sich bringt oder nicht, eben ganz verschieden beantworten. Ich habe gehört, daß es inzwischen auch Kammern gibt, bei denen die beiden Beisitzer den Vorsitzenden regelmäßig überstimmen, alles zu Einzelrichtersachen zu machen; mindestens theoretisch geht dies. Quaritsch: Herzlichen Dank, Herr Redeker. Dann möchte ich den Diskutanten dieses Kreises sehr herzlich danken und das Diskussionsforum schließen, indem ich jetzt Herrn König das Schlußwort für unsere heutige Tagung erteile.

Schlußwort Von Klaus König Liebe Familie Ule, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde, Kollegen und Schüler von Carl Hermann Ule, zwei Persönlichkeiten möchte ich wegen der zeitlichen und räumlichen Dimension besonders nennen: Herrn Rechtsanwalt und Notar a. D. Joachim Hardow, der mit Carl Hermann Ule seit den Jahren gemeinsamer Tätigkeit bei der Marinegerichtsbarkeit verbunden ist, und Professor Dr. Go Koyama von der Meijo-Universität Nagoya, der den japanischen Freundes- und Kollegenkreis repräsentiert. Wir kommen zum Schluss unseres Gedächtnissymposiums „Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit". Carl Hermann Ule habe ich - über mein Studiensemester in Speyer hinaus - beruflich und persönlich näher kennen gelernt, als ich ihn 1965 aufsuchte, damals Stipendiat an der Universität Wien und mit einer rechtsvergleichenden Untersuchung insbesondere des österreichischen Verwaltungsverfahrens befasst. Ich schätzte seine Sachkenntnisse wie seine Meinung in dieser Sache, wie sie mir insbesondere auch aus seinen Diskussionsbeiträgen zum Verwaltungsverfahren bei der Wiener Staatsrechtslehrertagung 1958 bekannt waren. Seine Entschlossenheit lernte ich dann kennen, als er mir nach einem mittäglichen Gespräch anbot, als Forschungsreferent nach Speyer zu kommen und das von ihm konzipierte Vorhaben „Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes" zu bearbeiten. Ich habe gern eingewilligt an einem Vergleich mitzuwirken, der viele europäische Länder, auch Osteuropas, und dann die Europäische Gemeinschaft, weiter Israel und die Vereinigten Staaten von Amerika umfasste. Das Ergebnis dieses Vorhabens liegt in der Schriftenreihe der Hochschule vor. Carl Hermann Ule habe ich also als Prozessualisten kennen gelernt. Und wie Detlef Merten und ich aus den vielfältigen Interessengebieten das Verfahrensrecht ausgewählt haben, so war ich schon damals von dieser Seite seiner breit angelegten Kenntnisse von Staats- und Verwaltungsrecht besonders angezogen. Anderen muss es genauso gegangen sein, auch etwa Niklas Luhmann, damals ebenfalls ein von Carl Hermann Ule betreuter Forschungsreferent. Er veröffentlichte kurz danach seine soziologische Studie „Legitimation durch Verfahren". Der Jurist Ule verstand durchaus, dass ein rechtlich geordnetes Verfahren zur Legitimation von rechtlich verbindlichen Entscheidungen beiträgt. Als erfahrener

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Richter wusste er, was ein faires Verfahren den Prozessbeteiligten bedeutet. Aber dass eine Entscheidung allein durch das Verfahren getragen werden könnte, wäre ihm wohl zu weit gegangen. Dazu war er der materiellen Richtigkeit in der Sache zu sehr verpflichtet. Der Prozess dient als Institution sowohl dem Rechtsfrieden wie der Bewährung des materiellen Rechts. Will man mit dem prozessualen Werk Ules eine Leitidee verbinden, dann ist es der Rechtsstaatsgedanke in pragmatischer Absicht. Für ihn konkretisierte sich - wie er im Vorwort der ersten Auflage 1960 seines Verwaltungsprozessrechts schrieb - eben im Verwaltungsprozess der Rechtsstaatsgedanke täglich neu. Die Intention, den Rechtsstaat nach 1945 über das in der Weimarer Republik Erreichte hinaus aufzubauen und zu sichern, teilte er mit vielen seiner Generation. Nicht wenigen war er aber in seinem Pragmatismus - erworben auch als Richter und Verwaltungsjurist - voraus, wie sein Interesse an der Vereinheitlichung der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsgesetze, sein Interesse an der Dauer gerichtlicher Verfahren und insbesondere sein frühes Interesse, den Rechtsstaat durch Kodifikation des Verwaltungsverfahrens nach vorn auszudehnen, belegen. Dabei war er wohl mit der Überlegung, dass der Rechtsstaat eine verfahrensrechtliche Regelung erfordere, mindestens Ende der fünfziger Jahre noch in einer Mindermeinung. Das alles ist hier in vertiefenden Referaten und Diskussionsbeiträgen verhandelt worden, wofür Detlef Merten und ich danken. Es lässt sich indessen noch eine andere Anziehungskraft des Prozessrechts für Carl Hermann Ule nennen. Das ist die eigene Intelligenz dieses Rechtsstoffes. Prozessrecht ist eben eine spezifische Emanation des juristischen Denkens. Es reicht tief in die Kultur einer Rechtsgemeinschaft hinein. Der offenkundige Anschauungsfall ist das unterschiedliche Verständnis des Strafprozesses in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland. Aber auch innerhalb einer Rechtsordnung lösen unterschiedliche Prozessmaximen wie Verhandlungsgrundsatz und Untersuchungsgrundsatz unterschiedliche Arbeitsmethoden und Denkvorgänge aus. Es ist kein Zufall, dass man unter den Prozessualisten nicht wenige der scharfsinnigsten Juristen findet, und Carl Hermann Ule gehörte zu diesen. Die von uns Gegangenen leben in ihren Werken und in unseren Gedanken fort. Werke bedürfen der Vergewisserung. Dies haben wir mit diesem Symposium versucht, und das steht der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gut an, die von Carl Hermann Ule über viele Jahre maßgeblich geprägt worden ist. Wenn wir jetzt nach Hause gehen, werden uns unsere Gedanken an Carl Hermann Ule begleiten. Deswegen möchte ich mit einigen Worten zu seiner Persönlichkeit schließen. Carl Hermann Ule hatte die Gabe, als akademischer Lehrer in Speyer einen Kreis von Schülern um sich zu versammeln. Was eine Beziehung von Lehrer und Schüler freilich bedeutet, konnte man bei ihm am besten beobachten, wenn er seine japanischen Schüler traf. Er erfuhr eine Verehrung, die über den berühmten Juristen hinaus

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seine gesamte Persönlichkeit umfasste. Entsprechendes gilt für seine wissenschaftlichen Mitarbeiter, wenn sie sich seinem starken Naturell gewachsen erwiesen. Zwei Eigenschaften möchte ich hervorheben: Autorität und Großzügigkeit. Carl Hermann Ule war eine natürliche Autorität. In der täglichen Zusammenarbeit musste er keine Mechanismen formaler Hierarchie in Anspruch nehmen. Seine Sachkompetenz stand ohnehin fest. Aber auch als Person war er Vorbild. Seinen Mitarbeitern legte er gewichtige Bürden auf. Aber diese wurden leicht, wenn man sah, wie sehr er sich selbst forderte. Er wusste so allein durch seine Präsenz eine Atmosphäre der Produktivität zu schaffen. Carl Hermann Ule war großzügig. Das haben alle erfahren, die private Gäste von ihm und seiner verehrten Frau Gemahlin waren. Großzügigkeit kennzeichnete aber auch den Professor. Enge in Beruf und Wissenschaft war nicht seine Sache. Schon auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ergaben sich für seine Mitarbeiter und Schüler breite Spielräume. Er selbst hatte als Richter, Verwaltungsjurist, Staatsrechtslehrer und später Rechtsanwalt vor allem in der Rechtsdogmatik seine professionelle Grundlage. Unser Symposium hat belegt, wie er selbst an der Festigung dieses Fundaments mitgearbeitet hat. Auch seine rechtspolitischen Überlegungen hatten hier ihren Ausgangspunkt. Wer aber über das geltende Recht hinaus staatswissenschaftliche Interessen zeigte - wie Frido Wagener mit seinem „Neubau der Verwaltung" und auch ich - konnte mit seinem Verständnis und seiner Förderung rechnen. Er kam aus der Tradition der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, hatte die großen Rechtslehrer der Weimarer Republik wie Max Weber studiert, schätzte Kunst und Literatur, die das Rechts- und Staatsleben mit reflektierten, hatte in der Hochschule für Verwaltungswissenschaften eine akademische Heimat gefunden, begegnete hier Kollegen in der Spannweite von Arnold Gehlen bis Fritz Morstein Marx und wählte sich Mitarbeiter in der Breite von Franz Becker, einem späteren Justizminster, bis Roman Schnur, einem späteren Rechtsprofessor von geisteswissenschaftlicher Originalität. Freilich war die Überzahl seiner Mitarbeiter und Schüler Juristen, die seinen rechtsdogmatischen Interessen eng verbunden blieben, sogar sein Werk fortsetzten. Für die wissenschaftliche Seite hat Hans Werner Laubinger dafür heute Morgen eine Probe geliefert. Ich möchte noch diejenigen seiner Schüler hervorheben, die als Juristen in die verschiedenen Praxisfelder gegangen sind - von der öffentlichen Verwaltung bis zur Rechtsanwaltschaft, von der Gerichtsbarkeit bis zum Rundfunk, von den Rechnungshöfen bis zur Politik - , dort beruflichen Erfolg gefunden und sich zu eigenen Persönlichkeiten entwickelt haben. Autorität und Großzügigkeit ihres Lehrers haben dafür in jungen Jahren wichtige Voraussetzungen geschaffen. Carl Hermann Ule fand also nicht nur in seiner Generation Anerkennung und Freundschaft. Er konnte sich bis in das hohe Alter hinein der Verehrung seiner Schüler sicher sein. In Rede und Schrift prägte er zahlreiche Juristen-Jahrgänge, insbesondere durch seine Speyerer Arbeitsgemeinschaften und seine Standardlehrbücher.

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Es gelang ihm immer wieder, neue Kollegen und Freunde an sich zu binden - im Inland wie im Ausland, in der Wissenschaft wie in der Praxis, in der Rechtspflege wie in rechtspolitischen Stäben, und zwar über seine Fachinteressen hinaus. Die Jüngeren respektierten in ihm nicht bloß den Erfahreneren, Kenntnisreicheren. Sie schätzten seine vorbildliche Persönlichkeit in den vielen Facetten seines beruflichen und privaten Lebens. Es sind also viele - und ich beziehe die Briefe ein, die wir von verhinderten Kollegen und Freunden erhalten haben - , die sich heute an Carl Hermann Ule erinnern. Und unter diesen sind es wiederum viele, die mit seinem Namen Achtung und Dankbarkeit verbinden. In diesem Sinne schließe ich unser Gedächtnis-Symposium. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt und „Auf Wiedersehen" in Speyer.

Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer

Prof. Dr. Willi Blümel Prof. Dr. Dr. Klaus König Dr. Jens Meyer-Ladewig, Ministerialdirektor a. D. Prof. Dr. Werner Laubinger, M. C. L. Prof. Dr. Dr. Detlef Merten Prof. Dr. Karl-Friedrich Meyer, Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz Prof. Dr. Helmut Quaritsch, Ministerialdirektor a. D. Prof. Dr. Konrad Redeker, Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Klaus Stern Prof. Dr. Jan Ziekow