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German Pages 118 Year 1985
HANS WALTER DETTE
Venire contra factum proprium nulli conceditur
Schriften zur
Rechtstheo
Heft 115
Venire contra factum proprium nulli conceditur Zur Konkretisierung eines Rechtssprichworts
Von
Hans Walter Dette
DUNCKER
&
HÜMBLOT
/
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Dette, Hans Walter: Venire contra factum p r o p r i u m n u l l i conceditur: zur Konkretisierung e. Rechtssprichworts / von Hans Walter Dette. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1985. (Schriften zur Hechtstheorie; H. 115) I S B N 3-428-05902-6 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Bert Jordan, Berlin 61. Druck: Bruno Luck, Berlin 65 Printed In Germany ISBN 3-428-05902-6
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit wurde i m November 1984 dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität als Dissertation eingereicht. Neuere Literatur und Rechtsprechung ist daher nur i n Einzelfällen berücksichtigt. Ich danke meinem sehr verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Teichmann, herzlich für die Überlassung der Druckfahnen seiner Kommentierung zu § 242 i n der 11. Aufl. des Soergel und für zahlreiche andere Hilfestellungen. Mainz, i m A p r i l 1985 Hans Walter Dette
Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung I. Gegenstand
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1. Allgemeine Beschreibung
13
2. Venire contra factum p r o p r i u m als Parömie
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I I . Beispielsfälle
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1. Schiedsklauselfall
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2. Konkurstabellenfall
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3. M a k l e r f a l l
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4. Zeugnisfall
16
5. Fluglotsenfall
18
6. Untreuefall
18
7. Kleinsiedlerfall
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I I I . I n t e n t i o n der A r b e i t
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B. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts I. Verbot des Rechtsmißbrauchs u n d Gebot, nach Treu u n d Glauben zu handeln I I . Institutioneller u n d individueller Rechtsmißbrauch
27 29
1. Institutioneller Rechtsmißbrauch
30
2. Individueller Rechtsmißbrauch
30
3. Standort des Prinzips des venire contra factum p r o p r i u m a) Früheres mißbräuchliches Verhalten (dolus praeteritus) b) Gegenwärtiges mißbräuchliches Verhalten (dolus praesens) .. c) Der Selbstwiderspruch als eigene Fallgruppe des individuellen Rechtsmißbrauchs
31 32 34 36
C. Zulässigkeit der Anwendung des Gedankens des venire contra factum proprium I. Gesetzliche Grundlagen
37
1. §242
37
2. § 226 u n d § 826
37
Inhaltsverzeichnis
10
I I . A b l e i t u n g aus dem allgemeinen Mißbrauchsverbot
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I I I . Spezielle Legitimation des Prinzips des venire contra factum proprium
38
1. Verbot des Selbstwiderspruchs
38
2. Abgrenzung zur Willenserklärung a) Fehlen der Grundvoraussetzungen einer Willenserklärung . . . b) Unmöglichkeit konkludenter Willenserklärungen
42 43 43
c) U n w i r k s a m k e i t wegen des Fehlens von Formerfordernissen d) K e i n Rechtsgeschäft bei unverzichtbaren Rechten
44 45
..
3. Abgrenzung zu dolosem Verhalten 4. Das I n s t i t u t des venire contra factum proprium als Ausfluß des Vertrauensschutzes a) Der Vertrauensschutzgedanke als „rechtsethisches Prinzip" .. b) Konkrete Untersuchung des Vertrauensschutzes c) Kennzeichnung des Vertrauensschutzes durch das W i d e r spruchselement
45 45 45 47 49
5. Schlußfolgerung hinsichtlich der Einordnung des Instituts beim Gedanken des Rechtsmißbrauchs 50
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System I. Grundsätzliches
51
1. Gefahren außergesetzlicher Rechtsfindung u n d ihre Vermeidung durch Strukturierung von Sachnormen
51
2. Systematisierung der Voraussetzungen a) Generalklausel b) Festes Tatbestandssystem c) Bewegliches System
52 52 53 54
I I . Die Voraussetzungen i m einzelnen
57
1. Das Vorverhalten des einen Teils a) Positives T u n b) Unterlassen
57 57 58
2. Das Vertrauen des anderen Teils a) Allgemeines b) Abschwächung des Vertrauenstatbestandes
61 61 62
3. Vertrauensdisposition a) Grundsätzliches b) Formfehlerhafte Geschäfte als Anwendungsfälle des Prinzips des venire contra factum p r o p r i u m
63 63
c) Beweislast
65 67
4. Schutzwürdigkeit des Vertrauens
68
5. Zurechenbarkeit
71
Inhaltsverzeichnis a) Erfordernis
71
b) Das Risikoprinzip als geeignetes Zurechnungsprinzip
71
c) Zurechnung gegenüber Minderjährigen
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6. Weitere ergänzende K r i t e r i e n
73
7. Die Subsidiarität des Prinzips des venire contra factum proprium
73
8. „Sachliche Angemessenheit" des Ergebnisses a) Allgemeines b) Negatives Tatbestandsmerkmal c) Das Verhältnis zu zwingendem Recht
74 74 75 77
I I I . Der Gedanke des venire contra factum p r o p r i u m u n d das bewegliche System bei anderen Instituten und Normen 1. Ausprägungen u n d Durchgangsfunktion 2. Anscheins- und Duldungsvollmacht stände der §§ 170—173
79 79
sowie die
Kundgabetatbe-
3. §48 Verwaltungsverfahrensgesetz
80 81
E. Rechtsfolgen I. Materielle Rechtsänderung als grundsätzliche Rechtsfolge
83
I I . K o n s t r u k t i o n der Rechtsfolgen
83
1. Ersatz fehlender positiver Tatbestandsmerkmale
83
2. B i l d u n g negativer Tatbestandsmerkmale u n d Einwendungen . . .
85
3. Beschneidung v o n Einwendungen
85
4. Beschneidung v o n Einreden, insbesondere der Einrede der Verjährung a) Nach E i n t r i t t der V e r j ä h r u n g b) V o r E i n t r i t t der V e r j ä h r u n g
86 86 86
I I I . Spiegelbildfunktion Rechtsfolge)
(Ver-
bzw.
Erwirkung
als Bezeichnung
der
89
1. Beschreibung
89
2. Begründung der grundsätzlichen Zulässigkeit der K o n s t r u k t i o n m i t der W i r k u n g „ i n beide Richtungen"
91
IV. Legitimation der Rechtsfolge i n der F o r m der Anspruchsbegründung
92
F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen I. Unvereinbares Verhalten 1. I n sich widersprüchliches spruch)
95 Verhalten
(unlösbarer
Selbstwider-
95
Inhaltsverzeichnis
12 a) b) c) d) e)
Wandelungsfall Schiedsklauselfall Höchstarbeitszeitfall Lösung Folgerung hinsichtlich der §§ 814, 815
2. Protestatio facto contraria I I . Obliegenheitsverletzung u n d Verschulden gegen sich selbst
95 95 96 96 97 97 99
1. Zusammenhang m i t dem Prinzip des venire contra factum proprium 99 a) Obliegenheitsverletzung 100 b) Verschulden gegen sich selbst 102 2. Ergebnis
102
I I I . Handeln auf eigene Gefahr 1. Allgemeines a) Vertrauensschutzgedanke b) Widersprüchliches Verhalten c) Keine Änderung der Rechtslage d) §254 IV. Verstoß gegen das Synallagma 1. Allgemeines a) Widersprüchliches Verhalten b) Keine Änderung der Rechtslage
102 102 103 103 103 104 105 105 105 105
2. Untersuchung der Ausprägungen des Gedankens der synallagmatischen Verknüpfung 106 a) § 351
106
b) Saldotheorie
107
G. Zusammenfassung und Ergebnis I. Thesen
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I I . Ausblick
110
Literaturverzeichnis
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Α. Einleitung
I. Gegenstand 1. Allgemeine
Beschreibung
Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung, Untersuchung und Legitimation des Prinzips des venire contra factum proprium. Synonym zu diesem lateinischen Begriff w i r d der deutsche Ausdruck „widersprüchliches Verhalten" verwendet. 1 Dementsprechend w i r d dieses Prinzip auch beschrieben. Es soll, als kennzeichnende Rechtsvoraussetzung, dann gegeben sein, wenn sich jemand durch eine Rechtsausübung zu seinem eigenen früheren Verhalten i n Widerspruch setzt. 2 Das Entscheidende dieses Grundsatzes ist dabei, daß es „verboten" ist. Man spricht vom Verbot des venire contra factum proprium oder der Unzulässigkeit des widersprüchlichen Verhaltens. 3 A u f Latein w i r d dies m i t venire contra fact u m proprium nemini licet, non licet oder n u l l i conceditur bezeichnet. 4 Damit ist zwar kein Verbot i m Sinne des § 134 gemeint. Als Rechtsfolge w i r d die „Übertretung" des „Verbots", sich widersprüchlich zu verhalten, jedoch damit sanktioniert, daß der sich widersprüchlich Verhaltende an seinem früheren Verhalten „festgehalten" w i r d und so ein i h m „an sich" zustehendes Recht nicht mehr geltend machen kann. 5 2. Venire contra factum -proprium als Parömie Es handelt sich bei dem bereits i m römischen Recht bekannten 6 Prinzip des venire contra factum proprium zunächst nur u m ein Rechtssprichwort, u m eine sog. Parömie. Das sind gängige Formulierungen, die häufig althergebrachte Weisheiten überliefern, dabei Ausdruck von 1
Ce. 2
Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 4 ; Palandt / Heinrichs, §242 A n m 4
Köbler, Juristisches Wörterbuch, 287; StudK, S . X X X V ; Jauernig / V o l l kommer, §242 A n m I I I 4; Palandt / Heinrichs, §242 A n m 4 C e ; B G H N J W 1980,2408. 3 Palandt / Heinrichs, § 242 A n m 4 C e; Soergel / Knopp (10), § 242 R n 228. 4 Vgl. Liebs, JZ 1981, 160; Liebs, Lateinische Rechtsregeln, 216. 5 MünchKomm-Roth, § 242 R n 295. 6 Riezler, Venire contra factum proprium, 1 ff.; Liebs, JZ 1981, 160 ff.
14
Α. Einleitung
Präjudizien wie auch von Gewohnheitsrecht 7 sein können, denen aber ohne weiteres keine dogmatische Bedeutung zukommt. 8 Man könnte sie den handwerklich zugeschnittenen Maximen gleichstellen, die ohne echte dogmatische auctoritas dank ihres Alters die Rechtsprechung weith i n lenken, m i t der Vertiefung und Verfeinerung des dogmatisch-begrifflichen Könnens aber allmählich an Wirkung verlieren. 9 Einst als Ergebnis einer Gerechtigkeitsabwägung gefaßt, müßten sie heute als „Einzelrezepte" 10 darauf überprüft werden, ob sie sich i n die gegenwärtigen dogmatischen Gebäude einfügen lassen und welcher Stellenwert ihnen darin zukommt. II. Beispielsfälle Einige, teilweise vereinfachte Beispielsfälle aus der Rechtsprechung sollen i n die Problematik einführen. 1. Schiedsklauselfall
(BGHZ 50, 191)
Die Beklagte hatte i n einem Schiedsgerichtsverfahren geltend gemacht, nicht das Schiedsgericht, sondern das ordentliche Gericht sei zuständig. I m anschließenden Verfahren vor dem ordentlichen Gericht erhob sie dann die Einrede des Schiedsvertrages. Der BGH hielt das ordentliche Gericht wegen dieses widersprüchlichen Verhaltens für zuständig und führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: „ . . . Die Beklagte verstößt gegen Treu und Glauben, weil sie sich durch die Erhebung der Einrede des Schiedsvertrages m i t ihrem früheren Verhalten i n unlösbaren Widerspruch setzt. Dieses widersprüchliche Verhalten der Beklagten, als welches sich die Erhebung der Einrede des Schiedsvertrages i m gegenwärtigen Rechtsstreit darstellt, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Hat ein Beklagter i m Schiedsgerichtsverfahren geltend gemacht, nicht das Schiedsgericht, sondern das ordentliche Gericht sei zuständig, so ist es i h m i n der Regel verwehrt, sich später i m Prozeß vor dem ordentlichen Gericht darauf zu berufen, es sei doch das Schiedsgericht zuständig. Ein solches gegensätzliches Verhalten läuft auf den Versuch hinaus, dem Kläger i n jeder der beiden Verfahrensarten den Rechtsschutz ab7 Dieser Charakter w i r d v o n Liebs, JZ 1981, 160, für das Prinzip des venire contra factum p r o p r i u m verneint. 8 Puchta, Gewohnheitsrecht, Bd. 2, § 4, S. 148; Sintenis, Das practische gemeine Zivilrecht, B d 1, §3 A n m 5 8 , S.48; vgl. auch Teichmann, FS Michaelis, 294 f., zur protestatio facto contraria. 9 Esser, Grundsatz u n d Norm, 317 ff. 10 Esser, Grundsatz u n d Norm, 319.
II. Beispielsfälle
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zuschneiden und ihn damit praktisch rechtlos zu stellen. Es ist dem Kläger nicht zumutbar, sich durch eine solche widersprüchliche Verteidigung des Beklagten abwechselnd von einem Rechtsweg i n den anderen verweisen zu lassen. Vielmehr muß sich der Beklagte grundsätzlich, nachdem er i m Schiedsgerichtsverfahren einmal den Standpunkt eingenommen hat, das Schiedsgericht sei nicht zuständig, der Streit gehöre vor das ordentliche Gericht, an dieser Auffassung auch später i m Verfahren vor dem ordentlichen Gericht festhalten lassen. . . . " 2. Konkurstabellenfall
(BGH BB 1970, 1117)
Auch i n diesem Fall begründet der BGH seine Entscheidung m i t dem Vorliegen eines widersprüchlichen Verhaltens. Die Klägerin, eine Bank, hatte zur Konkurstabelle der Gemeinschuldnerin eine Gesamtforderung von über 200 000 D M angemeldet, die der Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin (Beklagter) i m Prüfungstermin „vorläufig bestritten" hatte. Darin waren u. a. Forderungen enthalten, die der Klägerin von Kunden abgetreten worden waren. Dieselben Forderungen waren auch von den betreffenden Kunden selbst angemeldet worden, insoweit zum Teil nicht bestritten und demgemäß als Konkursforderungen dieser Kunden zur Tabelle festgestellt worden. Dies geschah, nachdem der Vertreter der Klägerin i m Prüfungstermin den Ansprüchen der Kunden nicht widersprochen und zur Doppelanmeldung erklärt hatte, die Klägerin habe die Forderungen vorsorglich i m Interesse der Kunden angemeldet. Wegen der bereits für die Bankkunden festgestellten Forderungen wies der BGH die Klage aus folgenden Gründen ab: „ . . . Der Beklagte durfte dem Verhalten des Vertreters der Klägerin nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte entnehmen, die Klägerin wolle mit ihrer bloß vorsorglich erfolgten Anmeldung zugunsten der Kunden zurücktreten, also die gleichen Forderungen nicht weiter verfolgen, wenn und soweit sie schon für die Kunden selbst festgestellt würden. . . . Unter diesen Umständen steht der Klägerin der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen, wenn sie die bereits für ihre K u n den festgestellten Ansprüche auch ihrerseits noch gegen den Beklagten geltend macht. Anstatt klarzustellen, daß die Klägerin sich als die wahre und einzige Forderungsinhaberin betrachte, hat ihr Vertreter den Eindruck hervorgerufen, sie lasse ihren Kunden den V o r t r i t t und ein Gläubigerwettstreit stehe nicht i n Frage. I m Vertrauen hierauf hat der Beklagte es geschehen lassen, daß die Bankkunden gemäß § 145 Abs 2 KO einen rechtskräftigen Titel für ihre Forderungen erhielten. Dieses durch sie verursachte Vertrauen darf die Klägerin nicht enttäuschen, indem sie nun darauf besteht, für sie dieselben Forderungen festzustellen, und auf diese Weise die Möglichkeit einer doppelten Inan-
Α. Einleitung
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spruchnahme der Masse zu Lasten der übrigen Konkursgläubiger herbeiführt. . . . Hierbei ist es unerheblich, daß der Vertreter der Klägerin nicht von vornherein bewußt auf eine doppelte Feststellung der Forderungen zur Konkurstabelle ausgegangen ist. Die Klägerin muß sich den Einwand des Rechtsmißbrauchs nicht deswegen entgegenhalten lassen, weil ihr Vertreter i m Prüfungstermin den Beklagten arglistig zur Anerkennung der Kundenforderung bewogen habe, sondern weil sie sich durch ihre gegenwärtige Rechtsverfolgung i n einer Weise, die mit Treu und Glauben unvereinbar ist, zu dem früheren Verhalten ihres Vertreters i m Prüfungstermin i n Widerspruch setzt, auf das sich die Beklagte eingestellt hat " 3. Maklerfall
(BGH NJW 1969, 1625)
I n dieser Entscheidung kam es zwar nicht auf das Prinzip des venire contra factum proprium an, jedoch enthält sie ein interessantes obiter dictum zu diesem Problem. Ein Makler hatte mit seinem Auftraggeber einen schriftlichen „Alleinauftrag" abgeschlossen, der es dem Auftraggeber untersagte, den Auftrag noch anderweitig zu vergeben. A u f die Frage der Notwendigkeit der Unterzeichnung eines entsprechenden Schriftstücks hatte der Makler erklärt, es handele sich nur u m eine Formsache und „er sei nicht so". Als der Auftraggeber entgegen dem Alleinauftrag das Grundstück verkaufte, ohne den Makler hinzuzuziehen, verlangte der Makler Schadensersatz. Der BGH hob das klagestattgebende Berufungsurteil auf und begründete dies wie folgt: „ . . . Der schuldhaft falsch beratene und irregeführte Beklagte kann auch dann, wenn die Voraussetzungen einer Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung nicht gegeben sind, mit einem Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß verlangen, daß Rechtsfolgen aus dem so zustande gekommenen Vertrag nicht hergeleitet werden dürfen. Zu dem gleichen Ergebnis würde i m übrigen die Anwendung des § 242 BGB führen. Ein Makler, der eine geforderte schriftliche Erklärung entgegen seinen Worten („bloße Formsache, er sei gar nicht so") mit voller Strenge des Rechts zur Geltung bringt, setzt sich i n einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise mit seinem eigenen Verhalten i n Widerspruch. . . . " 4. Zeugnisfall
(BAG NJW 1972, 1215)
I n diesem Urteil des B A G war das Institut des venire contra factum proprium wiederum insoweit entscheidungserheblich, als eine offene Tatfrage dahinstehen konnte. Die Klägerin ist eine Großeinkaufs- und
II. Beispielsfälle
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Verbrauchergenossenschaft der Lebensmittelbranche und betreibt i n Β mehrere Filialen. Der Beklagte ist ein ehemaliger Angestellter der Beklagten, der selbständig mehrere Filialen, u. a. die Filiale i n M leitete. I h m oblag als Filialleiter die alleinige Verantwortung für den gesamten Geschäftsbetrieb. Hinsichtlich seiner Haftung war u. a. vereinbart worden, daß er für schuldhaft verursachte Verluste an Waren, Geld und sonstigen Werten haftete; i n Zweifelsfällen hatte der Beklagte sein Nichtverschulden zu beweisen. Eine i n dem Zeitraum, i n welchem der Beklagte die Filiale i n M leitete, durchgeführte Inventur ergab einen Fehlbetrag von 3025,78 DM, eine weitere ergab einen Fehlbetrag, über den die Parteien streiten. Als der Beklagte, nachdem er weitere Filialen zur Zufriedenheit der Klägerin geleitet hatte, kündigte, stellte diese ihm ein Zeugnis aus, i n dem es u. a. heißt: „Während seiner Tätigkeit bei uns haben w i r Herrn S. als einen fleißigen, ehrlichen und gewissenhaften Mitarbeiter kennengelernt." Die Klägerin macht den Beklagten für den angeblich festgestellten Mankobetrag haftbar. Das B A G bestätigte die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen und begründete dies wie folgt: „Es kann dahinstehen, ob der Schadensersatzanspruch der Klägerin deshalb nicht begründet ist, weil sie den Kausalzusammenhang zwischen der von ihr behaupteten Pflichtverletzung des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden nicht nachgewiesen hat. Denn jedenfalls verbieten die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Klägerin, den ihr gegen den Beklagten vermeintlich zustehenden Schadensersatzanspruch zu verfolgen. M i t der Rechtsverfolgung nimmt die Klägerin eine Haltung ein, die i m Widerspruch zu der i n dem Zeugnis erklärten Beurteilung des Beklagten steht. Nach einhelliger Meinung i n Lehre und Rechtsprechung verstößt eine Partei gegen Treu und Glauben, wenn sie mit ihrer Rechtsverfolgung oder Verteidigung eine Haltung einnimmt, die mit ihren früheren Erklärungen oder mit ihrem früheren Verhalten i n Widerspruch steht, und wenn weiter der Verpflichtete aus dem früheren Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, daß dieser Ansprüche gegen i h n nicht mehr geltend machen werde (Staudinger / Weber, 11. Aufl., § 242 Anm. D 323 m. w. Nachw.; Erman, BGB, 3. Aufl., Anm. I I I 3 b aa zu § 242 BGB). I n einem solchen Fall ist das Verhalten des Berechtigten von der Rechtsordnung her nicht zu billigen, weil ihm der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensteht. Der Berechtigte muß sich an seinem früheren Verhalten und an seinen früheren Erklärungen festhalten lassen (Verbot des venire contra factum proprium). . . . Wenn die Klägerin dem Beklagten Ehrlichkeit bescheinigt, dann bringt sie mit dieser Beurteilung zum Ausdruck, daß sie i h m kein vorsätzliches untreues Verhalten irgendwelcher A r t vorwirft, mit dem 2 Dette
18
Α. Einleitung
Wort gewissenhaft bestätigt sie ihm, daß er sich i n jeder Hinsicht entsprechend der einem Arbeitnehmer, hier einem Filialleiter, gegenüber seinem Arbeitgeber obliegenden Sorgfaltspflicht verhalten hat. Aus dieser für ihn positiven und eindeutigen Fassung des Zeugnisses durfte der Beklagte entnehmen, daß die Klägerin i h m jetzt keine Pflichtverletzung mehr vorwerfen werde. Daraus folgt entsprechend dem Verbot des venire contra factum proprium notwendig, daß der Beklagte auch annehmen durfte, die Klägerin werde ihn für den angeblichen Warenfehlbestand nicht mehr haftbar machen. Er durfte sich also darauf einrichten, daß er m i t einer Inanspruchnahme durch die Klägerin nicht mehr zu rechnen brauchte." 5. Fluglotsenfall
(BGH VersR 1982, 444)
I n diesem Fall sah der BGH einen Anspruch aufgrund eines Verstoßes gegen ein früheres Verhalten als begründet an. Dem Kläger war durch den sog. Fluglotsenstreik ein Schaden entstanden, den er gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht hatte. Der BGH bestätigte das zusprechende Urteil des Oberlandesgerichts, indem er nach seiner Stellungnahme zum grundsätzlichen Bestehen des A n spruchs aus § 839 BGB, A r t . 34 GG zur Verjährung ausführte: „ . . . Die Erhebung der Verjährungseinrede verstößt hier gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Hierzu ist Voraussetzung, daß der Gläubiger aus dem gesamten — sei es auch unbeabsichtigten — Verhalten des Schuldners für diesen erkennbar das Vertrauen geschöpft hat und auch schöpfen durfte, der Schuldner werde eine Verjährung nicht geltend machen, sich vielmehr auf sachliche Einwendungen beschränken. Ein solcher Vertrauenstatbestand ist durch das Stillhalteabkommen vom Mai 1976 und die späteren Verlängerungsvereinbarungen begründet worden. I n diesen Abkommen hat die Beklagte jeweils erklärt, sie wolle innerhalb der näher bestimmten Zeit „nichts unternehmen, was geeignet sein könnte, eine gerichtliche Durchsetzung der vorbezeichneten A n sprüche zu gefährden". . . . Bei dieser Sach- und Rechtslage ist die jetzige Geltendmachung der Verjährung m i t dem früheren Verhalten der Beklagten anläßlich des Abschlusses der Stillhalteabkommen nach Treu und Glauben unvereinbar." 6. Untreuefall
(BAG 6, 165)
Bei dieser Entscheidung des B A G stand das widersprüchliche Verhalten i n Form der Verwirkung i m Mittelpunkt. Der Beklagte war fast 20 Jahre bei der Klägerin, einer Aktiengesellschaft, angestellt. Er war zuletzt Bevollmächtigter, Lagerleiter und „Geschäftsführer" der Niederlassung i n B. M i t Schreiben vom 25. 9.1952 kündigte die Klägerin das
II. Beispielsfälle
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Vertragsverhältnis zum Beklagten fristlos. Sie begründete dies damit, daß der Beklagte sie u m 32 000 D M geschädigt habe, indem er pflichtwidrig die i h m zustehenden Befugnisse überschritten und sie entgegen allen kaufmännischen Gepflogenheiten über die von i h m getätigten Geschäfte nicht oder nur mangelhaft unterrichtet habe. Die Klägerin beantragte beim Amtsgericht i n Β einen dem Beklagten am 17.10.1952 zugestellten Zahlungsbefehl über 10 000 D M als Teilbetrag des angeblich vom Beklagten verursachten Schadens. Der Beklagte legte dagegen am 22.10.1952 Widerspruch ein. Die Klägerin hat auf diesen Widerspruch h i n nichts veranlaßt, insbesondere nicht die zweite Hälfte der Prozeßgebühr eingezahlt. A m 24.10.1952 schrieb die Klägerin dem Beklagten, es seien noch weitere, durch sein Verhalten verursachte Schäden entdeckt worden, für die sie ihn ebenfalls i n Anspruch nehmen werde. Der Beklagte antwortete darauf am 29.10.1952, daß er sich am Ersatz eines Schadens beteiligen werde, wenn seine Schuld an dessen Verursachung erwiesen sei. Von da an ließen weder die Klägerin, noch der Beklagte voneinander etwas hören, bis die Klägerin am 22.12.1954 die vorliegende, auf das bereits beschriebene Verhalten des Beklagten gestützte Klage erhob, die diesem am 17.1.1955 zugestellt wurde. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, letzteres m i t der Begründung, der Anspruch der Klägerin sei verwirkt. Das B A G teilt diese Ansicht nicht und führt dazu aus: „ . . . Rechtsprechung und Schrifttum haben die Verwirkung als Rechtsinstitut auf der Grundlage des Satzes von Treu und Glauben dahin entwickelt, daß sie ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung ist und nur eintritt, wenn es sich u m eine so verspätete, illoyale Geltendmachung von Rechten handelt, daß die Aufrechterhaltung dieser Rechte Treu und Glauben widerspricht. Aus dieser Begriffsbestimmung ergeben sich die einzelnen Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch nach § 242 BGB verwirken kann. Es muß zuerst und immer der Grundsatz beachtet werden, daß die V e r w i r kung von Rechten, also von Positionen, die doch Wirklichkeit geworden waren, ein außerordentlicher Rechtsbehelf ist; bei Beurteilung der Voraussetzungen sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. V e r w i r kung und Verjährung sind streng voneinander zu scheiden und i n ihren Voraussetzungen und Wirkungen grundverschieden. Die Verjährung t r i t t durch reinen Zeitablauf und Untätigkeit des Gläubigers ein; sie w i r d rechtlich erst bedeutsam, wenn der Schuldner sich darauf beruft, ohne daß deshalb der Anspruch als solcher untergeht (§ 222 BGB). Die Verwirkung tritt, i n Verbindung mit dem Zeitablauf (Zeitmoment), durch ein bestimmtes Verhalten des Gläubigers zusammen mit dem Sicheinrichten des Schuldners auf dieses Verhalten des Gläubigers (Umstandsmoment) ein, und zwar auch ohne einen auf den E i n t r i t t der Verw i r k u n g gerichteten Willen des Schuldners, jedoch stets m i t dem Erfolg 2·
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Α. Einleitung
der Rechtsvernichtung. Sie greift i m übrigen nicht nur bei Ansprüchen, sondern ganz allgemein ein (Enneccerus / Nipperdey, a.a.O., § 228 I V ; Lehmann, Allg. Teil des BGB, 9. Aufl., S. 341). Der Schwerpunkt des Verwirkungsbegriffs liegt dabei i m Umstandsmoment (BGHZ 25, 47, 51, 52; Lehmann, a.a.O. und derselbe i n Enneccerus / Lehmann, 14. Aufl., Recht d. Schuldverhältnisse, S. 22). I h m fällt weitgehend, wenn auch nicht völlig unabhängig vom reinen Zeitablauf seit Entstehen eines A n spruchs, die entscheidende Bedeutung zu. Als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung — das ist sie wegen der Bedeutung des Zeitmomentes bei ihr (Hueck / Nipperdey, a.a.O., S. 446; a. A. möglicherweise Lehmann, a.a.O., S. 342) — gilt auch für die Verwirkung der Grundsatz, daß ein Verhalten des Gläubigers vorliegen muß, das gegen Treu und Glauben verstößt. Bei der Verwirkung liegt dieses Verhalten des Gläubigers darin, daß er zunächst den ganzen Umständen nach beim Schuldner die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, er werde sein Gläubigerrecht endgültig nicht mehr geltend machen, dann aber doch m i t der Geltendmachung an den Schuldner herantritt. Dabei ist des weiteren zu beachten, daß der Schuldner sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Gläubigers auch darauf eingerichtet haben muß, daß dieser das i h m zustehende Recht nicht mehr geltend machen werde; nur dann ist es gegenüber dem doch zunächst einmal entstandenen Recht des Gläubigers nach Treu und Glauben geboten, das Recht verwirken zu lassen. M i t der Verwirkung w i r d dem Verbot des gegensätzlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) Geltung verschafft und der Grundsatz gewahrt, daß jeder, der dem Verhalten eines anderen Rechtsgenossen berechtigterweise Vertrauen entgegenbringt, auch zu schützen ist. Die Beurteilung der Umstände, unter denen das Verhalten des Gläubigers dahin auszulegen ist, er werde einen Anspruch nicht geltend machen, steht ganz unter dem Grundgedanken des § 242 BGB. Das gleiche gilt hinsichtlich der Beurteilung der Umstände, unter denen der Schuldner berechtigterweise annehmen kann, der Gläubiger werde den Anspruch nicht mehr geltend machen. Andernfalls würde es an einem einwandfreien und gleichzeitig erschöpfenden Maßstab der Bewertung fehlen. I m einzelnen gehört hierher auch eine Beurteilung der A r t des A n spruchs, und zwar sowohl i n rechtlicher als auch i n wirtschaftlicher Hinsicht i n dem Sinne, daß bei rechtlich schwierigen und wirtschaftlich bedeutsamen Ansprüchen, die auch bei ihrer Feststellung tatsächlichen Schwierigkeiten begegnen (Nachlaßforderungen, schwierige Ursachen und Schadensermittlungen bei Unfallforderungen), die V e r w i r kung nicht so leicht, bei Ansprüchen aus den Geschäften des täglichen Lebens aber wenigstens sehr häufig leichter eintritt (vgl. E r m a n / Goerke, BGB, 2. Aufl., § 242, Erl. 18). Die Anwendung der vorstehenden Erwägungen auf den hier zu entscheidenden Fall führt zu dem Ergeb-
II. Beispielsfälle
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nis, daß der Anspruch der Klägerin nicht v e r w i r k t ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den am 17.10.1952 zugestellten Zahlungsbefehl „nichts mehr getan, was irgendwie eine Aufrechterhaltung des Anspruchs erkennen ließ". Das genügt aber nicht zu der Annahme einer Verwirkung. Denn dann hätte das angefochtene Urteil Umstände feststellen müssen, die nach Treu und Glauben dahin zu werten sind, die Klägerin wolle ihre bisher behaupteten Ansprüche nicht mehr geltend machen. Es ist zwar denkbar und möglich, daß ein Sich-Nicht-Rühren des Gläubigers während eines längeren Zeitablaufs den Umständen des konkreten Falles nach als ein Verhalten dieser A r t aufgefaßt werden könnte, etwa wenn nur ein ganz geringfügiger Anspruch i n Rede steht, oder wenn der Gläubiger i n anderen Fällen dem Schuldner gegenüber stets nachdrücklich aktiv geworden ist. Aus der Tatsache allein als solcher, daß die Klägerin nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Zahlungsbefehl das Verfahren nicht weiterbetrieben hat, läßt sich aber, zumal bei der Höhe der Forderung, noch kein Verhalten entnehmen, aus dem nach Treu und Glauben der Schluß gezogen werden könnte, die Klägerin wolle die Verfolgung des Anspruchs endgültig aufgeben (siehe auch Herschel, NJW 1948, 234). Denn selbst eine Klagerücknahme kann, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, nicht als Verhalten des Gläubigers gewertet werden, er wolle endgültig die Verfolgung seines Anspruchs fallen lassen. U m so weniger kann das bloße Nichtweiterbetreiben eines Mahn- oder Streitverfahrens so aufgefaßt werden, daß der Gläubiger den Anspruch nicht mehr geltend machen wolle. . . . " 7. Kleinsiedlerfall
(BGHZ 16, 334)
Auch der sog. Kleinsiedlerfall w i r d als Beispielsfall für das Prinzip des venire contra factum proprium angesehen,11 obwohl der BGH i n den Entscheidungsgründen dieses Falles dieses Institut nicht erwähnt. Die Klägerin hatte i m Jahre 1943 m i t der Beklagten, einer Siedlungsgesellschaft, einen sog. Träger-Siedlungsvertrag über ein Grundstück, dessen Eigentümerin die Beklagte ist, geschlossen, der nicht gerichtlich oder notariell beurkundet worden war. Die Klägerin hatte das Anwesen zunächst als Pächter bezogen. I m Vertrag war bestimmt, daß die Beklagte nach Ablauf einer Probezeit, i n der die Klägerin das Grundstück pachtweise innehaben sollte, ihr auf ihren Antrag das Grundstück zu übereignen habe, wenn die Klägerin ihren Verpflichtungen drei Jahre hindurch pünktlich nachgekommen sei. Diese Probezeit war Ende 1948 abgelaufen. 1952 hat die Klägerin Klage mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zu verurteilen, ihr das Grundstück aufzulassen und i n ihre Ein11
Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 290.
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Α. Einleitung
tragung als Eigentümerin einzuwilligen. Die Klage hatte i n allen drei Rechtszügen Erfolg, wobei die Revision m i t folgender Begründung verworfen wurde: „Auch bei Kleinsiedlungen besteht keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß der Grundstücksveräußerungsvertrag gemäß § 313 BGB der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedarf. Der A u f fassung des OLG Düsseldorf (NJW 1950, 913), der sich Palandt (14. Aufl., § 313 A n m 2) anschließt, kann nicht zugestimmt werden, daß der Träger-Siedlervertrag der öffentlichen Beurkundung nicht bedürfe, da die Pflicht zur Übertragung der Siedlung schon gesetzlich festgelegt sei. Der Zweck des § 313, den Grundstücksveräußerer vor Übereilung zu schützen, ist zwar hier nicht besonders vordringlich; denn es ist ja gerade die Aufgabe der Siedlungsträger, das Land, das ihnen zur Verfügung steht, den Siedlern auszugeben. Dieser Schutz vor Übereilung ist aber nur das gesetzgeberische Motiv für die Bestimmung des § 313 BGB, nicht etwa ihre tatbestandliche Voraussetzung. Es ist auch nicht richtig, daß sich der Anspruch auf Übertragung des Eigentums an der Siedlerstelle auf den Siedler aus dem Gesetz ergibt; denn maßgebend ist eben der Vertrag, durch den das Träger-Siedlerverhältnis begründet wird, und vor Abschluß dieses Vertrages sind beide Vertragspartner frei; der A n spruch auf Übertragung des Eigentums kann also nur auf einem entsprechenden Vertrag beruhen. Dieses Formerfordernis stellt auch keine untragbare finanzielle Belastung der Siedler dar, da alle Geschäfte, die zur Durchführung von Siedlungsvorhaben dienen, gebührenfrei (§29 Reichssiedlungsgesetz i V m 3. Notverordnung vom 6.10.1931 — RGBl I, 537 — 4. Teil § 20; § 34 Reichsheimstättengesetz) oder doch hinsichtlich der Notariatsgebühren begünstigt sind (Verordnung vom 15.4.1936 — RGBl I, 368). Die Notwendigkeit der Einhaltung der Form w i r d auch i m Schrifttum überwiegend angenommen (Stoll, Die Rechtsbeziehungen zwischen Träger, Siedler, Einlieger und Heimstättenausgeber bei der Kleinsiedlung — Sonderdruck der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. K i e l — S 7; derselbe auch Bundesbaublatt 1954, 110, 112; Gisberts / Gase, Das deutsche Kleinsiedlungsrecht Bd I 1936 S 643) — die Einschränkung, daß bei Gebietskörperschaften und gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsunternehmen auf die gerichtliche oder notarielle Beurkundung i n der Regel verzichtet werden könne, da hier die Gewähr bestehe, daß die Ansprüche der Siedler befriedigt würden — ist nicht eine Rechtsansicht, sondern lediglich eine für die Praxis gedachte (nicht unbedenkliche) Empfehlung. Dieser Auffassung steht nicht entgegen, daß bei Übertragung eines einer Baugenossenschaft gehörigen Eigenheims an einen Genossen die Einhaltung der Form § 313 BGB nicht für erforderlich gehalten w i r d (BGHZ 15, 177, 182; RGZ 156, 213, 215); denn die Stellung eines Genossen einer Genossenschaft ist eine andere als die des Siedlers gegenüber einem Siedlungsunternehmen.
II. Beispielsfälle
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Da bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Trägersiedlervertrag die Form des § 313 BGB nicht eingehalten worden ist, ist weiter zu prüfen, ob die Berufung auf die Nichtigkeit des Vertrags aus besonderen Gründen abzulehnen ist. Die Frage, inwieweit gegenüber der Vertragspartei, die sich auf die Nichtigkeit eines Grundstücksveräußerungsvertrags wegen eines Formmangels beruft, die Einrede der Arglist oder des Verstoßes gegen Treu und Glauben erhoben werden kann, ist zu verschiedenen Zeiten verschieden beantwortet worden. Zunächst hat sich das Reichsgericht auf den Standpunkt gestellt, daß Formvorschriften gegenüber die Berufung auf Treu und Glauben versagen muß, da sonst die Vorschriften bedeutungslos sein würden (RGZ 52, 5). Später wurde dieser Einwand zugelassen, wenn auf der Seite dessen, der der Geltendmachung der Formnichtigkeit entgegentrat, ein I r r t u m über die rechtliche Notwendigkeit der Förmlichkeit vorgelegen hat und dieser I r r tum vom Geschäftsgegner schuldhaft, mindestens fahrlässig verursacht worden war (RGZ 117, 121, 124; 107, 357). I n der weiteren Folge wurde angenommen, daß die Einrede der Arglist auch erhoben werden kann, wenn der, der sich auf den Formverstoß beruft, wenn auch unabsichtlich, eine Haltung eingenommen hat, die m i t seinem früheren Verhalten unvereinbar ist (RGZ 153, 59, 60), und wenn eine Partei, sei es auch unabsichtlich, die andere zum Absehen vom erforderlichen Abschluß eines formgültigen Vertrags veranlaßt hat, indem diese darauf annahm, formlose Vereinbarungen genügten (RGZ 157, 207, 209). Das Reichsgericht hat daran auch gegenüber den Angriffen von Matthiessen (Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht 1938, 213; 1939, 223 und Anm. i n NJW 1938, 2426 zu RAG 10, 38 — gegen Matthiessen Stutzer i n DGWR 1939, 219 —) festgehalten (RGZ 169, 65, 73; 170, 203, 204). Hier ist die Frage der Nichtbeachtung von Formmängeln allgemein dahin gestellt, ob es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen des Falls Treu und Glauben widersprechen würde, Vertragsansprüche an dem Formmangel scheitern zu lassen (über diese Entwicklung vgl. auch Tasche i n Jhers Jahrb 90, 107—111). Nach dem zweiten Weltkrieg hat das Oberlandesgericht Koblenz (DRZ 1949,40) den Widerspruch Matthiessens wieder aufgenommen. Die Rechtsprechung ist aber nicht ihm, sondern dem Reichsgericht gefolgt (OGHZ 1, 217; OGH NJW 1950, 25; OLG Stuttgart HRE 2, 223). Der Oberste Gerichtshof w i l l allerdings den Einwand der Arglist nur als Ausnahme zulassen, wenn der den Parteien auch bei nichtigem Vertrag gewährte Rechtsschutz nicht ausreicht, vielmehr gerade die Verweigerung der dem Vertrag entsprechenden Erfüllung m i t Treu und Glauben unvereinbar erscheint (ebenso OLG Frankfurt i n NJW 1951, 422). A u f denselben Standpunkt hat sich der erkennende Senat i n einem Beschluß vom 16. 2.1954 (BGHZ 12, 286, 304) gestellt, wobei er ausführte, i n Wirklichkeit handle es sich
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Α. Einleitung
hierbei nicht u m die Berücksichtigung eines Einwands des Geschäftsgegners, mit dessen Hilfe die Berufung auf den Mangel der Form unwirksam gemacht werde, sondern u m eine besondere Gestaltung des Falls, angesichts deren von Amts wegen dem Mangel der Form die Rechtsfolge der Nichtigkeit m i t Rücksicht auf Treu und Glauben zu versagen sei (vgl. weiter noch Beschluß vom 9.2.1955 V B L w 59/54). Diese Voraussetzungen sind i m vorliegenden Fall gegeben. Es handelt sich zwar nur darum, daß die Beklagte jahrelang ihre Siedlungsverträge m i t den Siedlern nur privatschriftlich abgeschlossen hat, ohne daß Anhaltspunkte vorlägen, daß sie bei den Siedlern irgendwie falsche Vorstellungen über die Notwendigkeit der Einhaltung der Form hervorgerufen hätte. Aber die Beklagte stand den rechtsunkundigen Siedlern m i t dem ganzen Gewicht ihres Ansehens gegenüber, und sie hatte kraft des zwischen i h r und den Siedlern bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrags (vgl. Stoll aaO S 9 u 10) den Siedlern gegenüber eine weitgehende Betreuungspflicht (vgl. Nr 25 der Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung, KSB, vom 14. 9.1937/23.12.1938). Die Siedler andererseits hatten zu ihr das Vertrauen, daß sie wisse, wie diese Rechtsangelegenheiten zu behandeln seien, um die Siedler vor Schaden zu bewahren, daß sie auch den Willen habe, es recht zu machen und ihre Betreuungspflicht i n einer Weise erfülle, die die Rechtsstellung der Siedler durch Beachtung der i n Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere der Formvorschriften, sicherstelle. Die Beklagte hat bisher den Einwand der Nichtigkeit nie erhoben, und es kann den berechtigten Interessen der Siedler nur das entsprechen, daß der Klägerin die Erfüllung des Vertrags, nicht irgendein anderer Rechtsbehelf aus einem nichtigen Vertrag gewährt wird. Wenn die Revision meint, von einem untragbaren Ergebnis könne i n Anbetracht der mehrfachen Bedenken gegen die Zulassung der Klägerin als Siedlerin nicht gesprochen werden, so liegt der Verstoß gegen Treu und Glauben gerade darin, daß die Beklagte gegenüber dem Vertrauen des Siedlers, nun eine gesicherte Rechtsstellung erlangt zu haben, und entgegen ihrer Pflicht, dem Siedler eine solche Rechtsstellung zu verschaffen (Nr 36 KSB), sich die Möglichkeit offen gehalten hat und weiter offenhält, den Vertrag tatsächlich i n der Schwebe und jahrelang i n ihrem Belieben zu lassen, ob sie den Vertrag erfüllen oder seine Nichtigkeit geltend machen w i l l , und daß sie sich bei Auftreten von Meinungsverschiedenheiten und sonstigen Streitigkeiten auf diese Möglichkeit berufen kann und beruft." I I I . Intention der Arbeit Soweit die Beispielsfälle bereits erkennen lassen, liegt die Problemat i k der Fälle des venire contra factum proprium zunächst i n der Be-
III. Intention der Arbeit
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gründung des Ergebnisses. Diese läßt sich nämlich nicht so ohne weiteres dem Gesetz12 entnehmen. Ebenso ist der Hinweis auf ein „widersprüchliches Verhalten" für sich allein jedenfalls keine Begründung 13 dafür, dieses Verhalten zu verbieten bzw. zu sanktionieren. I m Gegenteil steht es grundsätzlich jedem frei, sein Verhalten zu ändern, 14 sofern nicht eine vertragliche Bindung vorliegt. Auch das bloße Zitat des § 242 genügt aus verschiedenen Gründen nicht zur Begründung. 15 Diese Vorschrift ist nämlich als Generalklausel ausfüllungsbedürftig. 16 Es handelt sich u m einen sog. offenen Tatbestand, 17 bei dem weder Rechtsvoraussetzungen noch Rechtsfolgen festliegen. 18 Daher muß der Richter diese selbst vor allem durch Rückgriff auf Erfahrungen und Maximen entwickeln. 19 Die Begriffe „Treue", etwa als die selbstlose Bereitschaft zur Einhaltung einer Verpflichtung, und „Glaube", als Vertrauen auf die Treue des anderen Teils, 20 eignen sich zudem nicht zur Subsumtion. Diese beiden Ausdrücke mit mehr oder weniger synonymer Bedeutung bilden nämlich eine sog. Paarformel. 21 Hierbei handelt es sich vor allem in den älteren Bildungen als Stabreim („Haus und Hof", „ K i n d und Kegel") u m Gedächtnismittel, die durch diese sprachliche Methode der Verdoppelung eine besondere Eingängigkeit erzielen sollen. 22 Es ist daher unergiebig, diese Formel wieder aufzuspalten und ihren Teilen einzelne, unterschiedliche Bedeutungen zuzuweisen. 23 Ebenso ist aufgrund des Charakters der Vorschrift i m Grunde jegliche Wortinterpretation wertlos. 24 Demnach trägt eine Begründung mit der Behauptung, es liege ein „Verstoß gegen Treu und Glauben" vor 2 5 oder etwas sei „nach Treu und Glauben unzumutbar", 2 6 kaum mehr zur Rechtsfindung bei, als eine Begründung mit dem Hinweis auf das Vorliegen eines „Verstoßes gegen 12 Vgl. Liebs, JZ 1981, 160; s. auch Esser, JZ 1953, 521, der betont, daß das Prinzip des venire contra factum p r o p r i u m „nirgends stehe". 13 So Canaris, Vertrauenshaftung, 287; Wieling, A c P 176, 334. 14 B G H M D R 1970, 210; so ausdrücklich Liebs, JZ 1981, 160. 15 Vgl. v o r allem Staudinger / Jürgen Schmidt (12), § 242 R n 157 ff. 16 Vgl. etwa Larenz, Methodenlehre, 214 f. 17 Wieacker, Präzisierung, 10 ff.; Esser, Grundsatz u n d Norm, 220 ff. 18 Soergel / Teichmann (11), §242, R n 5 . 19 I m einzelnen s. zB Esser, JZ 1953, 521; Esser, JZ 1956, 555; vgl. auch L a renz, Methodenlehre, 447 ff. 20 Vgl. Soergel / Knopp (10), §242 R n 6 ; Staudinger / Weber (11), §242 R n A 124 ff.; Erman / Sirp, § 242 Rn 4; Palandt / Heinrichs, § 242 A n m 1 c. 21 Vgl. dazu allgemein, Dilcher, Paarformeln. 22 Dies hat Strätz, Treu u n d Glauben I, 45 ff., 71 ff., 85, 283, durch Untersuchungen anhand historischer Urkunden herausgefunden; vgl. auch Soergel / Teichmann (11), §242 Rn36; Staudinger / J. Schmidt (12), §242 R n 10. 23 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn36. 24 Vgl. MünchKomm-Roth, §242 R n 8 ; ebenso Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 R n 10. 25 Vgl. zB B G H N J W 1973, 1367; 1978, 634, 635. 26 Vgl. zB B G H M D R 1970, 210, 211; ähnlich Β GHZ 32, 273, 279.
26
Α. Einleitung
das Gesetz". Da aber der Gedanke des venire contra factum proprium i n vielen Entscheidungen eine Rolle spielt 27 und i n Deutschland wohl zu den am meisten angewandten Rechtssätzen zählt, 28 erscheint es durchaus lohnend zu untersuchen, ob sich für diese „praeterlegale" Regelung eine tragfähige dogmatische Legitimation finden läßt, die über die Aufzählung der bekannten Gerechtigkeitstopoi hinausgeht. Es muß daher gefragt werden, welche Rechtsgedanken sich hinter dieser „Parömie" verbergen, und ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen diese neben bzw. außerhalb des Gesetzes Rechtswirkungen entfalten können. Darüber hinaus soll eine ordnende Gesamtdarstellung des Prinzips versucht werden, 29 bei der Zusammenhänge und Differenzierungen, durch neue Ideen ergänzt, aufzuzeigen sind. Dabei sollen Kriterien herausgearbeitet werden, die das methodische Vorgehen leiten. Das soll sowohl eine Fallgruppenbildung als auch die Abgrenzung von anderen Rechtsgedanken erleichtern. Hierdurch können Fälle, die bisher zu Unrecht dem widersprüchlichen Verhalten zugerechnet wurden, ausgefiltert und den Fallgruppen zugeordnet werden, denen sie aufgrund des ihnen zugrunde liegenden Prinzips angehören. Dadurch dürfte insgesamt die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit erhöht werden. Ziel dieser Arbeit ist also nicht die Erforschung der Geschichte des das Prinzip des venire contra factum proprium ausdrückenden Rechtssatzes,30 sondern dessen aktuelle Geltung. Gerade diese legt nämlich eine kritische Auseinandersetzung nicht nur nahe, sondern macht sie erforderlich. 31
27 JURIS, das längst nicht alle Entscheidungen erfaßt, hat w e i t über 100 Dokumente gespeichert. 28 So Liebs, JZ 1981, 160. 29 Canaris, Vertrauenshaftung, 287, spricht v o n einer dringend gebotenen „rechtstheoretischen Präzisierung". 30 Vgl. dazu Riezler, Venire contra factum proprium, 1 ff.; Staehelin, FS Simonius, 1953, 381; Liebs, JZ 1981, 160 ff.; Griesbeck, Venire contra factum proprium, 3 ff. 31 Demgegenüber meint Liebs, JZ 1981, 160, 164, erst seit man gelernt habe, von der aktuellen Bedeutung eines Rechtssatzes ganz abzusehen u n d n u r seine Geschichte zu erforschen, bahne sich eine kritische Auseinandersetzung an.
Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts Für das Verständnis des Prinzips des venire contra factum proprium und das weitere Vorgehen ist es zunächst erforderlich, eine möglichst präzise Einordnung unter die übergeordneten Rechtsgedanken und ggf. Normen vorzunehmen und gleichzeitig von anderen denkbaren Zuordnungen abzugrenzen. Dabei ist es sinnvoll, die herkömmliche Ansicht hierzu als Ausgangspunkt und vorläufige Arbeitshypothese zu wählen. I. Verbot des Rechtsmißbrauchs und Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln Ein Oberbegriff, unter den der Selbstwiderspruch eingeordnet wird, ist der Rechtsmißbrauch. 32 So führt dieses Prinzip, wie oben gezeigt (S. 13) dazu, daß ein Recht nicht geltend gemacht werden kann. Die unzulässige Rechtsausübung als Rechtsfolge des Rechtsmißbrauchs 33 w i r d ihrerseits, zumindest i m deutschen Recht, nach wohl fast einhelliger Meinung, 34 als eine besondere Ausprägung treuwidrigen Verhaltens angesehen und daher als Fallgruppe innerhalb des § 242 dargestellt. 35 Es wurde hierbei die eingängige und häufig zitierte Formulierung geprägt, die Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung habe sich von § 226 über § 826 zu § 242 h i n entwickelt. 36 Dies ist zum einen deswegen verständlich, weil § 226 so eng verstanden wird, daß die nunmehr traditionell bei § 242 behandelten Fälle nicht erfaßt werden können, eine A n wendung des § 226 also ausscheidet.37 Auch der Anwendungsbereich des 32 Staudinger / Weber (11), §242 R n D 3 2 3 ; Palandt / Heinrichs, §242 A n m 4 C e ; S o e r g e l / K n o p p (10), §242 Rn228, MünchKomm-Roth, §242 Rn295; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 4; StudKomm-Lüderitz, §242 4 d ; R G R K A l f f , §242 R n 93 ff.; E r m a n / S i r p , §242 Rn79; für eine Differenzierung nach Steuerungsgebieten A l t K o m m BGB-Teubner, § 242 Rn 39. 33 Vgl. zum Begriff MünchKomm-Roth, § 242 R n 229. 34 So Soergel / Teichmann (11), §242 R n l l . 35 S. zB Soergel / Knopp (10), §242 R n 3 4 f f . , 166 ff.; Staudinger / Weber (11), §242 Rn D 323 ff.; Staudinger / J. Schmidt (12), §242 Rn637ff.; MünchK o m m - R o t h , § 242 Rn 229 ff.; Palandt / Heinrichs, § 242 A n m 4; Jauernig / V o l l kommer, § 242 A n m I 2, I I I ; Larenz, SR I, § 10, I I b. 36 Siebert, V e r w i r k u n g , 106 ff.; s. auch Soergel / Knopp (10), R n 15 ff. v o r
§226.
37 Vgl. Erman / Hefermehl, §226 R n 1; Soergel / Knopp (10), §226 R n 5 ; MünchKomm-v. Feldmann, § 226 R n 1.
28
Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts
§ 826 ist wegen des Vorsatzerfordernisses 38 eng und i m Hinblick auf den, der § 242 beigemessen wird, bedeutungslos. 39 Zum anderen bietet sich die Anwendung des § 242 an. Ein Verbot der mißbräuchlichen Ausübung von Rechten stellt sich nämlich als Spiegelbild der Schuldnerpflichten 40 oder schlicht als Unterlassungspflicht dar. Hat der Schuldner bei der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben auf die Interessen des Gläubigers Rücksicht zu nehmen, so liegt es nahe, vom Gläubiger zu verlangen, daß er seine Rechte unter Berücksichtigung der Schuldnerinteressen und damit nicht mißbräuchlich ausübe. Diese sinngemäße Ausdehnung des Gesetzes ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß i n einem Schuldverhältnis jeder zugleich Schuldner und Gläubiger ist und daß sich die Pflichten des einen dementsprechend als Rechte des anderen darstellen. Daher w i r d § 242 auch als Norm verstanden, die das ganze Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger beschreibt 4 1 So gesehen sind Treuepflicht des Schuldners und Mißbrauchsverbot des Gläubigers gegenpolige Ausprägungen desselben Grundgedankens 42 A l l e r dings ist dennoch das Verhältnis dieser beiden Institute, Gebot, nach Treu und Glauben Pflichten zu erfüllen, und Verbot, Rechte mißbräuchlich auszuüben, differenzierter. So werden sie zB i n A r t 2 Schweizerisches ZGB dadurch deutlich voneinander getrennt, daß das Mißbrauchsverbot eigenständig konzipiert wurde (s. A r t 2 Schweizerisches ZGB: „Der offenbare Mißbrauch eines Rechts findet keinen Rechtsschutz"). Daß dies so ist, ist kein Zufall, sondern beruht darauf, daß es sich tatsächlich u m zwei eigenständige Institute handelt, die auch unterschiedliche historische Wurzeln haben. 43 Das bedeutet, daß ihre Kriterien und Anwendungsbereiche bei sicherlich möglichen Überschneidungen unterschiedlich sein können. Die Berücksichtigung dieser Verschiedenartigkeit war auch für das BGB geplant, konnte sich aber zunächst nicht durchsetzen. 44 Dann wurde das Mißbrauchsverbot allerdings entsprechend einer älteren Tradition 4 5 durch die Reichstagskommission bewußt 38 Jauernig / Teichmann, § 826 A n m 14; Palandt / Thomas, § 826 A n m 3 a u n d vor allem c. 39 Erman / B. Dress, § 826 R n 3. 40 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn 11. 41 Soergel / Teichmann (11), §242 R n 2 ; vgl. schon Protokolle I, S. 303. 42 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 11. 43 Merz, i n Berner Kommentar zum ZGB, A r t . 2 R n 9 ff., 28; vgl. insbesondere Zeller, Treu u n d Glauben u n d Rechtsmißbrauchsverbot, S. 147 ff., 313 ff.; Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 12. 44 Vgl. den abgelehnten Hilfsvorschlag einer Formulierung, Protokolle I, S. 238 ff.: „ E i n Anspruch k a n n v o n demjenigen, gegen den er geltend gemacht w i r d , zurückgewiesen werden, w e n n erhellt, daß die Geltendmachung für den Berechtigten k e i n Interesse hat, dem Gegner aber erheblichen Nachteil b r i n gen werde." 45 Komm-Bericht zum Allgemeinen Teil, S. 993; vgl. Gebhard, Begründung zum V o r e n t w u r f des Allgemeinen Teils, Abschnitt I I , T i t e l 4 zu § 197, abge-
II. Institutioneller und individueller Rechtsmißbrauch
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als genereller Grundsatz i n den Allgemeinen Teil des BGB übernommen. 46 Die Prinzipien des Verbots des Rechtsmißbrauchs und des Gebots von Treu und Glauben nahmen damit eine unterschiedliche systematische Stellung, nämlich i m Allgemeinen Teil und i m Schuldrecht, ein. Es kam dann allerdings aufgrund der engen Fassung des § 226 zu der dargelegten (s. o. S. 27 f.) Verschiebung der Rechtsanwendung zu § 242. Offensichtlich ist aber, daß der Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Mißbrauchsverbot nicht die gegenwärtig wohl so selbstverständlich scheinende Einheit b i l d e n 4 7 Vielmehr handelt es sich beim Rechtsmißbrauch u m ein eigenständiges, systematisch zum Allgemeinen Teil des BGB 4 8 gehörendes Institut, das dort i n seiner weiten Bedeutung allerdings keine gesetzliche Grundlage findet (vgl. o. S. 27 f.). 49 Schon aufgrund der spiegelbildlichen Verknüpfung von Schuldnerpflichten und Gläubigerrechten bleiben aber Wertungsbrücken, 50 die bei der Anwendung des Rechtsmißbrauchs zu beachten sind. Weiterhin bedeutet diese Lokalisierung innerhalb des BGB, die mindestens zu einer uneingeschränkten Geltung für diesen Bereich führt, nicht, daß der Anwendungsbereich auf das BGB beschränkt bleibt. Da es sich u m einen allgemeinen Rechtsgedanken handelt, ergibt sich vielmehr eine Anwendung für die gesamte Rechtsordnung, die nur i m Einzelfall durch leges speciales modifiziert wird. 5 1 Damit ist die Stellung des Rechtsmißbrauchs, insbesondere i m Verhältnis zum Prinzip von Treu und Glauben und somit auch die Stellung des Instituts des venire contra factum proprium an sich bestimmt. Fraglich bleibt nun noch, wo das widersprüchliche Verhalten innerhalb des Rechtsmißbrauchs einzuordnen ist.
II. Institutioneller und individueller Rechtsmißbrauch U m diese Einordnung vornehmen zu können, müssen zunächst die beiden Erscheinungsformen des Rechtsmißbrauchs, die sich trotz nicht ganz einheitlicher Terminologie herausgebildet haben, unterschieden werden. druckt bei v. Kübel, Die Vorentwürfe der Redaktoren des BGB, Allgemeiner Teil 2, S. 411 ff.; v. Gierke, Deutsches Privatrecht I I , 1905, 357; s. dazu auch Staudinger / Coing (11), § 226 R n 2; s. auch A L R I I 8, §§ 27, 28. 46 Soergel / Knopp (10), § 242 R n 1. 47 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn274. 48 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn274. 49 Daher auch der Vorschlag v o n Herschel DB 1975, 690, 694, diese Problem a t i k bei einer Kommentierung § 226 anzuschließen. 50 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn274. 51 Vgl. für §242: Palandt / Heinrichs, §242 A n m 3; Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I 3; aufgrund des anderen Verständnisses des Verhältnisses v o n Treu u n d Glauben u n d Rechtsmißbrauch beziehen sich diese Aussagen a u d i auf den Rechtsmißbrauch.
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Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts 1. Institutioneller
Rechtsmißbrauch
Unter institutionellem oder auch Normenmißbrauch versteht man den sinnwidrigen Gebrauch (eben Mißbrauch) von Normen, Rechtsinstituten oder Rechtsstellungen. 52 Hierfür lassen sich gesetzlich geregelte Beispiele nennen, etwa § 259 Abs 3 (keine Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bei Angelegenheiten von geringer Bedeutung), § 459 Abs 1 S 2 (keine Gewährleistungsrechte bei unerheblichen Beeinträchtigungen), §§ 905 S 2, 906 Abs 1, 910 Abs 2 (Einschränkung der Eigentümerrechte bei fehlendem Interesse bzw. geringfügigen Beeinträchtigungen). 53 Nach der sog. Innentheorie 54 geht es dabei u m die Nichtbeachtung der immanenten Schranken einer Norm oder eines Rechtsinstituts. Das Recht steht dem Gläubiger nur scheinbar zu. Es geht also u m zweckentsprechende (teleologische) Gesetzesauslegung55 und damit u m die Frage, ob ein Verhalten, das sich auf eine bestimmte Norm stützt, durch diese gedeckt wird. 2. Individueller
Rechtsmißbrauch
Ein individueller Rechtsmißbrauch ist gegeben, wenn der Gläubiger die Interessen des Schuldners aus i n seiner Person liegenden Gründen verletzt, etwa weil er arglistig oder schikanös handelt. 56 Dabei w i r d er sich i n aller Regel i m Rahmen des Norm- oder Institutszwecks bewegen. Denkbar ist aber auch ein Kombination von individuellem und institutionellem Mißbrauch, bei der sowohl eine Norm zweckwidrig gebraucht wird, als auch ein individuelles „verbotenes" Verhalten des Gläubigers vorliegt. Auch sind die Übergänge dieser beiden Mißbrauchsformen fließend. 57 So kann etwa die zweckwidrige Ausnutzung einer Haftungsbeschränkung, zB einer GmbH, nach den Grundsätzen des institutionellen Mißbrauchs zum Durchgriff auf die Gesellschafter führen. 58 Ebenso kann dies aber auch aus einem individuellen Mißbrauch, also einem be52 Siebert, V e r w i r k u n g , 91, 98; Raiser, Summum ius summa iniuria, 151; E s s e r / E . Schmidt, S R I , 1, §5, I I ; A l t K o m m BGB-Teubner, §242 R n 8 9 f f . ; MünchKomm-Roth, §242 Rn229; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn 14; vgl. auch Gernhuber, Bürgerliches Recht, S. 150. 53 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn 14. 54 V. Gierke, Deutsches Privatrecht, B d 1, § 36, S. 319 f.; Endemann, L e h r buch des Bürgerlichen Rechts, B d 1, § 84 a, S.421f.; Siebert, V e r w i r k u n g , S. 87 f.; Wieacker, Präzisierung, 34 ff.; Β G H Z 3, 94, 103 f. 55 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 14; a. A . Esser / E. Schmidt, SR I, 1, § 5, I I ; Merz, Berner K o m m z. ZGB A r t . 2 Rn23 f., spricht v o n unscharfen Grenzen zur Auslegung. 56 E s s e r / E . Schmidt, S R I , 1, §5, I I I ; Raiser, Summum ius summa iniuria, 150; A l t K o m m BGB-Teubner, §242 R n 3 8 f f . ; Soergel / Teichmann (11), §242 R n 25. 57 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 14. 58 S. zB Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 4 I I , 1 d.
II. Institutioneller und individueller Rechtsmißbrauch
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stimmten Verhalten, wie etwa der Verschleierung der Haftungsbeschränkung folgen. Seinen faktischen Schwerpunkt hat der individuelle Rechtsmißbrauch i n einer Sonderbeziehung, 59 weil dort ein individuelles Verhalten der Beteiligten den Partner am ehesten schädigen kann und durch diese Sonderbeziehung auch intensivere Sorgfaltspflichten, insbesondere aus § 242, begründet werden, die ein bestimmtes Verhalten entgegen dieser Rücksichtspflichten eher als mißbräuchlich erscheinen lassen. Denknotwendig ist eine Beschränkung auf eine Sonderrechtsbeziehung jedoch nicht. So kann zB auch ein Eigentümer schikanös handeln, obwohl er seine Befugnisse dem Zweck, etwa dem des § 903 entsprechend, wahrnimmt. Also ist das Bestehen einer Sonderverbindung keineswegs Tatbestandsvoraussetzung. 60 Hieran zeigt sich auch, wie wichtig es ist, die o. S. 27 ff. beschriebene Trennung von § 242 und dem Rechtsmißbrauch deutlich zu machen, weil für § 242 sehr wohl eine Sonderbeziehung notwendig ist. 61 3. Standort des Prinzips des venire contra factum
proprium
Wie bereits aus der oben (S. 13) gegebenen Gegenstandsbeschreibung zu ersehen ist, geht es beim Institut des venire contra factum proprium nicht u m die Schuldnerpflicht der Erfüllung nach Treu und Glauben, sondern u m eine Begrenzung der Gläubigerrechte, eine Schranke der Rechtsausübung. Damit ist der Standort dieses Rechtsgedankens — wie gesagt — nicht § 242 m i t dem Gebot von Treu und Glauben, sondern es kommt nur noch das Mißbrauchsverbot i n Betracht, wenn nicht ein völlig eigenständiges Institut gegeben ist. Wie sich aus der Beschreibung „Widerspruch zum eigenen Verhalten" ergibt, kann es sich nicht u m einen Fall des institutionellen Mißbrauchs handeln, denn das setzte, wenn man so w i l l , einen Widerspruch zu einer Norm oder einem Institut bzw. deren jeweiligen Zweck voraus. Also kann nur ein Fall des individuellen Rechtsmißbrauchs gegeben sein. Ob dies zutrifft und u m welche Erscheinungsform es sich dabei handelt, kann erst aufgrund einer näheren Untersuchung festgestellt werden. Innerhalb des individuellen Rechtsmißbrauchs w i r d nämlich noch weiter differenziert. Grundlage dieser Differenzierung ist zum einen der tatsächliche Ansatzpunkt, d.h. welches Verhalten für rechtsmiß59
Vgl. zum Begriff Soergel / Teichmann (11), §242 Rn33. R G R K - A l f f , § 242 R n 93, h ä l t allerdings das Bestehen irgendeiner rechtlichen Beziehung für notwendig. 61 Vgl. Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 30; Larenz, SR I, § 10 I ; a. A . Staudinger / J. Schmidt (12), §242 R n 113 ff.; zweifelnd MünchKomm-Roth, §242 Rn 56,444. 60
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Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts
bräuchlich gehalten wird. Zum anderen ist es der legitimierende, teleologische Ansatzpunkt, d. h. warum dieses Verhalten als „anstößig" qualifiziert wird. Dabei werden diese Unterfallgruppen, wie das Prinzip des venire contra factum proprium, ebenfalls mit Parömien bezeichnet, zB „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus esset". 62 Sie sollen i m folgenden, wenn auch nur kurz, unter Berücksichtigung der oben angesprochenen Grundlage der Differenzierung dargestellt werden. Das ermöglicht zweierlei: Erstens kann hierdurch bereits eine zumindest grobe negative Eingrenzung des Prinzips des venire contra factum proprium erfolgen. Zweitens erschließt sich der Ausgangspunkt der Legitimation dieses Prinzips leichter aus der Abgrenzung zu den anderen Formen des individuellen Rechtsmißbrauchs. a) Früheres mißbräuchliches Verhalten (dolus praeteritus) Entwickelt hat sich diese Fallgruppe aus der früheren exceptio doli specialis (praeteriti 63 ). 64 Ein vorwerf bares oder gar arglistiges Verhalten w i r d aber i m Gegensatz zu dieser nicht vorausgesetzt. 65 aa) Als erste Unterfallgruppe ist der unredliche Rechtserwerb und die unredliche Schaffung von Rechtsstellungen zu nennen. Sie w i r d auch mit der Parömie: turpitudinem suam allegans non auditur, hervorgegangen aus dem Rechtssatz: Fraudem suam nemo debet allegare, 66 bezeichnet. 67 Hat jemand i n einer zu mißbilligenden Weise eine Rechtsstellung erlangt (turpitudinem suam allegans), so kann er aus dieser keine Ansprüche herleiten (non auditur), 68 weil niemand aus seinem eigenen unredlichen Verhalten rechtliche Vorteile ziehen darf. 69 Allerdings muß das unredliche Verhalten für den Rechtserwerb kausal geworden sein. 70 Für die Feststellung der Unredlichkeit gelten verschie62
Vgl. Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 2 b b b ; vgl. auch Riezler, Venire contra factum proprium, 3 f., zu der Fallgruppe „ T u r p i t u d i n e m suam allegans non auditur". 63 Vgl. zu diesem Ausdruck Wendt, A c P 100, 9. 64 Staudinger / Weber (11), §242 Rn D 12, 400; vgl. auch Soergel / Knopp (10), §242 R n 171. 65 B G H L M N r 5 zu §242 (Cd); E r m a n / S i r p , §242 Rn80; einschränkend MünchKomm-Roth, § 242 Rn 259. 66 Riezler, Venire contra factum proprium, 3 f.; vgl. auch Sturm, Aperçu, S. 289 ff. 67 Vgl. S t a u d i n g e r / J . Schmidt (12), §242 Rn612; Jauernig/ Vollkommer, § 242 A n m I I b aa; Riezler, Venire contra factum proprium, 276 ff. 68 Vgl. Wieacker, Präzisierung, 31; Larenz, SR I, § 10 I I . 69 Β GHZ 72, 316, 322; so schon RGZ 152, 147. Dementsprechend w i r d es auch dem aus § 1300 i n Anspruch genommenen Verlobten verwehrt, die von i h m selbst herbeigeführte Bescholtenheit seiner früheren Braut dem Deflorationsanspruch entgegenzuhalten, vgl. RGZ 170, 79. So auch, allerdings i m Hinblick auf ein venire contra factum proprium, Soergel / Knopp (10), § 242 Rn 240. 70 Β GHZ 72, 316, 322; B G H DB 1980, 971.
II. Institutioneller und individueller Rechtsmißbrauch
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dene, nach ihrer Intensität abgestufte Kriterien. Diese sind, indem sie das Ausmaß der Unredlichkeit bestimmen, bei der vorzunehmenden Interessenabwägung relevant. Je stärker das Unrechtselement zu bewerten ist, u m so eher sind die Interessen des anderen zu berücksichtigen. 71 Obwohl diese Fallgruppe immerhin eine Verwandtschaft m i t dem Prinzip des venire contra factum proprium aufweist, 72 unterscheidet sie sich dadurch, daß bei diesem keinerlei Unredlichkeit eines Verhaltens als solchem vorausgesetzt wird, insbesondere das frühere Verhalten selbst nicht zu mißbilligen ist. 73 Einen gesetzlichen Niederschlag dieses Prinzips stellen die §§ 162 Abs 2, 393 und 813 dar. 74 Ebenfalls einen Ausdruck des Gedankens des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung enthält § 852 Abs 3. Hier w i r d nämlich angeordnet, daß diese ungerechtfertigte Rechtsstellung betreffende Gegenansprüche nicht verjähren. 7 5 Sie wandeln sich allerdings i n Bereicherungsansprüche um 7 6 und sind dadurch i n ihrem Umfang auf die Bereicherung beschränkt. 77 Auch § 853 beruht auf diesem Gedanken. 78 Die Vorschrift bildet eine Ergänzung zu § 852 Abs 3 7 9 und schützt einen Schuldner selbst bei Verjährung seines Freistellungsanspruchs vor der Inanspruchnahme durch einen „unredlichen" Gläubiger. bb) Ähnliches gilt für die Vereitelung von Rechten des Gegners. Diese ist nämlich aufgrund der spiegelbildlichen Verknüpfung von Gläubigerrechten und Schuldnerpflichten (vgl. schon oben S. 27 ff., für das Verhältnis von Treu und Glauben und Mißbrauch) das Pendant zum Erwerb einer eigenen Rechtsstellung 80 Genauso sind § 162 Abs 1 und der diesem entsprechende § 815 2. Fall 8 1 als gesetzliche Ausprägungen dieses Gedankens anzusehen.82 71 72 73
Soergel / Teichmann (11), §242 Rn281 a.E. Riezler, Venire contra factum proprium, 3 f., 176 f. Soergel / Knopp (10), §242 Rn229; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I
4 a. 74 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn281; vgl. auch Jauernig-Vollkommer, § 242 A n m I I I 3 b aa; Riezler, Venire contra factum proprium, 176. 75 Jauernig / Teichmann, § 852 A n m 4. 76 Der Streit, ob es sich bei der dies bewirkenden Verweisung u m eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung handelt, vgl. dazu J a u e r n i g / Teichmann, § 852 A n m 4 mN, k a n n hier dahinstehen. 77 Vgl. Palandt / Thomas, § 852 A n m 5. 78 Vgl. n u r die zwar nicht amtliche Überschrift „Arglisteinrede". 79 Jauernig / Teichmann, § 853 A n m 1. 80 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn285. 81 Vgl. Koppensteiner / Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 71; Jauern i g / Schlechtriem, § 815 A n m 1. 82 Soergel / Teichmann (1)), §242 Rn242, 285; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 3 b bb.
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Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts
cc) Bei der Unterfallgruppe des eigenen gesetzes- oder vertragswidrigen Verhaltens (unclean hands 83 ) geht es u m die Frage, ob ein gesetzes- oder vertragswidriges Verhalten allgemeiner A r t eine Rechtsbegrenzung zur Folge hat. Typologisch lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Ein Gläubiger, der seinerseits eine Vertragsverletzung begangen hat, verlangt trotz dieser einseitigen Vertragsverletzung die volle Erfüllung einer Verbindlichkeit. Oder ein Gläubiger macht trotz einer eigenen Vertragsverletzung einen Anspruch wegen einer Vertragsverletzung des Gegners geltend bzw. verweigert die Anerkennung eines Anspruchs des Vertragspartners. Insbesondere bei dieser Variante, die auch als „ t u quoque" bezeichnet wird, 8 4 ist ein gewisses Widerspruchselement zu erkennen. 85 So w i r d diese Gruppe auch „mangelndes korrespondierendes Verhalten" genannt. 86 Anders als beim Selbstwiderspruch ist aber bei beiden Varianten der „unclean hands" eine individuelle Verfehlung Voraussetzung, so daß wiederum eine deutliche Abgrenzung zum Institut des venire contra factum proprium möglich ist. Eine gesetzliche Ausprägung stellt § 817 S 2 dar. 87 I m Gegensatz zu dieser Fallgruppe, bei der eine gewisse Skepsis geboten ist, weil sich die Rechtsordnung bei Rechtsschutzverweigerung selbst i n Frage stellt 8 8 , gilt i m Fall des § 817 S 2 tatsächlich der Satz, daß nur der Rechtstreue Rechtstreue verlangen kann (who wants equity must do equity). 89 b) Gegenwärtiges mißbräuchliches Verhalten (dolus praesens) Entsprechend dem früheren unredlichen Verhalten hat sich die gegenwärtige mißbräuchliche Rechtsausnutzung aus der exceptio doli generalis (praesentis 90 ) und ähnlichen deutschrechtlichen Gedanken entwikkelt. 9 1 Früheres und gegenwärtiges mißbräuchliches Verhalten können dabei wie aufgrund der auch sonst fließenden Übergänge zusammen83 Vgl. Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 286; vgl. insbesondere Prölss, Z H R 132 (1969), 35. 84 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn286; a . A . MünchKomm-Roth, §242 R n 322. 85 Vgl. Fikentscher, SR, § 27 I I 3 a; Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, 17, weist zutr. daraufhin, daß durch eine Zuordnung dieser Fallgruppe zum widersprüchlichen Verhalten keine Konkretisierung zu gewinnen ist. 86 MünchKomm-Roth, § 242 R n 272 ff. 87 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn287. 88 Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, 13—17, 92 ff., 103 ff.; Lorenz, JuS 1972, 311 ( A n m zu B G H W M 1970, 1276); Larenz, SR I § 23 I I b; Soergel / Teichm a n n (11), §242 R n 287. 89 Vgl. Wieacker, Präzisierung, 31. 90 Vgl. zu diesem Ausdruck Wendt, A c P 100, 9. 91 Vgl. zur Geschichte Staudinger / Weber (11), § 242 R n D 9.
II. Institutioneller und individueller Rechtsmißbrauch
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treffen. Das führt zu einer Addition der Unrechtselemente. 92 Ähnlich dem früheren mißbräuchlichen Verhalten ist kein vorsätzliches, erst recht kein arglistiges Verhalten erforderlich. Es genügt beispielsweise die objektive UnVerhältnismäßigkeit von Schuldner auf wand und Gläubigervorteil, u m ein i m übrigen legitimes Verhalten als mißbräuchlich erscheinen zu lassen.93 aa) Fehlendes oder als verhältnismäßig geringfügig zu bewertendes eigenes Interesse (1) Kann der Gläubiger, weil er i n Wirklichkeit keine eigenen Interessen verfolgt, nur etwas für ihn Nutzloses erlangen, handelt er mißbräuchlich. 94 Es ist nämlich evident, daß es dem Berechtigten nicht u m den Schutz der eigenen Rechtsgütersphäre gehen kann, sondern u m Schikane. I m Gegensatz zu § 226 kann aber auf die subjektive Schädigungsabsicht verzichtet werden, weil die fragliche Rechtsposition bereits objektiv schutzunwürdig ist. Es handelt sich jedoch, wohlgemerkt, u m eine qualitative Wertlosigkeit. Quantitative Wertlosigkeit, wie sie etwa bei kleinen Beträgen vorliegt, hindert noch nicht einmal die gerichtliche Durchsetzung, sonst entstünde nämlich die Gefahr, daß Bagatellbeträge sanktionslos einbehalten werden könnten. 95 Als Unterschied zum Verbot des venire contra factum proprium ist festzustellen, daß hier die Mißbräuchlichkeit aus dem Mißverhältnis der zu schützenden Rechtspositionen selbst folgt. (2) Dieselbe Unterscheidung t r i f f t i n den Fällen zu, i n denen ein Mißbrauch aufgrund relativ geringer Gläubigerinteressen i m Verhältnis zu den Schuldnerinteressen vorliegt. 9 6 Gesetzliche Ausprägungen dieses Gedankens sind §§ 320 Abs 2, 459 Abs 1 S 2, 468 Abs 1 S 2, 542 Abs 2, 634 Abs 3 und 911.97 (3) Schließlich fallen i n diese Unterfallgruppe noch die Fälle, i n denen der Gläubiger das Erlangte seinerseits alsbald zurückgeben müßte (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus esset) 98 Auch hier liegt ein Wider92
Soergel / Teichmann (11), §242 Rn290. Soergel / Knopp (10), §242 Rn262; Soergel / Teichmann, §242 Rn290; Esser / E. Schmidt, SR 11, § 5 I I I . 94 O L G Celle M D R 1968, 249. 95 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn292 a. E.; vgl. bezügl. eines K o n k u r s antrags L G Würzburg B B 1984, 95 mN. 96 Vgl. dazu Soergel / Teichmann (11), §242 Rn293ff.; Jauernig / V o l l k o m mer, § 242 A n m I I I 2 b cc. 97 Vgl. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn292; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 2 b cc. 98 Soergel / Teichmann (11), §242 R n 2 9 7 f f . ; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 2 b bb; vgl. zu diesem Rechtssprichwort auch Wacke, J A 1982, 477 ff. 93
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Β. Die bisherige Einordnung des Rechtsinstituts
spruchselement darin, daß ein Widerspruch zu dem zukünftig geschuldeten Verhalten vorliegt. Dieses ist aber nicht das kennzeichnende Element dieser Unterfallgruppe. Es geht vielmehr, wie i n den zuvor dargestellten Varianten des fehlenden schutzwürdigen Interesses, u m eine Abwägung dieser Interessen, wobei eine zeitliche Komponente hinzutritt. Es ist nämlich zu prüfen, wie die gegenseitigen Interessen an einem schnell vorübergehenden Zustand zu bewerten sind." bb) Zweckwidrigkeit der Geltendmachung eines Rechts Bei dieser Fallgruppe geht es ebenfalls u m die Vermutung eines schikanösen Vorgehens. 100 Zwar hat der Berechtigte eigene Interessen; er macht diese aber mit Hilfe von Rechtspositionen geltend, die andere Zwecke haben. 101 Damit geht es wiederum u m die Bewertung von Interessen und die zweckentsprechende Interpretation von Rechtspositionen. cc) Unredlichkeit der Rechtsdurchsetzung (inciviliter agere) Hier geht es darum, daß der Gläubiger seine Interessen i n rücksichtsloser, grober Weise durchsetzt. 102 Auch dies ist beim Prinzip des venire contra factum proprium nicht vorauszusetzen und kennzeichnet damit eine von diesem Prinzip abzugrenzende Fallgruppe. c) Der Selbstwiderspruch als eigene Fallgruppe des individuellen Rechtsmißbrauchs Damit ist festzustellen, daß der Selbstwiderspruchsgedanke aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen der anderen Fallgruppen des individuellen Rechtsmißbrauchs nicht bei diesem eingeordnet werden kann. Falls dieses Prinzip berechtigt ist, muß es somit eine eigene Fallgruppe i m Rahmen des individuellen Rechtsmißbrauchs 103 oder ein völlig selbständiges Institut darstellen. Beide Fragen, ob das Prinzip des venire contra factum proprium berechtigt ist und ob es zu Recht beim Institut des Rechtsmißbrauchs eingeordnet wird, werden i m folgenden untersucht. Es w i r d dabei weiterhin unterstellt, daß die bisherige Einordnung unter den Oberbegriff „Rechtsmißbrauch" zutreffend ist.
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Soergel / Teichmann (11), §242 Rn297. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn301. 101 Vgl. Hohmann, J A 1982, 114 f.; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 2 b aa; B G H N J W 1980, 451. 102 Vgl. Jauernig / Vollkommer, § 242 I I I 2 b ee. 103 Vgl. Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 4; Palandt / Heinrichs, § 242 A n m 4 C e; Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 312 ff. 100
C. ZuJässigkeit der Anwendung des Gedankens des venire contra factum proprium
I. Gesetzliche Grundlagen Aus dem Gesetz läßt sich, wie sich nunmehr zusammenfassend sagen läßt, keine Begründung entnehmen. 1. Dies folgt für § 242, wie dargelegt, zum einen aus dessen Charakter als Generalklausel (vgl. oben S. 25 f.), zumal eine solche ohnehin selten eine gesetzliche Grundlage bildet. Zum anderen ergibt sich dies aus der Trennung des Gebotes, nach Treu und Glauben zu handeln, und des Verbotes des Rechtsmißbrauchs (vgl. oben S. 27 ff.). Auch wenn man hinsichtlich dieser Trennung anderer Ansicht ist, ergibt § 242, eben wegen seines Charakters als Generalklausel, für derart verselbständigte Institute ohne weiteres keine Legitimation. Auch dann erschiene es nämlich als bloße Scheinbegründung, rekurrierte man nur auf die Verletzung von Treu und Glauben. 104 Insoweit müßte, lediglich vom Ansatz her anders als hier, ebenfalls untersucht werden, ob aus § 242 der Rechtsmißbrauchsgedanke m i t seinen Konkretisierungen abgeleitet werden kann. 2. Wie sich aus dem bereits dargestellten (s. oben S. 27 ff.), zu engen A n wendungsbereich von § 226 und § 826 ergibt, können diese Vorschriften gleichfalls keine Legitimation des Rechtsmißbrauchsverbot und damit des Gedankens des widersprüchlichen Verhaltens darstellen. II. Ableitung aus dem allgemeinen Mißbrauchsverbot A l l e i n die Einordnung als selbständige Fallgruppe i m Rahmen des individuellen Rechtsmißbrauchs erbringt ebenfalls noch nicht die angestrebte Legitimation. Dieses abstrakte Institut ist als solches nämlich nicht als Generalklausel aufzufassen, mit deren Hilfe sämtliche Konkretisierungen begründet werden können. Es ist vielmehr nur als Oberbegriff der einzelnen Fallgruppen und Unterfallgruppen zu sehen, die ihrerseits genau begründet sein müssen. Dazu genügt aber das allgemeine Mißbrauchsverbot genausowenig, wie das Gebot von Treu und 104
Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 Rn 154 ff.
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C. Zulässigkeit der Anwendung
Glauben. Selbst wenn dieser Grundsatz i n seinem weiten Verständnis normiert wäre, würde nichts anderes gelten, weil aus einem solch abstrakten Satz allein noch keine Einzelentscheidungen ohne Einzelbegründung hergeleitet werden können. Deswegen ist auch der Hinweis auf einen Verstoß gegen das Mißbrauchsverbot, wie der bloße Hinweis auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben, als Scheinbegründung abzulehnen. Es muß statt dessen i n jedem konkreten Einzelfall bzw. für jede abstrakte Unterfallgruppe, wie hier für die des venire contra factum proprium, untersucht werden, wie hierauf gestützte Entscheidungen begründet werden können. Dies müßte man, wenn man der A n sicht ist, es gäbe ein „Allgemeines Mißbrauchsprinzip" ohnedies tun. Denn auch dann erforderte die Konkretisierung dieses Prinzips die Einzelbegründung der jeweiligen Unterfallgruppen. I I I . Spezielle Legitimation des Prinzips des venire contra factum proprium 1. Verbot des Selbstwiderspruchs Die Formulierung „Verbot des widersprüchlichen Verhaltens" legt es nahe, die Begründung dieses Prinzips eben i n dem Selbstwiderspruch zu suchen. Aber wie bereits eingangs (s. oben S. 25) erwähnt, stellt dies ohne weiteres keine Begründung dar, 105 zumal es jedem ohne vertragliche Bindung freisteht, sein Verhalten zu ändern. 106 Anders als etwa die Sittenwidrigkeit weist nämlich ein Selbstwiderspruch keinen selbständigen Unwertgehalt auf. 107 Auch gibt es kein ethisches Postulat, das es verbietet, sich selbst zu widersprechen, 108 so daß „bloße Kontinuitätserwartungen der Selbstdarstellung" 109 nicht ausreichen, so weitgehende Rechtsfolgen auszulösen. 110 Es ist deswegen zu fragen, warum ausnahmsweise i n den Fällen des venire contra factum proprium ein widersprüchliches Verhalten unzulässig sein soll. Möglicherweise liegt die Unzulässigkeit ja bei einer der Verhaltensweisen, die sich widersprechen. Hierfür kommt zum einen ein bestimmtes Vorverhalten, zum anderen das zu diesem widersprüchliche spätere Verhalten i n Betracht. 105
Canaris, Vertrauenshaftung, 287; Wieling, A c P 176, 334. B G H M D R 1970, 210; so ausdrücklich auch Liebs, JZ 1981, 160; desgl. E. Wolf, A T , § 2 D I I I c 4, S. 121 f., der allerdings aus diesem Umstand letztlich folgert, daß die Annahme eines venire contra factum p r o p r i u m gesetzwidrig sei; Medicus, A T , R n 138, meint demgegenüber nur, der Satz v o n der Unzulässigkeit eines Selbstwiderspruchs gehe nicht so weit. 107 Desgl. Griesbeck, Venire contra factum proprium, 1. 108 v g i # Riezler, Venire contra factum proprium, 110. 106
109 110
Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie I, 74 f. Desgl. Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, 18.
III. Spezielle Legitimation
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Man könnte der Auffassung sein, die Unzulässigkeit der Rechtsausübung läge i n dem späteren Verhalten begründet, so daß i m Grunde ein Fall des dolus praesens (vgl. dazu oben S. 34 ff.) gegeben sei. 111 Dafür spricht schon die Formulierung „widersprüchliches Verhalten", die andeutet, daß das spätere Verhalten für unzulässig gehalten wird. Ohne ein solches späteres Verhalten gibt es nämlich auch keine Widersprüchlichkeit zu einem früheren Verhalten. Diese Einordnung ist allerdings unzutreffend. Sie beruht auf der ungenauen sprachlichen Formulierung „Verbot des widersprüchlichen Verhaltens" wie überhaupt der damit korrespondierenden ungenauen Formulierung der „Unzulässigkeit der Rechtsausübung". Dieser Begriff ist verwirrend und bedarf einer Erläuterung, 1 1 2 u m Rechtsvoraussetzungen wie Rechtsfolgen der einzelnen Fallgruppen des Rechtsmißbrauchs und damit des Prinzips des venire contra factum proprium verstehen zu können. Der Ausdruck läßt — wie gesagt — vermuten, die Ausübung des Rechts selbst, also das spätere Verhalten, das den Widerspruch zum Vorverhalten darstellt, sei als solche unzulässig und deswegen der relevante Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit. Aber wer von seinem Recht Gebrauch macht, tut regelmäßig kein Unrecht, selbst wenn hierdurch einem anderen ein Nachteil oder Schaden entsteht oder sonst fremde Interessen verletzt werden (qui suo iure utitur, neminem laedit). 113 Ginge unsere Rechtsordnung nicht grundsätzlich davon aus, daß Rechte auch geltend gemacht werden können, führte sie sich selbst ad adsurdum. Ein Recht, das besteht, aber nicht ausgeübt werden kann, gibt es daher nicht. 114 Die Formel von der „unzulässigen Rechtsausübung" bzw. dem „Verbot des widersprüchlichen Verhaltens" ist demnach unzutreffend. 115 Es w i r d nämlich nicht deutlich, was i n Wirklichkeit damit gemeint ist. Dies resultiert daraus, daß dieser Sprachgebrauch sich aus der aktionenrechtlichen exceptio doli des römischen Zivilprozesses entwickelt hat (vgl. auch oben S. 32 ff., 34 ff.). 116 Diese aktionenrechtliche Denkweise entspricht aber nicht dem von Windscheid 117 und der Pandektenwissenschaft entwickelten materiellen Rechtsfolgedenken des BGB. I m aktionenrechtlichen Denken 118 111 Vgl. Soergel / Knopp (10), § 242 R n 229, 254; MünchKomm-Roth, § 242 R n 166—186; Boehmer, Grundlagen, B d I I 2, S. 99; Wieacker, Präzisierung, 28; Canaris, Vertrauenshaftung, 301; Griesbeck, Venire contra factum proprium, 68. 112 Staudinger / J. Schmidt (12), §242 Rn644; w e n n auch Staudinger / Weber (11), §242 R n D 16 meint, man müsse Sprachunklarheiten i n K a u f nehmen. 113 S. zB RGZ 160, 349, 357; B G H W M 1971, 824, 826; DNotZ 1972, 361; Β GHZ 60, 275, 290; B G H N J W 1981, 274; O L G F r a n k f u r t W M 1981, 445; vgl. auch Staudinger/Weber (11), §242 R n D 2 0 . Vgl. E. Wolf, A T , § 2 D I I I c 4, S. 121 f.; a. A . Hübner, A T , R n 737. 115 Vgl. Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 275. 116 Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 R n 644. 117 Die actio des römischen Zivilrechts v o m Standpunkt des heutigen Rechts. 118 Nicht gemeint ist hier m i t diesem Begriff die auch i m materiellrecht-
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C. Zulässigkeit der Anwendung
kommt es auf die Chancen und Risiken der faktischen Rechtsdurchsetzung an; d.h. m i t welchem Vorbringen w i r d man i m Prozeß gehört, welche Chancen hat man, durch eine bestimmte Handlung sein Recht durchzusetzen. So wurde jemandem nur dann Recht gewährt, wenn i h m auch eine „actio" zur Verfügung stand. 119 I m materiellrechtlichen Denken hingegen kann zwar auch die Durchsetzbarkeit eines Rechts i n Frage stehen, das Entscheidende ist jedoch vom Denkansatz her, ob das Recht einem zusteht; ob also der Anspruch entstanden ist oder nicht, bzw. ob er wieder weggefallen ist. Aufgrund der Entscheidung für das materiellrechtliche Denken i m BGB ist es wegen einer konsistenten Dogmatik notwendig, auch bei außergesetzlichen Sachnormen, wie der unzulässigen Rechtsausübung und damit der Unterfallgruppe des venire contra factum proprium, materiellrechtlich zu formulieren. 120 Materiellrechtlich ausgedrückt sind also Umstände, die eine unzulässige Rechtsausübung begründen, solche, die den Bestand materieller Rechte überhaupt beeinflussen. Nicht die Ausübung eines noch bestehenden Rechts ist unzulässig, sondern das Handeln i m Mißbrauchsbereich betrifft die Rechtsstellung selbst. 121 Dies gilt bei Ansprüchen (Forderungen) ohne weiteres, weil bei diesen Rechten i n der Tat die Befugnis des Inhabers gerade i n der Ausübung besteht. Demgegenüber ist bei dinglichen Rechten oder Statusrechten eine modifizierte Betrachtungsweise geboten. So muß nicht unbedingt etwa das Vereinsmitglied, der Eigentümer oder der Testamentsvollstrecker bei Vorliegen der Voraussetzungen des Prinzips des venire contra factum proprium seine Mitgliedschaft, sein Eigentum oder seine Testamentsvollstreckerstellung verlieren, obwohl dies etwa beim Eigent u m ähnlich wie bei der Ersitzung, § 937, denkbar ist. Dennoch paßt auch hier die Vorstellung der materiellen Rechtsänderung. Wenn der betreffende Inhaber auch sein Statusrecht oder das dingliche Recht liehen Denken durchaus übliche prozeßförmige Gliederung des Stoffes, vgl. dazu Medicus, A c P 174, 313. 119 Enneccerus / Nipperdey, § 222 I ; Medicus AcP 174, 313, 314. 120 Larenz A T , § 13 I V a 3 b; SR I § 10 I I c; Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 Rn 599, 644; vgl. auch Windscheid, Die actio des römischen Zivilrechts, V o r w o r t I I I , der es unternahm, „was das römische Recht i n der Sprache der actio ausdrückt, i n die Sprache unserer Rechtsanschauung zu übertragen" ; dagegen ist jedoch Georgiades, Anspruchskonkurrenz, 32 f., der Ansicht, daß W i n d scheid die actio der Sache nach nicht beseitigt hat. 121 S t a u d i n g e r / J . S c h m i d t (12), §242 Rn644; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn 70; Palandt / Heinrichs, §242 A n m 1 b; s. auch für den F a l l eines dolus praeteritus B G H W M 1974, 242: Eine aufgrund eines Machtmißbrauchs durchgesetze vertragliche Bestimmung ist u n w i r k s a m ; so auch E. Wolf, A T , § 2 D I I I c4, S. 121 f., der aus dieser Erkenntnis jedoch die Gesetzwidrigkeit des P r i n zips des venire contra factum p r o p r i u m folgert; dagegen n i m m t Hübner, A T , R n 737 n u r ein dauerndes Ausübungshindernis an.
III. Spezielle Legitimation
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selbst nicht verliert, so verliert er doch das Recht, das sich aus dieser Stellung ergibt. Die Folge, die daraus resultiert, nämlich das Auseinanderfallen von Rechtsinhaberschaft und „Ausübungsrecht" ist dabei nicht neu. Sie liegt beispielsweise genauso bei der Verjährung dieser Rechte, etwa beim Eigentumsherausgabeanspruch 122 vor. Das bedeutet aber nicht, daß dem Rechtsinhaber nunmehr die Ausübung verwehrt ist. Er kann diese nach wie vor versuchen. Dieser Versuch geht nur ins Leere, weil das Recht, das er ausüben w i l l , zB das Herausgaberecht des Eigentümers aus § 985, i h m nicht mehr zusteht, obwohl er nach wie vor Eigentümer ist. Die materielle Rechtsänderung bezieht sich also nur auf die jeweiligen unmittelbaren Ausübungsrechte. Das „Basis- oder Stammrecht" als solches kann bestehen bleiben. Demnach stellt das spätere Verhalten, wenn nicht ein anderer Rechtsmißbrauchsfall wie etwa schikanöse Rechtsverfolgung (vgl. dazu oben S. 32 ff.) gegeben ist, i m Grunde eine ganz gewöhnliche Rechtsverfolgung dar. Diese Rechtsverfolgung kann, wie sich aus dem materiellrechtlichen Verständnis ergibt, nur dann „unzulässig", genauer unbegründet sein, wenn bereits zuvor eine Veränderung der Rechtslage eingetreten ist. Damit erscheint das spätere Verhalten keineswegs mehr rechtsmißbräuchlich, auch wenn die Rechtsprechung teilweise darauf zurückgreift. 123 Es handelt sich vielmehr um die völlig normale Erscheinung, daß etwa i m Prozeß der Kläger ein i h m nicht zustehendes Recht behauptet, was dann eben zur Klageabweisung führt. 1 2 4 Zwar handelt jeder, der zB trotz gültigen Vertrages die Erfüllung verweigert, i m Grunde widersprüchlich zu seiner eigenen Willenserklärung. 1 2 5 Aber diese Widersprüchlichkeit kennzeichnet keinen eigenständigen Unwertgehalt. Derartige Fälle sind nach den allgemeinen Grundsätzen zu behandeln und bedürfen deswegen keines Rückgriffs auf den subsidiären Rechtsmißbrauchsgedanken. 126 Demnach ist völlig irrelevant, ob ein späteres Verhalten überhaupt einsetzt. Wenn es vorliegt, handelt es sich nur u m den Widerspruch zu einer bestehenden Rechtslage, die bereits vorher und unabhängig davon entstanden sein muß. 127 Also begründen weder die Widersprüchlichkeit noch das widersprüchliche spätere Verhalten selbst eine aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium gewonnene Entscheidung. Eine solche Entscheidung kann sich 122
Vgl. n u r Palandt / Heinrichs, § 195 A n m 3 b. S. zB B G H N J W 1972, 152: Mißbräuchlich sei das Geltendmachen eines Anspruchs, der wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht mehr bestehe; so auch Wieling, AcP 176, 334, 336. 124 So ausdrücklich Soergel / Teichmann (11), §242 Rn312. 125 Vgl. Staudinger / Weber (11), §242 R n D 323. 126 Soergel / Knopp (10), § 242 Rn 230; Griesbeck, Venire contra factum proprium, 66, betont zutreffend, dies könne schon begrifflich nicht gemeint sein. 127 So auch S t a u d i n g e r / J . S c h m i d t (12), §242 Rn599. 123
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C. Zulässigkeit der Anwendung
somit nur noch aus dem Vorverhalten und ggf. zusätzlichen Kriterien ergeben. 128 Es fragt sich also, auf welche Weise diese Gesichtspunkte zu einer Veränderung der Rechtslage führen können. 2. Abgrenzung zur Willenserklärung Eine solche Veränderung der Rechtslage kann ohne weiteres jedenfalls dann eintreten, wenn das Vorverhalten als Willenserklärung zu qualifizieren ist. Das weist aber, wie dargelegt (s. oben S. 41), keine Besonderheiten auf, da sonst jede Leistungsverweigerung trotz Vertrags als widersprüchliches Verhalten zu qualifizieren wäre. Man könnte deswegen der Auffassung sein, daß der Versuch, gewisse Ergebnisse über die Argumentation m i t dem Prinzip des venire contra factum proprium zu erklären, überhaupt überflüssig sei. 129 Diese Meinung wäre zutreffend, wenn man i n dem Vorverhalten, als dem für das venire contra factum proprium relevanten Anknüpfungspunkt, stets eine mindestens konkludente Willenserklärung sehen könnte, 130 so daß die Rechtslage, zu der das spätere Geltendmachen dann widersprüchlich und deswegen unbegründet ist, tatsächlich kraft Rechtsgeschäfts und nicht aufgrund des Instituts des venire contra factum proprium eintritt. Insbesondere könnte häufig ein einseitiger Verzicht vorliegen, den der Verzichtende nur nicht mehr gelten lassen w i l l . 1 3 1 So wurde tatsächlich i n einigen Entscheidungen erwogen, ein bestimmtes Verhalten (Unterlassen) als rechtsgeschäftlichen Verzicht auszulegen. Dies wurde dann aber mit der Begründung offen gelassen, es liege jedenfalls ein venire contra factum proprium vor. 1 3 2 Eine solche Argumentation ist zwar aus prozeßökonomischen Gründen verständlich, wünschenswert wäre aber eine eindeutige Stellungnahme gewesen, zumal die Annahme eines venire contra factum proprium, wie dargelegt (s. oben S. 41 f.), nicht i n Betracht kommt, wenn eine Willenserklärung vorliegt. Es sind aber nicht sämtliche Sachverhalte, i n denen eine Lösung durch das Institut des venire contra factum proprium denkbar ist oder von der Rechtsprechung zugrunde gelegt wurde, durch die Annahme eines Rechtsgeschäfts zu lösen, ohne daß der Begriff der Willenserklärung überspannt wird. 1 3 3 128 Α . A . Griesbeck, Venire contra factum proprium, 68, der gerade das spätere Verhalten i m M i t t e l p u n k t der Bewertung sieht. 129 So S t a u d i n g e r / J . S c h m i d t (12), §242 R n 560 ff. m Dafür Wieling, AcP 176, 334, 336. 131 Wieling, A c P 176, 334, 336. 132 B G H W M 1971, 1498, 1499; Β GHZ 62, 208 (Nachforderungen eines A r c h i tekten trotz aufgestellter Schlußrechnung); O L G K ö l n M D R 1973, 314 (Absprache über Nachbesserung durch den Verkäufer als ein die Wandelung ausschließendes Vorverhalten). 133 So meint auch Jauernig, A n m 4 v o r § 116, daß eine Willenserklärung „zu
III. Spezielle Legitimation
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a) Obwohl dieser Begriff stark umstritten ist, 134 gibt es doch gewisse Grundvoraussetzungen, die i m Wege der Auslegung die Feststellung einer Willenserklärung erlauben. Hierzu gehören zumindest Handlungswille des Erklärenden und irgendein Erklärungstatbestand, der von einem „objektivierten Erklärungsempfänger" als Willenserklärung aufzufassen ist. 135 A l l e i n diese Grundvoraussetzungen anzunehmen, fällt i n den Fällen, die für eine Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium i n Frage kommen, meist schwer, 136 selbst wenn man als Erklärungstatbestand ein konkludentes Handeln durch Schweigen annimmt. b) Noch schwieriger ist die Annahme einer Willenserklärung, wenn diese, wie etwa Aufsichtsratsbeschlüsse, 137 gar nicht stillschweigend ergehen könnte. So hatte der BGH 1 3 8 einmal einen Fall zu entscheiden, i n dem das einzige Vorstandsmitglied einer A G dieser ein Angebot zur Übernahme sämtlicher Gegenstände machte, die für deren Kaffeemühlenproduktion von Bedeutung waren. Dieses Angebot hatte die Hauptversammlung, i m Beisein der Aufsichtsratsmitglieder, angenommen. Das Vorstandsmitglied hatte sich dann bei der eigenen Fabrikation hinsichtlich seiner geschäftlichen Dispositionen auf den Vertrag verlassen, nachdem auch die Ausführung des Vertrages m i t Billigung der Beteiligten geschah. Die mit der Nichtigkeit des Vertrages begründete Herausgabeklage der A G wurde abgewiesen. I n der Begründung heißt es, obwohl weder die Hauptversammlung noch der Vorstand (§ 181), sondern nach § 97 A k t G a. F. allein der Aufsichtsrat vertretungsbefugt war, und deswegen der Vertrag gemäß § 177 wegen fehlender Genehmigung des Aufsichtsrats schwebend unwirksam war, seien sich „alle Beteiligten", einschließlich der i n der Hauptversammlung anwesenden Aufsichtsratsmitglieder „darüber einig gewesen, daß der Vertrag gelten solle". Das Berufen der Klägerin auf den Abschlußmangel nach Vertragsdurchführung müsse als „Widerspruch zu dem eigenen Verhalten der Organe, namentlich des Vertretungsorgans," angesehen werden. H i e r k a m z w a r eine k o n k l u d e n t e G e n e h m i g u n g i n B e t r a c h t , da s ä m t liche A u f s i c h t s r a t s m i t g l i e d e r b e i d e r H a u p t v e r s a m m l u n g m i t d e m Geleicht unzulässigerweise unterstellt w i r d " ; vgl. B G H N J W 1966, 41 f.; 1968, 1874 f.; 1979, 414 f. 134 Jauernig, A n m 1 v o r 116; Staudinger / Dilcher (12), Vorb. zu §§116—144, Rn 9. 135 Jauernig, A n m 3, 4 v o r § 116; Staudinger / Dilcher (12), Vorb. zu §§ 116— 144 R n 9. 136 So auch Soergel / Teichmann (11), §242 Rn312 für den Rechtsfolgewillen des Rechtsinhabers bei der V e r w i r k u n g ; so schon Riezler, Venire contra fact u m proprium, 159. 137 Godin / W i l h e l m i , A k t G (1971), § 108 A n m 5. 138 W M 1960,803.
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C. Zulässigkeit der Anwendung
schäft einverstanden waren. Eine solche Genehmigung war jedoch nach § 108 A k t G a. F. unzulässig. 139 c) Kaum zu begründen ist die Annahme eines Rechtsgeschäfts ferner, wenn ein solches wegen fehlender Formerfordernisse oder aus anderen Gründen 1 4 0 unwirksam ist. Zwar ließe sich hier ein wirksames Rechtsgeschäft durch teleologische Reduktion der zur Nichtigkeit führenden Norm erreichen, wenn die erforderlichen Willenserklärungen i m übrigen gegeben sind. 141 Damit ist aber nichts gewonnen, das eigentliche Problem w i r d nur verlagert. Eine teleologische Reduktion stellt sich nämlich nur als eine andere „technische" Durchführung dar und ist als solche zunächst genauso unbegründet, wie der bloße Verweis auf das Institut des venire contra factum proprium. Ein solcher Schritt müßte seinerseits ebenfalls „außerordentlich" begründet werden, und zwar gerade auf der Ebene, auf der auch die Begründung des Prinzips des venire contra factum proprium zu suchen ist. Es geht eben gerade nicht nur u m eine geschickte juristische Konstruktion, sondern u m deren methodisch-dogmatische Begründung. 142 Abgesehen davon erscheint aber die teleologische Reduktion auch als Konstruktion ungeeignet. Wie dargelegt und insoweit bisher unterstellt (vgl. oben S. 27, 36), ist der Bereich des venire contra factum proprium dem individuellen Mißbrauch zuzurechnen. Danach soll sich die entsprechende Rechtsfolge aufgrund eines individuellen Verhaltens ergeben. Dieses Verhalten als solches berührt aber nicht den Telos einer Norm. Dieser folgt aus dieser selbst, und es kann demnach nur ein Verhalten geben, das einen sinnwidrigen Gebrauch, eben einen institutionellen Mißbrauch dieser Norm darstellt. Bei der teleologischen Reduktion w i r d der Anwendungsbereich einer nach ihrem Wortsinn zu weit gefaßten gesetzlichen Regel auf ihren Sinn und Zweck reduziert, 143 so daß ein Verhalten diesem Sinn und Zweck widersprechen und damit einen institutionellen Mißbrauch darstellen kann. Es mag sein, daß dies bei gewissen Fällen angezeigt und begründet ist. 144 I m Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium ist aber gerade zu untersuchen, warum ein individuelles Verhalten Rechtsfolgen auslöst. 139 Daß hier die Annahme einer Willenserklärung nicht möglich ist, räumt auch Wieling, AcP 176, 334, 339 F n 4 ein. I n solchen Fällen w i l l er aber das konträre Ergebnis m i t der Begründung hinnehmen, das Erfordernis der Ausdrücklichkeit würde sonst umgangen, AcP 176, 334, 339. 140 B G H N J W 1980, 2408 (Unwirksamer Honorarverzicht eines A n w a l t s u n d anschließende L i q u i d a t i o n unter Berufung auf die BRAGO). 141 Dafür Wieling, AcP 176, 334, 342. 142 So gibt auch Wieling, AcP 176, 334, 342 für eine teleologische Reduktion keine K r i t e r i e n an. 143 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 375. 144 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 375 ff.
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d) Schließlich ist die Annahme eines Rechtsgeschäfts bei unverzichtbaren Rechten schwer möglich. 145 Das Vorliegen eines venire contra factum proprium w i r d durch eine Unverzichtbarkeit hingegen nicht ausgeschlossen, wenn auch die Gesichtspunkte, die eine Unverzichtbarkeit begründen, gegen die Anwendung dieses Prinzips sprechen. 146 Sofern es sich nämlich bei dem Institut des venire contra factum proprium u m einen Fall des individuellen Mißbrauchs handelt, ist es zumindest denkbar, daß sich hieraus andere Rechtsfolgen, als sie durch Rechtsgeschäfte erzielt werden könnten, ergeben können. Also lassen sich jedenfalls nicht alle Fälle, i n denen eine Lösung aufgrund des Gedankens des venire contra factum proprium i n Betracht kommt, durch die Annahme einer Willenserklärung lösen. Die Schwierigkeiten, die hierbei auftreten, sind wesentliche Indizien für die Unstimmigkeit dieser dogmatischen Konstruktion. 1 4 7 Demnach kann das Institut des venire contra factum proprium nicht mit dem bloßen Hinweis, es läge eine Willenserklärung vor, als überflüssig angesehen werden, und es ist weiter zu untersuchen, wie es zu begründen ist. 3. Abgrenzung
zu dolosem Verhalten
Eine denkbare Begründung wäre es, wenn sich aus einem dolosen Vorverhalten eine Vorwerfbarkeit ergäbe. Dann handelte es sich u m einen Fall des dolus praeteritus (vgl. oben S. 32). Es ist allerdings so, daß i n den einschlägigen Fällen meist kein doloses Verhalten gegeben ist und auch sonst keinerlei Verschulden vorliegt. Demgemäß w i r d es für das Institut des venire contra factum proprium auch nicht vorausgesetzt 148 (vgl. auch oben S. 33). Deswegen muß die erforderliche Legitimation noch über das einzelne Verhalten hinausgehen. 4. Das Institut des venire contra factum proprium als Ausfluß des Vertrauensschutzes a) Als eine solche übergeordnete Begründung kommt das „rechtsethische Prinzip" 1 4 9 des Vertrauensschutzes 150 i n Frage. So könnte man formulieren, wer veranlasse, daß bei einem anderen i n bezug auf eine 145
Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 312 a. E. Soergel / Knopp (10), §242 Rn230, 292; B G H Z 6, 342 f.; B G H L M N r 3 zu § 1598; a. A . Wieling, A c P 176, 334, 338 f. 147 MünchKomm-Roth, §242, Rn300; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I I I 4 a; Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 312 a. E.; vgl. auch Riezler, Venire contra factum proprium, 146, 159; Staudinger/ Weber (11), §242 R n D 344 m w N ; so i m Ergebnis auch Hohmann, J A 1982, 114 Fn35; vgl. dazu aber auch Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 R n 600 f. 148 Vgl. Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 4 a; MünchKomm-Roth, § 242 Rn 297. 149 Vgl. zu diesem Ausdruck Canaris, Vertrauenshaftung, 266 et passim. 150 v g l . z u dessen dogmatischer Ausgestaltung allgemein etwa Hübner, A T , Rn 332 ff. 146
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bestimmte rechtliche Situation oder das Geltendmachen von Rechten ein Vertrauen entstehe, müsse sich an dem geschaffenen Vertrauenstatbestand festhalten lassen. Auch der BGH begründete seine Entscheidungen zum Teil m i t diesem Gedanken, indem er etwa ausführte, „es könne eine unzulässige Rechtsausübung infolge widerspruchsvollen Verhaltens dann gegeben sein, wenn der andere Teil auf die von seinem Vertragspartner einmal eingenommene Haltung vertrauen durfte und sich darauf i n einer Weise eingerichtet hat, daß i h m die Anpassung an eine veränderte Rechtslage nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann". 1 5 1 Der Vertrauensschutzgedanke gehört zu den fundamentalen Prinzipien unserer Rechtsordnung und kann zu den obersten Rechtsgrundsätzen gezählt werden, 152 da er i n zahlreichen Vorschriften zum Ausdruck kommt. Deswegen erscheint er auch nicht nur grundsätzlich als Begründung für die Anwendung des Instituts des venire contra factum proprium geeignet zu sein, 153 sondern er macht diesen Grundsatz offenbar erforderlich, weil i h m sonst i n wesentlichen Bereichen nicht Rechnung getragen würde. So gesehen folgt das Prinzip des venire contra factum proprium aus einer Gesamtanalogie zum Grundsatz des Vertrauensschutzes. Dieser gebietet, die Interessen desjenigen, der zu Recht vertraut hat, höher zu bewerten, als die Interessen dessen, der verantwortlich (unzutreffendes) Vertrauen verursacht hat. Dies fügt sich zudem i n die für den Mißbrauch auch sonst häufige Interessenabwägung ein. 154 Deutlich w i r d hieran auch eine Wertungsbrücke zum Prinzip von Treu und Glauben, mit dem der Vertrauensschutz nahe verwandt ist. 155 Das ist wohl auch der Grund, warum die Trennung zwischen Rechtsmißbrauch einerseits und Treu und Glauben andererseits so schwer vollzogen wird. 1 5 6 151
So zB i n B G H W M 1980, 341 m w N . Vgl. zB Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 197 (Ziff. 3), 198 (Ziff. 5), 212; Canaris, Vertrauenshaftung, 3 u n d öfter. 153 Insbesondere Canaris, Vertrauenshaftung, 271, 287 ff., der das I n s t i t u t des venire contra factum p r o p r i u m i n die „Vertrauenshaftung k r a f t rechtsethischer Notwendigkeit" einordnet, betont dies; so auch Eichler, Die Rechtslehre v o m Vertrauen, 32 ff.; Wieacker, Präzisierung, 28; Riezler, Venire contra factum proprium, 165, 167 ff. et passim; Coing, N J W 1947/48, 215 Sp 2; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 212; Lenz, Vertrauensprinzip, 32; v. Cr aushaar, Der Einfluß des Vertrauens, 56; Gernhuber, Bürgerliches Recht, S. 150; Merz, Berner K o m m z. ZGB, A r t . 2, Rn402, 407 ff., 410 ff., 431 ff.; Esser, SR, §1111; Fikentscher, SR, §27 I I 3 a; Larenz, S R I §10 I I b ; Staudinger / Weber (11), §242 R n D 323; Soergel / Knopp (10), §242 Rn229; E r m a n / S i r p , §242 A n m I I I b aa; vgl. zum Vertrauensprinzip allgemein auch, Simonius, FS Schweiz. Juristentag, 233 ff. 154 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn313 a.E. 155 Vgl. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn274. 156 Vgl. n u r B G H W M 1980, 341, w o auf die Unzumutbarkeit nach Treu u n d Glauben rekurriert w i r d . 152
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So fundamental der Vertrauensgedanke allerdings ist, so vielgestaltig ist er auch hinsichtlich seines Anwendungsbereichs und seiner Rechtswirkungen. Das bedeutet eine Schwäche der Überzeugungskraft, der m i t seiner Hilfe gewonnenen Begründungen, sofern diese rein „topisch" bleiben und nicht konkretisiert werden. 157 b) Deswegen ist nun konkret zu klären, wie die Notwendigkeit des Vertrauensschutzes i m Bereich der Fallgruppe des venire contra factum proprium zu begründen ist. Hierbei ist zu untersuchen, wie die einzelnen Fälle gelagert sind (vgl. dazu die Beispielsfälle oben S. 14 ff.). Dabei läßt sich feststellen, daß die jeweiligen Partner durchaus i n einem „sozialen Näheverhältnis" stehen. 158 Es wurde vielleicht sogar ein Vertrag geschlossen. Nur eben bezüglich der Frage, deren Lösung nach dem Prinzip des venire contra factum proprium ansteht, ist gerade keine vertragliche Regelung gegeben. Diese liegt vielmehr i m Vorfeld einer meist möglichen Bindung durch Willenserklärungen. Deswegen ist fraglich, warum auch hier der Vertrauensgedanke greifen soll. Man könnte nämlich der Auffassung sein, gerade wer von den rechtlichen Möglichkeiten, insbesondere eines Vertragsschlusses keinen Gebrauch mache, verdiene keinen Schutz. 159 Aber der Vertrauensschutz ist eben gerade nicht auf Verträge begrenzt, 160 sonst wäre er überhaupt nicht als solcher abstrakt formuliert. Tatsächlich ist das Vertragsrecht eine wesentliche Ausformung des Vertrauensgedankens, der sich insbesondere i n dem Satz „pacta sunt servanda" niederschlägt. Aufgrund der gesetzlichen Wirkungen von Verträgen und den Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten t r i t t dann zwar das individuelle Vertrauen i n den Vertragspartner zugunsten des Vertrauens i n die Rechtsordnung etwas zurück. Man muß sich aber verdeutlichen, daß die Rechtsordnung hierbei i m Grunde nur das Vertrauen i n den Vertragspartner schützt. Es w i r d nämlich zB ein Kaufvertrag nicht deshalb geschlossen, weil der Käufer weiß, daß er den Verkäufer verklagen und bei Obsiegen auch gegen i h n vollstrecken kann, sondern weil er darauf vertraut, der Verkäufer werde dem Gebot „pacta sunt servanda" entsprechend erfüllen. Von dieser Überlegung ist der Schritt zum Schutz des Vertrauens i n den anderen auch ohne vertragliche Bindung nicht mehr weit. Auch unterhalb der Schwelle des „pactum" kann sich nämlich Vertrauen entwickeln, das die Rechtsordnung schützt, eben 157 v g l . Canaris, Vertrauenshaftung, 3 f. 158 so verlangt auch R G R K - A l l f , § 242 Rn 90 als Voraussetzung „irgendeine rechtliche Beziehung"; so auch RGZ 160, 349, 350. 159 Vgl. etwa RGZ 117, 121 (Edelmann-Fall) für das Einhalten v o n Formvorschriften; desgl. B G H N J W 1973, 1455; s. auch Reinicke, N J W 1968, 39 ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn 181; Flume, A T I I , § 15 I I I 4 c bb. 160 vgl. v o r allem Canaris, Vertrauenshaftung, passim.
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weil i n unserer Rechtsordnung Vertrauen eine wesentliche Rolle spielt. Dabei muß man sehen, daß der Vertrauensschutz „ i m Vorfeld" und das „pacta sunt servanda-Gebot" auf der gleichen fides-Forderung, der Rechtstugend der constantia, der Verläßlichkeit, beruhen. 161 Genauso, wie jemand aufgrund der Maxime „pacta sunt servanda" zum Worthalten gezwungen wird, bindet ihn der Vertrauensschutz i n die Beständigkeit auf einer niedrigeren, dem Vertragsschluß vorgelagerten Ebene, ebenfalls. 162 Zu betonen ist aber, daß das Maß des Schutzes auf der „Rechtsfolgeseite" stets von den Umständen auf der „Rechtsvoraussetzungsseite" abhängt. Die volle Bindung t r i t t also ohne weiteres nur bei Vorliegen eines Vertrages ein. Deswegen besteht auch nicht die Gefahr, daß das Vertragsrecht unterlaufen wird. I m Gegenteil bleiben gerade hierdurch die erforderlichen Abgrenzungen etwa des Tatbestandes der Willenserklärung möglich (vgl. oben S. 42 ff.), ohne daß auf der anderen Seite (im Vorfeld) der notwendige Schutz des Vertrauenden vernachlässigt werden muß. Eine deutliche Analogie zeigt sich dabei zur culpa i n contrahendo, bei der ja auch kein Vertragsschluß vorliegt und so das Vertrauen bei der Vertragsanbahnung geschützt wird. 1 6 3 Damit ist die grundsätzliche Legitimation des Prinzips des venire contra factum proprium dargestellt. Es bleibt aber noch zu begründen, worin der Vorteil der Ableitung des venire contra factum proprium aus dem Vertrauensschutzgedanken gegenüber der Begründung m i t der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben liegt. So könnte man meinen, es wäre lediglich eine Auswechslung von nahezu synonymen Begriffen erfolgt. Dem ist aber nicht so. Zum einen ist die Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben aufgrund der dargelegten Trennung zum Mißbrauch (vgl. oben S. 27) für den Bereich des venire contra factum proprium nicht möglich. Zum anderen handelt es sich um eine auslegungsbedürftige, nicht subsumtionsfähige Generalklausel, die zudem auf Sonderverhältnisse beschränkt ist, wenn auch einzuräumen ist, daß bei der Paarformel Treu und Glauben ein gewisser Anklang an den Vertrauensschutz festzustellen ist (vgl. oben S. 29). Schließlich ist der Vertrauensschutzgedanke, wenn auch ebenfalls noch ausfüllungsbedürftig, eine schon konkretere Begründung für das Prinzip des venire contra factum proprium. Durch die Herleitung aus diesem Grundsatz w i r d bereits deutlich, worum es beim Gedanken des venire contra factum proprium geht, nämlich um den Schutz einer be101
Wieacker, Präzisierung, 27. Canaris, Vertrauenshaftung, 302, spricht v o n der „Konkretisierung des Prinzips der Selbstverantwortung". 163 Vgl. nur Jauernig / Vollkommer, §276 A n m V I ff. 162
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gründeten Vorstellung über die Beständigkeit des Verhaltens eines anderen, die schutzwürdig erscheint. c) Es fragt sich weiterhin noch, wieso es der Kennzeichnung des Vertrauensschutzes i n diesen Fällen als „Verbot des Selbstwiderspruchs" bedarf. Man könnte nämlich der Auffassung sein, der Vertrauensschutzgedanke rechtfertige dieses Prinzip nicht nur grundsätzlich, sondern sei das allein entscheidende Prinzip, so daß es einer Qualifikation dieses Mißbrauchstatbestandes nicht bedürfe. 164 Dafür spricht i n der Tat vor allem auch, daß der Selbstwiderspruch als solcher unmittelbar weder eine Rechtfertigung des Gedankens des venire contra factum proprium darstellt, noch eine spezifische Kennzeichnung leistet, da sowohl das Geltendmachen nicht bestehender Rechte als auch die Erfüllungsverweigerung bestehender Ansprüche zunächst keine Besonderheiten aufweisen (vgl. oben S. 37 ff.). Aber abgesehen davon, daß diese Frage, weil sich an den Kriterien nichts ändert, eher akademischer Natur ist, 165 w i r d doch i m Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium eine spezifische Vertrauenssituation gekennzeichnet. Es spricht einiges dafür, i n dem Element des „Selbstwiderspruchs" ein besonderes rechtsethisches Unrechtselement zu sehen, 166 das die Situation vom bloßen Geltendmachen nicht bestehender Rechte unterscheidet. Zwar ist das widersprüchliche Verhalten keine Begründung auf der „Primär-Ebene" (vgl. oben S. 37 ff.). Das heißt aber nicht, daß es ohne jegliche Bedeutung ist. Diese entfaltet es nämlich, wenn man so w i l l , auf einer zweiten Ebene, innerhalb des Vertrauens. So w i r d doch der Inhalt des Vertrauens von dem „Aufeinanderbezogensein" von früherem und gegenwärtigem Verhalten geprägt. 167 Der Vertrauende vertraut ja gerade darauf, der Partner werde sich i n einer bestimmten Weise gerieren, er vertraut damit auf ein individuelles Verhalten seines Partners und nicht nur darauf, daß i h m ein A n spruch zusteht bzw. dem Partner ein Recht nicht zu gewähren ist. Demnach erwächst die eigentliche Bedeutung des Instituts des venire contra factum proprium aus der Verknüpfung des an sich nicht verbotenen Selbstwiderspruchs mit dem Vertrauensschutz i n der spezifischen Beschreibung des Vertrauens. Daraus fließt deshalb auch die oben (S. 49) beschriebene „constantia" i n die Gedanken des widersprüchlichen Verhaltens ein, so daß sich hieraus eine Wechselwirkung zwischen Vertrauensschutz, Widersprüchlichkeit und der beide beeinflussenden Forderung nach Wahrhaftigkeit ergibt. 168 164 165 166 167 168
So Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 Rn 560. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn314. Canaris, Vertrauenshaftung, 288, 302. Vgl. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn314. Vgl. Wieacker, Präzisierung, 27 f.; Canaris, Vertrauenshaftung,
4 Dette
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C. Zulässigkeit der Anwendung
Somit ist nicht nur das Prinzip des venire contra factum proprium grundsätzlich begründet, sondern es ist auch berechtigt, diese besondere A r t des Vertrauensschutzes m i t dem Widerspruchsgedanken zu kennzeichnen. Freilich darf dabei die nur integrierte Stellung des Widerspruchselements nicht übersehen werden, damit es nicht zu Verwechselungen m i t dem „banalen Widerspruch zur bestehenden Rechtslage" kommt. 5. Schlußfolgerung hinsichtlich der Einordnung des Instituts beim Gedanken des Rechtsmißbrauchs Nun bleibt noch zu klären, ob das Prinzip des venire contra factum proprium zu Recht als Fall des individuellen Rechtsmißbrauchs qualifiziert wird. Dabei ist von der oben (S. 40 f.) gefundenen materiellrechtlichen Definition auszugehen, wonach ein individueller Rechtsmißbrauch dann gegeben ist, wenn sich aufgrund eines subjektiven Verhaltens und ggf. anderer Kriterien eine Veränderung der „an sich" vorliegenden Rechtslage ergibt. Das ist bei dem Institut des venire contra factum prop r i u m der Fall (vgl. oben S. 38 ff., 45 ff.), so daß es bei der bisher nur vorläufigen Einordnung bleiben kann. Die — wie dargelegt — v e r w i r rende Terminologie „Rechtsmißbrauch" (vgl. oben S. 39 ff.) steht dem aufgrund des materiellrechtlichen Denkansatzes nicht entgegen. Betont werden soll aber nochmals, daß nicht der individuelle Rechtsmißbrauch als solcher die Begründung oder eine zusätzliche Begründung des Prinzips des venire contra factum proprium darstellt. Diese folgt wie gezeigt aus dem Vertrauensschutz. Es geht vielmehr nur u m die Einordnung bei einer Summe von ähnlichen Prinzipien, die jedoch unabhängig von dieser Zuordnung durch unterschiedliche Begründungen gerechtfertigt sind. Die entsprechende reine Deklaration kennzeichnet demnach lediglich das Fazit. Auch hat sich bestätigt, daß i n dem venire contra factum proprium eine von dem dolus praesens und dem dolus praeteritus (vgl. oben S. 32, 34) zu unterscheidende Gruppe vorliegt. Nach dieser grundsätzlichen Untersuchung der Zulässigkeit des Prinzips des venire contra factum proprium, wobei auf die Herleitung des Vertrauensgrundsatzes und die Kompetenz der Rechtsprechung zur außergesetzlichen Rechtsfortbildung nicht eingegangen wurde, 1 6 9 w i r d nun die Umsetzung m i t den einzelnen Voraussetzungen dargestellt. spricht von einer „Vereinigung des Prinzips der Selbstverantwortung m i t dem Vertrauensgedanken i n einem spezifischen Verhältnis". 169 v g l . dazu etwa Larenz, Methodenlehre, 351 ff.; Zippelius, Einführung i n die juristische Methodenlehre, 87 ff.; Larenz, N J W 1965, 1 ff.; Stein, N J W 1964, 1745 ff.; s. dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 514 ff.; Esser, G r u n d satz u n d Norm, 242 ff.; Zippelius, N J W 1964, 1981.
D. Die RechtsVoraussetzungen als bewegliches System
I. Grundsätzliches 1. Gefahren außergesetzlicher Rechtsfindung und ihre Vermeidung durch Strukturierung von Sachnormen Wie inzwischen deutlich geworden ist (vgl. oben S. 38 ff.), führt das Prinzip des venire contra factum proprium zur Veränderung der „an sich" bestehenden Rechtslage. Hieraus ergeben sich i m wesentlichen drei Gefahren: Zunächst könnten die gesetzlichen Voraussetzungen der Privatautonomie umgegangen werden, denn per Gesetz kann etwa Nichtigkeit eines Geschäfts angeordnet sein. Weiterhin besteht die Gefahr, daß das zur Verfügung stehende differenzierte System von Schadensersatz- und Bereicherungsansprüchen ausgehöhlt wird. 1 7 0 Schließlich könnte das Gleichgewicht zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit verschoben und gefährdet werden. 171 U m dies zu vermeiden, genügt es, wie dargelegt (s. oben S. 24 ff., 38 ff.), nicht, bloß auf ein widersprüchliches Verhalten, einen Rechtsmißbrauch oder gar nur auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben hinzuweisen, wenn auch die grundsätzliche Zulässigkeit des Instituts als solchen gegeben ist. Vielmehr müssen noch für die Anwendung i m Einzelfall Kriterien herausgearbeitet werden, die die Voraussetzungen dieser „nebengesetzlichen" Sachnorm möglichst genau beschreiben. Denn auch bei der Anwendung i m Einzelfall sind wesentliche Voraussetzungen der Rechtsfindung zu beachten. So setzt etwa das Postulat der Methodenlehre, das die Bindung an das Gesetz vorschreibt, voraus, daß eine Entscheidung auf einen Satz, der Tatbestand und Rechtsfolge zum Inhalt hat (Sachnorm), gestützt wird. 1 7 2 Wenn nun, wie gezeigt, zulässigerweise Institute wie das des venire contra factum proprium außerhalb des Gesetzes eingeführt werden, so sind auch hieraus Sachnormen zu entwickeln, m i t denen die nunmehr 170
Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 311. 171 Vgl. allgemein zu den Begriffen Rechtssicherheit, Gerechtigkeit, B i l l i g keit: Radbruch, Die Idee des Rechts, in: Vorschule der Rechtsphilosophie, §§ 7—10. 172
4·
Vgl. Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 R n 156.
52
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
zu findenden Entscheidungen begründet werden können. 173 Nur hierdurch wird, wenn auch wohl i n abgeschwächter Form, der „Syllogismus der Rechtsfolgenbestimmung" 174 nach der bekannten Methode der sog. Subsumtion 175 ermöglicht. Damit w i r d ebenfalls vermieden, daß der Richter zur Korrektur „untragbarer Ergebnisse" unzulässigerweise i n die Privatautonomie eingreift. 1 7 6 Gleichzeitig w i r d überhaupt die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit erhöht. 2. Systematisierung
der Voraussetzungen
Bevor untersucht werden kann, auf welche Kriterien es i m einzelnen ankommt, fragt es sich, wie diese Sachnorm des Prinzips des venire contra factum proprium zu strukturieren ist. Grundsätzlich kommen hierfür eine Generalklausel oder ein starres tatbestandlich verfestigtes System i n Frage. a) Eine Generalklausel würde bedeuten, daß die einzelnen Voraussetzungen nicht festgelegt würden, sondern i n jedem Einzelfall durch Ausfüllung des Wertmaßstabs dieser Norm zu ermitteln wären. Ein Vorteil wäre hierbei ein sehr elastisches Verfahren, das es erlaubt, den i n diesem allgemeinen Maßstab gemeinten Rechtsgedanken zu jedem bestimmten Fall i n bezug zu setzen. Obwohl sich dieser spezifische Rechtsgedanke insoweit jeder begrifflichen Definition entziehen würde, wäre eine Verdeutlichung durch allgemein akzeptierte Beispiele möglich. 177 Der Nachteil einer solchen Formulierung ist aber auch gerade diese Elastizität, die eine große Unsicherheit i n sich birgt. 1 7 8 Entscheidungen werden nämlich nur aufgrund von Konkretisierungen der zugrundeliegenden Maßstäbe vorhersehbar, wobei der Prozeß der Konkretisierung nie „am Ende" wäre, weil jede gelungene Konkretisierung ihrerseits als beispielgebend zur weiteren Konkretisierung beiträgt. 1 7 9 Der Gesetzgeber, der meist die Wahl hat, ob er einen Lebenssachverhalt durch abschließende Merkmale, also begrifflich, oder durch einen Typus, also einen „unbestimmten Maßstab", 180 regelt, 181 kann für das eine wie das 173
Vgl. Staudinger / J. Schmidt (12), § 242 Rn 169 ff. (im Hinblick auf § 242). Vgl. Larenz, Methodenlehre, 260 ff.; Zippelius, E i n f ü h r u n g i n die j u r i s t i sche Methodenlehre, 106 ff. 175 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, 260 ff. et passim; Zippelius, E i n f ü h r u n g i n die juristische Methodenlehre, 106 ff. 176 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 287; vgl. auch Soergel / Knopp (10), §242 R n 4. 177 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 214. 178 Vgl. Hedemann, Die Flucht i n die Generalklauseln, S. 66; s. auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 214. 179 Larenz, Methodenlehre, 214. im v g l . dazu Häuser, Unbestimmte Maßstäbe, 26 ff. lei Larenz, Methodenlehre, 213. 174
I. Grundsätzliches
53
andere gute Gründe finden. 182 Für den vorliegenden Fall der bereits generalklauselartig vorgegebenen Idee des Verbots des venire contra fact u m proprium soll aber gerade diese „amorphe Phase" des Rechtsgedankens überwunden werden. Es ist daher angezeigt, unmittelbar eine Konkretisierung vorzunehmen. Dies w i r d zudem dadurch erleichtert, daß es sich keineswegs u m einen neuen Leitgedanken handelt. So kann die bisherige Rechtsprechung und Literatur, die den Maßstab von Treu und Glauben konkretisieren wollten, zu Hilfe genommen werden. 183 b) Demnach spricht einiges dafür, die Strukturierung der Kriterien des Instituts des venire contra factum proprium m i t Hilfe von möglichst scharf profilierten, als unverzichtbar und abschließend gedachten Merkmalen vorzunehmen. 184 Das würde die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen erhöhen. Bei Vorliegen solcher Begriffsmerkmale wäre nämlich eine fast wertfreie Subsumtion möglich, wodurch der Rechtsanwender von der Mühe wertender „Abwägung" weitgehend entlastet und so die Rechtsanwendung „sicher" gemacht würde. 1 8 5 Der Nachteil begrifflicher Festlegung besteht darin, daß die begrifflichen Merkmale häufig entweder nicht alle Fälle decken, die von der ratio legis beziehungsweise der ratio des außergesetzlichen Instituts, gemeint sind, oder umgekehrt auch solche, auf die deren Sinn nicht zutrifft. 1 8 6 Weiterhin würde eine starre tatbestandliche Verfestigung kaum der Sachstruktur der zu lösenden Fälle entsprechen. Hierbei handelt es sich ja u m Fälle, die von den Tatbeständen etwa das Vertragsrecht gerade nicht erfaßt werden und bei denen dennoch aufgrund einer Würdigung eine bestimmte Lösung aus übergeordneten Gesichtspunkten angemessen erscheint. Eben weil diese Fälle zur sachgerechten Lösung eines „Beurteilungsspielraums" bedürfen, muß auch die Strukturierung der i n Frage kommenden Kriterien einen Einfluß der Wertung erlauben. Es fragt sich daher, ob es nicht einen Kompromiß zwischen Generalklausel und tatbestandlicher Verfestigung gibt, der möglichst unter Vermeidung der Nachteile die Vorteile beider verbindet und dadurch die Spannung 187 zwischen diesen beiden Extremen abbauen hilft. 182
Leenen, Typus u n d Rechtsfindung, 96 ff. 183 v g l z u den hierzu erforderlichen Regeln der „Standeskunst" i m H i n b l i c k auf § 242 etwa Wieacker, Präzisierung, 17 f.; Esser, JZ 1953, 521; Esser, JZ 1956, 555; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, 214, 276 ff. 184 Dafür Flume, A T I I , § 15 I I I 4 d, i n bezug auf formnichtige Schuldverträge. 185 Larenz, Methodenlehre, 213. 186
Larenz, Methodenlehre, 213. Vgl. Hedemann, Die Flucht i n die Generalklauseln, S. 3; vgl. auch H ä u ser, Unbestimmte Maßstäbe, S. 26 ff. 187
54
D. Die
echtsvoraussetzungen als bewegliches System
c) Hierfür kommt die Aufstellung eines sog. „beweglichen Systems" 188 i n Frage. aa) Das bedeutet, daß zwar bestimmte Kriterien generell feststehen, daß sich die Rechtsfolge aber nur i m Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall entsprechend dem „Zusammenwirken dieser Elemente je nach Zahl und Stärke" 1 8 9 ergibt. Je mehr danach die grundsätzlich erforderlichen Merkmale erfüllt sind, desto eher w i r d die entsprechende Rechtsfolge erreicht. Auch kann die Schwäche, j a sogar das Fehlen eines Merkmals durch die Stärke bzw. das Hinzutreten eines anderen ersetzt werden. 190 Selbst wenn damit kaum eine begriffliche Subsumtion erreicht werden kann, ergibt sich doch eine Aussage, die je nach der Dichte der vorhandenen Elemente eine eindeutigere Zuordnung gestattet. 191 Ausdruck eines beweglichen Systems ist es auch, daß sich die Elemente untereinander beeinflussen. Insgesamt erlaubt dies durch eine Gesamtschau die Berücksichtigung von Wertungsgesichtspunkten, ohne daß eine gewisse Ausrichtung an den grundsätzlich feststehenden, nahezu begrifflichen Merkmalen unmöglich wird. Deswegen könnte sich ein solches „bewegliches System" für den Bereich des venire contra factum proprium als sinnvoll erweisen. 192 bb) Es fragt sich nur, ob eine solche Beweglichkeit des Systems überhaupt zulässig ist. Das System des geltenden deutschen Rechts ist nämlich grundsätzlich unbeweglich. Für eine Abwägung der Kriterien „nach Zahl und Stärke" bleibt i n unserem Privatrecht und unserer Rechtsordnung insgesamt grundsätzlich kein Raum. 193 Dies gilt allerdings nur i m Grundsatz. Als ein Gegenbeispiel, das die notwendige Einschränkung verdeutlicht, sei § 254 mit seiner Durchbrechung des „Alles-oder-NichtsPrinzips" genannt. 194 Hier ergibt sich für das für ein bewegliches System charakteristische B i l d der Abwägung verschiedener Faktoren gegeneinander. Tatsächlich kann einer den anderen ersetzen, und es besteht zwischen ihnen kein festes Rangverhältnis. So kann etwa statt des Mitverschuldens auch eine mitwirkende Betriebsgefahr eingewandt werden. 195 Ein leichtes Mitverschulden kann durch Hinzutreten von gefahrerhöhenden Umständen i n der Sphäre des Geschädigten möglicherweise zu einer ebenso großen Minderung seines Ersatzanspruchs führen, wie ein 188
Wilburg, Entwicklung, 12 f.; vgl. auch Canaris, Systemdenken, 78 ff.; 152 f. Wilburg, Entwicklung, 12 f. 190 Wilburg, Entwicklung, 13; Canaris, Vertrauenshaftung, 303. 191 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn316. 192 So Canaris, Vertrauenshaftung, 302 ff.; Soergel / Teichmann (11), §242 R n 316. 193 vgl. Canaris, Systemdenken, 78. 189
194 195
Vgl. MünchKomm-Grunsky, § 254 R n 1. RGZ 138, 327, 330; R G R K - A l f f , § 254 R n 6.
I. Grundsätzliches
55
grobes Mitverschulden etc. 196 Demnach ist eine feste Tatbestandsbildung gar nicht möglich. Dennoch liegen die Zurechnungskriterien insofern fest, als daß nur spezifische Gesichtspunkte wie Verschuldenshöhe, Grad der Betriebsgefahr oder „Nähe" des Kausalzusammenhangs und nicht etwa beliebige Faktoren, wie verwandtschaftliche Beziehungen oder Gefälligkeit 1 9 7 zu berücksichtigen sind. 198 Andere Beispiele sind etwa die Feststellung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung oder eines wichtigen Grundes. Auch bei der Beurteilung, ob ein Rechtsgeschäft oder ein Verhalten gegen die guten Sitten verstößt, sind regelmäßig bestimmte Kriterien ohne festes Rangverhältnis „nach Zahl und Stärke" gegeneinander abzuwägen. Solche Beispiele finden sich also offenbar insbesondere dort, wo Generalklauseln die festen Tatbestände ergänzen. Das heißt aber nicht, daß das „bewegliche System" m i t den Generalklauseln zu identifizieren ist. 1 9 9 Denn das Charakteristikum der Generalklausel ist ihre Wertausfüllungsbedürftigkeit. Sie gibt die zu ihrer Konkretisierung erforderlichen Kriterien gerade nicht an, so daß sich diese nur grundsätzlich i m Hinblick auf den konkreten Einzelfall festlegen lassen. 200 Beim beweglichen System hingegen sollen die maßgeblichen „Elemente nach Inhalt und Zahl generell bestimmt" und lediglich ihr „Mischungsverhältnis" soll variabel gestaltet und von den Umständen des Einzelfalls abhängig sein. 201 Allerdings ist eine gewisse Verwandtschaft mit den Generalklauseln nicht zu leugnen. Bewegliche Systeme nehmen eben eine Zwischenstellung zwischen diesen und den festen Tatbeständen ein, woraus sich ihre Schwächen wie ihre Vorzüge ergeben. 202 Als eine Schwäche ist es anzusehen, daß ein bewegliches System die Rechtssicherheit i n geringerem Maße gewährleistet als ein aus festen Tatbeständen bestehendes (vgl. auch oben S. 53 f.). Abgesehen von dieser Gefahr kann noch der „generalisierende" Gerechtigkeitsaspekt, der sich aus dem Gleichheitssatz ergibt, tangiert werden. Dieser steht nämlich dem Abstellen auf Einzelfallumstände entgegen. 203 Aber gerade i n 196
Vgl. R G R K - A l f f , § 254 R n 32 m w B . Vgl. Jauernig / Teichmann, § 254 A n m 2 a. 198 Welche K r i t e r i e n allerdings i n Frage kommen, ist noch nicht v ö l l i g gek l ä r t . Unstreitig ist jedoch w o h l , daß es sich u m Zurechnungsgesichtspunkte u n d nicht u m beliebige „Topoi" handelt. Vgl. Canaris, Systemdenken, 79, F n 24. 199 Vgl. Canaris, Systemdenken, 82, 85; a . A . Esser, A c P 151, 555 f. 200 Canaris, Systemdenken, 82. 201 W i l b u r g stellt daher entsprechend seiner charakteristischen Formulierung „auf die Lage des Einzelfalls i m Hinblick auf die dargelegten zusammenwirkenden Gesichtspunkte" ab; vgl. Entwicklung, 13, 17 et passim. 202 Canaris, Systemdenken, 83. 203 Canaris, Systemdenken, 83. 197
56
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
bezug auf dessen generalisierende Tendenz zeigt sich ihr Vorzug gegenüber den Generalklauseln. I m Vergleich zu diesen w i r d nämlich die Rechtssicherheit erheblich erhöht. I m übrigen besteht Gerechtigkeit eben nicht i n „Gleichmacherei", 204 sondern sie hat durchaus auch eine individualisierende Tendenz. 205 Insbesondere aufgrund dieses Gesichtspunkts, dem ein bewegliches System eher gerecht werden kann, läßt es sich auch rechtfertigen. 206 Allerdings ist diese individualisierende Richtung des beweglichen Systems gleichfalls begrenzt, da es ja auf gewissen Elementen aufbaut. Ebenso läßt ein starres System m i t Hilfe einer starken Differenzierung durchaus auch eine Individualisierung zu. Daher ist i m Grunde eine totale Zuordnung des beweglichen Systems weder zum generalisierenden noch zum individualisierenden Aspekt möglich. Denn die allgemeine Festlegung der Kriterien berücksichtigt den generalisierenden, das Zusammenwirken dieser Gesichtspunkte i m Einzelfall den individualisierenden Aspekt. Demzufolge stellt ein bewegliches System einen besonders glücklichen Kompromiß dar, indem es sich von den „Rigorismen starrer Normen gleichermaßen fernhält wie von der Konturlosigkeit reiner Billigkeitsklauseln" und dadurch immerh i n die Rechtssicherheit noch weitaus stärker wahrt als letztere. 207 Für die Zulässigkeit beweglicher Systeme spricht i m übrigen noch ein argumentum a maiore ad minus aus der Zulässigkeit von Generalklauseln. Natürlich sollte nicht eine ganze Rechtsordnung als bewegliches System aufgebaut werden. 208 Aber für den vorliegenden Bereich des Instituts des venire contra factum proprium, i n dem ja gerade der zu stark generalisierende Faktor starrer Tatbestände eine Korrektur erfordert, erscheint ein bewegliches System als adäquate Lösung. 209 Es ermöglicht zum einen, anders als eine zu generalisierende tatbestandliche Verfestigung, den notwendigen Einfluß individualisierender Gedanken. Zum anderen w i r d verhindert, daß durch eine reine, „topisch-offene" 210 Generalklausel Konturen zu sehr verwischt werden und aufgrund eines 204 So fordert etwa der Gleichheitssatz außer der Gleichbehandlung von Gleichem auch die Ungleichbehandlung v o n Ungleichem; vgl. Schmidt-Bleibt r e u / K l e i n , Kommentar zum GG, A r t 3, R n 9 ; Leibholz / Rinck, Kommentar zum GG, A r t 3 R n 2; vgl. auch BVerfGE 3, 135 f.; 7, 94. 205 Vgl. zu den beiden Aspekten der Gerechtigkeit u n d i h r e r Wechselbezüglichkeit vor allem Henkel, Recht u n d Individualität, 16 ff.; Henkel, E i n f ü h r u n g i n die Rechtsphilosophie, 320, 323 ff., 351 ff. 206 Canaris, Systemdenken, 83. 207 Canaris, Systemdenken, 84. 208 Vgl. dazu Viehweg, T o p i k u n d Jurisprudenz, 74, der so offenbar W i l burg, Entwicklung, versteht. 209 So Canaris, Vertrauenshaftung, 302 ff.; dafür auch Soergel / Teichmann (11), §242 Rn 316. 210 Vgl. zum Ausdruck Canaris, Systemdenken, 153.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
57
„Einbruchs der B i l l i g k e i t " 2 1 1 die Rechtssicherheit nicht mehr i n dem erforderlichen Maß gewährleistet wird. Insoweit läßt sich die Entwicklung eines beweglichen Systems für einen Teilbereich nicht als „Beleg für die topische Struktur der gegenwärtigen Zivilistik" anführen. 212 Denn es w i r d nicht ein festes System i n ein bewegliches verwandelt, sondern es soll gerade eine zu generelle „topische" Handhabung der Zone des venire contra factum proprium einer gewissen, wenn auch eben nicht starren Systematisierung zugeführt werden. II. Die Voraussetzungen im einzelnen Nunmehr ist zu untersuchen, m i t Hilfe welcher Kriterien das bewegliche System des venire contra factum proprium aufzubauen ist, damit dem dahinter stehenden Gedanken — dem Vertrauensschutz i n seiner besonderen Ausprägung (vgl. oben S. 45 ff.) — möglichst weitgehend Rechnung getragen werden kann. 1. Das Vorverhalten
des einen Teils
Ein wesentliches Merkmal ist das sog. Vorverhalten, 2 1 3 denn erst durch irgendein Vorverhalten w i r d das zu schützende Vertrauen ausgelöst. 214 Außerdem ist es der entscheidende Anknüpfungspunkt für die materielle Rechtsänderung (vgl. oben S. 41 f.). Es ist daher darzustellen, wie dieses Vorverhalten geartet sein kann. a) Es kann sich etwa u m das Erteilen einer Auskunft, u m andere tatsächliche Mitteilungen, u m konkludentes, wenn auch nicht als Willenserklärung zu interpretierendes Verhalten, u m das Vertreten einer bestimmten Rechtsauffassung oder u m — unwirksame — Abreden, also ein positives Tun handeln. 215 So liegt beispielsweise ein solches Vorverhalten vor, wenn ein Makler eine Alleinauftragsklausel als bloße Formsache bezeichnet (s. schon oben S. 16)216 oder durch sein Verhalten zu erkennen gibt, er halte die Bindung des Auftraggebers für überholt. 2 1 7 211
Vgl. zum Ausdruck Canaris, Systemdenken, 83. So aber Viehweg, Topik u n d Jurisprudenz, 74 zur allgemeinen E n t w i c k l u n g eines beweglichen Systems; vgl. dazu Canaris, Systemdenken, 81 Fn28. 213 Vgl. zum Ausdruck Soergel / Teichmann (11), §242 Rn317; vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 301 f. 214 Vgl. Griesbeck, Venire contra factum proprium, 69; Walldeyer, Vertrauenshaftung, 83. 215 S. i m einzelnen Soergel / Knopp (10), § 242 R n 232 ff. 216 Vgl. B G H N J W 1969, 1625. 217 Vgl. B G H W M 1977, 871. 212
58
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
b) Es kann aber auch ein Nichtgeltendmachen von Einwänden, 218 Unterhaltsrechten 219 oder sonstigen Ansprüchen, also ein Unterlassen vorliegen. aa) Liegt ein solches Unterlassen vor, so spricht man, sofern die auch sonst für das Prinzip des venire contra factum proprium vorauszusetzenden Merkmale vorliegen, von Verwirkung. 2 2 0 Der Begriff „Verwirkung" bezeichnet dabei eigentlich eine Rechtsfolge. Das Recht ist „verw i r k t " , es steht dem Anspruchsinhaber materiell nicht mehr zu (vgl. oben S. 38 ff.). Genauso ist es bei der sog. Verwirkung durch Treueverstoß 221 mit dem gesetzlichen Anwendungsfall des § Θ54.222 Auch diese hat zur Rechtsfolge, daß das Recht „ v e r w i r k t " ist, dem früheren Inhaber also materiell nicht mehr zusteht. I n den Voraussetzungen sind diese beiden Institute aber klar zu unterscheiden. 223 Bei der Verwirkung durch Treueverstoß, die i m Rahmen des dolus praeteritus i n die Fallgruppe des eigenen gesetzes- oder vertragswidrigen Verhaltens (unclean hands) einzuordnen ist (vgl. oben S. 34), liegt, anders als beim Gedanken des venire contra factum proprium durch Unterlassen, eine echte Pflichtverletzung vor. Ebenso kann aber Rechtsfolge eines venire contra factum proprium durch positives T u n die „Verwirkung", also das Erlöschen eines Rechts sein. Nur sind hier die Rechtsvoraussetzungen u. a. ein Vertrauenstatbestand, abgesehen von der Frage, ob Tun oder Unterlassen vorliegt, dieselben wie bei der Verwirkung, deren Bezeichnung eben nur die gegebene Rechtsfolge kennzeichnet. Wer es nämlich über eine geraume Weile etwa unterläßt, ein Recht geltend zu machen, kann hierdurch ebenso einen Vertrauenstatbestand schaffen, wie durch ein positives Tun. 2 2 4 Da aber die Einordnung der unterschiedlichen Institute nach den Rechtsvoraussetzungen erfolgt (vgl. oben S. 31 f.), ist damit die sog. Verwirkung ein klassischer Unterfall des Instituts des venire contra factum proprium, 2 2 5 für den dieselben, 226 noch darzustellenden Kriterien gelten. 227 218
B V e r w G N J W 1974, 1260 (Keine Einwände gegen Bauvorhaben). O L G München, O L G Z 1976, 216. 220 MünchKomm-Roth, §242 Rn333 m i t Einschränkung Rn335; Soergel/ Teichmann (11), §242 Rn332. 221 Β GHZ 55, 280; MünchKomm-Roth, § 242 R n 280, 333. 222 Vgl. Jauernig / Vollkommer, §654 A n m l ; vgl. auch Boehmer, Grundlagen, B d I I 2, S. 103 f. m w B . 223 Vgl. zur Mehrdeutigkeit dieses Begriffs auch Soergel / Knopp (10), §242 Rn 283 f. 224 S. zB B A G N J W 1975, 229, 230; B G H B B 1978, 308; N J W 1980, 880; FamRZ 1982, 898; BauR 1982, 283. 225 MünchKomm-Roth, §242 Rn333; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn332; Wieacker, Präzisierung, 28 m i t dem Hinweis, daß das Vorverhalten hier eine 219
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
59
bb) Voraussetzung für die Annahme eines Unterlassens als Vorverhalten ist aber noch, daß dieses einem positiven Tun gleichzusetzen ist. (1) Dafür ist zum einen erforderlich, daß eine entgegengesetzte Handlung geboten gewesen wäre. Dies ist i m Einzelfall zu überprüfen. Insbesondere aus § 242 kann sich dabei eine Hinweis-, Aufklärungs- oder Kundgabepflicht ergeben. Demgemäß muß beispielsweise unter Umständen sogar kundgetan werden, daß man auf der Erfüllung eines A n spruchs bestehe. 228 (2) Zum anderen ist zu beachten, daß für ein Unterlassen der Faktor Zeit eine besondere Rolle spielt. (a) So stellt zwar jede nicht ausgeführte Handlung bis zu ihrer Durchführung ein Unterlassen dar; insbesondere wegen des Vertrauensgedankens, der überhaupt das Prinzip des venire contra factum proprium erst legitimiert (vgl. oben S. 45 ff.), kann einem Unterlassen aber nur dann eine Relevanz zukommen, wenn es von gewisser Dauer ist. I m Gegensatz zur Handlung, die eben durch das positive Tun vollbracht ist, ist ein Unterlassen erst mit Verstreichen einer gewissen Zeit überhaupt wahrnehmbar und erst recht rechtlich relevant. Dies hängt eben damit zusammen, daß die Handlung, die das Unterlassen unterbrechen würde, noch nachgeholt werden kann. Das geschieht ja auch dann bei dem späteren Geltendmachen eines Rechts, auch wenn dies eine längere Zeit unterlassen wurde, weswegen dies teilweise auch als „illoyale Verspätung" 2 2 9 bezeichnet wird. Verspätung, weil eben nunmehr doch der A n spruch angemeldet wird. Aber der Begriff „illoyale Verspätung" ist ungenau, da nicht das verspätete Geltendmachen illoyal oder unzulässig ist, sondern nur, wie bei den Fällen des venire contra factum proprium mit positivem Tun, i m Widerspruch steht zur aufgrund des Vorverhaltens und anderer Umstände entstandenen, veränderten materiellrechtlichen Lage (vgl. oben S. 38 ff.). 230 Obwohl demnach der Zeit i m Falle eines venire contra factum proprium, bei dem das Vorverhalten i n Form eines Unterlassens vorliegt, eine erhebliche Bedeutung beizumessen ist, ist eine Trennung zwischen „ U n t ä t i g k e i t " sei; Jauernig / Vollkommer, §242 A n m I V I ; Esser, S R I B d 1, § 10 I I I 2, S. 151; Wolf, A T , § 20 I I I c, S. 121 f.; vgl. auch Medicus, A T , R n 124; Hübner, A T , Rn 243 u n d 734; Koehler, A T , S. 45; B A G 6, 168. 226 Canaris, Vertrauenshaftung, 372; MünchKomm-Roth, §242 Rn335 sieht gewisse Abweichungen aufgrund einer eigenständigen Entwicklung; vgl. dazu Wieacker, Präzisierung, 28 Rn 60 a. E.; a. A . Bydlinski, Privatautonomie, 186 f. 227 Vgl. auch Griesbeck, Venire contra factum proprium, 100, der auf Differenzierungen der Rechtsprechung hinweist. 228 S. zB B G H N J W 1970, 2210. 229 S. zB B G H W M 1969, 182; 1969, 688; 1971, 1084, 1086; vgl. auch Soergel/ Knopp (10), §242 Rn283; E r m a n / S i r p , §242 Rn84. 230 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn332.
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
„Zeitmoment" einerseits und „Umstandsmoment" andererseits 231 nicht sinnvoll. Denn durch diese Einteilung w i r d weder deutlich, welche Funktion dem Zeitablauf (als einem das Unterlassen kennzeichnenden und zudem vertrauensbildenden Faktor) zukommt, noch welche „besonderen Umstände" für eine Verwirkung maßgeblich sein sollen. 232 Auch die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen Handlungspflicht einerseits und Zeitablauf andererseits (vgl. oben S. 59) dient insoweit nur der Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen ein Unterlassen dem positiven Tun gleichsteht. Weiterhin ist hervorzuheben, daß der Zeitablauf allein nicht als ungebührlich 233 oder unangemessen 234 angesehen werden kann und deswegen bereits die Rechtsfolge auslöst. Vielmehr müssen, anders als bei der Verjährung, die nachfolgend dargestellten weiteren Voraussetzungen vorliegen, und der Zeitablauf t r i t t als zusätzliches, i m Rahmen des Vorverhaltens erforderliches Merkmal hinzu. 2 3 5 (b) Zur Länge des erforderlichen Zeitablaufs läßt sich kaum eine Aussage treffen. Das hängt entsprechend dem beweglichen System von dem Zusammenspiel mit den anderen Elementen ab. Insbesondere dürfte es auf das Vertrauen des anderen ankommen, ab wann er mit einer Beanspruchung nicht mehr rechnet. Dennoch lassen sich durch die Länge der erforderlichen Verjährungsfrist gewisse Indizien für die erforderliche Verwirkungsfrist ermitteln. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die Verjährung ein anderes Institut darstellt, das insbesondere lediglich einen bestimmten Zeitablauf voraussetzt und auch unabhängig von subjektiven Elementen ist. 236 Freilich dürfte auch der V e r w i r kung eine Friedensfunktion zuzumessen sein, wie sich wohl schon aus einer gewissen Überschneidung aufgrund des erforderlichen Zeitablaufs ergibt. So kann etwa bei einer kurzen Verjährungsfrist das Bedürfnis für eine Rechtsergänzung durch die Verwirkung fehlen, 237 weil die zur Vertrauensbildung erforderliche „Mindestzeit" nicht erreicht wird. A n dererseits kann bei fristlos möglichen Handlungen das Vertrauen, das 231 So zB MünchKomm-Roth, §242 Rn336; Palandt / Heinrichs, §242 A n m 9 A ; E r m a n / S i r p , §242 Rn84; ähnlich B G H W M 1968, 1916; B a y O b L G N J W 1968, 363; O L G Hamburg M D R 1969, 229; B S H N J W 1972, 2103; vgl. auch Gernhuber, Bürgerliches Recht, S. 151; Köhler, A T , S.45. 232 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn336; K G Z M R 1982, 182 f. nennt zwar als Umstandsmoment zwei (jedoch nicht alle) wesentliche Voraussetzungen des Prinzips des venire contra factum proprium, macht aber die Relation zum Zeitablauf nicht deutlich. 233 Vgl. B G H M D R 1970, 306. 234 So B G H N J W 1978, 1579, 1580 für die sofortige Kündigung. 235 Zutreffend betont v o n K G Z M R 1982, 182 (Rechtsentscheid zu § 535). 236 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 334. 237 B G H N J W 1959, 1629; FamRZ 1982, 898.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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Recht werde nicht mehr ausgeübt, durchaus — wenn auch erst später — einsetzen. 238 Bedient man sich nun der erforderlichen Verjährungsfrist als grobem Hilfsmittel zur Bestimmung der erforderlichen Unterlassungszeit, so kann man bei 30jähriger Verjährung einen Zeitraum von 8—10 Jahren erwägen. 239 Bei Ansprüchen innerhalb von Dauerschuldverhältnissen, vor allem bei Mietverhältnissen, Mieterhöhungsverlangen oder Nebenkostenansprüchen, dürften wesentlich kürzere Fristen gelten. 240 Relativ kurz ist die verwirkungsrelevante Frist anzusetzen, wenn außerordentliche Rechtsbehelfe oder Gestaltungsrechte i n Frage stehen. 241 Dann kann sogar eine Frist von wenigen Monaten oder gar Wochen genügen. 242 Die erforderliche Frist kann sich aber auch durch besondere Umstände verlängern, etwa wenn der Gläubiger an der Geltendmachung tatsächlich gehindert w a r 2 4 3 2. Das Vertrauen
des anderen Teils
a) Wesentliches und entscheidendes weiteres Merkmal ist das Vertrauen des Partners bzw. Gegners, denn dieses an das Element der Beständigkeit anknüpfende K r i t e r i u m 2 4 4 stellt, wie dargelegt, die eigentliche Legitimationsgrundlage des Prinzips des venire contra factum proprium dar (vgl. oben S. 45 ff.). Gekennzeichnet w i r d dieses Vertrauenselement dadurch, daß der andere Teil davon ausgehen muß, der Handelnde werde sich entsprechend seinem Vorverhalten künftig i n gleicher Weise gerieren, 245 es werde bei einer vorgesehenen Verfahrensweise bleiben, 246 der andere Teil ändere seine einmal geäußerte Einstellung nicht. 247 238 Insofern n u r scheinbar zu dem Vorhergesagten k o n t r ä r B a y O b L G N J W 1968,363. 239 L G Hof, W M 1971, 882; MünchKomm-Roth, § 242 Rn 349; Soergel / Teichm a n n (11), §242 R n 338. 240 Stemel, MietR I I I , 283; Schmidt-Futterer B B 1971, 943 m w N ; L G M a n n heim M D R 1968, 417; L G Düsseldorf M D R 1971, 1013; L G Lübeck M D R 1972, 54; A G K ö l n M D R 1974, 404; L G F r a n k f u r t M D R 1978, 936 (Erhöhung der Verwaltungskosten); L G Berlin, M D R 1981, 584 m w N . 241 RGZ 88, 143; 88, 261; 107, 106; B G H W M 1967, 515, 517; A r b G Münster B B 1968, 250; Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 338 a. E. 242 B G H WarnR 966, 228; B B 1969, 383; W M 1969, 721, 723; M ü n c h K o m m Roth, § 242 R n 350. 243 S. zB RGZ 117, 358 m w N ; R G J W 1929, 179. 244 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 293. 245 B G H W M 1980, 341 (Keine Zwangsvollstreckung aus einer Grundschuld, i m Ergebnis abgelehnt); F i n G RPL, R i W / A W D 1982, 275 f. (Keine künftige Besteuerung). 246 B G H N J W 1981, 1045 f. (Auslaufen eines Erbbaurechts m i t Entschädigung gemäß § 27 ErbbauVO). 247 B G H M D R 1970, 210; VersR 1982, 444; W M 1982, 403 (Beschränkung auf sachliche Einwendungen ohne nach entsprechendem Fristablauf die Einrede der V e r j ä h r u n g zu erheben).
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
Als Beispiel kann hierfür angeführt werden, daß ein Kfz-Händler, der am Fahrzeug eines Käufers aufgrund einer Zusicherung aufwendige Reparaturen durchgeführt hat, darauf vertraut, der Vertragspartner werde nicht, auch nicht wegen weiterer Mängel, Wandelung begehren. 248 Ebenso kann bei Grundstücksumlegungen ein Vertrauen der Beteiligten entstehen, daß die anderen Grundstückseigentümer den Umlegungsplan nicht mit Rechtsmitteln angreifen, wenn sie den Eindruck erweckt haben, sich m i t i h m zufrieden geben zu wollen. 2 4 9 Fehlt es am Vertrauen, so scheidet die Annahme eines venire contra factum proprium grundsätzlich aus. 250 b) Es ist allerdings zu erwägen, ob nicht i m Einzelfall aufgrund der Beweglichkeit des Systems (vgl. oben S. 54 ff.) eine Abschwächung des Vertrauenstatbestandes möglich ist. 2 5 1 Insbesondere bei einer engen Verknüpfung der Rechtsbeziehungen zwischen mehreren ist es denkbar, daß sich das einer Seite gegenüber geäußerte Verhalten auch zugunsten anderer Betroffener auswirken kann. Als Beispiel hierfür ließe sich anführen, daß jemand den Unterhalt gegenüber seinem K i n d mindert und später dennoch den Unterhaltszuschlag vom Arbeitgeber fordert. 252 Ähnlich gelagert ist der Fall, daß jemand das Honorar eines D r i t ten i n die Schadensberechnung gegenüber einem Versicherer einsetzt, anschließend dem Honorarberechtigten gegenüber jedoch Herabsetzung verlangt. 2 5 3 Schließlich zu nennen ist noch der Fall, daß ein Versicherer dem Bundesaufsichtsamt gegenüber die Anwendbarkeit des § 158 V V G erklärt, die Anwendung dieser Vorschrift selbst zuläßt oder selbst von ihr Gebrauch macht, sie dann aber einem bestimmten Versicherten gegenüber nicht gelten lassen w i l l . 2 5 4 I n all diesen Fällen scheint sich eine Lösung m i t Hilfe des Instituts des venire contra factum proprium geradezu aufzudrängen. Erscheint es doch „unbillig", daß der sich so widersprüchlich Verhaltende hieraus auch noch einen Vorteil zieht. Dem ist aber nicht so. Zumindest i n den ersten beiden Fällen ist eine Lösung ohne Bemühen des Instituts des venire contra factum proprium angebracht. Entweder steht dem Unterhaltsberechtigten kein Arbeitgeberunterhaltszuschlag zu; dann hat er den Unterhalt zu Recht gemindert, oder er hat einen Anspruch, der dann aber auch dem K i n d zugute kommen muß. Völlig verfehlt wäre 248
Vgl. O L G Köln, M D R 1973, 314. Vgl. B G H W M 1969, 1041. 2» Β GHZ 58, 216, 221 f.; B G H N J W 1981, 1955 (Kein Anlaß, die V e r j ä h r u n g nicht zu unterbrechen); O L G Frankfurt, N J W 1980, 2531 f. 251 Vgl. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn318. 252 Vgl. B G H L M N r 40 zu § 242 (Cd). 253 Vgl. O L G Celle N J W 1967, 1511 m i t ablehnender A n m e r k u n g Franz, N J W 1968,201. 254 Vgl. A G München, VersR 1967, 1045 f. 249
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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es, wenn es statt dem K i n d dem Arbeitgeber zugute käme, daß der Unterhaltsverpflichtete zuvor zu wenig zahlte. Nur u m ein widersprüchliches Verhalten zu sanktionieren, sollte das Prinzip des venire contra factum proprium demnach nicht angewendet werden (s. oben S. 38. Es greift zudem auch von seinem Schutzzweck her nicht ein, vgl. oben S. 45 ff.), vor allem, wenn dies dann noch zu falschen Ergebnissen führt. Ähnlich liegt der Fall des überhöhten Honoraranspruchs. Ist dieser wirklich überhöht, darf es dem Honorarberechtigten nicht zugute kommen, daß der Schädiger bzw. der Versicherer bereits gezahlt hat. Er muß sich vielmehr eine Minderung des Honorars gefallen lassen; die Differenz steht als Ausgleich dem Dritten zu. Der sich widersprüchlich Verhaltende ist i n Wirklichkeit nur ungerechtfertigt bereichert, weil sein Schaden und damit sein Anspruch tatsächlich geringer war. Etwas anders gelagert ist der Fall der Anwendbarkeit des § 158 VVG. Aber auch hier besteht kein Anlaß, von den Grundsätzen des venire contra factum proprium abzuweichen. Entweder hat derjenige, dem gegenüber nun die besagte Vorschrift nicht angewendet werden soll, aufgrund des Vorverhaltens, das durchaus nicht i h m gegenüber erfolgt sein muß, auf die Anwendbarkeit dieser Vorschrift vertraut. Dann ist der Versicherer ohne Besonderheiten nach den Grundsätzen des venire contra factum proprium hieran gebunden. War dies jedoch nicht der Fall, kommt immer noch eine Bindung i m Hinblick auf die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte, hier A r t 3 GG, i n Betracht, die etwa über § 242 Geltung erlangen können. 255 Nach alledem ist eine Reduktion des Vertrauensmerkmals zwar denkbar, wie gezeigt wurde, aber wohl meist nicht erforderlich. 3. Vertrauensdisposition a) Grundsätzliches Bei der Frage, welche weiteren objektiven Voraussetzungen für das Prinzip des venire contra factum proprium zu fordern sind, ist von der Legitimationsgrundlage, dem Vertrauensschutz, auszugehen. Das bedeutet, daß zu fragen ist, was durch den Schutz des Vertrauens eigentlich geschützt wird. Dies kann nicht das abstrakte Vertrauen als solches sein. Es geht nämlich nur u m den Schutz des Vertrauenden und nicht u m eine Sanktion gegen den Handelnden. Daher muß sich das Vertrauen konkret geäußert haben; der i n seinem Vertrauen Enttäuschte muß also aufgrund seines Vertrauens disponiert haben (sog. 255 I m einzelnen s. Staudinger / J. Schmidt (12), R n 474 E i n l v o r § 241; Jauern i g / Vollkommer § 242 A n m 11 c; BVerfGE 7, 206; 42, 148; vgl. zu diesem Problem allgemein Canaris, AcP 184, 201 ff.
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
Vertrauensdisposition). 256 Ohne nachteilige Konsequenzen, die durch das entstandene Vertrauen verursacht sind, stellt sich nämlich die Frage nach der Schutzbedürftigkeit des Vertrauenden nicht. Diese aber ist letztlich das, was den Vertrauensschutz seinerseits legitimiert und mit Inhalt füllt. Die erforderlichen Dispositionen können von unterschiedlichem Charakter sein, wie etwa Verfügungen, andere Leistungen 257 oder die Vornahme ungünstiger Prozeßhandlungen. 258 Auch rein tatsächliche Handlungen genügen. 259 Noch häufiger handelt es sich, ohne daß dem eine dogmatische Bedeutung zukommt, 2 6 0 u m Unterlassungen, wie das Nichtgeltendmachen von Einwendungen und Einreden i n der vorgegebenen Weise, 261 das Verstreichenlassen einer rechtserhaltenden Frist, 2 6 2 insbesondere das Eintretenlassen der Verjährung. 2 6 3 Weitere Beispiele sind das Unterlassen von Regreßansprüchen gegen Dritte, weil m i t der eigenen Inanspruchnahme nicht gerechnet wurde, 2 6 4 oder fehlende A l tersvorsorge, weil der Empfang einer Rente irrtümlich als rechtmäßig angesehen wurde. 2 6 5 Sogar die schlichte Nichtleistung an den Gläubiger kann eine Vertrauensdisposition darstellen, wenn zB der Schuldner i n der berechtigten Erwartung, nicht mehr beansprucht zu werden, keine Rücklage vorsieht. Damit hat er sich, wie die Rechtsprechung i m Zusammenhang mit der Verwirkung häufiger formuliert, darauf eingerichtet, nicht mehr leisten zu müssen. 266 256 Canaris, Vertrauenshaftung, 13 f.; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn321; Griesbeck, Venire contra factum proprium, 74; Medicus. A T , Rn 139; a . A . MünchKomm-Roth, § 242 R n 299. 257 B G H B B 1969, 383 (Bauleistungen); N J W 1978, 947 (Überziehen eines Bankkontos); N J W 1979, 1656 (Zahlen des Kaufpreises, Bebauenlassen eines Grundstücks). 258 Β GHZ JZ 1968, 569 (Klage i m ordentlichen Rechtszug trotz vereinbarter Schiedsklausel); B B 1970, 1117 (Kein Widerspruch des Konkursverwalters gegen eine doppelt angemeldete Forderung); M D R 1971, 206 (Führung des Prozesses gegen die falsche Beklagte über mehrere Instanzen); L G Hannover, N J W 1973, 1757 (Zurücknahme der Berufung). 259 B a y O b L G DNotZ 1979, 37: Hat sich das Jugendamt m i t der geheimen Benennung des Vaters gegenüber einem Notar aufgrund der damaligen Rechtslage zulässigerweise einverstanden erklärt, so k a n n es aufgrund einer geänderten Rechtslage die M i t t e i l u n g des Namens v o m Notar nicht verlangen. 260 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn321. 261 O L G München M D R 1981, 766 (Schiedsgerichtseinrede i m ordentlichen Verfahren). 262 B G H M D R 1971, 479 (Fristgerechtes Mieterhöhungsverlangen); O L G Bremen VersR 1977, 855 (Rechtzeitiges Zahlen des Versicherungsbeitrags). 263 S. zB B G H N J W 1978, 1377; 1978, 1975; 1981, 2243; VersR 1982, 444; W M 1982,403. 264 F i n G R P L R i W / A W D 1982, 275 f. 265 Canaris, Vertrauenshaftung, 513; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn321. 266 St Rspr Β GHZ 25, 47, 52; 26, 52, 65; 67, 68; W M 1969, 688, 689; N J W 1982, 1999; O L G Celle FamRZ 1982, 63, 64.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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b) Formfehlerhafte Geschäfte als Anwendungsfälle des Prinzips des venire contra factum proprium aa) Schulbeispiele für eine Vertrauensdisposition lassen sich schließlich insbesondere bei formfehlerhaften Geschäften finden. Die Disposition ist i n diesen Fällen darin zu sehen, daß der auf die Gültigkeit des Vertrages Vertrauende den Vertrag vollzieht und sich auch sonst so verhält, als sei der Vertrag wirksam. Das äußert sich etwa bei Grundstückskaufverträgen darin, daß er i n das Haus einzieht und die Kaufpreisraten während einer unter Umständen jahrelangen „Probezeit" entrichtet. 267 Das Ausmaß dieser Disposition läßt sich gerade i n diesen Fällen an den gesamten Umständen erkennen. So hat sich der Vertrauende oft gänzlich auf die Gültigkeit des Vertrages eingerichtet, indem er sich etwa beruflich, aber auch privat (Hobbies) hierauf einstellte. Die Familie ist oft ebenfalls betroffen. Die Kinder sind an die Schule gewöhnt, man hat sich m i t den Nachbarn angefreundet. Es geht demnach häufig gar nicht so sehr u m vermögensrechtliche als vielmehr u m menschliche Investitionen, die nicht leicht, wenn überhaupt, abzugleichen sind. Der Vertrauende ist damit i n seiner Existenzgrundlage betroffen. 268 Auch bei den sog. Hofübergabefällen, bei denen oft die erforderliche Form nicht eingehalten wurde, 2 6 9 ist die Disposition darin zu sehen, daß der Jungbauer „von frühester Jugend an seine gesamte A r beitskraft dem Hof zur Verfügung g e s t e l l t . . . eine Familie gegründet hat und so i n ein Alter gekommen ist, i n dem eine Umstellung i m Beruf nicht mehr zumutbar und möglich ist". 2 7 0 bb) Nun ist es allerdings so, daß die Rechtsprechung diese Fälle der Formunwirksamkeit von Verträgen nicht m i t dem Institut des venire contra factum proprium oder je nach Konstellation m i t anderen einschlägigen Instituten des Rechtsmißbrauchs, insbesondere des dolus praeteritus (vgl. dazu oben S. 32 ff.) löst. Vielmehr benutzt sie seit längerem die schon vom obersten Gerichtshof für die britische Zone 271 entwickelte, nur i n Nuancen abgewandelte Formel, ein an sich formnichtiger Vertrag (insbesondere Grundstückskaufvertrag) sei i n besonderen Ausnahmefällen als wirksam zu behandeln, wenn die Nichtigkeitsfolge mit Treu und Glauben (schlechthin) unvereinbar wäre. Daran seien strenge Anforderungen zu stellen; das Ergebnis (der Nichtigkeit) müsse 267
So beispielsweise i m „Kleinsiedlerfall" Β GHZ 16, 334 (s. dazu oben S. 21). Vgl. dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung, 290 f. 269 Vgl. dazu Soergel / Knopp (10), § 242 R n 351 ff. s. auch Lamprecht, F o r m u n d B i l l i g k e i t , 182 ff. 270 S. zB die i n B G H Z 12, 289 mitgeteilte Formulierung des Beschwerdegerichts; vgl. auch S. 298 dieser Entscheidung. 271 OGHZ 1,217. 268
5 Dette
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
für die betroffene Partei nicht bloß hart, sondern schlechthin untragbar sein. 272 (1) Der Begriff „untragbar" w i r d dabei zum einen wirtschaftlich verstanden. Insoweit beschreibt er das Merkmal der Vertrauensdisposition. Allerdings w i r d m i t dieser sehr starren, nur aus einem Merkmal bestehenden Formel dieses Erfordernis überspannt. Danach müßte i n der Tat eine Existenzgefährdung vorliegen, wenn das Ergebnis „untragbar" und nicht bloß „hart" sein soll. 273 Außerdem handelt es sich bei dieser Formulierung nicht u m ein Tatbestandsmerkmal, sondern u m den schlichten Blick auf das Ergebnis und damit u m eine reine Billigkeitsrechtsprechung entgegen den Erfordernissen der Methodenlehre (vgl. oben S. 51 f.). 274 Eine Konkretisierung ist nicht möglich, Maßstäbe sind nicht ersichtlich und die abgeleiteten Fallgruppen erscheinen w i l l k ü r lich und ohne einleuchtende Differenzierung. 275 Deswegen ist diese Formulierung i n der Literatur zu Recht weitgehend auf Ablehnung gestoßen, 276 und es besteht dort größtenteils Einigkeit, daß sich hinter den einzelnen Formnichtigkeitsfällen mehrere Rechtsprobleme verbergen, die m i t den bekannten Rechtsfiguren plausibel gelöst werden können. Es besteht nämlich kein Anlaß, die Formnichtigkeitsfälle von anderen Fällen zu differenzieren. Deswegen sind diese je nachdem, u m welche Konstellation es sich handelt, den einzelnen Instituten, insbesondere des Rechtsmißbrauchs, zuzuordnen. Auch die Fallgruppe des venire contra factum proprium, der eine besondere Bedeutung zukommt, 2 7 7 ist entsprechend ihren (an dieser Stelle erörterten) Einzelkriterien anzuwenden. 278 Es müssen also etwa das Vorverhalten, das Vertrauen und die entsprechende Disposition vorliegen. Das letztere Merkmal klingt ja auch, wie schon gesagt (s. o.), i n der Formel von dem „untragbaren Ergebnis" an. Nur ist nicht einzusehen, daß hier höhere Anforderungen etwa i m Sinne einer Existenzgefährdung vorliegen müssen. 279 Das w i 272
Nachweise bei Häsemeyer, Form der Rechtsgeschäfte, 61; Lamprecht, F o r m u n d B i l l i g k e i t , 101 ff.; Soergel / Knopp (10), § 242 R n 346; Augstein, FS B G H 1975, 79 ff.; vgl. Β GHZ 48, 396, 398 f.; N J W 1977, 2072; 1979, 1498; W M 1981, 491; N J W 1982, 1639; W M 1982, 1434. 273 So aber auch Canaris, Vertrauenshaftung, 291. 274 Ä h n l i c h Canaris, Vertrauenshaftung, 289. 275 Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, 10; Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 325. 276 Canaris, Vertrauenshaftung, 289; Flume, A T I I , § 15 I I I 4; Larenz, SR I, § 10 I I I ; Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, 10, w o er v o n einer „Floskel" spricht, „die der Richter nach Gutdünken verstehen mag"; Reinicke, N J W 1968, 39; Soergel / Hefermehl (11), § 125 Rn28 m w N . 277 Canaris, Vertrauenshaftung, 288; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn326 a. E.; Häsemeyer, F o r m der Rechtsgeschäfte, 300 ff. m i t verbleibenden grundsätzlichen Bedenken. 278 Vgl. auch dazu Griesbeck, Venire contra factum proprium, 16 ff. 279 Vgl. auch Soergel / Teichmann (11), §242 Rn330.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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derspräche der Beweglichkeit des Systems, das grundsätzlich die Gewichtung der Einzelmerkmale offen läßt (vgl. oben S. 54 ff.). I m Einzelfall kann dies aber schon der Fall sein, wenn die anderen Gesichtspunkte als nicht so gravierend erscheinen. Denkbar ist dies jedoch gerade bei den Fällen der Formwirksamkeit durchaus, da insbesondere aufgrund der gesetzlichen Formerfordernisse andere Kriterien, wie zB das Vertrauen, nur i n abgeschwächter Form vorliegen können. (2) Zum anderen bezieht sich die Formel noch auf eine „besonders schwere Treuepflichtverletzung", bei deren Vorliegen die Berufung auf die Formnichtigkeit unzulässig sein soll. 280 Auch hieran w i r d die Richtigkeit der zuvor geäußerten K r i t i k deutlich, denn was eine „besonders schwere Treuepflichtverletzung" ist, läßt sich kaum feststellen. Ebenfalls die beschriebene Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Berufung auf die Formnichtigkeit ist zumindest ungenau dargestellt, weil die Formnichtigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen ist und i m materiellen Rechtsfolgedenken ein Berufen hierauf nicht unzulässig, sondern nur unbegründet sein kann (vgl. oben S. 38 ff.). Aber auch dieser Teil der Formel hat einen Bezug zu einem Institut des Rechtsmißbrauchs. Es liegt nahe anzunehmen, daß mit der „besonders schweren Treuepflichtverletzung" die Fälle gemeint sind, i n denen der andere Teil arglistig von der Einhaltung der Form abgehalten wurde (vgl. zum Bezug auf „Treu und Glauben" oben S. 27 ff.). Diese Fälle sind jedoch m i t dem Institut des dolus praeteritus (vgl. dazu oben S. 32 ff.) zu lösen, so daß es auch insoweit der Formel der Rechtsprechung nicht bedarf. (3) Gegen diese Formulierung spricht, nebenbei bemerkt, noch, daß sie offenbar nicht zu einer einheitlichen Rechtsprechung beiträgt. So war der BGH, ohne daß sich an der Formel etwas geändert hätte, i n den Ergebnissen zunächst relativ streng, ließ dann seit 1967 eine großzügigere Tendenz erkennen 281 und ist seit Mitte der siebziger Jahre teilweise ausdrücklich, 282 sonst jedenfalls i n der Sache zur älteren Linie zurückgekehrt. 283 c) Beweislast Es können sich aber hinsichtlich der Vertrauensdisposition Beweisschwierigkeiten ergeben, da oft nicht genau nachweisbar ist, worin die 280
B G H W M 1982, 1434, 1435; w N bei Reinhart B B 1979, 1378, 1379. Häsemeyer, F o r m der Rechtsgeschäfte, 61 m w N ; Reinicke, N J W 1968, 39. 282 B G H N J W 1977,2072. 283 Dem Einwand, die Berufung auf die Formnichtigkeit sei mißbräuchlich, wurde nach 1970 stattgegeben i n B G H DNotZ 1971, 90, 1972, 526; W M 1972, 1027; 1981, 491; 1982, 1434; für wegen Formmangels u n w i r k s a m angesehen wurden Vereinbarungen i n B G H DNotZ 1971, 88; N J W 1973, 1455; 1975, 43; JZ 1975, 532; N J W 1977, 2072; 1979, 1498; 1982, 1639. 281
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
erforderliche Investition i m einzelnen gelegen hat. Wie soll nämlich etwa jemand, der lange Jahre hindurch eine Rente empfangen hat, darlegen und beweisen, welche Maßnahmen er i m Vertrauen auf seinen vermeintlichen Rechtsanspruch vorgenommen oder unterlassen hat. 2 8 4 U m hier den Vertrauensschutz nicht auszuhöhlen, w i r d man insoweit auf den positiven Beweis verzichten und eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit genügen lassen müssen. 285 Das scheint nur auf den ersten Blick ein erhebliches Abweichen von den sonst geltenden prozessualen Grundsätzen zu sein. Man muß sich nämlich vor Augen führen, daß es letztlich auf den hic et nunc bestehenden Zustand ankommt, der irreversibel sein muß. Da insoweit Beweis zu führen ist, dürfte die hinsichtlich der Disposition selbst zuweilen naturgemäß erforderliche Beweiserleichterung hinzunehmen sein. 286 4. Schutzwürdigkeit
des Vertrauens
a) Das Prinzip des venire contra factum proprium basiert, wie dargelegt, auf dem Vertrauensschutz (vgl. oben S. 45 ff.). Deswegen ist das Vorliegen des Vertrauens auch wesentliche, wenn auch nicht völlig unverzichtbare Voraussetzung für seine Anwendbarkeit (vgl. oben S. 61 ff.). Aber das Institut wäre sinnlos, würde es „blindes" Vertrauen schützen. Das Entscheidende beim Vertrauensschutz ist nämlich nicht der Schutz des Vertrauens als solchen, sondern der Schutz des gerechtfertigten Vertrauens. Ansonsten würde i m Grunde genommen schiere Dummheit oder zumindest Leichtgläubigkeit geschützt. Das aber kann nicht das Ziel der Rechtsordnung sein. Weiter ist zu bedenken, daß der Schutz des einen gleichzeitig eine Beeinträchtigung des anderen bedeutet. Das wäre nicht angemessen, wenn der eine sein Vertrauen leichtfertig oder gar ohne Grund gebildet hätte. Deswegen ist, damit der Vertrauensschutz als „rechtsethisch notwendig" 2 8 7 oder zumindest gerechtfertigt erscheint, neben der Schutzbedürftigkeit des Vertrauenden (vgl. oben S. 63 ff.) erforderlich, daß das Vertrauen als schützenswert angesehen werden kann. Der Vertrauende mußte „vertrauen dürfen". 2 8 8 Bei der Frage der Schutzwürdigkeit sind ähnlich dem beweglichen System insgesamt (vgl. dazu oben S. 54 ff.) diverse Umstände zu berücksichtigen. Hierzu gehören etwa die Eindeutigkeit des Auftretens des 284
Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 513. Canaris, Vertrauenshaftung, 513. 286 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 514 mN. 287 Vgl. zu diesem Begriff Canaris, Vertrauenshaftung, 266, 291 et passim. 288 B G H N J W 1972, 1414; O L G K ö l n M D R 1973, 314; O L G H a m m W M 1975, 480; B G H W M 1977, 658 (Verwirkung); N J W 1979, 1656; W M 1980, 341; VersR 1982,444. 285
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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einen, das intellektuelle wie auch das Machtgefälle zwischen Vertrauendem und Handelndem oder die Geschäftskunde und -erfahrenheit dieser beiden i m Vergleich. Auch die Nähe zum Risiko ist von Bedeutung. 289 Wesentlich ist ebenfalls das Verhältnis des unter Umständen vorliegenden beiderseitigen Verschuldens zueinander; beruht beispielsweise das Vertrauen auf grober Fahrlässigkeit des Vertrauenden, so müssen noch andere gravierende Umstände für seine Schutzbedürftigkeit sprechen. 290 b) Bei den Fällen der Verwirkung ist zu beachten, daß das Vertrauen selbst bei Verstreichen einer längeren Frist noch nicht schützenswert ist, wenn etwa die zur Geltendmachung eines Rechts notwendigen Tatbestände erkennbar eine längere Zeit erfordern. 291 Bei öffentlichen Bauaufträgen spielte zB eine Rolle, daß — erfahrungsgemäß — bis zur Prüfung durch den Rechnungshof, der dann eventuelle Überzahlungen aufdeckt, eine längere Zeit verstreicht. Diese Begrenzung des Vertrauendürfens w i r k t sich insoweit rein tatsächlich betrachtet auf die notwendige Unterlassenszeit aus. Daran w i r d der oben (S. 59 ff.) schon angedeutete Zusammenhang zwischen diesen Faktoren deutlich. 292 Entsprechend erscheint das Vertrauen etwa bei engen geschäftlichen Beziehungen, die ein Abstandnehmen von Ansprüchen nahelegen, eher schützenswert. 293 Andererseits kann dem Schuldner möglicherweise ein Vertrauensschutz nur gewährt werden, wenn er zur Aufklärung etwaiger Ansprüche „näher dran" war und seiner beispielsweise als leistungssichernde Nebenpflicht 294 gegebenen Erkundigungspflicht, ob der Gläubiger noch Ansprüche geltend machen w i l l , genügt. 295 Ein Vertrauensschutz ist insbesondere abzulehnen, wenn der Schuldner die Untätigkeit des Gläubigers m i t veranlaßt hat, etwa indem er pflichtwidrig die erforderlichen Informationen über das Bestehen und den Umfang des Rechts nicht erteilt. 2 9 6 289 S. zB B G H VersR 1975, 245 f. (Beurteilung einer Regreßfrage durch den i n erster Linie zuständigen Haftpflichtversicherer); N J W 1980, 2408 (Gebührenverzicht eines Anwalts): Es sei allein Sache des Anwalts, auf die Einhaltung des Gebühren- u n d Standesrechts zu achten; O L G Bremen, VersR 1977, 855 f. (Unklare Auskünfte über den Stand des Beitragskontos durch den V e r sicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer). 290 S. i m einzelnen Canaris, Vertrauenshaftung, 295; Soergel / Teichmann (11), §242 R n 320 a.E. 291 B G H W M 1966,1104,1107. 292 W o h l deswegen behandelt Soergel / Teichmann (11), §242 Rn338, diese Fälle auch i m Zusammenhang m i t dem erforderlichen Zeitablauf. 293 B G H M D R 1970,486. 294 Vgl. Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 162 ff. 295 Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 340 aE. 296 Β GHZ 25, 47 m i t zust. A n m . Hueck JZ 1957, 628; O L G München, N J W 1974, 703 ff.; O L G Celle FamRZ 1982, 63.
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
c) Bei den Fällen der Formunwirksamkeit (vgl. zur Anwendbarkeit des Prinzips des venire contra factum proprium auf diesen Bereich oben S. 65 ff.) ist zu differenzieren. 297 aa) War dem Vertrauenden die Formbedürftigkeit des Vertrages bekannt und vertraute er lediglich darauf, daß der Vertragspartner trotz Formunwirksamkeit erfüllen werde, so erscheint er i n aller Regel nicht schutzwürdig. Er ist nämlich damit das Risiko, ob der andere ohne rechtliche Verpflichtung nur aufgrund seines guten Willens erfüllen wird, bewußt eingegangen und muß es deshalb auch voll tragen. 298 bb) Dagegen ist es anders zu beurteilen, wenn der Vertrauende davon ausging, der Vertrag bedürfe keiner Form oder die Beurkundung bestimmter Kernbestandteile genüge. 299 Hier hat er gerade nicht „ins Blaue hinein" vertraut, sondern er ging davon aus, das Erforderliche getan zu haben. Insbesondere bei einem starken Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien oder bei Vorliegen früherer höchstrichterlicher Urteile, die eine bestimmte Form nicht verlangten, erscheint das Vertrauen darauf, daß die Form gewahrt sei, schützenswert. 300 cc) Bei einer gewillkürten Schriftform ist ein Vertrauen, der Partner werde trotz Unwirksamkeit erfüllen, meist als schutzwürdig anzusehen. Hier handelt es sich ja nicht u m eine zwingende Vorschrift, sondern die Parteien hätten sie ohnehin abändern können. 301 Man könnte zwar argumentieren, wenn die Parteien schon selbst eine Form vereinbaren, müßten sie sich u m so eher hieran halten, zumal auch beide davon wissen. Es kann sich aber, eben weil es sich nur u m eine disponierte Vereinbarung handelt, ein schutzwürdiges Vertrauen i n ein beständiges Verhalten des Partners bilden, so daß die Annahme eines venire contra factum proprium zumindest nicht hieran scheitern würde. Gerade bei der gewillkürten Schriftform kommt es aber häufig auf die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens, wie auch auf die Problematik des Prinzips des venire contra factum proprium überhaupt, nicht an. Meist 297
Reinicke, N J W 1968, 39; vgl. auch Medicus, A T , Rn630 ff. So schon RGZ 117, 121 (Edelmann-Fall); desgl. B G H N J W 1973, 1455; Gernhuber, FS Schmidt-Rimpler 1957, 172 aE.; Flume, A T I I , § 15 I I I 4 e b b ; Reinicke, N J W 1968, 39 ff. m w N ; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn 181 m w N . 299 S. dazu B G H N J W 1979, 1498. 300 O L G München N J W 1979, 2157; O L G Hagen N J W 1979, 2135, 2136; bedenklich B G H N J W 1982, 1639: Die Parteien hatten 1974 entsprechend B G H W M 1964, 509 die Aufhebung eines Grundstücksvertrages lediglich i n schriftlicher Form vereinbart. A u f g r u n d der 1982 geänderten Rechtsauffassung des B G H n a h m dieser nunmehr Formunwirksamkeit an u n d ließ auch den M i ß brauchseinwand nicht durchgreifen. 301 Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 329; vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 298. 298
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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ist nämlich i n diesen Fällen bereits i m Wege der Auslegung festzustellen, daß das gewillkürte Formerfordernis einverständlich aufgehoben wurde, 3 0 2 denn dies ist formfrei möglich. 303 5. Zurechenbarkeit a) Genauso, wie neben den objektiv zu verstehenden Merkmalen Vorverhalten, Vertrauen und Disposition auf der Seite des Vertrauenden die Schutzwürdigkeit des Vertrauens gewissermaßen als subjektives Element hinzukam, ist auch auf der Seite des Handelnden ein subjektives Merkmal erforderlich. Ohne eine solche Zurechnung kann, von besonderen Ausnahmen abgesehen, nämlich niemand i n die Haftung genommen werden. 304 Fraglich ist nur, welcher Zurechnungsmaßstab hierbei zugrunde zu legen ist. b) Untersucht man dabei die existierenden Schuldformen i m Negativverfahren, so w i r d zunächst deutlich, daß keinerlei Vorsatz verlangt werden kann, da dies andere Mißbrauchsformen, wie dolus praeteritus oder dolus praesens (vgl. dazu oben S. 32 ff., 34 ff.) darstellen würde. Es bliebe sonst nämlich schon kein Anwendungsbereich für das Prinzip des venire contra factum proprium übrig. Des weiteren ist zu fragen, worauf sich die Zurechnung beziehen muß. Hierfür kann das spätere widersprüchliche Geltendmachen nicht maßgeblich sein, da dann die materielle Rechtsänderung schon eingetreten ist (vgl. oben S. 41 f.). Das bedeutet, daß sich die Zurechnung nur auf die bereits oben beschriebenen objektiven Merkmale Vorverhalten, Vertrauen, Disposition und die diese verbindende Kausalität beziehen muß. Bei der schließlichen Klärung der Frage, ob als Abwägungskriterium das Veranlassungs- oder das Risikoprinzip ausreichend sind, oder ob eine echte Form des Verschuldens, wenn auch unterhalb der Schwelle des Vorsatzes, gefordert werden muß, 305 ist wiederum Sinn und Zweck des Prinzips des venire contra factum proprium, der Vertrauensschutz, zu beachten. Dieser steht i m Mittelpunkt des — wie gesagt — beweglichen Systems. Daraus folgt schon, daß echtes Verschulden nicht unbedingt verlangt werden kann. Weiter führt ein Vergleich m i t Systemen, 302
Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 329; Palandt / Heinrichs, § 127 A n m 2 c. Palandt / Heinrichs, §125 A n m 4 c; vgl. auch B G H N J W 1968, 33; W M 1982, 902; anders Β GHZ 66, 381 f. für den Fall, daß auch die Aufhebung dem vereinbarten Formzwang unterliegt. 304 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 474, der darin den tragenden Rechtfertigungsgrund der Haftung sieht; s. auch Wilburg, Elemente des Schadensrechts, 1 ff.; Larenz, A T , § 6 I I v o r 1. 305 Vgl. zu diesen drei möglichen Zurechnungsprinzipien Canaris, Vertrauenshaftung, 473 ff. 303
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
die ein Verschulden unabdingbar voraussetzen, wie etwa bei Schadensersatzansprüchen. Dort sind die einschlägigen Normen i n aller Regel auf den Schädiger zugeschnitten, das Schwergewicht der Tatbestandsmerkmale liegt bei ihm. A u f der Seite des Geschädigten wird, vom Schaden abgesehen, nichts verlangt. Überträgt man dies nun auf das hier vorliegende System, das unter dem Zeichen des Vertrauensschutzes die Seite des Vertrauenden stark betont, so folgt daraus, daß bei vergleichbarer Gesamtgewichtung i n diesem System auf Seiten des Handelnden weniger verlangt werden kann. 3 0 6 Demnach muß das Vorverhalten des Handelnden das Vertrauen und damit die entsprechende Lage des anderen aufgrund seiner Disposition lediglich irgendwie zurechenbar verursacht habe. 307 Ausreichend ist, daß der Handelnde die zur Vertrauensbildung führenden Tatsachen beherrscht und sie ohne weiteres hätte vermeiden können, wenn also das Entstehen des Vertrauens seiner Risikosphäre entstammt. 308 Hinsichtlich der Verwirkung bedeutet das, daß der Gläubiger nur damit rechnen mußte, seine Untätigkeit werde als ein Verzichten auf das Recht selbst verstanden. 309 Also stellt sich das Risikoprinzip als geeignetes Zurechnungskriterium dar, zumal das Veranlassungsprinzip lediglich das Prinzip der reinen Kausalhaftung verkörpert, 3 1 0 wenn man nicht auch dort weitere Gedanken wie den der Risikozurechnung einordnet. c) Fraglich ist allerdings, ob auch einem Minderjährigen gegenüber eine Zurechnung erfolgen kann, weil das Vorverhalten gerade kein rechtsgeschäftliches Handeln sein muß. 3 1 1 Hierbei ist jedoch zu bedenken, daß der rechtsgeschäftliche Bereich insoweit schon betroffen ist, als daß Wirkungen, wie sie durch ein Rechtsgeschäft entstehen, eintreten können, da es zu materiellen Rechtsänderungen kommt (vgl. oben S. 38 ff.). Wägt man dann den Vertrauensschutz gegen den Minderjährigenschutz ab, so kommt man zu dem Ergebnis, daß doch die Vorschriften der §§ 104 ff. zur Anwendung kommen müssen. 312 Das sieht man 306 Vgl. zu diesem Ergebnis zB Soergel / Knopp (10), §242 Rn229; Stauding e r / W e b e r (11), §242 Rn D 338; Wieacker, Präzisierung, 28; zu beachten ist, daß auch noch hinsichtlich des späteren Verhaltens die Erforderlichkeit eines Verschuldens geprüft w i r d . 307 Vgl. Β GHZ 16, 224, 227. 308 Canaris, Vertrauenshaftung, 482 m w N ; s. zur parallelen Problematik i m Zusammenhang m i t der Anscheinsvollmacht Soergel / Schultze-v. Lasaulx (11), § 167 R n 23. 309 O V G Münster N J W 1981, 598: Die Erkennbarkeit eines Bauvorhabens ist Anlaß genug, mögliche Abwehrrechte geltend zu machen. 310 Vgl. dazu ausführlich Canaris, Vertrauenshaftung, 474 ff.; ausdrücklich a. A . Hubmann, A c P 155, 120 f. 311 Dafür Soergel / Teichmann (11), §242 Rn317 a.E. 312 Differenzierend Griesbeck, Venire contra factum proprium, 85 ff., der zusätzlich Gedanken der §§ 827 ff. u n d 935 erwägt.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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deutlich an dem Fall, i n dem der Vertrauende glaubt, m i t einem Vollgeschäftsfähigen abzuschließen. Ein stärkeres Vertrauen ist i n diesem Zusammenhang kaum denkbar, und dennoch geht der Minderjährigenschutz vor. Ist jedoch dem Minderjährigenschutz Rechnung getragen, so kommt eine Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium nach den allgemeinen Grundsätzen i n Frage. 6. Weitere ergänzende Kriterien M i t den bisher beschriebenen Merkmalen ist das System des venire contra factum proprium an sich gekennzeichnet. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen w i r d daher i n aller Regel das Eingreifen dieses Instituts bejaht werden müssen. Das bedeutet aber nicht, daß damit der K r i terienkatalog abgeschlossen wäre. Vielmehr ist es aufgrund der Beweglichkeit des Systems (vgl. oben S. 54 ff.) durchaus möglich, noch andere, hier nicht abschließend aufzuführende weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Hierzu gehören etwa eine Betreuungspflicht 313 oder der Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn zB bei einer Vielzahl von formnichtigen Verträgen ohne sachlichen Grund dieser Mangel nur wenigen gegenüber geltend gemacht wird. 3 1 4 Außerdem kann an dieser Stelle einem Umstand Bedeutung zukommen, der sich als Gegenstück der Vertrauensdisposition darstellt, nämlich, wenn der andere Vorteile erlangt, die er nicht mehr herausgeben kann oder m u ß 3 1 5 Es soll aber noch einmal betont werden, daß zusätzliche vertrauensbildende Verhaltensweisen nicht notwendig sind, auch nicht bei der Verwirkung. 3 1 6 Ihnen kann jedoch eine vertrauensstärkende Wirkung i m Sinne einer unterhalb eines rechtsgeschäftlichen Handelns liegenden Bekräftigung zukommen. 317 7. Die Subsidiarität des Prinzips des venire contra factum proprium Auch das Verhältnis zu anderen, insbesondere gesetzlichen Regelungen, ist zu klären. Dabei ergibt sich, wiederum aus Sinn und Zweck des 313
Vgl. Β GHZ 16, 224, 227; 16, 334, 338. Vgl. B G H W M 1956, 384, 385; O L G Hamburg M D R 1964, 145, 146. 315 Vgl. B G H Z 26, 142, 151; B G H W M 1957, 883, 886; vgl. auch Canaris, V e r trauenshaftung, 299, 303; Griesbeck, Venire contra factum proprium, 90. 316 B A G N J W 1975, 229, 230; B G H B B 1978, 308; N J W 1980, 880; FamRZ 1982, 898; BauR 1982, 283, wo ein solches Element nicht verlangt w i r d ; anders allerdings B G H W M 1969, 182, 183: Verhalten das über die bloße Untätigkeit hinausgegangen wäre; B F H B B 1970, 1381; B G H W M 1977, 688. 317 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn339; vgl. auch als Beispiel B A G N J W 1970, 349 m i t kritischer A n m Reinicke, N J W 1970, 306 (Befolgen eines nichtigen Vergleichs über zehn Monate). 314
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
dem venire contra factum proprium zugrundeliegenden Vertrauensschutzes, daß dieses Prinzip nur eingreift, wenn diesem Gedanken durch die übrigen gesetzlichen Ausgleichsansprüche, wie culpa i n contrahendo, §§ 994 ff., 677 ff., 823 ff. oder 812 ff. nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann. Andernfalls entfällt die „rechtsethische Notwendigkeit" 3 1 5 für das Institut des venire contra factum proprium, da dieses insoweit dann nicht zu legitimieren ist. Es genügt aber nicht, wenn für den i n Betracht kommenden Regelungskreis lediglich ein Merkmal fehlt, sondern die ansonsten i n Betracht zu ziehende Ausgleichsordnung darf typischerweise i n dem betreffenden Fall nicht greifen, 319 weil sie i n der i n Frage kommenden Fallgestaltung aufgrund vom Gesetzgeber nicht berücksichtigter Besonderheiten ausnahmsweise keinen Schutz bietet. 320 Als Beispiele sind hier vor allem die Fälle nichtiger Hausgrundstücksverkäufe, wie etwa der bereits erwähnte Kleinsiedlerfall (vgl. oben S. 21 ff.) 321 geeignet. Ohne weiteres besteht auch für den Käufer ein Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung seines Kaufpreises. Nur ist i h m aufgrund seiner, vor allem auch ideellen Dispositionen damit keineswegs gedient (vgl. oben S. 65). Auch hat er hohe Zins- und Wertverluste, insbesondere, wenn er erst längere Zeit später zur Rückabwicklung gezwungen wird. Nicht gemeint ist damit, daß die Voraussetzungen der an sich einschlägigen Regelung nicht vorliegen, etwa weil es am Verschulden mangelt. 322 Als Ergebnis läßt sich somit quasi als negatives Tatbestandsmerkmal des Instituts des venire contra factum proprium festhalten, daß andere Ausgleichsmöglichkeiten dieser Fallgruppe nicht vorgehen dürfen. 8. „Sachliche Angemessenheit"
des Ergebnisses
a) Es fragt sich schließlich, ob die sachliche Angemessenheit des Ergebnisses noch zu prüfen ist. 323 Nach der von der Rechtsprechung teilweise verwendeten Formel, die Anpassung an die veränderten Verhältnisse, also die Berücksichtigung der „an sich" gegebenen Rechtslage, dürfe dem Vertrauenden nicht mehr zugemutet werden können 3 2 4 oder 318 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 300. 319 v g l . Canaris, Vertrauenshaftung, 300. 320 V g l > e t w a B G H Z 12, 286, 304; B G H W M 1957, 1440, 1441. 321
B G H Z 16, 334. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 301. 323 Dafür w o h l Soergel / Teichmann (11), §242 Rn323; Canaris, Vertrauenshaftung, 516, meint m i t „Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs" offenbar dieselbe Problematik; ebenso Griesbeck, Venire contra factum proprium, 91 ff., der v o n Einschränkungen durch sittliche Grundwerte spricht. 324 B G H W M 1970, 253; 1980, 341; desgl. P a l a n d t / H e i n r i c h s , §242 A n m 4 C e mwN. 322
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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gar es müsse eine besondere Härte gegeben sein, etwa bei Verwirkungsfällen noch zu leisten, 325 könnte man dies annehmen. Dagegen ist aber einzuwenden, daß hierdurch leicht die Prüfung der gesamten zuvor dargestellten Merkmale hinfällig wird, wenn die A n wendung des Prinzips des venire contra factum proprium insgesamt letztlich von der Prüfung des „Superkriteriums" „sachliche Angemessenheit" abhängt. Weiterhin besteht die Gefahr, daß eine bloße Billigkeitsrechtsprechung entsteht, die die Tatbestandsvoraussetzungen nur mit Blick auf das Ergebnis als erfüllt bzw. nicht erfüllt ansieht, wiewohl die Überprüfung des Ergebnisses als solche nicht zu beanstanden ist und auch oft den richtigen Weg weist. b) Deswegen erscheint es angezeigt, diesen Gesichtspunkt nicht i n bezug auf die sachliche Angemessenheit des Ergebnisses, sondern, insoweit auf einer anderen Stufe, als gleichberechtigtes Merkmal auf der Voraussetzungsseite zu betrachten. Dort kann dieser Gedanke dann, als Korrekturelement der Korrektur, also als negatives Tatbestandsmerkmal, eine neue Bedeutung gewinnen. Vor allem dürfe er so gesehen auch schärfer gezeichnet werden können, ein wesentliches Argument i m Hinblick auf die Rechtssicherheit. I n diesem Sinne ist dann zu untersuchen, ob zum Beispiel jemand, der etwas i m Zusammenhang mit einer unerlaubten Handlung 3 2 6 oder durch eine unentgeltliche, nicht einen Erbvorgang ersetzende 327 Zuwendung erlangt hat, dieses trotz Vorliegens der anderen Merkmale herausgeben muß. 328 aa) Dies ließe sich i m Hinblick auf eine unerlaubte Handlung m i t dem besonderen Zweck der Vertrauenshaftung und damit des venire contra factum proprium begründen, wenn man der Ansicht ist, dies gelte nur für den rechtsgeschäftlichen Bereich. 329 Dafür spricht zwar, daß sich das Vertrauen auf den rechtsgeschäftlichen Bereich beziehen muß, weil es ja u m solche Wirkungen geht, wenn auch an das Vorverhalten keine rechtserheblichen Anforderungen gestellt werden (vgl. oben S. 57 ff.). Es darf aber nicht übersehen werden, daß dieser Bezug des Vertrauens 325
So B G H W M 1969, 182, 184. Ablehnend für eine Mankohaftung B A G N J W 1972, 2114, 2115 (vgl. oben S. 16): aus einem „ordentlichen" Zeugnis dürfe der Arbeitnehmer schließen, er werde für frühere Verfehlungen nicht mehr i n Anspruch genommen; a. A . Soergel / Teichmann (11), §242 R n 323 Fn50, es fehle an der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers. 327 v g l zu formlosen Hofübergabe- u n d Erbverträgen Soergel / Knopp (10), § 242 Rn 351 ff.; neuestens Β GHZ 73, 324, 329; N J W 1983, 2504; vgl. auch L a m precht, F o r m u n d B i l l i g k e i t , 182 ff. 326
32e 329
Vgl. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn323 a.E. So ausdrücklich Canaris, Vertrauenshaftung, 442.
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
auch bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung denkbar ist. Daher sind die beiden Bereiche unerlaubte Handlung und anschließendes venire contra factum proprium streng zu unterscheiden. Es ist deswegen zB abzulehnen, Ansprüche aus unerlaubter Handlung grundsätzlich nicht verwirken zu lassen. 330 Der erstrebte Vertrauensschutz selbst steht nämlich mit der unerlaubten Handlung nicht i n Zusammenhang. Das gilt sogar für vorsätzliche unerlaubte Handlungen. Es kann sich danach sehr wohl schutzwürdiges Vertrauen bilden, daß etwa der aus unerlaubter Handlung gegebene Anspruch nicht geltend gemacht werden wird. Dafür spricht auch, daß ebenfalls ein Verzicht möglich wäre. 331 bb) Bei einem unentgeltlichen Rechtserwerb ist zwar der rechtsgeschäftliche Bereich per se betroffen. Hier scheint aber die Wertung der §§816 Abs 1 S 2, 523 f., 600 gegen eine Vertrauenshaftung und damit gegen eine Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium zu sprechen. 332 Entsprechend ist tatsächlich grundsätzlich bei unentgeltlichen Zuwendungen eine geringere Schutzbedürftigkeit derartiger Vorgänge nicht zu leugnen. So statuiert §816 ja gerade eine Herausgabepflicht bzw. i n analoger Anwendung eine Verpflichtung zur Befreiung von der Verbindlichkeit des anderen, die i h m i n Form der Einwendung des „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus esset" (vgl. dazu oben S. 35 f.) entgegengehalten werden könnte. 333 Ähnlich läßt sich i m Hinblick auf §§ 523 ff. und 600 argumentieren, die bei Schenkung und Leihe für Rechts- und Sachmängel einen Anspruch auf das positive Interesse, wie er sich etwa beim Kauf aus den §§ 440 und 463 S 2 ergibt, ausschließen und selbst den Anspruch auf das negative Interesse an die sehr enge Voraussetzung des dolus praeteritus (vgl. dazu oben S. 32 ff.) knüpfen. 334 Deswegen erscheint es zB angemessen, den Beschenkten bei Nichteinhaltung der Form des § 518 Abs 1 nicht zu schützen. Andererseits ist aber auch hier zu differenzieren. Genau wie i m Fall der unerlaubten Handlung kann nämlich etwa nach einem unentgeltlichen Erwerb ein hiervon unabhängiges venire contra factum proprium vorliegen, für das andere Grundsätze anzuwenden kein Anlaß besteht. So kann es durchaus angemessen sein, etwa einen Anspruch aus § 816 Abs 1 S 2 als v e r w i r k t zu betrachten, wenn die Voraussetzungen des Instituts des venire contra factum proprium gegeben sind. Zwar w i r d 330 So allerdings B A G A P N r 17 zu § 242 — V e r w i r k u n g — (vorsätzliche Schädigung) m i t A n m . Hueck. 331 Staudinger / J. Schmidt (12), §242 Rn482; Soergel / Knopp (10), §242 R n 299; Soergel / Teichmann (11), §242 Rn342. 332 So Canaris, Vertrauenshaftung, 516. 333 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 516. 334 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 517.
II. Die Voraussetzungen im einzelnen
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durch die Vorschrift des § 816 Abs 1 S 2 ein Vertrauensschutz des durch den nichtberechtigten Dritten geschaffenen Vertrauens ausgeschlossen, wenn der Erwerb unentgeltlich erfolgte. Dies ist unmittelbar einsichtig, wenn man beachtet, daß insoweit dieses vertrauensbildende Vorverhalten auch nicht von dem Inhaber des jetzigen Anspruchs herrührt. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß der Berechtigte nicht einen erneuten Vertrauenstatbestand schaffen kann, der dann auch eine Vertrauenshaftung nach den Grundsätzen des venire contra factum proprium angemessen erscheinen läßt. Ähnliches muß i m Bereich der §§ 523 f. und 600 gelten. Auch hier ist die Schaffung eines selbständigen Vertrauenstatbestandes denkbar, der zu einer Haftung aus dem Prinzip des venire contra factum proprium führen kann. So kann etwa der Schenker oder Verleiher durchaus den Eindruck erwecken, er garantiere für eine bestimmte Eigenschaft der verschenkten bzw. verliehenen Sache. Dies würde dann, je nach Stärke der anderen Merkmale des beweglichen Systems des venire contra fact u m proprium wohl trotz der Unentgeltlichkeit zur Annahme dieses Instituts führen müssen. Daran ändert auch die i n den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen genannte Haftung, die an die engen Voraussetzungen des dolus praeteritus anknüpft, nichts. I m Grunde ist nämlich der gesamte individuelle Rechtsmißbrauch als bewegliches System zu verstehen, und die verschiedenen Institute ergeben sich erst aus der Phänomenologie der einzelnen Merkmale. So gesehen ist, jedenfalls theoretisch, das starke Element der Arglist auch durch die V e r w i r k lichung der Merkmale des Prinzips des venire contra factum proprium, wenn auch nur i n außergewöhnlichen Fällen, ersetzbar. cc) Genausowenig ist ein Grund ersichtlich, das Prinzip des venire contra factum proprium — insbesondere i n Form der Verwirkung — bei geringfügigen Rechten nicht anzuwenden. 335 Zwar könnte bei der Vertrauensdisposition das erforderliche Ausmaß fehlen. Doch dürfe dort i m Hinblick auf die Beweglichkeit des Systems (vgl. oben S. 54 ff.) eine gewisse Relativität gelten 336 (vgl. dazu auch oben S. 35, wo die gegenteilige Problematik angesprochen wurde). c) Man könnte der Auffassung sein, die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium könnte dann ausgeschlossen sein, wenn hierdurch zwingendes Recht, vor allem die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften anordnende Normen, umgangen würde. So kann etwa ein A r beitnehmer nicht wegen Verstoßes gegen ihn schützendes Recht an einer 335
Soergel / Teichmann (11), §242 Rn342. So hat das L A G Schleswig-Holstein, B B 1976, 1418, zutreffend die Verw i r k u n g eines Erstattungsanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber i n Höhe von 400,— D M angenommen. 336
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D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
(unwirksamen) Vereinbarung über eine zu niedrige Tarifgruppe festgehalten werden, auch wenn sich aufgrund seines eindeutigen Vorverhaltens beim Arbeitgeber ein entsprechendes Vertrauen gebildet hat und auch die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. 337 Sinn und Zweck der entsprechenden Schutzregelung ist es ja gerade, solche Vereinbarungen zu verhindern. Sie würde, käme man statt zu einer vertraglichen Bindung zu einer Bindung aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium, leerlaufen. Deswegen kann man nur dann die Anwendung nebengesetzlicher Institute, wie dem des venire contra factum proprium befürworten, wenn der Schutzzweck der entsprechenden Norm 3 3 8 nicht entgegensteht oder zumindest i m Vergleich mit dem Schutzzweck des entsprechenden Prinzips aufgrund einer Abwägung als untergeordnet erscheint. 339 So erlauben auch die Motive i m Hinblick auf § 125 eine A b wägung zwischen Formstrenge und rechtsethischen Gesichtspunkten, indem nur formuliert w i r d „die Gründe für die Notwendigkeit der Form wiegen schwerer als die Rücksicht auf die ethische Pflicht zum Worthalten". 3 4 0 Hierdurch w i r d nämlich nicht jede ethische Wertung ausgeschlossen. Über den bloßen Wortbruch hinausgehende Umstände, insbesondere Dispositionen, vor allem, wenn sie die Existenzgrundlage betreffen (vgl. oben S. 66), können Berücksichtigung finden und dadurch die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium entgegen der an sich nach § 125 bestehenden Rechtslage gebieten. 341 Demnach steht eine Norm nur dann der Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium entgegen, wenn ihr Schutzzweck die Durchsetzung des Nichtigkeitsgebots i m Einzelfall erfordert. 342 Zwar läßt sich dagegen einwenden, es bestehe die Gefahr, daß hierdurch zwingendes Recht durch Disposition der Parteien umgangen werden könnte. Dieser Gefahr läßt sich jedoch durch richtige Anwendung der entsprechenden Merkmale des Prinzips des venire contra factum proprium begegnen. So scheiterte die Annahme eines venire contra 337 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn323 Fn49; einen Ausnahmefall (vom Ausnahmefall des Ausnahmefalls) behandelt A r b G Lörrach B B 1977, 1250. 338 Vgl. dazu etwa Pawlowski, A T , Rn410; s. auch Lorenz, A c P 156, 381, 393 ff. 339 Vgl. Pawlowski, A T , R n 418. 340 Vgl. Mot. I, 183; vgl. auch Lorenz, AcP 156, 381, 396, der darauf hinweist, daß das Gesetz selbst etwa den Ubereilungsschutz nicht streng durchhält. 341 Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 279, der allerdings differenziert: Er bejaht einerseits die Nichtigkeit des Vertrages u n d statuiert die Haftung sodann aus einem Verhalten. Insoweit wendet er die Formvorschriften analog an u n d meint, n u r das erlaube es zu berücksichtigen, ob u n d i n welchem Maße die Formzwedke i m Einzelfall überhaupt beeinträchtigt sind. Gegen diese D i f ferenzierung auch Wieling, AcP 176, 334, 342. 342 So auch Soergel / Teichmann (11), §242 Rn330 für Fälle der F o r m u n wirksamkeit.
III. Ausprägungen bei anderen Instituten und Normen
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factum proprium etwa i n einem Fall, i n dem sich die Parteien bewußt über ein Formerfordernis hinwegsetzten, am mangelnden „Vertrauendürfen" (vgl. dazu oben S. 68 ff.). Somit ist die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium auch dann nicht als „Trick" zu bezeichnen, 343 wenn hierdurch an sich zwingende Vorschriften überwunden werden. Bei der hier vorgeschlagenen Anwendung dieses Instituts w i r d nämlich sehr wohl dargelegt, warum die jeweilige Norm ausnahmsweise nicht eingreift. 344 Die entsprechende Vorschrift erhält demgemäß eine je nach ihrem Schutzzweck zu gewichtende Stellung i m Rahmen des beweglichen Systems innerhalb der Prüfung der Angemessenheit bzw. Schutzwürdigkeit des Vorgangs als solchen. Das bedeutet dann, daß etwa echte Verbote i. S. d. § 134 i n aller Regel die Anwendung des Grundsatzes des venire contra factum proprium verbieten. 345 Je nach Stärke der anderen Elemente, zB bei fast vollständiger Erfüllung, kann aber anders zu entscheiden sein. 346 Das gilt sogar bei generalpräventiver Funktion der Verbotsoder Nichtigkeitsnorm, weil i m Einzelfall doch gravierende Gründe für eine Anwendung des Instituts des venire contra factum proprium sprechen können. 347 Damit sind die grundsätzlichen Voraussetzungen für das Prinzip des venire contra factum proprium dargestellt. Wie auch bei jedem Gesetz muß die Filigranarbeit der weiteren Konkretisierung i m Einzelfall von der Rechtsprechung geleistet werden. Aus der Natur des beweglichen Systems folgt dabei, daß die Gerichte hierbei mehr gefordert sind, als bei einer starren Norm. I I I . Der Gedanke des venire contra factum proprium und das bewegliche System bei anderen Instituten und Normen 1. Ausprägungen
und
Durchgangsfunktion
Dem Prinzip des venire contra factum proprium kommt nicht nur die hier beschriebene Funktion zu, einen Kriterienkatalog für die Lösung von Einzelfällen anzubieten. Vielmehr ergibt sich dieser j a erst aus einer abstrakten Gerechtigkeitsvorstellung (Rechtsgedanke), die sich i n 343 So aber Wieling, AcP 176, 334, 342, der nicht zu § 242 differenziert, u n d daher v o n Umgehung durch § 242 spricht. 344 Das ist es wohl, was Wieling, AcP 176, 334, 342 statt dem bloßen Zitat des §242 verlangt. 345 So i m Ergebnis auch Jauernig, § 134 A n m 4 e. 346 Jauernig, § 134 A n m 4 e spricht v o n Entfallen der Verbotswirkung. 347 Vgl. auch Β GHZ 85, 47 ff. f ü r BSchwArbG m i t A n m Fenn, Z I P 1983, 466 f.
80
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
diesem Institut ausdrückt und dieses, wie dargelegt (vgl. oben S. 45 ff.), letztlich legitimiert. Als Bestätigung des insoweit dargestellten Prinzips und des beweglichen Systems sollen hier nun beispielhaft Ausprägungen desselben zugrundeliegenden Rechtsgedankens Erwähnung finden, die ebenfalls auf dem vorgestellten Kriterienkanon basieren. Man spricht bei diesem Phänomen der Ausprägung von Rechtsgedanken von einer Durchgangsfunktion, wobei die neuen Institute nach ihrer Entwicklung bei dem übergeordneten Prinzip oft dort verortet werden, wo auch ihr sachlicher Standort ist und woher sie die Einzelelemente gewinnen. 348 Dabei kann es, abgesehen von Verdichtungen zu selbständigen Instituten, auch zu gesetzlichen Fixierungen kommen. 2. Anscheins- und Duldungsvollmacht sowie die Kundgabetatbestände der §§ 170—173 a) Geradezu beispielhaft für eine solche Durchgangsfunktion von Gedanken des Grundsatzes des venire contra factum proprium sind die Duldungs- und die Anscheinsvollmacht. 349 aa) Bei der Duldungsvollmacht liegt das Vorverhalten i n dem Dulden des Auftretens eines anderen als Vertreter. Wenn ein Vertrauen i n die Bevollmächtigung vorliegt und auch schutzwürdig erscheint, ist die erforderliche Vertrauensdisposition i n dem Vertragsschluß und dem Einrichten hierauf zu erblicken. Auch die Zuordnung ist aufgrund des w i l lentlichen Duldens gegeben. Allerdings ist — wie auch beim Prinzip des venire contra factum proprium (vgl. dazu oben S. 73 f.) — zu prüfen, ob nicht durch andere Institute eine Lösung zu erreichen ist. Bei den Fällen der Duldungsvollmacht dürften häufig auch schlüssige W i l lenserklärungen vorliegen. Insoweit ist auch der Streit zwischen denen, die — allerdings generell — eine schlüssige Vollmachtserteilung annehmen, 350 und denen, die von einem Rechtsscheintatbestand ausgehen, 351 exemplarisch. Hier kann entsprechend den allgemeinen Ausführungen zur Abgrenzung von Willenserklärungen nichts anderes gelten (vgl. oben S. 42 ff.). Ob allerdings dieser Streit deswegen relevant ist, weil bei schlüssiger Bevollmächtigung eine Anfechtung nach § 119 348 S. Soergel / Teichmann (11), §242 Rn314; vgl. für das grundsätzlich ähnliche Phänomen bei § 242 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 8 ff.; s. auch Esser, Grundsatz u n d Norm, 248 ff., 321 ff. 349 v g l . Griesbeck, Venire contra factum proprium, 37 ff.; s. auch Canaris, Vertrauenshaftung, 39. 350 B G H L M N r 4 u n d N r 10 zu § 167; Enneccerus / Nipperdey, § 164 I I 2 a; Flume, A T I I , §49 3; Palandt / Heinrichs, §§ 170—173 A n m 4 b a a ; Jauernig, § 167 A n m 5 c a. E. 351 B G H L M N r 13 zu § 167; Larenz, A T , § 33 I a; Soergel / Schultze-v. Lasaulx (11), §157 Rn21, 23 ff.
III. Ausprägungen bei anderen Instituten und Normen
81
Abs. 1 möglich, 352 bei Annahme eines Rechtsscheintatbestandes hingegen nicht möglich 353 sein soll, ist fraglich. Denn es ist nicht einzusehen, waru m der Vertrauensschutz weitergehen soll als der Tatbestand, i n den vertraut wurde. Also müßte auch bei Annahme eines Vertrauensschutztatbestandes eine entsprechende Anwendung der Anfechtungsregeln möglich sein. 354 bb) Auch i n der Anscheinsvollmacht kann eine Ausprägung des Prinzips des venire contra factum proprium gesehen werden. Das Vorverhalten ist darin zu erblicken, daß das Auftreten des scheinbaren Vertreters nicht verhindert wird. 3 5 5 Vertrauen des Geschäftsgegners ist ebenfalls Voraussetzung. Auch ein Vertrauendürfen w i r d verlangt, wobei eine gewisse Häufigkeit und Dauer vorliegen muß. 356 Die Disposition ist der Vertragsschluß und das Einrichten darauf. Auch die Zurechenbarkeit muß vorliegen. Dabei w i r d verlangt, daß der scheinbar Vertretene das Handeln seines scheinbaren Vertreters bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können. 357 Schließlich muß das veranlaßte Vertrauen für die Disposition ursächlich geworden sein. 358 b) Eng verwandt m i t der Anscheins- und der Duldungsvollmacht sind die §§ 170—173,359 so daß diese Vorschriften schon aus diesem Grunde als Ausprägung des Grundsatzes des venire contra factum proprium angesehen werden können. Hier hat der Geschäftsherr irgendwie ein Vertrauen i n das Bestehen einer Vollmachtserteilung verursacht, das auch gerechtfertigt war. 3 6 0 Konsequenterweise schließt § 173 eine Haftung aus, wenn der Gegner den Mangel der Vertretungsmacht kannte, er also kein Vertrauen hatte oder kennen mußte, sein Vertrauen m i t h i n nicht schutzwürdig erscheint, er nicht vertrauen durfte. 3. §48 Verwaltungsverfahrensgesetz Ein recht interessantes Beispiel für die Durchgangsfunktion des Gedankens des venire contra factum proprium stellt §48 V w V f G dar. Das Vorverhalten kann man i n dem Erlaß des Verwaltungsakts sehen. Weiter ist Vertrauen des Begünstigten erforderlich, das hierdurch aus352
Vgl. Flume, A T I I , § 49 2 c a. E.; Palandt / Heinrichs, §§ 170—173 4 b cc. Larenz, A T , § 33 I a; Krause, Schweigen i m Rechtsverkehr, 157 ff. 354 Differenzierend Canaris, Vertrauenshaftung, 43. 353
355
B G H M D R 1976, 753. O L G Köln, N J W 1973, 1799 m N ; B G H N J W 1980, 2411. 357 B G H M D R 1976, 753. 358 B G H W M 1981,172. 359 Vgl. etwa Palandt / Heinrichs, § 173 A n m 4 a. Jauernig, §§ 170—173 A n m 1. 356
6 Dette
D. Die Rechtsvoraussetzungen als bewegliches System
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drücklich geschützt werden soll. 361 Diese Vertrauensschutznormierung entspricht auch der vorher schon geltenden Rechtsansicht. 362 Weiterhin muß das Vertrauen schutzwürdig sein. 363 Außerdem spielt die verstrichene Zeit eine Rolle. 364 Schließlich stellt § 48 Abs 2 S 2 V w V f G die auch für das Prinzip des venire contra factum proprium geltenden zusätzlichen Gesichtspunkte als Regelbeispiele auf, unter denen das Vertrauen besonders schutzwürdig erscheint. Dies sind der Verbrauch des Geleisteten bzw. die Verfügung darüber oder eine besondere Disposition. 365 Auch dies entspricht der bereits vorher geltenden Ansicht. 366 Diese Regelbeispielstechnik erinnert zudem an ein bewegliches System.
361
Kopp, V w V f G §48 R n 51. Vgl. B V e r w G E 9, 251; DVB1 1976, 222, stRspr; BVerfGE 18, 173; 59, 167; Kopp, V w V f G , § 48 R n 8. 363 Kopp, V w V f G , § 48 R n 55 ff. 364 Kopp, V w V f G , § 48 R n 59. 365 Vgl. Kopp, V w V f G , § 48 R n 64. 366 Vgl. B V e r w G 13, 28; 35, 122; Ossenbühl, Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte, 87; Kisker, V V D S t R L , 32, 149. 362
E. Rechtsfolgen
I. Materielle Rechtsänderung als grundsätzliche Rechtsfolge Es wurde bereits dargestellt, daß Rechtsfolge des venire contra fact u m proprium nicht das „Verbot des widersprüchlichen Verhaltens" ist, sondern daß das Vorliegen dieses Instituts zur materiellen Veränderung der Rechtslage führt (vgl. oben S. 38 ff.). Nunmehr soll geklärt werden, wie dies konstruktiv i n die Systematik des BGB zu übertragen ist. II. Konstruktion der Rechtsfolgen 1. Bekanntlich entsteht ein Recht i n der Regel durch das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale eines Kodex als dessen Rechtsfolge. Dieser Anspruch kann aber dann, etwa aufgrund einer Einwendung, wieder weggefallen sein. Ebenso kann i h m eine peremptorische oder dilatorische Einrede entgegenstehen. Schließlich ist es auch möglich, daß die Entstehung des Rechts von vornherein dauernd oder vorübergehend gehemmt ist. Unmittelbare Rechtsfolge des Vorliegens eines venire contra factum proprium ist es nun, daß es i n einem — wie oben geschildert — vorliegenden Haupttatbestands-/Rechtsfolgesatz fehlende Erfordernisse ersetzt, die „an sich" zur Erreichung einer bestimmten Rechtsfolge notwendig wären. 3 6 7 Je nach dem, an welcher Stelle es hierbei quasi als Joker entsprechend den vorliegenden Kriterien einsetzt, ergibt sich daraus die mittelbare, aber entscheidende Rechtsfolge. Liegen etwa die Anspruchsvoraussetzungen eines Grundstückskaufsvertrages gemäß § 433 zwar vor, ist der Vertrag aber dennoch nach § 125 nichtig, wenn die gemäß § 313 erforderliche Form nicht gewahrt ist. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung kann dann jedoch die fehlende Form bei der Anspruchsbegründung durch Vorliegen der Voraussetzungen des Instituts des venire contra factum proprium ersetzt werden. Das hat zur Folge, daß der Anspruch trotz „an sich" gegebener Nichtigkeit entstanden ist. 368 Dies gilt dann konsequenterweise ebenso für den Gegenan367
Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 268; Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m
le. 368
6*
Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m 1 e.
E. Rechtsfolgen
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spruch. Das erscheint auch für den Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium angemessen, denn dadurch bleibt das der Parteiautonomie entsprechende Vertragsverhältnis insgesamt erhalten. Dieses Ergebnis entspricht der Restriktion der zur Nichtigkeit führenden Norm, 3 6 9 wie es bezüglich des dolus praeteritus zB zur Einschränkung von § 125 vertreten wird. 3 7 0 Nun wurde dort gegen die Restriktionstheorie eingewandt, deren Wirkung, nämlich die volle Gültigkeit des Haupttatbestandes, sei nicht sachgerecht, 371 weil die Interessenlage die Statuierung eines einseitigen Anspruchs lediglich zugunsten des Getäuschten fordere. 372 Das mag bei den Fällen des dolus praeteritus zutreffen. Für das Institut des venire contra factum proprium jedoch, das kein Verschulden erfordert, ist nicht einzusehen, warum nicht der volle Vertrag Gültigkeit erlangen soll. Ansonsten würde der Vertrauende besser gestellt, als er stünde, wenn sein Vertrauen zutreffend gewesen wäre. 373 Dieses Ergebnis ist damit ein kleinerer Eingriff i n die Privatautonomie, als beispielsweise die Herleitung eines einseitigen Erfüllungsanspruchs aus § 242. Das bedeutet hinsichtlich der Wirkung i n bezug auf § 125, die nach den oben dargelegten Kriterien (vgl. o. S. 65 ff.) i m Bereich des venire contra factum proprium zulässig ist, i m übrigen keinen Unterschied. Denn auch das stellt eine Nichtanwendung einer zwingenden Norm dar. Weil diese „Substitutstheorie" scheinbar zum gleichen Ergebnis führt, wie die „Restriktionstheorie", ist noch zu begründen, worin ihr Vorteil liegt. Die letztere, die wohl auf die Lehre Sieberts vom Normenmißbrauch zurückgeht, 374 ist, wie bereits dargestellt (vgl. oben S.44), ein Ausdruck des institutionellen Rechtsmißbrauchs, also i m Grunde eine Frage der teleologisch zutreffenden Auslegung der Nichtigkeitsnorm. Das Prinzip des venire contra factum proprium hingegen betrifft den individuellen Mißbrauch (vgl. oben S. 30). Weiter könnte man i n der Tat gegen die Restriktion einer Norm einwenden, diese erlaube eine Rechtssetzung durch individuelles Parteiverhalten, obwohl die betreffende Norm nicht zu ihrer Disposition stand (vgl. dazu oben S. 77 ff.). W i r d dagegen deutlich gemacht, daß die den Regeln des individuellen Rechtsmißbrauchs folgende Anwendung des Prinzips des venire contra factum 369
Dafür, auch für den Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium, w o h l Wieling, AcP 176, 334, 342. 370 Soergel / Knopp (12), §242 Rn356, 358; Soergel / Hefermehl (11), §125 R n 24; Esser, SR, §61113; Fikentscher, SR, §222 I I a u n d c; vgl. auch Boehmer, Grundlagen, B d I I 2, S. 97; Larenz, Methodenlehre, 375. 371 Vgl. Enneccerus / Nipperdey, 959; Flume, A T I I § 15 I I I 4 c c c , S.282. 372 Flume, A T I I , §15 I I I 4 c c c , S.282; für die Annahme der Gültigkeit Gernhuber, FS Schmidt-Rimpler, 169, 177 ff. 373 So auch Canaris, Vertrauenshaftung, 520. 374 Soergel / Knopp (10), § 242 R n 169.
II. Konstruktion der Rechtsfolgen
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proprium zur Ersetzung eines Tatbestandsmerkmals führt, das die Parteien etwa bei § 313 sehr wohl hätten erfüllen können, so geht dieser Vorwurf ins Leere. Es ist allerdings dennoch denkbar, daß i n bestimmten Konstellationen statt der „einzelfallorientierten" Lösung aufgrund des Instituts des venire contra factum proprium eine abstrakt-generelle Ergänzung i n Betracht kommt. 3 7 5 2. Genausogut kann die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium aber auch zur Bildung von negativen Tatbestandsmerkmalen oder Einwendungen führen. 376 Macht zB jemand eine bestimmte Rechtsposition geltend, nachdem er den Eindruck erweckt hat, er werde sich nicht darauf berufen (Vorverhalten etwa i n Form von Unterlassen, vgl. oben S. 58 ff.), und liegen die übrigen Voraussetzungen des Prinzips des venire contra factum proprium ebenfalls vor, so steht i h m das Recht nicht zu. 377 Der Vertrauende kann gegen das „an sich" bestehende Recht einen Einwand aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium erheben. Sprachlich ungenau wäre es, hierbei von einer „Einrede" zu sprechen, die dieses Institut wie jeder Rechtsmißbrauch von Amts wegen zu berücksichtigen ist. 378 Allerdings ist es ratsam, dem Gericht, das ohnehin den Sachverhalt nur entsprechend feststellen kann, wenn die betreffende Partei die fraglichen Umstände i n den Prozeß einführt, 3 7 9 auch einen dahingehenden Hinweis zu geben. 380 3. Aufgrund des Instituts des venire contra factum proprium können auch Einwendungen ihrerseits abgeschnitten werden, 381 indem dieser Gedanke gewissermaßen als Einwand oder negatives Tatbestandsmerkmal einer Einwendung w i r k t . Das führt dann i m Ergebnis dazu, daß aufgrund der Nichtbeachtung der jeweiligen „an sich" rechtsvernichtenden Umstände, das „an sich" erloschene Recht fortbesteht. 382 So kann ™ Vgl. zB RGZ 86, 323, 325; B G H Z 1, 128; vgl. auch Flume A T I I , § 32, 7, 8. Vgl. die Formulierung bei Staudinger / J. Schmidt (12), §242 Rn581, 595, der dies allerdings für überflüssig hält, Rn 596 f. 377 Vgl. zB B G H N J W 1969, 1625; W M 1977, 871 (Kein Schadensersatzanspruch des Maklers, der eine Alleinauftragsklausel als „reine Formsache" bezeichnet hatte, obwohl die Voraussetzungen „an sich" vorlagen, s. auch oben S. 16); vgl. auch Flume, A T I I , § 10 3 c, S. 126, der allerdings keine materielle Rechtsänderung annimmt. 378 Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 1 e; vgl. auch MünchKomm-Roth, § 242 R n 48; Soergel / Knopp (10), § 242 Rn 184; Larenz, SR I, § 10 I I h. 379 Vgl. MünchKomm-Roth, § 242 Rn 48; Soergel / Knopp (10), § 242 R n 184. 380 Vgl. dazu Griesbeck, Venire contra factum proprium, 101 f.; Larenz, SR I, § 10 I I h ; Wieacker, Präzisierung, 46. 381 Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 324; Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 1 e; so schon Riezler, Venire contra factum proprium, 164, der von V e r w i r k u n g einer Einwendung spricht; a. A . Canaris, Vertrauenshaftung, 372; ähnlich bereits Savigny, System des heutigen römischen Rechts V, 157 f. 382 Vgl. Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 1 e. 376
86
E. Rechtsfolgen
zum Beispiel jemand, der den Eindruck erweckt hat, er werde nicht aufrechnen, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des Prinzips des venire contra factum proprium den Einwand der Aufrechnung nicht m i t Erfolg geltend machen. 383 Die Aufrechnungserklärung ginge ins Leere, weil aufgrund des Instituts des venire contra factum proprium die Aufrechnungsmöglichkeit entfallen ist. Das gilt auch für andere Gestaltungsrechte, wie etwa die Kündigung. W i r d sie trotzdem erklärt, ist sie unwirksam und der „Kündigende" macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er die vertraglichen Beziehungen dennoch abbricht. 384 4. Schließlich können auf diese Weise auch Einreden abgeschnitten werden. 385 Fraglich ist i n diesem Zusammenhang jedoch, ob dies auch für die Einrede der Verjährung gilt 3 8 6 Dies könnte faktisch einen Ausschluß oder eine Erschwerung der Verjährung darstellen, obwohl dies durch § 225 i m Hinblick auf Verdunkelungsgefahr und Rechtssicherheit, also zur Sicherung der Verjährungszwecke, ausdrücklich untersagt ist. 387 Hierbei ist zunächst zwischen bereits eingetretener und noch nicht eingetretener Verjährung zu differenzieren. a) Ist die Einrede bereits entstanden, weil Verjährung eingetreten ist, bestehen i m Hinblick auf §225 keinerlei Probleme. Insoweit wäre ja auch ein Verzicht möglich, 388 wie sich u. a. aus § 778 Abs 2 ergibt. 389 Dieser Fall w i r d weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck des § 225 erfaßt, der sich nur auf die Verjährung selbst bezieht. Diese Frage ist aber klar festzustellen und w i r d nicht tangiert. Ein venire contra factum proprium ist i n diesem Fall nach dem zuvor Dargelegten erst recht möglich. Wenn schon der Verlust oder die Begründung eines Anspruchs unmittelbar durch ein Verhalten vonstatten gehen kann, muß dies auch indirekt über den Verlust einer Einrede möglich sein. b) Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Verjährung auch, bevor sie eingetreten ist, aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium zumindest gehemmt werden kann. Wiederum unproblematisch scheint zunächst der Grenzfall, daß ein während der Verjährungs383
Vgl. RGZ 121,177. B G H N J W 1978, 947; vgl. auch Β GHZ 20, 206. 385 Vgl. Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 1 e. 386 Dafür etwa J a u e r n i g / V o l l k o m m e r , §242 A n m I I I 4 b c c ; Staudinger/ Weber (11), § 242 R n D 478; Soergel / Knopp (10), § 242 Rn 168; Soergel / A u g u stin (11), §225 R n 3; B G H M D R 1981, 737 m w N ; RGZ 144, 378, 381 m w N . 387 Vgl. Soergel / A u g u s t i n (11), § 225 R n 1; Erman / W. Hefermehl, § 225 R n 1. 388 Vgl. RGZ 78, 130, 132; B G H VersR 1972, 394; D B 1974, 2005; Jahr, JuS 1964, 221 f.; Schlosser, JuS 1966, 259; Lehmann / Hübner, §45 I I l a ; Enneccerus / Nipperdey, §237112; Spiro, Begrenzung I , 544; Soergel / A u g u s t i n (11), §225 R n 4 ; a . A . Honsell, VersR 1975, 105. 389 Staudinger / Dilcher (12), § 222 R n 14. 384
II. Konstruktion der Rechtsfolgen
87
zeit stattfindendes Vorverhalten Auswirkungen auf die Zeit nach deren Eintritt hat. Dies könnte nämlich zur oben beschriebenen Variante zu rechnen und deswegen zulässig sein, weil nach Eintritt der Verjährung eine Disposition unabhängig von § 225 frei möglich ist (vgl. oben S. 86). So könnte schon aufgrund dieser Begründung ein wegen § 225 nichtiger Verzicht auf die noch nicht entstandene Einrede 390 als Vorverhalten i m Rahmen des Instituts des venire contra factum proprium bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ein wirksames Berufen auf die später entstandene Einrede ausschließen.391 Trotz dieser vordergründig einleuchtenden Argumentation ist aber einzuwenden, daß auch bereits dieser Fall rein zeitlich gesehen von § 225 erfaßt wird. Der Hinweis, daß sich das Vorverhalten erst nach E i n t r i t t der Verjährung auswirken würde, verkennt, daß das nicht relevant sein kann. Denknotwendig w i r k t sich diese Frage nämlich stets erst nach E i n t r i t t der Verjährung aus. Auch könnte so durch Disposition über die noch entstehende Einrede mittelbar über die Verjährung selbst disponiert werden. Deswegen ist bereits für diese, wie auch für die eindeutig von § 225 erfaßten Fälle zu klären, ob diese Vorschrift der Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium entgegensteht. Zur Beantwortung dieses Problems kann auf die oben hinsichtlich der Umgehung von zwingenden Vorschriften aufgestellten Grundsätze (vgl. S. 77 ff.) zurückgegriffen werden. Danach ist die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium trotz entgegenstehender positiver Vorschriften zulässig, wenn der Schutzzweck dieses Instituts (Vertrauensschutz) höher zu bewerten ist, als der der „an sich" zu einer anderen Entscheidung führenden Norm, oder bereits der Schutzzweck dieser Vorschrift nicht tangiert wird. Sinn und Zweck des § 225 ist es, die Frage der Verjährung als solcher der Disposition der Parteien zu entziehen. 392 Deswegen ist grundsätzlich ein Verzicht auf die noch nicht entstandene Einrede unmöglich. 393 Was nun den Vertrauensschutz anbelangt, so könnte man hier meinen, ein schutzwürdiges Vertrauen könne sich dann nicht bilden, wenn die Tatsache, i n die vertraut wird, selbst durch ein Rechtsgeschäft nicht zu erreichen ist. Daher könne bereits aus diesem Grunde das Institut des venire contra factum proprium nicht zur Anwendung kommen. Dagegen läßt sich aber anführen, daß die Verjährung nicht völlig der Parteidisposition entzogen ist. So können Rechtsgeschäfte, die lediglich mittelbar auf Ausschluß oder Erschwerung der Verjährung gerichtet sind, wie Fälligkeitsvereinbarungen, die den Verjährungsbeginn verzögern 390
Vgl. B G H VersR 1960, 517; 1972, 398; W M 1982, 404; Bülow, N J W 1971,
2254. 391 392 393
Vgl. B G H N J W 1981, 1551; Jauernig, §§222—224 A n m 2 c. S o e r g e l / A u g u s t i n (11), §225 R n 1. Vgl. Jauernig, § 222—224 A n m 2 c.
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E. Rechtsfolgen
und dadurch mittelbar die Verjährungsfrist verlängern, 394 gültig sein. 395 Weiter ist bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschriften, die die Verjährung unterbrechen, auch von einer Disposition der Parteien auszugehen. Hierfür genügt etwa nach § 208 jedes tatsächliche Verhalten des Schuldners dem Gläubiger gegenüber, aus dem sich das Bewußtsein des Verpflichteten, daß der Anspruch besteht, klar und deutlich ergibt. 396 Außerdem können Verjährungsfristen, wie etwa bei § 638, auch verlängert werden. 397 Die Verjährung ist also nicht absolut. Das bedeutet, daß ein Vertrauen, daß die Verjährungseinrede nicht erhoben werden wird, schutzwürdig sein kann. Wenn nämlich schon ein Anerkenntnis, als geschäftsähnliche Handlung, 3 9 8 die Verjährung unterbricht, ist der Schritt dahin, auch einem Verhalten, das den Anspruch zwar nicht unmittelbar anerkennt, das aber etwa eine von einem Voroder Musterprozeß abhängige bedingte Anerkennung 3 9 9 darstellt, eine Relevanz hinsichtlich der Verjährung zuzuerkennen. Auch w i r d durch die Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium die Disposition über die Verjährung den Parteien keineswegs anheimgestellt. Dies ist vielmehr durch richtige Anwendung des Merkmals des „Vertrauendürfens" (vgl. dazu oben S. 68), ähnlich wie bei den Fällen der Formunwirksamkeit (vgl. dazu oben S. 70), auszuschließen. Insgesamt läßt sich die Problematik wiederum auf das Verhältnis Rechtssicherheit und Billigkeit zurückführen. Sinn und Zweck der Verjährung überhaupt, Rechtsfrieden einkehren zu lassen, 400 kann aber zugunsten der materiellen Gerechtigkeit als das geringerwertige Rechtsgut erscheinen. Insbesondere bei der Norm des §225 muß man sich vor Augen halten, daß diese zunächst ein viel früheres Stadium des Vertragsverhältnisses meint. Geht es dann darum, ob kurz vor Ablauf der Verjährung noch eine Unterbrechungshandlung erfolgt oder nicht, und hält der Schuldner den Gläubiger i n einer bei diesem ein Vertrauen erweckenden Weise hin, 4 0 1 so steht diese Norm aufgrund der anderen Zielrichtung nicht mehr so ohne weiteres einer Anwendung des Instituts des venire contra factum proprium i m Wege, wie man aufgrund des Wortlauts annehmen könnte. Da der Vertrauensschutz auch ein wesent394
Vgl. B G H W M 1983, 1363, 1364. Weitere Beispiele bei Soergel / A u g u s t i n (11), §225 R n 2 . 396 Vgl. B G H N J W 1983, 388 mN. 397 Vgl. Bülow, N J W 1971, 2254. 398 Vgl. Staudinger / Dilcher (12), § 208 R n 5; Jauernig, §§ 208—217 A n m 1. 399 Vgl. K G M D R 1972, 514; B A G B B 1975, 881. 400 Vgl. etwa Palandt / Heinrichs, §225 A n m l ; Erman / W. Hefermehl, R n 1 vor § 194; Jauernig, § 194 A n m 3; vgl. auch B G H N J W 1983, 389. 401 Vgl. Staudinger / Dilcher (12), § 222 R n 29 m N ; E r m a n / Sirp, § 242 R n 156; B G H Z 71,86,96. 395
III. Spiegelbildfunktion (Ver- bzw. Erwirkung)
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liches Ziel der Rechtsordnung ist, und i h m bei der hier vorgeschlagenen Anwendung auch eine rechtssicherheitswahrende Verwirklichung zukommt, 4 0 2 muß es richtigerweise als möglich angesehen werden, entgegen § 225 auch ein Abschneiden der Verjährungseinrede aufgrund des Instituts des venire contra factum proprium anzunehmen. 403 Dies führt jedoch nicht dazu, daß die Verjährung von neuem beginnt oder das Recht nunmehr völlig unverjährbar würde. 4 0 4 Hierdurch erreichte der Gläubiger nämlich eine stärkere Stellung, als es seinem Vertrauen entsprach. Zumindest ist ein so weitgehendes Vertrauen nur eingeschränkt schutzwürdig. Vielmehr ergibt sich eine angemessene relativ kurze Frist, 405 innerhalb derer die Verjährungsunterbrechung zu erfolgen hat. 4 0 6 Diese richtet sich dabei nach der Kompliziertheit der Sachverhalte. 407 Nach Ablauf dieser Verlängerungsfrist ist die Geltendmachung der Verjährungseinrede unbeschränkt möglich, 408 sofern nicht erneut ein Fall des venire contra factum proprium gegeben ist. Gesetzliche Ausprägungen dieses Prinzips der Verjährungshemmung stellen § 639 Abs 2 und § 852 Abs 2 dar. I I I . Spiegelbildfunktion (Ver- bzw. Erwirkung als Bezeichnung der Rechtsfolge) 1. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Wirkung des Prinzips des venire contra factum proprium abhängig ist von der jeweiligen Sachlage. Daher ist es nicht erforderlich, diesem Institut eine spezielle anspruchsbegründende Wirkung 4 0 9 zuzuschreiben oder diese von einer anspruchsvernichtenden oder modifizierenden zu differenzieren. Zwar kommen diesem Rechtsgedanken derartige Wirkungen letztlich zu; dies ergibt sich aber zwanglos aus der entsprechenden Anwendung an der jeweils relevanten Stelle i m „Haupttatbestands-/Rechtsfolgesatz". Auch 402
Vgl. die dahinzielende Forderung Spiros, Begrenzung, 214 f. Vgl. B G H N J W 1982, 2869; statt vieler Hübner, A T , Rn731; vgl. zu diesem Ergebnis auch Griesbeck, Venire contra factum proprium, 13 ff. mN, der ebenfalls gewisse „Tatbestandsvoraussetzungen" nennt. 404 Soergel / Teichmann (11), §242 Rn324. 405 Erman / Hefermehl, §222 R n 12; Staudinger / Dilcher (12), §222 Rn22; Hübner, A T , R n 731, vergleicht m i t der Ablaufhemmung; vgl. dazu Hübner, A T , R n 728. 406 Staudinger / Dilcher (12), §222 Rn23; RGRK-Johannsen, §222 Rn 15. 407 B G H W M 1977, 365 (drei Monate); W M 1977, 870 (sechs Wochen); O L G Celle VersR 1978, 1119; O L G Düsseldorf N J W 1983, 1434 (vier Wochen); VersR 1978, 377 (fünfeinhalb Monate wegen Wohnsitz i m Ausland); vgl. auch Spiro, Begrenzung, 218, F n 4 , der einen Nachfristkatalog j e nach Verjährungszeit aufstellt. 408 Vgl. Larenz, A T , § 14 I I I c. 409 So Canaris, Vertrauenshaftung, 336, 352, 374 u n d öfter. 403
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E. Rechtsfolgen
die Differenzierung zwischen Ver- und Erwirkung 4 1 0 dürfte sich erübrigen. Zu bedenken ist hierbei nämlich, wie oben schon i m Zusammenhang von Rechtsmißbrauch i m Verhältnis zu Treu und Glauben erwähnt (S. 27 ff.), daß die Rechte des einen gleichzeitig die Pflichten des oder der anderen (bei dinglichen Rechten) quasi als Spiegelbild bedingen. Aufgrund dieses Rechte/Pflichten-Parallelogramms ändert sich demnach die Terminologie, je nachdem, von welcher Seite aus man die Betrachtung vornimmt. 4 1 1 Zu beachten ist dabei aber, daß dingliche Rechte i n der Regel nicht von einer Seite verwirkt, sondern von der anderen Seite ersessen bzw. erworben werden 4 1 2 (s. dazu auch oben S. 40 f.). Es ist nichts dagegen einzuwenden, trotz dieser Parallelität zur Bezeichnung der jeweiligen Rechtsfolge bestimmte Begriffe zu verwenden. Das gilt auch für den Begriff der Verwirkung als reine Rechtsfolgebeschreibung (vgl. dazu auch oben S. 58 ff.) genau wie für dessen Pendant, die Erwirkung. 4 1 3 Man sollte aber i n der oben beschriebenen Form verdeutlichen, wie diese „Wirkung" (Ver- oder Erwirkung) entsprechend der Systematik des Anspruchsschemas entsteht. Um Verwechslungen m i t den jeweiligen Rechtsvoraussetzungen zu vermeiden, wäre es dabei angezeigt, die Stellung der Verwirkung als Unterfall des Prinzips des venire contra factum proprium nicht aus den Augen zu verlieren. Wie dargelegt (vgl. oben S. 58 ff.), beinhaltet dieser Begriff ebenfalls die Rechtsvoraussetzungsseite des Prinzips des venire contra factum proprium, wobei das Vorverhalten i n Form von Unterlassen gegeben ist. Eine einheitliche Bezeichnung, und zwar aus der Sicht der Rechtsvoraussetzungen, wäre zur Abgrenzung von anderen Instituten des Rechtsmißbrauchs sinnvoll. Diese haben nämlich, wie hier nur angedeutet werden kann, ebenfalls Ver- bzw. E r w i r k u n g eines Rechts zur Folge. Daher ist eine Unterscheidung nur aufgrund der Rechtsvoraussetzungen möglich (vgl. auch oben S. 31 f.). Deswegen stiftet es auch wohl leicht Verwirrung, wenn für Institute, die nach ihren Rechtsvoraussetzungen unterschiedlich sind, Begriffe aufgrund der Rechtsfolge gewählt werden. 414 410 Vgl. insbesondere Canaris, Vertrauenshaftung, 372 ff., der allerdings die E r w i r k u n g noch v o m Prinzip des venire contra factum p r o p r i u m unterscheidet. 411 Vgl. dazu zB Boehmer, Grundlagen I I 2, der die Unzulässigkeit der Berufung auf die Einrede der V e r j ä h r u n g als „ K e h r b i l d " der V e r w i r k u n g bezeichnet. 412 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 335; vgl. auch Jauernig, § 194 A n m 2 c; für Ansprüche aus dem Urheberrecht, B G H Z 67, 56, 68; a . A . L G Itzehoe JZ 1983, 308 m i t k r i t . A n m . v. Olshausen, JZ 1983, 288. 413 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 335; vgl. auch Jauernig, § 194 A n m 2 c; für Ansprüche aus dem Urheberrecht, B G H Z 67, 56, 68; a. A . L G Itzehoe JZ 1983, 308 m i t k r i t . A n m . v. Olshausen JZ 1983, 288. 414 So aber Canaris, Vertrauenshaftung, 372, der dies offenbar tut, w e i l er
III. Spiegelbildfunktion (Ver- bzw. Erwirkung)
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2. Nun könnte man aber einwenden, die dargelegte Parallelität der Rechtsfolgen sei zwar von der theoretischen Konstruktion her gesehen einleuchtend. Dennoch bestehe ein Unterschied, ob aufgrund nebengesetzlicher Institute Rechte vernichtet oder neubegründet würden. 4 1 5 Dieser Einwand ist jedoch gerade aufgrund der dargestellten Parallelität und Spiegelbildfunktion von Rechten und Pflichten, teleologisch betrachtet, kaum überzeugend. Wertungsmäßig wäre es etwa nicht einzusehen, einen Unterschied zu machen zwischen einem Anspruch auf Rückauflassung eines Grundstücks aus ungerechtfertigter Bereicherung, der aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium nicht mehr besteht, und der Gewährung eines Anspruchs auf Auflassung trotz „an sich" gegebener Nichtigkeit. 4 1 6 Es ist zwar zuzugeben, daß hinter dem Gegensatz von Vernichtungsrecht (Einrede, Einwendung, negatives Tatbestandsmerkmal) und ipso-iure-Nichtigkeit eine wohldurchdachte und sinnvolle gesetzgeberische Wertung stehen kann. So hängt von der entsprechenden Gestaltung die Frage ab, ob der Eintritt einer bestimmten Rechtslage i n das Belieben der Parteien gestellt ist oder ob der Gesetzgeber selbst dies ein für allemal entscheiden wollte. Maßgebliche K r i terien, die hier für das eine oder andere sprechen, können vor allem Überlegungen sein, inwieweit, außer dem Parteiinteresse, Drittinteressen oder allgemeine Rechtswerte tangiert sind. Je nach Sachlage können daher unterschiedliche Ergebnisse durchaus gerechtfertigt sein. 417 Wenn dies der Fall ist, läßt sich diesem Umstand aber auch i m Rahmen der Frage nach der Angemessenheit des Ergebnisses (Schutzzweck der Norm) Rechnung tragen (vgl. oben S. 74 ff.). Meist dürften die für die jeweilige Ausgestaltung maßgeblichen Gesichtspunkte indessen anderer Natur sein. Der Unterschied zwischen Gewährung eines Gegenrechts (Einwendung, Einrede, negatives Tatbestandsmerkmal) einerseits und Statuierung einer Anspruchsvoraussetzung andererseits w i r d nämlich vielmehr oft rechtstechnischer statt rechtsethischer A r t sein. Grund der entsprechenden Konzeption w i r d jedenfalls häufig nicht die oben angesprochene, sondern eine andere Problematik sein, beispielsweise Fragen der Beweislast. Daher läßt sich grundsätzlich aus konstruktiven Unterschieden eine gegensätzliche Behandlung nicht rechtfertigen 4 1 8 die hier vorgeschlagene dogmatische K o n s t r u k t i o n u n d Terminologie für offenkundig unhaltbar hält, vgl. S. 372 F n 3. 415 So hat Gernhuber, FS Schmidt / Rimpler, S. 165, i n A n k n ü p f u n g an § 817 S 2 ausgeführt, daß „ein dem Recht an sich nicht entsprechender Zustand sich eher aufrecht erhalten als schaffen läßt"; ähnlich Β GHZ 29, 6, 11; B G H W M 1964, 482, 486; Flume, A T I I , § 15 I I 4 c ff., S. 287 (jeweils zur Problematik der Formnichtigkeit). 416 v g l . Canaris, Vertrauenshaftung, 269. 417 v g l . Canaris, Vertrauenshaftung, 269. 418 So auch Canaris, Vertrauenshaftung, 269 f.; vgl. auch Singer, W M 1983, 254,258 ff.
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E. Rechtsfolgen IV. Legitimation der Rechtsfolge in der Form der Anspruchsbegründung
Nachdem die unterschiedlichen Rechtsfolgen des Prinzips des venire contra factum proprium konstruktiv erläutert und auch konzeptionell begründet wurden, ist auf die dargelegte „rechtsbegründende" W i r kung, noch unter einem anderen Aspekt, einzugehen. Zwar wurde oben bereits die grundsätzliche Legitimation der Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium dargestellt (S. 45 ff.). Es bleibt aber noch dogmatisch zu begründen, warum es, abgesehen von der Konstruktion, zulässig ist, daß sich aus dem Prinzip des venire contra factum proprium eine Anspruchsbegründung ergibt, warum also überhaupt insoweit ein „volles Festhalten" am Vorverhalten angenommen werden kann. Dieses kann, wie dargelegt (s. oben S. 83 f.), einen positiven Vertrauensschutz i n der Form des Erfüllungsanspruchs zur Folge haben, bei dem der Vertrauende so gestellt wird, wie es der von ihm angenommenen Lage entspricht. 419 Der Vertrauende könnte aber auch nur so gestellt werden, wie er stünde, wenn er die wahre Lage gekannt, also nicht vertraut hätte. Dann wäre er auf Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche zu verweisen. Dieser Unterschied zwischen „positivem" und „negativem" Vertrauensschutz und die sich hieraus ergebende Zweispurigkeit kann als konstruktiv bezeichnet werden. Daher ist es eine zentrale Aufgabe, eine Abgrenzung dieser beiden Haftungsformen vorzunehmen. 420 Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Vertrauensschutzgedanken selbst. Trotzdem legen die Vor- und Nachteile beider Formen gewisse Kriterien nahe. So bietet sich der positive Vertrauensschutz in den Fällen an, i n denen Verkehrsinteressen ein besonderes Gewicht haben. Demgegenüber entspricht der negative Vertrauensschutz den Grundsätzen der „Billigkeit" deswegen besser, weil er den Vertrauenden nur i m Umfang der von diesem tatsächlich vorgenommenen Dispositionen und Investitionen schützt. 421 Was nun den Vertrauensschutz beim Prinzip des venire contra factum proprium anbelangt, so ist dieser schon ex definitione darauf gerichtet, auch einen Erfüllungsanspruch zu gewähren. Typischerweise ist nämlich der negative Vertrauensschutz ohne weiteres bereits aufgrund der gesetzlichen Ausgleichsformen gewahrt. Nur erscheinen diese i n den einschlägigen Fällen eben nicht ausreichend, weswegen ja die Anwendung des Instituts des venire contra factum proprium m i t der Folge des posi419 Vgl. zur Tatsache, daß positiver Vertrauensschutz nicht gleichbedeutend m i t Erfüllungshaftung ist: Canaris, Vertrauenshaftung, 521 f. u n d 5 F n 18. 420 Canaris, Vertrauenshaftung, 5. 421 Canaris, Vertrauenshaftung, 6.
IV. Legitimation der Rechtsfolge in der Form der Anspruchsbegründung 93 tiven Vertrauensschutzes aufgrund „rechtsethischer Notwendigkeit" überhaupt erst erwogen wird. 4 2 2 Aber auch wenn die sonst zur Anwendung kommenden Ausgleichsregelungen zu keinem Schutz führen, kann das Prinzip des venire contra factum proprium auf eine positive Schutzregelung gerichtet sein, denn anders wäre dem Vertrauensschutz meist überhaupt nicht Rechnung zu tragen. Eine Beschränkung auf den negativen Vertrauensschutz stellte nämlich keinen dem Vertrauen als solchen entsprechenden Schutz dar. Das ergibt sich zum einen aus dem Inhalt des Vertrauens, das gerade auf die Beständigkeit gestützt ist. Zum anderen w i r d ja noch eine Vertrauensrealisation, eine Disposition als Voraussetzung gefordert (vgl. oben S. 63 f.). Nun ist es so, daß man auch einen negativen Vertrauensschutz gewähren könnte und dann i m Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes beim Schadensumfang einen quasi positiven Vertrauensschutz erreichte. Dann läge aber zuviel Gewicht allein auf den Vertrauensfolgen und die o. g. (S. 73) weiteren Umstände würden zu leicht unberücksichtigt bleiben. Indem die Rechtsfolge zwar auf den positiven Vertrauensschutz ausgedehnt wird, gleichzeitig aber die Rechtsvoraussetzungen erweitert werden und auch eine Frage des haftungsausfüllenden Tatbestandes als Rechtsvoraussetzung einbezogen wird, kann den einzelnen Fällen besser Rechnung getragen werden. Das zeigt sich insbesondere auch an dem Merkmal des irreversiblen Vorteils des anderen Teils (vgl. oben S. 73), das anders als der irreversible Nachteil des einen Teils nicht bei dem haftungsausfüllenden Tatbestand berücksichtigt werden könnte. Schließlich muß man sich noch verdeutlichen, daß auch der „negative Vertrauensschutz" nicht ohne weiteres zu einem völlig anderen Ergebnis führt. Die Formel, daß der Vertrauende so zu stellen ist, wie er ohne sein Vertrauen stünde, ließe sich m i t hypothetischen Erwägungen auch i m Sinne eines „positiven Vertrauensschutzes" verstehen. Daß dies nicht völlig abwegig ist, ergibt sich schon daraus, daß jeder Vertrauensschutz eine hypothetische Erwägung voraussetzt. So ist es beispielsweise durchaus denkbar, daß sich jemand ohne Vertrauen so verhalten hätte, daß er nunmehr so stünde, wie er m i t berechtigtem Vertrauen gestellt wäre. Deutlich w i r d dies am Beispiel eines formunwirksamen Grundstückskaufs (vgl. dazu oben S. 21 ff., 65 ff.). Hätte der auf die Formfreiheit Vertrauende von der Formbedürftigkeit gewußt, hätte er wohl auf deren Einhaltung gedrungen und daher einen unabhängig vom Prinzip des venire contra factum proprium gültigen Anspruch erlangt. 423 Es ist dennoch nicht zu 422 Canaris, Vertrauenshaftung, 518 et passim zum Begriff der „rechtsethischen Notwendigkeit". 423 w e n n i h m dies aufgrund der Überlegenheit des anderen Teils nicht möglich gewesen wäre, spricht dies für die generelle Bejahung der Möglichkeit des positiven Vertrauensschutzes, denn dies könnte andernfalls keine Berücksichtigung finden; vgl. dazu Hohmann, J A 1982, 112, 117 F n 14.
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E. Rechtsfolgen
leugnen, daß eine bloße Schadensersatzpflicht dem Anspruch auf Vertrauensentsprechung insofern überlegen ist, als sie vordergründig betrachtet regelmäßig zu einer differenzierteren und vermeintlich fallgerechteren Rechtsfolge führt. Der Schutz folgt hier eben dem w i r t schaftlich meßbaren Nachteil entsprechend. Dem anderen Teil w i r d kein zu großes Opfer auferlegt. Deswegen ist stets i m Einzelfall zu begründen, warum nur der positive Vertrauensschutz eine rechtsethische tragbare Lösung bietet. 4 2 4 Zusammenfassend ist aber festzuhalten, daß der positive Vertrauensschutz zu Recht als eine Folge des Prinzips des venire contra factum proprium angeboten wird. Das entspricht dem beweglichen System auf der Rechtsvoraussetzungsseite und ermöglicht erst, auch auf der Rechtsfolgenseite die erforderliche Flexibilität zu erreichen. Stellt es sich heraus, daß „nur" ein Schadensersatzanspruch dem beweglichen Rechtsvoraussetzungssystem entspricht, so ergibt sich dies dann aufgrund eines „Einbaus" des Instituts des venire contra factum proprium i n einem Schadensersatz-Begründungstatbestand wie etwa dem der culpa i n contrahendo, sofern ein solcher nicht ohnehin vorliegt. Das hängt dann jeweils von dem zugrundeliegenden „Haupttatbestand" ab (vgl. dazu oben S. 83 f.).
424
Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 533, F n 43 a.
F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen Damit ist das Prinzip des venire contra factum proprium dargestellt. Es gibt aber noch Fälle, die auch mit diesem Terminus bezeichnet werden, die an dieser Stelle bisher keine Erwähnung gefunden haben. Es soll daher weiter untersucht werden, für welche Fallgestaltung der Begriff des venire contra factum proprium noch verwendet w i r d und ob dies zu Recht geschieht. Es handelt sich dabei u m Sachverhalte, die sich nicht durch das Vertrauensprinip begründen lassen. Ein Verstoß gegen das Prinzip des venire contra factum proprium soll deswegen gegeben sein, weil jemand nacheinander oder gleichzeitig zwei oder mehrere, für den Interessenschutz eines anderen unvereinbare Gestaltungen vornimmt, die i n „unlösbarem Widerspruch" stehen. 425 I. Unvereinbares Verhalten 1. In sich widersprüchliches Verhalten (unlösbarer Selbstwiderspruch) a) Beispielsweise hat der BGH i n einem Fall, i n dem der Käufer einer technischen Anlage wandeln, dennoch aber Einzelteile behalten und weiter benutzen wollte, das Wandelungsverlangen als m i t dem Behaltenwollen einzelner Teile i n Widerspruch stehend und deswegen als unzulässig angesehen.426 Hier läßt sich nicht argumentieren, der Verkäufer habe aus dem (gleichzeitig erklärten) Behaltenwollen der Teile schließen dürfen, der Käufer werde nicht wandeln. 4 2 7 b) Auch der i n der Einleitung (oben S. 14) genannte Fall des Beruf ens auf die Schiedsklausel i m ordentlichen Verfahren, nachdem i n Schiedsgerichtsverfahren die Unzuständigkeit gerügt worden war, 4 2 8 gehört i n diese Fallgruppe. 429 Hier dürfte es ebenso an einem Vertrauen des Klä425 Soergel / Knopp (10), §242 Rn229; MünchKomm-Roth, §242 Rn295, 321 ff.; Staudinger / Weber (11), §242 R n D 323 f. m N ; vgl. auch J a u e r n i g / Vollkommer, §242 A n m I I I 4 b a a ; Teichmann, JuS 1972, 247, 251; Gerhardt, AcP 169, 305; B G H B B 1971, 919. 426 B G H N J W 1972,155. 427 Soergel / Teichmann (11), § 242 Rn 315. 428 B G H Z 50,191. 429 Vgl. MünchKomm-Roth, § 242 R n 324; Jauernig / Vollkommer, § 242 A n m I I I 4 b aa; jeweils m i t weiteren Beispielen, die zum T e i l ebenfalls bereits oben S. 14 ff. erwähnt wurden.
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F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen
gers fehlen, der Beklagte werde, nachdem er i m Schiedsgerichtsverfahren trotz vereinbarter Schiedsklausel die Unzuständigkeit gerügt hatte, i m Verfahren vor dem ordentlichen Gericht keine entsprechenden Einwände mehr erheben. c) Ein typischer Anwendungsfall dieses Gedankens soll schließlich die Situation betreffen, daß jemand sich zu seinem Vorteil auf eine Rechtsvorschrift beruft, die er gleichzeitig selbst mißachtet. 430 So könne ein A r beitnehmer aufgrund des Verbots widersprüchlichen Verhaltens gegenüber Ansprüchen seines Arbeitgebers wegen nicht erbrachter Arbeitsleistungen nicht geltend machen, es habe ein Leistungsverweigerungsrecht wegen Überschreitung der Höchstarbeitszeit bestanden, wenn er i n derselben Zeit anderweitig gearbeitet hat. 4 3 1 d) I n all diesen Fällen liegt es nahe, an das Prinzip des venire contra factum proprium zu denken, da dies ja, wie sich schon aus der (freien) Übersetzung „widersprüchliches Verhalten" ergibt (vgl. oben S. 13), etwas mit Selbstwiderspruch zu tun hat. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß i n den dargestellten Fällen Widersprüchlichkeit i m Verhalten vorlag. Wie indessen oben dargelegt wurde (S. 38 ff.), ist es nicht das Verbot des Selbstwiderspruchs, das das Institut des venire contra factum proprium legitimiert, sondern ausschließlich der Vertrauensschutz. Der Selbstwiderspruch stellt auch keine spezifische Kennzeichnung des Prinzips des venire contra factum proprium dar, sondern setzt erst auf einer zweiten Ebene innerhalb des Vertrauensgedankens ein. Wie gezeigt wurde, ist zwar ein Widerspruch zu einem Vorverhalten bzw. zu einer hierdurch entstandenen Lage gegeben. Das Berufen auf diese Lage ist aber nicht wegen Selbstwiderspruchs unzulässig, sondern wegen Änderung der Rechtslage irrelevant und unterscheidet sich praktisch nicht von dem Behaupten einer Rechtslage, die i n Wirklichkeit nicht vorliegt (vgl. oben S. 41). Das Prinzip des venire contra factum proprium w i r d demnach einzig und allein dadurch gekennzeichnet, daß es als Ausfluß des Vertrauensgedankens eine materielle Rechtsänderung aufgrund gewisser Kriterien herbeiführt, und zwar unabhängig davon, ob sich jemand auf eine entgegengesetzte Lage beruft oder nicht. I n den hier fraglichen Fällen ist, genau wie bei Vorliegen eines venire contra fact u m proprium, ein Widerspruch zu einer bereits veränderten Rechtslage gegeben. Diese ist aber nicht aufgrund eines venire contra factum proprium entstanden, so daß diese Fälle diesem Institut nicht zuzurechnen sind. Sie zählen vielmehr zu anderen Instituten, die die entsprechende Rechtslage begründen. Dabei w i r d sich diese Rechtslage meist aus der de lege artis erfolgenden Gesetzesanwendung ergeben. So er430 431
So MünchKomm-Roth, § 242 Rn 322. Vgl. B A G B B 1968, 206.
I. Unvereinbares Verhalten
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gibt sich etwa die Zuständigkeit eines Gerichts, abgesehen von der Prorogation und der rügelosen Sacheinlassung, nicht durch Parteiverhalten, sondern aus den entsprechenden Vorschriften des GVG und der ZPO. Entweder war also i n dem hier fraglichen Fall das ordentliche Gericht ohnehin zuständig, oder aber es ist durch die Bindungswirkung der Verweisung geworden, die sich zumindest aus einer analogen Anwendung des § 281 ZPO ergibt. 4 3 2 Ähnlich ist i n den beiden anderen Fällen zu entscheiden. Die Wandelung begründet nach §§ 459, 462, 465, 346 ein Rückgewährschuldverhältnis, bei dem sämtliche empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind. Ist die Wandelung wirksam, so ist gemäß diesem Rückgewährschuldverhältnis zu verfahren, wobei ggf. über Einzelteile eine Zusatzvereinbarung möglich ist, §§ 305, 241. War die Wandelung nicht wirksam und bestand auch kein Anspruch, so ist die darauf gerichtete Klage abzuweisen. Ebenfalls bei dem „Arbeitnehmerfair ergibt sich die Lösung aus der Anwendung des Gesetzes bzw. anderer Institute des Rechtsmißbrauchs. So gehört dieser Fall offenbar i n die Fallgruppe des „turpitudinem suam allegans non auditur" (vgl. oben S. 32 f.) und zwar i n den Bereich des „ t u quoque". 433 e) Demgemäß sind § 814 1. Fall und der diesem entsprechende § 815 1. Fall 4 3 4 nicht auf das Prinzip des venire contra factum proprium zurückzuführen. 435 Zwar stellen das Leisten trotz Kenntnis der Nichtschuld und das anschließende Zurückfordern ein widersprüchliches Verhalten dar. Das allein bewirkt aber noch nicht den Einwand. Die mit dem Vorverhalten (Leistung trotz Kenntnis der Nichtschuld) verbundene Änderung der Rechtslage ergibt sich auch nicht aus dem Vertrauensschutzgedanken, da dieser nicht i n diesen Vorschriften erwähnt wird. Das bedeutet, daß sich die Rechtsfolge des Einwandes gegen die Rückforderung „bloß" aus dem Gesetz ergibt, das eben eine bestimmte „banale" Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck bringt und nicht einen „hehren, übergeordneten" Grundsatz. 2. Protestatio facto contraria M i t der eben genannten Fallgruppe eng verwandt ist die der protestatio facto contraria, 436 die ebenfalls mitunter als ein Unterfall des 432 Vgl. zur Rechtsfolge einer solchen Analogie etwa Zöller / Stephan, ZPO, § 281 A n m I I I e; Pukall, Zivilprozeß, R n 169 f. 433 MünchKomm-Roth, §242 Rn322, spricht v o n Angrenzungen an diese Fallgruppe. 434 Jauernig / Schlechtriem, § 815 A n m 1. 435 So allerdings B G H W M 1980, 1451; Larenz, SR I I , §691; J a u e r n i g / Schlechtriem, § 814 A n m 1. 436 Vgl. dazu v o r allem Teichmann, FS Michaelis, 294 ff.
7 Dette
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F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen
Prinzips des venire contra factum proprium verstanden wird. 4 3 7 Ein Lehrbuchfall für diese Fallgruppe ist der, bei dem jemand i n einer Gastwirtschaft auf dem Tisch stehende Brötchen an sich nimmt und gleichzeitig erklärt, keinen Vertrag schließen zu wollen. 4 3 8 Ein weiteres Beispiel ist der „Parkplatzfall", i n dem jemand auf einen gebührenpflichtigen Parkplatz fuhr und gleichzeitig äußerte, er werde nicht zahlen. 439 Auch bei dieser Fallgruppe liegen zwei unvereinbare Handlungen vor. Die Tatsache, daß die zweite dieser Handlungen, also der Protest, irrelevant ist, liegt aber nicht daran, daß die Parömie der Unbeachtlichkeit einer protestatio facto contraria diese Begründung i n sich trägt. 4 4 0 Das entspräche der Begründung eines venire contra factum proprium mit dem Hinweis auf die Unzulässigkeit eines widersprüchlichen Verhaltens, die wie dargelegt nicht ausreicht (vgl. oben S. 38). Vielmehr ist die protestatio aus anderen Gründen unbeachtlich, nämlich weil bereits durch die erste Handlung eine Rechtsänderung eingetreten ist. 4 4 1 Genauso wie beim Prinzip des venire contra factum proprium aber das w i dersprüchliche spätere Verhalten nichts mit der Entstehung der Rechtslage zu tun hat, hat es die unbeachtliche Protestation (ebenfalls ein w i dersprüchliches Verhalten). Jedoch entsteht die Rechtslage bei den Fällen des venire contra factum proprium aufgrund dieses Prinzips. Das ist bei der protestatio facto contraria hingegen nicht der Fall. Diese Parömie enthält keinen Rechtsgedanken, der eine Rechtsänderung bew i r k t . Sie bekräftigt vielmehr nur ein Ergebnis, das bereits aus anderen Gründen gewonnen wurde, und ist daher genauso überflüssig, 442 wie der Hinweis auf ein „Verbot eines widersprüchlichen Verhaltens". Beides bedeutet nur, daß der Betreffende an der einmal geschaffenen Lage nichts mehr ändern kann. Wie nun das Ergebnis, an dem das spätere Verhalten nichts mehr ändert, begründet wird, beim Prinzip des venire contra factum proprium aufgrund des Vorliegens der beschriebenen Merkmale (vgl. oben S. 57 ff.), ist bei den Fällen der protestatio facto contraria unerheblich, weil dieser Satz seinerseits das betreffende Ergebnis jedenfalls nicht 437 Riezler, Venire contra factum proprium, 116 ff.; Staudinger / Coing (11), A n m 9 v o r §116; Wieacker, JZ 1957, 61; Wieacker, FS O L G Celle, 1967, 269; Gudian, JZ 1967, 303; Hübner, A T , Rn43 u n d 545; vgl. auch Teichmann, Gesetzesumgehung, 46 f. 438 Vgl. Flume, A T I I , § 5, 5, S. 75 f. 439 Vgl. B G H Z 21, 319, 333, wobei der eigentliche Streitpunkt jedoch war, daß der Parkplatzbenutzer meinte, es dürfe für die Benutzung des Parkplatzes v o n Rechts wegen k e i n Entgelt gefordert werden. 440 So Flume, A T I I , § 5, 5 S. 76 F n 31. 441 Teichmann, FS Michaelis, 315. 442 Teichmann, FS Michaelis, 315; vgl. auch Köhler, JZ 1981, 464, 469, der die Regel „protestatio facto contraria non valet" ebenfalls teils für inhaltsleer, teils für falsch hält.
II. Obliegenheitsverletzung und Verschulden gegen sich selbst
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begründet. Dementsprechend kann es, zumindest i n diesem Zusammenhang, dahinstehen, ob sich die jeweilige Rechtslage wegen einer „normalen" Willenserklärung, deren Vorliegen ggf. erst durch Auslegung ermittelt werden kann, 4 4 3 oder aufgrund sog. faktischer Vertragsverhältnisse 444 ergibt. Auch wenn man der Ansicht ist, es sei gar keine entgegenstehende Rechtslage entstanden, weil man keinen Vertragsschluß aufgrund sozialtypischen Verhaltens für möglich hält und auch keine Willenserklärung oder einen anderen Entstehungsgrund der betreffenden Rechtslage annehmen will, 4 4 5 ändert dies nichts. Die Protestation ist nur scheinbar als solche beachtlich. I n Wirklichkeit entsteht die Rechtslage wiederum unabhängig von ihr. I I . Obliegenheitsverletzung und Verschulden gegen sich selbst 1. Zusammenhang mit dem Prinzip des venire contra factum proprium Auch die Obliegenheitsverletzungen 446 und das Verschulden gegen sich selbst 447 werden mit dem Prinzip des venire contra factum proprium i n Zusammenhang gebracht. 448 So w i r d formuliert, die Sanktion der Obliegenheitsverletzung beruhe auf dem Prinzip des venire contra factum proprium 4 4 9 und ein Verschulden bei Obliegenheitsverletzungen könne allenfalls als ein venire contra factum proprium begriffen werden. 450 Weiter w i r d die Ansicht vertreten, § 254 und § 351 beruhten auf dem Verbot des venire contra factum proprium und deshalb sei auf ein Verschulden gegen sich selbst abzustellen. 451 Schließlich w i r d auch ausge443
So w o h l i m oben S. 98 dargestellten „Brötchenfall". Vgl. dazu n u r Esser, AcP 157, 86; Larenz, N J W 1956, 1897; Lehmann, N J W 1958, 1; Wieacker, FS O L G Celle, 1961, 263. 445 Jauernig, A n m 5 v o r § 145; Köhler, JZ 1981, 464; Gudian, JZ 1967, 303. 446 Ausdruck u n d Begriff der Obliegenheit stammen aus dem Privatversicherungsrecht, Wieling, AcP 176, 334, 347; i n die allgemeine Zivilrechtsdogm a t i k wurde diese Rechtsfigur durch R. Schmidt, Die Obliegenheiten, eingeführt. 447 Der Ausdruck stammt von Zitelmann, A T , 152 f., 166 ff. 448 Vgl. Wieling, AcP 176, 334 ff., der seinen Aufsatz „Venire contra factum p r o p r i u m u n d Verschulden gegen sich selbst" nennt. 449 Vgl. Wieling, A c P 176, 334; R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 317; Hanau, AcP 165, 239; vgl. auch Zitelmann, A T , 167; Enneccerus / Nipperdey, SR, §213 V. 450 So Wieling, AcP 176, 334, 349; R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 122; vgl. auch Zitelmann, A T , 152 f.; Enneccerus / Nipperdey, SR § 213 V. 451 Wolf, AcP 153, 131; Flessner, N J W 1972, 1777, 1781; Teichmann, JuS 1972, 247, 251; Staudinger / K a d u k (12), §351, R n 2 0 f f . ; Erman / H. P. Westermann, §351 Rn 2; MünchKomm-Janßen, §351 R n 4 ; Soergel / R. Schmidt (10), §351 Rn 2; ähnlich auch Palandt / Heinrichs, § 351 A n m 2 (zurechenbare Unachtsam444
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F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen
führt, ein Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium könne aus einem Verschulden gegen sich selbst folgen. 452 Soweit ersichtlich, w i r d allerdings nirgends begründet, worin dieser Zusammenhang zwischen Verschulden gegen sich selbst, Obliegenheitsverletzungen und dem Prinzip des venire contra factum proprium besteht. a) Um dies zu klären, ist zunächst etwas näher auf die Obliegenheiten einzugehen. Es handelt sich dabei u m Verhaltensanforderungen, denen nachzukommen i m eigenen Interesse des Belasteten liegt. Streitig ist hierbei, welche Rechtsnatur der Obliegenheit zuzuerkennen ist. Nach der sog. Verbindlichkeitstheorie 453 handelt es sich bei den Obliegenheiten u m echte Rechtspflichten mit abgeschwächter Sanktion. Dagegen nimmt die Obliegenheitstheorie keine echte Rechtspflicht an, sondern nur eine Verhaltensanforderung i m eigenen Interesse. 454 Obliegenheiten können vertraglich vereinbart oder gesetzlich angeordnet sein. Das ist etwa bei §§ 111 S 2; 121; 149 S 1; 174 S 1; 293—304; 539; 625; 703; 960 Abs 2; 961; 1045; 1994 BGB; §§95 Abs 3 S 2; 362; 377; 438 Abs 3 HGB der Fall. I m Prozeßrecht spricht man entsprechend von Lasten, zB von Einlassungs- oder Beweislast. 455 Vielfach handelt es sich dabei u m Erklärungsobliegenheiten, bei denen ein Berechtigter dem Gegner unverzüglich eine Erklärung zukommen lassen muß, etwa i n §111 S 2; 121; 149 S 2; 174 S 1; 625; 703; 960 Abs 2; 961 BGB; §§ 95 Abs 3 S 2; 362; 377 Abs 1; 438 Abs 3 HGB. Es gibt Obliegenheiten, die ein Verschulden voraussetzen und andere, bei denen das nicht der Fall ist. Rechtsfolge einer Obliegenheitsverletzung ist ein Rechtsverlust. 456 Untersucht man nun, aus welchen Gründen angenommen werden könnte, daß die Obliegenheitsverletzungen i n den Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium gehören, so ergeben sich hierfür drei Möglichkeiten. aa) Die eine ist die, daß sich jemand widersprüchlich zu der Obliegenheitsverletzung verhält, indem er etwa trotz dieser ein Recht geltend macht. Dies ist zwar ein widersprüchliches Verhalten. Das kennzeichnet ein venire contra factum proprium jedoch nicht (vgl. oben S. 38 ff.). bb) Ein venire contra factum proprium liegt vielmehr nach dem hier vorgeschlagenen Verständnis nur dann vor, wenn sich aufgrund der oben dargestellten Merkmale (S. 57 ff.) eine materielle Rechtsänderung keit i n eigenen Angelegenheiten); RGRK-Ballhaus, § 351 R n 8 (zurechenbare Unvorsichtigkeit i n eigenen Angelegenheiten). 452 Vgl. Staudinger / Weber (11), § 242 R n D 340. 453 Fikentscher, SR, § 16 I I 2 b; Nachweise bei Bruck / Möller, W G , § 6 Ν . 9. 454 Larenz, A T , § 12 I I d; Enneccerus / Nipperdey, § 74, 4; Palandt / Heinrichs, 4 v o r § 254; Koehler, A T , S.46. 455 Wieling, AcP 176, 334, 346. 456 Vgl. Wieling, AcP 176, 334, 352.
II. Obliegenheitsverletzung und Verschulden gegen sich selbst
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ergibt. Aber auch das ist bei der Obliegenheitsverletzung nicht der Fall. Die Rechtsänderung folgt nämlich unmittelbar aus dem Gesetz, 457 wobei etwa ein Vertrauen, der andere werde seine Obliegenheiten wahren, nicht erforderlich ist. Grundlage der Sanktion bei den Obliegenheitsverletzungen ist demnach ein Pflichtverletzungsprinzip. Wenn diese Pflicht auch — insoweit stimmen die oben dargestellten Ansichten zur Rechtsnatur dieser Pflicht überein (vgl. oben S. 100) — nicht identisch mit einer einklagbaren Pflicht gegenüber einem anderen ist, so kann man sie doch immerhin als Pflicht statuieren und ihre Verletzung feststellen. Zumindest kann man somit von einer Pflichtverletzung gegen sich selbst sprechen. Beim Prinzip des venire contra factum proprium ist die Verletzung einer, wenn auch nur eingeschränkten Pflicht hingegen nicht erforderlich. Daher läßt sich auch aus diesem Gesichtspunkt keine Berechtigung der Zuordnung zu diesem Institut gewinnen. cc) Schließlich könnte immerhin die Bezeichnung m i t dem Begriff venire contra factum proprium nicht völlig unberechtigt sein. Dies ergibt sich daraus, daß man diesen Begriff, anders als oben (S. 13) dargestellt, auch wie folgt übersetzen könnte: „Zum eigenen Nachteil verkaufen". Dies ergibt sich daraus, daß „venire" auch als venum ire = zum Verkauf bringen, verstanden werden kann. 4 5 8 Dieses Verkaufen zum eigenen Nachteil hat dann die übertragene Bedeutung: „Pflichtverletzung gegen sich selbst". 459 Danach könnte man von zwei verschiedenen Prinzipien des venire contra factum proprium sprechen. Dem zuletzt genannten kommt jedoch nur eine Bezeichnungsfunktion zu. Denn es ist jedem unbenommen, sich selbst zu schaden. Bereits aus den §§ 989 ff. folgt, daß die Selbstschädigung als solche nicht rechtswidrig ist. 460 Auch aus der „Gliedstellung" des Rechtsgenossen i n der Rechtsgemeinschaft kann eine Rechtspflicht zur Unterlassung von Selbstschädigungen 461 nicht geschlossen werden. Den Verfassern des BGB lag die Annahme einer solchen Pflicht ebenfalls fern. 462 Da diese Selbstschädigung auch ein widersprüchliches Verhalten sein kann, könnte man zwar hierin wiederum einen Bezug zu dem anderen Prinzip sehen. Dieses baut aber, wie dargelegt, gerade nicht auf dem Verbot des widersprüchlichen Verhaltens auf, so daß dieses „venire contra factum proprium aufgrund einer Pflichtverletzung gegen sich selbst" keinen prinzipiellen, sondern tatsächlich nur einen beschreibenden Charakter hat. 457 Vgl. Wieling, A c P 176, 334, 352. 458 vgl. Luggauer, Juristenlatein, 274. 459 Vgl. Köhler, A T , S. 46, der Obliegenheiten als „Pflichten gegen sich selbst" bezeichnet. 460 B G H VersR 1959, 135. 461 Nachweise bei R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 108. 462 Soergel / R. Schmidt (10), § 254 R n 12.
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F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen
b) Ähnlich liegt es bei dem Verschulden gegen sich selbst. 463 Handelt es sich bei den Obliegenheitsverletzungen u m Pflichtverletzungen gegen sich selbst, kann insoweit, sofern Verschulden vorausgesetzt ist, hiermit nicht echtes Verschulden i m Sinne des § 276 gemeint sein. Die diesem Pflichtverletzungsprinzip angemessene Verschuldensform ist daher als Verschulden gegen sich selbst zu verstehen. Diese kann dem Prinzip des venire contra factum proprium genauso zugeordnet bzw. nicht zugeordnet werden, wie dies für Obliegenheitsverletzungen gilt. aa) Das bloße Geltendmachen eines Rechts, das aufgrund einer Obliegenheitsverletzung nicht mehr besteht, stellt auch auf der Verschuldensebene kein venire contra factum proprium dar (vgl. schon oben S. 38 f.). 464 bb) Auch ein Bezug zu dem hier darzustellenden Prinzip des venire contra factum proprium ist nicht ersichtlich. Dieses setzt, wie dargelegt (s. oben S. 33, 45), keinerlei Verschulden voraus und auch das Zurechnungsprinzip ist nicht m i t einem Verschulden gegen sich selbst vergleichbar. cc) Demnach bleibt auch für das Verschulden gegen sich selbst nur ein Zusammenhang zu dem aus der oben (S. 101) dargestellten Übersetzung folgenden, beschreibenden venire contra factum proprium übrig. 2. Ergebnis Dieses beschreibende venire contra factum proprium ist aber, abgesehen davon, daß es keinen prinzipiellen und begründeten Charakter hat, auch kein treffender Terminus. Die Begriffe „Pflichtverletzung gegen sich selbst" (Öbliegenheitsverletzung) und „Verschulden gegen sich selbst" beschreiben die entsprechenden Sachverhalte und Institute weitaus besser. Daher sollte zum besseren Verständnis und, u m Verw i r r u n g zu vermeiden, der Begriff des venire contra factum proprium für diesen Bereich nicht mehr verwendet werden. I I I . Handeln auf eigene Gefahr Auch der Haftungsausschluß beim sog. Handeln auf eigene Gefahr soll aus dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium gerechtfertigt sein. 465 Es fragt sich, ob dies zutrifft. 463 Vgl. eine rechtshistorische Untersuchung dieses Begriffs v o n MayerMaly, FS Käser, S. 229 ff. 464 Wieling, A c P 176, 334, 351 würde allenfalls dies als (echtes) Verschulden ansehen. Ansonsten meint er w o h l auch, daß bei Obliegenheitsverletzungen ein Verschulden gegen sich selbst ausreichend ist. 465 Staudinger / Weber (11), §242 R n D 341; Soergel/ Knopp (10), §242 Rn
III. Handeln auf eigene Gefahr
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1. Hierbei läßt sich schon feststellen, daß der Vertrauensschutzgedanke nicht das tragende Prinzip des Handelns auf eigene Gefahr ist. So läßt sich nämlich etwa eine Haftungsbeschränkung zwischen den Teilnehmern an einem verletzungsträchtigen oder gefährlichen Sport 466 nicht damit begründen, der einzelne habe einen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, daß er den Schädiger bei einer Verletzung nicht i n Anspruch nehmen werde. 2. Die Tatsache, daß dieser Gedanke dem Bereich des venire contra factum proprium zugeordnet wird, läßt sich demnach wiederum nur damit erklären, daß das Geltendmachen von Ansprüchen trotz Handelns auf eigene Gefahr oder weil das Risiko aus anderen Gründen von dem Betreffenden zu tragen war, ein widersprüchliches Verhalten darstellt. 467 Dies ist aber, wie dargelegt (vgl. oben S. 38 f.), kein Kennzeichen des venire contra factum proprium, sondern ausschließlich das Behaupten einer nicht bestehenden Rechtslage. 3. Die Rechtsfolge, daß kein Schadensersatzanspruch besteht, t r i t t auch nicht durch das Prinzip des venire contra factum proprium ein, sondern folgt unmittelbar aus einem anderen Prinzip. Nicht zutreffend ist es zwar, auf die Zufälligkeit der Schadensentstehung abzustellen, 468 da man sonst zB i m Straßenverkehr selten zur Bejahung von Schadensersatzansprüchen käme. Es ist vielmehr so, daß jemand, der auf eigene Gefahr handelt, keinen anderen für seinen Schaden i n Anspruch nehmen, 469 seinen Schaden nicht unzulässigerweise auf einen anderen überwälzen darf. 470 Eine Risikoabwälzung, jedenfalls nach Schadenseintritt, 4 7 1 ist deshalb unzulässig, weil jeder das ihn treffende Risiko 239; R. Schmidt, Die Obliegenheiten, 109 ff.; s. auch Enneccerus / Lehmann, 76; Fischer, Gefälligkeitsfahrt, 12; Flad, Recht, 15; Schneyer, Das „Handeln auf eigene Gefahr" als Anwendungsfall der Unzulässigkeit eines venire contra factum proprium", 43; Gottschol, Handeln auf eigene Gefahr, 21 f.; ebenso Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, der sich aber entschieden gegen eine A n wendung ausspricht, da stets §254 eingreife; ähnlich MünchKomm-Grunsky, § 254 R n 2; vgl. auch Teichmann, J A 1979, 296 f. S. zB B G H Z 63, 140 (Fußballspiel); O L G Celle, VersR 1980, 874 (Motorradfahren). 467 Vgl. Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, 315 ff.; Schneyer, Das Handeln auf eigene Gefahr als Anwendungsfall der Unzulässigkeit eines „venire contra factum proprium", 68 ff.; Staudinger / Weber (11), §242 R n D 3 4 2 ; typisch daher gerade die Einordnung des Fußballspielerfalles, B G H Z 63, 140 (oben F n 466), als Beispiel für ein venire contra factum p r o p r i u m bei Köhler, B G B A T , S. 45. 468 So B G H Z 63, 140. 469 Vgl. auch Jauernig / Teichmann, § 254 A n m 5 b dd. 470 MünchKomm-Grunsky, §254 R n 3 6 f . ; vgl. auch Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr, § 5 V, S. 103. 471 Haftungsfreizeichnungen v o r Schadenseintritt betreffen eine andere Problematik.
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selbst zu tragen hat. 4 7 2 Das gilt insbesondere auch für das allgemeine Lebensrisiko 473 und für den zufälligen Schaden des Eigentümers, casum sentit dominus. Ein Schaden ist also ohne weiteres von dem zu tragen, bei dem er entsprechend seinem i h m zukommenden Risiko auch eingetreten ist. 474 Zudem folgt dies i n aller Regel aus § 254. 475 4. Nun w i r d allerdings die Ansicht vertreten, diese Vorschrift selbst sei eine Ausprägung des Prinzips des venire contra factum proprium. 4 7 6 Das verwundert aufgrund des zuvor dargestellten Zusammenhangs dieser Norm zum Handeln auf eigene Gefahr nicht. 477 Es ist aber zu vermuten, daß diese Einordnung daher ebenfalls unzutreffend ist. Dennoch soll ihr noch etwas näher nachgegangen werden, wobei zunächst der Aufbau der Vorschrift darzustellen ist. Die Rechtsfolge ist i n § 254 Abs 1 2. HS formuliert. Weiter gibt es drei Tatbestände: § 254 Abs 1 setzt das M i t w i r k e n des Geschädigten bei der Rechtsgutsverletzung voraus; § 254 Abs 2 S 1 betrifft das Unterlassen einer Warnung durch den Geschädigten (1. Fall) und das Unterlassen einer Schadensabwendung oder -minderung (2. Fall); §254 Abs 2 S 2 regelt schließlich durch den Verweis auf § 278 das Einstehenmüssen für ein etwaiges Drittverschulden. 478 a) Aufgrund des Vertrauensschutzes besteht wiederum kein Bezug zum Prinzip des venire contra factum proprium, da kaum ein schutzwürdiges Vertrauen vorliegen dürfte, jemand würde sich nicht selbst schädigen (vgl. oben S. 101). b) Auch der Hinweis, es läge ein widersprüchliches Verhalten vor, wenn jemand trotz eigener Mitverantwortung vollen Schadensersatz fordere, 479 kennzeichnet, wie schon wiederholt dargelegt (oben S. 38 f., 472
Vgl. auch Riezler, Venire contra factum proprium, 131 ff. Vgl. Soergel / Teichmann (11), § 242 R n 230; vgl. zu dieser Problematik i m Schadensersatzrecht Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 13 ff.; so m i t anderer Formulierung auch Kegel, Gutachten zum 40. D J T I, 138, 200; Flume, FS D J T 1,207,220 ff. 474 Esser / Schmidt, SR A T I 2, § 254, 122 m i t k r i t . Stellungnahme zum Begriff des Lebensrisikos selbst. 475 Vgl. S toll, Das Handeln auf eigene Gefahr, 315 ff.; M ü n c h K o m m Grunsky, § 254 R n 2. 476 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 58; Palandt / Heinrichs, §254 A n m 1 a; Soerg e l / K n o p p (10), §242 Rn 239; Soergel / R. Schmidt, §254 R n 13; Teichmann, JuS 1972, 247, 251; B G H Z 34, 355, 364 f.; 56, 163, 169; N J W 1974, 798; 1977, 797, 798; MünchKomm-Grunsky, für „Verschulden gegen sich selbst" gegen E i n ordnung beim Prinzip des venire contra factum p r o p r i u m nach § 254 Abs. 1 u n d 2 unterscheidend Wieling, AcP 176, 334, 350. 477 Soergel / R. Schmidt, § 254 R n 13; Dunz, JZ 1961, 406. 473 Vgl. dazu insgesamt Jauernig / Teichmann, § 254 A n m 1 b. 479 Palandt / Heinrichs, § 254 A n m 1 u n d § 242 A n m 4 C e; Soergel / R. Schmidt, § 254 R n 13; Larenz, SR I, § 311 a A n m 1; Wieling, A c P 176, 334, 351; B G H Z 34, 363; N J W 1970, 756; 1978, 2024, 2025. 473
IV. Verstoß gegen das Synallagma
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102, 103), kein venire contra factum proprium, da dies lediglich eine, wenn auch nicht aussichtsreiche, Rechtsverfolgung darstellt, gegen die als solche nichts einzuwenden ist. c) Auch die Grundlage der Änderung der Rechtslage, Beschneidung des Schadensersatzanspruchs, folgt nicht aus dem Prinzip des venire contra factum proprium. Sie ergibt sich vielmehr aus der Anordnung i m Gesetz, die eine (bzw. mehrere) Obliegenheiten statuiert. 4 8 0 Deren Verletzen löst dann die Rechtsfolge aus, wobei das Verschulden insoweit als Verschulden gegen sich selbst zu verstehen ist. 481 Dementsprechend ergibt sich für § 254 nur ein Bezug zum Begriff des venire contra factum proprium (vgl. oben S. 101 f.). Daher gilt das oben zu den Obliegenheitsverletzungen allgemein Ausgeführte entsprechend (vgl. S. 99 ff.), so daß § 254 insgesamt — wie auch das Handeln auf eigene Gefahr — nicht mehr dem Bereich des Prinzips des venire contra factum proprium zugerechnet werden sollte. IV. Verstoß gegen das Synallagma 1. Ähnlich dem „ I n sich widersprüchlichen Verhalten" w i r d auch der Verstoß gegen das Synallagma zum Anwendungsbereich des venire contra factum proprium gezählt. 482 Dabei stellen die eigene Vertragsuntreue und der eigene Gesetzesverstoß (vgl. dazu oben S. 34) ebenfalls einen Verstoß gegen das Synallagma dar. 483 Diese Sonderfälle des Rechtsmißbrauchs sind hier aber nicht gemeint. A n dieser Stelle soll vielmehr untersucht werden, ob sich aus einem Verstoß gegen das Synallagma aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium Rechtsfolgen ergeben. a) Auszuscheiden ist wiederum (vgl. schon oben S.41) der Fall der Geltendmachung eines (nicht mehr) bestehenden Anspruchs. b) Es könnte aber durchaus der Fall sein, daß der Verstoß gegen das Synallagma eine Rechtsfolge aufgrund des Prinzips des venire contra factum proprium ergibt, da die synallagmatische Bindung durch das 480 Soergel / R. Schmidt, § 242 R n 14; R. Schmidt, Die Obliegenheitsverletzungen, 105; Larenz, S R I , § 1 4 V a , F n l ; Enneccerus/Lehmann, §3; a . A . K l e i n dienst, JZ 1957, 458; insbesondere Staudinger / Werner (11), §254 Rd27 m w N . 481 Wieling, AcP 174, 334, 350, h ä l t dies zumindest bei § 254 Abs. 1 für eine reine Kausalitätsfrage. 482 Soergel / Knopp (10), §242 Rn241; Hohmann, J A 1982, 114; ähnlich MünchKomm-Roth, § 242 Rn 375, der aber eine „dem widersprüchlichen Verhalten" verwandte Gruppe des „mangelnden korrespondierenden Verhaltens" bildet; vgl. auch RGZ 91, 359. 483 Vgl. MünchKomm-Roth, §242 Rn375, der diese konsequenterweise i n die oben erwähnte (s. F n 482) Fallgruppe aufnimmt.
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F. Venire contra factum proprium in anderen Fallgestaltungen
Verhältnis des „do, ut des" der gegenseitigen Leistungen definiert wird. 4 8 4 Dies könnte einen Vertrauenstatbestand begründen, wie er auch aus dem „pacta sunt servanda-Gedanken" abgeleitet werden kann (vgl. oben S. 45 ff.). Indessen w i r d zwar der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch das Gesetz an zahlreichen Stellen Rechnung getragen. Es ist jedoch fraglich, ob dies aufgrund des Vertrauensschutzes geschieht. Es handelt sich wohl eher u m eine besondere Systematik, die der Regelung der Leistungsstörungen dient. Deren Abwicklung soll nämlich auf der Basis des zugrundeliegenden Verhältnisses der Leistungen erfolgen können. 2. Es fragt sich jedoch noch, ob nicht durch die Untersuchung der Ausprägungen und Institute, die dem Bereich „Verstoß gegen das Synallagma" zugerechnet werden, ein Anhaltspunkt für einen solchen Bezug zu erkennen ist. a) Wichtigster gesetzlicher Anwendungsfall dieses Satzes ist § 351,485 der infolgedessen für eine Ausprägung des Grundsatzes des Verbots des venire contra factum proprium gehalten wird. 4 8 6 Die Vorschrift hat als Rechtsfolge den Ausschluß des Rücktrittsrechts. 487 Daraus folgt, daß der maßgebliche Zeitraum vor Rücktritt oder Vollzug der Wandelung liegt. Eine nach diesem Zeitpunkt erfolgende Anwendung des Prinzips des venire contra factum proprium hätte daher mit dem Gedanken dieser Norm selbst nichts zu tun, obwohl das nach den allgemeinen Grundsätzen möglich ist. 488 Als relativ unproblematisches erstes Tatbestandsmerkmal ist Untergang oder Unmöglichkeit der Herausgabe vorausgesetzt. 489 I m übrigen ist weiter zu differenzieren: aa) Bei vertraglichem Rücktrittsrecht wußte der Rücktrittsberechtigte, daß er möglicherweise zur Herausgabe der Sache verpflichtet sein würde. Er muß daher die Sache so behandeln, daß dies nicht unmöglich wird. I h n t r i f f t also eine Pflicht zur sorgfältigen Behandlung der Sache dem anderen gegenüber. 490 Als Verschuldensmaßstab gilt daher § 276. 491 bb) Das gesetzliche Rücktrittsrecht ist etwas komplizierter. Daher ist weiter zu differenzieren: 484
Vgl. n u r Hohmann, J A 1982, 114. Soergel / Knopp (10), §242 Rn241. 486 Wolf, A c P 153, 131; B G H N J W 1972, 155 m i t A n m . Rohlff N J W 1972, 555; Enneccerus/ Lehmann, §391; Soergel/ R. Schmidt (10), §351 R n 4 ; P a l a n d t / Heinrichs, § 351 A n m 2; Jauernig / Vollkommer, § 351 A n m 1. 487 Jauernig / Vollkommer, § 351 A n m . 3. 488 Vgl. B G H N J W 1960, 2331; B G H Z 72, 155, 156. 489 Jauernig / Vollkommer, § 351 A n m 2. 490 MünchKomm-Janßen, §351 R n 4 . 491 Jauernig / Vollkommer, § 351 A n m 2 c aa. 485
IV. Verstoß gegen das Synallagma
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(1) Nach Kenntnis des Vorliegens eines Rücktrittsgrundes ist dieselbe Situation wie bei vertraglich vereinbartem Rücktritt gegeben. Insoweit treten also keine Besonderheiten auf. 492 (2) Vor Kenntnis des Vorliegens eines Rücktrittgrundes läßt sich dagegen eine Pflicht zur sorgfältigen Behandlung nicht statuieren. Es läßt sich daher nur an eine Obliegenheit denken, i n eigenen Angelegenheiten sorgfältig zu handeln, die dann durch eine entsprechende Handlung verletzt w i r d (vgl. dazu oben S. 99 ff.). Auch bei dem erforderlichen Verschulden ist § 276 nicht einschlägig, da man ja m i t seiner Sache so verfahren darf, wie man will, 4 9 3 sofern keine Pflicht einem anderen gegenüber gegeben ist. Deswegen kann hier auch nur ein Verschulden gegen sich selbst (vgl. dazu oben S. 102) als Verschuldensmaßstab gelt e n 4 9 4 Das bedeutet, daß wiederum nur der Begriff des venire contra factum proprium gegeben ist, der hier, genau wie bei Pflichtverletzung (Obliegenheitsverletzung) und Verschulden gegen sich selbst vermieden werden sollte (vgl. oben S. 102). b) Es fragt sich, ob sich ähnliches zur Saldotheorie sagen läßt, die ebenfalls auf der Wirkung des Synallagmas und damit auf dem Prinzip des venire contra factum proprium beruhen soll. 495 aa) Der Grund einer solchen Zuordnung sollte wiederum nicht der Widerspruch zu einer schon anderweitig entstandenen Rechtslage sein (vgl. oben S. 38 ff.). bb) Weiterhin ist auch deutlich, daß kein Vertrauen darauf vorliegen muß, der seinerseits Entreicherte werde seine eigene Leistung nicht zurückverlangen. cc) Diese Rechtsfolge, daß es dem Entreicherten verwehrt ist, seine Leistung zurückzuverlangen, wenn er sich auf Entreicherung beruft — bzw., daß er dies nicht mit Erfolg kann — ergibt sich aber auch i m übrigen nicht aus dem Prinzip des venire contra factum proprium. Daran könnte man zwar denken, weil dieses Verhalten i n sich widersprüch492 Jauernig / Vollkommer, § 351 A n m 2 c bb meint allerdings, schon jede Weiterbenutzung sei schuldhaft; so auch L G Bonn N J W 1977, 1810 m i t ablehnender A n m . Dörner N J W 1977, 1970. 493 MünchKomm-Janßen, §351 R n 4 ; Jauernig / Vollkommer, §351 A n m 2 ebb. 494 MünchKomm-Janßen, §351 R n 4 ; Flessner, N J W 1972, 1777, 1781; Staud i n g e r / K a d u k (12), §351 Rn 20 ff.; Soergel / R. Schmidt (10), §351 R n 2 ; w e i tergehend Larenz, S R I , § 2 6 b 1: jedes risikoerhöhende Verhalten. 495 V. Caemmerer, FS Rabel I, 386; v. Caemmerer, GS I 262 f.; v. Caemmerer, FS Larenz, 634; Esser, A c P 157, 87, 95; Blomeyer, AcP 154, 527, 535; Soergel/ Knopp (10), §242 Rn241; Rengier, A c P 177, 418, 438 f.; Wieling, JuS 1973, 399; Wieling, AcP 176, 334, 345; RG SeuffA 82 N r 40; RGZ 91, 359; 130, 215, 216; ähnlich MünchKomm-Roth, § 242 R n 374 (Fn 905).
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lieh erscheint. Wie dargelegt, kennzeichnet auch dies jedoch nicht das Institut des venire contra factum proprium (vgl. oben S. 38 ff.). Diese Rechtsfolge folgt vielmehr aus der richtigen Anwendung der Vorschrift des § 818 Abs 3, wobei Gedanken von der „Fortwirkung des Synallagmas" eine Rolle spielen mögen. 496 Dies ist jedoch kein Anwendungsfall des Prinzips des venire contra factum proprium (vgl. schon oben S. 105 ff.). Vielmehr geht es auch hier u m die interessengerechte Zuweisung des Risikos, das eben i n der Regel derjenige zu tragen hat, der einen Gegenstand willentlich i n sein Vermögen eingliedert. 497 Daher sollte das Prinzip des venire contra factum proprium auch bei der Saldotheorie nicht erwähnt werden. Damit hat auch die Untersuchung der Ausprägungen des Verbots des Verstoßes gegen das Synallagma keinen Bezug zum Prinzip des venire contra factum proprium ergeben, so daß für diese Fallgruppen insgesamt auf diesen Gedanken zur Ergebnisbegründung von Entscheidungen nicht zurückgegriffen werden kann.
496 Vgl. n u r v. Caemmerer, GS I, 262; v. Caemmerer, FS Larenz, 634; R G R K Heimann-Trosien, §812 Rn61. 497 Vgl. Flume, N J W 1970, 1161, 1163; s. dazu auch, allerdings i m Hinblick auf Drei-Personen-Verhältnisse, Canaris, FS Larenz, 799, 814 ff.
G. Zusammenfassung und Ergebnis I. Thesen 1. Venire contra factum proprium (nulli conceditur) ist ein zwar bereits den Römern bekanntes Prinzip. Aber allein aus diesem Rechtsprichwort (Parömie) läßt sich i m heutigen Recht keine Ergebnisbegründung herleiten. Daher war zu untersuchen, ob dies aufgrund eines dahinterstehenden Gedanken möglich ist. (Vgl. S. 13 ff.) 2. Die Idee des venire contra factum proprium w i r d (zu Recht) dem individuellen Rechtsmißbrauch zugerechnet. (Vgl. S. 31) Diese Zuordnung erbringt jedoch noch nicht die erforderliche Legitimation. Selbst wenn es sich beim Rechtsmißbrauchsgedanken um ein allgemeines Prinzip handelte, müßte die Herleitung einzelner untergeordneter Institute jeweils gesondert begründet werden. (Vgl. S. 37 f.) 3. Der Rechtsmißbrauch seinerseits w i r d aus § 242 abgeleitet. Das ist nicht zutreffend, denn das Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln, ist von dem Verbot des Rechtsmißjprauchs streng zu unterscheiden. Schon daher folgt auch aus § 242 keine Legitimation für das Prinzip des venire contra factum proprium. Selbst bei anderer Ansicht zum Verhältnis von Gebot, nach Treu und Glauben zu handeln, und Rechtsmißbrauchsverbot, erforderte die Ausfüllung der Generalklausel des § 242 eine genaue Einzelbegründung für derart verselbständigte Institute, wie das des venire contra factum proprium. (Vgl. S. 27 ff., 25, 37) 4. Bisher wurde formuliert, eine Rechtsverfolgung sei unzulässig, wenn sich jemand zu seinem eigenen früheren Verhalten i n Widerspruch setze. Dies ist aus zweierlei Gründen unzutreffend. Zum einen läßt sich nicht begründen, warum jemand sich nicht selbst widersprechen darf, so daß dies kein Grund sein kann, ein späteres widersprüchliches Verhalten zu verbieten. (Vgl. S. 38) Zum anderen ist die Terminologie „Unzulässigkeit einer Rechtsausübung" nur aus dem aktionenrechtlichen Denken der Römer verständlich. Nach heutigem Recht ist materiellrechtlich zu formulieren, so daß Rechtsfolge nur sein kann, daß eine materielle Rechtsänderung eingetreten ist. (Vgl. S. 39) Daraus folgt, daß es völlig unerheblich ist, ob entgegen der veränderten Rechtslage Ansprüche geltend gemacht bzw. bestritten werden oder nicht. (Vgl. S. 41 f.)
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G. Zusammenfassung und Ergebnis
5. Die Grundlage des Prinzips des venire contra factum proprium findet sich i m Vertrauensschutzgedanken, der auf einer indirekten Ebene durch das Widerspruchselement, das Aufeinanderbezogensein zweier Verhaltensweisen, für dieses Institut spezifisch gekennzeichnet wird. (Vgl. S. 45 ff.) 6. Die Konkretisierung der Einzelkriterien, bei der das Vorliegen eines venire contra factum proprium anzunehmen ist, erfolgt nach einem beweglichen System. (Vgl. S. 54 ff.) Darin finden vor allem Vorverhalten, Vertrauen, Vertrauensdisposition, Schutzwürdigkeit des Vertrauens und Zurechenbarkeit Berücksichtigung. (Vgl. S. 57 ff.) Liegt das Vorverhalten als Unterlassen vor, ist die sog. Verwirkung gegeben. (Vgl. S. 58 ff.) 7. Rechtsfolge des Prinzips des venire contra factum proprium ist, wie gesagt, eine materielle Rechtsänderung. Diese w i r d dadurch konstruiert, daß dieses Institut quasi als „Joker" i n einem Haupttatsbestands-/ Rechtsfolgesatz eingebaut wird. Dort w i r k t es dann als Ersatz fehlender Tatbestandsmerkmale, als negatives Tatbestandsmerkmal, als Einwendung, Einrede oder als negatives Tatbestandsmerkmal von Einwendungen oder Einreden. Das führt dazu, daß es sowohl zu Anspruchsvernichtungen, wie auch -begründungen kommen kann. (Vgl. S. 83 ff.) 8. Es gibt verschiedene Fallgestaltungen, die ebenfalls mit dem Bereich des venire contra factum proprium i n Verbindung gebracht werden, ohne daß sie auf das Vertrauensprinzip zurückgeführt werden könnten. Hierzu gehören der unlösbare .Selbstwiderspruch, ObliegenheitsVerletzungen und Verschulden gegen sich selbst, Handeln auf eigene Gefahr und § 254, Verstoß gegen das Synallagma und § 351 sowie die Saldotheorie. Dies ist zwar aus der bisherigen Terminologie heraus verständlich, sollte aber zukünftig unterbleiben, weil sich die Rechtsfolge dieser Fallgruppen aufgrund anderer Prinzipien ergeben. (Vgl. S. 95 ff.) II. Ausblick Es ist zu hoffen, daß zukünftig vor allem bei der Anwendung von nebengesetzlichen Rechtsinstituten der dahinterstehende Gedanke deutlich gemacht wird, anstatt die (meist zwar wohl richtigen) Ergebnisse lediglich auf Pauschalbegründungen zu stützen. Das würde die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit erhöhen und den Vorwurf reiner Billigkeitsrechtsprechung entkräften.
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