Varianten der Pronominaladverbien im Neuhochdeutschen: Grammatische und soziolinguistische Untersuchungen 9783110273113, 9783110273281

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German Pages 287 [288] Year 2012

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Table of contents :
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Tabellen
Einleitung
I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen
A. Bezeichnungskonkurrenz: Präpositionaladverb vs. Pronominaladverb
B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien
1. Bildungsweise
1.1 Diachrone Beschreibung
1.2 Synchrone Beschreibung
2. Paradigma
C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien
1. Pronominale Verwendung
1.1 Interrogativadverbien
1.2 Relativadverbien
1.3 Konjunktionaladverbien
1.4 Phorische bzw. deiktische Proadverbien
2. Nichtpronominale Verwendung
2.1 Verbpartikeln
2.2 Konjunktion
D. Phonetischer Status der Pronominaladverbien
E. Semantischer Status der Pronominaladverbien
II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des Neuhochdeutschen
A. Verortung der Nähesprache im Varietätenkontinuum
1. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Koch & Oesterreicher
1.1 Vorstellung des Modells von Koch & Oesterreicher
1.2 Anwendung auf das Varietätenkontinuum des Deutschen
2. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Ágel & Hennig
2.1 Kritik am Modell von Koch & Oesterreicher
2.2 Vorstellung des Modells von Ágel & Hennig
B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora
1. Korpusbeschreibung
1.1 Korpus Sprachstufengrammatik (Ágel & Hennig)
1.2 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß)
1.3 Korpus Umgangssprachen (Pfeffer)
1.4 Atlas zur deutschen Alltagssprache (Elspaß & Möller)
2. Vorgehensweise bei der Korpusauswertung
C. Korpusuntersuchung
1. Einfache Pronominaladverbien
1.1 Einfache Pronominaladverbien bei da(r)-/dr-
1.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
1.1.2 Regionale Verteilung
1.1.3 Phonologische Struktur
1.2 Einfache Pronominaladverbien bei wo(r)-
1.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
1.2.2 Regionale Verteilung
1.2.3 Phonologische Struktur
1.3 Einfache Pronominaladverbien bei hier-
1.3.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
1.3.2 Regionale Verteilung
1.4 Zwischenergebnis
2. Spaltungskonstruktion
2.1 Behandlung in den Grammatiken
2.2 Korpusuntersuchung
2.2.1 Spaltungskonstruktion bei da(r)-
2.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
2.2.1.2 Regionale Verteilung
2.2.1.3 Phonologische Struktur
2.2.2 Spaltungskonstruktion bei m(r)-
2.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
2.2.2.2 Regionale Verteilung
2.2.2.3 Phonologische Struktur
2.2.3 Spaltungskonstruktion bei hier-
2.3 Zwischenergebnis
3. Distanzverdoppelung
3.1 Behandlung in den Grammatiken
3.2 Korpusuntersuchung
3.2.1 Distanzverdoppelung bei da(r)-/dr-
3.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
3.2.1.2 Regionale Verteilung
3.2.1.3 Phonologische Struktur
3.2.2 Distanzverdoppelungbei wo(r)-
3.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
3.2.2.2 Regionale Verteilung
3.2.2.3 Phonologische Struktur
3.2.3 Distanzverdoppelung bei hier-
3.3 Zwischenergebnis
4. Kurze Verdoppelung
4.1 Behandlung in den Grammatiken
4.2 Korpusuntersuchung
4.2.1 Kurze Verdoppelung bei da(r)-/dr-
4.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten
4.2.1.2 Regionale Verteilung
4.2.1.3 Phonologische Struktur
4.2.2 Kurze Verdoppelungbei hier-
4.3 Zwischenergebnis
5. Konstruktion ohne overtes pronominales Element
5.1 Konstruktion ohne overtes pronominales Element bei besetztem Vorfeld
5.2 Konstruktionen ohne overtes pronominales Element bei leerem Vorfeld
5.2.1 Rekonstruierbare Spaltungskonstruktion
5.2.2 Rekonstruierbare Verdoppelungskonstruktion
6. Zusammenfassende kartierte Darstellung
III. Analyse der untersuchten Konstruktionen
A. Grammatische Untersuchungen
1. Welche Konstruktion ist primär – Spaltung oder Verdoppelung?
1.1 Synchrone Erklärungsansätze
1.1.1 Reanalysekonzepte (Spaltung primär)
1.1.1.1.1 ‚Null-Konflikt-Hypothese‘ (Fanselow 1987)
1.1.1.2 Direktionalitätskonzept (Grewendorf 1986)
1.1.2 Tilgungsanalyse (Verdoppelung primär)
1.2 Diachrone Erklärungsansätze
1.2.1 Pronominaladverbien in den älteren Sprachstufen des Deutschen
1.2.1.1 Vorkommen imAlthochdeutschen (ca. 750–1050)
1.2.1.2 Vorkommen im Mittelhochdeutschen (ca. 1050-1350)
1.2.1.3 Vorkommen im Frühneuhochdeutschen (ca. 1350–1650)
1.2.1.4 Vorkommen im Neuhochdeutschen (ab ca. 1650)
1.2.2 Pronominaladverbien als „Reparaturphänomen“ (Müller 2000)
1.2.2.1 Grundlagen der Optimalitätstheorie
1.2.2.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen
1.2.3 Pronominaladverbien als „Grammatikalisierungsphänomen“ (Pittner 2008)
1.2.3.1 Grundlagen der Grammatikalisierungsforschung
1.2.3.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen
1.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
2. Von welchen Faktoren hängt es ab, ob gespalten oder verdoppelt wird?
2.1 Regionale Faktoren (sprachtypologische Erklärung)
2.1.1 Preposition Stranding im Englischen
2.1.2 Preposition Stranding in skandinavischen Sprachen
2.1.3 Preposition Stranding im Niederländischen
2.2 Phonologische Faktoren (Struktur der Präposition)
3. Worin besteht der funktionale ,Mehrwert‘ diskontinuierlicher Strukturen?
3.1 Erfüllung zweier Wortstellungstendenzen
3.2 Klammerung als Prinzip der deutschen Satzstruktur
3.2.1 Was versteht man unter „Klammer”?
3.2.2 Das klammernde Verfahren des Deutschen
3.2.3 Darstellung der verschiedenen Klammern des Deutschen
3.2.4 Pronominaladverbien in anderen Klammersprachen
3.2.4.1 Niederländisch
3.2.4.2 Afrikaans
3.2.4.3 Lëtzebuergesch
B. Soziolinguistische Untersuchungen
1. Standardisierungsprozess im Deutschen
1.1 Definition Standardsprache
1.2 Weg zur deutschen Standardsprache
1.2.1 Polyzentrik der Varietäten (bis ins 16.Jahrhundert)
1.2.2 Vertikalisierung des Varietätenspektrums
1.2.2.1 Entwicklungsprozesse im 17. und 18.Jahrhundert
1.2.2.2 Entwicklungsprozesse im 19.Jahrhundert
1.2.2.3 Entwicklungsprozesse im 20.Jahrhundert
2. Zwischen Diskrimination und Stigmatisierung: Diskontinuierliche Pronominaladverbien in Grammatiken und Sprachratgebern
2.1 Definition Stigmatisierung
2.2 Stigmatisierungsgeschichte der Pronominaladverbien in Grammatiken und Sprachratgebern
2.2.1 Grammatiken des 16. und 17.Jahrhunderts
2.2.2 Grammatiken des 18.Jahrhunderts
2.2.3 Grammatiken und Sprachratgeber des 19. Jahrhunderts
2.2.4 Grammatiken und Sprachratgeber des 20. und 21.Jahrhunderts
2.2.5 Gesamtübersicht
2.3 Welchen Einfluss hatten die Grammatiker an dem Ausschluss diskontinuierlicher Pronominaladverbien aus der standardsprachlichen Norm?
2.4 Wie konnten diese Konstruktionen trotz Stigmatisierung bis heute in der Alltagssprache überleben?
3. Welche Varianten des Pronominaladverbs gehören der standardsprachlichen Norm an?
3.1 Definition Sprachnorm
3.2 Argumente für eine Zuordnung diskontinuierlicher Pronominaladverbien zur standardsprachlichen Norm
3.2.1 Historische Legitimation
3.2.2 Strukturgemäßheit
3.2.3 Erfüllung zweier Wortstellungstendenzen
3.2.4 Verwendung im gesamten deutschen Sprachgebiet
3.2.5 Verwendung in distanzsprachlichen Kontexten
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
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Varianten der Pronominaladverbien im Neuhochdeutschen: Grammatische und soziolinguistische Untersuchungen
 9783110273113, 9783110273281

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Michaela Negele Varianten der Pronominaladverbien im Neuhochdeutschen

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger

108

De Gruyter

Michaela Negele

Varianten der Pronominaladverbien im Neuhochdeutschen Grammatische und soziolinguistische Untersuchungen

De Gruyter

ISBN 978-3-11-027311-3 e-ISBN 978-3-11-027328-1 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen TO Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit geht auf meine Dissertationsschrift zurück, die im Juli 2010 von der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg angenommen wurde. Sie wurde für den Druck leicht überarbeitet und an manchen Stellen gekürzt. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stephan Eispaß, und Prof. Dr. Werner König, der das Zweitgutachten erstellt hat, danke ich für die zahlreichen wertvollen Hinweise, die in die Druckfassung eingeflossen sind. Die aktuelle Forschungsliteratur ist im Wesentlichen bis Ende des Jahres 2010 berücksichtigt, Neuerscheinungen seit 2011 konnten lediglich in Auswahl aufgenommen werden. Vielen Personen, die mich bei der Entstehung dieser Arbeit unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle danken. Mein besonders herzlicher Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Stephan Eispaß, der mich nicht nur zur Beschäftigung mit diesem Thema angeregt hat, sondern auch stets bei Fragen zur inhaltlichen und formalen Gestaltung ein offenes Ohr hatte und die Arbeit in ihrem Entstehungsprozess immer mit kritischem Blick begleitet hat. Die Erforschung regionaler Alltagssprache bildet einen Forschungsschwerpunkt am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft, wovon unter anderem das Projekt „Atlas zur deutschen Alltagssprache" (AdA) zeugt. Bei den Quellentexten konnte ich einerseits auf das bestehende Korpus „Auswandererbriefe" von Prof. Dr. Stephan Eispaß zurückgreifen, andererseits wurde mir das Korpus „Sprachstufengrammatik" von Prof. Dr. Vilmos Agel (Universität Kassel) und Prof. Dr. Mathilde Hennig (Universität Gießen) dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Ganz herzlich möchte ich auch verschiedenen Kollegen danken, die Teile der Arbeit gelesen und kritisch kommentiert haben: Dr. Oliver Ernst, Dr. Helmut Graser, Raphael Doderer, Laurentiu Gafiuc und Simon Pröll. Raphael Doderer und Benjamin Lang danke ich insbesondere für die Hilfe bei der Erstellung der drei zusammenfassenden Karten (Kap. II. C. 6.). Den Herausgebern von Studia 'Linguistica Germanica sei für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe gedankt. Augsburg, den 22.08.2011

Michaela Negele

Inhalt Verzeichnis der Abbildungen Verzeichnis der Tabellen Einleitung

XIII XV 1

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen 5 A. Bezeichnungskonkurrenz: Präpositionaladverb vs. Pronominaladverb. 5 B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien 1. Bildungsweise 1.1 Diachrone Beschreibung 1.2 Synchrone Beschreibung

6 7 7 10

2. Paradigma

10

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien 1. Pronominale Verwendung 1.1 Interrogativadverbien 1.2 Relativadverbien 1.3 Konjunktionaladverbien 1.4 Phorische bzw. deiktische Proadverbien

13 14 16 17 18 19

2. Nichtpronominale Verwendung 2.1 Verbpartikeln 2.2 Konjunktion

20 20 21

D. Phonetischer Status der Pronominaladverbien

22

E. Semantischer Status der Pronominaladverbien

24

VIII

Inhalt

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des Neuhochdeutschen

27

A. Verortung der Nähesprache im Varietätenkontinuum 1. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Koch & Oesterreicher 1.1 Vorstellung des Modells von Koch & Oesterreicher 1.2 Anwendung auf das Varietätenkontinuum des Deutschen

27 27 27 30

2. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Agel & Hennig 2.1 Kritik am Modell von Koch & Oesterreicher 2.2 Vorstellung des Modells von Agel & Hennig

32 33 34

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora 1. Korpusbeschreibung 1.1 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel & Hennig) 1.2 Korpus Auswandererbriefe (Eispaß) 1.3 Korpus Umgangssprachen (Pfeffer) 1.4 Atlas zur deutschen Alltagssprache (Eispaß & Möller)

38 38 38 43 48 50

2. Vorgehensweise bei der Korpusauswertung

51

C. Korpusuntersuchung 1. Einfache Pronominaladverbien 1.1 Einfache Pronominaladverbien bei da(r)-/dr1.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 1.1.2 Regionale Verteilung 1.1.3 Phonologische Struktur 1.2 Einfache Pronominaladverbien bei wo(r)~ 1.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 1.2.2 Regionale Verteilung 1.2.3 Phonologische Struktur 1.3 Einfache Pronominaladverbien bei hier1.3.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 1.3.2 Regionale Verteilung 1.4 Zwischenergebnis

55 55 55 55 60 62 66 66 68 69 70 70 72 72

2. Spaltungskonstruktion 2.1 Behandlung in den Grammatiken 2.2 Korpusuntersuchung 2.2.1 Spaltungskonstruktion bei da(r)2.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 2.2.1.2 Regionale Verteilung 2.2.1.3 Phonologische Struktur 2.2.2 Spaltungskonstruktion bei m(r)2.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten

73 73 77 77 77 81 82 84 85

Inhalt

2.2.2.2 Regionale Verteilung 2.2.2.3 Phonologische Struktur 2.2.3 Spaltungskonstruktion bei hier2.3 Zwischenergebnis 3. Distanzverdoppelung 3.1 Behandlung in den Grammatiken 3.2 Korpusuntersuchung 3.2.1 Distanzverdoppelungbei da(r)-/dr3.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 3.2.1.2 Regionale Verteilung 3.2.1.3 Phonologische Struktur 3.2.2 Distanzverdoppelungbei m(r)3.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 3.2.2.2 Regionale Verteilung 3.2.2.3 Phonologische Struktur 3.2.3 Distanzverdoppelung bei hier3.3 Zwischenergebnis 4. Kurze Verdoppelung 4.1 Behandlung in den Grammatiken 4.2 Korpusuntersuchung 4.2.1 Kurze Verdoppelung bei da(r)-/dr4.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten 4.2.1.2 Regionale Verteilung 4.2.1.3 Phonologische Struktur 4.2.2 Kurze Verdoppelungbei hier4.3 Zwischenergebnis 5. Konstruktion ohne overtes pronominales Element 5.1 Konstruktion ohne overtes pronominales Element bei besetztem Vorfeld 5.2 Konstruktionen ohne overtes pronominales Element bei leerem Vorfeld 5.2.1 Rekonstruierbare Spaltungskonstruktion 5.2.2 Rekonstruierbare Verdoppelungskonstruktion 6. Zusammenfassende kartierte Darstellung III. Analyse der untersuchten Konstruktionen A. Grammatische Untersuchungen 1. Welche Konstruktion ist primär — Spaltung oder Verdoppelung? 1.1 Synchrone Erklärungsansätze

X

Inhalt

1.1.1 Reanalysekonzepte (Spaltung primär) 1.1.1.1 ,Null-Konflikt-Hypothese' (Fanselow 1987) 1.1.1.2 Direktionalitätskonzept (Grewendorf 1986) 1.1.2 Tilgungsanalyse (Verdoppelung primär) 1.2 Diachrone Erklärungsansätze 1.2.1 Pronominaladverbien in den älteren Sprachstufen des Deutschen 1.2.1.1 Vorkommen imAlthochdeutschen (ca. 750—1050) 1.2.1.2 Vorkommen im Mittelhochdeutschen (ca. 1050-1350) 1.2.1.3 Vorkommen im Frühneuhochdeutschen (ca. 1350—1650) 1.2.1.4 Vorkommen im Neuhochdeutschen (ab ca. 1650) 1.2.2 Pronominaladverbien als „Reparaturphänomen" (Müller 2000).... 1.2.2.1 Grundlagen der Optimalitätstheorie 1.2.2.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen 1.2.3 Pronominaladverbien als „Grammatikalisierungsphänomen" (Pittner 2008) 1.2.3.1 Grundlagen der Grammatikalisierungsforschung 1.2.3.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen 1.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

125 126 128 132 137 138 139 149 153 158 161 161 163 168 168 170 174

2. Von welchen Faktoren hängt es ab, ob gespalten oder verdoppelt wird? 2.1 Regionale Faktoren (sprachtypologische Erklärung) 2.1.1 'Preposition Stranding im Englischen 2.1.2 Preposition Strandingrn skandinavischen Sprachen 2.1.3 'Preposition Stranding im Niederländischen 2.2 Phonologische Faktoren (Struktur der Präposition)

176 176 178 179 180 182

3. Worin besteht der funktionale ,Mehrwert' diskontinuierlicher Strukturen? 3.1 Erfüllung zweier Wortstellungstendenzen 3.2 Klammerung als Prinzip der deutschen Satzstruktur 3.2.1 Was versteht man unter „Klammer"? 3.2.2 Das klammernde Verfahren des Deutschen 3.2.3 Darstellung der verschiedenen Klammern des Deutschen 3.2.4 Pronominaladverbien in anderen Klammersprachen 3.2.4.1 Niederländisch 3.2.4.2 Afrikaans 3.2.4.3 Letzebuergesch

184 185 186 187 189 190 193 194 195 197

Inhalt

B. Soziolinguistische Untersuchungen 1. Standardisierungsprozess imDeutschen 1.1 Definition Standardsprache 1.2 Weg zur deutschen Standardsprache 1.2.1 PolyzentrikderVarietäten (bis ins lö.Jahrhundert) 1.2.2 Vertikalisierung des Varietätenspektrums 1.2.2.1 Entwicklungsprozesse im 17. und 18.Jahrhundert 1.2.2.2 Entwicklungsprozesse im 19.Jahrhundert 1.2.2.3 Entwicklungsprozesse im 20.Jahrhundert

XI

199 200 200 203 203 204 207 210 213

2. Zwischen Diskrimination und Stigmatisierung: Diskontinuierliche Pronominaladverbien in Grammatiken und Sprachratgebern 215 2.1 Definition Stigmatisierung 215 2.2 Stigmatisierungsgeschichte der Pronominaladverbien in Grammatiken und Sprachratgebern 216 2.2.1 Grammatiken des 16. und 17.Jahrhunderts 216 2.2.2 Grammatiken des 18.Jahrhunderts 217 2.2.3 Grammatiken und Sprachratgeber des 19.Jahrhunderts 220 2.2.4 Grammatiken und Sprachratgeber des 20. und 21.Jahrhunderts...223 2.2.5 Gesamtübersicht 229 2.3 Welchen Einfluss hatten die Grammatiker an dem Ausschluss diskontinuierlicher Pronominaladverbien aus der standardsprachlichen Norm? 233 2.4 Wie konnten diese Konstruktionen trotz Stigmatisierung bis heute in der Alltagssprache überleben? 235 3. Welche Varianten des Pronominaladverbs gehören der standardsprachlichen Norm an? 3.1 Definition Sprachnorm 3.2 Argumente für eine Zuordnung diskontinuierlicher Pronominaladverbien zur standardsprachlichen Norm 3.2.1 Historische Legitimation 3.2.2 Strukturgemäßheit 3.2.3 Erfüllung zweier Wortstellungstendenzen 3.2.4 Verwendung im gesamten deutschen Sprachgebiet 3.2.5 Verwendung in distanzsprachlichen Kontexten

239 239 240 240 241 241

Zusammenfassung

245

Literaturverzeichnis

251

Anhang

265

236 236

Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Schema zur Klassifikation von Pronominaladverbien in pronominaler Verwendung 15 Abb. 2: Mündlichkeit und Schriftlichkeit — konzeptionell und medial (Söll 1985: 24) 28 Abb. 3: Nähe-Distanz-Modell (Koch/Oesterreicher 1985: 23) 29 Abb. 4: Nähe-Distanz-Modell nach Koch/Oesterreicher — angewendet auf das deutsche Varietätenkontinuum 31 Abb. 5: Schematische Karte zur regionalen Verteilung des Gesamtkorpus (nach Wortformen) 53 Abb. 6: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit da(r)~ (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 60 Abb. 7: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit dr- (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 61 Abb. 8: Anzahl der Belege für Pronominaladverbien mit kons. anl. Präp. + -r- (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) ..64 Abb. 9: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit m(r)~ (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 68 Abb. 10: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit hier- (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 72 Abb. 11: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Spaltungskonstruktion mit da(r)~ (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 81 Abb. 12: Schematische Darstellung der Verwendungshäufigkeit der Spaltungskonstruktion bei da{t)~ in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition 83 Abb. 13: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Spaltungskonstruktion mit m(r)~ (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 87 Abb. 14: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit da- + konsonantisch anl. Präp. (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 98

XIV

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 15: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit dar- + vokalisch anl. Präp. (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 99 Abb. 16: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit dr- (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 100 Abb. 17: Schematische Darstellung der Verwendungshäufigkeit der Distanzverdoppelung in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition 102 Abb. 18: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit m{f)~ (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 105 Abb. 19: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der kurzen Verdoppelung mit dr- (extrapoliert auf 500000 Wortformen des Gesamtkorpus) 110 Abb. 20: Schematische Darstellung der Verwendungshäufigkeit der kurzen Verdoppelung in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition 112 Abb. 21: Karte zur regionalen Verteilung der südlichsten Belegorte der Spaltungskonstruktion im Gesamtkorpus (z. B. Da halte ich nichts von.) 121 Abb. 22: Karte zur regionalen Verteilung der nördlichsten Belegorte der Distanzverdoppelungim Gesamtkorpus (z. B. Da halte ich nichts davon.) 122 Abb. 23: Karte zur regionalen Verteilung der nördlichsten Belegorte der kurzen Verdoppelungim Gesamtkorpus (z. B. Dadavon halte ich nichts.) 123 Abb. 24: Anzahl der eingeklammerten Wörter bei Pronominaladverbien mit da(r)~ (Spaltungund Distanzverdoppelung) 188 Abb. 25: Sprache ohne Leitvarietät (idealtypisch) Legende: V = Varietät; ^ gleiche Bewertungsebene (Reichmann 1990: 141) 205 Abb. 26: Sprache mit Leitvarietät (idealtypisch) Legende: V = Varietät; f unterschiedliche Bewertungsebene (Reichmann 1990: 141) 206 Abb. 27: Standardsprache, regionale Umgangssprachen und Dialekte im Deutschen (König 2007: 134) 212 Abb. 28: Vorder- und Rückseite des Kalenderblatts vom 20.08.2008 aus „DUDEN - Auf gut Deutsch 2008" 227 Abb. 29: Beispiel für durch Varietätenkontakte bedingte Normunsicherheiten — angewendet auf (diskontinuierliche) Pronominaladverbien....238

Verzeichnis der Tabellen Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 10: 11: 12:

Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

13: 14: 15: 16: 17:

Tab. 18:

Tab. 19:

Tab. 20: Tab. 21:

Tab. 22:

Tab. 23:

Paradigma der Pronominaladverbien 11 Lautliche Alternation bei Az>r-Pronominaladverbien 12 Akzentuierung bei Pronominaladverbien mit daif)23 Akzentuierung bei Pronominaladverbien mit wo(f)24 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): Gesamtkorpus 40 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 17.Jahrhundert 41 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 18.Jahrhundert 41 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 19.Jahrhundert 42 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 20.Jahrhundert 42 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): Gesamtkorpus 44 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 17. Jahrhundert 45 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 18.Jahrhundert [erweitertum Briefe von Schillers Mutter und Mozarts Bäsle-Briefe] 46 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 19. Jahrhundert 47 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 20. Jahrhundert 48 Korpus Umgangssprachen (Pfeffer) 49 Anzahl der Dokumente des Gesamtkorpus (absolute Zahlen) 52 Verwendungshäufigkeit der Spaltungskonstruktion bei daif)- in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition (Anzahl der Suchergebnisse auf 500000 Wortformen extrapoliert) 82 Verwendungshäufigkeit der Distanzverdoppelungbei da(r)-/dr- in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition (Anzahl der Suchergebnisse auf 500000 Wortformen extrapoliert) 101 VerwendungshäufigkeitderkurzenVerdoppelungbei daif)-/dr-'va. Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition (Anzahl der Suchergebnisse auf 500000 Wortformen extrapoliert) 111 Tilgungsbedingungen angewendet auf Pronominaladverbien mit konsonantisch und vokalisch anlautender Präposition 134 Verteilung diskontinuierlicher Pronominaladverbien mit da{r)~ in Haupt- und Nebensätzen im Mhd. (untersuchte Texte Hartmanns von Aue: Der arme Heinrich, Gregorius, Erec, Iwein) 152 Verteilung diskontinuierlicher Pronominaladverbien mit da{r)~ in Haupt- und Nebensätzen im Nhd. (Korpus „Sprachstufengrammatik", Korpus „Auswandererbriefe", Korpus „Umgangssprachen") 160 Grammatikalisierungsskalanach Givon (Diewald 1997: 18) 169

XVI

Verzeichnis der Tabellen

Tab. 24: Preposition Stranding innerhalb der germanischen Sprachfamilie 177 Tab. 25: Stellungsfeldermodell des Deutschen (nach Dürscheid 2005) 190 Tab. 26: Bewertung diskontinuierlicher Pronominaladverbien in Grammatiken und Sprachratgebern vom 16. bis zum 21. Jahrhundert 231

Einleitung die Betten sind nicht halb so wie in Deutschland für das Stroh wird von den Tüksken weizen die Blätter genommen da wird ein strosack von gemacht da liege ich so auf ein Küssen wo ich mein Kopf a u f l e g e und zwei wolene decken, wo ich mich mit zudecke, die Ersten zwei Nachte kam mich das ungewont an aber da wüste ich nicht mehr davon. [Winkelmeier 6, Wnd., 10.10.1867]

Dieser Ausschnitt eines Briefes, den die nach Amerika (Indianapolis) ausgewanderte Dienstbotin Margarethe Winkelmeier 1867 an ihre Familie im westfälischen Arrenkamp bei Lübbecke geschrieben hat, zeigt Reflexe eines ursprünglich dialektalen Phänomens in der Alltagssprache des Deutschen. Gestützt auf eine breite empirische Grundlage möchte diese Arbeit am Beispiel von Pronominaladverbien einen Beitrag zur Erforschung grammatischer Phänomene in der Sprachperiode des Neuhochdeutschen (ca. ab 1650) leisten. Da Pronominaladverbien — wie aus dem Textbeispiel ersichtlich — gerade auch in der Alltagssprache in unterschiedlichen (diskontinuierlichen) Varianten verwendet werden können, steht eine genauere Analyse ihrer verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten ganz im Sinne der Hinwendung der aktuellen Grammatikforschung zu nähe- bzw. alltagssprachlichen Registern des Deutschen. Für die Dialekte liegen neuere Untersuchungen von Jürg Fleischer (2003, 2006) vor, doch für die standardnahe Alltagssprache sind sie bislang kaum erforscht. Diese Forschungslücke versucht diese Arbeit zu schließen, zumal in der Variationslinguistik bisher vor allem lautliche und lexikalische Erscheinungen im Fokus des Interesses standen, was wegen der weit verbreiteten Annahme, die Grammatik des jüngeren Neuhochdeutschen verharre in einer gewissen Statizität und habe im Wesentlichen keine Veränderungen mehr erfahren, mit einer ,,relative(n) Vernachlässigung der Syntaxgeschichte nach 1700" (Agel 2000: 1855) einherging. Dabei verdient gerade diese Sprachperiode besondere Aufmerksamkeit, schließlich sind alle bedeutsamen Änderungen in der deutschen Grammatik „das Ergebnis einer langen Kette von ,mikrosyntaktischen' Bewegungen und brauchen Hunderte von Jahren" (ebd.), um als Sprachwandelprozess wahrgenommen zu werden. Die deutsche Sprachgeschichtsschreibung ist zudem weitgehend auf die Herausbildung der Schrift- und Standardsprache fixiert, also „teleolo-

2

Kmleitung

gisch auf einen idealen Endzustand" (Mattheier 1995: 4) ausgerichtet, was den Blick auf die Vielfalt des Varietätenspektrums des Deutschen versperrt und die nachklassische Grammatikgeschichte äußerst statisch erscheinen lässt. Um dieses komplizierte Zusammenspiel von varietätenbezogenen Umstrukturierungen grammatisch adäquat erfassen zu können, plant ein Forscherteam der Universität Kassel die Erstellung einer Sprachstufengrammatik des Neuhochdeutschen. Neben dem Aufbau eines eigenen Korpus (Beschreibung s.u.) für kaum oder unerforschte grammatische Bereiche sollen vorhandene Einzeluntersuchungen als Materialgrundlage dienen. 1 In diesem Sinne möchte auch diese Arbeit einen weiteren Baustein für dieses Projekt liefern. Die vorliegende Untersuchung widmet sich den unterschiedlichen Konstruktionstypen von Pronominaladverbien in der Sprachperiode des Neuhochdeutschen und analysiert diese hinsichtlich ihres grammatiktheoretischen, variationslinguistischen und sprachhistorischen Kontextes. Zunächst soll ein Uberblick über die Verwendungsweise der Pronominaladverbien in der Standardsprache verschafft werden (Teil I). Dabei stehen nach der Vorstellung der unterschiedlichen Bezeichnungsmöglichkeiten vor allem deren Bildungsweise und Paradigma sowie ihr syntaktischer und semantischer Status im Mittelpunkt. Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet eine korpusbasierte Untersuchung der verschiedenen Konstruktionen in der Nähe- bzw. Alltagssprache des Neuhochdeutschen (Teil II), denn das einfache Pronominaladverb (davon weiß ich nichts) kann auch gespalten (da weiß ich nichts von) bzw. verdoppelt werden, wobei hier wiederum zwischen einer Distanzverdoppelung (da weiß ich nichts davoii) und einer kurzen Verdoppelung [dadavon weiß ich nichts) unterschieden wird. Neben der Untersuchung der Behandlung der einzelnen Konstruktionen in den Grammatiken sollen diese vor allem hinsichtlich ihrer topologischen Stellungsmöglichkeiten, ihrer regionalen Verbreitung sowie ihrer phonologischen Struktur näher beleuchtet werden. Im folgenden analytischen Teil wird versucht, die durch die Korpusuntersuchung gewonnenen Befunde in einen größeren theoretischen Zusammenhang zu stellen und aufeinander zu beziehen (Teil III). Einerseits stehen dabei grammatische Aspekte zur Diskussion: Zunächst wird der Frage nachgegangen, welche Konstruktionsvariante (Spaltung oder Verdoppelung) als die primäre anzusehen ist. Des Weiteren sollen diejenigen Faktoren genauer analysiert werden, die im Einzelnen dazu führen, dass

1

Z u r näheren Projektbeschreibung siehe „Projektskizze Neuhochdeutsche Grammatik v o n Vilmos A g e l " (www.uni-kassel.de/~ag-el/ProjektNhdGramm.pdf) (27.10.2010).

Einleitung

3

ein Sprecher eher die Spaltungs- oder die Verdoppelungskonstruktion verwendet. Anschließend wird es darum gehen, den funktionalen Mehrwert' diskontinuierlicher Strukturen im Vergleich zum einfachen Pronominaladverb herauszustellen. Da die Spaltungskonstruktion bei Pronominaladverbien innerhalb der generativen Theorien häufig mit dem aus ananderen germanischen Sprachen bekannten Phänomen des Preposition Stranding in Verbindung gebracht wird, sollen auch verschiedene Erklärungsansätze aus der Rektions- und Bindungstheorie (Theory of Government and Binding) und der Optimalitätstheorie herangezogen werden, um herauszufinden, welchen Beitrag sie zur Lösung der gestellten Fragen leisten können. Andererseits wird das Thema aus soziolinguistischer Perspektive untersucht: Anhand sowohl historischer als auch gegenwartsbezogener Grammatiken sowie verschiedener meist populärwissenschaftlicher Sprachratgeber soll die Stigmatisierungsgeschichte der Pronominaladverbien herausgearbeitet werden, um im Anschluss daran letztendlich die Frage zu erörtern, welche gegenwartssprachlichen Varianten der Pronominaladverbien der standardsprachlichen Norm des Neuhochdeutschen zuzuordnen sind.

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen Der erste Teil dieser Arbeit widmet sich den Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen. Dabei wird neben den unterschiedlichen Bezeichnungsmöglichkeiten insbesondere ihre Bildungsweise, ihr syntaktischer und phonetischer Status sowie ihr semantischer Bezug erörtert. Obwohl der Fokus der Betrachtung primär auf der Gegenwartssprache liegt, soll auch ihr Entstehungskontext nicht vernachlässigt werden.

A. Be2eichnungskonkurren2: Präpositionaladverb vs. Pronominaladverb In der terminologischen Bezeichnung von Lexemen wie damit, hieran oder wo%u existieren zwei konkurrierende Varianten. Starke fasst das Problem folgendermaßen zusammen: Von der traditionellen Benennung her betrachtet, erweist sich diese Wortklasse als grammatischer Zwitter: Entsprechend der Stellvertreter- und Verweisfunktion handelt es sich um Pro-Wörter, vorrangig Pronomen, aufgrund der Nichtflektierbarkeit aber um Adverbien. Entsprechend uneinheitlich ist die Klassifizierung in den Grammatikbeschreibungen. (Starke 1982: 293)

Die DUDEN-Grammatik (2009: § 858), die Grammatiken von Engel (2004:419f.) und Wemrich (2005:568) sowie die IDS-Grammatik (1997: 54ff.) verwenden den Terminus Präpositionaladverb, der auch bereits von Behaghel (1932: 249) präferiert wird. Diese Bezeichnung trägt dem formalen Faktum Rechnung, dass die betreffenden Wortformen aus einem Adverb als erstem Bestandteil {da, wo, hier) und einer Präposition (an, bei, durch, von etc.) als zweitem Bestandteil zusammengesetzt sind. Die DUDEN-Grammatik (2009: § 858) bevorzugt diese Bezeichnung, weil „auch andere Adverbien Pro-Funktionen ausüben", Engel hält die „seltsamerweise immer noch verbreitete Bezeichnung 'Pronominaladverbien' für diese Wort-Subklasse" schlicht für „ungeeignet, weil in diesen Wörtern kein Pronomen enthalten ist" (Engel 2004: 419). Dieses Argument kann dadurch gestützt werden, dass Wörter wie daran, hiervon und wo^u nicht nur

6

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

keine Pronomina enthalten, sondern auch noch im Gegensatz zu diesen unflektierbar sind. Wenn man also das formale Kriterium als ausschlaggebend erachtet, scheint es bei der Klassifikation auf den ersten Blick keine Probleme zu geben, schließlich lässt sich ein Präpositionaladverb auf diese Weise ohne Weiteres identifizieren. 1 Der Terminus Pronominaladverb hingegen zielt weniger auf die Form als mehr auf die Funktion, nämlich für „eine Präpositionalphrase oder auch für einen ganzen Satz zu stehen" (DUDEN-Grammatik 2009: § 858), wobei sich hier Überschneidungen mit anderen Adverbien ergeben, denen ebenfalls ein Pro-Charakter eigen ist. Dies sind vor allem Interrogativadverbien, Relativadverbien und Konjunktionaladverbien. 2 In der DUDEN-Grammatik von 2009 wird diese Bezeichnung als Nebenterminus zu 'Präpositionaladverb angegeben, in der Auflage von 1998 ist Pronominaladverb noch die bevorzugte Variante, ebenso im DUDEN ,Richtiges und gutes Deutsch' (2007: 738ff). Hieraus ist gut ersichtlich, wie heterogen in der Bezeichnung selbst unterschiedliche Veröffentlichungen bzw. Auflagen desselben Verlages sind. Die Bezeichnung 'Pronominaladverb findet sich ebenfalls in den Grammatiken von Admoni (1982: 205), Erben (1980: 60), Eisenberg (2004: 196ff.), Helbig/Buscha (2002: 236ff.) und Hentschel/Weydt (2003: 267ff.). Je nachdem, ob also bei der ,Namensgebung' eher die Form oder die Funktion im Vordergrund steht, erscheinen beide Verwendungen legitim. Da sich aber bei der überwiegenden Mehrheit der Grammatiken der Terminus Pronominaladverb durchgesetzt hat, werde ich mich im Folgenden auch dieser Bezeichnung anschließen.

B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien Als nächstes soll der Formenbestand der Pronominaladverbien dargestellt werden, denn gerade die Tatsache, dass diese eine spezifische Bildungsweise teilen und ein in sich geschlossenes Paradigma aufweisen, rechtfertigt es, Pronominaladverbien als eigene Klasse zu behandeln (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 859).

1

A u s diesem Raster fallen auch Z u s a m m e n s e t z u n g e n aus dajhierjwo + herjhin> da ihr zweiter Bestandteil keine Präposition ist — her und hin sind innerhalb der Lokaladverbien der Unterklasse der direktionalen Richtungsadverbien zuzuordnen, (vgl. D U D E N - G r a m m a t i k 2009: § 848); vgl. dazu auch die Untersuchungen v o n Erämetsä (1990).

2

Z u r genaueren A b g r e n z u n g s.u.

B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien

ii

1. Bildungsweise Bei der Bildungsweise der Pronominaladverbien steht zunächst ihre historische Entwicklung im Mittelpunkt, anschließend soll aber auch auf synchrone Besonderheiten Bezug genommen werden. 1.1 Diachrone Beschreibung Aichinger beschreibt die Bildung von Pronominaladverbien Mitte des 18.Jahrhunderts etwa folgendermaßen: Wenn die pronomina welcher, e, es und was, so wohl im fragenden als zurücksehenden Verstände, kein substantivum hinter sich, wohl aber eine Präposition vor sich haben, werden sie in wo oder wor verwandelt, und mit der Präposition, die alsdann hinten stehet, in ein Wort gezogen. Auf gleiche Weise wird dieser oder derselbe in da oder dar, hie oder Azerverwandelt. (Aichinger 1753: 427) 3

Trifft also eine Präposition auf die Pronomen welcher oder was, so soll statt dieser Wortfolge eine Verbindung aus m(j)- und Präposition gewählt werden (z. B. bei welchem wobei). Aichinger bleibt in seinen Ausführungen auf einer deskriptiven Ebene, über die Motive dieses „Verwandeins" werden keine Angaben gemacht. Dennoch weist er darauf hin, dass man es bei Pronominaladverbien stets nur mit einer Wortform zu tun hat, da die beiden Bestandteile „in ein Wort gezogen" werden. Der analoge Fall liegt bei den Pronomen dieser oder derselbe vor, die Pronominaladverbien mit da(f)~ oder hie(r)~ bilden (z. B. von diesem davon). Auf die komplementäre Distribution zwischen den Formen mit und ohne /-geht Adelung näher ein: Für der, dieser und derselbe stehet in dieser Zusammensetzung in allen Geschlechtern und Zahlen da, wenn sich die Präposition mit einem Hauptlaute, und dar, wenn sie sich mit einem Hülfslaute anfängt: daran, darauf, daraus, darein, (wenn in den Accusativ haben sollte,) darin, (wenn es den Dativ erfordert,) darum, darüber, darunter, aber, dagegen, damit, daneben, davon, davor, da^u und dazwischen. Darnach ist das einige, welches vor einem Consonanten das dar annimmt. (Adelung 1781: 268f.)

Dieser von Adelung angenommene Sprachstand des 18.Jahrhunderts ist das Ergebnis eines Lautzusammenfalls in einer früheren Sprachstufe des Deutschen. Für das Althochdeutsche sind zwei verschiedene Adverbien anzusetzen: Zum Ausdruck einer Ortsbezeichnung wird der Dativ durch

3

W e g e n der uneinheitlichen objektsprachlichen Kennzeichnung in den Originalen wurde m dieser Arbeit durchgehend Kursivsetzung verwendet. Zusätzlich wurden diskontinuierlich verwendete Pronominaladverbien zur Leseerleichterung fett gedruckt.

8

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

dar bzw. war vertreten, bei einer Richtungsangabe wird der Akkusativ durch dara bzw. wara vertreten (vgl. Paul 1919 [1968], III: 154). Diese Adverbien fallen aufgrund von Lautentwicklungen in spätalthochdeutscher Zeit allmählich zusammen, weshalb es dann keine Kasusdistinktion mehr gibt: Nach langem Vokal ist um 1000 der Konsonant r im Auslaut entfallen, so auch bei dar, war, hiar. Allerdings blieb bei diesen alten Ortsadverbien das r erhalten, wenn „sich ein vokalisch anlautendes Wort eng an sie anlehnte", woraus sich einerseits Verbindungen wie därane, därinne usw. ergaben, andererseits bei konsonantisch anlautender Präposition Bildungen wie däbi, davor usw. (vgl. Paul 1916 [1968], I: 355). Es ist zu vermuten, dass das r in den Fällen mit vokalisch anlautender Präposition erhalten blieb, um eine Hiatstellung zu vermeiden. Durch diese Lautentwicklung kam es zu einer Vermischung mit den sich nur bezüglich ihrer Vokalquantität unterscheidenden Richtungsbezeichnungen wie ahd. dara ana, dara in mhd. darane, darin, denn „frühzeitig [...] scheint sich eine Ausgleichung vollzogen zu haben, indem die Vokallänge verallgemeinert" wurde (Paul 1919 [1968], III: 154). Das folgende Schema stellt den Weg des Zusammenfalls der beiden ehemals kasusdistinkten Adverbien noch einmal zusammen: Ahd. Dat. dar, war (Ortsadverb)

Mhd.

Akk. dara, wara (Richtungsadverb)

Obwohl man prinzipiell schon von einer komplementären Verteilung zwischen Formen mit und ohne r bei vokalisch bzw. konsonantisch anlautenden Präpositionen sprechen kann (vgl. etwa auch Lexer 1992: 30), sei darauf verwiesen, dass diese Regel auch durchbrochen werden kann. Im Mittelhochdeutschen existierten auch Formen wie darbt und darnach, die sich laut Paul (1916 [1968], I: 355) „besonders bei oberdeutschen Schriftstellern und in der Kanzleisprache" bis ins 18.Jahrhundert erhalten haben. Diese Formen können demnach bei mehreren Pronominaladverbien auftreten, was der Erklärung von Adelung entgegensteht, der dieses Phänomen auf das Pronominaladverb da(r)naeh beschränkt wissen will. Doch dieser Befund regionaler Variation verwundert keineswegs, wenn man bedenkt, dass man es zu dieser Zeit noch mit keiner etablierten und einigermaßen einheitlichen Standardsprache des Deutschen zu tun hat. Des Weiteren kommt es bei Verbindungen mit vokalisch anlautenden Präpositionen auch zu Kontraktionen wie dinne und hü%e aus da inne und hie ü%e (vgl. ebd.). Bei diesen r-losen Formen treffen zwei Vokale in Hiatstellung aufeinander, was zur Elision des ersten Vokals führt, der sich hinsichtlich der Betonung im Auslaut in der schwächeren Position befindet. Bei hie bzw. hier haben sich bei konsonantisch anlautender Präposition nicht die

B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien

ii

eigentlich zu erwartenden Formen hiebet, hiedurch etc. durchgesetzt, sondern gerade die parallel existierenden Formen mit r, also hierbei, hierdurch etc., weshalb bei den hier-Pronominaladverbien in der Regel keine alternierende Schreibung mehr besteht, wie dies bei m ( f ) - und daif)- der Fall ist. Festzuhalten bezüglich des e r s t e n B e s t a n d t e i l s v o n P r o n o m i n a l a d v e r b i e n — also den Orts- bzw. Richtungsadverbien da, hier und wo — bleibt, dass diese ursprünglich rein lokaldeiktische Funktion hatten. Was den z w e i t e n B e s t a n d t e i l v o n P r o n o m i n a l a d v e r b i e n angeht, so wurde bislang stillschweigend davon ausgegangen, dass es sich hierbei um Präpositionen handelt. Doch diese Wortartzuordnung ist keinesfalls eindeutig, was folgendes Zitat von Hermann Paul zeigt: Die enge Beziehung zwischen Pron. und pronominalem Adv. zeigt sich besonders in einer Eigenheit, die den westgermanischen Dialekten gemein ist. Statt einer Präp. mit Dat. oder Akk. der Pronomina das und was wird eine Verbindung der dazu gehörigen Ortsadverbien mit dem der Präp. entsprechenden Adverbium verwendet, also z. B. danach statt nach dem. So gebraucht werden die präpositionellen Adverbia an, auf, aus, bei, durch, ein, in (mhd. inne), für, gegen, hinter, mit, nach, neben, ob, über, unter, um, von, vor, wider, ^wischen, mhd. auch ab. (Paul 1919 [1968], III: 154)

Bezeichnungen wie „dem der Präp. entsprechenden Adverbium" bzw. „präpositionelle Adverbia" für die aufgelisteten Präpositionen deuten darauf hin, dass dem zweiten Bestandteil zumindest für die Anfänge der deutschen Sprachgeschichte ein adverbialer Charakter zugeschrieben werden kann. Ein weiteres Indiz dafür liefert das von Elisabeth KargGasterstädt und Theodor Frings herausgegebene „Althochdeutsche Wörterbuch" (AWB) unter dem Lemma thär (AWB, Bd. 2: 176): Neben der Verwendung von thär als allein stehendes Adverb sind dort auch alle im Althochdeutschen belegten Verbindungen mit anderen Adverbien aufgelistet. Es finden sich u. a. Einträge zu thär ana, thär bi, thär duruh, thärfuri, thär miti, thär ubari, thär umbi und thär %uo — also Verbindungen mit Lexemen, die gegenwartssprachlich eindeutig als Präpositionen zu klassifizieren sind, aber auch Einträge zu thärforna, thärnidana, thärobana und thärü^ana, deren zweiter Bestandteil heute nur noch als Adverb gebräuchlich ist und demzufolge auch nicht mehr als Element eines Pronominaladverbs füngieren kann. Betrachtet man den Wortbildungstyp des gesamten Pronominaladverbkomplexes, so liegen jeweils Zusammenrückungen aus den Adverbien da, hier, wo und einer Präposition — bzw. ursprünglich eines weiteren Adverbs — vor.

10

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

1.2 Synchrone Beschreibung Nachdem nun in einer diachronen Betrachtung die Entwicklung der heute gebräuchlichen Formen nachgezeichnet wurde, sollen hier nur noch Phänomene Erwähnung finden, die sich ausschließlich aus der Betrachtung der Gegenwartssprache ergeben. Innerhalb einer Grammatikauffassung, die sich primär um eine gegenwartssprachlich konzipierte Beschreibung und Erklärung von sprachlichen Phänomenen bemüht, ist es durchaus legitim, von einem r-Einschub (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 859) bzw. von einem Infix -r- (IDSGrammatik 1997: 54) zu sprechen, obwohl dies aus historischer Perspektive die Verhältnisse inadäquat widerspiegelt. Schließlich wird bei vokalisch anlautender Präposition kein r eingeschoben, es ist vielmehr gerade in diesen Formen nicht entfallen. Auch die Orthographiereform zeugt davon, dass tendenziell weniger Wert auf etymologische Zusammenhänge gelegt wird. So trennte man vor der Rechtschreibreform noch dar-an, hier-an, wor-an, seit 1990 ist hingegen auch eine Segmentierung zulässig, die das r stets zur nächsten Silbe zieht: da-ran, hie-ran, wo-ran. Argumentiert man mit dem Silbenprinzip, so würde die alte Trennvariante folgender Regel widersprechen: „Weist eine Wortform zwischen zwei Silbenkernen oder einem Diphthong und einem Silbenkern einen Konsonanten auf, so gehört dieser zur zweiten Silbe" (DUDEN-Grammatik 2009: § 38). Außerdem wird durch die neue Trennung in der zweiten Schreibsilbe ein Silbenanfangsrand geschaffen, denn „[njackte Silben sind im Deutschen nicht sehr häufig" (ebd.: § 26). Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass neben etc. auch als im süddeutschen und österreichischen Sprachraum gebräuchliche orthographische Varianten zugelassen werden. 2. Paradigma Tabelle 1 zeigt das vollständige Paradigma der Kombinationsmöglichkeiten zwischen den Adverbien da(r)-/dr-, hier- und wo{f)- mit einer einfachen Präposition: 4

4

In der D U D K N - G r a m m a t i k (2009: § 897) werden die Präpositionen nach unterschiedlichen Komplexitätsgraden unterschieden: einfache bzw. primäre Präpositionen (in, auf, mit, nach, vor etc.), komplexe bzw. sekundäre Präpositionen ( ' m i t h i f e , ^ufolge, anstelle etc.) und präpositionsartige Wortverbindungen bzw. tertiäre Präpositionen {im 'Verlauf von, in Be^ug auf, an Stelle etc.).

B. Bildungsweise und Paradigma der Pronominaladverbien

da(r)-

dr-

hier-

wo(r)-

an

daran

dran

hieran

woran

auf

darauf

drauf

hierauf

worauf

aus

daraus

draus

hieraus

woraus

bei

dabei

-

hierbei

wobei

durch

dadurch

-

hierdurch

wodurch

für

dafür

-

hierfür

wofür

gegen

dagegen

-

hiergegen

wogegen

hinter

dahinter

-

hierhinter

wohinter

in

darin/darein

drin/drein

hierin/hierein

worin/worein

mit

damit

-

hiermit

womit

nach

danach

-

hiernach

wonach

neben

daneben

-

hierneben

woneben

über

darüber

drüber

hierüber

worüber

um

darum

drum

hierum

worum

unter

darunter

drunter

hierunter

worunter

von

davon

-

hiervon

wovon

vor

davor

-

hiervor

wovor

zu

da^u

-

hierzu

wo^u

zwischen

dazwischen

-

hier^wischen

wo^wischen

ii

Tab. 1: Paradigma der Pronominaladverbien

Zu dem Paradigma seien folgende Anmerkungen gemacht: a) Einzig bei Verbindungen mit in/ein ist noch die ursprüngliche Trennung zwischen Lokaladverb und Adverb zur Richtungsanzeige erhalten, denn -in wird zur Bezeichnung der Ruhelage (wo?) und -ein zur Bezeichnung einer Richtungsbewegung (wohin?) verwendet. Folgende Beispielsätze illustrieren die Alternation zwischen darin und darein (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 859): Ruhelage DerSchlüsselstecktimSchloss. Da ist das Schloss, worin

—Er steckt darin, (ugs.: driri)/ hierin. derSchlässelsteckt.

Richtungsbewegung Man steckt den Schlüssel in das Schoss. — Man steckt ihn darein/ hierein. Da ist das Schloss, worein (in das) man den Schlüssel steckt.

b) Sowohl in der DUDEN-Grammatik (2009: § 860) als auch in den Grammatiken von Engel (2004: 418) und Weinrich (2003: 570) werden

28

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

die mit dr- gebildeten Kurzformen als umgangssprachlich bzw. alltagssprachlich eingestuft. Die Möglichkeit der Kontraktion zu dr- ist auf Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition beschränkt. Sie kommen vor allem als Yerbpartikel (draufgehen, draufschlageri) oder aber in festen Wendungen vor, in denen sie sogar als standardsprachlich gelten bzw. die Langformen als ungewöhnlich eingestuft werden: Esging

bei ihm drunter und drüber. Sei's drum.

Sie war drauf und dran, ihn

verlassen.

Mach dirnichts

draus!

Weinrich weist daraufhin, dass dabei „manchmal — ebenfalls umgangssprachlich — eine Redundanz mit der gleichen Präposition" entsteht: Liegt unter diesem Schrank wirklich nichts

drunter?

Da auf diesen Vorsprung könnte man eine Vase

draufstellen.

Wie bereits ausgeführt, haben sich bei den /^/--Pronominaladverbien im Schriftbild die Formen mit r durchgesetzt und zwar sowohl bei konsonantisch als auch bei vokalisch anlautender Präposition. Dennoch ist analog zu den mit da(f)- und m{r)- gebildeten Pronominaladverbien eine lautliche Alternation vorhanden, auf die ich in den Darstellungen keinen Hinweis finden konnte, die ich aber dennoch für erwähnenswert erachte: Transkription nach Siebs (1969: 285)

[hi:raof| bzw.

(vok. anlautend)

[hi:Raof|

(kons, anlautend)

[hi:»fy:K]

Tab. 2: Lautliche Alternation bei

Transkription nach DUDEN-Aussprachewörterbuch (2003: 413) [hi: rauf]

[hi:Bfy:B]

hier-Pronominaladverbien

Beide Aussprachewörterbücher geben je nach lautlicher Beschaffenheit der Präposition unterschiedliche Aussprachevarianten an. Während bei vokalisch anlautender Präposition der r-Laut jeweils artikuliert wird (Zungenspitzen-/- oder Zäpfchen-/- als freie Varianten), ist bei konsonantisch anlautender Präposition eine Tendenz zur Vokalisierung des r-Lautes feststellbar. Siebs transkribiert ihn als stimmlosen uvularen Reibelaut [k], im DUDEN wird er durch ein vokalisches r [b] wiedergegeben, das dieselbe Qualität wie der silbische Vokal [b] hat und somit Kurzformen wie hiefür, hie^u usw. unnötig macht.

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

13

d) In dem in Tabelle 1 dargestellten Paradigma ist nichts über die Verwendungshäufigkeit ausgesagt, die aber je nach Pronominaladverb stark variiert. Generell sind Bildungen mit daif)- die am häufigsten vorkommenden, wohingegen Verbindungen mit woif)- und hier- vergleichsweise selten gebraucht werden. Letztere sind in der Standardsprache meist nur dann möglich, wenn eine präpositionale Rektion vorliegt (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 269): Hierunter verstehen wirim Folgenden...

(verstehen unter)

Hiergegen erhebe ich Einspruch.

(Einspruch

erhebengegen)

aber nicht: unter dem Tisch ^ * hierunter gegen den Hintergrund ^ * hiergegen

Außerdem werden Verbindungen mit hier- bevorzugt mit sogenannten neutralen, also bedeutungsleeren Präpositionen verwendet (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 860): Hierauflegt ergroßen 'Wert. Hieran haben

wirnichtgedacht.

Hierunter versteht man etwas anderes.

Hentschel/Weydt (2003: 269) verweisen darauf, dass sich Bildungen mit hier fast nur noch in offiziellen (institutionellen) performativen Sprechakten finden wie: Hiermit eröffne ich die Sitzung, Hiermit taufe ich dich aufden Namen... etc., vor allem weil die „ursprüngliche Unterscheidung der Nähegrade zwischen hier und da [...] bei den Pronominaladverbien zunehmend zugunsten von da aufgegeben" wird (ebd.).5

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien Im Folgenden soll der syntaktische Status der Pronominaladverbien erörtert werden. Dabei wird zu zeigen sein, dass sich unterschiedliche Wortartzuordnungen ergeben können, je nachdem, ob man eher formale oder funktionale Kriterien anlegt. Da die Wortartzuordnung in den Grammatiken sehr heterogen ist, soll hier ein Vorschlag gemacht werden, der sowohl formale wie auch fünktionale Aspekte berücksichtigt. Im Wesentlichen orientiert sich das folgende Klassifikationsschema an der DUDENGrammatik (2009).

5

Z u r genaueren Unterscheidung zwischen hier(1979).

und ö^(r)-Bildungen siehe Marx-Moyse

14

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

Da sich Pronominaladverbien gerade durch ihren Pro-Charakter auszeichnen, also durch ihre Funktion, für etwas zu stehen, werden als erstes die pronominalen Verwendungsmöglichkeiten systematisch zusammengestellt, um sie anschließend von den nichtpronominalen abgrenzen zu können.

1. Pronominale Verwendung Zunächst ist die Klasse der Pronominaladverbien von ihrer Form her relativ einfach zu bestimmen und abzugrenzen. Das zu Grunde liegende Paradigma wurde bereits vorgestellt (Tab. 1). So lässt sich eine Wortform auf einer ersten formalen Ebene als ,Präpositional-Adverb' identifizieren — allein durch die Tatsache, dass sie aus einer Verbindung aus den Adverbien da/hier/wo und einer einfachen Präposition besteht. Etwas komplexer gestaltet sich ihre funktionale Zuordnung, denn in ihrer syntaktischen Funktion überschneiden sich Pronominaladverbien mit deiktischen bzw. phorischen Adverbien, Interrogativadverbien, Relativadverbien und Konjunktionaladverbien (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 858). Verwendung als phorisches bzw. deiktisches Pro-Adverb Erlegte das Buch darauf. (= aufden

Tisch)

Verwendung als Konjunktionaladverb Karin hat im Lotto gewonnen. Darüber (= dass sie im Lotto gewonnen hai) freut sie sich sehr. Verwendung als Interrogativadverb Worauf hast du keine Lust? Verwendung als Relativadverb Sie hat ein Problem, worüber sie nicht spricht.

Auf diese Unterscheidung aufbauend zeigt Abbildung 1 einen Vorschlag zur Klassifikation von Pronominaladverbien. Dieses Schema bietet eine mögliche Klassifikation für pronominale Verwendungen von Pronominaladverbien, sodass also nichtpronominale Verwendungen (als Verbpartikel oder Konjunktion) von vornherein ausgeschlossen sind.6 Die primäre Zuordnung zur Klasse der Pronominalad-

6

Dies könnte natürlich als Kritikpunkt an diesem Schema vorgebracht werden, aber aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde hier die nichtpronominale V e r w e n d u n g ausgespart und in Kapitel I. C. 2 gesondert behandelt, zumal bei der V e r w e n d u n g als Konjunktion (damif) oder als Verbpartikel ( d r a u f k o m m e n etc.) die formal als ,Präpositionaladverb' zu klassifizierenden Formen keine Pro-Funktionen ausüben, was zumindest in funktionaler Hinsicht konstitutives Kriterium fur die B e s t i m m u n g als ,Pronommaladverb' ist.

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

15

verbien spiegelt sich in der grau unterlegten Fläche wider. Diese vereint aufgrund formaler Kriterien alle Wortformen, die aus da/wo/hier + Präposition bestehen. phorisches bzw. deiktisches Proadverb

. Interrogativadverb wo, woher,

hier., da, dort,

da(r)-/hier+ Präp.

wann warum, .

wo(r)+ Präp. Pronominaladverb

da(r)-/hier+ Präp.

hingegen, trotzdem, außerdem, ...

dennoch,

Konjunktionaladverb

wo(r)+ Präp.

wo, woher,

wann, warum, .

Relativadverb

Abb. 1: Schema zur Klassifikation v o n Pronominaladverbien in pronominaler V e r w e n d u n g

Auf einer zweiten Klassifikationsebene können diese Wortformen in syntaktischer Hinsicht die Funktion eines Interrogativ- oder Relativadverbs (wo(r)~ + Präp.), eines phorischen bzw. deiktischen Proadverbs oder eines Konjunktionaladverbs ausüben (da(r)-/hier- + Präp.). Diesen vier Wortklassen ist gemeinsam, dass in ihrem Formenbestand zum Teil Zusammensetzungen aus da/wo [hier + Präp. enthalten sind, sie aber nicht ausschließlich aus diesen Formen bestehen. Weitere Beispiele sind jeweils in den Kästen aufgeführt. Die primäre Klassifikation eines Wortes als ,Präpositional- bzw. Pronominaladverb' sagt also noch nichts über seine konkrete funktionale Verwendung aus, die in einem zweiten Schritt schließlich noch näher bestimmt werden muss.

16

I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

1.1 Interrogativadverbien Bei den Interrogativadverbien handelt es sich „ausschließlich um sogenannte »-Wörter" (DUDEN-Grammatik 2009: § 856): lokal:

wo, woher, wohin, wo^wischen, woran usw.

temporal:

wann

modal:

wie

kausal:

warum, weshalb, weswegen, wieso

Wie aus der Aufstellung ersichtlich ist, befinden sich darunter sowohl einfache {wo, wann, etc.) als auch komplexe Interrogativadverbien in Form von Pronominaladverbien (wo^wischen, woran). In ihrer interrogativen Funktion können Pronominaladverbien (wo(f)~ + Präp.) sowohl Ergänzungsfragen als auch abhängige Fragesätze einleiten (vgl. Starke 1991: 294f.): a) Einleitung von Ergänzungs fragen Worüber habt DerGlaube

ihrgesprochen?

woran ging verloren ?

Starke stuft diesen Gebrauch „bezogen auf die vom Fragesteller erwartete Antwort" (ebd.: 294) als kataphorisch ein. Aus den Beispielen wird deutlich, dass die Pronominaladverbien entweder als präpositionales Objekt (Bsp. 1) oder aber als Attribut (Bsp. 2) fungieren können. b) Einleitung abhängiger Fragesätze DerLehrerfragte,

worauf die Expressivität des Ausdrucks

beruhe.

Leitet das »w(r)-Pronominaladverb einen Fragesatz ein, so ist dieser stets von bestimmten Verben, Adjektiven oder Substantiven abhängig. Diese Operation wird „bei jeder Umformung direkter in indirekte Rede vollzogen" (ebd.). Das Pronominaladverb behält seine interrogative Funktion, lediglich das finite Verb wird an das Ende des Satzes verschoben, wodurch seine syntaktische Abhängigkeit vom Hauptsatz signalisiert wird (vgl. ebd.). Diese abhängigen Fragesätze können stets als Objekt- bzw. Inhaltssätze kategorisiert werden, da sie von der Valenz des sie regierenden Verbs, Adjektivs oder Substantivs gefordert werden. 7

7

Starke (1991: 295) unterscheidet folgende Verb- bzw. Adjektivklassen (mit d e m Verweis darauf, dass auch Substantive zu den Bezeichnungsklassen gehören): Verben, die kommunikative Handlungen bezeichnen (fragen, mitteilen, etc.); Verben der sinnlichen W a h r n e h m u n g (sehen); Verben und Adjektive, die geistige und seelische Zustände bezeichnen (wissen, ungewiss sein, etc.); Verben, die das Verheimlichen oder Verhindern v o n

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

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1.2 Relativadverbien Nun können die eben aufgeführten »^Wörter nicht allein interrogativ, sondern auch relativ gebraucht werden. Interrogativ- und Relativadverbien greifen also auf das gleiche Repertoire an Formen zurück, ihre „Determinierung erfolgt durch die aktuelle syntaktisch-semantische Umgebung" (Flämig/Heidolph 1984: 687).8 Schon Aichinger (1753: 427) betont, dass diese Wörter „so wohl im fragenden als zurücksehenden Verstände" gebraucht werden können. Relativisch gebrauchte Pronominaladverbien (wo(r)~ + Präp.) können einerseits Relativsätze und andererseits Sperrsätze einleiten (vgl. Starke 1991: 294f.): a) Einleitung von Relativsätzen Da steht das Haus, woneben sie den Nussbaumgepflan^t

hatten.

Man vergleiche die "Zusammenstellung dessen, worüber 'Konsens herrscht. Erdachte

nicht daran, sich in derEcke

verbergen, womit ersieh verdächtiggemacht

hätte.

Leiten Pronominaladverbien Relativsätze ein, werden sie stets anaphorisch gebraucht, da sie auf ein Substantiv (Bsp. 1), ein Pronomen (Bsp. 2) oder einen Infinitivsatz (Bsp. 3) zurückverweisen. b) Einleitung von Sperrsätzen (pseudocleft sentences) Woran ich michgenau

erinnere, ist, dass die

Wohnungstüroffenstand.

(Ich erinnere mich genau daran, dass die Wohnungstür

offenstand)

Sperrsätze bezeichnen einen Konstruktionstyp, der es ermöglicht, das Prädikat eines Hauptsatzes innerhalb eines Satzgefüges herauszustellen, wobei ein Kopulasatz zurückbleibt. „[A]n die Stelle demonstrativer ^-Pronominaladverbien treten solche mit w" (Starke 1991: 300). Diese Sperrsätze sind laut Starke deswegen Teil des relativen Gebrauchs, weil sie einerseits wie die Demonstrativa thematischen Charakter haben und weil es andererseits stets möglich ist, diese Sperrsätze mit einem demonstrativen das einzuleiten (Das, woran ich michgenau erinnere, ...).

8

Information bezeichnen {verbergen, vorenthalten, etc.); Adjektive und Verben, die zum Ausdruck des Interesses oder geistiger Indifferenz dienen {gleichgültig, neugierig, sich interessieren). Die einzige A u s n a h m e bildet das temporale wann, das nur interrogativ verwendet werden kann (vgl. D U D E N - G r a m m a t i k 2009: § 857).

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I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

1.3 Konjunktionaladverbien Bezüglich des Verhältnisses zwischen Pronominal- und Konjunktionaladverbien liefern die einschlägigen Grammatiken sehr heterogene Beschreibungen. Manchmal werden auch Zusammensetzungen aus einer Form des Demonstrativpronomens (deswegen, demgegenüber, dementsprechend, demzufolge) zu den Pronominaladverbien gezählt, andere Grammatiken bezeichnen diese Einheiten als Konjunktionaladverbien, weil sie sich funktional stark an Konjunktionen annähern. (Eisenberg 2004: 197)

Auch bei Henschel/Weydt spiegeln sich terminologische Unsicherheiten in der Bezeichnung dieser Wortgruppe(n) wider: Neben den bisher dargestellten Pronominaladverbien gibt es noch eine weitere Gruppe von Wörtern, die mit demselben Begriff bezeichnet werden könnten [...]: es handelt sich dabei um aus einem Pronomen und einer Präposition gebildete Adverbien wie deshalb, deswegen, demzufolge, infolgedessen, trotzdem... Für diese Wortgruppe liegt kein allgemein üblicher Terminus vor; meist werden sie zu den Konjunktionaladverbien gerechnet. (Hentschel/Weydt 2003: 269)

Wenn auch unter den Grammatiken wenig Konsens darüber besteht, welche Wortformen nun als Konjunktionaladverbien zu gelten haben, so herrscht doch weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich Konjunktionaladverbien auf einem Gradatum zwischen Konjunktion und Adverb bewegen. Ihre Funktion, Sätze miteinander zu verbinden, rückt sie eher in die Nähe der Konjunktionen, allerdings führen sie nicht zur Verbletztstellung, wie dies bei subordinierenden Konjunktionen der Fall ist. Da sie die Stelle vor dem ftniten Verb besetzen können, fungieren sie in syntaktischer Hinsicht eher wie Adverbien (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 864). Eine formal als Pronominaladverb bestimmte Wortform ist also funktional als Konjunktionaladverb einzustufen, insofern sie sich in einem Satz syntaktisch wie ein solches verhält. In der DUDEN-Grammatik wird explizit darauf hingewiesen, dass sich Konjunktionaladverbien auf den gesamten vorhergehenden Satz oder Teilsatz beziehen und damit auch eine Pro-Funktion (Stellvertreterfunktion) ausüben (vgl. ebd.). Gerade dieses Kriterium war der ausschlaggebende Faktor, als Konjunktionaladverbien fungierende Pronominaladverbien innerhalb der pronominalen Verwendung zu besprechen. Dass es hier allerdings einen Ubergangsbereich zur nichtpronominalen Verwendung gibt, macht etwa Fleischer deutlich. Er betrachtet als Konjunktionaladverbien verwendete Pronominaladverbien gerade als nichtpronominale Verwendung. Dabei stützt er sich auf das Argument, dass Konjunktionaladverbien keine Verweisfünktion hätten, also weder für ein präpositionales Adverbiale noch für ein präpositionales Objekt oder Attribut stehen

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

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könnten (vgl. Fleischer 2002: 26f.). Als Beispiel fuhrt er folgenden Satz an, bei dem eine Substitution durch die Präposition um + Ergänzung nicht möglich ist: Militärische Strukturen sind totalitär, darum bin ichgegen die Armee.

Dass es sich hier um ein Konjunktionaladverb handelt, steht außer Zweifel, zumal es durch deswegen ersetzt werden kann. Diskutieren lässt sich lediglich darüber, ob darum in diesem Satz nicht doch einen Pro-Charakter aufweist. 9 An diesem Beispiel soll aufgezeigt werden, dass es einen fließenden Ubergang zwischen pronominaler und nichtpronominaler Verwendung gibt. 1.4 Phorische bzw. deiktische Proadverbien Die wohl häufigste Verwendung der daif)- und ^'«"-Bildungen ist die eines deiktischen bzw. phorischen Proadverbs, das seinerseits entweder rückverweisend (anaphorisch) oder vorausweisend (kataphorisch) sein kann, was auch Adelung schon besonders hervorhebt: Das Demonstrativem der wird gerne mit manchen Präpositionen und Adverbien zusammen gezogen, demonstrative Nebenwörter zu bilden, welche sich zugleich auf ein vorher gehendes oder nachfolgendes Subject beziehen: daran, darin, darauf... (Adelung 1781: 250)

a) In seiner deiktischen, also konkret zeigenden Funktion ist das Pronominaladverb selbstständig, d.h. es muss kein Antezedens vorhanden sein. Der folgende Satz könnte von einer Zeigegeste begleitet sein (vgl. Eisenberg 2004: 197): Karlchen spielt dahinter. (= hinterdem

Haus)

b) Rückverweisen kann das Pronominaladverb entweder auf ein Substantiv bzw. auf eine Nominalphrase (Bsp. 1) oder aber auf einen ganzen Satz (Bsp. 2) (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 861): Sie schoben die Bücherbeiseite.

Dahinter kam Staub %um Vorschein.

Er nahm das Geld entgegen; dabei hatte erein schlechtes

Gewissen.

c) Kataphorisch gebraucht kann das Pronominaladverb das Korrelat eines Nebensatzes (Bsp. 1), einer Infinitivgruppe (Bsp. 2) oder eines Hauptsatzes (Bsp. 3) bilden (vgl. ebd.): Die Rednerin wies daraufhin,

9

dass noch nicht aller Tage Abend sei.

Die B e g r ü n d u n g dafür, gegen die A r m e e zu sein, findet sich schließlich gerade im vorausgehenden Hauptsatz (= 'weil militärische Strukturen totalitär sind'), welcher durch darum meines Erachtens anaphorisch wieder a u f g e n o m m e n wird.

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I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

Sie hat nichts dagegen, den Vortrag

verlängern.

Es bleibt dabei: Wir reisen morgen ab.

Es ist zu beachten, dass standardsprachlich (etwa nach Auffassung des DUDEN) bei einem kataphorischen Gebrauch kein relativischer Attributsatz an das Pronominaladverb angeschlossen werden kann. In diesem Fall müsse dieses durch eine Verbindung aus Präposition und Personalpronomen ersetzt werden (vgl. DUDEN — Richtiges und gutes Deutsch 2007: 738): Du darfst darüber (richtig: über das), was ich diranvertrauthabe,

nicht sprechen.

Wie aus den aufgeführten Beispielen zur pronominalen Verwendung ersichtlich ist, können Pronominaladverbien sowohl als präpositionales Objekt (Helga denkt daran), als präpositionales Adverbiale (Otto schläft daneben.) oder — wenn auch seltener — als präpositionales Attribut 10 (die Antworthierauf) auftreten (vgl. Eisenberg2004: 197). 2. Nichtpronominale Verwendung Nachdem der eigentliche Kernbereich der Pronominaladverbien, ihre pronominale Verwendung, erläutert worden ist, soll dieser nun von der nichtpronominalen Verwendung als Verbpartikel oder Konjunktion abgegrenzt werden. 2.1 Verbpartikeln „Unter Partikelverben versteht man komplexe Verben mit einem morphologisch und syntaktisch trennbaren Erstglied" (DUDEN-Grammatik 2009: § 1061). Dieses trennbare Erstglied wird je nach Grammatik sehr unterschiedlich bezeichnet, 11 wobei in dieser Arbeit der Ausdruck ,Verbpartikel' verwendet wird. Im Gegensatz zu einfachen Präfixen zeichnen sich diese Verbpartikeln gerade dadurch aus, dass zu ihnen „homonyme Wörter" (ebd.: § 1062) existieren, wie beispielsweise die Präpositionen an, durch, hinter etc. Bilden Pronominaladverbien den ersten Bestandteil,

10

11

I m Folgenden werde ich — von Zitaten abgesehen — die valenzgrammatischen Termini verwenden, also ,Präpositionalergänzung' anstatt ,präpositionales Objekt' und ,freie Angabe' statt ,präpositionales Adverbiale'. Für dieses Erstglied gibt es zahlreiche Bezeichnungsmöglichkeiten: trennbares Präfix (Fleischer 1969), Halbpräfix (Wellmann 1998), postponierbares Präverb (Simeckova 1994), Nachverb (Wemrich 1993), Verbpartikel (Eichinger 1989). (Zur A u f z ä h l u n g vgl. D U D E N Grammatik 2009: § 1061)

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

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spricht man genauer von komplexen adverbialen Verbpartikeln (vgl. ebd.). Allerdings können nur Bildungen mit da{r)~ + Präposition ein Partikelverb bilden, nicht aber solche mit hier oder wo(r)~ (vgl. ebd.: § 1066). Ein weiterer Unterschied zu den verbalen Präfixen besteht darin, dass Verbpartikeln stets betont sind, im Korpus finden sich beispielsweise dafürkönnen, davubauen. dazwischenkommen. Es wäre hinzuzufügen, dass in der Korpusuntersuchung auch zahlreiche Fälle mit verkürztem dr- belegt werden konnten (z.B. draufkommen, draufbe^ahlen, drinstehen). Die Fähigkeit der adverbialen Erstglieder der Partikelverben das Vorfeld zu besetzen, zeugt einerseits von einer relativ lockeren Verbindung mit dem Verb (vgl. Eichinger 2000: 105), andererseits davon, dass die Grenzen zwischen Partikelverb und syntaktischer Fügung fließend sind. In der DUDEN-Grammatik von 2005 (§ 1066) gelten Verbindungen mit sein nicht als komplexe Wörter (vorbei sein) mit dem Hinweis darauf, dass die Neuregelung der Orthographie in diesem Bereich deutlich die Getrenntschreibung bevorzuge. In der Tat werden seit der jüngsten Rechtschreibreform dabei sein, dafür sein, dagegen sein, drauf sein, drin sein etc. getrennt geschrieben. Da aber meines Erachtens orthographische Kriterien bei dieser syntaktischen Frage keine Rolle spielen sollten, werden in dieser Arbeit auch Verbindungen mit sein + Pronominaladverb als erstem Bestandteil als Partikelverben gewertet, zumal alle oben genannten Kriterien erfüllt sind. In der aktuellen Auflage der DUDEN-Grammatik von 2009 ist der Absatz über die Verbindungen mit sein ersatzlos gestrichen — ein weiteres Indiz dafür, diese als Partikelverben zu werten. Generell sollen in der nachfolgenden Korpusuntersuchung alle als Verbpartikeln verwendete Pronominaladverbien berücksichtigt werden, weil bei ihnen ebenfalls die untersuchten Phänomene wie Spaltungs- und Verdoppelungskonstruktionen auftreten können. 2.2 Konjunktion Als einziges Pronominaladverb kann damit auch als unterordnende Konjunktion (= Subjunktion) auftreten: Petergeht

heute früh ins Bett, damit ermorgen ausgeschlafen hat.

In diesem Beispielsatz ist damit nicht durch die Präposition mit + Pronomen ersetzbar, hingegen kann es durch eine andere Subjunktion substituiert werden (Peter geht heute früh ins Bett, dass er morgen ausgeschlafen hat). Auch die Spannform des Nebensatzes ist ein Indiz dafür, dass eine Subjunktion vorliegt. Da hier weder in irgendeiner Weise ein Pro-Charakter vorliegt noch eine diskontinuierliche Stellung der Glieder möglich ist,

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I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

wurden alle Suchergebnisse aus dem Korpus aussortiert, in denen damit als Konjunktion verwendet wird.

D. Phonetischer Status der Pronominaladverbien Pronominaladverbien weisen je nach syntaktischer Verwendung unterschiedliche Akzentuierungsmuster auf, weshalb im Folgenden auch ihr phonetischer Status näher betrachtet werden soll. Einfache Pronominaladverbien gelten im Neuhochdeutschen als ein (mehrsilbiges) phonetisches Wort, wobei jeweils einer der beiden Bestandteile stärker betont wird. Mit daif]- gebildete Pronominaladverbien: Im unmarkierten Fall ist bei mit da(r)~ gebildeten Pronominaladverbien in der Regel die Präposition, also die zweite Silbe, betont. Dies gilt zunächst für alle Pronominaladverbien in der Funktion einer Verbpartikel (dabei sein, da^ubauen, dazwischenkommen) sowie für den Gebrauch als Subjunktion (damit), also für alle n i c h t p r o n o m i n a l e n Verwendungsweisen. Wunderlich hingegen sieht die Zweitsilbenbetonung gerade nicht als die Regel, sondern vielmehr als Ausnahme an: Die Pronominaladverbien sind im allgemeinen auf dem pronominalen Präfix als dem Po-Komplement betont (jedenfalls betonbar), während formgleiche Wörter, die in andere Kategorien übergetreten sind, auf der Präposition betont werden, vgl. (i)

Damit

habe ich nichts

tun.

(ii) Damit ich schlafen kann. (iii) Davon weiß ich nichts. (iv) Erlief davon. (Wunderlich 1984: 87)

Mit Pronominaladverbien' sind hier offensichtlich deren pronominale Verwendungsweisen gemeint (i und iii), während ,formgleiche Wörter, die in eine andere Kategorie übergetreten sind', nichtpronominale Verwendungen als Subjunktion (ii) und Verbpartikel (iv) repräsentieren. Diese Ansicht spiegelt allerdings die tatsächlichen Verhältnisse meines Erachtens nicht adäquat wider, denn auch der p r o n o m i n a l e Gebrauch korreliert in der Regel mit der Betonung auf der Präposition. Zweitsilbenbetonung stellt also eindeutig den häufigeren Fall dar: Konjunktionaladverb: Sie interessiertsichfürklassische

Musik, dagegen

weiß sie wenig über Rockmusik.

Simon kauft sich eine neue Kamera, dazu kauft ersieh eine

Aufbewahrungstasche.

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C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

Phorisches Proadverb: Karlchen spielt dahinter, (deiktisch) Er rückte den Schrank ^urSeite. Dahinter kam Staub %um Vorschein, (anaphorisch) ABER: Dabei/dabei hatte erein schlechtes Gewissen, (anaphorisch)

Wie das letzte Beispiel zeigt, besteht auch die Möglichkeit zur Akzentuierung auf der ersten Silbe, wenn das pronominale Element besonders betont werden soll. Auch die DUDEN-Rechtschreibung gibt die Betonung auf der zweiten Silbe als unmarkierte Variante an, während die Erstsilbenbetonung jeweils mit dem Vermerk ,hinweisend' versehen ist (vgl. DUDEN-Rechtschreibung 2006: 295). Lookwood weist in seiner „Historical German Syntax" ebenfalls auf die Möglichkeit zur Akzentuierung der ersten Silbe hin: „We notice at once that two stressings are possible: daran or daran, the adverbial element, when stressed, retaining its full demonstrative value" (Lockwood 1968: 58). Abgesehen davon wird der adverbiale Teil stets betont, wenn das Pronominaladverb als Korrelat fungiert, was zweifelsohne auf dessen kataphorische Verweisfunktion auf den folgenden Inhaltssatz zurückzuführen ist: Phorisches Proadverb: Erwies sie daraufhin,

dass derZug schon abgefahren sei. (kataphorisch) Akzent auf d a i f j -

Akzent aufPräp.

PRONOMINALE VERWENDUNG Phorisches Proadverb deiktisch anaphorisch kataphorisch

X X

X

X

Konjunktionaladverb

X

NICHTPRONOM. VERWENDUNG Verbpartikel

X

Konjunktion

X

Tab. 3: Akzentuierung bei Pronominaladverbien mit da[f)~

Die DUDEN-Grammatik gibt noch einen weiteren die Akzentuierung beeinflussenden Faktor an, nämlich die Stellung des Pronominaladverbs im Satz. Steht dieses „an der Satzspitze, wird meist die erste Silbe betont: Willst du ins Kino gehen? 'Dafür habe ich keine Zeit, aber: Ich habe keine Zeit da'für. Dennoch kann man auch hier den Bestandteil da- betonen; in die-

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I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

sem Fall ergibt sich eine besonders starke Deixis: Ich habe keine Zeit 'dafür (aber vielleicht für etwas anderes)" (DUDEN-Grammatik 2009: § 858). Tabelle 3 zur Akzentuierung der auf daif)- gebildeten Pronominaladverbien stellt noch einmal die Betonungsverhältnisse zusammenfassend dar. Mit woif]- gebildete Pronominaladverbien: Bei den Pronominaladverbien mit woif)- als erstem Bestandteil ist die Akzentuierung durch die jeweilige syntaktische Verwendung festgelegt. Während beim Interrogativadverb stets die erste Silbe betont ist, liegt der Akzent beim Relativadverb auf der zweiten Silbe, was folgende Beispiele illustrieren: Interrogativadverb:

Relativadverb:

Woran liegt das?

Ich weiß, woran das liegt.

Wozu machst du das?

Ich weiß, wozu du das machst. Akzent auf wo(f)~

Akzent aufPräp.

PRONOMINALE VERWENDUNG Interrogativadverb

X

Relativadverb

X

Tab. 4: Akzentuierung bei Pronominaladverbien mit wo(f)~

Mit hier- gebildete Pronominaladverbien: Bei den selten verwendeten /^/--Pronominaladverbien liegt der stärkere Ton unabhängig von ihrem syntaktischen Status eher auf dem adverbialen ersten Teil (vgl. Paul 1919 [1968], III: 159, Fleischer 2002: 16), was eventuell daran liegen könnte, dass hier mehr phonologische Substanz hat als da bzw. wo und demzufolge einen stärkeren Verweischarakter aufweist.

E. Semantischer Status der Pronominaladverbien Abschließend soll nun der semantische Status der Pronominaladverbien beleuchtet werden. Sieht man sich wieder zunächst Grammatiken des 18.Jahrhunderts an, so liest man etwa bei Aichinger: Von all diesen Partikeln ist zu merken, daß sie sich niemahls auf eine Person, sondern nur auf Sachen beziehen dürffen. Z. B. Sehet hier den Ar^t, durch welchen (nicht wodurch) ichgesund worden bin. (Aichinger 1753: 427)

C. Syntaktischer Status der Pronominaladverbien

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Aichinger bezieht hier klar Position. Er lehnt die Verwendung von Pronominaladverbien in Bezug auf Personen kategorisch ab und schränkt ihren Gebrauch somit auf Sachen ein. Eine viel differenziertere Position vertritt hingegen Adelung 12 , der sich wie folgt äußert: Eigentlich können diese Zusammenziehungen gebraucht werden, wenn sich die Pronomina auf Sachen beziehen, nicht aber auf Personen, ich habe dafür gut gesagt, für die Schuld, nicht für die Person, wir wollen ihn dabey lassen, bei seyner Meynung, nicht bey seinen Freunden. Darunter, dazwischen, und noch einige andere werden aber auch von Personen gebraucht, er war darunter, unter den Gästen, der Freund, woraufich mein Vertrauen set^e, besser aufweichen. (Adelung 1781: 370)

Aus diesen beiden Zitaten lassen sich im Prinzip die bis heute geltenden Grundregeln ableiten: Wenn auch Aichingers extreme Position im Einzelnen nicht haltbar ist, so spiegelt sie dennoch die allgemeine Tendenz wider, Pronominaladverbien in Bezug auf Sachen zu verwenden. Hier wäre hinzuzufügen, dass auch auf Abstraktes referiert werden kann. 13 Wird hingegen auf Personen oder etwas Belebtes verwiesen, verwendet man standardsprachlich eine Fügung aus Präposition und Personalpronomen, was an folgenden Beispielen illustriert werden soll (vgl. DUDENGrammatik 2009: § 862):

12

A d e l u n g erwähnt zwar immerhin den Gebrauch v o n Pronominaladverbien in B e z u g auf Personen, m a c h t aber auch deutlich, dass die andere Variante (Präposition + Personalpron o m e n ) die „bessere" sei. A u f den Versuch vieler Grammatiker, normativ m die Sprachwirklichkeit einzugreifen, weist auch Paul hin: O b w o h l beispielsweise Luther solche Belege „in M a s s e " biete, werde „dieser Gebrauch noch v o n m a n c h e n Grammatikern angefochten." (Paul 1968: 156)

13

Engel macht den Versuch, diese Regel noch weiter zu untergliedern, indem er sieben Regeln zur V e r w e n d u n g von Pronominaladverbien bzw. v o n Präpositionalphrasen mit P r o n o m e n aufstellt. Regel 2 lautet folgendermaßen: „Handelt es sich u m unbelebte Gegenstände, die konkret benannt und abgegrenzt sind, so gilt ebenfalls die Phrase mit Pronomen: Legdas Buch auf ihn! (= auf den Tisch) Unter ihr schlafen Obdachlose. (= unter der Brücke)" (Engel 2004: 419) Meiner Meinung; nach müsste gerade im ersten Beispielsatz eher ein Pronominaladverb verwendet werden ( L e g das Buch darauf!). D a ich diese Regeln als zu w e n i g stichhaltig und trennscharf erachte, seien sie hier lediglich in einer Fußnote erwähnt, u m zu zeigen, dass eine allzu differenzierte Untergliederung Probleme bereitet, zumal Grammatikalitätsurteile in diesem Fall v o n Sprecher zu Sprecher äußerst unterschiedlich ausfallen dürften.

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I. Pronominaladverbien in der Standardsprache des Neuhochdeutschen

unbelebt Ich warte aufdie Entscheidung. Ich warte darauf ( f a u f s i e ) . belebt Ich warte auf meine Schwester.Ich

warte aufsie (*darauf).

Adelung deutet aber schon an, dass es Ausnahmen zu dieser Regel gibt, denn in besonderen Fällen kann mit Pronominaladverbien auch auf Personen referiert werden. Dies ist der Fall bei darunter und davon, die auch auf Belebtes verweisen können, vor allem, wenn auf ein Personenkollektiv Bezug genommen wird (vgl. IDS-Grammatik 1997: 1098) und es sich um lokale Bezüge handelt (vgl. DUDEN-Grammatik 2009: § 862): Wir sahen eine Gruppe von Studierenden. Darunter/ Unter ihnen befanden sich viele Japaner.

Wie der Beispielsatz zeigt, konkurrieren die beiden Varianten miteinander. Je weiter die Personen bzw. Lebewesen in den Hintergrund treten, desto wahrscheinlicher ist die Verwendung eines Pronominaladverbs. Diese „fein abgestufte Belebtheitshierarchie" (ebd.) betrifft — nebenbei bemerkt — auch die Bildungen mit hier- und »w-.14

14

Z u m Gebrauch v o n damit fur Menschen im westfälischen Regional- und Niederdeutschen vgl. T h u n (1985).

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des Neuhochdeutschen Bevor es an die konkrete Korpusuntersuchung geht, soll das aus verschiedenen Teilkorpora bestehende Gesamtkorpus bezüglich seiner Zusammensetzung, seinen Möglichkeiten, aber auch seinen Grenzen differenziert betrachtet werden. Eine weitere notwendige Voraussetzung ist die Klärung des Begriffs der Nähesprache, der diesen Analysen zu Grunde liegt.

A. Verortung der Nähesprache im Varietätenkontinuum Primär geht es darum, die Nähesprache im Varietätenkontinuum des Deutschen genauer zu verorten. Da jedoch die Verwendungsweisen des Begriffs der ,Nähesprache' ebenso wie des damit eng verbundenen Begriffs der ,Alltagssprache' in der Literatur sehr uneinheitlich sind, möchte ich zunächst die dahinterstehenden theoretischen Modelle genauer erläutern.

1. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Koch & Oesterreicher Dazu soll zunächst der wohl am meisten rezipierte Ansatz zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen gesprochener und geschriebener Sprache von Peter Koch und Wulf Oesterreicher vorgestellt werden, anschließend dessen Weiterentwicklung im Modell von Vilmos Agel und Mathilde Hennig.

1.1 Vorstellung des Modells von Koch & Oesterreicher Das Nähe-Distanz-Modell von Koch/Oesterreicher geht auf Söll zurück, der die alleinige Unterscheidung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache als unzureichend erachtet und deshalb folgende Differenzierung vorschlägt: „Wir wollen mit code phonique und code graphique jene Grundmanifestationen menschlicher Sprache bezeichnen, die strikt an das

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des Neuhochdeutschen

Medium, an den Kommunikationsweg gebunden sind" (Söll 1985: 17). Hingegen möchte er gesprochen' {code parle) und ,geschrieben' {code ecrit) „nicht auf die Realisation, sondern auf die Konzeption" (ebd.: 19) angewendet wissen: parle

ecrit

stpzposibl phonique

snepap^sibl (3)

(1) fopaldir

ilngfopaldir ce n'est pas

c'est p a s p o s s i b l e graphique

possible (4)

(2) f a u t p a s le d i r e

il ne faut

pas le

dire

Abb. 2: Mündlichkeit und Schriftlichkeit — konzeptionell und medial (Söll 1985: 24)

Koch/Oesterreicher greifen diese Unterscheidung auf und fassen sie in folgendem Modell (Abb. 3) genauer. Das Medium zur Realisierung von Sprache ist entweder graphisch bzw. geschrieben (obere Hälfte im Schema) oder phonisch bzw. gesprochen (untere Hälfte im Schema) und demnach als „strikte Dichotomie" (Koch/Oesterreicher 1990: 6) zu sehen, was durch den durchgezogenen horizontalen Pfeil verdeutlicht werden soll. Der entscheidende Aspekt zur Erklärung des Aufbaus dieses Modells besteht nun in der zweiten Unterscheidung, nämlich in den unterschiedlichen Konzeptionen von Sprache, die eher nähesprachlich (im Schema links) oder distanzsprachlich (im Schema rechts) sein kann. Anders als in der eben beschriebenen Dichotomie besteht hier vielmehr ein Kontinuum zwischen den extremen Ausprägungen der Konzeption (vgl. ebd.). Dass es im Nähe-Distanz-Kontinuum gewisse „konzeptionell-mediale Affinitäten" (ebd.: 12) gibt, erscheint plausibel. Diese bestehen einerseits zwischen graphischem Medium und konzeptioneller Schriftlichkeit (z. B. bei einem Zeitungsartikel^) und andererseits zwischen phonischem Medium und konzeptioneller Mündlichkeit (z. B. bei einem vertrauten Gespräch a oder einem Telefonat unter Freunden B). Interessant ist der Befund, dass prinzipiell immer in das andere Medium „transkodiert" werden kann, ein Zeitungsartikel kann vorgelesen, ein Gespräch schriftlich transkribiert werden. Das in dieser Arbeit untersuchte Korpus für das 20.Jahrhundert repräsentiert gerade einen solchen Typus, nämlich transkribierte (standardsprachliche) Interviews. Neben diesem reinen Medienwechsel sind vor allem gegenläufige Kombinationstypen von Medium

A. V e r o r t u n g d e r N ä h e s p r a c h e im V a r i e t ä t e n k o n t i n u u m

29

und Konzeption interessant, wie dies beispielsweise auf den Privatbrief (f) zutrifft, der konzeptionell eher mündlich, aber dennoch schriftlich verfasst ist. An dieser Stelle sei noch einmal kurz auf die besondere Leistung dieses Modells verwiesen, das eine Analyse sprachgeschichtlicher Texte ermöglicht, die zwar schriftlich überliefert sind, aber natürlich keinesfalls alle der konzeptionellen Schriftlichkeit angehören. Kommunikalionsbedingungen: Dialog Vertrautheit der Partner

face-to

face-

Interaktion freie Themenentwicklung keine Öffentlichkeit Spontaneität .involvement' Situationsverschränkung Expressivität Affcktivität

Monolog Fremdheit der Partner raumzeitliche Trennung Themenfixierung Öffentlichkeit Reflektiertheit .detachment' Situationsentbindung .Objektivität'

Verspraclilichungsstrategien: — Prozeßhaftigkeit — Vorläufigkeit geringere: Informationsdichte Kompaktheit Integration Komplexität Elaboriertheit Planung

— .Verdinglichting' — Endgültigkeit größere: — Informationsdichte — Kompaktheit — Integration — Komplexität — Elaboriertheit — Planung

A b b . 3: N ä h e - D i s t a n z - M o d e l l ( K o c h / O e s t e r r e i c h e r 1985: 2 3 )

Es reicht allerdings nach Koch/Oesterreicher nicht aus, ,Sprache der Nähe' und ,Sprache der Distanz' rein sprachimmanent zu betrachten, da konzeptionelle Mündlichkeit und Schriftlichkeit „wesenhaft bezogen sind auf zwar kommunikativ relevante, aber außersprachliche Gegebenheiten" (Koch/Oesterreicher 1990: 8). Solche universellen, aber stets historisch überformten Kommunikationsbedingungen betreffen beispielsweise den Grad der Öffentlichkeit, der Vertrautheit und der emotionalen Betei-

30

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

ligung der Partner. „Auf diese universal variierenden Bedingungen 'reagiert' das sprechende Subjekt mit bestimmten ebenfalls universalen Versprachlichungsstrategien" (ebd.: 10). Jede Textsorte ist notwendigerweise durch ein Bündel solcher Kommunikationsbedingungen charakterisiert. Da das untersuchte Korpus für das 19. Jahrhundert zum allergrößten Teil eine Sammlung von Privatbriefen des 19.Jahrhunderts ist, soll dieser Typ innerhalb des vorgestellten Modells genauer verortet werden. Zunächst weist der Privatbrief für die Nähesprache typische Kommunikationsbedingungen auf, wie die Vertrautheit der Partner, eine eher starke emotionale Beteiligung sowie relative Spontaneität. Darüber hinaus lassen sich aber auch solche ausmachen, die ihn aufgrund seines schriftlichen Mediums determinieren. Dies wären beispielsweise physische Distanz, keine Kooperationsmöglichkeit bei der Produktion und eine streng geregelte Dialogizität innerhalb eines Briefwechsels, wobei keine spontane Übernahme der Produzentenrolle möglich ist (vgl. ebd.: 9). Mit diesen außersprachlichen Bedingungen gehen im konkreten Kommunikationsakt natürlich auch bestimmte „sprachliche Fakten" einher, die Koch/Oesterreicher als Versprachlichungsstrategien (ebd.: 10) bezeichnen. Für die Nähesprache sind dies zunächst Vorläufigkeit und Prozesshaftigkeit (im Gegensatz zu tendenzieller Endgültigkeit distanzsprachlicher Äußerungen), sowie eine geringe Informationsdichte, Kompaktheit und Planung.

1.2 Anwendung auf das Varietätenkontinuum des Deutschen Um die Begriffe der ,Nähe- bzw. Alltagssprache' adäquater definieren zu können, ist es hilfreich, sich einen Uberblick über das Varietätenspektrum des Deutschen zu verschaffen (Abb. 4). Dabei dient das eben vorgestellte Modell von Koch/Oesterreicher als Referenz. Das ursprüngliche Modell ist in seinen Aufbauprinzipien erhalten, nämlich in der Unterscheidungzwischen M e d i u m und K o n z e p t i o n . Die das M e d i u m betreffende Unterscheidung zwischen geschriebener (im Schema oben) und gesprochener Sprache (im Schema unten) ist selbstverständlich auch auf das Deutsche anwendbar. Das einzige, was einer Erklärung bedarf, ist die Unterteilung in „Nhd. Schriftsprache (bis Ende 19. Jh.)" und „geschriebene nhd. Standardsprache". Diese Unterscheidung beruht darauf, dass man streng genommen im 19.Jahrhundert noch nicht von ,Standard' sprechen kann, da eine Übereinkunft über grammatische bzw. syntaktische Normen noch fehlte, auch die ,reine und gemäßigte Hochlautung' wurde erst Anfang des 20.Jahrhunderts festgelegt (vgl. Schieb 1981: 156).

A. V e r o r t u n g der Nähesprache im Varietätenkontinuum

31

Abb. 4: Nähe-Distanz-Modell nach Koch/Oesterreicher — angewendet auf das deutsche Varietätenkontmuum

Die Vorstellung eines Kontinuums zwischen k o n z e p t i o n e l l e r Nähe- und Distanzsprache wurde in Abbildung 4 auf das V a r i e t ä t e n kontinuum des Deutschen projiziert, das sich zwischen der S t a n d a r d s p r a c h e und den kleinräumiggebundenen D i a l e k t e n erstreckt.1 Da gerade der Bereich zwischen diesen Polen im 19.Jahrhundert große Veränderungen erfahren hat, sei an dieser Stelle ein kurzer sprachhistorischer Exkurs erlaubt: Das 19. Jahrhundert ist einerseits geprägt von einem kontinuierlichen Rückgang der traditionellen Dialekte, andererseits von der Entstehung eines Spektrums verschiedener r e g i o n a l e r U m g a n g s s p r a c h e n . 2 Dieser Prozess kann als „die wohl größte Umwiälzung des Varietätengefüges im Deutschen seit der Frühen Neuzeit" (Elspaß/Denkler 2003: 131) betrachtet werden. Der Ubergang zwischen den einzelnen Varietäten ist dabei fließend und regional unterschiedlich ausgeprägt. Die Entstehung der Zwischenvarietäten ist auf eine ,Entdiglossierung' zurückzuführen, also auf einen Prozess des Abbaus der Diglossie zwischen Standardsprache und Ortsmundart zugunsten eines Kontinuums mit teils dialektaleren, teils standardnäheren regionalen Um-

1

Unter ,Nonstandard' sollen alle Varietäten verstanden werden, die nicht der Standardsprache entsprechen, also neben den Dialekten auch die regionalen Umgangssprachen.

2

Z u r Diskussion um die verschiedenen Erklärungsansätze regionaler U m g a n g s s p r a c h e n vgl. M i h m 2000 (2111ff.)

32

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

gangssprachen. Scharfe Trennlinien innerhalb der in einem ständigen gegenseitigen Austausch stehenden Varietäten zwischen Dialekt und Standardsprache zu ziehen, ist aufgrund der fließenden Ubergänge gar nicht möglich — und auch nicht nötig, solange man „Variabilität und Heterogenität als natürliche Aggregatszustände von Sprachen" (Mihm 2000: 2108) und nicht als Zeichen von Disfunktionalität versteht. Die eben verwendete Definition von Umgangssprachen als den „großen und heteronomen Bereich von Sprachvarietäten" (Bußmann 2002: 718) zwischen den Polen Standardsprache und Dialekt soll auch für diese Arbeit gelten. In einer anderen Verwendungsweise bezeichnet Umgangssprache gleichsam „eine Stilschicht, die für informellere, privatere Situationen angemessener erscheint als die eher auf formelle Situationskontexte beschränkt bleibende Hochsprache" (ebd.). In dieser zweiten Definition ist ,Umgangssprache' relativ synonym zu dem Begriff der ,A11tagssprache' zu sehen, was in dieser Arbeit aber unterschieden werden soll, denn A l l t a g s s p r a c h e soll verstanden werden als „der soziale und funktionale Kommunikationsbereich, in dem , S p r a c h e d e r N ä h e ' stattfindet und [...] — je nach sprachlicher Sozialisation der Sprachteilhaber — im gesamten Kontinuum der nationalsprachlichen Varietäten (Dialekt, regionale Umgangssprachen, überregionale Schriftsprache, Standardsprache) realisiert werden kann" (Eispaß 2005a: 28). Die Texte, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit darstellen, sind größtenteils einer eher s t a n d a r d n a h e n Variante der Alltagssprache zuzuordnen, wobei die Ubergänge zwischen regionalen Umgangssprachen und regional differenzierter Standardsprache auch in diesem Korpus oft so fließend sind, dass ein Hinübergleiten vom einen zum anderen (und zurück) von den Sprecherinnen und Sprechern gar nicht bewusst wahrgenommen wird und dass es auch problematisch ist, linguistische Grenzen festzulegen. Auch heute noch ist die ,A11tagssprache' der allermeisten Sprecher und Sprecherinnen des Deutschen auf Grund irgendwelcher Merkmale der Aussprache, der Intonation, des Wortschatzes oder sogar der Grammatik einer Region zuzuordnen. (Elspaß/Möller

2006: 144)

2. Nähe- vs. Distanzsprachlichkeit nach Agel & Hennig Die Konzeption von Nähe- und Distanzsprache nach Koch/Oesterreicher hat in der Sprachwissenschaft zahlreiche Weiterentwicklungen erfahren. An dieser Stelle soll diejenige von Agel/Hennig eingehender vorgestellt werden, da ich sie für die Zwecke einer möglichst präzisen Auseinandersetzung und Analyse nähesprachlicher Texte als besonders fruchtbringend erachte.

A. Verortung der Nähesprache im Varietätenkontinuum

33

2.1 Kritik am Modell von Koch & Oesterreicher Yilmos Agel und Mathilde Hennig halten das Modell von Koch/Oesterreicher sowohl theoretisch als auch praktisch für revisionsbedürftig: Was die Kritik in t h e o r e t i s c h e r H i n s i c h t angeht, so sehen sie generell das Problem der „logisch heterogenen Bezüge" (Agel/Hennig 2007: 182). Kritisiert wird — größtenteils durchaus zu Recht — die wenig trennscharfe Unterscheidung zwischen Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien. Dialogisch sei die Kommunikation, nicht deren Bedingung, spontan, expressiv und affektiv könne nur das kommunikative Verhalten der Partner sein, nicht die Kommunikation selbst. Geringere Informationsdichte stelle keine Strategie dar, sondern sei vielmehr Ergebnis der Kommunikation, ebenso sei Pro^esshaftigkeit keine Strategie, sondern eher ein beobachtbares Kommunikationsmerkmal (vgl. ebd.). Weniger nachvollziehbar ist meines Erachtens allerdings die Bemerkung „vertraut sind sich ja die Partner und nicht die Kommunikation" (ebd.), denn schließlich stellen Koch/Oesterreicher dies nicht in Abrede, auch sie sprechen vom „Grad der Vertrautheit der Partner, der von der vorgängigen gemeinsamen Kommunikationserfahrung [...] abhängt" (Koch/Oesterreicher 1990: 8). Insgesamt gesehen resultiert dieser globale Kritikpunkt vor allem aus der Tatsache, dass Agel/Hennig die jeweilige Bezeichnung als Kommunikationsbedingung bzw. Versprachlichungsstrategie ernst nehmen — der Begriff ,Strategie' lasse „bewusst eingesetzte Mittel und Verfahren vermuten" (vgl. Agel/Hennig 2007: 183). Wenn man hingegen ,Kommunikationsbedingungen' eher — wie meiner Ansicht nach von Koch/Oesterreicher auch so intendiert — im Sinne von außersprachlichen Umständen bzw. Gegebenheiten der Kommunikation' versteht und ,Versprachlichungsstrategien' als ,Faktoren bzw. Merkmale der sprachlichen Umsetzung', passen die darunter subsumierten Punkte eher ins Konzept. Des Weiteren wird die Vermischung von universalen und diskursartenspezifischen Merkmalen kritisiert, zumal daraus eine Gleichrangigkeit zwischen den einzelnen Kommunikationsbedingungen und den sich daraus ergebenden Versprachlichungsstrategien suggeriert werde und somit keine Abhängigkeiten und Gewichtungen vorgenommen werden könnten (vgl. ebd.). Gerade dieser Kritikpunkt ist produktiv in die Entwicklung ihres eigenen Nähe-Distanz-Modells eingeflossen, das sich die „Offenlegung hierarchischer Beziehungen zwischen empirisch nachweisbaren einzelsprachlichen Merkmalen und den Kommunikationsbedingungen, die zu diesen Merkmalen führen" (ebd.: 184), zum Ziel gesetzt hat. In p r a k t i s c h e r H i n s i c h t bemängeln Agel/Hennig vor allem, dass aufgrund der vagen und heterogenen Zusammenstellung von Kommuni-

34

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

kationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien eine verlässliche Anordnung einzelner Texte auf der Nähe-Distanz-Skala kaum möglich (vgl. ebd.: 183) und somit das Modell wenig praxistauglich sei. Um aber eine Beschreibungsgrundlage für sprachliche Besonderheiten prototypischer Nähe- bzw. Distanzsprache zu schaffen, sollte das Modell operationalisiert werden, um die „praktische Arbeit mit Texten" (Agel/Hennig 2006b: 33) zu erleichtern. 2.2 Vorstellung des Modells von Agel & Hennig Zunächst sollen einige Grundüberlegungen des Modells vorgestellt werden, wobei im Folgenden jeweils eine Näheperspektive eingenommen wird, da das Erkenntnisinteresse des Kasseler Forschungsprojekts ebenso wie das der vorliegenden Arbeit primär auf der Nähesprache des Deutschen liegt. a) Konzept der Aggregation vs. Integration Konzeptionelle Mündlichkeit zeichnet sich beispielsweise dadurch aus, dass Konstituenten aus dem Satzverbund herausgelöst werden und zu Satzrandstrukturen wie Links- und Rechtsversetzung, Ausklammerung oder Nachtrag führen können. Der durch die Gleichzeitigkeit von Planung und Produktion bedingte Zeitmangel kann Anakoluthe, Kontaminationen oder Satzverschränkungen nach sich ziehen — im Gegensatz zu in der Regel länger geplanten und syntaktisch überlegt strukturierten Texten konzeptioneller Schriftlichkeit. Dementsprechend zeichnet sich Nähesprechen laut Agel/Hennig eher durch semantisch-pragmatisch kohärent organisierte Elemente und Distanzsprechen durch strukturell kohäsive Elemente aus (vgl. Agel/Hennig 2006a: 27). Diese Polarisierung kann hier allerdings lediglich als grobe Tendenz verstanden werden — schließlich wird keiner in Abrede stellen, dass die grundlegenden Textualitätsmerkmale der Kohäsion und der Kohärenz sowohl für (konzeptionell) schriftliche als auch mündliche Texte gelten. Hinter dieser Zuordnung steht eine von Agel/Hennig (2007: 197) aus der Kunstgeschichte übernommene Metapher, die Wilhelm Koller in seinen Arbeiten zur Perspektivität in der Grammatik — in Anlehnung an den Kunsthistoriker Erwin Panofsky — auf die Sprachwissenschaft übertragen hat und die auch schon im Kontext von Nähe- und Distanzsprechen bei Koch/Oesterreicher eine Rolle spielt. Koller unterscheidet zwischen einem aspektivischen Aggregatraum, in dem die Elemente des Raumes eher „eigenständige Monaden" (Koller 1993: 21) darstellen, und einem zentralperspektivischen integrativen Systemraum, in dem sie von einem Punkt aus organisiert sind (vgl. ebd.: 24). Wendet man das Konzept der Aggregativität bzw. Integrativität auf Pro-

A. V e r o r t u n g der N ä h e s p r a c h e im V a r i e t ä t e n k o n t i n u u m

35

nominaladverbien an, so haben diskontinuierliche Konstruktionen eher aggregativen Charakter (da bleibeich bei/dabei), wohingegen die Verwendung des einfachen Pronominaladverbs (dabei bleibe ich/ich bleibe dabei) eindeutig dem integrativen Pol zuzuordnen ist. An dieser Stelle sei noch einmal auf den ,,skalare[n] Charakter des Konzepts" (Agel/Hennig 2006a: 27) aufmerksam gemacht, was bedeutet, dass Aggregativität und Integrativität als Pole eines Kontinuums mit Zwischenstufen zu verstehen sind. b) Konzept der Mikro- und Makronähesprachlichkeit Wie schon erwähnt, soll die grammatische Analyse der Texte auf die Ermittlung eines Nähesprachlichkeitswertes abzielen, ohne aber dabei den Gegenpol Distanzsprache ganz aus den Augen zu verlieren. Zunächst entwickelten Agel/Hennig ein Modell zur Bestimmung der relativen (Mikro-) Nähesprachlichkeit, das anschließend um die Makronähesprachlichkeitsanalyse erweitert wurde, um die grammatische Nähesprachlichkeit noch präziser erfassen zu können. Da Mikro- und Makrocheck voneinander unabhängig erstellt und erst anschließend miteinander verrechnet werden, 3 sollen die beiden Analysemethoden nun auch getrennt voneinander vorgestellt werden. Um die beiden Ebenen der Nähesprachlichkeit zu ermitteln, wird einerseits die ,Froschperspektive' (Mikroebene) und für den globalen Blick auf einen Text andererseits die Vogelperspektive' (Makroebene) eingenommen (vgl. Agel/Hennig2006b: 34). Die Analyse der Mikronähesprachlichkeit (Mikrocheck) verteilt sich auf fünf hierarchische Ebenen: I. UNIAX = Universales Axiom Nähesprechen findet dann statt, wenn sich Produzent und Rezipient zur gleichen Zeit im gleichen Raum befinden. Beim Distanzsprechen dagegen sind Raumzeit der Produktion und Rezeption nicht identisch. (Agel/Hennig 2007: 184)

Das universale Axiom stellt also die Frage nach dem ,Wann und Wo'. Ausgangspunkt des Mikrochecks ist somit die Analyse der ProduzentenRezipientenbeziehung: Offene P-R bedeutet, dass die Rollen aufgrund der Tatsache, dass sich Produzent (P) und Rezipient (R) (prototypischerweise) zur gleichen Zeit am gleichen Ort befinden, jederzeit getauscht werden können, was typisch für Nähesprache ist. Demzufolge sind die Rollen beim Distanzsprechen festgelegt (geschlossene P-R), was sich aus der räum-

3

D i e N ä h e s p r a c h l i c h k e i t w i r d jeweils relativ zu teriium comparationis bestimmt: Als prototypischer anDaniel (Transkript v o n S u s a n n e G ü n t h e r ) u n d A u s s c h n i t t (§ 2c) aus I m m a n u e l K a n t s Prolegomena

zwei a u s g e w ä h l t e n V e r g l e i c h s t e x t e n als N ä h e t e x t dient das R a d i o - p h o n e - m Domials d i s t a n z s p r a c h l i c h e r V e r g l e i c h s t e x t ein (vgl. A g e l / H e n n i g 2 0 0 6 b : 34f£).

36

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

lieh und zeitlich getrennten Kommunikationsform ergibt (vgl. Agel/Hennig 2007: 184f.). Dass die idealerweise geforderte Raum-ZeitGleichheit nicht unbedingt ein Zeichen für Nähesprache sein muss, zeigen allerdings einerseits Diskursarten wie Prüfungsgespräche, die zweifelsohne eher dem Distanzpol zuzuordnen sind, ebenso wie andererseits beispielsweise nähesprachliche Telefonate unter Freunden. Auch bei dem u. a. mangels Alternativen gewählten prototypischen Nähevergleichstext handelt es sich um ein radio-phone-in (DomianDaniel), also um eine Diskursform, bei der lediglich die in UNIAX geforderte Zeitgleichheit gegeben ist. Dennoch hielten Agel/Hennig diesen Text für ihre Zwecke für geeignet, da sich „die Zeitgleichheit ungleich stärker auf das Einsetzen grammatischer Verfahren auswirkt als die Raumgleichheit" (Agel/Hennig 2006b: 36). Aus diesem grundlegenden Axiom lassen sich nun alle weiteren Ebenen ableiten. II. UNIKOM = Universale Parameter der Kommunikation III. UNIDIS = Universale Parameter der Diskursgestaltung Die universalen Parameter der Kommunikation und der Diskursgestaltung stellen eine Weiterentwicklung bzw. Präzisierung der von Koch/Oesterreicher formulierten Kommunikationsbedingungen sowie den sich daraus ergebenden Versprachlichungsstrategien dar. Hier soll strikt zwischen solchen Parametern unterschieden werden, die außersprachliche Bedingungen der Kommunikation (II) betreffen (z. B. Rollendynamik vs. Rollenstabilität), und andererseits solchen, die sich innerhalb der Kommunikation (III) manifestieren (z. B. Interaktivität vs. Eigenaktivität) (vgl. Agel/Hennig 2006a: 18). Prinzipiell beruht diese Unterteilung also auf Koch/Oesterreicher, allerdings mit einer präziseren Unterscheidung zwischen außer- und innersprachlichen Faktoren. IV. UNIVER = Universale Diskursverfahren V. UNIMERK = Universale Diskursmerkmale Die letzten beiden — in der praktischen Anwendung wohl wichtigsten — Ebenen der universalen Diskursverfahren (IV) und Diskursmerkmale (V) betreffen die konkrete sprachliche Realisierung, wobei sich die einzelnen sprachlichen Merkmale (z. B. Kontaktsignale, Wiederaufnahmen) zu übergeordneten Verfahren bündeln lassen (z. B. Engführung der Orientierungen) (vgl. Agel/Hennig 2007: 185f.). Die Ebenen IV und V stellen meines Erachtens die größte Weiterentwicklung zu Koch/Oesterreicher dar, da hier tatsächlich eine Operationalisierung stattfindet, zumal es um sprachliche Merkmale geht, die sich an konkreten Texten manifestieren lassen und somit Nähesprachlichkeit empirisch messbar wird.

A. Verortung der Nähesprache im Varietätenkontinuum

37

Zur Vollständigkeit sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass diese Hierarchieebenen nun jeweils auf folgende fünf Parameter angewendet werden können (vgl. Ägel/Hennig 2007: 186ff.): 1. Rollenparameter (Merkmale, die durch die Nicht-Festlegung der Rollen als P und R resultieren) 2. Zeitparameter (Zeitgebundenheit des Nähesprechens) 3. Situationsparameter (Situationsverschränkung) 4. Parameter des Codes (Zusammenspiel von verbalem und nonverbalem Code) 5. Parameter des Mediums (Voraussetzungen: Phonizität & Graphizität) Da jedoch im Zuge dieser Arbeit keine Nähechecks anhand konkreter Texte durchgeführt wurden, sei hier lediglich darauf verwiesen. Allerdings möchte ich exemplarisch aufzeigen, wie etwa diskontinuierlich konstruierte Pronominaladverbien innerhalb dieser Parameter zu verorten wären: Wie schon oben erwähnt, liegt hier eine aggregative Satzstruktur ohne Beeinflussung der Projektionsstruktur vor, wodurch sich eine Einordnung in den Zeitparameter ergibt. Im Gegensatz zu der detaillierten Analyse grammatischer Muster im Mikrocheck geht es bei der Untersuchung der Makronähesprachlichkeit (Makrocheck) um einen „globalen Blick auf die das Textprofil prägenden grammatischen Schemata" (Agel/Hennig 2006b: 61). Auch an dieser Stelle soll es genügen, das Modell in seinen Grundzügen zu erläutern. Uber die Nähesprachlichkeit auf Makroebene entscheidet primär der Grad der Makro-Aggregation/Integration innerhalb des Zeitparameters. Bei der Entwicklung des Makrochecks galt es also die Grundsatzfrage zu beantworten, was genau ein aggregatives bzw. integratives Textprofil ausmacht. Als beeinflussende Faktoren können die Anzahl der einfachen und abhängigen Sätze ebenso wie die Anzahl der sogenannten ,Nicht-Sätze' (Ellipsen, Anakoluthe, Diskursmarker, Anredenominative etc.), die Länge der Sätze und die Satzunterbrechungen gelten. Diese Faktoren werden zueinander in Verbindung gesetzt und aufeinander bezogen: Je mehr Nicht-Sätze ein Text beispielsweise enthält, desto aggregativer ist er (vgl. ebd.: 61ff.). Bei der konkreten Bestimmung des Nähegrades eines Textes werden zunächst die Mikro- und Makronähesprachlichkeitswerte getrennt voneinander ermittelt, indem die Anzahl der grammatischen Merkmale, die in dem zu analysierenden Text vorkommen, zu denjenigen des jeweiligen prototypischen Vergleichstextes (Radio-phone-in oder Kant-Text) in Relation gesetzt werden. Anschließend wird ein Durchschnittswert aus Mikround Makrocheck berechnet, sodass ein beliebiger Text anhand eines prozentualen Wertes entlang der Nähe-Distanz-Skala eingeordnet werden kann.

38

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora Im Folgenden werden sowohl die Korpora, auf denen die vorliegenden Untersuchungen beruhen, näher beschrieben als auch die konkreten Vorgehensweisen bei der Korpusauswertung offengelegt. 1. Korpusbeschreibung Vor einer systematischen Untersuchung der verwendeten Korpora sollen diese in ihrer Zusammensetzung kurz erläutert werden, um anschließend den Beitrag herauszustellen, den sie zur Erforschung der neuhochdeutschen Alltagssprache leisten können. Das die gesamte Sprachperiode des Neuhochdeutschen (ab 1650) umfassende Korpus von Vilmos Agel und Mathilde Hennig dient ebenso als Datengrundlage wie das vorwiegend aus Texten des 19.Jahrhunderts bestehende Korpus von Auswandererbriefen (Eispaß). Der Untersuchungsgegenstand für das 20.Jahrhundert setzt sich im Wesentlichen aus den transkribierten Interviews des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) zusammen. Des Weiteren sollen aber auch Umfrageergebnisse zu Pronominaladverbien aus dem Projekt „Atlas zur deutschen Alltagssprache" (AdA) herangezogen werden, obwohl diese natürlich keinen unmittelbaren Bestandteil der drei verwendeten Textkorpora bilden. 1.1 Korpus Sprachstufengrammatik (Agel &Hennig) Die Tatsache, dass die Zusammenstellung dieses Korpus den Leitprinzipien der geplanten Sprachstufengrammatik des Neuhochdeutschen folgt, bringt folgende Kriterien für die Auswahl der Texte mit sich: Zunächst muss ein in Frage kommender Korpuskandidat einen M i n d e s t g r a d an N ä h e s p r a c h l i c h k e i t aufweisen. Zu diesem Zweck wird der Text dem eben vorgestellten Nähecheck unterzogen. Um in das Korpus aufgenommen zu werden, sollte der Quellentext entweder einen hohen Mikrowert haben (möglichst über 20) oder aber einen hohen ZPWert (= Zeitparameter) aufweisen, denn dieser lässt auf einen hohen Anteil aggregativer Strukturen schließen, was wiederum konstitutiv für Nähetexte ist. Da gerade in Textsorten privater Schriftlichkeit wie Chroniken, Tagebücher, Privatbriefe, Autobiographien oder Reiseberichte ein hoher Anteil an Nähesprachlichkeit zu erwarten ist, bilden diese im Wesentlichen die Untersuchungsgrundlage solcher Nähechecks.

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

39

Abgesehen davon sollte die endgültige Textauswahl eine möglichst homogene r e g i o n a l e V e r t e i l u n g der Texte auf die drei Großräume Ober-, Mittel- und Niederdeutsch widerspiegeln. In diesem Zusammenhang spielt auch die erst jüngst im Forschungsdiskurs aufgekommene Frage nach der Korrelation zwischen regionalen und nähesprachlichen Merkmalen eine Rolle.4 Hinzu kommt das pragmatische Kriterium der T e x t l ä n g e : Ein Korpustext sollte möglichst 12.000 Wortformen umfassen — falls ein Text nicht die erforderliche Länge aufweist, können alternativ auch zwei Texte zu einem Korpustext zusammengefasst werden. Schließlich spielt bei der endgültigen Textauswahl ebenfalls das Kriterium der z e i t l i c h e n V e r t e i l u n g d e r T e x t e eine Rolle. Hierzu wurde die neuhochdeutsche Sprachperiode in sieben Zeitabschnitte von je 50 Jahren eingeteilt (I = 1650-1700, II = 1700-1750 ... VII = 1950-2000), wobei ein Umfang von je neun Korpustexten pro Zeitabschnitt angestrebt wird, die gleichmäßig auf die drei regionalen Großräume verteilt sind. Das vollständige Korpus soll also nach seiner Fertigstellung 63 Texte bzw. 765.000 Wortformen umfassen. Derzeit befindet sich das Korpus noch im Aufbau, insbesondere der niederdeutsche Raum ist bislang unterrepräsentiert. Die Informationen zu den aktuell erfassten Texten sind den Projektmitgliedern in einer Korpusdatenbank zugänglich. Neben dem Textnamen (nach Verfasser oder Buchtitel benannt), der Textsorte (Privatbriefe, Erinnerungsbuch, Tagebuch, Autobiographie etc.) und dem Hauptdialektgebiet ist daraus auch — falls vorhanden — der Nähewert des Mikrochecks und der Gesamtnähewert ersichtlich. Die bisher digital zugänglichen Texte wurden mir dankenswerterweise von Vilmos Agel und Mathilde Hennig für die hier vorliegende Untersuchung zur Verfügung gestellt. Für meine Analysezwecke habe ich die Textsammlung wie folgt bearbeitet: Analog zu den beiden anderen Korpora wurden die in der Internetdatenbank gespeicherten Informationen zu den einzelnen Texten in das jeweilige Word-Dokument integriert, um einen möglichst schnellen Zugriff auf den Text und die dazugehörigen

4

Die Problematik dieser A b g r e n z u n g fand auf der im M ä r z 2008 stattgefundenen Kasseler T a g u n g zum T h e m a „ N ä h e und Distanz im Kontext variationslmguistischer Forschung" besondere Beachtung. Jürgen Erich Schmidt wies in seinem Vortrag darauf hm, dass N ä h e m e r k m a l e nicht exklusiv, sondern in der Regel gleichzeitig mit textuellen, regionalen oder situativen Varietätendimensionen aufträten, Stephan Elspaß hielt als Gesamtergebnis fest, dass Regionalität als ein prototypisches Merkmal v o n historischer Nähesprachlichkeit aufzufassen sei und die Suche nach möglichst nähesprachlichen historischen Texten demnach auf regionalsprachlich auffällige Texte zu konzentrieren sei (vgl. Negele/Pickl 2009).

40

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Auskünfte über den Verfasser zu gewährleisten. Ferner wurden die Textdokumente — sofern bekannt — nach dem Nachnamen des Verfassers benannt, anderenfalls nach der jeweils vorliegenden Textsorte. Des Weiteren wurden Texte aussortiert, die sich nicht eindeutig regional zuordnen ließen, entweder weil die regionale Merkmalsanalyse unergiebig war oder aber mehrere Verfasser unterschiedlicher regionaler Herkunft beteiligt waren. Zudem habe ich weder Tagebücher im Telegrammstil noch bereits im Korpus „Auswandererbriefe" enthaltene Texte 5 in meine Analysen aufgenommen. Aus Gründen der Einheitlichkeit wurde Zeitabschnitt VII (1950—2000) ganz herausgenommen. Für die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts dient ausschließlich das Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) als Materialgrundlage, sodass pro Zeitabschnitt jeweils entweder geschriebene oder gesprochene Alltagssprachlichkeit untersucht wurde. Schließlich wurden die ausgewählten Texte analog zu den anderen beiden Korpora nach Jahrhunderten geordnet, um diese wieder intern nach den Sprachregionen West- bzw. Ostober-/mittel- und niederdeutsch unterteilen zu können. Folgende Gesamtübersicht (Tab. 5) über das Korpus „Sprachstufengrammatik" gibt Auskunft über die regionale Verteilung der verwendeten Texte: Nfrk 1

1,0%

Nd 23

Md 23,0%

31

Wnd 17 1

1,0%

31,0% Wmd

17,0%

10

Ond 6

Od

10,0% Omd

6,0%

21

21,0%

45

45,0%

Z (100%) 100

Wod 22,0% Nod 6 6,0% Ood. 17 17,0%

22

Tab. 5: Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): Gesamtkorpus

Insgesamt umfasst das Korpus in der Bearbeitung für die vorliegende Arbeit 100 Texte, wovon knapp die Hälfte (45%) dem oberdeutschen

5

Funder, Ludwig: Aus m e i n e m Burschenleben! In: Bruckmüller, Ernst (Hrsg.) (2000): L u d w i g Funder. Aus m e i n e m Burschenleben. Gesellenwanderung und B r a u t w e r b u n g eines Grazer Zuckerbäckers 1 8 6 2 - 1 8 6 9 . Wien: Böhlau. 3 5 - 2 4 7 . Grosse, Siegfried/Grimberg, Martin/Hölscher, T h o m a s / K a r w e i c k , J ö r g (Hrsg.) (1989): „ D e n n das Schreiben gehört nicht zu meiner täglichen Beschäftigung". D e r Alltag kleiner Leute in Bittschriften, Briefen und Berichten aus dem 19. Jahrhundert. E m Lesebuch. Bonn: Dietz.

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

41

Raum zuzuordnen sind. Tabellen 6 bis 9 zeigen neben der diatopischen insbesondere die diachrone Aufteilung der Texte über die Periode des Neuhochdeutschen: Nfrk

Nd

Md

1

-

9,1%

6

Wnd 1 -

54,6% Wmd

9,1%

4

Ond -

Od

36,4% Omd

-

2

18,2%

4

36,4%

Z (100%) 11

Wod 18,2% Nod 1 9,1% Ood 1 9,1%

2

Tab. 6: Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 1 7 . J a h r h u n d e r t

Die 11 vorliegenden Texte aus dem 17.Jahrhundert umfassen den I. Zeitabschnitt (1650—1700) nach der Agel'schen Zählung. Die einzige Quelle aus dem niederdeutschen Sprachraum stellt die Chronik des Ratsherrn Andreas Kothe dar (Söldnerleben I), welche die westfälische Geschichte im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges zum Thema hat. Aus dem Gebiet des Ostmitteldeutschen finden sich beispielsweise eine Chronik eines Kupferschmiedemeisters aus dem Erzgebirge (Kleinhempels Hauschronik I), ferner zwei Hexenverhörsprotokolle (Hexen Schnell & Schöbet). Ein Notizbuch des 17.Jahrhunderts von Handwerker-Bauern aus dem nordwestlichen Oberfranken (Handwerker-Bauern I), ein Tagebuch eines Priesters aus dem Jahre 1683 (Kleinschroth I) und der Lebensbericht eines Elsässer Kannengießers [Günther, Augustin I) seien stellvertretend für die zur Verfügung stehenden Texte aus dem oberdeutschen Sprachgebiet erwähnt. Nfrk -

Nd 4

Md 21,0%

7

Wnd 2 -

10,5%

10,5%

36,9% Wmd

1

Ond 2

Od

5,3% Omd

6

31,6%

8

42,1%

Wod 21,1% Nod 2 10,5% Ood 2 10,5% 4

Tab. 7: Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 1 8 . J a h r h u n d e r t

Z (100%) 19

42

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Das 18.Jahrhundert ist mit insgesamt 19 Texten repräsentiert, wobei erneut das Niederdeutsche im Vergleich zu den anderen beiden regionalen Großräumen lediglich ca. 1/5 der Texte ausmacht. Neben Chroniken (z. B. Bäckerchronik III, Jägerbursch III) und Privatbriefen (z. B. Franke II, Baldinger III) finden sich auch Autobiographien (z. B. N.ehrlich II, Zehe II) und ein Erinnerungsbuch (Schauspielerleben III) darunter. Nfrk 1

3,1%

Nd 12

Md 37,5%

4

Wnd 9 1

3,1%

12,5% Wmd

28,1%

1

Ond 3

Od

3,1% Omd

9,4%

3

9,4%

15

46,9%

Z (100%) 32

Wod 28,1% Nod 2 6,3% Ood 4 12,5% 9

Tab. 8: Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 1 9 . J a h r h u n d e r t

Das 32 Texte umfassende Teilkorpus für das 19.Jahrhundert (Tab. 8) bietet hauptsächlich Tagebücher (Koralek V, Dieckhoff IV, Bader V) und Sammlungen von Privatbriefen (z. B. Laible IV, Kretschmann V, Huffelmann V), von denen die meisten aus dem nieder- oder oberdeutschen Raum stammen. Nfrk -

Nd 6

Md 15,8%

14

Wnd 5 -

36,9% Wmd

13,2%

4

Ond 1

Od

10,6% Omd

2,6%

10

26,3%

18

47,3%

Z (100%) 38

Wod 18,4% Nod 1 2,6% Ood 10 26,3% 7

Tab. 9: Korpus Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig): 2 0 . J a h r h u n d e r t

Aus der ursprünglichen Einteilung nach Zeitabschnitten wurde für das 20.Jahrhundert (Tab. 9) nur der Abschnitt VI in die Korpusuntersuchung integriert. Die ausgewählten 38 Texte decken also lediglich die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts ab, da für den Zeitraum danach, wie schon erwähnt,

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

43

ausschließlich Interviews aus dem Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) untersucht wurden. Wieder ist der niederdeutsche Sprachraum mit einem Anteil von ca. 15% bislang unterrepräsentiert. Aufgrund des zeitgeschichtlichen Hintergrunds finden sich unter den Textdokumenten mitunter auch Heimatbriefe und Soldatenpost aus den beiden Weltkriegen (z. B. Soldatenpost VI, BergerhoffVI). 1.2 Korpus Auswandererbriefe (Elspaß) Im Vergleich zur Erforschung historischer Dialekte, zu denen für das 19.Jahrhundert umfangreiche Daten aus dem „Deutschen Sprachatlas" (DSA) von Georg Wenker zur Verfügung stehen, „fehlt vergleichbares historisches Material für die Sprachlagen zwischen den Dialekten und der sich herausbildenden Standardsprache im 19.Jahrhundert" (Elspaß/ Denkler 2003: 132). Dieser „Mangel an Primärdaten" (ebd.) führt dazu, dass neue Wege gefunden werden müssen, historische ,Umgangssprachen' zu rekonstruieren. Als mögliches Quellenmaterial bieten sich private Texte an, die von Schreiberinnen und Schreibern verfasst wurden, die im Umgang mit schriftlichen Texten nicht vertraut waren und somit am ehesten konzeptionell mündliche Texte zu Papier brachten. Dieser Arbeit liegt ein solches Korpus für das 19. Jahrhundert zu Grunde, das im Rahmen der Habilitationsschrift „Sprachgeschichte von unten — Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19.Jahrhundert" (Elspaß 2005a) entstanden ist.6 Dieses Korpus bietet Texte, die gerade nicht von Angehörigen der gebildeten Sprachschicht, sondern von eher ungeübten und ungebildeteren Schreibern verfasst wurden, die im 19.Jahrhundert nach Amerika ausgewandert waren und mit Familienangehörigen und Freunden in Deutschland in teilweise regem Briefwechsel standen. Dieser Ansatz macht sich demnach die Tatsache zunutze, dass den Schreibern im Prinzip nichts anderes übrig blieb, als ihrer sprechsprachlichen Formulierung in Lautung, Syntax und Morphologie möglichst treu zu bleiben, da ihnen wenige schriftliche Texte zur Verfügung standen. Mit diesem Konzept einer Sprachgeschichte von unten' wird versucht, Aussagen über die tatsächliche Sprachwirklichkeit in der jüngeren Sprachgeschichte zu treffen, der vor allem für das 19.Jahrhundert bisher nur unzureichend Aufmerksamkeit zuteil wurde:

6

Dieses Korpus wurde im R a h m e n dieser Arbeit fur das 18. Jahrhundert — zumindest fur den oberdeutschen Bereich — noch u m Briefe v o n Schillers Mutter sowie u m Mozarts Bäsle-Briefe erweitert.

44

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Die Vorstellungen von einer Sprachgeschichte des Deutschen' reichen häufig kaum über das 17./18.Jahrhundert hinaus, während die Gegenwartssprache' großzügig bis an das Ende des 19.Jahrhunderts zurückgerechnet wird. Dass man bei einer solchen Betrachtung dem Jahrhundert ,dazwischen' eher ratlos begegnen muss, liegt auf der Hand. (Eispaß 2005a: V)

Dass gerade die Textsorte des Privatbriefs dem nähesprachlichen Kommunikationsbereich sehr nahe kommt, wurde bereits erläutert. Dies wird noch begünstigt durch die relative Ungeübtheit der Schreiber ebenso wie durch die Tatsache, dass eine Briefkorrespondenz meist der einzige Weg war, um mit Familie und Freunden in Kontakt und stetem Austausch zu bleiben. Folgende Briefausschnitte illustrieren diese „schreibende Uberbrückung räumlicher Distanz" eindrücklich: 7 Glaube sicher, das es hart für mich ist, das Du so weit von mich entfernt bist, das ich dich mit meinen Augen nicht sehen, oder kein Wort mit Dir Mündlich sprachen kann. Aber wir können doch durch schreiben zusammen sprechen [Elisabeth Brandes, 15.07.1855] Schreibt mir aber wider den wenn man eine Brif bekomt das ist so guth als wenn man zusamen spricht [Mathias Dorgathen, 15.05.1881]

Über die konkrete Anzahl und diatopische Verteilung der Briefe innerhalb des deutschen Sprachgebietes gibt Tabelle 10 Auskunft: Nfrk 35

4,0%

Nd 297

Md 33,7%

221

Wnd 248 35

4,0%

25,1% Wmd

28,1%

176

Ond 49

Od

20,0% Omd

5,6%

45

5,1%

328

37,2%

Z (100%) 881

Wod 18,0% Nod. 53 6,0% Ood 116 13,2% 159

Tab. 10: Korpus Auswandererbriefe (Eispaß): Gesamtkorpus

Insgesamt fasst dieses Korpus 881 Texte, die relativ homogen auf das Ober-, Mittel- und Niederdeutsche verteilt sind. Im Vergleich zu dem eben vorgestellten Korpus „Sprachstufengrammatik" fällt hier die deutlich höhere Anzahl an Textdokumenten sofort ins Auge. Dies ist darauf zu-

7

Briefzitate ü b e r n o m m e n aus Eispaß 2005a: 61.

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

45

rückzuführen, dass die einzelnen Briefe aus dem Korpus „Auswandererbriefe" erheblich kürzer sind. Vergleicht man hingegen die Anzahl der Wortformen (WF) der beiden Korpora, so stellt man fest, dass das Korpus „Sprachstufengrammatik" (1.961.517 WF) mehr als doppelt so groß ist wie das Korpus „Auswandererbriefe" (882.745 WF). Allerdings liegt meines Erachtens ein gewichtiger Vorteil einer möglichst hohen Schreiberzahl darin, dass individuelle Schreibbesonderheiten einzelner Personen weniger ins Gewicht fallen und somit ein realistischeres Bild der damaligen Sprachwirklichkeit nachgezeichnet werden kann. Die jeweils nach Jahrhunderten aufgeteilte regionale Einordnung der Briefe ist aus den Tabellen 11 bis 14 ersichtlich: Nfrk -

Nd 17

Md 30,4%

17

Wnd 13 -

30,3% Wmd

23,2%

12

Ond 4

Od

21,4% Omd

7,2%

5

8,9%

22

39,3%

Z (100%) 56

Wod 16,1% Nod 6 10,7% Ood 7 12,5% 9

Tab. 11: Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 1 7 . J a h r h u n d e r t

Obwohl dieses Korpus vorwiegend Briefe aus dem 19.Jahrhundert beinhaltet, sind auch einige Texte aus dem Beginn der neuhochdeutschen Sprachperiode vertreten (Tab. 11). Wie schon kurz erwähnt, wurde das Korpus für das 18. Jahrhundert (Tab. 12) im Bereich des Oberdeutschen erweitert, und zwar im Ostoberdeutschen um 9 Briefe von Mozart an seine Cousine Maria Anna Thekla Mozart — besser bekannt unter dem Namen ,Bäsle-Briefe' — sowie im Westoberdeutschen um 44 Briefe, die von Elisabeth Dorothea Schiller, der Mutter Friedrich Schillers, verfasst wurden.

46

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Nfrk -

Nd 2

Md 2,4%

23

Wnd 1 -

28,5%

56

69,1%

46

Wod 56,8% Nod

Wmd 1,2%

15

Ond 1

Od

18,5% Omd

1,2%

8

10,0%

-

Z (100%) 81

-

Ood 10 12,3%

Tab. 12: Korpus Auswandererbriefe (Eispaß): 1 8 . J a h r h u n d e r t [erweitert u m Briefe von Schillers Mutter und Mozarts Bäsle-Briefe]

Dass diese Briefe durchaus regionale Besonderheiten der (geschriebenen) Alltagssprache des 18.Jahrhunderts aufweisen, sei an folgenden zwei Briefausschnitten verdeutlicht: Leonberg. Den 8 August 97. Dienstag. Bester Sohn. Nebst der Quittung der 30 fl schicke ich diesn Brif an jhn Herrn Cotta. Taussend herzlichn Dank zu Gott vor die gutn Nachrichtn von Eurer aller Wohlbefenden, ich ben sehr schon lange besorgt geweßen um auch wieder nachricht von meinen liebsten Kinder und Enkel zu hören, der Brif wahr aber schon 20 Tag alt geweßen. ich und Louiße befendn uns zum Preiß Gottes auch recht erträglich, Louiss brauchte von Herrn HofMedicus Hoven etwas; wegen ihrer // Brust wo sie noch seid ihrer Krankheit nicht ganz befreit, und sich eusserst vor erhüzung und hartem speißen sehr hüten muss, außer dem leben wier so in der stille bei sahmen, arbeiden, mit spenen und stricken und anderen häusslichn Geschäfften [...] [Schiller, E., Wod., 08.08.1797] [...] Denn nachdemme ich einmal 3 Monathe vorbeygehen lassen, so hätte ich nicht mehr geschrieben — und wenn der Scharfrichter mit blossem schwerdt hinter mir gewesen wäre; — denn ich hätte Ja nicht gewust: wie, wann, wo, warum, und was? — ich musste notwendigerweise auf einen brief warten. — Es sind unterdessen, wie sie wohl wissen werden, vielle wichtige Sachen mit mir vorgegangen, wobey ich nicht wenig zu denken, und vielle verdrüsslichkeiten, ärgernüss, kummer und Sorge hatte, welches mir auch in der that zu einer entschuldigung meines langen Stillschweigenswegen dienen kann; — was sonst das übrige alles anbelangt, so muß ich ihnen sagen daß das geschwätze was die Leute von mir herumlaufen zu lassen beliebten, zum theil wahr, und zum theil — falsch ist [...] [Mozart, Ood., 23.10.1781]

Natürlich kann man einwenden, dass die Aufnahme dieser allesamt dem oberdeutschen Sprachraum zuzuordnenden Briefe zu einem relativen Ungleichgewicht führt, da nun 69,1% der Texte aus dem Oberdeutschen

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

47

stammen. Allerdings ergaben sich bei der Korpusuntersuchung für das 18.Jahrhundert hinsichtlich der Pronominaladverbien ohnehin zu wenige Suchergebnisse, als dass hinsichtlich einer quantitativen Auswertung verallgemeinernde Aussagen für dieses Jahrhundert getroffen werden könnten. Nfrk 35

Nd

4,9%

277

Md 39,1%

181

Wnd 233 35

4,9%

25,5% Wmd

32,9%

149

Ond 44

Od

21,0% Omd

6,2%

32

4,5%

216

30,5%

Z (100%) 709

Wod 14,7% Nod 39 5,5% Ood 73 10,3%

104

Tab. 13: Korpus Auswandererbriefe (Elspaß): 1 9 . J a h r h u n d e r t

Aus Tabelle 13 wird deutlich, dass das Korpus der Auswandererbriefe im Wesentlichen ein Korpus für das 19.Jahrhundert darstellt, wofür einerseits die große Anzahl der Briefe (709) und andererseits ihre relativ homogene regionale Streuung über das deutsche Sprachgebiet spricht — von dem leichten Ubergewicht niederdeutscher Texte (39,1%) einmal abgesehen. Wenn auch die Briefe gleichmäßig hinsichtlich der Grobgliederung Niederdeutsch — Mitteldeutsch — Oberdeutsch verteilt sind, so ist innerhalb dieser Regionen jeweils der westliche Teil deutlich stärker vertreten als der östliche. Diese Quellenlage macht es für die folgenden Auswertungen vonnöten, extrapolierte Werte zu verwenden. Ein Blick auf das Korpus der Auswandererbriefe für das 20.Jahrhundert (Tab. 14) lässt schnell erkennen, dass die ohnehin geringe Briefanzahl (35) im Wesentlichen Schreibern aus dem oberdeutschen Raum zuzuordnen ist, weshalb für das 20. Jahrhundert neben dem Korpus „Sprachstufengrammatik" ein weiteres Korpus herangezogen wurde, das im Folgenden vorgestellt werden soll.

48

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Nfrk -

Nd -

1

Md 2,9%

-

Wnd 1 -

-

-

34

Wmd 2,9%

-

-

Z (100%) 35

Wod -

Omd -

97,1%

-

Ond -

Od

8 -

26

-

Nod 22,8% Ood 74,3%

Tab. 14: Korpus Auswandererbriefe (Eispaß): 2 0 . J a h r h u n d e r t

1.3 Korpus Umgangssprachen (Pfeffer) Das 20.Jahrhundert bot schon aufgrund des technischen Fortschritts ganz andere Möglichkeiten zur Erforschung regionaler Alltagssprache, da man im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, zu dem entsprechendes Material fehlt, Sprachaufnahmen erstellen und diese anschließend durch eine Transkription ins schriftliche Medium überführen konnte, sodass heute prinzipiell wirklich g e s p r o c h e n e A l l t a g s s p r ä c h e des 20.Jahrhunderts erforscht werden kann. So dient in dieser Arbeit gerade ein solches Korpus als Datengrundlage für das 20.Jahrhundert. Das ,Institut für Deutsche Sprache' (IDS) in Mannheim stellt eine Reihe solcher Korpora des gesprochenen Deutsch auf seinen Internetseiten kostenlos zur Verfügung, darunter auch das Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer), 8 das innerhalb der „Datenbank gesprochenes Deutsch" (DGD) als Korpus zu den regionalen Umgangssprachen ausgewiesen ist. Das Korpus besteht aus 398 Tonaufnahmen (185 Frauen und 218 Männer verschiedenen Alters- und Berufsgruppen), zu denen jeweils Transkripte vorliegen, die als Text- bzw. Tondateien heruntergeladen werden können. Angefertigt wurden diese Aufnahmen 1961 von Alan Pfeffer und Walter F. W. Lohnes am InstituteforBasic German an der Stanford University. Die insgesamt 57 Aufnahmeorte setzen sich aus 37 Städten in der Bundesrepublik Deutschland, 10 Städten in der ehemaligen DDR, 6 Städten in Osterreich sowie 4 Städten in der Schweiz zusammen.

8

auch als Textbände zugänglich: Pfeffer, J. Alan/Walter F. W . Lohnes (Hrsg.) (1984): Grunddeutsch. Texte zur gesprochenen deutschen Gegenwartssprache. Phonal, Bde. 29 und 30. Tübingen: Niemeyer.

49

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

Über 25 ausgewählte Themen wurden in Form von Erzählmonologen und Dialogen jeweils 12-minütige Aufnahmen erstellt.9 Nfrk -

Nd 141

Md 35,4%

125

Wnd 110 -

31,4% Wmd

27,6%

88

Ond 31

Od

21,1% Omd

7,8%

37

9,3%

132

33,2%

Z (100%) 398

Wod 9,5% Nod 32 8,0% Ood 62 15,6% 38

Tab. 15: Korpus Umgangssprachen (Pfeffer)

Dieses Korpus ist momentan das einzige öffentlich zugängliche Korpus zu den regionalen deutschen Umgangssprachen. Dennoch bringt die Verwendung des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) hinsichtlich der Auswertung auch gewisse Probleme mit sich. Eben wurde schon erwähnt, dass diese Interviews teilweise initiierte Erzählmonologe sind. Wenn man sich die Interviewanfänge genauer ansieht, hat man teilweise den Eindruck, als hätten sich die interviewten Personen schon ganz genau auf dieses Gespräch vorbereitet, weshalb manche Interviews auch eher wie Fachvorträge zu einem bestimmten Thema anmuten, als dass sie an ein spontanes Gespräch erinnern würden. Man sehe sich hierzu beispielsweise folgende zwei Interviewanfänge an: Obschon ich seit fünfundfünfzig pensioniert bin, interessieren mich immer noch selbstverständlich erzieherische Fragen. Ich möchte jetzt einmal über das Problem sprechen: freie und autoritäre Erziehung. Das ist ja ein Problem, das schon seit langer, langer Zeit die Gemüter bewegt. Schon Rousseau hat gesagt: Alles ist gut, wie es aus der Hand des Schöpfers hervorgeht. [...] [Pf 065, Wmd., 1961]

9

vgl. h t t p : / / d s a v - o e f f . i d s - m a n n h e i m . d e / D S A v / K O R P O R A / P F / P F (23.05.2011)

DOKU.HTM

50

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Ich möchte einige Minuten über Bücher sprechen. Spricht man über Bücher, muß man sich wohl zuerst fragen, was sind Bücher. Genau genommen Papier, bedrucktes Papier. Der Einband vielleicht andersfarbig, vielleicht Leder, aber immerhin Papier, einige Gramm Papier, die irgendwelche schwarze Zeichen tragen. Zeichen, die man Buchstaben nennt, Buchstaben, aus denen Silben und Wörter entstehen, und aus Wörtern Sätze, und aus Sätzen ein Sinngehalt. [...] [Pf 229, Wmd., 1961]

Zumindest in solchen Erzählmonologen hofft man vergeblich auf eine spontane Gesprächsentwicklung, die mehr regionale Variation im phonologischen, morphologischen oder syntaktischen Bereich erwarten ließe. Ein weiteres Problem besteht sicherlich darin, dass für die betreffenden Regionen auch teilweise Personen interviewt wurden, die aus beruflichen (oder ähnlichen) Gründen erst im Erwachsenenalter an diesen Ort gezogen sind, was sich daraus erkennen lässt, dass in einigen Fällen Geburtsort, Schulort und Wohnort nicht miteinander übereinstimmen. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit dahingehend berücksichtigt, dass immer überprüft wurde, wie lange dieser vermeintliche Informant schon an dem angegebenen Ort wohnt, wenn unter den Suchergebnissen für eine bestimmte Region völlig untypische Konstruktionen auftraten. Auf eine weitere Schwäche dieses Korpus sei hier nur kurz verwiesen, da sie im Rahmen der Analyse syntaktischer Konstruktionen keine große Rolle spielt. Will man das Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) nämlich hinsichtlich phonologischer Varianten für ein bestimmtes Lexem auswerten, so lassen sich kaum alle möglichen Varianten ausfindig machen, da keine Transkriptionen in Normalorthographie vorliegen. Um dieses Problem zu lösen, wären zwei Fassungen des Korpus nötig — eine in Normalorthographie zum ,Auffinden' der gesuchten Varianten und eine in Form eines annotierten Korpus mit genauer phonetischer Transkription, was bisher allerdings nicht vorhanden ist. Abschließend sei an dieser Stelle noch einmal darauf verwiesen, dass für die vorliegende Untersuchung allein die Transkripte, also die Textdateien auf das Vorkommen von Pronominaladverbien hin untersucht wurden. Die hohe Trefferzahl machte einen Rückgriff auf die Uberprüfung der Tondateien auf weitere, eventuell nicht transkribierte Belege diskontinuierlicher Pronominaladverbien entbehrlich. 1.4 Atlas zur deutschen Alltagssprache (Elspaß & Möller) Neben den eben vorgestellten Textkorpora soll auch der „Atlas zur deutschen Alltagssprache" (AdA) bei den Auswertungen berücksichtigt werden, vor allem, da er Auskunft über die aktuellsten Entwicklungen in der Alltagssprache zu geben vermag. Seit 2003 finden jährlich Interneterhe-

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

51

bungen zum regionalen Sprachgebrauch in allen deutschsprachigen Ländern und den deutschsprachigen Gebieten der Nachbarländer statt, in denen primär Varianten des Wortschatzes abgefragt werden, aber auch phonologische und syntaktische Varianten ermittelt werden können. Ein Beispiel syntaktischer Variation liegt insbesondere in den Untersuchungen zu den unterschiedlichen Konstruktionen der Pronominaladverbien vor. Diese aus den ersten beiden Fragerunden entstandenen vier Karten zu damit, davon, daran und darauf werden demzufolge neben den Korpusuntersuchungen als Referenz für neueste Entwicklungen dienen. 10 Das Medium Internet bringt es mit sich, dass etwa die Hälfte der Gewährspersonen zwischen 20 und 29Jahren alt sind, weitere 20% zwischen 30 und 39 (vgl. Elspaß/Möller 2006: 144). Die Gefahr, dass „versehentlich oder bewusst" (ebd.: 149) falsche Antworten gegeben werden, kann dadurch relativiert werden, dass zu einem Ort meist mehrere Informanten zur Verfügung stehen. Schließlich muss man auch mit hyperkorrekten' Formen rechnen, die teils angegeben werden, um „damit dem Forscher einen Gefallen zu tun" (König 2004: 190). In einem solchen Fall erhält man also lediglich Auskunft über auffällige Formen, nicht aber über solche, die dem tatsächlichen ortsüblichen Sprachgebrauch entsprechen. 2. Vorgehensweise bei der Korpusauswertung Um trotz der unausgewogenen quantitativen Verteilung der Textdokumente auf die verschiedenen Regionen des deutschen Sprachgebietes vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, wird bei der Auswertung folgendermaßen verfahren: Bei einer hinreichenden Anzahl von Suchergebnissen wird mit Hilfe der absoluten Trefferzahlen eine s c h e m a t i s c h e K a r t e erstellt. Um Aussagen über die relative Häufigkeit der einzelnen Konstruktionen in den untersuchten Gebieten treffen zu können, muss hierzu jeweils die absolute in eine relative Anzahl von Suchergebnissen in Bezug auf das aus den Teilkorpora „Sprachstufengrammatik", „Auswandererbriefe" und „Umgangssprachen" bestehende Gesamtkorpus (Tab. 16) umgerechnet werden.

10

Die AdA-Karten zu den Pronominaladverbien befinden sich im Anhang.

52

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Nfrk 36

Nd

2,6%

462

Md

33,5%

376

Wnd 376 36

2,6%

27,3%

6,2%

27,3% Wmd

274

Ond 86

Od

19,9% Omd

102

7,4%

505

36,6%

Z (100%) 1379

Wod 15,9% Nod 91 6,6% Ood 195 14,1%

219

Tab. 16: Anzahl der D o k u m e n t e des Gesamtkorpus (absolute Zahlen)

Die stark variierende Länge der einzelnen Textdokumente bringt es allerdings mit sich, dass die relative Auswertung nicht hinsichtlich der Anzahl der Dokumente des Gesamtkorpus vorgenommen werden kann. Dies würde viel zu ungenaue und nicht vergleichbare Ergebnisse liefern, da das Korpus „Sprachstufengrammatik" erheblich längere Texte aufweist als die anderen beiden Teilkorpora. Deshalb wurde anstelle der Anzahl der Dokumente die Anzahl der Wortformen (WF) als verlässliche Referenz bei der Erstellung der relativen Werte zu Grunde gelegt. Die insgesamt 3.517.610 WF verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Teilkorpora: „Sprachstufengrammatik" (Ägel/Hennig)

1.961.517WF

55,8%

„Auswandererbriefe" (Eispaß)

882.745 WF

25,1%

„Umgangssprachen" (Pfeffer)

673.348 WF

19,1%

Welchen Anteil an Wortformen die einzelnen Regionen haben, zeigt folgende schematische Karte (Abb. 5):

B. Allgemeines zu den verwendeten Korpora

53

A b b . 5: Schematische Karte zur regionalen Verteilung des Gesamtkorpus (nach W o r t f o r m e n )

Die relativen Zahlen kommen nun mittels extrapolierter Werte zustande: Um dies anhand eines Beispiels zu erläutern, wird jeweils eine fiktive Trefferzahl von 30 Suchergebnissen zu einer bestimmten Konstruktion für das Wnd. und das Nod. angenommen: 30 Suchergebnissen bei insgesamt

744.945 Wortformen fur das Wnd. entsprechen

20 Suchergebnissen bei

500.000 Wortformen

30 Suchergebnissen bei insgesamt 96 Suchergebnissen bei

500.000 Wortformen

156.370 Wortformen fur das Nod. entspiechen

So könnte man aus der absoluten Trefferzahl 30 keineswegs schließen, dass die untersuchte Konstruktion sowohl im Wnd. als auch im Nod. gleich frequent ist, sondern vielmehr darauf, dass die angenommene Konstruktion relativ gesehen im Nod. (96) häufiger vertreten ist als im Wnd. (20). Diese Vorgehensweise wurde bei allen untersuchten Konstruktionen angewendet, also bei den einfachen Pronominaladverbien ebenso wie bei der Spaltungskonstruktion und den Verdoppelungskonstruktionen.

55

C. Korpusuntersuchung Nachdem die untersuchten Korpora nun in ihrem spezifischen Aufbau erläutert wurden, sollen die Ergebnisse der Korpusuntersuchung im Einzelnen vorgestellt werden. 1. Einfache Pronominaladverbien Natürlich werden in der Alltagssprache neben diskontinuierlichen Varianten analog zur Standardsprache auch ,einfache Pronominaladverbien' verwendet, worunter in Anlehnung an Fleischer (2002) die standardsprachlich ,normalen' zusammenstehenden Pronominaladverbien verstanden werden sollen, deren Bestandteile weder gespalten noch in irgendeiner Weise verdoppelt sind. 1.1 Einfache Pronominaladverbien bei da(r)-ldrZunächst soll das Vorkommen der mit da(r)-/dr- gebildeten Pronominaladverbien im Korpus überprüft werden. Dabei werden sowohl die topologischen Stellungsmöglichkeiten als auch deren regionale Verteilung herauszuarbeiten sein. Aufgrund der Tatsache, dass bei den mit daif)- gebildeten Pronominaladverbien bei vokalischem Anlaut der Präposition die Möglichkeit zur Verkürzung zu dr- besteht, werden diese von der phonologischen Struktur her unterschiedlichen Typen auch zunächst getrennt voneinander untersucht. 1.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Hinsichtlich der topologischen Stellungsmöglichkeiten der einfachen Pronominaladverbien kann wegen der großen Trefferzahl (insgesamt 13021 Suchergebnisse für Bildungen mit daif)- und 1367 Suchergebnisse für Bildungen mit dr-) keine quantitative Auswertung vorgenommen werden. Dennoch sollen die unterschiedlichen Stellungsmöglichkeiten im Satz aufgezeigt werden. Steht das Pronominaladverb im Vorfeld, so kann es dort unterschiedliche syntaktische Funktionen übernehmen.

56

II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

In den folgenden Beispielen wird es als Konjunktionaladverb verwendet, was aus der möglichen Substitution durch deshalb / deswegen deutlich wird. das den Schweden verbotten wehre, nichts zu nehmen, was den Hessen zustünde, dan sie wahren eines Wesens, darumb waren wir desto käcker, sich mit ihnen zu treyben, wan eine Partey kam. [Bauernleben I, Wmd., 1650-1700] hindurch und das ganze Jahr sage ich, haben wir nicht mehr Regen, als hechstens drey Finger tief feucht, und diesses durch den ganzen Somer zweymal nur, darum bauen wir eine schöne Korn Fechsung und Geströh [Angerchronik IV, Ood., 1800-1850] Um die finanziellen Verhältnisse aufzubessern, gehe ich arbeiten. Dadurch kommt der Haushalt mitunter zu kurz. Das muß ich ganz ehrlich zugeben. [Pf 323, Ond., 1961]

Selbstverständlich kann ein Pronominaladverb in Topikposition syntaktisch unterschiedlich verwendet werden, beispielsweise kann es als a d v e r b i a l e E r g ä n z u n g fungieren (verbaler Kern: xstehtdorfy. Das wäre also eine Spiegelung der Geschichte der Abendakademie in den Unternehmungen der Kulturverwaltung. Daneben, unter Umständen auch dazwischen, man müßte hier noch viel mehr kulturelle Institutionen anfuhren, steht die Volkshochschule. [Pf 117, Wmd., 1961]

Die folgenden beiden Belege zeigen Pronominaladverbien in der Verwendung als f r e i e A n g a b e , einmal mit temporaler und anschließend mit kausaler Sinnrichtung: Ist aber in 20 Jahren kein solcher Winterbau auf dem Feld gestanden als wie dieses 62. Jahr. Danach ist etliche Tag wieder schön worden und ist das Korn wieder aufgestanden an etlichen Orten, aber nicht all' Enden. [Handwerker-Bauern I, Nod., 1650-1700] dann ist es sehr dürre geworden u. dadurch ist das getreidt sehr bald abgestanden u. ist auch die ernte sehr bald gewesen, daß an Jakobi die gerste u. das korn schon daheim war. [Hüßner V, Nod., 1850-1900]

Schließlich lassen sich auch Belege nachweisen, in denen das Pronominaladverb als nachgestelltes A t t r i b u t mit dem Satzgliedkern die erste Stelle vor dem ftniten Verb einnimmt: Wir hatten // ein langes, naßes und kaltes Frühjahr. Der Sommer dagegen war heiß und trocken. Es ist alles theuer hier. Ein Glück, hier wird die Arbeit auch besser bezahlt wie draußen [Meis 09, Wmd., 15.08.1898]

C. Korpusuntersuchung

57

Zu seiner Erholung unternahm er sogleich nach dem 1. Frühstück einen Ausflug in den Steiger, von dem er einen stattlichen Buschen Maien und Je längerjelieber mit heimbrachte, um damit das zu vollziehen, was er zuvor tun sollte aber nicht vermochte. Zum Lohn dafür brachte ihm der Postbote ein Päckchen Tabak, das die nicht zu be friedigen gewesene Dame aus der Heide trotzdem sandte. [Holm VI, Omd., 1900-1950]

Im gesamten Korpus finden sich für das 18. Jahrhundert lediglich zwei, für das 19.Jahrhundert neun und für das 20.Jahrhundert sechs Belege, bei denen die unsilbische Variante dr- im Vorfeld steht. Formen mit daif)- und dr- scheinen also nicht in allen Fällen austauschbar zu sein. Bevor die Fälle aus dem Korpus analysiert werden, seien diese Überlegungen kurz an einem Beispiel illustriert: Ich habe keine Lust darauf/ drauf.

(Pronominaladverb im Mittelfeld)

Darauf / Drauf'habe ich keine Lust.

(Pronominaladverb im Vorfeld)

Wenn das Pronominaladverb im Mittelfeld steht, so sind beide Formen möglich, wobei die Variante iara»/'innerhalb des Varietätenkontinuums als standardsprachlicher, die Variante drauf als umgangssprachlicher einzustufen ist. Befindet sich das Pronominaladverb hingegen in betonter Stellung im Vorfeld, ist die verkürzte Form nahezu ausgeschlossen, da der unsilbische pronominale Teil dr- nicht akzentuiert werden kann. Der anaphorische Charakter des Pro-Elements da ist natürlich insbesondere dann wesentlich, wenn etwas vorher Gesagtes durch da wieder aufgenommen werden soll. Einen schwächeren Verweischarakter hat das Pronominaladverb hingegen, wenn es als Konjunktionaladverb verwendet wird — der Übergangscharakter zwischen pronominaler und nichtpronominaler Einordnung des Konjunktionaladverbs wurde bereits diskutiert. Tatsächlich ist in den wenigen Fällen, in denen dr- im Vorfeld steht, dieses syntaktisch auch als Konjunktionaladverb einzustufen. Bei den folgenden Belegen ist in den ersten beiden Fällen eine Substitution durch temporales daraufhin/ anschließend möglich, in den zwei letzten durch kausales deshalb/ deswegen. Da gab's denn auch unter den Kaiserlichen manchen Erzprahler; und der kleinste Zwerge rühmte sich, wer weiß wie manchen Brandenburger — auf seiner eignen Flucht in die Flucht geschlagen zu haben. Drauf führte man uns zu etwa 50. Mann Gefangener von der Preussischen Cavallerie; ein erbärmlich Specktackel! [Bräker, Wod., 1789]

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Sein Mutter, die sich nichts bös träumen ließ, fing an die bittern Thränen zu weinen, und greift in Sack und gibt ihm einen ganzen kleinen Thaler — 's ist viel Geld schon, ich verdien in vier Tagen manchmal so viel nit! — Drauf schickt er — weis nit mehr, was er für einen Pretex nahm, die Magd fort [Wagner, Wod., 1776] Drum, liebe Geschwister, an Euch mögte Ich denn einige Zeilen meines Schrei bens richten, um Euch zu warnen vor grober Behandlung unserer Eltern, seid Ihnen so gut als möglich, und behandelt sie, wie Ihr einst wünschet, sie behan delt zu haben [Löwen 4, Wmd., 17.01.1862] Nun, es gibt auch noch viele Uebelstände unter den Menschen und die lassen sich nur durch Krieg beseitigen, drum hat er auch immer sein Gutes. Zuerst muß Fürsten- und Pfaffengewalt abgeschaft werden [Hermanns 1, Wmd., 12.04.1862]

In dem einzigen Suchergebnis mit einer im Vorfeld stehenden unsilbischen Variante, die kein Konjunktionaladverb repräsentiert, liegt ebenfalls eine nichtpronominale Verwendung vor, nämlich die einer Verbpartikel. Dies bestätigt die These, dass die verkürzte Form in pronominaler Verwendung nicht im (betonten) Vorfeld stehen kann. Sie sind sehr komfortabel ausgestattet. Sie sind wunderbar. Drin war ich noch nicht. Ich kann nur also nach den — den Schilderungen und nach den Darstellungen der einzelnen, die drin s— wohnen und auch die schon drin gewesen sind. [Pf 099, Wmd., 1961]

Stichprobenuntersuchungen aus dem Korpus ergaben, dass einfache Pronominaladverbien — sofern sie im Mittelfeld stehen — tendenziell am Ende des Mittelfeldes vor der rechten Satzklammer zu finden sind, also in unmittelbarer Nähe des Verbs. Dies stimmt mit der Regel überein, dass Pronominaladverbien im unmarkierten Fall „an der gleichen Stelle wie die entsprechenden Präpositionalphrasen stehen" (DUDEN-Grammatik 2005: § 1360), die bevorzugt rechtsperipher im Mittelfeld zu finden sind (vgl. ebd.: § 1353), besonders wenn sie den syntaktischen Status einer Ergänzung haben: Wenns fürs Bäsle gehört hätte, so wäre sie schon längst fertig — und wer weiß ob die Madselle Freysinger noch daran denkt — ohngeacht dessen werde ich sie doch so bald möglich machen, einen Brief darzu schreiben [Mozart, Ood., 03.12.1777] wenn er etwa sagen wollte, die langen Verse könnten unterwegs nicht gesungen, weil einem der Odem dabei ausgehe, so gelte das nichts, denn er könne lange Verse, wenn man ihn besonders dafür zahle. Nun geht er hin, u. verklagt mich [Laible IV, Wod., 1800-1850]

C. Korpusuntersuchung

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und als wir bemerkt hatten daß sie im der Hoffnung war, so haben wir darauf getrungen daß er sie Heirahten möche [Klinger 16, Ood., 26.02.1853] Damit fiel ich furchtbar auf. Und ich glaubte auch sehr, ich dürfte schon stolz drauf sein. Das kam, weil ich da nun gesagt hatte, jetzt wollt' ich Lehrerin werden. [Pf 045, Wnd., 1961] Ich halte es für notwendig u. sehr wünschenswert, daß auch aus unserem Kreise recht viele in führende Stellungen, also auch in die Off.Laufbahn, hineinkommen. Ich hätte mich anders entschieden u. wäre sicher, bei meiner Frau Verständnis dafür zu finden, nicht wahr? [Herr VI 43, Wnd., 1900-1950]

Wenn das Pronominaladverb die Funktion einer Verbpartikel hat, so bildet es die rechte Satzklammer: Der älteste Bruder Carl lernte wie seine beiden andern Brüder bei einem vermöglichen Onkel der Zuckerbäcker in Breslau war das Geschäft, wegen mehrfachen Veruntreuungen jagte er ihn davon. [Funder, Ood., 1865] Nun weißt Du so viel, wie ich selber weiß, es ist die Wahrheit. Wenn Du es nicht glaubst, kann ich auch nichts dafür. [Soldatenpost VI, Omd., 1900-1950] Beim Abendessen muß ich ihnen immer Geschichten erzählen, und wenn sie ihr zu zahm ausfallen (ich darf den hiesigen nicht viel zumuten), so ruft sie mit glühenden Augen dazwischen: „Der Tiger! mußt Du auch noch zählen!" [Treplin VI, Wnd., 1900-1950]

Schließlich kann das Pronominaladverb auch in der Alltagssprache im Nachfeld stehen, es muss dazu aus der Satzklammer herausgelöst und nach rechts versetzt werden: deß Nachmitags mußten alle Intfanthery Regementer nebst Atelry ausrücken sie wurden alle hinther den Schanzen in Schlachtlinie aufgestellt, um zu sehen wie weith sie ausreichten damit. Wetter schön aber sehr heiß. [Zimmer V, Wod., 1850-1900] Ich hätte nicht geblaubt daß ich daß Weinachtsfest so gut verleben würde, wie ich es gethan habe, Ich kann Gott nicht genug danken dafür. [Dumsch 2, Omd., 25.12.1882] als altbekannter Nachbarin kannst du einen Kuß geben für mich wenn sie es erlaubt und er nichts dagegen hat. Lasse dich aber nicht erwischen von deiner Mari dabei. [Schellenberger 6a, Nod., 05.03.1908]

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Ich würde auch nicht nein sagen dazu. Aber man sollte sich - man sollte es nicht zu sehr in'n Mittelpunkt stellen [Pf 268, Omd.., 1961] Wenn ich mal mehr Ausgang habe, werde ich mal einige Bauwerke sezieren und die Baustile feststellen. Die Kirchen hier sind ganz geeignet dazu. Ich werde dann darüber schreiben. Man muß das Gedächtnis in Übung behalten. [Langenbach VI, Wmd., 1900-1950]

1.1.2 Regionale Verteilung

Abb. 6: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit da{r)- (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Die schematische Karte (Abb. 6) mit den extrapolierten Werten zeigt, dass einfache Pronominaladverbien regional über das gesamte deutsche Sprachgebiet verteilt sind. Es sind keine deutlichen regionalen Schwankungen in der Gebrauchshäufigkeit festzustellen, was sich auch durch die vier AdA-Karten zu den Pronominaladverbien bestätigen lässt. Hier wurde jeweils flächendeckend und am häufigsten die Variante des einfachen Pronominaladverbs genannt (und zwar bei allen abgefragten Pronominaladverbien: damit, davon, daran und darauf).

C. Korpusuntersuchung

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Abb. 7: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit dr- (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Bei der Verwendung von Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition kommt, was die absoluten Trefferzahlen angeht, die lange Variante mit dar- viermal so häufig im Gesamtkorpus vor wie die u m den Vokal verkürzte Variante (dr-). Allerdings liegt hier die Vermutung nahe, dass im geschriebenen Medium die eher standardsprachliche zweisilbige Variante bevorzugt wird (außer in Kollokationen wie drauf und dran oder als Verbpartikel wie bei drankommen), während die verkürzte Variante vor allem ein Phänomen gesprochener Alltagssprache ist. Dazu scheint ein Blick in die Ergebnisse aus den Einzelkorpora lohnend. Hieraus wird ersichtlich, dass in der geschriebenen Alltagssprache in ca. 15% der Fälle die verkürzte Variante gewählt wird, wohingegen in den Interviews des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) mehr als doppelt so häufig (36% der Fälle) die einsilbige Variante bevorzugt wird. Unter der Voraussetzung, dass in einem konkreten Kontext beide Varianten verwendet werden können, liegt die Vermutung nahe, dass in der Alltagssprache die verkürzte Form durchaus eine ,attraktive' Alternative darstellt. Ob Wahlmöglichkeit besteht oder nicht, hängt — wie oben erläutert — von der topologischen Stellung des Pronominaladverbs ab.

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

1.1.3 Phonologische Struktur Bisher wurde stillschweigend von einer komplementären Verteilung zwischen Formen mit -r- bei vokalisch anlautender Präpositionen und Formen ohne -r- bei konsonantisch anlautender Präposition ausgegangen. Es wurde aber bereits darauf verwiesen, dass es in der Sprachgeschichte Fälle gab, bei denen trotz konsonantisch anlautender Präposition das -r- erhalten geblieben ist, so waren im Mhd. Formen wie darbt und darnach völlig üblich. Doch Fleischers Untersuchungen zeigen, dass diese Formen in den Dialekten des Deutschen immer noch weiterleben, denn er kann diese sowohl für niederdeutsche (westfälisch, nordniederdeutsch, brandenburgisch) als auch für mitteldeutsche (rheinfränkisch, ripuarisch, osthessisch, nordhessisch, thüringisch, obersächsisch, berlinisch) und oberdeutsche (höchstalemannisch, hochalemannisch, ostfränkisch) Dialektverbände nachweisen, wobei sie im Oberdeutschen eher selten sind (vgl. ebd.: 86f.). Für die Alltagssprache können die Varianten mit -r- für alle untersuchten Jahrhunderte nachgewiesen werden, allerdings nur für die geschriebene Alltagssprache. In Texten des 17.Jahrhunderts finden sich im Niederdeutschen 18 Belege, das Mitteldeutsche zeigt mit 120 Belegen ebenso wie das Oberdeutsche (174 Belege) eine erstaunlich hohe Frequenz dieser Formen, sodass folgende Beispiele nur eine kleine Auswahl aus den identifizierten Belegen repräsentieren: Von dem Sagramendt des heiligen Abentmals im Neyen Toe stamendt so glaube ich auch, daß es von Christum unß gegeben ist wordten zu einem heiligen Zeichen undt Sigel, seines Dodts darbey zu gedencken. Daß wihr darbey gedencken sollen undt vestiglich glauben, das er durch sein Leiden unßere Sellen wahrhafftiglich gespeißet undt getrencket hatt zum ewigen Leben. [Güntzer I 240-275, Wod., 1650-1700] Dieser Hauptman Widmarckter, ob er nuhn gleich höchstgedachter Ihrer Majestät in vielen Occasionen sein tapferes, treues Gemüt, so er endlich mit dem Todt versiegelt, bezeuget und dardurch Ihme und seiner gantzen Posteritet einen unsterblichen Nahmen erlanget, so hatt er doch dargegen mitt seinem tödtlichen Hintritt und von vielen Jahren hero schweren aufgewendeten Unkosten sein Weib und Kinder fast in äußerstes Verderben gesetzet [Söldnerleben Widmarckters I, Wmd., 1650-1700] alsbald sindt ihnen gefolget alle evangelischen stendt, und sich mit dem Schweden in bündtnuß eingelassen. Darnach ist der handel erst recht angangen, wie du hernach weiter heren wirst, von der Schlacht vor Leipzig. [Heberle I, Wod., 1650-1700]

Für das 18.Jahrhundert geht die Anzahl der Belegstellen insgesamt zurück, wobei besonders im Mitteldeutschen noch eine hohe Anzahl an

C. Korpusuntersuchung

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Belegen (123) ausfindig gemacht werden konnte. Die Varianten mit -rEpenthese sind dabei nicht auf bestimmte konsonantisch anlautende Präpositionen beschränkt — hierzu einige Beispiele: Wegen des Ossians wollen wir reden. Wenn es viel Geld ist, so ist auch die Waare darnach. Fragt einmal Boien. Im nächsten Stück des Museum komt eine Probe davon. [Bürger 1, Ond., 1777-1780] Mit dancksagung zu Gott, für sein geoffenbahrtes word, und mit hertzligen gebet, das er dardurch den glauben in uns pflantzen erhalden und vermehren wolle. [Nehlich, Omd., 1723] hernach die Brunellen, kleine Roßinen, Zucker, Zimmet und Citronenschaalen in ein wenig Wasser kochen lassen, ganz trocken und gestossene Mandeln auf den Boden gelegt, Citronat, Zucker und Zimmet darzwischen gelegt und den Deckel darauf gethan. [Franckfurter Kochbuch, Wmd., 1789] ohngeacht dessen werde ich sie doch so bald möglich machen, einen Brief darzu schreiben und mein liebes Bääsle bitten, alles richtig zu übermachen. [Mozart, Ood., 03.12.1777] Junker und Fräuleins, die vor lauter Vornehmigkeit nicht wissen, wo sie mit des lieben Herrgotts seiner Zeit hinsollen, für die mag es ein ganz artigs Vergnügen seyn; wer hat was darwider? — aber Handwerksweiber, Bürgerstöchter sollen die Nas davon lassen [Wagner III, Omd., 1750-1800]

Auch in den Dokumenten des 19.Jahrhunderts werden diese Formen sowohl im Niederdeutschen (43 Belege) als auch im Mitteldeutschen (14 Belege) und Oberdeutschen (29 Belege) durchaus verwendet, allerdings ist die Anzahl der Belege insgesamt deutlich geringer: Oh meinen Lieben Eltern wen könt ihr darfür dancken nur Gott allein ich habe euch schon öfter in meinen Gebeth Gott vorgetragen aber Vergest ihr auch Gott und sein Wort Vergest ihr auch, für mich zu beten ich dencke es wird wohl öfters versäumet werden [Lohmann 1, Wnd., 21.02.1875] Ein großer Garten darneben einige Acker Länderey und Wiesen ich weis nicht daß wir Brodkorn oder Gemüse nur ein paar Fuder Heu für unsre 2 Kühe [Einem IV, Wnd., 1800-1850] nun hate er mahl lust seine mutter zu besuchen, sie wohnte ohngefähr 9. stunde von da, sie war eine recht brafe frau und könte so schöne wolle spinnen, und darfon so schön zeuch machen laßen von leinen und wolle [Dienstmagd IV, Wnd., 1800-1850]

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Mit langem Maschirren sind wir wieder unsere Kasernen erlangt wo wir uns lange darnach sehnten. Mir sind am 5 Oktober in Königsberg abmaschiert und haten Ortre nach Magdeburg wo mir Munizion faßten. [Kühner 1, Nod., 11.12.1850] da haben die Weiber drein geschaut, die es vorher so kluh zusamgespart haben, und darzu habens mir mein Mandl und mein Töchtern 12 Tüchl und 1 Leintuch gestohlen. Darzu 35 Maß Wein getrunken. [Angerchronik IV, Ood., 1800-1850]

Die einzigen Belege für das 20.Jahrhundert stammen aus dem VI. Zeitabschnitt (1900—1950) des Korpus „Sprachstufengrammatik". Hier finden sich zwölf Belegstellen für das Mitteldeutsche und eine für das Oberdeutsche, darunter folgende zwei Beispiele: Den angebundenen, baumelnden Spielsachen gegenüber hast Du Dich lange nur beobachtend gezeigt u. Großmutter konnte es nicht erwarten bis die kleinen Patschhändchen sich verlangend darnach ausstreckten. [Hercher VI, Omd., 1900-1950] Es ist mir kein Kümmernis so schwer, daß ich sie nicht zufrieden Sinnes trüge, es birgt die Erde keinen Reichtum mehr, daß mir das Herz verlanget darnach schlüge. [Pester VI, Omd., 1900-1950]

Abbildung 8 zeigt die Anzahl der zitierten Belegstellen für Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition und erhaltenem -rnoch einmal im Uberblick:

17.Jh.

18. Jh.

19.Jh.

20. Jh.

Abb. 8: Anzahl der Belege fur einfache ^ - P r o n o m i n a l a d v e r b i e n mit kons. anl. Präp. + -r(extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

C. Korpusuntersuchung

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Daraus hingegen die Folgerung zu ziehen, dass diese Varianten in der gesprochenen Alltagssprache des 20.Jahrhunderts unüblich sind, wäre rein spekulativ. Ihr Fehlen im Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) ist wohl eher darauf zurückzuführen, dass diese phonologischen Unterschiede bei der Transkription eventuell gar nicht beachtet wurden. Auch die Karten aus den Umfragen des AdA können zu keiner Lösung dieses Problems beitragen, denn diese phonologische Variante war in den Antwortmöglichkeiten der primär syntaktisch orientierten Fragestellung gar nicht vorgesehen. Des Weiteren führt Fleischer besonders für ripuarische und moselfränkische Dialekte sogenannte ,Hiat-Formen' an, die durch das Fehlen des -r- trotz folgender vokalisch anlautender Präposition gekennzeichnet sind, sodass zwei Vokale aufeinanderstoßen. „Relativ häufig und regelmäßig scheinen die r-losen Hiat-Formen in gewissen moselfränkischen Dialekten vorzukommen" (Fleischer 2002: 82), Fleischer kann sie aber auch für andere niederdeutsche Dialekte wie für das Brandenburgische und das Niederpreußische sowie für das angrenzende Ripuarische nachweisen. In den hier untersuchten Korpora finden sich sieben Belegstellen, die — übereinstimmend mit Fleischer — nahezu alle aus dem niederdeutschen bzw. niederfränkischen Raum stammen. Alhir sindt noch 9. Regemendtern zu vns kommen sambt den graffen, von grons feltt, vndt wieder nach hedelbergk, die Stadt wieder eingenommen, dain gelehgen 14 tage vndt haben das schlos beschossen, vndt wolten es (zu) sprengen [Söldnerleben I, Wnd., 1650-1700] Ich Höffe das sie meinen Brief in goete gesondheid bekommen, zu wol ich [z]ilf ben, ont das ich in Endenig by Bonn ein 4 deil stond von Bonn by de boüren liegen den 27 Febrüs zyn wir ein Bonn gekommen, ont haben schon; dagen dain geleegen so müssen meer naar Endenig Mascheren: [Nickels, Nfrk., 07.03.1813] Nuhn Liebe Freunde das wir Euch nicht Eher geschrieben Habe das ist bloß eine verseummung. Wohl mannigmahn daüber gesprogen. und denn da ist es bei geblieben. Nuhn das könt ihr siger gelauben wenn etwas for felt dan schreiben wir Euch [Farwick 10, Wnd., 09.06.1875] Mein Vater der ist im Augenblick nicht recht munter und Unser Prediger ist Auch kranck. Heiderich Du Hast Geschrieben Mein Vater der solte Wohl Lebens sat sein da hatt er doch noch Gelacht daüber ist er den Ganßen Winter recht munter Geweßen. [Farwick 12, Wnd., 10.04.1882]

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

wie ich mich daüber geärgert habe, das Ernst die Stiefel haben will das glaubst Du garnicht, denn er arbeitet ja garnicht wo will er sie denn von bezahlen [Ehepaar Böhme, Wnd., 1870]

Erneut ist das einzige Vorkommen im 20.Jahrhundert ein Beleg aus geschriebener Alltagssprache, eine mögliche Erklärung hierfür wurde bereits gegeben. Nachdem es aber der einzige westmitteldeutsche Beleg dieser Art ist, kann er nicht als repräsentativ gelten und ist wohl auf schreiberspezifische Eigenheiten zurückzuführen, sodass Hiat-Formen ein Phänomen des niederdeutschen Sprachraums bleiben. Die beste Aufnahme die am deutlichsten das Abkochen zeigt ist das zweite Lagerbild, welches auch einen Vorzug hat nämlich daß ich selbst einmal daauf sichtbar bin gerade beim Löffeln der Suppe beschäftigt. [Gubisch VI, Wmd., 1900-1950]

Jedenfalls lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Variation bezüglich des Auftretens des -r- keineswegs auf das Mhd. beschränkt ist, sondern in manchen (nördlichen) Dialekten bis ins 20. Jahrhundert und zumindest auch für die geschriebene Alltagssprache des 19.Jahrhunderts anhand dieses Korpus belegt werden kann. 1.2 Einfache Pronominaladverbien bei wo(r)~ Im Folgenden werden die mit m(f)- gebildeten einfachen Pronominaladverbien (insgesamt 1496 Suchergebnisse) sowohl hinsichtlich der Topologie als auch bezüglich ihrer regionalen Verteilung und ihrer phonologischen Struktur analysiert. 1.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Mit wo(f)- gebildete Pronominaladverbien sind in ihren Stellungsmöglichkeiten relativ eingeschränkt. Treten sie als Relativadverb auf, so leiten sie einen Relativsatz ein, bilden also die linke Satzklammer 1 . Da hier keine Besonderheiten auftreten, wird zur Illustration lediglich ein Beispiel pro Jahrhundert zitiert:

1

nach Dürscheid (2005)

C. Korpusuntersuchung

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wie fing das Mensch an zu heulen und zu schreyen, da ich ihr den Korb gab, daß ich also der Tebel hohlmer nicht wüste, woran ich mit ihr war. Endlich fing ich zu ihr an, daß ich mich in Hamburg schon mit einer halb und halb versprochen [Reuter I, Omd., 1650-1700] da er bei uns war, alle Tage gute Speisen kochen, wodurch ich wieder einige Kräfte erlangt hatte. Nachdem er zwölf Stunden gelegen, rief er mich zu sich, nahm meine Hand und führte sie zu seinen Augen. [Rosa III, Wnd., 1750-1800] Nach der h. Messe fand das Begräbniss ungefähr 150 Schritt von der Kirche statt, wobei sich Nahlen nebst Frau auch [ein]gefunden hatten. Der Pater betete alles und es war Niemand der ihm abnehmen konnte [Mentges 5, Wmd., 08.11.1881] Vielleicht hat das schließlich den Erfolg, daß er garnicht hierher kommt, wogegen wir auch nichts einzuwenden hätten. Das Wetter ist auch hier sehr unbeständig. Kühle u. sehr heiße Tage wechseln beständig [Herr VI 44, Wnd., 1900-1950]

Als Interrogativadverbien verwendete Pronominaladverbien haben ihren Platz stets im Vorfeld. womit schmieret ihr euch? Ich weiß nicht waß es für Salbe ist, die Krausin und Schullerin haben mir dieselbe immer bracht. [Hexe Schnell I, Wmd., 1650-1700] Es geht ihnen gut, sowie uns auch. Das traurige Schicksal des Herrn Neumerkel bedauern wir sehr. Es ist doch auffallend, wie häufig in unserer Zeit Schlagflüsse vorkommen, woran mag das nur liegen? [HercherV, Omd., 1850-1900]

Dass es vor allem im Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) verhältnismäßig viele Suchergebnisse für Interrogativadverbien gibt, liegt natürlich an der Textsorte Interview. Für diese ist es geradezu konstitutiv, dass der Interviewer Fragen an sein Gegenüber richtet — und zwar vorwiegend mit ^-Wörtern eingeleitete Ergänzungsfragen, um das Gespräch voranzutreiben und dem Interviewten Informationen zu ,entlocken'. Für diese Verwendungsweise soll ein Korpusbeleg als Beispiel genügen: Das Fell muß eben mal naß werden, muß auch wieder trocken werden. S l : Woran sehen Sie denn, wie's Wetter wird? S2: Woran? S l : Ja. S2: Nun, meistens sieht man's immer am Abend voraus schon [Pf 291, Wnd., 1961]

Hier wird auch deutlich, dass Interrogativadverbien von dem Gesprächspartner häufig wieder aufgenommen werden, um entweder noch einmal

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

genauer nachzufragen oder aber um etwas Zeit zum Uberlegen zu gewinnen — was typisch für gesprochene Nähesprache ist. 1.2.2 Regionale Verteilung

Abb. 9: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit wo(r)- (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

In Relation zu den daif)-Pronominaladverbien gibt es auffallend wenige Belege für Bildungen mit wo(r)~. Dies mag natürlich zum einen daran liegen, dass phorische Pro-Adverbien generell häufiger verwendet werden können als woif)-Pronominaladverbien, die auf einen interrogativen bzw. relativen Verwendungskontext festgelegt sind. Eine andere mögliche Erklärung ist die Tatsache, dass „hier eine alternative Konstruktion, nämlich ein Syntagma aus der entsprechenden Präposition + was gegenüber den »«(/^-Pronominaladverbien vielfach vorgezogen" wird. Damit begründet Fleischer (2002: 101) die äußerst geringe Frequenz von woif)Pronominaladverbien in den Dialekten des Deutschen. Diese alternative Konstruktion gibt es natürlich auch in der Alltagssprache, jedoch war die Suche danach nicht sehr ergiebig, sodass man — zumindest den untersuchten Korpora nach zu urteilen — von keiner klaren Präferenz für diese Konstruktion sprechen kann. Im Folgenden sind einige solcher Beispiele

C. Korpusuntersuchung

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aufgelistet, die sich vom 19. bis ins 20.Jahrhundert erstrecken und vor allem im südlichen Teil des deutschen Sprachgebietes anzutreffen sind: Ich hab bey meiner Krankheith woll ser fill ausgeben meistens fersofen an Wein, den Waßer hab ich fill getrunken, so hat mich fill gebrochn. Eßen bekam ich, imer bey meiner Frau a u f w a s ich imer Apetit hat. [Soldatenbriefe, Ood., 1846-1853] Einige Tage darauf, es war im Frühjahr, ich war beim Schaar Karl, dessen Vater mit (dem) meinem Geschwisterkind war, Weingartenschneiden, saß gerade beim Nachtmahl, als der Gemeindediener Hubinger eintrat und mich aufforderte, zum Bürgermeister zu kommen. Wußte sofort, um was es geht. [Schaar, Ood., 1950] und daß wir wirklich kennenlernen, welche Musik wertvoll ist und wie die Musik- aus was die einzelnen Teile bestehen und im Zusammenhang, um bessere Allgemeinbildung zu haben für die Musik. [Pf 060, Wnd., 1961] Zum Beispiel die River-Boat-Band, die auch schon in mehreren Städten war und die an sich auch ganz gut spielt. Aber das kommt drauf an, für was man sich mehr interessiert. [Pf 060, Wnd., 1961] S l : Warum heißt 'n diese Sportvereinigung 'Lokomotive'? S2: Ich weiß nicht, nach was das so benannt worden ist. Einfach so bei Fußball wurde das dann so 'Lokomotive' genannt. [Pf 283, Nod., 1961] S l : So, Herr S., über was wollen mer sprechen? Sie sind ja Künstler und Maler. Wollen wir uns etwas über die Impressionisten unterhalten? [Pf 165, Ood., 1961] Wackelpeter, wissen Sie, das ist nachher, wenn - wenn's in 'ner Schüssel ist und das ist wa— ist sehr steif, und dann wackelt man so mit, und dann heißt es auch der Wackelpeter. S l : Aha, daher der Name. S2: Das ist eben so - so hessisch, gell? Weiß ja auch net, von was das kommt. S l : Altes hessisches Nationalgericht offenbar. [Pf 202, Wmd., 1961]

1.2.3 Phonologische Struktur Auch bei den m(f)-Pronominaladverbien können Hiat-Formen auftreten. Fleischer (2002: 125) belegt diese für mitteldeutsche Dialekte (moselfränkisch, zentralhessisch, nordhessisch) sowie für das MecklenburgVorpommernsche im niederdeutschen Sprachgebiet. In dem untersuchten

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Korpus zur Alltagssprache lassen sich folgende zwei Belege aus dem Westniederdeutschen nachweisen: auch der 1. Meier läßt Dich viel mal grüßen die übrigen sind nicht zu hause, auch habe ich seit 14 Tage eine Magd, woüber Du Dich gewiß freuest, Da Du weißt daß ich schwach bin. [Hagedorn 1, Wnd., 27.02.1852] und ist wider im Wochen gekommen den 22 Juli mit einen iungen Sohn und der erste ist vor 3 Monat gestorben woüber er sich sehr betrübt hat, überigens hat er ein gut jähr gehabt das alle seine Früchte gut gerahten sind. [Stille-Krumme 09, Wnd., 1842]

Wie es auch schon bei den da(f)-Pronominaladverbien der Fall war, scheint dieser /--Ausfall bei vokalisch anlautender Präposition primär auf den Norden des deutschen Sprachgebietes beschränkt zu sein. Fleischer kann solche Hiat-Formen ebenfalls für mitteldeutsche Dialekte nachweisen. Aufgrund der geringen Anzahl von Belegen aus dem Korpus wäre es reine Spekulation, daraus zu schließen, dass Hiat-Formen in der Alltagssprache auf das Niederdeutsche beschränkt sind. Um diese These überprüfen zu können, bräuchte man hinsichtlich der Phonologie zuverlässigere Korpora gesprochener Alltagssprache für das 20.Jahrhundert als das verwendete Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer). 1.3 Einfache Pronominaladverbien bei hierSchließlich sollen noch die mit hier- gebildeten einfachen Pronominaladverbien auf ihr Vorkommen in den Korpora hin überprüft werden.

1.3.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Die topologischen Stellungsmöglichkeiten der ^'«/--Pronominaladverbien (insgesamt 450 Suchergebnisse) können an dieser Stelle kurz abgehandelt werden, weil sie im Feldermodell an denselben Stellen vorkommen können wie da(f)-Pronominaladverbien. Sehr häufig sind sie im Vorfeld anzutreffen. Es wurde innerhalb der Beschreibung der Pronominaladverbien in der Standardsprache bereits darauf hingewiesen, dass Bildungen mit hierin Präp. mit) besonders in „performativen Sprechakten" (Hentschel/ Weydt 2003: 269) verwendet werden. Dies ist auch in dem ersten der folgenden zitierten Beispiele der Fall:

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Ich hätte euch auch schon lange geschrieben wen Ihr noch keine nachricht von mier erhalten hätte. Hiermit schliese ich mein Schreiben und Grüße Euch alle Herzlich Fater Mutter Brüder Schwestern Schwacher GroßVater und alle [Karcher 1, Wmd., 08.05.1848] und wenn ich ja hier sterben sollte, so habe ich doch den Trost, daß mir meine geliebte Schwiegertochter die Augen zudrückt, hierbei ist zu merken, daß er in seinem Ehestande nur zwei Kinder gehabt, meinen Mann und eine Tochter. [Rosa III, Wnd., 1750-1800] Und dann die italienischen Verfilmungen der Theaterstücke "Othello" und "Aida" - "Aida". Hierbei hat mir besonders die Musik gefallen und ich sagte vorhin italienische, es war eine sowjetischeVerfilmungvon "Othello" [Pf 317, Ond., 1961]

Befinden sich die hier-Pronominaladverbien im Mittelfeld, so haben auch sie die Tendenz, in der Nähe der rechten Satzklammer, also in Verbnähe zu stehen: aber war sein das du dieses gethan hast oder das du Geld darauf genommen hast so schreibe uns doch wie viel geld du hierauf erhalten hast oder ob du es verkauft oder versetzt hast. [Brandes 01, Wnd., 18.01.1855] das heißt dafür zu sorgen, daß eben mehr exportiert wird als importiert wird, und daß also sich ein gesundes Verhältnis hierbei entwickelt, denn in manchen Ländern, wo das nicht der Fall ist, wo ein starker Importüberschuß herrscht [Pf 265, Omd., 1961] Du bist vielleicht so freundlich, und lässt mir ein Mittel hierfür zukommen. — Sonntag vor 8 Tagen war ich des abends bei Meiers, die mir viele Grüße für Euch auftrugen. [Huffelmann V, Wnd., 1850-1900]

Für ins Nachfeld ausgeklammerte hier-Pronominaladverbien lässt sich lediglich ein Beleg anführen, der hier innerhalb eines performativen Sprechaktes verwendet wird: hätte Unser Präsitent dieses gleich gethan, die Vereinigten Staaten währen nun wieder in Frieden. Ich will nun abbrechen hiervon, es wird Euch doch gewiß langweilen es hat sich in Amerika seit zwei Jahren manches zugetragen [Niedenhofen 3, Wmd., 28.09.1862]

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

1.3.2 Regionale Verteilung

Abb. 10: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der einfachen Pronominaladverbien mit hier- (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Dass das Vorkommen von hier-Pronominaladverbien in der Alltagssprache äußerst gering ist, überrascht nicht weiter, schließlich sind sie auch in der Standardsprache wenig frequent. Innerhalb des deutschen Sprachgebietes kommen sie im Oberdeutschen in sehr geringer Frequenz vor, im Mittel- und Niederdeutschen hingegen etwa gleich häufig. Fleischer (2002: 129) kann — abgesehen von dem bairischen hierbei — ebenfalls keine /«'«/"-Pronominaladverbien für den oberdeutschen Raum nachweisen, wohl aber für westmitteldeutsche sowie für niederdeutsche Dialektverbände. Im Westmitteldeutschen kommen laut Fleischer ebenfalls keine basisdialektalen /«'«/--Pronominaladverbien vor. Es ist anzunehmen, dass im Süden die Opposition zwischen hier und da weitgehend zugunsten von da aufgehoben ist. 1.4 Zwischenergebnis Wie aus den Korpusuntersuchungen deutlich hervorging, erstreckt sich die areale Verteilung der einfachen Pronominaladverbien in der Alltags-

C. Korpusuntersuchung

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spräche über das gesamte deutsche Sprachgebiet. Es konnte gezeigt werden, dass im Vorfeld im Prinzip nur die betonbare unverkürzte Variante daif)- steht, wohingegen im Mittelfeld beide Varianten (daif)-/dr-) zu finden sind, die sich tendenziell in Verbnähe befinden. Die phonologische Struktur der Pronominaladverbien ist besonders im niederdeutschen Sprachraum variantenreich, dort treten sowohl Hiat-Formen (z. B. daüber/ woübei) wie auch Varianten mit -r-Epenthese bei konsonantisch anlautender Präposition auf (z. B. darnacB). Mit hier gebildete Pronominaladverbien können zwar prinzipiell an denselben Stellen vorkommen wie i«(r)-Pronominaladverbien, werden allerdings in der Alltagssprache kaum verwendet. Einfache woif)-Pronominaladverbien konnten sowohl im relativen wie auch im interrogativen Gebrauch nachgewiesen werden. 2. Spaltungskonstruktion Eine Konstruktion, bei der das ursprünglich zusammenstehende Pronominaladverb in seine zwei Bestandteile aufgespalten' wird und folglich im Satz eine diskontinuierliche Stellung einnimmt, wird als ,Spaltungskonstruktion' bezeichnet: Da halte ich nichts von. Eben diese Konstruktion soll nun in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. 2.1 Behandlung in den Grammatiken Bevor die in den untersuchten Korpora vorkommenden Spaltungskonstruktionen systematisch zusammengestellt und besprochen werden, erscheint es sinnvoll, sich zunächst anhand der einschlägigen Grammatiken einen Uberblick über deren Beschreibung dieses Phänomens zu verschaffen. Um einen adäquaten Vergleich zwischen den Beschreibungen in den Grammatiken und der tatsächlichen Verwendungsweise anstellen zu können, seien diese gerade auf die Punkte hin befragt, die auch in den folgenden Korpusanalysen eine Rolle spielen werden. Es müssen allerdings von vornherein einige Grammatiken wie Engel (1996), Helbig/Buscha (2001), Hentschel/Weydt (2003) sowie Weinrich (2005) ausgeklammert werden, da man in diesen vergeblich nach Informationen zu von einfachen Pronominaladverbien abweichenden Konstruktionen sucht. Wird ein Pronominaladverb gespalten, muss im Vergleich zur Konstruktion mit einfachem Pronominaladverb mindestens ein Bestandteil seinen Platz' wechseln. Doch ist diese Verschiebung im Satz völlig frei oder ist sie vielmehr bestimmten Restriktionen unterworfen? Kann nur der adverbiale Bestandteil {da, hier, wo) oder auch die Präposition verschoben wer-

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

den? Ein Teil der Grammatiken schenkt der Spaltungskonstruktion überhaupt keine Aufmerksamkeit. Doch welche Antworten vermögen die restlichen Grammatiken auf die Frage nach den topologischen Stellungsmöglichkeiten zu geben? Die Grammatiken stimmen weitgehend darin überein, die „aufgespaltenen Bestandteile zusammen als ein einziges diskontinuierliches' Satzglied" zu betrachten (DUDEN-Grammatik2005: § 1380). Bezüglich der Stellung des adverbialen Teils (da, hier, wo) wird meist angegeben, dass dieser ins Vorfeld versetzt werden kann (vgl. IDS-Grammatik 1997: 2085; Eisenberg 2004: 198): Da habe ich nichts von gehalten. Allein die DUDEN-Grammatik von 2005 (§ 1381) gibt neben der Möglichkeit der Vorfeldbesetzung noch einen weiteren Platz für dieses Element an, nämlich nach den schwach betonten Pronomina am linken Rand des Mittelfeldes, also als letztes mögliches Glied der Wackernagel-Position (vgl. ebd.: § 1360): weil [erj \sie\ \aufkeinen Fa/ij [mit dieser Sache] konfrontieren will weil [erj \sie\ \dä\ \aufkeinen Fal\ \mii\ konfrontieren will

Gemeinhin wird also davon ausgegangen, dass der adverbiale Bestandteil derjenige ist, der verschoben wird. Die Präposition bleibt demnach in ihrer üblichen Stellung im rechten Teil des Mittelfeldes zurück. Die Grammatiken sprechen hier von sogenannten ,gestrandeten Präpositionen' (englisch: stranding): Da habe ich nichts von gehalten, (vgl. DUDENGrammatik 2009: § 1361; IDS-Grammatik 1997:2085; Eisenberg 2004: 198). Die bisher betrachteten Grammatiken vermochten auf einer rein deskriptiven Ebene immerhin Auskunft darüber zu geben, wo die einzelnen Bestandteile im Falle einer Spaltung tendenziell stehen. Uber die ,Beweggründe' wurde bisher allerdings nichts ausgesagt. Interessanter aber ist schließlich die Frage, weshalb es offensichtlich bevorzugte ,Plätze' für die beiden Bestandteile gibt, bzw. noch essentieller erscheint es, herauszufinden, warum überhaupt gespalten wird. Die einzige Grammatik, die hierzu fundiertere Auskünfte gibt, ist die Grammatik von Otto Behaghel (1932). Geht man zunächst von dem Behaghel'schen Gesetz der „Zusammenstellung des Zusammengehörigen" (ebd.: 249) aus, so scheint es auf den ersten Blick gar keinen Grund zu geben, die Einheit des Pronominaladverbs aufzulösen, doch es kommen laut Behaghel noch zwei weitere „Gesetze" ins Spiel, die mit dem genannten „zusammenstoßen" (ebd.). Einerseits kollidiert dieses nämlich mit der Forderung, dass „das Wichtigere später stehen soll" — gemeint sind in diesem Fall die Präpositionen, die „notwendige, wichtige Bestimmungen des Verbs" sind und deshalb bevorzugt „gegen das Ende" (ebd.) in Verbnähe zu finden sind. Andererseits drängt der erste Bestandteil an den Satzanfang, weil da ein anaphorisches Ele-

C. Korpusuntersuchung

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ment ist, mit dem schon Erwähntes gleich zu Beginn des Satzes wieder aufgenommen werden kann, ebenso das Interrogativ- bzw. Relativadverb wo, das auch „an den Satzeingang gebannt" (ebd.) ist.2 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Behaghel nicht nur die sich bei der Spaltung ergebenen tendenziellen topologischen Stellungsmöglichkeiten der einzelnen Bestandteile erklärt, sondern auch mögliche Motivationen für die Spaltungskonstruktion aufführt. Eine weitere interessante Fragestellung ist es, die Aussagen der Grammatiken über die regionale Zuordnung der Spaltungskonstruktion genauer unter die Lupe zu nehmen — gerade weil regionale Variation in Standardgrammatiken eine äußerst marginale Rolle zu spielen scheint. Wirft man einen Blick in die Wahrig-Grammatik (2005: 301), so findet man Folgendes: Ein weiterer Fehler, wieder vor allem in der gesprochenen Sprache, ist die Aufsplitterung des Pronominaladverbs im Satz: *Da kann ich nichts für. (richtig: Dafür kann ich nichts.) * Hier sag'ich nichts zu. (richtig: Hierzu sage ich nichts.)

Spaltungskonstruktionen werden hier generell als standardsprachlich inkorrekt eingestuft, und nachdem pauschal von gesprochener Sprache' die Rede ist, sollte dies wohl für die regionalen Umgangssprachen ebenso wie für die Dialekte gelten. Aus der DUDEN-Grammatik (2009: § 1361) erfährt man, dass „in vielen regionalen Varietäten des Deutschen" Pronominaladverbien aufgespalten werden können. Admoni (1982: 206) ordnet die Spaltungskonstruktion ohne weitere Differenzierung der Umgangssprache zu, ebenso Paul (1919 [1968], III: 157f.), der zusätzlich darauf verweist, dass Spaltungskonstruktionen im Mittelhochdeutschen völlig üblich waren und die heutige Umgangssprache an dieser älteren Trennung noch festhält. Eisenberg (2004: 198) will die Spaltungskonstruktion ohne eine genauere regionale Beschreibung „vielen Dialekten" zugeordnet wissen. Sollten Spaltungskonstruktionen also auch in süddeutschen Dialekten üblich sein? Nach Eisenberg spräche prinzipiell nichts dagegen.

2

D a s erste Element der einfachen Pronominaladverbien wurde bisher als Adverb bzw. adverbialer Bestandteil bezeichnet (vgl. auch Präpositional- bzw. P r o n o m i n a l a d v e r b ) . Sobald dieses Element allerdings aus dem Pronominaladverbverbund herausgelöst wird und in diskontinuierlicher Stellung ,allem' v o r k o m m t , scheint es in Positionen stehen zu können, die eigentlich von P r o n o m i n a besetzt werden (Wackernagel-Position). Will m a n also gerade den (anaphorischen) Pro-Charakter dieses abgespaltenen da/hier/wo betonen, so erscheint es gerechtfertigt, in diesem Fall auch v o n einem ,pronommalen' Element zu sprechen, wie dies beispielsweise in der D U D E N - G r a m m a t i k (2009: § 1361) der Fall ist.

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Nach Aussagen der IDS-Grammatik (1997: 2085) wird die Spaltungskonstruktion „überwiegend nur regionalsprachlich im Norden" verwendet (vgl. dazu auch Behaghel 1932: 249; Erben 1980: 230), Eroms (2000: 136) verortet die Spaltungskonstruktion „besonders im Nordwesten". Wenn man sich hier auf die Informationen der Grammatiken verlässt, steht man der Frage nach der geographischen Verbreitung der Spaltungskonstruktion ziemlich ratlos gegenüber. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Aussagen bezüglich der diatopischen Variation ziemlich willkürlich und unreflektiert sind, sodass es in diesem Fall mithilfe der Grammatiken wohl zu keiner realistischen Beschreibung der Sprachwirklichkeit kommen kann. Abgesehen davon zeigt dieser kurze streiflichtartige Uberblick über verschiedene Standardgrammatiken bereits, dass Bemerkungen über das diatopische Verbreitungsgebiet der Spaltungskonstruktion oft nicht von Aussagen über ihren diaphasischen Stellenwert zu trennen sind. Da allerdings die Frage der Stigmatisierungsgeschichte diskontinuierlicher Pronominaladverbien im III. Teil dieser Arbeit noch eingehend untersucht werden wird, soll an dieser Stelle der Verweis darauf genügen. Nun soll noch auf eine letzte Frage, nämlich ob die Spaltung bei jedem Pronominaladverb gleichermaßen möglich ist, in den Grammatiken eine vorläufige Antwort gesucht werden. Ein Blick in die Grammatiken zeigt schnell, dass es offenbar von der phonologischen Struktur der Präposition abhängt, ob ein Pronominaladverb zur Spaltung neigt oder nicht. Eisenberg (2004: 198) nimmt dabei eine komplementäre Verteilung an: Zur Spaltung käme es demnach bei Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition {da haben sie nichts von gelernt), bei vokalisch anlautender Präposition hingegen zu einer ,Verdoppelungskonstruktion' (da freuen wir uns draui), die aus einem ins Vorfeld getretenen da und einer verkürzten vokalisch anlautenden Präposition (darauf > drauf) entsteht. Hermann Paul (1919 [1968], III: 156ff.) führt unter anderem folgende Belege für die Spaltungskonstruktion im Mittelhochdeutschen an: da wont ein s&licgeist undgottes minne bi (Walther) hie vahet man den bern mite (Tristan)

Paul merkt außerdem an, dass die Trennung bei Luther noch sehr gewöhnlich war, später die Belege allerdings seltener werden: da Rankten sie auch vber(\. Mos. 26, 21) die Stedte, da wir ein komen sollen (5. Mos. 1,22)

Paul scheint die Spaltungskonstruktion prinzipiell nicht nur auf konsonantisch anlautende Präpositionen einzuschränken, denn gerade die beiden Belege aus der Lutherbibel zeigen Fälle mit vokalisch anlautenden Präpo-

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C. Korpusuntersuchung

sitionen, was der von Paul postulierten Annahme einer komplementären Verteilung entgegensteht. 2.2 Korpusuntersuchung Im nächsten Schritt sollen die aus den Darstellungen in den Grammatiken gewonnenen ersten Einblicke zur Spaltungskonstruktion anhand der verwendeten Korpora auf ihre Konsistenz hin überprüft werden. 2.2.1 Spaltungskonstruktion bei da(r)Zunächst werden Spaltungskonstruktionen untersucht, die auf ein mit daif)- gebildetes einfaches Pronominaladverb zurückzuführen sind. Fleischer (2002: 156f.) kann für die Präposition mit eine wesentlich größere areale Verbreitung der Spaltungskonstruktion nachweisen als für die übrigen Präpositionen, da er sie auch für oberdeutsche und ostmitteldeutsche Dialektverbände belegen kann. Diese Sonderstellung der Präposition mit ist für die Alltagssprache — zumindest für die untersuchten Korpora — allerdings nicht nachzuweisen. 2.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Von den 122 Suchergebnissen zur Spaltungskonstruktion zeichnen sich prinzipiell zwei Stellungsmöglichkeiten für das pronominale Element da ab. In ca. % der Fälle steht dieses im Vorfeld, also in Topikposition. Stichprobenartige Uberprüfungen der Suchergebnisse ergaben außerdem, dass da stets anaphorisch gebraucht wird, also auf bereits Erwähntes zurückverweist: vier Tache trauf bekam ich eine kleine Tochter auf den ersten Fingstag Morgen Da habe iche aber was bei ausstehn müsen erst das sie geboren war ich klaubte ich konte es nicht überstehn [Wolf 1, Wmd., 21.02.1869] Und mit dreiundzwanzig Kindern meinetwegen das Glück zu haben, vierzehn Tage Dauerregen zu haben, da muß man sich gegen wappnen, ja? [Pf 025, Wnd., 1961]

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So, die Hühner sind nun verzehrt, haben uns sehr schön geschmeckt, habt vielen Dank dafür, auch für die schönen Eier, solchen Reichtum hatt ich lange nicht beisammen, da geh ich nun sparsam mit um. [Schult VI, Wmd., 1900-1950]

Dieser hohe Anteil an Belegen, bei denen da im Vorfeld steht, mag auch dadurch bedingt sein, dass unter den Suchergebnissen fast ausschließlich Hauptsätze sind, in denen diese Position grundsätzlich offen steht — im Gegensatz zu eingeleiteten Nebensätzen in Spannform, bei denen die Subjunktion die linke Satzklammer bildet und es somit strukturell kein Vorfeld gibt. Andererseits könnte man aus dem Befund, dass ein großer Teil der Suchergebnisse Kernform aufweist, auch folgern, dass sich diese gerade für die Spaltungskonstruktion anbietet, weil für das da somit die Möglichkeit besteht, ins Vorfeld verschoben zu werden, was man demzufolge wiederum als bevorzugte Position im Satz deuten könnte. Diese Annahme wäre auch kompatibel mit den Aussagen der Grammatiken, in denen für die Stellung des pronominalen Elements meist nur die Vorfeldposition angegeben ist. Im restlichen Drittel der Fälle steht da im Mittelfeld. Auch in dieser Position zeichnen sich klare Stellungspräferenzen ab. Ist kein weiteres Pronomen vorhanden, so steht da am linken Rand des Mittelfeldes und damit in Wackernagel-Position: Ich kann da wenig Zu sagen denn Elisa u. Lissette sitzen da vielleicht so gut, wie sie es hir hätten hier noch suchen müssen [Dunker 2, Wnd., 24.01.1875] Leben denn noch alle Weihnachtsspielsachen? Ich hab die meisten Sachen weggesetzt, Hans geht da zu doli mit um u. der Große brüllt dann so sehr. Mit den Domino's baut er im mer einen „Kohstall". [Schult VI, Wmd., 1900-1950] Dann, am Ostersonnabend, denn sind's ja in der Familie, daß's "Satteier" gibt. Hauptsächlich a u f m Lande. (Aha.) Die Landbevölkerung, die können da was von vernaschen. [Pf 256, Wnd., 1961]

Befinden sich im Satz Personal- oder Reflexivpronomen, so steht da nach diesen und befindet sich damit ebenfalls in Wackernagel-Position. In diesem Fall konnten also die Auskünfte der Grammatiken durch die Korpusanalyse bestätigt werden: ich hab das fünfundvierzig nicht mitgemacht, und ich hab mir da nichts bei gedacht, und ich denk mir da auch heut noch nichts bei, das hat mich nicht abgestoßen. [Pf 030, Wnd., 1961]

C. Korpusuntersuchung

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Das Faß ist heil und ganz angekommen, vielen Dank für die Kirschen, für 3 Tage habe ich uns da Suppe von gekocht, die andern eingekocht, da giebt's dann Suppe von, wenn der Herr Gemahl wieder hier ist. [Schult VI, Wmd., 1900-1950] Doktor Schall hatte sich da sehr für interessiert und hatte auch ein mitteldeutsches Vorkommen herangezogen, wo ich etwas Schuld dran war. [Pf 328, Ond., 1961]

Nebenbei sei erwähnt, dass sich da niemals im Nachfeld, also hinter der Präposition befindet. Daraus ist ersichtlich, dass die Reihenfolge der Bestandteile des einfachen Pronominaladverbs auch bei der Spaltung unbedingt erhalten bleiben muss. Wäre dies nicht der Fall, würde auch gegen das Behaghel'sche Gesetz, dass das Wichtigere später stehen soll, verstoßen werden (vgl. Behaghel 1932: 249). Aus eben genannter Reihenfolgenbeschränkung der beiden Elemente folgt gleichermaßen, dass sich die Präposition niemals im Vorfeld befinden kann. In 68% der Fälle steht diese im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten, was darauf hindeutet, dass die Präposition eng zum Verb gehört und deshalb ,seine Nähe sucht': wier wollen aber die Sache ruhen laßen bis Ich wieder komme Liebe Frau den können wier müntlich zuhaus da mahl über sprechen wie sich die Begebenheit zugetragen hat, wie sie mich geschrieben haben ware da noch gar kein gedanke dran gewesen [Ehepaar Böhme, Wnd., 1870-71] Ihr einziges Hobby, das Sie haben, oder gibt es noch andere, wenn ich zum Beispiel (ja) an die Musik denke? S2: Ja, da sind wir auch ziemlich mit behaftet. [Pf 016, Wnd., 1961] und das ist eigentlich das ganze von seinem Werk, was man so verstehen kann, nicht? Man muß sich da sehr mit beschäftigen. Ja, und von der Literatur bin ich jetzt ziemlich abgekommen. [Pf 218, Wnd., 1961]

Interessant ist, dass die Präposition bei einteiligen Verbformen — wenn also die rechte Satzklammer nicht besetzt ist — vorwiegend am Ende des Mittelfeldes steht: so lest sie den korb nieder singken, da richten sich die leute nach, so leuff alles der kirch zu, vieh, vndt leute [Söldnerleben I, Wnd., 1650-1700] und dann haben wier schöne Sachen darin gekauft, was es alles gekostet hat, das weiß ich selbst nicht mehr, da habe ich meine Freude an, denn ich habe sonst nicht viel zu tun. [Elderinck 1, Wnd., 15.09.1869]

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Da bewahr sie Gott vor! — mir schaudert schon beym Gedanken! — Ums Himmelswillen, Evchen! entsagen sie doch allen diesen melancholischen Träumereyen [Wagner, Wod., 1776]

Dieser Befund ließe sich so interpretieren, dass das gespaltene Pronominaladverb in diesem Fall klammerbildend wirkt. Dies sei hier lediglich erwähnt, weil diese Frage im Analyseteil (III.) noch genauer zu überprüfen sein wird und somit im Rahmen dieser Korpusuntersuchung erst einmal ,ausgeklammert' wird. Selten (insgesamt 3 Belege) kann die Präposition auch im Nachfeld stehen, also aus dem Satzverband ausgeklammert werden. Strukturell steht die Präposition in den identifizierten Fällen immer nach Adjektiven: da stehn die Zeitungen und Blätter voll von ganz Illinois ist in Unruhe [Dorgathen 09, Nfrk., 20.06.1883] Hoffendlich geht es uns nicht so wie den Gefangenen, daß wir laufen müßen u. wer nicht mehr kann, wird umgelegt. Ich käme da nicht weit mit. Und was wird aus Lothar werden? Werden wir den nochmal Wiedersehen? Mein Gott was wird blos werden? [Riemer VI, Omd., 1900-1950] Die haben wir so unter der Hand gekauft, und nun hat er zu Weihnachten 'ne neue Gitarre gekriegt, da war er so glücklich mit. S l : Und was macht denn nun dein Vater? S2: Mein Vati, der arbeitet auf der Elevalt [Pf 028, Wnd., 1961]

Schließlich soll noch ein Blick auf die häufigste Stellungskombination der beiden Elemente geworfen werden. Bei fast der Hälfte der Belege (46%) befindet sich da im Vorfeld und die Präposition im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten. Dieser Befund verweist noch einmal auf die präferierten Stellungen der beiden Elemente im Satz: Der anaphorische Charakter des Pro-Elements führt zu einer bevorzugt satzinitialen Stellung, die Präposition hingegen drängt zur rechten Verbalklammer. alten Herrschaften können sich diesen Einwirkungen nicht entziehen und husten sich nachts gegenseitig was vor; da kommt kein Hustensaft noch sonst was gegen an. Der Husten scheint aber nicht ganz so schlimm werden zu wollen, wie im vergangenen Winter. [Holm VI, Omd., 1900-1950] die Betten sind nicht halb so wie in Deutschland für das Stroh wird von den Tükskenweizen die Blätter genommen da wird ein strosack von gemacht da liege ich so auf ein Küssen [Winkelmeier 6, Wnd., 10.10.1867]

C. Korpusuntersuchung

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Ja, und zwar von der Landjugend, nicht wahr? (Ja.) Erwachsene, da konnte man gar nichts mit anfangen, weil man die gar nicht zu-- erst mal nicht rankriegte [Pf 108, Wmd.., 1961]

Insgesamt stimmen die Aussagen der Grammatiken hier im Wesentlichen mit den Daten aus den untersuchten Korpora überein, auch wenn die Grammatiken natürlich nicht alle möglichen Stellungsvarianten erfassen können, die im Rahmen solcher Spezialuntersuchungen ans Licht kommen.

2.2.1.2 Regionale Verteilung

Abb. 11: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Spaltungskonstruktion mit da(r)(extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Die Karte zeigt eine relativ klare Verbreitung der Spaltungskonstruktion bei daif)- im deutschen Sprachgebiet. Sie ist typisch für den gesamten Norden, also den niederdeutschen Bereich. Darüber hinaus wird sie auch im Westmitteldeutschen häufig verwendet. Die regionale Aufteilung, die sich aus der Korpusuntersuchung für die Alltagssprache ergibt, deckt sich völlig mit dem Verbreitungsgebiet der Spaltungskonstruktion in den Dia-

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lekten (vgl. Fleischer 2002: Karte l 3 ) und stimmt im Wesentlichen auch mit der AdA-Karte damit aus der zweiten Fragerunde überein, in der ebenfalls eine klare Präferenz dieser Konstruktion im niederdeutschen sowie im westmitteldeutschen Sprachraum zu erkennen ist. Erstaunlich ist, dass auf dieser Karte auch im westoberdeutschen Gebiet einige Spaltungskonstruktionen zu verzeichnen sind. Da diese Umfrage neuesten Datums ist, lässt sich mutmaßen, dass sich die Spaltungskonstruktion in der Alltagssprache allmählich auch im Westoberdeutschen ausgebreitet hat. 2.2.1.3 Phonologische Struktur Tabelle 17 und Abbildung 12 zeigen die Yerwendungshäufigkeit der Spaltungskonstruktion in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition: Nfrk

Z proz. Anteil Z proz. Anteil

19 50%

19 50%

Nd Md Wnd Ond Wmd Omd Wod konsonantisch anlautende Präposition 35 16 14 6 2 81,4%

84,2%

82,4%

100%

100%

vokalisch anlautende Präposition 8 3 3 18,6%

15,8%

17,6%

-

-

Od Ood

Nod

-

67

-

95,7%

-

3

-

4,3%

Tab. 17: Verwendungshäufigkeit der Spaltungskonstruktion bei da[f)~ in Abhängigkeit v o n der phonologischen Struktur der Präposition (Anzahl der Suchergebnisse auf 500000 W o r t f o r m e n extrapoliert)

3

Die von Fleischer erstellten Karten befinden sich — wie die AdA-Karten — ebenfalls im Anhang.

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C. Korpusuntersuchung

• vok. anl. Präp. • kons. anl. Präp.

Wnd.

Ond.

Wmd.

Nod.

Abb. 12: Schematische Darstellung der Verwendungshäufigkeit der Spaltungskonstruktion bei da{i)~ in Abhängigkeit von d e r phonologischen Struktur der Präposition

Wie vor allem aus der schematischen Graphik (Abb. 12) ersichtlich wird, tendieren bevorzugt Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition zur Spaltung. Hingegen zeigt die Korpusuntersuchung auch, dass die von Eisenberg postulierte Annahme einer völlig komplementären Distribution nicht haltbar ist. Schließlich betrifft beispielsweise in westniederdeutschem Sprachgebiet fast jeder fünfte Beleg (18,6%) der Spaltungskonstruktionen gerade Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition. an Heirathen da wird gerade noch nicht an gedacht [...] es ist hier in Amerika besser wenn einer Verheirathet ist als wie ledig bedenkt den vielen Board d. h. kostgeld [Weitz 3, Wmd., 09.12.1855] ihr habt uns geschrieben das ihr uns noch etwas Geld sickken woltet dai haben wier mit Wilhelm über gesprochen er hat gesagt das wahre zu wenig er rechnete sich noch 300 [T.] zu was er gekrigt hatte [Stille-Krumme 07, Wnd., Herbst 1839] er war schließlich schon ganz heiser, ich kann nichts in Ruhe schaffen bei dem Bengel, wollt mir in dieser Zeit mein schwarzes Taufkleid machen, da ist aber garnicht an zu denken, das muß ich doch mit Bedacht machen [Schult VI, Wmd., 1900-1950]

Doch warum sind prinzipiell gerade Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition für die Spaltung präferiert? Eine mögliche Erklärung wäre die Tatsache, dass eine Spaltung bei vokalisch anlautender Präposition die Struktur des Pronominaladverbs dahingehend verändert,

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dass das -r-, das bei nichtgetrennter Stellung zwischen da und Präposition steht, entfällt. Nun kann gerade im niederdeutschen Raum trotz vokalisch anlautender Präposition gespalten werden, was sich leichter nachvollziehen lässt, wenn man sich vor Augen führt, dass dort besonders in den Dialekten auch bei einfachen Pronominaladverbien Hiat-Formen wie daan üblich sind, bei denen in einer Spaltungskonstruktion nichts ,wegfällt'. Des Weiteren finden sich im westniederdeutschen Sprachgebiet zumindest für die geschriebene Alltags spräche des 19.Jahrhunderts auch Spaltungskonstruktionen mit freistehendem dar, was aus diachroner Perspektive durchaus motiviert erscheint: Das wil ich ihn Schreiben. Dar geth es mir ganz gut mit. Sie ist auch ganz zufrieden Deßwegen Seit Ihr dar nun Gutt um zufrieden. [Elderinck 2, Wnd., 10.01.1870] Ich Will das zimmern aufgeben wir haben dis Jahr 105 Schweine dar haben wir 10 von Ver kauft und 30 wollen wir noch verkaufen die wir verkauft haben dar haben wir drei Doller für bekommen [Mannot 4, Wnd., 06.12.1871]

Die Beispiele zeigen, dass diese Schreiber dar unabhängig von der phonologischen Struktur der Präposition verwenden, also auch bei konsonantisch anlautender Präposition, der bei einfachem Pronominaladverb im Regelfall kein r vorausgeht. Eventuell ist aber auch zu vermuten, dass diese Schreiber von zusammengesetztem darmit, darvon etc. ausgehen — also von Formen, die bei einfachen Pronominaladverbien für den westniederdeutschen Raum durchaus belegt werden konnten. Zumindest bei einem der drei Schreiber (Mannot) konnte diese Vermutung bestätigt werden, im selben Brief ist nämlich folgender Satz zu finden: das moch ten wier gerne wissen was sie dar mit vor haben [Mannot 4, Wnd., 06.12.1871]

Interessant wäre es, herauszufinden, ob gespaltenes dar auch in der gesprochenen Alltagssprache des 20.Jahrhunderts noch verwendet wird, wozu allerdings ein mehr auf phonologische Feinheiten angelegtes Korpus nötig wäre. 2.2.2 Spaltungskonstruktion bei wo(r)Die Korpusuntersuchung im Hinblick auf die Spaltungskonstruktion bei wo{r)- ergab insgesamt 52 Suchergebnisse, von denen 45 auf Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition zurückzuführen

C. Korpusuntersuchung

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sind und lediglich bei sieben ein gespaltenes Pronominaladverb mit vokalisch anlautender Präposition zugrunde liegt. 2.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Um die topologischen Stellungsmöglichkeiten zu analysieren, ist es natürlich auch bei der Spaltungskonstruktion notwendig, zwischen einer interrogativischen und einer relativischen Verwendung zu unterscheiden. Zunächst sei die Stellung des »«-Elements genauer betrachtet. Von den 52 Suchergebnissen ist lediglich ein einziges interrogativisch verwendet: Lieber Albert wie ich mich daüber geärgert habe, das Emst die Stiefel haben will das glaubst Du garnicht, denn er arbeitet ja garnicht wo will er sie denn von bezahlen, also denke sie bloß die Stiefel fur umme sonst zu haben [Ehepaar Böhme, Wnd., 1870]

Wo besetzt in dem zitierten Beispiel 4 alleine das Vorfeld, und genau darin könnte eine mögliche Erklärung dafür liegen, dass Spaltungskonstruktionen mit wo in der Regel nicht interrogativisch gebraucht werden. Schließlich ist im Vorfeld stehendes wo leicht mit dem formgleichen einfachen lokalen Interrogativadverb zu verwechseln, sodass diese Konstruktion offensichtlich gemieden wird. Bei der relativischen Verwendung bildet wo stets die linke Satzklammer: im Namen des gantzen Consistorii gesagt sie wolten mirs wieder geben und auch dem H. Secretario solches befohlen, wo ich auch nach gefragt [Nehrlich, Omd., 1723] Die großen Anstalten zum Begräbnißmahl, dem, nach damaliger Sitte die Vorstände der Gemeine und auch benachbarte Geistliche und Freunde beywohnen mußten, machten viel zu schaffen, wo Kinder denn allemahl groß Intresse bey haben. [Einem IV, Wnd., 1800-1850] Nun liebe Mutter, wenn Du mir in Zukunft wieder schreibst bitte ich Dich, um Dir Mühe zu sparen, schreibe nicht so viel von „fremden Weibern", wo ich nichts von habe, sondern wenn Du mit mir mir mit „Freunden" aufwarten willst [Langenbach VI, Wmd., 1900-1950]

4

Dass hier die interrogativische V e r w e n d u n g — wie normalerweise üblich — graphisch nicht durch ein Fragezeichen markiert ist, verwundert nicht weiter, w e n n m a n bedenkt, dass die Verfasser abgesehen v o n d e m regelmäßigen Gebrauch v o n K o m m a t a weitgehend auf Satzzeichen verzichten.

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Ruft man sich die Beschreibung der einfachen relativisch gebrauchten wo(r)~Pronominaladverbien noch einmal in Erinnerung, die ebenfalls immer die linke Satzklammer bilden, so ist festzuhalten, dass bei der Spaltungskonstruktion mit wo stets die Präposition bewegt wird — was einen grundsätzlichen Unterschied zur Spaltungskonstruktion mit da darstellt, bei der in der Regel das anaphorische Pro-Element da verschoben wird. Doch wohin wird nun die Präposition bewegt? Wie im Fall von dabefindet sie sich im Mittelfeld in unmittelbarer Verbnähe: Und dazwischen liegt denn die Vormontage, wo die angezeichneten Teile, wo man die Zeichnungen von kriegt, wo die fertiggemacht werden. [Pf 027, Wnd., 1961] Wier wollen es einmal versuchen für uns selbst zu arbeiten, Der Man wo ich für gearbeitet habe ist sehr lüderlich, u. besorgt auch sein Geschäft nicht gut. Und auch ein schlechterbezahler. [Reinhardt 2, Omd., 02.12.1872] Es wird euch jetzt komisch vor kommen, daß Ihr jetzt zwei Schwiegertöchter habt, wo Ihr nicht könnt mit sprechen, wie Ihr sie auch möchtet sehen. [Großsteinbeck 1, Nfrk., 21.06.1856]

Es sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass in den letzten beiden Belegen Pronominaladverbien in Bezug auf Personen verwendet werden, ohne dass hier ein Kollektivum von Menschen gemeint wäre. Die Regel, dass Pronominaladverbien normalerweise nicht auf Personen referieren, scheint in der Alltagssprache also auch durchbrochen werden zu können.

C. Korpusuntersuchung

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2.2.2.2 Regionale Verteilung

Abb. 13: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Spaltungskonstruktion mit (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

wo(r)-

Im Vergleich zu den Spaltungskonstruktionen mit daif)-Pronominaladverbien treten solche mit woif)-Pronominaladverbien in viel geringerer Frequenz auf. Dies ist allerdings dadurch erklärbar, dass auch die mit da{r)- gebildeten einfachen Pronominaladverbien viel häufiger verwendet werden als solche mit woif)-. Ihr Verbreitungsgebiet deckt sich im Wesentlichen mit demjenigen der Spaltungskonstruktion bei daif)-, wobei es im Korpus keine Suchergebnisse für das Ostniederdeutsche gibt. Dies kann bei der insgesamt niedrigen Frequenz auch Zufall sein, in den Dialekten scheint es Spaltungskonstruktionen mit woif)- jedenfalls im Ostniederdeutschen zu geben. Am Rande des Verbreitungsgebietes der Spaltungskonstruktion weist Fleischer einen Ubergangsbereich nach, in dem Spaltung nur bei konsonantisch anlautender Präposition möglich ist, bis sie schließlich weiter südlich überhaupt nicht mehr verwendet wird (vgl. Fleischer 2002: Karte 3). Aufgrund der geringen Anzahl von Suchergebnissen ist eine verlässliche Feinabstufung dieser Art im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht möglich, allerdings ist für die Alltagssprache ein ähnlicher Ubergangsbereich denkbar.

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

2.2.2.3 Phonologische Struktur Wegen der geringen Anzahl von Suchergebnissen sei die phonologische Struktur in diesem Fall nur kurz beschrieben. Aus den Korpusuntersuchungen gewinnt man den Eindruck, als werde generell ganz selten bei vokalisch anlautender Präposition der »«(/^-Pronominaladverbien gespalten — und wenn überhaupt, dann wieder am ehesten im Hauptverbreitungsgebiet der Spaltungskonstruktion, dem Westniederdeutschen. Folgende Belegstellen konnten identifiziert werden: Gegenwärtig sind die beiden Kinder Gesund Dedert und Jann sein auch wo sie ihre freude an haben aber wie lange es dauern wird wissen wir nicht. Die Stadt ist jetz ziemlich gesund [Farwick 03, Wnd., 03.1867] die Stadt Cincinnäti ist fast durchgehns voller Fabrieken von allerhand wo viele Menschen an Arbeiten, die Verdienste sind hier wol nicht so groß als in den Südlichen gegenden doch sind die ausgaben auch nicht so Schwer. [Oeveste 3, Wnd., 02.04.1836] die Fabriekanten lassen Tag und Nacht arbeiten und die Aussichten sind das Anmerica sich wieder empor heben thut wo wier schon lange auf gewartet haben, meine Lieben ich mus euch wiesen lasen das mein Cousin Wilhelm sich Verheirathet hat [Lohmann 2, Wnd., 19.12.1879] Den Don nerstag habe ich frei in die Woche Freitag und Sonaben Schruppen und Putzen, unten die Dielen wo man mit die Füße auf geht, habe ich immer so Weis als unsern Tischs in deutschland das ist den ganßen Som meine Arbeit gewesen [Winkelmeier 6, Wnd., 10.10.1867] das [eine] schieft was das erste schieft Sollo wo wir 19 Tage aufgelegen hatten da Kamen wier mit 83 Mann auf das schieft Prienß Feldmarschal und 20 Mann auf daß Schieft Prienß [Küpper 1, Nfrk., 04.1847] Einliegend finde ein Preis List, wo du wohl aus studieren kannst, was die Sachen Werth sind, in Wagmansville ist auch alles noch munter und die werden Euch ja wohl selber schreiben Also bleibet gesund und laßt Euch die Oster Eier nur gut schmecken. [Dunker 4, Wnd., 28.02.1893]

C. Korpusuntersuchung

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2.2.3 Spaltungskonstruktion bei hierDas Korpus liefert für die Spaltungskonstruktion bei hierPronominaladverbien lediglich drei Suchergebnisse. Dass aus diesen wenigen Suchergebnissen keine verallgemeinernden Aussagen über die Topologie oder die regionale Verteilung getroffen werden können, versteht sich von selbst. Dennoch sollen zumindest diese drei Ergebnisse näher betrachtet werden: Während Eürer Abwesenheit habe ich noch verschiedene Bestellungen erhalten, die ich zum Theil schon an HE. Stöckern geschickt habe zum Theil hier noch mit nachhole. [Bürger, Ond., 1777-80] wir haben nicht Geschoßen es war Befehl nur alles mit Hurra einzunehmen hier sind 30 Verwundet und 4 Todt bei gekommen, auch ist unser 3te Compagnie Führer [Ehepaar Böhme, Wnd., 1870-71] so würde ich diese sehr beschwerliche Reise mit größten Freuden wieder machen. Hier köntest du mit waschen, bügeln auch wohl was verdienen [Leipert, Wod., 19.10.1846]

Die topologischen Stellungsmöglichkeiten der ^/--Pronominaladverbien innerhalb der Spaltungskonstruktion entsprechen — wie nicht anders zu erwarten ist — denen der ^(/^-Konstruktionen. Im ersten Beispiel steht hier linksperipher im Mittelfeld, in den beiden anderen im Vorfeld. Der präpositionale Teil befindet sich jeweils im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten. Uber die phonologische Struktur lassen sich keine Aussagen treffen, denn es mag Zufall sein, dass die einzigen beiden gespaltenen Pronominaladverbien (hierbei und hiermit) gerade konsonantisch anlautend sind. Auch in den Dialekten ist die Spaltungskonstruktion äußerst selten, Fleischer (2003: 203) kann aus seinem umfangreichen Datenmaterial gerade einmal 31 Belege aus niederdeutschen Dialekten ausfindig machen. So bleibt lediglich festzuhalten, dass gespaltene ^«/"-Pronominaladverbien sowohl in den Dialekten als auch in der Alltagssprache äußerst selten vorkommen. 2.3 Zwischenergebnis Bei der Spaltung von i«(r)-Pronominaladverbien ergeben sich aus dem Korpus klare Stellungspräferenzen: Das pronominale Element da befindet sich bevorzugt im Vorfeld (% der Fälle), kann aber auch im Mittelfeld in Wackernagel-Position der Fälle) stehen. Die Präposition drängt im

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Mittelfeld in die Nähe des Verbs, bei einteiligen Verbformen steht sie die rechte Klammer bildend am Ende des Satzes. Spaltungskonstruktionen kommen vorwiegend im niederdeutschen sowie im (west-)mitteldeutschen Sprachraum vor. Insgesamt tendieren eher Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition zur Spaltung, was aber nicht heißt, dass sie bei vokalisch anlautender Präposition ausgeschlossen ist. Spaltungskonstruktionen bei wo(f)-Pronominaladverbien kommen im Korpus fast ausschließlich in relativer Verwendung vor, wobei wo stets die linke Satzklammer bildet und die Präposition vorwiegend an den rechten Rand des Mittelfeldes in Verbnähe bewegt wird. Die Suchergebnisse für hierPronominaladverbien waren vernachlässigbar gering. 3. Distanzverdoppelung Bisher wurden Konstruktionen betrachtet, bei denen die beiden Bestandteile des Pronominaladverbs ,getrennt' wurden, also in diskontinuierlicher Stellung vorkamen. Nun gibt es einen weiteren Konstruktionstyp, der sich von der Spaltungskonstruktion dadurch unterscheidet, dass die Präposition nicht alleine (,nackt') zurückbleibt, sondern wieder zu einem vollständigen' Pronominaladverb ergänzt wird, indem ein weiteres da(f)- zur Präposition tritt: Da halte ich nichts davon. Fleischer (2002) spricht hier von ,Distanzverdoppelung', weil der erste Bestandteil des Pronominaladverbs verdoppelt wird, die beiden Bestandteile aber im Satz nicht unmittelbar hintereinander stehen.

3.1 Behandlung in den Grammatiken Die Distanzverdoppelung wird in den Gegenwartsgrammatiken kaum behandelt und findet damit noch weniger Beachtung als die Spaltungskonstruktion. In der DUDEN-Grammatik wird die Verdoppelungskonstruktion immerhin in einem Satz kurz erwähnt: In vielen regionalen Varietäten des Deutschen können Präpositionaladverbien aufgespalten werden. Dabei steht die Präposition allein im rechten Teil des Mittelfeldes. [...] Besonders bei vokalisch anlautender Präposition wird der pronominale Bestandteil oft verdoppelt. (DUDEN-Grammatik 2009: § 1361)

Zur Illustration der Verdoppelungskonstruktion wird daran ^ da...dran als Beispiel aufgeführt (vgl. ebd.). Es scheint so, als sollte die Verdoppelung auf verkürzte Pronominaladverbien (dr- + Präposition) beschränkt sein, was charakteristisch bei vokalisch anlautender Präposition ist.

C. Korpusuntersuchung

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Etwas mehr Aufmerksamkeit widmet Eisenberg der Verdoppelungskonstruktion: Interessant ist das Zusammenspiel von Pronominaladverbien und den Adverbien, die diese selbst enthalten. In vielen Dialekten sind Sätze wie Da freuen wir uns drauf/dranldrüber ganz verbreitet [...]. Im ersten Fall (vokalisch anlautende Proposition]) sieht es so aus, als sei zum ,verkürzten' Pronominaladverb drauf usw. noch ein da ins Vorfeld getreten ('Verdoppelungskonstruktion'). (Eisenberg 2004: 198)

Analog zur Spaltungskonstruktion bleibt die Verdoppelung ebenfalls auf „Dialekte" — ohne regionale Verortung — beschränkt. Auf die von Eisenberg angenommene komplementäre Verteilung zwischen Spaltungskonstruktion bei konsonantisch anlautender Präposition und Verdoppelungskonstruktion bei vokalisch anlautender Präposition wurde bereits hingewiesen. Nach Eisenberg kommt eine Verdoppelungskonstruktion dadurch zustande, dass zu dem verkürzten Pronominaladverb zusätzlich ein ,neues' da hinzutritt, das seinen Platz im Vorfeld hat. Dies ist insofern erwähnenswert, als dass man ja auch davon ausgehen könnte, dass der Verdoppelung eine Spaltungskonstruktion zu Grunde liegt, bei der anschließend die ,gestrandete' Präposition wieder zu einem Pronominaladverb vervollständigt wird. Dies würde bedeuten, dass nicht das da im Vorfeld, sondern das bei der Präposition stehende da verdoppelt, also ,neu' hinzugefügt wird. Erwartungsgemäß wird die Verdoppelung (wie die Spaltung) in Adelungs Grammatik ohne Angabe eines regionalen Verbreitungsgebietes als falsch eingestuft: „so wie das da auch nicht wiederhohlet werden darf, da sorge nicht dafür, für dafür sorge nicht." (Adelung 1781: 370). Wie schon bei der Spaltungskonstruktion bieten historisch orientierte Grammatiken des 20.Jahrhunderts ein differenzierteres Bild. Bei Paul (1919 [1968], III: 158) erfährt man zur Verdoppelungskonstruktion Folgendes: Daneben hat sich der Gebrauch entwickelt, das Demonstrativpronomen einmal für sich zu setzen und dann noch einmal in enger Verbindung mit dem präpositionellen Adverb zu wiederholen [...] Dieser Gebrauch ist nordd. und südd. volksmäßig. Auch nach relativem da findet sich die Verbindung von da mit präpositionellem Adv. die w ü r c d a der hirsprey wirt gelb darfon (Hans Sachs, Fastn. 79, 131); ebenso nach dem in jüngerer Zeit fur da eintretendem wo\ aus demHause..., wo ich bißheralle Tage drinne war (Goe. Br. 1, 166,19).

Hier wird die Verdoppelungskonstruktion als „volksmäßig" eingestuft. Regional soll sie sowohl im hoch- wie auch im niederdeutschen Raum üblich sein. Ausgehend von Behaghels Syntaxtheorie wird die Spaltungskonstruktion als problematisch bzw. suboptimal angesehen, weil sie ein Spannungsfeld zwischen den schon erwähnten konkurrierenden Prinzipien

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II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

eröffnet, denn das „Gesetz von der Zusammenstellung des Zusammengehörigen kann zusammenstoßen mit dem Gesetz, daß das Wichtigere später stehen soll" (Behaghel 1932: 249). Die Verdoppelungskonstruktion scheint dieses Defizit der Spaltungskonstruktion korrigieren zu können, denn der „dadurch entstehenden Spannung kann abgeholfen werden durch Wiederholung des Adverbs [...] so in süddeutschen Mundarten allgemein: da find ich nichts dabei' (ebd.). Bei der Verdoppelungskonstruktion ist demzufolge auch dem Prinzip, dass das Zusammengehörige zusammenstehen soll, Genüge getan. 3.2 Korpusuntersuchung Innerhalb der Korpusuntersuchung zur Distanzverdoppelung bei da(r)~ Pronominaladverbien wurde wieder unterschieden zwischen konsonantisch und vokalisch anlautender Präposition, bei letzterer jeweils zwischen der unverkürzten (dar-) und der verkürzten Variante (dr-). 3.2.1 Distanzverdoppelungbei da(r)-/drDie Distanzverdoppelung bei da(r)~ kommt im Gesamtkorpus bei Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition insgesamt 143mal vor, bei vokalisch anlautender Präposition konnten 39 Suchergebnisse ausfindig gemacht werden. Was die Distanzverdoppelung mit der verkürzten Variante (dr-) angeht, lieferte die Korpusanalyse 196 Belege. 3.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Hinsichtlich der topologischen Stellungsmöglichkeiten des da ergeben sich aus dem Korpus im Vergleich zur Spaltungskonstruktion prinzipiell keine Abweichungen. In ca. 75% der Fälle steht da im Vorfeld. Diese hohe Stellungswahrscheinlichkeit wird erneut dadurch begünstigt, dass unter den Suchergebnissen sehr viele Kernsätze sind, in denen im Gegensatz zu Stirn- und Spannsätzen ein Vorfeld strukturell vorhanden ist (vgl. Dürscheid 2005: 94). Sieht man sich ausschließlich Sätze in Kernform an, so ist die Vorfeldbesetzung mit da eindeutig die bevorzugte Stellungsvariante. Wenn im Rahmen der Analyse der topologischen Stellungsmöglichkeiten in den im Folgenden zitierten Beispielsätzen Fälle in Stirn- und Spannform gleichermaßen berücksichtigt werden, spiegelt dies demzufolge keine quantitative Auswertung wider, sondern versucht vielmehr, die Bandbreite

C. Korpusuntersuchung

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der strukturellen Stellungsmöglichkeiten der verdoppelten Pronominaladverbien im Satz aufzuzeigen. Als Belege für die Vorfeldbesetzung durch das pronominale Element da können etwa die folgenden gelten: vndt die fenel sindt zu Rabensporgk verblieben, da bin Ich bei den feneln als fuhrer dabei verblieben, sambt 2 gefreiten bis auff den 30 abpril [Söldnerleben I, Wnd., 1650-1700] ich habe dir fom schief einen Brief und zwei karten geschiben hast du di bekomen? da stät alles drin wi es mir wahr [Händler 2, Ood., 11.1823] Da wird der Tannenbaum angeputzt, da kommen auch Lichter drauf und Ketten und so verschiedenes, Nüsse und Silberfäden, und früher wurde der Christbaum an die Decke gehängt [Pf 281, Omd., 1961] ob er aus eigener Körperfülle schwimmt oder ob er wirklich aus Körperkraft schwimmt, da kam man nie ganz dahinter. Auf jeden Fall sprang er immer sehr sportlich über des Geländer [Pf 178, Nod., 1961]

In allen Sätzen mit Stirn- und Spannform sowie in wenigen Kernsätzen steht da im Mittelfeld. Sind keine Personal- oder Reflexivpronomen vorhanden, eröffnet da unmittelbar das Mittelfeld, befindet sich also in der schon bekannten Wackernagel-Position (in 15% der Fälle): Schwesterchen probiert das denn auf Vatis Schoß aus. Da ist es denn sicherer. Mutti ist da auch nicht mehr so ganz dafür, weil das viel zu schnell und hastig um die Kurven rum geht. [Pf 292, Wnd., 1961] diese Leute müssen, sind darauf angewiesen zu fahren, sie müssen dauernd weg mit ihren Waren. Wird da besonders drauf geachtet, daß die Straßen besonders gut asphaltiert, besonders breit oder so sind? [Pf 130, Wod., 1961] Die fl. Stellung ist von unßerm Graben nicht zu sehen weil da auch eine kleine Bodenerhöhung dazwischen liegt. Auf derselben stehen unßere Vorposten. [BergerhoffVI, Wmd., 1900-1950]

Ist der Beginn des Mittelfeldes mit Personal- oder Reflexivpronomen besetzt, so muss da um. eine Stelle nach rechts weichen (ca. 10% der Fälle):

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Also sonst so könnt' ich da weiter nichts dazu sagen. S l : Und dann gab's doch voriges Jahr einen Radsportler, der bei der Friedensfahrt sich 'n Namen gemacht hat [Pf 246, Omd., 1961] Oder haben Sie da auch Diskussionen drüber? S2: Doch, da haben wir sehr große Diskussionen. [Pf 011, Wnd., 1961] Also, Herr R., in Erlangen ist ja also um Pfingsten rum immer die Bergkirchweih, und da wär's jetzt ganz schön, wenn Sie uns ein bißchen erzählen könnten, wie man sich da in Erlangen schon drauf freut, und was da alles los ist. [Pf 174, Nod., 1961]

Wie zu erwarten war, gibt es bei der Stellung des da als Teil der Verdoppelungskonstruktion keine Unterschiede zur Spaltungskonstruktion. Es bleibt zu klären, welchen Stellungsregularitäten der zweite Bestandteil der Verdoppelungskonstruktion, nämlich das ,vollständige' Pronominaladverb, folgt. In fast einem Drittel der Belege (ca. 30%) befindet sich dieser zweite Teil im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten. Obwohl also das Pronominaladverb wieder vollständig ist, drängt der präpositionale Bestandteil erneut zum Verb: es ist gleich gesagt ich will nach Amerika machen aber das schwinge das dabei ist da wird nicht daran gedacht [Witz 2, Wmd., 29.07.1855] hier heißen sie in der Mundart Respen, geback-- gebunden, das ist 'n Strohseil, da werden die der Größe nach drauf angebunden und werden in großen runden Haufen aufgeh—schichtet und da verkauft. [Pf 341, Omd., 1961] Als Ihr Junge klein war, war da noch 'n besonderes Ereignis dann damit verbunden? S2: Wir haben einmal, als der Junge klein war, er war etwa zwei Jahre alt, einen Weihnachtsmann zitiert [Pf 323, Ond., 1961]

Bei einteiligen Verbformen steht der zweite Teil der Verdoppelungskonstruktion bevorzugt am Ende des Mittelfeldes (ca. 25% der Belege). Auch diese Stellungspräferenz ließe sich damit erklären, dass der Satz auf diese Weise eine Art Rahmen erhält, wenn die rechte Satzklammer nicht besetzt ist: Die Schauspieler müssen natürlich ihre Rollen gut können, und da gibt's eine Souffleuse dafür. S l : Und was ist oben an der Decke? [Pf 264, Omd., 1961]

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aus jeden häufen 2 bis 3 Busses Korn, und mit den Stroh wird das vieh gefüttert Pferde und Kühe, da wachsen große Blätter dran ich habe mir 34 häufen gekauft es kostet mir 45=9 Send in der Haufen das wird den bei Haufen verkauft [Brüggemann 2, Wnd., 13.01.1861] Oder haben Sie da auch Diskussionen drüber? S2: Doch, da haben wir sehr große Diskussionen. [Pf 011, Wnd., 1961]

In immerhin 33% der Belege ist das Pronominaladverb der Verdoppelungskonstruktion eine Verbpartikel und bildet damit die rechte Satzklammer: er schwimmt, ob er aus eigener Körperfülle schwimmt oder ob er wirklich aus Körperkraft schwimmt, da kam man nie ganz dahinter. Auf jeden Fall sprang er immer sehr sportlich über des Geländer, und wenn er dann ins Wasser sprang [Pf 178, Nod., 1961] das sind Volksaktien, die nun jeder sich kaufen kann. (Ja.) Oder sind da bestimmte Voraussetzungen dabei? S2: Ja, es ist da eine ganz bestimmte Schicht angesprochen. [Pf 255, Wnd., 1961]

Wenn Partikelverben in der Alltagssprache eine diskontinuierliche Stellung in einem Satz einnehmen, scheinen sie eher zur Verdoppelungskonstruktion als zur Spaltungskonstruktion zu neigen, bei der das Pronominaladverb nur bei insgesamt sechs Suchergebnissen Teil eines Partikelverbs war: Später paar Tag kamen wieder andere. Da waren die Bayrische Jäeger bei aus der Festung Landau. Kleine Kerle mit Cascette und Schlepsäbel. [Heuchelheimer Tagebuch V, Wmd., 1900-1950] wiso und warum wird ihm be deutet: da wären 3500 Reichspfennige Nachzahlung bei. Bei dieser Überraschung vergißt er ganz und gar zu fragen, für welche Zeit diese Nachzahlung sein sollte. Nun, bei Erhebung der Gelder für Januar wird ihm Klarheit werden. [Holm VI, Omd., 1900-1950] Natürlich hatten die für unsern Begriff keine Ahnung vom Rodeln. Da war nun einer bei, bestell— stellte sich besonders dumm an. Und der hatte als ganz besonderes Zeichen vorne an seinem Schlitten [Pf 025, Wnd., 1961] Mit der neuen— die Kommandobrücke, die wird rübergezogen. Das ist ganz interessant, ist das. Und da bin ich jetzt bei, um hier die Funkanlagen und so weiter, das alles eben auszuräumen, nicht? [Pf 027, Wnd., 1961]

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Fürs Nähen bin ich sehr wenig, also da bin ich nicht so sehr für. 's liegt mir auch nichtso. S l : HabenSiekeine Maschine?S2: Nein,wirhabenauchkeine. [Pf 315, Ond., 1961] Ja, ich bin ganz deiner Meinung. Ich bin auch gegen das Geldverdienen im Sport, nicht, da bin ich auch gegen. Spielt ihr auch schon mal mit Karten, Kartenspiele? [Pf 218, Wmd., 1961]

Da in diesen Fällen ausnahmslos Verbindungen mit sein vorliegen (dabei sein, dagegen sein, dafür sein), könnte man mutmaßen, dass diese als weniger festgefügte Einheit gesehen werden als die Verbindung Verbpartikel + Vollverb. Schließlich bildet das Hilfsverb sein häufig den ersten Teil des verbalen Rahmens einer Tempus- oder Modalklammer. Da hier also das Pronominaladverb offensichtlich als relativ eigenständig interpretiert wird, besteht auch die Möglichkeit, es entsprechend zu verkürzen. Dennoch spricht der Befund, dass Spaltungskonstruktionen bei Pronominaladverbien in der Funktion einer Verbpartikel kaum vorkommen, dafür, dass Partikelverben als relativ unveränderliche Einheit angesehen werden. Im Folgenden findet sich eine Aufzählung der im Korpus in einer Verdoppelungskonstruktion auftretenden Partikelverben: Verben mit da- als erstem Bestandteil der Verbpartikel5: dabei sein, dafürkönnen, dafür sein, dagegen sein, dahinter sein, dahinterkommen, danebengehen, da^ubestellen, da^ubauen, dazugehören, dazukommen, da^umachen, dazugeben, dazutun, dazwischenkommen Verben mit dar- als erstem Bestandteil der Verbpartikel: darauf sein, daraufstehen, darin sein, darüberhalten Verben mit dr- als erstem Bestandteil der Verbpartikel: dran sein, drankriegen, draufkommen, draufbekommen, draufbezahlen, draufgehen, drauflegen, draufsein, draufstehen, dreinschauen, drinstehen, drin sein, drinstecken Verbpartikeln mit vokalisch anlautender Präposition werden also in der Regel zu dr- verkürzt, nur in seltenen Fällen bleibt dar- vollständig erhalten. Schließlich finden sich vereinzelt (ca. 6%) auch Belege, in denen der zweite Teil des verdoppelten Pronominaladverbs ins Nachfeld ausgeklammert wird, wohl um eine besondere Betonung auszudrücken:

5

Die Schreibungen der aufgezählten Partikelverben spiegeln nicht die Schreibungen in den Korpora wider, sondern entsprechen den Neuregelungen der Orthographiereform, der zufolge Z u s a m m e n s e t z u n g e n mit sein i m m e r getrennt geschrieben werden, wohingegen betonte Verbpartikeln ansonsten stets mit dem Verb zusammengeschrieben werden.

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da es immer in mir heißet, denke Ja nicht, das du dich wild untter die Frommen rechnen, und mit ihnen umb gehen, da hastu dich Ja noch nicht gewaschen darzu, sie was hastu gethan von Jugend auf, durchgehe nur das gantze gesetz nach allen geboten [Nehrlich II, Omd., 1700-1750] das ist fest und Ihr könnt Sicher darauf rechnen daß ich Euch das Frühjahr Geld schicken werde da könnt Ihr Euch verlassen drauf jetzt thut mirs unmöglich [Weitz 3, Wmd., 09.12.1855] Nachdem du ja früher mal eine große Chorsängerin gewesen (allerdings) bist, kannst du da vielleicht etwas erzählen davon? S2: Also zunächst möchte' ich sagen, daß ich im Sopran saß, wie-- wiederum wie jede höhere Tochter. [Pf 178, Nod., 1961]

Die relativ hohe Anzahl an Suchergebnissen macht es für die Distanzverdoppelung möglich, eine quantitative Auswertung der Stellungspräferenzen der beiden Bestandteile des Pronominaladverbs vorzunehmen. In 26% der Fälle — und damit als häufigste Kombination — findet sich da im Vorfeld und das Pronominaladverb bildet als Verbpartikel die rechte Satzklammer, was folgende Beispiele illustrieren: Da hatte ich mein ganzes Vieh drin: 2 Kühe, 3 Kälber, 2 Schweine, 4 Hämmel und später gegen Frühjahr noch 2 Kälber. Der Stall war gut eingerichtet, es war aber ein Notstall, der mußte 1867 wieder weg [Heuchelheimer Tagebuch V, Wmd., 1850-1900] einige blieben bis es Tag war da war F. Reis seine Frau dabei. Als Rosa am Allerseelentage, A[bends] sollte eingelegt werden, war Niemand geherzt dazu, ich ging zu dem schwarzen Mr. Pose [Mentges 5, Wmd., 08.11.1881]

Weitere 23% der Suchergebnisse weisen die Kombination da im Vorfeld und Pronominaladverb am rechten Rand des Mittelfeldes auf, wobei hier jeweils einteilige Verbformen vorliegen, die rechte Satzklammer also nicht besetzt ist: In anfange meines schreiben grüße und güße ich dich herzlich theile dir mit das ich gut gesund angekomen bin. ich habe dir fom schief einen Brief und zwei karten geschiben hast du di bekomen? da stät alles drin wi es mir wahr und est jetzt wen du wissen [Händler 2, Ood., 11.1823] Nur zum Wochenende kann es passieren, daß Briefe paar Tage unterwegs sind, und da denkt mer schon daran, ob noch die Postkutsche fährt, die von Thum undTaxis seinerzeit eingeführt wurde. [Pf 358, Ood., 1961]

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Auch bei der dritthäufigsten Kombination (20%) befindet sich da wieder im Vorfeld, das Pronominaladverb steht im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten — hier liegt also schon durch das Verb eine Rahmenkonstruktion vor: vndt die fenel sindt zu Rabensporgk verblieben, da bin Ich bei den feneln als fuhrer dabei verblieben, sambt 2 gefreiten bis auff den 30 abpril [Söldnerleben I, Wnd., 1650-1700] eine stündt etwaß geleßen und die trauben gefroren in den waßerbütten heimgetragen und in der Stuben aufgetaut ist; da haben die leüt wenig davon gebrach. [Hüßner III, Nod., 1750-1800]

In allen drei bevorzugten Satzpositionen steht das Pro-Element im Vorfeld und die Präposition möglichst am rechten Rand des Mittelfeldes, also in Verbnähe bzw. als rahmenbildende Verbpartikel. 3.2.1.2 Regionale Verteilung

Abb. 14: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit da- + konsonantisch anl. Präp. (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Die Distanzverdoppelung bei konsonantisch anlautender Präposition ist im oberdeutschen Sprachraum (47%) am gebräuchlichsten, kommt aber

C. Korpusuntersuchung

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auch im mitteldeutschen (26%) und niederdeutschen (27%) Gebiet durchaus vor. Fleischer kann in seinen Untersuchungen zu den Dialekten ebenfalls belegen, dass diese Konstruktion sehr weit über das hochdeutsche Gebiet verteilt ist (vgl. Fleischer 2002: Karte 4), aber „auch hier finden sich niederdeutsche Belege, zu erwähnen ist vor allem das Niederpreußische, für welches die Distanzverdoppelung bei sehr vielen verschiedenen Präpositionen belegt ist" (ebd.: 218). Aus den Erhebungen des „Atlasses zur deutschen Alltagssprache" ist eine noch deutlichere regionale Differenzierung zu erkennen. In den Karten zu damit und davon aus der 2. Fragerunde beginnt die Distanzverdoppelung erst südlich der Mainlinie, erstreckt sich also über ganz Süddeutschland bis in die Schweiz und nach Osterreich. Diese Nord-SüdTeilung zwischen Spaltungs- und Verdoppelungskonstruktion bei konsonantisch anlautenden Präpositionen wird auch schon bei Protzes Erhebung zu den städtischen Umgangssprachen in den 1970er Jahren deutlich (1997: 271f.). Wenn man sich vor Augen führt, dass Daten, die auf Fragebogenerhebungen zurückzuführen sind, stärkerer Typisierung unterworfen sind und somit im Gegensatz zu „echten" Korpusdaten eher „vermittelte" Daten zum regionalen Sprachgebrauch liefern, verwundern diese leicht unterschiedlichen Ergebnisse nicht.

Abb. 15: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit dar- + vokalisch anl. Präp. (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

1 0 0 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Die extrapolierten Werte der Korpusuntersuchung lassen ein insgesamt sehr geringes Vorkommen der Distanzverdoppelung bei vokalisch anlautender Präposition erkennen, bei denen das adverbiale Element nicht zu dr- verkürzt wurde. Dabei kann diese Konstruktion im hochdeutschen Sprachgebiet ebenso nachgewiesen werden wie im niederdeutschen Raum. Die AdA-Karte darauf zeigt deutlich, dass die Form da. ..darauf nur selten aus dem Süden Deutschlands, aus Osterreich und der Schweiz gemeldet wurde. Dass diese Variante dennoch in den Belegen aus dem Briefkorpus des 19. Jahrhunderts im Oberdeutschen vorkommt, mag eventuell dem schriftlichen Medium geschuldet sein, in dem wohl tendenziell eher die Vollform des Pronominaladverbs realisiert wird als in der gesprochenen Alltagssprache. Im Vergleich zu den Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition ist bei solchen mit vokalisch anlautender Präposition die Verdoppelung mit der Vollform dar- relativ selten, was sicherlich mit der zu dieser Form in Konkurrenz stehenden Variante mit getilgtem Vokal (dr- + Präposition) zusammenhängt. Ihre Verwendungshäufigkeit zeigt Abbildung 16:

Abb. 16: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit dr- (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Insgesamt wird die Distanzverdoppelung mit dr- + vokalisch anlautender Präposition in der Alltagssprache deutlich häufiger verwendet als die un-

C. K o r p u s u n t e r s u c h u n g

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verkürzte Variante. 62% der Belege entfallen dabei auf den hochdeutschen, 38% auf den niederdeutschen Sprachraum. In den AdA-Karten darauf und daran ist diese Variante neben dem einfachen Pronominaladverb die am weitesten über den deutschen Sprachraum verteilte Konstruktion, die auch im niederdeutschen Gebiet durchaus üblich ist. Fleischer weist diese Variante besonders für das Ober- und das Mitteldeutsche nach, gibt aber auch einige Belege für das Niederdeutsche an (vgl. Fleischer 2002: 217). So bleibt also festzuhalten, dass die Distanzverdoppelung in der Alltagssprache — wie auch in den Dialekten — einen äußerst großen Verbreitungsradius aufweist. Fleischer stellt bezüglich der Verdoppelungskonstruktionen folgende These auf: „Pronominaladverbien können in gewissen Varietäten des Deutschen, nicht aber in der Standardsprache, auch in einer Verdoppelungsstruktur auftreten" (ebd.: 212). Man könnte sich fragen, ob diese Aussage angesichts der hier vorliegenden Untersuchungen zur Alltagssprache nicht auch angezweifelt werden kann, schließlich ist gerade die Distanzverdoppelung bei dr- über das gesamte deutsche Sprachgebiet verteilt. Ob man es in diesem Falle nicht schon mit gesprochener Standardsprache (bzw. äußerst standardnaher Alltagssprache) zu tun hat, wenn auch nicht mit einer kodifizierten Standardsprache, wird innerhalb dieser Arbeit noch genauer zu analysieren sein. 3.2.1.3 Phonologische Struktur Nfrk

Z proz. Anteil Z proz. Anteil

Nd Md Od Wnd Ond Wmd Omd Wod Ood konsonantisch anlautende Präposition (da-) 19 20 14 27 23 9 21

14,6% 25,0%

111

18,9%

28,7%

33,8%

25,0%

vokalisch anlautende Prä]position (dar-/ dr-) 60 60 67 45 27

85,4% 75,0%

81,1%

71,3%

66,2%

75,0%

Nod 58

31,3%

27,0%

46

157

68,7%

73,0%

T a b . 18: V e r w e n d u n g s h ä u f i g k e i t der D i s t a n z v e r d o p p e l u n g bei da(f)-/dr- in A b h ä n g i g k e i t v o n d e r p h o n o l o g i s c h e n S t r u k t u r d e r P r ä p o s i t i o n (Anzahl der S u c h e r g e b n i s s e auf 5 0 0 0 0 0 W o r t f o r m e n extrapoliert)

Tabelle 18 bzw. Abbildung 17 zeigen die Verwendungshäufigkeit der Distanzverdoppelung in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition. Bei den Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Prä-

1 0 2 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

position wurden die beiden möglichen Varianten (dar-/dr-) zusammengefasst:

Nfrk. Wnd.

Ond. W m d . Omd. W o d .

Ood.

Nod.

Abb. 17: Schematische Darstellung d e r Verwendungshäufigkeit der Distanzverdoppelung in Abhängigkeit v o n der phonologischen Struktur der Präposition

Im Gegensatz zur Spaltungskonstruktion, die in der Regel primär bei Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition verwendet wird, ist die Distanzverdoppelung tendenziell eher bei vokalisch anlautender Präposition anzutreffen. Allerdings ist letztere in allen Gebieten des deutschen Sprachraums in der Alltagssprache auch bei konsonantisch anlautender Präposition möglich. Für die Dialekte kommt Fleischer zu folgendem Ergebnis: „Zwischen den vokalisch und den konsonantisch anlautenden Präpositionen zeigen sich gewisse Unterschiede, und zwar scheinbar gerade umgekehrt als bei der Spaltungskonstruktion: Die Spaltungskonstruktion weist bei konsonantisch anlautenden Präpositionen die weitere Verbreitung auf, die Distanzverdoppelung dagegen bei den vokalisch anlautenden Präpositionen" (Fleischer 2002: 218). Dass diese Aussage auch auf die Alltagssprache zutrifft, wurde aus den Korpusuntersuchungen und den AdA-Karten deutlich.

3.2.2 D i s t a n z v e r d o p p e l u n g bei wo(r)-

Die Distanzverdoppelung bei m(r)- Pronominaladverbien konnte im Korpus insgesamt 56-mal nachgewiesen werden, wobei hierbei 8 Belege auf Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition

C. Korpusuntersuchung

103

entfallen und 48 Treffer auf eine vokalisch anlautende Präposition zurückzuführen sind. 3.2.2.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Bei der Verdoppelung eines »«(/^-Pronominaladverbs wird das adverbiale Element, das mit der Präposition in einer Wortform steht, stets mit da(f)bzw. dr- wieder aufgenommen (worauf wo ... d(a)rauf), sodass wo streng genommen also nicht identisch verdoppelt wird. Dies gilt in gleicher Weise für verdoppelte hier- Pronominaladverbien. Bei der Distanzverdoppelung ist im Korpus erneut fast ausschließlich die relative Verwendung nachzuweisen, wo nimmt wieder stets die Position der linken Satzklammer ein: Zweitens würde ich mich noch recht freuen, wenn dieser Platz wo unser Haus drauf steht mein Eigentum würde u. unser Haus, unser Eigen bliebe, damit unser Haus wir nicht zu verkaufen brauchen [Niederhofen 2, Wmd., 28.09.1861]

Der verbleibende Teil des Pronominaladverbs (da(r)-/dr- + Präposition) steht in 73% der Belege im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten: aber bey über stehen = macht es den wald gleichsam kränck wo man es wohl zweyjahr daran sieht wan nicht alles kal von boten wird ab gehauen [Jägerbursch III, Nod., 1750-1800] Auch kann ich Euch schreiben, das den 16. July der Josef Brem gestorben ist, er hat den Magenkrebs gehabt wo keine Hilfe dafür ist [Nett 4, Ood., 01.09.1921] Ja, das ist unsere Sache gewesen hauptsächlich, wo mer heute auch noch davon schwärmen. Sl: Machmer einlieber—übernSportredmer noch was,ja? [Pf 346, Omd., 1961]

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass das Pronominaladverb als Verbpartikel fungiert und somit einen Teil der rechten Satzklammer bildet, wie dies bei 21% der identifizierten Suchergebnisse nachgewiesen werden kann: Unsere Stellung ist nämlich gut ausgebaut, und sind wir auf dem Marsch, brauchen wir kein Gepäck zu tragen, weil es auf den Wagen kommt, wo unser Gewehr draufsteht. [Soldatenpost VI, Omd., 1900-1950]

1 0 4 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

(und eben der nägste war darunder, den ich wohl kennete, dessgleichen auch der Gerstbaur) selber, deme das hauß, wo der brun darinnen ist, zuestehet und noch 2 andere [Kleinschroth I, Ood., 1650-1700]

Schließlich kann der zweite Bestandteil des Pronominaladverbs auch ins Nachfeld rücken, im Korpus findet sich für diese seltene Stellung lediglich ein Beispiel: Ich hatte blos 2 Monat mein Geschäft af angefangen so hatte ich schon an 500 Doli, aufgeborgt, wo mann manches Verliert daran. Die Polizei in dem Land ist so viel wie gar nichts, darum kann mann auch niemant Verklagen [Dem 3, Wmd., 24.05.1856]

In einem einzigen Beleg, in diesem Fall aus dem 18.Jahrhundert, ist eine Spaltungskonstruktion in interrogativer Verwendung nachzuweisen: Endlich da mir es viel linderung und trost in meiner armuth gab, so zeigte ichs auch meiner Frau, die sagte je das schöne buch, wo habt ihr den das geld genommen darzu, und hatte noch nicht drinnen gelesen [Nehrlich II, Omd., 1700-1750]

Hier steht wo im Vorfeld, der zweite Bestandteil ist aus dem Satz ins Nachfeld ausgeklammert — eine wohl eher seltene Stellungsvariante.

C. Korpusuntersuchung

105

3.2.2.2 Regionale Verteilung

Abb. 18: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der Distanzverdoppelung mit wo(r)(extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Abbildung 18 zeigt, dass die Verdoppelungskonstruktion bei wo ebenfalls über das gesamte deutsche Sprachgebiet verteilt ist, wobei sie generell relativ selten verwendet wird. Das Vorkommen in den Dialekten ist größtenteils auf den hochdeutschen Sprachraum beschränkt, für das Niederdeutsche gibt es bei Fleischer (2002: 251) nur vereinzelt Belege. Die sich aus den Korpusuntersuchungen ergebende überdurchschnittlich hohe Verwendungshäufigkeit im ostniederdeutschen Raum ist wohl ein Ergebnis der Extrapolation insgesamt geringer Belegzahlen für wo(f)Pronominaladverbien in Distanzverdoppelungen und sollte deswegen nicht überbewertet werden, vor allem da es relativ unwahrscheinlich ist, dass diese Konstruktion dort in der Alltagssprache besonders häufig vorkommt, wenn sie schon aus den Dialekten nicht bekannt ist. 3.2.2.3 Phonologische Struktur In den Korpora sind fast ausschließlich Belege mit vokalisch anlautender Präposition nachzuweisen, allein wobei, wofür, wovon und wo%u werden in der

1 0 6 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Distanzverdoppelung verwendet. Innerhalb der Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition stellt Fleischer eine klare Hierarchie in der Verwendungshäufigkeit auf: „Keine Präposition scheint so „verdoppelungsfreundlich" zu sein wie in [...], mit weitem Abstand folgt die Präposition auf (Fleischer 2002: 263). Zumindest für die Präposition in lässt sich dies aus dem Korpus auch für die Alltagssprache nachweisen. 3.2.3 Distanzverdoppelung bei hierDie Trefferzahl für die Distanzverdoppelung bei hier ist äußerst gering, folgende drei Belege konnten in den Korpora ermittelt werden: Dann gelangt sie in einen großen eisernen Bottich, der zirka drei Meter tief mit Wasser angefüllt ist. Hier liegt sie drin zirka dreiundsiebzig Stunden, das sind also drei Tage, drei volle Tage. [Pf 115, Nod., 1961] S l : Wie könnt' man denn das machen? S2: Ja, in unsern Haus läßt sich hier nix mehr dran ändern, denn es wurde von der Planung der Fehler gemacht, daß dieses Kabel, wo in der Erde liegt, eben zu schwach war. [Pf 174, Nod., 1961] Die Zeitung mit Dr. Ludwig habe ich nicht gelesen. Sie kommt mitunter sehr unregelmäßig, was aber an unsrer Post liegen kann, wo manchmal Kuddelmuddel herrscht. Wenn es hier nicht dran liegt müßte man Friedrich mal auf den Schwanz klopfen. [Langenbach VI, Wmd., 1900-1950]

Alle Belege können in die sich bisher als charakteristisch erwiesenen Stellungsmöglichkeiten der beiden Bestandteile eingeordnet werden. Das pronominale hier kann einerseits im Vorfeld stehen (Beispiel 1), andererseits auch im Mittelfeld nach Personal- oder Reflexivpronomen (Beispiele 2 und 3). Der Bestandteil da(r)-/dr- + Präposition hat im ersten Beispiel die Funktion einer Verbpartikel, in den beiden letzten Belegen befindet er sich im Mittelfeld vor verbalen Konstituenten. Uber die regionale Verteilung und die Verwendung im Hinblick auf die phonologische Struktur der Präposition können aufgrund der wenigen Treffer keine Aussagen gemacht werden. 3.3 Zwischenergebnis Die Distanzverdoppelung unterscheidet sich hinsichtlich der Stellungsmöglichkeiten des da prinzipiell nicht von der Spaltungskonstruktion. Das

C. Korpusuntersuchung

107

pronominale Element steht hier sogar in 76% der Fälle im Vorfeld, ansonsten — wie zu erwarten — zu Beginn des Mittelfeldes in WackernagelPosition. Der zweite Bestandteil findet sich gewöhnlich im Mittelfeld, bei zweiteiligem Prädikat unmittelbar vor der rechten Satzklammer, bei einteiligem Prädikat am Ende des Satzes. Fungiert das Pronominaladverb als Verbpartikel, bildet es die rechte Satzklammer. In der Verdoppelung wird im Allgemeinen die unsilbische Variante dr- bevorzugt. Die Distanzverdoppelung hat einen großen Verbreitungsradius, sie wird im gesamten hochdeutschen Sprachgebiet verwendet, wobei verdoppelte Pronominaladverbien mit verkürztem dr- ebenso in Norddeutschland üblich sind. Tendenziell neigen eher Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition zur Verdoppelung, da aber im Süden die Spaltung generell unüblich ist, wird dort unabhängig von der phonologischen Struktur der Präposition verdoppelt. Mit woif)- gebildete Pronominaladverbien werden sehr selten verwendet, die Stellung der beiden Bestandteile unterscheidet sich nicht von der Spaltungskonstruktion. Zu den ^/--Pronominaladverbien konnten erneut kaum Suchergebnisse gefunden werden. 4. Kurze Verdoppelung Strukturell gesehen gibt es eine weitere Variante der Verdoppelungskonstruktion. Bisher wurden Fälle betrachtet, bei denen eine diskontinuierliche Stellung vorlag, also der pronominale Teil {da, hier, wo) und das ergänzte Pronominaladverb in einem Satz nicht unmittelbar aufeinander folgten. Dennoch gibt es auch eine Konstruktionsvariante, bei der die beiden Elemente in Kontaktstellung stehen: Da davon halte ich nichts. Die von Fleischer (2002) in Anlehnung an Oppenrieder (1990: 163) mit dem Terminus ,kurze Verdoppelung' 6 bezeichnete Variante soll im Folgenden auf ihre Verwendung in den untersuchten Korpora überprüft werden. 4.1 Behandlung in den Grammatiken In den Grammatiken wird die kurze Verdoppelung kaum behandelt. Als einer der wenigen Forscher äußert sich Paul (1919 [1968], III: 159) dazu

6

D a sich der Terminus ,kurze Verdoppelung' fur diese Konstruktionsvariante in der einschlägigen Forschungsliteratur bereits etabliert hat, wird er auch in dieser Arbeit übernommen. Analog zur Distanzverdoppelung könnte diese Variante meines Erachtens mit dem Terminus ,Kontaktverdoppelung' besser charakterisiert werden.

1 0 8 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

folgendermaßen: „Auch unmittelbar hinter da können die Verbindungen stehen, dann immer in verkürzter Form (dadran...)". Die DUDEN-Grammatik will die kurze Verdoppelung ebenfalls auf kontrahierte Formen beschränkt wissen: In der gesprochenen Sprache (v.a. in Süd- und Mitteldeutschland) kommt es bei diesen Kontraktionen zu Doppelformen: dadran, dadrauf usw., auch wodran, wodrauf und hierdran, hierdrauf. Solche Formen sind nicht standardsprachlich: Dadrauf habe ich keine 'Lust./Ich habe keine Lust dadrauf. 2009: § 860)

(DUDEN-Grammatik

Was die DUDEN-Grammatik für die gesprochene Sprache ,toleriert', deklariert Götze in der Wahrig-Grammatik (2005: 301) als Fehler — auf eine Angabe des regionalen Verbreitungsgebietes der kurzen Verdoppelung wird hier verzichtet: Ahnlich falsch [...] sind die in der gesprochenen Sprache gelegentlich vorkommenden Doppelungen: *Da dafür kriegst du nichts! *Da damit kannst du nichts anfangen! *Da dagegen müsst ihretwas tun!

Obwohl hier nur Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition zitiert werden, soll hier wohl implizit nicht ausgedrückt werden, dass die kurze Verdoppelung bei vokalisch anlautender Präposition eher toleriert werden kann. 4.2 Korpusuntersuchung Die folgenden Korpusuntersuchungen beschränken sich auf die kurze Verdoppelung bei Pronominaladverbien, die mit da bzw. hier gebildet werden, weil eine entsprechende Konstruktion bei wo nicht nachgewiesen werden konnte. 4.2.1 Kurze Verdoppelung bei da(r)-/drDie kurze Verdoppelung mit da(r)~ lieferte insgesamt neun Suchergebnisse, die verkürzte Variante mit dr- kam hingegen mit 91 Suchergebnissen deutlich häufiger vor.

C. Korpusuntersuchung

109

4.2.1.1 Topologische Stellungsmöglichkeiten Bei der kurzen Verdoppelung kann jeweils nur eine Position innerhalb des topologischen Modells eingenommen werden, da sich die beiden Konstituenten stets in Kontaktstellung befinden. Für die Stellung der Pronominaladverbien bei der kurzen Verdoppelung eröffnen sich im Hinblick auf die Felderstruktur folgende Möglichkeiten: Erstaunlich ist, dass der Komplex aus pronominalem Bestandteil und ,normalem' Pronominaladverb das Vorfeld besetzen kann: Da ich wieder mal keinen Urlaub habe, zu Haus geblieben ein bißchen geschrieben. Da drin ist doch schon Weihnachtsstimmung nur nach außen noch nicht. Heute allerdings schon die traurige Gewißheit erhalten [Beyer VI, Omd., 1900-1950] aber eine Begeisterung in die Jugend hereinzubringen, des bringt er auch nicht zusammen. Und dadran krankt's natürlich. [Pf 189, Nod., 1961] Wir werden alles tun. Und da drauf dreht der Brecht sich um, legt den Hörer hin und sagt zu seiner Sekretärin [Pf 175, Nod., 1961]

Schließlich wurde innerhalb der Untersuchung der diskontinuierlichen Varianten (Spaltungskonstruktion und Distanzverdoppelung) deutlich, dass das pronominale Element da auch alleine im Vorfeld stehen kann und folglich Satzgliedstatus erlangt. So gesehen müsste man bei der kurzen Verdoppelung im Vorfeld davon ausgehen, dass mindestens ,eineinhalb' Satzglieder die Stelle vor dem finiten Verb besetzen. Da dieses Problem in Teil III noch einmal aufgegriffen wird, soll an dieser Stelle eine rein deskriptive Darstellung genügen. Die Stellung der kurzen Verdoppelung im Mittelfeld erweist sich als relativ frei: Der Pronominaladverbkomplex kann entweder gleich zu Beginn des Mittelfeldes stehen (Beispiel 1), nach Personal- oder Reflexivpronomen (Beispiel 2) oder aber am rechten Rand des Mittelfeldes in unmittelbarer Verbnähe (Beispiel 3): Dein mir so wertes Schreiben vom 20. August v.J. erhielt ich aber erst am 8. Dezember und ersah dadraus dein, und der deinigen Wohlsein mit der größten Freude, Du wirst dich aber sehr verwundern, daß ich dir diesmahl aus Detreut Schreibe [Dünnebacke 1, Wnd., 05.02.1838] Oder hat sich davon nichts mehr erhalten? S2: Ja, wenn ich dadrüber etwas sagen soll, so wüßt ich nicht, daß ich da zuviel drüber sagen könnte [Pf 316, Ond., 1961]

1 1 0 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Ja, wir bauen gelegentlich andere Sachen. S l : Und was hat Sie nun da daran gereizt an diesem Auftrag? S2: Die war ursprünglich auch normal ausgeschrieben. [Pf 126, Wod.., 1961]

In seltenen Fällen kann die kurze Verdoppelung auch ausgeklammert werden und somit im Nachfeld stehen: S l : Wie kommt das eigentlich? S2: Er ist fast luftdicht abgeschlossen da drin. S l : Bekommen dann die keinen Sauerstoff? S2: Doch, kleine Löcher befinden sich da in dem— in dieser Zeltwand. [Pf 167, Ood.., 1961] Hat sie immer geschimpft, und wir haben uns natürlich sehr amüsiert dadrüber. S l : Ja. Nun, für die Lehrer sind solche mehrtägige Wanderungen oft recht anstrengend. [Pf 200, Wmd.., 1961]

4.2.1.2 Regionale Verteilung

Abb. 19: Schematische Karte zur regionalen Verteilung der kurzen Verdoppelung mit dr^ (extrapoliert auf 500000 W o r t f o r m e n des Gesamtkorpus)

Wegen der äußerst niedrigen Frequenz der kurzen Verdoppelung bei da(r)~ wurde lediglich eine schematische Karte zur regionalen Verteilung bei dr-

C. K o r p u s u n t e r s u c h u n g

111

erstellt. Prinzipiell ist die kurze Verdoppelung bei daif)-/dr- aus den untersuchten Korpora für das gesamte deutsche Sprachgebiet — mit Ausnahme der niederfränkischen Region — nachweisbar, wobei erstaunlich viele Belege aus Norddeutschland stammen. In der AdA-Karte damit wurde die zusammenstehende Verdoppelung nur aus dem Mitteldeutschen gemeldet, die Karte daran weist die kurze Verdoppelung als typisch für den Süden des deutschen Sprachgebietes aus, wobei die Mainlinie in etwa die Grenze bildet. Dabei ist die verkürzte Variante (dadran) deutlich häufiger als die unverkürzte (dadaran), die äußerst selten aus der Mitte Deutschlands sowie aus dem Süden und der Schweiz gemeldet wurde. In den Dialekten ist diese Konstruktion im Wesentlichen auf das Hochdeutsche beschränkt (vgl. Fleischer 2002: Karte 7), lediglich für einen kleinen Teil der niederdeutschen Dialektverbände kann die kurze Verdoppelung belegt werden (Westfälisch, Ostfälisch, Brandenburgisch), wobei es sich dabei ausnahmslos um an das Mitteldeutsche angrenzende Regionen handelt (vgl. Fleischer 2002: 288).

4.2.1.3 Phonologische Struktur Tabelle 19 und Abbildung 20 geben Auskunft über die Verwendungshäufigkeit der kurzen Verdoppelung in Abhängigkeit von der phonologischen Struktur der Präposition: Nfrk

Z proz. Anteil Z proz. Anteil

-

-

-

Nd

Md Wnd Ond Wmd Omd Wod konsonantisch anlautende Präposition (da-) 1 3 1 4,8%

-

12,5%

12,5%

100%

87,5%

87,5%

Nod 2

-

25,0%

vokalisch anlautende Präposition (dar-/ dr-) 20 25 21 7 6 95,2%

Od Ood

100%

6

22

75,0%

100%

T a b . 19: V e r w e n d u n g s h ä u f i g k e i t d e r k u r z e n V e r d o p p e l u n g bei da(f)-/dr- in A b h ä n g i g k e i t v o n der p h o n o l o g i s c h e n S t r u k t u r d e r P r ä p o s i t i o n (Anzahl der S u c h e r g e b n i s s e auf 5 0 0 0 0 0 W o r t f o r m e n extrapoliert)

1 1 2 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Wnd.

Ond.

Wmd

Omd

Wod,

Ood.

Nod

Abb. 20: Schematische Darstellung der Verwendungshäufigkeit der kurzen V e r d o p p e l u n g in Abhängigkeit v o n der phonologischen Struktur der Präposition

Abbildung 19 zeigt, dass konsonantisch anlautende Pronominaladverbien kaum zur kurzen Verdoppelung neigen. Des Weiteren ließ sich in den Korpora lediglich ein einziges Verwendungsbeispiel nachweisen, bei dem dar- nicht zu dr- verkürzt wurde, was mit den Aussagen der Grammatiken übereinstimmt, dass bei kurzer Verdoppelung stets die unsilbische Variante verwendet wird. Ein einziges Gegenbeispiel ist angesichts der großen Anzahl der anderen Belege zwar vernachlässigbar, aber es zeigt auch, dass diese Regel in sehr seltenen Fällen durchbrochen werden kann — einmal ganz abgesehen davon, dass hier auch schlicht eine ungenaue Transkription vorliegen könnte: Ja, wir bauen gelegentlich andere Sachen. S l : Und was hat Sie nun da dairan gereizt an diesem Auftrag? S2: Die war ursprünglich auch normal ausgeschrieben. [Pf 126, Wod., 1961]

Doch warum ist die Realisierung dieser Variante nun nahezu ausgeschlossen? Es wäre durchaus denkbar, dass hier die Silbenanzahl bzw. die Wortlänge eine Rolle spielt, schließlich ist das einfache Pronominaladverb (daran) ebenso wie die Verdoppelung mit unsilbischem dr- (da-dran) jeweils zweisilbig, die unverkürzte (ungebräuchliche) Form wäre hingegen dreisilbig (da-da-ran), was in der Alltagssprache eventuell schlicht als ,zu lang' empfunden und deshalb vermieden wird. Des Weiteren fällt auf, dass die kurze Verdoppelung bei konsonantisch anlautender Präposition zwar prinzipiell möglich, aber nicht sehr frequent ist. Auch dies könnte mit eben aufgeführtem Argument erklärt

C. Korpusuntersuchung

113

werden, schließlich kommt es bei konsonantisch anlautender Präposition automatisch zu einer dreisilbigen Einheit (da-da-für). 4.2.2 Kurze Verdoppelung bei hierZur kurzen Verdoppelung bei m(r)- liefert das Korpus überhaupt keine Ergebnisse, auch bei /«'«/--Pronominaladverbien kommt die kurze Verdoppelung so gut wie gar nicht vor. Lediglich ein Beleg konnte ausfindig gemacht werden: es waren nicht besonderes-- besondere dabei, die muß man erziehen, muß man wieder ranziehen, und hier drauf aufmerksam machen, dies und das dürft ihr machen. [Pf 014, Wnd., 1971]

Dieser Beleg stammt aus dem westniederdeutschen Sprachgebiet und ist aus einem Pronominaladverb mit vokalisch anlautender Präposition gebildet (auf), wobei die unsilbische Variante dr- realisiert ist. 4.3 Zwischenergebnis Die kurze Verdoppelung findet in den Grammatiken kaum Beachtung. Die Korpusuntersuchung zeigt deutlich, dass die Verwendung der kurzen Verdoppelung stark mit der phonologischen Struktur der Präposition zusammenhängt. Sie wird nämlich fast ausschließlich bei vokalisch anlautender Präposition verwendet, bei der das pronominale Element zu drverkürzt werden kann, sodass eine deutliche Tendenz zur Vermeidung von zusammenstehenden dreisilbigen Konstruktionen erkennbar ist. Innerhalb der Korpora finden sich über das gesamte deutsche Sprachgebiet verteilt Belege für die kurze Verdoppelung, was allerdings etwas erstaunt, wenn man die AdA-Karten zum Vergleich heranzieht, auf denen die kurze Verdoppelung auf das Gebiet südlich der Mainlinie beschränkt ist. 5. Konstruktion ohne overtes pronominales Element „Volkstümlich ist auch bloße Setzung des präpositionellen Adv[erbs] ohne da" (Paul 1919 [1968], III: 159). Damit spielt Paul auf einen weiteren Konstruktionstyp an, mit dem Sätze bezeichnet werden, in denen das pronominale Element des Pronominaladverbs nicht vorhanden, also auf der Oberfläche nicht ,sichtbar' (overt) ist. Jürg Fleischer spricht hier von dem Konstruktionstyp „Präposition ohne overte Ergänzung": Dabei bleibt

1 1 4 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

entweder das Vorfeld leer (miß ich nichts von) oder aber es ist besetzt (ich weiß nichts von). Letzteres bezeichnet Fleischer als die „eigentliche" Konstruktion ohne overte Ergänzung, da man in diesem Fall nicht davon ausgehen kann, dass das da aus dem Vorfeld getilgt worden sei und es sich somit um einen eigenen Konstruktionstyp ohne offensichtliche Verwandtschaft zur Spaltungskonstruktion handle (vgl. Fleischer 2002: 332). In Anlehnung an Fleischer möchte ich ebenfalls zwei verschiedene Konstruktionstypen unterscheiden, nämlich 1. die „Konstruktion ohne overtes pronominales Element bei besetztem Vorfeld" (ich habe keine 'Lust zu) und 2. „Konstruktionen ohne overtes pronominales Element bei leerem Vorfeld", wobei das Korpus hier sowohl auf ,rekonstruierbare Spaltungskonstruktionen' hin überprüft werden soll (habe ich keine 'Lust zu) — des Weiteren aber auch zur Diskussion gestellt werden soll, ob in der Alltagssprache auch ,rekonstruierbare Verdoppelungskonstruktionen' des Typs habe ich keine 'Lust dazu möglich sind, die bei Fleischers Dialektuntersuchungen keine Erwähnung finden. Im Rahmen der bisher zur Verfügung stehenden Analysemöglichkeiten von Korpora ergibt sich bei der Untersuchung dieses Konstruktionstyps das Problem, dass nur nach ,nackten' Präpositionen gesucht werden kann, was mit der verwendeten Suchmaschine (InfoRapid 7 ) mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist. Um beispielsweise Belege für die Präposition aus den Korpora herauszufiltern, erhält man nach der Eingabe von '\' 8 in die Suchmaske natürlich auch all diejenigen Treffer, in denen Infinitivpartikel ist (Trefferzahl ca. 32.000). Für diese Zwecke wäre ein annotiertes Korpus vonnöten, mit Hilfe dessen nicht nur formal nach ,Graphemkombinationen', sondern auch nach grammatischen Funktionen einzelner Wörter gesucht werden kann, wie es für das Kassler Projekt der Sprachstufengrammatik (Agel/Hennig) vorgesehen ist. Da sich bei der stichpunktartigen Durchsicht der Korpustexte in den Interviews des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) deutlich mehr Belege für die Konstruktion ohne overtes pronominales Element fanden als bei den Korpora „Auswandererbriefe" (Elspaß) und „Sprachstufengrammatik" (Agel/Hennig), habe ich ersteres meinen Untersuchungen zu diesen Konstruktionen zu Grunde gelegt, die anderen hingegen lediglich stichpunktartig überprüft. Aus der Tatsache, dass gerade im Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) dieser Konstruktionstyp frequenter zu sein scheint als in den zwar konzeptionell mündlichen, aber dennoch schrift-

7

Info'Rapid \Suchen und Ersetzen] ist ein Programm, w o m i t bestimmte W o r t f o r m e n innerhalb angebbarer Textdokumente gesucht werden können. Dieses P r o g r a m m wird als Freeware online zum D o w n l o a d zur V e r f u g u n g gestellt (www.inforapid.de/).

8

Bedeutungen: \ < 'Wortanfang' bzw. \ > 'Wortende'

C. Korpusuntersuchung

115

lieh verfassten anderen beiden Korpora, ließe sich vermuten, dass Konstruktionen ohne overtes pronominales Element eher ein Phänomen des gesprochenen Mediums sind. Da hier allerdings aus genannten Gründen keine umfassende quantitative Analyse der verwendeten Korpora vorgenommen werden kann, bleibt dies vorläufig eine Mutmaßung. 5.1 Konstruktion ohne overtes pronominales Element bei besetztem Vorfeld Zunächst soll diejenige Konstruktionsvariante betrachtet werden, bei der auf der Oberflächenstruktur kein da vorhanden und das Vorfeld durch ein beliebiges Satzglied besetzt ist, sodass die bloße Präposition jeweils durch ein einfaches Pronominaladverb substituiert werden kann. Da also in diesem Fall nicht anzunehmen ist, dass das pronominale Element aus dem Vorfeld getilgt worden ist und somit „keine direkt offensichtliche Verwandtschaft mit der Spaltungskonstruktion" (Fleischer 2002: 332) vorliegt, spricht Fleischer hier von der „eigentlichen" Konstruktion ohne overte Ergänzung. In Grammatiken sucht man meist vergeblich nach einer Beschreibung dieser Konstruktion. Bei W. B. Lookwood finden sich dazu folgende Informationen: Another, less prominent development, also rooted in oral language, is the suppression of the adverbial element altogether: (Goethe, Letters) wenigstens bin ich mit 'frieden, ich weiß kein Wort von. This construction, too, is still part of the everyday colloquial of certain districts. (Lookwood 1968: 59)

Die Verwendung der ,bloßen' Präposition wird hier als Phänomen der gesprochenen Sprache bezeichnet, das in einigen — nicht näher konkretisierten — Regionen des deutschen Sprachgebietes üblich ist, wohl aber auch im (West-)Mitteldeutschen, schließlich wird Goethe als Referenz angeführt. Ein Hinweis darauf, dass diese Konstruktion auch in der berlinischen Umgangssprache üblich zu sein scheint, findet sich bei Agate Lasch: Abweichend vom Schriftdeutschen steht im Berlinischen vielfach das mit der Präposition gleichlautende Adverb (gu, bei) usw., allein oder mit dem Beziehungswort da (älter dar), doch von diesem im Satz getrennt. Es ist die alte nd. (auch md.) Konstruktion des einfachen Adverbs oder der Präposition, bezogen auf dar, volkssprachlich sehr verbreitet. (Lasch 1967: 306)

Hier wird sowohl auf die Spaltungskonstruktion als auch auf die Konstruktionen ohne overtes pronominales Element verwiesen. Letztere wird mit folgenden Sätzen exemplarisch zitiert: ich habe nicht die Zeit zu gehabt (Prinz Friedrich I., 1670) und meenste mir mit? [„meinst du mich damit?£C] (vgl. ebd.).

1 1 6 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Fleischer konnte in seinen Untersuchungen zu den Dialekten zu dieser Konstruktionsvariante „durchaus nicht wenige Belege finden" (Fleischer 2002: 333), auch in den Interviews des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) ist die Setzung der bloßen Präposition bei besetztem Vorfeld relativ frequent. In den folgenden Beispielen fungiert die Präposition jeweils als Verbpartikel zu dem Kopulaverb sein. so zeigten sich auch dort eins-- ganz schöne Nieten. Es waren— es waren .. aber auch gute Schüler bei, die .. weitsprangen, wir haben unsere besten Springer bei vier Meter dreißig gehabt von— bei den Mädchen [Pf 326, Ond., 1961] Dort gibt es wirklich 'n gutes gepflegtes Bier und auch einen schönen Happen. Dort ist 'ne Schlachterei bei, also man kann so'n schönen Hackepeter kaufen, wo man bestimmt sich 'n gutes Frühstück erlauben kann. [Pf 291, Wnd., 1961] Ich bin aber ordentlich froh drum. Er ist auch im Rechnen wieder bei; hat aber konstatiert, daß die da (= in Bethel) gut rechnen könnten, aber schlecht lesen. [Herr VI, Wnd., 1900-1950] ich hatte schon mit Sehnsucht auf einen lieben Brief gewartet, denn jetz komt jeden Tag ein Extrablat das ein Gefecht gewesen ist, und wo sehr oft das 10te Armee Corps bei gewesen ist, nun kanst Du Dir meine Angst denken wo man denken muss Du bist dabei gewesen [Ehepaar Böhme, Wnd., 1870-71]

Nebenbei sei bemerkt, dass im letzten Beleg nicht etwa eine Spaltungskonstruktion mit dem Pronominaladverb wobei vorliegt, sondern tatsächlich eine Konstruktion mit bloßer Präposition — schließlich bezieht sich wo relativisch auf Extrablat und bei ist die verkürzte Verbpartikel des Verbs dabei sein. In den folgenden Belegen übt die Präposition die syntaktische Funktion einer Präpositionalergänzung aus: Sie sind also gezwungen, sich praktisch sehr gründlich vorzubereiten, da Sie ja mit rechnen müssen, über alles gefragt zu werden, ne? S2: Uber alles gefragt zu werden, ja, ja. [Pf 249, Wnd., 1961] Sie, das ist nachher, wenn— wenn's in 'ner Schüssel ist und das ist wa— .. ist sehr steif, und dann wackelt man so mit, und dann heißt es auch der Wackelpeter. S l : Aha, daher(derName.) [Pf 202, Wmd., 1961]

Abgesehen von dem letzten zitierten Beispiel sind alle Belege dem niederdeutschen Sprachraum zuzuordnen. Doch wie der letzte Interviewausschnitt zeigt, ist es nicht ausgeschlossen, diese Konstruktion auch in der

C. Korpusuntersuchung

117

Alltagssprache des mitteldeutschen Sprachraums anzutreffen. Dieser Befund ist kompatibel mit der Verwendung in den Dialekten, Fleischer kann bei konsonantisch anlautenden Präpositionen auch Belege für mitteldeutsche Dialektverbände anführen, wohingegen diese Konstruktion bei vokalisch anlautenden Präpositionen auf den niederdeutschen Sprachraum beschränkt zu sein scheint (vgl. Fleischer 2002: 336). Der einzige Beleg mit vokalisch anlautender Präposition aus dem Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) stammt ebenfalls aus dem Niederdeutschen, was der Verwendungsweise in den Dialekten nicht widerspricht: ich stehe ja auf'ner Betonplatte. Sonst würde ich da auch abrutschen, nicht, zum-zum... S l : Sie habenkeinePfähle unter? S2: Ichhabekeine Pfähle.Ichhabe-weil ich oben auf dem Wall ja bin, K. sind ja halb unten und halb oben [Pf 026, Wnd., 1961]

Vereinzelt finden sich auch Belege aus dem Oberdeutschen, obwohl diese aufgrund der geringen Trefferzahl natürlich nicht das Hauptverbreitungsgebiet dieser Konstruktion widerspiegeln, sondern eher als individuelle Sprechereigenheiten einzustufen sind. Im folgenden Beleg handelt es sich um die Präposition bei, die als verkürzte Verbpartikel fungiert (dabeihaben). Fleischer kann lediglich für die Präposition mit oberdeutsche Belege finden, was nicht weiter verwundert, da diese Präposition in mehrerlei Hinsicht eine gewisse Sonderrolle einzunehmen scheint (vgl. Fleischer 2002: 336). da haben Sie sich eingraben müssen? S2: Nein, nein, das hat— das war rein unmöglich. Wir hatten gar keine Werkzeuge bei. Wir— das— das ging nicht! Dann mußten wir noch marschieren, etwa vier Stunden [Pf 392, Wod., 1961]

Aus den Korpusuntersuchungen kann festgehalten werden, dass die Konstruktion ohne overte Ergänzung bei besetztem Vorfeld in der Alltagssprache in der Regel im niederdeutschen Sprachgebiet zu erwarten ist, aber auch in den mitteldeutschen Raum hineinreicht — was sich mit dem Verbreitungsgebiet in den Dialekten deckt. In den meisten Belegen hatte das auf die Präposition verkürzte Pronominaladverb die Funktion einer Verbpartikel zu dem Kopulaverb sein. 5.2 Konstruktionen ohne overtes pronominales Element bei leerem Vorfeld Als Nächstes sollen Konstruktionsvarianten von Pronominaladverbien mit Vorfeldellipse näher untersucht werden. Vorfeldellipsen gelten gemeinhin als ein typisches Phänomen gesprochener Sprache, das der

1 1 8 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

Sprachökonomie Rechnung trägt. Eine Rekonstruktion des auf der Oberfläche nicht overten Elements sollte durch den Kontext ohne Schwierigkeiten möglich sein. So ist in folgenden Belegen mit einfachen Pronominaladverbien jeweils eindeutig das Personalpronomen ich im Vorfeld erspart: ich kann es eigentlich nie verwinden, die Hochschule nicht besucht zu haben. (Mh. Ja, das ist...) Bin heute immer noch dabei, Anschluß zu bekommen. [Pf 058, Wnd., 1961] S l : Frau Z., worin besteht Ihre Lektüre? S2: Meine Lektüre besteht zunächst täglich im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen. Dann lese ich langsam und mit Genuß Bücher. Habe aber nicht so schrecklich viel Zeit dazu. [Pf 050, Wnd., 1961] S2: Ja, ich wohne hier in-- in Hannover in einem Heim, bezahle hundertfünfzig Mark mit Verpflegung. Brauche dazu noch mindestens sechzig bis achtzig Mark Taschengeld, so daß ich im Monat auf zweihundert bis zweihundertdreißig Mark Auslagen [Pf 219, Wnd., 1961]

5.2.1 Rekonstruierbare Spaltungskonstruktion Etwas problematischer gestaltet sich die Vorfeldrekonstruktion bei Sätzen wie habe ich keine 'Lust zu. In diesen Fällen ist schließlich nicht davon auszugehen, dass ein zur Präposition adjazent stehendes da getilgt wurde, weil das Vorfeld allein durch da semantisch sinnvoll besetzt werden kann. Dadurch ergibt sich eindeutig eine Verwandtschaft zur (rekonstruierbaren) Spaltungskonstruktion, weshalb Fleischer diesen Typ als „eine Art Bindeglied zwischen der Spaltungskonstruktion und dem eigentlichen Auftreten einer Präposition völlig ohne overte Ergänzung" (Fleischer 2002: 330) bezeichnet. Auch diese Konstruktionsvariante findet kaum Erwähnung in grammatischen Abhandlungen, Fleischer weist auf die Beschreibung der Konstruktion bei S. Wichter (1980: 38) hin: Es ist eine bekannte Erscheinung, daß Wörter wie davon, da^u, dabei getrennt werden können. [...] Weiterhin ist bekannt, daß satzeinleitendes da zero-gesetzt werden kann, so daß folgende Varianten möglich sind: da mußich mich von lösen muß ich mich von lösen

Diese Konstruktion ist in den untersuchten Interviews des Korpus „Umgangssprachen" (Pfeffer) nur vereinzelt zu finden, auch Fleischer kann sie aus seinen Materialien nur selten belegen (vgl. Fleischer 2002: 331).

C. Korpusuntersuchung

119

S l : Wie ist 's mit Bruckner? S2: Kenn ich eigentlich nicht so viel von, nur das Violinkonzert, ach nein, das ist von Bruch, 's Violinkonzert, (mhmh) von Max (mhmh) Bruch. Anton Bruckner wenig. [Pf 337, Ond., 1961] auf jeden Fall waren es ausländische Hühner, züchten, und verdient man gutes Geld mit, da mußt' ich da so drüber lachen, weil die Eier so teuer sind. .. Und sagte auch was von: Leute sind so doof und geben. [Pf 042, Wnd., 1961]

In den eben zitierten beiden Belegen hat die Präposition jeweils den syntaktischen Status einer aus dem vollständigen Pronominaladverb verkürzten Präpositionalergänzung. Dabei ist davon auszugehen, dass der pronominale Bestandteil da aus dem Vorfeld getilgt wurde. Dem folgenden Beleg liegt das Partikelverb dabei sein zu Grunde, wobei auch hier das Vorfeld nicht besetzt ist — das einleitende Und, also werte ich als Besetzung des Vorvorfeldes. da mußten wir— hatten wir noch mal Paßkontrolle, bevor wir nach Be-- Westberlin kamen. Und, also, war eigentlich nichts bei. Und in Berlin da wurde ich dann f— in Westberlin Ber-- am Bahnhof Zoo wurd ich von meinem Opa abgeholt. [Pf 041, Wnd., 1961]

Was Aussagen über das Verbreitungsgebiet dieser Konstruktion angeht, so können wegen der geringen Anzahl der Belege natürlich keine allgemeinen Aussagen getroffen werden, dennoch ist wohl davon auszugehen, dass die Konstruktionen ohne overtes pronominales Element bei leerem Vorfeld ein typisch niederdeutsches Phänomen sind. Fleischer (2002: Karte 10) kann als Hauptverbreitungsgebiet dieser Konstruktion ebenfalls das Niederdeutsche ausmachen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man in Rechnung stellt, dass die aus der Spaltungskonstruktion bekannten ,gestrandeten' Präpositionen gerade im nördlichen Teil des deutschen Sprachgebietes nicht ungewöhnlich sind. 5.2.2 Rekonstruierbare Verdoppelungskonstruktion Schließlich sollen noch einige Überlegungen bezüglich einer bei Fleischer nicht thematisierten Konstruktionsvariante angestellt werden, die zumindest strukturell möglich ist, nämlich rekonstruierbare Verdoppelungskonstruktionen des Typs habe ich keine 'Lust dazu mit Vorfeldellipse. Intuitiv würde man wohl mutmaßen, dass sie in der Alltagssprache keine Rolle spielen, schließlich scheint die Vorfeldellipse eine Folge des schnellen Sprachflusses und somit eine Spielvariante des sprachlichen Ökonomieprinzips zu sein. Deshalb würde man wohl im Falle einer Tilgung des

1 2 0 II. Varianten der Pronominaladverbien in der Nähesprache des N e u h o c h d e u t s c h e n

pronominalen Elements im Vorfeld eher die bloße Realisierung der Präposition erwarten. Immerhin konnte ich auf der Suche nach Vorfeldellipsen einen Beleg aus dem Korpus herausfiltern, der gerade diese Konstruktion aufweist: Nur nach diesen kurzen Minuten hatten wir ein Gespräch, und sie sagte, sie hätte ein sehr schönes Heim, sie hätte sich sehr viel mit Kunst beschäftigt, sie hätte verschiedene Kunstgegenstände in ihrer Wohnung, ob ich nicht Lust hätte, mir das anzusehen. Hat sie mich sofort dazu eingeladen. Leider war es nicht zu verwirklichen. [Pf 329, Wmd., 1961]

Aus diesem einzigen Beispiel kann natürlich noch keine Verwendung dieser Konstruktion in der Alltagssprache postuliert werden, zumal auch keine Vergleiche zu einem eventuellen Vorkommen in den Dialekten des Deutschen gezogen werden können. 6. Zusammenfassende kartierte Darstellung Einen Gesamtüberblick über das Verbreitungsgebiet der Hauptvarianten diskontinuierlicher Pronominaladverbien, also der Spaltungskonstruktion und der beiden Verdoppelungskonstruktionen, liefern die folgenden drei Karten. Aufgrund der für eine kartierende Darstellung zu geringen Anzahl an Belegen für das 18.Jahrhundert konnten nur die jeweiligen Verbreitungsgrenzen der Konstruktionen aus dem 19. und dem 20.Jahrhundert gegenübergestellt werden. Grundlage für die Kartierung waren jeweils sowohl mit da als auch mit hier und wo gebildete Pronominaladverbien. Bei der Erstellung der Karte zur regionalen Verteilung der Spaltungskonstruktion (Abb. 21), deren Hauptverbreitungsgebiet im Norden des deutschen Sprachraums liegt, waren jeweils die „südlichsten Belegorte" ausschlaggebend. Als Grundlage dieser Karte dienten demnach alle Belege aus dem mittel- und oberdeutschen Sprachgebiet. Die Suchergebnisse gehen bis auf wenige Ausnahmen auf Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition zurück, was nicht weiter erstaunt, da Spaltungskonstruktionen mit vokalisch anlautender Präposition umso unwahrscheinlicher werden, je südlicher man kommt. Interessant ist, dass das heutige Verbreitungsgebiet der Spaltungskonstruktion in den Dialekten (vgl. Fleischer 2002: Karte 1, s. Anhang) in etwa mit deren Verbreitungsgebiet in der Alltagssprache des 19.Jahrhunderts übereinstimmt. Insgesamt hat sich das Spaltungsgebiet im Vergleich zum 19.Jahrhundert deutlich vergrößert, diese Variante erobert in jüngster Zeit immer mehr auch die südlicheren Regionen des deutschen Sprachgebietes.

C. K o r p u s u n t e r s u c h u n g

121

Spaltungskonstruktion (südlichste Belegorte)

Q

bJ.

Hamburg

Belegorte #

19 Jahrhunden

A

20. Jahrhundert

A b b . 21: Karte zur regionalen V e r t e i l u n g der südlichsten B e l e g o r t e d e r S p a l t u n g s k o n s t r u k t i o n im G e s a m t k o r p u s (z. B. Da halte ich nichts von.)

Im Gegensatz zur Spaltungskonstruktion waren bei der Distanzverdoppelung die nördlichsten Belegorte entscheidend (Abb. 22). Es wurden sowohl mit dar- als auch mit dr- gebildete Pronominaladverbien berücksichtigt. Da die Distanzverdoppelung für mittel- und oberdeutsche Gebiete typisch ist, wurden hier nur Belege aus dem niederdeutschen Sprachgebiet ausgewertet. Die Suchergebnisse aus dem 20. Jahrhundert stammen vorwiegend von dr-Pronominaladverbien, die Distanzverdoppelung bei vokalisch anlautender Präposition ist also ein Phänomen, das sich über das gesamte deutsche Sprachgebiet erstreckt. Dies konnten auch die neuesten Untersuchungen aus dem „Atlas zur deutschen Alltagssprache" belegen. Zwischen dem 19. und dem 20.Jahrhundert lässt sich eine deutliche Entwicklungstendenz nachzeichnen: Der Gebrauch der Diätanzverdoppelung hat sich im Laufe des 20.Jahrhunderts immer weiter in den Norden aus-

1 2 2 II. V a r i a n t e n d e r P r o n o m i n a l a d v e r b i e n in d e r N ä h e s p r a c h e d e s N e u h o c h d e u t s c h e n

gebreitet, was ein noch deutlich südlicher liegendes Grenzgebiet der Distanz Verdoppelung im 19.Jahrhundert belegt. Erneut stimmt das heutige Verbreitungsgebiet der Distanzverdoppelung in den Dialekten (vgl. Fleischer 2002: Karte 4, s. Anhang) — in etwa mit deren Verbreitungsgebiet in der Alltagssprache des 19.Jahrhunderts überein. Distanzverdoppelung (nördlichste Belegorte)

A b b . 22: Karte zur regionalen V e r t e i l u n g der nördlichsten B e l e g o r t e der D i s t a n z v e r d o p p e l u n g im G e s a m t k o r p u s (z. B. Da halte ich nichts

davon)

Wenn bei der kurzen Verdoppelung (Abb. 23) auch die Beleglage für das 19.Jahrhundert etwas dürftig ist, so lässt sich doch auch bei dieser' Konstruktion eine deutliche Ausbreitung in den Norden erkennen. Abgesehen von zwei Belegen mit Pronominaladverbien mit konsonantisch anlautender Präposition, nämlich dabei (Wittenberg) und dadurch (Münster), basieren die Belege ausschließlich auf Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition in Verbindung mit der verkürzten Variante (dr-),

123

C. K o r p u s u n t e r s u c h u n g

was sich mit der grundsätzlichen Tendenz zur Vermeidung dreisilbig konstruierter Pronominaladverbien erklären lässt. Kurze Verdoppelung (nördlichste Belegorte)

Hamburg

k j

/^Häimoyer

A

Münster

Kflf



^

N a?

A

y\ /

^ ^

4 »

J }

n

{ Dresden! 5

. y

1

Mainz T W

rc

\

Würzburg

v

N

.

^^^^^


Bei der Extraktion eines R-Pronomens tritt hingegen kein Konflikt auf, weil \da\ kasusfrei ist und somit von V keinen Kasus zugewiesen bekommen kann. Somit ist Reanalyse möglich, wenn das kasusfreie da/wo/hier links von der Präposition steht. 1.1.1.2 Direktionalitätskonzept (Grewendorf 1986) Der Erklärungsansatz von Grewendorf basiert ebenfalls auf einem Reanalysekonzept. Bei ihm ist der ausschlaggebende Faktor, dass die Rektionsrichtungen von P und Y übereinstimmen müssen, damit Reanalyse möglich ist, was im Deutschen nur bei nach links regierenden Postpositionen der Fall ist (vgl. Grewendorf 1986: 40ff.). Nachdem bei Pronominaladverbien die Präposition rechts steht, würden diese also nach Grewendorf als Postpositionen einzustufen sein, wodurch man es genauer gesagt mit einem 'Postposition-Stranding im Deutschen zu tun hätte. Auch dieser Ansatz soll anhand desselben Satzes exemplifizierend dargestellt werden:

129

A. Grammatische Untersuchungen

weilich nichts [pp von dem Problem] weiß A J


PRON-KRIT 3 > PRON-KRIT 2 ° SEL > PRON-KRIT 1 > ÖKON > PRON-KRIT 0 Aus den Beschränkungen PP-BAR und PRON-KRIT ergibt sich bei PPinternen unbetonten NP-Pronomina ein Konflikt, den Müller das „Wackernagel-Ross-Dilemma" (ebd.: 146) nennt: PRON-KRIT erfordert, dass ein NP-Pronomen in Wackernagel-Position steht, PP-BAR verbietet aber Extraktion aus einer PP. Wie folgendes Beispiel zeigt, wird also immer gegen eine Beschränkung verstoßen (—), wenn die andere zutrifft (+): *Frit% hatgestem an es gedacht. (+ Ross, — Wackemagel) *Frit% hat es gestern angedacht. (— Ross, + Wackernagel)

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet laut Müller der Einsatz eines Pronominaladverbs, denn das darin enthaltene Element da erfüllt die Wackernagel-Beschränkung sozusagen leer, weil es kasusfrei ist. Verstoßen wird hier allein gegen die Selektionsbeschränkung (SEL), weil das selegierte NP-Pronomen es durch das nicht-selegierte da ersetzt wird (vgl. ebd.): Frit^hatgestern

dzrangedacht.

(+ Ross, + Wackernagel)

Insgesamt gesehen hat aber diese Konstruktion das ,optimalste' Stellungsprofil, der Verstoß gegen SEL wird in Kauf genommen, da die viel höhere Beschränkung PP-BAR erfüllt ist. Somit sieht Müller das „WackernagelRoss-Dilemma" als die Ursache für die Entstehung von Pronominaladverbien an, die er als „Reparaturphänomen" bezeichnet, weil sie als letzter Ausweg zu sehen sind, der gewählt werden muss, weil alle anderen Optionen noch größeren Schaden anrichten würden (vgl. ebd. 146f.). 1.2.2.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen Mit dieser Beschränkungsordnung versucht Müller nun einerseits zu erklären, wie es im Westgermanischen überhaupt zur Entstehung von Pronominaladverbien als „Reparaturphänomen" kommen konnte und andererseits, wieso sie im Laufe der Sprachgeschichte auch gespalten werden konnten. Nach Müller (2000: 164) weisen alle dokumentierten frühen germanischen Sprachen — wie beispielsweise auch das Gotische — Wackernagelbewegung auf, Pronominaladverbien sucht man in diesen Sprachen allerdings vergebens. Für den Sprachstand des Germanischen muss demnach eine Beschränkungsordnung angenommen werden, „in der SEL höher

164

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

geordnet ist als PRON-KRIT 1 ' 2 - 3 " (ebd.). Hermann Paul weist, wie schon erwähnt, Pronominaladverbbildung als eine Eigenheit aus, „die den westgerm[anischen] Dialekten gemein ist" (Paul 1919 [1968], III: 154), bei Heusler (1913: § 438) finden sich entsprechende Hinweise für das Nordgermanische. Müller schließt daraus, dass man es im Nordwestgermanischen mit einer Absenkung von SEL auf die Stufe PRON-KRIT1'2-3 zu tun hat (vgl. Müller 2000: 164), was plausibel klingt, wenn man obiges Beschränkungsprofil annimmt. Gotisch (Urgermanisch) PP-BAR > SEL > PRON-KRITi.2.3 > ÖKON Nordwestgermanisch PP-BAR > SEL ° PRON-KRITi.2.3 > ÖKON

Durch diese veränderte Beschränkungsabfolge wird für das Nordwestgermanische Pronominaladverbbildung möglich. Uber die Motive, die zu einer solchen Absenkung von SEL geführt haben, wird allerdings nicht näher eingegangen. Wenn also Pronominaladverbbildung im Westgermanischen möglich ist, sollten sich für das Althochdeutsche sowohl in Wackernagel-Position stehende NP-Pronomina als auch Pronominaladverbien nachweisen lassen: So me^ent iz thiefua^i (Otfrid I, 1, 41)

15

[so messen es die Versfüße] Thogihe&da ina use druhtin (Wiener Pferdespruch) [da heilte ihn unser Herr] erin des biten stüont (Notker, Prologus teutonice, 6) [bis er ihn darum bitten begann]

Wie aus den Beispielen ersichtlich ist, weist das Althochdeutsche sowohl im Hauptsatz wie auch im Nebensatz Wackernagelbewegung auf, woraus sich in PP das „Wackernagel-Ross-Dilemma" ergibt, das durch Pronominaladverbbildung aufgelöst werden kann (vgl. ebd.: 166): Tha^fulin brähtun; nämun sie tho wät, legtun Evangelienbuch IV 4, 14f.)

tharüf...

tha^ er thäroba sd^i (Otfrid,

[das Fohlen brachten sie; dann nahmen sie ihre Kleidung, legten sie d a r a u f ... dass er d a r a u f säße]

15

Beispiele zitiert nach Müller 2000: 165f.

A. Grammatische Untersuchungen

165

Tärumbe sa^ta ich mihgagen sines kidares ha%e cipriani (Notker 1, 14) [darum setzte ich mich gegen seines Anklägers Hass Ciprianus] 'Darum setzte ich mich dem Hass seines Anklägers Ciprianus aus.'

Dass die verschiedenen R-Pronomina im Althochdeutschen mit einer Kasusdistinktion (Dativ vs. Akkusativ) versehen sind, wurde bereits erläutert, soll hier aber noch einmal aufgegriffen werden, weil es für die weitere Argumentation essentiell ist: däir) ('dort')

wä(f) ('wo')

Dativ

daria) ('dahin')

waHa) ('wohin')

Akkusativ

Da sich im Mittelhochdeutschen hinsichtlich der Wackernagelbewegung keine Veränderungen ergeben, erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass ebenfalls Pronominaladverbbildung vorliegt: ein schtxne wolgegiert

beide, darabe man bluomen brichet »>»»£fer(Walther)

Diu waren al dar üfgenät

(Helmbrecht)

Irnot da mite geringe (Gottfried, Tristan, 75)

Auf die Unsicherheiten der Editionen alt- und mittelhochdeutscher Handschriften bezüglich Getrennt- und Zusammenschreibung wurde bereits hingewiesen. Es kann lediglich als gesichert gelten, dass im Gegensatz zur geschriebenen neuhochdeutschen Standardsprache in den früheren Sprachstufen des Deutschen prinzipiell noch beide Möglichkeiten zur Disposition standen. Abgesehen von der Kontaktstellung weist Müller auch auf die nicht selten anzutreffende Distanzstellung der beiden Bestandteile hin, die er allerdings erst in mittelhochdeutschen Texten zu beobachten meint, was er unter anderem an folgenden Belegen illustriert: DaI mugent ir alle schouwen wol ein wunder [PP ti bi\ (Walther v. d. Yogelweide 18, 30) Zweigm^iu buoch, dä\ wir\pp ti an] lernen (Berthold von Regensburg I, 48, 1) HieI vähet man den bern [PP ti mite] (Gottfried, Tristan)

Dabei stützt er sich auf die Aussagen von Lockwood (1968: 59) und Paul (1919 [1968]: § 139), welche die Spaltungskonstruktion erst ab dem Mittelhochdeutschen ansetzen. Er geht also davon aus, dass „im Mhd. anders als im Ahd. häufig Umstellung des R-Pronomens aus der PP" erfolge (Müller 2000: 168). Demnach sollten sich in althochdeutschen Texten keine Pronominaladverbien in diskontinuierlicher Stellung finden lassen. Wie jedoch durch zahlreiche althochdeutsche AWB-Belege von Pronominaladverbien in Distanzstellung nachgewiesen werden konnte, ist diese Behauptung keinesfalls haltbar. Auf dieser Annahme basierend stellt sich Müller nun weitergehend die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass im Mittelhochdeutschen offensichtlich ein Beschränkungsprofil akzeptabel war, das gegen eine der wich-

166

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

tigsten Beschränkungen, nämlich PP-BAR verstößt. Dieser Syntaxwandel lasse sich nun gerade aus dem schon erwähnten graphischen Zusammenfall der beiden kasusdistinkten Adverbien dä(r)/wä(r) (ehemals Kennzeichnung des Dativ) und dar(a) bzw. war[ä) (ehemals Kennzeichnung des Akkusativ) erklären, die nunmehr kasusfrei seien: Konkret möchte ich annehmen, daß R-Pronomina im Ahd. Kasus tragen und daher bei Umstellung aus der PP immer PP-BAR in fataler Weise verletzen. [...] Im Mhd. und später gibt es nur noch eine Form und somit keine Kasusdistinktion mehr. R-Pronomina tragen keinen Kasus und verletzen daher bei Umstellung aus der PP die Beschränkung PP-BAR nicht. Dies ist ein Beispiel für indirekten Syntaxwandel. (Müller 2000: 168)

,Indirekt' sei dieser Syntaxwandel deshalb, weil eine Beschränkungsumordnung in der Phonologie bzw. Morphologie zu einer Veränderung in der Syntax führe. Müller selbst weist allerdings schon auf zwei Gegenbeispiele aus dem ahd. Muspilli (9.Jh.) hin: da^Jmno chruci dar/ derheligo Christ [PP ti ana] arhangan uuard (Muspilli, lOOf.) [das Kreuz des Herrn, an das der Heilige Christus gehängt wurde] dar2pagant siu [PP t2 umpi\ (Muspilli 5) [da kämpften sie um]

Er stuft diese Fälle jedoch als ,Ausnahmen' ein und argumentiert, dass „in der vorliegenden Varietät des Ahd. keine als Kasusdistinktion aufzufassende Unterscheidung von direktionalem und lokalem da gemacht werde. Tatsächlich sind in der Schrift im Muspilli direktionales da {dar, [...], z. T. auch darä) und lokales da (immer dar) nicht systematisch unterscheidbar" (ebd. 168). Aufschlussreich wäre es, der Frage nachzugehen, ob im Altsächsischen ebenfalls zwei verschiedene Adverbien zur Bezeichnung des Ortes bzw. der Richtung anzusetzen sind. Die „Altsächsische Grammatik" von Johan Hendrik Gallee gibt dazu folgende Auskunft: Aus pronominalstämmen gebildete adverbia sind 1) folgende ortsadverbia, die entweder die ruhe, a n , die bewegung n a c h oder die bewegung v o n einem orte her bezeichnen und auf folgende fragen antworten: wo?

wohin?

woher?

thar

tharod

thanan, thanana

hwar

hwarod

hwanan, hwanana

hier (her, hir)

herod

hinan, hinana

(Gallee 1910: 243)

Doch werden die beiden Adverbien thar und tharod auch gleichermaßen zur Bildung diskontinuierlicher Pronominaladverbien verwendet? Dies soll exemplarisch anhand des Heliand, einer altsächsischen Evangelienharmo-

A. Grammatische Untersuchungen

167

nie, überprüft werden, in der gespaltene Pronominaladverbien durchaus nachzuweisen sind. Behaghel (1932: 249) führt dazu zwei Beispiele an: Thar sat thiu muodor biforan, uutb uuacoiande (Heliand 383f.) 16 (Da saß die Mutter bevor, (die) wachende Frau) 'da saß die Mutter davor, die wachende Frau' habdun im thar minnea to thurh hlutran hugi (Heliand 836f.) ([sie] hatten ihm da Liebe zu aus lauterem Herzen) 'sie empfanden da Liebe für ihn aus lauterem Herzen'

Aus der eigenen Heliand-Lektüre konnten zwei weitere Textstellen ausfindig gemacht machen, in denen wohl Pronominaladverbien in Distanzstellung anzusetzen sind: Siu quam thar ocgangan

to an thea selbun tid (Heliand 516f.)

(Sie kam da auch gegangen zu der selben Zeit) 'sie kam zur gleichen Zeit auch dazu' Thoforun

tharthie liudi to alkro dago (Heliand 1217f.)

(Dann fuhren da die Leute zu alle Tage) 'dann kamen die Leute jeden Tag dorthin'

In den aufgeführten Beispielen ist jeweils nur eine Form, nämlich das Ortsadverb thar, verwendet. Es konnten dagegen keine Stellen ausfindig gemacht werden, in denen tharod Teil eines Pronominaladverbs ist. Festzuhalten bleibt, dass in den untersuchten altsächsischen Belegen die Distanzstellung schriftlich nur durch die Adverbvariante thar wiedergegeben wird. Ein analoger Befund kann für die zitierten althochdeutschen Fälle geltend gemacht werden, bei denen jeweils die Variante dar/thar als adverbialer Bestandteil des Pronominaladverbs verwendet wird. Dieser Befund zeigt, dass zwar im Althochdeutschen wie im Altsächsischen eine Kasusdistinktion zwischen Orts- und Richtungsadverb besteht, zur Bildung diskontinuierlicher Pronominaladverbien allerdings von Anfang an nur eine Variante herangezogen wird. Die alte Kasusdistinktion scheint demzufolge bei gespaltenen Pronominaladverbien von Anfang an keine Rolle gespielt zu haben. Demzufolge kann also der Zusammenfall der ehemals kasusdistinkten Varianten nicht der ausschlaggebende Faktor für die Entstehung der Spaltungskonstruktion gewesen sein. Müllers These ist somit aus folgenden Gründen anzuzweifeln:

16

Beispiele zitiert nach der Kdition von Sievers, Kduard (1878)

168

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

1. Sie geht von der falschen Prämisse aus, es gebe im Althochdeutschen noch keine diskontinuierlichen Pronominaladverbien. 2. Sie berücksichtigt den unterschiedlichen Grad an Festigkeit der beiden Bestandteile von Pronominaladverbien nicht bzw. setzt gerade schon ab dem Althochdeutschen irrtümlicherweise einen hohen Grad an Festigkeit voraus. 3. Als Grund für die Entstehung gespaltener Pronominaladverbien wird die Aufgabe der alten Kasusdistinktion zwischen dem Ortsadverb da und dem Richtungsadverb dar zu mittelhochdeutscher Zeit angenommen, was aber als Ursache ausgeschlossen werden kann, da Pronominaladverbien in Distanzstellung bereits im Althochdeutschen existieren.

1.2.3 Pronominaladverbien als „Grammatikalisierungsphänomen" (Pittner 2008) Mit Hilfe der These, die Entstehung von Pronominaladverbien im Deutschen sei als eine Art „Reparaturphänomen" zu interpretieren, konnte die Entwicklung der einzelnen Varianten innerhalb der Sprachgeschichte des Deutschen nur unzureichend nachgezeichnet werden. Im Zuge der Darstellung der diachronen Entwicklung fanden sich allerdings wiederholt Hinweise auf einen Univerbierungsprozess, den die ursprünglich tendenziell als getrennt wahrgenommenen Bestandteile der Pronominaladverbien im Laufe der Sprachgeschichte durchgemacht haben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern die generelle Entstehung von Pronominaladverbien, aber auch das sukzessive Aufkommen der verschiedenen diskontinuierlichen Varianten als eine Art „Grammatikalisierungsphänomen" gedeutet werden kann. 1.2.3.1 Grundlagen der Grammatikalisierungsforschung Der Terminus Grammatikalisierung wurde geprägt von Antoine Meillet (1912), der diejenigen Prozesse näher zu beschreiben suchte, die zur Entstehung neuer grammatischer Formen führen: Einerseits kann dies durch A n a l o g i e erfolgen, also dadurch, dass eine neue Form nach dem Modell einer anderen gebildet wird — beispielsweise ein unbekanntes Verb nach dem Muster eines regelmäßigen Flexionsparadigmas konjugiert wird (vgl. Meillet 1965: 130). „L'autre procede consiste dans le passage d'un mot autonome au role d'element grammatical" (Meillet 1965: 131) — im Laufe dieses zweiten

A. Grammatische Untersuchungen

169

Verfahrens nimmt eine zunächst autonome lexikalische Einheit allmählich die Struktur einer abhängigen grammatischen Einheit an, was als G r a m m a t i k a l i s i e r u n g bezeichnet wird. Da Sprachwandelprozesse nie plötzlich erfolgen, sondern sich vielmehr langsam entwickeln und somit über große Zeiträume erstrecken (vgl. Diewald 1997: 11), ist die eben beschriebene Sichtweise auf Grammatikalisierung demzufolge diachroner Natur. Betrachtet man Grammatikalisierung unter einem synchronen Aspekt, so bezeichnet sie die gleichzeitige Verwendung eines sprachlichen Zeichens sowohl in noch stärker lexikalisierter als auch in bereits grammatikalisierter Form (vgl. Lehmann 1985: 303). Stark vereinfacht und abstrahiert gesehen lassen sich sprachliche Zeichen also in lexikalische (Autosemantika bzw. Inhaltswörter) und grammatische Zeichen (Synsemantika bzw. Funktionswörter) einteilen. Erstere sind inhaltsreich, kommen in der Regel als freie Morpheme vor und bilden eine offene Klasse, wohingegen letztere eher strukturierende Funktion haben, Beziehungen zwischen einzelnen Sprachzeichen herstellen, meist gebundene Morpheme sind und eine geschlossene Klasse — beispielsweise in Form eines festen Flexionsparadigmas — darstellen (vgl. Diewald 2008: 153). Diese klare Trennung bildet allerdings keineswegs die ständig im Wandel begriffene dynamische Sprachwirklichkeit ab, die im lexikalischen wie im grammatischen Bereich von Ubergangsphänomenen und Variation geprägt ist, sondern ist vielmehr im Sinne der Angabe zweier prototypischer Klassen bzw. Pole zu sehen. In der Grammatikalisierungsforschung wird die Entstehung grammatischer Funktionen vielfach in skalarer Form dargestellt, die meist auf der von Talmy Givön (1979: 209) entwickelten Skala basieren. Diese unterscheidet fünf aufeinander folgende Stufen (Discourse ^ Syntax ^ Morphology ^ Morphophonemics ^ Zerd) und soll hier in modifizierter und erweiterter Form als Grundlage der folgenden Überlegungen dienen: Ebene:

Diskurs —> Syntax —> Morphologie —> Morphonologie

Form:

freie Kombination —> Syntagma —> Klitisierung —> Affix —> phonologisches Merkmal —> Null

Inhalt:

lexikalische Bedeutung —> grammatische Bedeutung Tab. 23: Grammatikalisierungsskala nach Givön (Diewald 1997: 18)

Einer der zentralen Grundsätze der Grammatikalisierungsforschung ist das Prinzip der Unidirektionalität — ein sich im Grammatikalisierungsprozess befindliches sprachliches Element durchläuft die einzelnen Stufen stets von links nach rechts. Es ist demnach äußerst unwahrscheinlich, dass dieser Prozess in umgekehrter Richtung stattfindet, also aus grammati-

170

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

sehen Zeichen lexikalische entstehen. P a u l J . Hopper und Elizabeth Closs Traugott (1993: 6) sprechen deswegen auch von natural pathway bzw. von slippery slope ('glitschiger Abhang'). Der Prozess der Grammatikalisierung lässt sich nun aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Dabei geht die jeweilige F o r m des sprachlichen Zeichens stets mit bestimmten sprachwissenschaftlichen E b e n e n einher. Ausgangspunkt ist die freie Verwendbarkeit eines Zeichens als lexikalisches Element (Diskurs). Setzt nun ein Grammatikalisierungsprozess ein, wird diese freie Kombinierbarkeit allmählich durch syntaktische Regeln — wie beispielsweise durch bestimmte Wortstellungsregeln — eingeschränkt (Syntax). Anschließend kann das sprachliche Zeichen seinen Status als freies Morphem verlieren und so zu einem klitischen Element bzw. zu einem Affix (Morphologie) werden. Schreitet der Grammatikalisierungsprozess weiter fort, kann es dazu kommen, dass beispielsweise Affixe in ihrer phonologischen Substanz immer weiter reduziert werden und schließlich ihren Morphemstatus verlieren (Morphonologie). Am Ende der Grammatikalisierungsskala steht die Nullrealisierung, also der völlige Schwund des betroffenen Merkmals (vgl. Diewald 2008: 154f.). Neben den formalen Wandelprozessen müssen bei der Grammatikalisierung ebenso die Veränderungen auf der Inhaltsseite miteinbezogen werden. Da hier die Entwicklungslinie jeweils von einer lexikalischen zu einer zunehmend grammatischen Bedeutung geht, kommt es bei dem sprachlichen Zeichen zu einer Desemantisierung bzw. zu einer „semantischen Ausbleichung" (Diewald 1997: 19). 1.2.3.2 Anwendung auf die Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen Eine Variante üblicher Grammatikalisierungsskalen wurde eben vorgestellt. Doch kann sie einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie Pronominaladverbien im Laufe der Sprachgeschichte entstanden sind bzw. wie es zu den heute üblichen Varianten kommen konnte? Karin Pittner (2008) interpretiert das Entstehen von Pronominaladverbien als eine Zusammenrückung aus Adverbien in einer lokaldeiktischen Phrase, woraus auch die wortinterne Abfolge der Elemente resultiere. Eine Deakzentuierung des Erstglieds hätte eine Reihe von Grammatikalisierungsprozessen wie die Ausbleichung der ursprünglichen Semantik, eine phonologische Reduktion und einen Verlust an syntaktischer Freiheit nach sich gezogen. Pittners These soll nun im Einzelnen vorgestellt, kritisch beleuchtet und anhand eigener Überlegungen ergänzt werden.

A. Grammatische Untersuchungen

171

Bevor auf inhaltlich-semantische Entwicklungstendenzen näher eingegangen wird, sollen Überlegungen bezüglich der jeweiligen formalen Realisierung angestellt werden. Diskurs (freie Kombination) Zunächst ist festzustellen, dass seit althochdeutscher Zeit da, hier und wo neben ihrem Vorkommen als erster Bestandteil von Pronominaladverbien auch als freistehende Adverbien lokaler Sinnrichtung existieren. In dieser Funktion sind sie freie Lexeme und haben Satzgliedstatus. Doch konnte auch der zweite Bestandteil von Pronominaladverbien ursprünglich als freies Lexem mit Satzgliedstatus gewertet werden? Obwohl im Standarddeutschen „keinerlei Unterschied mehr zwischen den Elementen als Präposition und Adverb zu erkennen" ist (Pittner 2008: 81), spricht sich Pittner dafür aus, die fraglichen Präpositionen im Althochdeutschen als Adverbien zu werten. Dabei stützt sie sich vor allem auf Untersuchungen von Gerhard Wolfrum (1970), der es als gesichert ansieht, dass neben thär ursprünglich ein Adverb gestanden hat. Diese Erkenntnis deckt sich zwar mit den bereits erwähnten Einträgen zu dem Lemma thär im AWB, in dem neben heute als Präposition zu klassifizierenden Lexemen auch Verbindungen mit eindeutigen Adverbien aufgeführt werden. Allerdings ist zu bedenken, dass bereits im Althochdeutschen innerhalb von Pronominaladverbien verwendete Präpositionen als Verbergänzungen mit Kasusforderung gebraucht werden können, was eine Interpretation als freies Lexem mit Satzgliedstatus nicht mehr zulässt. Somit mögen Präpositionen zwar ursprünglich aus Adverbien entstanden sein, sie finden aber schon in althochdeutscher Zeit Verwendung als einen (oder mehrere) Kasus regierende Fügteile ohne Satzgliedstatus. Die Untersuchungen der AWB-Belege haben ergeben, dass Pronominaladverbien im Althochdeutschen bei relativer Stellungsfreiheit der beiden Bestandteile sowohl in Kontakt- wie auch in Distanzstellung vorkommen, wobei deren Reihenfolge stets dieselbe geblieben ist — das Adverb befand und befindet sich jeweils vor der Präposition, es hat also kein Stellungswechsel im Laufe der deutschen Sprachgeschichte stattgefunden. Kann man bei Pronominaladverbien demzufolge von ehemals freien Kombinationen sprechen? Bezüglich des ersten Bestandteils ist diese Frage eindeutig zu bejahen, Präpositionen sind allerdings meines Erachtens bereits in den Anfängen des Deutschen keine eigenständigen Satzglieder mehr. Das Nebeneinander der Verwendung der drei verschiedenen Lokaladverbien als freie Kombinationen einerseits und als Bestandteile von Pronominaladverbien andererseits ist hingegen gerade charakteristisch für sprachliche Zeichen, die sich innerhalb von Grammatikalisierungsprozessen befinden.

172

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

Syntax (Syntagma) Karin Pittner interpretiert den Grammatikalisierungsschritt des Verlustes an syntaktischer Freiheit folgendermaßen: „Während im Ahd. und im Mhd. die Präposition und das Adverb prinzipiell getrennt auftreten konnten, ist diese Möglichkeit im heutigen Deutsch nur noch dialektal in bestimmten Regionen gegeben" (Pittner 2008: 85). Diese Aussage ist allerdings in einer solch pauschalen Form nicht haltbar. Adverb und Präposition treten schließlich bis heute getrennt auf — sowohl in den Dialekten (vgl. die Untersuchungen von Jürg Fleischer) wie auch in der Alltagssprache des Neuhochdeutschen (vgl. vorliegende Korpusuntersuchung) ist die Spaltungskonstruktion äußerst lebendig. Lediglich in der geschriebenen Standardsprache ist das einfache Pronominaladverb deutlich präferiert. Ein Verlust an syntaktischer Freiheit liegt meines Erachtens vielmehr darin, dass die beiden Elemente innerhalb der Distanzstellung bevorzugte Satzpositionen einnehmen. Während das Adverb anaphorisch an den Satzanfang tendiert, steht die Präposition gewöhnlich in Verbnähe. Dies kann als eine zunehmend eingeschränkte syntaktische Verwendbarkeit gegenüber der Stellungsfreiheit zu althochdeutscher Zeit gedeutet werden. Morphologie (Klitisierung) Es sei „nicht ungewöhnlich, dass Elemente, die häufig nebeneinander erscheinen, zunehmend auch als eine Einheit aufgefasst werden". Dieser Aussage Pittners (2008: 83) kann nur zugestimmt werden. Sie argumentiert weiter, dass thär, thara bzw. da{f) und die nachfolgenden Präpositionen bzw. Adverbien im Althochdeutschen zwar meist noch getrennt auftraten, aber aus metrischen Gründen auch zusammengerückt werden konnten bzw. dar teilweise auch zu der abgeschwächt wurde. Als ausschlaggebend für diese Zusammenrückung sieht Pittner die Deakzentuierung des Erstgliedes an (vgl. ebd.: 83). Dass Akzentverlust Voraussetzung für eine Klitisierung des betreffenden Elements sein kann, gilt gemeinhin als plausibel. Als weiteres Indiz für die allmähliche Morphologisierung des Erstgliedes und den damit einsetzenden Univerbierungsprozess kann die im Laufe der deutschen Sprachgeschichte nachzuweisende Zusammenschreibung der Pronominaladverbien gelten. Morphonologie (phonologisches Merkmal) Eine phonologische Reduktion sieht Pittner zum einen darin, dass das ursprünglich freistehende adverbiale Element seinen eigenen Wortakzent verliert, indem es zu einem (unbetonten) Bestandteil eines anderen Wortes wird (vgl. ebd.: 84). Dies trifft allerdings nur für das einfache Pronominaladverb in unmarkierter Stellung zu, bei Spaltungs- und Verdoppelungskonstruktionen behält das getrennt stehende Element natürlich seinen

A. Grammatische Untersuchungen

173

Akzent. Des Weiteren macht Pittner einen Verlust an phonologischer Substanz daran fest, dass die Form dar-, die in den älteren Sprachstufen des Deutschen auch vor konsonantisch anlautender Präposition verwendet werden konnte, das r nur noch bei Pronominaladverbien mit vokalisch anlautender Präposition erhalten hat. Während Pronominaladverbien mit da und wo also bei konsonantisch anlautendem Zweitglied einen Konsonanten verloren hätten, lasse sich bei hier eine gegenläufige Tendenz beobachten, da die ältere Form hie nur noch in festen Wendungen wie hie und da erhalten ist. Noch gewichtiger aber ist meines Erachtens, dass eine Reduktion an phonologischer Substanz vor allem dadurch zustandekommt, dass die reduzierten Formen wie dran, drüber, etc. im Gegensatz zu den Vollformen {daran, darüber, etc.) ihren Vokal verloren haben, was mit einem Akzentverlust und einer Silbenreduktion einhergeht. Nullrealisierung Als Nullrealisierung und damit als letzter Schritt auf der Grammatikalisierungsskala ließe sich schließlich die „Konstruktion ohne overtes pronominales Element" sehen, da diese mit ,nackter' Präposition realisiert wird, das adverbiale Element also vollkommen wegfällt. Was die inhaltlich-semantischen Veränderungen angeht, so muss zunächst angemerkt werden, dass man es hier nicht mit dem Ubergang von einer prototypisch lexikalischen Bedeutung eines Inhaltswortes mit hoher Eigensemantik hin zu einem Funktionswort mit rein grammatischer Bedeutung zu tun hat, wie dies beispielsweise bei der Entstehung von Affixoiden 17 der Fall ist. Dennoch lässt sich auch bei den ursprünglich reinen Lokaladverbien da, hier und wo eine gewisse semantische Ausbleichung beobachten. Diese lokale Komponente geht zumindest teilweise verloren, da sich die Bedeutung von außersprachlichen Referenzobjekten hin zu textuellen Bezügen verlagert — wovon Verwendungsweisen von Pronominaladverbien als Konjunktionaladverbien, Korrelate und anaphorische bzw. kataphorische Elemente sowie als Relativadverbien im Falle von Bezeugen (vgl. Pittner 2008: 84). Dadurch, dass neben konkret lokalen Bezügen auch abstrakte Relationen realisiert werden können, lässt es sich hier von einem semantisch entleerten Erstglied sprechen. Mit Hilfe des Grammatikalisierungsmodells konnte bisher die Koexistenz der Varianten einfaches Pronominaladverb (Kontaktstellung), Spaltungskonstruktion (Distanzstellung) und Konstruktion ohne overtes pronominales Element erklärt werden. Doch lassen sich mit diesem

17

vgl. beispielsweise die Kntstehung des Suffixoides -werk\ Milchwerk. de' > Astwerk. Schuhwerk 'Kollektivum'

Autowerk

'Fabrikgebäu-

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

174

Erklärungsansatz auch die bislang unerwähnt gebliebenen Konstruktionstypen der Distanzverdoppelung und der kurzen Verdoppelung darstellen? Bei der Beantwortung dieser Frage scheint das Phänomen der sogenannten ,Grammatikalisierungszyklen' hilfreich zu sein: „Die Abschwächung von Elementen durch phonologische und semantische Reduktion kann zur Folge haben, dass diese Elemente wiederum durch stärker expressive verstärkt werden und auf diese Weise Grammatikalisierungszyklen entstehen" (Pittner 2008: 85). Wenn man dies auf Pronominaladverbien anwendet, ließe sich die Existenz der Verdoppelungskonstruktion damit erklären, dass der lokaldeiktische Verweischarakter einfacher Pronominaladverbien so weit abgeschwächt ist, dass er „häufig als zu schwach empfunden und durch ein zusätzlich auftretendes da verstärkt wird" (ebd.: 85): Leg das Buch da drauf.

(Kurze Verdoppelung)

Daspasst

(Distanzverdoppelung)

da nicht drunter.

Es konnte somit gezeigt werden, dass sich bei Pronominaladverbien verschiedene Grammatikalisierungsprozesse überschneiden bzw. ineinander greifen, da sich die verschiedenen Lexemvarianten auf unterschiedlichen Grammatikalisierungsstufen befinden. Der Grammatikalisierungsgrad von Pronominaladverbien lässt sich somit nicht pauschal, sondern nur im Hinblick auf die konkreten Einzelrealisierungen in der parole genauer bestimmen: langue-, parole\

/PRONOMINALADVERB/ Einfaches Pronominaladverb, Spaltungskonstruktion, Distanzverdoppelung, kurze Verdoppelung, Konstruktion ohne overtes pronominales Element

1.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Entwicklung der Pronominaladverbien im Deutschen noch einmal zusammenfassend darzustellen, wobei es dem Mangel an Referenzkorpora für die Alltagssprache der älteren Sprachstufen zu schulden ist, dass die Entwicklungslinien nur grob bzw. punktuell nachgezeichnet werden können. Ausgehend von der Beobachtung, dass grammatische Abhandlungen gemeinhin suggerieren, gespaltene Pronominaladverbien seien schon in den frühesten Dokumenten des Deutschen zu belegen, konnte gezeigt werden, dass diskontinuierliche Pronominaladverbien im Althochdeutschen gerade in oberdeutschen Gebieten nachzuweisen sind, in denen

A. Grammatische Untersuchungen

175

sie weder eine dialektale Basis haben noch in der Alltagssprache frequent sind. In Folge dessen kann die Distanzstellung des Althochdeutschen nicht mit der Spaltungskonstruktion des Neuhochdeutschen gleichgesetzt werden. Es ist zwar bereits in althochdeutschen Texten eine deutliche Tendenz wahrnehmbar, dass adjazent stehende Kombinationen aus den ursprünglichen Ortsadverbien da, hier und wo + Präposition syntaktisch schon als ein einziges Satzglied (phorisches Proadverb, Relativadverb...) gewertet werden können. Dennoch gibt die relativ große Stellungsfreiheit der beiden Elemente Anlass zu der Vermutung, dass diese im Althochdeutschen aufgrund ihres ursprünglich lokaldeiktischen Charakters noch mehr Eigensemantik trugen und deshalb üblicherweise diskontinuierlich verwendet wurden, aber ebenfalls adjazent stehen konnten. In einigen Fällen ließ sich auch ein zufälliges Nebeneinander von da + Präposition ohne syntaktische Verbindung zueinander nachweisen — etwa wenn die Präposition als Verbpartikel fungiert. Gerade weil die beiden Elemente also häufig adjazent vorkommen und teilweise auch schon die Interpretation als ein Satzglied zuließen, ist anzunehmen, dass schon früh — wohl auch durch die Deakzentuierung des Erstglieds bedingt — ein Desemantisierungsprozess einsetzte, der mit einer Univerbierung der beiden Elemente einherging — die heutige Zusammenschreibung einfacher Pronominaladverbien kann als Resultat dessen angesehen werden. Dieser Desemantisierungsprozess wurde vermutlich außerdem dadurch begünstigt, dass die ehemals kasusdistinkten Varianten da- (Dativ) und dar- (Akkusativ) durch die Dehnung in offener Tonsilbe im Mittelhochdeutschen zusammengefallen sind. Im schriftlichen Medium führte ein allmählich einsetzender Normierungsprozess offensichtlich dazu, dass sich die prestigereiche Variante des (zusammengeschriebenen) einfachen Pronominaladverbs durchgesetzt hat, während im mündlichen Medium die ,alte' diskontinuierliche Variante erhalten blieb und somit Kontakt- und Distanzstellung bis heute koexistieren. Die Tatsache, dass es im Alt- und Mittelhochdeutschen noch keine Verdoppelungskonstruktionen gab, lässt sich folgendermaßen erklären: Solange das einfache Pronominaladverb noch nicht als lexikalische Einheit wahrgenommen wird, kann es keine verdoppelten Pronominaladverbien geben, da die Distanzstellung der beiden Elemente nicht als Spaltung bzw. als diskontinuierliches Satzglied interpretiert wird. Da erst im Laufe der frühneuhochdeutschen Sprachperiode allmählich Distanzverdoppelungen auftreten, also die Präposition durch Doppeltsetzung des pronominalen Elements innerhalb einer diskontinuierlichen Stellung wieder „vervollständigt" wird, scheint auch der Univerbierungsprozess erst zu dieser Zeit weitgehend abgeschlossen gewesen zu sein. Im Sinne der Grammatikali-

176

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

sierungstheorie ließe sich dieser Befund damit erklären, dass in frühneuhochdeutscher Zeit der ehemals lokaldeiktische Verweischarakter schon so weit abgeschwächt gewesen sein musste, dass er nur durch die Setzung eines zusätzlichen da wieder verstärkt werden konnte. Die kurze Verdoppelung, die schließlich erst im Laufe des Neuhochdeutschen nachweisbar ist, könnte demzufolge als Reflex der schon usuell gewordenen Distanzverdoppelung gesehen werden, deren zwei Einheiten nun auch zusammenstehen können, ohne dass ein da als doppelt wahrgenommen wird. Die Konstruktion ohne overtes pronominales Element stellt schließlich den letzten Schritt innerhalb einer angenommenen Grammatikalisierungsskala dar, nämlich die Nullrealisierung des pronominalen Elements. 2. Von welchen Faktoren hängt es ab, ob gespalten oder verdoppelt wird? Was bisher noch nicht geklärt werden konnte, ist die Frage, weshalb nun gerade der Norden zur Spaltungskonstruktion tendiert, während in südlicheren Regionen ,gestrandete' Präpositionen generell unüblich sind, sodass bei Pronominaladverbien in diskontinuierlicher Stellung die Präposition in der Regel wieder zu einem ,vollständigen' Pronominaladverb ergänzt wird. Von welchen Faktoren hängt es also im konkreten Fall ab, ob letztendlich gespalten oder verdoppelt wird? 2.1 Regionale Faktoren (sprachtypologische Erklärung) Wie gezeigt wurde, kann die Frage, ob Pronominaladverbien ein r enthalten oder nicht, im Prinzip anhand phonologischer Kriterien erklärt werden. Eher der syntaktischen Struktur ist es zu schulden, dass im Deutschen 'Preposition Stranding nur eingeschränkt bei Pronominaladverbien mit kasusneutralem Pro-Element möglich ist. Wieso allerdings ,nackte' Präpositionen gerade den Hörgewohnheiten der Norddeutschen weniger auszumachen scheinen als den Süddeutschen, konnte bisher nicht geklärt werden. Das Folgende kann nicht den Anspruch erheben, diese Frage erschöpfend zu beantworten, dennoch soll herausgestellt werden, welchen Beitrag eine sprachtypologische Untersuchung zur Erklärung dieser NordSüd-Teilung leisten kann. Es fällt auf, dass die syntaktische Konstruktion des Preposition Stranding in den germanischen Sprachen weit verbreitet ist. Die nordgermanischen

A. Grammatische Untersuchungen

177

bzw. skandinavischen Sprachen (Färöisch, Isländisch, Norwegisch, Dänisch, Schwedisch) weisen durchwegs Preposition Stranding auf, ebenso das Englische, das zur Sprachfamilie des Westgermanischen zählt. Deutsch, Niederländisch und Friesisch, die ebenfalls diesem Sprachzweig angehören, lassen P-Stranding nur in ganz bestimmten Fällen zu, nämlich wenn es sich im weiteren Sinne um ,Postpositionen' handelt. Das folgende Klassifikationsschema spiegelt die von Hoekstra (1995: 95f.) zusammengestellten Gemeinsamkeiten bezüglich des Preposition Stranding innerhalb der germanischen Sprachfamilie wider: Präpositionen

Postpositionen

SVO-Sprachen Englisch Skandinavische Sprachen

+

-

+

-

„ Preposition Stranding I möglich

SOV-Sprachen Niederländisch

+

+

Deutsch

+

+

Friesisch

+

+

Tab. 24: Preposition

Stranding

••

Preposition Stranding nur * eingeschränkt möglich (bei Postpositionen)

innerhalb der germanischen Sprachfamilie

In diesem Klassifikationsschema werden die germanischen Sprachen zunächst nach ihrer basisgenerierten Verbstellung unterschieden. SVOSprachen, zu denen die skandinavischen Sprachen und das Englische zählen, besitzen ausschließlich Präpositionen, die in der Regel auch gestrandet werden können. SOV-Sprachen, zu denen neben dem Deutschen auch das Niederländische und das Friesische gehören, weisen sowohl Präpositionen als auch Postpositionen in ihrem Sprachinventar auf. In diesen Sprachen ist Preposition Stranding nur sehr eingeschränkt bei ,Postpositionen' möglich. Zur näheren Erläuterung der Pronominaladverbbildung und der damit verbundenen Spaltungskonstruktion kann für das Deutsche an dieser Stelle auf das bisher in dieser Arbeit Dargestellte verwiesen werden. Im Folgenden soll nun auf die Verhältnisse in einigen weiteren germanischen Sprachen exemplarisch eingegangen werden. Natürlich kann dabei nicht der Anspruch erhoben werden, ^/ra«&g-Konstruktionen in allen erwähnten germanischen Sprachen in der Präzision und Ausführlichkeit darzustellen, wie dies für das Deutsche geschehen ist. Dennoch soll versucht

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

178

werden, die Verhältnisse in verschiedenen germanischen Sprachen insofern etwas transparenter zu machen, als dass für diese zumindest Beispielsätze gegeben werden, welche die zur Diskussion stehende Konstruktion aufweisen. 2.1.1 Preposition Stranding im Englischen Wohl am bekanntesten ist das Phänomen des Preposition Stranding aus dem Englischen. Es kann dort fakultativ innerhalb sogenannter whBewegung (wh-movemeni) auftreten, worunter vor allem mit »^Wörtern eingeleitete Fragesätze (Ergänzungsfragen) sowie Relativsätze fallen (vgl. Chomsky 1976). Breindl (1989: 144) weist daraufhin, dass im Englischen topikalisierte »/(-Pronomina auch kasusmarkiert sein können: Ergänzungsfragen [Who(m)ij didyou talk [to tj? [Which houseJ doyou live [in tj? 18 Relativsätze 19 ['Theperson,] who they saw apicture

[o/tj

[Switzerland] is the country that Germans buy many houses [in t j

Außerdem können im Englischen bestimmte Passivkonstruktionen 'Preposition Stranding aufweisen, nämlich das sogenannte pseudo-passive bzw. prepositional passive (vgl. Takami 1992: 89), dem eine charakteristische Bildungsweise eigen ist (NP + be {gel) + past participle + preposition): John's advice was

askedfor.

This bed was slept in by

"Napoleon.

Das zu Grunde liegende Verb ist dabei stets em prepositionalverb20, d.h. der Passivsatz muss aus der Struktur 'Verb + Präposition + NP' im Aktivsatz abgeleitet sein (vgl. Takami 1992: 91f.): Someone

Verb

+ Präposition

+ NP

asked

for

John's advice.

"Napoleon

Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Konstruktion im Englischen nicht immer angewendet werden kann. Die folgenden beiden Sätze machen

18

Beispiel aus Takami 1992: 7f.

19

Beispiele aus Riemsdijk 1978: 144f.

20

Die Passivkonstruktion von phrasal verbs wird hingegen m der Regel nicht zur PseudoPassiv-Konstruktion gezählt {the light mas turned out), (vgl. Takami 1992: 91)

A. G r a m m a t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n

179

deutlich, dass tm. prepositional passive unter Umständen auch zu einem ungrammatischen Ergebnis führt (vgl. ebd.: 127): * I was waitedforby

Mary.

* The o f f i c e was worked in.

Takami führt dies darauf zurück, dass hier jeweils das Subjekt des Passivsatzes durch den Rest des Satzes in keiner Weise näher charakterisiert wird, was er Characterisation Condition for Pseudo-Passives21 nennt (vgl. ebd.: 126f.). Entsprechende Erweiterungen, die diese Sätze grammatisch akzeptabel machen würden, wären beispielsweise folgende (vgl. ebd. 127): I don'/ like to be waitedforby

Mary. (I always try to be early.)

This o f f i c e has neverbeen worked in before.

Diese kurze Darstellung zum Preposition Stranding im Englischen hat gezeigt, dass es in dieser Sprache prinzipiell möglich ist, lexikalische Bestandteile aus Präpositionalphrasen zu extrahieren und nach links zu versetzen. 2.1.2 Preposition Stranding vn. skandinavischen Sprachen Preposition Stranding ist in den nordgermanischen bzw. skandinavischen Sprachen prinzipiell in den gleichen Fällen anzutreffen wie im Englischen. Zunächst sei daher »/(-Bewegung anhand von Beispielen aus skandinavischen Sprachen illustriert: Dänisch [Hpad\ hardu talt med Peter \om ti]? (Trissler 1993: 248) (was hast du gesprochen mit Peter um) 'Worüber/Uber was hast du mit Peter gesprochen?' [HMOTJ

varhangäetiteatret\medti]?

(Takami 1992: 227)

(wem war er gegangen ins Theater mit) 'Mit wem ist er gestern ins Theater gegangen?' [Hpilken akt af stykket\ talte han med hende \efter tj? (Takami 1992: 228) (welchen Akt von dem Stück sprach er mit ihr nach) 'Nach welchem Akt des Stücks hat er mit ihr gesprochen?'

21

Characterization C o n d i t i o n for P s e u d o - P a s s i v e s : , , A p s e u d o - p a s s i v e sentence is acceptable if the subject is characterized b y the rest of the sentence; n a m e l y , if the sentence as a w h o l e serves as a characterization of the subject. O t h e r w i s e , it is f o u n d u n a c c e p t a b l e , or m a r g i n a l at b e s t . " (Takami 1992: 126)

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

180

Schwedisch [Vad] talade du med henne \om tj? (Takami 1992: 223) (was sprachst du mit ihr um) 'Uber was/Worüber hast du mit ihr gesprochen?' [Vemi] sjöng du sängen [med tj? (Takami 1992: 227) (wem sangst du das Lied mit) 'Mit wem hast du das Lied gesungen?' \Vilkenpark]fann

du kaninen [z tj? (Takami 1992: 228)

(welchen Park fandest du das Kaninchen in) 'In welchem Park hast du das Kaninchen gefunden?' Norwegisch [Hpem] snakket Jon [med tj? (Trissler 1993: 248) (wem sprach Jon mit) 'Mit wem h a t j o n gesprochen?'

Für das Schwedische beschreibt Takami auch die Möglichkeit der Bildung einer Pseudo-passive-Konstruktion-, \Dennaflod] börman ejsimma [z tj. (Takami 1992: 239) (diesen Fluss sollte man nicht schwimmen in) 'In diesem Fluss sollte man nicht schwimmen.'

Takami zeigt, dass für das Schwedische ebenfalls die von ihm vertretene Characterisation Condition for Pseudo-Passives zutrifft, was er unter anderem aus der Ungrammatikalität des Satzes *\Floderi\ simmades \i t j av 'John folgert, da in diesem Fall das Subjekt des Passivsatzes floden) nicht näher bestimmt wird. Inwiefern diese Characterisation Condition for Pseudo-Passives, die hier für das Englische und das Schwedische dargestellt wurde, die Verhältnisse in den einzelnen Sprachen adäquat widerspiegelt, bedürfte einer näheren Untersuchung. Es wäre nämlich beispielsweise zu klären, wie und ob überhaupt eine solche semantische Herangehensweise mit dem rein auf syntaktischen Kriterien beruhenden Reanalysekonzept in Einklang zu bringen ist. Hier soll es jedoch zunächst nur darum gehen, das prinzipielle Vorhandensein gestrandeter Präpositionen in germanischen Sprachen aufzuzeigen. 2.1.3 Preposition Stranding im Niederländischen Im Niederländischen können Präpositionen ähnlich wie im Deutschen nur eingeschränkt ,stranden'. Dabei müsste man korrekterweise von Postpositi-

A. Grammatische Untersuchungen

181

on Stranding sprechen, weil in allen Fällen die gestrandete ,Präposition' im unmarkierten Fall jeweils hinter ihrem Komplement steht. Im Niederländischen stehen hierfür zwei verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Einerseits können richtungsanzeigende Postpositionen (a) in diskontinuierlicher Stellung auftreten, andererseits gibt es wie im Deutschen die Möglichkeit, Pronominaladverbien zu spalten (b): a) Richtungsanzeigende Postpositionen imotionalpostpositions) Im Niederländischen gibt es Adpositionen, die sowohl als Präpositionen als auch als Postpositionen auftreten können, wobei damit auch ein semantischer Unterschied einhergehen kann, denn als Postpositionen verwendete Präpositionen geben alle eine Richtungsanzeige [motionalmeaning^ an (vgl. Riemsdijk 1978: 88): degevangenisin

hethouseuit

'in das Gefängnis hinein'

'das Haus (hin)aus'

de berg op 'den Berg hinauf

Solche richtungsanzeigenden Postpositionen können auch ,gestrandet' werden (vgl. Riemsdijk 1978: 163): omdat hik [tt die boom] is [z»,] geklommen (weil er den Baum ist in geklettert) 'weil er auf den Baum geklettert ist'

b) Pronominaladverbien Das Niederländische weist analog zum Deutschen das Phänomen der Pronominaladverbbildung auf, die als Ersatzkonstruktion verwendet wird, wenn eine Präposition auf ein Pronomen der 3. Person Singular Neutrum trifft: One of the prominent phenomena of Dutch syntax is the productive and more or less systematic replacement of neuter pronominal complements of prepositions with special pronouns preceding the preposition. (Zwarts 1997: 1091)

Die verwendeten Pronomen enthalten alle ein r und werden deshalb rpronouns genannt: *op het

^

[auf es] *achterdat

[darauf] ^

[hinter das] *overn>at [über was]

er op daar achter [dahinter]

^

waar over [darüber]

182

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

Diese Pronominaladverbien können neben der Verwendung als einfaches Pronominaladverb auch in der Spaltungskonstruktion mit gestrandeter Präposition auftreten (ebd.: 1092): Einfaches Pronominaladverb

Spaltungskonstruktion

... dat hijgistervn er op wachtte

... dat hij ernsteren op wachtte

[dass er gestern darauf wartete]

[dass er da gestern auf wartete]

Daar achter Staat iemand

Daar Staat iemand achter

[dahinter steht jemand]

[da steht jemand hinter]

Waar over hebjijgepraat?

Waar t

[worüber habt ihr gesprochen]

[wo habt ihr über gesprochen]

Wie man gesehen hat, ist das ,Stranden' einer Präposition im Niederländischen ebenso wie im Deutschen nur sehr eingeschränkt möglich, da es — abgesehen von niederländischen richtungsanzeigenden Postpositionen — im Wesentlichen auf die Spaltung von Pronominaladverbien beschränkt ist. Die Darstellungen zum P-Stmnding zeigen, dass es offensichtlich auch eine sprachtypologische Erklärung dafür gibt, dass diese Konstruktion gerade im nördlichen Teil des deutschen Sprachgebietes weit verbreitet ist — schließlich sind in den daran angrenzenden germanischen Sprachen ebenfalls ,nackte' Präpositionen üblich. Im Niederländischen ist deren Verwendung wie im Deutschen auf Bestandteile von Pronominaladverbien und Postpositionen beschränkt, während sie im Englischen sowie in den skandinavischen Sprachen wie dem Dänischen, Schwedischen und Norwegischen nicht diesen Restriktionen unterliegen. Je weiter man sich in südlicher Richtung von diesem Gebiet entfernt, desto unüblicher wird demnach auch die Verwendung gestrandeter Präpositionen. 2.2 Phonologische Faktoren (Struktur der Präposition) Eben wurde dargelegt, inwiefern die Tendenz, dass Spaltungskonstruktionen gerade für den Norden des deutschen Sprachgebietes typisch sind, von regionalen bzw. sprachtypologischen Faktoren abhängt. Die Korpusuntersuchungen bestätigten dies, denn innerhalb der Spaltungskonstruktion vorkommende ,gestrandete' Präpositionen sind vor allem im niederdeutschen und im angrenzenden westmitteldeutschen Bereich möglich. Im Folgenden sollen Überlegungen dazu angestellt werden, welchen Einfluss die Struktur der Präposition auf die Wahl des Konstruktionstyps hat. Hierzu genügt es, die aus den Korpusuntersuchungen gewonnenen Er-

A. Grammatische Untersuchungen

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kenntnisse bezüglich der phonologischen Struktur der Pronominaladverbien noch einmal systematisch zusammenzustellen. Zunächst seien die Verhältnisse im Niederdeutschen und Westmitteldeutschen näher betrachtet, wo gestrandete Präpositionen grundsätzlich möglich sind. Geht man also wieder davon aus, dass die Spaltungskonstruktion die primäre ist, so besteht in diesen Gebieten prinzipiell keine Notwendigkeit zur Verdoppelung. An dieser Stelle kommt nun ein weiteres Kriterium ins Spiel, nämlich die phonologische Struktur der Präposition. Ist diese konsonantisch anlautend, wird in der Regel die Spaltungskonstruktion bevorzugt. Bei vokalisch anlautender Präposition besteht das Problem', dass eine Spaltung die Struktur der Präposition verändert, weil das r, das beim einfachen Pronominaladverb eine Hiat-Stellung verhindert, in diskontinuierlicher Position der beiden Bestandteile entfällt. Diese wohl meist als defizitär empfündene Form wird deshalb häufig wieder um den pronominalen Bestandteil ergänzt, sodass das r erhalten bleiben kann. Dennoch kommen im Niederdeutschen durchaus auch Spaltungskonstruktionen bei vokalisch anlautenden Präpositionen vor. Dies könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass in manchen niederdeutschen Dialekten wie auch in der Umgangssprache bei den einfachen Pronominaladverbien sogenannte Hiat-Formen [daan, daauf, daüber, ...) üblich sind, die also schon in Kontaktstellung kein r aufweisen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass ein Sprecher, der solche Formen verwendet, diese auch in der gespaltenen Form (da ... an) keineswegs als defizitär empfinden wird, schließlich ,fehlt' ihnen kein r, das wieder in Form einer Verdoppelungskonstruktion ergänzt werden müsste. Daneben scheint es im niederdeutschen Sprachgebiet noch eine weitere Möglichkeit der Spaltung von Pronominaladverbien zu geben, die im Korpus allerdings nur für die geschriebene Alltagssprache des 19.Jahrhunderts nachgewiesen werden konnte, nämlich die Trennungsvariante, bei der das r zu dem pronominalen Element da gezogen wird (daran ^ dar ... an). Auch an diesen Konstruktionen wird deutlich, dass im niederdeutschen Sprachraum strukturell gestrandete Präpositionen möglich sind. Anders ist die Situation im Süden des deutschen Sprachgebietes. Dort sind gestrandete Präpositionen generell nicht üblich, sodass hier die phonologische Struktur der Präposition kaum eine Rolle spielt, weil prinzipiell jedes Pronominaladverb in diskontinuierlicher Stellung verdoppelt wird. Daraus ist ersichtlich, dass die ineinander greifenden regionalen und phonologischen Faktoren meiner Ansicht nach hierarchisch geordnet sind. Die sprachtypologische ,Determiniertheit' einer Region ist demzufolge wichtiger einzustufen als die phonologische Struktur der Präposition, die

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ihren Einfluss nur in Gebieten geltend machen kann, in denen gestrandete Präpositionen prinzipiell möglich sind.22

3. Worin besteht der funktionale ,Mehrwert£ diskontinuierlicher Strukturen? Bei der Analyse der in verschiedenen Grammatiken getroffenen Aussagen über Pronominaladverbien wurde deutlich, dass diskontinuierliche Varianten häufig kritisiert bzw. als dialektale Erscheinungsform abgetan werden. Dennoch halten die Sprachbenutzer in der Alltagssprache an ihrer Verwendung fest. Somit kann man sich fragen, worin denn eigentlich im Vergleich zum einfachen Pronominaladverb der funktionale ,Mehrwert£ diskontinuierlicher Strukturen besteht, der sie für die gesprochene Sprache so ,attraktiv£ macht. Mögliche Erklärungen kamen in den Korpusuntersuchungen bereits zu Tage und sollen hier noch einmal systematisch zusammengestellt werden — auch wenn es dadurch vereinzelt zu Wiederholungen kommen sollte.

22

M a x i Krause stellt zur Diskussion, ob bei der W a h l zwischen einer adjazenten und einer diskontinuierlichen Struktur v o n Pronominaladverbien auch semantische Faktoren ausschlaggebend sein könnten: „Für die heute getrennt auftretenden Bildungselemente, wie z u m Beispiel Da hab ich nichts gegen/von. Da kann ich doch nichts für etc. ist zu überprüfen, ob sie nur im übertragenen (spatial-metaphorischen) und abstrakten Sinne gebraucht werden — so mein Verdacht —, oder ob sie auch ganz konkret spatiale Relationen ausdrücken k ö n n e n " (Krause 2003: 129). D a allerdings in den oben besprochenen althochdeutschen Belegen (13) bis (15) meiner M e i n u n g nach beispielsweise jeweils ein konkret-spatialer Gebrauch vorliegt, ist diese Hypothese k a u m aufrecht zu erhalten: (13)

uuirdit dennefuri

kitragan da^Jrono

chruci,

dar derheligo Christ ana arhangan mard (Muspilli 72, 101) [es wird auch voran getragen, das Kreuz des Herrn, an das der Heilige Christus gehängt wurde] (14) (15)

da^tritta ( f w r ) istUesta. daruuirunsihpi uuarmen (Notker Capeila 761, 18) [das dritte Feuer ist Vesta, da wir uns bei w ä r m e n ]

Tho er deta, tha^ sih %arpta, ther himilsus io warpta, tha^Jundament^i houfe, thar thiu erda ligit ufe (Otfrids Evangelienbuch II, 1, 22) [Da er veranlasste, dass sich der H i m m e l drehte und auch das Fundament g a n z und g a r w e n d e t e , da die Erde a u f l i e g t ] Zu diesem Schluss k o m m t auch J ü r g Fleischer, der ebenfalls Gegenbeispiele aus eigenen Untersuchungen liefern kann (vgl. Fleischer2008: 225f.).

A. Grammatische Untersuchungen

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3.1 Erfüllung zweier Wortstellungstendenzen Dass Pronominaladverbien ganz bestimmte Positionen im Satz bevorzugen, zeigten die analysierten Korpora deutlich. Die interne Struktur einfacher Pronominaladverbien entspricht dabei dem ersten Behaghel'schen Gesetz, welches besagt, „daß die geistig zusammengehörigen Teile der Rede auch zusammengestellt werden" sollen (Behaghel 1932: 241). Dieses Prinzip ist dadurch erfüllt, dass der adverbiale Teil und die Präposition als eine einzige lexikalische Einheit wahrgenommen und auch graphisch als eine Wortform realisiert werden. Ronneberger-Sibold beschreibt dieses Phänomen in Anlehnung an Haiman 23 als ,diagrammatischen Ikonizismus', welcher darin besteht, dass die konzeptuelle Nähe zweier Inhaltseinheiten „durch den Abstand der entsprechenden Ausdruckseinheiten in der Sprechkette widergespiegelt werden" soll (Ronneberger-Sibold 1991: 206). Dieses Gesetz hat allerdings keine uneingeschränkte Gültigkeit, da es in Konkurrenz zu anderen Stellungsprinzipien steht. Die Korpusanalyse ergab jeweils unterschiedliche topologische Präferenzen der Pronominaladverbien, sobald diese diskontinuierlich stehen: Der erste Bestandteil (da, hier, wo) gilt als sogenanntes pro-nominales Element. Mit Hilfe von Pro-Formen, die selbst nur einen minimalen Bedeutungsinhalt besitzen, können bereits erwähnte sprachliche Einheiten referenzidentisch wieder aufgenommen werden (vgl. Brinker 2005: 33). Dieses erste Element dient somit der Konnexion zweier Sätze und leistet dadurch einen Beitrag zur Herstellung von Textkohäsion. Des Weiteren tendiert es als anaphorisches Element an den Satzanfang, steht also präferiert in thematischer Yorfeldposition. Nebenbei sei erwähnt, dass das pronominale Element in diesem Fall alleine, also auch ohne die später folgende Präposition, Satzgliedstatus hat. Im Gegensatz zu dem pronominalen Teil strebt diese in Verbnähe, da sie häufig Bestandteil einer Präpositionalergänzung bzw. einer freien Angabe ist, also tendenziell rhematische Information enthält. Aus diesen beiden Stellungsprinzipien resultiert bei einfachen Pronominaladverbien eine gewisse Spannung, denn „das Gesetz von der Zusammenstellung des Zusammengehörigen kann zusammenstoßen mit dem Gesetz, daß das Wichtigere später stehen soll" (Behaghel 1932: 249). Dieses „Gesetz der wachsenden Glieder" formuliert Behaghel bereits 1909 in einem Aufsatz über die „Beziehung zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern":

23

„The greater the formal distance between X and Y the greater the conceptual distance between the notions they represent." (Haiman 1985: 106)

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III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

Was ist nun der letzte Grund dieser Neigung, das Bedeutsamere und das Umfangreichere gegen das Ende des Satzes zu rücken? Es scheint das Verfahren auf der einen Seite dem Hörer Vorteile zu bieten. Je näher ein Satzglied dem Ende des Satzes steht, zumal wenn dieses zugleich Ende der Rede ist, desto leichter wird es behalten werden. Man wird also gerne das ans Ende rücken, was man wegen seiner Wichtigkeit dem Gedächtnis des Hörers besonders einprägen möchte, oder dasjenige, was wegen seines größeren Umfangs an sich nicht so leicht vom Gedächtnis aufgenommen wird. (Behaghel 1909: 138)

Die Spannung, die aus den unterschiedlichen Wortstellungstendenzen resultiert, kann durch eine diskontinuierliche Stellung der beiden Elemente gelöst werden, wodurch gerade in der gesprochenen Sprache die Satzplanung erleichtert wird. Die Korpusuntersuchung konnte diese theoretisch gewonnenen Erkenntnisse empirisch bestätigen, das pronominale Element befand sich meist in satzinitialer Position, die Präposition nahezu in allen Fällen in unmittelbarer Verbnähe. Je nach Region wird entweder die Spaltungsoder die Verdoppelungskonstruktion gewählt — beide erlauben eine diskontinuierliche Stellung ihrer Bestandteile. Dies könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass die Konstruktionsvariante der kurzen Verdoppelung so selten verwendet wird, schließlich ist in diesem Fall durch die adjazent stehenden Elemente [da + Pronominaladverb) gerade keine diskontinuierliche Stellung möglich. Somit konnte also in Bezug auf die unterschiedlichen Wortstellungstendenzen bei diskontinuierlichen Pronominaladverbien im Vergleich zu einfachen Pronominaladverbien ein funktionaler Mehrwert nachgewiesen werden. 3.2 Klammerung als Prinzip der deutschen Satzstruktur Neben der Erfüllung dieser beiden Wortstellungstendenzen lässt sich aus der diskontinuierlichen Stellung der beiden Bestandteile ein weiterer Aspekt des funktionalen Mehrwerts ableiten. Dadurch, dass beide Elemente in einem Satz getrennt voneinander stehen können, bilden sie eine diskontinuierliche Klammerkonstruktion. Ist diese jedoch gleichzusetzen mit anderen Arten von Rahmenkonstruktionen wie sie etwa bei Verbal- oder Nominalgruppen auftreten können? Im Folgenden wird also zu erörtern sein, ob diskontinuierliche Pronominaladverbien ebenfalls mit dem für die deutsche Sprachstruktur typischen Verfahren der Klammerbildung zu erfassen sind.

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3.2.1 Was versteht man unter „Klammer"? Die Herausbildung von Klammerstrukturen und deren Grammatikalisierung gilt in der Sprachgeschichte des Deutschen gemeinhin als eine der bedeutendsten topologischen Wandelprozesse (vgl. Agel 2000: 1873). Zwar gibt es auch schon im Frühneuhochdeutschen Ansätze zur Klammerbildung, „der typische deutsche Satzklammerstil" (von Polenz 1994: 268) hat jedoch erst im 17./18.Jahrhundert seinen Höhepunkt erreicht. Doch welche Kriterien sollten erfüllt sein, um von einer Klammerkonstruktion sprechen zu können bzw. lassen sich diskontinuierliche Pronominaladverbien mit diesem Begriff überhaupt charakterisieren? In Anlehnung an Eichinger soll anhand der drei folgenden, üblicherweise für Klammern geltenden Kriterien überprüft werden, inwiefern sie auch auf Pronominaladverbien übertragbar sind. a) Unter Klammern werden Konstruktionen verstanden, „die aus zwei aufeinander bezogenen Randteilen mit einem spezifisch strukturierten ,Inhalt' dazwischen bestehen" (Eichinger 1995: 304). Klammern sind also prinzipiell von reiner Distanzstellung zu unterscheiden, bei der sich lediglich zwei grammatisch zusammengehörende Teile voneinander entfernen. Mit Hilfe einer Klammerkonstruktion kann demnach eine gewisse Strukturierung bzw. Markierung von Konstituentengrenzen innerhalb eines Satzes vorgenommen werden — Satzklammern konstituieren beispielsweise das Mittelfeld eines Satzes. Auch diskontinuierliche Pronominaladverbien dienen bei Sätzen mit einteiligen Verbformen häufig dazu, das Mittelfeld abzuschließen, da der zweite Teil (Präposition bzw. vollständiges Pronominaladverb) meist in Position der rechten Satzklammer steht. b) Während der erste Punkt das jeweils Eingeklammerte betrifft, geht es in einem weiteren Kriterium um die beiden Klammerteile selbst, die durch eine spezifische grammatische Informationsverteilung gekennzeichnet sind. „Und zwar verbindet sich ein linkes Element mit grammatischer Bedeutung mit einem rechten Element eher lexikalischer Bedeutung" (ebd.: 304). Dies spiegelt sich deutlich in der Nominalklammer sowie prinzipiell auch in verbalen Klammern (Modalklammern, Tempusklammern) wider, allerdings trifft es nicht auf die sogenannte Lexikalklammer zu, deren rechtes Element eine Verbpartikel ist, auf welcher im Gegensatz zu dem verbalen Stamm in der linken Klammer gerade nicht der semantische Schwerpunkt liegt. Bei diskontinuierlichen Pronominaladverbien enthält die Präposition zwar semantisch geringfügig mehr Informationen als die rein anaphorischen Adverbien da, hier und wo, es herrscht aber keine eindeutige Verteilung zwischen grammatischer und lexikalischer Informati-

III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

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on vor. Dieses Kriterium trifft also auf Pronominaladverbien nur eingeschränkt zu. c) Schließlich dürfen zwischen den beiden Klammerteilen auch nicht beliebig viele Wörter stehen, denn „zur Klammerung gehört grammatikalisierte Rücksicht auf die Dehnbarkeit der Klammer" (ebd.: 311). Die Gültigkeit dieses Kriteriums für Pronominaladverbien soll anhand der Ergebnisse aus der Korpusuntersuchung überprüft werden. Folgendes Diagramm gibt eine Ubersicht über die jeweilige Anzahl der eingeklammerten Wörter bei Pronominaladverbien auf da(r)- in Spaltungs- und Verdoppelungskonstruktion innerhalb der untersuchten Korpora:

tU

50 45 40

^ 35 m 30 Ö 25

-ö a

20 N 15 a 15 < 10 5 0

I 1

• Spaltungskonstruktion • Distanzverdoppelung

nil

2

3

4

5

6

7

8

9

_a 10 11

Anzahl der eingeklammerten Wörter

Abb. 24: Anzahl der eingeklammerten Wörter bei Pronominaladverbien mit da{i)~ (Spaltung und Distanzverdoppelung)

Trotz der unterschiedlichen Beleganzahl — 748 Belege für die Spaltungskonstruktion, 396 Belege für die Distanzverdoppelung — zeigt sich eindeutig, dass nicht beliebig viele Wörter zwischen den beiden Teile stehen können, durchschnittlich sind es bei der Spaltungskonstruktion 3,2 Wörter und bei der Distanzverdoppelung 4,1 Wörter. Verdoppelte Pronominaladverbien weisen also offensichtlich für die kognitive Verarbeitung ein optimales Stellungsprofil auf, sodass diese Konstruktionsvariante eine längere Klammer zulässt als die Spaltungskonstruktion.

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Da nachgewiesen werden konnte, dass die drei vorgestellten Kriterien auf diskontinuierliche Pronominaladverbien weitestgehend zutreffen, sollen diese demzufolge auch als,Klammerkonstruktionen' bezeichnet werden. 3.2.2 Das klammernde Verfahren des Deutschen Neben den Adverbialklammern gelten natürlich besonders die Verbalund Nominalklammern als typische Vertreter diskontinuierlicher Konstruktionen des Deutschen. Trotz ihres unterschiedlichen Aufbaus haben sie durch das Vorhandensein einer Klammer ein gemeinsames Strukturmerkmal. Sie zeigen damit Reflexe der prinzipiellen Entwicklungstendenz morphosyntaktischer Strukturen von einem primär synthetischen zu einem zunehmend analytischen Sprachbau. Das von Ronneberger-Sibold als „klammerndes Verfahren" bezeichnete Strukturmerkmal widerspricht allerdings notwendigerweise dem Bedürfnis des Hörers und Sprechers nach diagrammatischem Ikonizismus (vgl. Ronneberger-Sibold 1991: 228). Dennoch scheint die Klammerbildung für die deutsche Sprachstruktur konstitutiv zu sein. Somit stellt sich die Frage, worin der funktionale Mehrwert dieses Verfahrens liegt bzw. welche anderen Sprecherbedürfnisse es zu befriedigen vermag. Das Deutsche ist in seiner Wortstellung zwar bedeutend freier als rein isolierende Sprachen wie das Englische, hat aber auch eine viel geringere Anzahl an Flexiven als beispielsweise das Lateinische. „Folglich muß hier für das Identifizieren der Funktion der Konstituenten und für das Erkennen ihrer Grenzen eine andere Lösung gefunden werden" (ebd. 1991: 231). Dies vermögen nun gerade Klammerkonstruktionen zu leisten. Mit ihrer Hilfe kann der Hörer bei der syntaktischen Dekodierung unterstützt werden, denn die Verbalklammer strukturiert den Satz in Vor-, Mittel- und Nachfeld und damit auch in einen — im unmarkierten Fall — thematischen Bereich vor der linken Satzklammer und einen darauf folgenden rhematischen Bereich. Durch die nominale Kongruenzklammer können gleichermaßen Konstituentengrenzen sichtbar gemacht werden. Klammern fungieren demzufolge als syntaktische Grenzsignale (vgl. ebd.: 207). Dass das Deutsche eine deutliche Tendenz zur Markierungvon Grenzen zeigt, wird auch in anderen linguistischen Bereichen deutlich. Man denke beispielsweise an den Glottisverschlusslaut und die Auslautverhärtung aus dem Bereich der Phonologie oder an Zirkumfixe (Gebirge, Gekreische^), die den zu Grunde liegenden Stamm wie eine Wortklammer umschließen (vgl. ebd.: 233).

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III. Analyse der untersuchten Konstruktionen

3.2.3 Darstellung der verschiedenen Klammern des Deutschen Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Klammertypen des Deutschen näher vorgestellt werden. Neben den in diesem Zusammenhang vor allem zitierten Verbal- und Nominalklammern geht es hier vor allem um die aus diskontinuierlichen Pronominaladverbien gebildete Adverbialklammer. a) Verbalklammer Sprachgeschichtlich gesehen war das Entstehen periphrastischer Verbalformen neben den synthetisch gebildeten Präsens- und Präteritalformen des Althochdeutschen die Voraussetzung dafür, dass im Deutschen überhaupt diskontinuierliche Prädikate und somit verbale Klammerstrukturen gebildet werden konnten. Zur Beschreibung von Wortstellungsregularitäten des Deutschen dient das sogenannte Stellungsfeldermodell, dessen Feldereinteilung vom jeweiligen Verbstellungstyp abhängt und in Satzgefügen auf mehreren Ebenen angewendet werden kann. Beim Vorhandensein von linker und rechter Satzklammer spricht man von einer diskontinuierlichen Rahmenkonstruktion: Vorfeld Andrea Andrea

Sie

linke Satzklammer hat ist

Mittelfeld

weil

dieses ]ahrpiel heute in den Urlaub nach Italien sie sich

liebt

Italien.

rechte Satzklammer gearbeitet. gefahren

Nachfeld

weil sie sich erholen möchte.

erholen möchte.

Tab. 25: Stellungsfeldermodell des Deutschen (nach Dürscheid 2005)

Die linke Satzklammer ist stets besetzt, bei einteiligen Verbformen enthält sie das (finite) Vollverb — es entsteht somit kein verbaler Rahmen. Bei mehrteiligen Prädikaten hingegen, also bei Konstruktionen mit Hilfs-, Modal-, Funktions- oder Partikelverben, liegt eine diskontinuierliche Verbalkonstruktion vor, bei der der Hörer davon ausgehen kann, dass nach dem ersten klammeröffnenden Teil „der Satz (bzw. der Teil des Satzes) erst abgeschlossen sein wird, wenn das dazu passende, schließende Klammerglied erscheint. (Aus dieser Funktion folgt, dass die Obligatorik und Stellungsfestigkeit des klammerschließenden Gliedes wichtiger sind als die des klammeröffnenden.)" (Ronneberger-Sibold 1991: 208). HansWerner Eroms spricht hier von einem Spannungsbogen, der die Aufmerksamkeit des Hörers lenkt:

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Die Verbalklammer lässt sich auf ganz unterschiedliche Weisen deuten und verstehen: Dadurch, dass nach dem meist thematischen Topic des Vorfeldes ein rhematischer verbaler Teil folgt, dieser aber größtenteils nur grammatische Kerninformation vermittelt, die eigentliche lexikalische Füllung und damit das rhematische Zentrum aber im hinteren Teil des Satzes liegt, wird ein „Spannungsbogen" aufgebaut. Gleichzeitig „umklammern" die verbalen Teile ein mehr oder weniger umfangreiches Mittelfeld, das im Normalfall die thematischen Ergänzungen und Angaben umfasst. Der kommunikative Nutzen dieser Struktur liegt auf der Hand: Der Hörer wird gezwungen, in seiner Aufmerksamkeit bis zum Schluss nicht nachzulassen. (Eroms 2000: 133)

Damit der Hörer in seiner Aufmerksamkeit nicht überfordert wird, darf die verbale Klammer schließlich eine bestimmte Länge von ca. fünf bis acht Wörtern nicht überschreiten (vgl. Admoni 1973: 89). Um das Mittelfeld zu entlasten, besteht auch die Möglichkeit, Satzglieder ins Nachfeld auszuklammern. b) Nominalklammer Unter der nominalen Kongruenzklammer wird in der Literatur gemeinhin eine Konstituente verstanden, die mit einem Artikelwort eröffnet und von einem Substantiv abgeschlossen wird (vgl. Admoni 1982:266): die/diese/unsere ... "Welt. Klammerbildend wirkt hier die zwischen den beiden Elementen bestehende Kongruenz in Kasus, Numerus und Genus. Eine diskontinuierliche Stellung zwischen Artikel und Substantiv besteht erst, wenn in das pränukleare Feld attributive Adjektive, Partizipien oder Präpositionalphrasen treten (die von uns so geschätzte Welt). Allerdings müssen die Attribute der Nominalphrase nicht in allen Fällen obligatorisch linksadjazent stehen, man denke nur an Relativsätze {die "Welt, die von uns so geschätzt wird) oder Genitiv- (Welt der Wunder) bzw. Präpositionalattribute (die Welt von morgen), die alle dem Substantiv folgen. In diesen Fällen lässt sich meines Erachtens nicht mehr von Klammerbildung sprechen. Ronneberger-Sibold (1994: 117) weist auf das meist mehrdeutige klammeröffnende Artikelwort und dessen Wirkung auf den Hörer hin: Das erste Wort, ein Determinans oder Adjektiv, flektiert pronominal, ist aber mehrdeutig. Erst das Substantiv mit seinem Genus und seiner Markierung für Numerus und eventuell Kasus löst die Ambiguität auf, indem es nur in einer der am Determinans oder Adjektiv offenbleibenden Möglichkeiten mit diesem übereinstimmt. N O M . SG.

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