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German Pages [372] Year 2019
Anna Pelka
Urbaner Wandel und Öffentlichkeit Die Peripherien Madrids und Barcelonas in der Zeit der Franco-Diktatur
Anna Pelka
Urbaner Wandel und Öffentlichkeit Die Peripherien Madrids und Barcelonas in der Zeit der Franco-Diktatur
Böhlau Verlag wien köln weimar
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Oriol Maspons, Montbau, Barcelona, 1960. © Photographic Archive O. Maspons – Arxiu Històric del Collegi d’Arquitectes de Catalunya Korrektorat : Felicitas Sedlmair, Göttingen Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51416-7
Inhalt
Redaktioneller Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.
Zuwanderung und Verstädterung an den Stadtperipherien zwischen 1939 und 1956.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Stadtperipherien in der Ordnungsvorstellung der Falange . . . . . . 2.2 Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt : El Pozo del Tío Raimundo in Madrid . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Stadtverwaltung zwischen den politischen Ansprüchen des Staates und der Realität der Stadtperipherien . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Baracken als Herausforderung für die Stadt Barcelona . . . . . 2.3.2 Die Barackensiedlung als Geldeinnahmequelle der Kommunen. Der Fall Camp de la Bota . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Wohnungsnot und politische Agenda : Der Eucharistische Kongress von 1952 als Katalysator für den Wohnungsbau in Barcelona . . . . 2.4.1 Rural geprägte Siedlung unter militärischer Aufsicht : Die Wohnsiedlung des Zivilgouverneurs in Verdún .. . . . . . . . . . . 2.4.2 Exkurs : Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen innerhalb der Siedlungen : Kontrollräte, Überwachungsdienste und Aufseher . . . 2.4.3 Ländliches Gepräge mit urban-hygienischen Ansprüchen. Die Siedlung des Städtischen Wohnungsinstituts in Can Clos am Montjuïc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 »Eine Wohnung als Minimum an Wohlbefinden« : Die Modernität christlicher Kongresssiedlungen als Visualisierung des Fortschritts progressiver Katholiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36 36 48 58 60 69 77 80 88
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Inhalt
3.
3.1
Von kooperativen Urbanisierungsprozessen bis zur gesellschaftlichen Partizipation. Die Stadtperipherien als Ort des konkurrierenden Engagements und des Erlernens eines Bürgerbewusstseins (1956–1966). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Der »öffentlich gesteuerte Bau in Eigeninitiative« als radikal-innovatives Urbanisierungsprojekt der »sozialen« Fraktion der Falange. Der Fall des Poblado Dirigido de Entrevías (1. Phase) in Madrid.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Urbanisierung der Peripherie im Kontext der Konflikte zwischen der Stadtverwaltung Madrid und den staatlichen Behörden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Barcelona als Raum »gesellschaftlicher Partizipation«. Zwischen dem politischen Anspruch der Stadtverwaltung und den praktischen Ansätzen der katholischen Soziologen.. . . . . . . . . 3.3.1 Die Stadtverwaltung und das Wohnungspatronat in Barcelona als Träger der Idee der bürgerlichen Beteiligung an Urbanisierungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Zum Verhältnis von Urbanisierung und Soziologie : Die Siedlung Montbau in Barcelona (1. Phase) als Stadt der Berufsgenossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Das Sozialzentrum als Ort des Erlernens urbanen Lebens und demokratischen Partizipierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Engagement und Konkurrenz an den Stadtperipherien. Akteure der Weiterentwicklung der Barackensiedlung Camp de la Bota . . . . 3.4.1 Das Wachstum der Siedlung Camp de la Bota im Kontext der politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen der 1960er J ahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die »Kommunalisierung« des Siedlungsteils Parapeto. . . . . . . . . 3.4.3 Zwischen Paternalismus und Erziehung zur Staatsbürgerlichkeit. Camp de la Bota als Aktions- und Konfliktraum religiöser Gruppen . 3.5 Bildung eines Bürgerbewusstseins durch kollektive Praxis. »Urbanisierung an Sonntagen« als Eigeninitiative im Stadtviertel Les Roquetes in Barcelona (1964–1966) . . . . . . . . . . . . . . . . 4.
4.1
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Medien als Akteure. Von der Medialisierung zur Urbanisierung an den Stadtperipherien (1966–1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Die Piaristenschule in Camp de la Bota als Ort öffentlicher Debatten um Schulbildung, Klassengesellschaft und Identität .. . . 226
Inhalt
4.2
Medialisierte Kommunikation im urbanen Raum und die Repräsentation der Stadtperipherien : Der Fall Camp de la Bota . . . 4.3 Das Madrider Stadtviertel Moratalaz, die urbane Krise und die identitätsstiftende Bedeutung der Stadtviertelzeitschrift. . . . . . . 4.3.1 Das Stadtviertel Moratalaz als Raum für eine imaginierte Gemeinschaft.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Moratalaz als paradigmatischer Ort der urbanen Krise . . . . . . . 4.3.3 Stadtviertel und Identität : Strategien lokaler Identitätsbildung in der Stadtviertelzeitschrift »Moratalaz« . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Großsiedlung La Mina als Paradigma einer pathologischen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Entstehung der Großsiedlung La Mina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Von der Marginalisierung zur Kriminalisierung. Die Großsiedlung La Mina als Repräsentation einer gezielten Marginalisierung der Stadtperipherien ?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Schlussbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 1. Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 2. Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. Filme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 4. Gedruckte Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 5. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Abbildungs- und Tabellennachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
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Redaktioneller Hinweis
In der vorliegenden Studie werden alle Institutions- und Eigennamen (etwa nicht ins Deutsche übersetzte Buchtitel) auf Spanisch bzw. Katalanisch geschrieben und zusätzlich in Klammern ins Deutsche übersetzt. Im Weiteren werden sie weiterhin in den Originalsprachen genutzt, außer in Fällen, in denen eine originalgetreue Übersetzung des Namens möglich und diese auch im Deutschen verständlich ist. Bei den Namen, die nur schwer oder kaum übersetzbar sind, wird keine Übersetzung in Klammern vorgenommen, sondern die Bedeutung umschrieben bzw. erklärt. Die katalanischen Namen werden grundsätzlich in Originalsprache und nicht in spanischer Übersetzung verwendet. Sie können jedoch in zeitgenössischen Quellenbeschreibungen auf Spanisch auftauchen, da der Quellenwortlaut stets unverändert wiedergegeben wird. Alle Zitate wurden von mir übersetzt und im Fließtext auf Deutsch geschrieben. Bei längeren Texten, die sich oft nicht wortwörtlich, sondern eher dem Sinn nach übersetzen lassen, sind jedoch die Originale in der Fußnote miteinbezogen.
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde von der Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg im Sommer 2018 als Habilitationsschrift angenommen. Sie entstand im Rahmen des von der DFG geförderten Projekts »Die südeuropäische Stadt – urbaner Raum und soziale Bewegungen«. Die DFG finanzierte die notwendigen Forschungsaufenthalte in Barcelona und Madrid in den Jahren 2012 bis 2016 und bezuschusste die Drucklegung der Arbeit. Die Entstehung dieser Arbeit verdanke ich dem Engagement vieler Personen, die mich im Laufe der Jahre stets unterstützt haben. Mein bester Dank gilt insbesondere meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Rainer Liedtke, der mich in meinem Vorhaben stets mit konstruktiver Kritik und viel Ermutigung unterstützte. Ich bedanke mich ebenso herzlich bei Herrn Prof. Dr. Martin Baumeister, der das DFG-Forschungsprojekt ins Leben rief und mir somit die Chance gab, mich überhaupt mit diesem spannenden Thema zu beschäftigen. Ihm gilt Dank für die zahlreichen Gespräche sowie für wertvolle Hinweise und Anregungen in seiner Begutachtung meiner Habilitationsschrift. Großer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Clemens Zimmermann für seine Hinweise im Rahmen des Gutachtens der Habilitationsschrift. Zudem möchte ich mich bei den Mitgliedern des Fachmentorats im Rahmen der Habilitation, Prof. Dr. Ulf Brunnbauer sowie Prof. Dr. Xosé M. Núnez Seixas herzlich bedanken. Mein besonderer Dank richtet sich an meinen langjährigen Mentor Prof. Dr. Bernd Faulenbach für seine konstruktiv-kritische Lektüre einzelner Texte meiner Arbeit und vor allem für Ermutigung und Beratung über all die Jahre. Zudem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Birgit Aschmann dafür, dass sie mir mehrmals Raum für die Präsentation meiner Arbeiten geschaffen und mir immer wieder wertvolle Hinweise gegeben hat. Mein Dank geht außerdem an die Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Universität Regensburg für Gespräche und Diskussionen im Rahmen der Forschungskolloquien, darunter insbesondere an Dr. Lisa Dittrich für ihre Bereitschaft, Textteile zu lesen, und für ihre wertvollen Anmerkungen. An dieser Stelle möchte ich auch besonders herzlich Dr. Nina
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Vorwort
Schierstaedt danken. Durch das DFG-Projekt teilten wir gemeinsam die Hürden und Tiefen, die oft mit Recherchen und Archivbesuchen zusammenhingen, und ermutigten uns durch Gespräche und Erfahrungsaustausch gegenseitig, was eine enorme Hilfe war. Meine tiefe Dankbarkeit gilt Christina Holzmann, die das Projekt von Beginn an vielseitig unterstützt hat. Sie half mir nicht nur mit sprachlichen Korrekturen, sondern war auch eine aufmerksame Leserin und erste Kritikerin, deren wertvolle Hinweise die Arbeit wesentlich beeinflussten. Ich kann sagen, sie war von Beginn an ein guter Geist für dieses Vorhaben. Ebenfalls großer Dank geht an Herrn Dr. Tino Jacobs für sein umfassendes Lektorat, das die Gestalt dieser Arbeit als Endprodukt mitbestimmte. Bei Esther Puerto bedanke ich mich für die Hilfe beim Lesen von Quellenmanuskripten in katalanischer Sprache und deren Übertragung ins Spanische. Mein Dank geht ebenfalls an den Verlag Böhlau, wo ich von Frau Kirsti Döpner und Frau Julia Roßberg kompetent betreut wurde und im Lektorat bei Frau Felicitas Sedlmaier bestens aufgehoben war. Meine große Dankbarkeit gilt den Archivaren und Bibliothekaren in Spanien. Dieses Forschungsprojekt hätte nicht erfolgreich abgeschlossen werden können, hätten sich nicht einzelne Personen besonders für dieses Thema begeistert und mir Unterstützung angeboten, die weit über ihre Funktionen in den Archiven und Bibliotheken hinausgingen. Nur mit ihrem persönlichen Engagement und ihrer außerordentlichen Hilfe gelang es mir, an Quellen zu gelangen, die nicht katalogisiert oder in privaten Händen waren. Besonders möchte ich daher María Fèlix Roncero Escudero vom Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona danken. Sie war, obwohl sie eine Menge Aufgaben und Arbeit hatte, nicht nur sehr hilfreich bei der Suche nach oft nicht katalogisierten Quellen im eigenen Archiv, sondern ermöglichte mir auch Kontakte zu anderen Archiven Barcelonas, zu welchen ich kaum Zugang finden konnte. Alberto Sanz und dem gesamten Team des Archivs und der Bibliothek der Madrider Architektenkammer COAM danke ich für die Ermöglichung weiterer Kontakte und die engagierte Suche nach Quellen und Bildern. Josep Maria Monferrer Celades öffnete mir nicht nur die Tür des Archivs in La Mina, sondern zeigte mir die Siedlung und die Nachbarschaft, damit ich die Geschichte hautnah spüren konnte. Dafür danke ich ihm herzlich ! Viele weitere interessante Stunden im Archiv verdanke ich den Mitgliedern des Arxiu Històric de Roquetes Nou Barris, insbesondere jedoch Josep Maria Babí Guimerá, der mir zusätzlich viel Zeit im Stadtviertel geschenkt hat. Auch hier durfte ich mit seiner Hilfe die Geschichte im Terrain erfahren ! Schließlich gilt mein bester Dank allen Archiven, die mir ihre Bilder zur Verfügung gestellt haben, die ich hier auch publizieren durfte.
Vorwort
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Mein bester Dank geht schließlich an meine Familie, meinen Mann Manuel und meine Tochter Amelia, die meine Beschäftigung mit dem Projekt, die dafür investierte Zeit und nicht selten meine daraus entstandene Anspannung klaglos duldeten. Meinem Mann bin ich zudem für seine große Unterstützung in all diesen Jahren zutiefst dankbar !
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1. Einführung
Während der Franco-Herrschaft sahen sich die spanischen Städte in Folge massiver Landfluchtbewegungen einem extremen Wachstum ausgesetzt, das insbesondere in der Entstehung neuer städtischer Peripherien Ausdruck fand. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage nach Formen und Logiken dieses Stadtwachstums und in weiterem Sinne der Stadtentwicklung Spaniens an den Beispielen Madrids und Barcelonas. Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind einige Befunde der stadt- und migrationshistorischen Forschung, die zu zwei engeren Zusammenhängen führen – Migration und Stadtentwicklung.1 Madrid und Barcelona wuchsen vorwiegend durch die Zuwanderung von Landarbeitern aus armen Agrargebieten – ein Prozess, der aufgrund der Strukturkrise der Landwirtschaft und des Industrialisierungsprozesses am Ende des 19. Jahrhunderts begann und im 20. Jahrhundert zum Massenphänomen wurde.2 Beide Städte wuchsen darüber hinaus auch von der Peripherie aus, die diesen Migranten Agrarlandstücke zu wesentlich niedrigeren Preisen im Vergleich zum urbanen Raum und dennoch eine gute und schnelle Verkehrsanbindung an die Stadt bot, wo die meisten Zuwanderer in der Industrie beschäftigt waren. In diesen ländlichen Peripherien der Städte bauten die Migranten einfache Baracken, deren Genese mit Agraraktivitäten verbunden war und im mediterranen Raum Spaniens über eine lange Tradition verfügte.3 1 Zum Zusammenhang zwischen Stadt und Migration siehe : Themenschwerpunkt : Stadt und Migration, hg. v. Martin Baumeister, Imke Sturm-Martin, Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2007. 2 Zum Themenkomplex »Migrationen« siehe u.a.: Juan Vilá Valentí, Horacio Capel, Campo y ciudad en la geografía española, Madrid 1970, S. 71–75 ; Antonio Cazorla Sánchez, Fear and Progress. Ordinary Lives in Franco´s Spain 1939–1975, Oxford 2010, S. 95–239 ; Espagne, de l’émigracion à l’immigracion, hg. v. Marie-Claude Chaput u.a., Paris 2009 ; Javier Silvestre Rodríguez, Las migraciones interiores en España, 1860–2007, in : Historia y Política, Nr. 23, 2010, S. 113–134. Einen Literaturüberblick zu Land-Stadt-Migrationen in Spanien liefert : Horacio Capel Sáez, Los estudios acerca de las migraciones interiores en España, in : Revista de Geografía, Nr. 1, 1967, S. 77–101. 3 Mercè Tatjer Mir, El barraquisme a Barcelona al segle XX, in : Barraquisme, la ciutat (im)possible. Els barris de Can Valero, el Caramel i la Perona a la Barcelona del segle XX, hg. v. Centre de Promoció de la Cultura Popular i Tradicional Catalana, Barcelona 2011, S. 29–75, hier : S. 31 ;
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Einführung
Diese Bautätigkeit jenseits der öffentlichen Regulierung verstärkte sich durch den Industrialisierungsprozess zu Beginn des 20. Jahrhunderts und verlief zeitlich zwar parallel mit der Entwicklung der neuen Stadtviertel rings um die alte Kernstadt, dem sogenannten städtischen Ensanche (zu Deutsch : Erweiterung), erwies sich jedoch weitgehend als schneller und effektiver.4 Die Zuwanderer waren jedoch nicht die einzigen Protagonisten dieses Prozesses. Durch die im Vergleich zum urbanen Raum niedrigen Preise für Agrarland wurde die Stadtperipherie zum attraktiven Markt jenseits öffentlicher Regulierung. Die ländlichen Stadtperipherien wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts von den öffentlichen Verwaltungen als »Nicht-Stadt« angesehen, und als »nicht der Stadt zugehörig« blieben sie von jeglichen administrativen Aktivitäten der städtischen Obrigkeit, von Kontrolle, Planung und Schutz ausgeschlossen.5 Erst aufgrund der einsetzenden Migrationen erlangten die Stadtperipherien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der öffentlichen Akteure. Dies führte zwar zur Erstellung von ersten Stadtplanungsentwürfen, die die Peripherien als Randzonen in die Stadt integrierten ; praktisch waren diese Gebiete jedoch im Wesentlichen auch weiterhin keinen juristisch-gesetzlichen Regelungen unterworfen. In Hinsicht auf den durch die Migrationen entstehenden Bedarf an Baugrund verkauften oder vermieteten die Landgrundbesitzer den Zuwanderern kleine Parzellen, wobei sich mit einer solchen Parzellierung sowohl die Kleingrundbesitzer als auch die sog. parceladores beschäftigten, die nach Agrarlandstücken suchten, diese abkauften, parzellierten und gewinnbringend an die Zuwanderer vermieteten.6 Durch die Zuwanderung wuchsen sowohl Madrid als auch Barcelona mit zunehmendem Tempo, bis sie bereits 1930 zu Millionenstädten wurden.7 War der
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Mercedes Tatjer, Burgueses, inquilinos y rentistas. Mercado inmobiliario, propiedad y morfología en el centro histórico de Barcelona : La Barceloneta, 1753–1982, Madrid 1988, S. 27–31. Arquitectura de Madrid. Introducción, hg. v. Fundación COAM, Madrid 2003, S. 68–75. Vgl.: Carmen Gavira Golpe, La ciudad y la no ciudad. Madrid (1567–1993), in : Madrid centro y periferia, hg. v. José Gavora Martín, Carmen Gavira Golpe, Madrid 1999, S. 111–147 ; María Isabel del Río Lafuente, Industria y residencia en Villaverde. Génesis de un paisaje urbano en la periferia de Madrid, Madrid 1984, S. 59. Arquitectura de Madrid, S. 68–75 ; José Luis Oyón, Crecimiento de las ciudades (1840–1936), in : La sociedad urbana en la España Contemporánea, hg. v. Francesc Bonamusa, Joan Serrallonga, Barcelona 1994, S. 11–21. S. auch : Charlotte Vorms, Bâtisseurs de banlieue à Madrid. Le quartier de la Prosperidad (1860–1936), Paris 2012, S. 67–83 ; Charlotte Vorms, La ville sans plan ? Le faubourg de la Prosperidad à Madrid (1860–1940), in : Histoire urbaine, Nr. 8, 2003, S. 103–128. Die Zahlen für Barcelona entwickelten sich folgendermaßen : 1877 gab es 290.000 Bewohner, im Jahre 1900 bereits 533.000 und im Jahre 1930 mehr als eine Million. In : Pere Gabriel, Espacio
Einführung
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Bürgerkrieg (1936–1939) zwar eine deutliche Zäsur in der politischen und soziokulturellen Entwicklung beider Städte, so bildete er dennoch keinen scharfen Einschnitt in Bezug auf die demographische Entwicklung Madrids und Barcelonas.8 Durch die fortschreitende Agrarkrise und die damit zusammenhängende ländliche Armut, nicht selten jedoch auch aufgrund politischer Repression setzte sich die Land-Stadt-Wanderung weiterhin fort. Laut Schätzungen waren es in den 1940er Jahren insgesamt ca. 800.000 Migranten,9 die in die Städte abwanderten, von denen wiederum 76,6 Prozent nach Barcelona und Madrid zogen.10 Wird in den meisten Studien pauschal von den Migranten, meist ungelernten Landarbeitern11 aus armen Agrargebieten mit Latifundienwirtschaft in Andalusien gesprochen, so waren in Wirklichkeit auch viele Regionen mit Kleingrundbesitzern von der Migration betroffen. Barcelona erwies sich demnach als Ziel vor allem für die Zuwanderer aus dem mediterranen Raum (inkl. Katalonien, La Rioja, Baleareninseln) und dem südlichen Teil der iberischen Halbinsel (Valencia, Murcia, Almeria, Sevilla, Cordoba).12 Nach Madrid wiederum migrierten urbano y articulación política popular en Barcelona, 1890–1920, in : Las ciudades en la modernización de España. Los decenios interseculares, hg. v. José Luis Garcia Delgado, Madrid 1992, S. 61–94, hier : S. 61 ; Martí Marín, Fluxos, stocks, periodicitat i orígens, in : Memòries del viatge (1940–1975), hg. v. Marín Martí, Barcelona 2009, S. 14–32. Für Madrid siehe u.a.: Santos Juliá u.a., Madrid. Historia de una capital, Madrid 2000, S. 435. 8 Martin Baumeister, Die Hydra der Moderne. Masseneinwanderung und Wohnungspolitik in Madrid unter der Franco-Diktatur, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2009, S. 47–59, hier : S. 48. 9 Enrique Moradiellos, La España de Franco (1939–1975). Política y sociedad, Madrid 2008, S. 83. 10 Neben Barcelona und Madrid war auch Vizcaya wesentlich von der Migration betroffen. Siehe u.a.: Miguel Siguán, Del Campo al Suburbio. Un estudio sobre la inmigración interior en España. Madrid 1959, S. 37 ; Carlos Trías Bertrán, El fenómeno migratorio en Barcelona y Madrid, in : Conversaciones sobre inmigración interior, hg. v. Ayuntamiento de Barcelona. Patronato Municipal de la Vivienda, Barcelona 1966, S. 75–91 ; Antoni Jutglar, Perspectiva histórica de la fenomenología inmigratoria en Cataluña, in : La inmigración en Cataluña, hg. v. Antoni Jutglar, Barcelona 1968, S. 7–21, hier : S. 16–19. 11 Dabei muss besonders im Falle Madrids darauf hingewiesen werden, dass hinsichtlich der Arbeitsmigration auch noch ein Teil der Beamten berücksichtigt werden muss, die sich aufgrund der wachsenden zentralisierten Staatsverwaltung nach Madrid begaben. Vgl.: José María Díaz Mozaz, Tendencias y causas de la migración interior, in : Ecclesia, Nr. 858, 1957, S. 17–20, hier : 17–18 (im Folgenden werden bei wiederholter Zitierung Presseartikel immer mit dem Zeitungs- oder Zeitschriftennamen und Datum gekennzeichnet). 12 Vgl.: Alfonso García Barbancho, La inmigración en Barcelona y su relación con las migraciones interiores de España, in : Conversaciones sobre inmigración, S. 27–36 ; Miguel Siguán, La asimilación de los inmigrados en la sociedad catalana : el punto de vista del sicólogo, in : La inmigración en Cataluña, S. 35–70, hier : S. 47–49.
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Einführung
neben den Andalusiern überwiegend Bewohner Kastiliens und der nördlichen Regionen Spaniens (Asturias, Kastilien und Leon, Baskenland).13 Die bereits vor dem Bürgerkrieg existierende Unterversorgung mit bezahlbarem Wohnraum verschärfte sich nun durch die Kriegszerstörungen in den beiden Städten und betraf weite Bevölkerungsteile.14 Somit waren die Wohnmöglichkeiten insbesondere für die mittellosen Zuwanderer höchst prekär. Neben dem dichtgedrängten Wohnen zur Untermiete ohne jegliche Intimität (realquiler) und der natürlich entstandenen Erdhöhlen am Rande der Stadt, die als Wohnraum eingerichtet wurden, war eine selbstgebaute Baracke, chabola oder barraca15 genannt, in der weit entfernten Peripherie für die meisten die beste Lösung. Trotz dieser verallgemeinerten Begrifflichkeit waren die Baracken von unterschiedlicher Qualität : Während einige aus vor Ort vorhandenen Materialien wie Sperrholz, Wellblech, Dachpappe, Brettern oder sonstigen Abfallstoffen konstruiert wurden, waren andere als weiß getünchte Ziegelsteinhäuschen mit Ziegeldach (casitas bajas) gebaut. Die in solcher Eigendynamik entstandenen sog. suburbios standen in deutlichem Widerspruch zu den Ordnungsvorstellungen des Franco-Regimes. In besonderer Weise waren diese Stadtperipherien in Madrid, das sich die neuen Machthaber als imperiale Metropole erträumten,16 ein Dorn im Auge. Die Ba13 Demgegenüber orientierten sich aber die Bewohner Galiziens trotz der Entfernung meist nach Barcelona. Siehe : Siguán, Del Campo, S. 42 ; Ecclesia, Nr. 858, 1957, S. 18–19 ; Angel Cabo Alonso, Valor de la inmigración madrileña, in : Estudios Geográficos, Nr. 84–85, 1961, S. 365–370. 14 In Madrid wurden laut staatlicher Angaben im Jahre 1942 von 341.481 Wohnungen 149.783 als stark beschädigt und 101.000 als gesundheitsschädlich eingestuft. In : Carlos Sambricio, Las chabolas en Madrid, in : Un siglo de vivienda social (1903–2003), hg. v. Carlos Sambricio, Bd. 1, Madrid 2003, S. 246–248, hier : S. 247. 15 Die verwendete Terminologie unterscheidet sich regional. In Barcelona wird die Baracke »barraca« genannt, demgegenüber in Madrid »chabola«. Beide Begriffe wurden in dieser Form seit mindestens Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet und somit in der Franco-Ära sowohl von der falangistischen Verwaltung als auch der breiten Öffentlichkeit. Demnach werden diese Begriffe von der Stadtgeschichte übernommen und weiterhin verwendet. 16 Kaum ein anderes Thema wurde in der spanischen historischen Forschung so oft und im Detail untersucht wie die Verfassung von Urbanisierungsplänen sowie die theoretischen Überlegungen über das »imperiale« Madrid in der unmittelbaren Nachkriegszeit : Carlos Sambricio, Madrid : ciudad-región. De la Ciudad Ilustrada a la primera mitad del siglo XX, Madrid 1999, S. 144–195 ; Carlos Sambricio, Madrid, vivienda y urbanismo : 1900–1960. De la »normalización de lo vernáculo« al Plan Regional, Madrid 2004, S. 289–328 ; Sofía Diéguez Patao, Un nuevo orden urbano : »El Gran Madrid« (1939–1951), Madrid 1991 ; Plan Bidagor 1941–1946. Plan General de Ordenación de Madrid, hg. v. Carlos Sambricio, Madrid 2003 ; Arquitectura para después de una guerra 1939–1949, Sonderausgabe der Cuadernos de Arquitectura y Urbanismo, Nr. 121, 1977 ;
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rackensiedlungen waren aus Sicht des Regimes »ein schmutziger, düsterer und dreckiger Menschengürtel«, der in klarem Gegensatz zur »aristokratischen, bürgerlichen, handwerklichen, künstlerischen und wunderbaren«17 Stadt stand. Somit unterlag die Eigenkonstruktion der Baracken seit dem Ende des Bürgerkriegs strengen Repressionsmaßnahmen18 und stand gleichzeitig im Fokus der Migrations- und Wohnungspolitik des neuen Regimes, das die Wohnungsfrage zur Grundfrage seiner politischen Legitimation entwickelte. Durch die Förderung einer intensiven Industrialisierung der zwei Städte durch das Franco-Regime erreichte das Stadtwachstum durch die Land-Stadt-Zuwanderung in den 1950er und 1960er Jahren seinen Höhenpunkt. In Madrid stieg die Einwohnerzahl zwischen 1940 und 1973 um mehr als 140 Prozent von 1,3 auf 3,15 Millionen19 und erreichte gegen Mitte der 1960er Jahre Rekordwerte, als die Zuwanderung 40.000 Personen pro Jahr überstieg. Somit waren 57 ProJesús López Díaz, La vivienda social en Madrid 1939–1959, Madrid 2007, S. 27–57 ; Madrid imperial, in : Daniel Sueiro, Bernando Díaz Nosty, Historia del Franquismo, Bd. 2, Barcelona 1985, S. 9–32 ; Madrid : Cuarenta años de desarollo urbano 1940–1980, hg. v. Ayuntamiento de Madrid, Madrid 1981, S. 23–91 ; Carlos Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, en 1959, in : La vivienda en Madrid en la década de los 50, hg. v. Carlos Sambricio, Madrid 1999, S. 13–84, hier : S. 21 ; Fernando de Terán, Planeamiento urbano en la España contemporánea (1900–1980), Madrid 1982, S. 125–183 ; Zira Box, La capital de la Nación, in : Ser españoles. Imaginarios nacionalistas en el siglo XX, hg. v. Javier Moreno Luzón, Xosé M. Nuñez Seixas, Barcelona 2013, S. 287–314. 17 Zit. nach : Diéguez Patao, Un nuevo orden, S. 148. 18 Zum Zusammenhang zwischen den Migrationen und dem repressiven Auftreten der Diktatur siehe insbesondere : Imma Boj, Jaume V. Aroca, La repressió de la immigració : les contradiccions del franquisme, in : Memòries del viatge (1940–1975), S. 71–86 ; Martí Marín, La immigració a Barcelona, de la posguerra al desarrollo. Suburbialització, dictadura i conflicte, in : Barcelona malgrat el franquisme. La SEAT, la ciutat i la represa sense democrácia, hg. v. Sebastian Balfour, Barcelona 2012, S. 109–148 ; José Babiano Mora, Emigrantes, crónometros y huelgas. Un estudio sobre el trabajo y los trabajadores durante el franquismo (Madrid, 1951–1977), Madrid 1995, S. 13–26. 19 Juliá, Madrid, S. 435 ; Cabo Alonso, Valor, S. 366–367 ; David S. Reher, Perfiles demográficos de España, 1940–1960, in : Autarquía y mercado negro. El fracaso económico del primer franquismo, 1939–1959, hg. v. Carlos Barciela, Barcelona 2003, S. 1–26, hier : S. 21–24 ; Emilio Larrodera, Madrid y el inmigrante, in : Arquitectura, Nr. 83, 1965, S. 43 ; Migración y estructura regional, hg. v. Instituto Nacional de Estadística, Madrid 1968 ; Movimiento migratorio español, in : Información Comercial Española, Nr. 371, 1964, S. 77–87 ; Alfonso Barbancho, Los migraciones interiores españolas en 1961–1970, Madrid 1975 ; Carlos Fernández Magán, Migraciones centro-periferia en la Comunidad de Madrid : Un análisis, in : Alfoz, Nr. 65, 1989, S. 65–70 ; Aurora García Ballesteros u.a., Los movimientos migratorios de la población de Madrid, in : Revista Internacional de Sociología, Nr. 22, 1977, S. 193–223 ; Dolores Brandis, El paisaje residencial en Madrid, Madrid 1983, S. 181–197 ; Jesús García Fernández, La atracción demógrafica de Madrid, in : Estudios Geográficos, Nr. 62, 1956, S. 87–91.
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zent der Personen, die in den 1960er Jahren in der Hauptstadt lebten, dort nicht geboren worden. Auch wenn Ende der 1960er Jahre die Hauptstadt Teile der Bevölkerung zugunsten der Satellitenstädte im Großraum Madrid verlor, hielt das Wachstum des Madrider Ballungsraums bis in die letzten Jahre der Diktatur an.20 Ähnlich sah die demographische Dynamik in Barcelona aus : Zählte die Stadt im Jahr 1930 etwas mehr als eine Million Einwohner, stieg diese Zahl bis 1950 auf knapp 1,3 Millionen. Zum Ende der Diktatur lebten bereits mehr als 1,7 Millionen Menschen in der katalonischen Kapitale. Da sich jedoch Barcelona, anders als Madrid, durch die natürlichen Grenzen des Meers und der umliegenden Gebirge nicht unbegrenzt ins Umland ausdehnen konnte, sah das Stadtwachstum in der Region noch dramatischer aus : Von fast zwei Millionen Einwohnern im Jahre 1900 stieg die Zahl auf fast 2,9 Millionen im Jahre 1940 und schließlich auf mehr als 5,6 Millionen im Sterbejahr Francos.21 Insgesamt lebte bereits zu Beginn der 1970er Jahre mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung Spaniens in den wenigen Großstädten, in erster Linie in Madrid und Barcelona.22 Die Stadtperipherien wurden dabei zum Sinnbild dieses rapiden Stadtwachstums. Betrachtet man die in den 1960er Jahren angefertigte Graphik Madrids, die die historischen Stadtteile visuell zu erfassen versuchte (Abb. 1), wird deutlich, dass das enorme Stadtwachstum sich in einem überproportionalen Anschwellen der Peripherie abzeichnete und somit auch die Gestalt der Stadt völlig veränderte. Die Verschiebung des demographischen Gewichts von den ländlichen Gebieten in den urbanen Raum brachte dabei einen tiefen gesamtgesellschaftli20 Fernández Magán, Migraciones centro-periferia, S. 66. 21 Marín, Fluxos, S. 14–32 ; Francisco Javier Monclús, Planeamiento y crecimiento suburbano en Barcelona : de las extenciones periféricas a la dispersión metropolitana (1897–1997), in : Barcelona - Montreal. Desarollo urbano comparado, hg. v. Horacio Capel, Paul-Andre Linleau, Barcelona 1998, S. 83–98 ; Luis Carreño Piera, Proceso de suburbanización de la comarca de Barcelona. Aspectos políticos, ecónomicos y culturales, in : Ciudad y Territorio, Nr. 1, 1976, S. 97–108 ; Barbancho, Los migraciones interiores. 22 Die genauen Zahlen für die demographische Dynamik in Barcelona : Im Jahre 1930 zählte die Stadt 1.055.565 Einwohner ; bis 1950 stieg die Zahl auf 1.280.179 ; zum Ende der Diktatur lebten in der katalonischen Kapitale 1.751.136 Einwohner. In der Region lebten im Jahre 1900 1.966.382 Menschen ; im Jahre 1940 waren es bereits 2.890.974 und 1975 5.662.791. In : Moradiellos, La España de Franco, S.139. Vgl.: Juan Díez Nicolás, Determinación de la población urbana en España en 1960, in : La concentración urbana en España. Problemas demográficos, sociales y culturales. Anales de moral social y económica, hg. v. Luis Sánchez Agesta, Bd. 20, Madrid 1969, S. 3–65.
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Abb. 1 : Madrid aus der Perspektive der historischen Zuteilung der Stadtzonen : das alte Madrid (Zentrum) (karierter Bereich) vor 1800, der Ensanche um die Mitte des 19. Jahrhunderts (gestreifter Bereich) und die neuen Peripherien seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und insbesondere nach 1940 (gepunkteter Bereich). Quelle : Fundación Foessa, Informe sociológico sobre la situación social de Madrid, Madrid 1967, S. 31.
chen Wandel mit sich : Spanien entwickelte sich bereits in den 1960er Jahren endgültig von einem Agrar- zu einem Industrieland ; somit veränderten sich die Berufsstrukturen von der traditionellen Landwirtschaft hin zu Industrie und Dienstleistung.23 Ein großer Teil der Landarbeiter fand eine Beschäftigung im Bausektor, denn die Verstädterung zog auch eine beschleunigte Urbanisierung nach sich.24 In der Folge wandelten sich die neuen Stadtperipherien zu einem 23 Moradiellos, La España de Franco, S. 137–148. Siehe auch : Jesús López Medel, La familia rural, la urbana y la industrial en España, Madrid 1961 ; Walther L. Bernecker, Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1990, S. 313–316 ; Cazorla Sánchez, Fear and Progress, S. 149–160 ; Borja de Riquer i Permanyer, Social and Economic Change in a Climate of Political Immobilism, in : Spanish Cultural Studies. An Introduction. The Struggle for Modernity, hg. v. Helen Graham, Jo Labanyi, Oxford 2010, S. 259–271. 24 Im Sprachgebrauch der neueren Forschung wird zwischen den beiden Begriffen differenziert. Demnach wird unter dem Begriff der Verstädterung meist nur der rein quantitative Anstieg des Anteils der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung verstanden. Urbanisierung meint dagegen den qualitativen Prozess der Verbreitung einer spezifisch urbanen Lebensform, einer Urbanität, die sich jedoch nicht automatisch aus der Verstädterung ergibt. Siehe u.a. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt/Main 1985, S. 11 ; Großstadtmenschen, in : Friedrich Lenger, Stadt-Geschichten. Deutschland, Europa und die USA seit 1800, Frankfurt/
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immer komplexer strukturierten Raum mit vielfältigen Siedlungs- und Wohnformen. Neben noch bestehenden Agrarflächen und den ländlich geprägten Hütten- und Barackenagglomerationen wurden nach und nach Wohnsiedlungen unterschiedlicher Qualität gebaut, die von öffentlichen, kirchlichen oder privaten Trägern finanziert wurden25 und den Unter- und Mittelschichten Wohnraum boten. Fragestellung, Forschungsstand, methodischer Zugriff Der Entstehung und Entwicklung dieser neuen städtischen Peripherien in Folge massiver Zuwanderung gilt das zentrale Forschungsinteresse der vorliegenden Studie. Im komparativen Zugriff auf die beiden Metropolen Spaniens – Madrid und Barcelona – sollen spezifische Eigenheiten und Wege der Stadtentwicklung an den Peripherien von der Hochphase der Urbanisierung seit den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre untersucht werden. Dabei will die Studie zum einen Impulse zur Diskussion um »die europäische Stadt« beisteuern und somit die im Konzept der »europäischen Stadt« enthaltenen Grundannahmen über einen europäischen »Standardweg« bzw. eindimensionale Modernisierungsparadigmen und normative Vorstellungen einer »europäischen Moderne« hinterfragen ; zugleich sollen zentrale Aspekte der Entwicklung südeuropäischer Städte in neuester Zeit untersucht werden. Zum anderen soll diese Untersuchung die historische Stadtforschung sowie die Forschung zur tiefgreifenden Transformation der spanischen Gesellschaft während der Franco-Diktatur bereichern. Damit ist der doppelte Zugriff der Arbeit erkennbar, der sowohl auf stadt- und urbanisierungsgeschichtliche als auch auf diktatur- und politikgeschichtliche Kontexte zielt. Main 2009, S. 205–236, hier : S. 206–207 ; Christoph Bernhardt, Urbanisierung im 20. Jahrhundert – Perspektiven und Positionen, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2012, S. 5–12, hier : S. 6–7. 25 Den besten Überblick zu den diversen Trägern des Wohnungsbaus im 20. Jahrhundert liefert für Barcelona : Mercè Tatjer, La vivienda en Cataluña desde una perspectiva histórica : el siglo XX, in : Vivienda y sociedad. Nuevas demandas, nuevos instrumentos, hg. v. Carme Bellet u.a., Barcelona 2008, S. 379–400, online verfügbar unter : http://www.ceut.udl.cat/wp-content/uploads/02-Tatjer. pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Mercedes Tatjer, La vivienda obrera en España de los siglos XIX y XX : De la promoción privada a la promoción pública (1853–1975), in : Scripta Nova. Revista electrónica de geografía y ciencias sociales. Barcelona : Universidad de Barcelona, Nr. 194, 2005, Bd. 9, online verfügbar unter : http://www.ub.es/geocrit/sn/sn-194-23.htm (letzter Zugriff 23.04.2019).
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Das Konzept einer »europäischen Stadt« wurde im Kontext der Erforschung der mittel- und nordwesteuropäischen Städte entwickelt und setzt somit eine relative Homogenität innereuropäischer Verhältnisse voraus. Dazu zählen unter anderem das begrenzte Wachstum, eine scharfe Abgrenzung zwischen Stadt und Land im Selbstverständnis, in den Alltagsnormen und im Lebensstil wie auch ein großes Gewicht der Stadtplanung und somit administratives Bemühen um die Vermeidung unkontrollierter Stadtentwicklungen.26 Dennoch, spätestens mit der Ausweitung des Forschungsinteresses gen Osteuropa kamen Fragen nach möglichen Grenzen des Paradigmas der »europäischen Stadt« auf. Diskutiert wurden dabei vor allem die relative Statik des Begriffs, die eingeschränkte geografische Reichweite sowie normative Implikationen seiner Verwendung als urbanistisches Leitbild.27 Während sich jedoch die Forschung mit den Spezifika der Stadtentwicklung und Urbanisierung in Ost- und Südosteuropa mittlerweile etabliert hat, fehlt es für die Städte im Süden Europas weitgehend an solchen Versuchen.28 Die Entwicklung des europäischen Südens wird oft an den nord- und 26 Hartmut Kaelble, Sozialgeschichte Europas 1945 bis zur Gegenwart, München 2007, S. 374–382. 27 Aus der aktuellen Literatur zu Debatten um die »europäische Stadt« siehe u.a.: Themenschwerpunkt : Die europäische und die amerikanische Stadt, hg. v. Friedrich Lenger, Dieter Schott, Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2007 ; Rahmenthema : Integration und Fragmentierung, Archiv für Sozialgeschichte, Nr. 46, 2006 ; Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung-Entwicklung-Erosion, hg. v. Friedrich Lenger, Klaus Tenfelde, Köln 2006 ; Die europäische Stadt in der Moderne – eine Herausforderung für Sozialgeschichte, Stadtgeschichte und Stadtsoziologie, in : Lenger, Stadt-Geschichten, S. 306–324 ; Friedrich Lenger, Probleme einer Geschichte der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert – Anmerkungen zum Forschungsstand samt einiger Schlussfolgerungen, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2005, S. 96–113 ; Die Europäische Stadt – Mythos und Wirklichkeit, hg. v. Dieter Hassenpflug, Münster 2002 ; Urbanisierung und Stadtentwicklung in Südosteuropa vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, hg. v. Thomas M. Bohn, Marie-Janine Calic, München 2010. 28 Martin Baumeister, Rainer Liedtke, Probleme mit der »europäischen Stadt« : Städte in Südeuropa, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2009, S. 5–14 ; Rainer Liedtke, Verstädterung ohne Urbanisierung ? Südeuropa im 20. Jahrhundert, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2012, S. 47–52. Zur Erforschung südeuropäischer Städte im deutsch- und englischsprachigen Raum siehe u.a.: diverse Beiträge in : Themenschwerpunkt : Städte in Südeuropa, hg. v. Martin Baumeister, Rainer Liedtke, Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2009 ; Sotiris Chtouris u.a., Von der Wildnis zum urbanen Raum. Zur Logik der peripheren Verstädterung am Beispiel Athen, Frankfurt/Main 1993 ; Esen Orhan, Self Service City : Istanbul, Berlin 2005 ; Rom – Madrid – Athen. Die neue Rolle der städtischen Peripherie, hg. v. Volker Kreibich u.a., Dortmund 1993 ; Immigrants and the Informal Economy in Southern Europe, hg. v. Martin Baldwin-Edwards, Joaquín Arango, London 1999 ; Volker Kreibich, The Spatial Form of the Informal City – Rom, Madrid, Dar es Salaam, in : Journal of Area Studies, Nr. 6 (12), 1998, S. 120–134 ; Christof Dipper, Madrid und Rom :
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westeuropäischen Kernzonen der »westlichen Moderne« gemessen und somit als rückständig bzw. vormodern charakterisiert. Dabei spielen Wertungen eine Rolle, die den südeuropäischen Städten einen defizitären Entwicklungsstand oder eine marginale Position aus Sicht der »europäischen Moderne« zuschreiben.29 Hierbei wird insbesondere die informelle Stadtentwicklung südeuropäischer Städte dem »Normalzustand« der öffentlich gesteuerten Urbanisierungsprozesse »Kerneuropas« entgegengesetzt, wobei unter »informellem Stadtwachstum« zunächst vor allem die Illegalität der spontan gebildeten Behausungen verstanden wird. Konkret geht es darum, dass sich die informellen Siedlungen meist aufgrund des Mangels an erschwinglichem Wohnraum außerhalb des formalen, staatlichen Rahmens der öffentlichen Planung entwickelten.30 Erst in den neuesten Hauptstädte ohne eigenes wirtschaftliches Fundament ? In : Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert, S. 387–413 ; Martin Baumeister, Von den centro città zur postindustriellen urbanen Landschaft : Bemerkung zur Rolle der Stadt in der Geschichte Italiens seit der nationalen Einigung, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2006, S. 97–110 ; Martin Baumeister, Grenzen der Stadt. Masseneinwanderung und Öffentlichkeit in Barcelona und Turin 1950–1975, in : Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert, S. 417–436 ; Die mediterrane Agrostadt. Strukturen und Entwicklungsprozesse, hg. v. Francisco López-Casero u.a., Saarbrücken 1989 ; Martin Baumeister, Die Peripherie als Heterotopie : Massenmigration und suburbane Elendsquartiere in Rom und Madrid 1950–1975, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2007, S. 22–35 ; Anna Pelka, Stadt als Raum sozialer Praxis. Großstadtentwicklung in Madrid und Barcelona während des Franquismus, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2015, S. 121–138 ; Barcelona – Weltausstellung und »Modernismo«, in : Clemens Zimmermann, Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung, Frankfurt/Main 2000, S. 141–170 ; Lila Leontidou, The Mediterranean City in Transition. Social Change and Urban Development, Cambridge 1990 ; Ofer Inbal, La Guerra de Agua. Notions of Morality, Respectability, and Community in a Madrid Neighbourhood, in : Journal of Urban History, Nr. 2, 2009, S. 220–235 ; Themenheft : The Mediterranean, hg. v. Antonio Petrov, New Geographies, Nr. 5, 2013 ; Guilio Sapelli, Southern Europe since 1945. Transition and Modernity in Portugal, Spain, Italy, Greece and Turkey, London und New York 1995 ; Thorsten Heitkamp, Die Peripherie von Madrid : Raumplanung zwischen staatlicher Intervention und privater Investition, Dortmund 1997, sowie am Rande auch in : Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013, S. 443–449. 29 Vgl.: Martin Baumeister, Diesseits von Afrika ? Konzepte des europäischen Südens, in : Der Süden. Neue Perspektiven auf eine europäische Geschichtsregion, hg. v. Frithjof Benjamin Schenk, Martina Winkler, Frankfurt/Main 2007, S. 23–47 ; Frithjof Benjamin Schenk, Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung, in : Geschichte und Gesellschaft, Nr. 28, 2002, S. 493–514 ; Orhan, Self Service City, S. 34–36. 30 In diesem Sinne insbesondere : Leontidou, The Mediterranean City, S. 19–23 ; Sasha Tsenkova, Urban Planning and Informal Cities in Southeast Europe, in : Journal of Architectural and Planning Research, Nr. 29 (4), 2012, S. 292–305 ; Peter Hall Geoffrey, Ulrich Pfeiffer, Urban Future 21 : A Global Agenda for Twenty-First Century Cities, London 2000.
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Forschungen wird zunehmend darauf hingewiesen, dass die Grenzen zwischen »formell« und »informell« in der Stadtentwicklung fließend sind und dass das Phänomen der Informalität sich keinesfalls nur durch die Dichotomie zwischen dem Legalen und dem Illegalen sowie dem Geplanten und dem Spontanen charakterisieren lässt.31 In Spanien verweisen die noch schwach entwickelten stadtgeografischen und sozialwissenschaftlichen Forschungen auf die spezifischen Bedingungen des Franco-Regimes und somit auf eine Rückständigkeit und strukturelle Marginalität, die ihnen zufolge die Position der Städte kennzeichneten.32 Solche Wertungen kommen in Untersuchungen zum Tragen, die die Entwicklung der neuen städtischen Peripherien unter dem Aspekt des repressiven Charakters des Franco-Regimes analysieren. Dazu gehören insbesondere Studien zum Thema der Land-Stadt-Migration33 und der informellen Barackensiedlungen.34 Dabei versteht man in der spanischen Forschung unter »informell«, dass sich die Zuwanderer eine »eigene Stadt« ohne jegliche Referenz zu dem komplexen bürokratischen Apparat der Planung und Kontrolle der formalen Stadt gleich nebenan bauten. Dieses Verständnis basiert auf der Dichotomie zwischen geplanter, öffentlich gesteuerter Stadtentwicklung und nicht geplantem Stadtwachstum in Form einer illegalen Praxis der Selbsthilfe der Migranten.35 Die ungeordnete Bildung der Barackensiedlungen wird in diesen Studien unter den Aspekten der sozialen 31 Dazu insbesondere : Liedtke, Verstädterung, S. 47–52 ; Denis Bocquet, Challenges to Urbanity in Contemporary Mediterranean Metropolises. New Urban Forms, Dynamics, Boundaries and Tensions, in : Themenheft : The Mediterranean, S. 235–246. 32 Hier besonders : Manuel Castells, Ciudad, democracia y socialismo. La experiencia de las Asociaciones de vecinos de Madrid, Madrid 1977. In den neuesten Forschungsarbeiten wird ebenfalls oft die Existenz der Barackensiedlungen und Schlafsiedlungen als eine spezifisch franquistische oder sogar faschistische Form der Stadtentwicklung mit einer gezielten Diskriminierung der Arbeiterfamilien durch das Regime interpretiert. Siehe u.a.: Ivan Bordetas Jiménez, Nosotros somos los que hemos hecho esta ciudad. Autoorganización y movilización vecinal durante el tardofranquismo y el proceso del cambio político, Barcelona 2012, Dissertation, online verfügbar unter : http://www.tdx. cat/bitstream/handle/10803/96186/ivj1de1.pdf ?sequence=1 (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Jordi Borja, Revolución urbana y derechos ciudadanos : Claves para interpretar las contradicciones de la ciudad actual, Barcelona 2012, Dissertation, online verfügbar unter : https://derechoalaciudadflacso.files.wordpress.com/2014/01/jordi-borja-revolucion-urbana-y-derechos-ciudadanos.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019). 33 Insbesondere : Memòries del viatge (1940–1975) ; Marín, La immigració a Barcelona. 34 Vgl. vor allem Barracas. La Barcelona informal del siglo XX, hg. v. Mercé Tatjer, Cristina Larrea, Barcelona 2010 ; Barraquisme, la ciutat (im)possible ; Tomás Martín Arnoriega, Del barro al barrio. La meseta de Orcasitas, Madrid 1997. 35 Insbesondere : Barracas. La Barcelona informal del siglo XX.
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Ausgrenzung und der politischen Repression untersucht ; dabei werden auch Aspekte der Politik der repressiven Liquidierung der Barackensiedlungen sowie der Errichtung defizitärer Arbeitersiedlungen während des Regimes angesprochen.36 Mit diesem Themenkomplex werden Untersuchungen zu den Modernisierungsversuchen des Regimes am Beispiel des sozialen Wohnungsbaus verknüpft, der überwiegend aus architekturgeschichtlicher Perspektive dargestellt wird.37 Die meisten dieser Arbeiten beschränken sich auf die Zeit bis zur Mitte der 1950er Jahre. Die zweite Interessensperiode umfasst die späten 1960er und 1970er Jahre mit dem Thema der Bildung von Nachbarschaftsvereinen und Protesten im metropolitanen Raum.38 Da sich viele Mitglieder illegaler politischer und system36 Hier besonders : José Luis Oyón, Borja Iglesias, Las barracas y la infravivienda en la construcción de Barcelona, 1914–1950, in : Barracas. La Barcelona informal del siglo XX, S. 23–36 ; Amador Ferrer, Barracas y polígonos de viviendas en la Barcelona del siglo XX, in : Barracas. La Barcelona informal del siglo XX, S. 61–79 ; Jaume Camallonga, La intervención de la Administración en el barraquismo, in : Barracas. La Barcelona informal del siglo XX, S. 159–166 ; Ivan Bordetas, Habitatge i assentaments, de la postguerra a l’estabilització, in : Memòries del viatge (1940–1975), S. 51–69 ; Arnoriega, Del barro al barrio ; Manuel Valenzuela Rubio, Iniciativa oficial y crecimiento urbano en Madrid (1939–1973), in : Estudios Geográficos, Nr. 137, 1974, S. 593–655 ; Martin Wynn, Peripheral Urban Growth in Barcelona in the Franco Era, in : Iberian Studies, Nr. 1, 1979, S. 13–28 ; Charlotte Vorms, Madrid années 1950 : La question des baraques, in : Le Mouvement Social, Nr. 245, 2013, S. 43–57. 37 Insbesondere : Luis Fernández-Galiano u.a., La quimera moderna. Los poblados dirigidos de Madrid en la arquitectura de los 50, Madrid 1989 ; López Díaz, La vivienda social en Madrid ; Les Vivendes del Congrés Eucarístic de Barcelona. 1952–1962, hg. v. Maribel Rosselló, Barcelona 2011 ; Amador Ferrer i Aixalà, Els polígons de Barcelona, Barcelona 1996 ; La vivienda en Madrid en la década de los 50 ; Sambricio, Madrid : ciudad-región ; Isabel Segura, L’arquitectura de la SEAT com a marca. La modernitat s’instal·la als suburbis, in : Barcelona malgrat el franquisme, S. 93–108 ; La vivienda experimental. Concurso de viviendas experimentales de 1956, hg. v. COAM, Madrid 1997 ; La vivienda protegida, hg. v. Carlos Sambricio, Madrid 2009 ; María Antonia Fernández Nieto, Las Colonias del Hogar del Empleado. La periferia como ciudad, unveröff. Dissertation, Madrid 2006 ; Los años 50 : La arquitectura española y su compromiso con la historia. Actas del Congreso Internacional, Pamplona, 16/17 marzo 2000, Pamplona 2000. 38 Die historische Bewegungsforschung erlebt seit 2000 einen wahren Boom, sodass die Literaturfülle immens ist. Daher wird hier nur auf einige Beispiele seit 2000 eingegangen : Construint la ciutat democràtica. El moviment veïnal durant el tardofranquisme i la transició, hg. v. Carme Molinero, Pere Ysàs, Barcelona 2010 ; Vicente Pérez Quintana, Memoria ciudadana y movimiento vecinal. Madrid 1968–2008, Madrid 2008 ; Bordetas, Nosotros somos ; Pamela Beth Radcliff, Making Democratic Citizens in Spain. Civil Society and the Popular Origins of the Transition, 1960–78, Basingstoke 2011 ; Nico Calavita, Amador Ferrer, Behind Barcelona’s Success Story. Citizen Movements and Planners’ Power, in : Journal of Urban History, Nr. 6, 2000, S. 793–807 ; Themenheft : Movimiento vecinal y cambio político, Historia del Presente, Nr. 16, 2011 ; Igor Ahedo Gurrutxaga, Acción colectiva vecinal en el tardofranquismo : El caso de Rekalde, Historia
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kritischer Gruppierungen den Nachbarschaftsvereinen anschlossen und von dort den Wandel der politischen Situation forderten, sind diese historischen Studien ausschließlich unter dem Blickwinkel der Entwicklung der politischen Opposition und deren Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft konzipiert.39 y Política, Nr. 23, 2010, S. 275–296 ; Javier Contreras Becerra, Movimiento vecinal y democracia. Los casos de Jaén y Linares, 1964–1983, unveröffentlichte Dissertation, Granada 2010 ; María Carmen García-Nieto, Marginalidad, movimientos sociales, oposición al franquismo. Palomeras, un barrio obrero de Madrid, 1950–1980, in : La oposición al régimen de Franco, hg. v. Javier Tusell Gómez u.a., Bd. 2, Madrid 1991, S. 269–285 ; Constantino Gonzalo Morell, Movimiento vecinal y cultura política democrática en Castilla y León. El caso de Valladolid (1964–1986), Dissertation, Universidad de Valladolid, 2011, online verfügbar unter : http://www.vecinosvalladolid.org/IMG/ pdf/tesis_doctoral_constantino_gonzalo_morell.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Diego Pérez, Vigueses na democracia. Historias do movimento veciñal (1974–1999), Vigo 2000 ; Ivan Bordetas Jiménez, El movimiento vecinal en el tránsito de la resistencia a la construcción de alternativas, in : Historia del Presente, Nr. 16, 2010, S. 43–61 ; Rafael Quirosa-Cheyrouze y Muñoz, Mónica Fernández Amador, El movimiento vecinal. La lucha por la democracia desde los barrios, in : La sociedad española en la transición : Los movimientos sociales en el proceso, hg. v. Rafael Quirosa-Cheyrouze y Muñoz, Madrid 2011, S. 207–220 ; Cristina Gómez Cuesta, Luchas urbanas, voces ciudadanas. Los orígenes del movimento vecinal, 1964–1982, in : Conflictividad y movimientos sociales en Castilla y León. Del tardofranquismo a la democracia (=Historia y sociedad 142), hg. v. Pablo García Colmenares, Valladolid 2010, S. 95–138 ; Pere Guaita Jimenéz, Per les llibertats i la democràcia. La lluita del movimient associatiu a Cornellà de Llobregat, Cornellà 2008 ; Jorge Sequera Fernàndez, Del movimiento vecinal a las movilizaciones por una vivienda digna en Madrid. De la necesidad hecha derecho al derecho hecho necesidad, in : Nómadas. Revista Crítica de Ciencias Sociales y Jurídicas, Nr. 29, 2011, online verfügbar unter : https://pendientedemigracion.ucm.es/info/nomadas/29/jorgesequera.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Pamela Radcliff, La construcción de la ciudadanía democrática. Las asociaciones de Vecinos en Madrid en el último franquismo, in : La transició de la dictatura franquista a la democràcia, hg. v. Centre d’Estudis sobre les Èpoques Franquista i Democràtica, Barcelona 2005, S. 96–101, online verfügbar unter : http://centresderecerca.uab.cat/cefid/sites/centresderecerca.uab.cat.cefid/files/comunicacions.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Pamela Radcliff, Ciudadanas : Las mujeres de las asociaciones de vecinos y la identidad de género en los años setenta, in : Memoria ciudadana y movimiento vecinal, hg. v. Vicente Pérez Quintana, Pablo Sánchez León, Madrid 1968–2008, Madrid 2008, S. 54–78 ; Javier Contreras Becerra, La democracia se asienta en los barrios. Modelos de ciudadanía en el movimiento vecinal. Un estudio de caso (1975–1983), in : Nuevos horizontes del pasado : Culturas políticas, identidades y formas de representación, hg. v. Ángeles Barrio Alonso, Jorge de Hoyos Puente, Rebecca Saavedra Arias, Santander 2011, S. 107–117 ; Javier Contreras Becerra, Movimiento vecinal e identidades de barrio. Un estudio de la democratización local (Andalucía, 1964–1983), in : Historia, identidad y alteridad : Actas del III Congreso Interdisciplinar de Jóvenes Historiadores, hg. v. José Manuel Aldea Celada, Salamanca 2012, S. 659–684 ; Javier Contreras Becerra, La legitimidad se gana en la calle. Las acciones disruptivas del movimiento vecinal andaluz (1968–1987), in : Revista de Historia Actual, Nr. 11, 2014, S. 91–103. 39 Als Ausnahme kann die Dissertation von Nina Schierstaedt gelten, in der die Nachbarschaftsbewegungen aus der raumbezogenen Perspektive untersucht wurden : Nina Schierstaedt, Kampf
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Die in jüngster Zeit merklich intensivierte Forschung konzentriert sich somit weitgehend auf politische Fragen im engeren Sinne.40 Soziale Basisprozesse sowie Aspekte der Entwicklung und des Wandels städtischen Raums bleiben völlig unterbelichtet. Die hier vorliegende Studie dagegen vollzieht – in Abgrenzung zur aktuellen spanischen Forschung – einen paradigmatischen Wechsel vom Objekt (Stadt) zum Prozess (Verstädterung und Urbanisierung). Konzeptionell orientiert sich diese Untersuchung an der Theorie von Henri Lefebvre, der in seinen prozessorientierten Raumbegriff ein breites Spektrum sozialer Akteure einbezieht.41 Die Stadtentwicklung ist somit als ein gesellschaftlicher »Produktionsprozess« zu verstehen, der von den Subjekten und ihren sozialen Beziehungen ausgeht. Diese methodische Vorgehensweise erlaubt es, den Raum – die »Stadtperipherie« – als »historisches Produkt« (Henri Lefebvre) zu betrachten und somit das Erkenntnisinteresse nicht an den Raum als solchen, sondern an dessen Entstehung zu richten.42 Entsprechend geht es in dieser Untersuchung darum, die »Produktionsverhältnisse und die Produktionsweise«43 sowie deren Protagonisten zu analysieren. Sind die Peripherien ein Ort, an dem der gesamtgesellschaftliche Wandel von einer agrarischen in eine um den städtischen Raum. Die Madrider Nachbarschaftsbewegungen im Spätfranquismus und Demokratisierungsprozess, Bochum 2017. 40 Dazu zählen auch zahlreiche Arbeiten zur Gesetzgebung im Bereich der Stadt- und Urbanisierungspolitik, u.a.: Trevor Goldsmith, From Falangism to Technocracy : The Legislation and the Reality of Spanish Urbanism in Barcelona, 1939–1976, in : Journal of Urban History, Nr. 3, 2011, S. 331–354 ; Amador Ferrer, Vivienda y vivienda social en el Área Metropolitana de Barcelona. Una visión retrospectiva, in : Vivienda y sociedad, S. 537–558, online verfügbar unter : http://www. ceut.udl.cat/wp-content/uploads/02-Tatjer.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Políticas urbanas en España. Grandes ciudades, actores y gobiernos locales, hg. v. Mariela Iglesias u.a., Barcelona 2011, online verfügbar unter : http://www.icariaeditorial.com/pdf_libros/politicas%20urbanas%20en%20Espana%20para%20web.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019) ; Ramón Betrán Abadía, De aquellos barros, estos lodos. La política de vivienda en la España franquista y postfranquista, in : Acciones e Investigaciones Sociales, Nr. 16, 2002, S. 25–67 ; Terán, Planeamiento urbano ; De les cases barates als grans polígons. El Patronat Municipal de l’Habitatge de Barcelona entre 1929 i 1979, hg. v. Patronat Municipal de l’Habitatge, Barcelona 2003 ; Luis Moya González, Barrios de Promoción Oficial. Madrid 1939–1976. La política de promoción pública de vivienda, Madrid 1983 ; María Luisa Gómez Jiménez, La intervención administrativa en el sector de la vivienda, Málaga 2004, online verfügbar unter : http://riuma.uma.es/xmlui/bitstream/ handle/10630/5361/TDR_GOMEZ_JIMENEZ.pdf ?sequence=1 (letzter Zugriff 23.04.2019). 41 Henri Lefebvre, La producion de l’espace, Paris 1974. Siehe auch : Christian Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes, Stuttgart 2010. 42 Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft, S. 203. 43 Ebd., S. 204.
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urbane Gesellschaft manifest wurde,44 gilt das besondere Interesse ihren Entwicklungsprozessen, in denen sich die politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen von Gesellschaft erkennen lassen. Den Ausgangspunkt für die Überlegungen bildet die These, dass das Franco-Regime politischen Anspruch auf den Primat der Kontrolle und Lenkung des Städtewachstums und der Stadtentwicklung erhob, in den Prozessen der Verstädterung und Urbanisierung aber de facto in einer ambivalenten Beziehung der Kooperation und Konkurrenz mit einer Vielzahl weiterer Akteure stand. Demnach wird in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure in den Verstädterungs- und Urbanisierungsprozessen in den Blick genommen. Es fließen Fragen nach dem Verhältnis von öffentlicher Steuerung und Selbstregulation, von »formeller« und »informeller« Stadtentwicklung wie auch nach den Strategien der staatlichen und lokalen Verwaltungen im Hinblick auf das Stadtwachstum ein. Das besondere Interesse gilt dabei den lokalen Akteuren, die – im Gegensatz zu den zentralen staatlich-politischen Organen45 – von der Forschung bisher völlig außer Acht gelassen wurden. Im Mittelpunkt stehen demnach zum einen die Stadtverwaltungen und ihre Rolle für den Urbanisierungsprozess.46 Zum anderen richtet sich der Blick auf die städtischen Eliten und in besonderer Weise auf die lokalen Medien, vor allem auf die städtische Presse. Werden in der historischen Forschung für die Spätphase des Franquismus nur die Nachbarschaftsvereine als (neue) Akteure in den Vordergrund gestellt, dienen Medien und deren Berichterstattung meist nur als Quellen für die Erforschung dieser Periode. Auch in den medienwissenschaftlichen Studien bleibt die ortsgebundene soziokulturell-personelle Verankerung von Presseorganen, mithin also deren Bedeutung als lokaler Akteur, unberück44 Vgl.: Baumeister, Die Peripherie als Heterotopie, S. 24. 45 In erster Linie geht es um das staatliche Gewerkschaftswerk Obra Sindical del Hogar. Siehe u.a.: Ana María Elena Díaz, La política de la vivienda y la contribución de la Obra Sindical del Hogar en la producción del espacio urbano : un caso concreto, Madrid 1939–1960, Madrid 1985 ; Miguel Lasso de la Vega Zamora, La Obra Sindical del Hogar y su actuación, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 249–251 ; López Diaz, La vivienda social en Madrid ; Iñaki Bergera Serrano, Obra Sindical del Hogar : tres décadas de vivienda social, in : La vivienda protegida, S. 121–143. 46 Für Katalonien lieferte Martí Marín die Studie : Els ajuntaments franquistes a Catalunya. Política i administració municipal, 1938–1979, Lleida 2000, die jedoch die Stadtverwaltungen ausschließlich aus dem politischen Blickwinkel als »faschistische Stadtverwaltungen« untersucht. Ebenfalls auf politische Fragen deutet die Studie über lokale Machtkonstellationen in Almería : Óscar Rodríguez Barreira, Miserias del poder. Los poderes locales y el nuevo Estado franquista 1936–1951, Valencia 2013. Die Rolle der lokalen Verwaltungen für den Urbanisierungsprozess bleibt völlig unbeachtet.
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sichtigt.47 In der Regel steht nur die Rolle der Presse für den Demokratisierungsprozess Spaniens infolge des etwas liberaleren Pressegesetzes, 1966 vom Minister für Information und Tourismus Manuel Fraga Iribarne (1962–1969) verabschiedet, im Vordergrund.48 Demgegenüber wird in der vorliegenden Studie angenommen, dass die lokalen Medien nicht nur bei der Gestaltung von Öffentlichkeit vor Ort eine zentrale Rolle einnahmen, sondern auch den Wandel des urbanen Raumes wesentlich beeinflussten. Demnach sind die lokalen Medien als Hauptakteure in den Urbanisierungsprozessen zu verstehen. Mit dem Blick auf die städtischen Eliten, worunter diverse katholische Gruppierungen wie etwa Piaristen, Caritas oder einzelne katholische Priester,49 aber auch Architekten und Stadtplaner zu verstehen sind, verbinden sich weitergehende Fragen nach deren Rolle für den urbanen Wandel. Dabei geht es nicht nur um die Verbreitung infrastruktureller Versorgung, sondern auch um Versuche, die zugewanderten Landarbeiter an zivilgesellschaftlichen Prozessen partizipieren zu lassen. Des Weiteren geht es auch um Reformkonzepte sowie um die Frage, wie die neuen Stadtränder wahrgenommen und bewertet wurden – und wie diese Perzeption dann wiederum auf die Bestimmung politischer und sozialer Problemlagen und die Verhandlung von Deutungshoheiten rückwirkte. Damit verbunden sind auch Fragen nach Grenzziehungen im urbanen Raum sowie nach Zugehörigkeit und Exklusion und den damit verbundenen Fragen städtischer Identitäten.
47 Zum Verhältnis von Stadt und Medien siehe u.a.: Clemens Zimmermann, Einleitung : Stadt und Medien, in : Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Clemens Zimmermann, Köln 2012, S. 1–18 ; Clemens Zimmermann, Medien und Stadt, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2007, S. 70–85. 48 Carlos Barrera, Periodismo y franquismo. De la censura a la apertura, Barcelona 1995, S. 96. Siehe u.a.: Carlos Barrera, La apertura informativa como elemento configurador de la prensa del tardofranquismo, in : La comunicación social durante el franquismo, hg. v. Juan Antonio García Galindo u.a., Málaga 2002, S. 411–427. 49 In der bisherigen Forschung wurde der Blick auf die Bedeutung der katholischen Priester ausschließlich für die Entwicklung der Nachbarschaftsvereine und das Engagement der Priester in der politischen Opposition gerichtet : Radcliff, Making Democratic Citizens ; Daniel Francisco Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas contra Franco, Cádiz 2003 ; Pere Ysàs, Disidencia y subversión : la lucha del régimen franquista por su supervivencia, 1960–1975, Barcelona 2004 ; Javier Domínguez, Organizaciones Obreras Cristianas en la oposición al franquismo (1951–1975), Bilbao 1985 ; Rafael Díaz-Salazar, Iglesia, Dictadura y Democracia. Catolicismo y sociedad en España (1953–1979), Madrid 1981, S. 171–312 ; Rafael Díaz-Salazar, El factor católico en la política española. Del nacionalcatolicismo al laicismo, Madrid 2006. Dagegen blieb die Rolle der Priester für den urbanen Wandel bislang vollkommen unberücksichtigt.
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Die vorliegende Arbeit wurde von Beginn an als eine vergleichende Studie zweier spanischer Metropolen konzipiert.50 Die spezifischen Bedingungen der Franco-Diktatur ließen viele Gemeinsamkeiten in der Stadtentwicklung beider Metropolen vermuten. Dennoch gilt das besondere Interesse in zweierlei Hinsicht der Kontrastierung :51 Erstens geht es insbesondere um die Stadt als politischen Akteur. Gefragt werden soll nach der Rolle und den politischen Kompetenzen der Stadtverwaltungen beider Städte im Kontext der politischen Funktion Madrids als Hauptstadt des Landes und Barcelonas als Kapitale der Region Katalonien. Damit verknüpfen sich auch Fragen nach dem Verhältnis zwischen (politischem) Zentrum und (politischer) Peripherie. Zweitens geht es um die unterschiedlichen Erfahrungen beider Städte mit Land-Stadt-Migrationen und den Prozessen der Industrialisierung und Urbanisierung, die es ermöglichen, Kontinuitäten bzw. Brüchen in den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen nachzuspüren. Die Faktoren der longue durée sollen dabei in der Studie besonders berücksichtigt werden. Im Laufe der Recherchen stieß jedoch die heuristische Strategie des Vergleichs quellenbedingt auf Grenzen. Das vorhandene Archivmaterial ließ es nur schwer zu, parallele Vergleichspunkte für die gesamte Analyse zu erstellen. Um nur ein Beispiel zu nennen : Während in Barcelona das Diözesanarchiv den Wissenschaftlern Zugang zu umfangreichen Archivbeständen ermöglicht, stoßen die Nutzer in Madrid bereits bei Anfragen auf Verschlossenheit. Somit lässt sich die Rolle der Kirche in den Urbanisierungsprozessen in den beiden Städten kaum mit gleicher Tiefe nachvollziehen. Im Zuge der Quellenrecherchen mussten zuvor festgelegte Fragestellungen daher zwangsläufig revidiert werden ; in Bezug auf die Zugangsbedingungen vor Ort erwiesen sich Kontingenz und Abhängigkeit von willkürlichen Regelungen als Faktoren, die den thematischen Zuschnitt der vorliegenden Studie in stärkerem Maße beeinflussten als gedacht. So ergibt sich auf den ersten Blick eine recht asymmetrische bzw. defizitäre kom50 Zum Städtevergleich siehe u.a.: Marc Schalenberg, Städtevergleich : Ein Mittelweg zwischen Stadtbiographien und Urbanisierungsparadigma ? In : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2012, S. 18–22. Vergleichende Studien zu Städten im südeuropäischen Raum spielen bisher kaum eine Rolle. Ausnahmen sind : Maiken Umbach, A Tale of Second Cities : Autonomy, Culture, and Law in Hamburg and Barcelona in the Late Nineteenth Century, in : The American Historical Review, Nr. 110 (3), 2005, S. 650–692 ; James Amelang, Comparing Cities : A Barcelona Model ? In : Urban History, Nr. 34, 2007, S. 173–189 ; Baumeister, Grenzen der Stadt. 51 Zum historischen Vergleich als Methode siehe u.a.: Historischer Vergleich : Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in : Heinz-Gerhard Haupt, Jürgen Kocka, Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt/Main 1996, S. 9–45.
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paratistische Perspektive, was die Behandlung einzelner thematischer Aspekte angeht. Der übergreifende, die unterschiedlichen Einzelpunkte synthetisierende Blick auf die gesamte Analyse ermöglicht es jedoch, Erkenntnisse über relevante Unterschiede und Ähnlichkeiten in den Stadtentwicklungen beider Metropolen hervorzubringen. Zum Aufbau der Studie Die Arbeit ist in drei chronologisch geordnete Kapitel gegliedert. Die Entscheidung für diese Form des strukturierenden Zugriffs wurde durch Fragen nach dem Verhältnis zwischen Raum und Zeit bedingt : Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der neuen städtischen Peripherien im Kontext der Franco-Diktatur. Dabei entspricht die Periodisierung der jeweiligen Kapitel wichtigen Zäsuren in der politischen Entwicklung des Regimes,52 die als relevant für das Handeln und/ oder Mitwirken der analysierten Akteure angenommen werden. Innerhalb eines jeden großen Kapitels wiederum ergibt sich eine systematisch ausgerichtete Analyse relevanter Sachverhalte und Prozesse anhand ausgewählter Fallbeispiele, die sich auf konkrete Siedlungen oder Stadtviertel beziehen und die einzelnen Unterkapitel bilden. Im Anschluss an die Einführung beginnt die Studie mit Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Zuwanderung, Stadtwachstum und den daraus resultierenden Reaktionen der staatlichen und kommunalen Verwaltungsorgane. Zeitlich werden hier die 1940er und 1950er Jahre bis etwa zur politischen Krise 1956 in den Blick genommen, die darauffolgend zum Regierungswechsel 1957 führte. Im ersten Kapitel geht es also um die erste Phase des Regimes und die Dominanz der sog. Alt-Falangisten (die bereits in den 1930er Jahren der ursprünglichen faschistischen Bewegung Falange angehörten, bevor diese zur Staatspartei wurde) in stadt- und wohnungspolitischen Angelegenheiten. Im Zentrum der Analyse stehen die Ordnungsvorstellungen hinsichtlich der Stadt und der Stadtperipherien seitens der Falange und somit der zentralen Verwaltungsorgane sowie die Logik der Entstehung informeller Barackensiedlungen (ausgeführt am Beispiel der Madrider Barackensiedlung Pozo del Tío Raimundo). Im Weiteren geht es um die Strategien der Kommunen, die zwischen den po52 Über die Periodisierung der Franco-Diktatur sind sich die Historiker nicht einig. Den besten Überblick über mögliche Periodisierungsversuche liefert : Moradiellos, La España de Franco, S. 24–27.
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litischen Ansprüchen der zentralen staatlichen Verwaltungen und der Realität der Migration vor Ort lavierten (am Beispiel der Barackensiedlung Camp de la Bota in Barcelona). Zuletzt werden auch die ersten Urbanisierungsprojekte in Barcelona vorgestellt (Can Clos, Verdún, Viviendas del Congreso Eucarístico), in denen sich der sozialpolitische Umgang der jeweiligen Akteure mit Migranten wie auch Kontinuitäten bzw. Brüche in den Entwicklungspfaden der Stadtperipherien jenseits der politischen Zäsuren erkennen lassen. Das zweite Kapitel umfasst die Periode der Hochphase der Verstädterung und Urbanisierung in den späten 1950er und den 1960er Jahren. Die Grenzzäsuren bilden dabei das Jahr 1957 mit dem relevanten Regierungswechsel und den damit verbundenen Umstrukturierungen in den staatlichen und kommunalen Verwaltungsorganen sowie die Zeit um 1966, als die öffentlichen und halböffentlichen Initiativen im Wohnungsbau fast komplett den privaten Großbauunternehmen überlassen wurden.53 Im Zentrum des Interesses steht hierbei die Interaktion zwischen diversen Akteuren in den Urbanisierungsprozessen, mit besonderem Augenmerk auf den städtischen Verwaltungen und Eliten. Unter diesen Eliten wird der Blick besonders auf unterschiedliche christliche Akteure gerichtet, die sich seit Beginn der 1960er Jahre zunehmend den Stadtperipherien und deren Bewohnern annäherten. Einen wichtigen Impuls für das Engagement solcher religiöser Gruppen gab einerseits das II. Vatikanische Konzil (1962–1965), das die traditionellen religiösen Werte in Frage stellte, die jedoch nach wie vor von der katholischen Kirche in Spanien vertreten wurden. Anderseits wurzelte eine solche Annährung auch im ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandel der 1960er Jahre, der gesellschaftliche Erwartungen generierte, die vom Regime nicht erfüllt wurden. Am Beispiel der Entstehung von Siedlungen wie Entrevías in Madrid und Montbau in Barcelona sowie der Urbanisierungsarbeiten im Stadtviertel Roquetas (Barcelona) wird der Blick besonders auf die Kooperation und/oder Konkurrenz zwischen den jeweiligen staatlichen, kommunalen und christlichen Akteuren gerichtet. Hier gilt es einerseits die Frage zu beantworten, inwieweit die (politische) Konkurrenzsituation eine urbanisierungsstiftende Wirkung hatte. Hier53 Moisés Llordén Miñambres, La política de vivienda del régimen franquista : nacimiento y despegue de los grandes constructores y promotores inmobiliarios en España, 1939–1960, in : Los empresarios de Franco. Política y economía en España, 1936–1957, hg. v. Glicerio Sánchez Recio, Julio Tascón Fernández, Barcelona 2003, S. 145–169, hier : S. 159 ; Xavier Tafunell i Sambola, La construcció : una gran indústria i un gran negoci, in : Història econòmica de la Catalunya contemporánia. Siglo XX (=Enciclopèda Catalana), Bd. 6, Barcelona 1989, S. 213–241, hier : S. 234 ; Carreño Piera, Proceso de suburbialización, S. 106.
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bei geht es um Interessens- und Machtkonflikte zwischen diversen christlichen Akteuren wie auch zwischen den kommunalen Verwaltungen. Das Beispiel der Barackensiedlung Camp de la Bota, die sozial zwar eine Einheit bildete, sich administrativ jedoch in zwei benachbarten Städten – Barcelona und Sant Adrià de Besòs – befand, dient hierbei als exemplarischer Ort, an dem Konkurrenzverhältnisse zwischen zwei Stadtverwaltungen in der Metropolregion und ihre Rolle für den Wandel des urbanen Raums untersucht werden sollen. Schließlich eruiert das Kapitel auch die Rolle der städtischen Akteure für die zivilgesellschaftliche Involvierung der Peripheriebewohner und die Frage, inwieweit die franquistischen Verwaltungen an der Entwicklung solcher zivilgesellschaftlichen Mechanismen beteiligt waren. Das Jahr 1966 und die Verabschiedung des neuen Fragas-Pressegesetzes markiert die Anfangszäsur für das abschließende dritte Kapitel, in dem die städtische mediale Öffentlichkeit und ihre Rolle für den urbanen Wandel bis zum Ende der Franco-Diktatur ins Zentrum des Interesses rücken. Selbstverständlich sind Medienöffentlichkeiten auch in den ersten beiden Kapiteln als Diskursträger präsent, doch insbesondere im dritten Teil tritt die lokale Presse dann als eigentlicher Hauptakteur in Erscheinung. Im Fokus der Analyse steht hierbei die Annäherung zwischen der Presse und dem Raum, in dem sich die »urbane Krise« als Ausdruck der Widersprüche des spanischen »Wirtschaftswunders« manifestierte. Gefragt wird nach dem Kommunikationsmodus von Stadteliten und der Publikationspolitik städtischer Gremien54 und darüber hinaus nach der Rolle der städtischen Presse für die materielle Entwicklung der Stadtperipherien (Fallbeispiel Camp de la Bota in Barcelona/Sant Adrià de Besòs). Im Weiteren geht es um den Einfluss der lokalen Presse für die Bildung lokaler Identitäten (Madrider Stadtviertel Moratalaz) wie auch für die Produktion von Stadtbildern (Stadtviertel La Mina in Barcelona/Sant Adrià de Besòs).55 Es gilt unter 54 Vgl.: Zimmermann, Medien und Stadt, S. 70–85. 55 Bis jetzt fanden vorwiegend die literarischen Stadtbilder Interesse, darunter vor allem der Roman »Tiempo de silencio« von Luis Martín-Santos (1962). Siehe u.a.: Albrecht Buschmann, Peripherie ohne Zentrum ? Vom Funktionswandel der Metropolendarstellung bei Martín-Santos und Pasolini, Lodoli und Umbral, in : Die andere Stadt. Großstadtbilder in der Perspektive des peripheren Blicks, hg. v. Albrecht Buschmann, Dieter Ingenschay, Würzburg 2000, S. 103–113 ; Baumeister, Grenzen der Stadt ; Petra Derra, Huren, Heuchler, Habenichtse, ein Blick von der anderen Seite der spanischen Gesellschaft auf das Madrid der 60er Jahre in Gonzalo Torrente Ballesters Off-side (1969), in : Die andere Stadt, S. 114–121 ; Joan Ramon Resina, Madrids Palimpsest. Die Hauptstadt gegen den Strich gelesen, in : Die andere Stadt, S. 122–143. In geringerem Maße werden auch filmische Darstellungen analysiert : José Carlos Rueda Laffond, Carlota Coronado Ruiz, Espejos y espejismos históricos : lecturas sobre Madrid en el cine, in : Madrid. Sociedad y espacio
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anderem zu beantworten, wie die Medienbilder generiert wurden und wie diese möglicherweise die Wahrnehmung der Stadt beeinflussten. Dem dritten Kapitel folgt das Schlusskapitel, das die Ergebnisse der Arbeit zusammenfasst und die Befunde im Kontext der Forschung verortet. Zur Quellenlage Für die Untersuchung wurde weitgehend neues und bislang ungenutztes Quellenmaterial erschlossen. Dies gelang trotz einer schwierigen Quellenlage in Spanien. Die Recherche wurde zum einen durch die langwierigen Prozeduren der Nutzungserlaubnis verlangsamt (besonders in den staatlichen und ministerialen Archiven), zum anderen durch die Tatsache, dass viele Archive nur teilweise katalogisiert sind. Oftmals handelte es sich auch um private Archivbestände, die ebenfalls ungeordnet und kaum per Katalog erfasst sind. Einige Quellenbestände ließen sich nur durch persönliche Kontakte und Netzwerke aufspüren. In Hinblick auf die Archivrecherchen sei in diesem Zusammenhang nochmals angemerkt, dass Barcelona den Wissenschaftlern mehr Möglichkeiten bietet als Madrid. Die enormen Quellenbestände des Nationalen Archives Kataloniens (Arxiu Nacional de Catalunya) enthalten neben Quellenmaterial zu verschiedenen Verwaltungsorganen und deren Schriftverkehr in der Metropolregion sowie Fotobeständen zusätzlich den kompletten Bestand des Bürgermeisters Barcelonas Josep Maria de Porcioles i Colomer (1957–1973). Urbanisierungsprojekte und in geringerem Maße auch Verwaltungsakten der Stadtverwaltung Barcelona sind im Stadtarchiv Barcelona (Arxiu Municipal Contemporani de Barcelona) zu sichten. Einen interessanten und inhaltlich diversen Quellenbestand bietet das Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona (IMHAB). In dessen Archiv befinden sich neben umfangreichen Sammlungen zu Urbanisierungsprojekten auch Dokumente zu organisierten Debatten und Kongressen, durchgeführten Studien, zahlreiche Behördenkorrespondenzen sowie der Schriftverkehr mit Bewohnern. Außerdem stellt das Archiv Publikationen und Fotomaterial zur Verfügung. Die Bewertung und Wahrnehmung der einzelnen Stadtviertel, die unter anderem in Schriften und Beschwerden der Bewohner ersichtlich werden, wie auch mögliche Konflikte zwischen verschiedenen Behörden lassen sich urbano de Madrid en el siglo XX, hg. v. Museo de Historia de Madrid, Madrid 2010, S. 82–99. Zahlreiche Hinweise auf literarische und filmische Bezüge auch in : Marcello Caprarella, Madrid durante el franquismo. Crecimiento ecónomico, políticas de imagen y cambio social, Madrid 1999.
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in den Quellenbeständen des Zivilgouverneurs in Barcelona, untergebracht im Arxiu General de la Subdelegació del Govern a Barcelona, erfassen. Als besonders aufschlussreich erwiesen sich die Quellensammlungen der kirchlichen Archive in Barcelona. Das Diözesanarchiv (Arxiu Diocesà de Barcelona) verfügt über einen immensen Bestand zum Urbanisierungsprojekt Viviendas del Congreso Eucarístico wie auch zur Rolle diverser religiöser Gruppen in den Prozessen der Stadtentwicklung. Das benachbarte Archiv der Caritas erlaubt den Forschern, die Rolle der Sozialassistenten sowie die soziale Situation in den Stadtvierteln zu beleuchten. Die Bestände zur Barackensiedlung Camp de la Bota verweisen ebenfalls auf Konflikte zwischen den unterschiedlichen religiösen Gruppen, die mit den Quellen des Archivs der Piaristen (EPC Arxiu Provincial) in Barcelona ergänzend zu betrachten sind. Da die Piaristen ihre Arbeit in Camp de la Bota detailliert dokumentierten, erlauben es diese Bestände weitgehend, die Rolle und das Engagement der Piaristen dort zu erschließen. Gerade das Fallbeispiel Camp de la Bota gehört in der Untersuchung zu den interessantesten Fällen nicht nur aufgrund dessen, dass diese Siedlung eine lange Tradition seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufwies und sich administrativ auf zwei Munizipien verteilte, sondern auch weil die Quellenlage ungewöhnlich vollständig ist. Die Situation in der Siedlung lässt sich aus drei verschiedenen Perspektiven analysieren : aus Sicht der Sozialassistentinnen der Caritas, der dort engagierten Piaristen sowie der Stadtverwaltung in Sant Adrià de Besòs. Das Stadtarchiv dieser Nachbarkommune von Barcelona (Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs) verwahrt eine komplette und bisher kaum gesichtete Quellensammlung der Stadtverwaltung und ist somit ein Glücksfall für den Historiker. Vielseitiges Material, das verschiedene Phasen und Formen der Urbanisierung an den Stadtperipherien bereithält, war auch in den privaten Stadtviertelarchiven in Barcelona zu finden. Für diese Untersuchung wurden demnach das Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris sowie das Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina aufgesucht. Einige interessante Materialien zur Rolle der Architekten bot das Archiv der Architektenkammer in Barcelona (COAC) ; in der Filmoteca de Catalunya konnten einige Filmbestände konsultiert werden. Im Vergleich zu den Möglichkeiten der Recherche in Barcelona ist die Archivlandschaft in Madrid in Bezug auf das Thema dieser Arbeit weitgehend arm. Die katholische Kirche verweigert Wissenschaftlern den Zugang zu den Archiven bislang vollständig. Äußerst problematisch sieht auch die Überlieferung der städtischen, staatlichen und halbstaatlichen Verwaltungsorgane aus. Keinerlei schriftliche Zeugnisse des Zivilgouverneurs Madrids konnten lokalisiert werden. Die Quellensammlung der Madrider Stadtverwaltung im Archivo de la Villa wie
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auch Dokumente des Archivo General de la Administración in Alcalá de Henares ermöglichten es zwar, die Situation der Stadtverwaltung in Madrid zu erfassen, insgesamt jedoch erwiesen sich die dortigen Recherchen als wenig befriedigend. Lediglich das Archivo Histórico Regional de la Comunidad de Madrid ermöglichte interessante Einblicke in die Quellensammlungen der staatlichen Behörden sowie in fotografische Bestände. Auch das Archiv des Nachbarschaftsvereins Moratalaz Avance verfügt aufgrund eines Brandes in den 1990er Jahren über nur wenige interessante Materialien. Diese Lücke konnte nur teilweise mit den schriftlichen Beständen des Archivs der Madrider Architektenkammer (COAM) geschlossen werden. Daher ist der Recherchefokus oft mehr auf die publizierten Quellen hin ausgerichtet, die in den gut ausgestatteten Bibliotheken (etwa Biblioteca Nacional de España, Biblioteca Nacional de Catalunya, Biblioteca del Ministerio de Fomento in Madrid und Biblioteca de la Comunidad de Madrid) zu finden und oft auch in digitaler Form online verfügbar sind. Unter den publizierten Quellen finden sich Publikationen der staatlichen und städtischen Verwaltungen, Presseerzeugnisse und in besonderer Weise zeitgenössische wissenschaftlichen Untersuchungen und Datenerhebungen von Stadtsoziologen, Stadtplanern, Architekten und Geografen. Die Besonderheit dieser Quellen besteht in ihrer Nutzbarkeit auf zwei Ebenen : Zum einen liefern sie empirische Daten, die aus anderen Quellen nicht erfassbar sind. Zum anderen lässt sich anhand dieser Quellen paradigmatisch aufzeigen, welche Relevanz solche wissenschaftlichen Diskurse für die urbane Entwicklung im Untersuchungszeitraum hatten. Die Einbindung von Expertenwissen, Statistik und Empirie führte partiell zu einer »Verwissenschaftlichung« des Diskurses, teilweise aber auch zur Instrumentalisierung des Wissens für die eigenen (parteilichen) Interessen. Die unterschiedliche Quantität und Qualität der Quellenlage begründet im Wesentlichen den ungleichen Vergleich der beiden Metropolen.
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2. Zuwanderung und Verstädterung an den Stadtperipherien zwischen 1939 und 1956
2.1 Stadtperipherien in der Ordnungsvorstellung der Falange Im April 1939 endete der Spanische Bürgerkrieg, der zwischen dem republikanischen Lager und den Aufständischen unter General Francisco Franco seit Juli 1936 ausgefochten worden war und das Land tief gespalten hatte.1 Der Sieg der Franco-Truppen führte zur Formierung eines Regimes, das sich politisch selbst definierte als »ein dritter Weg« zwischen dem kapitalistischen System, das die Bedürfnisse der Arbeiterklasse nicht verstehe, letztere in elenden Massen zusammendränge und das private Eigentum dehumanisiere, sowie dem als antinational und materialistisch bezeichneten Kommunismus, dessen Sozialpolitik der neue Staat jedoch teilte und sogar zu überbieten versuchte.2 Im Kontext dieser politischen Selbstverortung führte das Regime nach dem Bürgerkrieg in den Prozessen der Stadtentwicklung das Miteinbeziehen privater Personen in den Wohnungsbau mit gleichzeitiger Entpflichtung des Staates der vorherigen Epochen zum Teil fort. Dabei argumentierte es, dass eine volle Mitwirkung des Staates deshalb abzulehnen sei, weil dies »ein Schritt weiter in die Sozialisierung und ein Schritt zum totalen Kommunismus«3 wäre. Die Rolle des Staates solle sich demgegenüber auf das Motivieren unterschiedlicher Akteure zum Wohnungsbau begrenzen. Andererseits versprach jedoch der Staat, den sozialen Wohnungsbau für die ökonomisch schwache Arbeiterschaft stark zu unterstützen. Das Engagement öffentlicher Institutionen am sozialen Wohnungsbau war eine relevante Erneu-
1 Dazu mehr siehe u.a.: Antony Beevor, Der spanische Bürgerkrieg, München 2006 ; Stanley G. Payne, The Spanish Civil War, Cambridge 2012 ; Helen Graham, Der Spanische Bürgerkrieg, Stuttgart 2008. 2 Carme Molinero, La captación de las masas. Política social y propaganda en el Régimen franquista, Madrid 2008, S. 25–26. Vgl.: Miguel Ángel Giménez Martínez, El Estado franquista. Fundamentos ideológicos, bases legales y sistema institucional, Madrid 2014, S. 63–97. 3 Del discurso pronunciado por el Exmo. Señor Gobernador Civil de la Provincia de Barcelona Don Felipe Acedo Colunga en Sabadell (30 de octubre de 1952), in : Ecos y Voces del Campo Social. Extraordinario dedicado al problema de la vivienda, Nr. 43, 1953, S. 4–5, hier : S. 4.
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erung,4 die das Franco-Regime mit sich brachte und den Staat zum Akteur im Verstädterungsprozess machte. Dabei legitimierte das Regime dieses Engagement ideologisch durch das sozialrevolutionäre Programm der Falange. In der unmittelbaren Nachkriegszeit griff die Einheitspartei Falange, die 1937 von General Francisco Franco durch Eingliederung aller nationalistisch orientierten Parteien zur Einheits- und Staatspartei gemacht worden war und mit der Gesamtheit der politischen Strukturen (politische Organisationen und Administrationen) den sog. Movimiento Nacional (Nationale Bewegung) formierte, noch stark ideologisch in das ursprüngliche nationalsyndikalistisch-sozialrevolutionäre Programm ein. Die Falangisten, die der Partei bereits vor dem Bürgerkrieg angehörten und in der neuen politischen Struktur ihre Macht mit anderen Fraktionen teilten,5 vertraten ideologisch den Staatsyndikalismus. Die Bemühung, diesen nicht nur ideologisch, sondern auch organisatorisch zu leiten, stieß allerdings auf Kritik und Widerstand anderer politischer Gruppen in der Partei, vor allem der Monarchisten und der Katholiken.6 Die Falangisten dominierten machtpolitisch tatsächlich in der Agrar- und vor allem in der Sozialpolitik des neuen Regimes.7 Durch die Besetzung des Innenministeriums (Ministerio de la Gobernación)8 und 4 Vgl.: Tatjer, La vivienda obrera en España. 5 Siehe dazu u.a.: Melanie Haas, Das Parteiensystem Spaniens, in : Die Parteiensysteme Westeuropas, hg. v. Oskar Niedermayer u.a., Wiesbaden 2006, S. 421–452 ; Kubilay Yado Arin, Francos »Neuer Staat«. Von der faschistischen Diktatur zur parlamentarischen Monarchie, Berlin 2012 ; Bernd Nellessen, Die verbotene Revolution. Aufstieg und Niedergang der Falange, Hamburg 1963. 6 Der Begriff »Katholiken« bezieht sich nicht auf die konfessionelle Zugehörigkeit, weil alle Minister in der Franco-Regierung nominell katholisch waren. Als »Katholiken« werden dagegen Politiker bezeichnet, die eine enge Beziehung zu der katholischen Hierarchie und der Acción Católica Española (Spanische Katholische Aktion) hatten und somit den Laiensektor der Kirche vertraten. Durch diese Personen wurde die katholische Kirche in der Politik des Regimes vertreten. Dazu mehr siehe u.a. Glicerio Sánchez Recio, Católicos y tecnócratas al servicio del Régimen. La ampliación del personal político, in : La España de los cincuenta, hg. v. Abdón Mateos, Madrid 2008, S. 225–235, hier : S. 227. Zu den innerparteilichen Konflikten siehe u.a.: Walther L. Bernecker, Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg, München 1988, S. 62–65 ; José Luis Rodríguez Jiménez, Historia de Falange Española de las JONS, Madrid 2000, S. 335–534 ; Mercedes Peñalba, Falange española : historia de un fracaso (1933–1945), Pamplona 2009 ; Stanley G. Payne, Falange. A History of Spanish Fascism, Stanford 1961 ; Sheelagh Ellwood, Historia de Falange Española, Barcelona 2001, S. 115–156. 7 Amando de Miguel, Sociología del Franquismo. Análisis ideológico de los Ministros del Régimen, Barcelona 1975, S. 196–204. Vgl.: Ismael Saz Campos, Falangistas y Católicos reaccionarios : Una batalla político-cultural decisiva, in : La España de los cincuenta, S. 237–249, hier : S. 237. 8 Das Ministerio de la Gobernación wurde zwischen 1942 und 1957 von dem Falangisten Blas Pérez González geleitet, in : Los 90 ministros de Franco, hg. v. Equipo Mundo, Barcelona 1971, S. 111– 112.
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des Arbeitsministeriums (Ministerio de Trabajo)9 waren diese für die Wohnungsund Stadtpolitik des Staates zuständig. Dabei versuchten die Falangisten, die Idee des Staatssyndikalismus ideologisch auch auf den urbanen Raum anzuwenden ; die Ordnung des neuen Staates sollte sich eben dort materialisieren. Die Falange konzipierte den Staat als eine Einheit, an der »alle Spanier durch ihre familiäre, kommunale und syndikale Funktion (Familie-Gemeinde-Syndikat)« teilhaben sollten.10 Im wirtschaftlichen Sinne versuchte sie den Staat als »gigantische Arbeitergewerkschaft« zu organisieren.11 Die Arbeitsbeziehungen sollten mit Hilfe des Einheitssyndikats (Organización Sindical Española), in dem Arbeiter und Unternehmer zusammengefasst wurden, durch den Staat reguliert und kontrolliert werden.12 Dabei sollte sich die nationalsyndikalistische Organisation des Staates und der Wirtschaft den Prinzipien der Einheit, Totalität und Hierarchie unterordnen.13 Dies bedeutete, dass die vertikalen Syndikate die vollständige Erfassung aller Beschäftigten und eine Befehlsstruktur von oben nach unten voraussetzten,14 um somit »soziale Disziplin unter den Arbeitern«15 einzuführen. Diese Zusammenfassung der Arbeitermassen in einer einzigen Organisation hatte deren Integration in die Nation und ihre vollständige Kontrolle zum Ziel. So sollte, so die Propaganda, der Klassenkampf und damit die Spaltung der Gesellschaft überwunden werden. Dabei spielte die Sozialpolitik eine entscheidende Rolle als Legitimierungsund Integrationsinstrument.16 Die Falange versprach den Arbeitern »eine moralische, professionelle und ökonomische Würdigung.«17 Dies bedeute eine »sozi 9 Das Ministerio de Trabajo wurde zwischen 1941 und 1957 von dem Falangisten José Antonio Girón geführt, in : ebd., S. 103–104. 10 »Nuestro Estado será un instrumento totalitario al servicio de la integridad patria. Todos los españoles participarán en él al través de su función familiar, municipal y sindical.«, in : Bases de la Revolución Nacional. Doctrina e Historia de la Revolución Nacional Española, Madrid 1939, S. 12. 11 Ebd. Vgl.: José Luis de Arrese, La revolución social del Nacional-Sindicalismo, Madrid 1940, S. 195–203. 12 S.: Rodríguez Jiménez, Historia de Falange, S. 405–423. 13 Bases de la Revolución Nacional, S. 34. 14 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 64. 15 Vgl.: Babiano Mora, Emigrantes, S. 51. Siehe auch : Miguel Angel Aparicio, El sindicalismo vertical y la formación del Estado franquista, Barcelona 1980, S. 167–169 ; Carme Molinero, Pere Ysàs, »Patria, Justicia y Pan«. Nivell de vida i condicions de traball a Catalunya, 1939–1959, Barcelona 1985, S. 25–52. 16 Dazu mehr u.a.: Molinero, La captación de las masas. 17 Quince años de política social dirigida por Franco. Discurso del Ministro de Trabajo José Antonio Girón de Velasco en el I Congreso Iberoamericano de Seguridad Social, in Vivienda y Paro, Nr. 6, 1951, S. 2–18, hier : S. 2.
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ale Revolution«, die der Vision der Falangisten nach »die Rückkehr zu Gott im Gegensatz zu Materie und Atheismus, zur Nation im Gegensatz zu [regionalen – A.P.] Nationalismen und Internationalismus sowie zu sozialer Gerechtigkeit im Gegensatz zu Privilegien und Demagogie«18 sein werde. Das Revolutionäre sahen die Falangisten vor allem im Bereich des Kampfes gegen die soziale Ungerechtigkeit und die Misere unter den Arbeitern. Gemeint waren hauptsächlich die Arbeitermassen, die an den Stadtperipherien in Barackensiedlungen lebten, welche sie aufgrund ihrer prekären Lebenssituation selbst und meist illegal aufbauten. In der Nachkriegszeit nahm die Zahl dieser Siedlungen zu ; neue schlossen sich den bereits existierenden an oder bildeten neue Siedlungskerne. Das Regime sah den Ursprung solcher Barackensiedlungen in Mängeln der kommunalen Verwaltungssysteme sowie der Gesetzgebung vorheriger Epochen, durch welche »nur bestimmte Typen von Urbanisierung mit luxuriösen Straßen und großzügigen Gebäuden«19 bevorzugt würden, während die Notwendigkeit von Sozialbauten völlig ignoriert werde. Damit kennzeichneten die Falangisten das Ziel der von ihnen geforderten Sozialpolitik, deren Schwerpunkt aus »Sorge« um die Stadtperipherie und ihre Bewohner im Bereich der Wohnungspolitik lag. Der neue Staat versprach, Klassenunterschiede zu nivellieren und die Familie zu stärken, indem er letztere zur höchsten und heiligen Institution als Basis für die Einheit des Vaterlandes erhob.20 »Das Vaterland ist das Zuhause, und in einer Bruchbude kann man sich 18 »Tras la guerra no queríamos la Paz, sino la Revolución y que la Revolución es la vuelta a Dios frente a la materia y el ateísmo, la vuelta a lo nacional frente a los nacionalismos y a los internacionalismos y la vuelta a la justicia social frente a los privilegios y la demagogia«, in : La obra falangista de la vivienda. Discurso pronunciado en Málaga para anunciar el comienzo de viviendas protegidas, el 5 de mayo de 1940, in : José Luis de Arrese, Treinta años de política, Madrid 1966, S. 1171–1177, hier : S. 1171. 19 »El mal proviene de unos planes de urbanización mal concebidos y de un sistema municipal defectuoso. Los planes de urbanización del siglo pasado, y aun de este siglo durante muchos años, han atendido preferentemente a unos tipos determinados de urbanización, con vías lujosas y edificación de gran volumen, y han olvidado la existencia de necesidades humanas como la de la vivienda unifamiliar modesta.« In : Palabras de S.E. el Jefe del Estado al promulgarse la Ley de Ordenación Urbana de Madrid, in : Gran Madrid. Boletín Informativo de la Comisaría General para la Ordenación Urbana de Madrid y sus alrededores, Nr. 1, 1948, S. 5–27, hier : S. 27. In ähnlichem Sinne : César Cort, Campos urbanizados y ciudades rurizadas, Madrid 1941, S. 277–279. 20 »En el nuevo Estado español es indispensable fortalecer la familia sin distinción de clases, elevarla a un rango superior como institución sagrada y fundamental, y si la familia es el núcleo inicial de la unidad que llamamos Patria y el hogar es la base inconmovible de la familia, construyendo viviendas estamos laborando por una Sociedad más perfecta y un Estado grande y libre«, in : Ante una política municipal, in : Vivienda y Paro, Nr 47, 1954, S. 28–29, hier : S. 29.
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nicht zuhause fühlen«21 – dieses Zitat verweist auf die ideologische Untrennbarkeit zwischen der Familie, die sich in einem »hellen und fröhlichen Heim« materialisiere, und der ganzen Nation mit ihrer »hellen und fröhlichen Heimat«.22 Den Wohnungsbau zu fördern hieß demnach, »eine bessere Gesellschaft und einen großen und freien Staat«23 zu konstruieren. Die Perspektive der neuen Politik zeigte sich demnach in der Debatte über die Nation, die, ganz im Sinne des Nationalsyndikalismus, Traditionalismus und Katholizismus der Falange, aus der familiären Perspektive gezeichnet wurde. Die Integration der Arbeiter, die durch das Verständnis von Arbeit als Mittel des ökonomischen Reichtums und sozialer Harmonie24 »jede Aufmerksamkeit wert«25 seien, konnte, so verstand man die Idee der Revolution, durch die Anpassung an das falangistische Lebenskonzept erfolgen und sollte sich im ersten Schritt durch die Bereitstellung von Sozialwohnungen materialisieren. In den mit zahllosen Baracken und Hütten zugebauten Peripherien der Städte herrsche den Falangisten nach eine »chaotische Situation«, die mit »einer christlichen und organisierten Gesellschaft absolut unvereinbar«26 sei. Aufgrund der dort »fehlenden religiösen, moralischen und patriotischen Werte«27 wurden die Peripherien oft als »anarchistische Siedlungen« bezeichnet, die in der sozialen Praxis durch eine »radikale Abwesenheit bürgerlicher Ideologie« zugunsten eines »kommunistischen Lebensstils«, etwa durch gegenseitige Hilfsbereitschaft und das Verständnis einer Gütergemeinschaft, charakterisiert sei.28 In diesem Sinne postulierten die Falan21 Arrese, Treinta años de política, S. 1171. 22 Ebd., S. 1172. 23 Vivienda y Paro, Nr. 47, 1954, S. 29. 24 Peñalba, Falange española, S. 295. 25 Vivienda y Paro, Nr. 47, 1954, S. 35. 26 »No penséis tenga yo la pretensión de venir a daros a conocer en toda la desnudez, la situación caótica, en todos los órdenes, como se desarrolla la vida de los habitantes de estos llamados suburbios, que en muchos casos es totalmente incompatible con la existencia de una sociedad cristina y organizada […].«, in : José Moreno Torres, Aspectos de la reconstrucción y problemas de los suburbios de Madrid, in : El futuro Madrid, hg. v. Instituto de Estudios de Administración Local, Madrid 1945, S. 228–251, hier : S. 238. 27 Ebd. 28 »Una realidad humana colectiva […] que se caracteriza por una radical ausencia de todo lo que sea ideología burguesa. […] Por el contrario, se observan algunas prácticas de vida comunista, representada por una cierta ayuda mutua […] y por cierto sentido de comunidad sobre las cosas materiales«. In : Federico Rodríguez, El problema social y jurídico de los suburbios madrileños, Madrid 1954, S. 93–109. Zit. nach.: Carmen Gavira Golpe, La ciudad y la no ciudad. Madrid (1567–1993), in : José Gavira Martín, Carmen Gavira Golpe, Madrid centro y periferia, Madrid 1999, S. 111–148, hier : S. 136.
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gisten eine soziale und moralische Transformation der Suburbia, um »das Böse zu beenden« und die dort lebenden »Seelen genesen zu lassen.«29 Sie versprachen somit, »das materielle Wohlgefühl sowie soziale und religiöse Prinzipien«30 an die Stadtperipherien zu bringen. Eine »ordentliche Wohnung« gehöre den Falangisten nach zum Ausdruck der menschlichen Freiheit und der Bürgerlichkeit,31 und demnach visualisiere der Übergang von einer Baracke zu einem ordentlichen Zuhause den Wandlungsprozess vom Proletariat zur Bürgerlichkeit. In diesem Sinne betonte der Architekt und Generalsekretär des Movimiento Nacional, José Luis de Arrese32 : »Wir konstruieren nicht nur Wohnungen, sondern auch eine neue Form des Lebens.«33 Die Bekämpfung der Probleme der Stadtperipherie solle sich nicht nur auf den Bau benötigter Wohnungen konzentrieren, sondern zudem auf das »Reorganisieren der zu integrierenden Lebensform« abzielen, bei welcher es auch um die »Rekonstruktion eines eigenen Charakters« – nämlich des dörflichen Charakters – und die »Änderung von Sitten« gehe.34 Damit verstand sich die Sozialpolitik des neuen Regimes als ein Instrument zur Integration und zur moralischen Re-Edukation der Arbeitermassen. Die Wohnungspolitik war somit streng mit einer Stadtvorstellung verbunden, in der die Beschaffung eines »Familienheims« den ersten Schritt zur Integration in die vom Regime propagierte »Lebensform« darstellte. Demnach war die Stadt als Raum eben jener Integration und Re-Edukation der Arbeitermassen zu verstehen und wurde somit materiell als eine ideale »organische Form« verstanden. In erster Linie ging es um die Überwindung des Klassenkampfes, der sich auch in der Stadt visualisierte und den man den republikanischen administrativen Verwaltungen zuschrieb : Der nationalsyndikalistische Staat wird sich weder aus den ökonomischen Kämpfen zwischen den Menschen heraushalten, noch wird er empfindungslos zuschauen, wenn die schwachen Klassen von den starken dominiert werden. Unser Regime wird Klassenkämpfe radikal verhindern, weil alle, die an der Produktion mitwirken, eine organische Gesamtheit des Staates bilden.35 29 Frente al problema de los suburbios, in : ABC, 15.11.1945, S. 20. 30 Moreno Torres, Aspectos, S. 238. 31 El problema de la vivienda, in : Vivienda y Paro, Nr. 11, 1951, S. 18–25, hier : S. 19. 32 Mehr zu José Luis de Arrese y Magra, in : Los 90 ministros de Franco, S. 105–107. 33 »No sólo construiremos casas, sino también un modo de vivir nuevo«, in : Arrese, Treinta años de política, S. 1174. 34 Visita a los suburbios madrileños, in : Pueblo, 26.11.1945, S. 6. 35 »El Estado nacionalsindicalista no se inhibirá cruelmente de las luchas económicas entre los hom-
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In diesem Sinne schlugen die Falangisten eine neue Stadtstruktur vor, in der keine isolierten Arbeitersiedlungen geschaffen, sondern Wohngebäude entstehen sollten, »die nicht die Unterschiede zwischen den Menschen betonen«, sondern in denen »Personen diverser sozialer Schichten leben können.«36 In der Vorstellung der Falangisten sollten sich diese komplett mit Infrastrukturen ausgestatteten, eher kleinen Arbeitersiedlungen mit niedrigen Häuschen dem zentralen Platz, der Plaza Mayor, mit repräsentativen Gebäuden wie dem Rathaus, dem Parteihaus und der Kirche unterordnen.37 Alle Teile einer Stadt sollten, wie beim menschlichen Körper, hierarchisch dem Zentrum (dem Haupt) untergeordnet und untereinander verbunden sein sowie gemeinsam funktionieren.38 Dabei propagierten die Falangisten für diese neue »humane und volkstümliche urbane Lebensform«39 ein deutlich dörfliches Gepräge der Siedlungs- und Wohnstruktur.40 Diese ordnungsgemäße Form einer utopischen Menschengemeinschaft spiegelt deutlich die politischen Organisationsstrukturen der Falange wider. Der Anspruch, die Stadtperipherie mit ihren Barackensiedlungen, von den Falangisten als »charakteristischer Krebs der Großstadt«41 angesehen, z unächst »gesunden« zu lassen, im Folgenden in die Stadt zu integrieren und die gesamte Stadt in einen »organischen« Raum umzuwandeln, sollte mithilfe der Gesamt
bres, ni asistirá impasible a la dominación de la clase más débil por la más fuerte. Nuestro régimen hará radicalmente imposible la lucha de clases, por cuanto todos los que cooperan a la producción constituyen en él una totalidad orgánica«., in : Ideas generales sobre el Plan Nacional de Ordenación y Reconstrucción, hg. v. Falange Española Tradicionalista y de las J.O.N.S. Servicios Técnicos Sección de Arquitectura, Madrid 1939, S. 12. 36 Zit. nach : Diéguez Patao, Un nuevo orden, S. 6. 37 Siehe u.a. Gonzalo de Cárdenas, La Reconstrucción Nacional vista desde la Dirección General de Regiones Devastadas. Conferencia en la Segunda Asamblea Nacional de Arquitectos, in : Segunda Asamblea Nacional de Arquitectos, Madrid 1940, S. 145–155. Alle Konzepte der falangistischen Architekten blieben unrealisiert, dennoch galt das Projekt zu Cerro de Palomeras bei Madrid als Musterprojekt einer falangistischen Stadt (»die erste Siedlung des neuen Spaniens«) mit u.a. einem Zentralplatz, einer Kirche, einem Rathausgebäude, einem Parteihaus sowie einem Platz für Massenversammlungen der Falange. Siehe u.a.: Barrio del Terol y Cerro Palomeras, in : Revista Nacional de Arquitectura, Nr. 10–11, 1941, S. 18–23. Vgl.: Terán, Planeamiento urbano, S. 147–150. 38 Ideas generales sobre el Plan Nacional de Ordenación y Reconstrucción, S. 35–57. 39 Gran Madrid, Nr. 1, 1948, S. 25. 40 Cort, Campos, S. 38. 41 Las barracas ante el problema de la vivienda. Memoria que presenta el Iltre. Teniente de Alcalde Presidente de la Ponencia de Urbanización y Reconstrucción y Consejero Delegado del Instituto Municipal de la Vivienda D. Carlos Trías Bertrán, enero 1949, in : AMCB, Gestió urbanstica, Exp. 1268, Bl. 7.
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stadtplanung verwirklicht werden.42 Diese Aufgabe übernahm das im Jahre 1946 entstandene Comisaría General para la Ordenación Urbana de Madrid (Generalkommissariat für Stadtplanung), kurz COUM genannt.43 Das COUM wurde außerhalb Madrids durch regionale Abteilungen vertreten (Comisiones Provinciales de Urbanismo) und direkt dem Regierungsvertreter und der obersten Autorität in der Provinz – dem Zivilgouverneur – unterstellt. Die Hauptaufgabe des COUM waren die Verfassung und Umsetzung von Generalplänen für die Urbanisierung sowie die Kontrolle über die Teilbebauungspläne, die die Bestimmungen der Generalpläne spezifizierten.44 Des Weiteren beschäftigte sich das COUM mithilfe von Enteignungsprozeduren, die die üblichste Form der Umwandlung von Agrarland in urbanes Land darstellten, mit der Bereitstellung von Baugrundstücken.45 Die Grundstücke wurden im Weiteren den entsprechenden öffentlichen Institutionen zur Verfügung gestellt. Das COUM war demnach für die Stadtentwicklungspolitik zuständig. An der Wohnungspolitik beteiligte sich das COUM nicht direkt (abgesehen von der Bereitstellung von Wohnraum für die von Enteignungsmaßnahmen betroffenen Familien),46 jedoch verfügte es über Bestimmungs- und Kontrollfunktionen für die Ausführung und Realisierung durch weitere öffentliche Akteure im Bereich der Sozialpolitik. Sollten die Arbeitermassen in die Nation integriert werden, versuchten die Falangisten nämlich diese Politik mit dem Versprechen sozialer Gerechtigkeit zu legitimieren.47 Das im Jahre 1939 gegründete Instituto Nacional de la Vivienda (Nationales Wohnungsinstitut)48 war demnach, gemeinsam mit dem Einheitssyn42 Pedro Muguruza, El futuro de Madrid, in : El futuro Madrid, S. 14–27, hier : S. 17. 43 Das COUM unterstand dem Ministerio de la Gobernación mit zwei weiteren Institutionen : der Dirección General de Arquitectura (Hauptdirektion für Architektur) sowie der Dirección General de Regiones Devastadas, DGRD (Hauptdirektion der Zerstörten Regionen und Orte). Die DGRD entstand bereits 1938 mit der Aufgabe des Wiederaufbaus der während des Bürgerkriegs in den Agrarzonen zerstörten Orte. Die DGRD existierte bis 1957. Mehr dazu : La reconstrucción urbana en España. Conferencia pronunciada por el Ilmo. Sr. D. José Moreno Torres, Director General de Regiones Devastadas y reparaciones, en el Salón de la Cámara Municipal de Lisboa, Madrid 1944 ; Javier García-Gutiérrez Mosteiro, El Regionalismo y la Dirección General de Regiones Devastadas, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 255–258. 44 Vgl.: Luis Galiana Martín, La Comisaría para la Ordenación Urbana de Madrid y la política del suelo, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 283–285. 45 Río Lafuente, Industria y residencia, S. 116. 46 Valenzuela, Iniciativa oficial, S. 606. 47 Dazu mehr : Molinero, La captación de las masas. 48 Das Nationale Wohnungsinstitut oblag dem Arbeitsministerium. Mehr dazu : Luis Rojo de Castro, La vivienda en Madrid durante la posguerra. De 1939 a 1949, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 226–243, hier : S. 229–230.
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dikat Organización Sindical Española, der Hauptakteur der Realisierung dieser Politik und dadurch ebenfalls für den Bereich der Wohnungspolitik zuständig. Aufgabe des Nationalen Wohnungsinstituts war es, Regelungen für den sozialen Wohnungsbau zu diktieren, Bauinitiativen zu fordern, vor allem jedoch zum Bau von Sozialwohnungen beizutragen sowie zu kontrollieren, ob die Wohnungen den geforderten »hygienischen Zustand und eine hohe Konstruktionsqualität« aufwiesen.49 Das Institut war vor allem ein Verwaltungsorgan, das in der Regel selbst keine Bauinitiativen unternahm (außer wenn es unbedingt notwendig war). Vielmehr ging es, neben dem Verfassen von nationalen Plänen für den Wohnungsbau und dessen zentraler Planung, um die Stimulierung des Wohnbausektors : Das Institut ist kein Bauunternehmer und ersetzt keine private Initiative außer in Fällen, wo diese komplett fehlt. Wo die private Initiative existiert, zieht das Institut daraus ihren Nutzen, wo sie schwach ist, unterstützt es, wo sie noch nicht geboren wurde, kreiert und stimuliert es diese.50
Die tatsächliche Realisierung von Bauinitiativen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gehörte jedoch zu den Aufgaben des Einheitssyndikats mithilfe des Sozialwerks der Delegación Nacional de Sindicatos (Nationale Delegation der Syndikate) – Obra Sindical del Hogar (Gewerkschaftsverband für das Heim), im Weiteren kurz OSH genannt.51 Der OSH verstand sich als »ein Syndikatsorgan 49 Ley de 19 de abril de 1939 estableciendo un régimen de protección a la vivienda de renta reducida y creando un Instituto Nacional de la Vivienda encargado de su aplicacion, BOE, 20.04.1939, Nr. 10, S. 2190–2198 (im Folgenden werden bei wiederholter Zitierung die Gesetzesquellen mit Datum und Nummern gekennzeichnet). 50 »Tampoco es el Instituto un empresario, y no sustituye a la iniciativa particular más que en aquellos casos en que ésta falta por completo. Donde existe ya, la aprovecha y encauza ; donde es débil, la sostiene, y donde apenas ha nacido, la crea y estimula«, in : El Instituto Nacional de la Vivienda, in : Revista Nacional de Arquitectura, Nr. 1, 1941, S. 31–32, hier. S. 32. 51 Der OSH wurde in der Organisationsstruktur ganz im Sinne des Syndikatsprogramms hierarchisch aufgebaut und auf nationaler, provinzialer und lokaler Ebene durch bürokratische Strukturen vertreten. Die Leitung des OSH auf nationaler Ebene konstituierte die Jefatura Nacional de la Obra (Nationales Führungswerk), die sich aus dem Cuerpo Técnico Administrativo (Technischer Verwaltungskörper) und dem Cuerpo General Administrativo de la Organización Sindical (Syndikatsverwaltungskörper) sowie zahlreichen mitwirkenden Architekten, Baumeistern, technischen Zeichnern und Ausbildungspersonal zusammensetzte. Während sich der Cuerpo General Administrativo de la Organización Sindical aus Beamten der Partei Falange rekrutierte, bildeten den Cuerpo Técnico Administrativo Juristen, die sich fachlich auf den Bereich der Immobilien und des Zivilrechts spezialisiert hatten. Insgesamt oblag die Jefatura Nacional de la Obra der Syndikatsstruktur nach der
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für den Wohnungsbau des Movimiento Nacional«52, und somit sollte er in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Wohnungsinstitut die im Syndikat zusammengefassten Arbeitermassen sowohl in urbanen wie auch in ruralen Zonen mit »würdigen und fröhlichen Heimen«53 versorgen. Die enge Verbindung zwischen beiden Institutionen wird oft durch die gemeinsame Leitung in der Hand des Generaldirektors54 erklärt. Vielmehr scheint jedoch die gemeinsame Leitung ein Resultat des politischen Programms der Falange gewesen zu sein (und nicht umgekehrt) : Das Arbeitsministerium, dem das Nationale Wohnungsinstitut untergeordnet war, gehörte neben dem Einheitssyndikat zu den Hauptakteuren der gemeinsamen Sozialpolitik der Falange.55 Im Bereich der Wohnungspolitik sollten also beide Institutionen miteinander verbunden werden.56 Die Finanzierung des Bauprogramms erfolgte durch die staatliche Unterstützung des Nationalen Wohnungsinstituts im Rahmen der neu verabschiedeten unmittelbaren Kontrolle der Delegación Nacional de Sindicatos. Der Jefatura Nacional de la Obra wiederum waren die Provinzvertretungen, die sog. Secretarías Técnicas (Technische Sekretariate), untergeordnet. Das Sekretariat leitete in allen Provinzen die Tätigkeit des OSH in den Bereichen Konstruktion, Nutzung und Konservierung. Die provinziale Repräsentation des OSH übernahm demgegenüber der Patronato Sindical de la Vivienda (Syndikatsausschuss für Wohnungsangelegenheiten). Da sich jedoch der OSH als Vermittler zwischen dem Staat (repräsentiert durch das Nationale Wohnungsinstitut) und der Arbeiterschaft in Sachen Wohnraum verstand, bestand der unmittelbare Kontakt mit den Arbeitern auf lokaler Ebene durch ein Netz von Syndikatshäusern (casas sindicales) sowie lokalen Vertretungen (Delegaciones Locales), die zusätzlich mit den provinzialen Vertretungen des Nationalen Wohnungsinstitutes im Sinne der Syndikatspläne eng zusammenarbeiteten. Siehe u.a.: Adolfo Martín Arbués, Juan Roca Cabanellas, El derecho a la vivienda, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 18, 1958, S. 70–76, hier : S. 71. Vgl.: Cómo actúa la Obra Sindical del Hogar y Arquitectura en toda España, in : Boletín Sindical. Sevilla, Nr. 14, 1947, unpag. 52 »La construcción de viviendas por la Obra Sindical del Hogar«. Conferencia pronunciada por el Sr. D. Fernando Chinchilla Ballesta, Secretario Técnico de la Obra Sindical del Hogar y de Arquitectura, el 16 de noviembre de 1953, in : Entidad Benéfica Constructora Viviendas Congreso Eucarístico. Conferencias pronunciadas en la Exposición »Aportación de VCE al problema de la vivienda en Barcelona«, Barcelona 1954, S. 59–66, hier : S. 60-61. 53 Hogar y Arquitectura, Nr. 18, 1958, S. 54. 54 S.: Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 16. 55 Vgl.: Molinero, La captación de las masas, S. 73–83. 56 Dies kann man auch dem Gesetz über die Organisation der zentralen Verwaltung entnehmen, in dem das Arbeitsministerium als ein dem Einheitssyndikat der Falange untergeordnetes Organ genannt wird. S.: Jefatura del Estado, Ley de 8 de agosto de 1939 modificando la organización de la Administración Central del Estado establecida por las de 30 de enero y 29 de diciembre de 1938, BOE, 09.08.1939, Nr. 221, S. 4326–4327, hier : S. 4327. In ähnlichem Sinne auch : El Instituto Nacional de la Vivienda y la Obra Sindical del Hogar y de Arquitectura, in : Boletín Sindical. Sevilla, Nr. 14, 1947, unpag.
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Gesetze viviendas protegidas (1939)57 sowie viviendas bonificables (1944),58 die mithilfe unterschiedlicher Anreize – Kredite, Subventionen und Steuervorteile, Möglichkeiten der Zwangsenteignung oder Lieferungen von Baumaterial – eine Intensivierung der Bautätigkeit bewirken sollten. Bei den viviendas protegidas handelte es sich um soziale Wohnungsbauten, die vorwiegend an Arbeiterfamilien gerichtet waren. Mit diesem Gesetz unterstrich das Regime die soziale Aufgabe des Staates in Abgrenzung zur Gesetzeslage der vorherigen Epoche, nämlich zum noch gültigen Gesetz von 1911 (Ley de Casas Baratas), mithilfe dessen die Arbeiter mit von privaten und wohltätigen Baugenossenschaften gebauten Sozialwohnungen versorgt werden sollten59 : Das noch heute geltende Gesetz Ley de casas baratas wurde von der Idee inspiriert, private Initiativen zu fördern und alle Kräfte zu sammeln, um Baugenossenschaften zu bilden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die meisten dieser Genossenschaften sich nur am Profit orientierten und die soziale Aufgabe vergaßen. Auf diese Weise unterstützte der Staat ein Bauwesen, das den Bedürfnissen der Arbeiterklasse nicht entsprach. Das Konzept ›des günstigen Wohnraums’ (casas baratas) verwechselte günstiges Bauen mit dem Bauen mit schlechten und minderwertigen Materialien.60
Demnach sollten die viviendas protegidas das Gesetz von 1911 ersetzen und somit ausschließlich auf die Unterstützung der »öffentlichen und wohltätigen Institutionen« wie etwa Syndikate, Stadtverwaltungen, Wohltätigkeitsvereine 57 BOE, 20.04.1939, Nr. 10, S. 2190–2198. Mehr dazu : Augustín Cotorruelo, La política económica de la vivienda en España, Madrid 1969, S. 56–58. 58 Ley de 25 de noviembre de 1944 sobre reducción de contribuciones e impuestos en la construcción de casas de renta para la denominada »clase media«, BOE, 27.11.1944, Nr. 332, S. 8959–8964. Mehr dazu : Rojo de Castro, La vivienda en Madrid, S. 231–235.; Cotorruelo, La política económica, S. 58–60. 59 Zu dem Phänomen casas baratas siehe u.a.: Ana Azpiri Albístegui, De la Ley de Casas Baratas de 1911 a la de 1921, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 54–57 ; Barcelona. Les cases barates, hg. v. Patronat Municipal de l’Habitatge, Barcelona 1999 ; Casas Baratas, 1911. Centenario de la primera ley, hg. v. Luis Arias González, Madrid 2011. 60 »La legislación hasta hoy vigente de Casas Baratas, se inspiraba en el criterio de fomentar las iniciativas particulares, diluyendo los ezfuerzos y dando lugar, como ha demonstrado la experiencia, a que se construyeran Cooperativas de construcción, que tenían, en la mayoría de los casos, como móvil principal, la realizacion de un negocio, olvidando su fin social, con grave daño para la Obra misma ; de esta manera el Estado gastó cuantiosas sumas en construcciones que no respondían a las necesidades para que fueron concebidas, porque normalmente, se confundía el concepto de casa de construcción barata con el de casa mal terminada y en la que se empleaban materiales defectuosos. El nuevo Estado ha de hacer imposible esta actuacion.«, in : BOE, 20.04.1939, Nr. 10, S. 2190.
Stadtperipherien in der Ordnungsvorstellung der Falange
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(Kirche, wohltätige private Organe, Sparkassen usw.) oder Industriebetriebe (die gesetzlich verpflichtet wurden, den Arbeitern Wohnungen zu beschaffen61) setzen. Ausgeschlossen waren jedoch »auf Profit und Spekulation ausgerichtete private Initiativen.«62 Das Institut sollte nämlich primär »die Bedürfnisse der einfachen Menschen«63 im Blick behalten. Demgegenüber ging es bei den viviendas bonificables vor allem um die Abschaffung von Arbeitslosigkeit mithilfe einer Intensivierung von Bauinitiativen,64 um den Wiederaufbau der bisher zum Großteil noch zerstörten Bauindustrie sowie darum, die Versorgung der Mittelschicht mit Wohnungen zu gewährleisten.65 Kritisierte das Regime bei den viviendas protegidas die Gesetzeslage vor dem Bürgerkrieg (Ley de Casas Baratas), so wurden die bonificables stark von den Regelungen des sog. Salmón-Gesetzes aus dem Jahre 1935 inspiriert, das zur Stimulierung der Wohnbauindustrie verabschiedet worden war.66 Die für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuständige staatliche Behörde – Comisaría Nacional del Paro (Nationales Kommissariat für Arbeitslosigkeit) – unterstützte unter Aufsicht des Arbeitsministeriums und in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Wohnungsinstitut den Wohnungsbau unter dem Aspekt der Arbeitsplatzschaffung durch eine Stimulierung des Bausektors.67 Den ersten Schritt in dieser Politik markierte das Steuergesetz aus dem Jahre 1940, das durch steuerliche Vorteile die Gründung neuer Bauunternehmen anregen sollte.68 In Folge dieser Reform wuchs die Zahl der neu gegründeten Bauunternehmen zwischen 1941 und 1947 61 Siehe u.a.: Un problema nacional : Viviendas. La iniciativa privada y los estímulos del Estado. Una buena inversión de las Empresas industriales : Casas para sus trabajadores, in : Vivienda y Paro, Nr. 8, 1951, S. 4–7 ; José Ma Marcet Coll, Sobre el problema de la vivienda en la provincia de Barcelona, Barcelona 1952, S. 9–11. 62 »La construccion de viviendas por la obra Sindical del Hogar«, S. 60. 63 Ebd. 64 Vertiefend : La construcción de viviendas como medio para emplear mano de obra, in : Vivienda y Paro, Nr. 36, 1954, S. 18–20 ; Dos grandes objetivos del Movimiento : Menos paro y más viviendas, in : Vivienda y Paro, Nr. 48, 1955, S. 13–14. 65 El problema de la vivienda, in : Boletín de Información de la Dirección General de Arquitectura, Nr. 14, 1950, S. 3–6. 66 Das Gesetz orientierte sich am Salmón-Gesetz (ley Salmón), das vor dem Bürgerkrieg zur Stimulierung der Wohnungsbauindustrie verabschiedet worden war. S.: Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 22. 67 La Comisaría Nacional del Paro y el Instituto Nacional de la Vivienda dedican sus esfuerzos a construir nuevos hogares, in : Vivienda y Paro, Nr. 28, 1953, S. 10–12. 68 Jefatura del Estado, Ley de 16 de diciembre de 1940 de reforma tributaria, BOE, 22.12.1940, Nr. 357, S. 8746–8770. Vgl.: Eugenio Torres Villanueva, La empresa en la autarquía, 1939–1959. Iniciativa pública versus iniciativa privada, in : Autarquía y mercado negro, S. 169–216, hier : S. 174.
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signifikant.69 Nun versuchte der Staat diese neuen Bauunternehmen durch das Gesetz der viviendas bonificables zum Wohnungsbau zu bewegen. Unterstützte das Comisaría Nacional del Paro die private Bautätigkeit, sorgte es damit auch für eine Kontinuität zwischen dem Gesetz von 1935 und dem von 1944. Demgegenüber suchte das viviendas protegidas-Programm offensichtlich einen Bruch in der Sozialwohnungspolitik zu versprechen, indem die Wohnsituation einfacher Menschen unter der Protektion öffentlicher Institutionen miteinbezogen werden sollte,70 was zuletzt nicht nur mit der versprochenen Verbesserung der Situation der Arbeiterschaft, sondern vor allem mit der geforderten erzieherischen Aufgabe des Staates zusammenhing : Sollten die Arbeiter »umerzogen« und somit »in die Gesellschaft integriert werden«, beanspruchte das Regime (mithilfe öffentlicher Organe), diesen Prozess stets unter Kontrolle zu haben. In den beiden Gesetzen wird dennoch deutlich, dass die Bereitstellung von Wohnungen insgesamt als eine kollektive gesellschaftliche Aufgabe unter Aufsicht des Staates gesehen wurde, in der mehrere Akteure aktiv werden sollten. Die geforderte Kooperationsbereitschaft wurde dabei meist mit einer Opferbereitschaft in Verbindung gebracht : »Unser Werk fordert Opferbereitschaft von allen, vor allem jedoch von denen, die mehr haben, und zugunsten derer, die nichts haben.«71 Diese ideologisch begründete Forderung nach kollektivem Engagement, an welchem sich sowohl privatwirtschaftliche Initiativen als auch unterschiedliche, teilweise miteinander konkurrierende öffentlich-rechtliche Akteure unter ständiger staatlicher Aufsicht beteiligen sollten, barg jedoch, wie diese Untersuchung zeigen wird, reichlich Konfliktpotential. 2.2 Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt : El Pozo del Tío Raimundo in Madrid In dem für den Zeitraum 1944–1954 durch das Nationale Wohnungsinstitut verabschiedeten ersten Nationalplan für den Wohnungsbau wurde die Zahl 69 Torres Villanueva, La empresa, S. 174. Vgl.: Isabel Rodríguez Chumillas, Tipología de las inmobiliarias madrileñas, 1940–1990, in : Propiedad urbana y crecimiento de la ciudad. Seminario celebrado 4–5 febrero 2002, hg. v. Philippe Lavastre, Rafael Mas, Madrid 2005, S. 329–357, hier : S. 332–333. 70 Vgl.: La cruzada por la vivienda, in : Vivienda y Paro, Nr. 48, 1955, S. 8. 71 »Nuestra obra exige el sacrificio de todos principalmente el de los que tienen más, en beneficio de los que no tienen nada«, in : Vivienda y Paro, Nr. 47, 1954, S. 29. In ähnlichem Sinne : Marcet Coll, Sobre el problema de la vivienda, S. 8–9.
Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt
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der dringend benötigten Wohnungen auf fast 1,4 Millionen taxiert. Mehr als 650.000 waren für den Bau innerhalb von zehn Jahren vorgesehen.72 Die Falangisten konnten dieses Versprechen jedoch nur schwer verwirklichen. Zwischen 1939 und 1957 betrieb das Regime eine Autarkiepolitik, die eine ausschließlich am inneren Markt ausgerichtete, staatlich gelenkte Industrialisierung mithilfe der 1941 entstandenen staatlichen Industrieholding Instituto Nacional de Industria (Nationales Industrieinstitut)73 vorsah. Das Resultat dieser Wirtschaftspolitik zeigte sich in einem sehr geringen Wirtschaftswachstum und darüber hinaus im Sinken des allgemeinen Lebensstandards und in einem Anstieg der Arbeitslosigkeit.74 Was den Wohnungsbau konkret anbelangte, war der Bausektor von fehlenden Krediten, vom Mangel an Baustoffen (wie z.B. Zement, Eisen, Holz), von aufgrund dieser Knappheit überhöhten Preisen sowie von fehlendem Transport und fehlender Maschinerie betroffen. Laut Vorgabe sollte jede Sozialwohnung mindestens drei Schlafzimmer mit einer Mindestfläche von 24 Quadratmetern (Zweibettzimmer) bzw. 16 Quadratmetern (Einbettzimmer) sowie ein Wohnzimmer von mindestens 18 Quadratmetern, eine Küche von 6 Quadratmetern und ein Badezimmer haben. Dabei war der gesetzlich regulierte Preis für den sozialen Wohnungsbau der viviendas protegidas auf 35.000 Peseten pro Wohnung (inklusive Grundstück und Erschließungskosten) festgelegt. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation und der Kosten für Baumaterial und Grundstücke konnte die Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus daher so nicht erfüllt werden. Zudem waren die Ausgaben des Staates aufgrund der fruchtlosen Steuerreformen, die sich vorwiegend auf die Konsumsteuer beschränkten, stark auf Staatssicherheit und Kirche begrenzt, wohingegen die Infrastruktur- und Sozialausgaben deutlich beschnitten wurden.75 Somit engagierten sich die staatlichen Institutionen mit dem begrenzten Budget zu dieser Zeit vorwiegend für den Wiederaufbau der im Bürgerkrieg 72 Vgl.: Carlos Sambricio, El Plan Nacional de la Vivienda de 1944, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 280–282 ; Moya Gonzalez, Barrios, S. 33. 73 Zur Geschichte des Nationalen Industrieinstituts (INI) siehe u.a.: Pablo Martín Aceña, Francisco Comín, INI. 50 años de industrialización en España, Madrid 1991. 74 Siehe u.a.: Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 86–90 ; José Antonio Miranda Encarnación, El fracaso de la industrialización autárquica, in : Autarquía y mercado negro, S. 95–121 ; Carlos Barciela López u.a., La España de Franco (1939–1975). Economía, Madrid 2001, S. 113–154 ; Carlos Barciela López, Guerra Civil y primer franquismo (1936–1959), in : Historia económica de España (siglos X-XX), hg. v. Francisco Comín u.a., Barcelona 2002, S. 331–367, hier : S. 339–352. 75 Barciela López, Guerra Civil, S. 349–351 ; Francisco Comín, Historia de la Hacienda pública. España (1808–1995), Barcelona 1996, S. 85–87 ; Francisco Comín, La Hacienda pública en el franquismo autárquico, 1940–1959, in : Autarquía y mercado negro, S. 247–271, hier : S. 247–251.
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zerstörten Regionen und Orte76 und, was konkret Madrid betrifft, mit der Formulierung illusorischer Pläne für den Ausbau der Hauptstadt zur imperialen Metropole. Durch repräsentative Bauten im Zentrum der Stadt sollten Macht und Potenz des Regimes zur Schau gestellt werden. Die privaten Bauunternehmer beteiligten sich ebenfalls nur begrenzt, was neben den genannten wirtschaftlichen Ursachen auch durch das neue Mietgesetz von 1946 zu begründen ist : Die Mieterhöhungssperre machte den Mietwohnungsbau unattraktiv.77 Daher wurden 25 Prozent der geplanten Bauvorhaben ausschließlich im Rahmen der staatlichen Beihilfe der viviendas bonificables durch die vorwiegend neu gegründeten Bauunternehmen ausgeführt und an die Mittelschicht verkauft.78 Die durch die Stagnation im Wohnungsbausektor verursachte Wohnungsnot wurde durch die Zuwanderung aus ländlichen Gegenden in die Städte noch verstärkt. Die misslungenen Agrarreformen, in deren Folge sich die Situation in den spanischen Agrargebieten wesentlich verschlechterte und von denen insbe76 Zur Baurealisierung durch öffentliche Institutionen in Madrid siehe u.a.: Moya González, Barrios, S. 34–35 ; López Díaz, La vivienda social, S. 11–62 ; Las viviendas que construye el Ayuntamiento de Madrid, in : Vivienda y Paro, Nr. 21, 1952, S. 9 ; Fidel Sanz, Treinta años de realizaciones de la Obra Sindical del Hogar en Madrid, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 75, 1968, S. 3–7 ; Adolfo Martín Arbués, Juan Roca Cabanellas, El derecho a la vivienda, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 18, 1958, S. 50–75. Zur Baurealisierung durch öffentliche Institutionen in Barcelona siehe u.a.: El Instituto Municipal de la Vivienda de Barcelona realiza una eficaz labor, in : Vivienda y Paro, Nr. 40, 1954, S. 15–16 ; De les cases barates als grans polígons, S. 26–29 ; »La construcción de viviendas por la obra Sindical del Hogar…«, S. 65–66 ; »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona a través del Instituto Municipal de la Vivienda. Conferencia pronunciada por el Gerente del Instituto Municipal de la Vivienda del Excmo. Ayuntamiento de Barcelona, el día 18 de noviembre de 1953«, in : Entidad Benéfica Constructora Viviendas Congreso Eucarístico, S. 67–77, hier : S. 73–77. 77 Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 24. 78 Laut kommunaler Angaben wurden in Madrid durch die private Initiative im Jahre 1939 insgesamt 945 Wohnungen gebaut, während es im Jahre 1940 bereits 2.887 waren. Diese Zahl wuchs von Jahr zu Jahr und erreichte im Jahre 1948 die Zahl von 4.144 Wohnungen. Dies ergab für die 1940er Jahre einen Durschnitt von 2.410 Wohnungen pro Jahr, die von privaten Bauunternehmern gebaut worden waren. Demgegenüber wurden im Durchschnitt 776 Wohnungen in dieser Zeitspanne von öffentlichen Organen gebaut. In : Gaspar Blein, Algunos datos e ideas sobre el tema de la vivienda en relación con el Plan de Ordenación de Madrid, in : Gran Madrid, Nr. 6, 1949, S. 3–9, hier : S. 9. In Barcelona wiederum wurden den vorliegenden Quellen zufolge Anfang der 1940er Jahre keine Wohnungen gebaut. Erst seit Mitte der 1940er Jahre begann das Bauwesen damit, sich aus der Stagnation zu befreien. Trotzdem wurden nur ca. 20–25 % des Wohnungsdefizits gelindert, in : Molinero ; Ysàs, »Patria, Justicia y Pan«, S. 204. Vgl.: Montserrat Galera u.a., Atlas de Barcelona, Barcelona 1982, S. 356.
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sondere Landarbeiter und Kleingrundbesitzer stark beeinträchtigt waren,79 sowie häufig auch politische Repression in den ländlichen Gebieten, vor der die urbane Anonymität zu schützen versprach, zwangen viele, sich auf den Weg in die Großstädte zu machen.80 Begünstigt wurde die Land-Stadt-Wanderung ab den 1950er Jahren zudem durch einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung und die Neuorientierung von der Agrarwirtschaft hin zur Industrie. Dies wurde möglich, nachdem 1953 ein Abkommen mit den USA unterzeichnet worden war, das Wirtschaftshilfe insbesondere in Form von Nahrungsmitteln und Rohstoffen vorsah. Dies bedeutete zwar keinesfalls das Ende des Autarkiestrebens oder den Eintritt in eine signifikante Wachstumsphase,81 dennoch begann sich das Bauwesen in Folge dessen langsam aus der Stagnation zu befreien, was nicht zuletzt durch den Import von Bauressourcen unterstützt wurde. Dies erhöhte den Bedarf an billigen Arbeitskräften, was die Migrationswellen aus den ländlichen Gebieten in die Städte verstärkte. Die neugebauten Wohnungen waren dennoch aufgrund der immer weiter steigenden Bodenpreise für die migrierten Landarbeiter meist unerschwinglich,82 weshalb Letztere für den Bau eines eigenen Heims auf die öffentlich nicht kontrollierten, günstigeren Agrargrundstücke an den Stadträndern auswichen. Die Stadtperipherien bildeten demnach einen alternativen Grundstücks- und Wohnungsmarkt, der sich jenseits des offiziellen Immobilienmarkts entwickelte und sich am Prinzip der Nachfrage und an den finanziellen Möglichkeiten der Migranten orientierte. Das im Südosten Madrids gelegene Stadtviertel Entrevías im Bezirk Vallecas entstand im Zuge der Land-Stadt-Migration der 1950er Jahre. Die gesamte Gegend bestand nach dem Bürgerkrieg noch weitgehend aus unerschlossenem Agrarland mit Getreideanbau. Erst in den 1940er Jahren siedelten sich dort die ersten Migranten an, und es formierten sich mehrere Barackensiedlungen. 79 Vgl.: Carlos Barciela López, Inmaculada López Ortiz, El fracaso de la política agraria del primer franquismo, 1939–1959. Veinte años perdidos para la agricultura española, in : Autarquía y mercado negro, S. 55–93 ; Barciela López, Guerra Civil, S. 341–344 ; Miguel Ángel del Arco Blanco, Las alas del Ave Fénix. La política agraria del primer franquismo (1936–1959), Granada 2005 ; Miguel Ángel del Arco Blanco, Hambre de siglos. Mundo rural y apoyos sociales del franquismo en Andalucía Oriental (1936–1951), Granada 2007, S. 19–30. 80 Neben dem ökonomischen Aspekt und der Repression wird oft auch die Attraktion der Städte als ein weiterer Migrationsgrund genannt, auch wenn dieser nur eine marginale Rolle spielte. Vgl.: Cabo Alonso, Valor, S. 354–360 ; Jaume Botey Vallés, Cinquenta-quatre relats d’immigració, in : Perspectiva Social, Nr. 15, 1980, S. 7–98, hier : 25–31. 81 Vgl.: Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 109. 82 Cotorruelo, La política económica, S. 68–69.
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Eine massive Zuwanderung erlebte Entrevías insbesondere zwischen 1953 und 1957 im Kontext der beschriebenen wirtschaftlichen Reformen und des leichten Wirtschaftsaufschwungs. Während in der Periode zwischen 1941 und 1950 über 270.000 Migranten nach Madrid abwanderten, migrierten zwischen 1951 und 1960 bereits etwas mehr als 425.000 Personen in die Hauptstadt.83 Innerhalb dieser Gesamtzahlen gibt es zwar keine Spezifizierung für Entrevías, jedoch lässt sich das Ausmaß der Zuwanderung in diese Gegend an der Zahl der dort entstandenen Baracken messen : Im Jahre 1956 gab es laut offiziellen Angaben in Entrevías 4.322 Baracken und Hütten.84 Zu den größten Barackensiedlungen im Stadtviertel und gleichzeitig insgesamt in der Hauptstadt zählte El Pozo del Tío Raimundo. Im Jahre 1940 gab es dort nur fünf Baracken, 1947 waren es neun. In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Hütten aber konstant und kontinuierlich an, sodass gegen Mitte der 1950er Jahre bereits mindestens 1.714 Baracken in Pozo del Tío Raimundo standen.85 Im Jahre 1956 lebten insgesamt 7.600 Personen in der Siedlung.86 Jahr
Zahl der Baracken in Pozo del Tío Raimundo
1940
5
1947
9
1948
14
1949
22
1950
36
1951
46
1952
64
1953
mehr als 100
Mitte der 1950er Jahre
mehr als 1.700
Tabelle 1 : Die wachsende Zahl der Baracken in Pozo del Tío Raimundo 1940 bis 1953. Nach 1953 steigt die Zahl so enorm, dass eine genaue Zählung nicht mehr möglich war und man Mitte der 1950er Jahre von mehr als 1.700 Baracken ausging. Quelle : Constancio de Castro, El Pozo del Tío Raimundo, in : Estudios Geográficos, Nr. 84–85, 1961, S. 501–526, hier : 504. 83 Zwischen 1941 und 1950 waren es 272.126 Migranten und zwischen 1951 und 1960 bereits 425.642. In : Barbancho, Las migraciones interiores, unpag. 84 Entrevías. Transformación urbanística de un suburbio de Madrid, hg. v. Ministerio de la Vivienda, Madrid 1965, S. 6. 85 Barrio de Entrevías, in : Arquitectura, Nr. 61, 1964, S. 3–29, hier : S. 3. 86 Francisco Javier Espiago González, El Pozo del Tío Raimundo, in : Madrid. De la Plaza de Santa Cruz a la Villa de Vallecas, hg. v. Ayuntamiento de Madrid, Instituto de Estudios Madrileños, Bd. 2, Madrid 1979, S. 761–780, hier : 762.
Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt
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Den nach bezahlbarem Wohnraum suchenden Migranten, meist aus Andalusien und Kastilien zugewandert,87 reichten aufgrund der hohen Preise für urbane Grundstücke die gesparten Mittel, die oft aus dem Verkauf von Eigentum im Herkunftsort (Haus, Tiere, Möbel) stammten,88 nur für den Kauf eines ländlichen Grundstücks im Umland der Stadt. Aufgrund der steigenden Nachfrage verkauften in Entrevías die Landgrundbesitzer den Zuwanderern kleine Parzellen. Doch mit dieser Parzellierung beschäftigten sich auch legale Bauunternehmer, die mit Hilfe der staatlichen Begünstigungen der 1940er Jahre ihre Unternehmen gründeten und für den Wohnungsbau billige Agrarlandstücke von ortsansässigen Kleingrundbesitzern abkauften. Parcesol S.A. und insbesondere die Gebrüder Santos gehörten zu jenen Bauunternehmen in Madrid, die im gesamten Stadtbezirk Vallecas tätig waren. Die Gebrüder Santos erhielten für einen Teil des gekauften Bodens Baulizenzen und bauten kleine Wohnsiedlungen minderer Qualität.89 Allerdings befand sich ein Teil der erworbenen Grundstücke der Gebrüder Santos, darunter die des Pozo del Tío Raimundo, in den im 1941 entworfenen (und erst 1948 verabschiedeten) Plan General de Ordenación Urbana (Generalplan der stadtplanerischen Regelung) vorgesehenen grünen und nicht zur Urbanisierung freigegebenen Zonen, sodass dem Unternehmen dort keine Baulizenz erteilt wurde.90 Nun versuchten die Gebrüder Santos, diese Grundstücke in anderer Weise gewinnbringend zu nutzen : Sie unterteilten sie in kleine Parzellen und verkauften diese einzeln an Zuwanderer in Wohnungsnot.91 Trotz der Qualifizierung all dieser Grundstücke als Agrarland wurden diese aufgrund der relativen Nähe zum Verkehrsnetz und den urbanen Zentren zu für Agrarland weit überhöhten Preisen an die Migranten verkauft.92 Angesichts der Tatsache, dass sich diese Parzellen auf einem nicht zur Urbanisierung vorgesehenen Grundstück befanden und darüber hinaus keine Baulizenz, die sich an den 87 32 % der Zugewanderten in Pozo del Tío Raimundo waren aus Jaén, 20 % aus Toledo und Ciudad Real, 8 % aus Extremadura und 9 % aus Córdoba. In : Constancio de Castro, El Pozo del Tío Raimundo, in : Estudios Geográficos, Nr. 84–85, 1961, S. 501–526, hier : 511. 88 Vgl.: Arnoriega, Del barro al barrio, S. 38. 89 Vgl.: Entrevista a Felipe Belinchón, 28 marzo 1987 und Entrevista a Filomena López Bebia, 6 de marzo de 1987, in : Capas populares y urbanismo : Palomeras un Barrio Obrero durante el Franquismo. 1950–1980, Historia Oral del Tiempo Presente. Seminario de Fuentes Orales, Biblioteca de Geografía e Historia de la Universidad Complutense DVD 946.41SFO-03 ; Ramón López de Lucio, Génesis y remodelación de una parcelación marginal madrileña. El Pozo del Tío Raimundo (Vallecas), in : Ciudad y territorio, Nr. 76-2, 1988, S. 55–70, hier : 57–58. 90 Juan Mayoral u.a., Vallecas : Las razones de una lucha popular, Madrid 1976, S. 30. 91 López de Lucio, Génesis, S. 57–58. 92 Ebd.
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öffentlichen Bauplänen orientierte, von den kommunalen Organen vorhanden war, war der Verkauf der Parzelle für den Bau einer Wohnbaracke illegal. Die Parzellen wurden jedoch dem Vertrag nach immer als Agrarparzellen verkauft (d.h. zu Kultivierungszwecken),93 sodass diese Form der Transaktion meist den Anstrich eines legalen Verkaufs94 bewahrte und dementsprechend öffentlich durchgeführt wurde : Mitten im Agrarland wurde auf dem zum Verkauf vorbereiteten Grundstück ein Tisch aufgestellt, an dem der Grundstücksbesitzer und ein Augenzeuge, der gleichzeitig die Funktion einer administrativen Beihilfe übernahm, saßen. Die Migranten stellten sich als Käufer in einer Reihe hinter den Tisch und unterschrieben schließlich ein bereits vollständig vorbereitetes Vertragsformular. Die Verträge waren als Absatzbindungsverträge (contratos de arrendamiento con promesa de venta) konzipiert : Sie sahen den Verkauf der kleinen Parzellen unter der Voraussetzung einer Vorauszahlung (entrada) sowie einer monatlichen Mietzahlung über einen Zeitraum von 15 Jahren vor. Die Monatszahlung war demnach eigentlich eine Art der Kredittilgung, sodass das Grundstück nach vollständiger Abzahlung in das Eigentum des Käufers überging. Dabei mussten die gesamten Kosten, Ausgaben und Steuern sowie jegliche Kosten für juristische Betreuung im Falle einer Vertragsauflösung vom Käufer getragen werden. Sollte auch nur eine einzige Monatsrate nicht bezahlt werden, fiel das Grundstück an den Verkäufer zurück. Dabei erlaubte diesem der Vertrag, auch die bisherigen Ratenzahlungen als Gegenleistung für die Überlassung des Grundstücks zu behalten, und berechtigte zu einer sofortigen Zwangsräumung.95 Demnach sicherten diese Verträge dem Grundbesitzer einen Gewinn und die hundertprozentige Abzahlung der gesamten Summe, versprachen jedoch gleichzeitig den zukünftigen Bewohnern aufgrund der Vorbezahlung einen Teil des Grundstücksrechts. Im Gegensatz zum Wohnen zur Untermiete, was unter den Migranten tendenziell als Scheitern empfunden wurde,96 gab der Kauf einer Parzelle den Zuwanderern daher das Vertrauen, eine sinnvolle Investition in zukünftiges Eigentum getätigt zu haben.97 Auch wenn dieser Parzellen93 Vgl.: Juan Montes Mieza u.a., Los asentamientos chabolistas en Madrid, in : Ciudad y Teritorio. Revista de ciencia urbana Nr. 2–3, 1976, S. 159–171, hier : S. 161 ; Esperanza Molina, Los otros madrileños. El Pozo del Tío Raimundo, Madrid 1984, S. 41–42. 94 Der »legale« Verkauf, bei dem ein Vertrag und/oder sonstige Nachweise im Spiel waren, war die meistverbreitete Art, während eine Vermietung ohne Nachweise sehr selten war. Vgl. Montes Mieza, Los asentamientos, S. 166. 95 Vgl.: Ebd.; Joan Busquets i Grau, La urbanización marginal, Barcelona 1999, S. 103–105. 96 Siguán, Del campo al suburbio, S. 243. 97 Vgl.: Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 75 ; Lopez Medel, La familia rural, S. 38.
Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt
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verkauf meist durch weit überhöhte Preise und eine gesetzlich oft fragwürdige Form charakterisiert war, ermöglichte diese periphere Parzellierung dennoch den ökonomisch schwachen Arbeiterschichten den Zugang zum »alternativen« Grundstücksmarkt an den Stadträndern. Dieser orientierte sich nämlich an den finanziellen Möglichkeiten der Zuwanderer, die aufgrund der Wohnungsmangelsituation und der weit über ihren finanziellen Möglichkeiten liegenden Wohnungspreise vom regulären Immobilienmarkt ausgeschlossen waren.98 Die Migranten sicherten sich somit eine prekäre und in der Hoffnung auf eine zukünftige Besserung der eigenen Lebenssituation temporäre, jedoch flexible und ökonomisch tragbare Wohnmöglichkeit in der Stadt. Die gesamte Verkaufsoperation in Pozo del Tío Raimundo umfasste dabei zusätzliche Angebote für jene Zuwanderer ohne ausreichende finanzielle Mittel, wie etwa Kredite für den Kauf einer Parzelle oder für die Beschaffung von Baumaterial.99 In unmittelbarer Nähe der parzellierten Grundstücke befanden sich auch Baumateriallager, in denen die Migranten die benötigten Baustoffe kaufen konnten.100 Es gab auch zusätzliche Leistungsangebote wie etwa organisierte Maurergruppen, die sich anboten, entgeltlich Baracken zu errichten.101 So entwickelte sich an den Stadträndern ein spekulativer alternativer Immobilienmarkt, in dem die Migranten zwar aufgrund ihrer mangelnden Kaufkraft bei gleichzeitiger Notwendigkeit, eine Bleibe zu finden, eine wesentlich beeinträchtigte Position hatten. Dennoch stellte sich diese Form von Mikro-Bautätigkeit auch für sie als eine Art kleine Investition dar, die für die zukünftige Verbesserung ihrer Situation, etwa den Kauf einer Wohnung in der Stadt sorgen sollte.102 Die Baracken als primäre und elementare Wohnmöglichkeiten stellten nämlich bereits den ersten Schritt in die Urbanisierung dieser Zone dar und sicherten somit die Revalorisierung des Ausgangspreises.103 In Pozo del Tío Raimundo stiegen die Preise der Parzellen seit 1940 kontinuierlich : Wurden 1940 98 Vgl.: Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 51. 99 Vgl.: Llamarse barrio : el Pozo del Tío Raimundo, Madrid 1986, S. 15–16 ; Montes Mieza, Los asentamientos, S. 161 ; Castro, El Pozo del Tío Raimundo, S. 506. 100 Montes Mieza, Los asentamientos, S. 161. 101 Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 245. 102 Siehe u.a. die Beiträge »Familia Núm. 16«, »Familia Núm. 86«, »Familia Núm. 88«, »Familia Núm. 89« in der Dokumentation zur Untersuchung von 100 Migrantenfamilien, die in diversen Barackensiedlungen lebten : Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 74, 185, 188, 189. Vgl.: Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 75. 103 Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 114 ; Horacio Capel, Agentes y estrategias en la producción del espacio urbano español, in : Revista de Geografía, Nr. 1–2, 1974, S. 19–55, hier : S. 32.
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pro Quadratfuß (0,09 Quadratmeter) 0,40 Peseten gezahlt, verkaufte man die Parzelle im Jahre 1956 bereits für 9 Peseten, später sogar für 14 und mehr Peseten.104 Aus diesem Grund wurden die einfachen Baracken, Hütten oder kleinen Häuschen im Gegensatz zur Monatszahlung für die Untermiete immer als kleine familiäre Geldanlage angesehen. Besaßen die Baracken einen Immobilienwert, wurden sie somit innerhalb der Siedlung zum Geschäfts- und Spekulationsobjekt :105 Sie wurden verkauft, vermietet (manche wurden direkt zum Vermieten gebaut106) oder gegen Ablösegeld107 weitergegeben. Erlaubten die aus dem Herkunftsort mitgebrachten Ersparnisse den Kauf einer größeren Parzelle, wurde eine solche nochmals klein unterteilt : Auf einem Teil der Parzelle baute sich der Zuwanderer eine eigene Wohnbaracke, die andere Hälfte wurde dann gegen einen nochmals erhöhten Preis an weitere Migranten vermietet.108 War der Kauf einer Parzelle durch den Migranten abgeschlossen und somit auch das Teilrecht über das Grundstück erworben, begann der Bau der Baracke. Die Konstruktion hing dabei von den finanziellen Möglichkeiten und den Bedürfnissen einer jeden Familie ab. In der Regel handelte es sich jedoch zunächst meist um minimale Wohnräume, die in den meisten Fällen von den Zuwanderern selbst und aufgrund der Illegalität sowie der polizeilichen Kontrollen in der Nacht schnell gemeinsam mit Familienangehörigen und Nachbarn aufgestellt wurden.109 Dabei waren die Baracken die elementaren Bestandteile einer auf diese Weise neu entstandenen Siedlung. Die dicht aneinander gebauten Baracken formten aufgrund der Parzellierung und ihrer Spontaneität eng gehaltene, nicht asphaltierte Straßenlinien, die der Bahnlinie folgten und in Sackgassen oder auf kleinen »Plätzen« endeten. Die Sozialassistentin Esperanza Molina, die in den 1950er und 1960er Jahren in der Siedlung Pozo del Tío Rai104 López de Lucio, Génesis, S. 58 ; Carlos Colorado Carrasco, Luis H. Castellanos, Madrid, Villa y Puente : Historia de Vallecas, Madrid 1988, S. 141. 105 Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 75. 106 Vgl. »Datos sobre las viviendas construidas por el Gobierno Civil y beneficiarios de las mismas«. Conferencia pronunciada por el IImo. Sr. D. Carlos de la Cuadra, Delegado de Evacuación y Construcciones del Gobierno Civil de Barcelona, el día 20 de noviembre de 1953, in : Entidad Benéfica Constructora Viviendas Congreso Eucarístico, S. 79–91, hier : S. 81. 107 So kostete beispielsweise im Jahre 1953 die Übertragung einer Baracke bereits zwischen 7.000 und 8.000 Peseten, während eine 45 m2 große Sozialwohnung des OSH rund 44.352 Peseten mit einem Monatszins von 118 Peseten kostete. In : Sambricio, Las chabolas en Madrid, Bd. 1, S. 248. 108 Vgl.: »Familia Núm. 86«, in : Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 185. 109 Vgl.: Jesús María Vázquez, Pablo López Rivas, Palomeras. Una parroquia suburbana. Estudio sociológico, Madrid 1966, S. 42.
Die Stadtperipherien als alternativer Immobilienmarkt
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mundo arbeitete, schrieb in ihrem Arbeitsbericht, dass »die Straßenlinienführung senkrecht zur Bahnlinie, zueinander gerade und parallel war. Die Bahnlinie war der Referenzpunkt und das Zentrum des Soziallebens. Gleichzeitig war sie die Mauer und die Kommunikationslinie. Um die Bahnlinie formierte sich die Siedlung.«110 Die Straßen wurden schlicht nummeriert oder, was üblicher war, nach den ältesten Bewohnern bzw. Inhabern einer Bar oder eines Nahrungsmittelladens benannt.111 Die Baracken selbst, meist eingeschossig und weiß getüncht, reproduzierten dörfliche Baumuster : Die meisten verfügten über eines bis höchstens zwei Zimmer mit einer Gesamtfläche von jeweils ca. 5,5 Quadratmetern.112 Aufgrund des fehlenden Kanalisationssystems verfügte der Großteil der Baracken über keine Toilette, wenn auch einige wenige Bewohner einen winzigen Raum, in dem ein tiefes Loch ausgehoben war, als WC nutzten.113 Den beschränkten Raum kompensierte ein Garten oder Hinterhof, in dem alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wie Wäsche waschen, Mahlzeiten vorbereiten, Schneidern usw. ausgeführt wurden. Je nach Beschaffungsmöglichkeiten oder finanziellen Mitteln hatten einige Baracken eine Zementbodenverlegung (während die meisten doch die natürliche Erde als Boden nutzten), Glasfenster (andere nutzten zur Belüftung nur die Tür) und auch Innenhöfe, die mit bemalten Kacheln ausgelegt waren.114 Sollten die Baracken möglichst dem im Dorf verlassenen Haus ähneln,115 wurde dieser deutlich rurale Charakter zusätzlich durch das Bestreben nach Pflanzenund Gemüsekultivierung, insbesondere in der Baracke zugehörigen Gemüsegärten (huertas) sowie durch die Präsenz von vom Dorf mitgebrachten Tieren wie Hühnern, Kaninchen, Ziegen, Eseln wie auch Katzen und Hunden unterstrichen.116 110 »El trazado de las calles era perpendicular a la vía, en líneas rectas y paralelas entre sí. La vía del ferrocarril era el punto de referencia, el eje de la vida social del barrio. Era a la vez, su muralla y su vía de comunicación. […] La población se formó en torno a la vía […].«, in : Molina, Los otros madrileños, S. 70. 111 Llamarse barrio, S. 16 ; Castro, El Pozo del Tío Raimundo, S. 508, Vgl.: Vázquez, López Rivas, Palomeras, S. 42. 112 Vgl.: Marcial Echenique, El barraquismo de Montjuich, Dissertation, unveröffentliches Manuskript, Barcelona 1965, S. 30. 113 Vgl.: Ebd., S. 31. 114 Zahlreiche Beschreibungen von Baracken bei Siguán, Del Campo al Suburbio ; Capas populares y urbanismo, DVD 946.41SFO-03. 115 Vgl.: Dokumentation »Familia Núm. 1«, »Familia Núm. 76«, in : Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 54–55, 171 ; Castro, El Pozo del Tío Raimundo, S. 510, 522–526. 116 Vgl.: Molina, Los otros madrileños, S. 61.
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Das sichtbar ländliche Gepräge der Barackensiedlung durchbrach jedoch der Umstand, dass die berufliche Aktivität nicht mit Landkultivierung verbunden war : Die meisten Männer arbeiteten außerhalb der Siedlung in der großstädtischen Industrie oder im Bausektor.117 Die Frauen beschäftigten sich dagegen meist mit dem Haushalt, auch wenn ein Teil von ihnen in der Dienstleistung oder Industrie tätig war. Einige verdienten sich ein zusätzliches Einkommen mit Aufträgen für Schneider- und Näharbeiten. Dies ermöglichte ein vergleichsweise sicheres Einkommen und damit die Erfüllung der elementaren Lebensbedürfnisse. 2.3 Die Stadtverwaltung zwischen den politischen Ansprüchen des Staates und der Realität der Stadtperipherien Im Gegensatz zu den Madrider Stadtperipherien, wo die Barackensiedlungen meist durch den Verkauf von parzelliertem Agrarboden entstanden, kam es in Barcelona deutlich öfter zur Besetzung öffentlicher und privater Grundstücke, die meistens in Küstennähe oder auf Industriegelände situiert waren, durch Barackenbewohner.118 Zur Agrarlandparzellierung kam es lediglich in den nördlichen Stadtteilen sowie in der Umgebung des Berges Montjuïc.119 Da es im Umland der Stadt, anders als in der Hauptstadt, kein großflächiges Agrarland gab, waren an der Parzellierung in Barcelona nicht Groß-, sondern meist Kleingrundbesitzer beteiligt. Viele Barceloneser verfügten über kleine Garten- oder Weinbergparzellen, wohin sie sich sonntags (woraus der Begriff domingueros als Bezeichnung für diese Wochenend- bzw. Kleingärtner entstand) zur Erholung oder zum Gemüse- und Weinanbau begaben. Oft hatten sie auf dieser Agrarparzelle bereits eine Hütte zur Aufbewahrung von Werkzeug errichtet. Mit der steigenden Land-Stadt-Zuwanderung vermieteten sie oft einen Teil oder das 117 Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 212. Vgl.: Vázquez, López Rivas, Palomeras, S. 36–37 ; Manuel Valenzuela Rubio, El barrio de Doña Carlota en la Aglomeración del Puente de Vallecas, in : Estudios Geográficos Nr. 116, 1969, S. 403–453, hier : S. 410. 118 Dies wurde in der Hauptstadt meistens von der Roma-Bevölkerung praktiziert und betraf meist öffentliche Grundstücke, in : Montes Mieza, Los asentamientos, S. 162. 119 Zu jener Zeit befanden sich die existierenden Barackensiedlungen auf privatem, kommunalem und staatlichem Boden, zudem waren sie meist an die kommunalen, staatlichen oder privaten Verkehrsnetze angebunden. In : Ayuntamiento de Barcelona. Plano de la ciudad : Emplazamiento barracas y cuevas, 1945, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, R 1339. Vgl.: Maximiliano Díaz Molinaro, El empleo, la construcción y la vida en las barracas, in : Barracas. La Barcelona informal del siglo XX, S. 83–106, hier : S. 92–106.
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gesamte Grundstück an die Zuwanderer und sicherten sich somit eine zusätzliche Geldeinnahme.120 In der Konsequenz der Bauaktivitäten der Migranten und des Handelns der Grundbesitzer und aller anderen Akteure, die sich an diesen Prozessen beteiligten, setzte sich die Verstädterung an den Stadtperipherien beider Städte fort. Laut offiziellen Angaben soll es bereits in den 1940er Jahren in Madrid 30 Barackensiedlungen121 gegeben haben, in denen zwischen 10.000 und 20.000 Personen lebten.122 In Barcelona wurde die Zahl der Baracken auf 5.852 geschätzt, in denen 26.081 Personen gelebt haben sollen.123 In den frühen 1950er Jahren, als es aufgrund der wirtschaftlichen Reformen und politischen Umstrukturierungen zum ersten Mal zu einem merklichen Wirtschaftswachstum124 und darüber hinaus zu verstärkten Migrationswellen kam, verdoppelten sich diese Zahlen nochmals. Die Zahl der Baracken in Barcelona scheint wesentlich kleiner als in der Hauptstadt gewesen zu sein, wobei man die administrativen Grenzen der Städte – und damit die Unterschiede der historischen Datenüberlieferung – berücksichtigen muss. Viele Baracken befanden sich in Nachbarkommunen, die 1948 nach Madrid eingemeindet wurden. In Barcelona wird die Zahl der Baracken dagegen nur auf das Stadtgebiet bezogen, obwohl Baracken auch in Nachbarorten zahlreich waren. Die wichtigsten Barackensiedlungen in Barcelona waren : Montjïuc (8.970 Bewohner), Somorrostro-Camp de la Bota (6.900) Vall d’Hebron (2.590), Collblanc-Esplugues (2.300).125 Die rasche Ausbreitung der Baracken und Hütten stellte für das Regime ein gravierendes Problem dar. Hierdurch zeigte sich die evidente politische Ineffizienz des Staates, der zwar die Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation der Arbeiter ins Zentrum der Propaganda stellte, jedoch keine effektive Lösung 120 Siehe u.a.: Fernando Maldonado, La verdad de Montjuich, Barcelona 1962, S. 21–22 ; El barraquisme a la ciutat de Barcelona. Can Valero, la Perona i el Caramel, hg. v. Grup de recerca d’etnohistòria del barraquisme, in : Revista d’etnologia de Catalunya, Nr. 33, 2008, S. 170–180, hier : S. 172 ; Jesús Carrasco Martínez, Verdum des de l’any 1952, Barcelona 1994, S. 117–122. 121 Carlos Sambricio zeigte die Lokalisierung der Barackensiedlungen in Madrid in sechs Sektoren auf : Norte, Ventas, Puente de Vallecas, Usera, Puente de Toledo, Paseo de Extremadura. In : Sambricio, Las chabolas en Madrid, Bd. 1, S. 248. 122 Gran Madrid, Nr. 1, 1948, S. 25. 123 Las barracas ante el problema de la vivienda, in : AMCB, Gestió urbanistica, Exp. 1268, Bl. 8. In anderen Quellen wurde wiederum die Zahl auf 7.334 geschätzt, in : Problema de las »barracas« en Barcelona, in : Boletín de Información de la Direción General de Arquitectura, Nr. 14, 1950, S. 27. 124 Joan Clavera u.a., Capitalismo español : de la autarquía a la estabilización (1939–1959), Bd. 2, Madrid 1973, S. 19–20. 125 Galera, Atlas de Barcelona, S. 360.
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vorzuzeigen hatte. Zudem waren Barackensiedlungen aus Sicht des Staates illegal, weil sie sich den administrativen Anordnungen widersetzten.126 Demnach forderte der Staat in erster Linie die Kommunen auf, effektivere Lösungen zu finden. Für die Stadtverwaltung jedoch stellte sich diese Aufgabe, wie dies exemplarisch am Beispiel Barcelona gezeigt wird, aus rechtlichen und vor allem finanziellen Gründen als schwierig zu lösen dar. 2.3.1 Die Baracken als Herausforderung für die Stadt Barcelona
Der interne Schriftverkehr der Stadtverwaltung Barcelona macht deutlich, dass die verstärkte Proletarisierung aufgrund der schnell fortschreitenden Ausbreitung der Baracken und eine damit verbundene mögliche Störung der öffentlichen Ordnung für die Kommune eine dominante Sorge war.127 Betonte das Regime stets die Notwendigkeit einer Überwindung des Klassenkampfes durch eine sorgfältige Vorbeugung gegenüber räumlicher Klassensegregation, so bildeten die Barackensiedlungen demgegenüber eine dichte Konzentration der Arbeiterschaft, die zu Protesten und Unruhen führen konnte. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Industrialisierung und den Arbeiterbewegungen wurde gerade in Katalonien und in besonderem Maße in Barcelona, wo der öffentliche Raum bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts oft zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen geworden war,128 das Problem politisch intensiver diskutiert und die Arbeiterschaft besonders stark ins Visier des Regimes genommen.129 Nun war das Problem, zunächst aus rechtlichen Gründen, nicht leicht zu bekämpfen. Die bereits existierenden Baracken, die also bereits als Wohnraum eingestuft waren und deren Zahl ununterbrochen wuchs, durften ohne entspre126 Vgl.: Díaz Molinaro, El empleo, S. 95. 127 Ayuntamiento de Barcelona, Expediente relativo a la organización del Servicio Municipal para la represión de la construcción de nuevas barracas y ampliación de las existentes, in : AMCB, Q118 Gestió urbanistica, Exp. C. 1402/1949, unpag. 128 Siehe u.a.: Florian Grafl, » ¡Deú nos en guardi, quins lladres !«. Urbane Gewalt im Barcelona der Zweiten Republik (1931–1936) : Gewaltpraxis, staatliche Interventionsversuche und die Reaktionen städtischer Akteure, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 2, 2013, S. 31–42. 129 Einen Hinweis auf die Angst des Regimes vor einem möglichen Ausbruch von Unruhen und Protesten unter Arbeitern liefert etwa der Bürgermeister José Ma Marcet Coll in Sabadell, einer wichtigen Industriestadt Kataloniens, in seinen Erinnerungen. Er erwähnt, dass der Zivilgouverneur von Barcelona oft »mit Angst« und »in den ersten Morgenstunden« angerufen und gefragt habe, ob es keine Neuigkeiten in Sabadell gebe und die Arbeiter die Erfüllung von Pflichten fortsetzten und in Ruhe weiterarbeiteten. In : José Ma Marcet Coll, Mi ciudad y yo. Veinte años en una alcaldía 1940–1960, Barcelona 1963, S. 123–124.
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chende Entschädigung (finanziell oder Ersatzwohnraum) von den öffentlichen Organen nicht abgerissen werden. Daher war den Kommunalbeamten klar, dass das Problem »nicht mit dem Beginn des Barackenbaus« entsteht, sondern erst dann, »wenn die Baracke bereits bewohnt ist und zu einer Wohnung wird« : Der Abriss eines Bauwerks ohne Bauerlaubnis stellt keine Problemlage juristischer, ökonomischer oder öffentlicher Ordnung dar, solange dieses Bauwerk noch keine Wohnung ist.130
Das Beispiel der illegalen Besetzung des Betriebsgeländes der Firma »Piedras y Derivados S.A.« im nördlichen Stadtviertel Barcelonas – Horta-Guinardó – durch Barackenbewohner zeigt exemplarisch, wie ineffektiv das Regime im Hinblick auf das Problem agierte : Seit 1947 meldete die Betriebsleitung beim Zivilgouverneur in Barcelona wiederholt die Existenz illegaler und ohne die Erlaubnis der Firma entstandener Baracken in unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes in Can Baro, was aufgrund der Nähe zu einem Sprengstofflager und einem Steinbruchgelände ein großes Sicherheitsrisiko darstellte.131 Als Antwort auf die Anzeige der Betriebsleitung ordnete der Zivilgouverneur Eduardo Baeza y Alegría132 eine sofortige Räumung der von den Baracken besetzten Zonen, den Abriss der dann leeren Baracken und eine Sicherung des Geländes vor möglichen zukünftigen Besetzungen an. Dennoch wandte sich die Betriebsleitung innerhalb kurzer Zeit erneut an den Zivilgouverneur, da die Barackenbewohner trotz der Präsenz der Sicherheitskräfte des Zivilgouverneurs und dessen angeordneter Räumung nicht nur ihre Wohnräume nicht verlassen, sondern diese zusätzlich noch vermehrt hätten. Die Firma schrieb : Mit Bedauern müssen wir mitteilen, dass trotz der Anordnung durch die motorisierten Polizeikräfte und der den Barackenbesitzern im Auftrag des Zivilgouverneurs gesetzten Frist für die Räumung der Baracken nicht nur das Problem weiterhin besteht, 130 »La demolición de una obra sin permiso no representa cuestión alguna de tipo jurídico, económico o de orden público, […] sino cuando la barraca llega a ser habitada y se convierte en vivienda.«, in : Las barracas ante el problema de la vivienda, in : AMCB Gestió urbanistica, Exp. 1268, Bl. 9. 131 Jefatura del Distrito Minero del Barcelona, Denuncia por construir barracas en la cantera »Can Baro«, in : AHGCB, caixa 4/M-14 Negociat 11-2, 1947, unpag. 132 Nuevo Gobernador Civil de Barcelona, in : ABC, 09.05.1947, S. 8. Mehr zu Eduardo Baeza y Alegría siehe u.a.: Jaume Fabre u.a., Vint anys de resistència catalana (1939–1959), Barcelona 1978, S. 23–24 ; Javier Tébar Hurtado u.a., Gobernadores. Barcelona en la España franquista (1939–1977), Granada 2015, S. 99–116.
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sondern wir müssen sogar feststellen, dass ständig neue Baracken entstehen. […] Natürlich gibt es unsererseits kein Problem damit, die Baracken zu vernichten, sobald diese von den Bewohnern verlassen werden. Dennoch müssen wir Ihnen mitteilen, dass, wenn nicht bald eine Entscheidung getroffen wird, wir uns gezwungen sehen, das Abbaugelände im Steinbruch zu verlassen und unsere Mitarbeiter zu entlassen, um uns nicht weiterhin der Gefahr aussetzen zu müssen, dass eines Tages ein Unglück passiert. Jeden Tag nämlich rücken die Baracken näher an die Steinbruchstelle heran.133
Nachdem der Zivilgouverneur mehrfach die Räumung der Baracken angeordnet hatte, ohne dass sich die Bewohner von der Stelle bewegt hatten, wandte er sich schließlich mit diesem Fall an die höchste Instanz der Polizei, die Jefatura Superior de Policía. In seinem Schreiben drückte Baeza y Alegría seine Ohnmacht in Bezug auf die Durchsetzung mehrerer Ordnungsvorschriften aus, die offensichtlich von den Barackenbewohnern ignoriert worden seien. Die Situation, die die Firma beim Zivilgouverneur angezeigt hatte, zu lösen, sei ein »Akt der Unmöglichkeit«, da »alle diese Menschen, die in diesen Baracken leben, keine Möglichkeiten haben, diese zu verlassen. […] Sie haben nämlich nicht nur keine Mittel für den Umzug und einen Neubeginn, sondern haben mit Sicherheit nicht einmal einen Ort dafür, selbst wenn der Umzug für sie kostenfrei wäre.«134 Im Folgenden signalisierte Baeza y Alegría, dass sich eigentlich das Munizipium um das Problem zu kümmern habe, indem es zunächst einen Unterbringungsort bereitstellen solle, dessen Wohnungsanzahl und Zustand ausreichten, um die betroffenen Familien zu beherbergen. Die Andeutungen und Insinuationen des Zivilgouverneurs wies demgegenüber die Stadtverwaltung von Barcelona mit der Begründung ab, dass »die Lö133 »Sentimos tener que comunicarle que a pesar de haber sido comunicado por la Guardia Motorizada por Orden del Exmo Sr. Gobernador a los dueños de las barracas de que tenían que desalojarse en esta fecha continúan en la misma situación y no solamente eso sino que hemos podido apreciar que se van instalando nuevas barracas. […] Desde luego por nuestra parte no hay inconvenientes en derribarlas todas tan pronto desalojen las barracas pero sí tenemos que comunicarle que si no se toma una determinacion rápidamente nos vamos a ver precisados a abandonar la explotación de las canteras despidiendo al personal o de lo contrario de tener que continuar hay el riesgo de cualquier día ocurra alguna desgracia, puesto que cada día la explotacion está más cerca de la instalación de las barracas.« In : Jefatura del Distrito Minero del Barcelona, Denuncia por construir barracas en la cantera »Can Baro«, in : AHGCB, caixa 4/M-14 Negociat 11-2, 1947, unpag. 134 »toda la gente que habita en dichas barracas no tiene medios hábiles de salir de ellas, (…) pues no solamente carecen de fondos a los fines de traslado y nueva instalación, sino que no encuentran con seguridad sitio donde hacerlo, aunque dicho traslado se hiciera de modo gratuido«., in : Ebd.
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sung der Wohnungsnot aufgrund der Strukturen des spanischen Staates, der den Kommunen zugewiesenen Rolle darin […] und der Mittel, mit denen die Stadtverwaltungen zu rechnen haben, nicht in der Macht der Kommunen liegt.«135 Wollten die Kommunen ihre Rolle im Franco-Staat erfüllen, mussten sie für die Realisierung der Politik des Zentralstaats auf lokaler Ebene sorgen. Nach dem Bürgerkrieg ermöglichten mehrere Verordnungen und abschließend das Gesetz über die Munizipien aus dem Jahre 1945, das als Konsequenz des »Einheitsgeistes des Neuen Staates«136 (espíritu unitario del Nuevo Estado) die bisherige kommunale Autonomie aus dem Jahre 1924 abschaffte, dem Regime, vollen Einfluss auf die lokale Politik auszuüben,137 indem die Stadtverwaltungen dem Innenministerium und somit unmittelbar dem »Paternalismus des Zivilgouverneurs« (paternalismo gubernativo)138 unterstellt waren. Der Zivilgouverneur berief auch den Bürgermeister, meist aus engen persönlichen Kreisen.139 Demnach war der Zivilgouverneur ein Vermittler in den Beziehungen zwischen den Stadtverwaltungen und den staatlichen Instanzen, und »seine Präsenz war in den Stadtverwaltungen permanent.«140 In städtebaulichen Angelegenheiten lag die primäre Aufgabe der Kommunen darin, Grundstücke zu verwalten. Diese Grundstücke durften durch eine entgeltliche Lizenzvergabe den privaten Bauunternehmern überlassen werden oder, wenn es sich um geplante Sozialwohnungen handelte, den öffentlichen Stellen, auch dem Rathaus selbst, kostenfrei übergeben werden. Dabei ging es bei den Sozialwohnungen immer um »vergessenes, unbebautes und weit von jeglichen Kommunikationswegen entferntes Ackerland«141 in der zentrumsfernen und dadurch preisgünstigen Übergangszone zwischen Stadt und Land. Den Kommunen stellte sich des Weiteren die Aufgabe, diese Agrarzonen zu bebauen, mit 135 Las barracas ante el problema de la vivienda, in : Gaceta Municipal de Barcelona vom 07.03.1949, Nr. 10, S. 201–211, hier : S. 201. 136 Acuerdos – Nulidad – Urbanismo. Sentencia de 26 de mayo de 1958, in : Correspondència general d’urbanisme 1955–1959, in : ASAB, Ul. 488, unpag. Vgl.: Ideas generales sobre el Plan Nacional de Ordenación y Reconstrucción, S. 20. 137 Acuerdos – Nulidad – Urbanismo, in : ASAB, Ul. 488, unpag. Vgl.: Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 55–58. 138 José María del Moral, La provincia y el gobernador civil (El Movimiento y la configuración de la vida local), Madrid 1961, S. 22. 139 Moral, La provincia y el gobernador civil, S. 21. Siehe u.a.: Ley de 17 de julio de 1945 de Bases de Régimen Local, BOE, 18.07.1945, Nr. 199, S. 360–384. 140 »La presencia del gobernador civil de cara a la inmensa mayoría de los municipios de su provincia es permanente«. In : Moral, La provincia y el gobernador civil, S. 19. 141 Vivienda y Paro, Nr. 47, 1954, S. 29.
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urbaner Infrastruktur zu versehen (insbesondere im Bereich der Kanalisation, der Wasserversorgung sowie der Straßenbeleuchtung)142 und somit in die Stadt zu integrieren. In der Praxis vergaben zwar die Kommunen die Lizenzen an den Bauunternehmer, sie entschieden jedoch nicht selbst, an wen diese vergeben werden sollten. Die Anträge auf Bauerlaubnis gingen an die dem Zivilgouverneur unterstellte Fiscalía de la Vivienda (Ordnungsamt für Wohnungswesen). Die Físcalia entstand 1936 als eine staatliche Institution des Movimiento Nacional (mit jeweiligen provinzialen Vertretungen) zur Überprüfung der hygienischen Zustände der Wohnungen und Siedlungen. Ihre Aufgabe war es demnach, über die geplanten Bauvorhaben zu entscheiden, im Weiteren auch den Bau zu kontrollieren sowie Siedlungen und Wohnungen auf hygienische Standards zu überprüfen. De facto autorisierte also die Físcalia die neuen Bauvorhaben ; dementsprechend erhielten die Stadtverwaltungen nur die zugelassenen, also bereits entschiedenen Anträge zur Weiterbearbeitung.143 Die Unterstellung der Kommunen unter die nationalen Entscheidungsorgane spiegelte demnach die falangistische Konzeption von der Rolle der Gemeinde wider, die neben Familie und Syndikat die »natürliche Einheit der Nation« bilden sollte. Demnach verfügten die Kommunen im Franco-Staat über keine autonomen und flexiblen Handlungsmöglichkeiten, dazu noch über ein stark reduziertes Budget, das sich ausschließlich auf die indirekte Verbrauchssteuer begrenzte.144 In diesem Kontext stellte sich die Forderung des Zivilgouverneurs von Barcelona nach einer Lösung des Barackenproblems in der Stadt als äußerst schwierig dar. Solange die Probleme durch die staatlichen Strukturen, ihre Kompetenzen und Finanzierungsmöglichkeiten verursacht waren und daher keine effiziente Lösung zu finden war, mussten die Kommunen die bereits existierenden Baracken weitgehend tolerieren. Die Migranten, die als Arbeiter ein notwendiger Teil 142 »La construcción de viviendas por la Obra Sindical del Hogar«, S. 64–65. 143 Gobierno de la Nación, Ministerio de la Gobernación, Decreto de 23 de noviembre de 1940 por el que se dispone la reorganización de la Fiscalía de la Vivienda, BOE, 10.12.1940, Nr. 345, S. 8449–8450. Siehe auch die vorherigen Gesetze : Gobierno General, Ordenes, BOE, 12.04.1937, Nr. 174, S. 93–94 ; Gobierno General, Reglamento provisional para la organización y funcionamiento de la Fiscalía Superior de la Vivienda y de las Delegaciones provinciales, en ejecución del Decreto número 111 de 20 de diciembre de 1937, BOE, 27.02.1937, Nr. 180, S. 536–539. Vgl.: La vivienda. Memoria presentada por Blas Sierra, in : I Congreso de la Federación de Urbanismo y de la Vivienda, Bd. 2, Madrid 1940, S. 151–190. 144 Comín, Historia de la Hacienda pública, S. 228–229.
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des vom Regime selbst propagierten Industrialisierungsprozesses waren, lösten schließlich einen Löwenanteil der Wohnungsfrage selbst, welche der Staat nicht zu lösen vermochte. Nun hieß es, das »Tolerieren« nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Hauptsächlich ging es zu dieser Zeit darum, die Entstehung neuer Baracken zu verhindern und die Menge von Arbeitern, die in diesen Siedlungen bereits ansässig waren, stets im Blick zu behalten und deren Personaldaten zu erfassen. Gerade in Barcelona war die Angst vor der rapiden Barackenausbreitung enorm, da die Baracken in der Auffassung der Stadtverwaltung nicht nur als »das Böse aller Art« galten, sondern aufgrund ihres ständigen Wachstums »ein wirkliches Problem für die öffentliche Ordnung« darstellten, das es unverzüglich »zu vermeiden galt«.145 Aus diesem Grund diskutierten in Barcelona Vertreter öffentlicher Organe bereits seit 1949 intensiv über die Etablierung eines Servicio Municipal para la Represión de la Construcción de nuevas barracas y ampliación de las existentes (Kommunaler Service für die Unterdrückung der Konstruktion neuer Baracken und der Vergrößerung bereits existierender).146 Dem Vorschlag nach galt es, eine kommunale Sicherheitspatrouille zu bilden, in der zwanzig motorisierte Gemeindepolizisten (Guardias Urbanos) mit vier Motorrädern, einem Streifenwagen und zwei Lastwagen sowie zwei kommunale Brigaden (Brigadas Municipales) mit jeweils einem Maurer und vier Hilfsarbeitern vertreten sein sollten. Diese hatten den Auftrag, bereits begonnene, aber noch unfertige Baracken abzureißen und die Peripheriebewohner von weiteren Bautätigkeiten abzuhalten. Zusätzlich sollte eine zentrale Verwaltungsstelle etabliert werden, in der solche Aktionen organisiert und koordiniert werden konnten.147 Die Polizeimaßnahmen im Kampf gegen die Baracken erwiesen sich jedoch für die Stadt als äußerst kostspielig. Aufgrund der raschen Ausbreitung solcher Siedlungen wuchsen nämlich auch die Ausgaben sowohl für Personal wie auch für die Ausrüstung für die kommunalen Sicherheitsbrigaden, die das Phänomen bekämpfen sollten.148 Somit begann man zusätzlich alle Kräfte daran zu setzen, die als illegal eingestufte Migration als Motor für die Entstehung der unkontrollierten Peripherien zu unterbinden. Die Migranten wurden pauschal für die Bildung »anarchistischer und unhygienischer Barackensiedlungen«, in denen jede 145 Expediente relativo a la organización del Servicio Municipal …, in : AMCB, Q118 Gestió urbanistica, Exp. C. 1402/1949, unpag. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Ayuntamiento de Barcelona. Comisión de Obras Públicas, Expediente relativo a los gastos que ocasiona la brigada destinada al derribo de barracas, 1948 in : AMCB, Q134 Obres Públiques, Exp. I-1350, unpag.
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Art der Immoralität und Promiskuität herrsche,149 sowie für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht.150 Demnach forderte man eine verstärkte Kontrolle der in der Stadt Ankommenden. Zuwanderer ohne gültigen Arbeitsvertrag sollten direkt nach der Ankunft in ihre Herkunftsorte zurückgeschickt werden. Nun verstärkte sich diese Repression in der Stadt besonders ab März 1951, nachdem es aufgrund der steigenden Unzufriedenheit unter den Arbeitern im Hinblick auf die Preiserhöhung für die Trambeförderung zu massiven Streiks kam.151 Zwar unterstreichen die bisherigen Untersuchungen, dass die Streiks aufgrund der Steigerung der Lebenskosten und darüber hinaus der verstärkten Unzufriedenheit unter den Arbeitern spontan entstanden, jedoch wurden diese durch Konflikte zwischen diversen Gruppen innerhalb der Machtstrukturen – etwa der katholischen Organisationen, eines Teils der Falange und des katalanischen Bürgertums – unterstützt und politisch ausgenutzt.152 In diesem Sinne kam es unmittelbar nach Streikende in den Strukturen der Falange zu starker innerparteilicher Kritik ; unter anderem wurde bemängelt, dass Protektionismus und Klientelismus im Einheitssyndikat herrsche und dass die vom OSH gebauten Wohnungen ungerechterweise nicht an die Arbeiter, sondern ausschließlich an die Beamten des Movimiento Nacional verteilt würden, was zu Unruhen und Protesten in der Gesellschaft führe.153 Infolgedessen wurden neben dem Hauptinspekteur der Polizei und dem Delegierten des Einheitssyndikats in der Provinz auch der Zivilgouverneur – Eduardo Baeza y Alegría – sowie der Bürgermeister von Barcelona – José María de Albert y Despujol154 – abgesetzt.155
149 Gaceta Municipal de Barcelona, 07.03.1949, S. 203. 150 ¡Que se cierre la inmigración ! In : Diario de Barcelona, 23.10.1949, S. 4. 151 Zu diesem Thema siehe u.a.: Félix Fanes, La vaga de tramvies de 1951, Barcelona 1977 ; Gemma Ramos Ramos, Tranvías y conflictividad social en Barcelona (marzo de 1951) : actitudes políticas y sociales de una huelga mítica, in : Historia Contemporanea, Nr. 5, 1991, S. 203–217 ; Javier Tusell, Franco y los católicos. La política interior española entre 1945 y 1957, Madrid 1984, S. 220–225. 152 Ramos Ramos, Tranvías y conflictividad social, S. 203–217. 153 Secretaría General de Falange Española Tradicionalista y de las JONS. Secretaría Política. Sección Técnica. Asunto : Incidentes ocurridos en Barcelona, in : AGA, Sig. (09)017.002 51/19018, Bl. 4. 154 Mehr zu José María de Albert y Despujol siehe u.a.: Josep Maria Colomer, Franquistes per a després d’una guerra, in : L’Avenç, Nr. 12, 1979, S. 41–47, hier : S. 41 ; Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 498. 155 Ramos Ramos, Tranvías y conflictividad social, S. 205. Vgl.: Walther L. Bernecker, Arbeiterbewegung und Sozialkonflikte im Spanien des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1993, S. 116–117.
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Neben den Regierungsumstrukturierungen im Juli 1951 machten diese Arbeiterproteste auch die zentralen Staatsorgane in Madrid verstärkt auf die Probleme an den Peripherien aufmerksam, welche bis jetzt ausschließlich als lokales Problem angesehen worden waren. Im Gegensatz zu Barcelona waren die Barackensiedlungen in der Hauptstadt nur an den sehr weit entfernten Stadträndern angesiedelt und dadurch unsichtbarer.156 Dabei war das Regime stark auf die eigene Propaganda der großzügigen sozialen Pläne konzentriert und bezog diese in größerem Ausmaß auf Madrid, das weniger als Munizipium und mehr als »nationaler Betrieb«157 galt. Aufgrund der angespannten Situation in Barcelona entschied sich der Staat, die illegalen Baupraktiken staatsweit effektiver zu überwachen.158 Das 1953 verabschiedete Gesetz über das Abreißen unbewohnter illegaler Baracken und ähnlicher Konstruktionen, insbesondere in der Nähe von Landstraßen und touristischen Routen,159 zielte darauf ab, vor allem die in der Stadtlandschaft sichtbaren Barackensiedlungen zu beseitigen. Demnach lässt der Gesetzestext vermuten, dass das Regime alle Baracken, die nicht öffentlich sichtbar waren, zunächst außer Acht ließ. Des Weiteren durften von den kommunalen Sicherheitsdiensten jegliche Konstruktionen abgerissen werden, sobald diese keine bewohnbaren »Lebensräume« waren. Schafften es die Migranten, heimlich die Hauptstruktur einer Baracke (vier Wände und ein Dach) aufzustellen, mussten sie keinen Abbruch mehr fürchten. Dazu wurden alle bereits existierenden und bewohnten Baracken sorgfältig fotografiert und durch Vergabe einer Barackennummer registriert, was eine flächendeckende Kontrolle ermöglichen sollte.160 Durch die Eintragung ins Register vergewisserten sich die Barackenbewohner der Legalisierung ihres Eigentümerstatus : Sie argumentierten, die Verantwortung für diese Siedlungen lange vor den öffentlichen Organen übernommen zu haben und demnach von der Registrierung ein Versprechen erhalten zu müssen, dass die Bewohner aller fotografierten und nummerierten Baracken das Recht 156 Vgl.: Arnoriaga, Del barro al barrio, S. 18. 157 Vgl.: Enrique de Aguinaga, Madrid – empresa nacional, Madrid 1967, S. 41–49 ; Madrid, en construcción, in : Arriba, 17.07.1955, S. 8. 158 Vgl. Colorado Carrasco, Castellanos, Madrid, Villa y Puente, S. 142. 159 Ministerio de la Gobernación, Decreto de 11 de agosto de 1953 por el que se atribuye a la Dirección General de Regiones Devastadas la facultad de proceder al derribo de cuevas, chabolas, barracas y otras construcciones análogas deshabitadas, BOE, 07.10.1953, Nr. 280, S. 6042. 160 Vgl.: Ayuntamiento de Barcelona. Comisión de Obras Públicas, Expediente relativo a trabajos de rotulación de las barracas de la barriada de Somorrostro, 1954, in : AMCB, Q134 Obres Públiques, Exp. I-2805, unpag.
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auf neue Wohnungen hätten, sobald solche den öffentlichen Organen zur Verfügung stünden.161 Die Erfassung mittels Register erlaubte es den Stadtverwaltungen, das Wohnungsdefizit detaillierter zu berechnen und dabei die triumphale Propaganda des Staates weiter zu betreiben, was das Inaussichtstellen von Sozialwohnungen und der Problembekämpfung anbelangte. Dennoch hielt der Staat, der nur auf Versprechen ohne konkrete Reformen und Lösungen basierte, in der Bautätigkeit bei Weitem nicht Schritt mit den sich in einer akuten Notsituation befindlichen Migranten. Das Ausmaß ihrer nächtlichen Bautätigkeit wie auch die Entschlossenheit, Schnelligkeit und gegenseitige Hilfe der Zuwanderer ließen die Stadtperipherie rapide wachsen. Die Unwirksamkeit bestehender Gesetze förderte zudem die Bereitschaft der Migranten, kommunale Sicherheitsbeamte zu bestechen,162 sowie die Bestechlichkeit dieser Beamten. Die finanziellen Möglichkeiten der Migranten bedingten nämlich wesentlich die Chancen, den Abriss neu gebauter Baracken zu verhindern. Den Status neu entstandener Baracken, die jedoch nicht mehr abgerissen werden konnten, regelte die Lokalverwaltung mit der Praxis der Geldbußen, die Zuwanderer den kommunalen Sicherheitsbrigaden (jenseits der zusätzlichen Bestechung, die diese als eigenen Extraverdienst kassierten) zu zahlen hatten. Dabei waren die Geldsummen, die täglich mehrfach in die unterfinanzierten kommunalen Kassen gingen, nicht zu unterschätzen.163 Werden in zahlreichen neueren historischen Studien die Kontrollmaßnahmen und die Repression gegenüber den Migranten und Barackenbewohnern schwerpunktmäßig als soziale Kontrolle und Unterdrückung der durch den totalitären Staat ausgebeuteten Arbeiterschaft interpretiert,164 scheint dabei jedoch ein wesentlicher Punkt übersehen zu werden : Die Auseinandersetzung zwischen dem Staat, den Kommunen und den Barackenbewohnern weist auf einen konstanten Kampf um die Eigeninteressen dieser Akteure hin. Die Barackenbewohner verteidigten ihre privaten Grundstücke, auf welche sie ihrer Argumentation nach 161 Censo de infravivienda. Sector : varios, in : AHRCM, Fondo COPLACO, Sig. 137384/2. 162 Korruptionsversuche unterlagen zwar einer Strafe, den Quellen nach scheinen diese Praktiken in der Realität jedoch weit verbreitet gewesen zu sein. Die Sicherheitsbeamten sicherten sich dadurch zusätzliche Geldeinnahmen. Siehe u.a.: Díaz Molinaro, El empleo, S. 99. 163 Vgl.: Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 185. 164 Siehe u.a. Ivan Bordetas, El viatge : canals d’informació, rutes, condicions i arribada, in : Memòries del viatge (1940–1975), S. 34- 50 ; Ivan Bordetas, Habitatge i assentaments de la posguerra a l’estabilització, in : Memòries del viatge (1940–1975), S. 51–69 ; Boj, Aroca, La repressió de la immigració, S. 71–86.
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aufgrund der (kleineren oder größeren) finanziellen Investition volles Recht hatten. Das Regime, vertreten durch die zuständigen Ministerialstellen, verteidigte hingegen seine ideologische Legitimität, die jedoch in der Realität sowohl aus wirtschaftlichen Gründen wie auch aufgrund der innenpolitischen Konflikte und Instabilität sowie der unterschiedlichen Interessen diverser Akteure keinen tatsächlichen Erfolg haben konnte. Schließlich agierte die Lokalverwaltung in Selbstverteidigung ihrer eigenen Finanzierungsmöglichkeiten gegen den Staat. Gerade dieser dynamische Kampf um Eigeninteressen machte die postulierte Politik des Staates unwirksam und trug somit zu einer Verstädterung an den Peripherien der Städte bei, die vom Regime immer wieder als illegal abgestempelt wurde, obwohl sich die öffentlichen Organe mindestens zum Teil beteiligten. Denn die Barackensiedlungen waren offensichtlich auch Quellen finanzieller Einnahmen, welche eine Reihe von Akteuren in Anspruch nahm. 2.3.2 Die Barackensiedlung als Geldeinnahmequelle der Kommunen. Der Fall Camp de la Bota
Als Camp de la Bota wurde ein länglich gezogenes Landstück im Besitz des Militärs in unmittelbarer Strandnähe bezeichnet, das von dem Fluss Besòs in Sant Adrià de Besòs und der Einmündung des Flusses Horta in Barcelona eingegrenzt wurde. Innerhalb dieses Terrains gab es bereits im 19. Jahrhundert erste Siedlungen aus kleinen Baracken, die als einfache Fischerhäuschen dienten.165 Diese Funktion bewahrten sie noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Erst in den 1920er Jahren erlebte diese kleine Fischersiedlung ein starkes Wachstum aufgrund der Land-Stadt-Zuwanderung anlässlich der Internationalen Weltausstellung 1929. Dabei fanden die meisten zugezogenen Barackenbewohner von Camp de la Bota im Rahmen der nicht weit entfernten Metrobauarbeiten eine Arbeitsstelle.166 Nach dem Bürgerkrieg und besonders in den 1950er Jahren schlossen die neugebauten Baracken an die bereits existierende Siedlung an und bildeten dadurch zwei getrennte, dreieckige Siedlungskerne mit den Namen 165 Vgl.: Jaume Fabre, Josep M. Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona. Els polígons i el Districte Cinque, Bd. 7, Barcelona 1977, S. 114 ; Josep Maria Monferrer i Celades, El Campo de la Bota. Un espacio y una historia, Barcelona 2013, S. 23–24. 166 Siehe u.a.: Monferrer i Celades, El Campo de la Bota, S. 25–33 ; Josep M. Muntaner i Pascual, Sant Adrià de Besòs. Un municipi en transformació, Barcelona 1968, S. 29 ; Just Casas i Soriano, Manuel Márquez i Berrocal, Història social de Sant Adrià de Besòs. La Transformació del territori : La producció de l’espai urbà a Sant Adrià de Besòs, 1910–1940, Bd. 3, Sant Adrià de Besòs 2001 ; Barraquisme, la ciutat (im)possible, S. 31 ; Tatjer, Burgueses, inquilinos y rentistas, S. 27–31.
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Pekín und El Parapeto. Pekín gehörte administrativ zur Stadt Barcelona, Parapeto befand sich dagegen auf dem Gebiet der Gemeinde Sant Adrià de Besòs.167 Die Grenze zwischen beiden Kommunen markierte nur ein schmaler Feldweg. Nördlich wurde die Siedlung durch die Bahnlinie der RENFE168 – Barcelona – Mataró – begrenzt.169 Schon vor dem Bürgerkrieg hatte die Barackensiedlung aus Sicht der öffentlichen Institutionen als illegal gegolten, weil die Behausungen in der Siedlung ohne Baulizenz und ohne Bewohnbarkeitszertifikat auf großenteils öffentlichem Boden gebaut worden waren. Dieser Status änderte sich trotz der langen Existenz der Baracken auch im Franco-Staat nicht.170 Dennoch nutzte die Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs durch die Praxis der Lizenzvergabe für Kleingewerbe an Bewohner von Camp de la Bota die immerhin existierende und kaum noch zu bekämpfende Barackensiedlung als Steuereinnahmequelle, um ihr Haushaltsdefizit auszugleichen.171 Somit zeigt dieses Beispiel eine Interaktion zwischen der Siedlung und der Stadtvertretung bereits seit den 1940er Jahren, denn aufgrund der Lizenzvergabe wirkten die Kommunen bei der Selbstorganisation der Siedlung mit. Analysiert man den von der Stadtverwaltung in den 1960er Jahren ausgearbeiteten Plan des Siedlungsteils El Parapeto, so ist festzustellen, dass sich auch diese Siedlung wie viele andere entlang der Bahnlinie formierte. Sie verlief pa167 Im Jahre 1929 wurde das Munizipium Sant Adrià de Besòs von der Stadt Barcelona eingemeindet und verlor bis einschließlich 1955 zumindest auf dem Papier seine kommunale Unabhängigkeit. In der Wirklichkeit setzte jedoch das Munizipium seine kommunale Aktivität als Lokalverwaltung ohne Unterbrechung fort und war dementsprechend als eigenständiger Akteur auch in der Wohnungsbaupolitik tätig. Siehe u.a.: Manuel Márquez Berrocal, Historia social de la población de San Adrián de Besós, durante el siglo XX, Barcelona 1994, S. 51 ; Josep Maria Monferrer i Celades, La història de Sant Adrià llegida des de la Mina. Un espai cobejat i una història conflictiva, Bd. 1, Barcelona 2013, S. 103. 168 RENFE bedeutet »Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles«, zu Deutsch : Nationales Netz der spanischen Eisenbahnen. 169 Francisca de P. Vintró ; Pilar Losa, Informe del estudio sanitario del barrio del Camp de la Bota, Barcelona 1971, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, Sig. 4./5.7.6. Maresma Besòs, Bl. 31. 170 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 171 Das Beispiel Camp de la Bota scheint in der Praxis kein Einzelfall gewesen zu sein. Esperanza Molina deutete in ihrem Arbeitsbericht darauf hin, dass u.a. auch im Madrider Pozo del Tío Raimundo manche Händler und Barbesitzer mit entsprechender Lizenz und Zulassung der Stadtverwaltung, andere wiederum illegal und ohne Erlaubnis ihre Geschäfte führten, in : Molina, Los otros madrileños, S. 85.
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Abb. 2 : Die Barackensiedlung Camp de la Bota, aus der Richtung Sant Adrià de Besòs (also von Nordosten her) gesehen. Ausgehend vom unteren Rand des Bildes zeigt sich zunächst der Siedlungsteil El Parapeto (Sant Adrià de Besòs), der durch einen deutlich sichtbaren Feldweg in der Mitte vom Siedlungsteil Barcelonas – Pekín – getrennt ist. Links markiert das Meer die Grenze von Camp de la Bota, rechts die Bahnlinie Barcelona – Mataró. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal.
rallel zur Strandlinie und wurde eine Referenz für die zentrale (und längste) Straße.172 Die nicht asphaltierten Straßen formten in der Siedlung ein dicht bebautes Labyrinth mit vielen engen Gassen. Da die Bewohner vorwiegend aus den armen Landgebieten Málagas stammten, wurden die Baracken in der gesamten Siedlung Camp de la Bota ausschließlich mit Material aus dem Sperrmüll gebaut.173 Die durchschnittliche Größe der Wohnräume betrug ca. 20 Quadratmeter. Wenn auch die gesamte Siedlung bereits vor dem Bürgerkrieg ans Stromnetz angeschlossen worden war, verfügte jedoch keine Wohnbaracke über einen Anschluss an die Kanalisation (manche Baracken hatten jedoch eine improvisierte Toilette ohne Abfluss) oder über fließend Wasser,174 weshalb die Wasserversorgung zunächst durch einen in der Siedlung vorhandenen öffentlichen Brunnen erfolgte. 172 Oficina auxiliar del Ayuntamiento San Adrián de Besós, Campo de la Bota. Zona del Parapeto. San Adrián de Besós. Año 1969, in : ASAB, caixa 1593. 173 Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 7, S. 120 ; Monferrer i Celades, El Campo de la Bota, S. 47–48. 174 Informe del estudio sanitario del barrio del Camp de la Bota, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana, Sig. 4./5.7.6. Maresma Besòs, Bl. 39.
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Abb. 3 : Der von der Stadtverwaltung Sant Adrià de Besòs ausgearbeitete Plan des Siedlungsteils El Parapeto. 1960er Jahre. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal.
Zu Beginn verfügte Camp de la Bota über keinerlei Infrastruktur. Diese wurde von den Bewohnern gemeinsam, schrittweise und mit klarer Priorisierung organisiert.175 In den meisten Barackensiedlungen Barcelonas gab es bereits zu Beginn zumindest eine Taverne oder Bar, in der die Männer ihr Sozialleben pflegten, in den meisten Fällen sogar mehrere.176 Auch in Camp de la Bota entstand als erste Einrichtung eine Taverne, die ein Siedlungsbewohner eröffnete und für die er bei der Stadtverwaltung eine Lizenz erwarb und die entsprechenden Gebühren und die Verbrauchssteuer bezahlte.177 Vermutlich lief das Geschäft hervorragend, denn der Besitzer öffnete seit Ende der 1940er Jahre zusätzlich jeden Sommer eine Strandterrasse (merendero), die innerhalb der Barackensiedlung situiert war. Dieses Lokal war bei der Stadtverwaltung ebenfalls registriert und versteuert, auch wenn der Tavernenbesitzer zusätzlich noch bei der für den gesamten Küstenstreifen zuständigen Marine eine entsprechende Genehmigung erbitten musste. Aus der administrativen Routineüberlieferung der Stadtverwaltung geht hervor, dass auch ein Bewohner der benachbarten Ortschaft Sant Adrià de Besòs, der ein Automobil besaß, in Camp de la Bota seine Verdienstchance witterte. Bereits 1949 beantragte dieser bei der Stadtverwaltung eine Zulassung für »einen öffentlichen Dienst für Reisende«,178 nämlich eine Autovermietung. Auch in 175 Vgl.: Busquets i Grau, La urbanización marginal, S. 80. 176 In der Siedlung Montjuïc gab es beispielsweise neun Lokale, in : Echenique, El barraquismo de Montjuich, S. 47. 177 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Expediente instado por asunto solicitando instalar Merendero playa Campo de la Bota, 12 de junio de 1953, in : ASAB, Ul. 266, exp. 44, unpag. 178 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente instado por asunto : permiso ejercer industria taxis, 21 de enero de 1949, in : ASAB, Ul. 257, exp. 53, unpag.
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diesem Fall scheint das Geschäft den Unterlagen zufolge gut gelaufen zu sein, denn ein Jahr später beantragte er eine Genehmigung für die Nutzung eines permanenten Taxistandes in der unmittelbaren Nähe der Barackensiedlung.179 Das Trinkwasser, das zu Beginn ausschließlich durch einen öffentlichen Brunnen im Siedlungsteil Pekín zur Verfügung stand, war eine dominante Sorge. Viele Bewohner, vorwiegend Frauen, mussten das Wasser täglich von anderen, teils weit entfernten Siedlungsteilen selbst zu Fuß transportieren. Auch wenn das Wasserholen somit für diese Frauen eine soziale Funktion erfüllte (Kommunikation während des Schlangestehens),180 gehörte die Wasserversorgung zu den höchsten Prioritäten in Sachen Siedlungsurbanisierung. Dabei war das Bohren eines weiteren Brunnens in der Siedlung für deren Bewohner zu kostspielig und daher kaum realisierbar. Eine Versorgung mit Trinkwasser gab es daher in Camp de la Bota erst in den späten 1950er Jahren, als ein Bewohner von Sant Adrià de Besòs bei der Stadtverwaltung eine Lizenz für einen Trinkwassertransport beantragte. Der Antragsteller argumentierte, dass er sich »dem Trinkwassertransport für diese Siedlung zu widmen wünsche, da dort die Nachbarschaft zurzeit über kein bzw. unzureichend Trinkwasser verfüge, abgesehen von einem einzigen Brunnen im Siedlungsteil Pekín. Aufgrund des herannahenden Sommers und aufgrund dessen, dass Trinkwasser ein unersetzliches Gut sei, wünsche er, die Zulassung zu bekommen.«181 Dem Antrag fügte er eine detaillierte handgezeichnete Abbildung hinzu, die zeigte, dass er über einen Pferdewagen mit einem völlig neuen Holzgefäß von 500 Litern Kapazität verfügte (Abb. 4). Nun war für diese Zulassung, anders als bei der Taverne oder dem Taxistand, zusätzlich eine sanitäre Prüfung erforderlich. Als Antwort darauf leitete die Stadtverwaltung den Antrag zunächst an einen externen Sanitärprüfer weiter, der testen sollte, ob sich dieser Transportwagen tatsächlich zum Trinkwassertransport eignete und nicht gesundheitsgefährdend war. Schließlich wurde die Lizenz erteilt.182 179 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente instado por asunto permiso efectuar parada fija taxis, 29 de abril de 1950, in : ASAB, Ul. 257, exp. 53, unpag. 180 Vgl.: Echenique, El barraquismo de Montjuich, S. 47. 181 »que desea dedicarse al transporte de agua potable para la citada barriada, ya que actualmente, el vecindario no dispone de ella nada más que una fuente situada en la barriada de Pequín, insuficiente para esta barriada, por lo que ante la proximidad del verano y siendo un artículo insustituible desearía le concedieran el permiso«, in : Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente incoado a instancia sobre dedicarse al transporte con una cuba adecuada a la Barriada de la Mina y Campo de la Bota, sector San Adrián de Besós, 7 de mayo de 1958, in : ASAB, Ul. 266, exp. 42, unpag. 182 Ebd.
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Abb. 4 : Handgezeichneter Pferdewagen als Anlage des Antrags für die Lizenzvergabe für den Wassertransport. Camp de la Bota, 1958. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal.
Die Einkaufsmöglichkeiten waren in der Siedlung ebenfalls begrenzt. Es existierten ein Lebensmittelladen, ein Obst- und Gemüseladen, zudem auch ein Laden mit chemischen Produkten sowie eine Weinverkaufsstelle. Alle diese Geschäfte wurden in einzelnen Räumen in Wohnbaracken eingerichtet.183 Zusätzlich wurden einige Produkte von Straßenverkäufern angeboten, die im Laufe der Woche in mehreren Siedlungen unterwegs waren und meist Zigaretten und Tabak, Presseerzeugnisse, Trockenfrüchte, Fisch, aber auch kleine Haushaltsprodukte anboten und alles, was klein und leicht transportierbar war. Die Straßenverkäufer waren oft ungelernte Landarbeiter, die zu dieser Tätigkeit aufgrund ihrer prekären Familiensituation gezwungen waren.184 Auf diese Weise boten 183 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Expediente incoado a instancia sobre Clausura y cierre establecimientos existentes en el Campo de la Bota de este término municipal sin la correspondiente licencia, 4 de octubre de 1957, in : ASAB, Ul. 272, exp. 7, unpag. Vgl.: El barraquisme a la ciutat de Barcelona, S. 175 ; Echenique, El barraquismo de Montjuich, S. 47–48. 184 Dies lässt sich zumindest aus den Anträgen für die Lizenz eines Straßenverkäufers ermitteln, die bei der Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs in den frühen 1960er Jahren eingingen, in :
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sich beispielsweise auch Dienstleister für kleine Reparaturen oder Messer- und Scherenschleifer an. Auch den Straßenverkäufern in Camp de la Bota wurden für ihre wirtschaftliche Tätigkeit Lizenzen von der Lokalverwaltung erteilt.185 Der Trinkwassertransporteur wie auch der Taxifahrer, die Straßenverkäufer und Bar- und Strandterrassenbesitzer und alle anderen, die in irgendeiner Weise wirtschaftlich in der Barackensiedlung tätig waren oder sein wollten, beantragten bei der Stadtverwaltung eine Zulassung, die auch in den meisten Fällen erteilt wurde. Die Quellensammlung der von der Stadtverwaltung erteilten Lizenzen umfasst eine Dokumentation seit den späten 1940er Jahren, wenngleich Lizenzen zu dieser Zeit noch relativ rar waren und ihre Zahl erst seit den späten 1950er Jahren kontinuierlich stieg. Die Anträge betrafen unterschiedliche Dienstleistungen und Infrastrukturkomponenten, mit denen sich Camp de la Bota schrittweise als Wohnsiedlung organisieren ließ und die zeitlich nach Priorität geordnet wurden. Dabei waren die von der Stadtverwaltung erteilten Genehmigungen für diese wirtschaftlichen Tätigkeiten immer mit entsprechenden Steuerverpflichtungen verbunden. Somit unterlag die in den Barackensiedlungen entstehende Mikro-Ökonomie dem munizipalen Steuersystem. Die Kommunen waren vom Regime aufgefordert, die nationale Wohnungsfrage und das Problem der Barackensiedlungen zu lösen, jedoch war diese Aufgabe für die Stadtverwaltungen kaum zu erfüllen. Die Kosten der kommunalen Sicherheitsbrigaden für den Kampf gegen die Baracken stiegen stets. Die bewohnten Baracken durften die Kommunen nicht liquidieren, solange den Betroffenen keine alternative Unterkunft von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde. Insgesamt waren also die Barackensiedlungen für die Kommunen ein Minusgeschäft, insbesondere in Anbetracht der zahlreichen vom Staat gestellten Aufgaben und der nur sehr geringen Finanzierungsmöglichkeiten durch Steuereinnahmen. Demnach ist anzunehmen, dass die Stadtverwaltungen stark daran interessiert waren, Zulassungslizenzen in großen Mengen zu erteilen und so das prekäre Budget aufzustocken. Wie wichtig die Barackensiedlungen für den Finanzhaushalt der Kommune waren, lässt sich aus deren Sorge aufgrund von nicht autorisierten und somit nicht versteuerten Handelsaktivitäten erlesen. Die Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs eröffnete im Kampf gegen eine solche Schattenökonomie spätestens 1956/57 Verfahren gegen »diverse in Baracken eingerichtete LebensmitAyuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente – Campo Bota. Autorizaciones vía pública, 1964, in : ASAB, Ul. 482, exp. 4, unpag. 185 Ebd.
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tel- und Weinverkaufsstellen […], um die für ihre Aktivitäten entsprechenden Steuern zu erheben beziehungsweise konkrete Maßnahmen ergreifen zu können, um illegalen Wettbewerb zu vermeiden.«186 Dieses offenbar durch finanziellen Druck bedingte Bemühen der Stadtverwaltung, die schließlich nicht nur die Baracken kaum bekämpfte, sondern dafür sorgte, dass diese sich noch zusätzlich in profitabler Weise organisierten, entging den zentralstaatlichen Institutionen nicht und verursachte Missverständnisse und Konflikte. Im Jahre 1957 erhielt der Zivilgouverneur Informationen über »Missverständnisse und Vorfälle«, die aufgrund der »Erteilung von Bau- und Dienstleistungslizenzen an private und öffentliche Personen sowie Steuervergünstigungen im Küstengebiet«187 zwischen den staatlichen Verwaltungsbehörden der Marine, dem Bauamt in Barcelona und dem Bürgermeister von Sant Adrià de Besòs – Großhändler und Weingutbesitzer Javier Casellas Fábregas (1952–1961)188 – entstanden waren. In seiner Stellungnahme an den Zivilgouverneur verneinte der Bürgermeister, dass es zu Irregularitäten gekommen sei, und wies darauf hin, dass er sich in Bezug auf die Kampagne gegen die Barackensiedlungen bereits an die Marine in Barcelona gewandt habe und diese darüber informiert habe, dass im Küstengebiet illegal zahlreiche Baracken entständen, deren Abriss den Kompetenzen der Marine unterliege.189 Zudem informierte der Bürgermeister die Marine darüber, dass die Kommunalverwaltung sich bereits für die Überwachung der Siedlungen durch die kommunalen Sicherheitsbrigaden einsetze.190 Die Comandancia Militar de Marina, die Marinekommandantur, 186 »diversos puestos de venta de comestibles y bodegones […] establecidos en barracas […] a fin de poder serles aplicados los impuestos correspondientes a sus actividades y en caso contrario se tomen las medidas oportunas para evitar la competencia ilegal.«, in : Ayuntamiento de San Adría de Besós, Expediente incoado a instancia sobre Clausura y cierre establecimientos existentes en el Campo de la Bota de este término municipal sin la correspondiente licencia, 4 de octubre de 1957, in : ASAB, Ul. 272, exp. 7, unpag. 187 Schreiben des Bürgermeisters von Sant Adrià de Besòs an den Zivilgouverneur, 06.08.1959, in : ASAB, caixa 1593, unpag. 188 Siehe : Marín, Els Ajuntaments franquistes, S. 514. 189 Schreiben des Bürgermeisters von Sant Adrià de Besòs an die Kommandantur der Marine, 18.06.1957, in : Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Negociado de Fomento sobre orden del Sr. Alcalde para la práctica de una inspección en las barriadas de la Catalana y de la Mina, en averiguación de la posible existencia de barracas construidas clandestinamente, y de si los cerramientos de solares cumplen las condiciones impuestas en su construcción, 1960, in : ASAB, caixa 1593, unpag. 190 Schreiben des Departamento Marítimo de Cartagena. Comandancia Militar de Marina de Barcelona al Sr. Alcalde Presidente del Ayuntamiento de San Adrián de Besós, 25.06.1957, in : Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Negociado de Fomento sobre orden del Sr. Alcalde para
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wies die Aufgabe des Abrisses jedoch an die Kommunalverwaltung zurück.191 Der Bürgermeister, der gegenüber der Kommandantur und dem Zivilgouverneur de facto eine schwächere Machtposition hatte, bat schließlich resignierend die Marine um Unterstützung für den Abriss von 36 im Bau befindlichen Baracken durch deren Brigaden, was jedoch abschlägig beschieden wurde.192 Vor dem Hintergrund des gesamten Schriftverkehrs kann vermutet werden, dass der Konflikt nicht so sehr den Vorwurf einer ineffektiven Bekämpfung der Baracken betraf. Vielmehr ging es um die Verschiebung von Kompetenzen und die damit verbundene Verteilung der finanziellen Kosten solcher Operationen : Offensichtlich wollte sich die Marinekommandantur in Barcelona des Problems der Baracken in Camp de la Bota mit dem Argument entledigen, diese Aufgabe liege nicht in ihrer Kompetenz. Das Verfahren der Lizenzvergabe seitens der Stadtverwaltung und die dadurch erwirtschafteten Geldeinnahmen begrüßte die Kommandantur jedoch ebensowenig, da durch diese Praxis die illegalen Siedlungen eher verfestigt als bekämpft wurden, ohne dass die Marine selbst davon profitierte. 2.4 Wohnungsnot und politische Agenda : Der Eucharistische Kongress von 1952 als Katalysator für den Wohnungsbau in Barcelona Die Krise des Jahres 1951 und die teilweise Zurückdrängung der Falange brachten eine politische Umstrukturierung auf zentraler Ebene. Die im Juli 1951 neu formierte Regierung markierte endgültig eine bereits seit 1945 wachsende Dominanz des Nationalkatholizismus in der Politik. Zwar verstärkten die Falangisten ihre Position u.a. im Movimiento Nacional, in der Sozialpolitik und in der Landwirtschaft, sie verloren jedoch im Bereich der Außen- und Wirtschaftspolitik endgültig an Einfluss.193 Demnach suchte das Regime die von den Falangisten betriebene Politik der Autarkie zu beenden und mit internationaler Hilfe la práctica de una inspección en las barriadas de la Catalana y de la Mina, en averiguación de la posible existencia de barracas construidas clandestinamente, y de si los cerramientos de solares cumplen las condiciones impuestas en su construcción, 1960, in : ASAB, caixa 1593, unpag. 191 Ebd. 192 Schreiben des Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Negociado de Fomento. Obras abusivas, 02.09.1957, in : Negociado de Fomento sobre orden del Sr. Alcalde para la práctica de una inspección en las barriadas de la Catalana y de la Mina…, in : ASAB, caixa 1593, unpag. 193 Vgl.: Clavera, Capitalismo español, Bd. 2, S. 15–16 ; Moradiellos, La España de Franco, S. 110– 111.
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breite Wirtschaftsreformen zu starten. In erster Linie war für das Regime die wirtschaftliche Seite der internationalen Verträge relevant, die Spanien vor allem mit den Vereinigten Staaten und mit dem Vatikan abzuschließen versuchte. Für Letzteren war dabei der katholische und antikommunistische Charakter des Franco-Regimes im Kontext des Kalten Krieges ausschlaggebend. Der 35. Internationale Eucharistische Kongress, der vom 25. Mai bis 1. Juni 1952 in Barcelona stattfand und an welchem Staatsdelegationen aus aller Welt teilnahmen, wurde zum wichtigen Ausgangspunkt internationaler Gespräche. Die Eucharistischen Kongresse wurden von der katholischen Kirche seit 1881 regelmäßig als mehrtägige Zusammentreffen auf internationaler Ebene zur Verehrung der Eucharistie veranstaltet. Der 35. Eucharistische Kongress wurde als erster Kongress nach dem Zweiten Weltkrieg auf Initiative des Vatikans organisiert, um die Re-Christianisierung und den Wiederaufbau jener Werte voranzutreiben, die – so die Kirche – der Bürgerkrieg in Spanien und der Zweite Weltkrieg auf internationaler Ebene zerstört hätten. Daher stand die Bedrohung durch den atheistischen und antiklerikalen Kommunismus im Zentrum des Kongressprogramms. Im Kontext dieser dezidiert politischen Agenda entschied die spanische katholische Hierarchie, den Kongress in Barcelona zu organisieren, wo der Kirche nach die Reste des republikanischen Antiklerikalismus und Laizismus dringend überwunden werden sollten.194 Mit der Organisation des Internationalen Eucharistischen Kongresses beauftragte der Papst den Bischof der Diözese in Barcelona, Gregorio Modrego Casaus.195 Modrego Casaus veranstaltete den Kongress unter den Auspizien einer stetig steigenden Immigration und Wohnungsnot, mit denen sich seit Beginn der 1950er Jahre nicht nur Spanien, sondern das gesamte Europa aufgrund des deutlichen Bedeutungsverlustes der Landwirtschaft und damit zusammenhängender Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt konfrontiert sah.196 In diesem Kontext schrieb Modrego in einem Bischofsbrief, datiert auf den 17. November 1951 :
194 Martín Checa Artasu, La Diócesis de Barcelona en la posguerra. Entre la reconstrucción de edificios religiosos y la producción inmobiliaria (1942–1962), in : Barcelona – Montreal, S. 435–458, hier : S. 435–436. 195 El doctor Modrego ha recibido del Papa la dignidad de arzobispo, in : La Vanguardia Española, 29.10.1952, S. 11. 196 José Fonseca, La crisis de la vivienda en España y en el extranjero, in : Semanas Sociales de España : La crisis de la vivienda, hg. v. Secretariado de la Junta Nacional de Semanas Sociales, Madrid 1954, S. 209–225, hier : S. 14–15. Vgl. Lenger, Metropolen der Moderne, S. 441.
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Den kommenden Internationalen Eucharistischen Kongress, der zu einer sublimen Verherrlichung Jesu Christi während des heiligen Gottesdienstes werden wird, müssen wir so gestalten, dass er der Grund für eine tiefe geistige Erneuerung und moralische Erhebung sowie auf einer anderen, obwohl untergeordneten, sehr menschlichen Ebene, der Ursprung eines sowohl individuellen wie auch sozialen materiellen Wohlstands sein wird. Über den letzten Aspekt möchten wir heute sprechen, nicht um bloß zu theoretisieren, sondern um etwas Konkretes und Realisierbares vorzunehmen, indem wir die besondere Konjunktur des Eucharistischen Kongresses ausnutzen. Wir beziehen uns auf den Wohnungsbau.197
Dieser Kongress erwies sich für den Urbanisierungsprozess Barcelonas als impulsgebend. Drei unterschiedliche Akteure – der Zivilgouverneur, das Städtische Wohnungsinstitut der Stadtverwaltung sowie die katholischen Laien der Katholischen Aktion – bauten in der Folge des Kongresses in etwa gleichzeitig drei Wohnsiedlungen an den Peripherien Barcelonas. Alle diese Akteure hatten aufgrund der neuen politischen Situation als Resultat der Krise von 1951 konkrete Interessen am sozialen Wohnungsbau und bezogen unterschiedlich Stellung zur Zuwanderung. Der Zivilgouverneur wollte durch Überwachung eine Beschränkung der Migration nach Katalonien durchsetzen ; die Stadtverwaltung Barcelonas trachtete danach, durch das Bauvorhaben das Engagement des ursprünglichen Wohnungspatronats wiederzubeleben ; und die Laienbewegung der Katholischen Aktion plante, in ihrer Siedlung die Basis für ein christliches Syndikat als Konkurrenz zum falangistischen Syndikat zu etablieren. Als Bauträger der Siedlungen boten diese Akteure darüber hinaus auch unterschiedliche Vorstellungen von urbanem Lebensraum an – in welchen sich wiederum ihr sozial-politisches Verhältnis zu den Migranten widerspiegelte.
197 »El futuro Congreso Eucarístico Internacional, que será una sublime glorificación de Jesucristo en la Santísima Eucaristia, hemos de hacer que sea también causa de una profunda renovación espiritual y elevación moral y, en otro orden, aunque inferior, muy humano, origen de bienestar material, tanto individual como social. De este último aspecto queremos hablaros hoy, no para teorizar solamente, sino para proponernos algo concreto que podría realizarse, aprovechando la singular coyuntura del Congreso Eucarístico. Nos referimos a la construcción de viviendas.«, in : Viviendas del Congreso Eucarístico : entidad benéfica constructora, 1952–1971, Barcelona 1972, S. 7.
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2.4.1 Rural geprägte Siedlung unter militärischer Aufsicht : Die Wohnsiedlung des Zivilgouverneurs in Verdún
Der Zivilgouverneur war in Spanien Regierungsvertreter und oberste Autorität auf Provinzebene und somit »der ständige Repräsentant der Zentralmacht.«198 Gründete das politische System des Franco-Staates auf den Prinzipien des Movimiento Nacional, der somit von der Regierung untrennbar war, war der Zivilgouverneur gleichzeitig der Provinzchef ( Jefe Provincial) des Movimiento.199 Demnach war seine Position in erster Linie politisch und weniger administrativ. Dem Innenministerium unterstellt, war der Zivilgouverneur vor allem die Staatsgewalt in der Region. Zu seinen Kompetenzen gehörte es, Gesetze geltend zu machen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten sowie die Überwachung öffentlicher Versammlungen zu autorisieren, wie auch neue Organisationen und Vereine zuzulassen. Dementsprechend sanktionierte der Zivilgouverneur jeden Verstoß gegen Gesetze und festgelegte Regelungen. Im Bereich der Wohnungspolitik lag es in der Macht des Zivilgouverneurs, den sozialen Wohnungsbau in der Provinz zu fördern, den Abriss von unsanierten Gebäuden zu autorisieren, Zwangsräumungen anzuordnen sowie die Erschließungs- und Konstruktionsprozesse auf ihre Legalität zu überprüfen.200 In Barcelona wurde infolge des Arbeiterstreiks des Jahres 1951 der Rechtsanwalt und Militär Felipe Acedo Colunga zum neuen Zivilgouverneur ernannt (bis 1960 im Amt).201 Im Zusammenhang mit den Ereignissen des Jahres 1951 waren ihm die Beschränkung der Migration nach Katalonien sowie eine systematische Überwachung der Barackensiedlungen, aber auch der Busse und Züge, mit denen viele Migranten nach Barcelona kamen, ein persönliches Anliegen.202 Migranten ohne gültige Arbeits- und Mietverträge ließ Colunga verstärkt in ihre Herkunftsorte abschieben. Laut Schätzungen wurden auf dieser Grundlage zwischen 1952 und 1957 rund 15.000 Arbeiter aus Barcelona deportiert.203 198 César Dóriga Tovar, El cargo de Gobernador Civil y Jefe Provincial del Movimiento en el Nuevo Estado Español, in : Revista de Estudios Políticos, Nr. 156, 1967, S. 145–167, hier : 148–155. Vgl.: Moral, La provincia y el gobernador civil. 199 Dóriga Tovar, El cargo de Gobernador Civil, S. 154. 200 Ebd., S. 160–161. 201 Zu Felipe Acedo Colunga siehe u.a.: Tébar Hurtado u.a., Gobernadores, S. 117–184 ; Colomer, Franquistes, S. 41. 202 Incidentes occuridos en Barcelona, in : AGA, Sig. (09)017.002 51/19018, Bl. 4. 203 Marín, La immigració a Barcelona, S. 115. Siehe u.a.: Imma Boj, Jaume Vallès, El Pavelló de les Missions. La repressió de la immigració, in : L’Avenç Nr. 298, 2005, S. 38–44 ; Boj, Aroca, La repressió de la immigració, S. 72–86.
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Für diese Repressions- und Sicherheitsmaßnahmen brauchte der Zivilgouverneur jedoch zusätzliche Sicherheitskräfte, die in der Stadt untergebracht werden mussten.204 Daher beschränkte sich sein Engagement in der Bau- und Wohnungspolitik zunächst nur auf das Vorhaben, eine Wohnsiedlung für 108 Familien von Sicherheitskräften – der Gemeindepolizei (Guardia Urbana) und der Sicherheitspolizei (Guardia de la Policía Armada) – zu bauen. Diese Pläne mussten jedoch aufgrund des Internationalen Eucharistischen Kongresses kurzfristig modifiziert werden. Da der Kongress für die Regierung von enormer diplomatischer Bedeutung war, sah sich der Zivilgouverneur nun aufgefordert, die Stadt für die Aufnahme der internationalen Gäste vorzubereiten. Gemeinsam mit dem neu ins Amt gekommenen Bürgermeister von Barcelona, Antonio Maria Simarro, und dem Präsidenten der Deputation205, dem Ökonomen und Markgraf von Castellflorite, Joaquín Buxó Dulce d’Abaigar (1949 bis 1967 im Amt), entschied sich Colunga dafür, mehrere Bauprojekte in der Stadt vorzunehmen.206 Demnach investierte die Stadt u.a. in die Verbesserung der Infrastruktur, etwa in den Bau des Flughafens und neuer Hotels, die die internationalen Gäste unterbringen sollten.207 Geplant wurde auch die Verbesserung von An- und Ausfahrtsstraßen – darunter die wichtigste Achsenstraße, die Diagonalstraße, die die Stadt von Nordwesten bis Südosten durchquerte und an der ein wichtiger Teil der liturgischen Feierlichkeiten stattfinden sollte. An diesen Verkehrswegen befanden sich mehrere Barackensiedlungen, die zunächst beseitigt werden sollten.208 Für deren Bewohner musste der Zivilgouverneur alternative Wohnräume zur Verfügung stellen. Er entschied daher, einen Teil der Barackenbewohner aus der Diagonalstraße in die bereits geplante Siedlung umzusiedeln, die eigentlich für die Sicherheitskräfte vorgesehen war. Hinsichtlich dessen, dass die zukünftigen Bewohner Migranten aus dörflichen Gegenden waren, wurde die Siedlung 204 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 79–80. 205 Die Aufgabe der Deputationen war die Verwaltung auf Provinzebene insbesondere im Bereich der öffentlichen Bauarbeiten und Urbanisierung, im Weiteren auch auf den Sektoren des Gesundheitssystems, der Kultur und der kommunalen Dienste. Der Präsident der Deputation wurde im Franco-Staat vom Innenminister berufen und wurde, wie auch der Bürgermeister selbst, dem Zivilgouverneur unterstellt. Dabei war diese Nominierung »verpflichtend und ehrenamtlich«, sodass das Engagement des Präsidenten meist gering war und oft nur durch Vorteile hinsichtlich eigener privater Interessen vergütet wurde. Daher waren Korruptionspraktiken weit verbreitet. Siehe Carme Molinero, Pere Ysàs, La Diputació de 1949 a 1977, in : Història de la Diputació de Barcelona, hg. v. Borja de Riquer, Bd. 3, Barcelona 1988, S. 43–103, hier : S. 43–44. 206 Fabre, Vint anys de resistència, S. 142. 207 Josep Maria Huertas, La construcción de una ciudad, Barcelona 2006, S. 11–12. 208 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 81. Vgl.: Carrasco Martínez, Verdum, S. 131.
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als rural geprägter, aber isolierter, kontrollierter und somit kasernenähnlicher Lebensraum konzipiert, dessen Anwohner beobachtet, diszipliniert und im Weiteren in die (städtische) Gesellschaft integriert werden sollten. Da die gesamte Aktion von der Planung bis zur Umsiedlung unter großem zeitlichen Druck ablief, handelten die städtischen Verwaltungsorgane hektisch und planlos : Der Plan Comarcal de Barcelona, der Generalplan für Barcelona und die Metropolregion, wurde zwar bereits seit Ende der 1940er Jahre von den Behörden der Comisión Provincial de Urbanismo, der regionalen Abteilung des COUM, entworfen, jedoch wurde er erst nach dem Kongress im Jahre 1953 rechtskräftig.209 Die finanziellen Engpässe für die Realisierung des Projektes210 versuchte der Zivilgouverneur als Bauträger der Siedlung durch eine Verteilung der Kosten auszugleichen : Neben der Stadtverwaltung, die die Grundstücke unentgeltlich überließ, trugen u.a. Unternehmer der Seiden- und Samtindustrie ihren karitativen Anteil bei.211 Schließlich war die Siedlung innerhalb von drei bis vier Monaten im Jahre 1953 für den Einzug bereit.212 Auf drei Hektar Bodenfläche213 lebten dort 5.460 Personen, von denen die meisten ehemalige Barackenbewohner waren, sowie eine Gruppe von etwa 100 Beamten und Sicherheitskräften.214 Die Wohnsiedlung lag in den nördlichen bergigen Agrarzonen im Stadtviertel Verdún (im heutigen Bezirk Nou Barris), wo man die zuvor ansässigen Weinbergbesitzer für den Siedlungsbau enteignet hatte.215 Demnach war die Siedlung weit vom Stadtzentrum entfernt und befand sich inmitten unbebauten Ackerlandes, was vom Zivilgouverneur selbst als »gesund, idyllisch und mit herrlichem 209 Vgl.: Vicenç Martorell Portas, Historia del urbanismo en Barcelona. Del Plan Cerdá al Área Metropolitana, Barcelona 1970, S. 109–153. 210 Vgl.: Tébar Hurtado u.a., Gobernadores, S. 160. 211 Bendición e inauguración de las viviendas construidas por el Gobierno Civil en el barrio de Verdún, in : La Vanguardia Española, 11.07.1953, S. 13 ; Las nuevas viviendas del Barrio de Verdún fueron bendecidas e inauguradas esta mañana, in : El Noticiero Universal, 10.07.1953, S. 19. Vgl.: Carrasco Martínez, Verdum, S. 138–139 ; Ajuntament de Barcelona, Area d’Urbanisme i Obres Publiques, Plan Especial de Reforma Interior de las Viviendas del Gobernador. Documento de Información. Criterios, objetivos y alternativas de planeamiento, Barcelona 1990, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, Bl. 3. 212 Ajuntament de Barcelona. Patronat Municipal de l’Habitatge. Unitat de Projectes, Cases del Governador, Barcelona 1986, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. Vgl.: »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 82–83. 213 Ferrer i Aixalà, Els polígons, S. 30. 214 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 86–87. 215 Vgl.: Rafael Pradas, »Vivendes del Governador«. Una història urbana, Barcelona 2008, S. 54–56.
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Abb. 5 : Die Siedlung des Zivilgouverneurs in Verdún in einer Aufnahme aus dem Jahre 1977, fotografiert von Ginés Cuesta Ortiz. Quelle : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona.
Ausblick«216 bezeichnet wurde. Dieser deutlich rural geprägten Umgebung entsprechend wurde die Siedlung von dem Hauptarchitekten der Stadtverwaltung, Josep Soteras Mauri,217 als ländlich-urbane Übergangszone konzipiert : 19 niedrige, weiß getünchte Wohnblöcke mit insgesamt 940 Wohnungen und kleinen Hinterhöfen waren durch gemeinsame Treppenflure sowie enge Passagen verbunden und liefen absteigend auf einen zentralen Säulenplatz zu. Der Platz mit den gesamten Einkaufsmöglichkeiten bildete den Siedlungskern, an dem sich das Zusammenleben der Bewohner konzentrieren sollte. Da die Siedlung als »eine komplett ausgestattete Wohnanlage«218 konzipiert war, sollte sie mit unterschiedlichen Läden, Lokalen und Bars, einer Sanitätsstelle, einer Telefon- und Poststelle, einer Bibliothek, einer Schule und einer Kantine 216 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 82. 217 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 79–80 ; La Vanguardia Española, 11.07.1953, S. 13 ; Unitat de Projectes, Cases del Governador, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. 218 Emili Donato, Barrios altos de San Andrés, in : Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 33.
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ausgestattet werden.219 Die internen Passagen und Straßen sollten dagegen einen Raum für den kleinen Handel der Straßenverkäufer sowie Spielflächen für die Kinder direkt vor den Wohnungstüren bilden. Die Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen hatten eine Minimalgröße von 21, 26 bzw. 30 Quadratmetern. Alle Wohnungen, mit Strom und einem Wasserspeicher ausgestattet, hatten eine kleine Kochecke im Esszimmer, ein winziges WC mit Waschbecken sowie eine kleine Terrasse oder einen Balkon.220 Die Duschen, jeweils für Frauen und Männer, befanden sich dagegen in zwei großen, aus Ziegelsteinen gebauten und abgedeckten öffentlichen Waschräumen221 mit zwei riesigen Waschbecken (jeweils für Weiß- und Buntwäsche),222 die den deutlich ruralen Akzent des Siedlungskonzeptes unterstrichen. Die öffentlichen, gemeinschaftlich genutzten Sanitäranlagen waren Anfang der 1950er Jahre in den traditionellen Arbeitergegenden noch üblich.223 Die Wohnsiedlung war in der Gesamtkonzeption zum Teil noch von den semiruralen Siedlungen im Typus einer »Gartenstadt« (ciudad-jardín) inspiriert, die in der Zeit der Primo de Rivera–Diktatur (1923–1930) durch die Verbindung von »Haus und Garten« als idealer Lebensraum für die Disziplinierung der aus dörflichen Gegenden nach Barcelona migrierten Tagelöhner galt.224 Auch in Verdún zielte das architektonische Projekt, wie es der Architekt Emilio Donato interpretierte, einerseits darauf ab, die bisherige Lebensform der Migranten und Barackenbewohner in der Siedlungsform zu berücksichtigen, gleichzeitig jedoch eine Urbanität zu entwickeln, indem sich das Leben auf der Straße nicht um die Haus- und Arbeitsaktivitäten, sondern um Konsum und Erholung am zentralen Platz konzentrierte.225 Andererseits wies die Siedlung jedoch einen stark provisorischen Übergangscharakter auf, etwa durch die niedrige Wohnqualität und die fehlenden Infrastrukturen.226 Sie wurde in sehr kurzer Zeit und mit 219 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 82–83. Vgl.: Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 33–35. 220 Unitat de Projectes, Cases del Governador, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag.; Joaquim Vayreda Casadevall, Les Vivendes del Governador. Barri de Verdum. Barcelona, Anexo 1, 1987, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. 221 Patronato Municipal de la Vivienda in Barcelona, Informe técnico, 24.07.1972, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. 222 Pradas, »Vivendes del Governador«, S. 105. 223 Ebd., S. 104–107. 224 Vgl.: Ferrer i Aixalà, Els polígons, S. 202–208 ; Barcelona. Les cases barates, S. 162–164. 225 Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 35. 226 Vgl.: Pradas, »Vivendes del Governador«, S. 80–145.
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Abb. 6–7 : Die öffentlichen Waschräume der Wohnsiedlung des Zivilgouverneurs in Verdún, von außen (oberes Foto) und innen (unteres Foto) gesehen. Beide Fotografien wurden 1977 von Ginés Cuesta Ortiz aufgenommen. Diese Waschräume waren bis zum Abriss der Wohnsiedlung 1993/1994 in Betrieb und wurden von den Bewohnern noch weitgehend genutzt, weil zum einen die Wohnräume zu klein waren, um dort moderne Waschmaschinen aufzustellen. Zum anderen war die Wasserversorgung in jeder Wohnung mittels eines Wassertanks geregelt, sodass die Verbrauchsmenge begrenzt war und somit für einen maschinellen Waschvorgang nicht ausreichte. Quelle : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona.
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stark begrenzten finanziellen Mitteln aufgebaut, was sich offensichtlich in der Qualität der Baumaterialien widerspiegelte (es fehlte an Abdichtung und Isolierung der Häuser). Die Wohnungen waren von minimaler Größe, während die meisten Bewohner kinderreiche Großfamilien waren.227 Kurz nach Fertigstellung der Siedlung fehlten noch Lebensmittelläden und Bäckereien, die geplante Bibliothek und die Kantine wurden nie gebaut, und die Straßen und Passagen, die zum Säulenplatz führten, waren nicht asphaltiert und verwandelten sich bei Regen schnell in Schlammpisten. Die Siedlung war außerdem von der Stadt völlig isoliert : Im Laufe der 1950er Jahre verfügte die Siedlung nur über eine einzige private Buslinie, mit welcher die Bewohner die nächsten Transportverbindungen erreichen konnten.228 Die Bildungsmöglichkeiten waren in der Siedlung ebenfalls nicht für alle zugänglich : Die Grundschule, die dort zunächst in einer Holzbaracke auf Initiative der Damas Apostólicas del Sagrado Corazón de Jesús (Kongregation der Apostolischen Damen des Heiligen Herzens Jesu) im Jahre 1954 entstand, war nicht gebührenfrei und somit für einige Familien unerschwinglich.229 Die Entstehung und Urbanisierung der Siedlung stellte ein kollektives gesellschaftliches Vorhaben unter Aufsicht des Zivilgouverneurs dar. Ihm persönlich unterlagen auch die Polizeikräfte und Überwachungsdienste (servicio de vigilancia), die im sog. Haus der Dienste im Zentrum der Siedlung, neben Post und Ambulanz gelegen, ihre Dienststelle hatten.230 Das wichtigste Anliegen des Zivilgouverneurs bestand darin, die Migration in die Stadt zu stoppen und die Stadtperipherie stets unter Kontrolle zu haben. Bestanden die Falangisten auf der Notwendigkeit von Disziplinierungsmaßnahmen, die gegenüber der Arbeiterschaft eingeleitet werden sollten, ging es dem Zivilgouverneur in erster Linie darum, »aus dieser Siedlung keine Hüttenstadt zu machen, sondern ein Stadtviertel, in dem Personen zusammen leben können, als ob dies eines der Stadtviertel Barcelonas wäre.«231 Die zukünftigen Bewohner waren bereits in der ersten Auswahlrunde auf »Vorstrafen und moralisches Verhalten« überprüft worden, wurden jedoch zusätzlich von einer Brigade, die 227 Unitat de Projectes, Cases del Governador, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. 228 Pradas, »Vivendes del Governador«, S. 117–124. 229 Ebd., S. 124–131. Vgl.: Carrasco Martínez, Verdum, S. 135. 230 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 82–83. 231 »Verdún, como verán ustedes, no se ha construido para que sea un aduar, sino que sea un barrio de personas que puedan convivir como si fuera en un distrito de los de Barcelona«, in : »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 81.
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aus einem Mitglied der Guardia Civil als Brigadechef sowie einem Wachdienst mit drei pensionierten Mitgliedern der Guardia Civil pro Wohnblock bestand, stets kontrolliert und diszipliniert.232 Die Mitglieder des Überwachungsdienstes wurden für ihre Tätigkeit laut Arbeitsvertrag mit einer Sonderzahlung und einer kostenlosen Wohnung in einem der Wohnblöcke vergütet, in welchem sie ihre Dienste ausüben sollten.233 Die Aufgaben des Wachdienstes konzentrierten sich in erster Linie darauf, eine strikte Kontrolle der sich in der Siedlung befindenden Bewohner durchzuführen. Es war nämlich streng untersagt, dass sich in den Wohnungen mehr als die gemeldeten Personen befanden oder gar über Nacht blieben. Die Wohnungen durften weder an Familienmitglieder oder Freunde noch an Fremde vermietet oder untervermietet und auch nicht unentgeltlich überlassen werden.234 Bei dieser Regelung ging es darum, den weiteren Familiennachzug nach Barcelona zu unterbinden, was eine übliche Praxis unter Migranten war.235 Praktizierte der Zivilgouverneur Zwangsabschiebungen gegenüber den in der Stadt ankommenden Migranten, so drohte auch den Bewohnern in Verdún eine Zwangsräumung für den Fall, dass sich in den Wohnungen Personen aufhielten, die dort nicht gemeldet waren.236 Des Weiteren wurde streng kontrolliert, ob die Flure und Treppenhäuser sauber gehalten wurden. Die Reinigung gehörte dabei zu den Aufgaben der Bewohner, die nicht selten an Feiertagen von den Überwachungskräften zu gemeinsamen Reinigungsaktionen beordert wurden.237 Laut Nutzungsregelung waren die Wachdienste berechtigt, »mit Zustimmung des Bewohners in die Wohnung kommen zu dürfen, um die Bewohnerzahl sowie Sauberkeit und Wohnungspflege überprüfen zu können.«238 Ungeachtet dessen kontrollierten die Überwachungsdienste, die über detaillierte Bewohnerlisten verfügten, die Bewohner jedoch weitgehend nach militärischen Prinzipien, wobei Wohnungsdurchsuchungen und nächtliche Kontrollen keine Seltenheit waren. Prinzipiell durften die Bewohner keine Besucher in den Wohnungen empfangen ; selbst Familienmitgliedern, gleich ob Kinder, Geschwister oder El232 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 85. Vgl.: Carrasco Martínez, Verdum, S. 136 ; Les Cases del Governador. Verdum. Analisis i Propost, ohne Dat., in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona, Sig. S-67, Bl. 13. 233 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 85. 234 Ebd. 235 Siehe u.a.: Bordetas, El viatge, S. 34–50. 236 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 85. 237 Carrasco Martínez, Verdum, S. 138. 238 »Datos sobre las viviendas construidas…«, S. 85.
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tern, war es nicht erlaubt, dort zu übernachten.239 Beispielsweise verweigerten die Wachdienste einem Bewohner, seine in Nordspanien alleinlebende Mutter fortgeschrittenen Lebensalters zu sich kommen zu lassen. Vom Zivilgouverneur wurde die Frau aufgefordert, die Wohnung sofort zu verlassen und in ihren Wohnort zurückzukehren.240 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zur Entstehung der Siedlung mehrere Faktoren und Interessen beitrugen : Zum einen war die Errichtung eine unmittelbare Folge des Internationalen Eucharistischen Kongresses. Sie entstand aufgrund der Notwendigkeit, die Diagonalstraße für die Feierlichkeiten des Kongresses vorzubereiten, wofür es zunächst erforderlich war, die Barackensiedlungen dort zu beseitigen und deren Bewohner umzusiedeln. Zum anderen brachten die vorhergehenden Arbeiterproteste von 1951 einen institutionellen Personenwechsel auf Provinzebene und darüber hinaus eine verstärkte Aufmerksamkeit und Kontrolle gegenüber der Arbeiterschaft und den Stadtperipherien hervor. In diesem Kontext agierte der Zivilgouverneur Felipe Acedo Colunga im Sinne seines persönlichen Anliegens : die Migration nach Barcelona wirksam zu kontrollieren und diese zu stoppen. Für diese polizeilichen Maßnahmen wurden auch mehr Sicherheitskräfte in der Provinz benötigt. In der Konsequenz ermöglichte die vom Zivilgouverneur aufgebaute Wohnsiedlung in Verdún, beide Aufgaben teilweise zu erfüllen : Ein Teil der Beamten der Sicherheitskräfte fand dort eine Unterkunft. Gleichzeitig übten diese Beamten Kontrolle und Disziplinierung über die dorthin umgesiedelten Zuwanderer aus, sodass die Siedlung durch die paramilitärischen Maßnahmen einen semiruralen Mikrokosmos streng regulierten, quasi-kasernierten Zusammenlebens darstellte. 2.4.2 Exkurs : Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen innerhalb der Siedlungen : Kontrollräte, Überwachungsdienste und Aufseher
Der falangistischen Ideologie zufolge bestand eine wichtige Aufgabe des Staates darin, die »zu integrierende Lebensform der Arbeiterschaft zu reorganisieren« und »die vorherrschenden Sitten zu ändern.«241 Für diese Aufgabe erachteten 239 Dazu s. u.a.: Carrasco Martínez, Verdum, S. 136–141 ; Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 7, S. 162–164. 240 Brief an Justo Rodríguez García vom Gobierno Civil de la Provincia de Barcelona, Delegación de Evacuación y Construcciones, datiert 16.10.1953 und abgebildet in : Josep Maria Babì Guimerà. Las casas del desgobierno. Según una historia de María Teresa Rodríguez, in : Documentàlia. Col·lecció Petit Arxiu, Nr. 93, 2015, S. 25. 241 Visita a los suburbios madrileños, in : Pueblo, 26.11.1945, S. 6.
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es die Falangisten als notwendig, Überwachungsdienste zu etablieren, um die festgelegten Anordnungen zur Nutzung urbanen Raums wirksam zu machen. Im Allgemeinen – wie bereits am Beispiel Verdún skizziert – dienten diese Dienste dazu, in Siedlungen »häufige Inspektionen in Räumen gemeinsamer Nutzung wie Innen- und Hinterhöfe, Treppenhäuser, Galerien, Hausflure, und wenn es notwendig ist, in privaten Wohnungen […] durchzuführen.«242 Besonders streng sollten auch Hotels, Kinos, Theater, Gasthäuser und sonstige massenhaft frequentierte Einrichtungen kontrolliert werden. Nur eine vollständige Kontrolle könne, so die Logik der Falangisten, »eine gute Organisation« bereichern.243 Demnach existierten in jeder Wohnanlage Überwachungsdienste (servicio de vigilancia), die in den Siedlungen des OSH Kontrollräte (juntas de vigilancia) genannt wurden. Manchmal wurden diese auch, in Anlehnung an die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts etablierten Haussicherheitsposten,244 einfach als Aufseher (veedores) oder, zu der Zeit noch seltener, Pförtner (porteros) bezeichnet, wie etwa in den Siedlungen der kommunalen Wohnungspatronate. In der Regel rekrutierten sich diese Aufseher aus der Nachbarschaft selbst. Für den Dienst der Überwachung und des Denunzierens jedes Verhaltens, das den festgelegten Regeln nicht entsprach, genossen die Aufseher – abgesehen von einem regulären Arbeitsverhältnis – Vorrechte wie die kostenlose Nutzung der Wohnung in der Dienstperiode sowie besondere Sonderrechte im Falle einer Wohnsitzverlegung.245 Somit war die Position eines Aufsehers privilegiert, und es ist zu vermuten, dass einige öffentliche Institutionen als Eigentümer der Wohngemeinschaften, die dieses Personal selbst auswählten und einstellten,246 dem Rekrutierungsprozess streng durchdachte politische Kriterien zugrunde legten. Waren die Wachleute im Falle der Wohngemeinschaften des Zivilgouverneurs meist pensionierte Mitglieder der Guardia Civil,247 so ist zu vermuten, dass sich 242 »Es indispensable organizar un servicio de vigilancia que inspeccione frecuentemente las partes de los edificios comunes a los inquilinos, como los patios, escaleras, galerías y vestíbulos, y cuando se estime comveniente, las viviendas particulares.«, in : Cort, Campos urbanizados, S. 224–225. 243 Ebd. 244 Vgl.: Antonio Lancuentra Buerba, Porterías de fincas urbanas de Barcelona, Barcelona 1961, unpag. 245 Vgl.: Patronato Municipal de la Vivienda, Comparecencia, 19.10.1976, Barcelona, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Delegación Servicios La Mina – S.O. Besòs y Canyelles, caixa 1/2/4, unpag. 246 Vgl.: La Reglamentación de trabajo para los porteros de fincas urbanas de Barcelona, in : Boletín de la Cámara Oficial de la Propiedad Urbana de la Provincia de Barcelona, Nr. 207, 1948, S. 105–108, hier : S. 107. 247 Dies war mindestens der Fall in der Wohngemeinschaft der sog. Casas de Governador in Barcelona. Siehe u.a.: Pradas, »Vivendes del Governador«, S. 112.
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die Kontrollräte des OSH ausschließlich aus dem Mitgliederkreis des Movimiento Nacional rekrutierten. Im Gegensatz zu diesen stark politisch motivierten Positionen, die sich nicht zuletzt auch in deren Bezeichnung widerspiegelten, waren die kommunalen Wohnungspatronate den Arbeitsverträgen nach248 in der Auswahl des Personals für diese konkrete Arbeitsstelle freier, was jedoch Privilegien und Bevorzugung nicht ausschloss. Die Existenz der Kontrollräte bzw. Überwachungsdienste wurde von allen öffentlichen Stellen mit der Notwendigkeit nutzungsbedingter Kontrollen, Reparaturen und ggf. Autorisierungen von Veränderungen bzw. Umbauarbeiten begründet.249 Die Hauptaufgaben der Aufseher waren im Allgemeinen auf die Durchsetzung der Hausordnung und soziale Disziplinierung begrenzt. Dazu gehörten u.a. Aufgaben wie Türen zu öffnen (um 7 Uhr morgens) und zu schließen (um 22 Uhr abends), Flure sauber zu halten sowie insgesamt die Ordnung in der Siedlung zu bewahren.250 Die Überwachungsdienste sollten außerdem dafür sorgen, dass kein Lärm (z.B. durch Streit oder Diskussionen) entstand und keine nächtlichen Besuche oder Besuch über längere Perioden zu registrieren waren. Demnach waren die Aufseher per Arbeitsvertrag verpflichtet, alle Besucher in der Wohngemeinschaft zu registrieren und im Falle einer Irregularität dem entsprechenden Organ anzuzeigen.251 Das Verbot von langfristigen Besuchen252 wurde meistens mit der Vermeidung unautorisierter Vermietung oder Übergabe an Dritte begründet, da die vom Staat subventionierten Sozialwohnungen nicht weitervermietet bzw. gegen Bezahlung abgelöst oder in Geschäftsräume umgewandelt werden konnten.253 Prinzipiell sollten also Aufseher auf die Vollstre248 Instituto Municipal de la Vivienda, Nombramiento de Veedor, Expediente de Contrato de Veeduría, Barcelona 1955, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Diligencia de archivo firmas contra portería, Sig. 36, unpag. 249 Siehe u.a.: »La construcción de viviendas por la Obra Sindical del Hogar…«, S. 63–64 ; Adolfo Martín Arbués, Juan Roca Cabanellas, El derecho a la vivienda, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 18, 1958, S. 71 ; Teresa Fernández Talaya, El Patronato Municipal de la Vivienda, antecedentes y normas por las que se regía, in : Anales del Instituto de Estudios Madrileños, Bd. L, Madrid 2010, S. 277–288. 250 Nombramiento de Veedor, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Diligencia de archivo firmas contra portería, Sig. 36, unpag. Vgl.: Lancuentra Buerba, Porterías, unpag. 251 Vgl.: Reglamento para los veerdores de los grupos de viviendas protegidas que administra el Instituto, Barcelona, 10 de julio de 1950, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Portería, General Documentación 1/4-25, unpag.; Nombramiento de Veedor, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Diligencia de archivo firmas contra portería, Sig. 36, unpag. 252 Vgl.: Nombramiento de Veedor, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Diligencia de archivo firmas contra portería, Sig. 36, unpag. 253 »La construcción de viviendas por la Obra Sindical del Hogar…«, S. 63–64 ; Nombramiento de
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ckung von Regelungen achten und Übertretungen melden. Neben dem Kontrollaspekt lässt sich in den Nutzungsregelungen zudem einer erzieherischen Rolle nachspüren, indem den Aufsehern die Aufgabe des Anzeigens von Regel- und Ordnungswidrigkeiten254 im Sinne von geforderter Disziplin in der Gemeinschaft zugeteilt wurde. Zieht man in Betracht, dass der national-syndikalistische Staat alle Arbeiter kontrollieren und sozial disziplinieren wollte, schienen die Aufseher, die immer über vollständige Bewohnerlisten verfügten,255 diese Aufgabe in den kleinen Wohnanlagen zu übernehmen. Dabei waren mögliche Konflikte zwischen den Aufsehern und den Bewohnern und daraus resultierende Beschwerden keine Grundlage dafür, den Bewohnern Recht zu geben oder den Aufseher zu entlassen.256 2.4.3 Ländliches Gepräge mit urban-hygienischen Ansprüchen. Die Siedlung des Städtischen Wohnungsinstituts in Can Clos am Montjuïc
Der Rechtsanwalt Antonio Maria Simarro Puig trat infolge der politischen Umstrukturierungen nach den Tramstreiks im März 1951 sein Amt als neuer Bürgermeister von Barcelona (1951–1957) an.257 Wurde von den Kommunen ohnehin schon eine aktive Teilnahme an der Sozialpolitik des Staates und somit am sozialen Wohnungsbau erwartet, so stieg dieser politische Druck gegenüber den Stadtverwaltungen nach den durch die prekären Lebensumstände der Arbeiterschaft verursachten Arbeiterprotesten nochmals wesentlich. Der Internationale Eucharistische Kongress gab dem neuen Bürgermeister eine Möglichkeit, sein Engagement im »Kreuzzug um die Wohnungen«258 zur Schau zu stellen. Für die Umsiedlung von Barackenbewohnern aus der Diagonalstraße, die für die liturgischen Zeremonien vorbereitet werden sollte, benötigte man mehrere neue Unterkünfte. Neben dem Zivilgouverneur baute auch das Instituto Municipal de la Vivienda, das Städtische Wohnungsinstitut der Stadtverwaltung Barcelona, im Jahre 1952 für dieses Ziel eine weitere Wohnsiedlung.
Veedor, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Diligencia de archivo firmas contra portería, Sig. 36, unpag. 254 »La construcción de viviendas por la Obra Sindical del Hogar…«, S. 63–64. 255 Vgl.: Ebd. 256 Lancuentra Buerba, Porterías, unpag. 257 Mehr zu Antonio Maria Simarro Puig siehe u.a.: Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 499 ; Colomer, Franquistes, S. 46. 258 Siehe u.a.: Vivienda y Paro, Nr. 48, 1955, S. 8.
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Sollten die Stadtverwaltungen Akteure der nationalen Wohnungspolitik sein, so durften sie sich nicht nur an der Verwaltung von Grundstücken beteiligen, sondern sollten ihre Wohnungspolitik durch die sog. Patronatos Municipales de la Vivienda, die Städtischen Wohnungspatronate, realisieren. 1944 entstand in Madrid das Wohnungspatronat primär mit der Aufgabe, die vor dem Bürgerkrieg im Rahmen der casas baratas entstandenen Sozialwohnungen zu kommunalisieren.259 Des Weiteren war das Wohnungspatronat an der Beschaffung von Wohnraum insbesondere für Militär- und zivile Verwaltungsbeamte und Beschäftigte beteiligt.260 Für die Bewältigung der gleichen Aufgaben entstand ein Jahr später 1945 auch das Instituto Municipal de la Vivienda, das Städtische Wohnungsinstitut, in Barcelona.261 Dennoch war das Institut in Barcelona keine neue Einrichtung. Es leitete sich von dem Patronat de l’Habitació, dem Wohnungspatronat her. Somit lassen sich Kontinuitäten hinsichtlich der Ziele, der Organisation und nicht zuletzt auch der Betrachtung der Migranten zum ursprünglichen, in den 1920er Jahren gegründeten Patronat de l’Habitació erkennen. Das Wohnungspatronat entstand im Jahre 1927 mit dem Auftrag, Sozialwohnungen für die Barackenbewohner zu beschaffen, die im Zuge der Internationalen Weltausstellung 1929 ihren Wohnraum in der Gegend um den Berg von Montjuïc verloren. Nun glich zwar das Wohnungsinstitut seit 1945 in seiner legislativen Form dem Wohnungspatronat in der Hauptstadt.262 Jedoch bestand der damalige Bürgermeister von Barcelona, Großunternehmer und Baron von Terrades José María de Albert y Despujol (1945–1951),263 darauf, dass das Instituto Municipal de la Vivienda nicht nur Beamtenwohnungen, sondern auch günstigen Wohnraum im Hinblick auf das Wohnungsdefizit oder für die durch Urbanisierungsarbeiten betroffenen Stadtbewohner beschaffen sollte.264 Somit setzte Despujol auf eine Kontinuität der Aufgaben des ursprünglichen Patronat de l’Habitació, auch wenn durch die Namensänderung offensichtlich ein Bruch 259 Vgl.: Fernández Talaya, El Patronato Municipal de la Vivienda, S. 277–287. 260 Vgl.: López Díaz, La vivienda social, S. 68–71 ; Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 21. Im Übrigen verfügten auch die Ministerien über Patronatos de Viviendas, die wiederum Wohnraum für die Ministerialbeamten beschaffen sollten. S.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 35. 261 La Política de la Vivienda del Ayuntamiento de Barcelona. Memoria que presenta el Teniente de Alcalde, Consejero Delegado del Instituto Municipal de la Vivienda, hg. v. Ayuntamiento de Barcelona, Instituto Municipal de la Vivienda, Barcelona 1947, S. 39–40. 262 Vivienda y Paro, Nr. 40, 1954, S. 15. 263 Colomer, Franquistes, S. 41 ; Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 498. 264 De les cases barates als grans polígons, S. 19.
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gekennzeichnet werden sollte. Dennoch konnte erst sein Nachfolger – Bürgermeister Antonio María Simarro, der nun Vorsitzender des Verwaltungsrates war und das kommunale Plenum des Institutes leitete – auf diese ursprüngliche Funktion des Patronats zurückgreifen, indem er für die Barackenbewohner aus der Diagonalstraße eine Siedlung am Berg Montjuïc – Can Clos – baute. Das ursprüngliche Patronat war dem Gesetz der casas baratas nach keine exklusiv kommunale Einrichtung, sondern eine Art Genossenschaft, an der jedoch die Stadtverwaltung beteiligt war.265 Dies bedeutete, dass das Patronat keine eigenen finanziellen Mittel besaß, sondern mithilfe von Staatsanleihen, für die jedoch die Stadtverwaltung bürgte, den Wohnungsbau finanzierte. Den gesamten Bauprozess, vom Grundstückskauf bis zum Wohnungsbau und zur Bereitstellung der Infrastruktur, leitete dann die Handelsgesellschaft Fomento de la Vivienda Popular S.A. und nicht das Patronat selbst.266 Das nachfolgende Wohnungsinstitut war zwar auch eine kommunale Einrichtung und unterlag dem Verwaltungsrat, der vom Bürgermeister geleitet wurde,267 es sollte jedoch seine Bauinitiativen nicht durch die Stadtverwaltung, sondern autonom als selbstständiges Organ mithilfe der Mieten bzw. staatlicher Subventionen finanzieren. Das Miteinbeziehen privater Institutionen war allerdings ausgeschlossen. Demnach war dieses Wohnungsinstitut ein finanziell eigenständiges Organ unter Aufsicht und Leitung der Kommune.268 Die Bauprozedur sah folgendermaßen aus : Das Institut erwarb für seine Bauprojekte mithilfe von Enteignungsmaßnahmen zunächst kleine Agrarparzellen, die sich an sehr weit entfernten und daher meist schwer zugänglichen Orten befanden, daher aber preisgünstiger zu bekommen waren. Im nächsten Schritt schrieb die Stadtverwaltung ein Vergabeverfahren für den Bauauftrag aus, der später vom Nationalen Wohnungsinstitut nach den Gesetzesregelungen der viviendas protegidas überprüft und gegebenenfalls genehmigt wurde. Das Bauprojekt Can Clos war für den neuen Bürgermeister Simarro jedoch kein übliches Bauvorhaben. Zum einen ging es stets darum, die Stadt im Rah265 »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona…«, S. 67. Vgl.: De les cases barates als grans polígons, S. 16–23 ; Ferrer i Aixalà, Els polígons de Barcelona, S. 56–58 ; Barcelona. Les cases barates, S. 50–63. 266 Ferrer i Aixalà, Els polígons de Barcelona, S. 56. 267 Vgl.: El Instituto Municipal de la Vivienda de Barcelona, in : Ecos y Voces del Campo Social. Extraordinario dedicado al problema de la vivienda, Nr. 43, 1953, S. 40 ; »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona…«, S. 72. 268 »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona…«, S. 67 ; De les cases barates als grans polígons, S. 72–73.
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men des Internationalen Eucharistischen Kongresses den internationalen Gästen von der besten Seite zu zeigen. Zum anderen musste die Umsiedlung der Barackenbewohner von der Diagonalstraße, wo die Bauarbeiten am großen Hauptaltar des Kongresses durch die Hütten und Baracken behindert waren, rasch vorgenommen werden. Der Notsituation entsprechend verlief der Bauprozess außerordentlich schnell : Das Grundstück für die Siedlung Can Clos befand sich auf weit vom Stadtzentrum entfernten Ackerland am Fuße des Bergs Montjuïc. Angesichts des kurzen Verlaufs aller Prozeduren ist anzunehmen, dass diese Parzelle bereits im Besitz der Stadtverwaltung war. Die Kommune besaß bereits vor dem Bürgerkrieg mehrere Grundstücke am Montjuïc, die für die zukünftigen Urbanisierungspläne vorgesehen waren und in der Zwischenzeit sogar teilweise parzelliert und an Dritte vermietet wurden.269 Im Gegensatz zu anderen Bauprojekten finanzierte die Stadtverwaltung dieses Vorhaben selbst.270 Hypothetisch könnte man dies damit erklären, dass es vielleicht dem frisch angetretenen Bürgermeister auch darum ging, den Vorwurf der zentralen Staatsorgane gegenüber der vorherigen Stadtverwaltung, diese setze sich für die Bekämpfung der Barackensiedlungen in der Stadt nicht genügend ein, von Beginn an zu entkräften. Sicher ist jedoch, dass die Selbstfinanzierung dieses Bauvorhabens durch die Kommune auf die eigenständige Aktivität der Stadtverwaltung im Hinblick auf die Vorbereitung des Kongresses und die Bekämpfung der Baracken in der Stadt deuten sollte. Allerdings ging es angesichts der Unterfinanzierung der Stadtverwaltung bei dem offenen Verfahren für den Bauauftrag in erster Linie darum, »eine möglichst große Zahl an Wohnungen mit einem minimalen Budget«271 zu bauen. Infolgedessen entstand auf etwas mehr als einem Hektar Bodenfläche272 innerhalb von 28 Tagen eine kleine Siedlung mit 192 Sozialwohnungen.
269 Vgl.: Barraquisme, la ciutat (im)possible, S. 86. 270 Vgl.: »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona…«, S. 75. 271 Instituto Municipal de la Vivienda, Anteproyecto de 192 viviendas protegidas económicas en los terrenos de la montaña de Montjiuch junto al antiguo camino de Valencia. Memoria descriptiva y estudio presupuesto, Barcelona 1952, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos. Documentación, proyectos, planos, Sig. 15/2/3/52, Exp. 518, unpag. 272 Das Grundstück war 11.704,72 m² groß, in : Proyecto de construcción de 192 viviendas especialmente protegidas en terrenos de la montaña de Montjiuch junto al antiguo camino de Valencia. Grupo 10, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos. Documentación, proyectos, planos, Sig. 15/2/3/52, Exp. 518, unpag.
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Abb. 8 : Obersicht auf die Siedlung Can Clos mit zehn Reihenwohnblöcken. Die übrigen mehrstöckigen Wohnblöcke im Hintergrund wurden später Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre gebaut. Fot. Mariano Velasco. Quelle : Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona.
Die Siedlung Can Clos wurde, ähnlich wie die Siedlung des Zivilgouverneurs, als rural-urbane Übergangszone konzipiert, auch wenn sich beide stark voneinander unterschieden. Das Rurale artikulierte sich vorwiegend durch die agrarische Umgebung : Die Siedlung befand sich zunächst in der weitgehend leeren Umgebung des Ackerlandes, etwa 30 Kilometer von einer Landstraße entfernt und mit einer Zufahrt, deren Asphaltierung bereits nach zwei Metern endete. Somit war diese Siedlung stark von der Umgebung isoliert.273 Anders als bei Verdún optierte man274 in diesem Projekt für zehn individuell stehende zweistöckige Reihenwohnblöcke, die parallel zueinander situiert waren und daher kein Siedlungszentrum bildeten. Abgesehen von den allein stehenden Sanitäranlagen mit gemeinsamen Wasch- und Duschräumen275 wurden keine 273 Emilio Suárez Sánchez, Can Clos. Historia de un barrio obrero, Barcelona 1997, S. 21–22 ; Jaume Fabre, Josep M. Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona. Els Tres Turons i els barris de Montjuïc, Bd. 4, Barcelona 1976, S. 185–188. 274 Der Architekt dieses Projektes ist nicht bekannt. 275 Anteproyecto de 192 viviendas protegidas económicas…, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos. Documentación, proyectos, planos, Sig. 15/2/3/52, Exp. 518, unpag.
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weiteren Dienstgebäude, keine Schulen und keine Kirchen geplant und auch später nicht gebaut. Somit setzte dieses Siedlungskonzept weniger auf die Idee eines kompletten Stadtviertels, sondern ähnelte stark den Übergangssiedlungen, die das Patronat im Jahre 1929 im Rahmen des Gesetzes Ley de las casas baratas für die Tagelöhner aus Montjuïc gebaut hatte. Neu war demgegenüber die Form der Wohnblöcke, die zwar aufgrund der Innenhöfe zum Verrichten verschiedener häuslicher und handwerklicher Arbeiten ein gewisses residuales dörfliches Gepräge transportierten, jedoch durch den Übergang zur Typologie eines alleinstehenden Blocks bereits ein geschlossenes Siedlungsmuster (poblado) andeuteten.276 Insgesamt waren dies zehn Wohnblöcke mit im Durchschnitt zwanzig baugleichen Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock sowie einem Innenhof.277 Der Zugang zu den Wohnungen im Erdgeschoss erfolgte durch einen Säulengang, derjenige zu den Wohnungen im ersten Stock über eine Seitentreppe. Die Wohnungen, mit Strom und einem Wasserspeicher ausgestattet, wurden als »minimale Wohnräume«278 mit einer Größe von etwa 37 Quadratmetern konzipiert und verfügten über eine größere Wohnküche, zwei Schlafzimmer, eine Toilette und eine kleine Terrasse. War Can Clos durch die Lage und die Ausrichtung noch eine sehr stark ländlich geprägte Siedlung, markierte der Gebäudetyp bereits den ersten Übergang zum urbanen Charakter der Zone, die sich nun am Beginn des Urbanisierungsprozesses befand.279 Im Gegensatz zum Zivilgouverneur, der die Zuwanderer innerhalb des gesamten Raumes (öffentlich und privat) zu disziplinieren und zu kontrollieren suchte, konzipierte der Bauträger des Can Clos, das Städtische Wohnungsinsti276 Ferrer i Aixalà, Els polígons, S. 210. 277 Proyecto de construcción de 192 viviendas especialmente protegidas en terrenos de la montaña de Montjiuch junto al antiguo camino de Valencia. Grupo 10, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos. Documentación, proyectos, planos, Sig. 15/2/3/52, Exp. 518, unpag. 278 Instituto Municipal de la Vivienda, Anteproyecto de 192 viviendas protegidas económicas en los terrenos de la montaña de Montjiuch junto al antiguo camino de Valencia. Memoria descriptiva y estudio presupuesto, Barcelona 1952, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos. Documentación, proyectos, planos, Sig. 15/2/3/52, Exp. 518, unpag. 279 Kurz nach der Entstehung der Siedlung Can Clos baute das Städtische Wohnungsinstitut dort eine weitere Wohnsiedlung – El Polvorín. Vgl.: »La construcción de viviendas por el Excmo. Ayuntamiento de Barcelona…«, S. 74 ; De les cases barates als grans polígons, S. 166–167 ; Briefwechsel zwischen dem »Instituto Municipal de la Vivienda, Barcelona« und dem »Instituto Nacional de la Vivienda«, datiert auf den 19.01.1964 und betreffend der Siedlung »Can Clos« in Barcelona, in : IMHAB, Grup 10 – Can Clos, Sig. 727, unpag.
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Abb. 9–12 : Blick auf Details der ersten Wohnsiedlung Can Clos. Fot. Mariano Velasco. Quelle : Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona.
tut, den peripheren Raum seiner Siedlung als einen Ort, an dem die Bewohner hauptsächlich die Regeln in Bezug auf Hygiene und gutes Benehmen lernen sollten. Der Wachmann, der nun auch im Can Clos das Zusammenleben in der Wohngemeinschaft ordnen und kontrollieren sollte und dafür mit einer Wohnung und einem Arbeitsvertrag vergütet wurde, war verpflichtet, bestimmte Regelungen durchzusetzen. Zum einen sollte er kontrollieren, ob Müll aus dem Fenster geworfen bzw. im Flur oder auf der Straße gelagert wurde, ob in der Gartenanlage nicht zugelassene Objekte aufbewahrt wurden oder Wasser aus dem Fenster gegossen wurde.280 Des Weiteren wurde viel Mühe in die Nutzungsregelungen für öffentliche Räume und Straßen in der Siedlung gesteckt. Demnach war es zum Beispiel verboten, eine unautorisierte Arbeit in den Straßen und auf den Plätzen auszuführen sowie Wäsche und andere Objekte zum Trocknen aufzuhängen. Das Aufhängen von Wäsche auf dem Balkon oder der Terrasse war auch dann verbo280 Reglamento para los veedores de los grupos de viviendas protegidas…, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Portería, General Documentación 1/4-25, unpag.
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ten, wenn die betreffende Seite der Wohnung zur Straße hin ausgerichtet war.281 Zudem war verboten, tagsüber Pflanzen zu gießen sowie »öffentlich am Hauseingang oder auf der Dachterrasse Kleider, Pelze, schmutzige, wie auch gewaschene Kleidung und alle anderen Objekte zur Schau zu stellen, deren Anblick Widerwillen verursachen.«282 Besonders bestraft wurde Tierhaltung in der Siedlung. Ebenso war es untersagt, auf Straßen und Plätzen Pferde, Hunde und tote Tiere zurückzulassen wie auch Wasser, insbesondere Salzwasser, auf die Straße zu gießen.283 Ebenfalls als Vergehen gewertet wurde, wenn Kinder im Flur spielten oder – hierfür konnte man sogar dauerhaft aus der Wohnsiedlung verwiesen werden – die Wände bemalten.284 Diese strengen Regeln deuten auf ein Bemühen hin, den Siedlungsbewohnern viele für das Dorf typische Verhaltensmuster (wie etwa Tierhaltung oder Arbeit auf der Straße) abzugewöhnen und ihnen eine hygienisch-urbane Verhaltensweise nahezubringen. Abgesehen von dieser Art sozialer Disziplinierung gab es jedoch keine Versuche, den Regelungen nach, eine bestimmte Ordnung im Bereich der Wohnungsnutzung festzuhalten, wie dies in der Siedlung des Zivilgouverneurs der Fall war. Dies muss als klare Kontinuität im Bestreben des Patronats angesehen werden, den ökonomisch schwachen Arbeiterschichten mithilfe der im Jahre 1929 gebauten casas baratas Hygienestandards und gute Manieren beizubringen. Diese Siedlungen von casas baratas, die als eine einfache industrielle Kolonie in der weit entfernten und aufgrund der fehlenden Transportmöglichkeiten von der Stadt isolierten Peripherie gebaut worden waren,285 setzten voraus, dass die Siedlung (poblado) in ihrer Konstruktion hygienisch und gesundheitsorientiert sein sollte (wichtig war z.B. ein Belüftungssystem), damit die Migranten eine hygienische Lebensweise erlernen konnten. Nicht vorgeschrieben wurde hingegen, wie sich die Familie in ihrem Wohnraum selbst organisierte, weil davon ausgegangen wurde, dass jeder Migrant unterschiedliche Eigenheiten seines Herkunftsortes pflegte.286 281 Ebd. 282 »Se prohibe además tener a la vista del público, en las aperturas de las casas y barandas de terrado, vestidos, pieles, ropa sucia o lavada u otros objetos cuya vista cause repugnancia«, in : Reglamento para los veedores de los grupos de viviendas protegidas…, in : IMHAB, Ajuntament de Barcelona, Portería, General Documentación 1/4-25, unpag. 283 Ebd. 284 Fernández Talaya, El Patronato Municipal de la Vivienda, S. 280–281. 285 Barcelona. Les cases barates, S. 164. 286 De les cases barates als grans polígons, S. 71–72 ; Barcelona. Les cases barates, S. 166.
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Das Städtische Wohnungsinstitut führte somit die Politik und den disziplinarischen Eifer des ursprünglichen Patronats fort, indem die Barackenbewohner ungeachtet der Diversität ihrer geografischen Herkunft in der Siedlung lernen sollten, nach einem Katalog überzogen-wirklichkeitsfremder Hygiene-Ideale und Verhaltensmuster zu leben, wovon man sich offenbar programmatisch die Genese eines sozialutopischen, homogenisierten und hygienisch zuverlässigen urbanen Menschentyps versprach. Unterstützend sollte ein neuer Raum zu diesem Prozess beitragen, der sich zwar ebenfalls in der weit entfernten und mit der Stadt nicht verbundenen Peripherie befand, jedoch durch den Typus eines horizontalen Wohnblocks eine neue Urbanität zu entwickeln versuchte : Die gemeinsamen Treppen und Terrassen erlaubten es, eine Gemeinschaft zu bilden, sollten jedoch eine rurale Aneignung des Raumes erschweren. Leider ließ sich die tatsächliche Nutzung des Raums durch die Zuwanderer anhand der vorhandenen Quellen nicht feststellen. Betrachtet man jedoch die aufgenommenen Fotografien der Siedlung, so drängt sich die Überlegung auf, dass viele Regeln der Hausordnung, etwa das Verbot des Wäscheaufhängens, zumindest in den 1970er Jahren ignoriert wurden. 2.4.4 »Eine Wohnung als Minimum an Wohlbefinden« : Die Modernität christlicher Kongresssiedlungen als Visualisierung des Fortschritts progressiver Katholiken
Bei dem Versuch der katholischen Kirche, die Gesellschaft in Spanien zu re- christianisieren, rückten insbesondere die Stadtperipherien in den Fokus. Bereits in den 1940er Jahren standen die Stadtperipherien der Großstädte im Zentrum des Interesses der Kirche, für welche die Stadt ohnehin »der Kern des moralischen Zerfalls«287 war, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Religiosität insbesondere unter den Migranten an den Peripherien sehr niedrig war.288 In diesem Zusammenhang gründete die Kirche bereits in den 1940er Jahren neue Pfarr287 Julio Rosado, La formulación tradicional de las obras de misericordia y el problema de la vivienda, in : Ecclesia Nr. 545, 1951, S. 12–13, hier : S. 12. 288 Conferencia pronunciada por el Rvdo. Dr. D. Rogelio Duocastella, Pbro. Director del Instituto de Sociología y Pastoral Aplicadas (I.S.P.A.) : Sociología religiosa de la inmigración a Cataluña, in : Conversaciones sobre inmigración, S. 40–51, hier : S. 49 ; Rogelio Duocastella, Reflexiones sobre el resultado de las »Encuestas religiosas« en los Suburbios, in : La Pastoral en los Suburbios, 1957, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 1–26 ; Rogelio Duocastella, La práctica religiosa y las clases sociales, in : Arbor. Revista General de Investigación y Cultura, Nr. 144, 1957, S. 375–387, hier : S. 378–380.
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gemeinden an den Rändern der Großstädte, um dort »mithilfe der Kirchengemeinde einen moralischen und sozialen Wandel« zu bewirken.289 Die Re-Christianisierung der Arbeiterschaft an den Stadtperipherien verschränkte sich mit der sozialen Doktrin der katholischen Kirche, die darauf gründete, das Zuhause als ein menschliches Grundrecht und einen »Tempel der Familie«290 anzusehen. Demnach war eine eigene Wohnung das materielle Fundament für die geistige Untrennbarkeit zwischen einem Zuhause und der Familie und somit für den katholischen Glauben.291 Als eine der wirksamsten Stützen des franquistischen Staats mit weitreichendem Einfluss insbesondere auf die spanische Gesellschaftspolitik beteiligte sich die katholische Kirche auch in diesem Kontext aktiv an der Sozialpolitik des Regimes : Aufgabe der Kirche war es, die Arbeiterschaft an den Stadtperipherien nach christlich-moralischen Maßstäben zu formen und sich zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau zu engagieren. Seit Ende der 1940er Jahre verfolgte die Kirche eine eigene Immobilienpolitik, wodurch diverse wohltätige Baugenossenschaften in ganz Spanien entstanden, die mithilfe von Spenden sowie staatlicher Beihilfe Sozialwohnungen für Migranten und Arbeiter bereitstellten.292 Dabei ging es hauptsächlich darum, all jenen Arbeitern Wohnungen zur Verfügung zu stellen, die keine Wohnung hatten, und gleichzeitig eine seelsorgerische Tätigkeit in deren unmittelbarer Nähe durchzuführen, um auf diese Weise die »öffentliche und soziale Moral«293 zu beaufsichtigen und die Familien von christlichen Prinzipien zu überzeugen. Des Weiteren ging es darum, den Arbeitern Wohnungen als Eigentum zu ermöglichen, und zwar solche Wohnungen, die »die Erzeugung und Vergrößerung der christlichen Familien«294 begünstigten. Die Wohnsiedlungen sollten sich dabei nicht an sozialen Klassen oder ökonomischen Möglichkeiten orientieren, sondern eine sozialutopische Gemeinschaft bilden, 289 Frente al problema de los suburbios, in : ABC, 15.11.1945, S. 20. 290 Ecclesia Nr. 545, 1951, S. 13. 291 Vgl.: Martí Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«. Habitatge i catòlics a la Barcelona del franquisme, Barcelona 2008, S. 24. 292 Siehe u.a.: José Ramón Otero, Constructora Benéfica »Nuestra Señora de la Almudena« de Madrid, in : Semanas Sociales de España : La crisis de la vivienda, S. 423–434 ; Juan Font, Constructora Benéfica »La Sagrada Familia« de Córdoba, in : Ebd., S. 435–447 ; José María Haro, Constructora Benéfica »Nuestra Señora de los Desamparados« de Valencia, in : Ebd., S. 465–482 ; El domingo, »Día de la Plegaria por la vivienda«, in : ABC, 11.01.1957, S. 21. Vgl.: Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 20–29. 293 Otero, Constructora Benéfica »Nuestra Señora de la Almudena«, S. 428. 294 Dies bedeutete, dass die Wohnungen mindestens ein Wohn- und Esszimmer, eine Küche, eine Toilette und weitere drei bis fünf Schlafzimmer haben mussten. In : Ebd., S. 429–430.
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in der »Arme und Reiche, die Leitenden und die Geleiteten« zusammenleben konnten, um so eine Stadt »aller Berufe, diverser Unternehmen und aller Stufen der Arbeitswelt« zu schaffen.295 In Barcelona verpflichtete sich der Bischof der Diözese, Gregorio Modrego Casaus, der Aufgabe der Re-Christianisierung. Seit dessen Amtsantritt im Jahre 1942 wurden im Zuge seiner Initiative neue Pfarrgemeinden festgelegt, zahlreiche neue Kirchen gebaut und intensive pastorale Tätigkeiten in Katalonien initiiert.296 Seine Christianisierungsmission an den Stadtperipherien verband Modrego dabei mit sozialer Tätigkeit, indem er die katalanische Gesellschaft in die karitative Aktivität zugunsten der Migranten und Arbeiter miteinzubeziehen versuchte. In seiner Predigt »Grave y urgente problema : la escasez de viviendas« (»Ernstes und dringliches Problem : der Wohnungsmangel«) aus dem Jahre 1949 appellierte er folgendermaßen : Obwohl die Migranten hierherkommen, weil sie hier eine Arbeit haben, die ihnen erlaubt, zu leben, entstehen dadurch Siedlungen, die zu Konsequenzen im Bereich der Moral und Hygiene führen. Auch wenn so etwas auch in anderen Ländern existiert, sind wir als Katholiken stärker verpflichtet, dies zu regeln. Es ist die Pflicht aller, auch die des Bischofs ! […] Ich lade Sie ein, in die untervermieteten Wohnungen hineinzugehen und die Baracken und verarmten Hütten zu besuchen. Wie groß die Misere hier ist.297
Waren bis Ende der 1940er Jahre die Konjunkturen für das Bauwesen wenig günstig, so versuchte Modrego anlässlich des Internationalen Eucharistischen Kongresses, die Gesellschaft erneut in den sozialen Wohnungsbau miteinzubeziehen. Demnach forderte er von allen Barcelonesern einen finanziellen Beitrag und Zusammenarbeit in der Sache des Wohnungsbaus. Er verstand es als die Hauptaufgabe der Kirche, all diese gesellschaftlichen Impulse und Beiträge zu 295 Ebd., S. 430. 296 Zu dieser Zeit vergrößerte sich auf Initiative des Bischofs Modrego die Zahl der Pfarrgemeinden von den existierenden 61 auf 159. Zwischen 1945 und 1959 veranlasste Modrego neben zahlreichen Restaurierungen und dem Wiederaufbau zerstörter Kirchen den Bau von 72 neuen Kirchen in Barcelona. Siehe u.a.: Checa Artasu, La Diócesis de Barcelona, S. 436 ; El libro de las parroquias de la ciudad de Barcelona, Barcelona 1961. 297 »Aunque inmigrados vienen aquí porque tienen trabajo que les permite vivir se originan hacinamientos de personas con sus consecuencia para la moralidad y la higiene. Aunque lo mismo suceda en otros países, por ser católicos aun más lo hemos de resolver. Es deber de todos, también del Obispo«. In : Francesc Muñoz Alarcón u.a., Gregorio Modrego Casaus. Bisbe del XXXV Congrés Eucarístic Internacional de Barcelona, Barcelona 2002, S. 477.
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steuern und – wie er es selbst nannte – »diese ganze Maschine in Bewegung zu bringen.«298 Dabei bestand der Anspruch des Bischofs vorwiegend darin, die Wohnungsnot in der Stadt langfristig mithilfe katholischer Bauorganisationen zu beseitigen. Modrego Casaus schlug vor, eine wohltätige Organisation zu gründen, die auf einer Spendensammlung von 100.000 Peseten pro Person basieren sollte, bis die Summe von 100 Millionen Peseten erreicht worden sei. Dieses Basiskapital sollte dann für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden.299 Diesem Aufruf folgend initiierte der katholische Verein Asociación Católica de Dirigentes (Katholischer Führerverein), eine Randgruppierung der Katholischen Aktion (Acción Católica), ein soziales Bauprojekt mit dem Titel Viviendas del Congreso Eucaristico, »Wohnungen des Eucharistischen Kongresses«. Schließlich entstand an den Peripherien Barcelonas eine der Form nach moderne und zugleich – gemessen an den Prinzipien des Bauherrn – vorbildliche »christliche« Wohnsiedlung, die durch ihre Modernität, räumliche Offenheit und das Wohlbefinden der Bewohner den Fortschritt des sozialen Katholizismus gegenüber dem Traditionalismus in den von den Falangisten bereitgestellten Sozialwerken zur Schau stellen sollte. Die Katholische Aktion als internationale Laienbewegung der katholischen Kirche entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die gesellschaftliche Säkularisierung Europas und war seit den 1920er Jahren auch in Spanien aktiv. Diese Organisation definierte sich selbst als eine Gesamtheit katholischer Werke, zu welchen u.a. Vereine, Gesellschaften, aber auch Darlehenskassen und Kreditinstitute gehörten. Die Katholische Aktion strukturierte sich generell nach Mitgliederkategorien (Erwachsene, Frauen, Männer und Jugendliche) sowie speziell nach sozialen Funktionen in Arbeiter- und Studentenkreisen oder Dorfgegenden. Auch wenn diese zentral und national organisiert war, stützte sie sich doch vor allem auf die Kirchenstruktur der Gemeinden und Diözesen und oblag somit in erster Linie dem Bischof.300 Nach dem Bürgerkrieg verlor jedoch die spanische Katholische Aktion ihre Selbstständigkeit und wurde der vom Staat festgelegten Hierarchie strikt untergeordnet. In der Praxis bedeutete 298 El señor Arzobispo-Obispo de Barcelona y el problema de la vivienda, in : Ecos y Voces del Campo Social. Extraordinario dedicado al problema de la vivienda, Nr. 43, 1953, S. 3–4, hier : S. 3. 299 Checa Artasu, La Diócesis de Barcelona, S. 443. 300 Siehe mehr : Feliciano Montero, Origen y Evolución de la Acción Católica Española, in : Julio de la Cueva Merino ; Angel Luis López Villaverde, Clericalismo y asociacionismo católico en España, de la Restauración a la Transición : un siglo entre el palio y el consiliario, Cuenca 2005, S. 133–159, hier : S. 133–137 ; Feliciano Montero García, La Acción Católica y el franquismo. Auge y crisis de la Acción Católica Especializada en los años sesenta, Madrid 2000, S. 13–32.
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dies : keine selbstständige Tätigkeit der strukturierten Gruppen der Katholischen Aktion in sozialen Milieus mehr sowie keine von der Ideologie des Regimes abweichende Wirkung in der Gesellschaft. Somit wurde die gesamte Organisation in die offizielle Einheitssyndikatsstruktur des Regimes integriert.301 Erst nach 1946 änderte sich diese Situation, nachdem der Rechtsanwalt Alberto Martín Artajo als Vorsitzender der Katholischen Aktion in Spanien zwischen 1940 und 1945 zum Außenminister ernannt wurde.302 In Konsequenz daraus entstanden Organisationen wie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung HOAC (Hermandad Obrera de Acción Católica) und die Katholische Arbeiterjugend JOAC ( Juventudes Obreras de Acción Católica), die ihre Mitglieder für seelsorgerische Arbeit unter der Arbeiterschaft an die Stadtperipherien schickten. Mittels dieser Organisationen engagierte sich die Katholische Aktion in der Sozialarbeit an den Peripherien der Großstädte,303 während sie dort auch karitativ durch die im Jahre 1946 entstandene Organisation Caritas wirkte.304 Zudem etablierte diese im Jahre 1951 ein Secretariado Nacional de la Vivienda de Acción Católica (Nationales Wohnungssekretariat der Katholischen Aktion), um eine eigene wohltätige Immobilienpolitik zu betreiben.305 Mit kritischem Bezug auf die zeitgenössische Situation unter den Arbeitern an den Stadtperipherien begründete die Katholische Aktion ihre Bautätigkeit folgendermaßen : Wichtig ist vor allem, dass man den Familien entsprechende Bedingungen ermöglicht, damit sie ein christliches Leben führen können. In diesem Sinne ist es in diesem Moment viel wichtiger, würdige Wohnungen zu bauen, statt luxuriöse Kinos, leichtlebige Casinos, riesige Sportanlagen und noch größere Tempel aufzustellen.306 301 Montero, Origen y Evolución de la Acción Católica, S. 141–145. Vgl.: Juan José Castillo, Propietarios muy pobres. Sobre la subordinación política del pequeño campesino en España, Madrid 1979, S. 393–444. 302 Mehr zu Alberto Martín Artajo y Alvarez siehe u.a.: Los 90 ministros de Franco, S. 137–139 ; Tusell, Franco y los católicos, S. 36–38. 303 Vgl.: Feliciano Montero, Asistencia social, catolicismo y franquismo : La actuación de Acción Católica en la posguerra, in : Carme Agustí i Roca u.a., Pobreza, marginación, delincuencia y políticas sociales bajo el franquismo, Lleida 2005, S. 113–137, hier : S. 113. 304 Vgl.: Avance de Memoria de Cáritas Española en su XX aniversario, hg. v. Cáritas Española, Madrid 1962, S. 8–19 ; Así son las Cáritas, in : Cáritas. Boletín Nr. 46, 1964, S. 8–9. 305 Vgl.: Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 25. 306 »Lo que importa, en primer lugar, es que posibilite las condiciones precisas para que las familias puedan desarollar su vida cristianamente. Y en este sentido, es más importante en este momento, construir viviendas dignas que no levantar lujosos cinematógrafos, frívolas boleras, colosales campos de deportes y aun grandiosos templos«, in : Viviendas Congreso Eucarístico. Entidad benéfica
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Dass sich diese Worte zum Teil kritisch an die Falangisten richteten, ist damit zu erklären, dass die Katholische Aktion nicht nur ihren Anspruch des sozialen Katholizismus zu erfüllen suchte. Zwar stellte sich die Katholische Aktion in erster Linie der Aufgabe der Re-Christianisierung in Sachen »sozial-christliche Restauration« (restauración social cristiana).307 Dennoch suchte sie in der neuen politischen Konjunktur mit der seit 1951 zunehmenden Kritik an der Falange auch eine Möglichkeit, zu den unabhängigen Arbeitersyndikatsstrukturen aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg zurückzukehren.308 Die den Organisationen HOAC und JOAC Angehörenden sollten demnach als zukünftige Mitglieder der geplanten Gewerkschaft mobilisiert werden,309 und das Secretariado Nacional de la Vivienda de Acción Católica sollte im eigenen katholischen Syndikat die Rolle des OSH als Sozialwerk übernehmen : Wir würden eine immense Arbeit leisten, wenn wir nur ein spezielles Gesetz, gleich dem für den OSH verabschiedeten, erreichen würden. Warum sollte die Kirche nicht gleich behandelt werden ?310
Wenngleich die Katholische Aktion in vielen anderen Städten Spaniens ähnlich agierte und eine möglichst große Zahl unterschiedlicher Großunternehmer für die alternative Syndikatsorganisation zu gewinnen suchte, trafen diese Bestrebungen in Katalonien auf besonders fruchtbaren Grund. Die katalanischen Wirtschaftsführer versuchten nämlich aus ökonomischen Gründen bereits Ende der 1940er Jahre, sich zusammenzuschließen, um eine privilegierte Poconstructora, Una más justa inversión de la riqueza, fundamento de una obra urgente de solidaridad humana, Barcelona 1954, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 33, S. 15. 307 Montero, Asistencia social, S. 116. 308 Vgl.: José Andrés-Gallego, Antón M. Pazos, Cien años (y algo más) de catolicismo social en España, in : Un siglo de catolicismo social en Europa 1891–1991, hg. v. Antón M. Pazos, Pamplona 1993, S. 1–82, hier : S. 56–59 ; Tusell, Franco y los católicos, S. 359–366. 309 Ramos Ramos, Tranvías, S. 209 ; Basilisa López García, Aproximación a la historia de la HOAC (1946–1981), Madrid 1995, S. 29. 310 »Haríamos una labor inmensa si consiguiéramos del Estado una ley especial lo mismo que la promulgada para la »Obra Sindical del Hogar«. ¿Por qué la Iglesia no va tener igual trato ?«, in : Cáritas Española, Ponencia »Plan general de construcción de viviendas por el Secretariado Nacional de la Vivienda de la Acción Católica y entidades benéficas constructoras relacionadas con la misma, con el auxilio del Estado español y de la ayuda americana, a través de Cáritas Española«, por Don Jesús García Valcárcel, Director de Cáritas Española, 17.11.1956, in : Arxiu Diocesà de Barcelona , Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 1, Bl. 5.
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sition im Franco-Staat zu erlangen.311 Diese Versuche verstärkten sich Anfang der 1950er Jahre insbesondere auf Seiten der katholischen Großunternehmer aus dem Kreis der Katholischen Aktion, indem sie sich seit 1951 innerhalb der Asociación Católica de Dirigentes (Katholischer Führerverein) organisierten. Den Statuten nach sollte die Mitgliedschaft innerhalb dieses Vereins zur Bildung eines katholischen Bewusstseins unter den Arbeitgebern und Großunternehmern sowie zur Entwicklung des sozialen Katholizismus und darüber hinaus zur kollektiven Verantwortung für prägende soziale Probleme beitragen. Demnach verpflichteten sich alle Mitglieder, u.a. soziale Gerechtigkeit in der Beziehung zu beschäftigten Arbeitern und eine professionelle Moral in diesen Arbeitsverhältnissen zu schaffen sowie soziale Werke weitgehend zu fördern und zu schützen.312 Sollte dieser Verein von einer »moralischen Autorität und einer zuständigen kirchlichen Obrigkeit«313 geleitet werden, war dies die Aufgabe von Bischof Modrego Casaus. Zum Präsidenten des Vereins wurde der Ökonom und Großunternehmer Juan Vidal Gironella ernannt, der auch Mitglied der Katholischen Aktion war. Bereits am Anfang seines Bestehens versammelten sich in diesem Verein 121 Vertreter der wichtigsten Großunternehmen, Banken und Rechtsanwaltskanzleien.314 Daraufhin initiierte der Verein ein soziales Bauprojekt, das den Aufrufen des Bischofs gerecht werden sollte : die Tätigkeit des wohltätigen Patronats Viviendas del Congreso Eucarístico (»Wohnungen des Eucharistischen Kongresses«). Dieses Projekt gab den katalanischen Unternehmern aus den Kreisen der Katholischen Aktion die Möglichkeit, aus dem politischen Hintergrund herauszutreten und die eigenen Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen.315 Dennoch kann dieses Engagement auch als ein Versuch des katalanischen Bürgertums angesehen werden, das im Franco-Staat der 1940er und 1950er Jahre kaum Autorität und weder politische noch kulturelle Kraft hatte,316 ein soziales und kulturelles Mä311 Siehe u.a.: Carme Molinero, Pere Ysàs, Els industrials catalans durant el franquisme, Vic 1991, S. 61–84. 312 Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes de Barcelona, Barcelona, 25.01.1951, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, unpag.; La Asociación Católica de Dirigentes, in : El Correo Catalán, 18.10.1950, S. 5 ; La Asociación Católica de Dirigentes, in : Diario de Barcelona, 13.10.1950, S. 16. 313 Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, unpag. 314 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 59–66. 315 Checa Artasu, La Diócesis de Barcelona, S. 440–441. 316 Rafael Tasis, El paper polític de la burgesia catalana, in : Albert Ribas i Massana, L’economia catalana sota el franquisme (1939–1953), Barcelona 1978, S. 280–285 ; Albert Ribas i Massana,
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zenatentum, wie es in der Zeit vor der Republik (1931–1939) existiert hatte, zurückzuerobern.317 Das Patronat der Kongresswohnungen entstand insgesamt als Initiative einer großen Gruppe von Finanzpotentaten und des großunternehmerischen Bürgertums aus katholischen Kreisen in Barcelona, die durch den Verein der Dirigentes und die Kirche vertreten wurde.318 Das Patronat der Kongresswohnungen zielte auf den Bau »hygienischer Wohnungen und weiterer Siedlungsgebäude« innerhalb der Diözese von Barcelona ab, mit der Absicht, dass diese Immobilien gleich zu Beginn durch langfristige Kredittilgung zum Produktionspreis an die zukünftigen Bewohner verkauft würden.319 War das Eigentum für die Katholische Aktion ein Grundrecht der Menschheit, da eine eigene Wohnung als Kern der Familie und somit der christlichen Gemeinde angesehen wurde, bestand der Anspruch darin, die Zahl von Eigentümern mit eigener Wohnung steigen zu lassen, um auf diese Weise für soziale Stabilität in der Gesellschaft zu sorgen.320 Die Katholische Aktion argumentierte dabei, dass Eigentumswohnungen für die Arbeiter eine sinnvolle Investition darstellten, die es erlaube, Ersparnisse und Löhne zu revalorisieren.321 In diesem Sinne erlaubten das Eigentum und der Aufstieg vom Mieter zum Eigentümer einen sozialen Aufstieg vom Proletariat in die Mittelschicht.322 Dennoch konzentrierte das Patronat sein Interesse dennoch nicht auf die zu-
Industrials i banquers, in : L’Avenç, Nr. 12, 1979, S. 24–28 ; Francesc Cabana, La burgesia catalana. Una aproximació històrica, Barcelona 1997, S. 147. 317 Martín Checa Artasu, La vivienda social vista por los católicos. El Patronato de las Viviendas del Congreso Eucarístico de Barcelona (1952–1965), in : Los años 50 : La arquitectura española y su compromiso con la historia, S. 115–123, hier : S. 118. 318 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 28. 319 Die Zahlung für die Kongresswohnungen wurde folgendermaßen kalkuliert : Die zukünftigen Bewohner zahlten eine Vorauszahlung in Höhe von 8.000 bis 12.000 Peseten und eine monatliche Zahlung als Kredittilgung von 175 bis 400 Peseten über einen Zeitraum von 30 bis 35 Jahren. Zusätzlich mussten noch monatlich Nebenkosten in Höhe von 40 bis 95 Peseten bezahlt werden. In : Viviendas del Congreso Eucarístico. Características y actuación de Viviendas del Congreso Eucarístico. Nota informativa, Barcelona agosto 1957, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 1, Bl. 3. 320 Ante la próxima construcción de las viviendas del Congreso, in : La Vanguardia Española, 29.01.1953, S. 2. 321 Viviendas del Congreso. La vivienda en propiedad revaloriza es salario, in : Asociacion Católica de Dirigentes. Boletín de noticias e información, Nr. 76, 1956, S. 4. 322 José Carbonell Rovira, Solución del problema de la vivienda por mediación de Acción Católica, Villanueva, 24.11.1951, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 4, unpag.
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gewanderten unqualifizierten und oft in Baracken lebenden Arbeiter, sondern vorwiegend auf die in die Stadt migrierte katalanische arbeitende Mittelschicht : Das Wohnungsproblem reduziert sich nicht auf die Baracken. […] Das ernsthafte und viel schlimmere Wohnungsproblem liegt in der Untermiete, in diesem wahren Steinbruch der Immoralität und sozialen Konflikte ; in diesem Verfall eines Zuhauses, das immer einzig, unabhängig und souverän sein sollte.323
In diesem Sinne legte das Patronat seine Programmatik folgendermaßen dar : Wir haben keinen Ehrgeiz, das Problem mit den Baracken in der Stadt zu lösen. Wir möchten nur, dass unsere traditionelle arbeitende Mittelschicht, wie früher, ein eigenes Zuhause erwerben kann.324
Das Patronat verstand sich, den Statuten nach, als wohltätige Institution.325 In diesem Sinne verpflichteten sich die Gründungsmitglieder (socios fundadores), dem Patronat eine Summe von mindestens 100.000 Peseten zu spenden. Dieser gemeinsame Beitrag bildete das Basis- oder Gründungskapital. Neben dem Gründungskapital sollten für die Finanzierung der geplanten Bauprojekte größtenteils Spenden, sowohl Geld als auch Baumaterial, Grundstücke oder Bauarbeit,326 gesammelt werden sowie staatliche Beihilfen durch steuerliche Vergünstigungen und durch zinsniedrige Darlehen und Kredite des Nationalen Wohnungsinstituts genutzt werden. Die von den zukünftigen Bewohnern bereits 323 »El problema de la vivienda no puede reducirse al de las barracas. […] El verdadero y más grave problema de la vivienda […] está en el subarriendo, verdadera cantera de inmoralidades y conflictos sociales ; en esta descomposicion del hogar, que debe ser siempre único independiente y soberano.«, in : La vivienda, problema religioso y social, in : Asociacion Católica de Dirigentes. Boletín de noticias e información, Nr. 69, 1956, S. 2. 324 »No aspiramos a resolver el problema del »barraquismo«. Queremos solo, que nuestra tradicional clase media y productora pueda, como antaño, adquirir su propio hogar.« In : Viviendas del Congreso Eucarístico, Carta de la Junta General a los ciudadanos, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, unpag. 325 Das Patronat bestand aus einer Junta de Patronato (Patronatsausschuss), die hauptsächlich eine repräsentative Funktion hatte, sowie einem Consejo de Administración (Verwaltungsrat), der sich mit der Organisation und Durchführung von Projekten beschäftigte. Die Führung der Finanzen gehörte zu den Aufgaben der Junta General de Socios Fundadores (Rat der Gründungsmitglieder). In : Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, Bl. 7–10. 326 Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, Bl. 3.
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beglichenen Vorauszahlungen und Kreditraten dienten dann als Grundkapital für die nächsten Bauprojekte, was zusätzlich ein Gefühl der Solidarität, Zusammenarbeit und sozialer Verantwortung im Sinne des sozialen Katholizismus auch unter den Benefiziaten der Kongresswohnungen stärken sollte.327 So startete der Verein für die Finanzierung des ersten Bauprojekts eine Werbekampagne, die sich in erster Linie an die einflussreiche Oberschicht Barcelonas richtete. Die dabei angesetzte Überzeugungsrhetorik zielte auf diffuse Sorgen und Ängste, die das katalanische Bürgertum beschäftigen mochten. Neben den zahlreichen Werbetopoi, die sich an das katholische Gewissen und die daraus resultierenden Verpflichtungen richteten (»Barceloneser Katholik : Enttäusche Christus nicht, der Dir die Hand ausstreckt«328 oder »Mit dem unwichtigen Teil des Vermögens, das Gott Dir gab, kannst du die schönsten Horizonte öffnen«329), argumentierte der Verein oft auch politisch. Dabei wurden auch Falange-kritische Argumente vorgebracht. Zwar verbanden sich die Katholische Aktion und die Falange im Kampf gegen den Kommunismus mit dem Argument der Ablehnung der Kollektivierung bzw. Sozialisierung und darüber hinaus in der Entpflichtung des Staates von der Aufgabe des Wohnungsbaus, gleichzeitig jedoch kritisierten die Katholiken den von der Falange propagierten Etatismus : Den Staat können wir um Kredite bitten, die uns helfen, Wohnungen zu bauen, aber doch nicht, dass der abnormale Etatismus zu einem Eigentürmer und Vermieter wird. Die private Initiative, mithilfe des Staates, muss die Zahl der Wohnungen vergrößern.330
Im Weiteren griffen die Argumente des Patronats der Kongresswohnungen die Kritik an der Bodenpolitik auf :
327 »Una más justa inversión de la riqueza…«, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 33, S. 17. 328 »Católico barcelonés : no defraudes a Cristo que te tiende la mano«, in : Viviendas del Congreso Eucarístico, Carta de la Junta General a los ciudadanos, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, unpag. 329 »Con una parte insignificante de los bienes que Dios te ha dado, puedes abrir los más bellos horizontes« in : Ebd. 330 »Al Estado podemos pedirle créditos para ayudar a la construcción de viviendas, pero no que en el desviado estatismo se convierta en propietario-arrendador. Es la iniciativa particular, con el auxilio del Estado, quien debe aumentar el número de viviendas«, in : Ebd.
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Abb. 13–14 : Werbekampagne des Patronats Viviendas del Congreso Eucarístico (1952), an die katalanische Oberschicht gerichtet. Links : »Wohnungsnot steigert die Kinderkriminalität. Spende für die Liebe des Gerechtigkeitswerks«. Rechts : »Die Promiskuität beschleunigt den Prozess der Demoralisierung. Spende für die Liebe des Gerechtigkeitswerks«. Quelle : Arxiu Diocesà de Barcelona.
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Du beschwerst dich, dass das Eigentum gefesselt ist ? Befreie du selbst es mit der ständigen Erhöhung der Zahl von neuen Wohnungen. Das soziale Übel kann nur behoben werden, indem seine Ursachen bekämpft werden.331
Ähnlich wurde auch in kritischer Bezugnahme auf die Vergangenheit argumentiert : »Dein Eigentum wird sich mit dem Anstieg der Eigentümerzahl nur konsolidieren. Zerstöre dein eigenes Werk nicht mit alten Egoismen.«332 Zuletzt kam auch das Argument der sozialen Unruhen zur Sprache, die nun »von fortschreitend heimlosen Massen« verursacht werden konnten, weil »sie unvermeidbar in die Promiskuität geraten und wütend werden.«333 Auf diese Weise gelang es dem Patronat nicht nur, finanzielle Mittel, sondern auch soziale und institutionelle Hilfe für die Weiterentwicklung des Bauprojektes zu erhalten, u.a. von einflussreichen Mitgliedern der Katholischen Aktion aus politischen Kreisen wie etwa dem Außenminister Alberto Martín Artajo und dem Bildungsminister Joaquín Ruiz Jiménez.334 So gelang es dem Patronat unmittelbar nach dem Ende des Internationalen Eucharistischen Kongresses im Jahre 1952, das 16,5 Hektar große, flache Grundstück Can Ros im nördlichen, agrarischen und bisher noch nicht urbanisierten Teil der Stadt zwischen den Stadtvierteln Horta, San Martín und San Andrés (im heutigen Bezirk Nou Barris) zu kaufen.335 Von 1953 bis 1962 dauerte dann der Bau der neuen Wohnsiedlung unter dem Namen Viviendas del Congreso Eucarístico, »Wohnungen des Eucharistischen Kongresses«. Setzten der Zivilgouverneur und das Städtische Wohnungsinstitut auf »minimale Wohnungen« in einer strukturell in sich geschlossenen Siedlung, um durch Kontrolle und beinahe militärischen Drill (Zivilgouverneur) oder durch hygienische Maßnahmen (Städtisches Wohnungsinstitut) die Bewohner zu disziplinieren bzw. umzuerziehen, so beanspruchte das Patronat dagegen die »minimalen Wohnungen« durch »ein Minimum an Wohlbefinden in einer Wohnung« zu
331 »Te quejas de que la propiedad está encadenada. Libérala tú mismo, con el incremento constante de nuevas viviendas. Los males sociales, solo se remedian atacando sus causas.«, in : Ebd. 332 »Tu propiedad se consolidará con el incremento de propietarios. No destruyas tu propia obra con viejos egoísmos«, in : Ebd. 333 Ebd. 334 Checa Artasu, La vivienda social, S. 118. Mehr zu Joaquín Ruiz-Giménez Cortés, in : Los 90 ministros de Franco, S. 154–157. 335 José Vilaseca Marcet, Génesis y desarrollo de la barriada, ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 2, Bl. 1–2.
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ersetzen.336 Dies bedeutete, dass die Wohnungen nicht nur einen hygienischen Mindeststandard, sondern auch einen gewissen Komfort aufweisen sollten, zu welchem u.a. eine ausreichende Größe, gute Belüftung und zahlreiche Gartenanlagen zählten : In Kürze wird eine beachtliche Zahl von Familien in bescheidener Position, die derzeit sehr schlecht und mit Gefahr für Körper und Geist untergebracht sind, sonnige, bequeme und mit genügend Lebensraum ausgestattete Wohnungen haben, die an Orten mit guter Anbindung mit modernen Verkehrsmitteln lokalisiert sind sowie einen exzellenten hygienischen Zustand haben.337
Auch die Siedlung selbst sollte über alle notwendigen Infrastruktur-Elemente verfügen.338 Modernität, Wohlbefinden und räumliche Offenheit wurden zum Leitbild dieses baulichen Vorhabens und setzten sich somit den Vorstellungen der übrigen öffentlichen Akteure von urbanem Raum völlig entgegen. Die Realisierung des Projekts wurde dem Hauptarchitekten der Stadtverwaltung Josep Soteras Mauri anvertraut, zum Teil aufgrund seiner engen Kontakte zur Katholischen Aktion.339 Zugleich bestand mindestens seit 1949 eine Beziehung zwischen der Katholischen Aktion, dem Bischof und den katalanischen Architekten, zu denen Soteras gehörte und die seit Ende der 1940er Jahre nach Erneuerung, Modernität und Rationalität in der Architektur im Sinne der Tradition der 1930 formierten Architektengruppe GATCPAC strebten.340 Damals hatte die Architektenkammer in Barcelona mit finanzieller Hilfe des Bischofs einen Wettbewerb zum 336 Ecclesia Nr. 545, 1951, S. 13. 337 »En plazo no lejano, un considerable número de familias de posición modesta que ahora viven pésimamente alojados en medio de peligros del cuerpo y del alma, tendrán habitaciones luminosas, confortables, con espacio vital suficiente, emplazadas en lugar de fácil comunicacion con los modernos medios de transporte, y de condiciones higiénicas excelentes.«, in : Cruzada de oraciones por la plena solución del problema de la vivienda. Exhortación pastoral del Excmo. Y Rdmo. Dr. D. Gregorio Modrego Casaus, Arzobispo – Obispo de Barcelona, Barcelona, 29.08.1953, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 31, Bl. 3. 338 Entidad Benéfica Constructora Viviendas Congreso Eucarístico. Conferencias pronunciadas en la Exposición »Aportación de VCE al problema de la vivienda en Barcelona«, Barcelona 1954, S. 10. 339 Les Viviendes del Congrés Eucarístic, S. 16. 340 Vgl.: Ángel Urrutia, Arquitectura Española siglo XX, Madrid 2003, S. 185–191 ; Carlos Sambricio u.a., Historia del arte hispano. El siglo XX, Bd. 6, Madrid 1980, S. 37–47 ; Oriol Bohigas, Modernidad en la arquitectura de la España republicana, Barcelona 1998, S. 75–86.
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Thema der Probleme des ökonomischen Wohnungsbaus organisiert.341 Somit entstand eine Verbindung zwischen dem Streben der Katholischen Aktion nach Wohlbefinden und Komfort, das in moderner Architektur Ausdruck finden sollte, und der Suche seitens der Architekten nach einer neuen architektonischen Sprache der Moderne. War Josep Soteras mit der Erfahrung in der Siedlung Verdún nicht zufrieden gewesen – zum Teil aufgrund der sehr begrenzten finanziellen Mittel, die die Realisierung des Projektes stark einschränkten, zum Teil aufgrund der Zusammenarbeit mit dem Zivilgouverneur, die Soteras selbst als »schwierig« bezeichnete342 –, konnte er nun bei dem Projekt Can Ros seine Vorstellung von einer Siedlung als »offene Stadt« realisieren. Sein architektonischer Anspruch bestand darin, die bisher in sich geschlossenen Wohnblöcke mit Innenhöfen für »die Sonne, die Luft und die Vegetationen zu öffnen«343 und die Siedlung mit der gesamten für ein gemeinsames Leben erforderlichen Infrastruktur, etwa Schulen und Kindergärten, Spielplätzen und Erholungsgärten, Polikliniken und Poststellen zu versehen. Dieser Vision gemäß baute Josep Soteras gemeinsam mit den Architekten Carlos Marqués Maristany und Antonio Pineda Gualba eine Siedlung auf einem dreieckigen Grundriss, die durch drei fast vier Kilometer lange Hauptstraßen markiert wurde. Die repräsentative Hauptallee von 30 Metern Breite führte bis zum zentralen Ort der Siedlung – zur Pfarrkirche San Pio X., die von drei Siedlungsplätzen (Platz des Eucharistischen Kongresses, Platz des Erzbischofs Modrego sowie des Kardinals Cicognani) flankiert wurde. Diese Plätze bildeten somit eine Gartenanlage von rund 10.000 Quadratmetern Fläche und konstituierten als Grünfläche insgesamt 53 Prozent der Siedlungsfläche. Insgesamt wurden in der Siedlung 2.629 Wohnungen in 229 Wohnblöcken gebaut, in 16 Wohngruppen organisiert und in unterschiedlicher Höhe von vier bis maximal zwölf Etagen und mit unterschiedlichem Fassadendesign, um hierdurch »Monotonie zu vermeiden.«344 Dabei waren die Wohnungen, wie die 341 Les Viviendes del Congrés Eucarístic, S. 9. Zu dem Wettbewerb siehe u.a. Francesc Bassó Birulès, Oriol Bohígas, »El problema de la vivienda«, in : Cuadernos de Arquitectura, Nr. 15–16, 1953, S. 1–40. 342 Unitat de Projectes, Cases del Governador, in : IMHAB, Cases del Governador – Verdún, Grup 37.01, Sig. 64, unpag. 343 Presente y futuro de la Avda. del Generalísimo Franco, in : Cuadernos de Arquitectura, Nr. 21, 1955, unpag. Vgl.: Checa Artasu, La Diócesis de Barcelona, S. 450. 344 Viviendas del Congreso Eucarístico, Patronato de »Viviendas del Congreso Eucarístico«. Entidad benéfica constructora acogida a la protección del Instituto Nacional de la Vivienda, ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, Bl. 3 ; Viviendas Congreso Eucarístico. Entidad benéfica constructora acogida a la protección del Instituto
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Abb. 15 : Grundriss des Siedlungsprojekts Viviendas del Congreso Eucarístico. Der zentrale Ort dieser Siedlung war die Pfarrkirche San Pio X. Quelle : Viviendas del Congreso Eucarístico, memoria correspondiente al ejercicio. Entidad Benéfica Constructora »Viviendas del Congreso Eucarístico«, Barcelona 1957.
Nacional de la Vivienda, Una obra en marcha 1952–1961, Barcelona 1962, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 6, S. 15.
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Abb. 16 : Die Wohnsiedlung des Patronats, gesehen vom zentralen Platz des Eucharistischen Kongresses. Quelle : Viviendas del Congreso Eucarístico, entidad benéfica constructora acogida a la protección del INV, Una obra en marcha 1952–1962, Barcelona 1962.
zeitgenössische Tagespresse berichtete, »durch eine große Modernität« geprägt, die zusätzlich durch große Balkon-Terrassen »die in den Baukonstruktionen der letzten Jahre völlig vergessene mediterrane architektonische Tradition wiederbelebten.«345 Die Wohnungen waren zwischen 60 und 120 Quadratmeter groß und verfügten über drei bis acht Zimmer. Dabei waren alle Wohnungen mit Toiletten, Küchen und Dielen versehen, und die meisten Wohnblöcke hatten Aufzüge.346 Zwischen den Wohnblöcken waren kleine Grünflächen für Kinderspielplätze und Sportanlagen reserviert. Die Modernität der Architektur als Ausdruck des Wohlbefindens verband sich jedoch in diesem Projekt mit dem Anspruch des Patronats, eine Siedlung zu bauen, die zum Vorbild einer von christlichen Werten geprägten Stadt werden sollte. Die zentral in der Siedlung gelegene Pfarrkirche mit einer Fläche 345 Ante la próxima construcción de las viviendas del Congreso, in : La Vanguardia Española, 29.01.1953, S. 2. 346 Vgl.: Hoy, entrega de las primeras »Viviendas del Congreso«, in : El Correo Catalán, 27.06.1954, S. 1.
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Abb. 17 : Zwischen den Wohnblöcken wurden Spielplätze für Kinder eingerichtet. Quelle : Viviendas del Congreso Eucarístico, Entidad benéfica constructora acogida a la protección del INV, Una obra en marcha 1952–1962, Barcelona 1962.
von 1.400 Quadratmetern und einer Kapazität von 1.250 Sitzplätzen347, die von ihrer äußeren Ästhetik her der Form eines Sportpalastes ähnelte,348 bildete das visuelle Zeichen dieser Absicht. Der Bischof Modrego Casaus erklärte diese sozialutopische Dimension einer christlichen Siedlung folgendermaßen : Ich lasse mich nicht mit einem rein materiellen Bau zufriedenstellen. Hier werden mit Sicherheit nicht diejenigen leben können, die sich nicht nach dem Evangelium richten, weil sie hier keine Umgebung dazu finden. Ich will, dass die ›Wohnungen des Eucharistischen Kongresses‹ zu einer Modell-Stadt werden, und das nicht aufgrund des Geistes der Eitelkeit, sondern wegen der Überzeugung, dass dies eine Pflicht ist.349 347 Una obra en marcha 1952–1961, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 6, S. 17. 348 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 127. 349 »Yo no me contento con una construcción meramente material. Aquí no podrán vivir, porque no tendrán ambiente, los que no vivan conformes al Evangelio. Quiero que »Viviendas del Congreso« sea una ciudad modelo, no por espíritu de vanidad, sino por convencimiento de un deber.«, in : Un gran deseo hecho realidad. Palabras del Excmo. Y Rvdmo. Sr. Arzobispo-Obispo unos meses
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Die zukünftigen Bewohner dieser Gemeinschaft sollten also katholisch und moralisch aufrichtig sein. Sie sollten sich vorwiegend aus der arbeitenden Mittelschicht Barcelonas rekrutieren und für eine bessere Integration in der Gemeinschaft nach sozial-beruflichen Kriterien in der Siedlung aufgeteilt werden, sodass Handwerker, Angestellte, Kaufleute, Arbeiter, Techniker und Führungskräfte aus diversen religiösen, sozialen und kulturellen Organisationen und Kontexten in unterschiedlichen Wohngruppen zusammenlebten.350 Dennoch galt es zu vermeiden, Personen der gleichen Berufsgruppe bzw. der gleichen sozialen Zugehörigkeit in einem Wohnblock zu situieren. So versuchte man, die zukünftigen Bewohner in einem Wohnblock so zu verteilen, dass Personen mit gleichem Status zwar auf der gleichen Etage zusammenleben sollten, um damit das Gefühl der Nachbarschaft und des Verständnisses zu verstärken, dennoch sollten alle anderen Etagen entsprechend mit anderen Berufsgruppen abgedeckt werden. Dabei bediente sich das Patronat einer Regel, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei der Verteilung von Bewohnern in die Wohngemeinschaften im Stadtviertel Eixample verbreitet war : Je niedriger der Status des Bewohners war, desto höher sollte diese Person im Wohnblock wohnen. Dabei ging es um den Zusammenhang zwischen der Qualität der Wohnung und dem Bildungsniveau. Man ging davon aus, dass die Wohnungen in den obersten Etagen aufgrund der Belichtung und Trockenheit immer von besserer Qualität waren. Dieser Verteilungslogik lag zugleich die Prämisse zugrunde, dass Personen mit höherem Bildungsniveau und besserer finanzieller Lage keine Proteste aufgrund einer etwaigen Benachteiligung äußern würden.351 Mit einer solchen Aufteilung der zukünftigen Bewohner wollte man erreichen, dass »unterschiedliche Klassen und Mentalitäten« vermischt wurden, um »Homogenität zu vermeiden.«352 Besonders zu verhindern galt nämlich, Personen »einer einzigen bescheidenen Klasse« zusammen leben zu lassen, weil, »wie gut bekannt ist, solche Menschen […] im Leben so viel zu weinen [haben], dass sie oft ihre Tränen zu einem gemeinsamen Meer der Verbitterung machen, das sich leicht in ein Meer der Rebellion und des Hasses verwandelt.«353 Demnach antes de la celebración del XXXV Congreso Eucarístico Internacional. Zit. nach : Les Viviendes del Congrés Eucarístic, S. 16. 350 Viviendas del Congreso Eucarístico, Normas de adjudicación de viviendas, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 3, unpag. 351 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 215. 352 La vivienda, problema religioso y social, in : Asociación Católica de Dirigentes. Boletín de Noticias e información, Nr. 69, 1956, S. 2. 353 Palabras de S.E. Rdma. El Dr. D. Gregorio Modrego Casaus, Arzobispo-Obispo de Barcelona,
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sollte eine vernünftige und durchdachte soziale Durchmischung der zukünftigen Nachbarn als vorbeugende Maßnahme gegen soziale Unruhen, Streiks und Proteste dienen, die das katalanische Bürgertum bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts fürchtete und deren Ursache es in der Ausbreitung homogener Arbeiterviertel sah.354 Die zukünftigen Bewohner wurden dennoch zusätzlich sorgfältig mit Hilfe festgelegter Kriterien ausgewählt : Insbesondere wurden Personen in Betracht gezogen, die sich »gegenwärtig in der großen Gefahr eines moralischen Schadens«355 befanden oder aufgrund einer Familiengründung dringend eine Wohnung brauchten ; die bereits Bewohner Barcelonas waren ; die sich »moralisch und religiös korrekt« benahmen ; die über finanzielle Mittel verfügten, um die fälligen Gebühren, die Vorzahlung bzw. die monatliche Kredittilgung zu bezahlen, jedoch gleichzeitig keine finanzielle Möglichkeit hatten, den vollständigen Preis für den Wohnungskauf zu entrichten.356 Zudem hatten diejenigen bessere Chancen auf eine Wohnung, die sich »in Sachen Glaube, Vaterland oder Familie« engagierten bzw. besondere Verdienste in ihren Arbeits- oder sozialen Beziehungen (etwa eine lange Zugehörigkeit zum Betrieb oder eine »besondere moralische Aufrichtigkeit«) vorzuweisen hatten.357 Bei der Vergabe der Wohnungen wollte man ein Maximum an Transparenz bewahren und statt einer zufälligen Verlosung oder chronologischen Ordnung (nach dem Zeitpunkt der Bewerbung) »einen selektiven Geist«358 anwenden, sodass sich das Patronat mit einem Punktesystem behalf. Die Punktezahl war demnach entscheidend, wer eine Wohnung bekommen konnte und in welcher Reihenfolge. Auf die maximale Punktzahl durften diejenigen hoffen, die in Barcelona lebten, ununterbrochen langjährig in einem Betrieb arbeiteten und in religiösen oder sozialen Vereinen engagiert waren. pronunciadas con motivo de la inauguración de la Exposición »Aportación de VCE al problema de la vivienda en Barcelona«, in : Conferencias pronunciadas en la Exposición, S. 20. 354 Vgl.: Stefano Portelli, La ciudad horizontal. Urbanismo y resistencia en un barrio de casas baratas de Barcelona, Barcelona 2015, S. 36. 355 Conferencias pronunciadas en la Exposición, S. 10. 356 Normas de adjudicación de viviendas, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 3, unpag.; Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, unpag. 357 Conferencias pronunciadas en la Exposición, S. 10. 358 Experiencias de una obra en marcha. Condiciones para el nacimiento de una barriada con personalidad, in : Asociación Católica de Dirigentes. Boletín de Noticias e información, Nr. 69, 1956, S. 4.
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Kriterium
Punktezahl
Geburtsort Barcelona
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Beschäftigung im selben Unternehmen
2 Punkte pro 5 Jahre bis max. 10 Punkte
Mitgliedschaft in einem Verein
in einem katholischen Verein – 5 Punkte, in einem anderen Verein – 2 Punkte ; zudem pro 10 Jahre Mitgliedschaft in katholischen Vereinen 2 zusätzliche Punkte und in anderen 1 zusätzlicher Punkt
Vorauszahlung für die Wohnung
1 Punkt pro 1000 Peseten
Familienstand : Witwe mit Kindern unter 14 Jahren oder unverheirateten Töchtern
5 Punkte, plus 2 zusätzliche Punkte für jeden Jungen unter 16 und einen Zusatzpunkt für unverheiratete Töchter über 16 Jahre
Zahl der Kinder in der Familie
für jedes Kind 3 Punkte
Zusammenwohnen mit den Eltern oder Unterhalt der Eltern durch die Kinder
2 Punkte
Zusatzpunkte für akute Raumnot, gemessen an den Verhältnissen in der aktuell bewohnten Wohnung
Für das Wohnen von 3 Personen im Alter von 6 bis 14 Jahren in einem Zimmer – 8 Punkte ; im Alter von mehr als 14 Jahren – 10 Punkte, obwohl bei gleichem Geschlecht nur 7 Punkte galten ; für das Wohnen von 4 Personen in einem Zimmer – 15 Punkte und von 5 Personen in einem Zimmer – 20 Punkte
Tabelle 2 : Das Punktesystem für die Vergabe von Wohnungen. Quelle : Adjudicación de las viviendas, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 3, unpag.
Das Resultat eines solchen gewichteten Rankings ergab eine Zusammensetzung der Siedlung mit insgesamt 14.000 Personen, unter welchen 55 Prozent aus Katalonien, 26 Prozent aus Aragon und dem nördlichen und zentralen Teil Spaniens und 19 Prozent aus dem Süden stammten.359 Davon arbeiteten 41 Prozent in einem freien Beruf oder waren als technische und administrative Fachkräfte tätig, 38 Prozent waren qualifizierte Arbeiter und 21 Prozent waren ungelernte Arbeiter.360 Somit dominierte in der Siedlung eine katalanische arbeitende Mit359 Composición social de la urbanización de Can Ros (Viviendas del Congreso Eucarístico), ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 1, unpag. Vgl.: Viviendas del Congreso Eucarístico : entidad benéfica constructora, 1952–1971, Barcelona 1972, S. 21. 360 Composición social de la urbanización de Can Ros, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 1, unpag. Vgl.: Viviendas del Congreso Eucarístico : entidad benéfica constructora, S. 21 ; Galera, Roca, Tarragó, Atlas de Barcelona, S. 363.
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telschicht. Zudem lassen sich noch weitere Charakteristika feststellen : 85 Prozent der Bewohner waren Familien und 12 Prozent wurden als zukünftige Familien eingestuft. Erstere waren etwa zur Hälfte sowohl kinderreiche Familien mit mehr als 6 Personen als auch Familien mit 3 bis 5 Familienmitgliedern. Bei 15,1 Prozent waren die Familienmitglieder in religiösen und bei 13,3 Prozent in patriotischen, sportlichen oder kulturellen Vereinen engagiert. 75 Prozent der Siedlungsbewohner hatten vorher zur Untermiete gewohnt.361 Durch diese soziale Zusammenstellung wollte sich das Patronat eine Vorauswahl von Bewohnern sichern, die sich in einer aus seiner Sicht guten Ausgangposition für eine weitere Formierung der Gemeinschaft befanden. Dies sollte jedoch nicht, wie es bei anderen Akteuren des Wohnungsbaus der Fall war, durch eine kontrollierte Disziplinierung,362 sondern vor allem durch »eine religiöse Stimulanz und Reife«363 passieren. Die weitere Formierung der Bewohner sollte einerseits durch die materielle Umgebung, das heißt durch den Zugang zu »Freizeiträumen, Grünflächen, Sonne und Licht, zum Wohlbefinden«, anderseits durch die menschlichen Aspekte des Zusammenlebens erfolgen.364 Daher legte das Patronat besonderen Wert darauf, »den Bewohnern entsprechende Mittel und eine entsprechende Umgebung zur Verfügung zu stellen, um sie so in christlichem Geiste zu erziehen und ihnen Orientierung zu geben, bis die Formierung einer vorbildlichen Siedlung erreicht wird.«365 Man wollte unter den Bewohnern »einen ehrlichen Geist der christlichen und familiären Lebensform«366 verbreiten, wofür in erster Linie Einrichtungen dienen sollten, die im Sinne der Katholischen Aktion in religiöse und soziale Einrichtungen eingeteilt waren (was sich 361 Ferrer i Aixalà, Els polígons, S. 63–65. 362 In der Kongresssiedlung waren auch in einigen Wohnblöcken Pförtner beschäftigt, jedoch begrenzten sich deren Kompetenzen ausschließlich auf den Reinigungs- und Wartungsdienst. In : Brief des Patronats »Viviendas del Congreso Eucarístico« an Pförtner der Kongresswohnungen, ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 31, unpag. 363 Experiencias de una obra en marcha. Condiciones para el nacimiento de una barriada con personalidad, in : Asociación Católica de Dirigentes. Boletín de Noticias e información, Nr. 69, 1956, S. 4. 364 Ebd. 365 »Debemos dar a los habitantes del núcleo de viviendas los medios y ambientes precisos para orientarlos y formarlos en nuestro sentir cristiano hasta lograr constitur una barriada ejemplar«. In : Informe presentado al Excmo. y Rvdmo. Sr. Obispo de Barcelona por la Asociación Católica de Dirigentes, a raiz de la exhortación pastoral sobre vivienda, 12.12.1951, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 1, unpag. 366 Estatutos de la Asociación Católica de Dirigentes, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Associacions i Institucions Diocesanes, caixa 8, Bl. 2.
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in der Praxis jedoch in den meisten Fällen kaum trennen ließ) : Zu den religiösen Einrichtungen zählten die Pfarrkirche und das Pfarrhaus sowie das Pfarrsekretariat, in welchem es neben medizinischen und juristischen Beratungsstellen auch das Büro der Katholischen Aktion sowie Räume für den Katechismus gab. Zudem gehörten noch zwei katholische Schulen dazu – eine für Mädchen und eine für Jungen367 – sowie zwei katholische Berufsschulen.368 Zu den sozialen Einrichtungen zählten wiederum diverse katholische Vereinszentren, u.a. auch das Sozialzentrum des Vereins »San Pío X«, die Jugendtreffs für die Mädchen und Jungen der Katholischen Aktion369 wie auch katholische Kindergärten sowie Heime für männliche und weibliche Arbeiter. Diese Einrichtungen wurden aus Geldern finanziert, die durch die Versteigerung von Pacht- und Bewirtschaftungsverträgen für zahlreiche kommerzielle Einrichtungen, Sportanalagen und Polikliniken erworben wurden.370 Dennoch regulierte und kontrollierte das Patronat auch die Auswahl kommerzieller Einrichtungen mit dem Anspruch, dass die Siedlung zwar selbstgenügsam und alle Einrichtungen privat seien, jedoch jeglicher »ungesunde« Einfluss ausgeschlossen werden solle.371 Notwendig sei daher, so das Patronat, eine durchdachte Struktur kommerzieller Läden. Die Kandidaten sollten ebenfalls eine Reihe von Kriterien erfüllen, unter welchen das Spenden zugunsten des Patronats hochgeschätzt wurde.372 Über die Verteilung von Lokalen entschied schließlich das Patronat. Insgesamt konzipierte das Patronat eine Siedlung, die sich als modern, offen und frei von Disziplinierungsmaßnahmen stark von den Siedlungen der öffentlichen Akteure unterscheiden sollte. Damit setzte die Organisation ein Zeichen für den Fortschritt des sozialen Katholizismus und distanzierte sich von den tra367 Viviendas del Congreso Eucarístico : entidad benéfica constructora, S. 18–21. 368 Informe presentado al Excmo. y Rvdmo. Sr. Obispo de Barcelona…, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 1, unpag.; Viviendas del Congreso. La escuela factor de convivencia, in : Asociación Católica de Dirigentes. Boletín de noticias e información Nr. 79, 1956, S. 4. 369 Informe que el Consejo de Administración tiene el honor de elevar ante el Pleno del Patronato de »Viviendas del Congreso Eucarístico«, ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 1, Bl. 5. 370 »Viviendas del Congreso Eucarístico« fruto del fervor eucarístico de Barcelona, ohne Datierung, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 2, unpag. 371 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 128–129. Vgl.: Jaume Fabre, Josep M. Huertas Clavería, Tots els barris de Barcelona. Els polígons I, Bd. 6, Barcelona 1976, S. 137–141. 372 Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 128–129.
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ditionellen und konservativen Konzepten der politischen Akteure, die die Katholische Aktion stets kritisierte. Dabei entstanden die Kongresswohnungen aus einer kollektiven Wohltätigkeit, die in ihrer Konzeption christliche Auffassungen von Wohlstand und Eigentum als Basis von sozialer Harmonie und Moralität visualisierten. Auch wenn sich die Katholische Aktion bei diesem Projekt keiner Disziplinierungsmaßnahmen bediente, wie es in den übrigen Siedlungen der Fall war, verfügte sie dennoch über weitgehende Kontrolle über die soziale Zusammensetzung der zukünftigen Wohngemeinschaft. Diese Auswahl sollte einerseits der effektiven Vorbeugung gegen eventuelle soziale Unruhen unter der Arbeiterschaft dienen, andererseits eine Basis für die Gemeinschaft einer zukünftigen Syndikatsorganisation darstellen, deren Entstehung ein Ziel der Katholischen Aktion war. Voller Optimismus konzipierte das Patronat seine Siedlung »auf den Fundamenten des sozialen und christlichen Wohlbefindens, auf Freude und Schönheit […] und als Modell-Stadt«,373 doch zeigte es sich bereits gegen Ende der 1950er Jahre vom Resultat eher enttäuscht, wie sich aus den Patronatsschriften erkennen lässt. Dabei ging es nicht nur um Beschwerden aufgrund der Mängel in den Wohnungen, die »Basis eines leichten Unwohlseins«374 waren und dem Versprechen von Schönheit und Wohlbefinden eher widersprachen, sondern vor allem aufgrund des »unangemessenen Verhaltens vieler Bewohner«. Dazu zählten die Zerstörung gemeinschaftlicher Infrastruktur, Säumnisse beim Bezahlen monatlicher Abgaben, Skandale unter den Nachbarn, die auf Polizeikommissariaten endeten, sowie die Untervermietung der Wohnungen an Dritte. Gerade der letzte Aspekt veranschaulicht einen bedeutenden Konflikt im Verständnis von Eigentum zwischen dem Patronat und den Bewohnern : War die Wohnung Eigentum der Bewohner, so verstanden sie darunter nicht nur die Freiheit, dort ungestört zu wohnen, sondern ebenfalls frei über diese zu verfügen. Das Patronat beanspruchte hingegen eine autoritative Kontrolle über die Verteilung von Eigentum in der Gesellschaft, die sich dann zur Basis der sozialen Stabilität und Moralität wandeln sollte. In diesem Sinne veranschaulicht auch dieses Fallbeispiel, dass die hochtrabenden, ideologisch aufgeladenen Vorstellungen der jeweiligen Bauherren von einer Siedlung in der Realität meist nicht durchzusetzen waren, da die Bewohner durch ihre individuelle Aneignung des Raums diesem als eigenständige Akteure einen von der Ursprungsvision abweichenden Charakter verliehen. 373 Viviendas del Congreso Eucarístico. Departamento Administración-Inmuebles, Barcelona 1959, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 1, Bl. 3. 374 Ebd.
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3. Von kooperativen Urbanisierungsprozessen bis zur gesellschaftlichen Partizipation. Die Stadtperipherien als Ort des konkurrierenden Engagements und des Erlernens eines Bürgerbewusstseins (1956–1966)
3.1 Der »öffentlich gesteuerte Bau in Eigeninitiative« als radikalinnovatives Urbanisierungsprojekt der »sozialen« Fraktion der Falange. Der Fall des Poblado Dirigido de Entrevías (1. Phase) in Madrid Im Jahre 1956 kam es in den Großstädten Spaniens wegen erneuter Preiserhöhungen, mit denen der Lohnanstieg nicht Schritt halten konnte, wiederholt zu Unruhen und Protesten der Arbeiter. Die Forderung der Demonstranten nach Lohnerhöhungen wurde damit begründet, dass trotz einer Steigerung der Lebenskosten um 550 Prozent die Löhne seit den letzten Protestwellen 1951 nur um 450 Prozent gestiegen seien.1 Diese Streiks konnten insbesondere in Madrid nicht vom Regime ignoriert werden, weil sie mit der universitären Protestbewegung zusammenfielen.2 Die Studenten protestierten zwar gegen das Sindicato Español Universitario (SEU), das offizielle Studentische Hochschulsyndikat, gleichzeitig beteiligten sich jedoch viele von ihnen im Rahmen des Servicio Universitario de Trabajo (SUT), des Universitären Arbeitsdienstes, an der Sozialarbeit unter den Arbeitern an den Stadtperipherien und waren infolge 1 Moradiellos, La España de Franco (1939–1975), S. 122. 2 Siehe u.a.: Miguel Ruiz Carnicer, El Sindicato Español Universitario (SEU), 1939–1965. La socialización política de la juventud universitaria en el franquismo, Madrid 1996 ; Llibert Ferri u.a., Las huelgas contra Franco (1939–1956). Aproximación a una historia del movimiento obrero español de posguerra, Barcelona 1978, S. 226–247 ; José María Maravall, Dictadura y disentimiento político. Obreros y estudiantes bajo el franquismo, Madrid 1978 ; Pablo Lizcano, La generación del 56. La universidad contra Franco, Barcelona 1981 ; Carme Molinero, Pere Ysàs, Productores disciplinados y minorías subversivas. Clase obrera y conflictividad laboral en la España franquista, Madrid 1998, S. 26–43 ; Elena Hernández Sandoica, Reforma desde el sistema y protagonismo estudiantil : La Universidad de Madrid en los años 50, in : La universidad española bajo el régimen de Franco. Actas del Congreso celebrado en Zaragoza entre el 8 y 11 de noviembre de 1989, hg. v. Juan José Carreras Ares, Miguel Ángel Ruiz Carnicer, Zaragoza 1991, S. 391–414 ; Elena Hernández Sandoica u.a., Estudiantes contra Franco (1939–1975). Oposición política y movilización juvenil, Madrid 2007, S. 99–154.
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dieser Erfahrung der staatlichen Migrations- und Wohnungspolitik gegenüber oft kritisch eingestellt.3 Diese Proteste deuteten auf eine tiefe innenpolitische Krise in der Falange hin, die seit dem Beginn der 1950er Jahre und den Protesten von 1951 immer weiter gespalten wurde. Neben jenen Falangisten, die den traditionellen und faschistischen Ursprüngen treu blieben, formierte sich um 1954 in den Kreisen des SEU eine neue, junge, sozial engagierte und meist intellektuelle Fraktion ohne die Erfahrung oder Erinnerung des Bürgerkriegs, der vom Historiker Miguel Ángel Ruiz Carnicer eine linke Sensibilität zugeschrieben wurde.4 Innerhalb dieser keinesfalls homogenen Fraktion etablierte sich eine Gruppe von Parteianhängern, die ideologisch zwischen den beiden Fraktionen schwebte und die sich der »sozialen« Linie des Arbeitsministers José Antonio Girón (1941–1957)5 näherte : eine traditionelle, sich ideologisch motiviert den Arbeitern nähernde und zugleich sozial empfindsame Sektion. Zwischen 1954 und 1956 gelangte diese Fraktion um Girón aufgrund des dringenden Reformbedarfs infolge der Krisensituation in der Falange auf manche Posten im Verwaltungsapparat.6 Dabei war der Universitäre Arbeitsdienst SUT ein entscheidender Begegnungsort, an dem all diese sozial engagierten und nach Veränderung strebenden Falangisten zusammenkamen. Als dann 1956 die Proteste in der Hauptstadt ausbrachen, rückten die Peripherien in Madrid noch stärker in den Fokus des Regimes. Die öffentlichen Stellen rechneten bereits mit 28.000 Baracken in der Hauptstadt,7 in denen die Arbeitermassen konzentriert waren. Die Krisensituation sollte vor allem mithilfe der Sozialpolitik gelöst werden : Neben Lohnerhöhungen versprach das Regime auch entsprechende Schritte im Bereich der Wohnungspolitik.8 Konkrete Lösungen im Bereich der Sozial- und Wohnungspolitik sollten zudem auch die innenpolitischen Konflikte und die harte Kritik gegenüber der Falange entschärfen. Der soziale Wohnungsbau, darunter der Bau der Wohnsiedlung Poblado Dirigido in Entrevías im Jahre 1956, schien somit ein strategischer Versuch der Falange zu 3 Vgl.: Miguel Ángel Ruiz Carnicer, La vieja savia del Régimen. Cultura y práctica política de Falange, in : La España de los cincuenta, S. 277–304, hier : S. 288–289 ; Javier Tusell, Spain : From Dictatorship to Democracy. 1939 to the Present, Oxford 2011, S. 126. 4 Ruiz Carnicer, La vieja savia del régimen, S. 294–296. 5 Mehr zu José Antonio Girón de Velasco siehe u.a. in : Los 90 ministros de Franco, S. 103–104. 6 Ruiz Carnicer, La vieja savia del régimen, S. 287. 7 Luis Fernández-Galiano, Participación del usuario y autoconstrucción, in : Jano Arquietectura Nr. 52, 1977, S. 18–25, hier : S. 19. 8 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 109–111.
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sein, die eigene Politik zu legitimieren, ein »Akt des politischen Überlebens.«9 Dabei war dieser ebenfalls, so die Annahme, ein Resultat der Begegnung der sozial engagierten Falangisten mit den jungen Intellektuellen der regimenahen Universitätsstrukturen im Rahmen des SUT. Diese nach Öffnung strebende Gruppe baute demnach eine Siedlung, die durch ihr Gestaltungskonzept des urbanen Raums und in ihrer räumlichen Struktur einen Bruch mit den bisherigen traditionellen Wohnungsbaulösungen der »alten« Falange anbieten wollte. Die Bauträger versuchten hier, die Eigeninitiative der Migranten, die der Staat sonst repressiv bekämpfte, für öffentliches Bauen fruchtbar zu machen. Die Idee war, die Erfahrung des an den Stadtperipherien unter den Migranten üblichen Bauens in Eigenregie zu nutzen, diesen Konstruktionsprozess aber fachlich und technisch zu leiten sowie in einen öffentlich gesteuerten Rahmen zu überführen. Zudem sollte der bisher im Wohnungsbau vorherrschende Folklorismus durch eine moderne und international geprägte architektonische Form ersetzt werden, die zu einer neuen Urbanität beitragen sollte. Den Kontakt der Studenten mit den Arbeitern ermöglichte zunächst die studentische Arbeit im Rahmen des Servicio Universitario de Trabajo, der auf Initiative des Jesuiten, Falangisten und Militärpfarrers der falangistischen Jugendorganisation Frente de Juventudes, José María de Llanos, entstanden war. Llanos war Teil einer Gruppe von 315 emigrierten Jesuiten, die erst nach dem Bürgerkrieg aus dem Ausland zurückkehren konnte, nachdem die Ordensgemeinschaft in der Zeit der Republik (1931–1936) aufgelöst worden war, und die nun Mitte der 1950er Jahre in Madrid tätig war.10 Im Ausland, und in besonderem Maße in Belgien, kamen die spanischen Jesuiten in Kontakt mit den sozial-katholischen Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche und wurden somit auch mit den Ideen der sog. Arbeiterpriester vertraut gemacht. Während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich entstanden, gewann diese Initiative, die eine Annäherung zwischen Kirche und Arbeiterschaft im Zuge der Industrialisierung propagierte, seit den 1940er Jahren in mehreren europäischen Ländern an Bedeutung : Die Priester wirkten hauptsächlich in den Industriefabriken und Arbeiterwohnsiedlungen, wo sie die Notwendigkeit der Christianisierung als am größten erachteten.11 9 Miguel Ángel Ruiz Carnicer nutzte diesen Begriff für andere Reformen, die die Falange, die »um jeden Preis überleben wollte«, 1956 durchführte. In : Ruiz Carnicer, La vieja savia del Régimen, S. 278–279. 10 Alfredo Verdoy, 50 años de presencia de la Compaña de Jesús en El Pozo del Tío Raimundo, Madrid 2005, S. 11–12. 11 Vgl.: Xavier Corrales, De la misa al tajo : la experiencia de los curas obreros, Valencia 2007, S. 20– 22 ; Julio Pérez Pinillos, Los curas obreros en España, Madrid 2004, S. 29–48.
Der »öffentlich gesteuerte Bau in Eigeninitiative«
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Von solchen Bewegungen inspiriert, suchte José María de Llanos durch diverse Tätigkeiten in Spanien den direkten Kontakt mit der Welt der Arbeiter. Er sah sich der Aufgabe der katholischen Kirche verpflichtet, die weitgehend säkularisierte Arbeiterschaft zu evangelisieren.12 Als Hochschullehrer organisierte er bereits 1950 mit einer Gruppe von Studenten die ersten Arbeitslager in den Goldminen in Almeria im Rahmen des SUT.13 Ein Jahr später wurde die SUT-Initiative in das offizielle studentische Hochschulsyndikat SEU integriert. Die Falange versuchte bereits in den 1930er Jahren, im Rahmen des SEU die Annäherung und das gegenseitige Verständnis zwischen Studierenden und Arbeitern durch diverse Arbeitsinitiativen zu stärken. In erster Linie ging es darum, die Eliten des Landes durch einen solchen Kontakt auf ihre Führungspositionen vorzubereiten. Da diese Ideen scheiterten, versprach die Aktivität des Jesuiten Llanos, mit einem erneuten Versuch zu den ursprünglichen Ideen der Falange zurückzukehren.14 Somit verbanden sich in der Initiative von José María de Llanos Ansprüche, einen näheren Kontakt mit der Arbeiterwelt zu etablieren, die sowohl in der Falange als auch in der katholischen Bewegung begründet waren. Im Rahmen des SUT realisierten die Studenten ihre Arbeit oft während der Sommerpausen in sog. Arbeitslagern (Campos de Trabajo). 20 bis 30 Tage lang arbeiteten sie in Gruppen von dreißig Studenten mit den Arbeitern und unter gleichen Bedingungen wie diese. Nach der Arbeit organisierten sie zusätzlich kulturelle Aktivitäten wie Theater, Kino oder Musikkonzerte. Gleichzeitig gab es jedoch im Rahmen des SUT auch das Konzept der sog. Sonntagsarbeit (Trabajo Dominical), bei der die Studenten nur an Sonn- und Feiertagen in den großstädtischen Arbeitersiedlungen ihre Dienste leisteten. Neben der Alphabetisierung und juristischen Beratung gehörte meist die Beteiligung an den Wohnungsbauarbeiten zu den Aktivitäten dieser Sonntagsarbeit.15 Im Zuge seiner Erfahrung mit dem Arbeitsdienst SUT kam José María de Llanos zu dem Schluss, dass es nicht möglich sei, als dem Bürgertum zugehörig »in einer sozialen Klasse zu leben und eine andere zu besuchen.«16 Er verstand es als 12 Juan Abarca Escobar, »Disculpad, si os he molestado«. Conversaciones con el Padre Llanos, anciano, Bilbao 1991, S. 29. 13 Vgl.: José Álvarez Cobelas, Envenenados de cuerpo y alma. La oposición universitaria al franquismo en Madrid (1939–1970), Madrid 2004, S. 55 ; Ruiz Carnicer, El Sindicato Español Universitario, S. 438–439. 14 Vgl.: Ruiz Carnicer, El Sindicato Español Universitario, S. 438–439. 15 Vgl.: El Servicio Universitario de Trabajo, in : La Vanguardia Española, 16.05.1953, S. 14 ; Una forma original de resolver el problema de la vivienda, in : Vivienda y Paro, Nr. 39, 1954, S. 16–17. 16 Abarca Escobar, »Disculpad, si os he molestado«, S. 108.
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notwendig für seine Mission der Evangelisierung, mit den Arbeitern zusammenzuleben, um deren Probleme besser zu verstehen.17 Konsequenterweise zog Llanos im Jahre 1955 mit einer Gruppe von Studenten in die Pozo del Tío Raimundo. Begünstigte der Kontakt mit der Arbeiterschaft an den Peripherien die politische Transformation mancher Studenten von Mitgliedern zu Kritikern der Falange und in einigen Fällen sogar zu Unterstützern diverser linksorientierter Widerstandsgruppen in den 1960er Jahren,18 war José María de Llanos ein Paradigma für einen solchen Wandel : Als ehemals überzeugtes Mitglied der traditionellen Falange wurde er in den nachfolgenden Jahrzehnten zum aktiven Unterstützer der Arbeiterkommissionen (Comisiones Obreras, CCOO) und der Kommunistischen Partei.19 Konfrontiert mit den schwierigen Lebensumständen der zugewanderten Bewohner, die ohne lebenswichtige Infrastrukturen in der Siedlung auskommen mussten, organisierte Llanos dort eine Reihe von sozialen Diensten, die von medizinischer Versorgung und Schulbildung bis hin zur Beschaffung von Spenden durch seine zahlreichen Kontakte zu den bürgerlichen Familien in der Hauptstadt reichte. Zudem half er den immer zahlreicher werdenden, neu ankommenden Migranten beim Bau von Baracken.20 Gleichzeitig beklagte José María de Llanos die prekäre Situation in der Siedlung gegenüber den öffentlichen Institutionen. Seiner Meinung nach waren letztere aufgrund ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den enormen sozialen Unterschieden für die Entstehung und Verbreitung von Baracken verantwortlich : »Es gibt ein zu dick angezogenes Madrid und ein beinahe nacktes Madrid, beide dicht beieinander und beide mit dem Gesicht Gott zugewandt in einem christlichen Land«21 – kritisierte er die soziale, aber auch räumliche Spaltung innerhalb der Stadt in der Falange-Parteizeitung »Arriba«, in der er regelmäßig publizierte. Llanos forderte demnach staatliche Maßnahmen. Demgegenüber beschuldigten die öffentlichen Stellen ihn selbst, die Errichtung von Baracken zu unterstützen und die Versuche, diesen Prozess zu stoppen, zu erschweren.22 In diesem Sinne agierte José María de Llanos – 17 Verdoy, 50 años de presencia de la Compaña de Jesús, S. 23–31. 18 Vgl.: Javier Muñoz Soro, La disidencia universitaria e intelectual, in : La España de los cincuenta, S. 201–221. 19 Vgl.: José Luis González-Balado, Padre Llanos. Un jesuita en el suburbio, Madrid 1991. 20 Ebd., S. 217–234 ; Espiago González, El Pozo del Tío Raimundo, S. 768–769 ; Siguán, Del Campo al Suburbio, S. 211–214. 21 »Hay un Madrid demasiado abrigado y otro Madrid casi en cueros, uno pegado al otro y ambos cara a Dios en un país cristiano«. Aus dem Artikel »A los hermanos abrigados«, 4.12.1955. Zit. nach : González-Balado, Padre Llanos, S. 216–217. 22 Darauf verweist der Schriftverkehr zwischen José María de Llanos und den staatlichen Behörden.
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trotz seiner Zugehörigkeit zum franquistischen Establishment – aufgrund seiner direkten Erfahrung mit der Zuwanderung und dem Leben an den Stadtperipherien gegen den Staat. Zu einem fruchtbaren Dialog zwischen dem Jesuiten Llanos und den öffentlichen Institutionen kam es erst im Jahre 1956, als es José María de Llanos schließlich gelang, den Direktor des Nationalen Wohnungsinstituts und des OSH, Luis Valero Bermejo, auf die Situation in Pozo del Tío Raimundo aufmerksam zu machen. Luis Valero Bermejo ersetzte 1954 im Nationalen Wohnungsinstitut den Bergbauingenieur Federico Mayo und versprach relevante Veränderungen in der staatlichen Wohnungspolitik. Mayo vertrat die Position der traditionellen Sektion der Falange, dass das Sozialwohnungsproblem ausschließlich vom Staat zu lösen sei. Dementgegen verurteilte Luis Valero Bermejo diese Wohnungspolitik als »Sozialisierung.«23 Er glaubte, dass in erster Linie die privaten Bauunternehmen mithilfe der staatlichen Subventionierung diese Aufgabe übernehmen sollten. Demnach gehörte er zu den Kritikern des Gesetzes der vivienda protegida und befürwortete stattdessen die Beihilfe im Rahmen der viviendas bonificables. Engagierten sich jedoch die privaten Bauunternehmer in der Zeit der Autarkie nur zögerlich für den sozialen Wohnungsbau, so suchte Valero Bermejo den privaten Sektor in weiterem Sinne stärker in den Wohnungsbau miteinzubeziehen. Unter dem »privaten Sektor« verstand er all jene Wohnbauinitiativen, die nicht direkt von öffentlichen Institutionen gelenkt wurden,24 darunter auch die Baugenossenschaften.25 Zu dieser Zeit waren Baugenossenschaften in Spanien ausschließlich als katholische und wohltätige Organisationen zugelassen, nicht jedoch als private Unternehmen. Die katholischen Baugenossenschaften setzten meistens in ihrem Bauprogramm voraus, dass die zukünftigen Bewohner, die meist auch im Bauwesen beschäftigt waren, ihre Wohnungen an Sonn- und Feiertagen selbst bauen sollten. Diese Idee wurde von Erfahrungen in Frankreich inspiriert, wo Industriearbeiter an den Peripherien der Großstädte seit etwa 1948 aufgrund der Wohnungsnot ihre Wohnräume selbst errichteten. Von den ersten Arbeitern in Bordeaux, die in ihren eigenen Kreisen die nötige Geldsumme sammelten, um bei In : AHRCM, Fondo COPLACO, Sig. 137479/17. Siehe auch : Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 171–173. 23 Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 46. 24 Vgl.: José María de la Vega, Fomento de la iniciativa privada en la construcción de viviendas, in : Semanas Sociales de España : La crisis de la vivienda, S. 341–364, hier : S. 343. 25 Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 47.
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den öffentlichen Institutionen einen Niedrigzinskredit für die Grundstücke abzubezahlen und darauffolgend in der arbeitsfreien Zeit ihre zukünftigen Wohnungen zu bauen, verbreitete sich die Idee rasch in weitere französische Großstädte. Diese sog. castors bildeten meistens kleine Gruppen, deren Mitglieder sich durch einen Vertrag verpflichteten, eine bestimmte Stundenzahl in der arbeitsfreien Zeit abzuarbeiten und eine festgelegte Geldsumme für den Bau zu entrichten. Die kommunalen Organe genehmigten die Bauvorhaben und empfahlen oft eine professionelle Beratung und Anleitung durch Architekten oder Bautechniker.26 Den spanischen katholischen Baugenossenschaften ging es bei diesen Initiativen vor allem darum, »das Kraftpotenzial der Arbeiter auszunutzen, um eine eigene Wohnung zu bauen, sich im kooperativen Geist der Zusammenarbeit zu verbünden und die Probleme mit akzeptablen Plänen, einer technischen Leitung und finanzieller Hilfe zu lösen.«27 Dabei wurde die Idee in den Prinzipien der geistigen Brüderlichkeit begründet, die in der Tradition der katholischen Baugenossenschaften praktisch umgesetzt wurden. Luis Valero Bermejo war mit den katholischen Baugenossenschaften in Kontakt gekommen, noch bevor er zum Direktor des Nationalen Wohnungsinstituts (und somit auch zum Direktor des OSH) wurde,28 als er sich am Bau kleiner Wohnsiedlungen in Madrid beteiligt hatte, die die katholische wohltätige Baugenossenschaft Constructora Benéfica Belén an den Peripherien für die im Bauwesen beschäftigten Arbeiter gebaut hatte.29 Die Baugenossenschaft hatte zu diesem Zweck einen kooperativen Wohnungsbau errichtet : Finanziert worden waren diese Bauarbeiten mithilfe des Nationalen Wohnungsinstituts, der Architektenkammer in Madrid sowie zum Teil privater Baufirmen ; durchgeführt worden waren diese dagegen von den zukünftigen Bewohnern mit Unterstützung der studentischen Arbeitsgruppen, darunter junge Architekten, im Rahmen der Sonntagsarbeiten des SUT.30 26 Los »castores« y su gran ilusión, in : Ecos y Voces del Campo Social. Extraordinario dedicado al problema de la vivienda, Nr. 43, 1953, S. 30–31. Vgl.: Maurice Vilandrau, L’étonnante aventure des Castors : l’autoconstruction dans les années 1950, Paris 2002. 27 Mutualidades y cooperativas de la vivienda. Lección por el Rvdo. Sr. D. Jesús Pérez de Dios, párroco de San Pablo de Salamanca, in : Semanas Sociales de España : La crisis de la vivienda, S. 331– 340, hier : S. 332. 28 Während seiner Tätigkeit als Zivilgouverneur in Navarra und Ávila in den Jahren 1945–1954 baute Luis Valero Bermejo ehrenamtlich mit diversen katholischen Baugenossenschaften mehrere Siedlungen. Vgl.: Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 11. 29 En Madrid, un grupo de estudiantes se dedican a hacer viviendas para los trabajadores, in : Vivienda y Paro, Nr. 31, 1953, S. 14–16. 30 Ebd.
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Aus dieser Erfahrung heraus forcierte Luis Valero Bermejo bereits in seinem ersten Amtsjahr im Nationalen Wohnungsinstitut die Durchsetzung eines Bündels gesetzlicher Subventionierungsmaßnahmen, die den Wohnungsbau durch eine verstärkte Mitwirkung privater Geldgeber erleichtern sollten – wenn auch nicht ohne Konflikte mit seinem Vorgesetzten, dem Arbeitsminister José Antonio Girón.31 Diese Maßnahmen sollten das immer größer gewordene Wohnungsdefizit infolge der massiven Zuwanderung seit Beginn der 1950er Jahre bekämpfen : Gegen Mitte der 1950er Jahre rechneten die öffentlichen Stellen mit einem Mangel von insgesamt 1,5 Millionen Wohnungen.32 Allein für Madrid rechnete die Stadtverwaltung im Jahre 1955 mit einem Anstieg der Einwohnerzahl um 67.00033 im Vergleich zum vorherigen Jahr ; somit betrug das Wohnungsdefizit 60.000.34 Demnach sollte das Nationale Wohnungsinstitut in Zusammenarbeit mit kommunalen Einrichtungen, Industrieunternehmen und Wohltätigkeitsvereinen eine Zahl von 100.000 Wohnungen pro Jahr bauen.35 Zudem verpflichtete sich der OSH, für seine Mitglieder 20.000 Wohnungen zur Verfügung zu stellen.36 Die meisten Fortschritte in der Wohnraumschaffung erhoffte man sich jedoch durch das Engagement privater Bauunternehmen, die vom Staat beim sozialen Wohnungsbau miteinbezogen werden sollten.37 Dies war eine wichtige Neuerung in der Wohnungspolitik des Regimes, die zwar die Mitwirkung der privaten Initiative von Beginn an in Anspruch nahm, jedoch den sozialen Wohnungsbau für die Arbeiterschaft ausschließlich den öffentlichen Stellen überließ. Insgesamt beabsichtigte der Staat im neuen, für den Zeitraum zwischen 1955 und 1960 festgelegten Plan Nacional de la Vivienda (Nationalplan für den Wohnungsbau) die Bereitstellung von 550.000 Wohnungen in fünf Jahren (110.000 pro Jahr).38 31 Siehe u.a.: Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 16. 32 Vgl.: Terán, Planeamiento urbano, S. 317. 33 Madrid tiene 1.767.205 habitantes, in : Arriba, 2.01.1955, S. 28. 34 Madrid necesita sesenta mil viviendas, in : Arriba, 23.07.1955, S. 4–5. 35 Jefatura del Estado, Decreto-Ley de 14 de mayo de 1954 por el que se encarga al Instituto de la Vivienda la ordenación de un plan de viviendas de tipo social, in : BOE, 17.06.1954, Nr. 168, S. 4094–4095. Vgl.: Moya González González, Barrios de Promoción Oficial, S. 35. 36 Jefatura del Estado, Decreto-Ley de 29 de mayo de 1954 por el que se encomienda a la Obra Sindical del Hogar, en colaboración con el Instituto Nacional de la Vivienda la realización de un Plan de construcción de 20.000 viviendas anuales para productores de la Organización Sindical, in : BOE, 6.06.1954, Nr. 157, S. 3850–3851. Vgl.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 35. 37 Jefatura de Estado, Ley de 15 de julio de 1954 sobre protección de »viviendas de renta limitada«, in : BOE, 16.07.1954, Nr. 197, S. 4834–4841 ; La vivienda de renta limitada, in : La Casa, Nr. 3–4, 1956, S. 6–7. Vgl.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 36–37. 38 Plan Nacional de la Vivienda, in : La Casa. Revista de Información sobre la Vivienda, Nr. 1, 1956,
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Die Umsetzung des Nationalplans für den Wohnungsbau setzte eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Wohnungsinstitut (im Arbeitsministerium angesiedelt), dem OSH (dem Einheitssyndikat unterstellt) und dem COUM (dem Innenministerium zugeordnet) voraus. War das COUM zunächst als rein administratives Verwaltungsorgan für die Stadtplanung und deren Kontrolle entstanden,39 sollte es jetzt im Rahmen des Nationalplans für den Wohnungsbau zusätzlich den Bau der Arbeiterwohnsiedlungen ausführen. Seit 1954 wurde das COUM von dem Architekten und Präsidenten des Consejo Superior de los Colegios de Arquitectos de España (Hoher Rat der Architektenkammer Spaniens), Julián Laguna, geleitet. Dessen Idee für die Bekämpfung der in den Madrider Peripherien situierten Barackensiedlungen basierte auf dem ursprünglichen Plan für die Stadtentwicklung Madrids, dem Plan General de Ordenación Urbana,40 und setzte auf die Realisierung der damals konzipierten kleinen Arbeiterwohnsiedlungen um die Hauptstadt herum, die vom repräsentativen Stadtzentrum durch eine »grüne Zone« separiert und durch ein ausreichendes Kommunikationsnetz mit diesem verbunden werden sollten.41 Da es Julián Laguna in Abweichung vom ursprünglichen Plan für notwendig hielt, die Stadt in umgekehrter Weise zunächst von den Peripherien mit ihren inakzeptablen Lebensbedingungen her neu zu gestalten,42 konzipierte er vier Typen von kleinen Wohnsiedlungen (poblados), die die existierenden Baracken ersetzen und den Madrider Peripherien ein neues Aussehen verschaffen sollten. Die sog. Poblados Agrícolas waren beispielsweise für die ehemaligen Landbewohner gedacht, die sich neben ihrer Arbeit in der Stadt noch der Pflanzen- oder Tierhaltung widmen wollten. Mithilfe der niedrigen Wohnhäuser mit kleinen Gärten und Ställen sollte die Anpassung an die neue urbane Lebensform schrittweise und sanfter verlaufen. Für die Barackenbewohner, die auf Grund der staatS. 10–11. Vgl.: Carlos Sambricio, El Plan Nacional de la Vivienda de 1955, in : Un siglo de vivienda social 1903–2003, hg. v. Carlos Sambricio, Bd. 2, Madrid 2003, S. 53–55 ; Juan-Cruz Alli Aranguren, Urbanismo y vivienda. La interrelación de las políticas de suelo y vivienda, in : Revista de Derecho Urbanístico y Medio Ambiente, Nr. 219, 2005, S. 59–128, hier : S. 72–76. 39 Vgl.: Luis Galiana Martín, La Comisaría para la Ordenación Urbana de Madrid y la política del suelo, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 1, S. 283–285. 40 Der Plan wurde 1941 von Pedro Bidagor entworfen, 1944 verabschiedet und schließlich 1946 ergänzt und rechtskräftig. Vgl.: Jose Rafael Moneo, Madrid : Los últimos veinticinco años, in : Información Comercial Española, Nr. 402, 1967, S. 81–99, hier : S. 86. 41 Planeamiento urbanístico de Madrid, hg. v. Comisaría General de Ordenación Urbana de Madrid, Madrid 1953. Vgl.: Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 19 ; López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 93–97. 42 Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 19.
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lichen Infrastrukturarbeiten ihre bisherigen Wohnungen verloren hätten, waren im Weiteren die sog. Poblados de Absorción sowie Poblados Mínimos vorgesehen. Beide Typen von Wohnsiedlungen setzten auf minimale und provisorische Ausstattung als nur vorübergehende Wohnmöglichkeit. Die Besonderheit des vierten Typs, die sog. Poblados Dirigidos, lag in dessen Organisation : Der Bauträger der Poblados war eine gemischte Organisation, in der sich Vertreter des Nationalen Wohnungsinstitutes, des COUM und der zukünftigen Bewohner zusammenschlossen. Das Wohnungsinstitut stellte finanzielle Mittel (darunter auch das Baumaterial) und das COUM die notwendigen Grundstücke zur Verfügung. Die zukünftigen Bewohner sorgten vor allem für die am Bau beteiligten Arbeitskräfte.43 Die Poblados Dirigidos richteten sich vor allem an die neu angekommenen Migranten, die in der Hauptstadt über keinen Wohnraum verfügten. So konnten diese selbst als Bauträger der zukünftigen Wohnung auftreten, denn die Organisation der Poblados Dirigidos ließ die Möglichkeit, am Bau der eigenen Wohnung entweder durch Bezahlung oder durch die Beteiligung an den Bauarbeiten mitzuwirken. Die Wohnungen wurden den zukünftigen Bewohnern zum Konstruktionspreis als Eigentum angeboten. Dafür mussten die Bewohner akzeptieren, weit vom Stadtzentrum entfernt zu wohnen. Zudem gab es weitere Auflagen : Die Wohnungen durften nicht weiterverkauft oder vermietet werden.44 Die Realisierung solcher Bauprojekte setzte sich aufgrund finanzieller Engpässe nur zögerlich fort, wurde jedoch im Jahr 1956 wesentlich beschleunigt.45 Die Klagen und Anschuldigungen seitens des Jesuiten José María de Llanos 1956 gegenüber den öffentlichen Stellen, dass deren Sozialwohnungsprogramme stets Versprechen ohne Taten seien46 und das Resultat dessen im Pozo del Tío Raimundo nachweisbar sei, bewegten Luis Valero Bermejo zu konkreten Schritten. Das seit dem Nationalplan für den Wohnungsbau festgelegte Bestreben, die Peripherien der Hauptstadt von den Baracken zu befreien, bekam aufgrund der politischen Krise des Jahres 1956 neue Dringlichkeit. Dass gerade die Baracken43 Vgl.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 38–40 ; López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 93–97. 44 Ministerio de la Vivienda, Oficialía Mayor : Memorias : Comisaría General para la Ordenacion Urbana de Madrid, asunto : Labor realizada por esta Comisaría durante el año 1956 : Poblados Dirigidos, in : AGA (04) 066 leg. 32272 top. 46/03.401-03.507, Bl. 1–2 ; Poblados Dirigidos. Documentos generales, in : AHRCM, Fondo COPLACO, Sig.252349/1, unpag. 45 Im Jahre 1956 wurden mehrere poblados gebaut : Die erste Phase des Bauprojektes umfasste acht poblados de absorción (Canillas, San Fermín, Caño Roto, Villaverde, Pan Bendito, Zofío und zwei in Fuencarral) sowie fünf poblados dirigidos (Entrevías, Fuencarral, Canillas, Caño Roto, Orcasitas). Siehe u.a.: López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 93–97. 46 Vgl.: González-Balado, Padre Llanos, S. 222.
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siedlung Pozo del Tío Raimundo ein Anziehungsort für die sozial engagierten und dem Regime gegenüber kritischen Studenten war,47 dürfte jedoch ebenfalls nicht ohne Bedeutung gewesen sein. Infolge dieser Situation bekam das Projekt des COUM-Leiters Julián Lagunas eine neue Dimension. Laguna kontaktierte zunächst den im sozialen Wohnungsbau erfahrenen Architekten Manuel Sierra Nava. Sierra war bereits ein Jahr nach seinem Studium (Diplom im Jahre 1952) zum Leiter des Konstruktionsbüros (Oficina Técnica) in der wohltätigen Baugenossenschaft El Hogar del Empleado geworden, welche der Jesuit Tomás Morales im Jahr 1949 mit Blick auf neu in die Hauptstadt kommende junge Berufstätige – vor allem Bankund Versicherungsangestellte – gegründet hatte.48 Dass Manuel Sierra direkt nach seinem Studium eine so hohe Position bekam, verdankte er persönlichen Kontakten : Sein Schwiegervater Luis Sierra Bermejo war Notar in der Baugenossenschaft und zog Sierra an die Organisation heran. Dadurch entstanden enge Beziehungen in politischen Kreisen, etwa mit dem Direktor des Nationalen Wohnungsinstituts Luis Valero Bermejo und Julián Laguna, aber auch mit dem Arbeitsminister José Antonio Girón und dem Innenminister Blas Pérez González.49 Zudem bewegte sich Manuel Sierra auch in katholischen Kreisen, war aktiv in den Marienkongregationen, und durch die Erfahrung im El Hogar del Empleado und den Kontakt mit Tomás Morales kannte er auch José María de Llanos persönlich. Jahrelang hatte er sich aktiv an den Sonntagsarbeiten im Rahmen des SUT beteiligt. Dort war er auch mit dem Architekten Jaime de Alvear Criado in Kontakt gekommen, den er für das neue Projekt engagierte. Jaime de Alvear war Teil einer Studentengruppe in der Pozo del Tío Raimundo und brachte dort den Bewohnern das Maurerhandwerk bei.50 Im Konstruktionsbüro der Baugenossenschaft El Hogar del Empleado arbeitete Manuel Sierra zudem mit dem Architekten Francisco Javier Sáenz de Oiza zusammen, den er auch für das neue Projekt in Entrevías beschäftigte. 47 Vgl.: Luis Fernández-Galiano, Madrid 1956. La historia de los Poblados, in : A&V, Nr. 5, 1986, S. 40–53, hier : S. 41. 48 Siehe u.a.: Fernández Nieto, Las Colonias del Hogar del Empleado ; Eva Hurtado Torán, El Hogar del Empleado : La labor de la Iglesia en la Construcción de viviendas sociales, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, Madrid 2003, S. 68–70. 49 Manuel Sierra heiratete 1953 die Tochter von Luis Sierra Bermejo und begann im gleichen Jahr seine Tätigkeit in der Baugenossenschaft. Die in der Presse veröffentlichte Hochzeitsankündigung weist auf Sierras enge Beziehungen zu den politischen Kreisen Madrids hin, in : Enlace Sierra Nava – Sierra Sanfiz, in : ABC, 20.12.1953, S. 65. Vgl.: Fernández Nieto, Las Colonias del Hogar del Empleado, S. 249. 50 Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 175.
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Diese Architektengruppe – Manuel Sierra, Francisco Javier Sáenz de Oiza und Jaime de Alvear – entwarf darauffolgend im Auftrag von Julián Laguna einen Bebauungsplan mit entsprechendem Flächennutzungsplan für das Stadtviertel Entrevías.51 Sie konzipierten neben dem zuerst gebauten Poblado Dirigido in Entrevías mehrere Wohnsiedlungen unterschiedlichen Typs, an deren Verwirklichung insgesamt vierzehn Architekten unter der Koordination von Jaime de Alvear gemeinsam arbeiten sollten.52 All diese Architekten waren Vertreter einer Generation, die sich einerseits im Rahmen des SUT oder wohltätiger katholischer Baugenossenschaften Schulter an Schulter mit den Arbeitern aktiv am sozialen Wohnungsbau beteiligte und sich anderseits auch seit Beginn der 1950er Jahre mit spürbarer sozialer Sensibilität in den Debatten um den sozialen Wohnungsbau engagierte. In bewusster Abkehr von den konservativen, katholischen und meist der »alten« Falange zugehörigen Architekten der Nachkriegszeit postulierten sie den Bruch mit dem architektonischen Folklorismus. Sie hielten es für notwendig, die bisher vom Nationalen Wohnungsinstitut und dem OSH propagierten, rural geprägten Wohnsiedlungen53 durch »urbane Wohnungen« zu ersetzen und somit ein »neues Stadtbild« zu schaffen : Wir haben kein Recht, unsere Familien weiterhin zusammenzupferchen. Es ist Zeit, mit den verschlossenen Wohnblockreihen, mit den verschlossenen Innenhöfen und den niedrigen Wohnungen zwischen Trennwänden aufzuhören. Es ist Zeit für die wahre menschliche Architektur.54
Grundsätzlich mangelte es in Spanien an Erfahrung in der Stadtplanung, so dass auch Möglichkeiten einer qualifizierten stadtplanerischen Ausbildung fehlten. So nimmt es nicht wunder, dass die Architekten Sierra, Sáenz und Alvear im Kontext ihrer »wahren menschlichen Architektur« keine Stadtkonzeptionen vor51 Plan de Ordenación del sector de Entrevías, Madrid, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 49, 1963, S. 3–13. 52 Entrevías. Transformación urbanística. 53 Zum Folklorismus in der Siedlungsarchitektur des OSH siehe u.a.: Joan Vilagrasa Ibarz, La Obra Sindical del Hogar (1942–1975) y la Cataluña rural, in : Professor Joan Vilá Valentí. El seu mestratge en la geografia universitaria, Barcelona 1999, S. 1563–1578. 54 »no tenemos derecho a seguir encajonando a nuestras familias…ha llegado el momento…de acabar con la manzana cerrada, el patio cerrado y las profundas casas entre medianeras. Ha llegado el momento de la verdadera arquitectura humana«. Zit. nach : Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 35.
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schlugen, sondern lediglich eine moderne Stadt auf Basis moderner Architektur entstehen lassen wollten.55 Der Begriff »Modernität« wurde dementsprechend zum Manifest dieser Architektengeneration, oft »Madrider Schule«56 genannt, auch wenn »modern« mal Funktionalismus und Rationalismus, mal zeitgemäße Umsetzung spanischer Tradition bedeuten sollte. Unabhängig von der unterschiedlichen ästhetischen Umsetzung postulierten alle diese Architekten die Inanspruchnahme von Modernität im Dienste der urbanen Peripherien.57 In diesem Sinne schlossen sie sich den nationalen Debatten um den sozialen Wohnungsbau an, wenn auch im Gegensatz zu den katalanischen Architekten : Während sich letztere vor allem an der Tradition der Moderne der rational ausgerichteten Architektengruppe GATEPAC58 orientierten, zählten für die Madrider Architekten nur die internationalen Architekturentwicklungen als Maßstab. Sie waren an der Entwicklung moderner Architektur interessiert, und die Zusammenarbeit mit Julián Laguna und dem COUM ermöglichte es ihnen nun, die theoretischen Ansätze ihrer Debatten praktisch auszuprobieren.59 In diesem Sinne wurde der Bau der Poblados zum Laboratorium, in welchem alle bisherigen Überlegungen und die auf internationalen Reisen gesammelten Erfahrungen in die Praxis umgesetzt werden konnten.60 Bestand im Nationalen Wohnungsinstitut Sorge wegen des Mangels an billigem Agrarboden, an Baumaterial, Finanzmitteln und Arbeitskräften,61 entschied sich Laguna, die Siedlung in der nicht zur Bebauung vorgesehenen und daher kostengünstigen ruralen »grünen Zone« zu situieren, also direkt in der Nachbar55 Vgl.: Blanca Lleó, La moderna posguerra, 1949–1960, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 6–26, hier : 17 ; Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 92–93. 56 Juan Daniel Fullaondo, La Escuela de Madrid, in : Arquitectura, Nr. 118, 1968, S. 11–20. 57 Dazu mehr : Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 47.; Lleó, La moderna posguerra, S. 14–20. 58 GATEPAC (Grupo de Artistas y Técnicos Españoles para el progreso de la Arquitectura Contemporánea/Spanische Künstler- und Technikergruppe für den Fortschritt in der Gegenwartsarchitektur) war ein Architektenzusammenschluss, der 1930 entstanden war und das Ziel hatte, eine rationale Architektur zu proklamieren. Mehr dazu siehe u.a.: Urrutia, Arquitectura Española, S. 333–352. 59 Ana María Esteban Maluenda, Madrid, años 50 : La investigación en torno a la vivienda social los Poblados Dirigidos, in : Los años 50 : La arquitectura española y su compromiso con la historia, S. 125–132, hier : S. 127. 60 José Manuel López Ujaque, Los poblados dirigidos : urgencia, juventud y domingueros, in : Vázquez de Castro, Iñiguez de Onzoño, Poblado Dirigido de Caño Roto (fases I y II), Madrid 2013, S. 24–29, hier : S. 28. 61 Vgl.: López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 94.
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schaft der Barackensiedlungen. Dies lief aber dem rechtsgültigen Bebauungsplan zuwider, für dessen Realisierung und Kontrolle das COUM eigentlich ins Leben gerufen worden war.62 Die Notsituation, in welcher sich die Peripherie in Madrid nach Meinung Julián Lagunas befand, erforderte sofortiges und wirksames Handeln, weshalb Laguna es als legitim erachtete, wider die Gesetze und Entscheidungen anderer öffentlicher Institutionen (vor allem der Kommune) tätig zu werden.63 In diesem Sinne agierte Julián Laguna durch seinen Pragmatismus gegen die eigentlichen Prinzipien der von ihm vertretenen Institution, die die Rechtsgültigkeit der als notwendig angesehenen modernen Stadtplanung prüfen sollte. Die Kosten für die Arbeitskräfte sollten dementsprechend durch den Ansatz des sog. »öffentlich gesteuerten Baus in Eigeninitiative«, der wiederum in Luis Valero Bermejo einen starken Fürsprecher hatte, eingespart werden. Dabei ging es vor allem darum, das Potenzial, das die Bewohner für die Errichtung ihrer Baracken nutzten, auszuschöpfen und ihnen gleichzeitig »das anarchische Bauen abzugewöhnen.«64 Angestrebt war also ein Bau in Eigenregie mit klar vorgegebenen staatlichen Maßstäben (und damit eine Umlenkung der informellen Wachstumsdynamik in kontrollierte Bahnen) : Man ließ die zugewanderten Landarbeiter unter Aufsicht öffentlicher Institutionen ihre neuen Wohnräume selbst bauen, während die illegale Bautätigkeit in der Gegend gleichzeitig mit sofortiger Wirkung verboten und mit strengen polizeilichen Ordnungsmaßnahmen bekämpft wurde.65 Die von den Migranten geleistete Arbeit deckte 20 Prozent der Kosten ab, während die übrigen 80 Prozent das Nationale Wohnungsinstitut trug. Die zukünftigen Bewohner arbeiteten an Sonn- und Feiertagen, in kleineren Arbeitsgruppen von jeweils 20 bis 24 Personen, und ausschließlich im Bereich der Maurerarbeiten. Diejenigen, die beim Bau nicht mitwirken konnten – unter anderem Witwen, die wie alle Frauen nicht selbst an den Bauarbeiten teilnehmen durften, aber durch den Tod ihres Gatten als eigenständige Beteiligte des Projekts galten, sowie Personen, die zum Beispiel an Sonntagen ihrer regulären Arbeit nachgehen mussten (etwa Kellner, Bahnarbeiter oder Bäcker) – gli62 Vgl.: Luis Moya González, Estudio socio-urbanístico de nueve barrios de promoción oficial de Madrid, in : Ciudad y Territorio, Nr. 3, 1980, S. 73–95, hier : S. 75. 63 Vgl.: López Ujaque, Los poblados dirigidos, S. 27. 64 Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 137. 65 Quines pretendan trasladar su residencia a la Capital deberán disponer previamente de alojamiento adecuado, in : ABC, 22.09.1957, S. 63 ; Presidencia del Gobierno, Decreto de 23 de agosto de 1957 por el que se dictan normas a fin de evitar los asentamientos clandestinos en Madrid, in : BOE, 21.09.1957, Nr. 240, S. 898–899.
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chen ihre fehlende Arbeitsleistung mit Geld aus. Die Schreiner-, Fliesenleger-, Schlosser-, Klempner-, Maler-, Glaser- und Installateursarbeiten wurden durch beauftragte externe Betriebe realisiert.66 Diese führten während der Woche vorbereitende Schritte aus, damit die Bauarbeiten an den Wochenenden schneller voranschreiten konnten. Die fertiggestellten Wohnungen wurden anschließend per Losverfahren an die Bewohner verteilt. Rechtlich gesehen war der Bauträger der Siedlung eine gemischte Organisation, in der sich Vertreter des Nationalen Wohnungsinstitutes, des COUM und der zukünftigen Bewohner zusammenschlossen. Dabei organisierten sich die zukünftigen Bewohner, insgesamt 770 Familien, die gerade in Pozo del Tío Raimundo angekommen waren und mit der Aufstellung einer Baracke beginnen wollten, in einer legal konstituierten Baugenossenschaft unter dem Namen Pozo del Tío Raimundo.67 Dabei wurde als Baugenossenschaft eine Organisation von mindestens zehn Mitgliedern bezeichnet, die ausschließlich Familien, aber keine einzelnen Privatpersonen sein duften.68 Auf diese Weise unterstrich man den sozialen und familiären Aspekt einer solchen Initiative. Der Bauträger, vertreten durch diese drei Institutionen, war gleichzeitig die Geschäftsführung des Bauunternehmens.69 In diesem Sinne war die Leitung der Bauarbeiten, vom Entwurf der Pläne und Projekte über die Bauaufsicht bis hin zur Beauftragung externer Betriebe, eine gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten. In der Praxis übernahmen diese komplexe Aufgabe die Architekten selbst, die den gesamten Bauprozess vor Ort in dem vom COUM speziell dafür eingerichteten Verwaltungs- und Konstruktionsbüro koordinierten : Manuel Sierra vertrat das COUM Lagunas und war somit der Generalkoordinator des Bauunternehmens, Jaime de Alvear repräsentierte die in der Baugenossenschaft organisierten Migranten und Francisco Javier Sáenz de Oíza war der Autor des Projektes. Da die gesamte Aktion notbedingt schnell und weitgehend ohne Vorarbeiten verlief, fanden die Prozesse der Enteignungen und Liquidierung von Baracken, des Projektentwurfs und des Wohnungsbaus an dieser Stelle praktisch gleichzeitig statt. Die Architektenkammer berichtete : 66 Papel que desempena la ayuda mutua y la ayuda propia en un programa global de viviendas. Entrevías, in : Archivo COAM, LCA/D366/C13-14-2, Bl. 2. 67 Cuál es la contribución de un grupo de jefes de familia, in : Archivo COAM, LCA/D366/C13-143, Bl. 1. Vgl.: Pedro Miguel Lamet, Azul y Rojo. José María de Llanos. Biografia del Jesuita que militó en las dos Españas y eligió el suburbio, Madrid 2013, S. 309. 68 Manuel Colmenero Vega, Francisco Dolset Chumilla, Cómo construir una vivienda cooperativa, Zaragoza 1970, S. 49. 69 Papel que desempeña la ayuda mutua, in : Archivo COAM, LCA/D366/C13-14-2, Bl. 2–3.
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Die Verfassung des Projektes wie auch die Leitung der Bauarbeiten werden direkt vor Ort geführt, in Kontakt mit der topographischen Realität und, nicht weniger wichtig, der sozialen Realität der Menschen, die dort leben werden. Es geht also um eine Aktion der Peripheriesanierung im zyklischen Rhythmus des Abrisses der Baracken und des Bauens neuer Wohnungen.70
In diesem Sinne beschäftigten sich die Architekten mit Aufgaben, die sich nicht allein auf Bau- und Planungskompetenzen begrenzten ; sie traten zusätzlich als Geschäftsführer, Baukonstrukteure, Finanzkontrolleure, aber auch als Vertreter des Projekts gegenüber den Behörden sowie als Sozialhelfer für die zukünftigen Bewohner in Erscheinung.71 Der Architekt Francisco Javier Sáenz de Oíza beurteilte diese Situation folgendermaßen : Die Gruppen der Architekten, die von Laguna in der gesamten Madrider Peripherie verteilt wurden, waren auf solche Weise in die Arbeit verwickelt, dass sie sowohl die ersten Kontrolleure des anarchischen Stadtwachstums an den Peripherien wie auch die Beauftragten für die Ausführung der Stadtplanung in diesen Gebieten waren.72
Demnach vertraten sie direkt vor Ort sowohl die zukünftigen Bewohner wie auch die dort agierenden, zuständigen Ministerien des Inneren und der Arbeit.73 Ob bzw. inwieweit es aufgrund dieser Doppelfunktion zu Interessenkonflikten kam, geht aus den Quellen leider nicht hervor. Die Wohnsiedlung, die innerhalb von 100 Sonntagen in Entrevías nach den Entwürfen von Francisco Javier Sáenz de Oiza entstand, wurde formal von den Arbeiterkolonien der 1920er Jahre inspiriert (vor allem von Walter Gropius und Jacobus Johannes Pieter Oud) sowie insbesondere von den amerikanischen Wohnsiedlungen von Hugh Stubbins in Wellesley (Massachusetts), die Oiza 70 »La redacción del proyecto como la direccion de las obras se lleven precisamente allí, en contacto con la realidad topográfica del terreno y la no menos importante realidad humana de las gentes que allí van a vivir. Toda vez que se trata de una operación de limpieza de suburbios en un ritmo cíclico de demolición de chabolas y construcción de las nuevas viviendas.«, in : Poblados dirigidos en Madrid, in : Boletín Informativo. Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid, Nr. 3, 1958, S. 23–24, hier : S. 23. 71 Vgl.: Luis Fernández-Galiano, Madrid 1956, S. 49. 72 »El reparto que Laguna hizo de todo el recinto de Madrid, atendía a grupos de arquitectos a los que implicó de forma que fueran los primeros controladores de la expanción anárquica del suburbio, y los encargados del desenvolvimiento de los planes de urbanización de las áreas correspondientes.«, in : Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 179. 73 Vgl.: Ebd., S. 120.
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während seines durch ein Stipendium geförderten Aufenthalts in den USA im Jahre 1948 bewundert hatte. Er wandte sich dem europäischen Rationalismus und Minimalismus zu, um dadurch den Bau höchst ökonomisch zu gestalten.74 Sein Poblado Dirigido in Entrevías war eine Siedlung, deren Basis ein ein Hektar großes in sechs rechteckige Flächen unterteiltes Modul bildete, auf dem fünf niedrige Reihenblöcke und ein Platz situiert waren. Zwei gegenüberliegende Reihen mit zwölf Einfamilienhäusern konstituierten einen Block (also insgesamt vierundzwanzig Häuser pro Block). Die Blockreihen konzentrierten sich an den Fußgängerwegen, die in die Hauptstraße mündeten. Im Gegensatz zu den zuvor entstandenen Arbeitersiedlungen hatte die aus insgesamt 770 Wohnungen bestehende Siedlung hierdurch kein Zentrum. Das Zusammenleben der Nachbarschaft sollte nicht – wie in den vorherigen Siedlungen – an einem zentralen Ort stattfinden, sondern in den »freien Räumen« (Plätzen und Gassen), die der Architekt als »wichtiges Element der Erholung« verstand.75 Die Einfamilienhäuser, die innerhalb eines Blocks jeweils in Reihen nebeneinander platziert waren, waren als zweigeschossige Duplex-Wohnungen von ca. 60 Quadratmetern Grundfläche konzipiert, deren Etagen im Grundriss jeweils ein Gesamtausmaß von 3,6 x 9 Metern hatten. Vorne wurde das Haus von einer Veranda für handwerkliche Arbeiten und hinten von einem Gemüsegarten flankiert. Gerade diese drei Elemente – der Typ eines Einfamilienhauses mit Garten und Veranda –, sorgten für einen ländlichen Charakter dieser Wohnräume. Im Haus selbst befanden sich im Untergeschoß eine große Küche mit Esszimmer, ein Wohnzimmer und eine ausgelagerte Toilette. Im Obergeschoss befanden sich die Schlafzimmer.76 Während die Einfamilienhäuser typologisch als ländlich geprägte Wohnräume konzipiert waren, zeichnete sich in der rationalen und minimalistisch-abstrakten Architektur etwas dezidiert Urbanes ab. Aufgrund der finanziellen Engpässe musste zwar in der Architektur auf moderne Technologien verzichtet und ausschließlich auf traditionelle handwerkliche Methoden und den Einsatz von Ziegelstein zurückgegriffen werden, dennoch vermied man ästhetisch jede Art von Folklorismus und malerischer Ornamentik. Das Minimale unterstrichen zudem kleine, in die Länge gezogene Fenster als das einzige Ornament der Fassade. 74 Vgl.: Rafael Moneo, Madrid : Los últimos veinticinco años, S. 95. 75 El Poblado Dirigido de Entrevías, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961, S. 3–25. Vgl.: Arquitectura de Madrid. Periferia, hg. v. Fundación COAM, Madrid 2007, S. 460 ; Urrutia, Arquitectura española, S. 425–426 ; Cinco proyectos de vivienda social en la obra de Oíza, hg. v. Rosario Alberdi, Angel Luis Sousa, Madrid 1996. 76 Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961, S. 3–25.
Der »öffentlich gesteuerte Bau in Eigeninitiative«
Abb. 18–19 : Die Luftaufnahme der Siedlung und der Grundriss eines Einfamilienhauses des Poblado Dirigido in Entrevías. Quelle : Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961.
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Abb. 20–21 : Im Poblado Dirigido in Entrevías verband sich die Modernität der Architektur mit dem rural geprägten Typ des Einfamilienhauses mit Garten und Veranda. Quelle : Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961.
Die Architektur als ein Erziehungsmittel im Prozess der Anpassung vom ruralen zum urbanen Leben stieß jedoch auf wenig Verständnis bei den Bewohnern, die unmittelbar nach der Fertigstellung mit einigen Umbauten begannen. Insbesondere die kleinen, hoch an der Wand angesetzten Fenster wurden als misslungen angesehen, da diese wenig Licht und viel Staub in die Wohnung hineinließen.77 Die Struktur der Wohnung als schmales, längliches Rechteck, in welches keine der für die dörflichen Gegenden typischen Betten passten, stieß auf Ablehnung, wie man den Worten Jaime de Alvears entnehmen kann : 77 Fernández-Galiano, La quimera moderna, S. 176–177.
Der »öffentlich gesteuerte Bau in Eigeninitiative«
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Die Schlafzimmer in Tunnelform von vier Metern Länge lösen zwar hervorragend das Problem des begrenzten Raumes, jedoch beanspruchen sie spezielle Betten, welche nicht gerade jene sind, die diese Leute aus den Dörfern mitgebracht haben.78
Das Poblado Dirigido in Entrevías wie auch die übrigen nachfolgend gebauten Siedlungen wurden bereits in den 1960er Jahren öffentlich kritisiert. Während kein Zweifel an der Bedeutsamkeit der Architektur bestand, insbesondere im Kontext der langsamen kulturellen Öffnung Spaniens gen Westen, geriet die Siedlung als Urbanisierungsprojekt in die Kritik : Ohne infrastrukturelle Basis, ohne Zufahrten, ohne entsprechende Bedingungen […], um eine Verbindung mit der Stadt zu etablieren, sodass dort urbanes Leben entstehen könnte. Die Poblados Dirigidos waren mehr eine architektonische Erfahrung als ein Erfolg in der Stadtentwicklung.79
Dieses Urteil, das in mehreren zeitgenössischen Studien zitiert und perpetuiert wurde,80 prägte die öffentliche Wahrnehmung so stark, dass sich auch die gegenwärtigen wissenschaftlichen Studien davon beeinflussen ließen : Die Poblados Dirigidos gehören zu den begehrtesten Themen in Architekturstudien,81 blieben jedoch in der stadthistorischen Forschung weitgehend unterbelichtet. So wurde bislang übersehen, dass diese Art der öffentlichen Steuerung, und insbesondere das Poblado Dirigido in Entrevías, eine neue Entwicklungsphase in den Prozessen der Verstädterung und Urbanisierung an den Peripherien spanischer Städte markierte, die die Ideen der jüngeren Generation der Falange widerspiegelte. Diese jungen, sozial engagierten Falangisten schlugen neue Lösungen für die Urbanisierungsprozesse an den Peripherien der Hauptstadt vor ; ihre Ideen widersprachen in vielerlei Hinsicht den Vorstellungen über die Entwicklung der städtischen Peripherien des traditi78 »Los dormitorios en túnel de 4 m que resuelven muy bien el problema de espacio pero necesitan camas especiales que no eran precisamente las que la gente se traía de los pueblos.«, in : Ebd., S. 178. 79 »Sin base infrastructural, sin accessos, sin servicios, sin condiciones adecuadas […] para establecer el contacto preciso con la ciudad y para que en ellos naciese la vida urbana, los poblados dirigidos fueron más una experiencia arquitectónica que un logro para el desarrollo urbano«, in : Rafael Moneo, Madrid : Los últimos veinticinco años, S. 96. 80 Etwa in : Víctor Simancas, José Elizalde, El mito del Gran Madrid, Madrid 1969, S. 72. 81 Siehe u.a.: Fernández-Galiano, La quimera moderna ; Esteban Maluenda, Madrid, años 50 ; Vázquez de Castro, Iñiguez de Onzoño, Poblado Dirigido de Caño Roto ; Carlos Sambricio, Die Entwicklung im Großraum Madrid und die neuen Siedlungen der fünfziger und sechziger Jahre, in : Architektur im 20. Jahrhundert. Spanien, Bd. 9, hg. v. Anton Capitel, Wilfried Wang, München 2000, S. 159–164.
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onellen Sektors der Falange, mit welchem sie in politischem Konflikt und Konkurrenzkampf standen. Diese Art des öffentlichen Bauens war radikal neu, wenn sie auch infolge des zunehmenden Machtverlusts der Falangisten eine einmalige Erfahrung blieb. Infolge dieser Erfahrung und begünstigt durch die Bildung der Unión Territorial de Cooperativas de Viviendas de Madrid (Regionaler Verbund der Wohngenossenschaften in Madrid) im Jahre 195982, die die Gründung und Tätigkeit von Baugenossenschaften unterstützte, wurden in der Hauptstadt zahlreiche Baugenossenschaften etabliert. Diese wurden nicht mehr ausschließlich von katholischen oder öffentlichen Organisationen gelenkt, sondern meist als berufliche Verbände von privaten Personen konzipiert, die zu den Bauträgern ihrer eigenen Wohnungen wurden.83 Auch wenn das Regime die Baugenossenschaften stets als nur »einzeln vorkommende Notlösung«84 bezeichnete, wuchs deren Zahl in der Hauptstadt seit den 1960er Jahren, als die öffentlichen Institutionen den sozialen Wohnungsbau fast ausschließlich dem Privatsektor überließen, in bedeutendem Ausmaß.85 Diese Art »legalen Bauens in Eigenregie« muss dennoch als eine Form der kooperativen Wohnungsbaulösung angesehen werden, die sich vom Prozess der Entstehung der Barackensiedlungen ableitete und in welche die Migranten partizipatorisch miteinbezogen werden sollten. Dabei ging es in den Wohnungsbaugenossenschaften nicht nur um kollektives Bauen, sondern auch um kollektive Verantwortung und Entscheidung in einer gemeinsamen Sache, was eine Art zivilgesellschaftliches Handeln in einem Mikroraum darstellte. 3.2 Die Urbanisierung der Peripherie im Kontext der Konflikte zwischen der Stadtverwaltung Madrid und den staatlichen Behörden Als 1950 in Spanien das Jefatura Nacional de Urbanismo (Nationales Urbanisierungsamt) entstand, wurden dadurch die Stadtplanung und Stadtentwicklung als nationale Aufgabe konzipiert und den Urbanisierungsplänen auf nationaler Ebene untergeordnet.86 Im Rahmen dessen blieb den kommunalen Instituti82 Alfonso Vázquez Fraile, El cooperativismo madrileño de 1960 a 1975, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 184–186. 83 Vgl.: Cooperativa de viviendas de maestros, in : La vivienda, Nr. 12, 1968, S. 23 ; En Madrid funcionan setenta y cinco cooperativas de viviendas, in : Arriba, 21.05.1960, S. 18. 84 Adolfo Martin Arbués, La iniciativa privada en la construcción de viviendas, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 20, 1959, S. 41–50, hier : S. 41. 85 Vázquez Fraile, El cooperativismo madrileño, S. 184–186. 86 Terán, Planeamiento urbano, S. 160.
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onen kaum Entscheidungsfreiheit in Hinblick auf die Planung der Städte. In Madrid kam es daher regelmäßig zu Konflikten zwischen den kommunalen und den zentralstaatlichen Institutionen, worauf ein Bericht über den Zustand der spanischen Stadtplanung hindeutet, der 1952 für den Internationalen Kongress der Urbanisierung und des Wohnungsbaus in Lissabon vorbereitet wurde. Dem Bericht zufolge gab es in Madrid aufgrund von dessen Doppelstatus – als Stadt und als Hauptstadt – gravierende politische Spannungen zwischen den staatlichen Organen als Vertreter des »Gran Madrid« und dem Bürgermeister der Stadt, dem adligen Militär und Diplomaten José María Finat y Escrivá de Romaní (1952–1965),87 was zu weitreichenden Konsequenzen in der Stadtplanung führen sollte.88 Madrid wurde dementsprechend durch seine doppelte Funktion zum Raum diverser Konflikte zwischen lokalen und zentralen Behörden. Dabei entzündeten sich viele Auseinandersetzungen in erster Linie an den finanziellen Forderungen staatlicher Instanzen gegenüber der Stadtverwaltung, welche bereits zwischen 1951 und 1953 ihre finanzielle Pleite ankündigte.89 Zwar war die Situation der Kommunen im Franco-Staat aufgrund der finanziellen Lage und der geringen Entscheidungskompetenzen insgesamt schwierig, jedoch mühte sich die Stadtverwaltung in Madrid noch zusätzlich mit Schwierigkeiten aufgrund des Hauptstadtstatus ab. Madrid stand in der Nachkriegszeit im Mittelpunkt des politischen Interesses. In den Worten des Staatschefs Francisco Franco sollte Madrid »eine Visualisierung der Nation und des Status als Hauptstadt« werden.90 Der Wiederaufbau und die stadtplanerische Entwicklung Madrids waren demnach nationale Aufgaben, bei denen »Einigkeit über die Kriterien und in der Leitung hinsichtlich der Urbanisierungspläne«91 erforderlich sei, und sollten daher nicht allein in den Händen der Stadtverwaltung liegen. Die Zukunft Madrids lag somit in der Kompetenz der Junta de Reconstrucción de Madrid (Ausschuss zum Wiederaufbau Madrids), einer interministerialen Institution mit Vertretern mehrerer öffentlicher Stellen,92 die sich zusammen 87 Siehe u.a.: Juan Miguel Soler Salcedo, Nobleza española : grandeza inmemorial, 1520, Madrid 2008, S. 161. 88 Estado Actual del Urbanismo Español, Madrid 7 de octubre de 1952, in : AGA (04) 066 LEG. 32276 TOP. 46/57.301-57.406, unpag. 89 Sambricio, La vivienda en Madrid, de 1939 al Plan de Vivienda Social, S. 42. 90 Gran Madrid, Nr. 1, 1948, S. 5. Vgl.: Madrid, en construcción, in : Arriba, 17.07.1955, S. 8. 91 Ministerio de la Gobernación. Junta de Reconstrucción de Madrid, Plan General de Ordenación de Madrid, Madrid 1943, unpag. 92 In der Junta de Reconstrucción de Madrid waren Vertreter folgender Institutionen tätig : Direción General de la Reconstrucción de Regiones Devastadas, Ministerio de Gobernación, Ayuntamiento de Madrid, Ministerio de Hacienda, Ministerio de Obras Públicas, Ministerio de Agricultura,
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an dem Projekt des »Großen Madrid« beteiligten, was von Planung und Urbanisierung über die Finanzierung bis hin zur Kontrolle reichte. Alle Entscheidungen, die im Normalfall den Kommunen unterlagen, zog der Staat durch die Junta an sich, während das Urbanisierungskabinett der Stadtverwaltung nur eine zweitrangige Position hatte.93 In diesem Sinne reduzierten sich die Kompetenzen der Kommune auf Vorschläge, die an die höchste Instanz weitergeleitet wurden. Unter diesen Umständen stand die Stadtverwaltung in Madrid in einem ständigen Konkurrenzverhältnis mit einer Reihe von ministeriellen Behörden, mit deren Machtbefugnissen sie jedoch aufgrund der strukturellen Organisation wie auch der finanziellen Einschränkungen der lokalen Verwaltungen im Franco-Staat in der Regel nicht mithalten konnte. Bereits in den 1940er Jahren erhoben sich im Kreis der Madrider Stadtverwaltung kritische Stimmen gegen die Verabschiedung des Gesetzes der viviendas protegidas (vgl. hierzu auch oben Kap. 2.1), die von öffentlichen Stellen, darunter Kommunen, ausgeführt werden sollten. Betonte das Nationale Wohnungsinstitut die Notwendigkeit der Kooperations- und Opferbereitschaft öffentlicher, lokaler und gewerkschaftlicher Institutionen, argumentierten die Vertreter der Madrider Stadtverwaltung dagegen, dass der Staat die meisten Anstrengungen und das größte Opfer für diese Aufgabe erbringen sollte, weil die lokalen und gewerkschaftlichen Organe keine – insbesondere keine finanziellen – Mittel für diese Problemlösung hätten. Sie kritisierten das stark begrenzte Engagement des Staates in der Wohnungspolitik, dessen Gesetzesverfassungen und Steuervergünstigungen ihrer Meinung nach als Anreizstruktur nicht ausreichend wären.94 Die Kritik aus dem Kreis der kommunalen Behörden am staatlichen Vorgehen im Rahmen der Wohnungspolitik wurde in den staatlichen Organen direkt und mit einem zynischen Unterton ripostiert : Finanziell kann es kaum Probleme geben ; und glauben Sie, der hier anwesende Herr Bürgermeister [zu der Zeit noch der Rechtsanwalt Alberto Alcocer y Ribacoba (1939– Industria y Comercio, Ejército y Movimiento. Die Comisión Técnica de la Junta war dafür zuständig, die Planung für die Stadtentwicklung zu verfassen. Siehe Pedro Bidagor Lasarte, Situación General del Urbanismo en España (1939–1967), in : Revista de Derecho Urbanístico, Nr. 4, 1967, S. 23– 70, hier : S. 26 ; Miguel Moreno Ruiz, Estado de conciencia del urbanismo madrileño. Su doble aspecto : necesidad y grandeza, Madrid 1959, S. 19 ; Muguruza, El futuro de Madrid, S. 15–27. 93 Antonio García Martín, Proceso de anexión de los municipios limítrofes a Madrid, Madrid 1991, S. 62. 94 Ponencia presentada por D. Iradier García, in : I Congreso de la Federación de Urbanismo y de la Vivienda, Bd. 2, Madrid 1940, S. 204–233, hier : S. 219.
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1946)95 – A.P.] von Madrid, mir : für mich als Madrider wäre es die größte Befriedigung, eines Tages zu erfahren, dass die Stadtverwaltung bis zum Hals in Schulden steckt, weil sie Millionen für eine Problemlösung ausgegeben hat, die die Menschheit betrifft und so sehr unseren Caudillo und unsere Regierung interessiert.96
Das Zitat weist, ganz im Stil der nationalen Rhetorik der Falange, auf die deutliche Abwälzung der sozialen Aufgabe auf die Schultern der Kommunen hin. Praktisch ließ sich dies jedoch aufgrund der vom Staat entworfenen Strukturen nicht realisieren : Die Stadtverwaltungen litten nicht nur stark unter begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten, reduzierten technischen Mitteln und – aufgrund der im Plan General de Ordenación Urbana als »grüne Zonen« deklarierten Gebiete – zu wenigen bebaubaren Grundstücken, um das Wohnungsnotproblem intensiv anpacken zu können, sondern zusätzlich war ihnen jegliche Verschuldung untersagt.97 In diesem Sinne kam es auch zu einer Auseinandersetzung zwischen der Madrider Stadtverwaltung und dem COUM in Bezug auf die Eingemeindung umliegender Munizipien (etwa Chamartín, Canillejas, Villaverde und Carabanchel Bajo). Beide Institutionen waren sich einig, dass diese Gemeinden als Gebiete für die weitere industrielle Entwicklung der Hauptstadt relevant waren. Dennoch optierte die Stadtverwaltung anders als das COUM für eine Eingliederung in Form einer Gemeinschaft, um die entstehenden Erschließungskosten zwischen allen beteiligten Munizipien zu teilen und gemeinsam zu tragen. Die Sorgen um die finanziellen Kosten dieser Operation begründete die Stadtverwaltung nicht nur mit den begrenzten kommunalen Mitteln, sondern auch mit der stark vernachlässigten infrastrukturellen Versorgung der zur Eingliederung vorgesehenen Munizipien.98 Wäre die Eingemeindung im Sinne des COUM durchgeführt worden, wären die gesamten Infrastrukturkosten ausschließlich von der Madrider Stadtverwaltung getragen worden. Der Vorfall kostete den Bürgermeister 95 Siehe u.a.: Tomás Borras, Los cinco alcaldes de Franco : Alcocer, in : Villa de Madrid, Nr. 48, 1975, S. 15–22 ; Madrid/Barrios 1975, hg. v. CIDUR, Madrid 1976, S. 104. 96 »Ecónomicamente no puede existir problema ; y créame el senor Alcalde de Madrid, aquí presente, que para mí, como madrileño, sería una satisfacción enterarme algún día de que el Ayuntamiento se había empeñado hasta los ojos por haberse gastado los milliones en resolver este problema de tanta humanidad y por el que tanto se interesan nuestro Caudillo y nuestro Gobierno […].«, in : Moreno Torres, Aspectos de la reconstrucción, S. 251. 97 Vgl.: Comín, Historia de la Hacienda pública, S. 228–229 ; Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 55–58. 98 Vgl.: Visita a los suburbios madrileños, in : Pueblo, 26.11.1945, S. 6.
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von Madrid Alberto Alcocer y Ribacoba sein Amt und verzögerte wesentlich den Eingemeindungssprozess, der schließlich entgegen den Plänen der Stadtverwaltung Ende der 1940er Jahre vollendet wurde.99 Somit war Madrid plötzlich zehnmal größer als zuvor und beschaffte sich auf diese Weise billige Agrarlandstücke, die in den 1950er Jahren die Basis für öffentliche Wohnungsbauprojekte wurden. Jedoch stiegen durch die Entscheidung der staatlichen Organe auch die Aufgaben und somit die Ausgaben für die Madrider Stadtverwaltung auf das Zehnfache.100 In der Konsequenz beteiligte sich die Stadtverwaltung in relativ bescheidenem Umfang am Wohnungsbau101 und konzentrierte ihre Aktivität vorwiegend auf die Sanierung der bestehenden Infrastrukturen.102 Die vom Regime als Notwendigkeit angesehene »nationale Aufgabe« der Beseitigung von Baracken und der Bereitstellung billigen Wohnraums im Rahmen der Sozialpolitik des Regimes wurde dementsprechend in Madrid von den staatlichen Institutionen gelenkt. In diesem Sinne wurde die Intensivierung des Wohnungsbaus im Nationalplan für den Wohnungsbau (1955–1960) gegen Mitte der 1950er Jahre ausschließlich in Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Wohnungsinstitut, dem OSH und dem COUM geplant. Von den vom COUM unter der Leitung Julián Lagunas konzipierten Typen von Wohnsiedlungen übernahm der OSH im Rahmen des Plan Sindical de la Vivienda, des Syndikatsplanes für den Wohnungsbau 1954–1955, den Bau von fünfzehn Poblados de Absorción. Diese Wohnsiedlungen sollten der Umquartierung von »in nicht bewohnbaren Häusern lebenden Menschen«103 dienen und waren vor allem als Übergangswohnräume für jene Barackenbewohner gedacht, die aufgrund der Enteignungsprozeduren ihre bisherigen Wohnräume verlieren würden.104 Die erste Phase des Bauprogramms der Poblados de Absorción umfasste 99 López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 68. 100 Der Staat erteilte der Madrider Stadtverwaltung ausschließlich Steuervergünstigungen für die eingemeindeten Munizipien aufgrund der von der Stadtverwaltung getragenen hohen Kosten des Eingliederungsvorgangs. In : Ministerio de Gobernación. Secretaría Política, Decreto de mayo de 1954 por el que se conceden al Ayuntamiento de Madrid los beneficios fiscales de las zonas de ensanche para los territorios de los términos municipales anexionados. 24.04.1954, in : AGA (09)017.002 51/19054, unpag. 101 Vgl.: López Díaz, La vivienda social en Madrid, S. 103. 102 17.000.000 de pesetas para obras en el suburbio de Madrid, in : La Casa, Nr. 2, 1956, S. 13–14. 103 Ramón López Lucio, El poblado de absorción de Fuancarral »B«, 1956, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 84–85, hier : S. 84. 104 Vgl.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 38–40.
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den Bau von acht Wohnsiedlungen mit insgesamt 5.000 Wohneinheiten105 in Villaverde, Zofio, Vista Alegre, Caño Roto, Canillas, Fuencarral A und B, und San Fermín. Der OSH als eines von neun Syndikatswerken der Gewerkschaftsorganisation,106 die die Verbindung zwischen dem Einheitssyndikat und den Arbeitern aufrechterhalten sollte,107 stand dennoch zu Beginn der 1950er Jahre unter starker innenpolitischer Kritik hinsichtlich seiner Ineffektivität und des vorherrschenden Klientelismus.108 In diesem Sinne versprach das Bauprogramm im Rahmen der Poblados de Absorción, die bisher ungünstige Wahrnehmung des Syndikatswerkes zu verbessern. Der OSH wurde demzufolge zum wichtigen Akteur im Verstädterungsprozess an den Madrider Peripherien. Der OSH baute die Wohnsiedlungen auf den vom COUM unentgeltlich zur Verfügung gestellten Grundstücken, die in den rechtskräftigen Stadtplänen als nicht zur Urbanisierung vorgesehen ausgewiesen waren (sog. Grüne Zone).109 So entstanden diese Wohnsiedlungen in einem Umkreis von drei bis neun Kilometern um das Stadtzentrum. Die Siedlungen wurden weitgehend im Bereich der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Suburbia platziert, indem die leergebliebenen Räume zwischen den Bahnlinien oder Landstraßen ausgenutzt wurden.110 Da es sich bei dem Bauvorhaben um einen kostengünstigen Wohnungsbauplan für unqualifizierte Migranten handelte, wurden diese Wohnsiedlungen mit einem niedrigen Budget gebaut und sowohl das Wohnungsdesign wie auch die verwendeten Bautechniken kostengünstig gehalten.111 Bereits im Jahre 1958, als die acht Wohnsiedlungen der ersten Phase fertig gestellt und bewohnt waren und sich weitere im Rahmen der zweiten Phase
105 Los poblados de absorción de Madrid, in : Revista Nacional de Arquitectura, Nr. 176–177, 1956, S. 45–70, hier : S. 47. 106 Dazu gehörten u.a. Obra Sindical Educación y Descanso (Gewerkschaftsverband für Bildung und Erholung), Obra Sindical de Artesanía (Gewerkschaftsverband für Kunsthandwerk), Obra Sindical »18 de Julio« (Gewerkschaftsverband »18 de Julio«) und Obra Sindical de Colonización (Gewerkschaftsverband für die Kolonisierung) In : Escuela Sindical. Nuestra Organización Sindical, Delegación Nacional de Sindicatos de FET y de las JONS, Madrid 1948, S. 41 ; Vgl.: Rodríguez Jiménez, Historia de Falange, S. 410–412. 107 La Obra Sindical del Hogar, in : Vivienda y Urbanismo, Nr. 1, 1957, S. 2–6, hier : S. 4. 108 Vgl.: Carlos Sambricio, El Plan Sindical de la Vivienda de 1955, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 59–61, hier : S. 59. 109 Poblados de Absorción – Madrid, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 3, 1956, S. 13. 110 Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 79–80. 111 Fidel Sanz, Treinta años de realizaciones de la Obra Sindical del Hogar en Madrid, in : Hogar y Arquitectura, Nr. 75, 1968, S. 3–16, hier : S. 3.
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des Syndikatsplanes im Bau befanden,112 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Stadtverwaltung in Madrid und der Provinzdelegation des Einheitssyndikats als Vorgesetzter des OSH. Dabei ging es um die Strom- und Wartungskosten der externen Straßenbeleuchtung in all diesen Wohnsiedlungen, in denen aufgrund nicht bezahlter Rechnungen über eine längere Periode die Abschaltung der Straßenbeleuchtung durch den Stromversorger drohte.113 Der OSH sah sich nicht verpflichtet, diese Kosten zu tragen. Er argumentierte, dass er ein umfassendes Wohnungsbauprogramm an den Madrider Peripherien realisierte, um die Situation der sozialschwachen Arbeiterklasse zu verbessern, und somit das Budget bereits weitgehend ausgeschöpft sei. Zudem begründete der OSH seine Entscheidung damit, dass die Zuständigkeit für die Straßenbeleuchtung – wie auch für die übrigen Infrastrukturen – bei der Stadt liege. Dabei versuchte der OSH auf die Argumente des Paternalismus zurückzugreifen, indem er diese Kosten nicht auf die sich in finanzieller Not befindenden Bewohner schieben wollte,114 während gleichzeitig die Straßenbeleuchtung aufgrund der weiten Entfernung dieser Wohnsiedlungen von anderen urbanen Zonen mehr als notwendig sei. Als Reaktion darauf weigerte sich zunächst auch die Stadtverwaltung, diese Kosten zu tragen. Das Hauptargument lautete, die Straßenbeleuchtung entspreche nicht den technischen Vorschriften der Stadtverwaltung und fehle in einigen Wohnsiedlungen sogar komplett (z.B. in Canillejas und Villaverde) ; somit könne die Verantwortung nicht von der Stadt getragen werden. Demnach bestand die Stadtverwaltung darauf, dass die Stromkosten und die Wartung nur dann von der Stadt getragen werden könnten, wenn die Installation der neuen und die Reparaturen der bereits existierenden Straßenbeleuchtung vom OSH durchgeführt würden.115 Mit diesem Argument berief sich die Stadtverwaltung auf die Rege112 Dazu gehörten die poblados in San Blas I und II, La Elipa, Comillas, Usera, San Fermín, Entrevías. Vgl.: Ebd., S. 3–4. 113 Delegación Nacional de Sindicatos de Falange Tradicionalista y de las JONS, Obra Sindical del Hogar y Arquitectura. Asunto : Problema planteado sobre el alumbrado público de los poblados de absorción de esta capital, febrero 1958, in : Ayuntamiento de Madrid. Jefatura administrativa de los Servicios Técnicos, sección de Fomento, negociado de urbanización : Expediente oficio fecha 3.2.1958 de la Obra Sindical del Hogar interesando que el Ayuntamiento se haga cargo de las instalaciones de alumbrado público de los poblados de absorción construidos por dicha Obra Sindical, Archivo de la Villa, Sig. 57-229-14, unpag. 114 Delegación Nacional de Sindicatos de Falange Tradicionalista y de las JONS, Dirigido al Exmo. Sr. Alcalde Presidente del Ayuntamiento de Madrid, 22.01.1958, in : Archivo de la Villa, Sig. 57229-14, unpag. 115 Ayuntamiento de Madrid. Secretaría General, Jefatura Administrativa de los Servicios Tecnicos,
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lung des 1956 verabschiedeten Ley del Suelo, des Bodengesetzes, laut welchem der Bauträger die komplette Urbanisierung nach den technischen Vorschriften der Stadtverwaltung zu tragen habe und die Stadt dementsprechend die zukünftige Wartung dieser Installationen zu übernehmen habe.116 Das Bodengesetz regulierte, dem Eigentumsprinzip entsprechend, weitgehend die Pflichten und Rechte der Grundbesitzer und folglich auch die Bebauungsgrundlagen und Bodenpreise. In diesem Sinne war das Bodengesetz das wichtigste Instrument der Stadtplanung,117 welche dementsprechend vom Staat reguliert und kontrolliert werden sollte. Damit wollte man zum einen die Bodenspekulation bekämpfen, zum anderen die öffentliche Realisierung zentralisieren und koordinieren.118 Die Stadtverwaltung verpflichtete sich schließlich im Januar 1959 nach längerem Schriftverkehr, die Straßenbeleuchtung zu reparieren und die Kosten der Reparatur und der Nutzung selbst zu tragen. Demzufolge forderte die Stadt den OSH in Hinblick auf die sich gerade im Bau befindenden Wohnsiedlungen auf, die Infrastrukturen in Zusammenarbeit mit der Stadt zu konzipieren und nach den technischen Vorschriften zu überprüfen, um ähnliche und nicht rechtskonforme Situationen zukünftig zu vermeiden.119 Dieser Vorfall deutet offensichtlich auf einen mangelnden Willen zur Zusammenarbeit zwischen dem OSH und der Stadtverwaltung hin, die beide trotz des schönen Scheins der Propaganda einer gemeinsamen nationalen Wohnungsbaupflicht auf die eigenen politischen Interessen fokussiert waren. Zum Teil agierten die politischen und administrativen Institutionen aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Orientierung und Funktion entgegengesetzt. Dabei war eine solche Auseinandersetzung in Madrid kein Ausnahmefall. Zwischen dem Einheitssyndikat und den Kommunen kam es in den Großstädten häufig zu gegenseitigen Schuldzuweisungen und Pflichtermahnungen : Der OSH baute Sozialwohnungen und begründete damit seine Relevanz in der nationalen Sozialpolitik ; gleichzeitig beklagte er die Weigerung seitens der Kommunen, die Be11.11.1958, Negociado de urbanización : Expediente oficio fecha 3.2.1958 de la Obra Sindical del Hogar interesando que el Ayuntamiento se haga cargo de las instalaciones de alumbrado público de los poblados de absorción construidos por dicha Obra Sindical, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-229-14, unpag. 116 Ebd. 117 Vgl.: Terán, Planeamiento urbano, S. 307–316. 118 Vgl.: La Ley de Régimen del Suelo y Ordenación Urbana, in : Boletín de la Dirección General de Arquitectura y Urbanismo, Nr. 10, 1956, S. 3–13 ; La Ley del Suelo, in : Boletín de la Dirección General de Arquitectura y Urbanismo, Nr. 10, 1956, S. 3–6. 119 Ayuntamiento de Madrid. Secretaría General, Jefatura Administrativa de los Servicios Técnicos, 11.11.1958, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-229-14, unpag.
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reitstellung von Infrastrukturen zu übernehmen. Dementgegen begründeten die Kommunen ihre Position mit fehlenden finanziellen Möglichkeiten.120 Das neue Bodengesetz sollte diese Situation entschärfen und verhindern, dass die öffentlichen Institutionen in unterschiedliche Richtungen agierten : Demnach war der Bauträger verpflichtet, die gebauten Siedlungen vollständig und gemäß der technischen Vorschriften mit Infrastrukturen auszustatten. Die Kommunen sorgten dann für Wartung und Nutzungskosten.121 Zudem setzte das Bodengesetz auch auf die Zentralisierung der Stadtplanung, sodass die Koordinierung und Zusammenarbeit aller öffentlichen Aktivitäten möglich und unterstützt werden konnte. In der Realität veränderte das Gesetz die vorher existierende Situation jedoch kaum, weil es von den staatlichen Institutionen mit dem Argument des notbedingten sozialen Wohnungsbaus immer wieder verletzt wurde. In diesem Sinne stellte das COUM die Grundstücke für den Wohnsiedlungsbau notbedingt und wider das Gesetz in den nicht zur Urbanisierung vorgesehenen grünen Zonen zur Verfügung, wie auch der OSH entgegen dem Gesetz keine Infrastruktur bereitstellte. Da propagandistisch der Staat als Triumphator dastehen sollte und die Statistiken der abgebauten Baracken und neugebauten Sozialwohnungen diesen Eindruck fördern sollten, sah sich die Stadtverwaltung in Madrid weitgehend hinter die Kulissen dieser Aktivitäten gedrängt. Die Stadt besaß keinerlei Handlungsspielraum und wenig Entscheidungsmacht in der Konkurrenz mit den staatlichen Behörden. Im Jahre 1956 kämpfte die Madrider Stadtverwaltung an den Peripherien wiederholt in infrastrukturellen Angelegenheiten gegen das Einheitssyndikat. Zu einem weiteren Vorfall kam es in Hinblick auf den öffentlichen Nahverkehr im Stadtviertel Orcasitas im südwestlichen Bezirk Usera. In Orcasitas lebten zu dieser Zeit rund 14.000 Personen, die auf dem Weg zur Arbeit täglich vier Kilometer zu Fuß laufen mussten, um den Bus stadteinwärts zu nehmen. Diese einzige Transportmöglichkeit befand sich in der vom OSH neugebauten Poblado de Absorción in San Fermín und unterlag den Kompetenzen der Verkehrsgewerkschaft Sindicato de Transporte y Comunicación. Aufgrund der ungenügenden Busverbindungen kam es oft zu der Situation, dass die Bewohner nicht nur einen langen Weg zur Bushaltestelle gehen mussten, sondern anschließend wegen Überfüllung auch nicht in den Bus steigen konnten. In dieser Situation organisierten sich die Bewohner selbstständig : Sie kontaktierten eine Besitzerin von 120 »La construcción de viviendas por la obra Sindical del Hogar«, S. 64–65. 121 Jefatura del Estado, Ley de 12 de mayo de 1956 sobre Régimen del Suelo y Ordenación Urbana, in : BOE, 14.05.1956, Nr. 135, S. 3106–3134, hier : S. 3121.
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vier Bussen, mit der sie sich auf einen täglichen Busservice direkt vom Stadtviertel Orcasitas stadteinwärts einigten. Nun wandten sie sich mit der Bitte, diesen Transportservice zu autorisieren, an die Stadtverwaltung.122 Dabei beantragten die Bewohner diesen Service nach den Vorschriften für eine öffentliche Ausschreibung der Stadtverwaltung unter der Kategorie »öffentliche Verkehrsmittel – Peripherie«. Die Stadtverwaltung begrüßte die Initiative mit der Auflage, dass das Unternehmen kein Monopolist sei und den freien Wettbewerb nicht verhindern dürfe. Demnach blieb die Stadtverwaltung berechtigt, die Autorisierung zurückzunehmen, sobald ein öffentliches Verkehrsangebot realisiert werden konnte.123 Das Projekt war im Folgenden durch die Verkehrspolizei zu prüfen und zu genehmigen sowie beim nationalen Transportsyndikat anzumelden. Das Syndikat reagierte negativ auf den Vorschlag. Es argumentierte, dass gegenwärtig ein Busservice in der Gegend existiere, der eine ähnliche Rundfahrt anbiete und für das Stadtviertel ausreichend sei. Mit Blick auf die Engpässe der Hauptverkehrszeit schlug das Syndikat vor, den existierenden Busservice zu erweitern, anstatt »unnötige Konflikte zwischen den unterschiedlichen Unternehmen zu fördern.«124 Die Stadtverwaltung betonte demgegenüber, man habe dem privaten Anbieter kein Ausschließlichkeitsrecht eingeräumt. Zudem sei dieses Angebot zugunsten der Bewohner gedacht, auch wenn eine zweite Buslinie vorhanden sei.125 Das Syndikat gab jedoch nicht nach und argumentierte folgendermaßen : Den Bewohnern Verkehrsmöglichkeiten bereitzustellen sei auch der Wunsch des Syndikats, was jedoch nicht mit Nachteilen für die existierenden Unternehmen verbunden werden solle. Dieses existierende Busunternehmen habe den Bewohnern den Transport in der Zeit ermöglicht, als kein privates Unternehmen einen solchen Dienst anbieten wollte. Wüchsen die Siedlungen an den Peripherien rasch, dann tauchten dubiose private Unternehmer auf, die sich in diesen Gegenden große Verdienste erhofften. Zu vermuten sei, so das Syndikat, dass die Antrag122 Ayuntamiento de Madrid. Jefatura administrativa de los Servicios Técnicos. Sección Fomento, Expediente : Oficio fecha 28.03.1956 de la Empresa Municipal de Transporte remitiendo solicitud de D. Josefa Santos Fandino intreresándose le autorice para establecer una línea particular de autobuses entre la Glorieta de la Beata Ana María de Jesús y el Barrio de Orcasitas, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-266-24, unpag. 123 Ayuntamiento de Madrid. Secretaría General. Jefatura Administrativa de los Servicios Técnicos, Madrid 23.05.1956, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-266-24, unpag. 124 El Jefe del Siyndicato al Sr. Alcalde Presidente del Ayuntamiento de Madrid, Madrid, 18.06.1956, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-266-24, unpag. 125 Ayuntamiento de Madrid. Secretaría General. Jefatura Administrativa de los Servicios Técnicos, 27.08.1956, Madrid 28.12.1956, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-266-24, unpag.
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stellerin im vorliegenden Fall nicht einmal selbst Busse besitze, sondern diese für das Geschäft mieten werde. Dies sei eine rein ökonomische Spekulation, die zu bekämpfen sei. Somit wurde der Antrag als »gänzlich abgelehnt« eingestuft.126 Der hier skizzierte Streitfall veranschaulicht erneut, welch unterschiedliche Interessen die öffentlichen Institutionen verfolgten und wie der daraus entstehende Konflikt die Situation an den Peripherien beeinflusste. Die Stadtverwaltung argumentierte zugunsten der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Anbieter, weil sie aufgrund ihrer finanziellen Lage keine zusätzlichen öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stellen konnte. Somit war die Zusammenarbeit zwischen der Kommune und den Bewohnern, die für ihre Versorgung selbst Sorge trugen, eine für die Stadt wesentlich kostengünstigere Lösung. Das Syndikat argumentierte hiergegen jedoch mit politischen Ansprüchen, unter welchen das Argument eines Kampfes gegen die Auswüchse eines marktorientierten Systems das bedeutsamste war. Die Syndikatsorganisation setzte somit auf eine staatliche Monopolisierung und Exklusivität der Dienste, die ausschließlich den Mitgliedern der Gewerkschaftsorganisation erlaubt werden sollten. Während das Einheitssyndikat ein wichtiger Bestandteil der politischen Struktur des Regimes war, hatte die Stadtverwaltung kaum Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten, worauf beide Konflikte deutlich hinweisen. Beide Madrider Vorkommnisse veranschaulichen zudem auch die Stellung der staatlichen Behörden gegenüber der Stadtplanung. Diese spielte zunächst zumindest in der Praxis keine Rolle, wenn auch theoretisch die Bedeutung der zentralisierten Stadtplanung betont wurde. Priorität hatte für die öffentlichen Institutionen ausschließlich der Wohnungsbau, an dem alle Akteure interessiert waren und durch den diverse Interessen zur Schau gestellt werden konnten. Entscheidend dabei ist, dass die Konflikte auf politischer Ebene in Hinblick auf die Urbanisierung einen wesentlichen Einfluss auf die Erfahrungspraxis und die Wahrnehmung der Stadtperipherien hatten. 3.3 Barcelona als Raum »gesellschaftlicher Partizipation«. Zwischen dem politischen Anspruch der Stadtverwaltung und den praktischen Ansätzen der katholischen Soziologen Die sozialen Unruhen und die ständig zunehmende Regimekritik machten eine Reform der Wirtschaftspolitik in Spanien immer dringlicher. Die Preisschwan126 Sindicato Provincial de Transportes y Comunicaciones, al Alcalde del Ayuntamiento de Madrid, 13.07.1957, in : Archivo de la Villa, Sig. 57-266-24, unpag.
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kungen, der Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Ausweitung der Unternehmergewinne wurden als Folgen des Autarkiemodells der Falangisten und darüber hinaus als Auslöser der sozialen Unzufriedenheit und Proteste angesehen, die in den 1950er Jahren wiederholt in den Großstädten ausbrachen.127 Infolge dessen kam es 1957 zum Regierungswechsel und zur Neubesetzung von nicht weniger als 12 der insgesamt 18 Ministerposten. Die nationalkatholische Fraktion, darunter in besonderem Maße die Falangisten, verlor an Einfluss. Die wirtschaftspolitischen Ministerien wurden von den Technokraten besetzt, die der ultrakatholischen Organisation Opus Dei angehörten und eine westlich orientierte Wirtschaftspolitik mit autoritativen innenpolitischen Ansätzen verbanden.128 Sie versuchten, die politische Rhetorik der Falange durch wirtschaftlichen Pragmatismus und Wissenschaft zu ersetzen. Infolge diverser Reformen kam es u.a. zur Reorganisation des Verwaltungsapparats auf staatlicher und kommunaler Ebene. Die neue Wohnungspolitik des Regimes basierte jetzt darauf, die privaten Bauunternehmen durch eine verstärkte staatliche finanzielle Unterstützung in den sozialen Wohnungsbau miteinzubeziehen. Die Folgen einer solchen Politik ließen sich innerhalb kurzer Zeit beobachten : In der Hauptstadt ging die öffentliche Bauaktivität in den 1960er Jahren stark zurück. Das Bauvolumen sank von 65.000 Wohnungen in den 1950er Jahren auf etwa 20.000 Wohnungen in den gesamten 1960er Jahren.129 Der Privatsektor baute dagegen zwischen 1962 und 1972 fast 282.000 Wohnungen mit öffentlicher Förderung,130 während in den 1950er Jahren nur um die 70.000 Wohnungen auf diese Weise entstanden waren.131 In Barcelona bestritt der Privatsektor laut offiziellen Angaben bereits um die Mitte der 1960er Jahre mehr als 86 Prozent des gesamten Wohnungsangebots, während die öffentlichen Organe die restlichen 13 Prozent abdeckten.132 127 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 109–111. 128 Siehe u.a.: Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 112 ; Sánchez Recio, Católicos y tecnócratas, S. 229 ; Tusell, Spain, S. 136–159 ; Stanley G. Payne, Spanish Catholicism. An Historical Overview, Madison 1984, S. 189–191 ; José V. Casanova, The Opus Dei ethic, the technocrats and the modernization of Spain, in : Social Science Information, Nr. 22, 1983, S. 27–50. 129 Zum Vergleich : Allein die Zahl der gebauten Wohnungen im Rahmen des Bauprogramms Poblados Dirigidos betrug Ende der 1950er Jahre 22.000 und überstieg somit die Zahl der insgesamt in den 1960er Jahren gebauten Wohnungen. In : María Teresa Muñoz, Contrapunto : La vivienda en Madrid, 1960–1975, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 128–151, hier : S. 128. 130 Valenzuela, Iniciativa oficial, S. 624. 131 Fernando Roch, El sector privado y la construcción de viviendas sociales, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 170–173, hier : S. 173. 132 Briefwechsel : A Porcioles por parte de Vicente Martorell (Delegación Provincial del Ministerio
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Eine Blütezeit erlebte in den 1960er Jahren auch der kooperative Wohnungsbau.133 Während sich jedoch in der Hauptstadt vor allem Berufsgruppen und Beamte selbstständig in Genossenschaften zusammenschlossen, um in Eigenregie Wohnungen zu bauen, wurde diese Bewegung in Barcelona stark von der Stadtverwaltung gelenkt. Der im Jahre 1957 neu eingesetzte Bürgermeister Josep Maria de Porcioles i Colomer (1957–1973) plädierte für eine breite gesellschaftliche Partizipation am Wohnungsbau und an der Stadtentwicklung. Er rief dazu auf, den Wohnungsbau »den Betroffenen selbst« im Rahmen privater Baugenossenschaften zu überlassen. Dies sollte vom Städtischen Wohnungsinstitut, das seit 1956 wieder seinen ursprünglichen Namen Patronat de l’Habitació (Wohnungspatronat) tragen durfte,134 gelenkt und koordiniert werden. Somit stieg das Wohnungspatronat zu einem der wichtigsten Akteure im Prozess der Stadtentwicklung auf.135 Das erste Bauprojekt der Stadtverwaltung, die Siedlung Montbau, wurde somit nicht nur das Prestigewerk des neu eingerichteten Wohnungspatronats, in welcher die Tradition der katalanischen Baugenossenschaften wieder aufgegriffen werden sollte, sondern auch ein Pilotprojekt für eine Siedlung, in welcher auf Basis soziologischer Überlegungen ein optimaler Raum geschaffen werden sollte, in dem die Bewohner zu einer »urbanen und somit demokratischen Gemeinschaft« herangebildet werden sollten. 3.3.1 Die Stadtverwaltung und das Wohnungspatronat in Barcelona als Träger der Idee der bürgerlichen Beteiligung an Urbanisierungsprozessen
Die Regierungsumbildung im Jahre 1957 führte auf staatlicher Ebene zur Bildung des Ministerio de la Vivienda, des Wohnungsministeriums. Das Ministerium zentralisierte die Aktivitäten aller bisherigen Institutionen im Bereich der Wohnungs-, Urbanisierungs- sowie Sozial- und Migrationspolitik136 und übernahm die Leitung der städtebaulichen Angelegenheiten, die Beaufsichtide la Vivienda), 18.02.1964, in : ANC, Sig. 1-365 ( Josep Maria de Porcioles), unitat 3556, caixa 581, Urbanismo. Deleg. Serv. 1963, unpag. 133 Vázquez Fraile, El cooperativismo madrileño. S. 184–186. 134 De les cases barates als grans polígons, S. 34. 135 Vgl.: La Misión del Municipio en la construcción de viviendas, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 1, 1962, S. 15. 136 Siehe u.a.: Jefatura del Estado, Decreto-Ley de 25 de febrero de 1957 sobre reorganización de la Administración Central del Estado, BOE, 26.02.1957, Nr. 57, S. 1233 ; El porqué del Ministerio de la Vivienda, in : Vivienda y Urbanismo, Nr. 1, 1957, S. 2–3 ; Toma de posesión de los mandos del Ministerio de la Vivienda, in : Vivienda y Urbanismo, Nr. 1, 1957, S. 8–12 ; Bidagor Lasarte, Situación General del Urbanismo en España, S. 36.
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gung und Kontrolle der Lokalregierungen in diesem Bereich sowie die definitive Genehmigung der Flächennutzungspläne.137 Im Zentrum des politischen Interesses stand jetzt unter dem Zeichen der Modernisierung die Bewältigung der Wohnungsnot durch bessere Koordinierung des Bauwesens, durch effiziente Zusammenarbeit der öffentlichen Institutionen, um die Migration effektiv zu kontrollieren, sowie durch starke Einbeziehung des privaten Sektors. Dennoch sollte der Pragmatismus der Technokraten das bisherige Versprechen der sozialen Gerechtigkeit und des Kampfes gegen Armut nicht ersetzen. Vielmehr ging es darum, den sozialpolitischen Diskurs der Falangisten und die neue westlich-liberale Wirtschaftsordnung in Einklang zu bringen. Dieses Bestreben sollte offenbar zunächst der neue Wohnungsminister, der bisherige Generalsekretär des Movimiento Nacional, José Luis de Arrese (1957–1960), verkörpern, dessen Ernennung eine Art Kompensierung des Machtverlusts der Falange in der Wirtschafts- und Finanzpolitik darstellen sollte.138 In einer öffentlichen Rede betonte Arrese zwar, dass das Ministerium sozialorientiert und »die Würde der Menschen und der Familie eine Hauptaufgabe der Stadtplanung«139 sei, jedoch bestand seiner Auffassung nach die Aufgabe des Ministeriums nicht darin, selbst Wohnungen zu bauen, sondern den Wohnungsbau durch die Bereitstellung einer Anreizstruktur voranzutreiben.140 Konfrontiert mit einem stark begrenzten Budget und dem ständigen Kampf um Gelder, die in erster Linie im Sinne der breit angelegten Wirtschaftsreformen und für die Industrialisierung des Landes ausgegeben werden sollten,141 plädierte Arrese dafür, vor allem die privaten Bauträger zur wichtigsten Säule der Wohnungspolitik zu machen : Die Aufgabe des Ministeriums ist es, den Wohnungsbau zu unterstützen. Und diese Aufgabe muss auf dem Weg der Attraktivität des Geschäfts erfüllt werden. Denn nur 137 Vgl.: Terán, Planeamiento urbano, S. 317–318. 138 Ebd., S. 319. 139 Conferencia pronunciada en la III Asamblea Nacional de Delegados Provinciales del Ministerio, 19.12.1958, in : Arrese, Treinta años, S. 1248–1283, hier : S. 1249. 140 Declaraciones al periodista Rodrigo Royo para su semanario »SP«, publicadas el 12 de mayo de 1957, in : Arrese, Treinta años, S. 1201–1206, hier : S. 1205. 141 Aufgrund der finanziellen Auseinandersetzungen und weil José Luis Arrese seine soziale Wohnungspolitik im Sinne der Falange unter den bestehenden politischen Rahmenbedingungen nicht umsetzen konnte, trat er 1960 freiwillig zurück. Sein Nachfolger war José María Martínez y Sánchez-Arjona (1960–1969), der zwar auch der Falange angehörte, jedoch eine stärkere Bereitschaft zeigte, seine Politik den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen anzupassen. In : Terán, Planeamiento urbano, S. 363–365.
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durch ein Geschäft können wir erwarten, dass sich die private Initiative mit Freude und Beharrlichkeit für die Aufgabe des Bauens engagiert.142
In diesem Sinne betonte Arrese, dass der Wohnungsbau für die privaten Bauunternehmen in erster Linie ein ökonomisches Unterfangen sei und der Staat aus solchen Unternehmen auch keine Wohltätigkeitsinstitutionen machen wolle : »Der Wohnungsbau soll vor allem ein Geschäft sein ; ein gerechtes, limitiertes und sauberes Geschäft, dennoch ein Geschäft.«143 Den Spagat zwischen der sozialpolitischen Rhetorik der Falange und den wirtschaftspolitischen Ansprüchen der Technokraten spiegelten dabei zwei politische Arbeitslemmata des neuen Wohnungsministeriums wider : »Kein Haus ohne Licht, kein Spanier ohne Zuhause«,144 wenn es auch gleichzeitig galt, »Spanien nicht als Land der Proletarier, sondern als ein Land der Eigentümer« zu konstruieren.145 So plädierte Arrese dafür, die bisherige Politik der Mietwohnungen vollständig durch eine der Eigentumswohnungen zu ersetzen. Die vorherige soziale Revolution der Falangisten wurde jetzt zu dem Anspruch, »den Menschen in Spanien eine soziale Revolution des Wohlstands«146 zu bieten. Die Stadtverwaltung in Barcelona beteiligte sich an der staatlichen Sozialbaupolitik mit dem Programm des Plan de Urgencia Social, dem sogenannten Sozialen Notplan, mit welchem das Wohnungsministerium bereits in seinem Gründungsjahr die neue staatliche Sozialpolitik umzusetzen begann. Allein in Barcelona sollten innerhalb von sechs Jahren 35.000 Billigwohnungen gebaut werden. Dies sollte zum Teil das Wohnungsdefizit innerhalb der Stadt beseitigen, das im Jahre 1957 auf rund 60.000 beziffert wurde.147 Diese Aufgaben 142 »Al Ministerio, por tanto, le corresponde esencialmente el papel de fomentar la construcción, papel que ciertamente ha de ser llevado a cabo por la vía atractiva del negocio, porque sólo a través del negocio podemos pretender que el particular se implique con ilusión y perseverancia en la tarea de construir«, in : Discurso pronunciado en la toma de posesión del nuevo Director General de la Vivienda, in : Arrese, Treinta años, S. 1243–1247, hier : S. 1243. 143 »La construcción tiene que ser, ante todo, eso : un negocio ; un negocio justo, limitado y limpio, pero negocio«, in : Balance de un primer año, in : Arrese, Treinta años, S. 1213–1216, hier : S. 1215. 144 Constitución del Ministerio de la Vivienda, in : Arrese, Treinta años, S. 1188–1197, hier : S. 1197. 145 Declaraciones al periodista Rodrigo Royo para su semanario »SP«, publicadas el 12 de mayo de 1957, in : Arrese, Treinta años, S. 1205. 146 Discurso ante el Caudillo en la inauguración del edificio ministerial, 18.07.1959, in : Arrese, Treinta años, S. 1302–1309, hier : S. 1309. 147 Ayuntamiento de Barcelona, La vivienda en Barcelona. Exposicion 15–27 octubre, Barcelona 1957, unpag.; Comisión de Urbanismo de Barcelona, Plan de Urgencia Social de Barcelona. Estudio de las necesidades y posibilidades de la vivienda en Barcelona, Barcelona 1958, S. 39 ; El 21
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sollten vor allem die privaten Bauunternehmen übernehmen, die von den neuen staatlichen Vergünstigungen im Rahmen der sog. viviendas subvencionadas profitieren sollten.148 In Barcelona beteiligte sich dennoch auch die Stadtverwaltung am Bauprogramm der viviendas subvencionadas, was das unterfinanzierte Budget der Stadt stark belastete.149 Deshalb zielte man darauf ab, dass die Wohnungssuchenden mit Hilfe des staatlichen Bauprogramms eigenständig Bauprojekte in Angriff nahmen : »Es ist notwendig, die Bildung von Baugenossenschaften zu fördern, die durch die Kraft der Zusammenarbeit den eigenen Mitgliedern die Lösung des persönlichen Problems ermöglichen«,150 hieß es in einer Rede des neuen Bürgermeisters Josep Maria de Porcioles. Porcioles versprach die institutionelle Rückkehr zu den Wohnungsbaugenossenschaften in Barcelona, die in Katalonien in der Zeit der Republik ihre Blütezeit erlebt hatten, nach dem Bürgerkrieg als »Spekulationsobjekte« verboten worden waren und vorwiegend in den Bauinitiativen der Katholischen Aktion als wohltätige Organisationen überlebt hatten.151 Die Forderung nach kollektiver Eigeninitiative der Bürger zur Verbesserung der eigenen Situation, also nach Partizipation zum Zweck der Selbsthilfe, hatte Porcioles bereits während seiner Arbeit im Patronat der »Wohnungen des Euchade abril nació el Plan de Urgencia Social, in : Cataluña. Suplemento de »Solidaridad Nacional«, Nr. 10, 1958, S. 4 ; El Plan de Urgencia Social de Barcelona, en pleno desarrollo, in : Cataluña. Suplemento de »Solidaridad Nacional«, Nr. 12, 1959, S. 16–17. 148 Discurso del Excmo. Sr. Don José Luis de Arrese, Ministro de la Vivienda, ante el Pleno de las Cortes Españolas (6 de noviembre de 1957), in : Plan de Urgencia Social, hg. v. Ministerio de la Vivienda, Madrid 1958, S. 31 ; Ministerio de la Vivienda, Orden de 3 de diciembre de 1957 por la que se dan normas sobre »Viviendas Subvencionadas«, in : BOE, 11.12.1957, Nr. 309, S. 1263–1264 ; Ministerio de la Vivienda, Decreto de 21 de marzo de 1958 por el que se adaptan a Barcelona las disposiciones que rigen el Plan de Urgencia Social de Madrid, in : BOE, 1.04.1958, Nr. 78, S. 591–592. Vgl.: Moya González, Barrios de Promoción Oficial, S. 37–38 ; Carlos Sambricio, El Plan de Urgencia Social, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 77–80. 149 Vgl.: Eduardo Ferri Ruiz, Orientació Catòlica i Professional del Dependent : una institució per a les necessitats del traballador, in : Actes del Congrés : La Transició de la dictadura franquista a la democràcia. Barcelona 20, 21 i 22 d’octubre de 2005, hg. v. Centre d’Estudis sobre les Èpoques Franquista i Democràtica – Universitat Autònoma de Barcelona, Barcelona 2005, S. 289–296, hier : S. 293. 150 »Debe estimularse la creación de cooperativas de viviendas, que con la fuerza de la unión posibiliten a sus asociados la solución de su problema personal«, in : Aplicación del Plan de Urgencia Social de Barcelona, in : José M. de Porcioles y Colomer, Palabras a la ciudad, Barcelona 1962, Bd. 1, S. 78. 151 Vgl.: Albert Pérez i Baró, Les Cooperatives a Catalunya, Barcelona 1972 ; Josep Castaño, El cooperativisme d’Habitatges a Catalunya, in : Cooperativisme d’Habitatges a Europa, hg. v. Institut per a la Promoció i la Formació Cooperatives, Barcelona 1989, S.42–46.
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ristischen Kongresses« entwickelt. Zu diesem Projekt der Asociación Católica de Dirigentes war er als Sekretär der Notarkammer in Barcelona gelangt. Im Patronat der Kongresswohnungen war Porcioles insbesondere für die Festlegung der Grundsatzkriterien und Finanzstrukturen zuständig gewesen. Bei finanziellen Engpässen im Patronat hatte er stets für eine aktive Beteiligung aller am Projekt optiert, auch der Benefiziaten selbst – im Gegensatz zu den Mitgliedern der Katholischen Aktion der älteren Generationen, die im traditionellen und karitativen Sinne der katholischen Kirche ausschließlich die Wohlhabenden hatten belangen wollen.152 Durch seine Tätigkeit im Patronat war Porcioles mit den wichtigsten katalanischen Großunternehmern und Finanzpotentaten in Kontakt gekommen. Auf diese Weise beteiligte er sich an den Bemühungen des katalanischen Bürgertums, dessen Führungspositionen im Zentralstaat durch das Projekt der Kongresswohnungen zu stärken. Aus der Überzeugung heraus, dass die Stadt im politischen Leben einer Nation nur die unterste Stufe darstelle,153 versuchte er, als er dann zum Bürgermeister Barcelonas ernannt worden war, dieses Anliegen einer Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bürgertum aus der Stadtverwaltung heraus zu forcieren. Die engen Beziehungen zwischen der Stadt und den katalanischen Großunternehmen, die Porcioles’ Auffassung nach nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale und moralische Funktion in der Gesellschaft zu erfüllen hatten, sollten vor allem durch deren Beitrag zur Stadtentwicklung und insbesondere zum Wohnungsbau geschaffen werden.154 Durch das soziale und kulturelle Engagement der Großunternehmen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, des Verkehrswesens und der kulturellen Aktivitäten suchte Porcioles eine neue Form der Partizipation des katalanischen Bürgertums im Franco-Staat zu etablieren, ohne regional-autonome Ansprüche zu erheben.155 152 Vgl.: Checa Artasu, »El Patronato de las Viviendas del Congreso«, S. 95–98 ; José María de Porcioles, Mis Memorias, Barcelona 1994, S. 64–65. 153 Relación entre Barcelona y su mundo empresarial, in : José M. de Porcioles y Colomer, Palabras a la ciudad, Barcelona 1962, Bd. 1, S. 137. 154 Ebd., S. 138. 155 Josep Maria de Porcioles hatte aufgrund seiner Mitwirkung in der konservativ-katalanischen Partei »Lliga Regionalista« in den 1930er Jahren im zentralisierten Franco-Staat eine umstrittene Vergangenheit, wurde jedoch durch die Protektion des neuen Regierungschefs Laureano López Rodó und des Admirals Luis Carrero Blanco in Madrid als vertrauenswürdiger Politiker angesehen. In der Region gehörte jedoch der Zivilgouverneur Felipe Acedo Colunga zu seinen größten politischen Gegnern, der bereits früh erkannt hatte, dass Porcioles mit seiner enormen Ambition und starken Unterstützung in der Staatsregierung eine Gefahr für Colungas Position als Zivilgouverneur darstellte, dem der Bürgermeister im Normalfall rechtlich unterlegen war. Der aus
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Diese durch den Bürgermeister forcierte Neuausrichtung »einer aktiven Partizi pation aller an der Stadtentwicklung« sollte in erster Linie durch das Wohnungspatronat gelenkt und koordiniert werden. Die neu festgelegte Wirkungsrichtung des Wohnungspatronats156 war zum einen auf die endgültige Beseitigung der Baracken in der Stadt ausgerichtet, zum anderen sollte die bisherige, auf Mietwohnungen fokussierte Politik durch eine auf Eigentumswohnungen ausgerichtete Politik ersetzt werden. Die neugebauten Wohnungen sollten mit langfristigen Krediten und zu an den Realkosten orientierten Preisen (und nicht, wie bisher, zu durch das Nationale Wohnungsinstitut politisch festgelegten Preisen) bezahlt werden.157 War bisher das Einbeziehen privater Institutionen in die Tätigkeit des Patronats ausgeschlossen worden, ging es jetzt besonders darum, zahlreiche Kontakte im Bankwesen zu knüpfen und auf diese Weise die Finanzierung neuer Sozialbauprojekte zu sichern.158 Beim Wohnungsbau setzte das Patronat insbesondere auf einen Zusammenschluss mehrerer privater Bauunternehmen. Man begründete dies mit den Schwierigkeiten, mit denen ein einzelner Bauunternehmer in Hinblick auf den zur Bebauung vorgesehenen Boden konfrontiert würde. Unter diesen Umständen wurde es als notwendig angesehen, dass sich mehrere Baufirmen vornehmlich in Form von Baugenossenschaften zusammenschlössen, um auf diese Weise von Erleichterungen bei der Beschaffung von Grundstücken Palma de Mallorca stammende Acedo Colunga versuchte, Porcioles wegen seines »Katalanismus« zu diskriminieren. Dabei strebte Acedo ebenfalls eine Erneuerung im kommunalen Verwaltungsapparat zugunsten des katalanischen Bürgertums an, forcierte jedoch die Kandidatur des ebenfalls aus Palma de Mallorca stammenden Finanzpotentaten der alten »Lliga Regionalista«, Fèlix Escalas i Chamení. Dennoch erwies sich die Unterstützung für die Kandidatur Porcioles’ durch den jungen Minister Laureano López Rodó als effektiv gegenüber Acedo Colunga, der unter den neuen politischen Umständen eher den Ruf eines konservativen Politikers mit repressiven Methoden hatte. Der Historiker Martí Marín argumentiert dennoch, dass Porcioles gerade durch den Übergang von den religiös-konservativen katalanischen Kreisen hin zum Engagement in der Falange-Partei nach dem Bürgerkrieg seine politischen Ambitionen und seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellte. Zu den Debatten um die Person des Bürgermeisters sowie zu seinem kulturellen, jedoch nicht politischen Katalanismus siehe vor allem : Martí Marín i Corbera, Catalanisme, clientelisme i franquisme. Josep Maria de Porcioles, Barcelona 2000, S. 56–57 ; Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 284. 156 Bereits zu Beginn seiner Amtszeit berief Porcioles den einer adeligen Familie entstammenden Rechtsanwalt und Großunternehmer Santiago de Cruylles, der in den 1930er Jahren, wie Porcioles selbst, in der »Lliga Regionalista« gewirkt hatte, zum Präsidenten des Wohnungsrates. Siehe u.a.: Salvador Paniker, Conversaciones en Cataluña, Barcelona 1966 ; Ignasi Riera, Els Catalans de Franco, Barcelona 1998, S. 359. 157 Porcioles, Mis Memorias, S. 162. 158 Ebd., S. 162–163.
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und Baumaterial zu profitieren sowie durch die gemeinsame Einstellung von Arbeitskräften wesentliche Synergieeffekte zu erzielen. Daher unterstützte das Wohnungspatronat die Bildung von Baugenossenschaften und deren Engagement im Wohnungsbau massiv. Dabei wurde die Rolle des Wohnungspatronats als leitend betrachtet, das nun diese kleinen Baugenossenschaften zusammenführen, koordinieren, gemeinsam finanzieren und beraten würde.159 3.3.2 Zum Verhältnis von Urbanisierung und Soziologie : Die Siedlung Montbau in Barcelona (1. Phase) als Stadt der Berufsgenossenschaften
Die neue urbanisierungspolitische Ausrichtung des Wohnungspatronats sollte nun im Rahmen des staatlichen Sozialbauprogramms160 im ersten großen Siedlungsprojekt Montbau umgesetzt werden. Das Wohnungspatronat war hierbei der Bauträger. Bereits im Jahre 1957 verabschiedete es den Flächennutzungsplan und entschied über den Siedlungsbau in zwei Phasen (erste Phase 1961–1963 ; zweite Phase 1964–1968). Die Siedlung entstand auf einem von der Stadtverwaltung enteigneten, weitgehend noch unbebauten 30 Hektar großen Stück Agrarland im nordöstlichen Stadtteil Barcelonas (im heutigen Stadtviertel Horta-Guinardó) am Fuße des Berges Tibidabo. Während der ersten Bauphase, die den südöstlichen Sektor der Siedlung umfasste, sollten rund 1.500 Wohnungen von diversen, meist katholischen Berufsbaugenossenschaften161 gebaut werden, an welche das Patronat die für den Wohnungsbau benötigten Grundstücke weiterverkaufte. Indem die gebauten Wohnungen für die Mitglieder der beteiligten Baugenossenschaften bestimmt waren, war Montbau als Stadt der Arbeiter (ciudad de productores)162 konzipiert, in welcher die Bewohner unter der Leitung des 159 José María Martínez-Marí, La iniciativa privada y la construcción de la vivienda del Suburbio, in : Semana del Suburbio. Los Suburbios 1957. Compendio de las ponencias y coloquios desarollados durante la »Semana«, Barcelona 1957, S. 54–58, hier : S. 58. 160 Im Rahmen des Plan de Urgencia Social de Barcelona, des Sozialen Notplans für Barcelona, wurden mehrere Großbausiedlungen konzipiert, von denen einige von privaten Baugenossenschaften gebaut wurden. Siehe Comisión de Urbanismo de Barcelona, Plan de Urgencia Social de Barcelona. Urbanismo pro Vivienda, Barcelona 1958. 161 Dazu gehörten folgende Baugenossenschaften : Cooperativa Benéfica de la Guardia Urbana, Cooperativa Nuestra Señora de la Esperanza de los Funcionarios Municipales, Cooperativa Graciense de Viviendas, Cooperativa La Puntual, Congregación Mariana Nuestra Señora de la Estrada, Cooperativa Barcelonesa de Viviendas, Cooperativa de Funcionarios del Instituto Nacional de Previsión, sowie das Patronato de Casas Militares, in : Carlota Giménez i Compte, Montbau. 50 anys. Un barri de Collserola, Barcelona 2011, S. 72–75. 162 »Patronato Municipal de la Vivienda«. Proyecto de viviendas de renta limitada »subvencionadas«
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Wohnungspatronats an der Gestaltung ihrer eigenen Siedlung aktiv partizipieren und gleichzeitig sozial gefördert werden sollten.163 Dabei war die gesamte Siedlung als eine Einheit gedacht, die im materiellen Raum und in der sozialen Zusammenstellung eine »geordnete Vielfalt«164 darstellen würde. Die Konzeption und Realisierung der Siedlung war in erster Linie auf den Kontakt zwischen dem Rechtsanwalt und Ratssekretär im Wohnungspatronat José María Martínez-Marí, den Josep Maria de Porcioles 1957 zum Leiter des Wohnungspatronats ernannte,165 und dem Soziologen Jaume Nualart i Maymí sowie auf das soziale Umfeld beider Männer zurückzuführen. Beide wirkten aktiv im Kreis der katholischen Soziologen um den Jesuiten Rogelio Duocastella i Rosell am Centro de Estudios de Sociología Aplicada (C.E.S.A.), dem Studienzentrum für Angewandte Soziologie.166 Rogelio Duocastella wirkte zunächst als bischöflicher Delegat im Secretariado Nacional de Caridad (Nationales Sekretariat der Wohltätigkeit), das 1942 als eine karitative Institution innerhalb der katholischen Kirche entstanden war. Die Tätigkeit des Secretariado, später Caritas genannt, beschränkte sich zunächst auf die von der Kirche durchgeführte Mission der Re-Christianisierung der neuen Siedlungen an den Peripherien, bei der es vor allem um die religiöse Bildung unter den weitgehend säkularisierten Arbeitern ging. Seit Beginn der 1950er Jahre wurde die Caritas zudem beauftragt, mit Hilfe der Pfarrgemeinden die finanzielle und materielle amerikanische Unterstützung in Form von Sozialhilfe (z.B. Ausgabe von Milch an die Kinder) unter den Bewohnern der Stadtperipherie zu verteilen.167 Daraufhin gründete Duocastella im Jahre 1955 ein der spanischen Caritas untergeordnetes Studienzentrum.168 a construir en el polígono de Monbau, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de L’Habitatge, Expedients i Projectes, Sig. 65896-166, Bl. 1. 163 Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Los Centros Sociales del Patronato, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., unpag. 164 José María Martínez-Mari, Sociología y urbanismo, in : La gestión urbanística. Primer Congreso Nacional de Urbanismo. Barcelona 1959, hg. v. Ministerio de la Vivienda, Madrid 1962, S. 132–141, hier : S. 136. 165 José María Martínez-Marí Ódena, Memorias autorizadas, Barcelona 2004, S. 108, online verfügbar unter http://www.laroca.cat/arxiumemoria/obres/9-23/9-23.pdf (letzter Zugriff 23.04.2019). 166 Ebd. 167 Vgl.: José Sánchez Jiménez, Cáritas Española, 1942–1997. Acción Social y compromiso cristiano, Madrid 1998, S. 31–109 ; José Sánchez Jiménez, 50 años de acción social. Cáritas Española (1947–1997), Madrid 1997, S. 19–49 ; Antonio Gutiérrez Resa, Cáritas Española en la sociedad del bienestar 1942–1990, Barcelona 1993, S. 128. 168 Rogelio Duocastella, ¿Se debe cortar la inmigración ? In : Ecclesia, Nr. 867, 1958, S. 204–205, hier : S. 204.
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Das Studienzentrum war ein kirchliches Institut zur soziologischen Forschung im Bereich der Migration, der Wohnungsfragen und der religiösen Praxis unter den Migranten. Die Entstehung der katholischen Soziologie ist im Kontext des Sozialkatholizismus und dessen Einfluss auf intellektuelle Kreise seit Ende des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Während sich die katholische Soziologie anfangs noch vorwiegend auf soziale und bevölkerungspolitische Fragen konzentriert hatte, wurden die Forschungen seit den 1950er Jahren zunehmend zur Lösung konkreter kirchenpolitischer und struktureller Probleme herangezogen. Durch die praxisorientierten Studien ergab sich für die Kirche eine Möglichkeit, wichtige Grundlagen für Kirchenreformen zu erarbeiten, die die Probleme im Bereich des religiösen Verhaltens – etwa die als zu gering erachtete Besuchsfrequenz bei Gottesdiensten – sowie Mängel in den Pfarrgemeinden beheben sollten.169 In diesem Zusammenhang organisierte Duocastella im Auftrag von Bischof Gregorio Modrego Casaus, der sich im Rahmen des Patronats Viviendas del Congreso Eucarístico bereits für die Schaffung von Wohnraum eingesetzt hatte, im Jahre 1957 die sog. »Woche der Suburbia«, um die Ergebnisse der seit Jahren durchgeführten Untersuchungen an den Peripherien der Stadt über die religiöse Praxis sowie die Lebensbedingungen der Peripheriebewohner auszuwerten. Der unmittelbare Anlass dazu waren die neuesten Zuwanderungszahlen : Allein im Jahr 1955 kamen 30.000 Migranten nach Barcelona.170 Infolgedessen debattierten die katholischen Soziologen aus dem Umfeld des Studienzentrums für Angewandte Soziologie eine Woche lang gemeinsam mit Vertretern öffentlicher und religiöser Institutionen, Architekten, Journalisten und Ökonomen über die Land-Stadt-Migrationen und die Lebenssituation an den Peripherien der Stadt.171 Zwar war das Ziel dieser Diskussionen, gemeinsam konkrete Lösungen für das Problem des beschleunigten Stadtwachstums und der damit verbundenen Wohnungsnot in der Stadtperipherie zu finden,172 gleichzeitig kreisten die Debatten jedoch um die Frage nach Grenzen und Charakteristika der alten und der neuen Stadt.
169 Maria Nuphaus, Soziologie in Spanien (1939–1956). Zur »vergessenen« Geschichte ihrer Institutionalisierung im frühen Franquismus, in : Jahrbuch für Soziologie 1992, Opladen 1994, S. 7–50, hier : S. 22–24. 170 Aurelio Joaniquet, Influencia de la estructura económica de España en los movimientos migratorios internos, in : Semana del Suburbio, S. 19–32, hier : S. 21. 171 Die Dokumentation aller Beiträge siehe : Semana del Suburbio, Barcelona 1957. 172 Ecclesia, Nr. 820, 1957, S. 15.
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Nach einem umfassenden Vortrags- und Diskussionsprogramm hoben die Diskutanten hervor, dass Barcelona offensichtlich aus zwei unterschiedlichen Städten bestehe : aus einer bürgerlichen, traditionsreichen, religiösen, fortschrittlichen und sich stets entwickelnden Stadt sowie aus einer neuen, gottlosen, »am Rande des Herzens und des Zentrums« entstehenden Stadt. Letztere – die Peripherie der Stadt – existiere, so die Diskutanten, ohne Übereinstimmung mit der eigentlichen Stadt und könne sich deshalb zu einer »aggressiven Stadt« wandeln. Den präsentierten Untersuchungsergebnissen nach war die an der Stadtperipherie entstandene Suburbia u.a. durch einen starken Mangel an Schulen und Kirchen, durch defizitäre Lebensstandards und vor allem durch einen Mangel an sozialem Leben gekennzeichnet,173 sodass nicht mehr ausschließlich Barackensiedlungen als Suburbia einzustufen seien, sondern ebenfalls einige der von öffentlichen Institutionen gebauten Sozialwohnungssiedlungen ohne Infrastruktur und Sozialwerke. Als Problemlösung plädierte der Journalist Aurelio Joaniquet dafür, die an den Stadträndern existierenden Suburbia durch eine Zusammenarbeit von Priestern, Sozialarbeitern, Stadtplanern und Architekten sowie kommunalen Institutionen rasch in einen integrierten Teil der Stadt, also ein Stadtviertel (barrio) umzuwandeln : »Es reicht nicht, Wohnungen zu bauen. Es ist notwendig, dass diese Siedlungen einen moralischen, kulturellen, sozialen und wohltätigen Inhalt haben.«174 Die Integration in die Stadt sei, so Rogelio Duocastella, das Fundament für den sozialen Frieden.175 Als Stadtviertel galt dabei eine Wohnungsgruppe, die geografisch und stadtplanerisch miteinander verbunden war und in der ein gemeinsames soziales Leben geführt werden konnte ; eine Nachbarschaft, in der die Menschen sich kannten, sich gegenseitig halfen und in einem kulturellen und geistigen Austausch miteinander standen. Das Stadtviertel war »eine Stadt, die auf einer menschlichen Skala gemacht wurde.«176 Dabei konnten die Größe und die Typologie eines Stadtviertels je nach Bewohnerzahl und deren sozialer Herkunft variieren. Relevant schien, dass das Stadtviertel durch natürliche, geografische Grenzen eingehegt wurde und eine ausreichende Kommunikation mit der Kernstadt hatte. Denn den Stadtvierteln wurde eine Integrationsfunktion für die gesamte Stadt zugeschrieben. 173 Ecclesia, Nr. 820, 1957, S. 15. 174 »No basta con construir viviendas. Es preciso que esos núcleos tengan un contenido moral, cultural y social y benéfico«, in : Joaniquet, Influencia de la estructura económica, S. 31. 175 Vgl.: Galera u.a., Atlas de Barcelona, S. 368. 176 Cristiandad, Nr. 321–322, 1957, S. 222.
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Vor dem Hintergrund dessen wurde im Studienzentrum ganz generell über die Bedeutung soziologischer Überlegungen bei der Konzipierung neuer Siedlungen diskutiert,177 um die Entstehung homogener, schichtspezifischer Stadtviertel zu vermeiden. Von diesem (semi-)akademischen Diskurs beeinflusst, legte José María Martínez-Marí bei der Planung und Realisierung neuer Siedlungen des Wohnungspatronats besonderen Wert auf die Einbeziehung der Sozialwissenschaften. Der Soziologie als Wissenschaft schrieb er eine relevante und für die Stadtplaner, Architekten und Ökonomen richtungsgebende Funktion zu.178 José María Martínez-Marí hatte den Anspruch, die geplante Siedlung Montbau in sozialer Hinsicht als einen »sozialen Cocktail«179 zu konzipieren und eine Mischung von Familien unterschiedlicher Bildungs- und Einkommensniveaus zu erreichen ; dabei setzte er auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Soziologen, Ökonomen, Sozialarbeitern und Architekten.180 Daher beauftragte er für diese Zusammenarbeit u.a. den Soziologen Jaume Nualart, der Mitglied im Studienzentrum für Angewandte Soziologie und gleichzeitig in der Federació de Joves Cristians de Catalunya (Föderation der Christlichen Jugend Kataloniens) war. Als gläubiger Katholik und überzeugter Befürworter der Genossenschaftsbewegung gehörte dieser zu den Gründern des Verbandes Orientació Catòlica i Professional del Dependent (Verband der Katholischen und Beruflichen Orientierung der Angestellten), kurz OCPD genannt, welcher als kooperativer Verband 1944 entstanden war und durch den in den 1930er Jahren gegründeten katholischen Frauenverband Orientació Catòlica de Oficinistas (Katholische Orientierung der Büroangestellten) inspiriert worden war.181 Der OCPD kümmerte sich hauptsächlich um die katholische Weiterbildung im Bereich Handel und Industrie, bei der es jedoch auch um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ging.182 Der OCPD verstand sich nämlich als eine Institution der christlichen Förderung eines sozialen Aufstiegs, die die Rechte der Arbeiter, gleichzeitig aber auch die katalanische Kultur und deren Werte stark unterstützte. Zu diesem Zweck gründete der OCPD eigene Berufsschulen, diverse soziale Einrichtungen sowie Handelsgenossenschaften wie etwa preisgünstige 177 Rogelio Duocastella, La iglesia y los suburbios, in : Cristiandad, Nr. 321–322, 1957, S. 222–223, hier : S. 223. 178 Martínez-Marí, Sociologia y urbanismo, S. 132. 179 Ebd., S.134. 180 Giménez i Compte, Montbau, S. 54. 181 Martí Checa Artasu, Cooperativisme, catòlics i habitatge durant el franquisme, tres exemples, in : Cooperació catalana, Nr. 283, 2005, S. 18–21, hier : S. 19. 182 Ferri Ruiz, Orientació Catòlica i Professional, S. 291.
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Mensen und Geschäfte, Wohnheime für junge Arbeiter sowie juristische Beratungsstellen.183 Zudem wurde im Rahmen des Verbands und bei der Gelegenheit des Internationalen Eucharistischen Kongresses die Wohnbaugenossenschaft La Puntual ins Leben gerufen. Im Gegensatz zur Katholischen Aktion, die von der OCPD kritisiert wurde als eine stark hierarchisch aufgebaute Monopolisierung der apostolischen Werke der katholischen Kirche, die sich mehr auf Feierlichkeiten als auf die wahren Bedürfnisse der Arbeiter fokussiere,184 definierte der OCPD seine Genossenschaften als Vereine, die Gerechtigkeit und Gleichheit unter den Mitgliedern befördern sollten. Diesem Anspruch werde man gerecht, so die Argumentation der OCPD, indem man es den Mitgliedern ermögliche, deren materielle Lebensbedürfnisse (etwa Wohnraum oder Lebensmittel) innerhalb der Genossenschaftsbewegung zu gerechten Preisen ohne spekulative Hintergründe zu befriedigen. Zudem war der OCPD in der Selbstwahrnehmung zusätzlich eine »Bürgersinn-Schule« und eine Gemeinschaftsinstitution, in der die Mitglieder solidarisch und demokratisch handeln, sich respektieren und Partizipation erlernen sollten.185 In Hinblick darauf, dass die Genossenschaften als »Familien-Selbsthilfe«186 angesehen wurden, setzte man darauf, dass die leitenden Personen weitreichende Kenntnisse über Familienproblematiken hatten und in ihrer Tätigkeit politische und soziale Arbeit leisteten.187 In diesem Sinne eignete sich Jaume Nualart bestens als Präsident von La Puntual : Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am Studienzentrum für Angewandte Soziologie beschäftigte er sich mit Migrations- und Familienthemen.188 Zudem bewegte er sich durch seine Mitwirkung im Patronat der Kongresswohnungen in politischen Kreisen, seitdem er durch seine berufliche Tätigkeit im Bereich der Metallindustrie als Personalabteilungsleiter im Großunternehmen Rivière SA in das Patronat gelangt war. Aufgrund seiner beruflichen Erfahrung und sozialwissenschaftlichen Grundlagen hatte er im Patronat die Comisión de Adjudicación del Patronato (Kommission 183 Montserrat Colomer i Salmons, El trabajo social que yo he vivido. De 1939 a 1987, Barcelona 2009, S. 53. 184 Josep Castaño i Colomer, Memóries sobre la JOC a Catalunya 1932–1970, Barcelona 1974, S. 42–43. 185 Las ventajas de la Cooperación, in : Radar Social, Nr. 24, 1959, S. 2–3. 186 Colmenero Vega, Dolset Chumilla, Cómo construir una vivienda, S. 49. 187 Jaime Nualart Maymí, El aumento masivo de población, factor determinante del problma suburbial, in : Cristiandad, Nr. 321–322, 1957, S. 224–226. Vgl.: Colmenero Vega, Dolset Chumilla, Cómo construir una vivienda, S. 49. 188 Martínez-Marí Ódena, Memorias autorizadas, S. 108.
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für die Wohnungsvergabe) geleitet und war für die Verteilung neuer Bewohner in der Kongress-Siedlung zuständig gewesen.189 Während Martínez-Marí der Ansicht war, dass sich beim Großbauprojekt Montbau mehrere einzelne Baugenossenschaften unter der Leitung des Wohnungspatronats zusammenschließen sollten, plädierte Jaume Nualart, dem die soziale Konzipierung der Siedlung im Auftrag des Wohnungspatronats zugewiesen worden war, aus soziologischen Erwägungen dafür, dass die Bewohner der Siedlung aus unterschiedlichen sozialen und beruflichen Kreisen stammen und die zu beteiligenden Genossenschaften unter diesem Aspekt ausgewählt werden sollten.190 Zu diesem Zweck setzte er auf die Partizipation diverser Berufsbaugenossenschaften, darunter die eigene Baugenossenschaft La Puntual,191 um so aufgrund deren unterschiedlicher Berufsprofile die als notwendig erachtete soziale Heterogenität unter den zukünftigen Bewohnern zu sichern. Montbau sollte zudem als ein Teil der Stadt durch seine soziale Struktur die Diversität der Gesellschaft in Barcelona und dessen Charakter widerspiegeln. Die Siedlung war als eine Art Mikro-Stadt konzipiert.192 Auf der Basis von statistischem Material über die Zusammensetzung der spanischen Gesellschaft legte Nualart für die zukünftige Siedlung folgende Gruppenanteile als ideales Mischungsverhältnis fest : 25 Prozent nichtqualifizierte Arbeiter und Barackenbewohner ; 25 Prozent qualifizierte Arbeiter, Angestellte und Beamte aus einfachen Verhältnissen ; 45 Prozent Angestellte und Beamte der höheren Einkommensverhältnisse sowie Handelsvertreter, Militärs und freie Berufe ; und 5 Prozent Vertreter der höheren sozialen Schichten.193 Dieser »Cocktail« sozialer Gruppen sollte innerhalb der Siedlung unter Aufsicht des Wohnungspatronats zu einer Einheit werden, wie es in den Projekten hieß : Die Einheit, die für die Wohnsiedlung angestrebt wird, heißt nicht Uniformität und Monotonie, sondern eine ordnungsmäßige Diversität im Stil eines Orchesters, das mit vielen unterschiedlichen Instrumenten innerhalb einer Ordnungseinheit ein Meisterstück spielt.194 189 Carles Cervantes u.a., El procés de distribució dels primers adjudicataris de les vivendes del Congrés Eucarístic, in : Finestrelles, Revista del Centre d’ Estudis Ignasi Iglésias, Nr. 6, 1994, S. 163–174, hier : S. 167. 190 Giménez i Compte, Montbau, S. 72. 191 »La Puntual« baute 140 Wohnungen für ihre Mitglieder. In : Montbau, Cooperativa »La Puntual«, 1959, in : AMCB, Sig. 65861–131, unpag. 192 Martínez-Marí, Sociología y urbanismo, S. 133. 193 De les cases barates als grans polígons, S. 38 ; Martínez-Marí, Sociología y urbanismo, S. 135–141. 194 »Pero la unidad que se pretende para un barrio de viviendas no significa uniformidad y monotonía,
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Das Miteinander-Funktionieren diverser sozialer Gruppen sollte zunächst durch eine durchdachte Struktur der Siedlung erreicht werden, an welcher eine Gruppe von Soziologen, Ökonomen, Sozialarbeitern und Architekten interdisziplinär arbeitete. Sie bestimmte eine detaillierte Verteilung von Bewohnern, eine deren familiären Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten entsprechende Typologie der Wohnblöcke und deren Kosten und Qualität sowie die Festlegung der notwendigen Infrastrukturen.195 So hingen etwa die Größe der Wohnung von der Anzahl der Familienmitglieder, die Wohnungsausstattung mit zusätzlichen Räumen – etwa einer Werkstatt – von der beruflichen Betätigung und die Modalitäten des Wohnungskaufs, etwa die Höhe der Zinsen des Kredits, vom Budget der jeweiligen Familie ab. Die Form einer Siedlung und die Auswahl der Infrastrukturen sollten demnach ausschließlich an den Bedürfnissen und dem sozialen Charakter jeder Siedlung ausgerichtet werden. In diesem Sinne war eine einzige und grundlegende Konzeption einer Siedlung als »Modell« nicht mehr haltbar. Die bisher gebauten Wohnsiedlungen mit einem monumental-zentralen Platz, um welchen sich die Gebäude mit sozialer Funktion (etwa die Kirche, das Polizeikommissariat oder die Schule) gruppierten, galten seitdem als abzulehnen.196 Bei der Planung der Siedlung Montbau ging es demnach besonders darum, die zukünftigen Wohnungen räumlich so zu strukturieren und zu situieren, dass dadurch eine soziale und berufliche Segregation der Bewohner vermieden werden und ein Gleichgewicht in der Altersstruktur sowie der Kontakt zwischen allen Generationen erreicht werden könne. Es galt besonders zu vermeiden, die zukünftigen Bewohner so zu verteilen, dass sozial homogene Gruppen in einer Siedlungszone isoliert werden könnten. Der Idee nach sollten die diversen sozialen Gruppen also mithilfe der Topographie sowie auch durch Infrastrukturen miteinander vernetzt werden. Diese Infrastrukturen sollten nun, anders als in den Modell-Siedlungen, an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bewohner orientiert sein, anstatt durch traditionelle, zweckgebundene Architektur die Art und den Ort der Kommunikation zwischen den Bewohnern im Voraus festzusino la diversidad ordenada, al estilo de la que puede presentar un gran orquestra que, con muchos y variados instrumentos, ejecuta – dentro de una unidad de orden – una gran pieza maestra«. Zit. nach : De les cases barates als grans polígons, S. 37. 195 Giménez i Compte, Montbau, S. 54. 196 Problemas sociales de la construcción de viviendas. Conferencia pronunciada por D. José M. Martínez-Marí, Gerente del Patronato Municipal de la Vivienda, en el Salón de Crónicas del Ayuntamiento, dentro del ciclo organizado con motivo del Día Mundial del Urbanismo, Barcelona, 14.11.1957, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 2.
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legen. Indem etwa statt eines zentralen Siedlungsplatzes mehrere kleine Plätze geplant wurden, sollte sich die Infrastruktur nach den Bewohnern richten, nicht umgekehrt. Schließlich konstituierte die erste Siedlung Montbau durch die Zusammenstellung der zukünftigen Bewohner eine Gruppe von Nachbarn, die zur Hälfte aus Barcelona und Umgebung kamen und zur Hälfte Zuwanderer aus entfernteren ländlichen Gebieten waren – vorwiegend aus Aragon und Andalusien. Die meisten neuen Anwohner waren junge Familien zwischen 25 und 45 Jahren mit zwei bis fünf Familienmitgliedern. Beruflich war Montbau in erster Linie eine Siedlung der Beamten der kommunalen Organe sowie qualifizierter Arbeiter : 73,05 Prozent der Bewohner stellten qualifizierte Arbeiter, Handwerker und einfache Beamte, 15,05 Prozent waren Händler, Freiberufler, Beamte und Arbeiter höherer Positionen, 10,78 Prozent waren nichtqualifizierte Arbeiter, und 1,12 Prozent gehörten den höheren Schichten an.197 Dieser sozialen Zusammensetzung entsprechend wurden die Architekten des Wohnungspatronats – Pedro López Íñigo, Guillermo Giráldez Dávila und Xavier Subias i Fages – beauftragt, einen Generalplan für die gesamte Siedlung zu entwerfen. Inspiriert und beeinflusst von der Erfahrung in den Madrider Poblados Dirigidos198 repräsentierten diese drei Architekten den Bauherrn, das Wohnungspatronat, indem sie die Gesamtführung der Bauarbeiten koordinierten und die Gruppe von insgesamt zweiundzwanzig Architekten199 beaufsichtigten, die die Arbeiten in den einzelnen Wohnblockgruppen der Baugenossenschaften ausführte.200 Diese Architekten, die für die einzelnen Baugenossenschaften arbeiteten, bereiteten Entwürfe für die jeweiligen Baueinheiten vor und entschieden über den Architekturstil und die Materialität im Rahmen der Gesamtplanung. Ihre Konzepte und ihre Arbeit mussten von den leitenden Architekten in Hinblick auf die Gesamtkonzeption stets genehmigt und überprüft werden.
197 Giménez i Compte, Montbau, S. 70–71 ; Montbau. Viaje critico a los barrios de Barcelona, in : Tele/eXpres, 7.11.1969, S. 8. 198 De les cases barates als grans polígons, S. 35. 199 Zu ihnen gehörten López Íñigo, Subias i Fages, Giráldez Dávila, García Barbón, Dargallo, Giralt, Serra Goday, Ponseti, Pujadas, Soteras, Jara, Marquina, Montero, Seguí, Vayreda, Escudero, Tagarro, Baca, Cavaller, Martí, Bassó i Gili, in : Giménez i Compte, Montbau, S. 54. 200 Normas para la ejecución de las obras de cosntrucción de viviendas de la unidad de vecindad »Mombau« y en el poblado Sud-Oeste del Besos, Barcelona, 29.09.1959, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de L’Habitatge, Expedients i Projectes, Sig. 65872-142, unpag.
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Veränderungen in den bereits genehmigten Projekten waren nur unter besonderen Bedingungen und nach Absprache mit dem gesamten Team möglich.201 Der Anspruch des Wohnungspatronats, in Montbau soziale Heterogenität innerhalb einer einheitlichen Gemeinschaft durchzusetzen, sollte durch stilistische Diversität innerhalb einer architektonischen Einheit zur Schau gestellt werden. Entsprechend der sozialen Zusammensetzung der Bewohner wurde die Siedlung in drei Wohnsektoren unterteilt, in welchen unterschiedliche Typen von Wohnblöcken für unterschiedliche soziale Gruppen konzipiert wurden : Am Berghang befanden sich Einfamilienhäuser mit zusätzlichen kleinen Werkstätten, die für die Handwerker und ihre Familien gedacht waren.202 In den anderen beiden Wohngruppen wurden horizontale, parallel zueinander platzierte vierstöckige Wohnblöcke von unterschiedlicher Länge und mit einer Reihe kommerzieller Lokale und Geschäfte in den Arkadengängen gebaut.203 Somit bildete Montbau eine Siedlung von Wohnblöcken, die durch grüne Erholungsflächen voneinander getrennt waren und weitgehend nach Funktionalitäten gruppiert waren.204 Infolge ihrer Debatten über die Festlegung von Minimalgrößen der städtischen Wohnräume setzten die Soziologen, die an Montbau arbeiteten, auf einen ausreichenden Raum für »die Entwicklung einer geeinten, ehrlichen und fruchtbaren Familie.«205 Demnach wurden in jedem Wohnblock – in fünf Treppen201 Ebd. 202 Patronato Municipal de la Vivienda. Grupo Montbau, Grupo de 14 viviendas subvencionadas con taller de artesana, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Sig. 168-65898, Bl. 1–6. 203 De les cases barates als grans polígons, S. 37–38. 204 Dieses Stadtmodell orientierte sich an den Modellkriterien eines rationalen Neubaus der Internationalen Kongresse Moderner Architektur, kurz CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne), die zwischen 1929 und 1959 stattfanden und international als richtungsgebend für die Stadtplanung und Architektur galten. Die Suche nach Modernität in der Architektur, auf welche sich die katalanischen Architekten seit Beginn der 1950er Jahre in den europäischen Debatten und in der Tradition der GATEPAC begaben, durfte von der nachfolgenden Architektengeneration nicht nur fortgesetzt, sondern auch in der Siedlung Montbau zum ersten Mal mit finanzieller Unterstützung der Stadtverwaltung verwirklicht werden. Somit sollte Montbau als Prestigesiedlung der Stadtverwaltung auch zum Zeichen der modernen katalanischen Architektur werden, in welcher die Innovativität sowohl auf der architektonischen wie auch auf der technisch-konstruktiven Ebene zur Schau gestellt werden sollte. Vgl.: Oriol Bohigas, El Polígono de Montbau, in : Cuadernos de Arquitectura, Nr. 61, 1965, S. 23–33. Zum CIAM siehe u.a.: Konstanze Sylva Domhardt, The Heart of the City. Die Stadt in den transatlantischen Debatten der CIAM 1933–1951, Zürich 2012 ; Eric Mumford, Kenneth Frampton, The CIAM Discourse on Urbanism, 1928–1960, Cambridge 2002. 205 Martínez-Marí, Sociología y urbanismo, S. 134.
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Abb. 22–23 : Obersicht auf die Siedlung Montbau (1. Phase) und deren Plan, 1961–1963. Quelle : Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona.
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häuser unterteilt – fünfzig Wohnungen in der Größenordnung von 60 bis 100 Quadratmetern mit je zwei bis fünf Zimmern, einer Essküche, einem kleinen Bad mit Toilette und einer Waschecke gebaut.206 Dabei sollte die Zuteilung der unterschiedlichen Wohnungsgrößen lediglich durch die Größe der Familie bedingt sein. Qualität, Ausstattung und Platzierung der Wohnung innerhalb der Siedlung hingen hingegen von den finanziellen Möglichkeiten der Bewohner ab.207 3.3.3 Das Sozialzentrum als Ort des Erlernens urbanen Lebens und demokratischen Partizipierens
Während die Größe der Wohnung als ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung der Intimität der Familie bereits bei der Kongresssiedlung thematisiert und praktisch umgesetzt worden war, bestand das Novum der Siedlung Montbau darin, dass die externen Flächen nicht mehr nur einen öffentlichen, gemeinsam genutzten Raum darstellten, sondern durch die dortige aktive Partizipation am Siedlungsleben programmatisch als Orte der Etablierung eines Gemeinschaftsgefühls unter den Bewohnern und der Vergemeinschaftung galten. Der Leiter des Wohnungspatronats, José María Martínez-Marí, beeinflusst von dem Kreis der Soziologen um Rogelio Duocastella und von der Caritas, schrieb dem Wohnungspatronat die Aufgabe zu, in den von der Stadtverwaltung gebauten Siedlungen Sozialzentren (Centros Sociales) zu etablieren und somit auch die soziale Förderung der Bewohner zu unterstützen.208 Daher legte er in der Planung der Siedlung Montbau großen Wert auf die Bereitstellung diverser Gemeinschaftseinrichtungen, zu welchen neben zwei Schulen, zwei Sportanlagen, einem Kindergarten, einer Einkaufszone mit Läden, Kino und Parkplätzen auch ein Sozialzentrum gehörte.209 Letzteres verstand er als relevanten Raum für das gegenseitige Kennenlernen der Bewohner und für die Etablierung von Beziehungen zwischen den Nachbarn, als Treffpunkt zur Erörterung gemeinsamer Bedürfnisse in der Nachbarschaft sowie als Lernort für staatsbürgerliche Partizipation am urbanen Leben.210 206 »Patronato Municipal de la Vivienda«, Proyecto de viviendas de renta limitada »subvencionadas« a construir en el polígono de Mombau, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de L’Habitatge, Expedients i Projectes, Sig. 65896-166, Bl. 1. 207 Martínez-Marí, Sociología y urbanismo, 138. 208 Los Centros Sociales del Patronato, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., unpag. 209 Vgl.: Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 6, S.199–204. 210 Los Centros Sociales del Patronato, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., unpag.
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Wie für die gesamte katholische Kirche stellte die Familie auch für die katholischen Soziologen eine primäre gesellschaftliche Einheit dar. Zusätzlich plädierten sie jedoch für neue Techniken des Zusammenlebens, mittels derer Familien in die Gesellschaft eingebunden und eine relevante Position annehmen würden : die Sozialzentren.211 Demnach sollten jegliche in den Siedlungen vertretenen Familienvereine, Genossenschaftsgruppen, kulturelle Einrichtungen und religiöse Gruppen ihren gemeinsamen Sitz und Treffpunkt im Sozialzentrum finden.212 Bereits Mitte der 1950er Jahre gründete Rogelio Duocastella an den Peripherien mehrere Sozialzentren unter Aufsicht der Caritas.213 Die Funktion dieser Sozialzentren griff auf die in katholischen intellektuellen Kreisen herrschende Überzeugung zurück, dass die suburbanen Peripherien aufgrund der massiven Zuwanderung der Raum »einer kompletten sozialen Auflösung« in Bezug auf die Stadt seien und deren Bewohner über ein mangelndes Anpassungsvermögen an die urbane Lebensform verfügten.214 Der Soziologe Jaume Nualart sah die Gefahr an den Peripherien in einer sozialen Sterilität, die durch den Mangel an Infrastrukturen entstehe und die jegliche soziale Partizipation der Bewohner unmöglich mache. Pflegten in den meisten Peripheriesiedlungen Männer ihre sozialen Beziehungen in einer Taverne und Frauen beim Bäcker oder am Brunnen, so seien dies, so Nualart, jedoch keine Sozialzentren, sondern »Anti-Sozialzentren«, weil eine Taverne ohne Kontrolle und ohne Möglichkeit einer inneren Organisation und Struktur »den Anarchismus und die Desintegration« unterstütze : Die Suburbia sterilisiert das Sozialleben. Ohne die Möglichkeit der Etablierung eines Zusammenlebens verwandelt sie den Menschen in einen totalen Unbekannten, auch wenn er mithilfe einer Bar oder einer Taverne einige Beziehungen mit anderen pflegt. In der Realität kennt er jedoch die Probleme anderer nicht und er ist uninteressiert an allem, was eine kollektive Aktion repräsentiert. Diese Art des Individualismus führt zu 211 Conferencia pronunciada per D. Jaume Nualart, secretari de la seccio de sociologia del I.C.E.S. sobre »Urbanisme, poblacio, moviments migratoris« tingue lloc en l’auditori del P.N.A. el dia 13 de abril de 1959, in : ANC, Sig. 1-365 ( Josep Maria de Porcioles), caixa 580, Bl. 26. 212 Vgl.: Rogelio Duocastella, Primera Semana del Suburbio en Barcelona, in : Ecclesia, Nr. 820, 1957, S. 13–16, hier : S. 15. 213 Siehe u.a.: Ecclesia, Nr. 867, 1958, S. 204. 214 Ramón Echarren Ysturiz, El suburbio, in : Semanas Sociales de España : Problemas de concentración urbana, Madrid 1966, S. 141–158, hier : S. 142 ; Rogelio Duocastella, Desintegración urbana, fruto de las migraciones interiores, in : Ecclesia, Nr. 866, 1958, S. 15–17.
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einer Masse, weil sie entpersönlicht. […] Wenn die Suburbia eine Masse kreiert, entpersönlicht und atomisiert, müssen der Stadtplaner und die Stadtplanung eine Umgebung schaffen, die den sozialen Gruppen hilft, sich zu organisieren, zu entwickeln und sich zu strukturieren.215
Für die katholischen Intellektuellen war die Stadt – im Gegensetz zum Dorf – ein sozialer Raum des partizipativen Zusammenlebens der Menschen. »Sich einer Stadt zu nähern heißt, sich der Möglichkeit der Partizipation zu nähern«,216 hieß es in den Ausführungen des Journalisten und Gründers der Zeitschrift der katholischen Intellektuellen »El Ciervo«, Lorenzo Gomis. Das urbane Leben war seiner Ausführung nach als demokratisch zu verstehen, weil die Stadt durch die Vielfalt der gebotenen Möglichkeiten an Entscheidungen und Projekten, Ideen und Organisationen, die es in dörflichen Gemeinschaften so nicht gebe, ein Ort der Freiheit sei. Das demokratische Handeln müsse jedoch zunächst gelernt werden ; zudem müsse man, damit der Einzelne am urbanen Leben in seiner Vielfalt partizipieren könne, die Instrumente und die Formen der Kommunikation und der sozialen Beziehungen kennenlernen.217 Diese Lehrfunktion sollten in den neu entstanden Siedlungen die Sozialzentren übernehmen. Als Sozialzentrum wurde – quasi immateriell – eine freiwillig konstituierte Gruppe von Nachbarn in einer Siedlung verstanden, die sich in einem gemeinsamen Ziel und bei voller Gleichberechtigung zusammentaten, um für die notwendigen Infrastrukturen und sozialen Dienste, die das Zusammenleben in der Siedlung verbesserten, zu sorgen, und diese auch zusammen zu verwalten und zu pflegen.218 Das primäre Ziel eines Sozialzentrums war nach Ansicht der ka215 »El suburbi […] l’esterilitza la vida social, sense posibilitats d’establir relacions de convivencia, converteix cada home en un ser que desconeix totalment als altres, encara que hi hagi una certa relació per mitjà del bar o la taberna ; pero en realitat desconeix totalment els seus problemes i es desinteressa de tot el que representi acció col·lectiva ; aquesta individualització condueix a la massificació perque despersonalitza (…). Si el suburbi per tant massifica, despersonalitza i atomitza, cal pensar que l’urbanista i l’urbanisme té de crear condicions ambientals que ajudin als grups a organitzar-se, a desarrrollar-se i estructurar-se«. In : Conferencia pronunciada per D. Jaume Nualart, in : ANC, Sig. 1-365 ( Josep Maria de Porcioles), caixa 580, Bl. 24. 216 »Acercarse a la ciudad es acercarse a la posibilidad de participar.«, in : Lorenzo Gomis, La promoción social en la vida urbana, in : Semanas Sociales de España : Problemas de concentración urbana, Madrid 1966, S. 235–246, hier : S. 243. 217 Ebd. 218 Comunicación presentada al I Congreso Nacional de Urbanismo de Barcelona presentada por la Sección Social de Cáritas Nacional Española, noviembre 1959, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 4 ; Extracto de lo publicado por D. Ramón Echar-
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tholischen Soziologen die gemeinsame Lösung gemeinschaftlicher Probleme an einem gemeinsam genutzten Ort. Das Sozialzentrum sollte also den neuen Stadtbewohnern eine Möglichkeit der Anpassung an das urbane Leben ermöglichen, indem die Nachbarschaftsbeziehungen gestärkt und Mitverantwortung und demokratische Partizipation vermittelt wurden. Dabei ging es vor allem um erzieherische Aspekte, indem die Zuwanderer zur Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lebensraum sowie zur Etablierung sozialer Beziehungen und Mechanismen des Zusammenlebens erzogen werden sollten.219 Zugleich sollte auch eine soziale Förderung, etwa durch Alphabetisierung oder Berufsausbildung, angeboten werden.220 In diesem Sinne wurden die Sozialzentren als »Erwachsenenschule« der Urbanität verstanden, die für das Erlernen von Mechanismen des Funktionierens im urbanen Leben so lebensnotwendig wie die Grundschule für alle Kinder sei.221 Dabei sollten die von der Caritas engagierten Sozialassistentinnen bei der Orientierung und staatsbürgerlichen Lehre Hilfe leisten. Diese sollten den Zuwanderern die Funktionsweise partizipativen Zusammenlebens in den Siedlungen zeigen und diese unterstützen, indem sie individuelle (z. B. finanzielle) und gruppenspezifische (etwa Vorschläge für Problemlösungen, Koordinierung von gemeinsamen Aktionen) Hilfestellungen boten.222 Durch die Mitwirkung im Zentrum für Angewandte Soziologie um Rogelio Duocastella und Caritas versprach José María Martínez-Marí, die Bildung von Sozialzentren an den Peripherien Barcelonas vom Wohnungspatronat der Stadtverwaltung aus direkt zu lenken.223 Seiner Ansicht nach sollte das Sozialzentrum eine relevante Bildungsfunktion übernehmen und für die Förderung und Edukation der Bewohner mit niedrigem Bildungsniveau sorgen. Auf diesem Wege hatten die Sozialzentren die Aufgabe zu erfüllen, die Migranten aus ländlichen ren sobre los centros sociales, ohne Dat., in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., unpag. 219 Extracto de lo publicado por D. Ramón Echarren, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., unpag. 220 Ebd. 221 Comunicación presentada al I Congreso Nacional de Urbanismo, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 4–5. 222 Servicio social en Montbau, in : Radar Social, Nr. 32, 1961, S. 3. 223 Entscheidend waren dennoch auch eine Reihe internationaler Reisen, die José María Martínez-Marí im Rahmen der Dienstreisen des Wohnungspatronats mit Sozialassistentinnen und Sozialarbeitern der Cáritas unternahm, insbesondere nach England und in die USA, wo die Sozialzentren ihren Ursprung hatten. In : Los Centros Sociales del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 2, 1962, S. 7–12, hier : S. 7–8.
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Gegenden an eine eigenständige Gestaltung der eigenen Situation heranzuführen und sie anschließend in die urbane, bürgerliche Gesellschaft zu integrieren. Dabei verstand José María Martínez-Marí Bildung und Integration als Schutz vor Misere und Konflikten, die entweder ganz vermieden oder aber zumindest abgemildert werden könnten.224 Demnach betrachtete er das Sozialzentrum als wichtige lokale Initiative der Bewohner für gegenseitige Hilfe, im Rahmen derer die Nachbarn Probleme gemeinsam lösen sowie diverse Projekte und Aktivitäten entsprechend der eigenen Bedürfnisse auszuführen lernen sollten.225 Die derart mit staatsbürgerlicher Programmatik und hohen Erwartungen aufgeladenen Sozialzentren wurden vom Wohnungspatronat der Stadtverwaltung durch Subventionen finanziert und unterlagen dementsprechend einer von der Stadtverwaltung verfassten Regulierungen. Laut dieser Regularien war das Sozialzentrum »Sitz der Aktivitäten der Sozialwerke, Ort der Kontakte zwischen den Nachbarn, Gruppen und Organisationen der Siedlung, Zentrum der betreuenden, wohltätigen, kulturellen, unterhaltenden, sportlichen, sanitären Aktivitäten, wie auch ein Ort des Untersuchungslaboratoriums und der Studien über die sozialen Probleme in der Nachbarschaft.«226 Dennoch war das Sozialzentrum per definitionem auch ein frei gestaltendes und handelndes Gruppenkollektiv, sodass Martínez-Marí stets eine aktive Partizipation der Bewohner an der Gestaltung der Sozialwerke und dadurch am Kampf um die Verbesserung der eigenen Situation betonte.227 In diesem Sinne sollten die Sozialzentren des Wohnungspatronats trotz der gemeinsamen allgemeinen Regulierung über eine weitgehende Autonomie in der Organisation und in den Aktivitäten verfügen.228 Das Sozial224 Martínez-Marí, Sociología y urbanismo, S. 135. 225 Patronato Municipal de la Vivienda Barcelona, Notas sobre Centros Sociales, 1952, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Seciones de Estudios sobre Centros Sociales, ohne Sig., unpag. 226 »Centros Sociales son la sede de la actividad de servicios sociales, lugar de contacto entre los vecinos, grupos y organizaciones del barrio, centro de actividades asistenciales, benéficas, culturales, recreativas, deportivas, sanitarias y laboratorio de investigación y estudio de los problemas sociales de la unidad de vecindario.«, in : Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Comunicación que se presenta al X Congreso de Centros Sociales. Los Centros Sociales del Patronato, Barcelona 1969, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, ohne Sig., Bl. 2. 227 Problemas sociales de la construcción de viviendas. Conferencia pronunciada por D. José María Martínez-Marí, Gerente del Patronato Municipal de la Vivienda, en el Salón de las Crónicas del Ayuntamiento, dentro del ciclo organizado con motivo del Día Mundial del Urbanismo, Barcelona, 14.11.1957, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 3–4. 228 Comunicación que se presenta al X Congreso de Centros Sociales, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, Bl. 3.
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zentrum sollte in erster Linie von den Siedlungsbewohnern selbst gestaltet werden, sodass Paternalismus und jegliche Art von Lenkung oder Leitung von oben ausgeschlossen waren. Die Aktivitäten im Sozialzentrum sollten nach Prinzipien gestaltet werden, welche sich durch die Initiativen der Bewohner selbst herauskristallisieren sollten. Dementsprechend sollten diese konfessionsneutral, unpolitisch und nicht-ideologisch bleiben : Jede Person sollte teilnehmen dürfen und ihre Stimme haben können.229 Das Zentrum sollte ein offener Ort persönlicher Kontakte, gemeinsamer Organisation des Siedlungslebens und vielfältiger Vereinsaktivitäten sein.230 In diesem Sinne war das Sozialzentrum darauf ausgerichtet, den Bewohnern eine Vielfalt an Möglichkeiten und gleichberechtigte Mitsprache anzubieten.231 Diesem Prinzip nach wurden die Sozialzentren von Juntas de Gobierno (Leitungsräten) geleitet, die durch einen Vertreter des Wohnungspatronats, eine Sozialassistentin sowie durch Mitgliedervertreter des Sozialzentrums gewählt worden waren. Gerade der beschriebenen Rolle der Sozialassistentinnen bei der Erziehung der Bewohner maß das Wohnungspatronat dabei besondere Bedeutung zu.232 Auf dieser Grundlage entstanden in den Siedlungen des Wohnungspatronats seit 1958 mehrere Sozialzentren, die auf der Initiative der Bewohner basierten und von ihnen im Rahmen eines kooperativen Projekts mit Unterstützung des Wohnungspatronats gebaut wurden.233 Darunter befand sich auch das Sozialzentrum in Montbau. Allerdings übernahm zunächst die Baugenossenschaft La 229 Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Centros Sociales. Organización y actividades, Barcelona, marzo de 1971, unpag., in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Seciones de Estudios sobre Centros Sociales, ohne Sig., unpag. 230 Ebd. 231 Enrique de Ancizu, Los Centros Sociales como medio de promoción obrera, Barcelona 1964, in : Patronato Municipal de la Vivienda, Barcelona, Estudios sobre los Centros Sociales como medio de promoción obrera. Apartado sobre el Centro Social Verneda, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Seciones de Estudios sobre Centros Sociales, ohne Sig., unpag. 232 Comunicación que se presenta al X Congreso de Centros Sociales, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona, Bl. 3.; Centros Sociales. Organización y actividades, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Seciones de Estudios sobre Centros Sociales, ohne Sig., unpag. Vgl.: De les cases barates als grans polígons, S. 124–126. 233 Unter denen befanden sich die Sozialzentren in den Siedlungen Can Clos, Verneda, Trinidad, Baron de Viver, La Viña, Eduardo Aunos, in : Centros Sociales. Organización y actividades, in : AMCB, Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de l’Habitatge, Seciones de Estudios sobre Centros Sociales, ohne Sig., unpag.
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Puntual234 die Verwaltung des Sozialzentrums, sodass diese Initiative zu Beginn nicht gänzlich als Selbstverwaltung und Selbstorganisation der Siedlung zu verstehen war. Die hohen Erwartungen an einen partizipativen, tatkräftigen Gestaltungswillen der Bewohner wurden also in der Realität zunächst enttäuscht. Bis Ende der 1960er Jahre gab es im Sozialzentrum kaum selbstständige kollektive Initiativen der Mitgestaltung, auch wenn sich die Bewohner durchaus in bestimmten, vorwiegend individuellen Angelegenheiten (etwa im Schulbereich) engagierten. Die Sozialassistentin in der Siedlung Montbau, Montserrat Colomer, sah den Grund dieser Aktionsbereitschaft und Fähigkeit der selbstständigen Problemlösung der Bewohner in deren relativ hohem Bildungsniveau sowie in der als gelungen empfundenen, von den Soziologen entworfenen sozialen Zusammensetzung der Bewohner.235 Ein bemerkenswertes kollektives zivilgesellschaftliches Engagement trat jedoch erst in den 1970er Jahren auf, als sich die Bewohner im Rahmen des später entstandenen Nachbarschaftsvereins, der im Kontext des Sozialzentrums gegründet worden war, aufgrund der Infrastrukturmängel in der Siedlung in zahlreichen Protesten gegen die Stadtverwaltung mobilisierten.236 Dennoch gilt es hier zu unterstreichen, dass das Wohnungspatronat der Stadtverwaltung durch die Leitung von José María Martínez-Marí, dessen Mitwirken und die Inspiration durch den Kreis der katholischen Intellektuellen und die Caritas wichtige Impulse durch die Einrichtung von Sozialzentren in den Peripheriesiedlungen als Basis für das zivilgesellschaftliche Engagement der Bewohner gab. Durch das Verständnis von Stadt als Raum einer breiten bürgerlichen Partizipation, aus welcher die neu zugewanderten Bürger keinesfalls ausgeschlossen werden sollten, schufen die katholischen Intellektuellen einen Raum für eine mögliche Entwicklung urbaner Ansätze an den Peripherien. Diese Vorstellung von urbanem Raum widersprach den Ansichten der alten Falangisten, die die Zuwanderer auf paternalistische Art und Weise nach eigenen Vorstellungen »umerziehen« wollten. Die katholischen Intellektuellen setzten dagegen auf Bildung, durch welche die Zuwanderer lernen sollten, sich den urbanen Raum anzueignen. Dies schloss Mitwirkung und eigenverantwortliche Entscheidungen nicht aus. Auch wenn dieses Prinzip in der Praxis nicht von Beginn an funktionierte, wie das Beispiel Montbau zeigt, ist zu betonen, dass städtische Eliten aus den öffentlichen Verwaltungsstellen heraus – und nicht etwa regimeferne 234 Vgl.: Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 6, S. 202–204. 235 Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 54. 236 Vgl.: Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 6, S. 202–204.
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Organisationen und Institutionen – den ersten Schritt taten, um den Zuwanderern aus ländlichen Gebieten eine partizipatorische Stimme in der Gestaltung ihrer Mikroräume zu erteilen. In diesem Sinne gab die Stadtverwaltung durch das Wohnungspatronat wichtige Impulse für das Herauskristallisieren von Grundprinzipien eines zivilgesellschaftlichen Handelns, welches die Bewohner sich mithilfe der Sozialassistentinnen im Laufe der 1960er Jahre aneigneten, um es dann in den 1970er Jahren gegen die Stadtverwaltung und deren urbanisierungspolitische Entscheidungen in Anspruch zu nehmen. 3.4 Engagement und Konkurrenz an den Stadtperipherien. Akteure der Weiterentwicklung der Barackensiedlung Camp de la Bota Mit dem im Jahre 1959 verabschiedeten »Wirtschaftsstrukturgesetz«, das unter dem Namen »Stabilisierungsplan« bekannt wurde, verfolgte das Regime eine grundlegende, am Vorbild der Wirtschaft der westlichen Industriestaaten ausgerichtete Neuorientierung seiner Wirtschaftspolitik. Der »Stabilisierungsplan« sah ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, eine größere Integration Spaniens in die Weltwirtschaft, eine Eindämmung der Inflation und bessere Entfaltungsmöglichkeiten für die Privatwirtschaft vor. Statt staatlicher Lenkung wurde der Fokus auf Aktivitäten der privaten Unternehmen und des Finanzsektors gelegt sowie die Produktion stärker am Export orientiert. In der Folge trat Spanien in eine Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs ein. Da das Regime politische Stabilität und nationale Einheit als Voraussetzungen für den schnellen wirtschaftlichen Aufschwung ansah, beschränkten sich die Reformen jedoch ausschließlich auf den wirtschaftlichen Sektor, während auf politischem Gebiet der autoritäre Rahmen beibehalten und abgesichert werden sollte.237 Die neue wirtschaftliche Ausrichtung des Regimes brachte ein sog. »Wirtschaftswunder« mit sich. Zwischen 1960 und 1970 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts pro Jahr rund 7 Prozent, und das 237 Siehe u.a.: Bernecker, Sozialgeschichte Spaniens, S. 305–306 ; Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 116–119 ; Moradiellos, La España de Franco, S. 135–136 ; José Ma Serrano Sanz, Eva Pardos, Los años de crecimiento del franquismo (1959–1975), in : Historia económica de España, S. 369–395, hier : S. 370–376 ; Encarna Nicolás, La libertad encadenada. España en la dictadura franquista 1939–1975, Madrid 2005, S. 216–219 ; Pablo Martín Aceña, Elena Martínez Ruiz, The Golden Age of Spanish Capitalism : Economic Growth without Political Freedom, in : Spain Transformed. The Late Franco Dictatorship, 1959–75, hg. v. Nigel Townson, New York 2007, S. 30–46.
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Pro-Kopf-Einkommen stieg von unter 400 Dollar zu Beginn der 1960er Jahre auf rund 2000 Dollar im Jahr 1974.238 Die Agrarwirtschaft verlor immer mehr an Bedeutung zugunsten der Industrie und vor allem des immer stärker wachsenden Dienstleistungssektors.239 In Konsequenz sank zwischen 1960 und 1970 der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft von 39,8 auf 24,9 Prozent, während er in der Industrie von 28,6 auf 37,3 Prozent und im Dienstleistungsbereich von 27 auf 36,5 Prozent anstieg.240 Somit wurde Spanien in den 1960er Jahren endgültig von einer ruralen zu einer industrialisierten Gesellschaft, in welcher neben der Industrie vor allem der tertiäre Sektor und der Massenkonsum eine immer größere Rolle spielten. Der ökonomische Wandel beeinflusste auch die Wohn- und Lebensverhältnisse vieler Spanier wesentlich. Während im Jahre 1960 nur 1 Prozent der Haushalte über einen Fernsehapparat, 4 Prozent über einen Kühlschrank, 12 Prozent über einen Telefonanschluss und 19 Prozent über eine Waschmaschine verfügten, hatten bereits im Jahre 1971 56 Prozent der Familien ein Fernsehgerät, 66 Prozent einen Kühlschrank, 39 Prozent einen Telefonanschluss und 52 Prozent eine Waschmaschine. Insgesamt entstand in Spanien eine neue Konsumgesellschaft, zu deren Signum in den 1960er Jahren das Fernsehen und das seit 1957 in Barcelona produzierte Auto SEAT 600 wurde.241 Dieser politisch-wirtschaftliche und soziale Wandel der 1960er Jahre provozierte allerdings auch gesellschaftliche Erwartungen, die nicht vollständig erfüllbar waren. Vom »Wirtschaftswunder« profitierten nicht alle sozialen Schichten gleichermaßen.242 Von den Wirtschaftsreformen begünstigt wurden in erster Li238 Vgl.: Moradiellos, La España de Franco, S. 137–147 ; Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 124 ; Tusell, Spain, S. 199. 239 Die Agrarwirtschaft verzeichnete ein Wirtschaftswachstum von 2,7 % jährlich, während die Industrie ein jährliches Wachstum von 10 % und der Dienstleistungssektor eines von 6,8 % aufwies. In : Moradiellos, La España de Franco, S. 137. Vgl.: Nicolás, La libertad encadenada, S. 276–284. 240 Informe sociológico sobre la situación social de España. 1970, hg. v. Fundación Foessa, Madrid 1970, S. 169 ; Gabriel Tortella, Clara Eugenia Núñez, El desarrollo de la España contemporánea. Historia económica de los siglos XIX y XX, Madrid 1994, S. 227 ; Moradiellos, La España de Franco, S. 139. 241 Amando de Miguel, Sociologíia del Consumo en España, in : Revista Internacional de Sociología, Nr. 97–98, 1967, S. 25–38, hier : S. 28. Vgl.: Moradiellos, La España de Franco, S. 147–148 ; Molinero, Ysàs, Productores disciplinados, S. 49–50 ; Nicolás, La libertad encadenada, S. 269–273 ; Riquer i Permanyer, Social and Economic Change, S. 259–271 ; Luis Enrique Alonso, Fernando Conde, Historia del consumo en España. Una aproximación a sus orígenes y primer desarrollo, Madrid 1994, S. 147–221. 242 Moradiellos, La España de Franco, S. 147. Vgl.: Babiano Mora, Emigrantes, cronómetros y huel-
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nie die investierenden Unternehmer. Zudem wuchs auch die Mittelschicht stetig : Während deren Anteil 1939 nur 17 Prozent der Bevölkerung betragen hatte, stellte sie in den 1960er Jahren um die 28 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zu Beginn der 1970er Jahren ergaben Studien zur sozialen Schichtung das Ergebnis einer schmalen Oberschicht von 1,1 Prozent (Großgrundbesitzer, leitende Staatsbeamte, Unternehmer der Industrie, der Banken und des Handels), gefolgt von etwa 25 Prozent Mittelschicht (Angestellte, qualifizierte Facharbeiter, selbstständiger Mittelstand) und einer breiten Unterschicht von 72,3 Prozent (Rentner, Landarbeiter, unqualifizierte Arbeiter).243 Diese Untersuchungen weisen auch darauf hin, dass die Wirtschaftsreformen große Einkommensunterschiede mit sich brachten.244 Die neue soziale Realität in Folge der Wirtschaftsreformen des Regimes stand im Zentrum der Kritik insbesondere vieler katholischer Intellektueller und militanter religiöser Gruppierungen, die dem Regime vorwarfen, dass die Wirtschaftsreformen mit keinerlei sozialen Reformen einhergingen und der Wohlstand daher nur für Wenige reserviert worden sei.245 Insbesondere die Stadtperipherien, die vor allem von der nicht privilegierten Unterschicht bewohnt waren, standen im Zentrum des Interesses christlicher Akteure und apostolischer Laienbewegungen. Gerade Barcelonas Barackensiedlung Camp de la Bota als eine der ärmsten Siedlungen der Stadt zog diverse Akteure an. Bereits 1957, infolge der in Barcelona organisierten Konferenz von Rogelio Duocastella zum Thema Migration und Suburbia, richtete sich der Blick diverser christlicher Akteure auf die Siedlung. Die katholischen Soziologen schlugen nämlich Alarm, dass es »dort an allem fehlt : materiell und geistig.«246 In dieser Einschätzung ging es nicht nur um die weitgehend fehlenden Infrastrukturen, sondern auch um den Mangel an Gemeinschaftsgefühl : Die Bewohner Camp de la Botas galten für die Teilnehmer der Konferenz als »unzähmbar individualistisch«, weshalb »nichts gas, S. 156–179 ; Tusell, Spain, S. 200 ; Sebastian Balfour, Dictatorship, Workers, and the City. Labour in Greater Barcelona since 1939, Oxford 1989, S. 41–61. 243 Bernecker, Sozialgeschichte Spaniens, S. 314–315. 244 Darauf weisen auch Studien zum Absatz von Haushaltswaren in den 1960er Jahren hin : Von 100 verkauften Waschmaschinen wurden beispielsweise 53 von Vertretern der Mittelschicht erworben ; nur 10 gingen an unqualifizierte Arbeiter ; bei den Kühlschränken gingen 49 an die Mittelschicht und 9 an die Arbeiter ; von 100 Automobilen gingen sogar 42 an die Mittelschicht und nur 7 an die Arbeiter. In : Encuesta de equipamiento y nivel cultural de la familia, Bd. 2, hg.v. Instituto Nacional de Estadística, Madrid 1968, S. 85–91. 245 Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 54. 246 Transformación del Suburbio en barrio. Intervenciones, in : Semana del Suburbio, S. 97–100, hier : S. 98.
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einen sozialen Sinn in ihnen erwecken« könne.247 Die aus ländlichen Gegenden zugewanderten Migranten, meist aus ökonomisch schwachen Verhältnissen stammend und beruflich unqualifiziert, galten als unangepasst ; ihnen wurden pauschal eine proletarische Mentalität und ein niedriger Grad an Moralität zugeschrieben.248 Für die Integration dieser Siedlung in das urbane Leben war nach Auffassung der katholischen Soziologen daher vor allem ein Umdenken der Bewohner notwendig. Dies könne, so die Idee, zunächst durch die Einrichtung einer Pfarrgemeinde geschehen. In Camp de la Bota existierte zu dieser Zeit keine solche : Die für die Siedlung zuständige Pfarrgemeinde San Pedro Armengol befand sich in der Nachbarsiedlung La Mina. Zusätzlich organisierten die Piaristen, die als Ordensgemeinschaft seit ihrer Gründung im 16. Jahrhundert vor allem in der Erziehung und im Schuldienst tätig waren,249 mit Hilfe des Pfarrers im Jahre 1954 in dem in der Siedlung gelegenen Schloss (sog. Quatre Torres) zwei Schulräume (einen für Mädchen und einen für Jungen) für insgesamt 140 Kinder, die von zwei Lehrern zweimal wöchentlich betreut wurden.250 Den Diskutanten schien jedoch eine ständige materielle und geistige Betreuung in der Siedlung Camp de la Bota notwendig. Ihrer Auffassung nach könne ein Pfarrer mithilfe von Sozialassistenten eine perfekte religiöse Begleitung anbieten, die in den Bewohnern ein Gefühl der Brüderlichkeit erwecke und ihnen signalisiere, dass sie nicht alleine gelassen würden.251 Die Pfarrgemeinde sollte demnach nicht nur ein geistiges Zentrum, sondern eine Basis für die Weiterentwicklung einer Siedlung darstellen, die diese Gemeinschaft in allen sozialen Aktivitäten beeinflussen sollte.252 Für die Belebung des sozialen Lebens der Siedlungsbewohner seien zudem urbane Infrastrukturen wie Straßenbeleuchtung, Wasser- und Stromversorgung, Kanalisation, sanitäre Einrichtungen sowie soziale Betreuungsinstitutionen wie Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen 247 Ebd. 248 Vgl.: José Pereña, La adaptación del inmigrante, in : Semana del Suburbio, S. 36–39, hier : 38–39. 249 Vgl.: Joan Florensa i Parés, La formació dels primers escolapis a Catalunya (1683–1742), in : Educació i cultura. Revista mallorquina de pedagogia, Nr. 8–9, 1990–1991, S. 57–61 ; Bonaventura Pedemonte Feu, Tres-cents anys d’Escola Pia a Catalunya, Barcelona 1984, S. 7–20. 250 Resumen informativo de la obra realizada en el Campo de la Bota Escuelas Pías Pekin, ohne Dat., in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 3 ; Joan Florensa i Parés, El projecte educatiu de l’escola Pia de Catalunya (1683–2003) : una escola popular, Barcelona 2010, S. 549. 251 Transformación del Suburbio en barrio, S. 98. 252 Barcelona y sus suburbios, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 8.
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notwendig, damit die Kinder von Anfang an eine »menschliche Bildung«253 erhielten. In diesem Kontext und spätestens infolge der kirchlichen Reformen des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) zogen diverse christliche Akteure nach Camp de la Bota. Als Konsequenz begannen seit Beginn der 1960er Jahre drei katholische Institutionen – eine Pfarrgemeinde, die Piaristen und die Sozialarbei terinnen der Caritas –, gemeinsam mit kommunalen Institutionen in Camp de la Bota zu wirken und für die Weiterentwicklung der Siedlung zu sorgen. Das Zusammenspiel erwies sich jedoch keinesfalls als harmonische Zusammenarbeit, sondern provozierte Interessenskonflikte und Konkurrenzverhältnisse zwischen diesen Gruppen. 3.4.1 Das Wachstum der Siedlung Camp de la Bota im Kontext der politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen der 1960er Jahre
Die Siedlung Camp de la Bota wuchs seit Beginn der 1960er Jahre als Resultat der Wirtschaftsreformen und neuen politischen Ansprüche des Regimes übermäßig. Die Wirtschaftskrise in den agrarischen Gebieten und die Industrieentwicklung, die einen steigenden Bedarf an Industriekräften mit sich brachte, verursachte eine breite Wanderungswelle vom Land in die Stadt. Unterstützend wirkte dabei auch die Liberalisierung der Migrationspolitik, die in der voranschreitenden Industrialisierung begründet war. Der seit 1960 amtierende Wohnungsminister José María Martínez y Sánchez-Arjona (1960–1969)254 versprach 150.000 Zuwanderern jährlich Arbeit und eine Wohnung sowie die Unterstützung der öffentlichen Beratungsstellen mit Niederlassung in der Stadt.255 Als Konsequenz wechselten zwischen 1960 und 1975 laut offiziellen Angaben insgesamt 4,6 Millionen Spanier ihren Wohnort.256 Katalonien, wo die traditionelle Textilindustrie zugunsten der Chemie-, Metall- und Elektroindustrie sowie insbesondere des Bauwesens stark an Bedeutung verlor, zog besonders viele Migranten an.257 In der Folge registrierte Katalonien eine verstärkte Zuwanderung in die Städte. Allein in der Zeit zwischen 1961 und 1965 betrug diese Zahl ca. 800.000 253 Ebd., Bl. 6. 254 Mehr zu José María Martínez y Sánchez-Arjona s. u.a. in : Los 90 ministros de Franco, S. 237– 238. 255 La humanización jurídica de la inmigración, in : La Vanguardia Española, 9.11.1965, S. 28. 256 Moradiellos, La España de Franco, S. 140 ; Tusell, Spain, S. 197. 257 Vgl.: Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 304 ; Molinero, Ysás, Productores disciplinados, S. 50.
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Migranten, von denen sich 50 Prozent in Barcelona niederließen.258 Diese massive, die Schätzungen der Obrigkeit zahlenmäßig weit übertreffende LandStadt-Migration vergrößerte automatisch die Wohnungsnot. Während sich die Migranten aufgrund der stetig steigenden Bodenpreise keine Eigentumswohnung leisten konnten, konnten sie seit 1960 aufgrund des neuen Mietgesetzes (Ley de Propiedad Horizontal) auch nur schwer eine Wohnung mieten.259 Das Ley de Propiedad Horizontal wurde im Rahmen des Stabilisierungsplans zugunsten des privaten Wohnungsbaus verabschiedet, beendete endgültig die Politik der Mieten auf Basis von Wohnungsgrößen aus dem Jahre 1946 (Ley de Arrendamientos) und forcierte somit den Verkauf von Wohnungen. Als Konsequenz vermehrten sich die Barackensiedlungen rasch, und die bereits existierenden breiteten sich zunehmend auch zwischen den neugebauten Großsiedlungen aus. Allein in Camp de la Bota lebten 1963 bereits 4.500 Menschen in rund 690 Baracken. Davon befanden sich 305 in demjenigen Teil der Siedlung, der zum Gebiet der Kommune Sant Adrià de Besòs gehörte (Parapeto), 385 waren in Barcelona (Pekín) ansässig. Insgesamt lebten 785 Familien in der Siedlung, vorwiegend aus Málaga, darunter etwa 200 Roma-Familien.260 Neben der Zuwanderung beeinflusste daher auch das Wachstum von Camp de la Bota zum großen Teil die Urbanisierungs- und Entballungspolitik der Stadtverwaltung Barcelona. Die Kommune Sant Adrià de Besòs und somit auch Parapeto wurden infolge dieser Politik zum Dezentralisierungsraum für die Metropole. Bereits zu Beginn der 1950er Jahre gehörte es aufgrund der starken Zuwanderung und des damit verbundenen rapiden Stadtwachstums Barcelonas zu den Prioritäten der lokalen Mächte, der Konzentration der Bevölkerung in der Großstadt mit stadtplanerischen Instrumenten entgegenzuwirken. Im Gegensatz zu Madrid, wo man sich für die Eingemeindung der umliegenden Munizipien entschied, um auf diese Weise bebaubaren Boden für den geplanten sozialen Wohnungsbau zu gewinnen, optierten die lokalen Institutionen in Barcelona für eine Begrenzung der Ausdehnung der Stadt, indem das Stadtwachstum und die Urbanisierung für die gesamte Stadtregion geplant und kontrolliert werden sollte.261 Der Pla Comarcal de Barcelona, der Plan für die Region Barcelona von 258 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 129. 259 Ley 49/1960 de 21 de julio, sobre propiedad horizontal, in : BOE, 23.07.1960, Nr. 176, S. 10299– 10303. 260 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 261 Pla Provincial de Barcelona, in : Arxiu Històric del , fons Manuel Baldrich i Tibau, C 1398/4, unpag.
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1953, konzipierte somit für Barcelona einen Dezentralisierungsraum, in den 28 umliegende Munizipien integriert wurden. Dem Plan nach sollte so das Stadtwachstum für Barcelona auf 2,4 Millionen und in seiner Peripherie auf 4 Millionen Menschen begrenzt werden.262 Mithilfe eines Generalplans sollte der gesamte Boden in der Region nach Funktionen und Größe unter Aufsicht der neu gegründeten Comisión de Urbanismo, der Urbanisierungskommission, unterteilt werden. Im Weiteren sollten die Munizipien diese Bereiche durch Teilbebauungspläne den festgelegten Funktionen (Wohn-, Erholungs- oder Industriebereich) nach urbanisieren.263 Realpolitisch bedeutete diese Vereinbarung jedoch eine Einflusserweiterung der Stadt Barcelona gegenüber den sechs unmittelbar benachbarten Munizipien im Umland, die somit zu einer »Erweiterung der Hauptstadt« der Region wurden.264 Dieses Vorrecht der Stadt Barcelona gegenüber den kleinen Munizipien, darunter in besonderer Weise dem benachbarten Sant Adrià de Besòs, wurde im Jahr 1960 mit der Verabschiedung der sog. Carta Municipal (Kommunale Charta) zusätzlich verstärkt.265 Die Verabschiedung der Kommunalen Charta war eines der wichtigsten politischen Ziele des Bürgermeisters Barcelonas, Josep Maria de Porcioles. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit versprach er u.a., mehr zivile Rechte für Katalanen zu gewähren, das urbane Chaos zu bewältigen, das Problem der suburbanen Peripherie zu lösen, die Barackensiedlungen endgültig zu bekämpfen und die Probleme der Wasserversorgung und des öffentlichen Transports in der Stadt zu lösen. Um all diese Versprechungen zu erfüllen, benötigte er jedoch eine Ausweitung der kommunalen Kompetenzen Barcelonas und ein höheres Finanzbudget für die Stadtverwaltung, weshalb er vom Zentralstaat die Verabschiedung der Kommunalen Charta forderte. Für die Technokraten war die Kommunale Charta wiederum eine Möglichkeit, wie der Historiker Martí Marín argumentiert, gesellschaftlichen Konsens durch wirtschaftliche Erfolge zu erzielen und einen Kompromiss für die zugespitzte soziale Unzufriedenheit in Barcelona im 262 Gestión o caos : el Área Metropolitana de Barcelona, hg. v. Círculo de Economía, Barcelona 1973, S. 40. 263 Ley de 3 de diciembre de 1953 sobre ordenación urbana de Barcelona y su comarca, in : BOE, 5.12.1953, Nr. 339, S. 7180–7181. Vgl.: Joan Busquets, Barcelona : la construcción urbanística de una ciudad compacta, Barcelona 2004, S. 317–318. 264 Ministerio de la Vivienda, Plan General de Ordenación de la Provincia de Barcelona. Memoria, Barcelona 1959, S. 31. Vgl.: Manuel Baldrich Tibau, Ante el crecimiento desmesurado de los aglomerados urbanos. La ciudad-comarca, Barcelona 1952. 265 Muntaner i Pascual, Sant Adrià de Besòs, S. 86.
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Kontext der politisch-ökonomischen Krise 1957 zu erreichen.266 Die Kommunale Charta versprach der Stadt, insbesondere dem Bürgermeister, größere Finanzmittel sowie erweiterte Kompetenzen in der Stadtplanung und -entwicklung wie auch direkte Verhandlungsmöglichkeiten mit den zentralen Organen in Madrid ohne die bisher notwendige Vermittlung durch den Zivilgouverneur.267 Allerdings änderte dieses politische Manöver nichts an der politischen Unterordnung Barcelonas unter den Zentralstaat, verstärkte jedoch wesentlich die Position der Stadt gegenüber kleinen Munizipien in der Region. Die Urbanisierungspläne des neuen Bürgermeisters richteten sich nach dem Konzept eines »Großen Barcelona«,268 in dem die Stadt eine zentrale Rolle im Metropolgebiet einnehmen sollte und durch einen ambitionierten Plan eines schnellen Verkehrsnetzes mit allen Vororten verbunden wäre. Diese Idee schrieb sich in die Städtepolitik der Technokraten ein, welche die sog. »urbane Erneuerung« (renovación urbana) propagierten. Demnach sollte sich die neu konzipierte Stadtentwicklung an den Ansprüchen einer modernen urbanen Gesellschaft orientieren. Im Rahmen der »urbanen Erneuerung« der Städte propagierten die Technokraten unter anderem auch die Beseitigung der Barackensiedlungen. Laut der ministeriellen technischen Experten sei der schlechte Zustand der Städte ein Resultat des unkoordinierten Vorgehens, des ökonomischen Egoismus, der Spontaneität und kurzfristiger und notbedingter Maßnahmen. In der Kritik standen die neugebauten Poblados des Sozialen Notplans, die als »eine falsche Dezentralisierung« angesehen wurden, welche »sich darauf begrenzt, Wohnsiedlungen ins Agrarland entlang der Bahnlinien zu versetzen, ohne eine minimale Infrastruktur sicherzustellen« : Es ist schmerzhaft, erkennen zu müssen, dass der Soziale Notplan nicht befriedigend durchgeführt wurde. Auch wenn damit das beängstigende Sozialproblem der Wohnungsnot gelöst wurde, kann man leider nicht dasselbe von der urbanen Stadtentwicklung sagen.269 266 Marín i Corbera, Catalanisme, clientelisme i franquisme, S. 78–79. 267 Ministerio de la Gobernación, Decreto 1166/1960 de 15 de junio por el que se establece un régimen especial para el Municipio de Barcelona, conforme a lo autorizado por el artículo 94 de la vigente Ley de Régimen Local, BOE, 24.06.1960, Nr. 151, S. 8685–8694. Vgl.: Busquets, Barcelona, S. 334 ; Código de Barcelona. Ley de Régimen Especial. Reglamentos de organización y administración y de hacienda municipal, hg. v. Ayuntamiento de Barcelona, Barcelona 1965. 268 La Barcelona de Porcioles, hg. v. José María Alibés, Barcelona 1975, S. 13–16. 269 »Es penoso tener que reconocer que el Plan de Urgencia Social de Madrid no se ha cumplido satisfactoriamente, pues si bien se han realizado, y con creces, sus previsiones para resolver el
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In diesem Sinne bewerteten die ministeriellen technischen Experten die bisherige Entwicklung in der Stadt Barcelona und ihrer Umgebung als eine »Transformation einer ganzen Region in ein Chaos aus Zement und Ziegelstein.«270 Die von den Technokraten propagierte »urbane Erneuerung« sollte demgegenüber zum »humanistischen Ausdruck der Urbanisierung« werden, was keine »bloße Zerstörung von alten, ungesunden und an die neuen Bedürfnisse der Stadt und ihrer Bewohner unangepassten Stadtvierteln und Ersetzung dessen durch neue« sein sollte. Laut der programmatischen Parole ging es nicht um eine »chirurgische Operation«, sondern vielmehr um eine Stadtentwicklung gemäß den Ansprüchen der Bewohner. Die Erneuerung beinhaltete somit auch die Liquidierung von Barackensiedlungen als »eine Forderung der sozialen Gerechtigkeit« und »der Notwendigkeit, ihre Bewohner in die urbane Gesellschaft zu integrieren«.271 Dabei wurden jetzt in der offiziellen Sprache nun weniger mit Immoralität und Promiskuität in Verbindung gebracht, sondern mehr mit »Praktiken eines Höhlenmenschen« oder mit »mittelalterlicher Rückständigkeit«, die dem modernen urbanen Leben nicht mehr entspreche. An der staatlichen Politik der »urbanen Erneuerung« beteiligte sich die Stadt Barcelona mit dem sog. Plan de Remodelación de Suburbios, dem Plan der Sanierung von Suburbia aus dem Jahre 1961.272 Dieses Vorhaben wurde zum Teil durch eine Reihe von Unglücksfällen in den Barackensiedlungen begründet.273 Auch Camp de la Bota war durch den sandigen und instabilen Boden in Strandnähe und eine konstante Hochwassergefahr im Bereich der Mündung des Flusses Besós stets gefährdet.274 Bereits im Jahre 1960 sah sich die Kommunalverwaltung von Sant Adrià de Besòs gezwungen, Grundstücke des der Siedlung benachbarten Unternehmens Catalana de Gas y Electricidad aufzukaufen und dort mehrere Holzbaracken mit zwei Zimmern und einer Küche für 80 Familien zu bauen, die aufgrund des Hochwassers im Flussbereich ihre Wohnräume verangustioso problema social de la vivienda, no puede decirse lo mismo de sus directrices para la planificación urbana.«, in : Enrique Serrano Guirado, La administración local y los problemas de la renovación urbana, Madrid 1961, S. 72. 270 Ebd. 271 Ebd., S. 30. 272 Vgl.: Xavier Camino, Pilar Díaz, El paso de las barracas a las viviendas sociales, 1940–1990, in : Barracas, S. 129–156, hier : S. 137. 273 Vgl.: Cuatro barracas de Montjuich sepultadas por un desprendimiento de tierras, in : La Vanguardia Española, 9.03.1963, S. 1 ; Un fuerte temporal de Levante azotó la playa de Domorrostro, in : La Vanguardia Española, 10.11.1964, S. 21. 274 El Campo de la Bota y sus barracas, San Adrián de Besós, 1973, in : ASAB, Estudi del Camp de la Bota, Caixa 1, Bl. 7.
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loren hatten.275 Daher galt Camp de la Bota als dringend zu beseitigen, obwohl die Sanierungspolitik der Technokraten nicht selten vorsah, Barackensiedlungen zu legalisieren und diese dadurch als urbanes und somit auch urbanisierbares Terrain zu deklarieren.276 Nun verfolgte der Bürgermeister Barcelonas Josep Maria de Porcioles eine Politik der Stadtplanung, die zwar die Abschaffung der Baracken beinhaltete, jedoch nur zweitrangig, als notwendige Maßnahme im Rahmen seiner zahlreichen Urbanisierungsprojekte in der Metropole. Zu Beginn der 1960er Jahre gehörte nämlich die Errichtung eines Vergnügungsparks am Berg Montjuïc zu seinen höchsten Prioritäten, nachdem 1960 Staatschef Franco bei seinem Stadtbesuch das Schloss Montjuïc, das bis dahin als militärisches Gefängnis genutzt worden war, der Stadt Barcelona offiziell zurückgegeben hatte.277 Im Rahmen dieses Projektes mussten jedoch zunächst alle dort befindlichen Baracken abgerissen werden. Das Wohnungspatronat realisierte in diesem Zusammenhang Sozialbauprojekte, die meisten davon jedoch außerhalb Barcelonas im administrativen Raum anderer Munizipien, um die betroffenen Barackenbewohner in die benachbarten Orte umzusiedeln.278 Diese Umsiedlung der Bewohner von rund 800 Baracken aus Montjuïc führte dabei zu zahlreichen Konflikten zwischen den jeweiligen Stadtverwaltungen auf lokaler Ebene.279 In diesem Kontext warf man der Stadtverwaltung Barcelona vor, dass die kommunalen Institutionen Barcelonas nicht die Barackensiedlungen beseitigten, die sich in einer besonders defizitären Situation befanden, sondern lediglich jene, die die großen Urbanisierungsprojekte von Porcioles verhinderten, zu welchen unter anderem das Prestigeprojekt des Vergnügungsparks Montjuïc gehörte.280 Man machte den 275 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Expediente : Gestiones para la adquisición de terrenos de propiedad de »Catalana de Gas y Electricidad« para construcción de viviendas modestas para albergues de las familias de las barracas del Campo de la Bota, San Adrián de Besós, 1961, in : ASAB, caixa 1593. 276 Vgl.: Busquets, Barcelona, S. 272. 277 La Barcelona de Porcioles, S. 37. Vgl.: Albert Palà, La visita de Franco i les tres C, in : El franquisme a Catalunya 1939–1977. La immigració, el desarrollismo y la resistencia cultural, hg. v. Josep Maria Solé i Sabaté, Bd. 3, Barcelona 2006, S. 144–146. 278 Vgl.: El estadio ya no cobija miseria y tristeza, in : La Vanguardia Española, 6.12.1967, S. 45 ; Franco entregará mañana 2.449 viviendas sindicales del grupo »La Paz«, in : La Vanguardia Española, 3.07.1966, S. 9. 279 Dirección General de Política Interior y Asistencia Social, Ministerio de la Gobernación, Barraquismo en la zona de Montjuich, 30.04.1968, in : AHGCB, caixa 311, Governadors Civils, Bl. 1–2. 280 Ebd., Bl. 2.
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Bürgermeister dafür verantwortlich, Barcelonas Probleme im Zusammenhang mit konfliktreichen sozialen Gruppen aus der Stadt in andere Kommunen zu verlagern, die umliegenden Munizipien durch seine »Hegemonie« zu deformieren und sie zu einer Suburbia-Peripherie der Metropole werden zu lassen.281 Auf diese Weise, so der Vorwurf, betreibe Porcioles einen regionalen Zentralismus in Katalonien mit der Stadtverwaltung als »Fast-Ministerium.«282 Unter den mit Barcelona in Konflikt stehenden Munizipien in der Region befand sich in erster Linie die Kommune Sant Adrià de Besòs. Der unmittelbare Auslöser dieses Konflikts war die Umsiedlung der Barackenbewohner aus dem Bereich um den Berg Montjuïc in die Siedlung Sud-Oest del Besòs, die 1958 vom Wohnungspatronat Barcelonas im Rahmen des Sozialen Notplans in Sant Adrià de Besòs neu gebaut worden war.283 Zwar wurden einige Bewohner aus Camp de la Bota ebenfalls dorthin umgesiedelt ; dabei handelte es sich jedoch ausschließlich um die Bewohner des innerhalb der Stadt Barcelona liegenden Siedlungsteils Pekín. Zudem praktizierte die Stadt Barcelona eine unbegrenzte Umsiedlung von Menschen, die aus sich im Prozess der Auflösung befindlichen Barackensiedlungen stammten und für die in Barcelona keine Wohnräume zur Verfügung standen, nach Camp de la Bota.284 Nachdem einige der Barackensiedlungen in Barcelona von Hochwasser betroffen gewesen waren (unter anderen Somorrostro), ordnete die Stadtverwaltung Barcelona die Umsiedlung der dort wohnhaften Menschen nach Camp de la Bota in jenen Siedlungsteil (Parapeto) an, der sich in den administrativen Grenzen der Kommune Sant Adrià de Besòs befand.285 Aufgrund dieser Umsiedlungspolitik sank die Zahl der Baracken in Pekín innerhalb des Verwaltungsbereichs Barcelonas zu Beginn der 1970er Jahre um 23 Prozent, während diese Zahl in Parapeto in Sant Adrià de Besòs um 31,5 Prozent anstieg.286 Hinsichtlich der Forderung des Zivilgouverneurs gegenüber den Kommunen, die Beseitigung der Baracken in den Städten voran281 Barcelona y su periferia, in : El Correo Catalán, 10.09.1967, S. 2. 282 La Barcelona de Porcioles, S. 12. 283 Vgl.: Alfred Matas Pericé, Al sud-oest del riu Besòs (Deu anys de la vida d’un barri barceloní), Barcelona 1970. 284 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag.; Pisos nuevos y »nuevas« barracas, in : El Correo Catalán, 21.01.1968, S. 5. 285 Vgl.: El Somorrostro y sus barracas, in : La Vanguardia Española, 27.04.1962, S. 27 ; El Ayuntamiento labora por la solución del problema de las barracas, in : La Vanguardia Española, 10.12.1961, S. 29. 286 Los olvidados de Barcelona : El Campo de la Bota, in : Sábado gráfico, Nr. 762, 1972, S. 6.
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zutreiben,287 war die Praxis der Abschaffung der Baracken der Stadtverwaltung Barcelona zum Nachteil der kleinen Kommune Sant Adrià de Besòs dementsprechend höchst konfliktstiftend. Diese interkommunale Politik wirkte jedoch auf die Bewohner der Siedlung nur insofern zurück, als dass sie dort eine ständige Fluktuation von Nachbarn erleben mussten. Allerdings erhofften sie sich nicht den Ausbau oder die Legalisierung der Siedlung, sondern eine Sozialwohnung, die die öffentlichen Stellen im Rahmen des Plan de Remodelación de Suburbios zur Verfügung zu stellen versprachen.288 Zwar bestand die Aspiration der Barackenbewohner darin, diese Siedlung in kurzer Zeit verlassen zu dürfen, jedoch unterstützten diese die Permanenz der Baracken zum Teil auch selbst : Wenn Barackenbewohner auf der Suche nach Arbeit ins Ausland gingen,289 Eigentum kauften bzw. eine Wohnung erhielten, dann wurden die Baracken gegen eine Ablösesumme illegal an Andere weitergegeben. Diese Transaktion lief folgendermaßen ab : Die an dem Kauf einer Baracke Interessierten bezahlten zunächst 8.000 Peseten an einen Vertreter der Siedlung (den Wächter)290, damit er bei einem solchen illegalen Geschäft ein Auge zudrückte und den Handel nicht der Stadtverwaltung meldete. Des Weiteren bezahlten sie eine Summe zwischen 34.000 und 60.000 Peseten an den bisherigen Barackeninhaber.291 Diese weit verbreitete Praxis hatte ihre Ursache im Anstieg der Bodenpreise und dem Mangel an billigem Wohnraum. Dies beeinflusste auch die Preise der Baracken wesentlich. Durch die steigende Nachfrage revalorisierten sich die Barackenpreise schnell, sodass die Hütten für ihre Bewohner zu einer sicheren Geldanlage wurden, die als eine Investition in die beanspruchte zukünftige 287 Dies geht zumindest aus der von den Piaristen geführten Chronik hervor, in welcher sie den Bürgermeister als einen guten und sozial engagierten Menschen bezeichneten, der jedoch unter starkem Druck des Zivilgouverneurs stehe. In : Cronica Escola Pia a Pekin Camp de la Bota, Volum 3, any 1967, 1968, 1969, Al Camp de la Bota pasando por Pekin, 1967, in : CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag. 288 Vgl.: La otra cara de Montjuich, in : El Noticiero Universal, 29.04.1967, S. 38. 289 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 290 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Expediente Alcaldía, Escrito del empleado del Camp de la Bota informando sobre los servicios municipales en aquella zona y circunstancias que concurren en la misma, 1967, in : ASAB, Ul. 372, exp. 9, unpag. 291 Briefwechsel zwischen dem Zivilgouverneur Tomás Pelayo Ros und dem Bürgermeister Josep Maria de Porcioles, Barcelona 1972, in : AHGCB, caixa 311/79, Correspondencia de Governadors, unpag ; El Campo de la Bota y sus barracas, in : ASAB, Estudi del Camp de la Bota, Caixa 1, Bl. 3 ; Sábado gráfico, Nr. 762, 1972, S. 9.
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Wohnung gedacht war.292 Dabei waren die Preise von der Größe und dem Zustand der Baracke abhängig. Der Ausbau und die Verschönerung der eigenen Baracke wurden daher von den Bewohnern nicht nur als eine vorübergehende Verbesserung der Lebensqualität der eigenen Familie, sondern vor allem als eine sichere Anlage ihrer Ersparnisse in der Wartezeit auf eine zukünftige Wohnung angesehen. Der Erwerb einer Stadtwohnung, die für die Zuwanderer den Zugang zur eigentlichen Stadt und zu urbanem Leben bedeutete,293 gehörte zu den vordringlichsten Wünschen der Bewohner in Camp de la Bota. Dieses Ideal wurde in den 1960er Jahren durch die Konsumpraxis der wiedererstarkten Mittelschicht intensiviert, welche der wachsende private Wohnungsbausektor in den 1960er Jahren durch die steigende Kaufkraft als Käufer entdeckte und deshalb einen Großteil des Wohnungsangebots an ihr ausrichtete. Die Arbeiterschichten, die in Camp de la Bota durch die vorwiegend nicht qualifizierten, im Bauwesen oder in der Schwerindustrie beschäftigten Arbeiter repräsentiert wurden,294 hinkten zwar dem Wirtschaftsaufschwung ökonomisch immer noch hinterher, versuchten sich jedoch gerade durch Konsumverhalten und Habitus den Mittelschichten anzugleichen.295 In diesem Sinne gab es in Camp de la Bota in fast jeder Baracke einen Fernsehapparat, obwohl die Siedlung zu den ärmsten Gegenden der Stadt zählte und dort weiterhin notwendige Infrastrukturen, darunter insbesondere die Wasserversorgung, fehlten.296 Die Ersparnisse aus dem 12 bis 14-stündigen Arbeitstag der Bewohner wurden dagegen in die Bauarbeiten an den Baracken investiert,297 was den Traum von einer Wohnung, die als Statussymbol der Mittelschicht galt, zu verwirklichen helfen sollte. Dabei galten die Vergrößerung der Parzelle oder der Bau einer weiteren Baracke als »am rentabelsten«.
292 Vgl.: Juan Busquets Grau, Políticas de vivienda versus urbanización marginal, in : Ciudad y Territorio, Nr. 1, 1976, S. 9–28, hier : S. 11. 293 Vgl.: Tomás Villasante Rodríguez u.a., Retrato de chabolista con piso. Análisis de redes sociales en la remodelación de barrios de Madrid, Madrid 1989, S. 21. 294 Cronica de la Escola Pia al Camp de la Bota, Barcelona, 1954–1964/1965, Bd. 1, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 1. 295 Jordi Gracia García, Miguel Ángel Ruiz Carnicer, La España de Franco (1939–1975). Cultura y vida cotidiana, Madrid 2001, S. 275 ; Alonso, Conde, Historia del consumo, S. 194–196. 296 El Campo de la Bota (escrito firmado por Maria-Roser Cortes Colome en el que expone las condiciones de vida en el barrio denominado »Campo de la Bota«) 20 de enero de 1971, in : AHGCB, caixa 27, Governadors Civils, unpag. 297 Resumen informativo de la obra realizada en el Campo de la Bota Escuelas Pías Pekín, ohne Dat., in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 1–2.
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Der Zeitraum zwischen 1964 und 1966 scheint besonders fruchtbar für Bauinvestitionen der Bewohner in die eigenen Baracken gewesen zu sein. In diesem Zeitraum ging eine bemerkenswerte Zahl von Anträgen bei der Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs ein, in welchen die Bewohner eine Genehmigung für zahlreiche Bauveränderungen der eigenen Behausungen erbaten.298 Die Bauarbeiten betrafen meistens eine Vergrößerung des Küchenraums oder den Anbau eines oder mehrerer zusätzlicher Zimmer, für welche man freien Raum auf der Parzelle nutzte. Die Bewohner begründeten den Bedarf meist mit einer inzwischen vergrößerten Familie. Andere wünschten sich, ihre kleine Baracke gegen eine größere zu tauschen, die gerade frei wurde. Manche wollten lediglich ihre aus einfachen Sperrmüllbrettern gebauten Baracken mit stabilem und qualitativ hochwertigerem Baumaterial erneuern, um mehr Schutz vor Kälte und Feuchtigkeit zu haben. Zudem gab es in Camp de la Bota durchaus auch Baracken, in denen mehrere Generationen zusammenleben mussten.299 Diese Familien wollten ihre Ersparnisse in den Bau einer weiteren Baracke investieren, um unabhängig sein zu können. Inzwischen besaß auch mancher Bewohner in der Siedlung einen Wagen, und versuchte, bei der Stadtverwaltung eine Genehmigung für den Bau einer Garage neben der Wohnbaracke zu erhalten.300 Da die Stadtverwaltung Renovierungsarbeiten und die Vergrößerung von Wohnräumen in der Regel erlaubte,301 wurden die Anträge in den meisten Fällen genehmigt, insofern keine Konstruktion einer gänzlich neuen Baracke angestrebt war.302 Die Stadtverwaltung unterstrich dabei bei jeder erteilten Genehmigung, dass der Verkauf oder die Abgabe der Baracken gegen Ablöse streng verboten waren.303 Bestand das Interesse der Bewohner darin, aus ihren Baracken möglichst großen Gewinn zu erwirtschaften, war die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs wiederum daran interessiert, die räumliche und soziale Vergrößerung der 298 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente : Aurorizaciones Obras »Campo Bota«, 1964, in : ASAB, Ul. 482, exp. 2, unpag. 299 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 300 Es handelt sich um eine Sammlung von Anträgen der Bewohner an die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs, in : Ayuntamiento de Sant Adriá de Besós. Expediente : Aurorizaciones Obras »Campo Bota«, 1964, in : ASAB, Ul. 482, exp. 2, unpag. 301 Ayuntamiento de Sant Adrià de Besòs, Expediente Alcaldía, Escrito del empleado del Campo de la Bota informando sobre los servicios municipales en aquella zona y circunstancias que concurren en la misma, 1967, in : ASAB, Ul. 372, exp. 9, unpag. 302 Aurorizaciones Obras »Campo Bota«, in : ASAB, Ul. 482, exp. 2, unpag. 303
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Abb. 24–26 : Einblicke in die Siedlung Camp de la Bota am Rande Barcelonas, Mitte der 1960er Jahre. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons José María Martínez-Marí Odena.
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Siedlung zu vermeiden, solange keine ausreichende Zahl an Sozialwohnungen für die endgültige Liquidierung der Siedlung zur Verfügung stand. 3.4.2 Die »Kommunalisierung« des Siedlungsteils Parapeto
Die einander widersprechenden Interessen der Siedlungsbewohner und der kommunalen Institutionen im Kontext der steigenden Nachfrage nach billigem Wohnraum machten es praktisch unmöglich, die Vergrößerung der Siedlung zu stoppen. Dabei stand die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs unter dem massiven Druck des Zivilgouverneurs, der nachdrücklich die vollständige Beseitigung der Barackensiedlungen in Spanien durch die Kommunen im Sinne eines nationalen Projekts verlangte. Diese Vorgabe, die Siedlung nicht mehr wachsen zu lassen, führte dazu, dass die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs trotz des illegalen Status der Siedlung mit einer Art »Kommunalisierung« der Siedlung experimentierte. 1964 errichtete die Kommunalverwaltung im Sant Adrià de Besòs zugehörigen Siedlungsteil Parapeto eine Oficina Auxiliar Municipal (Kommunales Hilfsbüro), eine Art Stadtamt, das zwar in erster Linie der Durchführung von Statistiken und Kontrollen in der Siedlung dienen, gleichzeitig aber auch als ein Zentrum für Information und kommunale Orientierung für die Bewohner fungieren sollte.304 Der Bürgermeister von Sant Adrià de Besòs, José Narbón Noet (1961–1966), der zuvor in der falangistischen Jugendorganisation Frente de Juventudes und im Studentischen Hochschulsyndikat SEU aktiv gewesen war,305 plante bereits zu Beginn seiner Amtszeit eine Urbanisierung des Siedlungsteils Parapeto. Im Zuge dessen waren eine Straßenasphaltierung und die Bereitstellung sanitärer Installationen vorgesehen, außerdem die Einrichtung eines kommunalen Büros, in welchem unter anderem eine Art Bürgerbüro und falangistische Sozialeinrichtungen wie etwa Frente de Juventudes, die Frauenorganisation Sección Femenina, und Auxilio Social ihren Sitz finden sollten.306 Zur Realisierung ähnlicher Projekte kam es jedoch erst 1964, vorangetrieben zum Teil von der für Camp de la Bota zuständigen Pfarrgemeinde San Pere Armengol, in der seit 1961 der Priester Jaume Cuspinera tätig war. 304 Memoria de la Zona del Campo de la Bota, 1964 a 1969, San Adrián de Besós, noviembre 1969, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 305 Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 514. 306 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Expediente : Resolución de la Alcaldía, en relación a la demolición de 3 barracas construidas en terrenos públicos, 24.07.1961, in : ASAB, Ul. 272, exp. 54, unpag.
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Bevor Cuspinera nach Camp de la Bota kam, war er in der Pfarrgemeinde in der Barackensiedlung Can Tunis tätig gewesen, wo er Mitglied in einer Gruppe innerhalb der Katholischen Arbeiterjugend, der spanischen JOC ( Juventud Obrera Cristiana), gewesen war. 1919 in Belgien als demokratischer Jugendverband entstanden und in der Katholischen Aktion und in der Arbeiterbewegung verwurzelt, war die Katholische Arbeiterjugend in vielen europäischen Ländern, darunter auch in Spanien, gegründet worden, um die weitgehend säkularisierten Arbeiter für die katholische Kirche zurückzugewinnen. Da die JOC in Spanien nach belgischem Vorbild in der katholischen Gewerkschaftsbewegung aktiv gewesen war,307 war sie nach dem Bürgerkrieg zunächst verboten worden, auch wenn die vorherigen Mitglieder in diversen katholischen Organisationen (darunter auch in der OCPD) tätig blieben.308 Erst in den späten 1940er Jahren wurde die JOC als sog. JOAC ( Juventudes Obreras de Acción Católica) wiedergegründet und mit anderen Sozialwerken in die Katholische Aktion integriert. Das Ziel war die Evangelisierung der Arbeiterjugend, die als säkular und durch die republikanische Erfahrung marxistisch galt.309 Die JOC agierte somit zunächst »im Schatten der Katholischen Aktion.«310 Erst in den 1960er Jahren erlebte die JOC einen Höhepunkt ihrer Aktivität, was nicht nur durch den politisch-wirtschaftlichen Wandel in Spanien, sondern vielmehr auch durch das II. Vatikanische Konzil in Rom (1962–1965) verursacht wurde. In Folge des Zweiten Vatikanums wurden eine kirchliche Erneuerung, eine Anpassung der katholischen Kirche an die moderne Welt und somit weitgehende Reformen im Bereich der pastoralen Arbeit und der Liturgie angekündigt.311 Im Kontext dieser Reformen bekamen die Aktivitäten der JOC eine neue Relevanz. Ihre Mitglieder mischten sich unter die Arbeiter und boten sich als deren Lebensbegleiter an – als Menschen, mit denen man reden und arbeiten 307 Francisco Martínez Hoyos, La JOC a Catalunya (1947–1975). Els senyals d’una Església del demá, Barcelona 2000, S. 54. 308 Ebd., S. 76. 309 Zur Geschichte der JOC siehe u.a.: José Castaño Colomer, La JOC en España (1946–1970), Salamanca 1978 ; Martínez Hoyos, La JOC a Catalunya ; Rafael Hinojosa, La JOC entre l’Església i el Mòn Obrer. Testimoni i Documents de la JOC, en l’Època Franquista, El Prat de Llobregat 1998 ; Castaño i Colomer, Memóries sobre la JOC a Catalunya ; Juan Antonio Delgado de la Rosa, En el corazón de la JOC, Valencia 2010 ; Mónica Moreno Seco, Jóvenes trabajadoras cristianas : compromiso social y aprendizaje ciudadano en la JOC, in : Ayer. Themenschwerpunkt : Género y ciudadanía en el Franquismo, Nr. 102, 2016, S. 95–119. 310 Martínez Hoyos, La JOC a Catalunya, S. 85. 311 Payne, Spanish Catholicism, S. 194–195 ; Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 193–197.
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konnte und die ihre Probleme und Zweifel verstanden.312 Sie waren also vor Ort in den Siedlungen an den Peripherien tätig. Zudem postulierte die JOC lautstark, eine vereinigte Bewegung aller Arbeiterjugenden zu formieren, in welcher neben den Einheimischen auch die Zuwanderer ihren Platz finden konnten : Für die Evangelisierung der Arbeiterjugend hat uns die JOC beigebracht, die gesamte Arbeiterjugend, unabhängig von der Sprache, die sie spricht, zu schätzen. Und unsere Realität ist, dass ein Teil der Arbeiterjugend aus der Migration kommt.313
In diesem Sinne entwickelte sich die JOC immer mehr zu einer Alternative gegenüber den offiziellen Syndikaten, für die zivilgesellschaftliche Werte sowie Meinungsfreiheit als besonders relevant galten und wo im Zuge der Erfahrungen an den Stadtperipherien immer größere Kritik am Regime laut wurde.314 In diesem Kontext standen die Katholische Aktion und der JOC in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Während die JOC für die Katholische Aktion »wenig geistig, sondern vielmehr politisch als religiös«315 war, galt die Katholische Aktion in den Kreisen des JOC wiederum als eine »siegessichere und folkloristische« Organisation, wie man den Worten des ehemaligen JOC-Mitglieds Rafael Hinojosa entnehmen kann : In Spanien existierte eine Katholische Aktion des siegessicheren, oberflächlichen, folkloristischen und wenig evangelisierungsfähigen Typs. Das war eine Katholische Aktion der riesigen Massenveranstaltungen, der Prozessionen, der Fastenzeit und Tagungen. Die Katholische Aktion hatte jedoch keinerlei Zugang, weder zu den Jugendlichen in meiner Siedlung noch zu der nach Katalonien, Madrid oder Bilbao zugewanderten Arbeiterjugend.316
312 Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 217–222. 313 »Per evangelitzar la joventut traballadora, la JOC ens ha ensenyat a estimar-la. Estimar la joventut traballadora. Tota la joventut traballadora, parli el llenguatge que parli. I la nostra realitat és que una part de la joventut traballadora procedeix d’immigració.«, in : JOC catalana o JOC a Catalunya ? In : Qüestions de vida cristiana, Nr. 25, 1965, S. 98–104, hier : S. 101. 314 Vgl.: Moreno Seco, Jóvenes trabajadoras cristianas, S. 99–100. 315 Martínez Hoyos, La JOC a Catalunya, S. 95. 316 »A l’Estat Espanyol existia una Acció Catòlica General, de tipus triomfalista, superficial, folklorista, poc evangelitzadora. Era l’Acció Catòlica dels grans actes massius, de concentracions, de processons, de conferències quaresmals, etc. Però que no podia arribar de cap manera a la gent jove del meu barri, ni a tants i tants joves obrers immigrants a Catalunya, Madrid o Bilbao.«, in : Hinojosa, La JOC entre l’Església i el Mòn Obrer, S. 29.
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Auch Josep Castaño unterstrich als ehemaliges Mitglied der JOC den Unterschied zwischen den beiden Organisationen : Wir haben uns als Kirche empfunden, aber nicht die Kirche der Prozessionen und Missionswochen, sondern als Kirche, die mit Armen, Kranken, Marginalisierten, mit Hungrigen und mit denen leidet, die gegen Ungerechtigkeit kämpfen.317
Viele JOC-Mitglieder hatten durch die gemeinsame Arbeit in den Peripheriesiedlungen engen Kontakt mit dem falangistischen studentischen Hochschulsyndikat SEU.318 Dennoch ist nicht überprüfbar, ob der Bürgermeister José Narbón Noet und der Priester Jaume Cuspinera bereits einen solchen Kontakt hatten. Da sich jedoch die Pfarrgemeinde, in welcher Jaume Cuspinera für Camp de la Bota zuständig war, in der Siedlung La Mina innerhalb der administrativen Grenzen der Kommune Sant Adrià de Besòs befand, wandte er sich logischerweise im Jahre 1964 mit dem Vorhaben, in Parapeto ein Ärztehaus zu bauen, an die Kommunalverwaltung von Sant Adrià de Besòs.319 Zu diesem Zeitpunkt befand sich im Schloss Quatre Torres im Siedlungsteil Pekín neben den Schulräumen nur eine kleine Sanitätsstelle ohne ärztlichen Notdienst, die mithilfe von Spenden religiöser Organisationen (vor allem der Laienbruderschaft Confraria de la Mare de Deu de Montserrat de Virtèlia) durch die Pfarrgemeinde finanziert wurde. Durch das Wachstum der Siedlung war das Sanitätszentrum für die etwa 4.500 Bewohner inzwischen nicht mehr ausreichend. Dem Projekt Cuspineras nach sollte das neue Ärztehaus den Bewohnern ein breites Spektrum ärztlicher Versorgung und eine 24-stündige Notaufnahme bieten. Die Baukosten wie auch die Finanzierung des Ärztehauses, darunter die Instandhaltung der medizinischen Ausrüstung sowie die Entlohnung des beschäftigten Personals, sollten großteils von der Pfarrgemeinde, den Piaristen und den Spenden privater Institutionen und Personen getragen werden. Die Siedlungsbewohner sollten sich ebenfalls mit einem Betrag von 40 Peseten monatlich pro Familie an den Kosten beteiligen, wenn auch spezialisierte Behandlungen (wie etwa Röntgenbilder) zu-
317 »Nosaltres ens sentíem Església, però no l’Església de los processons i setmanas missionals, sinó l’Església que sofreix amb els pobres, amb els malats, amb els marginats, amb els que tenen fam, amb els que lluiten contra la injustícia«, in : Castaño i Colomer, Memóries sobre la JOC, S. 54. 318 Ebd., S. 77–78. 319 Ayuntamiento de Sant Adriá de Besós, Expediente. Obras particulares, tramitado a instancia de D. Rvdo. Jaime Cuspinera, en solicitud de licencia para instalar un centro sanitario en el Sector del Campo de la Bota, 1964, in : ASAB, Ul. 745, exp. 292, unpag.
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sätzlich bezahlt werden mussten.320 An die kommunalen Organe wandte sich der Pfarrer mit der Bitte um Unterstützung durch die Bereitstellung eines Grundstücks für den Bau sowie eine finanzielle Beihilfe. Dabei versicherte er, dass das Sanitätszentrum nur so lange existieren sollte, solange auch die Barackensiedlung existiere. Sollten die Baracken vollständig beseitigt werden, sollte auch das Sanitätszentrum abgerissen werden. Der Bürgermeister José Narbón Noet genehmigte den Bau mit der Begründung, das Ärztehaus sei von besonderer sozialer Bedeutung.321 Er versprach, neben dem Grundstück zusätzlich 25 Prozent der Baukosten abzudecken und eine jährliche finanzielle Beihilfe zu zahlen, welche allerdings jedes Jahr mit einem neuen Budget abgestimmt werden müsse. Die jährliche Subvention sollte dabei als Kompensation dafür gelten, dass in dem neu eingerichteten Gebäude auch das Stadtamt Räume erhalten solle.322 Somit konnte der Bürgermeister seine ursprüngliche Idee, in der Siedlung falangistische Sozialeinrichtungen zu etablieren, teilweise realisieren. Die Errichtung eines kommunalen Büros in Parapeto kann als eine Art der »Kommunalisierung« dieses Siedlungsteils angesehen werden, da das Büro Teil des kommunalen Verwaltungsapparats war. Diese Tatsache wurde dadurch verstärkt, dass das Hilfsbüro auch Sitz des vom Bürgermeister ernannten sog. Siedlungsbürgermeisters war.323 Bereits das kommunale Gesetz aus dem Jahre 1945 (Ley de Régimen Local) sah vor, dass der Bürgermeister für Siedlungen, die weit von der Innenstadt entfernt waren und dennoch keine eigenständigen Kommunen bildeten, einen Siedlungsbürgermeister ernennen konnte.324 Von diesem Gesetz wurde in Camp de la Bota jedoch erst nach der Errichtung des Hilfsbüros Gebrauch gemacht. In diesem Sinne interagierte die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs mit der Siedlung, indem sie deren Realität zumindest in der begrenzten Periode bis zu ihrer endgültigen Beseitigung anerkannte, auch wenn diese Art der 320 Werbeflugblatt : Una gran noticia : el proximo 4 de octubre inauguración del Centro Médico, 1964, in : CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag. 321 Expediente. Obras particulares, tramitado a instancia de D. Rvdo. Jaime Cuspinera, in : ASAB, Ul. 745, exp. 292, unpag. 322 Centro médico del Campo de la Bota, presupuesto, San Adrián de Besós, 1964, in : ASAB, Ul. 745, exp. 292, unpag. 323 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Nombramientos Alcaldes de Barrio del »Campo de la Bota«, 1965, in : ASAB, Ul. 470, unpag.; Ayuntamiento de San Adrián de Besós, D. Rafael González Madueno : Nombramiento Alcalde de Barrio Camp de la Bota, 1971, in : ASAB, Ul. 732, unpag. 324 Ley de 17 de julio de 1945 de Bases de Régimen Local, in : BOE, 18.07.1945, Nr. 199, S. 362.
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»Kommunalisierung« der Siedlung aus der Erfahrung der Realität des ständigen Siedlungswachstums, das kontrolliert und vermieden werden sollte, resultierte. Diese Einschätzung betonten auch manche zeitgenössische Beobachter, die eine Verstetigung der Siedlung befürchteten, worauf die wachsende Zahl der von der Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs subventionierten und bereitgestellten, wenn auch extrem prekären Infrastrukturen hindeute.325 Die Bereitschaft der Kommunalverwaltung von Sant Adrià de Besòs zu einer institutionalisierten Unterstützung trug dazu bei, das Vertrauen der Bewohner gegenüber der Kommune zu sichern ; auf diese Weise erhoffte man sich auch, mögliche Gruppenproteste oder nicht realisierbare Ansprüche der Bewohner zu vermeiden.326 Verkörpert wurde dies durch eine Vertrauensperson, den unter den zahlreich in der Siedlung lebenden Roma-Familien gewählten Siedlungsbürgermeister, der unter mehreren Kandidaten als besonders politisch-moralisch geeignet schien. Er lebte selbst in der Siedlung, pflegte dort soziale Kontakte und kannte alle Bewohner persönlich.327 Dies war erforderlich für seine Funktion, alle Bewohner statistisch zu erfassen und somit auch einen besseren Blick auf potentielle neue Bauvorhaben ohne entsprechende Autorisierung zu haben. Zur Unterstützung des Siedlungsbürgermeisters wurden zusätzlich Tages- und Nachtwächter von der Stadtverwaltung beschäftigt :328 Es wurde ein Hilfsbüro mit einem Beamten und zwei Wächtern installiert, die 24 Stunden Dienst leisteten, um das Problem vor Ort zu kontrollieren und zumindest zu versuchen, die illegalen Bautätigkeiten zu vermeiden. Zudem sollten sie jedem Nachbarn, der sie brauchte, Unterstützung und mögliche Hilfe im Notfall leisten. Es gab eine Regelung, dass dieses Personal Barackenbewohner sein oder zumindest früher gewesen sein sollte, um sicherzustellen, dass es die Umgebung und die Menschen gut kannte, dass es keine Angst oder Abneigung hatte und außerhalb der Verpflichtung sogar mit den Bewohnern zusammenarbeiten konnte.329 325 Sábado gráfico, Nr. 762, 1972, S. 6. 326 Vgl.: Busquets Grau, Políticas de vivienda, S. 14. 327 Memoria de la Zona del Campo de la Bota…, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 328 Ayuntamiento de Sant Adriá de Besós. Expediente, Correspondencia »Campo Bota«, 1964, in : ASAB, Ul. 482, exp. 7, unpag. 329 »Se instaló una Oficina Auxiliar de Servicios con un Administrativo y dos vigilantes que cubrían las 24 horas del día en servicio para controlar de cerca el problema y para que, al menos, no aumentasen las construciones clandestinas, ademas de poder prestar ayuda y socorro a cualquier vecino que lo precisase. Pero se tuvo la norma de que el personal fuese habitante de las barracas o al menos hubiese vivido en ellas a fin de que, conociendo al ambiente y sus gentes, no le tuviesen
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Mit Unterstützung des Hilfsbüros wurden ein umfassendes Register aller Bewohner sowie ein detaillierter Siedlungsplan ausgearbeitet, in welchem alle nummerierten Baracken und vorhandenen Infrastrukturen verzeichnet waren.330 Der Plan sollte zum einen dazu dienen, den illegalen Barackenbau zu verhindern : Baracken, die sich nicht im Plan befanden und daher nicht angemeldet waren, sollten sofort abgerissen werden. Zum anderen erlaubte das Register dem Siedlungsbürgermeister und dessen Personal, die infrastrukturellen Bedürfnisse Parapetos zu erfassen und für Projekte und Budget zu sorgen, um diese zu befriedigen. So stellte die Stadtverwaltung in Parapeto den Bewohnern bis 1967 zwei weitere öffentliche Brunnen (jetzt gab es drei), eine öffentliche Duschanlage und eine Toilette zur Verfügung und organisierte eine Straßenbeleuchtung331 sowie eine tägliche Müllabfuhr332 bei privaten Anbietern.333 Trotz dieser Arbeit konnten allerdings die Entstehung oder der Weiterverkauf der Baracken und somit das Wachstum der Barackensiedlung nicht verhindert werden. 3.4.3 Zwischen Paternalismus und Erziehung zur Staatsbürgerlichkeit. Camp de la Bota als Aktions- und Konfliktraum religiöser Gruppen
Beeinflusst durch das II. Vatikanische Konzil begannen in den Jahren 1962 und 1963 in Camp de la Bota diverse religiöse Gruppen zu agieren : Neben Jaume Cuspinera und seiner Pfarrgemeinde arbeiteten seit 1962 unter seiner Aufsicht Sozialassistentinnen der Caritas in der Siedlung. Zudem sandte die Piaristenschule, die in ihrer Struktur hierarchisch aufgebaut und dem Rektor der zentralen Piaristenschule untergeordnet war,334 im Jahr 1963 drei Piaristenbrüder nach Camp de la Bota, Josep Liñán, Jaume Sistac und Ramon Tarròs, um dort eine »wahre ni miedo ni aborrecimiento y pudiesen colaborar incluso más allá de sus estrictas obligaciones«, in : El Campo de la Bota y sus barracas, in : ASAB, Estudi del Camp de la Bota, Caixa 1, Bl. 6. 330 Ayuntamiento de San Adrián de Besós, Censo de Barracas existentes en el Campo de la Bota, 1968–1972, in : ASAB, caixa 1593. 331 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Negociado de fomento, Expediente incoado. Proyecto para la instalación de cinco lámparas del servicio de toda la noche para el alumbrado público, in : ASAB, caixa 1593. 332 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente Tenencia de Alcaldía, Propuesta del Primer Teniente de Alcalde y del Distrito V para que contrate con Don Manuel Salvador Bagan que efectúa la recogida de basuras en la Barriada de la Mina el mismo servicio en el Campo de la Bota, bajo el importe de 150 pts. Por carro y día y una recogida diaria, 1965, in : ASAB, Ul. 398, exp. 30, unpag. 333 Vgl.: Escrit del Camp de la Bota al 1969, in : ASAB, Estudi del Camp de la Bota, Caixa 1. 334 Reglamento de régimen interior, 1970, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag, Bl. 1–2.
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Gemeinschaft der Christen«335 zu bilden. Bereits zu Beginn stellte sich für alle drei Gruppen die Frage, ob die Arbeit in Camp de la Bota getrennt und jeweils nach eigenen Prinzipien oder konzertiert durchgeführt werden sollte. Jaume Cuspinera bevorzugte eine komplette Separation zwischen den religiösen Gruppen, die räumlich den zwei Siedlungsteilen, Parapeto und Pekín zugeteilt werden sollten. Die Piaristen empfanden dies als unmögliche Lösung, da die Nachbarschaft sozial eine untrennbare Einheit bilde. Auch die Trennung zwischen den Tätigkeitsbereichen aller Akteure verstanden die Piaristen als unrealisierbar aufgrund ihrer Vorstellung, dass Bildung, Religion und medizinische Versorgung untrennbar miteinander verknüpft seien.336 Die Zusammenarbeit zwischen den Piaristen, den Sozialarbeiterinnen und dem Pfarrer wurde demnach durch die Einheit der Nachbarschaft begründet, führte aber dennoch zu internen Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Arbeitsmethoden und Ziele. Die spanischen Piaristen behandelten »die kirchlichen Reformen (des Konzils) und die Anpassung der Ordnungsgemeinschaft an die neuen Formen des Kirchenlebens mit Seriosität«337 und strebten daher eine Umsetzung der Konzilsbeschlüsse an. Bereits 1963 kündigte die spanische Piaristenschule an, »die Luft des Konzils im Bereich der Pädagogik zu atmen.«338 Ihr Anliegen, dem Menschen und der Gesellschaft nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Taten zu dienen,339 wollten die Piaristen mit ihren Bildungsprojekten u.a. in Camp de la Bota umsetzen. So zogen die drei Piaristen in eine nach dem Vorbild der übrigen Baracken aus Sperrmüll selbst konstruierte Hütte in der Siedlung.340 »Es ist notwendig, die Welt, in welcher wir leben, mit ihren Ambitionen und auch Dramen zu verstehen.«341 Da die Grundschule im Schloss Quatre Torres in Pekín für inzwischen über 400 Schüler nicht mehr ausreichte, wurde sie von den Piaristen um weitere Schulräume und eine Kapelle erweitert, so dass nun 335 Crónica de la Escola Pia al Camp de la Bota, Barcelona, 1954–1964/1965, Bd. 1, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 2. 336 Crónica L’Escola de Pia a Pekin, Camp de la Bota, vol. 3, any 1967, 1968, 1969, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 337 Proyecto de esquema-base para el decreto de escuela Pía en el mundo de hoy, ohne Dat., CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag. 338 Mina-Pequín, asuntos Escuelas Pías, 1963–1968, Barcelona 1963, CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 339 Proyecto de esquema-base…, CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag. 340 Crónica de l’Escola Pia al Camp de la Bota, II Volum que comenca pel gener de 1965, in : CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, Bl. 17–26. 341 Proyecto de esquema-base…, CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag.
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von insgesamt vierzehn Pädagogen sowohl tagsüber als auch nachts Unterricht durchgeführt werden konnte.342 Das pädagogische Modell der Piaristenschule war darauf ausgerichtet, den Schülern eine ganzheitliche Bildung entsprechend ihrer Bedürfnisse anzubieten.343 Die Piaristen verstanden ihre Mission als »Evangelisierung durch Begleitung«,344 die auf drei Ebenen stattfinden sollte : Als Lehrer übt der Piarist seinen Beruf in der Schule aus. […] Als Priester ist der Piarist verantwortlich für die Erziehung zum religiösen Leben der Erwachsenen und Kinder in der Siedlung. Als Nachbar beteiligt er sich an der Arbeit, zum Wohle der Gemeinschaft gegenseitige Unterstützung zu schaffen.345
In der Wahrnehmung der Piaristen war Camp de la Bota ein bindungsloses, »prä-soziales Konglomerat ohne Form und Struktur«, in welchem die »kulturelle Umgebung sehr unzureichend«346 war. Die Erwachsenen in Camp de la Bota hätten äußerst selten ein Buch zu Hause, da in der Siedlung viele Analphabeten lebten und insbesondere die Jugendlichen »unbewusst aggressiv und effektiv instabil« waren.347 In den Augen der Piaristen lebten die Jugendlichen vorwiegend auf der Straße, litten unter sozialem Druck und einem völligen Verlust väterlicher Autorität, hatten keinen Sinn für die in der Öffentlichkeit herrschenden Werte und Diskurse. Durch die soziale Umgebung führten sie kein hygienisches Leben und begannen zu früh, sexuell aktiv zu werden.348 Demnach setzten sich die Piaristen das Ziel, durch umfangreiche Bildung »eine menschliche und sozi-
342 Escoles al Camp de la Bota, ohne Dat., in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 343 Algunes linies d’acció de Escoles Pies Pekin, 1970, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag 344 Proyecto de esquema-base…, undat., CAT APEPC 07-02, caixa 1-2, unpag. 345 »Como maestro, el escolapio ejerce su profecion en la escuela, y del Patronato de la escuela recibe la mensualidad para el mantenimiento de la comunidad. Como sacerdote es responsable y educador de la vida religiosa del barrio, tanto de adultos como de pequeños. Como vecino participa en el trabajo de despertar ? Diversas obras asistenciales para el bien de la comunidad. A fin de no crear un confusionismo constante es necesario que el escolapio viviendo en una barriada sepa distinguir estas tres dimensiones que concurren en su persona«, in : Resumen informativo de la obra realizada en el Campo de la Bota Escuelas Pias Pekin, ohne Dat., in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 5. 346 Brief von Antonio M. Maduell Aymat vom 10. Januar 1970 an den Präsidenten der Deputation in Barcelona, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 347 Ebd. 348 Escoles al Camp de la Bota, CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag.
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ale Wiedergewinnung der marginalisierten«349 Bewohner zu sichern. In diesem Zitat wird deutlich, dass die Geistlichen zwar ein gutgemeintes Ziel verfolgten, nämlich den Bewohnern einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen, für welchen die Steigerung des kulturellen und des Bildungsniveaus als entscheidend erachtet wurde, gleichzeitig aber die Bewohner in ihrer derzeitigen sozialen Kondition als Menschen missachteten. Sollte aus der Siedlung Camp de la Bota eine »wahre Gemeinschaft der Christen«350 werden, gehörte neben dem täglichen Gottesdienst und der Geschichte der Kirche die Religionslehre zu den wichtigsten Unterrichtsstunden der Piaristenschule : Die Religion, damit sie bildungseffektiv ist, muss sich von den anderen Unterrichtsstunden unterscheiden : sie muss die wichtigste sein, in sie müssen wir mehr Enthusiasmus stecken. Wir müssen unsere Schüler überzeugen, dass katholisch zu werden bedeutet, ein Teil des Körpers Christi zu sein und ein Teil des Körpers Christi ist die katholische Kirche.351
Zudem gehörte zum Schulprogramm in erster Linie Lesen, Schreiben, Rechnen, im Weiteren auch Singen, Zeichnen, Grammatik, Naturwissenschaften, Geografie sowie Grundbegriffe der Urbanität.352 Ein angemessenes kulturelles Niveau sahen die Piaristen als eine urbane Lebensform, deren Bausteine sich teilweise auch im Schulprogramm widerspiegelten : Ehrlichkeit, Freiheit, Respekt und Gehorsamkeit gegenüber der Obrigkeit. Zudem wurden von den Schülern auch Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ruhe und Ordnung erwartet. Besonders bekämpft wurde in der Schule jede Form denunziatorischen Verhaltens. Auch wenn Strafen unvermeidbar waren, ging es den Piaristen mehr darum, Vertrauen aufzubauen und die Ahndung von Regelverstößen auf das Notwendigste zu begrenzen ; die Schüler sollten eher mit Preisen und guten Noten oder Belohnungen motiviert werden.353 349 Algunes linies…, CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 350 Crónica de la Escola Pia al Camp de la Bota, Barcelona, 1954–1964/1965, Bd. 1, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 2. 351 »La Religión para que sea formativa, debe de ser distinta a todas las demás asignaturas ; ha de ser la más importante, aquella en la que pongamos más entusiasmo. Convencer a nuestros alumnos de que ser católico, es ser hijo de Dios, es formar parte del Cuerpo de Cristo que es la Iglesia.«, in : Instrucción a los maestros de las escuelas de suburbio Pio XII, ohne Dat., in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 352 Ebd. 353 Ebd.
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Während die meisten Bewohner von Camp de la Bota ohnehin das Ziel verfolgten, in eine Wohnung zu ziehen, waren es insbesondere die Roma-Familien, die zum Teil einen nomadischen Lebensstil aufwiesen und über das urbane Leben und für die Partizipation an selbigem »instruiert«354 werden sollten. »Durch die Schule als Basis jeglicher Förderung«355 sollte nach Auffassung der Piaristen der »menschliche und soziale Aufstieg« der Roma erfolgen. Galten die Bewohner für die Piaristen als »menschlich wiederzugewinnen«, so betraf dies noch stärker die Roma, die in den Zitaten der Piaristen stets als minderwertig erachtet wurden. Die Betreuung von Roma-Familien, die in Camp de la Bota größtenteils in Parapeto lebten, wurde dem Piaristen Francisco Botey anvertraut, der zuvor in einer Piaristenschule auf Kuba beschäftigt gewesen war. Nachdem die Piaristenschulen dort 1961 infolge der Kubanischen Revolution aufgelöst worden waren und die dort arbeitenden Geistlichen, darunter auch Botey, hatten flüchten müssen,356 wurde Botey die Arbeit in Camp de la Bota zugewiesen. Durch seine Erfahrung mit der Straßenarbeit in Kuba versuchte er im Schuljahr 1966–1967, das Interesse der Roma für das gemeinsame Leben in der Nachbarschaft Camp de la Botas zunächst mithilfe einer »Straßenerzieherin« (educadora de calle) zu wecken, die am Strand und in den Straßen mit ihnen arbeitete. Durch den Kontakt der Piaristen mit der »pädagogischen Zigeunerbewegung« (movimiento pedagógico gitano) in Italien, wo ein Schulnetz für Roma in ganz Italien unter der Schirmherrschaft der Universität Padua entstand und vor allem vom Staat finanziert wurde,357 suchten die Piaristen für Camp de la Bota die Unterstützung der Kommunalverwaltung in Sant Adrià de Besòs. Botey stellte gemeinsam mit den Bewohnern einen Antrag für die Erlaubnis, eine Baracke zu Schulzwecken zu bauen und von der Kommunalverwaltung Baumaterial zur Verfügung gestellt zu bekommen. Er argumentierte zunächst, dass die einzige Schule in der gesamten Siedlung sich nur im weit entfernten Teil Pekín befinde und auch nicht für alle Kinder der Siedlung ausreichend sei. In Parapeto existiere dagegen nur eine provisorische Schule »im Freien«, die jedoch deshalb keine Regelmäßigkeit anbieten könne. Schließlich subventionierte die Kommunalverwaltung das Vorhaben mit 354 Resumen informativo de la obra realizada en el Campo de la Bota Escuelas Pías Pekin, ohne Datierung, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 4. 355 Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Negociado de Fomento, Expediente : Escrito presentado por el padre Francisco Botey interesado por construcción de una escuela en el Campo de la Bota, 1966, in : ASAB, Ul. 400, exp. 99, unpag. 356 Pedemonte Feu, Tres-cents anys d’Escola Pia, S. 134 ; Joan Florensa i Parés, L’Escola Pia de Catalunya, al servei del poble (1683–2000), Tarragona 2002, S. 93. 357 Resumen informativo…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 4.
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25.000 Peseten und verständigte sich mit der Marine und der Küstenpolizei auf einen Ort für den Bau der Schulbaracke.358 Die von Roma-Familien 1967 in Parapeto gebaute Baracke wurde noch im gleichen Jahr zur Roma-Schule »Chipen-ta-li«. Zusätzlich gründeten die Piaristen 1967 in der Siedlung eine Roma-Handwerksgenossenschaft (Cooperativa Artesana Gitana). Die Genossenschaft beschäftigte Roma, die traditionelles Handwerk tätigten ; sie stellten etwa Papierblumen und Dekorationen nach ihren Traditionen her und verkauften diese an Dekorationsläden. Da die Werkstatt zunächst in der Bibliothek des Schlosses in Pekín untergebracht war, baten die Piaristen im Jahre 1968 die Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs erneut um die Genehmigung, in Parapeto neben der Schule eine Baracke für diesen Zweck einzurichten, »um dieses Handwerk auch den Kindern beibringen zu können.«359 Die Kommunalverwaltung bot den Piaristen erneut finanzielle Hilfe an und erteilte den Bewohnern die Genehmigung für den Bau der Werkstatt in Eigenregie. Somit entstand 1967–1968 in Camp de la Bota ein vollständiges Bildungsangebot für die Roma, das neben der Schule und der Handwerksgenossenschaft auch einen Kindergarten (zugunsten der Frauen, die in der Handwerksgenossenschaft arbeiteten),360 und eine Kunstschule umfasste. Die Schulen, der Kindergarten und die Handwerksgenossenschaft finanzierten sich zwar größtenteils auf privatem Wege durch Spenden sowie den monatlichen Beitrag der Familien selbst. Sie bekamen jedoch auch eine jährliche Subventionierung der Kommunalverwaltung Sant Adrià de Besòs und wurden ab und zu, je nach Budget der Kommune, mit einer kommunalen Spende gefördert.361 Demgegenüber finanzierte sich die Piaristenschule in Pekín gänzlich ohne kommunale Unterstützung. Neben einem kleinen Beitrag des Piaristenordens, der Pfarrgemeinde und der Caritas sowie den symbolischen Beiträgen der Be358 Escrito presentado por el padre Francisco Botey…, in : ASAB, Ul. 400, exp. 99, unpag. 359 Ayuntamiento de Sant Adriá de Besós. Negociado de Fomento, expediente : Solicitud de unos vecinos del Camp de la Bota y de la Comunidad de Religiosos de las Escuelas Pías para que se les habilite local y se les conceda ayuda económica para taller de artesanía, 1968, in : ASAB, caixa 1593. 360 Informe de la reunió de responsables dels serveis del Camp de la Bota, ohne Dat., in : Crónica del Camp de la Bota, escola Pia Pekin, vol 5, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag ; Ayuntamiento de San Adrián de Besós. Expediente : Barracón para Escuela Gitana de Artesanía/Barracón para guardería infantil, San Adrián de Besós, 1969, in : ASAB, caixa 1593, unpag. 361 La guardería infantil gitana »Balandai«, in : Crónica del Camp de la Bota Escola Pia Pekin, vol. 5, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag.
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wohner selbst (für die Schule bezahlten die Familien 100 Peseten monatlich362), basierten die meisten Gelder auf Spenden privater Personen und Institutionen, vor allem religiöser Laienorganisationen,363 die jedoch unregelmäßig und nicht ausreichend waren. Als sich die Piaristen seit etwa Mitte der 1960er Jahre mit immer größeren Finanzierungsschwierigkeiten konfrontiert sahen, gründeten sie 1967 in Camp de la Bota ein Patronat de las Obras del Camp de la Bota (Patronat der Sozialwerke in der Siedlung). Zum einen koordinierte das Patronat alle Aktivitäten und Sozialwerke in der Siedlung, indem unter anderem gemeinsame Versammlungen aller Mitglieder, Lehrer, Sozialassistenten und Pfarrer sowie Unterstützer der Siedlung organisiert wurden ;364 zum anderen versammelte das Patronat alle privaten Spender, die sich dadurch für eine regelmäßige Unterstützung der Siedlung verpflichteten, und sorgte somit für die Finanzierung und Planungssicherheit.365 Das Patronat organisierte auch Spendenaktionen, indem Flugblätter mit der Bitte um 60.000 Peseten an 10.000 Familien geschickt wurden. Zudem brachte das Patronat eine Zeitschrift »AGAPE« heraus, aus deren Verkauf zusätzliche Mittel gewonnen wurden. Trotz finanzieller Schwierigkeiten richteten die Piaristen 1968 mit Hilfe des Patronats in einer weiteren neu gebauten Baracke einen Kindergarten (parvulario) für 200 Kinder im Vorschulalter ein, der neben vier Räumen und einer Küche auch einen Speisesaal für 100 Kinder beherbergte. Bei der Errichtung des Kindergartens kam es jedoch zu zahlreichen Konflikten zwischen den Piaristen und den Sozialarbeiterinnen der Caritas, die zum einen auf die Priorisierung der Evangelisierung als wichtigste Aufgabe durch die Piaristen, zum anderen auf die unterschiedlichen Vorstellungen von sozialer Förderung der Siedlungsbewohner zurückzuführen waren.366 Die Arbeit der Sozialarbeiterinnen an der »sozialen Förderung« in Camp de la Bota basierte auf einer von der brasilianischen Sozialassistentin Nadir Kfouri, die 1959 Katalonien besucht und eine Reihe von Vorträgen und Workshops 362 Escoles al Camp de la Bota, CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 363 Las escuelas del Camp de la Bota, Barcelona 1972, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 4. 364 Resumen informativo…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 6–7. 365 Crónica de la Escola Pia al Camp de la Bota, Barcelona, Vol. 1, Aquesta cronica abasta desde la fundació fins Nadal 1964 y consideracion generals fins acabar el curs 64–65, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 366 Der Konflikt lässt sich in den Quellen aus zwei Perspektiven nachvollziehen. Die Sozialarbeiterinnen präsentierten einen ausführlichen Bericht über den Konflikt, aus dem ihre Position klar hervorgeht ; die Piaristen wiederum führten eine Chronik aus ihrer eigenen subjektiven Warte. In : Informe que presenten els asistents socials del Camp de la Bota a la Comunitat Escolapia, Barcelona 1969, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 1.
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durchgeführt hatte,367 entwickelten Methode einer gleichzeitigen individuellen Betreuung und kollektiven Gruppenarbeit.368 Das Ziel dieser Methode war es, mit der bisherigen »paternalistischen Hilfe« abzuschließen und die Bewohner zu bewussten und selbstständigen Bürgern zu erziehen. In der Wahrnehmung der Sozialassistentinnen empfanden die Bewohner Camp de la Botas aufgrund des illegalen Status und der drohenden zukünftigen Liquidierung der Baracken das Gefühl, dass die Siedlung nur provisorisch war. Daher entwickelten sie kein Interesse an einer gemeinsamen Aktion zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Den Beobachtungen der Sozialassistentinnen nach begrenzten sich die Interessen der Bewohner ausschließlich auf ihre private Situation und ihre eigenen Baracken. Demzufolge hätten die Bewohner auch kein Vertrauen in jegliche externe, vor allem jedoch öffentliche Unterstützung. Sie akzeptierten ausschließlich wohltätige und paternalistische Hilfe, an welche sie bereits gewöhnt waren.369 In Camp de la Bota hatte der wohltätige Paternalismus der unterschiedlichen religiösen Gruppen bereits mit dem Wachstum der Siedlung um 1929 begonnen. Er hatte daher eine lange Tradition.370 So ging es bei der individuellen Betreuung durch die Sozialassistentinnen nicht nur darum, materielle Hilfe für den Einzelnen zu leisten, sondern vielmehr dem Einzelnen beizubringen, seine Probleme zu erkennen und ihn zu motivieren, an der Lösung dieser Probleme selbst zu arbeiten.371 Die Gruppenarbeit zielte ab auf Orientierung und Hilfe bei der Herausbildung eines kollektiven Bewusstseins für Probleme in der Gemeinschaft, die auch in der Gruppe gelöst werden sollten.372 Im Rahmen der Gruppenarbeit organisierten die Frauen der Siedlung mit Hilfe der Sozialarbeiterinnen im Jahre 1963 zum Beispiel eine Kinderkrippe. Die Sozialassistentinnen erreichten, dass die Frauen, die finanzielle Unterstützung brauchten, dies als eigenständig zu lösendes Problem erkannten und ihre Situation durch bezahlte Arbeit zu verbessern versuchten, anstatt auf Spenden und andere Hilfe von außen zu hoffen. Die Kinderkrippe wurde von Bewoh367 Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 45. 368 Rosa Domènech, Vivències sociopolítiques i treball social. El meu granet de sorra, Barcelona 2012, S. 52. 369 El Camp de la Bota, in : Crónica documental del Camp de la Bota, any 68, 69, 70, Bd. 4, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 370 Òscar Casasayas, La acción social en los barrios de barracas, in : Barracas, S. 107–128, hier : S. 108–109. 371 Informe que presenten els asistents socials…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 1. 372 Montserrat Colomer, Método de trabajo social, in : Revista de trabajo social, Nr. 55, 1974, S. 7–65.
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nerinnen gefordert, die sich dazu entschlossen hatten, arbeiten zu gehen, und daher Unterstützung bei der Kinderbetreuung benötigten. Sie stellten mit Hilfe der Sozialarbeiterinnen einen Antrag auf Beihilfe bei der Stadtverwaltung in Barcelona. Die Stadtverwaltung stellte den Frauen daraufhin eine Baracke zur Verfügung – wenn auch keine finanzielle Unterstützung, was mit der Illegalität der Siedlung begründet wurde.373 Während die Sozialarbeiterinnen vierzig Kinder abholten, tagsüber in der Kinderkrippe betreuten und am Abend wieder nach Hause brachten, unterstützten andere Siedlungsbewohnerinnen die Einrichtung in der Küche. Zusätzlich fand dort wöchentlich ein Frauendiskussionskreis statt, bei dem sich die Frauen über Kindererziehung und Hygiene austauschen und sich von den Sozialarbeiterinnen beraten lassen konnten. Mit einem ähnlichen Ansatz organisierten die Jugendlichen von Camp de la Bota gemeinsam mit den Sozialarbeiterinnen eine Nachtschule für die Alphabetisierung von Jugendlichen zwischen 17 und 20 Jahren, die bis spät am Abend in den Großfabriken arbeiten mussten. Bis zu achtzig Schüler nahmen an diesen Unterrichtsstunden teil, in welchen neben Lesen und Schreiben auch Allgemeinbildung vermittelt wurde.374 Diese Nachtschule wurde zum Ausgangspunkt der Entstehung des Sozialzentrums, das in einer Siedlungsbaracke eingerichtet war und durch den Willen der Bewohner im Jahre 1964 unter der Schirmherrschaft der Caritas gegründet wurde. Das Sozialzentrum wurde von den Bewohnern mithilfe eines unter ihnen gewählten Vorstands sowie mithilfe der Sozialarbeiterinnen gemeinsam geführt. Auch der Präsident wurde auf diese Weise gewählt. Zielte die Sozialarbeit darauf ab, die Bewohner auf die Partizipation innerhalb der Nachbarschaft aufmerksam zu machen und Kriterien der Entscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu vermitteln, so wurde über die Aktivitäten im Sozialzentrum gemeinsam entschieden : Mit Hilfe der Piaristen wurden eine Bibliothek, ein Kino-Klub, ein Fußballklub, ein Theater sowie diverse Diskussionskreise organisiert.375 Im Rahmen des Sozialzentrums entstand auch eine Art Sparkasse, die von den Bewohnern selbst geführt wurde. Die letztendlich nicht realisierte Idee war, Geld für eine Wohnungsbaugenossenschaft anzulegen, um zukünftig ähnlich wie bei vielen Initiativen in Spanien gemeinsam eine legale Wohnsiedlung zu bauen.376
373 Domènech, Vivències sociopolítiques, S. 59. 374 Ebd., S. 58. 375 Resumen informativo…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 3. 376 ¡El tercer món ! A cinc quilòmetres de la Rambla, in : Tele/Estel, Nr. 98, 31.05.1968, S. 20–21.
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Zur Gruppenarbeit und zur Orientierung für den Auf bau der Siedlung gehörten auch Diskussionskreise und Nachbarschaftsversammlungen im Rahmen des Sozialzentrums. Hierbei ging es vor allem darum, die Bewohner für die Bedeutung staatsbürgerlicher Partizipation und der Mitwirkung in der Nachbarschaft zu sensibilisieren. In diesem Sinne bestand die Aufgabe der Sozialarbeiterinnen darin, den Bewohnern die Notwendigkeit vor Augen zu führen, in der Siedlung gemeinsam zu diskutieren und kollektiv Lösungen zu finden. Die Sozialassistentin Rosa Domènech, die in Camp de la Bota bis zu dessen Ende tätig war, berichtet über Versammlungen von 40 bis 50 Nachbarn, die gemeinsam über die dringendsten Bedürfnisse in der Siedlung sprachen.377 Diese Gruppe bildete die zivilgesellschaftliche Kernzelle und den Ursprung des Nachbarschaftsvereins, der mit Unterstützung der Sozialarbeiterinnen Anträge auf öffentliche Hilfe stellte. Zur Sensibilisierung der Bewohner für Probleme der Gemeinschaft und für den Sinn der Suche nach kollektiven Lösungen ließen die Sozialarbeiterinnen im Zusammenhang mit dem von den Piaristen organisierten Kindergarten eine Repräsentationskommission der Siedlung aus drei Bewohnern und einem Geistlichen bilden. Die Kommission sollte zunächst bei der Stadtverwaltung Grundstücke für den Bau des Kindergartens einfordern und die Kinderbetreuung anschließend auch betreiben und leiten. Die Sozialassistentinnen mussten jedoch feststellen, dass die Piaristen in der Folge alles selbst organisierten und mit der Stadtverwaltung Barcelona in Abwesenheit der Bewohner verhandelten. Diese von den Sozialassistentinnen als »unilateral« bezeichnete Situation empfanden diese als hemmend für die Bewohner : Wir glauben, dass diese Situation nicht hilft, sich bewusst zu werden, dass die Aktion und die Partizipation schließlich ihnen [den Bewohnern – A.P.] helfen, zu existieren. Es geht nicht um die Geschwindigkeit, mit der Verbesserung erreicht wird. Das Wichtigste ist, dass die Menschen sich des Problems bewusst sind.378
Kritisch vermerkten die Assistentinnen, die Piaristen hätten ausschließlich ein einziges Ziel, nämlich die Bewohner zu evangelisieren. Die Evangelisierung der 377 Domènech, Vivències sociopolítiques, S. 60. 378 »Aquesta situació […] creiem que no l’ajuda a ser lo conscient que l’acció i la participació de fons li hagués ajudat a ser. No és la ràpidesa amb conseguir un millorament, sinó que lo important es que el problema sigui sentit per la gent«, in : Informe que presenten els assistents socials…, CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag.
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Siedlung durch die Piaristen stehe zwar nicht im Widerspruch mit der Aktion der Sozialassistentinnen ; man stieß sich aber an der Tatsache, dass die Piaristen paternalistische Hilfe anböten, ohne die Grundlage des Problems zu analysieren, was sich auf die Menschen bremsend auswirke. Diese Sichtweise der Sozialassistentinnen gründete in der in den 1960er Jahren in den Kreisen der Caritas verbreiteten Überzeugung, dass man den Stadtperipheriebewohnern helfen müsse, ihre rurale Mentalität in eine urbane umzuwandeln. Dies setze unter anderem voraus, zu erklären, dass das für die ländlich-provinzielle Tradition typische, an Heilige gerichtete Bittgebet bei Problemen in der Stadt nicht mehr helfe, sondern stattdessen eine Forderung nach Lösungen, ein Kampf um das Eigene und vor allem eine Organisierung in Gruppen unter den Bewohnern erforderlich sei.379 Daher hoben die Sozialassistentinnen hervor, dass die Piaristen seitens der Bewohner einen Status der Abhängigkeit und Unselbstständigkeit zementierten, indem sie etwa die bürokratische Anbahnung des Kindergartens aus Ungeduld selbst erledigten.380 Demgegenüber argumentierten die Piaristen, dass sie die Idee und die Organisation des Kindergartens von unten zwar willkommen hießen, jedoch angesichts zahlreicher finanzieller Probleme für eine schnelle Aktion optierten, sobald die Aussichten bei der Stadtverwaltung gut waren.381 Die Piaristen wiesen die Kritik der Caritas als unangemessen zurück mit dem Hinweis darauf, dass sie selbst in der Siedlung konstant mit den Menschen und Problemen lebten und deshalb besser als die »eigentlich externen Sozialassistentinnen« verstünden, was in der Siedlung notwendig sei.382 Vergleichbare Meinungsverschiedenheiten zwischen Piaristen und Sozialassistentinnen gab es öfter. Ein anderer Vorfall betraf zum Beispiel die Schuluniformen : Die Piaristen boten den Familien die Schuluniform für 35 Peseten an, obwohl deren Wert 80 Peseten betrug. Dabei argumentierten sie, dass die Familien nicht genug finanzielle Mittel hätten, um den vollen Preis zu bezahlen. Dieses Vorgehen kritisierten die Sozialassistentinnen als eine Art des Paternalismus 379 Vgl.: Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 245. 380 Informe que presenten els assistents socials…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 5. 381 Crónica L’Escola de Pia a Pekin, Camp de la Bota, vol. 3, any 1967, 1968, 1969, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 382 Dem Konflikt zwischen den Piaristen und den Sozialassistentinnen schlossen sich schließlich auch die Lehrer an, für welche wiederum die Frage entscheidend war, ob der Kindergarten zum Schulkomplex des Schlosses und somit zur Bildungseinrichtung der Piaristen gehören würde oder zu den Angeboten der Cáritas mit der bereits existierenden Kinderkrippe. Der Status des Kindergartens war für die offizielle Anerkennung der Lehrer und somit auch deren Gehälter relevant. In : Ebd.
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seitens der Piaristen, welcher die Bewohner in Abhängigkeit von Spendenhilfen halte und eine passive Anspruchshaltung gegenüber der Gesellschaft fördere.383 Insgesamt führten diese Konflikte dazu, dass die Zusammenarbeit in der Nachbarschaft schließlich wegen nicht-kompatibler Herangehensweisen beendet wurde. Die beteiligten Fraktionen optierten für eine Trennung von Aufgaben und Finanzierung. Angesichts der Trennung der Sozialwerke plädierten sie dennoch dafür, »als gute Nachbarn zusammenzuleben« und vor allem auch »in der Öffentlichkeit gegenseitigen Respekt zu zeigen.«384 3.5 Bildung eines Bürgerbewusstseins durch kollektive Praxis. »Urbanisierung an Sonntagen« als Eigeninitiative im Stadtviertel Les Roquetes in Barcelona (1964–1966) Das Stadtviertel Les Roquetes lag in der ursprünglich weit vom Zentrum entfernten, stark bergigen und deshalb steilen Gegend im nordöstlichen Teil Barcelonas im heutigen Bezirk Nou Barris. Seinen Ursprung bildeten einige wenige Häuser des Typs »Haus und Garten« (caseta i hortet), die sich katalanische Familien dort noch vor 1936 als Ferienhäuser gebaut hatten. Am Berghang nördlich dieser Siedlung befand sich unbebautes Agrarland, das ab 1949 von den Grundstücksbesitzern parzelliert und an Migranten verkauft wurde. Die schlechte Eignung für eine Bebauung aufgrund des steinigen Bodens, der großen Entfernung vom Stadtzentrum und der kaum vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten bot den Migranten niedrige und daher erschwingliche Preise. Sie bauten sich auf diesen Parzellen an Sonn- und Feiertagen kleine, einfache ein- oder zweistöckige Ziegelsteinhäuser. Da dieses Landstück von der Stadtverwaltung als »grüne Zone« und daher als »nicht zur Bebauung vorgesehen« deklariert wurde, waren die meisten Häuser illegal und hatten keine entsprechende Baulizenz.385 Während sich der nördliche Teil des Viertels in Eigendynamik rasch weiter ausbreitete, entstand gegen Mitte der 1950er Jahre im gegenüberliegenden, südlichen Teil des Viertels, der durch den zentralen und gleichzeitig ältesten Teil vom nördlichen getrennt wurde, wiederum eine neue durch den OSH errichtete 383 Informe que presenten els assistents socials…, CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 5. 384 Acta Capituli Licalis Domus Nostrae »Pekin del Campo de la Bota«, in : Crónica de l’Escola Pia a Pekin Camp de la Bota, vol. 3, 1967–1969, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 385 Vgl.: Les Roquetes. Donde la iniciativa privada suplió a la oficial, in : Tele/eXpres, 14.11.1969, S. 7.
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Siedlung mit vierstöckigen Wohnblöcken. Im gesamten Stadtviertel Les Roquetes lebten zu Beginn der 1960er Jahre auf fast 33 Hektar Fläche 12.388 Bewohner, vorwiegend junge, aus Andalusien und Kastilien zugewanderte Familien.386 Abgesehen von der Siedlung des OSH verfügte das Stadtviertel noch zu Beginn der 1960er Jahre kaum über Infrastruktur. Auf Trinkwasser aus der eigenen Leitung konnten nur die Bewohner des ältesten Teils des Viertels zugreifen, die Bewohner am obersten Berghang nutzten ausschließlich öffentliche Brunnen. Im zentralen und im nördlichen Teil gab es auch kaum Straßenbeleuchtung. Zudem waren die Straßen nicht asphaltiert und durch den sehr steilen Verlauf kaum befahrbar, sodass es auch keine Verkehrsanbindung und hiermit zusammenhängend keine weiteren Dienstleistungen wie etwa eine Müllabfuhr gab.387 Bereits seit Beginn der 1950er Jahre meldeten die Bewohner des ältesten Stadtviertels zahlreiche Probleme in der Siedlung bei den öffentlichen Behörden. Nach 1957 organisierten sie sich in einem offiziell registrierten Eigentümer- und Familienverein – in der Heckwelle der neuen Regulierung zur Bildung von Familienvereinen,388 durch welche die Falange im Kontext des weitgehenden Verlusts ihres politischen Einflusses nach 1957 ihre Partizipation am öffentlichen Leben und an der politischen Mobilisierung durchzusetzen versuchte.389 Über diesen Verein reichten die Bewohner von Les Roquetes wiederholt und ab 1960 – angesichts des weiter steigenden Zuzugs und starken Wachstums der Siedlung – verstärkt Beschwerde wegen »des schlechten sanitären Zustands der Siedlung, der mangelhaften Beschaffenheit der Straßen ohne Asphaltierung und Bürgersteige sowie der fehlenden Kanalisation« bei der Stadtverwaltung ein.390 Sie teilten den öffentlichen Stellen mit, dass es insbesondere bei Regen unmöglich sei, die Straßen zu nutzen ; das sich dort sammelnde Wasser stelle eine konstante Gefahr für 386 Un barrio de inmigrantes : Las Roquetes. Informe C.E.D.E.C., in : Promos, Nr. 20, 1963, S. 5–9, hier : S. 5–7 ; Francesc Pujol Martínez, Relligant Nou Barris. Recull d’articles d’història publicats a la revista Rotllana (1988–2002), Barcelona 2003, S. 119. 387 Las Roquetas, al margen del vivir barcelonés, in : La Vanguardia Española, 3.01.1965, S. 29. 388 Secretaría General del Movimiento, Decreto de 20 de julio de 1957 por el que se estructuran los servicios de la Secretaría General del Movimiento, BOE, 27.07.1957, Nr. 192, S. 635–636. Vgl.: Pedro Cobo Pulido, Los asociaciones de cabezas de familia como cauce de representación : un fallido intento de apertura del régimen franquista, in : Historia Contemporánea, Nr. 14, 2001, S. 437–488. 389 Las Roquetas, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 9, 1964, S. 24–58, hier : 54 ; Oriol Bohigas, Actualitats. Els suburbis, altre cop, in : Serra d’Or, Nr. 2, 1962, S. 23–24, hier : S. 24. 390 Urbanismo : Correspondencia A-G, 1960, in : ANC, Sig. 1-355 ( Josep Maria de Porcioles), unitat 3596, caixa 573, unpag.
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Kinder und durch Keimbildung auch für die öffentliche Gesundheit dar. Durch die fehlende Kanalisation und Müllabfuhr war insbesondere der oberste Teil der Siedlung von »starkem Gestank und […] der Gefahr einer Epidemie« betroffen. Dabei betonten die Bewohner ihr Recht auf diese Infrastrukturen aufgrund der regelmäßig von ihnen bezahlten gesetzlichen Steuern.391 In Antwort auf die Klagen gab zwar die Stadtverwaltung immer wieder zu, dass im Stadtviertel Les Roquetes die Bereitstellung von Infrastrukturen notwendig sei,392 und versprach wiederholt, konkrete Schritte vorzunehmen, dennoch erfüllte sie dieses Versprechen kaum und im besten Fall nur auf einzelne Straßen begrenzt.393 Der Bau der bereits Ende der 1950er Jahre in Aussicht gestellten Kanalisation für das Viertel verzögerte sich allein durch die bürokratische Prozedur der Vorbereitung von Entwürfen bis zum Kostenvoranschlag über Jahre.394 Zudem bremste auch der im Jahre 1954 entworfene Teilbebauungsplan für das Stadtviertel Les Roquetes (Plan Parcial de las Roquetas) die Urbanisierung wesentlich. Dieser wurde als Ergänzung des ein Jahr zuvor verabschiedeten Pla Comarcal de Barcelona, des Plans für die Region Barcelona,395 konzipiert und verstand sich als Legalisierung und Formalisierung der von den öffentlichen Stellen festgelegten Nutzung des betroffenen Bodens.396 Dennoch wurde der Teilbebauungsplan bis 1970 bereits neun Mal modifiziert,397 indem Grundstücke, die für die öffentlichen Bauten wie Parks, Märkte, Schulen und religiöse Einrichtungen vorgesehen waren, aufgrund der erforderlichen finanziellen Ausgaben für solche Investitionen schrittweise aus dem Kostenvoranschlag verschwanden.398 Die vollständige Urbanisierung der Siedlung erwies sich aufgrund der Marktpreise als für die Stadtverwaltung zu kostspielig. Als Ergebnis war der Teilbebauungsplan Anfang der 1960er Jahre noch immer nicht rechtskräftig, weshalb auch keine Urbanisierungsarbeiten vorgenommen wurden. Zwar nahmen die 391 Ebd. 392 Vivienda, Nr. 9, 1964, S. 24–58. 393 Urbanismo : Correspondencia A-G, ANC, Sig. 1-355 ( Josep Maria de Porcioles), unitat 3596, caixa 573, unpag. 394 Pujol Martínez, Relligant Nou Barris, S. 121 ; Estudio para el barrio de Roquetes, diciembre 1969, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. S-68, unpag. 395 Vgl.: Galera u.a, Atlas de Barcelona, S. 366. 396 Vgl.: Amador Ferrer Aixalá, Presentación y estadística de los planes parciales de la Provincia de Barcelona (1956–1970). Su significacion en el proceso de urbanizacion del territorio provincial, Barcelona 1974, S. 62. 397 Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 7, S. 178. 398 Emili Donato, Barrios altos de San Andrés, in : Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 19– 40, hier : S. 27–30.
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Beschwerden des Familienvereins der Bewohner kontinuierlich zu, jedoch fielen diese ohne Unterstützung der öffentlichen Stellen wie auch der benachbarten Siedlungen nicht auf fruchtbaren Boden.399 Erst Mitte der 1960er Jahre erfolgte die infrastrukturelle Versorgung von Les Roquetes in Folge des Engagements von Vertretern einer neuen Generation, die sich im Kontext des politisch-wirtschaftlichen Wandels der 1960er Jahre für das Problem der Lebenszustände an der Stadtperipherie einsetzten. Zum einen handelte es sich um eine neue Generation von Soziologen und Architekten, die im Rahmen ihrer Studien zur urbanen Entwicklung an den Peripherien einen kritischen Bericht verfassten, den Zustand des Stadtviertels in der Öffentlichkeit anprangerten und somit auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf Les Roquetes lenkten. Bemerkenswert ist dabei, dass dieser Bericht von der Stadtverwaltung – gegen die sich die Kritik nun richtete – selbst in Auftrag gegeben worden war. Zum anderen engagierte sich auch der junge Jesuit Santiago Thió. Er war der Initiator einer Aktion, durch die zwischen 1964 und 1966 die Bewohner des obersten Teils des Viertels die notwendigen Infrastrukturen wie Stromanschluss, Trinkwasserleitungen und das Kanalisationssystem selbst fertigstellten, indem sie, wie auch beim Bau ihrer eigenen Häuser, an den Sonn- und Feiertagen gemeinsam anpackten. Durch diese partizipatorische Praxis wurden jedoch nicht nur die fehlenden Infrastrukturen bereitgestellt, sondern auch ein weitergehendes Bürgerbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl bei den Bewohnern des Viertels entwickelt, das eine Basis für ihr zivilgesellschaftliches Handeln in den 1970er Jahren darstellte. Mit Blick auf die geplante Sanierung der peripheren Stadtzonen gab die Stadtverwaltung Barcelonas 1963 beim Centro de Estudios Socioeconómicos para el Desarrollo de la Comunidad (Studienzentrum für Regionalentwicklung, CEDEC), eine detaillierte sozioökonomische Studie in Auftrag und ließ das Institut einen Kostenvoranschlag für die Urbanisierung des Stadtviertels ausarbeiten.400 Im CEDEC war eine interdisziplinäre Gruppe von jungen Soziologen, Architekten und Ökonomen beschäftigt, die unter der Leitung des Soziologen und Gründers des Associació Catalana de Sociologia (Katalanischer Verein für Soziologie), Lluís Carreño, Untersuchungen und Studien im Bereich der urbanen und regionalen Soziologie durchführten. Die Mitarbeiter waren teilweise im Ausland, insbesondere in den USA und Westdeutschland, ausgebildet worden und oft stark 399 Vivienda, Nr. 9, 1964, S. 54. 400 La Vanguardia Española, 3.01.1965, S. 29 ; Estudio de zonas suburbiales, in : La Vanguardia Española, 20.12.1964, S. 33.
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vom Marxismus geprägt.401 Zudem ließen sie sich, vor allem die jüngsten Architekten, auch von dem Architekten und Gründer der Architektengruppe »Grup R«,402 Oriol Bohigas, beeinflussen. Bohigas hatte 1957 in seinem kritischen Essay »Elogi de la barraca« (»Elegie an eine Baracke«) die mit staatlicher Hilfe neu entstandenen Siedlungen als »von Architekten signierte Baracken«403 (»el barraquisme amb firma d’arquitecte«) bezeichnet. Diese neu gebauten Siedlungen seien, so Bohigas, ein Resultat des staatlichen Paternalismus ohne eine politisch zu rechtfertigende Unterstützung und Lösung, an welchem sich die Architekten immer wieder beteiligten. Im Vergleich zu den »monströsen« Siedlungen empfand Bohigas die von den Migranten selbstgebauten Baracken als »zwar prekäre, jedoch fröhliche und menschliche Lebensform.«404 Von der Kritik Oriol Bohigas’, dass die Architekten als »Mittäter« an der »Entmenschlichung der Stadt« zu sehen seien,405 fühlte sich vor allem die jüngste Generation der Zunft angesprochen und zum Handeln gedrängt. Seit Beginn der 1960er Jahre engagierten sich beispielsweise junge Architekten der Architektenkammer in Barcelona stark für die Lösung der Probleme an den Stadtperipherien. Bei dieser Kohorte zeigten sich ein wachsendes soziales Bewusstsein sowie eine immer offenere kritische Haltung gegenüber der öffentlichen Stadt- und Wohnungspolitik. Ihre kritischen Ansichten brachten sie durch die Fachzeitschrift »Cuadernos de Arquitectura« an die Öffentlichkeit. Bereits im Jahre 1965 erschien in diesem Zusammenhang eine der Suburbia gewidmete Sonderausgabe,406 in der die Zustände in den Stadtvierteln an der Peripherie Barcelonas zur Sprache kamen. Zwar war die kritische Auseinandersetzung der Architekten mit den stadtplanerischen Entwicklungen in Barcelona keine Neuheit, dennoch 401 Salvador Giner, Obituari. LLuís Carreño i Piera : memòria personal, in : Papers. Revista de Sociología, Nr. 48, 1996, S. 147–150. Vgl.: Albert Balcells u.a., Història de l’Institut d’Estudis Catalans. De 1942 als temps recents, Bd. 2, Barcelona 2007, S. 95–106. 402 Zu der Architektengruppe »Grup R« s. mehr : Urrutia, Arquitectura Española, S. 388–389 ; Carme Rodriguez, Jorge Torres, Grup R, Barcelona 1994 ; Els deu anys del Grup R d’Arquitectura, in : Serra d’Or, Nr. 11–12, 1961, S. 66–73 ; Jean-François Lejeune, The Modern and the Mediterranean in Spain, in : Modern Architecture and the Mediterranean. Vernacular dialogues and contested identities, hg. v. Jean- François Lejeune, Michelangelo Sabatino, New York 2010, S. 65–93, hier : S. 85–90. 403 Elogi de la barraca, in : Oriol Bohigas, Barcelona entre el Pla Cerdà i el barraquisme, Barcelona 1963, S. 149–155. 404 Ebd., S. 154. 405 Ebd. 406 Suburbios 1, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965 ; Suburbios 2, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 61, 1965.
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beteiligten sich die jungen Architekten jetzt auch an der Erstellung alternativer, von den kommunalen Teilbebauungsplänen unabhängiger Planungsentwürfe, wie es etwa in dem Les Roquetes benachbarten Stadtviertel Torre Baró (auch im Bezirk Nou Barris) der Fall war, und distanzierten sich so von der staatlichen Urbanisierungspolitik.407 Auch die vom CEDEC im Jahre 1963 verfasste Studie enthüllte nicht nur den nicht akzeptablen Zustand des Stadtviertels Les Roquetes, sondern kritisierte auch den von der Stadtverwaltung verfassten und als nicht umsetzbar bewerteten Teilbebauungsplan. Das CEDEC schlug als Alternativmodell einen neuen Plan mit kompletter Remodellierung der Zone vor.408 Dennoch war diese Studie nicht nur intern für die Stadtverwaltung einzusehen, sondern wurde noch im gleichen Jahr in der dem Regime und seiner Stadtpolitik gegenüber kritischen Zeitschrift des CEDEC, »Promos«, publiziert. Die Redaktion veröffentlichte den Studienbericht, um zu veranschaulichen, wie die »spanische Arbeiterschicht selbst zurechtkommen muss, um ein Dach über dem Kopf zu haben.«409 Die Barackensiedlungen, die bisher zu den am meisten öffentlich diskutierten Problemen gehört hatten, seien, so die Autoren, bei weitem nicht das einzige Beispiel für die Vernachlässigung der Stadtperipherien seitens des Staates. Les Roquetes gehörte nach Meinung der Autoren zu solchen im Stich gelassenen Stadtteilen. Zwar widmete sich die Studie dem gesamten Stadtviertel, dennoch konzentrierte sie sich vor allem auf die Beschreibung der Situation im ältesten, zentralen sowie im nördlichen Teil des Viertels. Diesen Fokus begründeten die Autoren durch den dortigen weitreichenden Mangel an Infrastrukturen, der zur Gefahr für die »öffentliche Hygiene« werden könne. Die Siedlung des OSH ließen die Autoren außen vor, weil diese »eine zwar einfache, aber ausreichende Infrastruktur«410 habe. Den Befunden der CEDEC-Experten zufolge lebten in den beiden Teilen des Stadtviertels insgesamt rund 6.000 Personen in 882 Wohnungen.411 Dem Bericht nach verfügten 42,3 Prozent dieser Häuser nicht über Strom und 67 Prozent nicht über Trinkwasser. Nur 27,8 Prozent aller Häuser verfügten über eine Küche, eine Toilette und einen Waschraum. Die meisten hatten dementsprechend entweder eine Küche, jedoch keine Toilette, oder es gab dort umgekehrt 407 Oriol Bohigas, Enquesta sobre suburbis barcelonins, in : Serra d’Or, Nr. 2, 1961, S. 23–24. 408 Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 32. 409 Promos, Nr. 20, 1963, S. 5. 410 Ebd. 411 Die genaue Zahl der Bewohner betrug 5.956, wobei im zentralen Teil 2.794 und im nördlichen 3.162 Personen lebten. In einer Wohnung wohnten durchschnittlich 6,7 Personen, in : Ebd.
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keine Küche, dafür aber eine Toilette und einen Waschraum. 20,1 Prozent aller Häuser wiesen keine solche Ausstattung auf. Die Autoren hoben hervor, dass die größten Vernachlässigungen in dem am obersten Teil des Berges gelegenen Sektor zu verzeichnen waren. Aufgrund der bergigen Topographie waren die sehr steilen Straßen, die noch dazu nicht asphaltiert und daher in sehr schlechtem Zustand waren, nicht befahrbar. Es gab dort weder öffentliche Verkehrsmittel noch eine Müllabfuhr. Die Bewohner mussten daher den Müll selbst und zu Fuß im unteren Teil des Viertels entsorgen. Auch nachts waren die Straßen aufgrund der fehlenden Beleuchtung nicht begehbar. Das größte Problem war jedoch das fehlende Kanalisationssystem. Die Abführung von Abwässern in der Siedlung erfolgte vor allem durch flach ausgegrabene Abortgruben, deren Inhalt aufgrund der ungenügenden Tiefe auf den Straßen landete und aufgrund des Gefälles durch die gesamte Siedlung floss.412 Zudem fehlten in der Siedlung insgesamt außerdem Schulen und Arztpraxen, es gab keine Vertretung der Stadtverwaltung und keine Post- und Telefonstelle. Praktische Hilfe bot ausschließlich die in einer Baracke installierte Pfarrgemeinde an, die über eine einfache Sanitätsstelle und einen Kindergarten verfügte.413 Es ist nicht auszuschließen, dass durch den kritischen Studienbericht des CEDEC der junge Jesuit Santiago Thió auf die Situation des Stadtviertels aufmerksam wurde. Gleichwohl war sein Engagement für die Urbanisierung im Stadtviertel Les Roquetes als junger Priester auch eine Folge der weitgehenden Veränderungen innerhalb der spanischen katholischen Kirche und der Zersplitterung der Kirche in Fraktionen mit unterschiedlichen Ansichten und Ideen, die aus einem generationellen Wechsel unter den Priestern und dem II. Vatikanischen Konzil resultierte. Zwar begann die Annährung der Pfarrgemeinden an die Arbeiterwelt bereits um die Mitte der 1950er Jahre, sie verstärkte sich jedoch durch das II. Vatikanische Konzil, das mit der Forderung nach pastoraler und ökumenischer Erneuerung die bisher traditionellen religiösen Werte in Frage stellte.414 In Konsequenz verstärkte sich die Aktivität der katholischen Organisationen im Kreis der Katholischen Aktion, wie etwa der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung HOAC und ihrer Arbeiterjugendorganisation JOC. Einen relevanten Impuls für eine solche Tätigkeit sah die HOAC darin, dass die Säkularisierung unter den Arbei412 Ebd., S. 7. 413 La Vanguardia Española, 3.01.1965, S. 29. 414 Vgl.: Corrales, De la misa al tajo, S. 26–45 ; Curas obreros, in : Cambio 16, Nr. 80, 28.05.1973, S. 13–19 ; López García, Aproximación a la historia de la HOAC.
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tern in den industriellen Zonen der Großstädte in Folge der Wirtschaftsreformen, der Industrialisierung und des wachsenden Konsums zusehends fortschritt. Der HOAC zufolge waren die katholischen Gläubigen selbst dafür verantwortlich, dass sich die Arbeiter für »Gott und die Kirche so wenig interessierten.«415 Die weitgehende Vernachlässigung der religiösen Sphäre unter den Arbeitern erklärte die HOAC zum Resultat einer Ausgrenzung in der Gesellschaft, für welche die Arbeiterschaft lediglich als Teilnehmer an der Produktion von Konsumgütern von Bedeutung war. Die Instrumentalisierung der Arbeiterschaft und die Geringschätzung für deren materielle Situation sei, so die HOAC, dafür verantwortlich, dass die Arbeiter ihre »geistige Überzeugung, berufliche Motivation und eine Wertschätzung außerhalb von Kapital und Arbeit« verlören.416 Dem schloss sich der Appell an die Katholiken an, Mitgefühl zu entwickeln : Fühlen bedeutet vor allem, sich dem Arbeiter zu nähern und zu sehen, in welcher Misere er lebt, diese Misere zu verstehen, und nach dem Verstehen und Sehen gegen diese Misere vorzugehen. Handeln um aufzubauen, handeln, um Würde zu verleihen, handeln, damit dieser schwache und arme Mensch wie ein echter Mensch und ein Kind Gottes leben kann.417
Die Forderungen des II. Vatikanischen Konzils nach einer Kirche, die den Armen und nicht den Mächtigen nahestehe, was gleichzeitig eine Aufforderung zur Trennung zwischen Staat und Kirche war, stieß auf Kritik und Ablehnung unter den spanischen Priestern jener älteren Generationen, die den Bürgerkrieg und die Etablierung der Franco-Diktatur miterlebt und mitgestaltet hatten. Angesprochen von diesem Umdenken fühlten sich dagegen vor allem junge Priester, die den bisherigen engen Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Spanien kritisch gegenüberstanden und sich nicht mehr als Teil der Eliten, sondern als Teil der Gesellschaft verstanden.418 In diesem Sinne teilte sich der Klerus in Spa415 Discurso pronunciado por D. Pedro López, secretario diocesano de la HOAC, in : Información sobre la primera Asamblea Diocesana de Obras Católicas convocada por la AOC y celebrada en Elche el día 26.04.1959, in : AGA, Sig. (09) 017.002 51/19095, Bl. 2–3. 416 Ebd. 417 »Sentir es ante todo acercarse a él, ver cuáles son esas miserias, comprender esas miserias y después de haber comprendido, de haber visto, actuar sobre esa miseria. Actuar para levantar, actuar para dignificar, actuar para hacer que ese hombre débil y miserable pueda vivir como un auténtico hombre y un hijo de Dios«, in : Discurso pronunciado por el Rvdo. Sr. D. Manuel Marco Botella, consiliario diocesano de la JOAC, in : AGA, Sig. (09) 017.002 51/19095, Bl. 2. 418 Dazu mehr siehe u.a.: Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 199 ; Damián A. González Madrid, Manuel Ortiz Heras, »Camilo, no te comas a los curas, que la carne de cura se indigesta«.
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nien in zwei Gruppen : eine sehr konservative und dem franquistischen Regime nahestehende sowie eine andere vorwiegend junge, sozialkritische und Reformen innerhalb der Kirche unterstützende Fraktion.419 Insbesondere in Katalonien waren viele dieser jungen Priester mit internationalen theologischen reformatorischen Schriften vertraut und von einem »christlichen Marxismus« inspiriert.420 In diesem Sinne waren diese Priester besonders für die Probleme der Arbeiterschaft an den Stadtperipherien sensibilisiert und praktizierten weitgehend eine Solidarität und Verpflichtung diesen Arbeitern gegenüber bei gleichzeitigem Verzicht auf Führungsprinzipien.421 Sie streiften ihren privilegierten sozialen Status aus eigenem Antrieb ab, was sich visuell auch oft durch den Verzicht auf die Soutane abzeichnete,422 und versuchten insbesondere in den Siedlungen der Stadtperipherien, mit den Bewohnern zu auf Augenhöhe bleiben. Da sich die Priester durchaus bewusst waren, dass viele Bewohner in diesen Siedlungen sonntags nicht in die Kirche, sondern eher in die Bar gingen, waren sie der Ansicht, dass auch sie als Priester wie jeder andere Bewohner der Siedlung ein Glas Wein in der Bar trinken sollten.423 Zu diesen jungen und sozial engagierten Priestern gehörte auch Santiago Thió, der zwischen 1963 und 1964 an der Universität Barcelona studiert hatte. Wie dieser selbst zugab, sei er im Studium stark von der sozialen Doktrin der KirLa influencia de la Iglesia en la crisis del franquismo, in : Actes del Congrés : La Transició de la dictadura franquista a la democràcia, S. 56–67, hier : S. 57 ; Tusell, Spain, S. 202–210 ; Moradiellos, La España de Franco, S. 164–165 ; Frances Lannon, Catholicism and Social Change, in : Spanish Cultural Studies, S. 276–282 ; William J. Callahan, The Spanish Church : Change and Continuity, in : Spain Transformed, S.182–194. 419 González Madrid, Ortiz Heras, »Camilo, no te comas a los curas…«, S. 57. 420 Vgl.: Payne, Spanish Catholicism, S. 196 ; Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 221–225 ; Ysàs, Disidencia y subversión, S. 158–159. 421 Corrales, De la misa al tajo, S. 27–28. 422 Álvarez Espinosa, Cristianos y marxistas, S. 220. 423 Vgl.: Ebd., S. 219. Diese soziale Sensibilität der jungen Priester und deren hautnahe Erfahrung mit der Arbeiterwelt brachten auch eine starke Selbstpolitisierung mit sich. Da sich viele der Priester sogar oppositionellen Parteien anschlossen, ist in der Forschung oft von einer katholischen Opposition die Rede. Im Jahre 1968 wurde daher sogar in Zamora ein Gefängnis für Kleriker eingerichtet. Als besonders gefährlich stufte das Franco-Regime den Klerus in Katalonien und im Baskenland ein, welcher als »separatistisch« bezeichnet wurde. Zum Thema der oppositionellen Strömungen in der katholischen Kirche siehe u.a.: Payne, Spanish Catholicism, S. 202–205 ; Moradiellos, La España de Franco, S. 164–165 ; Álvarez Espinosa, Cristinos y marxistas, S. 233 ; Ysàs, Disidencia y subversión, S.157–204 ; Domínguez, Organizaciones Obreras Cristianas ; Díaz-Salazar, Iglesia, Dictadura y Democracia, S. 171–312 ; Díaz-Salazar, El factor católico en la política española, S. 87–193.
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che beeinflusst worden und war damals besonders von der Tätigkeit der Arbeiterpriester beeindruckt, die infolge der Reformen des II. Vatikanischen Konzils immer mehr Verbreitung fand.424 Durch die so geprägte Atmosphäre unter den Studenten stand die Entscheidung über die Bildung einer studentischen Arbeitsgruppe für den Dienst für die Arbeiterschaft außer Frage. Santiago Thió formierte also eine studentische Gruppe, die bereit war, in Les Roquetes mit dessen Bewohnern gemeinsam zu arbeiten. Ersten Kontakt nahmen sie mit der Pfarrgemeinde San Sebastián auf, die aufgrund ihrer finanziellen Situation alleine keine effektiven Schritte für die Verbesserung der Lage in der Gegend unternehmen konnte.425 Wurden Priester allgemein oft noch mit Hierarchie, Autoritarismus und Strenge in Verbindung gebracht,426 suchte Santiago Thió durch die Gemeinde in der Nachbarschaft zunächst den Kontakt mit den »natürlichen Führern der verschiedenen Straßen«,427 um auf diese Weise die Annäherung mit den Bewohnern zu suchen, Vertrauen aufzubauen und die Menschen so effektiv zur Mitarbeit zu bewegen. Die erste Notwendigkeit schien dem Jesuiten die Bereitstellung eines Kanalisationssystems zu sein, weil, so Thió, die sanitäre Situation in dieser Siedlung sehr schlecht sei und die Abwässer auf den Straßen flössen und dort kleine Pfützen bildeten, in welchen, abgesehen von dem starken Gestank, die Kinder unbesorgt spielten und das Risiko eingingen, Krankheiten zu bekommen.428 Formal sollte der Kanalisationsbau im Stadtviertel durch eine Erschließung in Eigeninitiative unter Aufsicht des Servicio Técnico del Ayuntamiento, des Kommunalen Technischen Dienstes, und mit Unterstützung der Stadtverwaltung in Form der Bereitstellung von Baumaterial429 erfolgen, als sog. »öffentlich gesteuerter Bau in Eigeninitiative« (prestación personal). Durch die von der Stadtverwaltung Barcelona propagierte Idee »einer aktiven Partizipation aller an der Stadtentwicklung« förderte die Kommune besonders den Bau in Eigenregie unter Aufsicht kommunaler Organe.430 Im Kampf gegen das Wohnungsdefizit sah die Stadt nämlich zwei mögliche Lösungen : Die erste 424 Santi Thió i de Pol, Les clavegueres de la part alta barri de Les Roquetes de Barcelona (1964– 1966), in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, Bl. 2. 425 Ebd., Bl. 4. 426 Terceras conversaciones de pastoral misionera, in : Pastoral Misionera, Nr. 1, 1969, S. 11. 427 Santi Thió, Les clavegueres…, Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, Bl. 4. 428 Ebd. 429 Briefwechsel zwischen Santiago Thió i de Pol und der Stadtverwaltung, Barcelona 30.05.1963, 26.04.1965, 30.11.1965, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag. 430 Martinez Marí, La iniciativa privada, S. 57.
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Variante bestand darin, dass sich der Peripheriebewohner seine Wohnungen direkt und alleine baute, indem er jedoch die technische und finanzielle Hilfe der öffentlichen Organe zur Verfügung gestellt bekam. Die zweite Option sah vor, dass sich der Peripheriebewohner »in einer Gemeinschaft mit gleichen Interessen« organisierte »und sich seine eigene Wohnung baute, indem er mit Freunden und Nachbarn in einer Baugenossenschaft aktiv« wurde.431 In diesem Sinne plädierte die Stadtverwaltung stark für die Gründung von Baugenossenschaften zur Durchführung des öffentlich kontrollierten Baus in Eigeninitiative und argumentierte dabei, dass diese Art des Wohnungsbaus eine Hilfe seitens des Regimes für diejenigen sei, die zwar eine Wohnung in der Stadt brauchten, jedoch keine Ersparnisse für die erforderlichen Gebühren und Zahlungen hatten. Die Kosten wurden nämlich durch die Arbeitsleistung getragen, was ein »gezwungenes, jedoch sinnvolles Sparen« sei : Die freie Zeit, in welcher die Arbeiter eigene Häuser konstruierten, sollte damit eine finanzielle Investition durch eine sichere Revalorisierung der Wohnungspreise darstellen.432 Zudem sollte der Eigenbau einen materiellen Ausgleich zwischen den übermäßig hohen Preisen auf dem Wohnungsmarkt und den zu niedrigen Löhnen der Arbeiter anbieten. Die Stadt plädierte für diesen Modus aber nicht nur deswegen, weil das Wohnungsdefizit in den Großstädten stets wuchs, ohne dass eine effiziente Lösung für das Problem zur Hand wäre. Man erhoffte sich auch, eine eventuelle Arbeitslosigkeit unter den unqualifizierten Arbeitern zu reduzieren.433 Neben diesen pragmatischen Argumenten, die zugunsten des »öffentlich gesteuerten Baus in Eigeninitiative« wirken sollten und größtenteils von der Erfahrung der Poblados Dirigidos in Madrid inspiriert wurden, betonte die Stadtverwaltung Barcelonas dennoch auch einen menschlichen Aspekt des »Eigenbaus« mittels einer Genossenschaft, die die Entwicklung einer Gemeinschaft und des Zugehörigkeitsgefühls unterstützen sollte.434 In diesem Sinne forderte die Stadtverwaltung diese Art des kollektiven Engagements nicht nur im Bereich des Wohnungsbaus, sondern ebenfalls für die Bereitstellung sozialer Infrastrukturen für die Gemeinschaft, etwa den propagierten Sozialzentren, aber auch Sportanlagen und Arztpraxen. In der Argumentation der kommunalen Verwaltung sollten die Nachbarschaften 431 »El hombre del suburbio se organice y en una verdadera comunidad de intereses, construya su propia vivienda, colaborando con sus vecinos o amigos, a través de la fórmula cooperativa«, in : Martinez Marí, La iniciativa privada, S. 55. 432 La construcción de viviendas por el sistema de prestación personal, in : Ayuntamiento de Barcelona. Patronato Municipal de la Vivienda, La vivienda en Barcelona, Barcelona 1967, S. 82. 433 Ebd., S. 82–83. 434 Ebd., S. 3.
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selbst gemeinsam für lokale Initiativen entsprechend ihren eigenen Bedürfnisse sorgen, um so das Zusammenleben der Gemeinschaft zu verbessern. Es ging also um eine koordinierte Anstrengung aller Interessierten in eigener Sache mit Unterstützung der öffentlichen Institutionen.435 In diesem Sinne förderte die Stadtverwaltung eine aktive Partizipation aller Bewohner an den Urbanisierungsprozessen, die jedoch stets von öffentlichen Institutionen beaufsichtigt werden sollte. Die Voraussetzung für den »öffentlich gesteuerten Bau in Eigeninitiative« war die Koordinierung durch eine leitende Person, die sich einerseits im Bauwesen auskannte, andererseits die finanziellen Mittel für den Fortgang der Arbeit hatte.436 In Les Roquetes war diese Person Santiago Thió, auch wenn er selbst weder mit dem Bauwesen etwas zu tun hatte, noch Geld für die Urbanisierung bereitstellen konnte. Immerhin waren er und seine studentische Gruppe im Gegensatz zu den Bewohnern der Siedlung mit den bürokratischen Prozeduren vertraut : Thió wusste einen Briefverkehr mit öffentlichen Stellen zu führen, die gesetzliche Lage des Projektes stets im Blick zu behalten und die notwendige Hilfe und Koordination zu leisten. Unter seiner Ägide konstituierte sich eine Gruppe von Professionellen : Unter den Studenten fand sich mancher Ingenieur und unter den Bewohnern gab es ebenfalls Arbeiter, die auf öffentlichen Baustellen beschäftigt waren. Die finanziellen Mittel wurden unter den Nachbarn gesammelt und im Folgenden auf ein speziell dafür eröffnetes Bankkonto eingezahlt. Unter den Bewohnern konstituierten sich außerdem ein Nachbarschaftsrat, eine Verwaltergruppe und ein Schatzmeister, die sich mit diversen Aufgaben, den Finanzen und der Organisation der Arbeit befassten.437 Den Siedlungsbewohnern stellte Santiago Thió die Aufgabe, sonn- und feiertags in der Zeit von sieben bis ein Uhr das Projekt eines Kanalisationssystems für alle Bewohner voranzutreiben und in kollektiver Anstrengung fertigzustellen. Dabei umfasste die Aktion einen großen Teil der Siedlung, der von weit oben am Berg absteigend bis in die untersten Sektionen reichte. Die gemeinsame Arbeit organisierte sich nach Straßenstrecken : Nachdem die Studenten das Baumaterial über die gesamte Arbeitsstrecke nach Gruppen verteilt hatten, arbeiteten 435 Problemas sociales de la construcción de viviendas. Conferencia pronunciada por D. José M. Martínez-Marí, Gerente del Patronato Municipal de la Vivienda, en el Salón de Crónicas del Ayuntamiento, dentro del ciclo organizado con motivo del Día Mundial del Urbanismo, Barcelona, 14.11.1957, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Arxiu Personal R. Duocastella, caixa 14/4, Bl. 7. 436 La construcción de viviendas por el sistema de prestación personal, in : Ayuntamiento de Barcelona. Patronato Municipal de la Vivienda, La vivienda en Barcelona, Barcelona 1967, S. 81–87. 437 Santi Thió, Les clavegueres…, Bl. 8–9.
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Abb. 27 : Santiago Thió (in der Mitte der ersten Reihe) war als junger Jesuit nicht nur Initiator einer verbesserten infrastrukturellen Versorgung des Stadtviertels Les Roquetes, sondern arbeitete zwischen 1964 und 1966 auch Schulter an Schulter mit den Bewohnern. Quelle : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona.
die Bewohner jeweils ausschließlich in ihrer eigenen Straße, indem sie gemeinsam für den Kanal eine tiefe Grube ausgruben und diese mit den Hausparzellen verbanden. Konnte jemand an einem Tag nicht arbeiten, musste er seine nicht geleistete Arbeit mit 180 Peseten ausgleichen. Außerdem verpflichteten sich die Hauseigentürmer, die nicht selbst in der Siedlung wohnten und daher auch nicht dort arbeiten konnten, zu einem finanziellen Beitrag in Höhe von 210 Peseten.438 Die Arbeit ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, da die Gruben aufgrund der unzureichenden Finanzmittel eigenhändig von nur wenigen Leuten und mit einfachem Werkzeug tief in den steinigen Grund gegraben werden mussten.439 Dennoch schafften es die Bewohner von Les Roquetes schließlich, das Kanalisationssystem in ihrer Siedlung fertigzustellen. Durch diese kollektive Erfahrung schuf Santiago Thió einen Raum für die Erprobung sozialer Praktiken
438 Informationsschrift an die Bewohner und Eigentümer der Grundstücke in den Straßen Rodrigo Caro, Ojeda, Cantera, Lloveras, Briquets, Mina de la Ciudad, Barcelona 12.07.1964, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag. 439 Santi Thió, Les clavegueres…, Bl. 10–11.
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Abb. 28–31 : Die Aktion »Urbanisierung an Sonntagen« im Stadtviertel Les Roquetes unter der Leitung des Jesuiten Santiago Thió, 1964–1966. Quelle : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona.
und eine grundlegende Vertiefung des Gemeinschaftsgefühls zwischen den Bewohnern, die bereits die eigenen Häuser mit gegenseitiger Hilfe gebaut hatten.440 Die positive kollektive Erfahrung des Kanalisationsbaus brachte die Bewohner des obersten Siedlungsteils, die keine Trinkwasserleitung hatten und sich nur an den öffentlichen Brunnen bedienen konnten, dazu, im Jahre 1966 die sogenannte Aktion »Operation – Wasser in Les Roquetes« eigenständig auf die 440 Tele/eXpres, 14.11.1969, S. 7.
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Beine zu stellen, was von einem neugewonnenen Bürgerbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl zeugt. Diesmal konstituierten sie auf Basis eines neu gewählten Bewohnerrates eine legale Genossenschaft, die die Aktion unentgeltlich leiten sollte.441 Die Genossenschaft, durch zwei sich freiwillig meldende Bewohner repräsentiert, kümmerte sich mit Hilfe von Studenten um die administrativen Schritte wie etwa die Bearbeitung des Kostenvoranschlags, die Berechnung der fälligen Gebühren und die Entwicklung der Entwürfe sowie die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung und den städtischen Wasserwerken und schließlich die Abwicklung und Durchführung der Aktion.442 Die Wasserleitung sollte genau wie das Kanalisationssystem ein Werk aller Bewohner sein und beanspruchte einen finanziellen Beitrag von allen. In diesem Sinne organisierte der Bewohnerrat Versammlungen sowie Wahlen der Siedlungsvertreter und rief zur gemeinsamen Arbeit auf : Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Wasserleitung gleich dem Kanalisationssystem ein Werk aller ist. Es reicht nicht, zu bezahlen wie für den Kauf einer Waschmaschine. Wir brauchen Freiwillige, die in jedem Moment helfen. Es ist notwendig, dass sich einige Nachbarn für den Rat einsetzen. Die Besten. Die Arbeit und die Verantwortung sind groß. Später dürfen wir weder den Rat noch die Jungen und Studenten, die mit uns zusammen arbeiten, alleine lassen. Wir müssen ständig anregen, energisch ans Werk zu gehen und uns von schlechter Laune aufgrund der vielen Arbeit nicht beeinflussen zu lassen. Viele sind gut im Steinewerfen und Kritisieren, nur wenige helfen wirklich.443
441 Estudio para el barrio de Roquetes, diciembre 1969, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. S-68, unpag. 442 Contrato de arrendamiento de servicios para la instalación de una red general de agua, ramales particulares, contadores y altas en la barriada alta de las Roquetas, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag. 443 »Hemos de tener presente que el agua, igual que la cloaca es obra de todos. No basta con pagar, como quien va a comprarse una lavadora. Se necesitan voluntarios que ayudan en todo momento. Es preciso que algunos vecinos se ofrezcan para formar una Junta. Los mejores. El trabajo y la responsabilidad son fuertes. Luego no podemos dejar solos a la Junta ni al equipo de profesionales jóvenes y estudiantes que colaboran con nosotros. Siempre animar, arrimar el hombro y no dejarse llevar del mal humor debido al mucho trabajo de todos. Muchos son buenos para tirar la piedra y criticar, pocos son los que ayudan.«, in : Schriftverkehr, Bestand Santiago Thió i Pol, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag.
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Die städtischen Wasserwerke antworteten auf diese soziale Aktion mit Begeisterung und schlugen dem Bewohnerrat besondere Zahlungsbedingungen vor,444 die sich über eine längere Zeitperiode erstrecken konnten. Diese Vorteile wie auch der erfolgreiche Einsatz des Bewohnerrates für die gemeinsame Arbeit und die Motivation anderer Bewohner zur Mitarbeit ermöglichten es, die erste »Operation Wasser« noch im Jahre 1966 zu beenden und im folgenden Jahr um weitere Straßen zu erweitern.445 Die Bereitstellung der notwendigen Infrastrukturen kam zustande durch die sozialen Interessen einer jungen Generation von Spaniern bzw. Kataloniern (zu dieser zählten sowohl die Architekten und Soziologen des CEDEC wie auch der junge Jesuit Santiago Thió und dessen studentische Mitarbeiter) und den pragmatischen Blick der kommunalen Institutionen auf die Aktion ; die Zusammenarbeit der Bewohner trug zum Urbanisierungsprozess dieser Zone bei. Dabei handelte es sich nicht nur um eine infrastrukturelle Versorgungsmaßnahme, sondern auch um das soziale Projekt der Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls und zivilgesellschaftlichen Engagements, die sowohl von der Stadtverwaltung durch ihre »partizipatorische« Rhetorik wie auch von Santiago Thió durch die partizipatorische Praxis erreicht wurde. Auf Basis dieser Aktionen und des dafür gebildeten Nachbarschaftsrats, der kollektiven Erfassung der Bedürfnisse der Siedlung und der Solidarität entstand gegen Ende der 1960er Jahre der Nachbarschaftsverein. Dieser Nachbarschaftsverein kämpfte seit Anfang der 1970er Jahre mit den öffentlichen Stellen, die zumindest zu Beginn durch den öffentlich gesteuerten Bau in Eigeninitative die Bildung einer Gemeinschaft selbst gefördert hatten, um weitere Infrastrukturen bereitgestellt zu bekommen, die sich nicht mehr in Eigenregie schaffen ließen, wie etwa die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr.446
444 Schreiben der Sociedad General de Aguas de Barcelona an die Vorsitzenden der Genossenschaft, José M. Junca und Nicéforo Cano Estaban, Barcelona, 9.07.1966, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag. 445 Schreiben der Sociedad General de Aguas de Barcelona an die Vorsitzenden der Genossenschaft, José M. Junca und Nicéforo Cano Estaban, Barcelona, 15.02.1967, in : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Sig. D-469, unpag. 446 Vgl.: Fabre, Huertas Claveria, Tots els barris de Barcelona, Bd. 7, S. 178–181.
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4. Medien als Akteure. Von der Medialisierung zur Urbanisierung an den Stadtperipherien (1966–1976)
4.1 Die Piaristenschule in Camp de la Bota als Ort öffentlicher Debatten um Schulbildung, Klassengesellschaft und Identität Die Buchautoren Francesc Martí Jusmet und Eduardo Moreno Ibáñez schrieben im Jahre 1974 in ihrem Buch »Barcelona ¿ a dónde vas ?« (»Barcelona, wohin gehst du ?«), dass die Bürger Barcelonas zwar nicht durch Kommunalwahlen an den Entscheidungen über die Stadt partizipierten, wohl aber ihre Meinung über die Realität Barcelonas äußerten. Und dies sei nicht nur auf private Kommunikation zwischen den Bürgern auf den Straßen beschränkt, sondern erfolge auch durch die Presse.1 Barcelona war seit Ende des 18. Jahrhunderts und dem Erscheinen der ersten lokalen Tageszeitung »Diario de Barcelona«2 ein relevantes und stark pluralistisches Medienzentrum Spaniens,3 in welchem die lokale Presse stets die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ereignisse der Stadt begleitete und durch ihre publizistische Tätigkeit aktiv zum öffentlichen Diskurs beitrug.4 Nach dem Bürgerkrieg wurden zwar die Pressefreiheit und somit auch der mediale Ideenpluralismus weitgehend begrenzt, jedoch begann sich diese Situation in den 1960er Jahren Schritt für Schritt zu ändern. Ein wichtiger Impulsgeber dessen war das im Jahre 1966 vom Minister für Information und Tourismus, Manuel 1 Francisco Martí, Eduardo Moreno, Barcelona ¿a dónde vas ? Barcelona 1974, S. 128. 2 Dieser ersten Tageszeitung folgend erschienen im Laufe des 19. Jahrhunderts weitere Titel wie etwa »La Vanguardia Española«, »El Correo Catalán«, »El Noticiero Universal« und andere. S. u.a.: Joan Torrent, Rafael Tasis, Història de la premsa catalana, Bd. 1, Barcelona 1966. 3 Auf den ideologischen Pluralismus der Barceloneser Presse deuten u.a. die Tageszeitungen hin, unter welchen sich neben unabhängigen auch republikanische, monarchistische, carlistas (karlistische) und nationalkatalanische befanden. Siehe u.a.: Torrent, Tasis, Història de la premsa, S. 32– 35 ; Borja de Riquer i Permanyer, Los límites de la modernización política. El caso de Barcelona, 1890–1923, in : Las ciudades en la modernización de España, S. 21–60, hier : S. 30 ; Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 357. 4 Vgl.: José Carlos García Rodríguez, ¿Arde Barcelona ? La Semana Trágica, la prensa y la caída de Maura, León 2010 ; Riquer i Permanyer, Los límites de la modernización, S. 28–30.
Die Piaristenschule in Camp de la Bota
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Fraga Iribarne (1962 bis 1969)5 verabschiedete, etwas liberalere Pressegesetz. Das Ziel dieser Reform war in erster Linie die Vermittlung einer scheinbaren demokratischen Wandlung Spaniens, wobei vor allem das Bild Spaniens im Ausland verbessert werden sollte.6 Dem Gesetz nach wurde die Zensur nicht mehr vor der Publikation, sondern bei Notwendigkeit a posteriori eingesetzt. Stattdessen hatten Autoren vor der Veröffentlichung die Möglichkeit einer »Beratung« beim Ministerium auf freiwilliger Basis, was einer Selbstzensur gleichkam. Wurde auf diese Art der Kontrolle verzichtet, konnten nach der Publikation Sanktionen eingesetzt oder die gesamte Publikation nachträglich zurückgenommen werden, sollten die Zensoren eine unerwünschte politische Manifestation darin entdecken.7 Das neue Pressegesetz bedeutete demnach zwar keine Meinungs- und Informationsfreiheit, sodass es weiterhin zahlreiche Eingriffe des Regimes in schriftliche Veröffentlichungen gab. Dennoch stieg in der Folge die Zahl der neuen Pressetitel in der Stadt,8 und es gab deutlich mehr kritische Stimmen, vor allem im Bereich der Kommunalpolitik.9 Analysiert man solche Diskurse, wird rasch sichtbar, dass die Kritik nicht dem Regime insgesamt, sondern vor allem den lokalen öffentlichen Stellen galt, auch wenn die Leser dies möglicherweise anders rezipierten.10 Dennoch, gerade diese Öffnung für Kritik gegenüber der kommunalen Politik ermöglichte eine breite öffentliche Debatte um städtische Angelegenheiten, die insbesondere von einer neuen Journalistengeneration unterstützt wurde.11 Während das Fernsehen eine staatliche Domäne ohne regionale Redaktionen blieb12 und daher einer kritischen Auseinandersetzung mit lokalen oder regionalen Problemen ablehnend gegenüberstand, übernahmen vor allem die Printmedien die Funktion eines öffentlichen Forums der Bürgerbeteiligung. Eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften, aber auch manche lokale 5 Zu Manuel Fraga Iribarne s. vertiefend : Los 90 ministros de Franco, S. 243–248. 6 Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 303. 7 Siehe u.a.: Barrera, Periodismo y franquismo, S. 95–110. 8 Josep María Figueres, El periodismo catalán. Prensa e identidad. Un siglo de historia (1879–1984), Madrid 2012, S. 523. 9 Barrera, La apertura informativa, S. 425 ; Jaume Guillamet, Premsa, franquisme i autonomia. Crònica catalana de mig segle llarg (1939–1995), Barcelona 1996, S. 91. 10 Vgl. Barrera, La apertura informativa, S. 425. 11 Martí, Moreno, Barcelona ¿a dónde vas ? S. 132–135. 12 Erst in den 1970er Jahren nahm das regionale Fernsehen den Betrieb auf, unter anderem auch in Katalonien, dennoch blieb der Anteil der Beiträge, die in Lokalredaktionen produziert wurden, gering. Siehe Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 297 ; Jesús García Jiménez, Radiotelevision y política cultural en el franquismo, Madrid 1980.
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Medien als Akteure
Verlage setzten sich zum Ziel, die Kommunalpolitik und deren Regelwidrigkeiten in die Diskussion zu bringen. In diesem Sinne war die Funktion der Medien keinesfalls auf die Lokalberichterstattung begrenzt, sondern die Medien waren selbst Akteure in der städtischen Öffentlichkeit.13 Die bereits zitierten Autoren Francesc Martí Jusmet und Eduardo Moreno Ibáñez – gründeten beispielsweise den Verlag Dirosa, der zu einem »Instrument der politischen Debatte«14 werden sollte. Einer der ersten großen Erfolge, das bereits erwähnte Buch »Barcelona ¿ a dónde vas ?«, thematisierte und verurteilte in erster Linie die kommunale Korruption und Spekulationen im Rahmen der Urbanisierung unter dem »Diktat des Bürgermeisters«15 Josep Maria de Porcioles. Während die Printmedien von den städtischen Eliten als diskursiver Raum für öffentliche Information und stadtkritische Debatten genutzt wurden, füllten die Stadtperipherien eine wichtige Referenzfunktion aus. Durch den Einsatz der lokalen Medien wurden die Siedlungen an den Stadträndern von weit entfernten Räumen des Stadtgefüges zu real existierenden Orten. Wie das Beispiel Camp de la Botas zeigt, wurde die Debatte um Schulbildung, Klassengesellschaft und Identität, die die städtischen Eliten in den 1960er Jahren in Fachkreisen führten, durch die Tagespresse medial verortet, und die »Zuschauer« konnten sich durch die Berichterstattung in die Problemlage der Siedlung einfühlen. Ausgangspunkt dieser intellektuellen Diskussionen der 1960er Jahre über Bildungsprobleme und Analphabetismus in den suburbanen Stadtvierteln waren statistische Erhebungen, laut denen die Analphabetenquote in Barcelona in den 1960er Jahren noch immer rund 17 Prozent betrug.16 Besonders hoch waren diese Zahlen an den Stadtperipherien, und wegen der kontinuierlichen Zuwanderung blieben sie konstant. Dem entgegenzuwirken gelang auch dem staatlichen Programm für den Kampf gegen Analphabetismus nicht, das der Staat 1954 in Verbindung mit dem 1951 gegründeten Patronato Escolar de los Suburbios (»Schulpatronat der Suburbia«) für die Unterstützung des Baus von Schulräumen verabschiedet hatte.17 Da zu Beginn der 1950er Jahre in Barcelona laut offiziellen Angaben 32.446 Jungen und 34.058 Mädchen we-
13 Vgl. Zimmermann, Medien und Stadt, S. 77. 14 Manuel Milián Mestre, Catalunya, ¿a dónde vas ? in : El Periódico, 11.12.2009, S. 5. 15 Martí, Moreno, Barcelona ¿a dónde vas ? S. 127. 16 Ramón Fuster Rabés, Situació de l’ensenyament primari, in : Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 27–37, hier : S. 28. 17 Gobierno Civil de la Provincia de Barcelona, Analfabetos 1956, in : AHGCB, caixa 12/M-15 Negociat 11-2, año 1956, unpag.
Die Piaristenschule in Camp de la Bota
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der lesen noch schreiben konnten,18 sollte dieses Programm in erster Linie die Schulbildung unter den Kindern und Jugendlichen fördern. Bis Ende der 1950er Jahre stieg die Zahl der beschulten Kinder im Zuge des Programms um 50 Prozent.19 Eine weitere Kampagne gegen den Analphabetismus und für die Schulbildung führten seit etwa 1963 die Technokraten sukzessiv mit dem Programm Operación Escuela (»Operation Schule«). Damit erhoben sie den Anspruch, »das fundamentale Problem der Schulbildung rasch und definitiv« zu lösen, indem die schulische Unterversorgung – im Jahre 1957 war ermittelt worden, dass es ein Defizit in Höhe von 78.300 Schulen gab – bekämpft werden sollte. Allein für den Zeitraum zwischen 1964 und 1968 wurden somit im Rahmen des ersten Entwicklungsplans 15.000 neue Grundschulen geplant.20 Dabei sollten alle Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren beschult werden.21 Da die Technokraten Bildung als einen Motor für das wirtschaftliche Wachstum verstanden, setzten sie im Weiteren besonders auf die Unterstützung der beruflichen Ausbildung.22 Trotz der Reformen wurde die Schulbildung bereits Mitte der 1960er Jahre von Kritikern ins Visier genommen. Die Kritik entzündete sich insbesondere daran, dass die elementare Schulbildung zwar bereits 85,5 Prozent der Bevölkerung zugute kam, die sekundäre und tertiäre Bildung jedoch nur noch 3,8 Prozent der Gesellschaft betrafen.23 Dabei standen besonders die fehlenden Lehrkräfte und die Schulräume im Fokus, die zum großen Teil in provisorischen, teils baufälligen Gebäuden eingerichtet waren.24 In diesem Zusammenhang warf man den öffentlichen Institutionen vor, nicht ernsthaft an der sozialen Förderung der zugewanderten Bevölkerung interessiert zu sein.25
18 Contra el analfabetismo en España, Barcelona 04.07.1952, in : AHGCB, caixa 10/H-04 Circulars, unpag. 19 Roser Solà i Montserrat, Les escoles de Nou Barris. Roquetes, Verdum, Prosperitat, Trinitat Nova i Guinueta (1950–1960), in : L’Arxiu. Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Nr. 68, 2015, S. 10– 14, hier : S. 10. 20 Vgl.: Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 324. 21 Ministerio de Educación Nacional. Dirección General de Enseñanza Primaria : Operación Escuela. Octubre 1960. España. Plan Nacional de Construcciones Escolares, in : AHGCB, caixa 1, Governadors Civils, unpag. 22 El frente de combate de la educación, in : Laureano López Rodó, Política y desarrollo, Madrid 1971, S. 291–294, hier : S. 292. 23 Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 30. 24 Ebd., S. 31–34. 25 Jaume Nualart, La inmigración y la escuela, in : La inmigración en Cataluña, S. 127–141, hier : S. 138.
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Die Diskussionen gingen jedoch weit über den Rahmen der Schulbildung hinaus. Sie kreisten auch um die Frage nach der räumlichen Segregation einer Klassengesellschaft und um die damit verbundenen Fragen nach Ausgrenzung und Inklusion innerhalb der katalanischen Gesellschaft. Der Soziologe Jaume Nualart warf den öffentlichen Stellen vor allem Mangel an Planung und Weitsicht beim Thema Bildung vor. Seiner Einschätzung nach war der Staat im Kampf gegen Analphabetismus in den ländlichen Gebieten, wo Analphabetismus ein althergebrachtes Problem darstellte, aktiver als in den Städten und insbesondere deren Peripherien. Demzufolge standen die Schulen in den ländlichen Gebieten leer, während es in den Städten stark an ihnen mangelte.26 Dort entstünden höchstens private Schulen, die jedoch, so Nualart, in erster Linie dem Profit dienten : Ausstattung auf ’s Geratewohl, winzige Schulräume, und so eng, dass die Schüler dort wie Sardinen in der Dose sitzen, ohne einen Schulhof, wo man die Beine ausstrecken könnte…27
Die Konsequenzen eines solchen Desinteresses seitens der öffentlichen Behörden seien, so Nualart, gravierend : 700.000 Kinder konnten in Barcelona nicht beschult werden. Dabei unterstrich Nualart, dass es nicht an Schulen allgemein mangele. Während es für die Kinder aus wohlhabenden Familien jedoch zu viele Schulen gebe, fehlten diese für Kinder aus ärmeren Verhältnissen an den Peripherien.28 Dabei berief sich Nualart auf Statistiken, denen zufolge in den wohlhabenden Wohnsiedlungen in der Stadt auf jeden Lehrer im Durchschnitt 36 Schüler trafen, während es in der Suburbia 166 Schüler waren.29 An den Stadträndern beschränke sich die Verwaltung »auf den Bau von Kloaken und die Asphaltierung der Straßen zwischen zwei Reihenhäusern oder auf die Verfassung schwer realisierbarer Pläne.«30 Für die Schulinfrastruktur werde jedoch kein Budget ernsthaft eingeplant. 26 Ebd., S. 130. 27 »Installacions a la bona de Déu, aules petites, estretes, on els alumnes estan com sardines a la llauna, sense un mal pati on poder estirar les cames.«, in : Jaume Nualart, L’ensenyament al suburbi, in : Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 63–80, hier : S. 69. 28 Nualart, La inmigración y la escuela, S. 130. 29 Ebd., S. 138. 30 Ebd., S. 128. In ähnlicher Weise verfasste Antoni Jutglar 1967 einen Aufsatz über die Bildung in Barcelona im 20. Jahrhundert, in welchem er die Geschichte der Schulbildung und somit die klaren Kontinuitäten in der Absenz der öffentlichen Stellen beim Thema Schulbildung im Laufe des
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Den die Gräben zwischen den sozialen Klassen zementierenden Charakter der existierenden Schulbildung thematisierten auch die Mitglieder der Architektenkammer in Barcelona. Mittels der Fachzeitschrift »Cuadernos de arquitectura y urbanismo« machten diese bereits 1965 in der Öffentlichkeit auf die soziale und räumliche Ausgrenzung der zugewanderten Arbeiter an den Stadtperipherien aufmerksam. Im Rahmen einer der Suburbia gewidmeten Sonderausgabe31 debattierten Vertreter der Soziologie, Kultur und Politik über die Unterschiede zwischen den »luxuriösen, modernen und mit großen Fenstern und viel Licht ausgestatteten Wohnungen« in den wohlhabenden Wohnsiedlungen und »den dicht gebauten Arbeiterwohnungen« in der Suburbia.32 Man wies darauf hin, dass der Bau von Wohnungen auf unbebauten Agrarflächen ohne Infrastrukturen die Bewohner zwangsläufig »aus der Stadt ausgrenzt.«33 Ein ähnliches Instrument der Exklusion stelle auch die Schulbildung dar. Da diese ausschließlich von proaktiver privater, kirchlicher oder säkularer (Bürger-)Initiative abhänge, würden die »bürgerlichen Nobelviertel« immer ausreichend bedient, während die »Arbeitersiedlungen mit der gleichzeitig höchsten Zahl der Kinder im Schulalter« völlig unbeachtet blieben. In diesem Sinne manifestiere sich der Klassencharakter der Schulbildung dadurch, dass die Stadt im Hinblick auf die Schulen in den übersättigten Stadtkern und die unterbestückten Peripherien geteilt würde.34 Indem die Debatte um den Zusammenhang zwischen der Schulbildung und der sozialen Förderung der Zuwanderer kreiste, kamen dabei Fragen nach dem Fehlen der katalanischen Sprache, deren Nutzung in der Öffentlichkeit seit der Etablierung des franquistischen Regimes verboten war,35 im Schulunterricht und der damit in Verbindung gesetzten misslungenen Integration der ZuwanJahrhunderts nachzeichnete. Diesem Artikel zufolge überließen die kommunalen Institutionen die Schulbildung ausschließlich den privaten Institutionen, darunter auch den katholischen. Somit seien die Schulen stark an die ideologischen Werte der jeweiligen Schulträger gebunden. Demnach sei die Stadt durch das 20. Jahrhundert hinweg kontinuierlich mit Schulproblemen konfrontiert. Antoni Jutglar, La enseñanza en Barcelona en el siglo XX (Esquemas para su historia), in : Anales de Sociología, Nr. 3, 1967, S. 7–39. 31 Suburbios 1, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965 ; Suburbios 2, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 61, 1965. 32 Francisco Candel, El amazacotamiento, in : Suburbios 1, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 5–6, hier : S. 5. 33 Jaime Nualart, Concepto de ciudad, Suburbios 1, Cuadernos de Arquitectura, Nr. 60, 1965, S. 13– 15, hier : S. 15. 34 La población y los servicios, in : CAU, Nr. 10, 1971, S. 70–80, hier : S. 76–77. 35 Gobierno Civil, El uso del idioma nacional en todos los servicios públicos, in : Boletín Oficial de la Provincia de Barcelona vom 31.07.1940, Nr. 183, S. 2–3.
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derer in die katalanische Gesellschaft auf. Man begründete die Forderung nach katalanischem Sprachunterricht mit dem Hinweis auf die psychologische, soziale und pädagogische Weiterentwicklung der Schüler.36 In diesem Kontext kritisierte der Pädagoge und Schriftsteller Ramon Fuster i Rabés,37 dass die Diskussion um den Schulunterricht in katalanischer Sprache stets als »politische Frage« beurteilt werde, während es doch ausschließlich um das Wohl der Kinder gehen sollte. Er forderte die Lehrer in den Schulen an den Stadtperipherien auf, sich für einen solchen Sprachunterricht stark und effektiv einzusetzen. Ähnlich argumentierte der Soziologe Miguel Siguán : Sich mit der katalanischen Gesellschaft und Kultur rasch zu identifizieren, sei eine notwendige Voraussetzung für den sozialen Aufstieg der Migranten. Ohne diese Identifizierung sei der Migrant zu einer unteren sozialen Position verurteilt.38 Eine solche Herabstufung resultiere aus den in den katalanischen bürgerlichen Kreisen ständig diskutierten gesellschaftlichen Unterschieden zwischen den ortsansässigen und den zugewanderten Stadtbewohnern :39 Gemäß dieser Selbststilisierung sei die katalanische Gesellschaft im Kern eine bürgerliche, industrialisierte und urbane Gesellschaft, die sich durch die gleichen Eigenschaften wie jene in den industrialisierten Ländern in Westeuropa auszeichne. Die katalanische Kultur sei demnach ein integrierter Teil der westlichen Kultur mit spezifischen Elementen, zu welchen unter anderem die Sprache gehöre. Demgegenüber repräsentierten – der bürgerlichen Lesart zufolge – die nach Katalonien strömenden Migranten jene traditionelle, agrarische Gesellschaft, die der katalanischen Gesellschaft im Prinzip wesensfremd sei.40 In der Tatsache, dass die Bürger in Katalonien das Ideal und Selbstbild einer solchen bürgerlich-industrialisierten Gesellschaft entwickelt hatten, während der größte Teil Spaniens noch traditionelle, aristokratische und ländliche Strukturen aufweise, sah Siguán Gründe für die stereotypischen Bilder, die sich in Katalonien als Distinktionselemente in der Gesellschaft ausgebildet hatten. Laut diesen Stereotypen sahen sich die Katalanen selbst unter anderem als arbeitstüchtig, stolz und individualistisch, während sie die Migranten als gewalttätig, primitiv, schmutzig, ignorant und süchtig nach Wein, Spiel und 36 Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 38. 37 Ramón Fuster i Rabés war auch Vorsitzender der Aktiengesellschaft Premsa Catalana S.A., die infolge des neuen Pressegesetzes 1967 entstand und sich u.a. für den Einsatz der katalanischen Sprache auch in den Tageszeitungen stark engagierte, in : Figueres, El periodismo catalán, S. 528. 38 Miguel Siguán, La asimilación de los inmigrados, S. 65. 39 Josep M. Masjoan, Jesús M. Marcos, Los inmigrantes y el problema de su promoción cultural, in : La inmigración en Cataluña, S. 113–125 ; Siguán, La asimilación de los inmigrados, S. 48. 40 Siguán, La asimilación de los inmigrados, S. 48.
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Festen, nur zu einfachsten Arbeiten fähig sowie als ohne Interesse und Initiative beurteilten.41 Die Vermeidung einer solchen Qualifizierung nach Stereotypen könne nach Siguán nur durch die »Katalanisierung« erfolgen. Nun sah Siguán für die Migranten, die unter sich lebten und arbeiteten, für eine solche Integration kaum Möglichkeiten, da Spanisch als offizielle Amts- und Mediensprache im Alltag der Zuwanderer vorherrschend war. Daher richtete Siguán den Blick auf die Kinder, die zwar in Katalonien geboren worden waren, aber nicht über katalanische Sprachkenntnisse verfügten. Er sah es als notwendig an, diesen Kohorten mit Migrationshintergrund eine katalanische Bildung zu ermöglichen.42 Dabei plädierte Siguán dafür, dass eine »Katalanisierung« durch die Schule als Option, nicht jedoch als Pflicht angeboten werden sollte. Eine Art Zwangskatalanisierung als einzige Möglichkeit der sozialen Förderung empfand Siguán demgegenüber als eine »wahrliche Diskriminierung« und schätzte diese als kontraproduktiv ein.43 Die Debatten konzentrierten sich somit auf die Schule als die beste Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg der Migranten, die jedoch Wahlfreiheit bieten und kein Superioritätsgefühl gegenüber den Migranten erzeugen sollte.44 In diesem Sinne schlossen die Diskussionen um die Schulbildung und deren Effektivität vor allem an die weitergehende Debatte um die katalanische Identität und Nation in einem spanischen Staat an.45 Zusätzlich wurde dabei eine Grenze zwischen den ortsansässigen Bürgern und den Migranten aus nicht katalanisch geprägten Regionen gezogen. Dabei wurde diese Debatte damit begründet, dass bereits 51,7 Prozent aller Bewohner Barcelonas nicht in Katalonien geboren worden waren.46 Zwar wurden dabei stets Argumente für die Integration der Migranten in die städtische Gesellschaft vorgebracht, jedoch ging es in den Diskussionen vor allem um die Frage, ob sich die Migranten, die »Katalonien invadiert haben«,47 letztendlich an die katalanische Kultur anpassen konnten oder diese möglicherweise verschwinden ließen.48 41 Ebd., S. 50–55. 42 Ebd., S. 67–68. 43 Ebd., S. 68. 44 In ähnlichem Sinne : Masjoan, Marcos, Los inmigrantes y el problema de su promoción cultural, S. 113–125. 45 Zum katalanischen Nationalismus siehe u.a.: Albert Balcells, Breve historia del nacionalismo catalán, Madrid 2004 ; Montserrat Guibernau, Catalan Nationalism : Francoism, Transition and Democracy, Abingdon 2004. 46 Siguán, La asimilación de los inmigrados, S. 35. 47 Masjoan, Marcos, Los inmigrantes y el problema de su promoción cultural, S. 113. 48 Siguán, La asimilación de los inmigrados, S. 35.
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Diese Diskussion um Nation, Identität und Integration im Kontext der massiven Zuwanderung in Katalonien war Ende der 1960er Jahre nicht neu. Ihren Anfang hatte sie bereits in den 1920er Jahren angesichts der ersten massiven Zuwanderungswellen und des vorherrschenden Analphabetismus genommen ; gegen Mitte der 1960er Jahre wurde diese dann nach einer längeren Pause aufgrund des Verbots der Sprache während des frühen Franquismus von Vertretern der bürgerlichen Stadteliten erneut in die Öffentlichkeit getragen.49 Unter dem Schlagwort »el català a l’escola« (»Katalanisch in die Schule«)50 wurde eine Kampagne für den Gebrauch der katalanischen Sprache ins Leben gerufen, die auch in der Presse und im Verlagswesen mit zahlreichen Publikationen in Katalanisch (mit Ausnahme der Tageszeitungen, die weiterhin nur auf Spanisch erscheinen durften51) Resonanz fand. In diesem Zusammenhang stellte der Schriftsteller und Journalist Francisco Candel, selbst aus einer Einwandererfamilie stammend, in seinem 1964 erschienenen Buch »Los otros catalanes« (»Die anderen Katalanen«)52 die Sprache als »zivile und spontane menschliche Kommunikation« als das einzige Mittel für eine erfolgreiche Assimilierung der Zuwanderer in die katalanische Gesellschaft dar.53 Machte die Bezeichnung »Die anderen Katalanen« das ambivalente Verhältnis gegenüber den Zuwanderern als »einem anderen Teil der katalanischen Gesellschaft« deutlich, das sich zwischen Integration und Ausgrenzung bewegte, wurde von Candel die Sprache unbestritten als Mittel für eine Assimilierung der Zuwanderer angesehen. Welchen Erfolg das Buch genoss, lässt sich nicht nur anhand der zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen ins Spanische, sondern auch an der großen Anzahl an Kritiken und Polemiken seitens der katalanischen, katholischen und/oder linken Intellektuellen messen.54 Zu den Skeptikern der Candel’schen Vision gehörte beispielsweise der Schriftsteller, Politiker und katalanische Nationalist Manuel Cruells, der in seinem Buch »Els no catalans i nosaltres« (»Die Nicht-Katalanen und wir«) aus dem Jahre 1965 den Integrationsoptimismus
49 Vgl.: Josep Termes, La immigració a Catalunya : Política i cultura, in : Reflexions crítiques sobre la cultura catalana, hg. v. Pierre Vilar u.a., Barcelona 1983, S. 205–288 ; Baumeister, Grenzen der Stadt. 50 Figueres, El periodismo catalán, S. 524. 51 Torrent, Tasis, Història de la premsa catalana, S. 885. 52 Francisco Candel, Los otros catalanes, Barcelona 1964 (Edicions 62). 53 Vgl.: Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 357. 54 Vgl.: Termes, La immigració a Catalunya, S. 240–274 ; Balcells, Breve historia del nacionalismo, S. 211–216.
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Candels als äußerst sentimental bezeichnete.55 Seiner Meinung nach bestand weder unter den Katalanen noch unter den Migranten der Wille zu einer solchen Integration : Diese neutrale Kategorie der ›anderen Katalanen’ ist eine Erfindung Candels, um genau diesen Mangel an Hingabe, Enthusiasmus und Treue jener, die ja seit vielen Jahren hier leben oder sogar hier geboren wurden, zu rechtfertigen.56
Gerade die Idee der Sprache als Basis der katalanischen Gemeinschaft sah Cruells als das größte Problem an, weil es sich seiner Meinung nach bei der stets wachsenden Massenimmigration in erster Linie um eine ungebildete und randalierende Gruppe handele, die durch eine Dosis unbewussten Stolzes, Ignoranz und Analphabetismus gekennzeichnet sei und keine Bereitschaft zeige, eine andere Sprache zu erlernen. In diesem Sinne schrieb Cruells, »kann ich nicht erwarten, dass diese Leute auf ihre Heimat, in welcher sie so stark verwurzelt sind, verzichten. Aber sie sollen zumindest auch nicht von uns erwarten, dass wir auf unsere verzichten.«57 Demgegenüber fand der Politiker Jordi Pujol (später, zwischen 1980 und 2003, Regierungschef Kataloniens) in dem Buch Francisco Candels Antworten aus Sicht der Einwanderer auf die zentralen Fragen, die er selbst bereits in den späten 1950er Jahren aufgeworfen hatte. 1958 schrieb Pujol in seinem Text »Per una doctrina d’integració« (»Für eine Lehre der Integration«), der zu der Zeit nur unter den Militanten katholischer Organisationen kursierte :58 »Wir sind nicht damit einverstanden, dass aufgrund der Immigration die Einheit Kataloniens gebrochen wird oder dass Katalonien als Nation verschwindet.«59 Pujol sah die Migration und die damit verbundene Integration als das größte Problem Kataloniens an,60 und er plädierte für den Wiederaufbau einer »katalanischen Ge55 Manuel Cruells, Els no catalans i nosaltres, Barcelona 1965. Vgl.: Termes, La immigració a Catalunya, S. 244–250. 56 »Aquesta categoria neutra dels »altres catalans« és una invenció de Candel per justificar precisament aquesta manca de dedicació, d’entusiasme i de fidelitat dels qui fa anys que són aquí, o que ja hi han nascut«, in : Cruells, Els no catalans i nosaltres, S. 12–15. 57 »No puc demanar a aquesta gent tan arrelada a la seva terra que hi renuncin, però almenys que no ens demanin a nosaltres que renunciem«, in : Cruells, Els no catalans i nosaltres, S. 37. 58 Termes, La immigració a Catalunya, S. 240. 59 »Som contraris al fet que, com a conseqüència de la immigració, quedi trencada la unitat de Catalunya, o que Catalunya desaparegui com a poble«, in : Per una doctrina d’integració, in : Jordi Pujol, La immigració, problema i esperança de Catalunya, Barcelona 1976, S. 55–90, hier : S. 55. 60 Ebd.
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meinschaft«, die für alle Katalanen verbindlich sei. Er verstand als Katalanen alle Menschen, die in Katalonien lebten, darunter nicht nur die geborenen Katalanen, sondern auch die gewordenen, die Katalonien als neue Heimat anerkannten und sich für sie einsetzten. In diesem Sinne war der Migrant für Pujol immer ein Katalane, außer, wenn er eine antikatalanische Haltung annahm.61 Dabei war für Pujol die Sprache nicht nur ein Charakterisierungsmerkmal einer solchen Gemeinschaft, sondern gleichzeitig die einzige Rettung Kataloniens : »Wenn sich die Sprache rettet, rettet sich alles«,62 schrieb er. In diesem Sinne schloss er sich den Ansichten Candels an, dass die Sprache eine Basis für die Integration der Migranten in Katalonien sei. Demnach war auch die katalanische Schule für Pujol die Grundvoraussetzung für die Gemeinschaftsbildung.63 Nun wurden zum Ende der 1960er Jahre zusätzlich neue Argumente in der Diskussion um die Schulbildung immer lauter : Die »anderen Katalanen« seien für ihre fehlenden Sprachkenntnisse nicht alleine verantwortlich. Vielmehr seien sie Opfer des Monopols des spanischen Staates, der aufgrund des Status der spanischen Sprache als offizielle Verwaltungs- und Kommunikationssprache und der so ebenfalls spanisch dominierten Massenmedien den Zuwanderern keine Chance gebe, sich in Katalonien vollständig zu integrieren. Der Piarist Francisco Botey, der als Pädagoge und Lehrer in Camp de la Bota tätig war, betonte in diesem Kontext, dass »leben und arbeiten in Barcelona« für den Spracherwerb und somit für die Integration nicht ausreichend sei.64 Die Presse, das Radio und das Fernsehen seien, so Botey, diejenigen Medien, ohne welche über die Bildung einer Gemeinschaft nachzudenken nutzlos sei :
61 Ebd., S. 71. 62 »Si la llengua se salva, se salvará tot«, in : Ebd., S. 85. 63 Jordi Pujol, »Els altres catalanes« per Francesc Candel, in : Serra d’Or, Nr. 8, 1964, S. 34. Aufgrund dessen, dass Pujol so sehr die Relevanz der Sprache betont, lässt sich seine Idee einer »katalanischen Gemeinschaft« mit dem Konzept der »Kulturnation« in Verbindung bringen, deren Nationalgefühl auf einer gemeinsamen Kultur und Sprache beruht und durch Subjektivität gekennzeichnet ist. Die »Kulturnation« existiert auch ohne eigenen Staat. Siehe u.a.: Peter Alter, Nationalismus. Ein Essay über Europa, Stuttgart 2016, S. 45. Zudem lässt sich Pujols Idee auch unter dem subjektivistisch-flexiblen Konzept der »imagined community« von Benedict Anderson fassen. Siehe : Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991. 64 Conversaciones sobre inmigración interior, S. 160.
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Solange kein Kino, kein Radio und kein Fernsehen existiert, das die heimische Kultur in irgendeiner Weise repräsentieren kann, glaube ich, dass die völlige Assimilation der Migranten ein Traum bleibt.65
Eine solche Integration könne deshalb teilweise nur noch der jüngsten Generation durch die Schule ermöglicht werden, insofern sich die gesamte katalanische Gesellschaft und vor allem die Lehrer dafür einsetzen würden.66 In diesem Sinne schloss Miguel Siguán, dass »eine Gesellschaft, in welcher Menschen tolerieren, dass in der Suburbia 50 Prozent der Kinder unbeschult bleiben, eine Gesellschaft ist, die Selbstmord begeht.«67 Demnach ging es in dieser Debatte in erster Linie um die Forderung nach Sprachunterricht in den katalanischen Schulen, um die Überwindung des »spanischen (Sprach-)Monopols« in den Massenkommunikationsmedien wie etwa Fernsehen, Radio und Kino und somit auch um Möglichkeiten der Popularisierung des Katalanischen unter den spanischsprechenden Migranten. In dieser Situation, in welcher die katalanische Gesellschaft über keinerlei Instrumente für die Integration verfügte, erschienen die Schulbildung und der Unterricht der katalanischen Sprache als mögliche Gegenmittel gegen die befürchtete »Dekatalanisierung« der Gesellschaft im Kontext der massiven Zuwanderung. Diese unter den Stadteliten geführte Debatte um den Zusammenhang zwischen Schulbildung, Klassengesellschaft sowie Identität und Nation im urbanen Raum hatte durch den Lokaljournalismus einen ganz konkreten medialen Bezugspunkt – die Barackensiedlung Camp de la Bota. Zwischen 1966 und 1967 sah sich die Piaristenschule in Camp de la Bota mit einer gravierenden finanziellen Krise konfrontiert. Die Siedlung wuchs kontinuierlich, sodass es in der Schule immer mehr Kinder gab, während es an Lehrern und freien Schulräumen mangelte. Zudem befand sich das Schulgebäude in einem schlechten Zustand und war einsturzgefährdet. Kleine Subventionierungen seitens der Stadtverwaltung Barcelona lösten die finanziellen Probleme nur punktuell68 und waren bei weitem nicht ausreichend. Die unsichere Finanzierung der Schule durch unregel65 »Mientras no exista un cine, una radio, una televisión, que pueda manifestar la cultura autóctona de alguna manera creo que es soñar el pensar en una total asimilación«, in : Ebd. 66 Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 38 ; Masjoan, Marcos, Los inmigrantes y el problema de su promoción cultural, S. 117. 67 »Una sociedad que tolera que en los suburbios más del cincuenta por ciento de los niños esté sin escuelas, es en mi opinión una sociedad que se suicida«, in : Conversaciones sobre inmigración interior, S. 167. 68 Las escuelas del Campo de la Bota, Barcelona 1972, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 4.
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mäßige Spenden, Almosen und punktuelle Subventionen stellte die Existenz der Schule von Jahr zu Jahr in Frage. Bereits 1967 diskutierten die Piaristen und die Pädagogen über die Notwendigkeit, den Unterricht zu reduzieren, einige Schüler in andere Schulen zu schicken oder die Schule sogar endgültig zu schließen. In diesem Zusammenhang avisierten die Piaristen 1967 der Stadtverwaltung Barcelona die mögliche Schließung der Schule aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten, die sie alleine nicht mehr tragen könnten. Da in Camp de la Bota ca. 800 Kinder im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren und ca. 300 Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren lebten, sei es, so die Piaristen, zugleich unmöglich, alle diese Kinder in anderen Siedlungsschulen unterzubringen. Sie begründeten diese Einschätzung unter anderem mit dem Rückstand des Lernniveaus vieler Kinder, die durch die Migration ihrer Familien verspätet eingeschult worden seien und daher eine besondere pädagogische Vorgehensweise benötigten. Zudem verwiesen die Piaristen auch auf die große räumliche Entfernung zwischen Camp de la Bota und anderen Wohnsiedlungen, den Mangel an Schulen in den benachbarten Orten sowie das Unvermögen vieler Familien, die Schulkosten zu tragen und monatliche Beiträge zu bezahlen. Zudem argumentierten die Piaristen, dass zumindest 20 Prozent aller Schüler Sinti und Roma seien und daher ebenfalls eine besondere Lernweise benötigten. Zudem betonten sie, dass nur eine Schule direkt in der Siedlung diese Kinder davor bewahren würde, im Alter von 14 die Schule verlassen und arbeiten gehen zu müssen.69 Die Piaristen, die sich als wichtige Akteure des Bildungssystems auch an dieser Fachdebatte beteiligten,70 brachten die Schulprobleme in Camp de la Bota mithilfe der lokalen Tagespresse in die breite Öffentlichkeit und verschafften der oben beschriebenen Diskussion somit räumliche Referenzen und konkrete Ortsbezüge. Das Ziel einer solchen Medialisierung war dabei, von den öffentlichen Stellen eine Lösung für die bestehenden Probleme zu erzwingen.71 So wurde die Schulsituation in Camp de la Bota zwischen September und Oktober 1970 zum relevanten Thema im Kontext der Diskussion der Stadteliten um die Schulbildung und die Politik des Regimes. Die Tageszeitung »Diario de Barcelona« warf den öffentlichen Stellen vor, beim Thema der sozialen Förderung der Bewohner von Camp de la Bota passiv zu 69 Brief der Piaristenschule an die Stadtverwaltung Barcelona, 11.05.1967, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 70 Siehe u.a.: Francesc Botey, Els col legis de religiosos i l’ensenyament, in : Qüestions de la vida cristiana, Nr. 22, 1964, S. 51–61 ; Conversaciones sobre inmigración interior, S. 160–161. 71 Las escuelas del Campo de la Bota, Barcelona 1972, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, Bl. 5.
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Abb. 32 : Die Piaristenschule, eingerichtet im Schloss Quatre Torres in Camp de la Bota. Quelle : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina.
bleiben und darüber hinaus aus Camp de la Bota »die repräsentativste Siedlung für die soziale Marginalisierung von Migranten«72 zu machen. In diesem Zusammenhang prangerte die Zeitung an, dass im Zuge dieses »Alleinlassens durch die Kommune« bereits zwei Schulräume in der Siedlung aufgrund des schlechten Zustands des Schlossgebäudes, in dem die Schule untergebracht war, wegen Einsturzgefahr geschlossen werden sollten. Der Aufgabe der sozialen Förderung der Migranten stellten sich der Zeitung nach nur religiöse Gruppen, was dennoch, wie die Zeitung orakelte, nie tatsächlichen Erfolg haben werde, solange sich nur einige wenige für das soziale Wohlergehen einsetzten. Die kommunale Politik wurde auch von der Zeitung »El Noticiero Universal« verurteilt. Sie nannte die Piaristenschule ein »kontinuierliches Wunderwerk angesichts ihrer finanziellen Schwierigkeiten«,73 weil die öffentliche Hilfe nicht einmal 10 Prozent der Gesamtkosten deckte und die Schule vorwiegend auf andere Finanzierungsquellen angewiesen war. Besondere Aufmerksam72 Grave problema escolar en el Campo de la Bota, in : Diario de Barcelona, 16.09.1970, S. 4. 73 El problema escolar en el Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 16.09.1970, S. 2.
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keit schenkte die Zeitung der Tatsache, dass die Schule »aktive Bildung unter Verwendung des Katalanischen und von Kenntnissen zu den Herkunftsorten der in die Siedlung migrierten Familien« anbot. Ihren Unmut gegenüber den städtischen Institutionen drückte die Zeitung folgendermaßen aus : »Im Moment bleibt nur, weiter der privaten Initiative zu vertrauen und dem, was man gerade in die Hände bekommt.« In ähnlichem Sinne beschrieb die erst 1964 entstandene Tageszeitung »Tele/ eXpres« die Piaristenschule als eine »nicht kostenlose Schule« und propagierte darüber hinaus als Lösung, diese in eine öffentliche Schule umzuwandeln.74 »La Vanguardia Española« konzentrierte sich vor allem auf den schlechten Zustand der Schule, die jederzeit einstürzen könne, und fragte rhetorisch : »Bis wann werden private Personen die Notmaßnahmen übernehmen müssen ?«75 Die Tageszeitung »El Correo Catalán« brandmarkte vor allem den miserablen und daher gefährlichen Zustand der Schule und darüber hinaus die Schließung von zwei Schulräumen : Die Schule ist nicht bloß ein Ort, wohin man ein Kind bringt, nur weil ›es hässlich ist, es auf der Straße zu sehen‹. Dies wäre die gleiche Einstellung, die auch zu den falschen Annahmen führte, dass es ausreiche, Wohnungen zur Verfügung zu stellen, um das Barackenproblem zu lösen, oder dass Analphabetismus sich nur durch Schreiben und Lesen korrigieren lasse. Dies sind zwar Ansatzpunkte ; dennoch sollten diese mit anderen Mitteln ergänzt werden, um sich völlig entwickeln zu können.76
Die breite Aufmerksamkeit und die Kritik der lokalen Presse an der Schulsituation in Camp de la Bota brachte das Anliegen zur Sprache und baute gegenüber der Stadtverwaltung in Barcelona gleichzeitig Druck auf, konkrete Schritte zu unternehmen. Auf diese Pressekampagne antwortete die Stadtverwaltung schließlich mit einem Projekt, dessen Ziel es war, ein neues Schulgebäude für 800 Schüler mit vierzehn Klassenräumen, einer Küche und einem Speisesaal 74 La escuela – no gratuita – del Campo de la Bota, in : Tele/eXpres, 16.09.1970, S. 1. 75 El problema de las escuelas en el Campo de la Bota, in : La Vanguardia Española, 17.09.1970, S. 23. 76 »La escuela no es simplemente un lugar a donde se lleva al chiquillo porque ›hace feo verlo corretando por la calle’. Sería ése el mismo enfoque que ha llevado a concepciones erróneas de que para solucionar el problema del barraquismo bastaba con facilitar pisos, a que el analfabetismo se corregía con enseñar a leer y a escribir. Esos son, en todo caso, los comienzos, pero deben complementarse con todo lo que es preciso para desarrollarse plenamente«, in : Puntualizando el problema escolar del Campo de la Bota. Los temores de una »hacienda independiente«, in : El Correo Catalán, 20.09.1970, S. 4.
Die Piaristenschule in Camp de la Bota
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Abb. 33 : Die Nationalschule »Colegio Nacional Manuel de Falla« in Camp de la Bota, 1972. Quelle : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina.
sowie einem überdachten Innenhof in Camp de la Bota zu bauen. Die Stadtverwaltung erklärte sich bereit, 13 Millionen Peseten aus dem städtischen Schuletat zu bezahlen. Sobald das Schulgebäude fertig war, wurde die Schule dem Staat übertragen und ganzheitlich von der Stadtverwaltung und von den Bildungsabteilungen der Regierung und der Stadtverwaltungen des Staates bezahlt.77 Das moderne, zweistöckige Schulgebäude wurde im Auftrag der Stadtverwaltung Barcelona durch das Wohnungspatronat im Rahmen der Vereinbarung, die bereits zu Beginn der 1960er Jahre zwischen dem Nationalen Wohnungsinstitut und der Stadtverwaltung für den Schulbau in der Stadt unterschrieben worden war,78 im Jahre 1971 fertiggestellt. Im Schuljahr 1971–1972 nahm die Schule »Colegio Nacional Manuel de Falla« schließlich ihren Betrieb auf. In diesem Kontext schrieb der Piarist Francisco Botey, dass »das pädagogische Werk der Piaristenschule und ihrer Mit-
77 Schreiben der Schullehrer an die Nachbarn, ohne Dat. in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 78 Convenio sobre construcciones escolares entre Excmo. Ayuntamiento de Barcelona y el Instituto Nacional de la Vivienda al amparo de lo dispuesto en el artículo 11 del Decreto de 22 de junio de 1961, in : Vivienda, Nr. 10, 1964, S. 15–24.
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helfer in Camp de la Bota zum staatlichen Werk wurde.«79 Die Schule und der Kindergarten wurden demnach zur Nationalschule und die sonstigen pädagogischen Einrichtungen, die im Rahmen der Piaristenschule gegründet worden waren, wurden in eine Art Lehrergenossenschaft umstrukturiert. Die Piaristen behielten dennoch die Aufgaben der Katechese und der Pastoral im Rahmen der Nationalschule. Die Errichtung des modernen Schulgebäudes im Zentrum der Barackensiedlung wurde zum Zeichen der weitreichenden Bildungsreformen, die das Regime mit dem Schulgesetz Ley General de Educación 1970 beschlossen hatte. Diese vom neuen Bildungsminister José Luis Villar Palasí (1969–1973) vorangetriebene Reform des gesamten Schulsystems von der Grundschule bis zur Universität etablierte vor allem eine Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr.80 In diesem Sinne visualisierte die neue Schule in Camp de la Bota die ersten Erfolge der Bildungsreform. In der Gesellschaft aber erweckte der Bau der Schule eher den umgekehrten Eindruck und provozierte vor allem Unruhe und eine Reihe von Fragen, die auf die Bedeutung der Schule für die Zukunft von Camp de la Bota abzielten. 4.2 Medialisierte Kommunikation im urbanen Raum und die Repräsentation der Stadtperipherien : Der Fall Camp de la Bota Mit der Errichtung der neuen Nationalschule in der Barackensiedlung Camp de la Bota waren keineswegs alle Probleme beseitigt ; im Gegenteil. In einem Pressebericht vom Oktober 1971 heißt es, dass sich die Bewohner vom Staat erneut im Stich gelassen fühlten und den Eindruck bekamen, dass das Elend in dieser Barackensiedlung dazu tendierte, eine dauerhafte und »institutionalisierte« zu werden.81 In diesem Kontext war über die Schule Folgendes zu lesen :
79 Francesc Botey, Escola Pia i Camp de la Bota avui, ohne Dat., in : Cronica del Camp de la Bota, escola Pia Pekin, vol. 5, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag. 80 Mehr zu Luis Villar Palasí siehe u.a. in : Los 90 ministros de Franco, S. 277–285. Vertiefend zu den Schulreformen siehe : Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 325–329 ; Ottilie Arndt, Spaniens Prozess der Demokratisierung und Modernisierung, in : Zeitgeschichte Europäischer Bildung 1970–2000, hg. v. Klaus Schleicher, Peter Weber, Bd. 2, Nationale Entwicklungsprofile, Münster 2000, S. 45–72. Vgl.: La enseñanza en Barcelona (1968–1969) y perspectivas para 1974, hg. v. Ayuntamiento de Barcelona, Barcelona 1969, S. 3–4. 81 Estudio sanitario del Barrio del Campo de la Bota, in : La Vanguardia Española, 29.10.1971, S. 29.
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Das erste, was [in Camp de la Bota – A.P.] meine Aufmerksamkeit weckte, war das einsame und neueste Gebäude, das, wie man sagt, der Stadtverwaltung in Barcelona 10 Millionen Peseten gekostet hat. Es ist die Nationale Schule Manuel de Falla. Dieses Gebäude scheint mir ein Witz zu sein. Es scheint wirklich wie ein Witz eines Autors des absurden Theaters. Diese Schule ist die Materialisierung der Widersprüche der öffentlichen Verwaltung. Ist diese Schule mit [zwei] Etagen in einem Randbezirk, der als nicht bewohnbar und gesundheitsschädlich galt und zur endgültigen Beseitigung vorgesehen war, möglicherweise ein Zeichen der Institutionalisierung der Barackensiedlungen ?82
Ähnliche Beobachtungen drückte auch die Zeitung »El Correo Catalán« im Jahre 1971 aus : Die Eröffnung einer neuen Schule in irgendeiner Siedlung in Barcelona bringt meistens Freude und Zufriedenheit für die Bewohner. […] Dies ist allerdings in Camp de la Bota nicht der Fall. Nicht, weil die Bewohner die Schuldbildung nicht als notwendige und dringende Aufgabe sehen, sondern weil ihr Wunsch vielmehr lautet, die Siedlung zu verlassen und in menschenwürdigen Wohnungen mit den notwendigen Infrastrukturen wohnen zu können.83
Diese Befürchtungen dementierte die Stadtverwaltung in Barcelona jedoch durch eine Erklärung ihrer Presseabteilung, die oft als »Verteidigungsbüro« der Stadtverwaltung gegenüber den Presseangriffen bezeichnet wurde,84 dass »die Errichtung der Schule keinesfalls eine Perpetuierung der Siedlung«85 bedeute. Dennoch engagierten sich die Bewohner im Kontext der Befürchtungen einer Institutionalisierung der Barackensiedlung zu Beginn der 1970er Jahre innerhalb eines Nachbarschaftsvereines für die Liquidierung der Barackensiedlung 82 »Lo primero que llamó mi atención fue un insólito y novísimo edificio que dicen ha costado al Ayuntamiento de Barcelona 10 millones de pesetas ; es el colegio Nacional Manuel de Falla. Aquel edificio, entre otras cosas, me pareció una burla. Parece, en verdad, una broma de algún autor de teatro del absurdo. El colegio es la materialización de las contradicciones de la Administración. Un colegio de tres plantas en un suburbio declarado inhabitable, insalubre, etc., y condenado a desaparecer irremissiblemente. ¿Es acaso la institucionalización del barraquismo ?« María Fava i Compta, El Campo de la Bota, in : CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16, 1972, S. 31–33, hier : S. 31. 83 El Campo de la Bota, in : El Correro Catalán, 13.10.1971, S. 17. 84 Martí, Moreno, Barcelona ¿a dónde vas ? S. 134. 85 Campo de la Bota : »La puesta en marcha de la escuela no significa la perpetuación de la estructura del barrio«, in : El Correo Catalán, 15.10.1971, S. 20.
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und die Bereitstellung von Sozialwohnungen.86 Dabei war die Strategie des Nachbarschaftsvereins, den Dialog mit den kommunalen Institutionen öffentlich zu führen und die lokale Presse zu einem Verhandlungsforum werden zu lassen.87 Mithilfe einer breiten Pressekampagne in den Jahren 1971/72 konnten die Bürger Barcelonas den Kampf der Bewohner von Camp de la Bota um die Sozialwohnungen täglich beobachten. Die Presse nahm dennoch nicht nur die Funktion eines berichtenden medialen Organs ein, sondern beteiligte sich vielmehr selbst an den Geschehnissen, indem sie durch ihre kritische und wertende Berichterstattung die Urbanisierungsprozesse mitbeeinflusste. Der Nachbarschaftsverein als Vertretungsorgan der Bewohner in Camp de la Bota entstand im Rahmen des dort existierenden Sozialzentrums und wurde im Jahre 1971 offiziell anerkannt und legalisiert. Die Legalisierung des Nachbarschaftsvereins wurde auf der Grundlage des Vereinsgesetzes Ley de Asociaciones vom Dezember 1964 vollzogen.88 Das Vereinsgesetz resultierte aus einer Gegenaktion gegen die von der Falange vorangetriebene Etablierung von Familienvereinen. Dem neuen Gesetz nach hatten die Nachbarschaftsvereine ausschließlich auf lokaler Ebene unpolitisch (im Sinne nicht-parteibezogener Betätigung) als Vertretung der Interessen der Bewohner und für die Lösung von Wohnungsproblemen und Mietkonflikten zu agieren.89 Die Nachbarschaftsvereine unterlagen auch, im Gegensatz zu den dem Movimiento Nacional unterstellten Familienvereinen, dem Innenministerium, das für die Legalisierung solcher Vereinigungen zuständig war. Das Gesetz wurde zu einer Basis für die sich seit Ende der 1960er Jahre zahlreich organisierenden Nachbarschaftsvereine, deren Hochphase schließlich im Jahre 1974 mit dem Gesetz über die Etablierung politischer Vereine kulminierte.90 Nun gestaltete sich die Entstehung eines solchen Nachbarschaftsvereins in Camp de la Bota besonders interessant : Die Siedlung erstreckte sich wie beschrie86 Diez años en el Campo de la Bota, in : Tele/eXpres, 07.02.1972, S. 6. 87 Vgl.: Francisca de P. Vintró, Pilar Losa, Informe del estudio sanitario del barrio del Camp de la Bota, Barcelona 1971, in : Revista de Trabajo Social, enero-marzo 1972, S. 29–43, hier : S. 30. 88 Vgl.: La nueva ley de asociaciones, hg. v. Ministerio de la Gobernación, Madrid 1965. 89 Pamela Beth Radcliff sieht den fernen Prototyp dieser Nachbarschaftsvereine in den bereits in den 1920er und 1930er Jahren existierenden Nachbarschaftsvereinen. S.: Radcliff, Making Democratic Citizens, S. 26–45 ; Pamela Radcliff, Associations and the Social Origins of the Transition during the Late Franco Regime, in : Spain Transformed, S. 140–162, hier : S. 144–151. 90 Vgl.: Cobo Pulido, Los asociaciones de cabezas de familia, S. 437–488 ; Javier Maria Berriatúa San Sebastiàn, Notas conceptuales de las asociaciones de vecinos como movimientos sociales urbanos, in : Revista Internacional de Sociologia, Nr. 21, 1977, S. 7–28. Siehe auch : Radcliff, Making Democratic Citizens, S. 23–32.
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ben über zwei Munizipien – Barcelona und Sant Adrià de Besòs –, und Impulsgeber für die Gründung des Vereins war laut diversen Quellen der Bürgermeister in Sant Adrià de Besòs, Francisco Roqueta Prat (1966–1973),91 der für den in seinem Munizipium liegenden Siedlungsteil Parapeto zuständig war. Er war als Großunternehmer jahrelang im staatlichen Einheitssyndikat in der Wirtschaftssektion des Syndikats für Industrie und Kommerz tätig. In die Einheitspartei Falange trat er jedoch erst als Bürgermeister ein.92 Bei der Organisation des Nachbarschaftsvereins soll er in Hinblick auf die fehlenden Infrastrukturen in der Siedlung argumentiert haben, dass die Bewohner nur als Gruppe im Rahmen eines Nachbarschaftsvereins eine Chance hätten, sich mit Erfolg für die notwendigen Infrastrukturen in der Siedlung bei den kommunalen Institutionen einzusetzen. Dabei ging es vor allem um die fehlenden Infrastrukturen im Barceloneser Siedlungsteil Pekín, deren Bereitstellung von der Stadtverwaltung Barcelona stets verweigert wurde und zu kontinuierlichen Konflikten zwischen beiden Stadtverwaltungen führte. Noch zu Beginn der 1970er Jahre bemängelte in dieser Hinsicht der Zivilgouverneur Tomás Pelayo Ros (1969–1974)93 in einem Schreiben an Josep Maria de Porcioles Folgendes : Es gibt auch […] Angelegenheiten, wie zum Beispiel, dass die Bewohner in Sant Adrià [im Siedlungsteil Parapeto – A.P.], obwohl die Gemeinde viel kleiner ist, von ihrer Stadtverwaltung besser betreut werden als [die Bewohner Pekíns – A.P.] von der Stadtverwaltung in Barcelona, in einer Weise, dass die Unterschiede offensichtlich sind.94
91 Dies geht aus den Tätigkeitsberichten der Sozialassistentinnen hervor («Asociación de Vacionos ha sido creada por inicitiva del alcalde de San Adria. La Junta constituida por siete miembros elegidos democráticamente por el barrio«), in : Resumen trimestral del trabajo social de comunidad realizado en el Campo de la Bota, ohne Datierung, in : Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona´, caixa Camp de la Bota 4.5.7.6.2., S. 3. Auch aus den Quellen der Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs geht hervor, dass der Bürgermeister bereits 1967 einen Impuls für die Bildung eines Nachbarschaftsvereins gab, obwohl ein solcher Schritt zu diesem Zeitpunkt noch keine legale Option darstellte. In : El Campo de la Bota y sus barracas, in : ASAB, Estudi del Camp de la Bota, Caixa 1, Bl. 8. Auch Josep María Monferrer i Celades beschreibt den Nachbarschaftsverein in Camp de la Bota als »von dem Regime nahestehenden Menschen ins Leben gerufen«, in : Josep Maria Monferrer i Celades, Història del barri de la Mina 1969–2000, Bd. 2, Barcelona 2014, S. 50. Zu Francisco Roqueta Prat siehe u.a.: Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 514. 92 Marín, Els ajuntaments franquistes, S. 514. 93 Mehr zu Tomás Pelayo Ros siehe u.a.: Tébar Hurtado u.a., Gobernadores, S. 265–286. 94 »También hay otras cuestiones como es la de que el Ayuntamiento de San Adrián, al ser un Municipio mucho más pequeño, parece ser que los vecinos de aquella zona son más atendidos que los de este Ayuntamiento, por lo que las diferencias son palpables.«, in : Briefwechsel zwischen dem
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Wenn auch die direkten Motive des Bürgermeisters Roqueta Prat aus den Quellen nicht hervorgehen, wird deutlich, dass sich seine Initiative für eine Bürgervereinigung gegen die Stadtverwaltung Barcelonas richtete, die so für die Belange der Siedlung mobilisiert werden sollte. Für diese Annahme sprechen – abgesehen von dem logischen Axiom, dass der Bürgermeister keine Organisation gefördert hätte, die gegen seine eigene Stadtverwaltung agieren würde – zwei Tatsachen : Zum einen wurde der anfangs noch nicht offizielle Nachbarschaftsverein 1967 durch einen unter den Bewohnern frei gewählten Rat geleitet, der von sieben Bewohnern repräsentiert wurde, die ausschließlich aus dem Barceloneser Siedlungsteil Pekín stammten. Zum anderen verhandelte der Verein zu dieser Zeit ausschließlich mit der Stadt Barcelona, um die Bereitstellung wichtiger fehlender Infrastrukturen für den Siedlungsteil Pekín von der Verwaltung zu erzwingen. Vor diesem Hintergrund kann der Nachbarschaftsverein als strategische Waffe der Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs in deren ständigen lokalpolitischen Konflikten und Konkurrenzkämpfen gesehen werden, die aufgrund der Entballungspolitik Barcelonas mit der Stadtverwaltung der Metropole geführt wurden. Durch die Entballungsbestrebungen der Metropole wuchs nämlich diese kleine Kommune allein im Jahre 1965, als die neugebaute Siedlung Sud-Oest del Besòs fertiggestellt wurde, in welche die Bewohner verschiedener Barackensiedlungen Barcelonas umgesiedelt wurden, um 4.000 Personen. Durchschnittlich betrug das Stadtwachstum im Zeitraum zwischen 1960 und 1967 1.057 Personen pro Jahr, während diese Zahl im statistischen Mittel zwischen 1950 und 1960 noch 557 Personen betragen hatte.95 Jenseits der sozialen Probleme, die im Zusammenhang mit der Siedlung entstanden und auch schnell eine schlechte Presse bekamen,96 war die Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs für die Bereitstellung der Infrastrukturen verantwortlich. Allerdings verfügte die Stadtverwaltung als Munizipium mit weniger als 50.000 Bewohnern nicht über das sogenannte Urbanisierungsbudget, das der Staat Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern zur Verfügung stellte, und mit dem die infrastrukturelle Erschließung der neu entstandenen Siedlungen hätte finanziert werden können. Insgesamt verfügten im Jahre 1968 im Metropolengebiet ausschließlich Barcelona, Zivilgouverneur Tomás Pelayo Ros und dem Bürgermeister José María de Porcioles, Barcelona 1972, in : AHGCB, caixa 311/79, Correspondecia de Governadors, unpag. 95 Muntaner i Pascual, Sant Adrià de Besòs, S. 86. Vgl.: Just Casas i Soriano, Manuel Márquez i Berrocal, História social de Sant Adrià de Besòs. La Població : Segles XVIII-XX, Bd. 1, Sant Adrià de Besòs 1996, S. 85–103. 96 Vgl.: Matas Pericé, Al sud-oest del riu Besòs, S. 23–28.
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Badalona und L`Hospitalet über ein solches für die Infrastrukturen vorgesehenes Budget, obwohl auch manche andere Munizipien in der Region die festgelegte Einwohnerzahl von 50.000 bereits weit überschritten hatten. Obwohl diese Gemeinden daher in der Theorie ebenfalls Anspruch auf die staatlichen Gelder zur Versorgung ihrer Kommune mit notwendigen Infrastrukturen hatten, kam der Staat in der Praxis dem oft nicht nach.97 Im Hinblick auf die finanzielle Situation des Munizipiums nahm die Stadtverwaltung in Sant Adrià de Besòs deshalb die Information der Stadtverwaltung Barcelona mit Empörung zur Kenntnis, dass das Wohnungspatronat bereits seit Mitte der 1960er Jahre in dem grenznahen, noch weitgehend agrarischen Gebiet La Mina Grundstücke für eine weitere Entballungssiedlung enteignete.98 Auch wenn der Nachbarschaftsverein zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell anerkannt war, wurden die Bewohner dennoch tatsächlich gemeinsam aktiv und setzten sich bei der Stadtverwaltung Barcelona für die geforderten Infrastrukturen ein. Teilweise schien man diesem Ziel auch näher zu kommen. Das Engagement der Bewohner drängte die Stadtverwaltung Barcelona dazu, Verbesserungen der Infrastrukturen in Pekín vorzunehmen : In den Baracken wurden Wasserleitungen, in den öffentlichen Einrichtungen wie dem Sozialzentrum und dem Fußballstadion Abflussanlagen installiert. Zudem wurden die Straßen asphaltiert, und ein Kinderspielplatz sowie sanitäre Anlagen, darunter öffentliche Toiletten, eingerichtet. Zusätzlich beschäftigte die Stadtverwaltung Barcelona Personal für die Pflege und Kontrolle dieser Einrichtungen.99 Erst zu Beginn der 1970er Jahre sollte jedoch der Nachbarschaftsverein eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung zwischen den Bewohnern und den öffentlichen Stellen im Kampf um die Sozialwohnungen einnehmen. Dabei sollte der Kampf um die Wohnungen durch die Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit gewonnen werden. Zu diesem Zweck entschied sich der Nachbarschaftsverein – inzwischen auf rund 200 Mitglieder angewachsen –, mithilfe der Sozialassistentinnen und Sozialhelfer, zunächst einen Bericht über den sanitären Zustand in Camp de la Bota zu verfassen und in der lokalen Presse öffentlich zu machen. Ziel dieser Maßnahme war, öffentlich darzulegen, dass die Siedlung Camp de la Bota schnellstmöglich aufgelöst werden müsse und dass die Bewohner von der Stadt 97 Gestion o caos, S. 49. 98 Muntaner i Pascual, Sant Adrià de Besòs, S. 59. 99 Hoja informativa a los socios de la »Asociación de Vecinos« y vecinos del Campo de la Bota – Pekin, April 1972, in : Cronica del Camp de la Bota Escola Pia Pekin, vol. 5, in : CAT APEPC 07-02, 1-2, unpag.
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menschenwürdige Wohnungen bekommen sollten.100 Im Oktober 1971 wurde der Bericht im Umfang von dreißig Seiten und mit zahlreichen Fotografien, Tabellen und Grafiken dem Zivilgouverneur, den Bürgermeistern beider Munizipien, breiten Kreisen der lokalen, kommunalen und katholischen Eliten, den Ärzte-, Architekten- und Rechtsanwaltskammern sowie den staatlichen Institutionen, etwa dem Wohnungsministerium in Madrid, zugeschickt.101 Gleichzeitig gelangte dieser Bericht in alle Redaktionen der lokalen und zum Teil auch staatlichen Presse. Der Report zielte insbesondere darauf ab, zu betonen, dass die Barackensiedlung Camp de la Bota aufgrund massiver hygienischer und sanitärer Probleme rasch aufgelöst werden müsse. Die geografische Lage der Siedlung zwischen dem Meer und der Eisenbahnstrecke sowie zwischen der Mündung des Flusses Besós und dem Trockenflussbett Horta provoziere nicht nur eine konstante Hochwassergefahr, sondern auch eine hohe Luftfeuchtigkeit. Diese Luftfeuchtigkeit war dem Bericht zufolge dafür verantwortlich, dass 31 Prozent der Bevölkerung in der Siedlung, unter den Bewohnern im Alter von 50 bis 60 Jahren sogar 100 Prozent an rheumatischen Erkrankungen litten. Aufgrund der Nähe zum Meer und der daraus entstehenden Feuchte bilde sich in der Siedlung täglich (meist nachmittags) eine tiefhängende Nebeldecke, die die gesamte Siedlung bedecke und in welcher sich zusätzlich Gase und Rauch von den sich in der Nähe befindenden Industriefabriken sammelten. Dies erzeuge eine äußerst giftige Luft, die wiederum Hals-, Augen- und Lungenerkrankungen bei mehr als 43,2 Prozent der Bevölkerung verursache. Zudem seien 15,6 Prozent der Bewohner und die Mehrheit der Kinder aufgrund der in der Siedlung herrschenden Verschmutzung von diversen Hautkrankheiten und -entzündungen betroffen. Die Sozialassistentin schrieb in ihrem Bericht : Zwischen den Baracken und dem Meer gibt es ein Stück Land oder Strand, wo man so viel Dreck sehen kann, wie man sich nur vorstellen kann. Dorthin und ins Wasser wird täglich der Müll aus den Häusern geworfen. Es herrscht ein sehr unangenehmer Geruch. An diesem so unhygienischen Ort laufen die Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen und die von niemandem beaufsichtigt werden, barfuß und halbnackt herum, mit der Gefahr, sich zu verletzen oder sich eine Infektion zuzuziehen.102 100 Bericht geschrieben und unterzeichnet von María-Roser Cortés Colomé, Campo de la Bota, 20.01.1971, in : AHGCB, caixa 27, Governadors Civils, unpag. Der Bericht wurde später veröffentlich in : Vintró, Losa, Informe del estudio sanitario del barrio del Camp de la Bota, S. 29–43. Vgl.: CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16, 1972, S. 32. 101 El problema del Camp de la Bota, in : El Correo Catalán, 2.11.1971, S. 21. 102 »Entre las barracas y el mar hay un trozo de tierra o playa en el cual se ven todas las porquerías
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Für die Ausbreitung von Krankheiten wie etwa Tuberkulose sei auch die dichte Besiedelung in Camp de la Bota verantwortlich, wo inzwischen 733 Familien bzw. 3.270 Personen in 692 Baracken lebten. Die mangelhafte Infrastruktur verschärfe diese Probleme noch : Zurzeit gebe es in keiner Baracke fließend Wasser oder Trinkwasser, und die Müllabfuhr sei nicht ausreichend. Die fehlende Kanalisierung führe dazu, dass das Abwasser zwischen den Baracken fließe, was starken Gestank erzeuge sowie massenhaft Insekten anlocke. Die Verbreitung des Gestanks, der Insekten und Ratten werde auch dadurch verursacht, dass die Bewohner aufgrund der fehlenden Müllabfuhr und Kanalisation ihre Abfallreste und Exkremente am Strand liegen ließen. All dies zusammengenommen, in Verbindung mit zahlreichen Straßenhunden, verbreite diverse Krankheiten. Angesichts dessen, dass nur 50 Prozent der Kinder geimpft seien und nur 36 Prozent der Bewohner mit einer Krankenversicherung ausgestattet und darüber hinaus zu medizinischer Versorgung berechtigt seien, sei die Gefahr von Krankheitsepidemien enorm.103 Am Ende plädierten die Autoren dieses Berichtes für eine rasche und endgültige Auflösung von Camp de la Bota, denn dies sei die einzige akzeptable Lösung : Da die Situation grundsätzlich das Ergebnis der geografischen und umweltbezogenen Umstände ist, sehen wir, dass die endgültige Lösung ausschließlich durch die Liquidierung der Baracken zu erreichen ist, indem man den Bewohnern in Camp de la Bota, die sich gezwungen sehen, in diesen Umständen zu leben, logischerweise menschenwürdige Wohnungen zu günstigen Konditionen, die deren ökonomischer Situation entsprechen, zur Verfügung stellt.104 que uno se pueda imaginar ; allí y al agua se tiran cada día basuras de las casas. Hace un olor muy desagradable. Por este lugar tan poco higiénico los niños que no van a guardarías o escuelas, corren con los pies descalzos y medio desnudos sin nadie que los vigile, exponiéndose a hacerse daño y coger una infección«, in : María-Roser Cortés Colomé, Campo de la Bota, 20.01.1971, in : AHGCB, caixa 27, Governadors Civils, unpag. 103 Informe sobre el Campo de la Bota : Se propone la eliminación del barrio, in : Tele/eXpres, 30.10.1971, S. 6 ; CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16, 1972, S. 33 ; Manuel Vázquez Montalbán, La otra cara del desarrollo : El Campo de la Bota«, in : Triunfo, Nr. 484, 1972, S. 17 ; El problema del Camp de la Bota, in : El Correo Catalán, 2.11.1971, S. 21 ; Estudio Santitario del Barrio del Campo de la Bota, in : La Vanguardia Española, 29.10.1971, S. 29 ; Estudio santitario de una situación : Campo de la Bota, in : Diario de Barcelona, 29.10.1971, S. 19 ; Inundaciones en el Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 31.12.1971, S. 27. 104 »Que la situación es básicamente consecuencia geográfica y del medio ambiente, entendemos que la solución definitiva reside en terminar con la existencia de barracas en esta localización geográfica, facilitando, como es lógico y de desear, viviendas dignas a los habitantes del Camp de
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Die Propagierung der Problemlösung, die nicht nur auf der »Liquidierung« der Baracken in Camp de la Bota, sondern auch auf dem Bau »menschenwürdigen Wohnraums« in einem anderen Stadtbereich basieren sollte, wurde gleichzeitig von starken Zweifeln daran begleitet, dass die öffentlichen Stellen tatsächlich eine solche Lösung suchten. In erster Linie begründete man diese Befürchtung mit dem Bau der Schule »Colegio Nacional Manuel de Falla«, für welchen die Stadtverwaltung 13,5 Millionen Peseten ausgab,105 und der damit verbundenen, den öffentlichen Stellen unterstellten Absicht, die Siedlung dauerhaft zu etablieren106 : Es ist alarmierend, dass die Situation [in der Siedlung – A.P.] dazu tendiert, perpetuiert zu werden und sich sogar zu institutionalisieren, was man an der sich gerade im Bau befindenden Grundschule sehen kann. Wir glauben, dass es notwendig ist, das daraus entstehenden Paradox zu betonen, dass eine offizielle Schule entsteht, während gleichzeitig die existierenden Wohnungen, die weder über eine kommunale Baulizenz noch über ein Zertifikat der Bewohnbarkeit aufgrund ihrer Lokalisierung auf öffentlichem Boden verfügen, laut dem Gesetz vom 11. Juli 1964 als illegal gelten.107
Auch die Zeitung »Tele/eXpres« stellte in Frage, dass der Siedlung wirklich nur ein »vorübergehender Charakter« zugedacht sei. In Hinblick darauf, dass 53 Prozent der Siedlungsbevölkerung seit mehr als zehn Jahren in Camp de la Bota lebten, erschien die Siedlung den Autoren eher als ein »endgültiges Provisorium« : Für die gerade in Barcelona Angekommenen, die eine Arbeit suchten, mit deren Lohn sie die grundlegendsten Bedürfnisse decken konnten, sollte Camp de la Bota eine Übergangsphase während des Wartens auf eine menschenwürdige Wohnung sein. Dieses
la Bota y con las facilidades adecuadas a la situación económica de quienes se ven obligados a vivir en estas circunstancias«, in : La Vanguardia Española, 29.10.1971, S. 29. 105 Chabolismo, ¿un mal endémico ? in : Mundo, 08.01.1972, S. 17–23, hier : S. 21. 106 Informe sobre el Campo de la Bota : Se propone la eliminación del barrio, in : Tele/eXpres, 30.10.1971, S. 6. 107 »Es alarmante comprobar que esta situación tiende a perpetuarse e incluso a institucionalizarse, a juzgar por la Escuela de Enseñanza Primaria que está construyéndose. […] Creemos necesario resaltar la paradoja que se produce al construirse una escuela oficial y por otra parte ser consideradas las viviendas existentes como clandestinas o ilegales, según se desprende del decreto del 11 de julio de 1964, careciendo por tanto de Licencia Municipal de Construcción, cédula de Habitalibidad y por estas ubicadas en terreno público.«, in : Vintró, Losa, Informe del estudio sanitario del barrio del Camp de la Bota, S. 41.
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Provisorium ist jedoch zu einer endgültigen Situation geworden, wenn 53 Prozent der Bevölkerung dort zehn lange Jahre leben.108
Mit Blick auf diese Vorwürfe stand die 1971 entstandene Wochenzeitschrift »Cambio 16« dem baldigen Ende der Siedlung pessimistisch gegenüber, weil diese »zwischen dem Meer und der Bahnlinie in einer Zone situiert ist, wo zukünftig weder ein Verkehrsring noch ein besonders repräsentatives Gebäude zu sehen sein wird.«109 Angesichts der weitreichenden Bodenspekulationen, die aus Barcelona »die korrupteste Stadt des Mittelmeers«110 machten, wäre das Schicksal von Camp de la Bota nur dann entschieden, wenn die Grundstücke für lukrative Baugeschäfte interessant wären. Für diese Spekulation sei, so die Zeitschrift, eine Reihe von Akteuren verantwortlich. Während einige damit immensen Reichtum machten, habe die Hälfte der Barceloneser (ca. 900.000 Personen) keinen bewohnbaren Wohnraum : Mehr als 500.000 Menschen lebten demnach in veralteten oder mangelhaften Wohnungen, 300.000 zur Untermiete und 40.000 in Baracken.111 Mit der Veröffentlichung der Daten des Berichts kommunizierte die Presse Argumente und Forderungen der Bewohner an die breite Öffentlichkeit, trug aber gleichzeitig zu Kritik an der Stadt und einer öffentlichen Debatte bei, die verstärkt seit Mitte der 1960er Jahre im Kontext der herrschenden staatlichen Politik in der katalanischen Presse geführt wurde. Während »Cambio 16« sich auf das Problem der Bodenspekulation konzentrierte, zielte das dem Regime gegenüber ebenfalls kritische Magazin »Triunfo« mit einem von dem Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán verfassten Artikel wiederum auf die Diskrepanz zwischen dem vom Regime immer wieder hervorgehobenen spanischen Wirtschaftswachstum und den Lebensumständen in den peripheren Siedlungen ab. Camp de la Bota erschien in diesem Artikel als Paradigma eines Stadtrandes, an welchem die Siedlung »von Müllbergen, Kloakenbächen und jenen Abfällen 108 »Para los recién llegados a Barcelona en busca de un trabajo que les proporcione una renumeración mínima con que cubrir sus necesidades, el Campo de la Bota debía ser un compás de espera hasta conseguir algo digno, pero esa provisionalidad se convierte en situación definitiva cuando más del 53% lleva allí diez años largos.«, in : Diez años en el Campo de la Bota, in : Tele/eXpres, 07.02.1972, S. 6. In ähnlichem Sinne siehe auch : Estudio santitario de una situación : Campo de la Bota, in : Diario de Barcelona, 29.10.1971, S. 19. 109 Barcelona no es tan bona, in : Cambio 16. Semanario de Economia i Sociedad, 27.11.1972, S. 1, 11–15, hier : S. 11. 110 Ebd., S. 1. 111 Ebd., S. 11.
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eingegrenzt wird, deren sich der strahlende Teil der Stadt entledigen wollte.«112 Barcelona werde als eine »vom Konsum beherrschte Stadt«, von Montalbán hiperconsumista genannt, von einer Peripherie mit quasi mittelalterlichen Zuständen umkreist. In dieser Lesart bildete Camp de la Bota »die andere Seite des Wirtschaftswachstums«, die nicht nur räumlich, sondern auch durch ihren materiellen Zustand und die Armut gekennzeichnet war. Das Wirtschaftswachstum materialisiere sich in der Barackensiedlung nur im Besitz eines Fernsehers : In keiner Baracke gibt es fließend Wasser, mit Ausnahme des Ärztezentrums, des Kindergartens, mancher Bars und des Sozialzentrums. Keine Wohnung verfügt über sanitäre Anlagen oder einen Abfluss ; einige haben eine selbst gegrabene mittelalterliche ›tote Grube‹. Allerdings hat die Mehrheit der Wohnungen Strom und viele einen Fernseher.113
Gerade die Hervorhebung der Verbreitung von Fernsehgeräten knüpfte an die zahlreichen soziologischen Studien und Berichte an, die das spanische Wirtschaftswachstum im Kontext der europäischen Entwicklungen mittels des Massenkonsums aufzuwerten versuchten. Die steigenden Absatzzahlen von Autos und vor allem von Fernsehapparaten (im Jahre 1964 besaßen bereits acht von zehn Haushalten einen Fernseher114) sollte Spanien in eine Reihe mit fortschrittlichen europäischen Ländern wie Frankreich und Italien stellen. Im Vergleich zu 1960, als es insgesamt nur 250.000 Fernsehapparate in Spanien gab, betrug diese Zahl 1966 bereits zwei Millionen, sodass man für das Ende des Jahrzehnts mit mehr als drei Millionen Geräten in den privaten Haushalten rechnete : Zum Ende des Jahrzehnts werden wir die Zahl von drei Millionen überschreiten, und das heißt, dass eine von zehn Personen einen Fernsehapparat haben wird, was ungefähr dem Niveau Frankreichs und Italiens im Jahre 1963 entspricht.115 112 Triunfo, Nr. 484, 1972, S. 17. 113 »En ninguna vivienda hay agua corriente, con las excepciones del dispensario, guardería, algunos bares y un centro social. Ninguna vivienda dispone (Markierung original) de servicios Sanitarios ni desagües, algunas tienen el medieval ›pozo muerto‹. En cambio, la mayoría de viviendas tienen electricidad y muchas televisor.«, in : Ebd. 114 Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 296. Vgl.: Alonso, Conde, Historia del consumo, S. 171–173. 115 »A finales de éste habremos superado ya la cifra de tres millones, es decir, habrá un televisor por cada 10 habitantes, más o menos el nivel que correspondía a Francia o Italia en 1963«., in : Miguel, Sociologia del Consumo, S. 28.
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Die Prognose lautete, dass der spanische Wachstumsrhythmus sich demjenigen der beiden anderen Länder trotz vierjähriger Verspätung annähere, während weniger entwickelte Länder wie Portugal bereits längst überholt werden sollten.116 Auf solche Zahlen antworteten die Stadtkritiker mit der Betonung des Kontrasts zwischen der Steigerung des Lebensstandards und Konsums und den fehlenden Basisinfrastrukturen in den peripheren Siedlungen. Bereits im Jahre 1965 publizierte der katalanische Zeichner Francesc Vila Rufas, als Cesc bekannt, in der Zeitung »Tele/eXpres«117 eine Karikatur, die die Stadt Barcelona (auch wenn diese nicht explizit genannt wurde, sodass wahrscheinlich die Städte Spaniens im Allgemeinen gemeint waren) unter den Bedingungen des Franco-Regimes zeigte und kritisierte. Dargestellt ist ein Ausschnitt einer Großstadtstraße mit dicht gebauten, in die Höhe gezogenen Wohnblöcken. Durch die geöffneten, zumeist auch kaputten Fenster lässt der Autor in die Wohnungen blicken : Dort müssen aufgrund nicht funktionierender Stromanlagen manche Wohnräume mit Kerzen beleuchtet werden ; in anderen tropft Wasser von der Decke, oder das Telefon funktioniert nicht. Die Straßenlaternen sind ebenfalls kaputt, die verdreckte Straße weist Schlaglöcher auf, und wenn man sich die Gesichter der an der Bushaltestelle wartenden Menschengruppe ansieht, liegt die Vermutung nahe, dass auch der Nahverkehr nicht richtig funktioniert. Nun ist dieses Stadtviertel der zeichnerischen Aussage des Künstlers nach in dieser Problemlage nicht als einziges von Nachlässigkeiten betroffen. In einer der Wohnungen läuft der Fernseher, in dem gerade von einer Hochwasserkatastrophe in den Backensiedlungen berichtet wird. Die einzige zufriedene Gestalt in dieser Karikatur ist der Handwerker, der von den zahlreichen Reparaturaufträgen zu profitieren scheint. Auf die Wand des Wohnblocks gibt es ein gerahmtes Werbeplakat mit der Parole »Spain is different«. Dieser Werbespruch wurde in den 1960er Jahren vom Minister für Information und Tourismus, Manuel Fraga Iribarne, in einer vorwiegend an ausländische Touristen gerichteten Werbekampagne genutzt, um Reisende nach Spanien zu locken. Bestand seit Jahren eine Inkompatibilität der politischen Institutionen und der kulturellen Werte Spaniens mit dem restlichen Europa, sodass das Regime die eigene Distanz von den wirtschaftlichen und ideologischen Modellen westlicher Demokratien unterstrich,118 sollte sich die 116 Ebd. 117 El dibujo de CESC, Tele/eXpres, 9.11.1965, S. 2. 118 Vgl.: Bernecker, Sozialgeschichte Spaniens, S. 322 ; Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 308–314.
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Abb. 34 : El dibujo de CESC, Tele/eXpres, 9.11.1965, S. 2.
neue Devise diese Alterität zum Vorteil machen und mit dem »Anderssein« auf die Exotik Spaniens anspielen. In der Karikatur deutet Cesc somit zum einen auf eine – den Entwicklungsstand betreffende – deutlich hinter Westeuropa liegende Positionierung Spaniens hin, zum anderen beschuldigt er das Franco-Regime als Verursacher dieser Situation. In seiner Wahrnehmung ist die Stadt ein weiterer Raum, in dem »das Exotische« und »Anormale« der spanischen Politik im Vergleich zu den westlichen Demokratien sichtbar wird. Seine eigene Einstellung äußert der Künstler durch die Bildunterschrift, die er einem der an der Bushaltestelle Wartenden in den Mund legt : »Yo prefería que fuese menos ›different‹« – »Ich hätte lieber, dass es weniger anders wäre.« Wie in der Karikatur von Cesc nutzten viele Stadtkritiker den urbanen Raum als Maßstab, um den Grad der Modernisierung sowie die damit verbundene Positionierung Spaniens in Europa zu bemessen. Für die Journalisten der Zeitung »Tele/eXpres« waren Barackensiedlungen wie Camp de la Bota ein Wesensmerkmal der Dritten Welt, nicht aber einer europäischen Stadt. Dem Artikel nach zeige Camp de la Bota eine »Unmenge von Mängeln auf, die unangemessen für unsere Zeit und eine europäische Großstadt«119 seien. Die Assoziation mit der 119 Informe sobre el Campo de la Bota : Se propone la eliminación del barrio, in : Tele/eXpres,
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Abb. 35 : Camp de la Bota, in : CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16/1972, S. 32.
Dritten Welt vermittelten auch die veröffentlichten Bilder. Das Magazin »CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo« setzte auf Fotografien, deren Protagonisten nackte, schmutzige, barfuß zwischen den Baracken spielende Kinder waren, die halbverhungert dem Kameraobjektiv demonstrativ ihre materielle Situation durch ihre deutlich erkennbaren Rippen zeigten.120 In diesem Sinne trugen die Medien zu einer bürgerlichen Auseinandersetzung mit den Problemen der Stadt bei, auch wenn sie gleichzeitig Bilder der Stadt generierten, unter welchen die Bilder der Stadtperipherie als Repräsentation der Rückständigkeit und strukturellen Marginalisierung im Kontext des herrschenden politischen Systems zu entschlüsseln waren. Dabei kann man davon ausgehen, dass solche Bilder einen wesentlichen Einfluss auf die Konstruktion städtischer Identitäten und Zugehörigkeiten der Bewohner hatten. Auf die zahlreichen kritischen Zeitungsartikel reagierte die Stadtverwaltung in Barcelona mit einer Stellungnahme in der Presse. Die Stadtverwaltung betonte noch einmal, dass in Camp de la Bota aufgrund der geografischen Lage keine endgültige Erschließung möglich und daher auch nicht von der Stadtverwaltung 30.10.1971, S. 6. 120 Bilder in : CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16, 1972, S. 32–33.
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geplant sei. Dem Pla Comarcal de Barcelona (Plan der Region Barcelona) aus dem Jahre 1953 nach sei Camp de la Bota als grüne Erholungszone definiert.121 Daher sei die Situation nur eine Übergangsphase, die mit einer Übersiedlung in Sozialwohnungen enden werde. Gleichzeitig betonte die Stadtverwaltung, dass die Bereitstellung von Infrastrukturen ausschließlich zur Verbesserung der Lebenssituation der Bewohner innerhalb dieser Übergangsphase vorgenommen werde. Dazu zählten unter anderem die Beleuchtung, der Bau von Waschräumen und Brunnen, die Einrichtung einer Schule, eines Fußballplatzes und weiterer Sportanlagen sowie sanitärer Anlagen. Zusätzlich nahmen die öffentlichen Stellen die Bereitstellung einer Müllabfuhr, die Asphaltierung der Straßen und deren Reinigung in Angriff. Noch einmal betonte die Stadtverwaltung, dass der Bau der Nationalschule als »Zeichen der höchsten Sorge der kommunalen Stellen um diese Siedlung« zu verstehen und keinesfalls »eine obligatorische Fortsetzung der Existenz der Baracken« sei.122 Der mediale Kampf des Nachbarschaftsvereins löste bei den kommunalen Stellen offenbar die ersehnte Reaktion aus. Bereits im Februar 1972 trafen sich Vertreter der Barceloneser Stadtverwaltung mit den inzwischen ca. 500 Mitgliedern des Nachbarschaftsvereins, mittlerweile durch einen unter den Bewohnern beider Siedlungsteile (jeweils vier) gewählten Rat repräsentiert,123 im Sozialzentrum in Camp de la Bota. Unter Anwesenheit zahlreicher Journalisten124 formulierte der Nachbarschaftsverein zwei Forderungen : zum einen die definitive Auflösung der Barackensiedlung und darüber hinaus die Bereitstellung der versprochenen Wohnungen für die Siedlungsbewohner. Dies sollte vor allem auch eine finanzielle Hilfe für die Anzahlung und Kredittilgung der Wohnungen beinhalten. Zum anderen appellierten die versammelten Bewohner an die Stadtverwaltung, nicht mehr Millionen Peseten für die Verbesserung der Infrastruktur
121 Vgl.: Monferrer i Celades, La història de Sant Adrià, S. 100. 122 La actuación municipal en el Campo de la Bota. Escrito de la Oficina de Prensa del Ayuntamiento de Barcelona, in : La Vanguardia Española, 30.10.1971, S. 27. 123 Der Rat des Nachbarschaftsvereines wurde von jeweils vier Mitgliedern der Siedlungsteile Pekìn (Barcelona) und Parapeto (Sant Adrià de Besos) gestellt, in : Asamblea de vecinos en el Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 07.02.1972, S. 21. 124 Berichte über diese Versammlung erschienen u.a. in : Asamblea de vecinos en el Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 07.02.1972, S. 21, En una Asamblea de vecinos se informó sobre la futura entrega de pisos, in : Diario de Barcelona, 08.02.1972, S. 20 ; Diez años en el Campo de la Bota, in : Tele/eXpres, 07.02.1972, S. 6, Cuatro años para que el Camp de la Bota desaparezca, in : El Correo Catalán, 08.02.1972, S. 19.
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auszugeben. Dies erzeuge nur den Eindruck, so die Versammelten, dass diese als Übergangszone definierte Siedlung in einen Dauerzustand übergehe :125 Mit Verwunderung haben wir beobachtet, wie in den letzten Monaten eine Serie von Neuerungen vorgenommen wurde, die nur auf eine Beibehaltung unserer Situation hindeuten kann. […] Als Anwohner sind wir wegen dieser Veränderungen erstaunt. Wir verstehen nicht, wieso diese Neuerungen für das Dauerleben dieser Suburbia, in der zu leben unmöglich ist, angesetzt werden. Wir fragen uns : Wäre es nicht rationaler, dieses Geld dafür zu nutzen, uns menschenwürdige und preiswerte Wohnungen bereitzustellen ?126
Das Empfinden, von Unrecht betroffen und vom Staat »vergessen worden zu sein«,127 drückten die Bewohner mit dem Argument aus, dass es in Barcelona etwa 30.000 leer stehende Wohnungen gebe, während sie in Camp de la Bota dazu gezwungen seien, in unmenschlichen Umständen zu leben. Sie unterstrichen die zahlreichen notbedingten Umsiedlungen mancher vom Hochwasser betroffenen Barackenbewohner in Sozialwohnungen. Die sanitäre Situation in Camp de la Bota empfanden die Bewohner als katastrophal, was jedoch ihrer Meinung nach von den kommunalen Stellen ignoriert werde.128 In Antwort darauf betonte der Vertreter des Comisaría Social del Ayuntamiento, des Sozialamts der Stadtverwaltung, während der Versammlung, dass die Siedlung nicht mehr nutzbar sei und von niemandem mehr bewohnt werden könne.129 Demnach präsentierte er die Projekte mehrerer Großsiedlungen, die die Stadtverwaltung Barcelona für die endgültige Beseitigung der Baracken in der Stadt innerhalb von vier Jahren plante.130 Der größte Teil der Bewohner in Camp de la Bota sollte Wohnungen in der benachbarten Siedlung La Mina in Sant Adrià de 125 En una Asamblea de vecinos se informó sobre la futura entrega de pisos, in : Diario de Barcelona, 08.02.1972, S. 20. 126 »[…] Hemos visto con sorpresa que en los últimos meses vienen efectuándose una serie de inversiones que apuntan a perpetuar nuestra situación. […] Los vecinos seguimos asombrados por estas inversiones. No comprendemos cómo pueden destinarse a perpetuar un suburbio donde es imposible vivir. Todos nos preguntamos : ¿No sería más racional que se destinase este dinero para facilitarnos viviendas dignas y economicas ?«, in : Quejas de los vecinos del Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 13.10.1971, S. 21. 127 Los olvidados de Barcelona : El Campo de la Bota, in : Sábado gráfico, Nr. 762, 1972, S. 5–9, hier : S. 5. 128 Diez años en el Campo de la Bota, in : Tele/eXpres, 07.02.1972, S. 6. 129 Asamblea de vecinos en el Campo de la Bota, in : El Noticiero Universal, 07.02.1972, S. 21. 130 Barcelona : Hacia la extinción del chabolismo, in : La Vivienda, Nr. 39, 1971, S. 47.
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Besòs bekommen. Dort realisierte das Wohnungspatronat der Stadtverwaltung Barcelona bereits die erste Bauphase (1969–1972) einer Großsiedlung mit etwa 700 Wohnungen und stellte in Aussicht, weitere 2.500 Wohnungen innerhalb der zweiten Bauphase (1972–1974) zu bauen. Zudem wurde den Bewohnern versprochen, über den gesamten Prozess der Wohnraumzuteilung Kontrolle zu gewinnen : Die Personen, die eine Wohnung möchten, werden diese bekommen und ihre unmenschliche Situation ändern können. Wir werden ein Register anfertigen, um auf eine völlig gerechte Weise eine Ordnung für die Verteilung der Wohnungen vorzubereiten. Wir werden die Baracken erneut nummerieren. Und Sie werden durch den Nachbarschaftsverein den ganzen Prozess kontrollieren.131
Schließlich kam es zu einer Vereinbarung, laut welcher das Wohnungspatronat der Bauträger der Großsiedlung wurde und mit der Stadtverwaltung von Sant Adrià de Besòs, mit dem Sozialamt der Stadtverwaltung Barcelona sowie mit dem Nachbarschaftsverein Camp de la Botas zusammenarbeitete.132 Die Wohnungen, die zwischen 74 und 80 Quadratmeter groß und mit einer Küche, einem Esszimmer, einer Toilette und drei Schlafzimmern ausgestattet waren,133 sollten sukzessive noch während des Bauprozesses der Großsiedlung La Mina an die zukünftigen Bewohner verteilt werden. Demnach sollten die ersten 400 fertiggestellten Wohnungen den Bewohnern Camp de la Botas zugewiesen werden. Dabei sollten mittels Losverfahren in erster Linie diejenigen Familien umgesiedelt werden, die als kinderreiche Familien in den prekärsten Zuständen oder am längsten in Camp de la Bota lebten. Das Register der zur Verlosung zugelassenen Familien bereitete das Sozialamt der Stadtverwaltung mit dem Nachbarschaftsverein vor. Den gesamten Prozess des Umzugs sollte das Sozialamt der Stadtverwaltung kontrollieren und koordinieren.134 131 »Las personas que quieran tendrán su piso y podrán abandonar así la infrahumana situación en que ustedes ahora viven. Haremos un censo para con estricta justicia elaborar una prelación del orden que se seguirá en el reparto de viviendas. Nuevemente numeramos las barracas. Ustedes, mediante la Aosciacion de Vecinos controlarán todo el proceso.«, in : En una Asamblea de vecinos se informó sobre la futura entrega de pisos, in : Diario de Barcelona, 8.02.1972, S. 20. 132 Situación actual del chabolismo en Barcelona, acciones emprendidas para su supresión y el inmediato resultado de las mismas, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 43, 1973, S. 23. 133 Schreiben des Bürgermeisters Barcelonas José María Porcioles an den Zivilgouverneur Tomás Pelayo Ros, 13.03.1971, Anexo : Circular, in : AHGCB, caixa 27, Governadors Civils, unpag. 134 Ebd.
Das Madrider Stadtviertel Moratalaz
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Zusätzlich versprach die Stadtverwaltung günstige Finanzierungsmöglichkeiten. Die bereits verlassenen Baracken sollten unter strikter Kontrolle abgerissen werden. Nur die Baracken, die noch in sehr gutem Zustand seien, sollten, so die Vertreter der Stadtverwaltung, jenen Bewohnern zur Verfügung gestellt werden, die noch auf der Warteliste für die Sozialwohnungen standen und derzeit in noch schlechteren Wohnräumen leben mussten.135 4.3 Das Madrider Stadtviertel Moratalaz, die urbane Krise und die identitätsstiftende Bedeutung der Stadtviertelzeitschrift Die lokalen Medien spielten auch in Madrid eine immer wichtigere Rolle für den öffentlichen Diskurs um die Stadtperipherien. Dennoch unterschied sich die Presselandschaft und dementsprechend die Verortung der lokalen Debatte in der Hauptstadt von jener in Barcelona, was vor allem am nationalen Fokus der Madrider Organe lag. So machte die Madrider Presse im Gegensatz zur Presse Barcelonas zwar die Probleme der Stadt immer öfter zum Thema, »ging jedoch nur dann in die einzelnen Stadtviertel«,136 wenn die Ereignisse eine überregionale politische Relevanz hatten.137 Die Rolle der lokalen Öffentlichkeit übernahmen deshalb oft die Stadtviertelzeitschriften. Zu Beginn der 1970er Jahre dominierten in den meisten Vierteln selbstangefertigte, inoffizielle Informationsblätter ; legal publizierte und an gewöhnlichen Zeitungskiosken erhältliche Druckschriften existierten dagegen selten.138 Zu Letzteren gehörte die Zeitschrift »Moratalaz« des Nachbarschaftsvereins des gleichnamigen Stadtviertels Moratalaz. Die Zeitschrift nahm die dort herrschenden Missstände und die defizitäre Infrastrukturversorgung in den Blick und hatte zugleich eine gemeinschaftsstiftende Funktion, indem sie eine gemeinsame Identität für alle Bewohner im Viertel zu kreieren versuchte.
135 Cuatro años para que el Camp de la Bota desaparezca, in : El Correo Catalán, 08.02.1972, S. 19. 136 La prensa desciende a los barrios, in : Doblón, Nr. 25, 05.04.1975, S. 47–49. 137 Carlos Barrera bezeichnete somit die Madrider Presse als mehr »politisiert« (politizada) und nicht so stark auf die kommunale hin Thematik ausgerichtet, wie dies in Barcelona der Fall war. In : Barrera, La apertura informativa, S. 425. 138 In den 1970er Jahren gab es nur fünf legal existierende Stadtviertelzeitschriften in den Stadtvierteln Moratalaz, Puerto Chico (Aluche), Progreso (Carabanchel), Pilar und Palomeras Altas. In : Doblón, Nr. 25, 5.04.1975, S. 48.
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4.3.1 Das Stadtviertel Moratalaz als Raum für eine imaginierte Gemeinschaft
Zum Gedenken an seine Schutzheilige Nuestra Señora de Moratalaz veranstaltete der Nachbarschaftsverein Moratalaz jährlich im Juli eine mehrtätige Festveranstaltung. Während dieser Festtage war die lokale Presse nicht präsent. Stattdessen berichtete die Stadtviertelzeitschrift »Moratalaz«,139 die als Medium des Nachbarschaftsvereins seit 1967 in einer Auflage von 5.000 Exemplaren140 legal und auf kommerziellen Vertriebswegen erschien, über dieses populäre Lokalfest. Die Zeitschrift entstand aus dem »Bedürfnis nach einem eigenen Informationsmedium im Dienst der Schaffung einer Gemeinschaft unter den Bewohnern«141 in Moratalaz. Das Ziel des Herausgebers – des Nachbarschaftsvereins – war es, sich mithilfe von Kooperation und Brüderlichkeit für das gemeinsame Wohlergehen und gute Zusammenleben im Stadtviertel einzusetzen und die Interessen der Bewohner zu vertreten ;142 die Zeitschrift wurde offenbar zum Instrument für diesen Zweck. Dabei musste, um die Bewohner für ein Engagement in den Angelegenheiten des Stadtviertels zu mobilisieren, zunächst versucht werden, durch räumliche Abgrenzung eine lokale Identität der Stadtteilbewohner zu erzeugen. Die üblicherweise in der Zeitschrift verwendete Anrede der Leserinnen und Leser mit dem Begriff moratalacense war ein Ausdruck dieser Bemühungen. Den räumlichen Bezugsrahmen dieser kreierten und imaginierten Identität bildete das Stadtviertel Moratalaz im Südosten Madrids, im Bezirk Vallecas gelegen (seit 1971 eigenständiger Bezirk Moratalaz143), das der private Bauunternehmer URBIS im Rahmen des öffentlichen Plan de Urgencia Social de Madrid, des sog. Sozialen Notplans für Madrid seit 1958 errichtet hatte. Das Unternehmen URBIS war 1946 im Rahmen der staatlichen Steuerbegünstigungen entstanden,144 die die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit hatten bekämpfen helfen sollen. Den ersten Schritt dieser Politik markierte das Steuergesetz Ley de Reforma Tributaria aus dem Jahre 1940, das durch steuerliche An139 Fiestas en Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 2–6. 140 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 19, 1970, S. 1. 141 Doblón, Nr. 25, 05.04.1975, S. 47. 142 Faltan servicios públicos en Moratalaz, in : Madrid, 28.03.1970, S. 16. 143 Durch die administrative Umstrukturierung Madrids im Jahre 1971 hatte die Hauptstadt 18 Bezirke und 120 Stadtviertel. Moratalaz gehörte demnach zum Bezirk Nr. 15, in welchem es sieben Stadtviertel gab : Pavones, Vicálvaro, Horcajo, Vinateros, Marroquina, Media Legua, Fontarrón. Siehe u.a.: Moratalaz, ejemplo de especulación urbanística, in : Madrid, 04.05.1986, S. 7 ; Distrito de Moratalaz y sus barrios, in : Moratalaz, Nr. 47, 1973, S. 2. 144 Llordén Miñambres, La política de vivienda del régimen franquista, S. 163.
Das Madrider Stadtviertel Moratalaz
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reize die Gründung neuer Bauunternehmen stimulieren sollte.145 Da dennoch der Mangel an Baumaterialien und damit zusammenhängende Höchstpreise meist ungünstig auf die Bauunternehmen einwirkten,146 versuchte der Staat, die Bauunternehmen mithilfe der Subventionen der sogenannten viviendas bonificables 1944 zum Bau unterschiedlicher Typen von Wohnungen zu bewegen (vgl. hierzu auch oben Kap. 2.1). Dies sollte mittels Intensivierung von Bauinitiativen zum Abbau der Arbeitslosigkeit unter den Arbeitern und zur Versorgung der Mittelschicht mit Wohnungen beitragen.147 In Folge dieser Reformen entstanden zwischen 1941 und 1947 viele neue Bauunternehmen,148 die im Gegensatz zu der vorherigen Epoche, als nur die bürgerlichen Schichten als Bauherren agiert hatten und neben Immobilien für den Eigenbedarf auch Mietshäuser bauen ließen,149 jetzt gleichzeitig auch Bauträger waren und die gebauten Wohnungen fast ausschließlich für den Verkauf auf Kredit anboten. Da diese Art von Wohnungsbau mit öffentlichen Geldern in der Zeit der Massenmigrationen und Wohnungsnot höchst lukrativ war, wurde somit das Modell eines Mietshauses als eine traditionelle Einnahmequelle in Spanien sukzessive durch den gewinnbringenden Wohnungsverkauf ersetzt.150 Zu diesen Unternehmen gehörte auch URBIS, das zunächst als Bauunternehmen gegründet wurde und am Rand der Kernstadt Mietshäuser für bürgerliche Schichten baute. Da URBIS bei diesem Geschäft aber nur Verluste erlitt, wurde ein neuer Unternehmensleiter eingesetzt : Manuel de la Quintana y Ferguson, Rechtanwalt und Professor am Lehrstuhl für Zivilrecht an der Universität 145 Jefatura del Estado, Ley de 16 de diciembre de 1940 de reforma tributaria, BOE, 22.12.1940, Nr. 357, S. 8746–8770. Vgl.: Torres Villanueva, La empresa en la autarquía, S. 174. 146 Vgl.: Torres Villanueva, La empresa en la autarquía, S. 187 ; Llordén Miñambres, La política de vivienda del régimen franquista, S. 148–150. 147 Dazu mehr : La construcción de viviendas como medio para emplear mano de obra, in : Vivienda y paro, Nr. 36, 1954, S. 18–20 ; Dos grandes objetivos del Movimiento : Menos paro y más viviendas, in : Vivienda y paro, Nr. 48, 1955, S. 13–14. Vgl.: Fernando Roch Peña, Algunas notas sobre el sistema inmobiliario madrileño en la década de los 50, in : La vivienda en Madrid en la década de los 50, Madrid 1999, S. 85–118, hier : S. 92. 148 Torres Villanueva, La empresa en la autarquía, S. 174. Vgl.: Rodríguez Chumillas, Tipología de las inmobiliarias madrileñas, S. 332–333. 149 Vgl.: Xavier Tafunell, La construcción en Barcelona, 1860–1935 : continuidad y cambio, in : Las ciudades en la modernización de España, S. 3–20, hier : S. 6–12 ; Ángel Bahamonde Magro, Pascual Madoz y la modernización de la ciudad de Madrid : La Peninsular, empresa inmobiliaria, 1861–1883, in : Las ciudades en la modernización de España, S. 379–404, hier : S. 379–381. 150 Llordén Miñambres, La política de vivienda del régimen franquista, S. 150–161. Vgl.: Mercedes Tatjer Mir, Propiedad inmobiliaria y espacio urbano. Aproximación a su estudio, in : Revista de la Universidad Complutense, Nr. 115, 1979, S. 49–82.
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Madrid.151 Unter dessen Ägide kam es zu einer Neuorientierung der Firma, die seitdem Wohnungen für den Verkauf in breiten Kundenkreisen baute.152 Das Bauunternehmen kaufte südöstlich des Stadtparks Retiro großflächige Agrargrundstücke und urbanisierte deren dem Park naheliegende Teile, während der restliche Agrarboden sich aufgrund dieser Erschließung unmittelbar anschließend revalorisierte.153 Somit lag das Erfolgsrezept des Unternehmens stets darin, große Flächen neben den bereits erworbenen, noch nicht erschlossenen Grundstücken billig zu kaufen, mit der Bebauung der ersten zu beginnen und auf die daraus folgende Wertsteigerung der übrigen Landstücke zu spekulieren. Auf diese Weise dehnte URBIS den urbanen Raum immer weiter in die Peripherie aus. Im Zuge dessen entstanden bis Ende der 1950er Jahre nach Projekten und unter der Leitung des Architekten José Antonio Dominguez Salazar zwei erste Siedlungen für die höheren und mittleren Schichten : die dem Stadtpark Retiro südöstlich naheliegende Niño Jesus sowie die weiter östlich folgende Estrella. Das Engagement von URBIS im sozialen Wohnungsbau erfolgte jedoch erst nach 1956, als das Regime den Sozialen Notplan für Madrid verabschiedete und innerhalb einer Zweijahresfrist 60.000 Billigwohnungen zu bauen ankündigte.154 Das Regime versprach den privaten Bauunternehmen günstige Landstücke und zusätzliche Vergünstigungen, um das »chaotische und unkontrollierte«155 Stadtwachstum zu beenden. URBIS kam dem Aufruf des Staates entgegen, kaufte 1957 weitere Agrarflächen südöstlich der Siedlungen Niño Jesus und Estrella und errichtete dort zwischen 1958 und 1960 die ersten Wohnblockeinheiten in Moratalaz (heute durch die Autobahn M-30 von den beiden Siedlungen getrennt).156 So wurde das Großbauunternehmen zu einem wichtigen Akteur im 151 Manuel de la Quintana : Franco no es repetible, pero si continuable, in : ABC Sevilla, 07.10.1973, S. 25–26, hier : S. 25. 152 Roch Peña, Algunas notas sobre el sistema inmobiliario madrileño, S. 109–110. 153 Carlos Sambricio, Urbis, in : Un siglo de vivienda social 1903–2003, Bd. 1, Madrid 2003, S. 268– 270. 154 Jefatura de Estado, Ley de 13 de noviembre de 1957 sobre Plan de Urgencia Social de Madrid, BOE, 14.11.1957, Nr. 286, S. 1085–1088. Vgl.: Ramón López de Lucio, El Plan de Urgencia Social de Madrid de 1957. Génesis y razones de la forma de ciudad en los años 50, in : La vivienda en Madrid en la década de los 50, S. 119–144. 155 Jefatura de Estado, Ley de 13 de noviembre de 1957 sobre Plan de Urgencia Social de Madrid, BOE, 14.11.1957, Nr. 286, S. 1085–1088, hier : S. 1085. 156 Moratalaz-Vicálvaro. Documentos para difusión y debate, hg. v. Ministerio de Obras Públicas y Urbanismo. Comisión de Planeamiento y Coordinación del Area Metropolitana de Madrid, Madrid. 1982, S. 16.
Das Madrider Stadtviertel Moratalaz
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Rahmen des Notplans für Madrid und deckte insgesamt mehr als 30 Prozent der geplanten Bauvorhaben ab.157 Der Ausbau von Moratalaz wurde aufgrund der starken Nachfrage wegen der stets steigenden Migration gen Madrid von URBIS fortgesetzt. Bürokratisch und auch finanziell erleichtert wurden diese Pläne durch die Liberalisierung des Bodenmarktes im Rahmen des neuen Generalplans 1963 (Plan General de Ordenación del Área Metropolitana), mittels dessen Madrid und dessen 22 Umlandgemeinden zur Metropolregion Madrid zusammengefasst und einer gemeinsamen Planung unterworfen wurden.158 Entgegen der bisherigen Regelung, nach der der notwendige Baugrund durch staatliche Enteignungsmaßnahmen gewonnen und den privaten Baufirmen zu politisch festgelegten Preisen zur Verfügung gestellt worden war, erlaubte der Generalplan der Metropolregion dem Privatsektor jetzt, sich am Bodenerwerb selbst zu beteiligen.159 Zudem autorisierte der Generalplan die Grundbesitzer von mindestens 60 Prozent eines Territoriums, für welches die Erarbeitung eines Teilbebauungsplanes vorgesehen war, einen solchen Plan selbst zu entwerfen und nach der Genehmigung durch Lokal- und Zentralverwaltung zu realisieren. Im Zuge dieser (De-)Regulierungsmaßnahmen wurde für den gesamten Bodenbesitz von URBIS im Jahre 1964 der Teilbebauungsplan Moratalaz Oeste entworfen und genehmigt. Mit Werbeslogans wie »Die Wohnung, die Madrid für ihre Mittelschicht braucht« (La vivienda que Madrid necesita para su clase media) oder »Machen Sie sich keine Sorgen….Ihr Wagen hat Platz in Moratalaz« (No se apure…. su coche tiene espacio en Moratalaz)160 richtete das Bauunternehmen sein Angebot in erster Linie an die aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs stets wachsende Mittelschicht. Deren Kaufkraft ermöglichte es nämlich, die in Folge des steigenden Bodenpreises ständig steigenden Wohnungspreise noch zu verkraften. Der Bodenpreis wuchs im Zeitraum zwischen 1965 und 1974 um 740 Prozent und zog eine 157 Sambricio, Urbis, S. 270. 158 Zum Generalplan 1963 für Madrid siehe u.a.: Pedro Bidagor Lasarte, El desarrollo urbanístico de Madrid, in : Madrid 1964. Evolución demográfica, desarrollo urbanístico, economía y servicios, hg. v. Instituto de Estudios de Administración Local, Madrid 1963, S. 98–101 ; Julio Vinuesa Angulo, Distintas delimitaciones del Area Metropolitana de Madrid, in : Revista Internacional de Sociología, Nr. 23, 1977, S. 441–458 ; Elia Canosa Zamora, La promoción inmobiliaria en la periferia noreste de Madrid, Madrid 1995, S. 193–196 ; Juliá u.a., Madrid, S. 546–569 ; Fernando de Terán, El pasado activo. Del uso interesado de la historia para el entendimiento y la construcción de la ciudad, Madrid 2009, S. 209–211. 159 Vgl.: Schierstaedt, Kampf um den städtischen Raum, S. 48. 160 Vgl.: Maite Cabrerizo, El Avance de Moratalaz. Un barrio de todos, Madrid 1995, S. 14.
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Steigerung der Wohnungspreise um 300 Prozent161 nach sich, was vor allem auf die spekulative Wertsteigerung des Bodenbesitzes durch die Immobilienfirmen infolge der Liberalisierung des Grundstücksmarktes zurückzuführen war. Zwischen 1958 und 1972 baute URBIS den westlichen Kernteil des Stadtviertels Moratalaz (Moratalaz Oeste). Den Entwürfen von José Antonio Dominguez Salazar folgend, war Moratalaz durch einen Verkehrsring eingeschlossen und intern in selbstständige Siedlungen (polígonos) unterteilt, die mit Buchstaben (A, C, E, V, F, G, H, I, X, Z, S, Y ) bezeichnet wurden. Insgesamt gab es zwölf solcher polígonos, die eine durchschnittliche Größe von je 115.000 Quadratmetern hatten und im Schnitt 1.612 Wohnungen umfassten. In der größten dieser Siedlungen (G) gab es 3.196 Wohnungen auf 217.360 Quadratmetern ; die kleinste (Y ) hielt auf 54.560 Quadratmetern 674 Wohnungen in Wohnblöcken diverser Form, Höhe und Qualität bereit.162 Im Jahre 1972 hatte das Stadtviertel insgesamt eine Fläche von knapp 1,7 Millionen Quadratmetern, auf welcher 80.000 Bewohner in 19.348 Wohnungen lebten.163 Mehr als 60 Prozent der Bewohner waren Arbeiter und Beamte niedrigeren Ranges. Mit dem Bau von Moratalaz entwickelte sich URBIS zu einer erfolgreichen Immobilienfirma. War URBIS mit einem Gründungskapital von 30 Millionen Peseten entstanden,164 überstieg das Gesellschaftskapital bereits im Jahre 1973 1,3 Milliarden Peseten. Durch die Strategie, schrittweise benachbarte Agrarbodenparzellen aufzukaufen und so kumulativ riesige Flächen zu schaffen,165 verfügte das Bauunternehmen allein in Madrid über einen immensen, zusammenhängenden Bodenbesitz von mehr als 5 Millionen Quadratmetern Bauland, was den gesamten Stadtvierteln Niño Jesús, Estrella und beinahe gesamt Moratalaz166 entsprach.167 161 Mercè Sala Schnorkowski, El sector inmobiliario en Cataluña, in : Ciudad y Territorio, Nr. 3, 1977, S. 59–67, hier : S. 64. 162 Isabel Rodríguez Chumillas, Vivienda y promoción inmobiliaria en Madrid, Lleida 2001, S. 50–51. 163 Das Stadtviertel hatte eine Fläche von genau 1.686.040 m2. In : Fernando Porras, De 0 a 90.000 vecinos : Moratalaz 1960–1970, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 180–183, hier : S. 182. 164 Sambricio, Urbis, S. 268–270. 165 Vgl.: Rodríguez Chumillas, Vivienda y promoción inmobiliaria, S. 48–49. 166 Im östlichen Teil von Moratalaz bauten in den 1970er Jahren die öffentlichen Stellen (Nationales Wohnungsinstitut mit OHS und die Stadtverwaltung Madrid) zusätzlich kleine Siedlungen für die umgesiedelten Bewohner der Barackensiedlungen Orcasitas, Carabanchel und Porcherón mit den Wohneinheiten I –VI (s.: Plan). Vgl.: Moratalaz-Vicálvaro, S. 32 ; Moratalaz Este, un barrio nuevo en estado de semirruina, in : ABC, 03.11.1978, S. 26. 167 ABC Sevilla, 07.10.1973, S. 25.
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Abb. 36 : Das Bild des Stadtviertels, erschienen im Werbeprospekt des Bauunternehmens URBIS : Visita a los barrios de Niño Jesús, Estrella, Moratalaz, Hg. von URBIS, Madrid 1967, S. 46.
4.3.2 Moratalaz als paradigmatischer Ort der urbanen Krise
Moratalaz wurde von URBIS als »sonnig strahlende Stadt« für diejenigen konzipiert, die in den suburbanen Peripherien »durch das überdimensionale Stadtwachstum mit dem Rücken zur Sonne leben mussten.«168 Mit diesem Projekt versprach URBIS, »vielen Familien die Rückkehr zur Sonne und dadurch zu dem von der Sonne bestimmten Tagesrhythmus – der Arbeit, der Freizeit und der Erholung«169 – zu ermöglichen. Konkret bedeutete dies, dass Moratalaz ein zentrumsnahes Stadtviertel sein sollte, das eine kurze Fahrtstrecke zwischen Wohnund Arbeitsort (ca. 20 Minuten) wie auch zahlreiche Park- und Platzanlagen und andere Erholungs- und Vergnügungsmöglichkeiten zu bieten hatte. Dennoch war die Diskrepanz zwischen »sonniger« Werberhetorik und Realität, zwischen Theorie und Praxis unübersehbar. Während URBIS als »Unternehmen der Menschenbefreiung«170 für sein »soziales und patriotisches En168 Moratalaz : La ciudad luminosa, in : Arte y Hogar, Nr. 220–221, 1963, S. 16. 169 Ebd. 170 La llave de una ciudad, in : Arte y Hogar, Nr. 220–221, 1963, S. 4.
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gagement«171 durch den Staat ausgezeichnet wurde, erlebten bereits die ersten Bewohner (in den Siedlungsteilen A, E und F) ihr Stadtviertel eher in Bezug auf minderwertige Wohnungsqualität und Mangel an Grundinfrastrukturen. Diese Selbstwahrnehmung wurde zum Ausdruck einer seit Ende der 1960er Jahre international in der städtischen Öffentlichkeit diagnostizierten »Krise der Stadt«. Der Krisendiskurs bezog sich in erster Linie auf die gravierenden Mängel der städtischen Infrastruktur, beklagte jedoch ebenfalls Veränderungen in den Formen des Zusammenlebens und in den sozialen Beziehungen in der städtischen Bevölkerung. Hierbei konstatierte man vor allem den Individualismus und das Verschwinden von Nachbarschaftsbeziehungen und kollektivem Leben, die die urbane Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre charakterisiere.172 Das Stadtviertel Moratalaz gehörte somit in der Selbstwahrnehmung zu den Orten, an denen sich die Symptome der urbanen Krise materialisierten. Der Nachbarschaftsverein in Moratalaz versuchte nun, gegen ebendiese Symptome anzukämpfen. Der Verein hatte seinen Ursprung in einer Gruppe von Bewohnern, die sich unmittelbar nach ihrem Einzug im September 1961 in einem offiziell genehmigten und registrierten Verein der Eigentümer und Bewohner (Asociación de Propietarios y Vecinos de Moratalaz) organisiert hatte, um gemeinsam gegen URBIS zu klagen und Verbesserungen zu fordern.173 Zu diesem Zeitpunkt durfte ein Verein nur registriert und legalisiert werden, nachdem die Mitglieder auf politische Linientreue geprüft worden waren (sie mussten als »politisch unverdächtig« eingestuft werden).174 In diesem Sinne agierte der Nachbarschaftsverein von Beginn an zwar stets gegen das Bauunternehmen und die damit verbundenen lokalen Probleme in der Siedlung, jedoch nicht in politischem Sinne gegen das Regime und dessen Vertretungen. In diesem Zusammenhang unterstrich der erste Vereinspräsident, der Arbeiter Emilio Menéndez de la Vega Seco (in den Gründungsjahren zwischen 1961 und 1970175), der zugleich politischer Vertreter des Movimiento Nacional im Stadtviertel war, in einem Interview aus den 1980er Jahren, dass »er mehr das Wohlergehen des Stadtviertels als die Politik im Allgemeinen« im Blick gehabt hätte und sich ausschließlich
171 Memoria y balance del décimotercero ejercicio social 1958, hg. v. Imobiliaria Urbis S.A. Junta General Ordinaria, Madrid 1959, S. 13. 172 Castells, Ciudad, democracia y socialismo, S. 39–47 ; Miguel Fisac, Mi enemigo vecino, in : ABC, 05.04.1972, S. 13. 173 José Díaz, Historia de Moratalaz, Madrid 1981, S. 169–170. 174 Radcliff, Making Democratic Citizens, S. 99. 175 Díaz, Historia de Moratalaz, S. 172–174.
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Abb. 37 : Das vom Nachbarschaftsverein in den 1970er Jahren aufgenommene Foto deutet auf gravierende Infrastrukturmängel hin. Quelle : Asociación de Vecinos Moratalaz Avance, Madrid
für die Belange des Stadtviertels hatte einsetzen wollen.176 Somit beklagte der Verein von Beginn an die schlechte Qualität der gebauten Wohnungen, die von extremer Feuchtigkeit betroffen waren, sowie die fehlenden Verkehrsmittel : Von den nächstgelegenen Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs bis nach Moratalaz war es noch ein recht weiter Fußmarsch.177 Während des weiteren Bauprozesses häuften sich die Beschwerden. Der Teilbebauungsplan von 1964, der eigentlich die Bestimmungen des Generalplanes spezifizieren und ausführen sollte, widersprach diesem weitgehend. Für den Bereich Moratalaz Oeste waren im Generalplan unter anderem 12 Hektar Boden für Grünflächen und Parkanlagen reserviert, die URBIS jedoch mit weiteren 50 Wohnblöcken à 15 Etagen und insgesamt 1.740 Wohnungen bebaute178 und so die Grünflächen insgesamt auf weniger als ein Drittel reduzierte. Auch die Wohndichte überschritt weitgehend die Bestimmungen des Generalplans : Entgegen der in der Perspektive auf das Jahr 2000 vorgesehenen Begrenzung auf 40.000 Einwohner überschritt die Bewohnerzahl im Jahre 1973 bereits 176 Ebd., S. 172–173. 177 Nuestro presidente, D. José Luis Pérez Gómez, contesta a nuestra pregunta, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 4–5, hier : S. 4. 178 Moratalaz-Vicálvaro, S. 22 ; Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 5.
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100.000.179 Trotz solch signifikanter Abweichungen vom Generalplan wurde dem Teilbauungsplan von lokalen und staatlichen Verwaltungsorganen zugestimmt. Dies lässt sich einerseits durch zahlreiche persönliche Kontakte de la Quintanas im Regierungs- und Verwaltungsapparat erklären, über welche er noch verstärkt seit 1966 und durch seine Leitungsposition im Ausschuss für Bau und Baumaterialien des zweiten Planes zur ökonomischen und sozialen Entwicklung verfügte.180 Andererseits war auch die Stadtverwaltung Madrid eher daran interessiert, das Bauprojekt zu genehmigen und dadurch Mehreinnahmen für die unterfinanzierte Behörde zu sichern, als die städtebaulichen Normen zu beachten. Der Stadt Madrid wurde zwar zum Ausgleich im Jahre 1963 nach der Verabschiedung der Kommunalen Charta für Barcelona (vgl. hierzu auch oben Kap. 3.4.1) auch eine gesetzliche Sonderregelung (Ley especial de Madrid) mit verstärkten Kompetenzen an den Bürgermeister verliehen,181 in der Praxis kämpfte Madrid jedoch mit einem enormen finanziellen Defizit. Anders als im Falle Barcelonas konkurrierte die Stadtverwaltung Madrids als Hauptstadt mit beinahe zwanzig unterschiedlichen staatlichen Behörden, die unabhängig und ohne Zustimmung der Stadtverwaltung agierten und Wohnsiedlungen bauten, von den kommunalen Steuern jedoch befreit waren.182 Da die Stadtverwaltung jedoch für die komplette Infrastruktur aller gebauten Wohneinheiten zuständig war, war die Behörde finanziell überfordert. In diesem Sinne kam die Bebauung der Reserveflächen durch URBIS – dort, wo die Stadt die Parkanlage hätte errichten sollen (was mit erheblichen Kosten verbunden gewesen wäre) – der Kommune in finanzieller Hinsicht nur zugute.183 Dennoch bebaute URBIS nicht nur die Reserveflächen für die Grünanlagen mit hohen Wohnblöcken, sondern auch diejenigen, die für die öffentlichen Grundinfrastrukturen wie Bürgersteige, Schulen, Kindergärten, Gesundheitszentren, Sportanlagen und Parkplätze vorgesehen waren. Zwar versuchte URBIS vom spekulativen Charakter seiner Immobiliengeschäfte durch die Unterstützung von Sozialinitiativen, etwa durch die Bereitstellung einiger Pfarrhäuser 179 Siehe u.a.: Las raíces del problema, in : Moratalaz, Nr. 49, 1973, S. 2 ; El expolio del parque de Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 65, 1977, S. 4 ; Cabrerizo, El Avance de Moratalaz, S. 14–15. 180 Dazu mehr : Jefatura del Estado : Ley 1/1969, de 11 de febrero, por la que se aprueba el II Plan de Desarrollo Económico y Social, in : BOE, 12.02.1969, Nr. 37, S. 2137–2142. 181 Vgl.: Manuel Pérez Olea, Problemas de Madrid ante su Ley especial, Madrid 1964. 182 Siehe u.a.: Madrid/Barrios 1975, S. 91–99 ; Simancas, Elizalde, El mito del Gran Madrid, S. 100–112 ; 183 Vgl.: Miguel Fisac, Ayuntamientos rumiantes, in : ABC, 21.06.1974, S. 23 ; Terán, Planeamiento urbano, S. 459–468.
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oder Schulen abzulenken,184 das Unternehmen konzentrierte sich jedoch im Wesentlichen auf den Bau möglichst vieler Wohnungen und die Etablierung eigener, kommerzieller und daher gewinnbringender Einrichtungen, wie etwa Tankstellen, Läden, Kinos (z.B. des Moratalaz) oder Privatschulen.185 Dabei bereitete gerade der Mangel an Schulplätzen im Verhältnis zur Kinderzahl im Stadtviertel die größten Sorgen. Laut Einschätzungen des Nachbarschaftsvereins, der zu diesem Zeitpunkt bereits das gesamte Stadtviertel Moratalaz umfasste,186 fehlten zu Beginn der 1970er Jahre mehr als 12.000 Schulplätze.187 Dieser Mangel konnte nur durch die Einführung von Schichtunterricht in den wenigen Schulen und zum Teil durch privaten Unterricht zu Hause kompensiert werden.188 Während es dem Verein relativ schnell gelang, durch sein Engagement den Nahverkehr in der Siedlung etablieren zu lassen und sogar durch eine Intervention im Wohnungsministerium entsprechende Geldstrafen für das Bauunternehmen und darauffolgend Wohnungsreparaturen zu erzwingen,189 erwiesen sich die Kämpfe um den Wiedergewinn der Bodenflächen für die Errichtung eines öffentlichen Parks, der Schulen und Sportanlagen als Daueraufgaben. Auf dem Papier war die Kommune durch das Bodengesetz von 1956 im Falle eines städtebaulichen Verstoßes durch das Bauunternehmen berechtigt, die erteilte Baulizenz zurückzuziehen. Diese Aufgabe übernahm in Madrid das Städtische Urbanisierungsamt, die Gerencia Municipal de Urbanismo de Madrid (GMUM), die im Rahmen des Generalplanes 1963 die bisherige Comisaría para la Ordenación Urbana de Madrid (COUM) ersetzte und für die Leitung der Stadtentwicklung auf kommunaler Ebene zuständig war.190 Gleichwohl verpflichtete die 184 ¡Cooperemos ! In : Moratalaz, Nr. 12, 1968, S. 4. Vgl.: Porras, De 0 a 90.000 vecinos, S. 183. 185 Urbis, una gran empresa con tres barrios gigantescos en su haber : Niño Jesús, La Estrella y Moratalaz, in : El Alcázar, 04.03.1965, S. 6 ; Historia contemporánea de Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 51, 1974, S. 6. 186 Bis 1975 umfasste der Verein das gesamte Stadtviertel Moratalaz. Erst 1975 entstand ein getrennter Nachbarschaftsverein Moratalaz-Este »Avance«, der für den Teil des Stadtviertels, in welchem die öffentlichen Stellen ihre Siedlungen gebaut hatten (Wohneinheiten I-VI), zuständig war. Siehe u.a.: ¿Qué es la asociación ?, in : Moratalaz, Nr. 6, 1968, S. 2 ; Moratalaz Este, un barrio nuevo en estado de semirruina, in : ABC, 03.11.1978, S. 26 ; Moratalaz, ejemplo de especulación urbanística, in : Madrid, 07.05.1986, S. 4 187 Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 5. 188 Mesa redonda sobre el problema de la enseñanza, in : Moratalaz, Nr. 51, 1974, S. 8. 189 Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 4. 190 Siehe u.a.: La Gerencia Municipal de Urbanismo, in : Villa de Madrid, Nr. 31, 1971, S. 150–157 ; Manuel F. Clavero Arévalo, La Gerencia Municipal de Urbanismo, Madrid 1964.
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Entziehung der Baulizenz die Stadtverwaltung zur Zahlung einer Entschädigungssumme an die Immobilienfirma,191 was angesichts der Unterfinanzierung der Kommune und der daraus entstandenen Praxis des weitreichenden Lizenzverkaufs eine kontraproduktive Regelung war. Unter diesen Prämissen wehrte die Stadtverwaltung Beschwerden der Anwohner mit dem Argument ab, dass URBIS trotz der Verpflichtung keine Grundstücke überlasse, sodass die Stadt keinen freien Boden habe und daher keine Infrastrukturen zur Verfügung stellen könne.192 Ungeachtet des guten Standings von URBIS bei den zentralen Verwaltungsbehörden scheiterten die Klagen seitens des Vereins zunächst auch stets auf staatlicher Ebene, deren Behörden die Unregelmäßigkeiten in der Gesetzesumsetzung zwar anerkannten, diese jedoch vor allem mit mangelnden Kontrollund Sanktionsmechanismen begründeten.193 Die für die Kontrolle der Madrider Stadtentwicklung zuständige Provinzialbehörde des Wohnungsministeriums beklagte in dieser Hinsicht mangelnde Kompetenzen und Koordinationsprobleme mit den Organen des Wohnungsministeriums. Die im Rahmen des Generalplanes 1963 für die städtebauliche Ordnung der Metropolregion gegründete Behörde COPLACO (Comisión de Planeamiento y Coordinación del Área Metropolitana de Madrid)194 verfügte wiederum über keine hinreichenden Instrumentarien für die Ausübung von Kontrollfunktionen im Bereich der Metropolregion.195 Somit wichen die staatlichen Behörden dem Problem aus und verwiesen es an die Stadtverwaltung, die für die Bereitstellung öffentlicher Infrastrukturen zuständig war. Alles in allem war keiner dieser Akteure ernsthaft daran interessiert, den Forderungen des Nachbarschaftsvereins nachzukommen, da der Immobilienmarkt extrem lukrativ war. In Hinblick auf die große Nachfrage war der Wohnungsbau nicht nur für die Immobilienfirma profitabel, sondern auch für die öffentlichen Stellen die rentabelste Lösung : Die Sozialpolitik des Staa191 Terán, Planeamiento urbano, S. 463. 192 Moratalaz : latifundio de Urbis, in : Moratalaz, Nr. 89, 1980, S. 4 ; Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 5. 193 Las raíces del problema, in : Moratalaz, Nr. 49, 1973, S. 2. 194 COPLACO unterstand dem Wohnungsministerium und setzte sich aus der Lokal-, Provinzialund Zentralverwaltung zusammen. Zu den Aufgaben gehörten die Entwicklung, Modifizierung und Genehmigung der Generalpläne sowie deren Kontrolle bei der Umsetzung, im Weiteren auch die Initiierung und Überwachung aller städtebaulichen Aktivitäten sowie die Leitung der Ausarbeitung von Teilbebauungsplänen. Vgl.: Composición y funciones de la Comisión del Planeamiento y Coordinacion del Area Metropolitana de Madrid, hg. v. COPLACO, Madrid 1977 ; Problemas y perspectivas del Area Metropolitana de Madrid, hg. v. Ministerio de Obras Públicas y Urbanismo. COPLACO, Madrid 1978. 195 Terán, Planeamiento urbano, S. 565.
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tes war durch die Errichtung der Wohnungen legitimiert, sodass die Kommune Mehreinnahmen gewann, ohne dabei zusätzliche Kosten für die öffentlichen Infrastrukturen ausgeben zu müssen. Die Wohnungs- und Infrastrukturkrise wie auch die Passivität der öffentlichen Stellen animierte den Nachbarschaftsverein zu einem langfristig angelegten Kampf für das Wohlergehen des Stadtviertels. Bezog sich der Krisendiskurs auf die mangelnde Urbanisierung, unzureichende Infrastrukturen sowie im Weiteren auch auf die Lebensformen und sozialen Beziehungen,196 machte der Verein für den bisherigen Misserfolg zum Teil auch die Bewohner selbst verantwortlich. Der Kampf könne, so die Vereinsvertreter, Erfolg haben, wären die Bewohner nicht so stark »apolitisch«, wären die Mitglieder »zahlreicher« und würde die »Mehrheit in Moratalaz nicht auf die positiven Veränderungen im Stadtviertel warten, ohne sich dafür selbst konstruktiv einsetzen zu wollen.«197 Aus Vereinssicht lag das Problem darin, dass die Bewohner »auf ›ich‹ Wert legen, ohne dabei an die Gemeinschaft zu denken.«198 Das auf diese Weise als apolitisch-egoistisch apostrophierte Verhalten der Bewohner in Moratalaz spiegelte die Entwicklung der Gesamtgesellschaft Spaniens in den 1960er und 1970er Jahren wider. Die breite Masse der Spanier, in erster Linie jedoch die unteren Gesellschaftsschichten richteten im Spätfranquismus die Interessen auf den eigenen materiellen Wohlstand (u.a. die Wohnung als Eigentum), gegenüber der Politik blieben sie jedoch weitgehend indifferent.199 Laut einer Umfrage sollen 57 Prozent der Spanier kein Interesse und 28 Prozent nur wenig Interesse am politischen Geschehen gehabt haben. Nur 3 Prozent gaben an, sich stark für Politik zu interessieren. In Madrid sahen die Umfragewerte nur ein wenig besser aus : In der Hauptstadt waren 32 Prozent politisch uninteressiert, 23 Prozent hatten wenig Interesse an der Politik und 18 Prozent gaben an, sich sehr für das politische Leben zu interessieren.200 Dies war einerseits, wie Historiker herausgearbeitet haben, der Effekt der langen politischen Immobilisierung der Gesellschaft seitens des Regimes seit dem Ende des Bürgerkriegs, 196 Vgl.: Castells, Ciudad, democracia y socialismo, S. 74. 197 »Si nuestra representación fuese más numerosa, »otros gallos cantarían« como suele decirse, pero mientras la mayoría del Barrio siga esperándolas venir sin aportar un grano de arena en esa labor constructiva de la Asociación, nada nos debe extrañar que las soluciones y necesidades queden retrasadas u olvidadas.«, in : Cartas de los socios, in : Moratalaz, Nr. 14, 1969, S. 13. 198 Editoral, in : Moratalaz, Nr. 16, 1969, S. 1. 199 Francisco Sevillano Calero, Ecos de papel. La opinión de los españoles en la época de Franco, Madrid 2000, S. 203 ; Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 314–318. 200 Sevillano Calero, Ecos de papel, S. 200.
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andererseits war dies jedoch auch das Resultat der sozioökonomischen Entwicklung des Landes in den 1960er Jahren und der damit verbundenen Verbesserung des Lebensstandards und des wachsenden Konsums. Auch die Amerikanisierung und die Massenmedien werden als Einflussfaktoren genannt.201 In diesem Zusammenhang begründete der Nachbarschaftsverein in Moratalaz seine Mobilisierungsanstrengungen damit, dass die Probleme des Einzelnen in Bezug auf das Stadtviertel gleichzeitig die Probleme aller seien, und dass diese Probleme von allen gemeinsam gelöst werden müssten.202 Beim Versuch des Vereins, möglichst viele Bewohner für sich zu gewinnen, ging es nicht allein um die Mitgliedsbeiträge, die unter anderem zur Bezahlung von professioneller Unterstützung im Falle rechtlicher Klagen gegen URBIS verwendet wurden.203 Vielmehr ging es um die Annahme, dass eine isolierte Aktion eines Einzelnen wenig effektiv war und dementsprechend eine hohe Mitgliederzahl als deutliche Stärkung des Vereins im Kampf gegen das Bauunternehmen insgesamt galt.204 4.3.3 Stadtviertel und Identität : Strategien lokaler Identitätsbildung in der Stadtviertelzeitschrift »Moratalaz«
Die Stadtviertelzeitschrift »Moratalaz« erschien seit August 1967 zunächst unter dem Titel »Familia«,205 welcher jedoch nach wenigen Ausgaben aus rechtlichen Gründen (einen solchen Titel gab es bereits in Spanien) geändert werden musste.206 Emilio Menéndez de la Vega, der Gründer der Zeitschrift und zugleich auch der erste Präsident des Nachbarschaftsvereins, betonte, dass sowohl der Titel »Familia« wie auch der Nachfolgetitel »Moratalaz« das gleiche Ziel ausdrückten : das allgemeine Wohlergehen derer zu verbessern, die in der Siedlung leben oder leben werden.207 Somit war die Zeitschrift wie auch der Nachbarschaftsverein selbst von Beginn an auf Kritik am Bauunternehmen URBIS und auf die Verteidigung der Interessen der Bewohner hin ausgerichtet. Als Medium des Nachbarschaftsvereins widmete die Zeitschrift einen großen Teil der Berichterstattung der Beschreibung von Vereinsaktivitäten im Kampf gegen das Bauunternehmen. Dabei kamen auch stets der aktuelle Stand der juristischen 201 Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 314–318. 202 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 19, 1970, S. 1. 203 Los socios también comentan, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 6. 204 Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 4–5. 205 Díaz, Historia de Moratalaz, S. 262. 206 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 6, 1968, S. 1. 207 Ebd.
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Auseinandersetzungen und die städtebauliche Situation des Viertels zur Sprache. Die Zeitschrift richtete sich jedoch in erster Linie an die Bewohner im Stadtviertel, die noch keine Mitglieder im Verein waren.208 Somit war es die Aufgabe der Stadtviertelzeitschrift »Moratalaz«, möglichst viele Bewohner für die Vereinigung zu rekrutieren. Eine solche Mission lässt sich etwa in dem Artikel »Los árboles tienen miedo« (»Die Bäume haben Angst«) erkennen.209 Der Text bezog sich auf die systematischen Holzfällarbeiten, die das Bauunternehmen URBIS für den weiteren Wohnungsbau in Moratalaz durchführte. Diese Bäume, so der Verfasser des Artikels, die von Natur aus pazifistisch seien und niemanden schädigen wollten, hätten Angst vor den Baggern, welche wiederum »Bäume und Gärten hassen«. Nun hob der Autor darauf ab, dass die Bäume sich äußerst schlecht verteidigen könnten, weil sie im Stadtviertel so wenige und so zerstreut seien. Effektiv lasse sich nur in geschlossener Formation – sprich : als Wald – kämpfen : Wenn die Bäume viele wären und enorme und dichte Wälder bilden würden, könnten sie sich so vereint verteidigen, indem sie jede Art von Widerstand gegen die Zerstörung leisten. Darunter auch das Hindernis der Angst. Diese Angst, die das Mysterium der Wälder immer beeinflusste, auch wenn sie oft nur den Geschichten und Legenden zu verdanken ist.210
Mit dieser Parabel lenkte der Autor die Aufmerksamkeit metaphorisch auf das solidarische Zusammenhalten und Zusammenarbeiten von menschlichen Individuen, was die Idee einer Partizipation zum Nutzen aller beinhaltet.211 In ähnlichem Sinne muss auch ein Brief von einem Bewohner interpretiert werden, der zwar bereits Mitglied im Verein war, jedoch aus der Position eines zuvor »apolitischen« Bewohners schrieb.212 Wie viele in diesem Stadtviertel, so argumentierte er, hätte er »nie an Vereine und Organisationen geglaubt« und sei generell »immer sehr skeptisch gewesen gegenüber jeder Art von Institution, in welcher einige wenige Herren die Zusammenarbeit für das Wohl der Anderen 208 Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 5. 209 Los árboles tienen miedo, in : Moratalaz, Nr. 11, 1968, S. 5. 210 »Si fueran muchos y formaran grandes y espesos bosques, aún se podrían defender unidos, ofreciendo toda clase de obstáculos a la destrucción, incluso el obstáculo del miedo, ese miedo que infunde siempre el misterio de los bosques y que muchas veces se debe, simplemente, a los cuentos y leyendas (…).«, in : Ebd. 211 ¡Cooperemos ! In : Moratalaz, Nr. 12, 1968, S. 4. 212 Es la primera vez, in : Moratalaz, Nr. 14, 1969, S. 14.
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aufgrund des reinen Altruismus anordnen.«213 Er argumentierte, dass er die Werbung des Vereins nie beachtet habe, weil er geglaubt habe, dies hätte etwas mit dem Bauunternehmen URBIS zu tun, und URBIS sei aufgrund der vielfältigen Mängel für ihn unglaubwürdig. Er habe jedoch im Nachhinein verstanden, dass der Verein nichts mit URBIS zu tun habe, sondern gegen URBIS kämpfe. In diesem Sinne betonte der Leserbriefschreiber, dass der Verein insgesamt zwar nicht viel tue, wenn man jedoch die wenige Unterstützung seitens der Bewohner bedenke, sei dies aber doch viel. Dabei sei nicht nur die minimale finanzielle, sondern vor allem »die moralische Unterstützung des gesamten geeinten Stadtviertels« wichtig : »Es ist nicht dasselbe, zweitausend oder fünfzehntausend Bewohner zu vertreten !« Denn alle Bewohner des Stadtviertels seien an den Verbesserungen interessiert. Der Grund für die geringe Partizipation im Verein seitens der Bewohner lag dem Vereinsausschuss zufolge in deren Uneinigkeit.214 Zur Überwindung der Interessensunterschiede sollte insbesondere die Zeitschrift beitragen, indem sie ein kollektives Gefühl des Betroffenseins generierte und so zum Mitmachen animierte. Die Zeitschrift sollte also ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Stadtviertel schaffen, um so eine ortsbezogene Identität zu stiften. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu betont, dass die individuelle Identität durch die kulturelle Lebenspraxis nie unabhängig von kollektiver Identität sei, d.h., die kollektive Identität der Individuen beruhe auf der Bindung an gemeinsame Wertüberzeugungen, der Erinnerung an eine gemeinsame Geschichte und der Ausrichtung auf gemeinsame Ziele.215 In diesem Sinne war es auch das Ziel des Vereins, so die These, mithilfe der Stadtviertelzeitschrift eine solche kollektive Identität aufzubauen und dadurch die Bewohner in die Aktion miteinzubeziehen. Moratalaz als sozialer Ort sollte demnach durch die Kongruenz von gemeinsamen Zielen und räumlicher Abgrenzung des Stadtviertels definiert werden. Das gemeinsame Ziel, das der Verein allen Bewohnern zuschrieb, war die Ausrüstung des Stadtvierteils mit den fehlenden Infrastrukturen. Dies wurde zeichnerisch durch eine in der Zeitschrift veröffentliche Karikatur mit dem Titel »Esta es la realidad« (»Das ist die Realität«) auf den Punkt gebracht :216 213 »Ante todo he de decir que yo siempre he sido un escéptico en todo lo concerniente a cualquier clase de institución, en las que unos cuantos señores han dicho laborar en bien de los demás por puro altruismo.«, in : Ebd. 214 »Moratalaz es el barrio donde más abunda la desunión entre los vecinos«, in : Cartas de los socios, in : Moratalaz, Nr. 14, 1969, S. 13. 215 Siehe : Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main 1982, S. 277–286. 216 Karikatur : »Esta es la realidad«, in : Moratalaz, Nr. 41, 1972, S. 15.
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Abb. 38 : Karikatur »Esta es la realidad« (»Das ist die Realität«), in : Moratalaz, Nr. 41, 1972, S. 15.
Durch die Hauptstraße des Stadtviertels, in dem nur diverse hohe Wohnblöcke zu sehen sind, fährt eine Delegation vermutlich behördlicher Vertreter, die von den Bewohnern feierlich begrüßt wird. Am Straßenrand sind gemalte Kulissen mit einem Park, einer Schule und einer Sportanlage aufgestellt. Diese drei Grundinfrastrukturen waren die Hauptobjekte des Kampfes des Nachbarschaftsvereins, die zwar seitens der öffentlichen Stellen stets als Versprechen thematisiert wurden, jedoch immer noch keine Realität waren. Hinsichtlich dieser Notwendigkeiten und festgesetzten Ziele sollten die Bewohner sensibilisiert und zum Mithandeln bewegt werden : Die Probleme [des Stadtviertels – A.P.] sind nicht meine oder deine, sondern sie werden zu unseren und euren, und sind meistens die aller. Wir können und wir sollen diese Probleme lösen. Nicht nur für unser Wohl, sondern auch für unsere Kinder.217 217 »[…] El o los problemas no es el mío ni el tuyo, se convierten en el nuestro o el vuestro, es decir, por lo general en el de todos. […] Podemos y debemos resolverlos todos no solamente por beneficio propio, sino pensando en nuestros hijos«. in : Los socios también comentan, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 6.
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Im Weiteren argumentierte die Redaktion, dass es notwendig und gerecht sei, dass »alle ein Sandkorn« beitragen, denn »wenn der Gewinn, der erzielt wird, allgemein ist, so sollte auch die Anstrengung und der Beitrag allgemein sein.«218 Durch die Nutzung der Personalpronomen »wir« und »uns« wurde versucht, das Gefühl gemeinsamer Betroffenheit bei gleichzeitiger Abgrenzung als Gruppe nach außen zu unterstreichen : Die Zeitschrift betonte damit, dass die gesamte Nachbarschaft eine Art Schicksalsgemeinschaft bilde. Durch die Wir-Rhetorik wurde die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft als eine unbezweifelbare Tatsache festgeschrieben. Dabei wurde versucht, diese Gemeinschaft mit einem Identitätsgefühl aufzuladen. Dies lässt sich in dem Text »Moratalaz, barrio único« (»Moratalaz, ein einzigartiges Stadtviertel«)219 erkennen. Die Bildung kollektiver Sinngebungen wurde darin durch eine hochgradige Emotionalität in Verbindung mit Vertrautheit mit bekannten Kulturmustern angestrebt. Der Text wurde aus der Position des Bruders einer Bewohnerin geschrieben, der aus einem Dorf bei Toledo nach Moratalaz zu Besuch kommt. Aus der Perspektive eines Dorfhauses mit allen Unbequemlichkeiten beschreibt dieser das Haus der Schwester im Kontext des »einzigartigen Stadtviertels« mit »Gärtchen«, mit »wunderschöner Ausdehnung zwischen den Wohnblöcken« und einer »neiderweckenden Pfarrgemeinde« und allen dazu gehörenden kirchlichen Räumen. Das Stadtviertel sei für ihn »wie eine Gottessegnung« im Vergleich zu seinem Landhaus, und auch die Bewohner seien liebevoll und empfindsam, aber nicht zudringlich und klatschhaft. Mit seinen Ausführungen versuchte er, bei den Lesern stark positive Emotionen in Bezug auf das Stadtviertel auszulösen, das auch sein »Stadtviertel« wäre, hätte er das Glück, nach Madrid kommen zu dürfen. Den Text krönte ein Aufruf an die moratalences, sich um jeden Preis um die Gärten und Plätze zu kümmern, damit ihnen diese nicht weggenommen würden. Die Nennung der Herkunft des Sprechers sollte hierbei die Erfahrungen am Herkunftsort in die Erinnerung der Leser bringen und Moratalaz als Zeichen der Verbesserung der sozialen Lage der Zuwanderer betonen. Dabei ging es vor allem darum, eine persönliche emotionale Bindung zum Stadtviertel (»mi barrio« – »mein Stadtviertel«) hervorzurufen, die durch gemeinsame Erfahrungen (Migrationshintergrund) und Ziele (ein besseres Moratalaz) zu kollektiver Sinngebung werden sollte. Gleichzeitig erzeugte der Status des Sprechers als Bruder einer Bewohnerin eine Gleichsetzung aller Bewohner und bürgte für die Glaubwürdigkeit der Aussage. 218 Ebd. 219 Moratalaz, barrio único, in : Moratalaz, Nr. 31, 1971.
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Das gemeinsame Ziel, die Verbesserungen im Stadtviertel zum Wohlergehen der Bewohner, war demnach nicht der einzige Punkt der Verbundenheit zwischen den Bewohnern. Eine gemeinsame Identität brauchte Solidarität, und diese wurde von der Zeitschrift nicht nur durch den gegenwärtig geteilten Raum des Stadtviertels, sondern auch durch die Beschwörung der verbindenden Vergangenheitserfahrung als Migranten stilisiert. Die Bewohner von Moratalaz waren, wie auch die Schwester des zitierten Besuchers aus Toledo, Zuwanderer aus dörflichen Gegenden, die sich zur Arbeitssuche auf den Weg gen Madrid gemacht hatten. Diese gemeinsame Erfahrung, Migrant zu sein, war ein Topos, der in den Texten der Zeitschrift ständig wiederkehrte. Neben einer regelmäßig publizierten Artikelkolumne »Los precursores de Moratalaz«220 (»Die Vorgänger von Moratalaz«) und »El emigrante« (»Der Migrant«) sowie zahlreichen Gedichten221 betonte diese Identität auch das Gedicht »Moratalaz – Madrid« :222 Madrid, capital de España, es una ciudad muy bella, pero vino tanta gente, que no cabemos en ella.
Madrid, die Hauptstadt Spaniens, ist eine sehr schöne Stadt, aber es kamen so viele Menschen, dass wir nicht mehr hineinpassen.
Al aumentar la ciudad, con los que vienen de fuera, se han creado unos barrios, que se llaman la periferia.
Als die Stadt so groß wurde, nachdem so viele kamen, wurden Stadtviertel kreiert, die Peripherie heißen.
Y la Inmobiliaria Urbis vio su oportunidad, fundando un hermoso barrio que llaman Moratalaz.
Und die Immobilienfirma Urbis sah ihre große Chance, gründete ein schönes Stadtviertel, das Moratalaz genannt wurde.
No creáis que es un barrio que no tiene importancia, pues en la actualidad tiene más de cien mil almas.
Glaubt nicht, dass dies ein Stadtviertel ohne Bedeutung ist, denn in der Gegenwart sind es mehr als hunderttausend Seelen.
220 Vgl.: Los precursores de Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 27, 1971, S. 16–18. 221 Siehe u.a.: A los emigrantes, in : Moratalaz, Nr. 24, 1970, S. 5 ; ¡Mi tierra querida ! In : Moratalaz, Nr. 23, 1970, S. 15. 222 Moratalaz-Madrid, in : Moratalaz, Nr. 39, 1972, S. 15.
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Die Herausforderungen der sozialen Veränderung, verursacht durch die Migration, sollten bewältigt werden, indem der Verlust an Kontinuitäten und Traditionen durch die Etablierung neuen Brauchtums kompensiert wurde. Diese neuen Bräuche behielten zwar gewohnte Formen, bekamen aber andere Bedeutungen.223 Das Stadtviertelfest zum Gedenken an die Schutzheilige Nuestra Señora de Moratalaz beispielsweise, das jedes Jahr im Juli gefeiert wurde und von Vertretern der Stadtverwaltung, von URBIS, des Nachbarschaftsvereins, der Gemeinde, aber auch des lokalen Gewerbes und der lokalen Behörden und Verwaltungsstellen organisiert wurde,224 sollte als religiöse Tradition eines Volksfestes in neuen urbanen Formen zelebriert werden.225 Die Festtage sollten alle Bewohner in Moratalaz zusammenbringen, um durch das gemeinsame Feiern eine gemeinsame Identität zu fundieren.226 In den Worten der Redakteure der Zeitschrift sollten die Festtage jene Personen, die sich im Stadtviertel noch nicht kannten, zusammenbringen und die Möglichkeit schaffen, Freundschaften zu bilden, die in einer Gemeinschaft notwendig seien. Dabei unterstrichen sie, dass während der Festtage alle Bewohner, unabhängig von Ideologien oder sozialer Zugehörigkeit, vereint und verbunden werden sollten.227 Dadurch trug das Medium der Zeitschrift wesentlich zur Identitätsbildung bei, indem die Darstellung der Festtage mit der detaillierten Beschreibung des Ablaufs, der Regelungen, Emotionen und Verhaltensmuster das Gefühl der Zugehörigkeit erwecken und stärken sollte. Die zentralen Feierlichkeiten bildeten stets die Kirmes und die heilige Messe.228 Jedoch wurden diese religiösen Elemente der Festwoche in der Zeitschrift meist sparsam beschrieben, während die meiste Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Attraktionen in Form von Wettbewerben und gemeinsamen Aktivitäten für alle Altersgruppen gerichtet wurde. Dazu gehörten zum Beispiel die Wahl des schönsten Mädchens – Guapa de Moratalaz – und seiner zwei Ehrendamen, 223 Vgl.: Wolfgang Kaschuba, Einführung in die Europäische Ethnologie, München 1999, S. 182. 224 Fiestas en honor de nuestra Señora de Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 43, 1972, S. 3. Vgl.: Guía de Moratalaz, hg. v. Ayuntamiento de Madrid, Madrid 1998, S. 27. 225 Siehe u.a.: Fiestas en Moratalaz, in : Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 2–6 ; Fiestas, in : Moratalaz, Nr. 16, 1969, S. 3. 226 Zum Zusammenhang zwischen lokalen Festen und Identitätsbildung siehe u.a.: Elisabeth Lorenzi, Vallekas. Puerto de Mar. Fiesta, identidad de barrio y movimientos sociales, Madrid 2007 ; Jochen Schicht, Die Rottweiler Fasnet als »heimatliches« Symbol. Zum Einfluss städtischer Festkultur als lokale Identität, Rottweil 2003. 227 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 23, 1970, S. 1. 228 Siehe u.a.: Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 2–6 ; Fiestas en honor de la Santisíma Virgen, in : Moratalaz, Nr. 23, 1970, S. 2.
Das Madrider Stadtviertel Moratalaz
Abb. 39 : Das Titelblatt mit der »Schönheitskönigin von Moratalaz 1972«, die jährlich während der Festtage gewählt wurde. In : Moratalaz, Nr. 43, 1972.
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ein Radrennen durch das gesamte Stadtviertel, Fußballspiele zwischen diversen Gruppen des Stadtviertels, Feuerwerksspektakel sowie Frisuren-, Tanz- und Maurerwettbewerbe. Alle diese Aktivitäten verbanden die Unterhaltung mit einem kollektiven Erlebnis und vermittelten ein Gefühl der Zugehörigkeit. Diese positive Seite wurde dabei durch Emotionen unterstrichen, wie etwa Beschreibungen, wie sich alle dabei unterhielten (»das Gelände war mit Publikum überfüllt, das sich tanzend zum Rhythmus der Orchester unterhielt«229), wie die Zuschauer lebhaft applaudierten (»Als die schönsten Mädchen dem Publikum präsentiert wurden, bekamen sie großen Applaus«230) oder emotional bewegt waren und mit Leidenschaft daran teilnahmen (»Die zahlreichen Radrennfahrer zeigten sich begierig, ihre Fähigkeiten zur Schau zu stellen«231). Allerdings gab es durchaus auch Spannungen und negative Emotionen, etwa Empörung oder Enttäuschung, die durch die bestehenden Mängel der Infrastrukturen (»Die Eröffnung der Kirchweih brachte beinahe Ärger, als die Beleuchtung ausfiel«232 oder »Beim Fußballspiel versammelten sich […] am Fußballplatz etwa 3000 Personen. Wie sehr uns ein Fußballstadion in Moratalaz fehlt !«233) ausgelöst wurden. Die Beschreibung körperlicher Reaktionen auf die Feierlichkeiten, die als »wunderbar«, »amüsant«, »wahrhafte Versammlung« beschrieben wurden, kreierte einen gemeinschaftsstiftenden Code, indem positive Emotionen aufgrund gemeinsamen Beisammenseins und negative aufgrund der Probleme, die im Stadtviertel zu bekämpfen waren, zu einem kollektiven Gefühl stilisiert wurden. Somit wurde das Stadtteilfest in der Zeitschrift zu einem lokalen Signum eines Gemeinschaftsbildes, an dem alle Bewohner, auch die Vertreter der institutionellen Strukturen (die die Preise für die Sieger der Wettbewerbe verliehen) und des lokalen Gewerbes (das diese Preise spendete), teilnahmen. Den Berichten nach wurde den Bewohnern durch das Fest die Möglichkeit gegeben, ihren Bezug zum Raum öffentlich zu demonstrieren. Wurde im örtlichen Alltag stets das Zugehörigkeitsgefühl bemängelt, wurde dieses nach Darstellung der Zeitschrift durch das Fest erzeugt und schließlich durch das Medium öffentlich visualisiert. Eine ähnliche Funktion hatten Sportaktivitäten zu erfüllen, weil sie, so die Zeitschrift, ähnlich wie die Feierlichkeiten »Herzen zusammenbringen.«234 In 229 Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 2. 230 Ebd. 231 Ebd. 232 Ebd. 233 Ebd., S. 3. 234 Crónica del partido »Profesores – Alumnos«, in : Moratalaz, Nr. 12, 1968, S. 10.
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diesem Sinne engagierte sich die Zeitschrift u.a. darin, ein jugendliches Fußballteam aus Moratalaz zusammenzustellen. Die Redaktion begründete den Aufruf mit dem Willen, »ein Team für Moratalaz zu kreieren«,235 um den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, »Sport zu treiben und Freundschaften zwischen den Jüngeren und den Älteren zu bilden.«236 Diese Initiative brauche jedoch, so die Redaktion, nicht nur die potenziellen Sportler, sondern auch die Fans, die das Sportteam und dessen Kampfeswillen anfeuern.237 In diesem Sinne sollten die sportlichen Aktivitäten den Bewohnern erneut den alltäglichen Bezug zum Ort und zur Gemeinschaft anbieten. Dabei erweckte die Zeitschrift mit zahlreichen Berichten ein positives kollektives Gefühl, indem die Beschreibungen des »überfüllten Sportplatzes«,238 in den eine mit Enthusiasmus reagierende Menschenmenge »eingefallen« sei, gemeinschaftsstiftend wirken sollten. Die wichtigste Strategie der Zeitschrift zur Bildung einer lokalen Identität bestand darin, die Rolle einer Plattform für nachbarschaftlichen Austausch und zwischenmenschliche Kooperation einzunehmen. So animierte die »Moratalaz«- Redaktion die Stadtteilbewohner in verschiedenen Rubriken zur Mitgestaltung der Zeitschrift (etwa durch Themenvorschläge seitens der Leserschaft) sowie zur aktiven Mit-Organisation von Kulturaktivitäten. Unter der Rubrik »Theater« appellierte die Zeitschrift beispielsweise an die Jugend im Stadtviertel : Jetzt rufe ich euch durch diese Sektion und diese bescheidenen Zeilen. Ihr seid diejenigen, die das Wort haben. Wir stellen nur Instrumente zur Verfügung. Ihr seid diejenigen, die handeln und eure Aktivitäten gestalten sollen.239
Durch die Kolumne »Frau im Haushalt« wurde versucht, Frauen aus dem Stadtviertel in die Lektüre und darüber hinaus in soziales Engagement einzubeziehen. Diese Kolumne sollte einen Austausch unter Frauen in Sachen Haushalt und Küche, aber auch in anderen Bereichen fördern. Dennoch schien das Resultat nicht zufriedenstellend zu sein, wie sich folgendem Zitat entnehmen lässt : »Die Frauen lesen uns nicht oder haben etwas Besseres zu tun, als an unsere Zeitschrift zu denken.« Das wahrgenommene Desinteresse wurde mit »neuen Zeiten«, also 235 Deportes, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 30. 236 Ebd. 237 Ebd. 238 Moratalaz, Nr. 12, 1968, S. 10. 239 »Ahora vuelvo a llamaros por medio de esta sección y modestas líneas para que acudáis. Sois vosotros los que tenéis la palabra. Nosotros os proporcionamos los medios ; vosotros tenéis que actuar y dirigir vuestras actividades.«, in : Teatro, in : Moratalaz Nr. 13, 1969, S. 12.
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den Folgen des gesellschaftlichen Wandels und der modernen Konsumgesellschaft in Verbindung gebracht : Wir dachten an Handarbeiten, die so einfach realisierbar sind, dass einige Frauen sich freuen würden, diese zu lernen. Aber man sieht, dass Plastik und Pflanzenfaser passender sind und weniger Kopfzerbrechen bereiten. […] Wir haben auch mit Kochrezepten gerechnet, aber es sieht so aus, dass Konservenbüchsen mit Fertigeintöpfen schneller sind, als stets daran zu denken, wieviel Gramm Zutaten notwendig sind, was leicht zu Fehlern führen und den Eintopf zunichtemachen kann.240
Damit diese »Frauenecke aus der Zeitschrift nicht verschwindet«, ging das Medium sogar eine Kooperation mit der lokalen Drogerie Marpil ein, die den Leserinnen eine kostenlose Beratung anbot : Frauen durften an die Redaktion Fragen zu Körperpflege oder zu Pflegeprodukten richten, die vom Personal der Drogerie beantwortet werden sollten.241 Abgesehen davon, dass Marpil und andere lokale Geschäfte (Fahrschulen, Kinos, Bars, Restaurants, Supermärkte) Anzeigen in der Zeitschrift schalteten,242 boten viele dieser kommerziellen Einrichtungen den Mitgliedern des Vereins zusätzlich auch Einkaufsrabatte an. Mit dieser Praxis strebte die Stadtteilzeitschrift eine Symbiose mit ihrem unmittelbaren kommerziellen Umfeld an, welches naturgemäß daran interessiert war, Kundschaft vor Ort zu gewinnen und zu binden,243 begleitet von redaktionellen Appellen : »Gewerbe, das sich in der Zeitschrift bekannt macht, verdient unseren absoluten Respekt !«244 Durch die Werbeeinnahmen konnte sich das Blatt teilweise finanzieren ; dennoch bestand das Hauptziel darin, mehr Mitglieder für den Verein zu gewinnen. Durch Absprache zwischen den lokalen Geschäften und der Redaktion sollten also Bewohner durch entsprechende Preisreduzierungen und attraktive Aktionen für eine Mitgliedschaft gewonnen 240 »Pensamos en labores que, siendo de fácil realización, harían que algunas damas se alegraran de aprender, pero está visto que los plásticos y fibras vegetales son más apropiados y dan menos quebraderos de cabeza. (…) También contábamos con las recetas de cocina, pero está visto que las latas de conservas con los guisos preparados son más rapidos de hacer que tener que estar pensando en tantos gramos de esto u otro, que puede dar lugar a equivocaciones y estropear un guiso.« In : La Mujer en el hogar, in : Moratalaz, Nr. 11, 1968, S. 11. 241 Ebd. 242 ¿Qué es la asociación ?, in : Moratalaz, Nr. 6, 1968, S. 2. 243 Vgl.: Industriales, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 29. 244 »Socio, el comercio que se anuncia en el Boletín merece toda nuestra atención«, in : Moratalaz, Nr. 6, 1968, S. 15.
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Abb. 40 : Werbeanzeigen der Drogerie Marpil und der Fahrschule Palomero, die den Mitgliedern des Nachbarschaftsvereins Preisnachlässe anboten. In : Moratalaz, Nr. 12, 1968, S. 23, sowie Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 2.
werden. Insbesondere bei den lokalen Feierlichkeiten und Wettbewerben sollten die Bewohner durch eine Teilnahme und die lokalen Einrichtungen durch Spenden in die kollektive Anstrengung miteinbezogen werden. Als Beispiel sei der Aufruf zum »Dritten großen Wettbewerb der Kinderzeichnung« genannt : »Kinder ! Hört nicht auf, mit euren Zeichnungen teilzunehmen ! Händler ! Helfen Sie dem Wettbewerb mit Ihren Beiträgen !«245 Für den Großen Wettbewerb für Hobbyfotografen wurden Preise von den lokalen in Fotografie und Optik spezialisierten Geschäften gespendet.246 Was letztlich eine gewöhnliche, vielerorts zu beobachtende Symbiose zwischen Lokalpresse, Leserschaft und werbetreibendem Handel darstellte, wurde im Fall von Moratalaz seitens der Redaktion regelrecht mit einem ideellen Überbau versehen und explizit mit gemeinschaftsstiftender Bedeutung aufgeladen : Der Kleinhändler sollte mehr an die Bewohner denken, mit welchen er zusammenlebt, damit die Bewohner sich wiederum auch um den Kleinhändler ein bisschen mehr sorgen.247 245 III Gran Concurso de Dibujo Infantil, in : Moratalaz, Nr. 16, 1969, S. 9. 246 1er Gran Concurso de Fotografía para aficionados, in : Moratalaz, Nr. 14, 1969, S. 3. 247 »El comerciante debe pensar más en los vecinos para que, conviviendo con ellos, éstos se preocupen también más por ellos«, in : Moratalaz, Nr. 10, 1968, S. 4.
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Als Gemeinschaft verstand die Redaktion dabei »alle aus Moratalaz«, unabhängig davon, ob sie »Potentaten oder bescheiden, Intellektuelle oder einfache Arbeiter, Männer oder Frauen«248 seien. Zu den »Mitgliedern dieser gleichen Gemeinschaft« zählten sowohl die Bewohner als auch die lokalen Einrichtungen und Institutionen. In diesem Sinne markierte ausschließlich der geografische Raum des Stadtviertels die Abgrenzung nach außen, nicht jedoch soziale oder ideologische Unterschiede. Diese auf den Raum bezogene Strategie unterstützte das Empfinden von Lokalität wesentlich, indem die Bewohner im Stadtviertel an lokalen Aktivitäten teilnahmen, gleichzeitig jedoch auch den lokalen Kommerz (oder sonstige Institutionen) wahrnahmen und auch unterstützten. Zur Bildung einer solchermaßen lokal konstruierten kollektiven Identität trugen sowohl die Werbeanzeigen als auch der redaktionelle Teil (etwa mit Porträts über die Stadtteileinrichtungen) und schlichte Service-Informationen (Ärztenotdienst, Öffnungszeiten usw.) bei. Wie stark sich das Nachbarschaftsorgan »Moratalaz« für eine Interaktion zwischen den Bewohnern und den lokalen Einrichtungen engagierte, zeigt der Versuch, eine Verbindung zwischen der örtlichen Kaserne der bewaffneten Sicherheitskräfte (Cuartel de la XI Bandera Móvil de las Fuerzas de Policía Armada) und den Bewohnern aufzubauen. Da die Kaserne über Sportanlagen verfügte, an denen es im Stadtviertel wiederum mangelte, wurden diese – darunter Fußball-, Basketball-, und Volleyballplätze sowie das Schwimmbad – durch das Engagement des Vereins sonntags den Anwohnern des Stadtviertels zur Verfügung gestellt. Wie die Zeitschrift in einem Interview mit dem Chefkommandanten der in Moratalaz stationierten Truppe berichtete, »dürfen die Bewohner jeden Sonntag die zahlreichen Gruppenspiele genießen […] und eine intime Kameradschaft mit den Agenten der Obrigkeit erleben.«249 In den Sportanlagen wurden zudem – unter reger Anteilnahme der einheimischen Zuschauer – Spiele etwa zwischen der Betriebssportgruppe der Polizeikaserne und lokalen Teams (Klub Moratalaz C.D., Indenpendiente de Moratalaz C. de F.) wie auch zwischen Hobbyteams aus den Schulen und Pfarrgemeinden ausgetragen. Dabei vermittelte die Redaktion Kontakte und versuchte durch die Berichterstattung, Vertrauen in die Sicherheitskräfte zu wecken. Angesichts dessen, dass die Polizei im Franco-Staat zur Obrigkeit gehörte und darüber hinaus durch die Dichotomie Staat – Bürger definiert wurde, versuchte man hiermit, diese Dichotomie aufzubrechen und die bestehende problematische Beziehung durch eine neue 248 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 1. 249 XI Bandera Móvil de las Fuerzas de Policía Armada, in : Moratalaz, Nr. 25, 1970, S. 12.
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Abb. 41 : Titelblatt mit Werbung eines lokalen Optikladens. In : Moratalaz, Nr. 16, 1969.
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Allianz innerhalb des Stadtviertels umzudefinieren. In diesem Sinne sollten die gemeinsamen Veranstaltungen zum Manifest eines Vorherrschens gegenseitiger Hilfe und Aufmerksamkeit bis hin zur Verteidigung der Bürger durch die Polizei werden.250 Diese Kampagne erscheint wie ein Versuch, die Polizeikräfte stellvertretend für das Regime positiv darzustellen, auch wenn die tatsächlichen Beweggründe der Verantwortlichen der Zeitschrift aus den Quellen nicht hervorgehen. Über den Grad der Regimetreue der Redaktionsleitung und eine entsprechende Auswahl der Artikel kann deshalb nur gemutmaßt werden. Immerhin geriet das Blatt aber nach dem Ende des Franco-Regimes in die Kritik. Spätestens in den 1980er Jahren, nach dem Ende des Franco-Regimes und der Transformationszeit, wurde dem »Moratalaz«-Chefredakteur Emilio Menéndez de la Vega Seco, der die Zeitschrift bis 1974 geleitet hatte, vorgeworfen, es habe sich in seinem Blatt nicht widergespiegelt, dass der Nachbarschaftsverein bereits zu Beginn der 1970er Jahre mit den Veränderungen im Vereinsausschuss immer politischer und dem Regime gegenüber kritischer geworden sei. Auf den Seiten von »Moratalaz« hätten, so der Vorwurf, Gedichte mehr Priorität gehabt als kritisch-politische Artikel.251 Die Politisierung des Nachbarschaftsvereins verstärkte sich in der Tat deutlich um 1974, als es der Kommunistischen Partei (PCE) als führender Kraft der antifranquistischen Opposition gelungen war, sich in diesem Verein als dominierende politische Kraft durchzusetzen.252 Die PCE suchte bereits seit 1956 unter dem Stichwort »nationale Versöhnung« (reconciliación nacional)253 eine Annäherung an antifranquistische Gruppierungen unterschiedlicher ideologischer Prägung, um eine »Volksfront« zu schaffen, die in der Lage wäre, das franquistische Regime mit friedlichen Mitteln zu stürzen. Seit Mitte der 1960er Jahre entwickelte die Partei konkrete Strategien, eine solche »Volksfront« nicht nur in den Fabriken, sondern vor allem in den Siedlungen der Stadtperipherien zu errichten. Dort ergaben sich einerseits Möglichkeiten der Mobilisierung von Bevölke250 Ebd. 251 Díaz, Historia de Moratalaz, S. 173. 252 Ebd., S. 182–186. Zum PCE während des Franquismus und der Transition siehe u.a.: Xavier Domènech, El PCE en el proceso de cambio político. La voluntad de ser arte y parte, in : Viento Sur, Nr. 115, 2011, S. 95–104 ; Jesús Sánchez Rodríguez, Teoría y práctica democrática en el PCE, 1956–1982, Madrid 2004 ; El PCE y el PSOE en (la) Transición : la evolución ideológica de la izquierda durante el proceso de cambio político, hg. v. Juan Andrade, Madrid 2015 ; Emanuele Treglia, Fuera de las catacumbas : la política del PCE y el movimiento obrero, Madrid 2012 ; Fernando Nistal González, El papel del Partido Comunista de España en la Transición, Madrid 2015. 253 Zur reconciliación nacional siehe u.a.: Treglia, Fuera de las catacumbas, S. 58–65.
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rungsgruppen, die in den Fabriken nicht zu erreichen waren (etwa Hausfrauen, Rentner oder Arbeitslose), andererseits boten die Urbanisierungsprobleme ein geeignetes Argument für die antifranquistische Agitation.254 Entgegen diesem Trend druckte »Moratalaz«-Chefredakteur Menéndez im Jahr 1971 sogar einen Text, der weithin als publizistische Gegenmaßnahme gegen die schleichende Politisierung des Stadtviertels und des Vereins aufgefasst wurde : In einem Editorial schrieb er raunend, dass Vereine nur dann legal funktionieren dürften, wenn sie sich an den im Statut festgesetzten Zielen orientierten. Seiner Aufgabe gemäß habe der Nachbarschaftsverein, so Menéndez weiter, Bewohner von Moratalaz zu versammeln, die unterschiedliche Ansichten hätten und sich dennoch in einem gemeinsamen Ziel vereinten, nämlich immer dem Gesetz folgend Lösungen für Probleme der Gemeinschaft zu suchen. Im gleichen Atemzug kritisierte er, dass manche dieses Ziel des Nachbarschaftsvereins mit einem »Ideologietrampolin« verwechselten und ihre Ideologie dem ganzen Verein aufzwingen wollten.255 Analysiert man die Texte in der Stadtviertelzeitschrift, findet man in der Tat bis etwa 1975 kaum rein politische Aussagen, wenn auch harte Kritik am Bauunternehmen URBIS von Beginn an dort Platz fand. Stark vertreten war jedoch das Streben nach dem Miteinbeziehen von Bewohnern in die Zusammenarbeit des Vereins sowie nach der Bildung einer kollektiven Identität und eines Zugehörigkeitsgefühls zur örtlichen Gemeinschaft. Gerade die Identität der moratalacense erkannte man in den 1980er Jahren bereits als eine gegebene Tatsache und als einen wichtigen Faktor für den Erfolg der zahlreichen Proteste und Aktionen an, mittels derer die Bewohner in den späten 1970er Jahren Verbesserungen im Stadtviertel bei den öffentlichen Behörden erkämpft hatten. Der Vorwurf der apolitische Haltung gegen die Zeitschrift mag in der höchst politischen Zeit der Transformation nach Francos Tod im November 1975, während derer sich diverse politische Gruppierungen den Nachbarschaftsvereinen anschlossen und es zu einer Symbiose zwischen den Nachbarschaftsvereinen und der antifranquistischen Oppositionsbewegung kam,256 logisch sein. Man verlangte jetzt freie Wahlen, das Respektieren demokratischer Grundrechte und eine Amnestie für politische Gefangene. Streiks und Proteste häuften sich in den Peripherien der Großstädte, wobei diese seit der Aufhebung des Verbots politischer Versammlungen und Demonstrationen im Mai 1976 einen zuneh254 Vgl.: Schierstaedt, Kampf um den städtischen Raum, S. 62. 255 Editorial, in : Moratalaz, Nr. 31, 1971, S. 1. 256 Vgl.: Schierstaedt, Kampf um den städtischen Raum, S. 62–67.
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mend stadtviertelübergreifenden Charakter entwickelten.257 Gerade in Madrid riefen Nachbarschaftsvereine bereits im Sommer 1975 zu Demonstrationen gegen das Ansteigen der Lebenshaltungskosten auf, an denen bis zu 100.000 Personen teilnahmen. Zudem zeigte sich dort die höchste Streikbeteiligung seit dem Bürgerkrieg.258 Dennoch bleiben Zweifel, ob die Kritik an Menéndez’ dezidiert politisch-neutraler Haltung in diesem Ausmaß gerechtfertigt ist. Fraglich ist nämlich, ob man in der Großsiedlung eine raumbezogene Identität hätte kreieren können, wenn das Kriterium der Zugehörigkeit zu dieser konstruierten Gemeinschaft von vornherein politisch-ideologisch definiert gewesen wäre. Insbesondere im Kontext der in der gesamten Gesellschaft weit verbreiteten politischen Apathie und des grundsätzlichen Mangels an Vertrauen in Organisationen und Institutionen »von oben«259 wären solche Versuche des Vereins erfolglos geblieben. Zudem war bekannt, dass auch der Nachbarschaftsverein in Moratalaz Kontakte zum Establishment hatte – und sei es nur dadurch, dass sein Präsident dem Movimiento Nacional angehörte – sodass politische Parolen kaum zur Steigerung der Glaubwürdigkeit (und Attraktivität) des Vereins beigetragen hätten. In diesem Sinne unterstützte das Medium daher nicht eine bestimmte politische Einstellung, sondern eine emotionale Bindung zwischen den Bewohnern und dem Ort, damit sich die meisten Anwohner damit identifizieren konnten. Die Kritik und der Kampf des Vereins und der Zeitschrift entzündeten sich zunächst an den alltäglichen Sorgen, die vor Ort zu prüfen waren und mit dem Bauträger URBIS in Verbindung standen. Hatte der Verein noch in den 1960er Jahren die Uneinigkeit zwischen den Bewohnern als einen Faktor für den misslungenen Kampf gegen URBIS betont, so zeigten die Kämpfe in den späten 1970er Jahren, dass diese Uneinigkeit nicht nur überwunden, sondern sogar durch ein starkes Zugehörigkeitsempfinden zum Ort und eine kollektive Identität als moratalacenses ersetzt worden war.
257 Ebd., 69–70. Zur Transformation siehe auch : Moradiellos, La España de Franco, S. 201–208 ; Roldán Jimeno, Amnesties, Pardons and Transitional Justice. Spain’s Pact of Forgetting, London 2018 ; Rafael Quirosa-Cheyrouze y Muñoz, Poder y transición en España. Las instituciones políticas en el proceso democratizador, Madrid 2017 ; Santos Juliá, Transición. Historia de una política española (1937–2017), Barcelona 2017. 258 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 212. 259 Sevillano Calero, Ecos de papel, S.199–214.
Die Großsiedlung La Mina
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4.4 Die Großsiedlung La Mina als Paradigma einer pathologischen Stadt Bereits in den 1950er und 1960er Jahren machte sich in den öffentlichen Debatten eine Abwertung der Stadtperipherien zu einem pathologischen Phänomen bemerkbar. Betroffen von einem solchen Wahrnehmungsmodus waren in erster Linie die Barackensiedlungen, die durch Mangelhaftigkeit und defizitäre Zustände als Symptom sozialer und politischer Missstände angesehen und daher mit Pathologisierung in Verbindung gebracht wurden.260 Die politisch angestrebte Entfernung der Barackensiedlungen und die Umsiedlung ihrer Bewohner in die Großsiedlungen der späten 1960er und 1970er Jahre waren meist weiterhin mit diesen Stereotypisierungen beladen. Kriminalität und Gewalt in den Randsiedlungen waren ein untrennbares Motiv der literarischen und journalistischen Schriften Francisco Candels, der die Peripherie eine »gesetzlose Stadt«261 nannte. Die Ursachen für die Pathologisierung und pauschale Kriminalisierung solcher Siedlungen suchte er dabei in den politischen Hintergründen von deren Entstehung : »Normalerweise, wenn eine neue Siedlung entsteht, eine Siedlung, die innerhalb eines Jahres gebaut und innerhalb einer Woche besiedelt wird, ein Kind der öffentlichen Institutionen und nicht privater Unternehmer, lebt man dort wie außerhalb des Gesetzes mit einer Dominanz von Brutalen und Gewalttätigen.«262 Nun gehörte die Großsiedlung La Mina zu den letzten großen politischen Projekten der öffentlichen Institutionen im Rahmen der Überwindung der Barackensiedlungen in Barcelona, die im Kontext des wachsenden Drucks auf das Regime – durch zunehmend größere Widerstandspotentiale in allen sozialen Schichten und Gruppierungen sowie immer lautere Forderungen nach politischem Wandel – und der darauf reagierenden Versuche des Regimes, sich selbst zu behaupten, in den Krisenjahren der späten 1960er Jahre entstanden. Die Entstehung der Siedlung war, so die Annahme, durch die Öffentlichkeit bedingt, die durch ihre starke Kritik gegenüber dem Regime letzteres zu schnellem Handeln und zur Realisierung des Projektes zwang. Gleichzeitig jedoch generierten die Massenmedien von Beginn an Bilder von La Mina, die diese Siedlung stets als pathologischen und kriminellen Raum repräsentierten. 260 Baumeister, Die Peripherie als Heterotopie, S. 22–35. 261 Francisco Candel, Apuntes para una sociología del barrio, Barcelona 1972, S. 30. 262 »Generalmente, cuando brota un nuevo barrio, un barrio de esos que se tarda un año en construirlo y una semana en poblarlo, un barrio hijo de corporaciones oficiales […] y no de entidades privadas […] se vive como fuera de la ley, con el predominio de los brutos y los violentos.«, in : Ebd.
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4.4.1 Die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Entstehung der Großsiedlung La Mina
Die Großsiedlung La Mina in Sant Adrià de Besòs, in der die meisten Bewohner aus Camp de la Bota Wohnungen versprochen bekamen, wurde als ein gemeinsames Bauprojekt der Stadtverwaltung Barcelona und des Wohnungsministeriums in Madrid als Ausdruck »eines gemeinsamen Ziels – die Barackenausmerzung in Spanien«263 realisiert. Beide Institutionen unterschrieben im Jahre 1970 ein gemeinsames Abkommen, in dem sich das Wohnungsministerium und das Wohnungspatronat in Barcelona verpflichteten, den Ausbau der Siedlung La Mina (2. Bauphase 1972–1974) zu koordinieren und gemeinsam zu leiten. Diesem Vertrag nach sollte der Staat den Bau von 2.100 Wohnungen, sieben Kinderkrippen und Kindergärten, einem Sozialzentrum und einer Pfarrgemeinde sowie mehreren Einkaufszentren finanzieren. Das Wohnungspatronat stellte wiederum mittels Enteignung Grundstücke für den Bau zur Verfügung, sorgte für die Baupläne und war dementsprechend der Bauträger und im Weiteren auch der Verwalter der gesamten Siedlung.264 Der Bau der Großsiedlung La Mina im Rahmen dieses Abkommens sollte dabei die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem 1969 personell neu besetzten Wohnungsministerium und dem Wohnungspatronat Barcelonas, dessen 25-jähriges Jubiläum man im selben Jahr feierte, demonstrieren. Dies sollte vor allem durch eine mediale Inszenierung dieser Kooperation als effektive und endgültige Lösung der Barackenprobleme der Stadt erfolgen, um der seinerzeit starken Kritik an beiden Institutionen zu begegnen. Dadurch wurde La Mina zu einem Projekt von hoher politischer Priorität sowohl des Wohnungsministeriums als auch des Wohnungspatronats. Im Jahr 1969 ging die Stadtverwaltung Barcelonas trotz vielseitiger Versprechungen noch immer von 4.000 Baracken in der Stadt und einem Defizit von etwa 800.000 Wohnungen aus.265 In diesem Kontext argumentierte die Fachpresse auf der Basis von Forschungsergebnissen der Stiftung Foessa, dass das Wohnungsproblem in Spanien noch nicht gelöst sei. Dabei lenkte die Presse die 263 El fin de las barracas, in : Barcelona Informa. Suplemento de la Gaceta Municipal, Nr. 2, 1972, S. 32–33, hier : S. 33. 264 Aportaciones municipales para la construcción de viviendas de chabolistas. Actuación en el Polígono »La Mina«, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 33, 1970, S. 78–81. 265 La situación de la vivienda en Barcelona, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 31, 1969, S. 23–26, hier : S. 23.
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Kritik vor allem auf das Barackenproblem, das zwar von der Regierung angegangen, jedoch bei Weitem nicht beseitigt werde.266 Als Beispiel dienten dabei die Zahlen des Wohnungspatronats Barcelonas : Zwischen 1950 und 1970 reduzierte sich zwar die Zahl der Baracken in der Stadt von 20.000 auf 4.000, dennoch bestand das Problem weiterhin. Insbesondere wurde in diesem Bericht betont, dass die Praxis der Umsiedlung von Barackenbewohnern aus Barcelona in die benachbarten Munizipien zwar die Zahlen in der Stadt Barcelona reduziere, insgesamt jedoch nur eine Vortäuschung von Verbesserung und keine effektive Lösung sei.267 Des Weiteren kritisierte der Bericht die soziale Segregation, die durch die Urbanisierung in Spanien entstehe und als Konsequenz die Diskriminierung in der Gesellschaft fördere. Eine solche klassenorientierte Urbanisierung werde aber, so die Presse, von allen Seiten unterstützt.268 Im Hinblick auf diese Kritik wurde die endgültige Bekämpfung des Barackenproblems für die Stadtverwaltung zu einer politischen Priorität. Die Kosten eines solchen Großprojekts konnte die Stadt jedoch nicht allein tragen, sodass die Unterstützung des Staates zwingend notwendig war. Zu diesem Zeitpunkt stand auch das Wohnungsministerium im Mittelpunkt öffentlicher Kritik, insbesondere aufgrund der Bodenspekulation und der Ineffektivität des Regimes hinsichtlich des sozialen Wohnungsbaus. Die innenpolitische Krise, die durch steigende Unzufriedenheit und Streiks unter den Arbeitern im Laufe der 1960er Jahre, Studentenunruhen 1969, starken Kritizismus seitens der jungen Priestergeneration in der Kirche sowie eine tiefe Auseinandersetzung zwischen den diversen politischen Strömungen aufgrund zahlreicher Korruptionsskandale ausbrach und 1969 zu einer Reorganisierung der Regierung führte,269 verstärkte diese Kritik zunehmend. Bereits gegen Mitte der 1960er Jahre verschärfte sich die mediale Kritik an der Bodenspekulation in Spanien. Die Tageszeitung »ABC« schrieb 1966, dass auf den als grüne Zonen deklarierten Grundstücken »von heute auf morgen prachtvolle Blöcke mit Wohnungen oder Geschäftsräumen wachsen.«270 »Der 266 La vivienda, problema no resuelto, in : La vivienda, Nr. 38, 1971, S. 44–45, hier : S. 44. 267 Ebd., S. 45. 268 Ebd., S. 45. 269 Die Reorganisation der Regierung brachte einen weiteren Machtzuwachs des Opus Dei innerhalb des Regierungs- und Verwaltungsapparats, indem 13 der 18 Ministerposten neu besetzt wurden und davon 11 Ministerien Mitgliedern des Opus Dei unterstanden. Siehe u.a.: Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 187–193, Moradiellos, La España de Franco, S. 173–191 ; Tusell, Spain, S. 217–232. 270 Especulación del suelo, in : ABC, 02.10.1966, S. 48.
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Mechanismus ist einfach«, so »ABC«, »man kauft ein Grundstück. Man wartet. Wenn einige Zeit vergangen ist, verkauft man es für den doppelten Preis. Man hat 100 Prozent gewonnen, abzüglich lediglich der Geldabwertung, die in dieser Zeit stattfand. Der neue Besitzer gewinnt weiter das Gleiche, wartet und verkauft, das heißt, er verdoppelt den Gewinn.«271 Die Zeitung machte die Bodenspekulation für zwei Folgephänomene verantwortlich : Zum einen wüchsen die Städte aus diesem Grund rasend, zum anderen verursache dies, dass trotz einer Menge existierender leerstehender, teurer Wohnungen noch immer ein riesiges Sozialwohnungsdefizit bestehe und die ökonomisch schwachen Familien zur Untermiete leben müssten.272 Zitiert wurden dabei international verfasste Statistiken, denen zufolge es in Spanien 400.000 Familien gebe, die in »menschenunwürdigen Wohnungen« leben müssten, und 600.000 weitere, die mit anderen Familien zusammenleben müssten. Dabei richtete sich die Kritik gegen das Regime, das zwar Lösungen verspreche, aber wenig tue.273 Die Ursache für den Umstand, dass es in Spanien »zu viele teure und zu wenige preiswerte Wohnungen gibt«,274 sah die falangistische Zeitung »Solidaridad Nacional« in einem Mangel an bezahlbarem Boden. »Diese Situation ist in der Erscheinung einer noch aggressiveren und unbarmherzigeren Person als der des alten ›kapitalistischen Ausbeuters‹ begründet : in der des Bodenspekulanten«,275 konstatierte die Zeitung. Dabei konnte auch das Bodengesetz von 1956, das unwirksam blieb und den spekulativen Handel mit Grundstücken trotz gegenteiliger Versprechen nicht beendete, »die Bodenspekulation, de[n] Krebs des Fortschritts und des Wohlstands, an dem die spanische Familie unserer Zeit stirbt«, nicht bekämpfen.276 Auf der Unwirksamkeit des Bodengesetzes lag im Kontext der Bodenspekulationen der Fokus zahlreicher Kritiker, laut denen das Gesetz schlicht nicht angewendet wurde.277 Dies brachte man mit mangelnden Planungs- und Kontrollmechanismen des Regimes in Verbindung. Die Kom271 »El mecanismo es muy sencillo. Se compra un solar. Se espera. Cuando pasa un cierto tiempo, se vende por el doble de lo que se pagó al comprarlo ; se ha ganado el cien por ciento menos lo que mientras tanto haya significado la depauperación de la nueva moneda. El nuevo propietario hace otro tanto, espera y revende ; es decir, vuelve a doblar.«, in : Ebd. 272 Ebd. 273 Ebd. 274 La Vivienda y la especulación del suelo, in : La vivienda, Nr. 28, 1970, S. 6. 275 Valentín Domínguez Isla, Limitado ataque a la especulación del suelo, in : Solidaridad Nacional, 04.08.1970, S. 5. 276 Ebd. 277 José Luis González-Berenguer Urrutia, La Ley del suelo, trece años despúes, in : Ciencia Urbana, Nr. 3, 1969, S. 11–16.
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munen wendeten dieses Gesetz, so die Kritiker, vor allem aufgrund mangelnder Disziplin und Autorität sowie einer stillen Zustimmung zur spekulativen Wertsteigerung durch private Bauunternehmer nicht an :278 Die Stadtverwaltungen haben in den letzten dreizehn Jahren deutlich gezeigt, dass die Umsetzung des Bodengesetzes außerhalb der Möglichkeiten und Ansprüche der Kommunen liegt. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass sie [die Realisierung des Gesetzes – A.P.] dem Innenministerium obliegt, während die Urbanisierungsdirektion dem Wohnungsministerium unterstellt ist, sehen wir deutlich, dass das Thema bereits interministeriell behandelt wird.279
Den Zusammenhang zwischen Bodenspekulation, Klientelismus in der Verwaltung und dem Erscheinungsbild der Stadt Barcelona thematisierte die Zeitung »Tele/eXpres« mit einer 1970 publizierten Karikatur : Zwei Beamte stehen vor einem Entwurfsmodell der räumlichen Stadtentwicklung Barcelonas mit diversen Großsiedlungen in Planung. Dem Titel der Karikatur nach geht es dabei um eine Begutachtung eines Bebauungsplans. Bei der Betrachtung der Karikatur entsteht der Eindruck, dass der Begutachtungsprozess keinesfalls Stress mit sich bringt, und die Zeichnung suggeriert, dass sich die beiden Beamten kennen : In Anzüge gekleidet sind diese in einer lockeren Körperhaltung, mit den Händen in den Jackentaschen und entspannt lächelnden Gesichtern dargestellt. Sie betrachten den Entwurf, welcher mehrere Großsiedlungen in unterschiedlichen, geometrisch irregulären Formen zeigt, die chaotisch und keinem Muster folgend auf die gesamte Fläche verteilt sind. Der Gutachter fragt sich Folgendes : »Ich möchte wissen, ob man hinter diesen Großsiedlungen das Meer wird sehen können.«280 Die Karikatur übte somit zeichnerisch Kritik an dem Dichtegrad, den die Stadt im Kontext von Bodenspekulation und Klientelismus im Verwaltungsapparat erreicht hatte.
278 Mario Gomez-Morán y Cima, Política del suelo y especulación, in : Ciencia Urbana, Nr. 3, 1969, S. 27–34, hier : S. 31. 279 »Los Ayuntamientos han demostrado claramente en estos últimos trece años que llevar a la práctica la política del suelo de nuestra Ley es labor que se sale de sus fuerzas o de sus aspiraciones. Si a esto se añade el que dependen directamente del Ministerio de la Gobernación mientras la Dirección General de Urbanismo pertenece al de Vivienda, vemos que el tema alcanza la categoría de interministerial […]«., in : Ebd. 280 Karikatur : »Dictamen 16/por Tisner«, in : Tele/eXpres, 15.08.1970, S. 5.
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Abb. 42 : Karikatur : »Dictamen 16/por Tisner«, in : Tele/eXpres, 15.08.1970, S. 5.
In der Atmosphäre der breiten medialen Kritik an den Verwaltungsbehörden formulierten im Jahre 1969 auch mehrere Parlamentsabgeordnete Fragen und Kritik an die Wohnungs-, Innen- und Finanzminister.281 Eine innenpolitische Auseinandersetzung in Verbindung mit Kritik an der Bodenspekulation als Folge der misslungenen Reformen und der geringen Effektivität der öffentlichen Planungs- und Kontrollmechanismen kam bereits um 1966 verstärkt zum Tragen, als das Wohnungsministerium und das Innenministerium sich gegenseitig mit Kritik und Vorwürfen bezüglich ihrer jeweiligen Arbeits(in-)effektivität überzogen.282 Von dieser Auseinandersetzung in Form einer streng vertraulichen Korrespondenz war das breite Publikum jedoch ausgeschlossen gewesen. Die Stimmen der Parlamentsabgeordneten im Jahre 1969 waren hingegen nicht mehr auf das Parlament beschränkt, sondern fanden ein vielfältiges mediales Echo und wurden somit in die breite Öffentlichkeit getragen. Die Abgeordneten sahen vor allem die zunehmende Bodenspekulation und den Mangel an bebaubaren Grundstücken als großes Problem an, das gravie281 Siehe : Cortes Españolas : Ruegos y preguntas de dos procuradores, referente a la adopción de medidas en relación con el problema social de la vivienda, in : La vivienda, Nr. 22, 1969, S. 2–6. 282 Ministerio de la Gobernación, Nota al informe del Ministerio de la Vivienda sobre medidas para corregir la especulación sobre el suelo, septiembre 1966 ; Ministerio de la Vivienda, Informe sobre las medidas convenientes para corregir la especulación sobre el suelo, septiembre 1966, in : AGA (08) 011.019 53/02218
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rende Konsequenzen für die nationale Wirtschaft und die Sozialpolitik habe. Sie beklagten »aufgrund der enormen finanziellen Wirkung des Bodenpreises auf die Wohnungspreise«283 die Unmöglichkeit, in Spanien Wohnungen für Arbeiter und die Mittelschicht zu bauen. Als Konsequenz wurden »oft ganze Siedlungen um die Städte herum ohne elementare soziale und urbane Infrastrukturen gebaut«.284 Zudem machten sie auf die langen bürokratischen Bearbeitungsprozesse als Nachteil für die Bauprojekte aufmerksam. Der Fokus wurde an dieser Stelle besonders auf die Behörden gerichtet, die gegeneinander agierten, äußerst selten zusammenarbeiteten und anschließend ihre Langsamkeit und Ineffektivität nicht verantworten mussten. Insesondere die kommunalen und staatlichen Verwaltungsbehörden seien nicht in der Lage oder nicht willens, an einem Strang zu ziehen : »In diesem Sinne sündigt die Verwaltung«, schrieben die Parlamentsabgeordneten, weil bei gleichzeitiger Langsamkeit der administrativen Antragsbearbeitungen »das Bodengesetz nie vollständig angewendet« und »die Koordinierung der stadtplanerischen Funktionen in diversen Organen bemängelt« wurde. Die Abgeordneten schlossen, dass all diese Faktoren wesentlich die Steigerung der Boden- und Baupreise beeinflussten.285 Sie forderten konkrete Schritte und Reformen für eine »realistische Wohnungspolitik in der Zukunft.«286 Zugleich schlossen sich diesen Kritikern auch katalanische Parlamentsabgeordnete an und wiesen auf bestehende Probleme in der Region hin. Man bezweifelte vor allem die Effektivität der versprochenen Beseitigung der Baracken. Während das Wohnungspatronat kalkulierte, dass mit den neuesten Großsiedlungsplänen etwa 70 Prozent der Barackensiedlungen liquidiert werden konnten, wurde dieses Versprechen als erfolglos angesehen, wenn das Problem staatlicherseits nicht komplett gelöst werde. Man wies darauf hin, dass die Zahl der Baracken und der darin lebenden Menschen stets wachse. Ließe man die verbleibenden 30 Prozent ohne Lösung, würde diese Prozentzahl rasch größer, und das Problem bliebe bestehen, so das Argument.287 Dabei seien die Kosten der vollständigen Behebung des Problems für den Staat gering : »eine Zahl, die in der Wirklichkeit lächerlich ist in Hinblick auf eine radikale Lösung dieses schwerwiegenden Problems. Wenn wir das nicht so machen, wäre dies ähnlich, 283 La vivienda, Nr. 22, 1969, S. 2. 284 Ebd. 285 Ebd. 286 Ebd., S. 4. 287 Mundo, 08.01.1972, S. 17.
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wie wenn man einen verfaulten Apfel vom Baum entfernen und einen anderen, kleineren dort lassen würde, damit er mit einem Wurm weiter wächst.«288 In diesem Zusammenhang wurde im Parlament konkret die Frage gestellt, welche Maßnahmen das Wohnungsministerium plane, um das Problem der Baracken und aller nichtsanierten Wohnungen im Lande zu beenden, über welche Statistiken das Ministerium in Hinblick auf die Zahl der Baracken im Lande und in jeder Provinz verfüge und wieviel Zeit das Ministerium für die Beseitigung der Baracken einkalkuliere. Des Weiteren wurde gefragt, ob das Ministerium in den Wohnungsbauplänen die tatsächliche gesellschaftliche Nachfrage und reale Notwendigkeiten im Blick habe, wie viele Wohnungen notwendig seien, um jedem bedürftigen Bewohner eine Wohnung bereitzustellen, und schließlich – wenn all diese Fragen positiv und realistisch betrachtet werden könnten – wie viele Wohnungen man jährlich bauen müsse, um diesen Zustand beizubehalten.289 In Antwort auf diese umfangreiche Kritik wandte sich der 1969 neu berufene Wohnungsminister und Straßenbauingenieur Vicente Mortes Alfonso (1969– 1973290) im spanischen Fernsehen mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Er versprach, das bürgerliche Partizipationsrecht zu gewährleisten : Ich verstehe, dass ein Volk, das sich seinem Recht auf bürgerliche Partizipation bewusst ist, verantwortungsvoll und wahrheitsgetreu informiert werden muss. Und deshalb, indem ich meine politische Aktivität der Kritik aller Spanier unterziehe, hoffe ich, Sie für eine Mitarbeit zu gewinnen. Gleichzeitig akzeptiere ich und bedanke ich mich für alle Kritiken und Hinweise, die an meine Art der Führung des Wohnungsministeriums gerichtet sind.291
Durch die Auswahl des Mediums Fernsehen, das seit den 1960er Jahren zu den beliebtesten Massenmedien in Spanien gehörte,292 beanspruchte der Minister
288 El problema del barraquismo en Barcelona, in : La Vanguardia, 21.01.1972, S. 7. 289 Mundo, 08.01.1972, S. 17. 290 Zu Vicente Mortes Alfonso siehe u.a. in : Los 90 ministros de Franco, S. 308–312. 291 »Entiendo que un pueblo, consciente de sus derechos de participación ciudadana, tiene que ser informado veraz y responsablemente. Y al hacerlo así, al someter mi actuación pública al criterio de los españoles, espero merecer su colaboración, al tiempo que acepto y agradezco todas las críticas y sugerencias que mi gestión al frente del Ministerio de la Vivienda comporte.«, in : Conversaciones con el Ministerio de la Vivienda, in : Foviso. Boletín informativo, Nr. 30, 1970, S. 1–5, hier : S. 2. 292 Im Jahre 1964 hatten bereits acht von zehn Haushalten einen Fernseher zu Hause, in : Gracia García, Ruiz Carnicer, La España de Franco, S. 296–300.
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»einen unabdingbaren Dialog«293 zu führen sowie den Anschein von Nähe des Politikers zu den Problemen der städtischen Bewohner zu erzeugen : Ich weiß, dass ein großer Teil von Ihnen mich gerade von einer bequemen Wohnung aus sehen kann. Aber ich weiß auch, dass viele, zu viele von Ihnen, als dass ich ruhig schlafen könnte, mich aus einer Baracke, aus einem dörflichen Wohnraum, in welchem es keine notwendigen Infrastrukturen gibt, oder aus einem öffentlichen Lokal hören, in welches Sie durch die Unbequemlichkeit der eigenen Unterkunft vertrieben worden sind.294
Den Wandel der Beziehungen zwischen den Bürgern und dem Staat sollte auch die beachtliche Dosis Selbstkritik an der bisherigen Urbanisierungs- und Wohnungspolitik betonen.295 Während noch im gleichem Jahr 1969 der vorherige Wohnungsminister Martínez y Sánchez-Arjona versichert hatte, dass das Problem der Bodenspekulation den sozialen Wohnungsbau nicht betreffe und auch nie betreffen werde,296 fokussierte Vicente Mortes Alfonso seine Rede auf die Bodenspekulation, die ein »sozialer Missstand« sei, den »alle toleriert haben« : »Der Kauf und der Verkauf von Grundstücken wurden zu den lukrativsten Geschäften im Lande, und das ist weder logisch noch gerecht«,297 sagte der Wohnungsminister. Darüber hinaus betonte er, dass zum Teil die öffentlichen Verwaltungsbehörden dafür verantwortlich seien, weil sie im Durchschnitt vier Jahre brauchten, um Agrarboden infrastrukturell zu erschließen und zu bebauen, ihn also zu urbanisieren. Diese Tatsache sollte demnächst durch neue Gesetze und Reformen geändert werden.298
293 Una política para los años 70. Intervención del Ministro de la Vivienda, D. Vicente Mortes Alfonso en Televisión Española, 19 de diciembre de 1969, hg. v. Ministerio de la Vivienda, Madrid 1970, S. 1. 294 »Se que buena parte de ustedes me están viendo desde una habitación confortable. Pero sé también que muchos otros, demasiado numerosos para que yo pueda dormir tranquilo, me están oyendo desde una chabola, desde una vivienda campesina, que no disponen de los más indispensables servicios, desde un local público al que les ha empujado la propia incomodidad del techo […].«, in : Foviso, Nr. 30, 1970, S. 2. 295 Intervención del Ministro de la Vivienda, D. Vicente Mortes Alfonso, en Television Española, in : La Vivienda, Nr. 27, 1970, S. 2–5. 296 Especulación del suelo, in : La vivienda, Nr. 24, 1969, S. 33. 297 Foviso, Nr. 30, 1970, S. 3. 298 Ebd.
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Vicente Mortes Alfonso betonte des Weiteren die Notwendigkeit, den Wohnungsbau speziell an den finanziellen Möglichkeiten aller Spanier auszurichten. Spanien baue zwar im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ähnlich viele Wohnungen, allerdings würden hier, anders als im restlichen Europa, kaum Mietwohnungen gebaut, die auch für die finanziell schwachen Schichten tragbar seien. Die Zahl der Mietwohnungen sinke dramatisch, wobei »es zu viele teure Wohnungen gibt und es extrem an erschwinglichen Wohnungen mangelt«299 : »Wir müssen allen spanischen Familien Wohnungen zur Verfügung stellen. Wohnungen mit guter Qualität und zu für die Arbeiterschaft erschwinglichen Preisen.«300 Zudem konzentrierte er sich auf das Problem derjenigen, die zur Untermiete oder in Baracken leben mussten. Diesen Menschen versprach Mortes Alfonso, mehr Mietwohnungen zu bauen. Er versprach auch eine stärkere Kontrolle der Qualität von Baumaterialien und Bauarbeiten wie auch der Nutzung staatlicher Subventionen. Er betonte, dass eine solche Qualitätskontrolle im Bereich der Sozialwohnungen besonders relevant sei, damit die Arbeiter kein Geld für spätere Reparaturen ausgeben müssten. Im Hinblick auf diese öffentliche Auseinandersetzung sollte das vom Wohnungsministerium und dem Wohnungspatronat der Stadtverwaltung Barcelona unterschriebene Abkommen zum Ausdruck einer neuen Sozialpolitik des Regimes werden, die »für das Jahr 1975 eine Stadt ohne Baracken«301 versprach. Die im Rahmen des Abkommens gebaute Großsiedlung La Mina sollte wiederum zu einem erfolgreichen Symbol der Kooperation zwischen den öffentlichen Institutionen im Rahmen der Wohnungspolitik avancieren : »Das Barackenproblem ist im Grunde genommen ein Problem der Munizipien. Der Minister ist sich dennoch der Schwierigkeiten und des Mangels an Finanzmitteln der Munizipien bewusst, sodass er immer wieder zeigen wird, wie auch in diesem Fall, dass er bereit ist, bei der Lösung dieses Problems zu helfen, soweit es ihm möglich ist«,302 betonte Wohnungsminister Vicente Mortes Alfonso.
299 Ebd., S. 4. 300 Ebd., S. 2. 301 En 1975, sin barracas en nuestra ciudad, in : Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, Nr. 39, 1972, S. 75–78, hier : S. 75. 302 »El barraquismo es un problema esencialmente municipal, pero en su solución, el Ministro, consciente de las dificultades y en muchos casos de la escasez de los recuros de los municipios, seguirá demostrando, con hechos como éste que estamos viviendo, que está dispuesto a ayudar cuanto lo sea posible«, in : Discurs inauguracio del Barri de la Mina, in : ASAB, Estudis de la Mina, caixa 1, unpag.
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Der Bau der sog. Mina Nueva – die neue Mina - im Rahmen der zweiten Bauphase zwischen 1972 und 1974 wurde nach Entwürfen der Architekten der sog. Gruppe L-35 durchgeführt ( José Ignacio Galán, José Martínez Honrubia, Juan F. de Mendoza und Guillermo Murtra).303 Sie planten, in diesem Bauprojekt weiträumige freie Flächen zu kreieren, zugunsten derer jedoch die Wohnräume stark verdichtet werden mussten. Demnach wurden auf einem 17,5 Hektar großen Terrain insgesamt zwanzig horizontal und zueinander parallel situierte Wohnblöcke mit 2.681 Wohnungen in der Größe von 59, 62 und 77 Quadratmetern gebaut.304 Da die Siedlung rasch und mit stark reduzierten Kosten gebaut werden sollte, nutzten die Architekten Fertigbauteile in Form quadratischer Module mit fünf Metern Breite (jede Wohnung benötigte eineinhalb Module), die aufeinander und nebeneinander gestellt wurden.305 Die Nutzung dieser Fertigbauteile hatte in Spanien im Vergleich zu Frankreich, Deutschland und England weitgehend verspätet begonnen und war meist umstritten. Zwar hatte man aufgrund der starken Zuwanderungswelle und Wohnungsnot in Fachkreisen über den Einsatz dieser Bauweise bereits zu Beginn der 1950er Jahre diskutiert, dennoch optierte man im Bauwesen weiterhin vor allem für handwerkliche Arbeit. Erst in den 1960er Jahren wurde der Fertigbau von den privaten Bauunternehmen weitgehend eingesetzt,306 wenn er auch gleichzeitig in Verbindung mit der Spekulation und Gewinnmaximierung in der Öffentlichkeit stark in die Kritik geriet.307 Besonders seit Mitte der 1960er Jahre, als der Fertigbau in den Großsiedlungen der Stadtränder verstärkt genutzt wurde, nahm in Fachkreisen die Kritik zu, dass der Fertigbau eine Minimalisierung der Fassaden und eine Maximalisierung der Wohnungszahl pro Wohnblock sowie eine Vermehrung von weit entfernten, dicht bebauten und von der Kernstadt abgegrenz303 In der zweiten Bauphase führten die Architekten des Wohnungsministeriums ( Juan Núñez, José Martínez Iglesias) die Bauarbeiten gemeinsam mit der Architektengruppe L-35 und der Baufirma FICEA (Fomento de Obras y Construcciones e Ingeniería y Construcción Sala Amat) aus, in : La Mina : un polígono del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona, in : Jano. Arquitectura & Humanidades, Nr. 21, 1974, S. 51–66, hier : S. 51. 304 Daniela Gutiérrez, Tina Urena, Polígono La Mina, junio 1980, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig, Bl. 5. 305 Jano, Nr. 21, 1974, S. 52. 306 Helena Aguilar, Los inicios de la prefabricación en la década de 1950, in : Un siglo de vivienda social, Bd. 2, S. 47–49 ; Muñoz, Contrapunto : La vivienda en Madrid, S. 143. 307 Vgl.: Ignacio Paricio Ansuátegui, Las razones de la forma en la vivienda masiva, in : Cuadernos de Arquitectura y Urbanismo, Nr. 96, 1973, S. 2–18 ; Josep María Montaner, La vivienda en Cataluña, de los años cincuenta a nuestros días, in : A&V. Monografías de arquitectura y vivienda, Nr. 11, 1987, S. 24–29, hier : S. 26.
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ten Großsiedlungen ermögliche.308 Der Architekt Mario Gómez-Morán y Cima fügte kritisch hinzu, dass die Verbilligung des Bauprozesses durch den Einsatz der Fertigbauweise die Preise der Wohnungen keinesfalls beeinflusse könne. Die Prämisse der Fertigbaubefürworter, dass Wohnungen teuer seien und deshalb der Wohnungsbau billiger werden müsse, brandmarkte Mario Gómez-Morán y Cima als grundfalsch ; vielmehr sollte auf dem Wohnungsmarkt eine Preisbremse installiert werden. Gómez betonte dabei, dass der günstigere Bauprozess Wohnungen nicht preiswerter mache, sondern es dem Bauträger erlaube, seinen Gewinn zu vermehren. Gómez-Morán y Cima beurteilte den Fertigbau als nur in den entwickelten westlichen Industriestaaten einsetzbar, wo Migrationen in der Regel keine dramatischen Zahlen annahmen und die Marktmechanismen daher konstant und stets kontrollierbar blieben.309 Angesichts der weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem Fertigbau versuchte das Wohnungspatronat die Verwendung von Fertigbauteilen beim Bau der Großsiedlung La Mina durch eine Filmreportage aufzuwerten, die den technischen Fortschritt im Dienst des sozialen Wohnungsbaus ins Zentrum stellte. Zu diesem Zweck begleitete ein Filmteam im Auftrag des Wohnungspatronats den gesamten Bauprozess, um das Funktionieren der eingesetzten Fertigbauteile und deren Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit und Effektivität, die »nun die Übergabe von Wohnungen innerhalb von 22 Monaten erlaubte«,310 vorteilhaft ins Licht zu rücken. Das Regime präsentierte den fertigen Film, »Polígono La Mina« (1972), als einer breiten Öffentlichkeit zugänglichen Möglichkeit, auf der Baustelle präsent zu sein und die Entstehung von La Mina selbst zu bezeugen. Zwar nutzte das Regime das Medium Film von Beginn an zu Propagandazwecken ; gleichwohl erlaubte dies dem Zuschauer erstmals, einen derartigen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Die öffentlich geführte Auseinandersetzung zwischen den Parlamentsabgeordneten, die darauffolgende selbstkritische Fernsehansprache des Wohnungsministers wie auch die anschließende Möglichkeit, den Bauprozess des Großprojekts La Mina Schritt für Schritt öffentlich nachzuvollziehen, sollten nun den Eindruck einer demokratischen Wandlung hin zur Partizipation der Bürger am stadtbezogenen Geschehen erwecken.
308 Ignacio Paricio Ansuátegui, Las razones de la forma en la vivienda masiva, in : Cuadernos de Arquitectura y Urbanismo, Nr. 96, 1973, S. 8. 309 Mario Gómez-Morán y Cima, Sociedad sin vivienda, Madrid 1972, S. 211–212. 310 »Polígono La Mina«, Reg. Jesús Martínez Muñoz, Roberto Ayala, 1972, in : Filmoteca de Catalunya, Sig. 17027.v/02.
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Zugleich sollte die Großsiedlung La Mina als Erfolg der vorgenommenen Baupolitik durch das Medium Film inszeniert werden : Im Auftrag des Wohnungspatronats entstand die Filmreportage »Una Llave«311 (»Der Schlüssel«), die den Umzug einer Familie von Camp de la Bota nach La Mina filmisch begleitete. Die neue Wohnung in La Mina änderte nicht nur das Leben der gezeigten Familie im Hinblick auf Hygiene und häuslichen Komfort, sondern ermöglichte ihr auch einen sozialen Aufstieg. Dieser wurde dabei nicht nur mithilfe kontrastierender Bilder inszeniert – hier die Baracke, dort eine moderne und große Wohnung ; hier die ländlich geprägte Barackenausstattung, dort moderne Möbel und Einrichtung ; hier die ländliche Umgebung, dort moderne Kinderkrippen, Schulen, Läden und Cafés –, sondern auch von unterschiedlicher Musik begleitet : Während die Bilder aus der Siedlung Camp de la Bota mit einer Flamenco-Musik unterlegt wurden, wechselte der Soundtrack bereits während der Umzugsreise mit dem Lastwagen in die Stadt zu moderner, elektronischer Musik der 1970er Jahre. Die Verbindung zwischen den visuellen und den akustischen Eindrücken sollte im Film die jeweilige Situation der Barackenbewohner charakterisieren und mit den Triumphklängen der zentralen Sequenz, in der die Familie mit dem Schlüssel die neue Wohnung öffnet und diese betritt, auch den Triumph der Politik deutlich machen. Sollte nämlich der Bau La Minas die Stadt endgültig von Baracken befreien, so ließ sich die Metaphorik interpretieren, so war damit der Wandlungsprozess von der archaischen ruralen Gesellschaft Spaniens hin zur modernen industrialisierten Gesellschaft vollendet. Doch trotz der aufwändigen Bemühungen seitens des Wohnungspatronats, die Großsiedlung La Mina in ein positives öffentliches Licht zu stellen, hatte die Siedlung in der Öffentlichkeit ein sehr schlechtes Image, und das noch bevor sie überhaupt vollständig bewohnt war. 4.4.2 Von der Marginalisierung zur Kriminalisierung. Die Großsiedlung La Mina als Repräsentation einer gezielten Marginalisierung der Stadtperipherien ?
Betrachtet man die Pläne der Siedlung La Mina, die zwischen den alten Industriegebieten Barcelonas und der Siedlung Besòs entstand, erscheint diese als eine viereckige Einheit, die im Nordosten durch den Fluss Besòs, im Südosten durch die Bahnlinie und das Meer und im Nordwesten durch die Landstraße Barcelona-Mataró stadtplanerisch eingegrenzt wurde. 311 Una llave, Reg. Julio Ubiña, ohne Dat., vermutlich 1974, in : Filmoteca de Catalunya, Sig. 17024.v/02.
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Abb. 43 : Plan der Großsiedlung La Mina. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal.
Diese Lage zwischen Meer, Fluss und Verkehrsknotenpunkt wurde von Anfang an von Stadtkritikern als eine »nach innen geschlossene Einheit ohne Verbindung mit dem Stadtkern« interpretiert.312 In dieser »geschlossenen Einheit« lebten insgesamt rund 15.000 Personen.313 Die meisten Bewohner (469 Familien) zogen aus Camp de la Bota nach La Mina. Im Weiteren wurden Familien aus den Barackensiedlungen in Montjuïc (397 Familien), La Perona (352 Familien) und Can Tunis (310 Familien) umgesiedelt. Die meisten dieser Familien waren Zuwanderer aus den ländlichen Gebieten vorwiegend Andalusiens (70,1 Prozent), aber auch aus Kastilien und Extremadura (15,9 Prozent), Murcia, Valencia und Aragon (9,5 Prozent), Galizien und Asturien (3,9 Prozent) sowie Baskenland und Navarra (0,8 Prozent), die um 1955 nach Barcelona gekommen waren.314 20 Prozent der neuen Bewohner von La Mina waren Roma-Familien. Die Siedlung bedeutete für die Stadt Sant Adrià de Besòs einen weiteren Zuwachs von 312 Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 75. 313 Daniela Gutiérrez, Tina Urena, Polígono La Mina, junio 1980, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig, Bl. 5. 314 Ebd., Bl. 6.
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23.188 auf 36.520 Einwohner,315 von denen die meisten im Rahmen der Entballungspolitik Barcelonas aus unterschiedlichen Barackensiedlungen umgesiedelt wurden. Das rasche Wachstum, die Zusammenstellung der Bewohner und zuletzt auch die Lage der Großsiedlung sowie ihre räumliche Form und Struktur wurden von Beginn an in der Öffentlichkeit als repräsentatives Beispiel einer gezielten Marginalisierung (marginalización programada)316 dargestellt ; zugleich wurde La Mina zum Paradigma der Jugendkriminalität, was dem Regime als Pathologisierung der Siedlung zur Last gelegt wurde. Laut den Sozialassistentinnen der Siedlung, die von Beginn an eine Hilfsstelle für die Anpassung der Barackenbewohner an das Leben in der neuen Siedlung einrichteten, hatte der Verlauf des Umsiedlungsprozesses eine negative Auswirkung auf die Integration und die soziale Problemlage und führte im Endeffekt zur Marginalisierung der Siedlung. Die Umsiedlung der Bewohner fand sukzessiv ab 1970 statt, intensivierte sich 1973/74 und wurde im Jahr 1974 beendet. Die Sozialassistentinnen betonten dabei, dass die meisten Familien aus den Baracken mit großer Hoffnung und Vorfreude in die neuen Wohnungen einzogen. Dies sei vor allem für die ersten Umsiedler charakteristisch, die dies aus eigenem Wille taten und sich trotz der Probleme relativ schnell an die neue Lebensweise gewöhnten.317 Problematisch war jedoch die Situation der von den öffentlichen Stellen zum Umzug gezwungenen Familien. Für manche Familien, die sich meist mit schweren sozialen Problemen konfrontiert sahen, waren die Baracken eine ideale Wohnungsform gewesen, zum Teil auch deshalb, weil sie diesen Wohnraum ständig und von offizieller Seite unbeachtet wechseln konnten. Auch manche Roma-Familien wollten nur ungern in die neue Siedlung ziehen, da sie eher eine nomadische Lebensform führten. Da die Stadtverwaltung jedoch darauf fixiert war, alle Baracken in der Stadt zu entfernen, wurden deren gesamte Bewohner zwangsmäßig umgesiedelt. In diesem Sinne gab es, den Beurteilungen der Sozialassistentinnen nach, enorme Unterschiede zwischen den Bewohnern der verschiedenen Siedlungsteile der beiden Bauphasen, wie auch in der zweiten Bauphase zwischen den zuerst und den zuletzt umgezogenen Familien. Die Familien, die sich am vehementesten weigerten umzuziehen, kamen zuletzt in die Siedlung. Die Pflicht, in La Mina leben zu müssen, war laut den Sozialassistentinnen auch der Grund dafür, dass eine Gruppe von sozial schwa315 Monferrer i Celades, Història del barri de la Mina, S. 38. 316 Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 71. 317 María Rosa Batllía u.a., Adaptación de barraquistas a núcleos de viviendas, in : Revista de Trabajo Social, Nr. 51, 1973, S. 43–58. Vgl.: Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 75.
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chen, teils kriminell auffälligen Familien gezwungen werde, dort zusammenzuleben, während der Umzug in eine Wohnung eigentlich als freiwillige Option gedacht sei, aber kein Muss darstellen solle.318 Unter solchen Familien würden neben dem Phänomen des Analphabetismus (insgesamt 12 Prozent der Bevölkerung)319 vor allem Probleme mit deren Kindern wie Schulverweigerung (oft in den Roma-Familien), Mangel an Integrationsfähigkeit und Jugendkriminalität beobachtet.320 In diesem Sinne, so betonten die Sozialassistentinnen, stifte das Aufeinandertreffen aller Barackenbewohner in einer Großsiedlung nicht nur Konflikte und Anomalien innerhalb der Gemeinschaft. Vielmehr stießen die Bewohner auch auf Ablehnung und somit Marginalisierung von außen durch die anderen Stadtbewohner, und in manchen Fällen sei Diskriminierung auch innerhalb der Siedlung unter den Bewohnern von La Mina selbst spürbar.321 Während ein schwieriges Umfeld und finanzielle Probleme von Soziologen ohnehin als wichtige Faktoren für ein Abrutschen von Jugendlichen in die Kriminalität gesehen wurden, waren solche sozialen Probleme in La Mina im Kontext der steigenden Arbeitslosigkeit besonders häufig zu beobachten. Zu Beginn der 1970er Jahre und verstärkt um 1973/74 kam es infolge der internationalen Ölkrise in Spanien zur Wirtschaftskrise, gefolgt von einer Stagnation des Wachstums und schließlich einer Steigerung der Arbeitslosigkeit. Die Region Barcelona verlor auf diesem Wege 18 Prozent der Arbeitsplätze und erreichte somit eine Arbeitslosenrate von 20 Prozent.322 Die Krise machte sich unter den nicht qualifizierten Arbeitern besonders bemerkbar, zu welchen u.a. die Bewohner von La Mina gehörten. Während es in der Stadt Sant Adrià de Besòs insgesamt 5.030 Arbeitslose gab, was 37 Prozent der Bevölkerung entsprach, waren es in der Siedlung La Mina mit 2.426 Personen bereits 55 Prozent der Bevölkerung.323 In diesem Zusammenhang entstehende Familienprobleme und mangelnde Kommunikation innerhalb der Familien waren laut den Soziologen oft dafür ausschlaggebend, dass Jugendliche den Schulbesuch verweigerten, oft 318 Batllía, Adaptación de barraquistas, S. 49. 319 PMV, Departamento de Trabajo Social, La Mina. Juny 1977, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig, Bl. 7. 320 Problemática infantil de la Mina, julio 1978, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig. 321 Batllía, Adaptación de barraquistas, S. 43–58 ; Montserrat Colomer, La lucha urbana en el Barrio de »La Mina«, in : Revista de treball social, Nr. 68, 1977, S. 11–20, hier : S. 12. 322 Vgl.: Joan Trullén u.a., Barcelona frente a la crisis. Reestructuración productiva, reconstrucción urbana y política ecónomica municipal (1979–1986), Barcelona 1987, S. 39–79. 323 J.F. Marín, Sant Adrià, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig., unpag.
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selbst arbeiten mussten und Probleme mit der Anpassung an die neue Umwelt hatten.324 Die meisten solcher Probleme seien unter den Zuwanderern zu beobachten, deren schwieriges Leben und deren Enttäuschung vom Großstadtleben dazu führten, dass ihre Kinder als zweite Generation »schwache, schlecht und defizitär formierte Persönlichkeiten« seien, die sich durch jugendliche Aufsässigkeit in Richtung Marginalisierung und Kriminalität entwickeln würden. Die räumlichen Konstellationen der neuen Stadt an den Peripherien galten unter den Soziologen in Verbindung mit den spezifischen sozialen Beziehungen als Brutstätte der Kriminalität. Die zugewanderten Familien sähen sich dort mit vielen Problemen, etwa mit Wohnungs- und Schulmangel, mit Arbeitsproblemen und niedriger Entlohnung konfrontiert. Zudem stießen sie in der neuen Stadt auf enorme kulturelle und sprachliche Unterschiede, auf einen Mangel an sozialen Netzwerken und Familie, was sich psychologisch stark belastend auswirke. Außerdem, so die Soziologen, gebe es in der Anonymität der Großstadt keine soziale Kontrolle wie auch säkularisierungsbedingt keine moralische Instanz, so wie dies in den Herkunftsdörfern der Fall gewesen war. Insgesamt seien die Zuwanderer gezwungen, von »einem einfachen, einfarbigen Leben auf ein sehr kompliziertes, mehrfarbiges und dadurch desorientiertes Leben überzuspringen.«325 In diesem Sinne wurde La Mina für die Soziologen zum räumlichen Schauplatz von Jugendproblemen und zerrütteten Familienverhältnissen und somit zum Paradigma einer Brutstätte der Kriminalität. Die Struktur und Form der Siedlung unterstützte nämlich in dieser Lesart die Desintegrationsfunktion von La Mina noch zusätzlich. Die Experten kritisierten in diesem Zusammenhang, dass der geplante, dicht besiedelte Wohnraum durch den Einsatz von Beton zu einem »Siedlungslager« (barrio almacén) und »Familiencontainer« würde : »Die Wohnblöcke wachsen aus dem Boden wie eine Zementmasse, die in Zelleinheiten formiert ist und einer fortschrittlichen Technik industrieller Lagerung folgt und somit zu einem Container für Familien wird.«326 Eine bildliche Darstellung dieser Vorstellung der Siedlung ist in zahlreichen Fotografien wiederzufinden, die die soziologischen Untersuchungen begleiten sollten und unter welchen die 324 La problemática de la marginalidad social en Barcelona, hg. v. Instituto de Reinserción Social, Barcelona 1970, S. 17. 325 Ebd., S. 19–25. 326 »Los bloques se levantan en el suelo como moles de cemento formados por unidades celurales que siguendo una avanzada técnica de almacenamiento industrial, se convierten en contenedores de familias«, in : Estudio de la estructura urbanística del Barrio de la Mina, 1980, in : ASAB, Estudis de la Mina, caixa 1, Bl. 17.
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Abb. 44 : Das Bild wurde u.a. in einer soziologischen Studie veröffentlicht, in : Barri de la Mina. Proposta de treball comunitari, hg. v. Família i Benester Social, Barcelona 1988. Quelle : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal.
Aufnahmen der Fassaden besonders prägnant sind : Das gesamte Bild wird von einem Ausschnitt aus der Blockfassade ausgefüllt, in der zahlreiche identische Wohnungen ohne Individualisierungsmerkmale, nur durch ihre Fenster angedeutet, wie in einem Container übereinander geschachtelt wurden. Durch die Dimensionen eines großen Wohnblocks und kleiner Fenster erscheint alles insgesamt monoton und anonym. In der Tat bezogen sich die Kritiker sowohl auf die Dimensionen der Wohnblöcke und auf das verwendete Baumaterial als auch auf die extreme Verdichtung der Siedlung : Während in Barcelona 221 Bewohner pro Hektar und im Stadtzentrum, das als am dichtesten bewohnt galt, 531 Personen pro Hektar lebten, betrug diese Zahl in La Mina 864 Bewohner pro Hektar. Durchschnittlich sollten zudem in La Mina 5,6 Personen in einer Wohnung leben, während diese Zahl in Barcelona 3,3 Personen betrug.327 In diesem Sinne verglichen die Soziologen die neue Siedlung mit den von den Bewohnern vorher bewohnten Bara327 La Mina. Juny 1977, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig, Bl. 6.
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Abb. 45 : In den zahlreichen zeitgenössischen Bildern von La Mina wurde vor allem die Seelenlosigkeit der Betonarchitektur dieser Großsiedlung betont. Quelle : Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona, Sig. 33-01-217.
cken. Man unterstrich, dass die Menschen in den Baracken in einer horizontalen Linie auf Straßenniveau nebeneinander gelebt hatten, während die Bewohner in der Siedlung nun vertikal, einer über dem anderen, wohnten. Die Struktur fördere somit nicht ein wohlwollendes Zusammenleben, sondern führe zu Überfüllung, Anonymität zwischen den Nachbarn und fehlender sozialer Kontrolle, was stets Konflikte und Kriminalität unterstütze.328 Auch die Straßen seien wenig förderlich für Integration und Zusammenleben, da sie zu breit konzipiert seien und sich dadurch von den Fußgängerflächen nicht klar abgrenzten. So gebe es mehr Platz für Autos und weniger für Fußgänger.329 Insgesamt betonten die Soziologen einen hieraus entstehenden Mangel an Identifikation und Identität, der auf Individualismus und fehlende Solidarität für gemeinsame Probleme deute.330 328 Família i Benester Social, Barri de la Mina. Proposta de treball comunitari, Barcelona 1988, S. 22. 329 Vgl.: Ebd., S. 23. 330 Estudio de la estructura urbanística del Barrio de la Mina, 1980, in : ASAB, Estudis de la Mina, caixa 1, Bl. 21.
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Die Großsiedlung La Mina wurde somit zu einem prägnanten Beispiel einer »vertikalen Barackensiedlung« (barraquismo vertical). Dieser Begriff, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der stadtkritischen Öffentlichkeit etabliert hatte, zielte auf den Vergleich zwischen den vom Regime bekämpften Baracken und der von den öffentlichen Institutionen für deren Liquidierung aufgebauten Siedlungen an den Stadträndern. Den Kritikern zufolge bestand der Unterschied lediglich in der Veränderung der räumlichen Anordnung der neuen Wohnungen und in einer neuen, modernen, urbanen Struktur, während jedoch der Mangel an Infrastrukturen und der Grad der Beschädigung solcher Siedlungen durch Vandalismus und Verfall gleich blieben. Zudem wurden »die Ghettos der vertikalen Baracken [als] wirkliche Friedhöfe des sozialen Lebens« abgetan, in denen trotz der Tatsache, dass dort die meisten Menschen aus dem gleichen Herkunftsort lebten, weder die alten Traditionen kultiviert, noch neue gelernt würden.331 Die Problematik der Vertikalität spießte der katalanische Künstler Cesc zeichnerisch in einer Karikatur in der Zeitung »El Correo Catalán« auf :332 Auf einer Seite der Zeichnung wächst eine Barackensiedlung in die Höhe, während gegenüber die neuen Wohnblöcke hochgezogen werden. Die Pointe liegt darin, dass die beiden Siedlungen zwar in der Bildunterschrift als unterschiedliche Evolutionsstufen – »ohne Urbanisierung« vs. »mit Urbanisierung« – klar voneinander abgegrenzt werden, sich in ihrem Mangel an Infrastruktur jedoch vollkommen gleichen. Die Großsiedlung La Mina wurde somit zum Inbegriff der Seelenlosigkeit der hochgeschossigen Betonarchitektur und der monotonen Umgebung, die sich negativ auf das Zusammenleben der Bewohner auswirkte und zur Distanznahme von Formen der bürgerlichen Öffentlichkeit führte. In diesem Sinne wurde diese Großsiedlung in den Fachkreisen zum prägnanten Beispiel der generell empfundenen »Krise der Stadt«, die den Zerfall innerstädtischer Viertel, das Fehlen städtischer Infrastruktur und die Wandlungen in der Sozialstruktur der städtischen Bevölkerung diagnostizierte.333 Die Stadt wurde demzufolge als »Erzfeind des Menschen« empfunden, weil dieser dort nicht nur giftige Abgase einatmen müsse, sondern auch stets von Autos bedroht werde, die mit hoher Geschwin331 Martí, Moreno, Barcelona ¿a dónde vas ? S. 120. 332 El Correo Catalán, 21.05.1970, S. 4. 333 Vgl.: Manuel Eisner, Das Ende der zivilisierten Stadt ? Die Auswirkung von Modernisierung und urbaner Krise auf Gewaltdelinquenz, Frankfurt/Main 1997, S. 91–107 ; Klaus Weinhauer, Kriminalität in europäischen Hochhaussiedlungen : Vergleichende und transnationale Perspektiven, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2013, S. 35–47.
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Abb. 46 : »Ohne Urbanisierung« – »Mit Urbanisierung«, in : El Correo Catalán, 21.05.1970, S. 4.
digkeit ununterbrochen an ihm vorbeiführen, und weil dort die Kriminalität mit einer derartigen Wucht blühe, dass sie nicht mehr zu stoppen sei.334 Diese Krisenwahrnehmung wurde durch die lokale Presse aufgegriffen, die den Zusammenhang zwischen Urbanisierung, Marginalisierung und steigender Jugendkriminalität im Kontext der herrschenden Stadtpolitik hervorhob. Besonders inspirierend für die von der Presse produzierten Bilder der Siedlung La Mina erwiesen sich die Fachdebatten um die Jugendkriminalität im Zusammenhang mit den Großsiedlungen an den Peripherien in Verbindung mit der steigenden Zahl von Presseberichten über jugendliche Delinquenz. Diese Diskussionen beeinflussten das mediale Bild der Siedlung La Mina als »Brutstätte der Kriminalität« wesentlich. Dabei war dieses Bild vor allem mit einer Kritik an den öffentlichen Verwaltungsbehörden verbunden. Bereits im Oktober 1974 schrieb die Zeitung »La Vanguardia Española«, dass unter den vielen Siedlungen, die von den öffentlichen Stellen in der Peripherie gebaut wurden und defizitär seien, die Siedlung La Mina »das empörendste Beispiel« sei.335 Trotz Planung und Inaussichtstellung umfangreicher Infrastrukturen seien zu diesem Zeitpunkt keine vorhanden. Die Straßen blieben ohne Asphaltierung und zumeist ohne Straßenbeleuchtung. Dadurch bleibe der größte Teil der Siedlung im Dunkeln, sodass La Mina vorteilhaft für kriminelle Gruppen sei. Es sei notwendig, eine ständige polizeiliche Überwachung zu gewährleisten, weil 334 Miguel Fisac, La ciudad, nuestro enemigo, in : ABC, 13.01.1972, S. 11. 335 »Acusado déficit de servicios en el Polígono de la Mina«, in : La Vanguardia Española, 05.10.1974, S. 37.
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die Bewohner unter Überfällen und Verkehrsunfällen litten. Aus diesem Grund hätten sich auch keine Läden in der Siedlung etablieren wollen. Auch die Plätze zwischen den Blöcken sähen »eher wie Gefängnisse« aus. Weitgehend unzureichend sei auch die Müllabfuhr, was »zusätzlich zu dem unzivilisierten Verhalten einiger Bewohner« dazu führe, dass der Müll sich überall sammle und dadurch ein ungesundes Klima schaffe. Die Zeitung brandmarkte auch die fehlende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, der die Siedlung mit Barcelona und dem Zentrum in Sant Adrià de Besòs verbinden könnte.336 Wurde La Mina zu einem Kriminalitätsnest, machte die Zeitschrift also den Mangel an Infrastrukturen in der Siedlung, der aufgrund der Verweigerung der öffentlichen Stellen, diese bereitzustellen, und aufgrund der geringen Kapazität der Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung entstanden sei, dafür verantwortlich.337 Auch die Zeitung »Diario de Barcelona« thematisierte die Indifferenz der öffentlichen Behörden hinsichtlich der Bedürfnisse der Bewohner von La Mina : Das Fehlen einer Straßenbeleuchtung ist eine dieser kuriosen Geschichten, die wir nicht klären konnten, weil die Informationen über das Nicht-Funktionieren der Beleuchtung äußerst widersprüchlich waren. Die Behörden in Sant Adrià sagten, sie wüssten nichts darüber, weil sie die Siedlung noch nicht vom Wohnungspatronat übernommen haben. Die Vertreter des Wohnungspatronats behaupteten wiederum, dass die Straßenbeleuchtung mit Sicherheit funktioniere. Währenddessen versicherte uns ein Bewohner, dass die Kabel von Ratten angefressen worden seien, als die Straßenbeleuchtung gerade eingeweiht werden sollte. Danach hat sich um diese Angelegenheit niemand mehr gekümmert.338
Die meisten lokalen Presseorgane lenkten die Aufmerksamkeit besonders stark auf die Konflikte zwischen der Stadtverwaltung in Barcelona und der in Sant Adrià de Besòs, aufgrund welcher es zu erheblichen Verzögerungen bei der Bereitstellung aller notwendigen Infrastrukturen kam. Im Jahre 1974, als viele Be336 La Vanguardia Española, 05.10.1974, S. 37 ; La Vanguardia Española, 24.02.1974, S. 27. 337 La Vanguardia Española, 24.02.1974, S. 27. 338 »La falta de alumbrado público es una de estas historias curiosas que no hemos podido aclarar muy bien, ya que las informaciones sobre su no funcionamiento eran contradictorias ; mientras las autoridades de Sant Adrià dicen no saber nada, ya que aún no han recibido el barrio del Patronato de la Vivienda, los dirigentes de èsta (…) afirmaba con toda seguridad que funcionaba el alumbrado (…). Mientras un vecino nos aseguraba que las ratas se habían comido los cables, cuando estaba a punto de inaugurarse y que nadie se ha cuidado más del asunto.«, in : El ministro de la vivienda en »La Mina«, in : Diario de Barcelona, 24.02.1974, S. 20.
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wohner bereits in der Siedlung lebten, waren die Bauarbeiten in La Mina noch immer nicht vollständig beendet. Laut den Presseberichten argumentierte die Kommune Sant Adrià de Besòs in diesem Zusammenhang, dass sie zwar die notwendigen Infrastrukturen bereitstellen werde, jedoch erst dann, wenn die Bauarbeiten beendet seien. Das Munizipium begründete diese Entscheidung damit, dass während der Bauarbeiten das Wohnungspatronat als Bauherr für die Baustelle verantwortlich sei.339 Des Weiteren unterstrich die Kommunalverwaltung von Sant Adriá de Besós, dass die Kommune trotz eines enormen Bevölkerungswachstums von 50 Prozent innerhalb kürzester Zeit aufgrund der Großsiedlung La Mina keine staatliche und/oder regionale finanzielle Unterstützung bekomme. Dazu sollten sich die Stadt Barcelona und das Wohnungsministerium aber verpflichtet fühlen, weil dies deren gemeinsame politische Vereinbarung sei. Trotzdem werde die Siedlung finanziell nur durch die Kommunalverwaltung von Sant Adrià de Besòs unterstützt, die zumindest in bescheidener Form provisorische Schulen und finanzielle Unterstützung für die Errichtung von Kindergärten zur Verfügung stelle. Demgegenüber wies das Wohnungspatronat diese Argumente zurück und erklärte, dass die Kommune Sant Adrià de Besòs für die Bereitstellung der Infrastrukturen zuständig sei, weil sich die Siedlung La Mina auf ihrem Territorium befinde. Das Patronat gab zwar zu, dass im Normalfall die Wohnungen erst dann an die zukünftigen Bewohner abgegeben würden, wenn die gesamte Siedlung fertig gestellt sei. Die normale Prozedur sehe in diesem Fall folgendermaßen aus : Sobald die Siedlung fertig sei, übergebe der Bauherr (das Wohnungsministerium) diese dem Munizipium (Sant Adrià de Besòs), das im nächsten Schritt die Straßen baue sowie die Infrastrukturen bereitstelle und warte. In La Mina sei dies jedoch nicht der Fall, weil jeder einzelne Wohnblock nach Fertigstellung sofort zum Wohnen übergeben werde, um die Barackensiedlungen in der Metropole schneller zu beseitigen.340 Zudem sei das Patronat für vieles, darunter die Müllabfuhr oder die Straßenbeleuchtung, nicht zuständig.341 Gerade die Problemlage solcher ›Umsiedlungen in Phasen‹ unterstrich die Zeitung »Tele/eXpres«. Die Bewohner seien nicht nur mit dem konstanten Bau339 Siehe u.a.: La Mina : muchos males y pocos remedios, in : Hoja del Lunes, 31.03.1975, S. 9 ; La Vanguardia Española, 05.10.1974, S. 37.; La Vanguardia Española, 24.02.1974, S. 27 ; Problemática infantil de la Mina, julio 1978, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig. 340 La Mina, recién nacida y casi abandonada, in : Tele/eXpres, 24.05.1974, S. 8. 341 Siehe u.a.: Hoja del Lunes, 31.03.1975, S. 9 ; La Vanguardia Española, 05.10.1974, S. 37 ; La Vanguardia Española, 24.02.1974, S. 27 ; Problematica infantil de la Mina, julio 1978, in : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina, ohne Sig.
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lärm, sondern auch mit dem Fehlen von Infrastrukturen wie etwa der Müllabfuhr konfrontiert. So sähen sich einige Bewohner aus der ehemaligen Siedlung Camp de la Bota dazu gezwungen, weiterhin die Waschräume in der alten Siedlung zu nutzen, weil sie in La Mina keine Wasserinstallation hätten.342 Insgesamt entstand in den Zeitungen ein Bild von der Siedlung La Mina als eines marginalisierten und pathologisierten Raums, dessen soziale Kondition durch das Regime, insbesondere durch die mangelnden Kapazitäten der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden, verursacht wurde. Somit wurden die Stadtperipherien, veranschaulicht durch den Fall La Mina, in der lokalen Presse zu einer Repräsentation der Ineffizienz des politischen Systems, in dem die öffentlichen Institutionen nicht im Einklang und zugleich den Menschen gegenüber mit extremer Gleichgültigkeit agierten. Wurde La Mina durch die lokale Presse in der Öffentlichkeit zu einer »Brutstätte der Kriminalität« und einer »gesetzlosen Stadt«,343 so schloss sich ein Teil der Bewohner gegen eine solche stigmatisierende Außenwahrnehmung zusammen. Anlass waren 1976 die Dreharbeiten zum Spielfilm »Perros Callejeros« (zu Deutsch »Straßenhunde«, 1977) von José Antonio de la Loma. Der Film gehörte zu den ersten Werken in der Reihe des in Spanien neu entstandenen Filmgenres des sog. cine quinqui, in welchem jugendliche Straftäter und ihre Taten zum Thema wurden.344 Loma zeichnete in seinem Film das Porträt zweier Jugendlicher, die sich »El Vaquilla« und »El Pirulí« nannten, aus Camp de la Bota stammten, in La Mina lebten und für zahlreiche Diebstähle und Morde verantwortlich waren.345 Die realen Jugendlichen spielten sich in diesem Film selbst, indem sie ihren eigenen kriminellen Alltag inklusive Drogenkonsum, Diebstahl und Mordtaten nachstellten. Der Film wurde 1976 teilweise dort gedreht, wo die Protagonisten auch lebten : in der Siedlung La Mina. Die Dreharbeiten lösten vor allem unter den Jugendlichen in La Mina Empörung aus, die den Film als eine weitere Kriminalisierung und Pathologisierung 342 Tele/eXpres, 24.05.1974, S. 8. 343 Colomer, La lucha urbana, S. 11. 344 Zu dem Begriff »Quinquis« und deren Vertreter siehe u.a. Jesús de las Heras, Juan Villarín, La España de los Quinquis, Barcelona 1974 ; León Ignacio, Los Quinquis. Una minoria marginada, Barcelona 1976. Zu dem Phänomen der cine quinqui siehe u.a. Quinquis dels 80. Cinema, premsa i carrer, hg. v. Eloy Fernández Porta u.a., Barcelona 2009. 345 Siehe u.a.: Barcelona : Detención y desarticulación de la banda del »Vaquilla«, in : La Vanguardia Española, 11.12.1976, S. 17 ; Barcelona : Dos menores – armados con una escopeta y una pistola – asaltan el Asilo Durán y facilitan la huida a otro menor, in : La Vanguardia Española, 07.03.1976, S. 13.
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ihres Lebensraums ansahen. Empörung rief in erster Linie eine Aussage des Filmregisseurs während einer Pressekonferenz hervor, die in der populären Boulevardzeitung »Pronto« publiziert wurde, nämlich die Äußerung, es sei einfach gewesen, die Protagonisten – die Straftäter – für diesen Film zu finden, weil die meisten in der Siedlung La Mina lebten : Das Hauptnest für die Kriminalität in Barcelona befindet sich fast ausschließlich in einem Stadtviertel. Die Taten wurden meistens in Barcelona und der Umgebung begangen. Die meisten dieser Jugendlichen leben in der Siedlung La Mina.346
Als Reaktion hierauf organisierten die Schüler der Berufsschule in La Mina eine Versammlung in der Siedlung, anschließend auch Demonstrationen und vor allem eine breite Presse- und Radiokampagne, um gegen die Dreharbeiten zu protestieren.347 Den Protest begründeten sie damit, dass der Film die Siedlung La Mina in ein schlechtes Licht rücke »und die Jugendlichen selbst als ›Straßenhunde‹«348 bezeichne. Die Schüler sahen den Film als einen Beitrag zu einer weiteren ungerechten Abwertung der Siedlung :349 Wir verurteilen die Tatsache, dass dieser Film in unserem Stadtviertel gedreht wird, dass die Protagonisten unsere Freunde sein sollen, die auch hier leben. Dies wird zur Folge haben, dass man noch mehr davon überzeugt sein wird, dass La Mina eine Brutstätte der Kriminalität ist, dass man uns noch mehr marginalisieren wird, dass ein noch größerer Heldenmythos um den Kriminellen kreiert wird und dadurch unter uns noch mehr Straffällige gefördert werden. 350
346 »El foco principal de delincuencia, en Barcelona, está casi íntegramente localizado en un barrio. Los delitos fueron cometidos casi todos en la Ciudad Condal y en su provincia. Y la mayor parte de estos chicos viven en el barrio ›La Mina‹«, in : »Los perros callejeros«. Verdaderos delincuentes en una película de José Antonio de la Loma, in : Pronto. Revista de actualidad, Nr. 238, 1976, S. 43–46, hier : S. 46. Vgl.: Colomer, La lucha urbana, S. 13. 347 Colomer, La lucha urbana, S. 13. 348 Jóvenes de La Mina, contra la filmación de »Perros callejeros«, in : La Vanguardia Española, 08.12.1976, S. 39. 349 Colomer, La lucha urbana, S. 13. 350 »Denunciamos el hecho de que esta película se esté realizando en nuestro barrio, que los protagonistas sean amigos nuestros que viven en el mismo. Esto hará que todavía se piense más en la Mina como en el NIDO de la delincuencia, se nos margine más de lo que estamos, que se creen más heroes, mitos de delincuentes y que se fomente con ello más delincuentes entre nosotros«, Zit. nach : Colomer i Salmons, El trabajo social, S. 76.
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Die Schüler argumentierten, dass der Film, anstatt pädagogische Ziele zu haben, noch mehr Kriminalität stimuliere, indem die Straftäter als Hauptdarsteller auftauchten und somit heroisiert würden. Sie forderten von der Gesellschaft Hilfe und weitreichende Infrastrukturen statt noch mehr Schaden am Image der Siedlung und ihrer Bewohner, der durch den Film verursacht werden könnte. Dem Protest der Jugendlichen schlossen sich auch die Lehrer an, die an die Redaktion der Zeitschrift »La Vanguardia Española« Folgendes schrieben : Die Straffälligkeit der Jugendlichen und beinahe noch Kinder (10 Jahre alt) ist etwas Reales in unserer Stadt, wie in vielen anderen. […] Die Gründe dafür muss man in der Struktur unserer Gesellschaft suchen, die auf der Profitgier von Wenigen und ohne die entsprechende Betreuung der Bedürfnisse der Übrigen aufgebaut ist. Es gibt keine Arbeitsplätze, keine Wohnungen, keine Schulen für alle, weil diese Basisbedürfnisse vollständig zu decken nicht lohnend ist. Genauso, wie es auch nicht lohnend ist, zu versuchen, die Marginalisierung dieser Jugendlichen zu vermeiden und ihnen Bildung mit Befähigung zu kritischem Denken, die sie brauchen, zur Verfügung zu stellen. Der gerade gedrehte Film wird uns die Abenteuer dieser Jugendlichen mit einem Hauch der Sozialkritik zeigen. Jedoch wird er uns kein Wort über die realen Gründe dieser Situation sagen.351
Insbesondere in diesem Zitat wird deutlich, dass die Kritik an der Marginalisierung und Kriminalisierung der Siedlung vor allem mit einer Kritik am Regime verknüpft war, das nach dem Tod Francos 1975 selbst dem Untergang geweiht war. Aus Sicht dieser Kritik seien die Gründe für die Situation an den Peripherien im politischen System des Franquismus zu suchen, das für die sozialen Missstände verantwortlich sei und sich dennoch nicht für deren Verbesserung einsetze. Ebenso wenig kümmere sich allerdings auch der Filmemacher de la Loma um die Sorgen der Bewohner La Minas, so das Urteil seiner Kritiker ; vielmehr beschränke er sich in seinem Film darauf, die Siedlung negativ abzustem351 »La delincuencia juvenil y casi infantil (10 años) es algo real en nuestra ciudad como en otras muchas. […] Las causas de este hecho habría que buscarlas en la estructura de esta sociedad montada sobre el afán de beneficio de unos pocos y sin atención adecuada en todas las necesidades del resto. No hay puestos de trabajo, viviendas, escuelas para todos, porque cubrir totalmente estas necesidades básicas no sería rentable, como tampoco lo es intentar evitar el aislamiento de estos muchachos y proporcionarles la educación con capacidad crítica que necesitan. La película que se está filmando nos presentará aventuras de estos muchachos con alardes de denuncia social, pero no nos dirá una palabra de las causas reales que originan estos hechos.«, in : Sobre el rodaje de la película »Perros callejeros«, in : La Vanguardia Espaola, 29.12.1976, S. 49.
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Abb. 47 : Poster für den Jugendprotest gegen die Filmdreharbeiten von »Perros Callejeros« : »Gesucht : El Loma. Vergütung : Die Würde des Stadtviertels«. Quelle : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina.
peln. Mit den Konsequenzen dieser Negativdarstellung müssten die Bewohner jedoch alleine zurechtkommen. Daher wird de la Loma auf einem Poster für den Jugendprotest gegen die Filmdreharbeiten in La Mina in einer Karikatur, die ihn ähnlich einem franquistischen Polizisten zeichnet, als typischer Repräsentant des franquistischen Establishments dargestellt. Die Presse griff die Proteste in ihren Berichten über La Mina auf und beteiligte sich an der Kritik an Lomas Film. Die Zeitung »Tele/eXpres« berichtete unter der Überschrift »La Mina : No nos filmarán« (»Wir werden nicht gefilmt !«), dass die Bewohner in La Mina sich auf dem Zentralplatz versammelten und unter dem Slogan »Wir, die Bewohner La Minas, lassen uns nicht filmen, weil versucht wurde, uns wie Straßenhunde zu behandeln« den Film mithilfe der Presse und des Radios (Radio Penisular und Radio Miramar) boykottierten.352 Die 1976 entstandene erste Zeitung in katalanischer Sprache »Avui«353 hob in einem kurzen Kommentar auf die besondere Gewalt der Filmszenen ab, während sie lediglich in der Titelzeile »Veïns de la Mina, utilizats per de la Loma« 352 La Mina : »No nos filmarán«, in : Tele/eXpres, 14.12.1976, S. 30. 353 Figueres, El periodismo catalán, S. 528–530.
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Medien als Akteure
(»Bewohner La Minas von De la Loma ausgenutzt«) mit einer Bewertung der Situation als »Manipulation der Nachbarschaft« Position bezog.354 Der einzige ausführliche Bericht mit kritischer gesellschaftlicher Diagnose lieferte der als Stadtreporter geltende Journalist Josep Maria Huertas Claveria in der Zeitung »Tele/eXpres«. Er lieferte eine detaillierte Beschreibung des Films, des Handlungsverlaufs und der Ansprüche der Jugendlichen aus La Mina, wobei er den Fokus auf die Kritik des Films an einer gierigen und auf Profit ausgerichteten Gesellschaft richtete. Der Artikel betonte die Befürchtung der protestierenden Jugendlichen, dass der Film die Jugendkriminalität nicht nur fördern, sondern auf Kosten der Bewohner Profit machen werde. Die Kosten für die Glorifizierung Krimineller auf der Leinwand hätten die Bewohner von La Mina in Form einer noch stärkeren Marginalisierung und Diskriminierung ihrer Siedlung zu tragen, welche ohnehin schon unter ihrem schlechten Ruf leide, weswegen Jugendliche auch schwierigeren Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis hätten. In diesem Sinne operiere der Film, so Huertas Claveria, mit einem falschen Anklagegestus. Die wichtigen Probleme, die der Regisseur angeblich thematisierte, würden im Film nie als solche empfunden. Ziel des Films sei es, so der Journalist, mittels gewalttätiger Szenen und viel Erotik die »realen Vorkommnisse mit einer Soße von Herrn de la Loma zu würzen«,355 um so das Publikum ins Kino zu locken und Kasse zu machen. Der Artikel zitiert die Klage des Regisseurs über Versuche der Bewohner, die Dreharbeiten zu stören, wodurch »Millionen verloren« gingen ; die Antwort der Jugendlichen darauf laute jedoch, dass die Zukunft der Jugendlichen in La Mina wichtiger als diese Millionen sei. Als einfache Arbeitersiedlung sehe sich La Mina bereits jetzt mit zu vielen Problemen konfrontiert, als dass die Siedlung auch noch den bevorstehenden Ruf »als Prototyp der jugendlichen Kriminalität auf den Leinwänden im ganzem Land tolerieren« könne. Auf diese Kritik und den Protest der Bewohner von La Mina antwortete der Filmregisseur in der Zeitung »La Vanguardia Española«. Er argumentierte, dass sein Film weder von der Siedlung La Mina noch von deren Bewohnern handele. Vielmehr erzähle der Film lediglich die Taten einer Gruppe jugendlicher Straftäter, die nicht nur die Bewohner in La Mina, sondern die Menschen in Barcelona und sogar in der Region insgesamt gefährdeten. Die meisten Aktionen würden somit auf Autobahnen und Landstraßen gedreht. Der Film verfolge 354 Veïns de la Mina, utilizats per de la Loma, in : Avui, 28.11.1976, S. 5. 355 Josep Maria Huertas Clavería, Los jóvenes de la Mina no son »perros callejeros«, in : Tele/eXpres, 01.12.1976, S. 7.
Die Großsiedlung La Mina
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das Ziel, die Gesellschaft auf das Problem der Jugendkriminalität aufmerksam zu machen und somit die Bildung spezieller Einrichtungen mit professionellen Lehrkräften und eine ausreichende ökonomische Unterstützung zu fordern, um die weitere Kriminalisierung dieser Jugendlichen zu vermeiden und ihre erfolgreiche Resozialisierung durchzuführen.356 Der Protest der jungen Bewohner schien jedoch insofern erfolgreich zu sein, als der Name La Mina im Film schließlich nicht vorkam.357 Dennoch änderten der Film und die Proteste freilich nichts an der negativen Wahrnehmung der Großsiedlung in der Öffentlichkeit. Die wissenschaftlichen Erklärungsversuche für diese Stereotypisierung reichten von den architektonischen Merkmalen der monotonen Betonarchitektur und Überdimensionierung über die infrastrukturellen Mängel bis hin zur Anhäufung sozialer Problemfälle, wodurch der Großsiedlung La Mina kriminogene Faktoren zugeschrieben wurden. Zugleich war die Kritik an den Zuständen in La Mina meist mit Kapitalismuskritik verknüpft : Der Kapitalismus mache, so die Kritik, durch seine einseitige Verteilung des Wohlstands, die sich in der prekären Situation an den Peripherien manifestiere, die Städte insgesamt unpersönlich und aggressiv.358 Allerdings zielte diese Kritik, die den Kapitalismus mit dem Franquismus in Verbindung brachte, in der Zeit der politischen Umbrüche der Transformation nach dem Tod Francos 1975 auf das Regime. Deutlich wird dies etwa in dem zitierten Protestschreiben der Lehrer, das das Versäumnis, alle Teile der Gesellschaft mit Arbeitsplätzen, Wohnungen und Schulen zu versorgen, sowie die Verweigerung, den Jugendlichen »Bildung mit Befähigung zum kritischen Denken« zugänglich zu machen, anprangert. Auch die Kritik des Stadtreporters Huertas Claveria in »Tele/eXpress« an der Profitorientierung der Eliten und der Vertreter des Regimes weist eine ähnliche Stoßrichtung auf. Es wird deutlich, dass aus Sicht der Kritiker für die Situation an den Peripherien das politische System des Franquismus verantwortlich sei, weil es nichts gegen die von ihm selbst verursachten sozialen Missstände unternehme und sich nicht für deren Beseitigung engagiere. Diese politische Dimension der zivilgesellschaftlichen Aktionen von Nachbarschaftsvereinen und -gruppen war gerade in der Zeit nach dem Tod Francos und dem Anschluss dieser Vereinigungen an die Oppositionsbewegung stark verbreitet. Der Tod Francos bedeutete nämlich keinesfalls das sofortige Ende der Diktatur, sondern brachte viel Ungewissheit darüber, wo die politische Zu356 El Director de »Perros Callejeros« aclara, in : La Vanguardia Española, 18.12.1976, S. 7. 357 Colomer, La lucha urbana, S. 13. 358 Castells, Ciudad, democracia y socialismo, S. 2.
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Medien als Akteure
kunft Spaniens liegen könne. Von den politischen Eliten kamen eher Signale für eine Reformierung des bestehenden Systems, was durch die Bildung der neuen Regierung von Ministerpräsident Carlos Arias Navarro im Dezember 1975 deutlich wurde, in welcher vormalige Mitglieder des Franco-Regimes Posten bekamen. Arias kündigte zwar Reformen an, unter anderem auch die Gewährung der Vereinigungsfreiheit und die Ausweitung der Freiheiten und Rechte der Bürger, zeigte aber deutlich, dass kein Neubeginn in Spanien geplant war. Diese Option lehnte die Opposition ab (Christdemokraten, Liberale, Sozialisten und Kommunisten, Gewerkschaften und Autonomisten), die weiterhin illegal aus dem Untergrund wirkte und sich zunehmend mit Nachbarschaftsvereinen verband. Demonstrationen und Proteste, die im Jahre 1976 ausbrachen und sich von den Stadtperipherien ausgehend ins Zentrum der Städte ausbreiteten, setzte sich nicht mehr nur für die Verbesserung verschiedener Alltagsprobleme, sondern auch für politische Angelegenheiten wie freie Wahlen, das Respektieren demokratischer Grundrechte und eine Amnestie für politische Gefangene ein. Insgesamt zielten diese langfristig auf den Sturz des Regimes und einen radikalen politischen Neuanfang.359 Die Kritik an der Wohnsituation in den Peripherien wurde also in der Zwischenzeit nicht nur weit verbreitet, sondern zunehmend mit Kritik am Regime als solchem verknüpft, so dass die Proteste der Peripheriebewohner gegen die dortigen Missstände in die größeren politischen Proteste der Transformationszeit einflossen. Zugleich straften die Peripheriebewohner mit ihrem gemeinsamen Engagement für die Verbesserung der eigenen Lebenssituation die Stereotypen über die Siedlung La Mina Lügen : Entgegen der Fremdwahrnehmung einer »unpersönlichen« und »individualistischen« Stadt erwiesen sich die Bewohner von La Mina durch ihren kollektiven öffentlichen Protest nicht nur im Falle der Filmdreharbeiten, sondern auch im Kontext von Forderungen nach besseren Infrastrukturen bis in die 1980er Jahre als engagierte Gemeinschaft.360
359 Bernecker, Spaniens Geschichte, S. 210–213. 360 Vgl.: Monferrer i Celades, Història del barri de la Mina, S. 84–98.
5. Schlussbemerkungen
Die Analyse der Entwicklung der Stadtperipherien von Madrid und Barcelona deutet auf einen divergierenden spanischen Entwicklungspfad und eine Reihe von Charakteristika, die von dem jüngst in der Wissenschaft intensiv diskutierten Idealtypus der »europäischen Stadt« deutlich abweichen. Dazu gehören im Vergleich zu West- und Mitteleuropa –– mit deutlicher Verzögerung verlaufende Urbanisierungsprozesse, –– unterschiedliche Folgen der massenhaften Zuwanderung aus Agrargebieten, –– ein später Wandel von agrarischen in städtische Gesellschaften –– Entstehungsdynamiken informeller Siedlungen, –– Mischformen urbaner und ländlicher Lebensweisen, –– die Rolle öffentlicher Instrumente zur Planung und Regulierung der Stadtentwicklung –– Formen und Bedeutung zivilgesellschaftlicher Strukturen in den schnell wachsenden Städten. Im Folgenden sollen einige dieser Befunde zusammengefasst und näher erläutert werden. Im Zuge der Industrialisierung und der damit zusammenhängenden Land-Stadt-Wanderung bildete sich um die Großstädte Madrid und Barcelona bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein wachsender Gürtel neuer Peripherien, der einer öffentlichen Regulierung und Kontrolle weitgehend entzogen blieb. Diese ländlich geprägten Übergangszonen wurden aus ökonomischen Gründen zum Handlungsraum unterschiedlicher Akteure, die zur urbanen Entwicklung dieser Randzonen beitrugen. Das dortige preiswerte Agrarland bot den wenig vermögenden Migranten aus den ländlichen Gebieten eine Zuflucht, indem diese Zuwanderer von den Grundbesitzern kleine Parzellen für den Bau provisorischer Hütten und Baracken in Anspruch nahmen. Zudem begannen dort einige wenige private und kirchliche Baugenossenschaften, kleine Arbeiterwohnsiedlungen zu bauen, die die Notlage in der Wohnraumversorgung der schwachen Schichten zum Teil mildern sollten. Somit wurde der Prozess der Großstadtwerdung an den Stadtperipherien anders als in den nordwesteuropäischen Städten nicht durch professionell geleitete Stadtentwicklung und Stadt-
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planung getragen, sondern vorwiegend durch das Handeln diverser Akteure »vor Ort« vorangetrieben. Dieser Verstädterungsprozess an den Randzonen Madrids und Barcelonas verstärkte sich nun nach dem Bürgerkrieg im Zuge der vom Franco-Regime beschleunigten und schnell voranschreitenden Industrialisierung und der damit zusammenhängenden massiven Land-Stadt-Zuwanderung. Während der Schwerpunkt der bisherigen Forschung insbesondere in der primären Rolle des Staates in der Stadtentwicklung liegt, erscheinen die Stadtperipherien durch den Aspekt des mangelhaften Umsetzungsgrades der vom Staat verfassten Urbanisierungspläne und stadtplanerischen Vorhaben als ein vom Regime marginalisierter und in Bezug auf die Entwicklung äußerst statischer Raum. Demgegenüber zeigt diese Analyse, dass das Franco-Regime zwar den Anspruch auf Kontrolle und Lenkung jeglicher Urbanisierungsprozesse erhob, politisch jedoch einen »kollektiven Prozess« der Stadtentwicklung weiterhin unterstützte, sodass sich darin Dynamiken und Logiken jenseits staatspolitischer Regulierung abzeichneten. Durch den Ansatz des von Henri Lefebvre entwickelten prozessorientierten Raumbegriffs ist es somit gelungen, die Stadtentwicklung in den beiden Städten als gesellschaftlichen »Produktionsprozess« zu erfassen, bei welchem ein breites Spektrum von Akteuren und deren sozialen Beziehungen mitwirkte. Die Peripherien und ihre Bewohner standen seit dem Ende des Bürgerkriegs im Mittelpunkt der Migrations- und Wohnungspolitik des neuen Regimes, die bis 1956 von den Falangisten gesteuert wurde. Sie setzten dabei auf ein nationalsyndikalistisches Programm mit dem Anspruch, die unkontrollierte Masse von Arbeitern, die sich an den Peripherien konzentrierte, unter Kontrolle zu bringen, sie politisch umzuformen und in die staatlichen Gewerkschaftsstrukturen zu integrieren. Die Stadt verstanden die Falangisten dabei als einen Handlungsraum für solche politisch motivierten Integrationsversuche. Mit diesem politischen Anspruch versuchte der neue Staat zum Motor der Stadtentwicklung an den Peripherien zu werden und baute ein gesetzlich-administratives System zur Kontrolle und Lenkung dieses gesamten Prozesses auf. In den Prozessen der Stadtentwicklung setzte der Staat zwar auf das gesellschaftliche Engagement anderer Akteure (vor allem unterschiedlicher parastaatlicher Institutionen, Wohltätigkeitsorganisationen sowie privater Bauunternehmer), versprach jedoch als wichtige Neuerung im Vergleich zu vorherigen Epochen, den sozialen Wohnungsbau für die ökonomisch schwache Arbeiterschaft staatlicherseits zu unterstützen. Auf Grund der prekären wirtschaftlichen Situation in der Autarkie-Periode und der nicht nachlassenden bzw. stets wachsenden Zuwanderung in die Städte konnten solche Pläne allerdings kaum realisiert werden. Zu dieser Zeit enga-
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gierten sich die öffentlichen Institutionen vorwiegend im Wiederaufbau der im Bürgerkrieg zerstörten Regionen und Orte sowie für den administrativen und stadtplanerischen Aufbau der franquistischen Verwaltung. Private Bauunternehmer engagierten sich wiederum vorwiegend im Wohnungsbau für die Mittelschicht. Daraus entwickelte sich eine paradoxe Situation : Für den zwar noch stark begrenzten, jedoch sich stets weiterentwickelnden Wohnungsmarkt wie auch für die vom Staat stark unterstützten Industrialisierungsprozesse gab es eine steigende Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, die nur durch die Zuwanderung von mittellosen und durch die Agrarkrise betroffenen Landarbeitern gedeckt werden konnte. Da sich der Wohnungsmarkt jedoch an den wohlhabenden und in bescheidener Form auch an den mittelschichtigen Gesellschaftsteilen orienterte, stand kein Unterkunftsangebot für ökonomisch schwache Migranten zur Verfügung. Diese Marktlücke füllten die Grundbesitzer des Agrarbodens an den Stadtperipherien. Sie nutzten die Konjunktur der wachsenden Migrationen, indem sie den Zuwanderern das wenig gewinnbringende Agrarland zu erhöhten Preisen für den Bau kleiner Baracken oder Hütten anboten. Das Fallbeispiel der Madrider Barackensiedlung Pozo del Tío Raimundo, die durch die Bodenparzellierung seitens der Großgrundbesitzer und den Verkauf an die Migranten entstanden war, zeigt hervorragend, wie sich in der Madrider Peripherie ein alternativer »Immobilienmarkt« mit einem Angebot für die ökonomisch schwachen Arbeiterschichten entwickelte. Der Antrieb für diese informelle Siedlungsentwicklung basierte hierbei auf den ökonomischen Prinzipien, durch welche die aus den ländlichen Gebieten stammenden Migranten durch die im Vertrag festgelegten Voraus- und Ratenzahlungen für die Parzellen einen Teil des Grundstücksrechts erwarben und dies als eine sichere Investition in die zukünftige Verbesserung ihrer Wohnungslage ansahen, während die Grundbesitzer sich damit einen hohen und garantierten Gewinn sicherten. Unter diesen Prämissen waren die Parzellen und Baracken ein Objekt ständiger Geschäfte, denn auch die Bewohner vermieteten oder verkauften je nach ihrer persönlichen Situation ihre Parzellen und einfachen Behausungen weiter. Angesichts der ständig steigenden Bodenpreise und abhängig von der infrastrukturellen Versorgung der Barackensiedlungen revalorisierte sich auch stets deren Wert. Aus Sicht des Staates waren diese finanziellen Vereinbarungen nicht rechtskräftig, zum Teil auch deshalb, weil die Barackensiedlungen sich auf durch die staatliche Stadtplanung bereits anderweitig bestimmtem Boden befanden und somit illegal und zum Abriss vorgesehen waren. Dennoch verfügte der Staat nicht über ausreichende Instrumente, um diesem Prozess der illegalen Besie-
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delung entgegenzuwirken : Der Abriss von Baracken wurde gesetzlich mit der Verpflichtung zur Bereitstellung einer Ersatzunterkunft verbunden, über welche der Staat nicht verfügte. In diesem Sinne griffen die staatlichen Behörden auf Repressionsmaßnahmen zurück, um zumindest die Ausbreitung der Baracken zu verhindern. Allerdings zeigt das Beispiel der Barackensiedlung Camp de la Bota, die sich über zwei Munizipien, Barcelona und Sant Adrià de Besòs erstreckte, dass auch diese Bemühungen erfolglos blieben, weil die kommunalen Verwaltungen oft nicht im Einklang mit den staatlichen Behörden agierten. Am Beispiel des Handelns der Kommunalverwaltung in Sant Adrià de Besòs, die für den Siedlungsteil Parapeto verantwortlich war, wird deutlich, dass die Kommune zur Entwicklung von Camp de la Bota stark beitrug. Die Stadt- und Kommunalverwaltungen waren dem Staat in der Zeit des Franco-Regimes untergeordnet und somit dazu verpflichtet, die administrativen Weisungen in Bezug auf die Stadtperipherien auszuführen. Nun lavierte die Kommunalverwaltung von Sant Adrià de Besòs zwischen den Pflichten der staatlichen Verordnungen und der Realität vor Ort : Aus finanziellen Gründen war die Kommune nicht in der Lage, die Barackensiedlungen zu bekämpfen und den neu zugewanderten Industriearbeitern Unterkünfte zuzusichern ; daher musste sie die Barackensiedlungen zunächst weitgehend dulden. Dabei blieb es nicht nur bei einer passiven Duldung : Die kommunale Verwaltung erhielt Geld nicht nur durch die Strafen oder Schmiergelder, die sie im Rahmen ihrer Durchsetzungsversuche der verordneten repressiven Maßnahmen gegen die Entstehung der Baracken einnahm, sondern insbesondere auch durch die Versteuerung und Vergabe von Lizenzen für kommerzielle Aktivitäten in der Barackensiedlung. Die starke Unterfinanzierung der Kommune wurde somit durch die Barackensiedlung zumindest teilweise ausgeglichen. Dabei wirkte die Kommunalverwaltung auch bei der Weiterentwicklung und Selbstorganisation der Siedlung mit. In diesem Sinne zeigt die vorliegende Studie, dass die bisherige Annahme der spanischen Forschungslandschaft, der zufolge solche »informellen Städte« von der eigentlichen Stadt getrennt und unabhängig existierten,1 nicht haltbar ist. Die informelle Stadtentwicklung stellte keinen abgetrennten und von den öffentlich gesteuerten Entwicklungsprozessen unabhängigen Prozess dar. Vielmehr verschränkten sich die formellen und informellen Aktivitäten durch Handlungsspielräume bei der Gestaltung alltäglicher Wohn- und Lebensräume. Dies zeigt sich noch stärker am Beispiel der späteren Einrichtung des kommu1 U.a.: Barracas. La Barcelona informal del siglo XX ; Barraquisme, la ciutat (im)possible ; Arnoriega, Del barro al barrio.
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nalen Büros, einer Form des Stadtamtes in Camp de la Bota, das durch den falangistischen Bürgermeister José Narbón Noet in Sant Adrià de Besòs bestätigt wurde, was zwar keine Legalisierung, aber eine Art Kommunalisierung und Institutionalisierung der Barackensiedlung bedeutete. Auch dies widerspricht den Behauptungen in den neuesten Untersuchungen zu Spanien, dass »die öffentlichen Stellen keinerlei Hilfe, Ausstattung oder Infrastruktur bereitstellten, was eine Anerkennung von deren [der informellen Siedlungen, A.P.] Realität oder einen Hauch von Dauerhaftigkeit hätte bedeuten können.«2 Sozialberatung bzw. institutionelle Hilfe bekamen diese Siedlungen demnach während der Zeit des Franco-Regimes ausschließlich von kirchlichen Institutionen, während erst die demokratischen Stadtverwaltungen in den 1980er Jahren solche öffentliche Unterstützung vornahmen.3 Auch handelte es sich bei den Barackensiedlungen keinesfalls um Wildwuchs, wie meist angenommen wird. Zwar wurden die Barackensiedlungen von den städtischen Akteuren, darunter sowohl die franquistischen Verwaltungen wie auch die städtische Öffentlichkeit, meist als »chaotisch« und »anarchistisch« eingestuft ; aus der inneren Perspektive gesehen folgten sie jedoch einer eigenständigen Logik, die sich aus den ökonomischen Zwängen, den bereits aus ländlichen Gegenden bekannten Mustern und den weitreichenden, verflochtenen Beziehungen aller beteiligten Akteure ergab. Der vom Staat versprochene soziale Wohnungsbau wurde dagegen bis Ende der 1950er Jahre durch die finanziellen Engpässe und strengen Regulierungen auf einzelne Planrealisierungen begrenzt und meistens nur durch eine politisch bedingte Notwendigkeit ausgelöst. Eine solche stellte beispielsweise der von der katholischen Kirche 1952 veranstaltete Internationale Eucharistische Kongress in Barcelona dar. In der Reaktion auf die in der Stadt ausgebrochene Streikwelle 1951 kam es auf zentraler Ebene zu politischen Umstrukturierungen und zu einer Neuorientierung der durch die Falangisten betriebenen Politik der Autarkie hin zu wirtschaftlichen Reformen, die durch internationale Hilfe unterstützt werden sollten. Somit bekam der Kongress als Ausgangpunkt internationaler Gespräche für den Staat Relevanz. Der Kongress illustriert exemplarisch, wie diverse Akteure sich durch den staatlichen Anschub dem Prozess der Stadtentwicklung zuwandten, aufgrund 2 »Las autoridades no facilitaron ningún tipo de asistencia, equipamiento o infraestructura que pudiera significar un reconocimiento de su realidad o una idea de permanencia«. In : Casasayas, La acción social en los barrios, S. 107. 3 Ebd.
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welcher Motivationen sie handelten, welche eigenen Interessen sie dadurch vertraten und welchen Umgang mit der Migration sie dadurch zur Schau stellten. Der nach den Streiks 1951 als neuer Zivilgouverneur ernannte Felipe Acedo Colunga setzte sich stark mit den repressiven Maßnahmen zur Kürzung der Migrationswellen in der Region auseinander, da er die Migration als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ansah. In diesem Sinne baute er in Verdún für die Umsiedlung der Barackenbewohner aus dem Stadtzentrum eine Wohnsiedlung, in der die Migranten unter Aufsicht zahlreicher Sicherheitskräfte wie in einer militärischen Kaserne dauerhaft kontrolliert und nach falangistischen Prinzipien erzogen werden sollten. Dabei bediente er sich des Konzepts semiruraler Siedlungen vom Typus einer »Gartenstadt«, die in der Zeit der Diktatur Primo de Riveras als Mustersiedlung für die Disziplinierung der aus dörflichen Gegenden migrierten Tagelöhner gegolten hatte. Für das städtische Wohnungsinstitut der Stadtverwaltung Barcelonas stellte die Umsiedlung weiterer Barackenbewohner in die Siedlung Can Clos eine Chance für die Anknüpfung an die eigene Tradition des Wohnungspatronats der 1920er Jahre und die damals in diesem Rahmen gebauten Sozialbehausungen (casas baratas) zur Umsiedlung von Barackenbewohnern dar. Diese Tradition war nach dem Bürgerkrieg aus politischen Gründen unterbrochen worden. Ebenso nutzten die katalanischen Großunternehmer aus dem Kreis der Katholischen Aktion die Möglichkeit, durch Engagement beim Bau der Siedlung Can Ros die weitgehend verlorene politische Führungskraft im Franco-Staat zurückzugewinnen. Im Weiteren erhoben auch die katholischen Laien der Katholischen Aktion den Anspruch, eine eigene, mit dem staatlichen Einheitssyndikat konkurrierende katholische Gewerkschaft wiederzubeleben, wie sie vor dem Bürgerkrieg bestanden hatte, bevor sie nach Kriegsende zwangsweise durch die Einordung in die staatlichen Syndikatsstrukturen verloren ging. In diesem Sinne sollten auch die neuen Bewohner der im Rahmen des Kongresses gebauten Siedlung Can Ros nach christlichen Prinzipien handeln, eine christliche Gemeinde formieren und somit zu einer Basis für die geplante selbstständige Gewerkschaft werden. Dabei markierten die Bauträger den Unterschied zu den Falangisten und den von diesen gebauten traditionellen, semiruralen Siedlungen durch die Form des materiellen Siedlungsraumes : In Zusammenarbeit mit jungen katalanischen Architekten, die von den internationalen Entwicklungen in der Architektur inspiriert waren, bauten sie eine moderne Hochblocksiedlung, deren christlichen Charakter die zentral gelegene, überdimensionierte Kirche unterstrich. Die Peripherie erwies sich demnach als ein dynamischer Raum, der zwar bis Ende der 1950er Jahre noch stark ländlich geprägt, gleichzeitig jedoch sehr he-
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terogen war. Diese Heterogenität der Stadtperipherie, die aus dem Engagement diverser Akteure resultierte, wurde nicht nur von unterschiedlichen Vorstellungen von urbanen Lebensformen geprägt, sondern veranschaulichte zudem die Kämpfe und die Konkurrenz zwischen den jeweiligen parastaatlichen Akteuren sowie Strategien der lokalen und der zentralen Verwaltungen.4 Dabei ist zu betonen, dass bei all diesen Akteuren und deren Beitrag zur Verstädterung Kontinuitäten aufzuzeigen sind, was auf gesellschaftliche Entwicklungen jenseits der neuen politischen Ansprüche des Staates zurückzuführen ist. Das Franco-Regime mit seiner Sozialpolitik und seiner spezifischen Auffassung von Stadt gab den Stadtentwicklungsprozessen zwar einen institutionellen Rahmen, gleichzeitig orientierten sich diese Prozesse jedoch in der Praxis an übergreifenden sozialen Paradigmen und längerfristigen Entwicklungen. Aufgrund der amerikanischen Wirtschaftshilfe und der schrittweisen Beendigung der Autarkie überwand das Bauwesen in den 1950er Jahren langsam die Stagnation. Gefördert durch staatliche Begünstigungen und Kredite begann an den Peripherien der Städte eine Bautätigkeit, die von unterschiedlichen Akteuren getragen wurde : von privaten Bauträgern, von industriellen Großbetrieben, von kirchlichen Institutionen und Baugenossenschaften, von Finanzinstituten wie Sparkassen, nicht zuletzt auch von öffentlichen Stellen wie Gewerkschaften oder kommunalen Einrichtungen. Die Zuwanderung vom Land wuchs ebenso wie die »spontanen« Barackensiedlungen. Mittellose Landarbeiter bauten einfache Hütten an den ländlichen Peripherien der Städte, wo Kleingrundbesitzer Parzellen vermieteten oder verkauften. In den schnell wachsenden peripheren Siedlungen prallten die Interessen unterschiedlicher Akteure aufeinander. Die staatlichen Institutionen bekämpften die informellen Barackensiedlungen, die sich durch die Bautätigkeit der Zuwanderer stets vermehrten, die Grundbesitzer unterstützten zusätzlich eigenwillig den Prozess informellen Stadtwachstums und die kommunalen Stellen handelten in ambivalenter Unterstützung beider Seiten dazwischen, je nach eigenem finanziellem Bedarf. Eine Veränderung markierte erst das Jahr 1957 durch die innenpolitische Krise und den Regierungswechsel, infolge dessen die Technokraten in den wirtschaftlich relevanten Ministerien eine Mehrheit bildeten und eine westlich orientierte Wirtschaftspolitik verfolgten. Sie pflegten zwar weiterhin die soziale Rhetorik vom Kampf gegen die Armut und von der Bereitstellung von Wohnungen für jede Familie. Dennoch wurde der Wohnungsbau endgültig priva4 In diesem Sinne a.: Stefano Garano, Die Erneuerungspolitik für die Peripherien europäischer Metropolen, in : Rom-Madrid-Athen, S. 249–260, hier : S. 250.
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ten Bauträgern überlassen, die durch verstärkte staatliche Subventionen auch in den sozialen Wohnungsbau miteinbezogen werden sollten. Im Zeitraum zwischen 1957 und 1969 kam es zu enormen Bauaktivitäten an den Peripherien der Städte, wobei die Aktivität öffentlicher Stellen, privater Kleinbetriebe und Baugenossenschaften sowie wohltätiger Organisationen zugunsten großer Bauunternehmen wesentlich schrumpfte. Diese verlagerten ihre Interessen nun vom Wohnungsbau für mittlere und höhere Schichten innerhalb der Stadtzentren auf Großprojekte im Bereich des sozialen Wohnungsbaus an den weit entfernten Peripherien. Das Wachstum der Peripherie unterlag auch weiterhin nicht den planerischen Ordnungsvorstellungen des Regimes, hing nun aber stark von den Profitmaximierungsstrategien des Immobiliensektors ab.5 Die 1960er Jahre brachten jedoch nicht nur eine tiefe Veränderung der räumlichen Gestaltung von Stadtperipherien mit sich, die immer weiter ausgedehnt und mit Hochwohnblöcken bebaut wurden. Dies war auch eine Zeit, in der sich die städtischen Eliten durch die wachsende Zuwanderung verstärkt dem Thema der Migration und Wohnungsnot in zahlreichen Diskussionskreisen, Konferenzen und interdisziplinären Treffen zuwandten. Gerade durch den vergleichenden Blick auf die beiden Städte Barcelona und Madrid wird deutlich, dass insbesondere die Eliten Barcelonas, zu welchen nicht nur die politischen Vertreter, sondern auch Vertreter der kirchlichen Organisationen, Architekten, Stadtplaner, Soziologen usw. gehörten, sich intensiv mit diesem Thema beschäftigten und somit auch für die Kontinuität bestimmter Diskurse sorgten. Eine solche bildete die Diskussion um die katalanische Identität und die Nation im Kontext der massenhaften Migration von spanisch sprechenden Landarbeitern am Ende der 1950er und insbesondere in den 1960er Jahren. Diese Diskussion, die bereits in den 1920er Jahren aufgrund der Zuwanderung geführt worden war, fand jetzt ihren Ausgangspunkt in der Auseinandersetzung mit dem Problem der fehlenden Schulbildung und des verbreiteten Analphabetismus unter den Kindern an den Stadtperipherien. Während die Eliten das mangelhafte Interesse des Staates für die Schulbildung der Kinder mit Migrationshintergrund kritisierten, da dies zu mangelhafter Integration führe, kamen Argumente für einen Unterricht in katalanischer Sprache als Integrationsmittel im Kontext regionaler Identitätsbildung auf. Dabei spiegelten sich in diesen Diskussionen vor allem Befürchtungen und Ängste der städtischen Eliten angesichts einer gesellschaftlichen »Dekata-
5 Vgl.: Thorsten Heitkamp, Die neue Rolle der metropolitanen Peripherie : Madrid, in : Rom-Madrid-Athen, S. 155–161, hier : S. 155.
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lanisierung« durch die Migration und des spanischen Sprachmonopols in der Schule und in den Massenmedien wider. Dabei lässt sich feststellen, dass vor allem die christlichen Intellektuellen, die aus der Perspektive einer langen Erfahrung Barcelonas mit Zuwanderung, Wohnungsnot und der Entstehung von Barackensiedlungen sowie der Tradition des sozialen Engagements der Kirche in Katalonien auf das Thema blickten,6 einen wichtigen Einfluss auf solche Diskussionen und Handlungsräume nahmen. Gerade die Rolle der katholischen Soziologen bei der Etablierung von Möglichkeiten, den Zuwanderern Bürgerlichkeit und zivilgesellschaftliches Denken beizubringen, ist nicht zu unterschätzen. Aus der Erfahrung der kirchlichen Baugenossenschaften und der von der Caritas etablierten Sozialzentren bildete sich bei den Eliten Barcelonas ein Bewusstsein, die Migranten nicht mehr paternalistisch zu behandeln, sondern sie zum aktiven Partizipieren an der Gestaltung des eigenen Lebens in der Stadt zu bewegen und somit zu Stadtbewohnern zu erziehen. Denn die Stadt stellte für viele christliche Akteure einen durchaus »demokratischen Raum« dar, nicht im politischen Sinne, sondern aufgrund der vielfältigen angebotenen Möglichkeiten. Einen Wendepunkt bildete in diesem Sinne jedoch die Entstehung der Siedlung Poblado Dirigido in Entrevias in Madrid. Infolge der zahlreichen Protestwellen der 1950er Jahre, die als Resultat falangistischer Politik galten, war unter den Falangisten ein Bedürfnis nach Erneuerung entstanden, zudem hatte sich in ihren Reihen eine neue Mitgliedergeneration etabliert, die sozial orientiert war. Dieser Paradigmenwechsel brachte ein neues Urbanisierungsmodell mit sich, das das Spannungsverhältnis zwischen der öffentlichen Steuerung, die auf die Eliminierung informeller Siedlungen abzielte, und der Selbstregulation als »Selbsthilfe« aufgrund der Wohnungsdefizite zur Schau stellte. Der Bauträger der Poblados Dirigidos war eine Genossenschaft, eine gemischte Organisation, in der sich Vertreter der öffentlichen Institutionen (auf nationaler und lokaler Ebene) und der zukünftigen Bewohner (d.h. der leitende Architekt) zusammenschlossen. Die Siedlung wurde als sog. »Bau in Eigeninitiative« (autoconstrucción) errichtet, d.h. die zukünftigen Bewohner bauten sich ihre Wohnungen an den Wochenenden unter der Leitung des Architekten auf Grundstücken selbst, die die öffentlichen Organe zur Verfügung stellten. Hier kam es zu einem einmaligen Versuch, die Praxis des eigenmächtigen Errichtens von Unterkünften, die der Staat ansonsten repressiv bekämpfte, für öffentliches Bauen fruchtbar zu machen. 6 Vgl.: Ramon Reixach i Puig, Els orígens del catolicisme social contemporani a Mataró. Dels inicis de la revolució industrial a la primera guerra mundial, Barcelona 2010.
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Infolge dieser Erfahrung in Entrevías wurden dann in den 1960er Jahren zahlreiche Baugenossenschaften etabliert. Obwohl diese in Madrid meist von privaten Personen konzipiert wurden, die zu den Bauherren ihrer eigenen Wohnungen wurden, gehörten sie nach dem Machtwechsel 1957 zu den am meisten unterstützten Sozialwohnungsbauformen der neu ausgerichteten Stadtverwaltung in Barcelona. Bedingt durch die finanzielle Notlage der Kommune sowie durch den Willen des neuen Bürgermeisters Josep Maria de Porcioles, die Tradition der katalanischen Baugenossenschaften wiederzubeleben und dadurch die katalanischen Unternehmen in die Stadtentwicklung miteinzubeziehen, trug das Wohnungspatronat der Stadtverwaltung damit wesentlich zur Idee der Partizipation und der kollektiven Verantwortung bei. Denn diese Art »legalen Eigenbaus« war eine Form der kooperativen Wohnraumschaffung, die sich aus dem organischen Prozess der Entstehung der Barackensiedlungen ableitete und in welche die Migranten partizipatorisch miteinbezogen wurden. Allerdings ging es in den Wohnungsbaugenossenschaften nicht nur um kollektives Bauen, sondern auch um kollektive Verantwortung und Entscheidung in einer gemeinsamen Sache. Gleichwohl beschränkte sich die Idee der gesellschaftlichen Partizipation des Wohnungspatronats nicht nur auf die Etablierung von Baugenossenschaften, sondern umfasste auch die Gründung von Sozialzentren in den vom Wohnungspatronat gebauten Siedlungen. Diesen Anspruch entwickelte der Leiter des Wohnungspatronats, José María Martínez-Marí, durch seine engen Kontakte zum Kreis der katholischen Soziologen und der Caritas. Durch deren Einfluss und durch Martínez-Marís Initiative förderte das Wohnungspatronat den Bau und die Etablierung zahlreicher Sozialzentren, die sich im Laufe der Zeit zum Laboratorium der Bürgerlichkeit, der Partizipation und schließlich zur Keimzelle der Nachbarschaftsvereine entwickelten. Somit trugen die Sozialzentren in weiterer Perspektive zum zivilgesellschaftlichen Engagement der Bewohner in puncto Urbanisierung der Stadtperipherien bei, indem sie zahlreiche Forderungen an die öffentlichen Verwaltungsinstitutionen richteten. Während sich die bisherige Forschung auf die Annahme fokussiert, dass erst die Nachbarschaftsvereine den wichtigen Impuls für die Entwicklung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Peripheriebewohner gaben, zeigen die Fallbeispiele der vorliegenden Studie, dass in Barcelona die Erziehung zur Bürgerlichkeit bereits von den städtischen und christlichen Eliten initiiert und durch die öffentlichen Institutionen stark unterstützt wurde.7 7 Nina Schierstaedt zeigt am Beispiel der Madrider Nachbarschaftsvereine, dass diese vor allem stark am Mangel an Räumlichkeiten litten. Vgl.: Schierstaedt, Kampf um den städtischen Raum, S. 303. Die Fallbeispiele dieser Studie zeigen dagegen, dass die Nachbarschaftsvereine sich in den
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Zudem wird das zivilgesellschaftliche Engagement der Nachbarschaftsvereine in der Forschung in der Regel auf die wachsende antifranquistische und »demokratische« Oppositionsbewegung zurückgeführt.8 Lediglich Pamela Radcliff widerspricht dieser Annahme zu Recht mit dem Argument, dass die Bildung der Nachbarschaftsvereine im Franco-Staat durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Vereine aus dem Jahr 1964 durch die franquistische Administration einen wichtigen Impuls dazu gab. Somit betont Radcliff, dass die Grundlage für die Bildung zivilgesellschaftlichen Handelns im Rahmen der Nachbarschaftsvereine weitgehend durch die Gesetzeslage der franquistischen Verwaltungen möglich war.9 Die Analyse der hier ausgeführten Fallbeispiele wie etwa der Siedlung Montbau zeigt aber, dass neben dieser Gesetzeslage, die die Bildung der Nachbarschaftsvereine begünstigte, vor allem die Sozialzentren den Ursprung für die Vereinsgenese bildeten. Und diese wurden von öffentlichen Stellen gefördert und vorangetrieben. Das Fallbeispiel Montbau zeigt, dass das Wohnungspatronat der Stadtverwaltung unter der Leitung von José María Martínez-Marí, der sich von den katholischen Intellektuellen und dem Kreis der Caritas inspirieren ließ, durch die kommunale Unterstützung zur Etablierung von Sozialzentren eine Basis für die Mitwirkung der Bewohner am lokalen Geschehen und somit auch für zivilgesellschaftliches Engagement schuf. In diesem Sinne geht es um das Konzept einer »gelenkten und kontrollierten Partizipation«, die sich keinesfalls gegen das franquistische Regime richtete und sich daher als »unpolitisch« verstand, jedoch zur Herausbildung alternativer Denk- und Handlungsmuster beitrug.10 Die Stadtperipherie bot nämlich einen äußerst komplexen Handlungsraum, in dem viele zivilgesellschaftliche Initiativen nicht auf den Sturz des Regimes hin ausgerichtet waren, sondern sich auf die Phänomene der Stadtentwicklung konzentrierten. Dennoch trugen diese zivilgesellschaftlichen Initiativen zugleich dazu bei, dass sich eine »demokratische Kultur« herauskristallisieren konnte. Großen Einfluss hatten dabei neben den katholischen Intellektuellen auch die militanten Vertreter religiöser Gruppierungen, die sich im Laufe der 1960er Jahre Sozialzentren einrichteten, die mit der Unterstützung der lokalen Verwaltungen gebaut worden waren. 8 U.a.: Bordetas Jiménez, Nosotros somos los que hemos hecho esta ciudad ; Construint la ciutat democràtica. 9 Radcliff, La construcción de la ciudadanía democrática, S. 96–102 ; Radcliff, Associations and the Social Origins of the Transition, S. 144–151 ; Pamela Radcliff, La ciudadanía y la transición a la democracia, in : De súbditos a ciudadanos. Una historia de la ciudadanía en España, hg. v. Manuel Pérez Ledesma, Madrid 2007, S. 343–371. 10 Darauf verweist auch Nina Schierstaedt in : Schierstaedt, Kampf um den städtischen Raum, S. 310.
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Schlussbemerkungen
infolge der kirchlichen Reformen des II. Vatikanischen Konzils innerhalb der katholischen Kirche entwickelten. Insbesondere die junge Generation der Katholiken erteilte dem bisherigen traditionellen Paternalismus der Kirche eine Absage zugunsten einer Erziehung der aus ländlichen Gebieten stammenden Zuwanderer zum urbanen Leben. Während in der bisherigen Forschung der Schwerpunkt des Engagements der jungen Priester und Militanten aus den Kreisen der JOAC und HOAC nur auf der Oppositionsbewegung liegt, zeigen die hier ausgeführten Beispiele des Engagements junger Priester aus den Kreisen der JOAC und HOAC im Rahmen der Infrastrukturverbesserung sowie der Sozialassistentinnen der Caritas in Camp del Bota und Roquetes, welchen relevanten Einfluss diese jungen Katholiken nicht nur auf die infrastrukturelle Versorgung, sondern auch auf den Wandel des urbanen Raumes hatten, etwa durch die Versuche, den Bewohnern urbanes Leben nahezubringen. Denn es ging hier nicht mehr nur darum, dass die Zuwanderer sich allein Wohnräume schufen, sondern vielmehr darum, gemeinsam eine infrastrukturelle Versorgung zu beschaffen, gemeinsame Probleme in der Siedlung auch als Kollektiv zu lösen und sich somit für das eigene Leben in der Stadt einzusetzen. Dass die Bildung der Nachbarschaftsvereine oft »von oben« gesteuert wurde, zeigt am prägnantesten das Fallbeispiel Camp de la Bota. Der Bürgermeister von Sant Adrià de Besòs, Francisco Roqueta Prat, bediente sich zwar des Gesetzes über die Vereine, gab jedoch den Bewohnern den wichtigen Impuls für die Bildung des Nachbarschaftsvereins im Kontext seiner zahlreichen Konflikte mit der Stadtverwaltung Barcelona unter dem Bürgermeister Porcioles. Josep Maria de Porcioles setzte sich stark für den Umbau und die Modernisierung der Stadt durch zahlreiche Urbanisierungsprojekte ein, vernachlässigte jedoch infrastrukturell wesentlich die Stadtperipherie, darunter auch den zu Barcelona gehörenden Siedlungsteil Pekín. Zudem praktizierte er eine Politik der Dezentralisierung der durch Migration und informelle Besiedelung entstandenen Probleme zum Nachteil der umliegenden Munizipien, indem er die Umsiedlung von Barackenbewohnern aus der Hauptstadt Kataloniens in die benachbarten Kommunen veranlasste. Somit schuf er Grundstücke für weitere prestigeträchtige Urbanisierungsprojekte in Barcelona, während sich Sant Adrià de Besòs mit einer steigenden Zahl von Baracken im eigenen Kommunalgebiet und einem dennoch stark begrenzten Budget konfrontiert sah. Der Nachbarschaftsverein, in dem die Bewohner des Barceloneser Siedlungsteils Pekín vereint waren, sollte daher die Bereitstellung von Infrastrukturen von der Stadtverwaltung Barcelona erzwingen. Die Gründung des Nachbarschaftsvereins, die vom Bürgermeister von Sant Adrià de Besòs vorangetrieben wurde, diente letzterem dabei als Instrument im Kampf gegen die Entscheidungen der Stadtverwaltung von Barcelona.
Schlussbemerkungen
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Somit zeigt sich, dass zivilgesellschaftliches Handeln seinen Ursprung oft auch in Strategien der städtischen, oft auch regimenahen Eliten hatte. Zwar lässt sich dabei »Zivilgesellschaft« nicht mit demjenigen Konzept gleichsetzen, wie es in demokratischen Staaten bereits entwickelt war, sondern eher als Impuls für partizipatorische und kollektive Aktionen auffassen, die in der Zeit der politischen Transformation nach dem Tod Francos dann tatsächlich Züge eines zivilgesellschaftlichen Gepräges aufweisen sollten. In diesem Sinne stellten auch die Stadtperipherien in den 1960er Jahren ein Laboratorium des Bürgersinns dar, einen Raum, in welchem die aus ländlichen Gebieten zugewanderten Migranten mithilfe oder durch den Impuls der städtischen Eliten das Leben in der Stadt und somit Partizipation und Eigenengagement erlernen sollten. Das Beispiel der Konkurrenzverhältnisse zwischen den Verwaltungen von Barcelona und Sant Adrià de Besòs zeigt zudem auch eine höchst unterschiedliche Position der Stadtverwaltungen Madrids und Barcelonas im Franco-Staat. Die staatlichen Strukturen in der Hauptstadt bremsten die Mitwirkung der Stadtverwaltung in Madrid wesentlich, weil diese nicht nur keine finanziellen Mittel, sondern auch keine Entscheidungskompetenzen hatte. Am Beispiel der Konflikte zwischen der Stadtverwaltung und dem Syndikat OSH im Hinblick auf die vom OSH gebauten Siedlungen wurde aufgezeigt, wie unbeweglich die Stadtverwaltung Madrid im Kräftespiel mit den staatlichen Behörden und Ministerien in Madrid war. In diesem Sinne hatte die Stadtverwaltung in Barcelona trotz der Unterordnung unter die Entscheidungen des Staates, vertreten durch den Zivilgouverneur, eine etwas bessere Ausgangsposition. Nach 1956 zeichnete sich allerdings eine noch stärkere Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen dem Zentralstaat und der politischen Peripherie ab. Angetrieben durch die politisch-ökonomische Krise Ende der 1950er Jahre gaben die Technokraten in den 1960er Jahren lokalen Organen größere Kompetenzen – mit dem Argument einer effizienteren weil situationsnäheren Verwaltung. Dies kam den Bestrebungen des Barceloneser Bürgermeisters Porcioles entgegen, größere Entscheidungskompetenzen sowie Finanzmittel (und somit größeren lokalen Einfluss) für die Stadtverwaltung zu erkämpfen. 1960 wurde daher für Barcelona die sog. Kommunale Charta verabschiedet, die dem Bürgermeister ebensolche erweiterten Kompetenzen in der Stadtplanung und -entwicklung zusprach. Die Stadtverwaltung Barcelonas wurde nun zu einem wichtigen Bauträger, der meist mit privaten Unternehmen zusammenarbeitete. Auch wenn nach der Verabschiedung der Kommunalen Charta für Barcelona auch Madrid zum Ausgleich eine gesetzliche Sonderregelung mit erweiterten Kompetenzen für den Bürgermeister bekam, wurde die Stadtpolitik Madrids
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Schlussbemerkungen
als nationale Hauptstadt weiterhin vor allem von zentralstaatlichen Instanzen gelenkt11 und konzentrierte sich ausschließlich auf den Verkauf von Lizenzen und Steuereinnahmen, was zu einer städtebaulichen Verdichtung und zu infrastrukturellen Mängeln führte (wie im Fall Moratalaz). Demgegenüber übernahm die Stadtverwaltung in Barcelona eine zentrale Position in ihrer Metropolregion. Zwar war sie dem Zentralstaat in Madrid untergeordnet, in der Region zeigte sich der Bürgermeister jedoch als mächtiger Herr, der durch seine klientelistische Praxis, im Rahmen derer der komplette Umbau der Stadt seinen persönlichen Beziehungen unterlag,12 die Urbanisierungspolitik mit großen und gewinnbringenden Projekten in der Stadt vollzog und die umliegenden Munizipien als Dezentralisierungsräume für die vermögensschwachen Arbeiter nutzte. Die 1960er Jahre stellten eine Periode dar, in welcher sich die Peripherien stark entwickelten und in der der urbane Wandel immer sichtbarer wurde, trotz der vorhandenen Mischformen ländlicher und urbaner Lebensformen. Dabei ging es nicht nur um eine beschleunigte Bautätigkeit und die Entstehung riesiger Wohnsiedlungen, sondern auch um den sozialen Wandel von deren Bewohnern. Diese wurden mehr und mehr von einer agrarisch-dörflichen Mentalität zu einer urbanen Mentalität erzogen. Dies betrifft nicht nur die Tatsache, dass sie in der städtischen Industrie oder im Dienstleistungssektor beschäftigt waren, sondern auch, dass sie durch Medien und Konsum immer mehr zu säkularen und konsumorientierten Bürgern wurden. Gerade die wenig vermögenden Arbeiterschichten versuchten sich der Mittelschicht durch Konsum anzugleichen, wobei Wohnung, Wagen und Fernseher zu Symbolen der Urbanität wurden. Quellenbedingt war es leider kaum möglich, dem Freizeit- und Konsumverhalten der Peripheriebewohner nachzuspüren. Fragen nach Erfahrungen mit der städtischen Lebensweise, nach zeitlichen Sozialisierungsperioden und dem Ausmaß der Verbreitung solcher städtischen Muster blieben weitgehend offen. Allerdings erlaubte die Analyse der Rolle der Madrider Siedlungszeitschrift »Moratalaz« bei der Bildung lokaler Identität zumindest ansatzweise, deren Funktion auch für die Verbreitung städtischer Konsumpraktiken durch die angestrebte Etablierung einer engen Verbindung zwischen den lokalen Geschäften und den Bewohnern nachzugehen. Deutlich wird aus dieser Analyse, dass insbesondere die Frauen im Stadtviertel Moratalaz sich dem neuen konsumorientierten Frauen-Typus anglichen, indem sie etwa ihre Verpflichtungen im Haushalt immer öfter mit neuen 11 Vgl.: Madrid/Barrios 1975, S. 12. 12 Siehe u.a.: Jesús Ynfante, Los negocios de Porcioles. Las sagradas familias de Barcelona, Toulouse 1974.
Schlussbemerkungen
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modernen Haushaltsgeräten erledigten.13 Diese Andeutungen reichen jedoch nicht aus, um die Frage zu beantworten, zu welchem Grad dieses konsumorientierte Verhalten die Frauen in Moratalaz erfasste. Insgesamt lässt die Analyse der Veränderungen der Mentalität der aus ländlichen Gebieten zugewanderten Bewohner zwar noch kaum sichere Aussagen zu, dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Migranten sich durch die Beschäftigung und die städtische Umgebung dem städtischen Alltag und Habitus nach Möglichkeit (insofern dies z.B. die vorhandenen Infrastrukturen erlaubten) vermehrt zuwandten. Gleichzeitig wurde der Konsum, der sich offenbar immer stärker im Leben in den Stadtperipherien durchsetzte, von den städtischen Eliten in der Öffentlichkeit als Ursache für passiv-konsumistisches und apolitisches Verhalten der Peripheriebewohner kritisiert. Dabei galt diese Kritik insbesondere dem Fernsehen, das in den 1960er Jahren zum Symbol einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens stilisiert wurde, wobei die Popularität dieses Mediums gleichzeitig auch in der Bevölkerung wuchs. Das Radio und das Fernsehen waren Hauptmedien der Propaganda des Regimes und wurden vollständig zentral kontrolliert und gestaltet. Dabei ging es vor allem, wie die Historiker unterstreichen, um eine Instrumentalisierung eines relativen Zufriedenheitsgefühls unter den Spaniern und um die Bildung einer neuen Mentalität : des vollständig auf den Konsum gerichteten Menschen.14 Und dies ließ sich durch das Fernsehen leicht steuern. Im Gegensatz dazu übernahmen die Printmedien – die Tages-, Wochen- und Fachpresse – in Folge des neuen und etwas liberalisierten Fragas-Pressegesetzes von 1966 die Rolle des öffentlichen Raums der Bürgerbeteiligung und wurden daher oft »Parlament aus Papier«15 genannt. In diesem Sinne erlaubte die Analyse, einen »konzipierten« und einen »wahrgenommenen« Raum zumindest in Ansätzen zu erfassen sowie eine Diskrepanz zwischen beiden festzustellen. Demnach stimmte die Stadtvorstellung der jeweiligen Individuen bzw. Personengruppen nicht mit derjenigen der staatlichen Vertreter überein : In der ersten Phase konzipierte das Regime die Stadt als Raum der öffentlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit (nach seinem Verständnis), unter den Technokraten dann durch die »Erneuerungspolitik« als »Raum des modernen Lebens«. Gleichzeitig verfügten die unterschiedlichen Akteure der 13 Vgl.: Kostis Kornetis u.a., Introduction, in : Consumption and Gender in Southern Europe since the long 1960s, hg. v. Kostis Kornetis u.a., London 2016, S. 1–26, hier : S. 8–9. 14 Sevillano Calero, Ecos de papel, S. 210. 15 Barrera, La apertura informativa, S. 411.
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Schlussbemerkungen
Stadtentwicklung über unterschiedliche Stadtkonzepte, die von der Kirchengemeinde über sozial befriedete »Berufssiedlungen« (Berufsgenossenschaften) und antiurban ausgerichtete Siedlungen mit ländlichem Charakter (Gewerkschaft der Partei Falange) bis hin zu modernen und funktionalen Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus (Architekten) reichten. Dabei wich die wahrgenommene Stadt auch von diesen Konzepten weitgehend ab. Die Stadtperipherie, die sich oft auf dicht gebaute Wohnsiedlungen ohne Infrastruktur und kulturelle Einrichtungen in ländlicher Umgebung beschränkte, stand immer mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik, die durch das liberalisierte Pressegesetz gefördert wurde. Immer mehr Intellektuelle aus professionellen, kirchlichen oder literarischen Kreisen warfen dem Regime vor, stadtplanerisches Chaos, soziale Ungerechtigkeit und Klassenpolitik zu betreiben. Der von diesen Akteuren wahrgenommene Raum war u.a. durch vorwiegend ländliche Eigenschaften der Umgebung, etwa die Abgeschiedenheit von der Stadt und die fehlenden Infrastrukturen, sowie durch Anonymität, riesige Wohnsiedlungen mit hohen Wohnblöcken und großen Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort charakterisiert. Soziologen griffen dabei in ihrer Kritik auf eine Konzeption der mediterranen Lebensart zurück, laut welcher Menschen ihre sozialen Beziehungen vorwiegend auf der Straße realisieren, was aber in der wahrnehmbaren Stadt durch fehlende Infrastrukturen wie Parks oder öffentliche Plätze nicht möglich sei.16 Allerdings zeigte sich die städtische Presse in den untersuchten Fallbeispielen auch als ein relevanter Akteur in den Urbanisierungsprozessen. Die erwähnte Stadtteilzeitschrift »Moratalaz«, die als Organ des Nachbarschaftsvereins fungierte (der übrigens auch von regimenahen Persönlichkeiten gegründet worden war), setzte sich zum Ziel, unter den Bewohnern eine gemeinsame Identität und ein Gemeinschaftsgefühl zu wecken und dadurch die Missstände und defizitäre Infrastrukturversorgung im Stadtviertel erfolgreich zu beseitigen. Sowohl die infrastrukturellen Mängel als auch die Veränderung der Formen des Zusammenlebens, die sich nach Meinung der Redaktion durch Passivität und Individualismus manifestiere, galt es als Symptome der »urbanen Krise« durch die Bildung einer solchen Identität zu bekämpfen. Dabei war die redaktionelle Arbeit strategisch darauf ausgerichtet, durch die räumliche Abgrenzung des Stadtviertels und mit dem Fokus auf gemeinsame Ziele und Erlebnisse, jedoch nicht etwa auf (partei-)politische Ansichten Verbindungen zwischen den Stadtteilbewohnern, Institutionen sowie kommerziellen Einrichtungen zu schaffen und somit 16 Vgl.: Mario Gavira, El Gran San Blas. Análisis sociourbanístico de un barrio nuevo español, in : Arquitectura, Nr. 113–114, 1968, S. 1–154.
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eine lokale Identität zu stiften. In diesem Sinne wurde die Stadtteilzeitschrift zu einem wichtigen Akteur im Urbanisierungsprozess, der den Versuch unternahm, die Bewohner in die Angelegenheiten der Siedlung sowie in die räumlich festgelegten Konsum- und Freizeitangebote miteinzubeziehen und schließlich eine Identifikation der Bewohner mit dem Ort zu erzeugen. Spielten in Madrid die Stadtteilzeitschriften eine relevante Rolle im Urbanisierungsprozess, übernahm diese Funktion in Barcelona stärker als in der Hauptstadt auch die lokale Tagespresse. Anders als in Madrid, wo die Angelegenheiten in den einzelnen Stadtvierteln von der Presse meist nur dann thematisiert wurden, wenn diese eine allgemeine politische Relevanz (z.B. für die Kritik am Regime) hatten, standen in Barcelona vor allem die lokalen städtischen Probleme im Fokus der Printmedien. Statt gegen die nationale Politik der Madrider Ministerien richtete sich die Kritik der Presse in Barcelona vor allem gegen die kommunale Politik der Stadt. Dadurch war die Presse Barcelonas wesentlich mehr mit dem Ort verbunden und setzte sich öfter mit den Problemen einzelner Siedlungen auseinander, wodurch sich die Stadtbürger an deren Sorgen beteiligen konnten. Somit waren die Probleme einzelner Siedlungen medial verortet. Zudem versuchten die städtischen Eliten, die sich für die Stadtperipherie engagierten, deren Probleme nicht nur durch die Medien zur Sprache zu bringen, sondern auch die öffentlichen Institutionen durch den Aufbau von Druck zum Handeln zu bewegen. Das Beispiel der Barackensiedlung Camp de la Bota zeigt, dass die dort engagierten christlichen Gruppierungen die Tagespresse als eine Art öffentliches Diskussions- und Verhandlungsforum nutzten, mittels dessen man Lösungen von der öffentlichen Administration erzwingen wollte. Blieb die kommunale Verwaltung taub gegenüber den Problemen der Siedlung, zu welchen etwa die Finanzierung der Piaristenschule gehörte oder später die Bereitstellung von Sozialwohnungen für die Bewohner, brachte man diese Angelegenheiten in die öffentliche Sphäre der gesamten Stadt, um auf diese Weise die Stadtverwaltung zum Handeln zu zwingen. Wie der Fall Camp de la Bota zeigt, funktionierte diese Methode hervorragend : Die Stadtverwaltung baute zunächst in der Siedlung eine neue Schule, schließlich versprach sie den Bewohnern auch Sozialwohnungen in der neu gebauten Siedung La Mina. Allerdings blieb die Presse dabei nicht in der Rolle eines passiven Berichterstatters, sondern steuerte auch aktiv die öffentlichen Diskussionen um die städtischen Angelegenheiten. Manchmal kreierte sie dadurch neue Bilder der Stadtperipherie, wie es das Beispiel der Siedlung La Mina veranschaulicht : Die Tagespresse nahm soziologische Untersuchungen in den Blick, in welchen die Siedlung durch die soziale und räumliche Struktur als ein Raum jugendlicher
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Schlussbemerkungen
Kriminalität dargestellt wurde, und nutzte dieses Argument dann, um die lokale Stadtpolitik für die Kriminalisierung und Pathologisierung der Stadtperipherie verantwortlich zu machen. Letztlich litten jedoch die Siedlung und ihre Bewohner unter dem zunehmend verbreiteten Stereotyp eines pathologisierten Raumes. Wenn die Bewohner gegen eine solche Stigmatisierung protestierten, nutzten sie ebenfalls die Presse dazu, um ihre Argumente in der Öffentlichkeit vorzustellen. Insgesamt wurde die lokale Presse in Barcelona so zum öffentlichen Raum der Bürgerbeteiligung, in dem sich nicht nur die Presse selbst, sondern die gesamte städtische Gesellschaft am Diskurs um die Urbanisierungsprozesse beteiligen konnte. Auch wenn der Vergleich der beiden Städte Barcelona und Madrid quellenbedingt ungleich blieb und viele Fragen offenlässt, lässt sich dennoch feststellen, dass gerade in Barcelona die Stadtentwicklung besonders stark von langfristigen Prozessen beeinflusst war. Zudem blieb auch die Rolle der städtischen Eliten relevant, die stärker als in Madrid am Ort verwurzelt waren und deren Engagement in den Stadtentwicklungsprozessen und öffentlichen Auseinandersetzungen damit bereits eine Tradition und Kontinuität aufwies. Madrid als Hauptstadt blieb in manchen Aspekten »ortslos« und ohne Bezug zum Lokalen, weil sie stets als Referenz für das gesamte Land unter den Bedingungen des Franco-Regimes galt. Dies betraf nicht nur die Rolle der lokalen administrativen Stellen (etwa der Stadtverwaltung), deren Handlungsmöglichkeiten insgesamt im Franco-Staat stark begrenzt waren, sondern auch die Rolle der Presse. In diesem Sinne war Barcelona stärker auf lokale Ziele und Handlungsräume hin ausgerichtet. Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, dass sich die Rolle des Franco-Staates für die Stadtentwicklung trotz weitgehender Ansprüche des Regimes großenteils auf eine lediglich administrativ-richtungsgebende Funktion beschränkte ; die tatsächlichen Motoren im Urbanisierungsprozess waren jedoch unterschiedliche Akteure. Weil es an staatlichen und durchsetzbaren Planungsmechanismen fehlte, steuerten zivilgesellschaftliche Mechanismen – im Sinne einer weitgehenden gesellschaftlichen Involvierung – die Ausgestaltung der Stadtentwicklung stärker als im Falle der nordwesteuropäischen Städte.17 Dadurch wurde die Peripherie der Städte Madrid und Barcelona im Zuge der Industrialisierung und massenhaften Migrationen zu einem äußerst dynamischen Raum, in dem eine Vielzahl gesellschaftlicher und kultureller Themen und Werte auf komplexe Weise verhandelt wurde und in welchem sich der politische, kulturelle und soziale Wandel Spaniens stark abzeichnete. 17 In diesem Sinne auch : Liedtke, Verstädterung ohne Urbanisierung ?, S. 52.
Anhang Abkürzungsverzeichnis AGA AHGCB AHRCM AMCB ANC ASAB BOE CEDEC CIAM CIDUR COAC COAM COPLACO COUM DGRD EPC FOESSA GATCPAC GMUM HOAC IMHAB INI INV JOAC JOC OCPD OSH PCE PMV RENFE SEU SUT VCE
Archivo General de la Administración Archivo Histórico del Gobierno Civil de Barcelona Archivo Histórico Regional de la Comunidad de Madrid Arxiu Municipal Contemporani de Barcelona Arxiu Nacional de Catalunya Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs Boletín Oficial del Estado Centro de Estudios Socioeconómicos para el Desarrollo de la Comunidad Congrès Internationaux d’Architecture Moderne Centro de Investigación y Documentación Urbana y Rural Col·legi d’Arquitectes de Catalunya Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid Comisión de Planeamiento y Coordinación del Área Metropolitana de Madrid Comisaría General para la Ordenación Urbana de Madrid Dirección General de Regiones Devastadas Escola Pia de Catalunya Fomento de Estudios Sociales y de Sociología Aplicada Grupo de Artistas y Técnicos Españoles para el progreso de la Arquitectura Contemporánea Gerencia Municipal de Urbanismo de Madrid Hermandad Obrera de Acción Católica Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona Instituto Nacional de Industria Instituto Nacional de la Vivienda Juventudes Obreras de Acción Católica Juventud Obrera Cristiana Orientació Catòlica i Professional del Dependent Obra Sindical del Hogar Partido Comunista de España Patronato Municipal de la Vivienda Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles Sindicato Español Universitario Servicio Universitario de Trabajo Viviendas del Congreso Eucaristico
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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Archivalische Quellen
Archivo de la Villa, Madrid Archivo General de la Administración, Madrid – (04) 066.000 : Ministerio de la Vivienda, Dirección General de Arquitectura y Vivienda – (09) 017.002 : Secretaría General del Movimiento, Secretaría Política – (08) 011.019 : Ministerio de la Gobernación, Dirección General de Administración Local Archivo Histórico COAM, Madrid – Fondo Entrevías – Fondo Moratalaz Archivo Histórico Regional de la Comunidad de Madrid – Fondo Ministerio de la Vivienda, COPLACO – Fondo Ministerio de la Vivienda, INV Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona – Fons Cases del Governador – Verdún – La Mina – S.O. Besòs y Canyelles – Portería – Can Clos Arxiu Diocesà de Barcelona – Arxiu Personal R. Duocastella – Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes – Associacions i Institucions Diocesanes Arxiu General de la Subdelegació del Govern a Barcelona – Fons Governadors Civils – Fons Circulars – Fons Negociat Arxiu Històric del Camp de la Bota i la Mina, Barcelona Arxiu Històric Càritas Diocesana Barcelona – Maresma Besòs – Centros Sociales – Camp de la Bota Arxiu Històric COAC, Barcelona – Fons Manuel Baldrich i Tibau Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona Arxiu Municipal Contemporani de Barcelona – Obres Públiques – Ajuntament de Barcelona – Gestió urbanistica
Zeitungen und Zeitschriften
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– Ajuntament de Barcelona, Patronat Municipal de L’Habitatge – Montbau Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs – Fons Correspondència general d’urbanisme – Fons Ajuntament – Fons Estudis de Sant Adrià de Besòs – Fons Estudis del Camp de la Bota – Fons Estudis de la Mina Arxiu Nacional de Catalunya, Barcelona – Fons Josep Maria de Porcioles Arxiu Provincial Escola Pia de Catalunya, Barcelona – Fons Camp de la Bota Filmoteca de Catalunya, Barcelona 2. Zeitungen und Zeitschriften
ABC (Madrid) ABC Sevilla Arquitectura (Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid) Arriba (Madrid) Arte y Hogar Asociación Católica de Dirigentes. Boletín de noticias e información Avui (Barcelona) Boletín de Información de la Dirección General de Arquitectura Boletín de la Cámara Oficial de la Propiedad Urbana de la Provincia de Barcelona Boletín de la Dirección General de Arquitectura y Urbanismo Boletín Informativo. Colegio Oficial de Arquitectos de Madrid Boletín Oficial de la Provincia de Barcelona Boletín Oficial del Estado Boletín Sindical (Sevilla) Cambio 16 (Madrid) Cáritas. Boletín Ciencia Urbana. Revista de Instituto de Estudios de Administración Local Cristiandad (Barcelona) Cuadernos de Arquitectura (Colegio Oficial de Arquitectos de Cataluña y Baleares) Diario de Barcelona (Barcelona) Doblón (Madrid) Ecclesia (Dirección Central de la Acción Católica Española) Ecos y Voces del Campo Social (Secretariado Social de la Junta Diocesana de Acción Católica de Barcelona) El Alcázar (Madrid) El Correo Catalán (Barcelona)
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El Noticiero Universal (Barcelona) Foviso : fomento de la vivienda social. Boletín informativo Gaceta Municipal de Barcelona Gran Madrid (Boletín Informativo de la Comisaría General para la Ordenación Urbana de Madrid y sus alrededores) Hogar y Arquitectura (Obra Sindical del Hogar) Hoja del Lunes (Barcelona) Jano. Arquitectura & Humanidades La Casa. Revista de Información sobre la Vivienda La Vanguardia Española (Barcelona) La Vivienda (Madrid) Madrid (Madrid) Moratalaz. Boletín informativo de la Asociación de Propietarios y Vecinos Mundo (Madrid) Pastoral Misionera (Madrid) Promos (Barcelona) Pronto. Revista de actualidad Pueblo (Madrid) Qüestions de vida cristiana (Barcelona) Radar Social (Federació de Cristians de Catalunya) Revista Nacional de Arquitectura (Dirección General de Arquitectura) Sábado gráfico (Madrid/Barcelona) Serra d’Or (Barcelona) Solidaridad Nacional (Barcelona) Tele/Estel (Barcelona) Tele/eXpres (Barcelona) Triunfo. Semanario gráfico (Madrid) Villa de Madrid Vivienda y Paro (Comisaría Nacional del Paro, Ministerio de Trabajo) Vivienda y Urbanismo. Revista del Ministerio de la Vivienda Vivienda. Boletín Informativo del Patronato Municipal de la Vivienda de Barcelona 3. Filme
Polígono La Mina, Reg. Jesús Martínez Muñoz, Roberto Ayala, 1972, in : Filmoteca de Catalunya, Sig. 17027.v/02. Una llave, Reg. Julio Ubiña, ohne Dat., vermutlich 1974, in : Filmoteca de Catalunya, Sig. 17024.v/02.
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Professor Joan Vilá Valentí. El seu mestratge en la geografia universitaria, Barcelona 1999, S. 1563–1578. Vilandrau, Maurice, L’étonnante aventure des Castors : l’autoconstruction dans les années 1950, Paris 2002. Villasante Rodríguez, Tomás u.a., Retrato de chabolista con piso. Análisis de redes sociales en la remodelación de barrios de Madrid, Madrid 1989. Vinuesa Angulo, Julio, Distintas delimitaciones del Área Metropolitana de Madrid, in : Revista Internacional de Sociologia, Nr. 23, 1977, S. 441–458. Vivienda y sociedad. Nuevas demandas, nuevos instrumentos, hg. v. Carme Bellet u.a., Barcelona 2008. Viviendas del Congreso Eucaristico : entidad benéfica constructora, 1952–1971, Barcelona 1972. Vorms, Charlotte, Bâtisseurs de banlieue à Madrid. Le quartier de la Prosperidad (1860– 1936), Paris 2012, S. 67–83. Vorms, Charlotte, La ville sans plan ? Le faubourg de la Prosperidad à Madrid (1860– 1940), in : Histoire urbaine, Nr. 8, 2003, S. 103–128. Vorms, Charlotte, Madrid années 1950 : La question des baraques, in : Le Mouvement Social, Nr. 245, 2013, S. 43–57. Weinhauer, Klaus, Kriminalität in europäischen Hochhaussiedlungen : Vergleichende und transnationale Perspektiven, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2013, S. 35–47. Wynn, Martin, Peripheral Urban Growth in Barcelona in the Franco Era, in : Iberian Studies, Nr. 1, 1979, S. 13–28. Ysàs, Pere, Disidencia y subversión : la lucha del régimen franquista por su supervivencia, 1960–1975, Barcelona 2004. Zimmermann, Clemens, Einleitung : Stadt und Medien, in : Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Clemens Zimmermann, Köln 2012, S. 1–18. Zimmermann, Clemens, Medien und Stadt, in : Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Nr. 1, 2007, S. 70–85. Zimmermann, Clemens, Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung, Frankfurt/Main 2000.
Abbildungs- und Tabellennachweise Abb. 1 : Fundación Foessa, Informe sociológico sobre la situación social de Madrid, Madrid 1967. Abb. 2 : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal Abb. 3 : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal Abb. 4 : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal Abb. 5 : Fot. Ginés Cuesta Ortiz. Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona Abb. 6–7 : Fot. Ginés Cuesta Ortiz. Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona
Abbildungs- und Tabellennachweise
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Abb. 8 : Fot. Mariano Velasco. Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona Abb. 9–12 : Fot. Mariano Velasco. Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona Abb. 13–14 : Arxiu Diocesà de Barcelona Abb. 15 : Viviendas del Congreso Eucarístico, memoria correspondiente al ejercicio. Entidad Benéfica Constructora »Viviendas del Congreso Eucarístico«, Barcelona 1957. Abb. 16 : Viviendas del Congreso Eucarístico, Entidad benéfica constructora acogida a la protección del INV, Una obra en marcha 1952–1962, Barcelona 1962. Abb. 17 : Viviendas del Congreso Eucarístico, Entidad benéfica constructora acogida a la protección del INV, Una obra en marcha 1952–1962, Barcelona 1962. Abb. 18–19 : Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961. Abb. 20–21 : Hogar y Arquitectura, Nr. 34, 1961. Abb. 22–23 : Arxiu de l’Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona Abb. 24–26 : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons José María Martínez-Marí Odena Abb. 27 : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona Abb. 28–31 : Arxiu Històric de Roquetes-Nou Barris, Barcelona. Abb. 32 : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina Abb. 33 : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina Abb. 34 : Tele/eXpres, 9.11.1965. Abb. 35 : CAU. Construcción, arquitectura, urbanismo, Nr. 16/1972. Abb. 36 : URBIS : Visita a los barrios de Niño Jesús, Estrella, Moratalaz, hg. v. URBIS, Madrid 1967. Abb. 37 : Asociación de Vecinos Moratalaz Avance, Madrid. Abb. 38 : Moratalaz, Nr. 41, 1972. Abb. 39 : Moratalaz, Nr. 43, 1972. Abb. 40 : Moratalaz, Nr. 12, 1968 ; Moratalaz, Nr. 10, 1968. Abb. 41 : Moratalaz, Nr. 16, 1969. Abb. 42 : Tele/eXpres, 15.08.1970. Abb. 43–44 : Arxiu Municipal de Sant Adrià de Besòs, Fons Municipal Abb. 45 : Arxiu del Patronat Municipal de l’Habitatge de Barcelona Abb. 46 : El Correo Catalán, 21.05.1970. Abb. 47 : Arxiu Històric Camp de la Bota i La Mina Tabelle 1 : Constancio de Castro, El Pozo del Tío Raimundo, in : Estudios Geográficos, Nr. 84–85, 1961. Tabelle 2 : Adjudicación de las viviendas, in : Arxiu Diocesà de Barcelona, Congrés Eucarístic, sèrie Vivendes, caixa 3.
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Personenregister Acedo Colunga, Felipe 80, 81, 88, 158, 159, 324 Alcocer y Ribacoba, Alberto 144, 146 Arias Navarro, Carlos 318 Artajo, Alberto Martín 103, 110 Baeza y Alegría, Eduardo 61, 62, 66 Bassó, Franscesc i Gili, Joaquím 168 Bidagor Lasarte, Pedro 130 Bohigas, Oriol 214 Botey, Francisco 203, 236, 241 Bourdieu, Pierre 274 Buxó Dulce d’Abaigar, Joaquín 81 Candel, Francisco 234 – 236, 289 Carreño i Piera, Lluís 213 Carrero Blanco, Luis 158 Casellas Fábregas, Javier 76 Castaño i Colomer, Josep 196 Cavaller, Francesc 168 Cesc (Francesc Vila Rufas) 253, 254, 308 Colomer i Salmons, Montserrat 177 Cruells, Manuel 234, 235 Cuesta Ortiz, Ginés 83, 85 Cuspinera, Jaume 193, 194, 196, 199, 200 Dargallo, Manuel 168 de Albert y Despujol, José María 66, 92 de Alvear, Jaime 132, 133, 136, 140 de Arrese, José Luis 41, 155, 156 de Cruylles, Santiago 159 de la Loma, José Antonio 312, 314 – 316 de la Quintana y Ferguson, Manuel 261 de Llanos, José María 124 – 127, 131, 132 de Mendoza, Juan F. 299 de Porcioles i Colomer, Josep Maria 33, 154, 157 – 159, 161, 184, 187 – 189, 228, 245, 258, 328, 330, 331 Domènech, Rosa 208 Dominguez Salazar, José Antonio 262, 264 Donato, Emilio 84
Duocastella i Rosell, Rogelio 161 – 163, 171, 172, 174, 180 Escalas i Chamení, Fèlix 159 Escudero Ribot, Francisco 168 Finat y Escrivá de Romaní, José María 143 Fraga Iribarne, Manuel 28, 32, 226, 227, 253, 333 Franco, Francisco 13, 16 – 18, 20, 23, 27, 29, 30, 32, 36, 37, 63, 64, 70, 78, 80, 81, 105, 143, 144, 158, 187, 217, 218, 253, 254, 284, 286, 287, 314, 317, 318, 320, 322 – 325, 329, 331, 336 Fuster i Rabés, Ramon 232 Galán, José Ignacio 299 García-Barbón, Lorenzo 168 Giráldez Dávila, Guillermo 168 Giralt i Ortet, Enric 168 Girón de Velasco, José Antonio 38, 123, 129, 132 Gómez-Morán y Cima, Mario 300 Gomis, Lorenzo 173 Gropius, Walter 137 Hinojosa, Rafael 195 Huertas Claveria, Josep Maria 316, 317 Joaniquet, Aurelio 163 Jutglar, Antoni 230 Kfouri, Nadir 205 Laguna, Julián 130, 132 – 137, 146 Lefebvre, Henri 26, 320 Liñán, Josep 199 López Íñigo, Pedro 168 López Rodó, Laureano 158, 159 Marcet Coll, José María 60
Personenregister
Marín, Martí 27, 159, 184 Marqués Maristany, Carlos 112 Marquina, Rafael 168 Martí Jusmet, Francesc 226, 228 Martínez Honrubia, José 299 Martínez Iglesias, José 299 Martínez y Sánchez-Arjona, José María 155, 182, 297 Martínez-Marí, José María 161, 164, 166, 171, 174, 175, 177, 192, 328, 329 Martín-Santos, Luis 32 Mayo, Federico 127 Menéndez de la Vega Seco, Emilio 266, 272, 286 – 288 Modrego Casaus, Gregorio 78, 101, 102, 105, 112, 115, 162 Molina, Esperanza 56, 70, Morales, Tomás 132 Moreno Ibáñez, Eduardo 226, 228 Mortes Alfonso, Vicente 296 – 298 Murtra, Guillermo 299 Narbón Noet, José 193, 196, 197, 232 Nualart i Maymí, Jaume 161, 164 – 166, 172, 230 Núñez, Juan 299 Oud, Jacobus Johannes Pieter 137 Pelayo Ros, Tomás 189, 245, 246, 258 Pérez González, Blas 37, 132 Pineda Gualba, Antonio 112
Ponseti i Vives, Miquel 168 Primo de Rivera, Miguel 84, 324 Pujol, Jordi 235, 236 Radcliff, Pamela 244, 329 Roqueta Prat, Francisco 245, 246, 330 Ruiz Carnicer, Miguel Ángel 123, 124 Ruiz Jiménez, Joaquín 110 Sáenz de Oiza, Francisco Javier 132, 133, 136, 137 Santos, Gebrüder 53 Schierstaedt, Nina 25, 328, 329 Serra Goday, Ignasi 168 Sierra Bermejo, Luis 132 Sierra Nava, Manuel 132, 133, 136 Siguán, Miguel 232, 233, 237 Simarro Puig, Antonio Maria 81, 91, 93 Sistac, Jaume 199 Soteras Mauri, Josep 83, 111, 112, 168 Stubbins, Hugh 137 Subias i Fages, Xavier 168 Tarròs, Ramon 199 Thió, Santiago 213, 216, 218, 219, 221 – 223 Valero Bermejo, Luis 127 – 129, 131, 132, 135 Vayreda Bofill, Francisco 168 Vázquez Montalbán, Manuel 251, 252 Velasco, Mariano 95, 97 Vidal Gironella, Juan 105 Vila Rufas, Francesc (Cesc) 253, 254, 308 Villar Palasí, José Luis 242
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