Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten [1. Aufl.] 9783658312534, 9783658312541

Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall führt in kurzer Zeit zu erheblichen Störungen in allen Sektoren kritisc

154 67 13MB

German Pages XIX, 230 [236] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIX
Front Matter ....Pages 1-1
Einleitung und Forschungsfragen (Alice Knauf)....Pages 3-7
Theoretischer Hintergrund (Alice Knauf)....Pages 9-27
Rahmenbedingungen im Politikfeld (Alice Knauf)....Pages 29-46
Analyserahmen und Erhebung (Alice Knauf)....Pages 47-58
Front Matter ....Pages 59-59
Konzeptspezifikation und Operationalisierung I (Alice Knauf)....Pages 61-88
Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter (Alice Knauf)....Pages 89-103
Zwischenfazit I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter (Alice Knauf)....Pages 105-107
Front Matter ....Pages 109-109
Konzeptspezifikation und Operationalisierung II (Alice Knauf)....Pages 111-148
Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel (Alice Knauf)....Pages 149-175
Zwischenfazit II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel (Alice Knauf)....Pages 177-179
Front Matter ....Pages 181-181
Resümee und Ausblick (Alice Knauf)....Pages 183-189
Back Matter ....Pages 191-230
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Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten [1. Aufl.]
 9783658312534, 9783658312541

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Stadtforschung aktuell

Alice Knauf

Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten

Stadtforschung aktuell Reihe herausgegeben von H. Wollmann, Berlin, Deutschland

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12446

Alice Knauf

Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten

Alice Knauf Institut für Politikwissenschaft TU Darmstadt, Darmstadt Hessen, Deutschland Diese Dissertation wurde an der Technischen Universität Darmstadt vom Institut für Politikwissenschaft in Darmstadt unter dem Titel „Urbane Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall. Eine Qualitative Comparative Analysis zur Bestimmung der Bedingungen für ein hohes Aktivitätsniveau der Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte“ angenommen.

ISSN 2629-6373 ISSN 2629-6381  (electronic) Stadtforschung aktuell ISBN 978-3-658-31253-4 ISBN 978-3-658-31254-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Die vorliegende Forschung wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Graduiertenkollegs KRITIS der Technischen Universität Darmstadt als Dissertation verfasst und teilweise durch die LOEWE Initiative des Landes Hessen im Rahmen des LOEWE Zentrums emergenCITY gefördert. Für diese Förderung bedanke ich mich sehr herzlich. Über diese Förderung hinaus habe ich von der Idee bis zur Publikation der Dissertation von verschiedenen Personen und Institutionen Unterstützung erfahren. Mein Dank gilt meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Michèle Knodt, die mir mit ausgezeichneter fachlicher Expertise während der gesamten Promotion beiseite stand. Auch bedanke ich mich bei Herr Dr. Jörg Kemmerzell für den fachlichen Austausch im Rahmen der Analyse sowie bei Prof. Dr. Kai Schulze für die Übernahme des Zweitreferats. Ferner bedanke ich mich bei all jenen, die das Graduiertenkolleg KRITIS möglich gemacht haben und seitdem zu seiner gelungenen fachlichen und organisationalen Gestaltung beitragen. Dazu gehören in besonderer Weise auch meine Kolleginnen und Kollegen im Graduiertenkolleg. Durch sie wurde nicht nur ein bereichernder interdisziplinärer Austausch möglich, sondern sie sind es auch, die mich mit Freude an die Zeit im Kolleg zurückdenken lassen. Zum Beginn der Forschung war der Austausch mit Experten im Themenfeld besonders wertvoll. Mein Dank gilt Frau Susanne Krings und Frau Eva Stock aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie Herr Dr. Martin Schmidt aus dem Hessischen Ministerium des Inneren und für Sport für die Beratung im Rahmen der Fragebogenerstellung. Ferner danke ich dem Deutschen Feuerwehrverband für die Empfehlung zur Teilnahme an der Erhebung. Mein herzlicher Dank gilt außerdem den Berufsfeuerwehrmännern und -frauen, die mir in Gesprächen und durch eine Teilnahme an der Erhebung Einblicke in ihre Arbeit gewährt haben. V

VI

Vorwort

Des Weiteren bedanke ich mich bei Herr Prashanth Mohandass und Frau Stefanie Eggert von Springer Nature für die freundliche Beratung im Prozess der Publikation. Über diese Hilfe hinaus haben mich meine Familie und Freunde in vielfältiger Art und Weise in der Zeit meiner Promotion unterstützt. Dafür danke ich von Herzen meinen Eltern, Magdalena Wozniak, Arturo Crespo sowie Mara und Konstantin Knauf. Zuletzt möchte ich meinem Freund Carsten Engel danken, der durch sein Interesse, seine Liebe und Hinwendung mir und meinen Projekten beim Wachsen hilft und so auch zum guten Gedeihen dieser Arbeit beigetragen hat. Darmstadt im Juni 2020

Alice Knauf

Abstract

Modern societies are highly dependent on a reliable supply of electricity. An extensive, long-lasting power outage would therefore have serious consequences for the population. An interruption of power supply will almost immediately affect other critical infrastructures, e.g. the telecommunication system, the transport network or water supply. The dependency on electricity has increased in recent decades due to technologization and digitalization of the modern world. At the same time, there are multiple internal and external dangers that could threaten its functioning. These dangers include the increased probability of extreme weather events due to climate change. Hence cities need to prepare for the scenario of long-lasting power outages more than ever. This study aims to assess the current state of preparedness of local emergency management agencies (Katastrophenschutzämter) in German cities and to form hypotheses on conditions that favor a comparatively high level of activity. The dataset for answering these research questions is generated by a ­web-based survey directed at local emergency management agencies of all German major cities. Firstly, measures of local crisis management to strengthen the resilience to a power outage are collected and evaluated along seven fields of action. In the context of this empirical study, differences in the level of preparedness between different local Katastrophenschutzämter can be observed. Secondly, potentially favourable factors on the level of preparedness for an extensive, long-lasting power outage are identified and examined in a Qualitative Comparative Analysis (QCA). The results show that there currently is a significant political momentum. On average, however, the level of activity is insufficient to assume a successful coping with the scenario. The analysis shows that for many high activity level

VII

VIII

Abstract

cities, the experience of a power outage and the advocacy of a company, such as a utility company, are crucial. Cities with a comparatively high level of activity also share experience with other cross-departmental, energy intensive topics such as climate protection, climate adaptation and digitization, and their involvement in the supra-local sphere of action. Finally, the examination of individual cases shows that a lack of staff can sharply reduce the positive impact of other factors.

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Kritische Infrastrukturen – unterbelichtet 1

Einleitung und Forschungsfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2

Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Kritische Infrastrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1.1 Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.1.2 Unterbrechungen und Ausfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.1.3 Schutz kritischer Infrastrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.2 Resilienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.3 Urbanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.4 Forschungsstand und Forschungslücke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3

Rahmenbedingungen im Politikfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 International. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.2 Europäische Union. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.3 Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.3.1 Katastrophenschutz im föderalen System. . . . . . . . . . . . . . 35 3.3.2 Strategischer und rechtlicher Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

4

Analyserahmen und Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.1 Konzeptualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4.2 Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4.2.1 Fallauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.2.2 Pretest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2.3 Durchführung der Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2.4 Rücklauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

IX

X

Inhaltsverzeichnis

4.3 Analyse I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.4 Analyse II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Teil II  Maßnahmen der Katastrophenschutzämter 5

Konzeptspezifikation und Operationalisierung I. . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.1 Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.1.1 Energieversorgung (Elektrizität). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.1.2 Energieversorgung (Wärme). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5.1.3 Verkehr und Transport. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5.1.4 Wasserversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5.1.5 Abwasserentsorgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.1.6 Telekommunikation und Informationstechnik (IT). . . . . . . 68 5.1.7 Soziale kritische Infrastrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.2 Urbane Resilienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.3 Kommunales Katastrophenschutzamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.4 Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.4.1 Dimension 1: Katastrophenschutzamt. . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.4.2 Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern. . . . . . . . 79

6

Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter . . . . . . . . . . . 89 6.1 Dimension 1: Katastrophenschutzamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.1.1 Handlungsfeld 1.1: Einsatzkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.1.2 Handlungsfeld 1.2: Notstrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 6.1.3 Handlungsfeld 1.3: Treibstoff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6.2 Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern. . . . . . . . . . . . . . 95 6.2.1 Handlungsfeld 2.1: Bevölkerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6.2.2 Handlungsfeld 2.2: KRITIS-Betreiber. . . . . . . . . . . . . . . . 98 6.2.3 Handlungsfeld 2.3: BOS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 6.2.4 Handlungsfeld 2.4: Ressorts der Verwaltung. . . . . . . . . . . . 101

7

Zwischenfazit I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter. . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

XI

Teil III  Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel 8

Konzeptspezifikation und Operationalisierung II. . . . . . . . . . . . . . . . 111 8.1 Einflussfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 8.1.1 Rahmenfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 8.1.2 Lokale Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 8.2 Qualitative Comparative Analysis (QCA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 8.2.1 Begründung der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 8.2.2 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 8.2.3 Spezifizierung QCA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.3 Kalibrierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 8.3.1 Outcome: Aktivitätslevel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 8.3.2 Bedingungen: Einflussfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8.4 Basishypothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 8.4.1 Notwendige Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 8.4.2 Hinreichende Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

9

Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel. . . . . . . . . 149 9.1 Analyse notwendiger Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 9.2 Analyse hinreichender Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 9.2.1 Set „Rahmenfaktoren“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 9.2.2 Set „Lokale Politik“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 9.2.3 Zusammenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 9.3 Folgehypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 9.4 Einzelfallbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

10 Zwischenfazit II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Teil IV  Licht ins Dunkel 11 Resümee und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Abkürzungsverzeichnis

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AGBF Bund Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland AKNZ Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz BBK Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBSR Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung BDBOS Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BKS Bundesverband eigenständiger Rettungsdienste und Katastrophenschutz e. V. BL Bundesland BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit BNA Bundesnetzagentur BOS Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik C Contradiction CIPS Prevention, Preparedness and Consequence Management of Terrorism and other Security-related Risks CIWIN Critical Infrastructure Warning Information Network csQCA crisp-set Qualitative Comparative Analysis DESKRIS Definition von Schutzzielen und -niveaus Kritischer Infrastrukturen in Deutschland: Forschungsstand, Rechtlicher Rahmen und politische Entscheidungsfindung XIII

XIV

Abkürzungsverzeichnis

DFV Deutscher Feuerwehrverband DSL Digital Subscriber Line DST Deutscher Städtetag EPSKI Europäisches Programm für den Schutz Kritischer ­Infrastrukturen ERCC Emergency Response Coordination Centre ErdölBevG Erdölbevorratungsgesetz EU Europäische Union FIN Finanzielle Situation FwDV 100 Feuerwehr Dienstvorschrift 100 GMLZ Gemeinsames Melde- und Lagezentrum GRASB Szenarienorientierte Grundlagen und innovative Methoden zur Reduzierung des Ausfallrisikos der Stromversorgung HMdIuS Hessisches Ministerium des Innern und für Sport ICLEI International Council for Local Environmental Initiative IKT Informations- und Kommunikationstechnologie IMK Innenministerkonferenz INUS insufficient but necessary part of a condition which is itself unnecessary but sufficient for the result ISDN Integrated Services Digital Network IT Informationstechnik KatS Katastrophenschutz KE Kritisches Ereignis KIRMin Kritische Infrastrukturen – Resilienz als Mindestversorgungskonzept KRITIS Kritische Infrastrukturen KZV Konzeption Zivile Verteidigung LKatSG M-V Gesetz über den Katastrophenschutz in Mecklenburg–Vorpommern LP Lokaler Politiker LÜKEX Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (Exercise) MI BW Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg MIC Monitoring and Information Centre for Civil Protection MILI SH Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration des Landes Schleswig-Holstein MSR-Technik Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abkürzungsverzeichnis

XV

NSPI Nationaler Plan zum Schutz der Informationsinfrastruktur OB (Ober-)Bürgermeister OECD Organisation for Economic Co-operation and Development QCA Qualitative Comparative Analysis RET ressortübergreifende, energieintensive Themenstellungen ROG Raumordnungsgesetz RP KA Regierungspräsidium Kassel RW Risikowahrnehmung SMR Smart Mature Resilience TAB Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen ­Bundestag TETRA Terrestrial Trunked Radio THW Technisches Hilfswerk TierSchNutzVO Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung UBA Umweltbundesamt ÜLH Überlokaler Handlungsraum UN United Nations UNDDR United Nations Office for Disaster Risk Reduction UNISDR United Nations International Strategy for Disaster Reduction UP Bund Umsetzungsplan Bund UP KRITIS Umsetzungsplan Kritische Infrastrukturen VN Vereinte Nationen VoIP Voice over Internet Protocol WasSiG Wassersicherstellungsgesetz WI Wirtschaft ZG Zivilgesellschaft ZSKG Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1 Abbildung 4.1 Abbildung 4.2 Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 4.6 Abbildung 5.1 Abbildung 6.1 Abbildung 6.2 Abbildung 6.3 Abbildung 6.4 Abbildung 6.5 Abbildung 6.6 Abbildung 6.7 Abbildung 6.8 Abbildung 6.9 Abbildung 7.1 Abbildung 8.1 Abbildung 8.2 Abbildung 8.3 Abbildung 8.4 Abbildung 8.5 Abbildung 9.1

Verwendete bestehende Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Analyserahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Konzeptualisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Erhebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Grundgesamtheit und Rücklauf nach Bundesland. . . . . . . 56 Analyse I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Analyse II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Dimensionen und Handlungsfelder des Aktivitätslevels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Auseinandersetzung mit dem Szenario. . . . . . . . . . . . . . . . 89 Handlungsfeld 1.1 – Einsatzkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Handlungsfeld 1.2 – Notstrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Handlungsfeld 1.3 – Treibstoff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Handlungsfeld 2.1 – Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Handlungsfeld 2.2 – KRITIS-Betreiber. . . . . . . . . . . . . . . 98 Handlungsfeld 2.3 – BOS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Handlungsfeld 2.4 – Stadtverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Handlungsfeld 2.4 – Stadtverwaltung, Aufklärungsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Mittelwerte je Dimension und Themengebiet. . . . . . . . . . . 105 Einflussfaktoren auf das Aktivitätslevel. . . . . . . . . . . . . . . 112 Clusteranalyse der Aktivitätslevel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Wahrgenommene Entrepreneure nach Bereichen. . . . . . . . 144 Wahrscheinlichkeitseinschätzung für das Szenario . . . . . . 144 Genutzte überlokale Optionen im Bereich Stromausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Venn-Diagramm – Hohes Aktivitätslevel. . . . . . . . . . . . . . 164 XVII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 5.1 Tabelle 5.2 Tabelle 5.3 Tabelle 5.4 Tabelle 5.5 Tabelle 5.6 Tabelle 5.7 Tabelle 9.1 Tabelle 9.2 Tabelle 9.3 Tabelle 9.4 Tabelle 9.5 Tabelle 9.6 Tabelle 9.7 Tabelle 9.8 Tabelle 9.9 Tabelle 9.10 Tabelle 9.11 Tabelle 9.12

Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.1 – Einsatzkräfte . . . . 76 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.2 – Notstrom . . . . . . . 77 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.3 – Treibstoff. . . . . . . 78 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.1 – Bevölkerung. . . . . 81 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.2 – KRITISBetreiber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.3 – BOS. . . . . . . . . . . 85 Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.4 – Ressorts der Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Test der Faktoren auf notwendige Bedingungen für Outcome = 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Wahrheitstabelle, Set „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1. . . . 152 Intermediate Solution, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Superset-Analyse, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1. . . 154 Lösungsterme, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1. . . . . . 155 Wahrheitstabelle, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1. . . . . . 158 Intermediated Solution, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Superset-Analyse, Set: „Lokale Politik“, Outcome = 1. . . . . 159 Lösungsterme, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1. . . . . . . . 159 Abdeckung, Set „Rahmenfaktoren” und „Lokale Politik“, Outcome = 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Zusammenfassung Abdeckung der Sets. . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Übersicht der Einflussfaktoren der Fälle in der Einzelbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

XIX

Teil I Kritische Infrastrukturen – unterbelichtet

1

Einleitung und Forschungsfragen

Im Februar dieses Jahres wurden in Berlin Bauarbeiten an der Salvador-Allende-Brücke vorgenommen (Zeit Online 2019). Um 14:10 Uhr ­ beschädigt ein Bohrer die zwei einzigen Leitungen, die den Ortsteil TreptowKöpenick mit Strom versorgen (Welt 2019; Tagesspiegel 2019). Die Turmuhr bleibt daraufhin stehen, in 31 000 Berliner Haushalten geht das Licht aus (Süddeutsche Zeitung 2019). Die Polizei fährt am Abend in dunklen Straßen Streife, um Läden zu schützen und Sicherheit zu signalisieren (Welt 2019). Die Lebensmittel aus dem Kühlschrank tauen auf, der Campingkocher, sofern vorhanden, wird rausgeholt, um Speisen zu erwärmen. Straßenbahnen, U-Bahnen und Aufzüge bleiben stehen, 16 Schulen geschlossen (ebd.). Um ein Fahrzeug des Katastrophenschutzes bildet sich eine Menschentraube, um Handys aufzuladen (Tagesspiegel 2019). Die geladenen Geräte helfen jedoch nur bedingt, es kommt zu Ausfällen im Festnetz und Mobilfunknetz (Zeit Online 2019). Aus dem Köpenicker Krankenhaus werden 23 Patienten notverlegt (ebd.). Nach über 30 Stunden ist der Strom wieder da (Spiegel Online 2019). Man atmet auf. Der Stromausfall gibt den Berlinern ein unmittelbares Gefühl dafür, wie abhängig moderne Gesellschaften von der Versorgung mit Strom sind. In den Kommentarspalten unter den Artikeln im Internet finden sich viel Kritik, Schuldzuweisungen an Behörden, die Politik, den Energieversorger und die Baufirma, Beschwichtigungen und die Frage danach, mit welchen Folgen zu rechnen ist, wenn der Stromausfall länger andauert oder großflächiger auftritt. Seit 2013 gibt es auf Letzteres in Form des Berichts des Büros für Technikfolgeabschätzung des Bundestages eine erste Antwort für Deutschland (Petermann et al. 2013). Das zugrunde gelegte Szenario ist ein großflächiger, langanhaltender Stromausfall. Die Folgen werden im Fazit zusammengefasst

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_1

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1  Einleitung und Forschungsfragen

als „nationale Katastrophe“ (Petermann et al. 2013: 239) beschrieben, deren Bewältigung ungewiss ist. Infrastruktursysteme sind zunehmend miteinander gekoppelt und voneinander abhängig (Rinaldi et al. 2001; Little 2010; Libbe/Petschow 2017). Dieser Trend wurde durch die Digitalisierung weiter verstärkt (Aretz/Hirschl 2017). Gerade Städte sind Knotenpunkte dieser Vernetzung (vgl. Graham 2010; Maduz/Roth 2017: 1; X Sanchez et al. 2018: 384). Die Interdependenzen haben zur Folge, dass beim Ausfall eines Infrastruktursystems auch weitere Infrastrukturen betroffen sind (vgl. Rinaldi et al. 2001; Little 2010). Diese sogenannten Kaskadeneffekte sind im Falle eines langanhaltenden Stromausfalls bei allen technischen Infrastrukturen, d. h. im Bereich der Telekommunikation und Informationstechnik, bei der Abwasserentsorgung und Wasserversorgung wie auch im Sektor Verkehr und Transport zu erwarten (Petermann et al. 2013). In weiterer Folge sind dann auch soziale Infrastrukturen, wie z. B. das Gesundheitswesen oder der Sektor Ernährung, von den Folgen betroffen (Petermann et al. 2013; Sauer/Glade 2016). Die sekundären und tertiären Folgen können so die Folgen der ursprünglichen Katastrophe noch weit übersteigen. Deutschland war von dem genannten Szenario in diesem Ausmaß noch nicht betroffen. Stromausfälle haben sich hierzulande entweder zeitlich oder räumlich in geringfügiger Ausdehnung ereignet. Dennoch wird von einer gestiegenen Gefahr für das Eintreten des Szenarios ausgegangen. Neben technischen oder menschlichen Versagen werden als potentielle Auslöser vor allem Extremwetterereignisse im Zuge des Klimawandels sowie Terror- und Cyberangriffe diskutiert (Thoma et al. 2012; Libbe/Petschow 2017; Berger et al. 2019). Gleichzeitig hat sich seit der Jahrtausendwende zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass disruptive Ereignisse nicht per se vermeidbar sind (vgl. Pospisil 2013: 30; Chandler/Coaffee 2016: 22). Daher gilt es sich auf diese vorzubereiten. Mit dieser Fokusverlagerung von Vermeidung zur Vorbereitung besteht eine enge Verbindung zum Konzept der Resilienz (vgl. Boin/McConnell 2007; Pospisil 2013; Chandler/Coaffee 2016: 22). Diese kann als neues Paradigma der Disaster Risk Reduction gehandelt werden (vgl. Bahadur et al. 2010; Pospisil 2013; Chandler/Coaffee 2016). Resilienz steht für die Beibehaltung eines akzeptablen Funktionsniveaus und Struktur trotz Eintreten eines potenziell katastrophalen Ereignisses (vgl. UNISDR 2005: 4). Anpassung, Stabilität und Flexibilität, Transparenz, Inklusivität, Kreativität, Vielfalt und Dezentralität sind Fähigkeiten und Eigenschaften, die im Zusammenhang mit Resilienz diskutiert und gefordert werden (vgl. Christmann et al. 2016: 31–33; Merrow/Stults 2016: 707). Städten wird bei der Schaffung resilienter Systeme und Gesellschaften international eine herausragende Rolle zugesprochen. Ob im Sendai Framework

1  Einleitung und Forschungsfragen

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for Risk Reduction (UNISDR 2015), in den Sustainable Development Goals (UN 2015), der daran anschließenden New Urban Agenda (UN 2017; UBA 2016), oder auch beim Pariser Klimaabkommen (Klima-Bündnis o. J.; BMU 2015), die großen internationalen Rahmenpapiere setzen zunehmend auf das Engagement der Städte, sei es beim Klimaschutz, der Anpassung an seine Folgen oder auch im Bereich der Sicherheit gegenüber einer Reihe weiterer Gefahren. In Deutschland haben die Länder und Kommunen die Kompetenz für den Katastrophenschutz (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 GG; Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). Kreisfreie Städte und Landkreise sind die Unteren Katastrophenschutzbehörden (BBK 2018a: 30; BMI 2019b). Die damit verbundenen Aufgaben werden in Großstädten im Alltagsgeschäft faktisch an die Berufsfeuerwehren delegiert, die so zur gleichen Zeit das kommunale Katastrophenschutzamt darstellen. Im beschriebenen Szenario wäre die Leitung des Katastrophenmanagements bei den Ländern angesiedelt (vgl. Wendekamm/Feißt 2015: 142). Diese würden vom Bund und je nach Ausdehnung von der Europäischen Union durch koordinierende Tätigkeiten unterstützt werden (Wendekamm/Feißt 2015). Da jedoch in einem überregionalen Szenario kaum Kräfte und Ressourcen aus Nachbarstädten hinzugezogen werden können und die Koordination bei schlechter werdenden Bedingungen im Bereich der Telekommunikation zunehmend erschwert ist, bleibt ein Großteil der Last der Bewältigung in den Städten selbst. Das Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls hätte also erstens schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung, gilt zweitens als zunehmend wahrscheinlich und drittens nimmt in ihm die Stadt und insbesondere das kommunale Katastrophenschutzamt eine zentrale Rolle ein. Doch wie umfangreich finden Vorbereitungen auf das Szenario in deutschen Großstädten statt? Dazu gibt es bisher über Einzelfallstudien hinaus keine Untersuchung. Die erste Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet daher: 1. Welche Maßnahmen werden von den kommunalen Katastrophenschutzämtern deutscher Großstädte zur Stärkung der Urbanen Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall ergriffen? Unter der Prämisse, dass diese Vorbereitung notwendig und sinnvoll sind, stellt sich die Frage nach den Bedingungen, unter denen ein relativ hohes Aktivitätsniveau erreicht wird. Die zweite Forschungsfrage lautet daher: 2. Welche Faktoren führen zu einem hohen Aktivitätslevel der kommunalen Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte bei der Stärkung der Urbanen Resilienz in Hinsicht auf das genannte Szenario?

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1  Einleitung und Forschungsfragen

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Stand der Vorbereitungen der lokalen Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte auf das Szenario zu erfassen und Hypothesen dafür zu entwickeln, welche Bedingungen gegeben sein müssen, dass diese vergleichsweise ausgeprägt sind. Dazu wurde auf Grundlage von Gesprächen mit Experten und Praktikern, Rahmenempfehlungen der Länder sowie aktueller Forschungsliteratur im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein Maßnahmenkatalog entwickelt. Er umfasst sieben Handlungsfelder mit insgesamt 58 Maßnahmen, die durch die lokalen Katastrophenschutzämter zur Stärkung der Resilienz gegenüber dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls ergriffen werden können. Des Weiteren wurden zehn potentielle Einflussfaktoren auf die Auseinandersetzung mit dem Szenario identifiziert. Hierzu zählen unter anderem die Erfahrung mit kritischen Ereignissen, die Einbindung in den überlokalen Handlungsraum oder auch die finanzielle Situation der Katastrophenschutzbehörde. Der Maßnahmenkatalog und die Einflussfaktoren wurden in einer schriftlichen, webbasierten Erhebung umgesetzt, die sich an die lokalen Katastrophenschutzämter der Großstädte Deutschlands richtete. Über 70 Prozent der lokalen Katastrophenschutzämter haben an der Erhebung teilgenommen. Ihre Antworten stellen die Datenbasis der vorliegenden Arbeit dar. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wurden die Maßnahmen entlang der sieben Handlungsfeldern ausgewertet und so Ausmaß und Ausrichtung der Arbeit der lokalen Katastrophenschutzämter zum Szenario bestimmt. Ferner können Niveauunterschiede zwischen den Städten der Erhebung im Umfang der Auseinandersetzung mit dem Szenario festgestellt werden. Diese sind im Fokus der zweiten Forschungsfrage. Um sie zu beantworten wird mit Hilfe einer Qualitative Comparative Analysis (QCA) untersucht, welche einzelnen oder auch Kombinationen der identifizierten Faktoren besonders förderlich für eine ausgeprägte Auseinandersetzung der Katastrophenschutzämter mit dem Thema sind. Die Arbeit ist entlang von vier großen Abschnitten gegliedert: Part I dient der Einführung in die notwendigen fachlichen Grundlagen für die Bearbeitung der beiden Fragen und der Vorstellung des Forschungsrahmens. Hierzu werden der Forschungsstand und die Forschungslücke sowie der theoretische Hintergrund der Arbeit vorgestellt (Kapitel 2). Darauffolgend werden die Rahmenbedingungen im Politikfeld auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene dargestellt (Kapitel 3). Im Fokus steht dabei die Rolle, die Kommunen beim Schutz kritischer Infrastrukturen und im Katastrophenschutz zugewiesen bekommen. Zuletzt wird der analytische Rahmen der Arbeit, einschließlich dem Vorgehen im Rahmen der Erhebung, dargelegt (Kapitel 4). In Part II der Arbeit wird die erste Teilfrage der Arbeit beantwortet. Dazu werden genutzte Begriffe und Konzepte spezifiziert und operationalisiert

1  Einleitung und Forschungsfragen

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(Kapitel 5). Auch der Maßnahmenkatalog, als Grundlage der Erhebung, wird in diesem Rahmen vorgestellt. Die Ergebnisse werden entlang von sieben Handlungsfeldern präsentiert (Kapitel 6). Die Aktivität der Ämter wird dazu beschrieben, mit den bisherigen Annahmen des Forschungsstandes abgeglichen und Schwachstellen sowie Stärken in der kommunalen Auseinandersetzung identifiziert. Kapitel 7 fasst die Ergebnisse in einem ersten Zwischenfazit zusammen. Part III widmet sich dann der Beantwortung der zweiten Forschungsfrage. Dazu werden zunächst die identifizierten potentiellen Einflussfaktoren auf die Aktivität der Ämter vorgestellt (Kapitel 8). Die Analyse baut auf einer Qualitative Comparative Analysis (QCA) auf. Eine QCA ist ein mengentheoretisches, analytisches Verfahren, das der Settheorie zuzuordnen ist und sich durch seine besondere Eignung bei kausaler Komplexität sowie Anwendbarkeit auf mittlere Fallzahlen auszeichnet. In Kapitel 8 wird die Wahl dieser Methodik begründet, in die Grundlagen der QCA eingeführt und das Vorgehen im Rahmen der QCA in der vorliegenden Arbeit spezifiziert. Zur Strukturierung der Analyse werden außerdem Basishypothesen für ein hohes Aktivitätslevel entwickelt, die dann mit Hilfe der QCA getestet werden (Kapitel 9). Auf Basis der Analyse können Folgehypothesen gebildet werden, die weitere Forschungen anleiten können. Ergänzt wird die Analyse durch die Betrachtung von drei Fällen im Rahmen von Interviews mit den Zuständigen in dem jeweiligen Katastrophenschutzamt. Die Wahl der drei Fälle ergibt sich durch ihre Auffälligkeit im Rahmen der Analyse. In Kapitel 10 werden die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt und ein Fazit der zweiten Analyse gezogen. Part IV bildet den Abschluss der Arbeit. Die Ergebnisse der Untersuchung werden zusammengefasst und eingeordnet, Empfehlungen für das Politikfeld formuliert, das methodische Vorgehen in der Arbeit reflektiert und ein Ausblick auf mögliche sich anschließende Forschungen eröffnet (Kapitel 11).

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Theoretischer Hintergrund

Zentrale Konzepte, von denen in dieser Arbeit Gebrauch gemacht wird, sind „Kritische Infrastrukturen“ und „Resilienz“. Hinzu kommt noch der Urbane Raum als räumliche Komponente (siehe Abbildung 2.1). Im vorliegenden Kapitel wird in diese Konzepte und damit einhergehende Debatten eingeführt und notwendiges Hintergrundwissen zur Verfügung gestellt. Es spannt den Forschungsraum auf, in dem sich die Arbeit ansiedelt und zeigt, zu welchen Debatten sie einen Beitrag liefert. Im letzten Teil des Kapitels wird der Forschungsstand zu den Forschungsfragen dieser Arbeit und die Forschungslücke aufgezeigt.

Abbildung 2.1   Verwendete bestehende Konzepte © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_2

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2  Theoretischer Hintergrund

2.1 Kritische Infrastrukturen Moderne Gesellschaften sind in hohem Maße von durch Infrastrukturen vermittelten Strömen aus Stoffen, Personen, Informationen und Dienstleistungen abhängig (vgl. Graham 2010: 1; Little 2010: 27). Die Systeme zur Gewährleistung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, der Versorgung mit Strom und Gas, das Verkehrssystem und die Telekommunikation und Informationstechnik durchziehen den Alltag und auf materieller Ebene in Form von Pumpen, Kabeln und Straßen die Stadt. Seit den 90er Jahren und vermehrt nach der Jahrtausendwende wird über sogenannte kritische Infrastrukturen (kurz: KRITIS) und Konsequenzen ihres Ausfalls diskutiert (de Bruijne/van Eeten 2007: 19). Die Stromversorgung wird gemeinhin und auch in der vorliegenden Arbeit als eine solche kritische Infrastruktur betrachtet. Viele Charakteristika, Gefahren und Entwicklungstrends gelten für alle kritischen Infrastrukturen gemeinsam. Die Stromversorgung hat jedoch im Vergleich zu anderen kritischen Infrastrukturen besonders starke Interdependenzen zu anderen Infrastrukturen und ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall hätte besonders weitreichende Konsequenzen (Petermann et al. 2013: 7). Im Folgenden wird der Begriff und die Eigenschaften kritischer Infrastrukturen näher erläutert, die Gefahren, die im Kontext des Ausfalls kritischer Infrastrukturen gesehen werden besprochen und schließlich der Schutz vor solchen Ausfällen thematisiert.

2.1.1 Begriff Der Begriff der „Infrastruktur“ ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und kann als „notwendiger wirtschaftlicher und organisatorischer Unterbau als Voraussetzung für die Versorgung und die Nutzung eines bestimmten Gebiets […]“ (Duden 2019a) definiert werden. Infrastrukturen verbinden und ermöglichen, schließen aber auch aus (vgl. Star 1999; Graham/Marvin 2001; Medd/Marvin 2005: 46; Graham 2010: 12 f.). Eine ICE-Verbindung zwischen zwei Städten bringt diese scheinbar näher zusammen und lässt eine nicht angeschlossene Stadt in der Mitte relativ in weite Ferne rücken. Eine Treppe ermöglicht einen Zugang für die einen und verwehrt den sich anschließenden Raum anderen. Eine Highspeed Internetverbindung macht einen Raum attraktiv für eine Vielzahl an Unternehmen und einen anderen Raum durch ihr Fehlen unattraktiv. Infrastrukturen sind als solche kein neutrales Element im Raum, sondern strukturieren ihn. Mit dem Zusatz des Adjektivs „kritisch“ wird einem

2.1  Kritische Infrastrukturen

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Teil dieser Infrastrukturen eine besondere Qualität zugeordnet. Dabei kann in Frage gestellt werden, inwieweit es sich bei der Zusammensetzung um eine Tautologie handelt, da der Begriff „Infrastruktur“ an sich bereits den essentiellen Charakter des Systems betont (Engels 2018a: 19; Lukitsch et al. 2018: 11). In alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort „kritisch“ synonym zu „streng prüfend“ oder auch „gefährlich“ verwendet (Duden 2019b). Bei der Verwendung im Zusammenhang mit Infrastrukturen, soll nicht die Infrastruktur selber als gefährlich bezeichnet werden, vielmehr geht es um die potenzielle Gefahr, die von einem Ausfall dieser Infrastrukturen ausgeht (Kloepfer 2010: 11). Diese sogenannte Bedrohungsperspektive dominiert derzeit die Debatte über kritische Infrastrukturen (Engels 2018a: 27). Weniger verbreitet ist der Blick auf den ermöglichenden Charakter dieser Infrastrukturen (Engels 2018a: 29). Ferner kann zwischen einer systembasierten und einer konsequenzbasierten Perspektive auf kritische Infrastrukturen unterschieden werden (Engels 2018a: 30). Während in einer systembasierten Perspektive auf die Bedeutung einer Systemkomponente für ein übergeordnetes technisches System oder auf Kaskadeneffekte zwischen Infrastruktursystemen verwiesen wird, geht es bei der konsequenzbasierten Perspektive um die Bedeutung eines Elements für eine gesamtgesellschaftlich relevante Dienstleistung (Engels 2018a: 30; Lukitsch et al. 2018: 17). Es wird dabei deutlich, dass sich Kritikalität immer nur in Relation und nie in absoluten Werten erfassen lässt. Die Frage „kritisch für wen oder was?“ ist daher zentral (Engels 2018a: 33). Das Konzept der Kritikalität kann so dazu dienen, den Blick auf das Relationale, auf Verbindungen, Abhängigkeiten und auch Wertzuschreibungen zu lenken (vgl. Lukitsch et al. 2018). Werden im politischen Kontext Infrastrukturen als „kritisch“ bezeichnet, geht es dabei meistens um die Rechtfertigung eines höheren Schutzniveaus der so bezeichneten Infrastruktur und damit einhergehender Maßnahmen (Engels 2018a: 18). Die Frage, ob eine Infrastruktur kritisch ist oder nicht, ist also eine streitbare und kann hochgradig politisch sein. Auch im politischen Kontext wird in der Regel auf die Konsequenzen, die ein Ausfall der entsprechenden Infrastruktur mit sich bringen würde, verwiesen. So definiert die Bundesregierung in der 2009 verabschiedeten „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ diese als „[…] Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden“ (BMI 2009: 3).

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2  Theoretischer Hintergrund

Darüber hinaus wird häufig zwischen technischen kritischen Infrastrukturen und sogenannten sozialen oder auch sozioökonomischen kritischen Infrastrukturen unterschieden (BMI 2009: 5; Engels 2018b: 5). So werden in der Strategie des Bundes unter ersterem die Energieversorgung, Informations- und Telekommunikationstechnologien, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Transport und Verkehr subsumiert (BMI 2009: 5). Unter sozioökonomischen kritischen Dienstleistungsinfrastrukturen fallen hingegen zum Beispiel das Gesundheitswesen, die öffentliche Verwaltung, das Finanz- und Versicherungswesen, das Rettungswesen und der Katastrophenschutz, aber auch Medien- und Kulturgüter (BMI 2009: 5). Diese Trennung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch technische Infrastrukturen nicht nur aus technischen Artefakten wie beispielsweise Kraftwerken, Kläranlagen, Straßen, Pumpen und Kabeln bestehen, sondern auch eng an soziale Praktiken gebunden sind. Diese Sichtweise ist mit der in den 70er und 80er Jahren aufkommenden wissenschaftlichen Strömung mit dem Namen „science and technology“ oder auch „science, technology and society“ (STS) verbunden (Engels 2018b: 5). Infrastrukturen werden durch die sie umgebende soziale Welt geprägt und prägen diese (Star 1999: 381; Jasanoff 2004).

2.1.2 Unterbrechungen und Ausfälle Funktionieren Infrastrukturen, werden sie kaum wahrgenommen (Star 1999: 382). Erst durch den Systemausfall rücken sie schlagartig ins Bewusstsein (Star 1999: 382). Erschwerend hinzu kommt, dass ein großer Anteil der Anlagen für den Nutzer nicht sichtbar ist. Aufgrund der Größe und räumlichen Verteilung, aber auch da Kabel und technische Anlagen meistens in Wänden und Böden versenkt sind. Infrastrukturen als „[…] the forgotten, the background, the frozen in place“ (Star 1999: 379) werden so im Normalbetrieb tendenziell weder wahrgenommen noch verstanden. Je reibungsloser sie funktionieren, desto mehr werden sie für selbstverständlich genommen. Auf diese Beobachtung baut das sogenannte „Verletzlichkeitsparadoxon“ (BMI 2009: 8) auf. Demnach sind gerade Gesellschaften, in denen Infrastrukturdienstleistungen sehr zuverlässig funktionieren besonders verletzlich bei ihrem Ausfall (ebd.). Die sich herausgebildeten Abhängigkeiten sind in diesen Gesellschaften besonders groß, alternative Strukturen wurden nicht ausgebildet oder im Laufe der Zeit reduziert (vgl. Eifert et al. 2018: 24). Gefahren für den Ausfall kritischer Infrastrukturen werden in erster Linie in drei Bereichen gesehen. Diese sind: Technisches oder menschliches Versagen durch eine gesteigerte Komplexität und Kopplung der Systeme (Rinaldi et al. 2001; Little 2010; Libbe/Petschow 2017), die Zerstörung von Anlagen durch

2.1  Kritische Infrastrukturen

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Naturereignisse (BMI 2009: 7; Braubach 2011; Berger et al. 2019) und Terrorund Cyberangriffe (Graham 2010: 20 f.; Thoma et al. 2012; Aretz/Hirschl 2017; BSI 2018). In jeder dieser Bereiche wird zudem von einer gestiegenen Gefahr seit der Jahrtausendwende ausgegangen (Thoma et al. 2012; Libbe/Petschow 2017; Berger et al. 2019). Im Folgenden werden die genannten Gefahrenquellen näher dargestellt. In komplexen, eng gekoppelten Systemen können vergleichsweise kleine Auslöser schnell weitreichende kaskadierende Effekte haben (Little 2010: 31). Die zunehmende Komplexität unserer Infrastruktursysteme birgt also auch ein Risiko. Infrastrukturen haben untereinander eine hohe Anzahl an Interdependenzen. Gerade die sozialen Infrastrukturen bauen auf den technischen Infrastrukturen auf (BMI 2009: 5). Aber auch die technischen Infrastrukturen sind untereinander stark vernetzt und voneinander abhängig (Rinaldi et al. 2001; Little 2010; Libbe/Petschow 2017). Durch die Digitalisierung ist die Komplexität des Systems weiter gestiegen (Aretz/Hirschl 2017). Auf die Gefahr von Ausfällen in komplexen Systemen mit starken Kopplungen verwies bereits Charles Perrow in seinem viel beachteten Buch Normal Accidents (1984). Seine Kernbotschaft ist, dass komplexe, eng gekoppelte Systeme „[…] predictably fail but in unpredictable ways“ (Little 2010: 31). Ein Beispiel für solche kaskadierenden Effekte in komplexen Systemen sieht man in dem circa zweistündigen Stromausfall im Jahr 2006 von dem Teile Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Österreichs und Italien betroffen waren (Geißler et al. 2015: 7). Ursache waren Fehler bei der Planung der Abschaltung von zwei Hochspannungsleitungen für das Passieren eines Kreuzfahrtschiffes in der Ems, in dessen Folge es zu Lastverschiebungen und dem Zerfallen des europäischen Netzes in drei Teilnetze kam (BNetzA 2007; Geißler et al. 2015: 7). Die zweite Gefahr liegt in einer Beschädigung der Systeme durch Naturereignisse (BMI 2009: 7). Ein Beispiel für einen Ausfall durch ein Extremwetterereignis ist der Stromausfall im Münsterland 2005 (Birkmann et al. 2010: 13). Ein Sturmtief und Eisregen brachten mehrere Strommasten zum Einknicken und führten dazu, dass für 200 000 Menschen der Strom ausblieb (Birkmann et al. 2010: 13; Geißler et al. 2015: 7). Nach vier Tagen waren noch immer 20 000 Menschen betroffen (Birkmann et al. 2010: 13). Die Wahrscheinlichkeit für solche und andere Extremwetterereignisse steigt im Zuge des Klimawandels (Berger et al. 2019). Und drittens sind Terrorangriffe und Cyberangriffe eine potenzielle Gefahrenquelle (Aretz/Hirschl 2017; Libbe/Petschow 2017; BSI 2018). Beispiele sind die Angriffe auf die Londoner U-Bahn und Busse im Jahr 2005 (Petermann et al. 2013: 34; van der Vleuten et al. 2013: 4) oder auch die erfolgreichen Angriffe

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2  Theoretischer Hintergrund

einer Hackergruppe auf das Stromnetz der Ukraine im Dezember 2015, in dessen Folge rund 225 000 Einwohner ohne Strom waren (E-ISAC 2016). 2017 konnten Hacker auch in ein Netz eines deutschen Telekommunikationsunternehmens, welches eine Tochter eines Energiekonzerns ist, eindringen (BSI 2018: 12). Das Eindringen der Hacker wurde jedoch bemerkt und bearbeitet, sodass es zu keiner Auswirkung auf die Versorgungslage kam (ebd.). Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sieht jedoch auch für Deutschland eine ernstzunehmende Bedrohungslage: „Mit entsprechender Fachexpertise und entsprechendem Ressourcenaufwand systematisch ausgeführte Angriffe haben durchaus das Potenzial, die Energieversorgung zu gefährden“ (BSI 2018: 12).

Eine weitere Gefahr oder Herausforderung sehen viele Autoren in der Liberalisierung und Privatisierung vieler Infrastrukturzweige in Deutschland seit den 80er Jahren (de Bruijne/van Eeten 2007; Dunn-Cavelty/Suter 2009; Monstadt/Schmidt 2019). Man geht davon aus, dass in Deutschland circa 80 Prozent der kritischen Infrastrukturen privat betrieben werden (Schäuble 2010: 24; Scholz 2013: 168). Es wird befürchtet, dass private Betreiber im marktwirtschaftlichen Wettbewerb durch ihr vorrangiges Interesse an Profit dem Aspekt der Sicherheit zu wenig Beachtung schenken und entsprechende mit Kosten verbundene Maßnahmen vernachlässigen (vgl. de Bruijne/van Eeten 2007; ­Dunn-Cavelty/Suter 2009: 179; Wiater 2013; Matern et al. 2014: 70). Des Weiteren kam es, durch die Europäische Union vorangetrieben, zur vertikalen Entflechtung von Infrastrukturunternehmen in der Stromwirtschaft in einzelne Unternehmen für Erzeugung, Übertragung, Verteilung und Verkauf (Birkmann et al. 2010: 98; Monstadt/Schmidt 2019: 2361). Diese Entwicklungen führen in Folge zu einer höheren Anzahl von Akteuren, deren Koordination zum effektiven Schutz und der Vorbereitung auf Ausfälle notwendig ist (Birkmann et al. 2010: 98; Monstadt/Schmidt 2019: 2361). Außerdem wird davon ausgegangen, dass der Austausch von unternehmensinternen Informationen durch Private restriktiver erfolgt und schwieriger zu erreichen ist (Dunn-Cavelty/Suter 2009: 3). Der Umbau der Organisation der Infrastrukturen in ein marktwirtschaftlich offenes Modell, kann daher auch als Gefahr für deren Sicherheit betrachtet werden.

2.1  Kritische Infrastrukturen

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2.1.3 Schutz kritischer Infrastrukturen Mitte der 90er Jahre setzte Bill Clinton nach einer Reihe von Cyberattacken auf zentrale staatliche Behörden der USA die „President’s Commission on Critical Infrastructure Protection“ ein (van der Vleuten et al. 2013: 3). Ihre Aufgabe war es, gerade vor dem Hintergrund des vermehrten Einsatzes von Informationsund Kommunikationstechnologien (IKT), die Gefahrenlage für kritische Infrastrukturen zu analysieren und eine Empfehlung für nationale Maßnahmen zur ihrem Schutz zu formulieren (Collier/Lakoff 2010: 246; van der Vleuten et al. 2013: 3). Mit dem Einsetzen der Kommission fand der Begriff der „Critical Infrastructures“ erstmals explizit Eingang in politische Papiere (Collier/Lakoff 2010: 246). Die Beschäftigung mit dem Thema lässt sich aber deutlich länger zurückführen und ist unter dem Eindruck des zweiten Weltkriegs in den USA zu verordnen (Collier/Lakoff 2008: 8; 10). Durch totale Kriegsführung und strategische Bombardierungen wurde eine ganze Nation zur vermeintlichen Zielscheibe nuklearer Angriffe (Collier/Lakoff 2008: 8; 10). Potentielle Ziele waren damals gerade die Anlagen, die einer Gesellschaft als Ganzes großen Schaden zufügen würden. Andersrum galt es, im Rahmen des sogenannten „vulnerability mappings“ zur Verteidigung des eigenen Staates darüber Aufschluss zu gewinnen, an welchen Stellen diese besonders kritischen Punkte im eigenem Territorium zu finden sind (Collier/Lakoff 2008: 8). Mit dem vermehrten Aufkommen von Cyberangriffen und terroristischen Anschlägen um die Jahrtausendwende hat diese Debatte wieder neuen Aufschwung erlebt. Gerade der Terrorangriff auf das World Trade Center im September 2001 gilt für die Auseinandersetzung mit der Thematik wie auch für viele andere Sicherheitsbereiche als Zensur (vgl. Lauwe/Riegel 2008: 116 f.; Petermann et al. 2013: 34; van der Vleuten et al. 2013: 4). Aber auch Terror-Angriffe in Europa, wie die Bombenattentate 2004 auf vier Züge in Madrid, die fast 200 Menschen das Leben kosteten, und die Anschläge auf das U-Bahn-System und Busse in London 2005 rückten Infrastruktursysteme in den Blick der Sicherheitspolitik (Petermann et al. 2013: 34; van der Vleuten et al. 2013: 4). Die Gefahren für eine Gesellschaft erscheinen vielfältiger und schwerer vorhersehbar geworden zu sein (Boin et al. 2009: 454). Der sogenannte „Allgefahren-Ansatz“ (BMI 2009: 7) zeichnet sich in diesen veränderten Rahmenbedingungen als hilfreiche Vorgehensweise ab. Hier wird nicht nur auf eine Gefahr fokussiert, sondern nach Methoden gesucht, die dazu befähigen sollen, mit einer ganzen Reihe von Risiken umzugehen (Fekete et al. 2016: 219). Die Auswirkungen einzelner Ereignisse in Friedenszeiten können dabei schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung haben und sich

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2  Theoretischer Hintergrund

zur nationalen Katastrophe ausweiten (Boin/McConnell 2007: 51 f.; Petermann et al. 2013: 239). Die deutschen Strukturen sind durch ihre Trennung in national organisierten Zivilschutz und durch Länder und Kommunen organisierten Katastrophenschutz bei der Bewältigung dieser Ereignisse vor besondere Herausforderungen gestellt (Rinaldi et al. 2001; Petermann et al. 2013: 42; Monstadt/ Schmidt 2019: 2359–2362). Eine engere Zusammenarbeit der Länder und Hilfestellungen durch den Bund sollen dazu beitragen, die Koordination zu stärken und die Kapazitäten zu schaffen, für diese neuartigen Ereignisse vorbereitet zu sein (Petermann et al. 2013: 44).

2.2 Resilienz Mit der erhöhten Bedeutung des Schutzes kritischer Infrastrukturen, erfährt auch der Begriff „Resilienz“ im Kontext des Katastrophenschutzes erste Aufmerksamkeit (Krings 2016: 3). An Popularität gewinnt er nicht zuletzt durch seine zentrale Verwendung im Hyogo-Framework for Action 2005–2015 der United Nations International Strategy for Disaster Reduction (UNISDR) (Krings 2016: 3; Mamula-Seadon 2017: 328). Hier wird Resilience definiert als… “[t]he capacity of a system, community or society potentially exposed to hazards to adapt, by resisting or changing in order to reach and maintain an acceptable level of functioning and structure” (UNISDR 2005: 4).

Mit Resilienz wird also die Fähigkeit von Systemen, Gemeinschaften oder Gesellschaften gegenüber potenziellen Gefahren bezeichnet, sich anzupassen, zu bestehen oder sich zu verändern, um ein akzeptables Niveau an Funktionsfähigkeit und Struktur zu erhalten oder zu erreichen. Der Ursprung des Konzepts wird allgemeinhin in der Ökologie (Holling 1973) verortet. In der Ökologie kann Resilienz als „[d]ie Fähigkeit der anthropogen gestressten Umwelt, effektiv zu reagieren und in neue Gleichgewichte zurückzufinden […]“ (Höhler 2014: 431) bezeichnet werden. Hierbei zeigt sich die Fähigkeit zur Anpassung und Veränderung als zentrales Kriterium für Beständigkeit (Holling 1973: 14). Der Begriff wurde seitdem in vielen verschiedenen Disziplinen und Themengebieten verwendet und auf verschiedene Weisen definiert (Höhler 2014: 431). So findet er zum Beispiel in der Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Geographie und in den Ingenieurwissenschaften, in der Architektur, Politikwissenschaft und Soziologie Verwendung (vgl. Elsner et al. 2018: 31 f.). Die Themen Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Klimaanpassung, Entwicklungspolitik

2.2 Resilienz

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oder auch Risikoforschung und Katastrophenschutz sind häufig Anwendungsgebiete (z. B. Bahadur et al. 2010: 4; Chandler/Coaffee 2016: 21; Merrow et al. 2016: 49; Paton/Johnston 2017). Innerhalb der Vielzahl der Definitionen kann zwischen Ansätzen unterschiedenen werden, die einen stabilen Zustand eines Systems annehmen, zu dem es nach einer Störung wieder zurückzukehren gilt und dynamischen Ansätzen, die einen Anpassungsprozess des Systems mit der Störung verbinden (Chandler/ Coaffee 2016: 23 f.; Merrow/Stults 2016: 705; Elsner et al. 2018: 36). Erstere werden häufig mit dem Schlagwort „bounce-back“ verbunden; Letztere werden mit der Devise „bounce-forward“ assoziiert (Elsner et al. 2018: 36). Gerade in den Ingenieurwissenschaften wurde Resilienz lange nur mit Robustheit, Widerstandskraft und Redundanzen verbunden (Bach et al. 2013: 3). Aspekte der Veränderung und Anpassung wurden vernachlässigt (ebd.). Neben diesen werden unter anderem Flexibilität, Kreativität, Transparenz, Inklusivität, Vielfalt und Dezentralität als weitere Eigenschaften und Fähigkeiten benannt, die Resilienz fördern oder sie beschreiben (vgl. Christmann et al. 2016: 31–33; Merrow/Stults 2016: 707). Resilienz wird dabei von verschiedenen Autoren als Prozess und/oder als Eigenschaft eines Systems verstanden (Bahadur et al. 2010: 7; Chmutina et al. 2016: 71; Vale 2014: 200). Beim Aufbau von Resilienz wird ein breiter Partizipationsprozess gefordert, in dem der Bürger eine zentrale Rolle einnimmt (Kaufmann 2012: 124; Krings 2016). Von unten gewachsene Konzepte können kontextsensitive Lösungen hervorbringen, indem viele Akteure involviert wurden und durch ihre Beteiligung auf der einen Seite akteursspezifisches Wissen einfließen lassen konnten und auf der anderen Seite im Zuge der Beteiligung selber an Resilienz gewonnen haben (Voss/Dittmer 2016: 192; Mamula-Seadon 2017; Beerlage 2018). Resilienz kann so als integratives Konzept verstanden werden (Fekete 2011: 22). Auch nicht intendierte Nebenfolgen und Wechselwirkungen sollen im Sinne der Resilienz besondere Beachtung finden (Chandler/ Coaffee 2016: 25). Die Suche nach geeigneten Governance Modellen zur Steigerung der Resilienz gilt als Trend in der Forschung zur Resilienz und ist mit vielen Herausforderungen behaftet (Bach et al. 2013: 6; UN Habitat 2017: 7; Mamula-Seadon 2017: 328; Monstadt/Schmidt 2019: 2358). Solche Herausforderungen werden im Hinblick auf den Katastrophenschutz zum Beispiel in der Koordination und Kommunikation zwischen den Akteuren, der Stärkung der Zivilgesellschaft und dem Umgang mit Unsicherheiten gesehen (Boin/McConnell 2007: 53; Bach et al. 2013: 6; Mamula-Seadon 2017: 335; Monstadt/Schmidt 2019: 2358).

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2  Theoretischer Hintergrund

Auf der internationalen Bühne hat sich Resilienz seit der Verwendung im Hyogo-Framework for Action 2005–2015 zum Trendthema entwickelt. Große internationale Organisationen, wie The Rockefeller Foundation oder das weltweit größte Nachhaltigkeitsnetzwerk International Council for Local Environmental Initiative (ICLEI) sowie das United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) starten zwischen 2010 und 2013 Programme zum Austausch über und Förderung von Resilienz in Städten (100 Resilient Cities 2019a; ICLEI 2019; UNDRR 2019a). Ungefähr zur gleichen Zeit werden auch auf nationaler Ebene die ersten Strategien entwickelt, die explizit auf die Förderung von Resilienz abzielen (Bach et al. 2013: 5). Als Vorreiter gelten hier die USA, Australien oder auch Großbritannien (ebd.). Die Strategien stehen jedoch in der Kritik, den mit dem Konzept verbundenen Ansprüchen, besonders hinsichtlich des Umgangs mit unerwarteten Katastrophen und der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, nicht gerecht zu werden (ebd.). In Deutschland ist man in seiner Verwendung in behördlichen Papieren bisher zurückhaltend gewesen (Krings 2016: 3). Dennoch hat das Konzept die Debatte über Herausforderungen im Katastrophenschutz einschließlich des Umgangs mit kritischen Infrastrukturen angeregt und Aspekte des Begriffs finden sich in Strategien und Konzepten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wieder (Fekete 2011: 22). Derzeit erscheint es jedoch so, dass sich die Begrifflichkeit auch auf politischer Ebene in Deutschland durchsetzt. Zur neuen KRITIS-Strategie des Bundes, die als Fortschreibung der „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ derzeit in Erarbeitung ist, heißt es auf der Webseite des BMI dazu passend: „Das Zauberwort heißt Resilienz“ (BMI 2019a). Trotz seines Siegeszugs ist das Konzept nicht frei von Kritik. Diese erntet es unter anderem wegen seiner apolitischen Anmutung (Gleeson 2014: 20; Vale 2014; Brassett/Vaughan-Williams 2015). Ähnlich wie Infrastrukturen und ihr Schutz selbst, sind auch Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz nicht neutral, sondern streitbar (Vale 2014; Monstadt/Schmidt 2019: 2358). Sie umschließen bestimmte Regionen und Personengruppen und andere nicht (Vale 2014: 195). Für ihre Durchführung werden Gelder eingesetzt, die etwas anderem nicht zugeführt werden (Boin/McConnell 2007: 53; Vale 2014: 195; Monstadt/Schmidt 2019: 2358). Das eine wird als schützenswert und erhaltenswert deklariert und etwas anderes nicht (vgl. X Sanchez et al. 2018: 354). Auch die partizipative Ausrichtung ist nicht neutral. Sie kann als ein Versuch gedeutet werden, eine neoliberale Agenda voranzutreiben, in der eine Verantwortungsverlagerung vom Staat zu den „betroffenen Subjekte[n] und Organisationen“ (Höhler 2914: 440) vorangetrieben wird. Am häufigsten wird jedoch der Begriff und seine unterschiedlichen und vagen

2.3 Urbanität

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­Verwendungen kritisiert (Fekete et al. 2016: 218 f.; Merrow et al. 2016; Merrow/ Stults 2016: 2). Auch für die Risikoforschung wird der Mehrwert des Konzepts kritisch diskutiert und es sind Vorbehalte auf Anwenderseite festzustellen (vgl. Bach et al. 2013; Fekete et al. 2016; Krings 2016; Elsner et al. 2018). Neben der geringen Schärfe wird beanstandet, dass er als Modebegriff keine wirklich neuen Inhalte anbiete, sondern sich aus bereits bekannten Konzepten bedient (Krings 2016: 4). Die Vagheit, die Auslöser von Kritik ist, wird auf der anderen Seite gerade als Stärke des Begriffs betrachtet (Fekete et al. 2016: 220; Krings 2016: 4). Der Begriff erlaubt es vielen Disziplinen, ihn für ihre Themen brauchbar zu machen und mit seiner Hilfe fachübergreifend zu kommunizieren (Kaufmann 2012; Fekete et al. 2016: 220). Des Weiteren setzt das Konzept Impulse (Fekete et al. 2016: 220; Krings 2016: 4). So wird in der Diskussion über Resilienz der Schwerpunkt auf den Umgang mit Katastrophen, statt auf ihre Vermeidung gelegt (Boin/McConnell 2007; Chandler/Coaffee 2016: 22). Das Konzept rückt außerdem den Einbezug einer Vielzahl an Stakeholdern und die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung in den Fokus (Fekete 2011: 21 f.; Fekete et al. 2016: 221; Krings 2016: 4). Diese Impulse können als notwendig betrachtet werden, um mit einer veränderten Gefahrenlage (siehe Abschnitt 2.1.2) umzugehen.

2.3 Urbanität In der vorliegenden Arbeit werden Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall in deutschen Großstädten untersucht. Der Untersuchungsraum ist also urban. Gerade das Konzept der Resilienz wird bevorzugt auf den städtischen Raum angewandt. Begrifflich wird dann auch von der „resilienten Stadt“ (Christmann et al. 2016) oder „Urban Resilience“ (Merrow et al. 2016) gesprochen. In Bezug auf kritische Infrastrukturen wird selten ein gesonderter Begriff für die städtischen kritischen Infrastrukturen verwendet, aber auch hier wird den Entwicklungen im städtischen Raum eine besondere Qualität zugeordnet (Graham 2010; Basu et al. 2013; Maduz/Roth 2017). Durch die fortschreitende Urbanisierung leben weltweit immer mehr Menschen in Städten (World Bank 2015). Dieser Trend gilt auch für Deutschland (Statista 2019). In einer „‘[…] world of cities‘“ (Chelleri et al. 2016: 276) geraten Städte bei großen Zukunftsfragen vermehrt in den Blick. Besonders stark gilt das für Klimaschutz und -anpassung, aber auch in anderen Themengebieten, wie der Digitalisierung und für den Risiko- und Katastrophenschutz (vgl. de Jong et al. 2015; Chellerie et al. 2016; Maduz/Roth 2017: 2).

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2  Theoretischer Hintergrund

Großstädte sind soziale, technische und ökonomische Zentren (Maduz/ Roth 2017: 1; X Sanchez et al. 2018: 384). Netzgebundene, technische Infrastrukturen durchziehen den urbanen Alltag und Raum. Diese sind dabei vielfach untereinander gekoppelt und voneinander abhängig und machen Städte zu infrastrukturellen Knotenpunkten. Städte liegen häufig an Flüssen, dies setzt sie dem Risiko von Hochwasserereignissen aus. Hinzu kommt, dass ein potenziell schädigendes Ereignis, wie ein Sturm, durch die räumliche Dichte dazu neigt, mehrere Infrastrukturen von Beginn an gleichzeitig zu betreffen, deren Ausfall dann kaskadenförmig weitere Infrastrukturen beeinflusst. Diese Gefahren und die hohe Abhängigkeit von Infrastrukturen, macht die Stadt zu einem besonders gefährdeten und vulnerablen Raum (Prior/Roth 2013: 15; Maduz/Roth 2017:1). Hinzu kommt, dass die städtische Bevölkerung im Vergleich zur Landbevölkerung besonders schlecht auf Versorgungsausfälle vorbereitet ist (Sandholz et al. 2019: 29). Dieser hohen Vulnerabilität entgegengestellt, kann die Stadt darüber hinaus aber auch als lösungsfähiger und innovativer Raum begriffen werden (Chelleri et al. 2016: 278). So könnte die vergleichsweise kleine räumliche Einheit beim Aushandeln effektiver Lösungen Vorteile mit sich bringen. Gerade die Nähe zu den Infrastrukturbetreibern und die Möglichkeit mehrere Stakeholder an einem Tisch zu versammeln, erscheint aus der Perspektive der Urban Resilience als besonders wertvoll (Christmann et al. 2016). Des Weiteren ist gerade die kommunale Ebene in Deutschland mit wichtigen Kompetenzen für die Sicherheit von kritischen Infrastrukturen ausgestattet. So liegt es maßgeblich in den Händen der Städte, für Katastrophen Vorsorge zu treffen und diese zu managen (Monstadt/Schmidt 2019: 2359 f.). Die Aufgaben im Katastrophenschutz sind durch die veränderte Gefahrenlage vielfältiger und anspruchsvoller geworden. Kritisiert wird, dass sich demgegenüber die Ressourcenausstattung und Organisation der kommunalen Katastrophenschutzämter kaum verändert hat (Monstadt/Schmidt 2019: 2360). Das zentrale Merkmal, aber auch die besondere Qualität, welche durch den Zusatz „Urban“ beiden Konzepten hinzugefügt wird, ist die Dichte und damit zusammenhängende Nähe. „Propinquity“, d. h. „Nähe“ wird auch im Forschungszweig der „Urban Politics“ als die kennzeichnende Größe der Stadt, die sie qualitativ von anderen politischen Ebenen unterscheidet, herausgestellt (John 2009: 21; Davies/Imbroscio 2009: 3). Das gilt für die technischen Systeme und die Bevölkerung, die durch ein einzelnes Ereignis in der Stadt gleich in einer hohen Anzahl betroffen sind. Dies gilt aber auch für das Potenzial, welches in der Auseinandersetzung mit Resilienz im urbanen Raum für partizipative Prozesse gesehen wird.

2.4  Forschungsstand und Forschungslücke

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2.4 Forschungsstand und Forschungslücke Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten in die Diskurse zu den einzelnen Konzepten eingeführt worden ist, widmet sich das vorliegende Kapitel Forschungen, in denen alle drei Bereiche adressiert werden. Das Kapitel dient damit dazu, den Forschungsstand bezüglich der Fragestellungen zu erfassen und die Forschungslücke zu beschreiben. Dabei ist festzustellen, dass die Zusammenführung der Konzepte bisher nur selten vorgenommen wurde. Und dies obwohl die Stadt und ihre Resilienz unmittelbar mit der Resilienz ihrer kritischen Infrastruktursysteme zusammenhängt. Huck und Monstadt beobachten hier eine Teilung der wissensproduzierenden Gemeinschaften (ebd. 2019: 213). Während die Forschung zum Schutz kritischer Infrastrukturen sich meistens auf die nationale Ebene bezieht, fokussiert die Forschung im Bereich der Urbanen Resilienz auf Regelungsstrukturen und partizipative Prozesse während technische Aspekte kaum Beachtung finden (vgl. Huck/Monstadt 2019: 215). Trotz der weitgehend getrennten Forschungstraditionen gibt es aber auch Beispiele für Arbeiten im Überschneidungsbereich (ebd.: 216). Zu nennen sind hier unter anderem Arbeiten von Medd und Marvin (2005), Graham (2010), Coaffee und Clarke (2016), Maduz und Kollegen (2016) oder auch Monstadt und Schmidt (2019). Die Arbeiten von Maduz und Kollegen (2016) sowie die erst kürzlich erschienene Arbeit von Monstadt und Schmidt (2019) beruhen zudem auf empirischen Beobachtungen und rücken die Arbeit des Katastrophenschutzes und Herausforderungen für diese in den Fokus. Damit sind sie sehr nah am Forschungsinteresse dieser Arbeit und werden daher hier näher betrachtet. Ergänzt wird die Darstellung durch zwei weitere Publikationen von Matern und Kollegen, die im Kontext des interdisziplinären DFG-Projektverbunds an der Technischen Universität Darmstadt zur nachhaltigen Entwicklung von Städten der neuesten Publikationen von Monstadt und Schmidt vorausgingen (Matern et al. 2014; Schmidt/Matern 2015) sowie einer Publikation von Schmidt und Scharf (2017) zu Anforderungen an den organisationsübergreifenden Informationsaustausch zwischen Betreibern kritischer Infrastrukturen und dem Katastrophenschutz. Letztere macht dabei keinen Gebrauch des Konzepts der Resilienz, wird aber aufgrund des Fokus auf den deutschen Katastrophenschutz, seinen Umgang mit dem Schutz kritischer Infrastruktur und seiner hohen Aktualität dennoch in die Betrachtung einbezogen. Im Folgenden werden die Beiträge dieser Arbeiten zu den Forschungsfragen vorgestellt. Dazu werden zunächst relevante Inhalte bezüglich des Forschungsinteresses dieser Arbeit knapp zusammengefasst. Darauffolgend werden konzeptionelle und

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2  Theoretischer Hintergrund

methodische Unterschiede zu der vorliegenden Forschung aufgezeigt sowie der Mehrwert der vorliegenden Arbeit gegenüber dem Forschungsstand beschrieben. Maduz et al. stellen in dem 2016 erschienen „Risk and Resilience Report“ des „Centers for Security Studies“ der ETH Zürich eine Erhebung und Analyse der vorbereitenden Maßnahmen Schweizer Großstädte auf „large-scale disasters“, darunter auch das Szenario eines langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfalls, vor (Maduz et al. 2016). Der Fokus der Studie liegt auf der Risikoanalyse und der Phase nach Eintreten einer Katastrophe. Neben der Beschreibung des aktuellen Standes des Schweizer Katastrophenschutzes in Städten werden die Ressourcenverfügbarkeit, politische wie soziale Rahmenbedingungen und die Koordination zwischen Städten und über politische Ebenen hinweg im Katastrophenschutz diskutiert (ebd.: 2). Die empirische Grundlage der Analyse und Diskussion bilden qualitative Fallstudien in sieben Schweizer Großstädten auf Basis von insgesamt 16 Experteninterviews mit Beamten des Risikomanagements (ebd.: 6). Da in der Untersuchung Städte in der Schweiz betrachtet werden, sind die Ergebnisse bezüglich des Standes der Arbeit der Katastrophenschutzbehörden nicht auf deutsche Städte zu übertragen. Auf die Darstellung der Ergebnisse der Studie in diesem Bereich wird daher verzichtet. Interessant ist die Studie jedoch aufgrund der Diskussion möglicher Einflussfaktoren auf das Risikomanagement in den Städten der Schweiz. Auch wenn die Städte anderen legislativen, institutionellen und räumlichen Rahmenbedingungen durch die Einbettung in die Schweiz statt in Deutschland unterliegen, können die diskutierten Einflussfaktoren auf das Risikomanagement erste Ansatzpunkte für eine Analyse bieten. In der Schweizer Studie stellen sich die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen und politischer Support in Form eines klaren politischen Mandats der verantwortlichen Instanz als starke Einflussgrößen auf das kommunale Krisenmanagement heraus. Maduz und ihre Kollegen formulieren dazu: „The study has shown that the more political and financial support a city’s risk management receives, the more systematically risk identification and assessment are undertaken. A clear political mandate and enough money to conduct the risk management processes are, thus, considered to be important facilitating factors“ (Maduz et al. 2016: 12).

Neben finanziellen Ressourcen werden auch personelle Ressourcen als einflussreich benannt (Maduz et al. 2016: 12). Des Weiteren wird der Unterstützung der Bevölkerung große Bedeutung zugeordnet. Hier wird deren Information und Einbezug empfohlen. Darüber hinaus wird die Erfahrung einer Stadt mit

2.4  Forschungsstand und Forschungslücke

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Katastrophen als starker Einfluss auf die Risikobewertungsprozesse betrachtet (ebd.: 8 f.). Ein Ereignis kann dabei auch Einfluss haben, wenn es außerhalb der Stadt oder des Staatsgebiets stattfindet (ebd.: 9). Welche Faktoren wiederum dazu führen, ob ein Ereignis oder eine Katastrophe als Einfluss in einer Stadt wirksam wird oder nicht, wird nicht thematisiert. Ferner wird die Kooperation über Stadtgrenzen hinaus in Form von informellen Netzwerken in der Praxis als äußerst wichtig und prägend benannt (ebd.: 11). Dieser systematische Austausch zwischen Städten existiere jedoch sehr selten (ebd.: 11). Zusammenfassend ist hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit auf Grundlage der Schweizer Studie also zu vermerken, dass die Verfügbarkeit über finanzielle und personelle Ressourcen, dem politischen und öffentlichen Support, Katastrophenerfahrungen und dem Austausch über Stadtgrenzen hinweg Einfluss auf die Arbeit des kommunalen Risikomanagements auf Grundlage der Studie zugeschrieben werden kann. Im deutschen Kontext wurden im Rahmen des interdisziplinären DFGProjektverbunds an der Technischen Universität Darmstadt zur nachhaltigen Entwicklung von Städten erste Ergebnisse zur Zusammenarbeit zwischen Betreibern und Katastrophenschutz in Deutschland erzielt. Die übergeordnete Fragestellung im Projekt lautete: „Welchen Stand weist die Koordination auf und welche Faktoren prägen die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den verschiedenen KRITIS-Akteuren (Infrastrukturunternehmen, Ressorts der Stadtverwaltung, Gefahrenabwehrbehörden etc.)?“ (TU Darmstadt o. J.)

Die Forschungsfrage zeigt den Fokus der Arbeit auf die Zusammenarbeit und Koordination von einer Reihe wichtiger Akteure im Zusammenhang mit einer Vielzahl kritischer Infrastrukturen. Als methodisches Vorgehen wurden qualitative Fallstudien auf Basis von Experteninterviews und Dokumentenanalysen in ausgewählten deutschen Großstädten gewählt. Die genannten Forschungen im deutschen Kontext betonen die Wichtigkeit der organisations- und sektorübergreifenden Zusammenarbeit (vgl.: Matern et al. 2014: 71; Schmidt/Matern 2015: 73 f.; Schmidt/Scharf 2017: 38). Hinsichtlich der ersten Forschungsfrage dieser Arbeit ist zu vermerken, dass sie den untersuchten Städten in dieser Hinsicht ein schlechtes Zeugnis ausstellen: Es „[...] wurde durch die Erhebung deutlich, dass die entsprechenden Koordinationsbedarfe und potenzielle Synergien in den Untersuchungsstädten weitgehend ignoriert (oder kaum beachtet) werden“ (Matern et al. 2014: 67).

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2  Theoretischer Hintergrund „They [Die Städte der Untersuchung] clearly demonstrate that academic claims of an integrative risk management and coordinated pro-active crisis management for more resilient cities have hardly been implemented yet“ (Monstadt/Schmidt 2019: 2361).

Verantwortliche Ansprechpartner zwischen den beteiligten Organisationen seien häufig nicht bekannt (Monstadt/Schmidt 2019: 2361 f.). Der Informationsaustausch wird als sporadisch (Schmidt/Matern 2015: 78), bestenfalls informell und „hardly institutionalized“ (Monstadt/Schmidt 2019: 2363) beschrieben. Der Austausch werde u. a. dadurch erschwert, dass Bedeutungen von Begrifflichkeiten sowie die organisationsinternen Handlungslogiken zwischen den Organisationen unzureichend bekannt sind (Schmidt/Scharf 2017: 39). Die Ergebnisse legen also nahe, dass auch für das Szenario eines Stromausfalls festzustellen sein wird, dass die Zusammenarbeit der Katastrophenschutzämter mit anderen Stakeholdern auf einem niedrigen Niveau ist. Über die vorbereitenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes, welche im Wesentlichen den eigenen Betrieb betreffen, werden im Forschungsprojekt keine Aussagen getroffen. Aus der Diagnose heraus, dass Kooperation kaum existiert, wird die Notwendigkeit gesehen, Hinderungsfaktoren und Herausforderungen für das Themenfeld zu betrachten. „The question then becomes why such initiatives have apparently not so far succeeded“ (Monstadt/Schmidt 2019: 2361). Monstadt und Schmidt gliedern diese Herausforderungen für das Politikfeld in drei Punkten (2019: 2361). Erstens erfordert der Schutz kritischer Infrastrukturen die Zusammenarbeit einer Vielzahl von Akteuren (Monstadt/Schmidt 2019: 2361). Diese wird nötig, da Infrastrukturen materiell Territorien und funktional getrennte Verantwortlichkeitsgrenzen überschreiten und es starke Abhängigkeiten zwischen den Infrastrukturdomänen gibt (ebd.). Des Weiteren führen Privatisierung, Liberalisierung und Entflechtung zu einer höheren Fragmentierung und weniger direkter Kontrolle des Staates über die Erstellung von Infrastrukturdienstleistungen und deren Sicherheit (Monstadt/Schmidt 2019: 2358; vgl. auch Schmidt/Matern 2015: 75, 80). Erschwerend für die ressortübergreifende Zusammenarbeit zeigt sich außerdem, dass wichtige Ressorts sich häufig nicht bewusst sind, dass „they (and not the crisis management authorities alone) have major responsibility for these tasks“ (Monstadt/Schmidt 2019: 2366). Zweitens ist das Politikfeld von Unsicherheit und begrenztem Wissen geprägt (Monstadt/Schmidt 2019: 2358). Dies ist Folge des bereits erwähnten, mangelhaften organisationsübergreifenden Austausches, aber auch des mangelhaften

2.4  Forschungsstand und Forschungslücke

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Fachwissens der Unternehmen und Behörden zur Durchführung entsprechender Analysen. Darüber hinaus ist auch die Vorbereitung auf externe Gefahren über Szenarienbildung mit einer erheblichen Unsicherheit über Wahrscheinlichkeiten und Auswirkungen versehen. Drittens werden Interessenkonflikte der beteiligten Stakeholder bei der Erreichung des Ziels der gesteigerten Resilienz gesehen (Monstadt/Schmidt 2019: 2358 f.). So wird zum Beispiel die Ausstattung mit finanziellen Ressourcen und die politische Priorisierung problematisiert. Durch die Privatisierung und Liberalisierung ist Kosteneffizienz für Infrastrukturunternehmen ein zentrales Anliegen. Darunter könnten Sicherheitsmaßnahmen leiden, insbesondere wenn das gesellschaftlich gewünschte Sicherheitsniveau politisch nicht klar kommuniziert wird. Des Weiteren stellen Monstadt und Schmidt fest, dass häufig ein geringes Bewusstsein für infrastrukturelle Risiken besteht oder dem Politikfeld eine geringe Priorität zugeordnet wird (ebd.: 2365). Das Bewusstsein steige aber allgemein und sei bei Städten mit Erfahrung mit Ausfällen ausgeprägter (ebd.). Der Katastrophenerfahrung wird ein erhebliches Einflusspotential zugemessen. Auch wenn Städte mit Katastrophenerfahrung dazu neigen würden, ihre Bemühungen um das erlebte Szenario zu fokussieren, sei das allgemeine Niveau der Auseinandersetzung doch höher (ebd.). Monstadt und Schmidt empfehlen den Herausforderungen mit Bewusstseinsbildung für potentielle Risiken, einer besseren Ressourcenausstattung, Teilnahme an Trainings, der Initiierung strategischer Planungsprozesse mit Einbezug von Stakeholdern und mehr Erfahrungsaustausch zwischen den Städten zu begegnen (2019: 2368). Letzteres wird als weitgehend fehlend beschrieben und wichtig, um Innovationen im Krisenmanagement zu entwickeln, zu testen und zu verbessern (ebd.: 2366). Ein zentrales Problem sehen Monstadt und Schmidt außerdem im geringen Grad der Institutionalisierung des Themenkomplexes und der geringen Ressourcenausstattung der lokalen Behörden und Unternehmen (ebd.: 2368). In den ersten beiden von Schmidt und Monstadt identifizierten Herausforderungen, werden Entwicklungen im Politikfeld und Eigenschaften des Politikfeldes adressiert, die für alle Städte gelten und insofern nicht für Variationen in dem Aktivitätslevel zwischen Städten verantwortlich sein können. In der dritten Herausforderung werden hingegen Einflussgrößen benannt, die zwischen Städten variieren könnten. Genauso wie in der Schweizer Studie, wird der politische Support, finanzielle Ressourcen, der Austausch zwischen Städten und die Erfahrung mit Ausfällen und ihren Auswirkungen auf die Arbeit auf lokaler Ebene diskutiert (Monstadt/Schmidt 2019: 2358 f.; 2365; 2368). Hinzu kommt das Bewusstsein für die Risiken eines Ausfalls als eine potenziell einflussreiche Größe auf das lokale Katastrophenschutzmanagement (ebd.: 2365).

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2  Theoretischer Hintergrund

Die Auflistung zeigt, dass durch die Studien in der Schweiz und in Deutschland bereits eine Vielzahl von Einflussfaktoren auf die Katastrophenschutzarbeit durch die qualitativen Analysen identifiziert werden konnte. Sie sind daher ein guter Ausgangspunkt für weiterführende Forschungen. Was diesen jedoch fehlt ist eine klare Unterscheidung, inwieweit die Faktoren auf die prinzipielle Einführung von Maßnahmen, auf deren Quantität, Qualität oder Erfolgsaussichten wirken. Die Darstellung der Praxis, Empfehlungen sowie Faktoren, die Quantität oder Erfolgschancen der getroffenen Maßnahmen betreffen, sind nicht immer klar abgrenzbar. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dagegen auf die Quantität der getroffenen Maßnahmen. Eine eindeutige Bestimmung des gemessenen Outputs und eine transparente Operationalisierung des Aktivitätslevels schafft so Eindeutigkeit über den Forschungsgegenstand und ermöglicht eine Vergleichbarkeit über eine größere Anzahl von Städten hinweg als dies im Forschungsstand der Fall ist. Während die existierende Forschung des Weiteren auf Hinderungsgründe fokussiert, liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit ganz bewusst auf ermöglichende Faktoren. Ein hohes Aktivitätslevel wird darüber hinaus im Rahmen der existierenden Aktivitätsgrade bestimmt, der Output ist also eine relative Größe. Durch die Konzentration auf ermöglichende Faktoren und eine Differenzierung zwischen verschiedenen Aktivitätsniveaus sollen erste Ansätze, bestehende Wege und Möglichkeiten mehr Raum erhalten und das Vorgehen so zu einem konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen, vor denen Städte im Katastrophenschutz stehen, beitragen. Der Fokus der vorliegenden Arbeit auf die Maßnahmen der Katastrophenschutzämter und auf ein konkretes Szenario statt auf den Katastrophenschutz oder das Infrastrukturmanagement in seiner Breite ist zudem enger gewählt als dies bei den existierenden Einzelfallstudien der Fall ist. Die Fokussierung auf das Katastrophenschutzamt in dieser Forschung soll dabei nicht die Verantwortung oder die Fähigkeit zum Steuern anderer öffentlicher und auch privater Akteure verneinen. Im Zuge einer zunehmenden Bedeutung der Kommunen in der Sicherheitspolitik (vgl. Maduz/Roth 2017) hat jedoch auch die Bedeutung der Arbeit der kommunalen Katastrophenschutzämter zugenommen. An diese wird in der existierenden Forschungsliteratur die Erwartung gerichtet, eine „Initiativ-, Koordinations- und Leitungsverantwortlichkeit“ (Schmidt/Scharf 2017: 42) zu übernehmen. Diese Erwartung kann auch dadurch gerechtfertigt werden, dass die Sicherheit der Bürger eine Kernaufgabe des Staates ist. Gleichzeitig werden im Forschungsstand Zweifel darüber geäußert, inwieweit das kommunale Katastrophenschutzamt dieser Aufgabe gewachsen ist (Monstadt/Schmidt 2019: 2367). Es erscheint daher gerechtfertigt, das kommunale Katastrophenschutzamt in den Fokus der Betrachtung zu rücken.

2.4  Forschungsstand und Forschungslücke

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Der Fokus auf das Szenario eines langanhaltenden und überregionalen Stromausfalls engt den Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit weiter ein. Die Abhängigkeiten anderer kritischer Infrastrukturen gegenüber der Stromversorgung sind besonders ausgeprägt. Kaskadeneffekte werden mit zunehmender Länge und geographischer Breite stärker. Dem Auftreten dieses Szenarios wird darüber hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit beigemessen und seine potenziellen Auswirkungen als so schwerwiegend eingeschätzt, dass eine Auseinandersetzung mit ihm geboten erscheint. Die thematische Fokussierung auf Szenario und Akteur erlaubt, bezüglich der getroffenen Maßnahmen des Katastrophenschutzamtes und ihrer Zusammenarbeit mit den Stakeholdern spezifischer zu werden und mehr in die Tiefe zu gehen, als dies durch die bisherigen Arbeiten geschehen ist. Methodisch beruhen die existierenden Forschungen auf qualitativen Einzelfallstudien und Experteninterviews. In der vorliegenden Forschung wird eine Vollerhebung auf Grundlage einer webbasierten Erhebung angestrebt. Als Methode für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wird eine Qualitative Comparative Analysis (QCA) gewählt. Die thematische Fokussierung hat so den Vorteil, dass zum einen mehr Städte einbezogen werden können und so eine größere Datenbasis erzeugt werden kann. Und zum anderen ein methodisches Vorgehen erlaubt, durch die der kausalen Komplexität des Forschungsgegenstandes Rechnung getragen werden kann und spezifischere und differenziertere Aussagen zu Einflussfaktoren möglich sind, als dies bisher durch den Forschungsstand möglich war. Die in den existierenden Einzelfallstudien betrachteten Faktoren helfen dabei, eine Vorstellung über mögliche U ­ rsache-Wirkung-Zusammenhänge zu erlangen. Sie neigen damit aber auch, wie viele qualitativen Fallstudien, in die „‘everything matters‘ trap“ (Ryan 2015: 519) zu geraten. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, in dieser Hinsicht zu mehr Klarheit beizutragen. Dabei versteht sich die vorliegende Arbeit gewissermaßen als logisch anschließender Forschungsschritt hin zu spezifischeren und verallgemeinerbaren Ergebnissen. Dafür wird der Stand der Arbeit der Katastrophenschutzämter für ein konkretes Szenario auf breiter Basis erhoben, mögliche Einflussgrößen auf die Arbeit der Ämter systematisch zusammengestellt und die konfigurative Wirkungsstärke der Einflussgrößen quantifizierbar gemacht.

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Rahmenbedingungen im Politikfeld

Im vorliegenden Kapitel wird erläutert, in welchen institutionellen Rahmenbedingungen die kommunalen Katastrophenschutzämter ihre Arbeit zum Schutz kritischer Infrastrukturen durchführen. Dafür wird zunächst ein kurzer Überblick über internationale und europäische Strategien und Regulierungen gegeben, bevor genauer auf das deutsche System des Katastrophenschutzes und die Rolle der Kommune in ihm eingegangen wird. Die Kenntnis dieser Strukturen ist wichtig, um die Fallauswahl sowie die weiteren Analysen zu verstehen und die Ergebnisse der Analysen einordnen zu können.

3.1 International Auf internationaler Ebene und auch auf europäischer Ebene ist keine direkte Regulierung der Kommunen möglich. Dennoch gibt es auch internationale Entwicklungen, die die städtische Ebene betreffen. International gibt es eine Reihe großer Strategiepapiere der Vereinten Nationen (VN, englisch: United Nations, kurz: UN), die explizit Städte aufrufen, resilienter zu werden. Die UN bearbeitet unter dem Begriff der Resilienz sowohl Themen des Klimaschutzes, der Klimaanpassung und der Nachhaltigkeit wie auch des Disaster Risk Managements und nutzt den Begriff bewusst zur Integration der Themen ineinander (UN-Habitat 2017: 15). Das erste dieser Strategiepapiere ist das bereits erwähnte Hyogo-Framework for Action 2005–2015 der United Nations International Strategy for Disaster Reduction (UNISDR), das im Rahmen der Zweiten UN World Conference on Disaster Risk Reduction erarbeitet wurde (ebd.: 16). 2015 wurde es dann von dem Sendai Framework for Disaster Risk Reduction abgelöst. Das Sendai Framework for © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_3

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

Disaster Risk Reduction ist eine freiwillige, nichtbindende Vereinbarung, mit deren Hilfe eine „[…] substantial reduction of disaster risk and losses in lives, livelihoods and health, as well as in the economic, physical, social, cultural and environmental assets of persons, business, communities and countries“ angestrebt wird (UN-Habitat 2017: 16). Die Strategie wurde auch von Deutschland unterzeichnet (BBK 2019a). Während die Staaten für die Förderung der Resilienz in Verantwortung gesehen werden, soll die Vernetzung und Koordination auf allen Ebenen erfolgen. Daher wurde bereits 2010 durch das United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) die Kampagne Making Cities Resilient gegründet, die die Implementation dieser Strategien auf städtischer Ebene vorantreiben soll (ebd.: 16). Bei Teilnahme an der Kampagne unterstützt das UNDRR u. a. bei der Allokation von Ressourcen, fördert den Austausch zwischen den Städten, stellt ein Tool-Kit zur Bildung von Resilienz zur Verfügung und veranstaltet öffentliche Events mit Medienvertretern (UNDRR 2019b). Weltweit nehmen über 4000 Städte derzeit teil (UNDRR 2019c). Bonn ist bisher die einzige deutsche Stadt, die ein Teil des Netzwerkes ist (UNDRR 2019c). Dennoch arbeitet man auch in Deutschland an der Umsetzung des Sendai Rahmenwerks. Hierfür wurde 2017 eine Nationale Kontaktstelle für das Sendai Rahmenwerk im Bundesamt für Katastrophenschutz und Bevölkerungshilfe (BBK) geschaffen (BBK 2019a). Diese soll zur Koordination und zum Austausch beitragen, den Berichtspflichten Deutschlands gegenüber dem UNDRR nachkommen, und die Vernetzung der Themen „[…] Klimawandel, nachhaltige Entwicklung, humanitäre Hilfe und Katastrophenvorsorge […]“ (BBK 2019a) stärken. Neben den genannten Strategien nimmt die urbane Resilienz von Infrastrukturen auch in den „Sustainable Development Goals (SDGs)“ der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ eine zentrale Rolle ein. Die Agenda 2030 wurde 2015 bei der UN Generalversammlung von allen UN-Mitgliedsstaaten verabschiedet (BMZ 2019). Ihren Kern bilden 17 Ziele, in denen soziale und technische Infrastrukturen sowie urbane Resilienz adressiert werden. So werden in Ziel 6 und 7 explizit eine sichere Wasser- und Energieversorgung angestrebt (UN 2015: 14). In Ziel 9 werden dann alle Infrastrukturen adressiert: „Build resilient infrastructure, promote inclusive and sustainable industrialisation and foster innovation“ (UN 2015: 14). Und in Ziel 11 heißt es: „Make cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable“ (UN 2015: 14). Auch die SDGs haben damit einen klaren Bezug zu städtischen Infrastrukturen und ihrer Sicherheit wird damit eine hohe Priorität eingeräumt. Im expliziten Bezug auf das Ziel Nummer 11 wurde bei Habitat III, der ersten globalen UN Konferenz nach dem Beschluss der SDGs im Jahr 2016, die New Urban Agenda entwickelt, die den Weg zur Erreichung des Ziels weiter ausarbeitet (UN

3.2  Europäische Union

31

2017; UBA 2016). Nachhaltigkeit hat hier jedoch eine höhere Gewichtung als Katastrophenvorsorge. Anhand der soeben dargestellten Strategien ist zu erkennen, dass der städtischen Resilienz und urbanen Infrastrukturen auf internationalen Agenden gerade in den Jahren 2015 und 2016 eine hohe Aufmerksamkeit zugekommen ist. Neben den großen Agenden der Vereinten Nationen gibt es aber auch Initiativen von nichtstaatlicher Seite, die die Stärkung der Resilienz von Städten und ihren technischen Infrastrukturen adressieren. Das populärste Beispiel ist auf internationaler Ebene die bereits erwähnte, 2013 gegründete Initiative der Rockefeller Foundation „100 Resilient Cities“ (100 Resilient Cities 2019a). Die Initiative fördert in Städten die Schaffung einer Stelle eines Resilienz-Managers und die Erstellung einer Resilienz-Strategie und bietet ein Netzwerk zum Austausch mit anderen Städten, aber auch Unternehmen und Verbänden an (ebd.). Das Resilienzverständnis der Initiative geht dabei weit über den Schutz von technischen Infrastrukturen und die Vorbereitung auf ihren Ausfall hinaus. Sie umfasst u. a. die Stärkung und Effizienz der Führung insbesondere in Krisensituationen sowie die Stärkung verschiedener Stakeholder, die Verbesserung der Gesundheit der Bürger und Förderung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Elemente (100 Resilient Cities 2019b). An der Kampagne ist jedoch keine deutsche Stadt beteiligt.

3.2 Europäische Union Die Europäische Union (EU) hat mit dem Artikel 196 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)1 eine „[…] ausdrückliche Kompetenzgrundlage für den Katastrophenschutz“ (Ritgen 2013: 160). Nach Absatz 1, Artikel 196 des AEUVs fördert die Union „[…] die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, um die Systeme zur Verhütung von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen und zum Schutz vor solchen Katastrophen wirksamer zu gestalten“. Eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bleibt dabei jedoch ausgeschlossen (Art.  196 Abs.  2 AEUV). Die Europäische Union kann also nationale Bemühungen unterstützen, ergänzen oder fördern, sie hat jedoch kein Weisungs-

1Konsolidierte

2012/C 326/01

Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union;

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

recht gegenüber den Mitgliedstaaten im Katastrophenrecht und verfügt über keine Möglichkeit für eigene Katastrophenschutzeinheiten (Ritgen 2013: 161). Seit 2002 ist ein Gemeinschaftsverfahren durch welches Mitgliedsstaaten gegenseitig Hilfeleistung beantragen können gegeben (Petermann et al. 2013: 46). Operativ war für diese das Monitoring and Information Center for Civil Protection (MIC) zuständig. Ursprünglich bei der Generaldirektion Umweltschutz angesiedelt, ist der Katastrophenschutz seit 2010 Teil der hierfür unbenannten Generaldirektion ECHO (European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations) (vgl. Gröhn 2014: 4). 2014 trat zudem der Beschluss 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Katastrophenschutzverfahren der EU2 in Kraft. Dieser stärkt die Kompetenzen der EU im Katastrophenschutz (Gröhn 2014: 4). Sie kann jetzt auch im Bereich der Prävention über die Einsatzvorbereitung tätig werden (ebd.). Die Mitgliedstaaten müssen nun der EU alle drei Jahre eine Bewertung ihrer Risiken und Risikomanagementfähigkeiten vorlegen. Außerdem wurde die Möglichkeit von Peer Reviews des Katastrophenschutzes der Mitgliedstaaten durch externe Experten formalisiert. Des Weiteren wurde das Monitoring and Information Center for Civil Protection (MIC) durch das neu gegründete Emergency Response Coordination Centre (ERCC) abgelöst und durch die Zusammenführung mit dem Krisenzentrum für humanitäre Krisen gestärkt (ebd.). In der Europäischen Union nutzt man den Begriff der Resilienz in erster Linie im Kontext der Entwicklungsarbeit, und bisher eher zurückhaltend in der Sicherheitspolitik. Mit dem Europäischen Programm für den Schutz Kritischer Infrastrukturen (EPSKI)3 wurde 2006 auf europäischer Ebene ein Versuch unternommen, den Schutz kritischer Infrastrukturen über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg zu fördern. Kernstück des Programms ist die Richtlinie 2008/114/EG4, die dazu dient, europäische kritische Infrastrukturen in den Bereichen Energie und Transport zu identifizieren. Diese werden definiert als „[…] in einem Mitgliedstaat gelegene kritische Infrastruktur, deren Störung oder

2Beschluss

Nr. 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über ein Katastrophenschutzverfahren der Union Text von Bedeutung für den EWR 3Mitteilung der Kommission vom 12. Dezember 2006 über ein Europäisches Programm für den Schutz kritischer Infrastrukturen [KOM (2006)786 endg. – Amtsblatt C 126 vom 7. Juni 2007]. 4RICHTLINIE 2008/114/EG DES RATES vom 8. Dezember 2008 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern

3.2  Europäische Union

33

Zerstörung erhebliche Auswirkungen in mindestens zwei Mitgliedstaaten hätte“ (Art. 2, Abs. b, Richtlinie 2008/114/EG). Für die entsprechenden Infrastrukturen soll ein Sicherheitsplan (Operator Security Plan) erstellt werden (Art. 5, Richtlinie 2008/114/EG). Mit CIPS („Prevention, Preparedness and Consequence Management of Terrorism and other Security-related Risks“) wurde außerdem ein Förderprogramm geschaffen, über welches Projekte gefördert werden, die dem Schutz von Bürgern und Bürgerinnen und kritischer Infrastrukturen gegenüber Terrorismus und anderen Sicherheitsvorfällen dienen (DG HOME 2019). Des Weiteren wurde mit dem Critical Infrastructure Warning Information Network (CIWIN) eine Plattform eingerichtet, die zum Austausch von Informationen zu europäischen kritischen Infrastrukturen dient und seit 2013 online ist (DG HOME 2019). Das Kernstück des Programms, die Richtlinie zur Identifizierung europäischer kritischer Infrastrukturen (Richtlinie 2008/114/EG), die bis 2011 durch die Mitgliedstaaten zu implementieren war, gilt jedoch als wenig erfolgreich (vgl. Bach et al. 2013: 6; Europäische Kommission 2012: 18). So wird 2013 resümiert, dass weniger als 20 europäische kritische Infrastrukturen durch die Mitgliedstaaten identifiziert und dementsprechend wenige Sicherheitspläne erstellt wurden (Europäische Kommission 2013: 4). 2013 wurde ein neuer Ansatz zum Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen in Form eines Arbeitspapiers der Kommission vorgestellt (SWD (2013) 318 final5). In diesem wird sich auf die Interdependenzen von vier großen europäischen kritischen Infrastrukturen konzentriert, für die Prevention, Preparedness und Response Maßnahmen erarbeitet werden sollen. Eine Evaluation der Richtlinie aus dem Jahr 2008 und des neuen Ansatzes aus 2013 steht aus und ist für das Jahr 2019 angekündigt (Europäische Kommission o. J.). Die Europäische Union nimmt bislang im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen oder bei der Stärkung der Resilienz gegenüber ihrem Ausfall keine starke Rolle ein. Städte spielen in den bestehenden europäischen Anstrengungen zum Schutz kritischer Infrastrukturen eine untergeordnete Rolle. Dennoch gibt es Projekte mit Bezug zur Stadt und der Sicherheit ihrer Infrastrukturen, die über verschiedene andere Förderlinien durch die Europäische Union bezuschusst wurden. Beispiele sind die Projekte RESIN, Smart Resilience und Smart Mature Resilience (SMR). Das Projekt RESIN hat das Ziel, die

5COMMISSION

STAFF WORKING DOCUMENT on a new approach to the European Programme for Critical Infrastructure Protection Making European Critical Infrastructures more secure; 28.8.2013.

34

3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

Resilienz der Städte und Infrastrukturen angesichts der Folgen des Klimawandels zu stärken (RESIN o. J.). Dazu wird im Projekt der Austausch zwischen Fallstädten und Partnern aus der Wissenschaft gefördert (ebd.). Im Projekt Smart Resilience liegt hingegen der Fokus auf der Vernetzung mit Informationsund Kommunikationstechnologien und der Identifikation von Indikatoren, um die Resilienz smarter Infrastrukturen zu bestimmen (Smart Resilience o. J.). Im Projekt Smart Mature Resilience (SMR) ist das Ziel, eine Richtlinie zu entwickeln, die politischen Entscheidungsträgern die Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz erleichtern sollen (SMR o. J.).

3.3 Deutschland In Deutschland ist die Zuständigkeit für den Schutz kritischer Infrastrukturen und die Stärkung ihrer Resilienz auf viele Akteure verteilt. Auf staatlicher Seite hat der Katastrophenschutz, der selbst einer komplexen Arbeitsteilung unterliegt, eine zentrale Rolle. Da der Schutz kritischer Infrastrukturen jedoch als Annexthema verstanden wird, ist es dennoch auch Pflicht der jeweiligen Ressorts, in ihrem Zuständigkeitsbereich Vorsorge zu treffen (John-Koch 2014: 3). Darüber hinaus haben die privaten Betreiber von Infrastrukturen innerhalb der Betreiberpflicht ihrer Verantwortung nachzukommen. Rechtsnormen, für den Umgang mit kritischen Infrastrukturen und der Stromversorgung im Speziellen finden sich in zahlreichen Dokumenten, vom Grundgesetz, welches die Aufgabenverteilung von Bund, Ländern und Kommunen im Katastrophenschutz beschreibt, bis zu Betriebssicherheitsverordnungen für technische Anlagen und Durchführungsbestimmungen für Behörden (vgl. Petermann et al. 2013: 47). Ein vollständiger Überblick über die zugrunde liegende Rechtsmaterie lässt sich an dieser Stelle daher nicht leisten und wäre auch nicht zielführend. Stattdessen werden im Folgenden die großen Rahmenlinien nachgezeichnet. Dazu wird zunächst das System des Katastrophenschutzes in Deutschland und die Rolle der Kommune in ihm dargestellt. Danach erfolgt eine Darstellung der grundlegenden strategischen Papiere und Gesetze, die explizit den Schutz kritischer Infrastrukturen adressieren. Im Zuge dieser Einführung werden auch die wichtigsten Akteure im Themenfeld vorgestellt.

3.3 Deutschland

35

3.3.1 Katastrophenschutz im föderalen System Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz kann dem Politikfeld der Inneren Sicherheit zugeordnet werden (Lange/Endreß 2015: 10). Sein grundlegender Aufbau ist in Deutschland im Grundgesetz geregelt. Bund Während die Sicherheit der Bürger in Zeiten des Krieges (Zivilschutz) Verantwortung und Aufgabe des Bundes ist, obliegt der Katastrophenschutz in Friedenszeiten den Ländern (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 GG; Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). Eine Ausnahme bilden Fälle, in denen Kernenergie oder ionisierende Strahlung freigesetzt wird. Ist dies der Fall, ist der Bund auch in Friedenszeiten zuständig (Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG). Im Falle einer Naturkatastrophe oder anderen schweren Unglücksfällen, können die Länder Unterstützung von anderen Ländern oder dem Bund einschließlich seiner Streitkräfte anfordern (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG). Ferner kann der Bund bei Katastrophen, welche sich über mehrere Bundesländer erstrecken, Bundesländer anweisen, Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen oder mit Einheiten der Bundespolizei oder seinen Streitkräften selbst unterstützend tätig werden (Art. 35 Abs. 3 GG). Davon unabhängig können die Behörden des Bundes und des Landes Amtshilfe leisten, das heißt, das Grundgesetz erlaubt, dass sie sich gegenseitig unterstützen (Art. 35 Abs. 1). Das deutsche System des Bevölkerungsschutzes ist also zweigeteilt, aber an etlichen Stellen verzahnt (Pohlmann 2015: 86). Die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA und das Elbhochwasser in Deutschland im folgenden Jahr haben dazu beigetragen, dass die Eignung des Systems, mit der veränderten Gefahrensituation und damit einhergehenden großen Schadenslagen umzugehen, in den Blick und in die Kritik geraten ist (Lauwe/Geier 2016: 191). Als Resultat wurde 2002 die „Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ verabschiedet (ebd.). Das zentrale Ziel des neuen Rahmenkonzepts für den Zivil- und Katastrophenschutz ist die engere Kooperation zwischen Bund und Ländern bei national bedeutenden Gefahren- und Schadenslagen (Lange/Endreß 2015: 12). Rechtlich fand das Rahmenkonzept im Gesetz zur Änderung des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes des Bundes (ZSKG bzw. ZSGÄndG)6 Ausdruck (ebd.). Der

6Gesetz

zur Änderung des Zivilschutzgesetzes (Zivilschutzgesetzänderungsgesetz– ZSGÄndG) vom 2. April 2009

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

Bund darf nun, sofern die Länder das wünschen, Koordinierungsaufgaben bei Großschadenslagen übernehmen (§ 16 Abs. 1 ZSKG). Eine Weisungsbefugnis gegenüber den Ländern bleibt jedoch ausgeschlossen (§ 16 Abs. 3 ZSKG). Der Bund sichert außerdem materielle Unterstützung zu (§ 13 ZSKG). Der Bevölkerungsschutz ist auf Bundesebene im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) angesiedelt. Darüber hinaus unterhält das BMI Behörden und Organisationen, die es bei seinen Aufgaben auch im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen unterstützen. Diese sind in erster Linie das Technische Hilfswerk (THW), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Bundesamt für Katastrophenschutz und Bevölkerungshilfe (BBK) (Lauwe/Geier 2016: 194; BMI 2019a). Diese untergeordneten Behörden des BMI werden im Folgenden vorgestellt. Das Technische Hilfswerk (THW) existiert unter den aufgeführten Organisationen bereits am längsten. 1950 gegründet ist es u. a. zuständig für technische Hilfeleistung im Zivil- und Katastrophenschutz (§ 1 ­THW-Gesetz7; Terberl 2015: 28). Zu seinen Aufgaben zählt aber auch, auf Auftrag der Bundesregierung technische Hilfeleistung im Ausland zu leisten (§ 1 THW-Gesetz; Terberl 2015: 28). Es ist sowohl im Zivilschutz wie auch im Katastrophenschutz tätig. Organisatorisch gliedert sich das THW in Orts- und Regionalverbände und setzt sich zu 99 Prozent aus ehrenamtlich Engagierten zusammen (Terberl 2015: 29). Das THW unterhält Fachgruppen u. a. zu den Themen Infrastruktur, Elektroversorgung, Wasserschaden/Pumpen, Brückenbau, Trinkwasserversorgung sowie Führung und Kommunikation und kann mit diesen und durch seine personellen wie auch materiellen Ressourcen technische Hilfestellungen bei Ausfällen infrastruktureller Versorgungsleistungen bieten (Terberl 2015: 29; THW o. J.). Bei einem Stromausfall kann der entsprechende Ortsverband des THWs unter Umständen die Ausstattung des lokalen Katastrophenschutzamtes durch eigene Notstromaggregate ergänzen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) besteht seit 1991 (BSI o. J.a). Im Kontext kritischer Infrastrukturen ist es seine Aufgabe die Sicherheit der kritischen Informationsinfrastrukturen, d. h. „sowohl den Sektor der Informationstechnik und Telekommunikation als auch die IKT-basierten Infrastrukturen anderer Sektoren“ (BSI o. J.b) zu fördern.

7THW-Gesetz

vom 22. Januar 1990 (BGBl. I S. 118), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 11. Juni 2013 (BGBl. I S. 1514) geändert worden ist

3.3 Deutschland

37

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist die jüngste der genannten Organisationen und wurde, in Folge des neuen Rahmenkonzepts, 2004 gegründet (Lange/Endreß 2015: 12; BBK 2019b). Mit seiner Hilfe sollen die Ziele der Strategie, insbesondere die bessere Verzahnung der politischen Ebenen und Hilfsorganisationen und die Koordination der Zusammenarbeit in Krisenfällen, umgesetzt werden (BBK 2019c). Das BBK soll dabei „alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge fachübergreifend“ (BBK 2019a) bearbeiten. Kritische Infrastrukturen stellen dabei einen großen Arbeitsbereich des BBKs innerhalb des Risikomanagements dar. Dementsprechend vielfältig sind hier die Aktivitäten. Es informiert, erstellt Rahmenempfehlungen und Leitlinien, Analysen und Analysewerkzeuge. In seinen Empfehlungen adressiert es Betreiber, Katastrophenschutz- und Hilfsorganisationen, Behörden und auch die Bevölkerung (BBK 2019d). Das kommunale Katastrophenschutzamt wird dabei nicht exklusiv, aber als Teil der Gruppe der Behörden und Organisation im Katastrophenschutz adressiert. Auf der Webseite zugängliche Publikationen, die diese umschließen, sind eine Planungsempfehlung „Notstromversorgung für Unternehmen und Behörden“, ein Managementkonzept „Schutz kritischer Infrastrukturen“, das an Unternehmen und Behörden gerichtet ist, die selbst zu den kritischen Infrastrukturen zählen und eine Handlungshilfe „Basisschutz für Katastrophenschutz- und Hilfsorganisationen“ (BBK 2019d). Des Weiteren ist die Publikationen einer „Empfehlung zum Integrierten Risikomanagement für die kommunale Ebene“ (Lauwe 2018: 5) angekündigt, in der Erfahrungen aus Pilotprojekten zur Zusammenarbeit zwischen nichtpolizeilicher Gefahrenabwehr, Betreibern kritischer Infrastrukturen und weiterer Akteure auf kommunaler Ebene gebündelt werden und so anderen Kommunen zur Verfügung stehen sollen. Darüber hinaus ist das BBK an mehreren Forschungsprojekten im Themenbereich beteiligt, die sich mit dem erfolgreichen Umgang mit Stromausfällen beschäftigten. Es werden derzeit sechs Projekte mit eigener Beteiligung im Themenfeld kritische Infrastrukturen auf der Webseite des BBKs gelistet (BBK 2019h). „Kritische Infrastrukturen – Resilienz als Mindestversorgungskonzept“ (KIRMin) ist eines davon und thematisch der vorliegenden Arbeit am nächsten (ebd.). Ziel ist die Untersuchung der Abhängigkeit zwischen den kritischen Infrastrukturen in Deutschland mit einem Fokus auf die Wasser- und Energieversorgung (ebd.). Zudem soll ein Mindestversorgungskonzept für die Strom- und Wasserversorgung bei dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls erstellt werden und das integrierte Risiko- und Krisenmanagement in Pilotprojekten in vier deutschen Städten getestet werden. Des Weiteren koordiniert und fördert das BBK verschiedene Netzwerke mit Akteuren, die im Themenbereich zusammenarbeiten. Über die Akademie für

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) bietet das BBK zudem Seminare zum Themenbereich an. 2004 wurde außerdem die Übungsreihe LÜKEX (Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (Exercise)) ins Leben gerufen. Das erste Szenario der Reihe war ein großflächiger Stromausfall aufgrund einer Extremwetterlage im Winter. Bei LÜKEX handelt es sich um eine „Länder- und Ressortübergreifende Stabsrahmenübung auf strategischer Ebene unter Einbezug der politischen Entscheidungsträger und Betreiber Kritischer Infrastrukturen“ (Scholz 2013: 172). Die in der Regel privaten Betreiber der kritischen Infrastrukturen werden daher zu der Übung eingeladen (ebd.). Neben der Übung des ressort- und länderübergreifenden Krisenmanagements ist die Bildung von Netzwerken ein wichtiges Ziel des Formats (Scholz 2013: 172; BBK 2019e). Die Übungsreihe gilt aber auch als wichtiger Impulsgeber für das strategische Krisenmanagement (Reez 2010: 25). Des Weiteren wurde im BBK das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) eingerichtet (Ritgen 2013: 156; Franke 2016: 72). Seine Aufgaben sind im §16 des ZSKGs geregelt. Seine zentrale Aufgabe ist die „Optimierung des bund-, länder-, kommunen- und organisationsübergreifende Informationsund Ressourcenmanagements bei großflächigen Gefahren- und Schadenslagen“ (Ritgen 2013: 156). Eine solche wäre durch einen überregionalen, langanhaltenden Stromausfall gegeben. Das GMLZ erstellt Lagebilder, Lageanalysen und -bewertungen und ist die nationale Anlaufstelle für Informations- und Warnverfahren (BBK 2019f). Außerdem ist sie für das Ressourcenmanagement, z. B. durch die Vermittlung von Engpassressourcen, zuständig. Land Die Länder haben die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz in Friedenszeiten (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 GG; Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG). Sie stellen die Oberste Katastrophenschutzbehörde dar (vgl. Ehl/Wendekamm 2013). Die Länder sind auch bei Großschadenslagen die höchste weisungsbefugte Ebene im Katastrophenschutz (Wendekamm/Feißt 2015: 142). Um den Katastrophenschutz gesetzlich zu regeln, hat jedes Land ein Katastrophenschutzgesetz (Petermann et al. 2013: 49). In vielen Ländern ist das Katastrophenschutzgesetz kombiniert mit dem Brandschutzgesetz (ebd.). In diesen ist in der Regel der Begriff der „Katastrophe“ definiert und die Aufgaben des Katastrophenschutzes auf Ebene der kreisfreien Städte und Landkreise geregelt. Die Länder sprechen sich im Rahmen der Innenministerkonferenz (IMK) ab, um stark divergierende Gesetzgebungen zu vermeiden (vgl. IMK 2019). Speziell für den Themenbereich der kritischen Infrastrukturen wurde zudem die Arbeitsgruppe Koordinierungsstelle gebildet, in der sich die Zuständigen der Länder treffen (vgl. Lauwe/Geier

3.3 Deutschland

39

2016: 194 f.). Des Weiteren haben drei Bundesländer Leitlinien oder Rahmenempfehlungen für den Fall eines Stromausfalls erstellt (Stand: Mai 2018). Diese sind Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Darüber hinaus findet der Katastrophenschutz im Wesentlichen in den Kommunen und auf Landkreisebene statt (Ziebs/Jacobs 2015: 35; Monstadt/Schmidt 2019: 2359). Kommunen und Landkreise Das System des Katastrophenschutzes in Deutschland ist in seinem Kern an der kleinsten Einheit, den Kommunen und Landkreisen, orientiert (Ziebs/ Jacobs 2015: 35). Die kreisfreien Kommunen und Landkreise stellen entsprechend den landesrechtlichen Bestimmung in diesem System die Unteren Katastrophenschutzbehörden dar (BBK 2018a: 30; BMI 2019b). Innerhalb der Kommune ist in der Regel der Oberbürgermeister, innerhalb des Landkreises der Landrat verantwortlich (BBK 2018a: 27). Dieser überträgt die Aufgaben des Katastrophenschutzes in den Großstädten Deutschlands nicht zwingenderweise, aber faktisch an die Berufsfeuerwehr, die so gleichzeitig das kommunale Katastrophenschutzamt darstellen. Hier werden Einsatz- und Katastrophenschutzpläne erstellt und die Gefahrenabwehr koordiniert (Fritzen 2010: 10). Im Falle einer Katastrophe bildet die ­politisch-gesamtverantwortliche Komponente, d. h. üblicherweise der Oberbürgermeister bzw. Landrat, den Empfehlungen der deutschen Innenministerkonferenz folgend, in der Regel einen Führungsstab und einen Verwaltungsstab (Franke 2006: 27; Fritzen 2010: 11; Franke 2016: 26). Zur bundeseinheitlichen Organisation der Leitung im Einsatz, Bildung und insbesondere der Organisation des Führungsstabs, dient ferner die Feuerwehr Dienstvorschrift 100 (FwDV 100)8 (Franke 2016: 26; Freudenberg 2018: 34 f.). Der Führungsstab, auch Einsatzleitung genannt, ist die operativ-taktische oder auch strategisch-operative Komponente (Franke 2016: 26). Ihr steht für gewöhnlich eine Führungskraft aus der kommunalen Feuerwehr vor (Fritzen 2010: 12). Der Verwaltungsstab entspricht der administrativ-organisatorischen Komponente und dient zur Koordination des Verwaltungshandelns (Franke 2016: 26). Häufig wird er von der politisch-gesamtverantwortlichen Komponente selbst geleitet (Fritzen 2010: 13). Er kommt im Katastrophenfall sitzungsmäßig zusammen und umfasst Führungspersonen aus allen zur Bewältigung der Krise notwendigen Ämtern, Ressorts und Organisationen (Franke 2016: 26 f.). Im Falle eines langanhaltenden Stromausfalls ist hier z. B. auch die Anwesenheit von Verbindungs-

8Feuerwehr

Dienstvorschrift 100, Stand: 10.03.1999

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

personal der Infrastrukturbetreiber möglich. Die Durchführung der Entscheidung erfolgt dann wieder im jeweiligen Amt bzw. in der jeweiligen Organisation (ebd.). Der Verwaltungsstab kann auch zum Einsatz kommen, wenn zum entsprechenden Zeitpunkt noch keine Einsatzkräfte involviert sind (ebd.: 27). Übersteigt die Schadenslage ein gewisses Maß, geht die Leitung an die Obere bzw. Oberste Katastrophenschutzbehörde über (Wendekamm/Feißt 2015: 142). Das Tagesgeschäft findet jedoch in den Kommunen, der „Basis des Katastrophenschutzes“ (Ziebs/Jacobs 2015: 36), statt. Die kommunalen Feuerwehren nehmen hier gemäß den landesrechtlichen Gesetzgebungen die Aufgaben der Kommune im Katastrophenschutz wahr (BMI 2019b). In den Landeskatastrophenschutzgesetzen wird z. B. die Untersuchung von möglichen Katastrophengefahren und die Vorbereitung auf die Bekämpfung von Katastrophen gefordert. Die genauen Formulierungen variieren zwischen den Landeskatastrophenschutzgesetzen. Das Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastrukturen wird in den Landeskatastrophenschutzgesetzen jedoch (Stand März 2019) nur im Katastrophenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern9 explizit als Aufgabe der Katastrophenschutzbehörden benannt (LKatSG M-V, Art. 3, Abs. 2). Insofern liegt für die meisten Kommunen ein erheblicher Interpretationsspielraum in Bezug auf die Ausgestaltung der vorbereitenden Maßnahmen auf Gefahren vor. Um den Aufgaben im Katastrophenschutz gerecht zu werden, sind die Länder auf die Kommunen und Landkreise angewiesen. Neben dieser kommunalen Verwurzelung bietet das deutsche System des Katastrophenschutzes durch die große ehrenamtliche Basis eine weitere Besonderheit. Das BBK beziffert diese mit 1,8 Millionen ausgebildete Ehrenamtliche, die das System tragen (BBK 2019g). Diese sind z. B. in den Ortsvereinen des THWs, beim Deutschen Roten Kreuz oder in den freiwilligen Feuerwehren aktiv (Gnedler 2015: 18). Der dargestellte föderale Aufbau des Katastrophenschutzes hat verschiedene Vorteile. Hier zu nennen ist die Ortskenntnis und schnelle Reaktionsfähigkeit der lokalen Einheiten und wiederum ihre hohe Identifikation mit dem Ort (Wendekamm/Feißt 2015: 126). Letzteres ist gerade bei einem System, das maßgeblich auf Ehrenamtliche aufbaut, nicht zu unterschätzen (ebd.). Ein erhöhter Koordinations- und Abstimmungsaufwand, eine erschwerte Willensbildung sowie divergierende Strukturen und Qualität im Katastrophenschutz zwischen den Ländern bilden die andere Seite der Medaille (ebd.: 128 f.). Unter Umständen

9Gesetz

über den Katastrophenschutz in Mecklenburg-Vorpommern (Landeskatastrophenschutzgesetz – LKatSG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2016

3.3 Deutschland

41

können bei nationalen Schadenslagen Strukturen schwer überschaubar sein und Führungsansprüche miteinander im Konflikt stehen (ebd.). Die Anzahl der Akteure wird zudem durch die geteilte Verantwortung zwischen Staat und Privat bei gleichzeitiger Privatisierung und Entflechtung von Infrastrukturunternehmen im Themenfeld der kritischen Infrastrukturen zusätzlich erhöht. Von staatlicher Seite wurden die Herausforderungen, die das föderale System des Katastrophenschutzes bei nationalen Schadenslagen mit sich bringt, erkannt. Die neue Rahmensetzung 2002 und die Gründung des BBKs mit seinen zahlreichen Aktivitäten im Themenfeld sind in diesem Sinne als Anpassungsprozess auf eine veränderte Gefahrenlage zu werten. Die neue Rahmensetzung läutet eine Trendwende ein, ist aber nicht die einzige strategische und gesetzliche Grundlage, die seitdem im Bereich der kritischen Infrastrukturen und mit Relevanz für das Szenario der vorliegenden Arbeit, verabschiedet wurde. Im folgenden Abschnitt wird aufgezeigt welche Strategien und Gesetzesvorhaben in Deutschland mit konkreten Bezug zu kritischen Infrastrukturen seitdem getroffen worden sind, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. Sie bilden neben dem System des Katastrophenschutzes den weiteren Rahmen, in dem sich Großstädte in Deutschland auf einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall vorbereiten.

3.3.2 Strategischer und rechtlicher Rahmen In der Darstellung des Systems des Katastrophenschutzes wurde deutlich, dass grundlegende Aspekte des Katastrophenschutzes bereits im Grundgesetz geregelt sind. Auch die zentrale und richtungsweisende Bedeutung der 2002 beschlossenen „Neue[n] Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ sowie die damit einhergehenden Änderungen des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes des Bundes (ZSKG) wurde aufgezeigt. Die genannten gesetzlichen Änderungen und Strategien sind dabei wesentlich für den gesamten Bereich des Katastrophenschutzes. Im Folgenden werden nun die wichtigsten Strategien und rechtlichen Regelungen mit konkretem Bezug zu kritischen Infrastrukturen dargestellt. Unter den kritischen Infrastrukturen hat der Sektor Informationstechnik (IT) in Deutschland auf Bundesebene eine Vorreiterrolle. Bereits 2005 wurde der Nationale Plan zum Schutz der Informationsinfrastruktur (NSPI) verabschiedet. In diesem werden kritische Infrastrukturen, wie auch später in der nationalen Strategie als „Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig

42

3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen einträten“ (BMI 2005: 21) definiert. Neben den drei strategischen Zielen (Prävention, Reaktion und Nachhaltigkeit) wurde im NSPI der Umsetzungsplan Bund (UP Bund) und der Umsetzungsplan KRITIS (UP KRITIS) beschlossen (BMI 2005: 6). Während durch den UP Bund die Umsetzung des NSPI in der Informationstechnik der Bundesverwaltung gesichert werden soll, soll durch den UP KRITIS unter Beteiligung der Betreiber kritischer Infrastrukturen eine Anhebung des Sicherheitsniveaus bei den Betreibern erreicht werden (ebd.: 7 f.). Der UP KRITIS ist also eine „öffentlich-private Kooperation zwischen Betreibern Kritischer Infrastrukturen (KRITIS), deren Verbänden und den zuständigen staatlichen Stellen“ (BMI 2017a). Er umfasst inzwischen alle Sektoren der kritischen Infrastrukturen, außer dem separat behandelten Sektor Staat und Verwaltung, dabei bleibt der Sektor IT aber Schwerpunkt (ebd.). Im UP KRITIS soll so der Austausch und die Koordination zwischen den beteiligten Akteuren gefördert, Vertrauen aufgebaut, gemeinsame Dokumente und Positionen erarbeitet und Notfall- und Krisenübungen durchgeführt werden (ebd.). Ende 2008 folgte die Aufnahme des Schutzes kritischer Infrastrukturen als Grundsatz in das Raumordnungsgesetz10 (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 ROG; vgl. Riegel 2015). Damit ist er „im Sinne der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung […] anzuwenden und durch Festlegungen in Raumordnungsplänen zu konkretisieren, soweit dies erforderlich ist“ (§ 2 Abs. 1). Der Begriff „Kritische Infrastrukturen“ wurde damit erstmals gesetzlich in Deutschland verankert (Riegel 2015: 10). Hier wird er jedoch bisweilen wenig praxisrelevant, auch weil Informationen und Methoden zur „[…] Operationalisierung und Übertragung des KRITIS-Konzeptes auf die planerischen Zusammenhänge“ (Riegel 2015: III, 172) in der Raumplanung zu fehlen scheinen. 2009 wurde dann mit der „Nationalen Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie)“ die strategische Basis für den Umgang mit kritischen Infrastrukturen über den IT-Sektor hinaus in Deutschland gelegt (BMI 2009). Die Strategie fügt sich in die neue Ausrichtung des Katastrophenschutzes in Deutschland ein, die mit der Verabschiedung der „Neue[n] Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ 2002 eingeläutet wurde (Lauwe/Geier 2016: 193). Neben einer Sektoreinteilung der kritischen Infrastrukturen wird in der KRITIS-Strategie ein sogenannter „kooperativer Ansatz“ für den Schutz

10Raumordnungsgesetz

vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2986), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 15 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808) geändert worden ist

3.3 Deutschland

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kritischer Infrastrukturen festgeschrieben (BMI 2009: 12). Der Bund setzt damit auf eine gelingende Zusammenarbeit und vertrauensvolle Kommunikation zwischen den verschiedenen politischen Ebenen, den Hilfsorganisationen, Betreibern kritischer Infrastrukturen, Unternehmen und der Wissenschaft (ebd.: 12). Dabei sollen eine Vielzahl von Gefahren und Sicherheitsvorkehrungen bedacht werden. Dieses Vorgehen wird als „All-Gefahren-Ansatz“ (BMI 2009: 7) beschrieben. Mit der zunehmenden Privatisierung der Betreiber kritischer Infrastrukturen geht die Verantwortung für die Sicherheit der Versorgung auch „zunehmend in private, zumindest aber geteilte Verantwortung über“ (BMI 2009: 6). Diese sollen freiwillige Selbstverpflichtungen treffen und „wichtige gemeinsam erarbeitete analytische Erkenntnisse, Rahmenempfehlungen und Schutzkonzepte […]“ (ebd.: 12) umsetzen. Es wird der Vorbehalt ausgedrückt, dass sollte kein zufriedenstellendes Schutzniveau erreicht werden, auf regulative Mittel von staatlicher Seite zurückgegriffen werden könnte (BMI 2009: 13). Eine 100-Prozentige Sicherheit sei zudem nicht zu erreichen, daher erfordert die „neue Risikokultur“ (BMI 2009: 9) auch eine gesteigerte Selbsthilfefähigkeit des Bürgers. Man kann hier erkennen, dass einige Aspekte, die auch im Konzept der Resilienz an Bedeutung gewinnen, wie die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Unternehmen und der Bürger sowie die Abkehr von einer prinzipiellen Vermeidbarkeit von Ausfällen, in der KRITIS-Strategie bereits adressiert werden. In Fortführung des NSPI wurde 2011 eine Cyberstrategie für Deutschland verabschiedet. Zentrale Punkte aus der Strategie sind die Gründung eines Nationalen Cybersicherheitsrates und eines Cyberabwehrzentrums.  2015 wurde dann das „Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz)“11 verabschiedet. Dies war eine partielle Abkehr vom kooperativen Ansatz und wurde als Zeichen für eine zunehmende Verrechtlichung des Politikfeldes gewertet (vgl. Lauwe/Geier 2016: 206). Das ITSicherheitsgesetz wurde in diesem Kontext als „erster Meilenstein“ (Lauwe/ Geier 2016: 206) auf dem Weg zu einem Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen, welches eine einheitliche Basis schafft, gesehen. Durch das ITSicherheitsgesetz werden u.  a. Betreiber kritischer Infrastrukturen dazu verpflichtet, „die für die Erbringung ihrer wichtigen Dienste erforderliche IT nach dem Stand der Technik angemessen abzusichern und diese ­ Sicherheit

11Gesetz

zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) vom 17. Juli 2015, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 31, ausgegeben zu Bonn am 24. Juli 2015

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3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

mindestens alle zwei Jahre überprüfen zu lassen“ (BSI 2016: 7). Ferner müssen sie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) „erhebliche Störungen ihrer IT melden, sofern diese Auswirkungen auf die Verfügbarkeit kritischer Dienstleistungen haben können“ (BSI 2016: 7). Um eine Abgrenzung des Geltungsbereiches der im IT-Sicherheitsgesetz festgelegten Pflichten für Betreiber kritischer Infrastrukturen zu ermöglichen, wurde 2016 die „Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem B ­ SI-Gesetz (BSI-Kritisverordnung–BSI-KritisV)“12 für die Sektoren Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Wasser und Ernährung verabschiedet. 2017 folgte eine „Verordnung zur Änderung der BSI-Kritisverordnung“13, durch welche Bestimmungen für die Sektoren Gesundheit, Finanz- und Versicherungswesen sowie Transport und Verkehr ergänzt wurden. Dabei orientiert sich die Bestimmung der Kritikalität an dem Versorgungsgrad des Unternehmens (BSI 2016: 9). 2016 wurde die Cybersicherheitsstrategie von 2011 durch eine Neuauflage mit dem Titel „Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland“ abgelöst (BMI 2019c). Der kooperative Ansatz wird in ihr wider Erwartens bestärkt (BMI 2016a: 21). Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat und eine Stärkung der digitalen Kompetenz aller Akteure bilden dabei zwei von vier Handlungsfelder (BMI 2016a: 3). Diese werden durch eine Stärkung der Sicherheitsarchitektur durch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den politischen Ebenen in Deutschland und einer „Aktive[n] Positionierung Deutschlands in der europäischen und internationalen Cyber-Sicherheitspolitik“ (BMI 2016a: 3) ergänzt. 2016 wurde zudem die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) verabschiedet (BMI 2016b). Sie ist das „Basisdokument für die ressortabgestimmte Aufgabenerfüllung im Bereich der Zivilen Verteidigung und zivilen Notfallvorsorge des Bundes“ (Clemens-Mitschke 2017: 2) und bildet damit „den zivilen Gegenpart zur ‚Konzeption der Bundeswehr‘“ (Clemens-Mitschke 2017: 2). Dem „Ausfall oder [der] Störung von kritischer Infrastruktur“ (BMI 2016b: 13) wird als einer von fünf gelisteten Bedrohungen eine hohe Priorität gegeben. Das föderale System des Bevölkerungsschutzes wird als „integriertes Hilfeleistungssystem“

12Verordnung

zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSIKritisverordnung–­BSI-KritisV) vom 22. April 2016, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil I Nr. 20, ausgegeben zu Bonn am 2. Mai 2016 13Erste Verordnung zur Änderung der BSI-Kritisverordnung vom 21. Juni 2017, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017 Teil I Nr. 40, ausgegeben zu Bonn am 29. Juni 2017

3.4 Zusammenfassung

45

(BMI 2016b: 19) begriffen, in dem die Länder mit ihren Potentialen aus dem Katastrophenschutz dem Bund im Zivilschutz unterstützen und vice versa. In der Sicherstellung der Versorgung setzt man außerdem weiterhin auf eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Betreibern sowie auf den Selbstschutz der Bürger (Clemens-Mitschke 2017: 2). Insofern wird in der KZV die Entwicklung des Bevölkerungsschutzes seit der Jahrtausendwende fortgeführt. Ferner wurden zwei zentrale Schutzziele des Bundes aus dem Grundgesetz abgeleitet. Diese sind die „Sicherstellung des Überlebens der Bevölkerung/des Einzelnen und Erhalt der Funktionsfähigkeit der lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen und Anlagen“ (BMI 2016b: 21). Die Schutzziele sollen in Zukunft operationalisiert und die Vollständigkeit des daraus abgeleiteten Katalogs anhand von Referenzszenarien überprüft werden (BMI 2016b: 21). In Folge der KZV wurde daher z. B. das Projekt GRASB mit Beteiligung des BBKs gegründet, das sich dem Szenario eines langanhaltenden, großflächigen Stromausfalls annimmt (BBK 2019h). GRASB wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Themenfeld „Zivile Sicherheit – Kritische Strukturen und Prozesse in Produktion und Logistik“ im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“, der maßgeblichen Förderlinie des Bundes für Projekte im Themenfeld, gefördert (BMBF 2017). Schutzziele sind keine neue Idee im Bereich der kritischen Infrastrukturen (vgl. Schuchardt et al. 2018: 32). Dennoch liegen nur vereinzelt operationalisierte Ziele vor (ebd.). Daher widmet sich ein weiteres durch das BBK gefördertes Projekt mit dem Titel „Definition von Schutzzielen und -niveaus Kritischer Infrastrukturen in Deutschland: Forschungsstand, Rechtlicher Rahmen und Politische Entscheidungsfindung (DESKRIS)“ dem Ziel „den Aushandlungsprozess von Schutzzielen nachzuvollziehen und transparenter zu machen“ (Schuchardt et al. 2018: 32). Des Weiteren ist die KRITIS-Strategie aus dem Jahr 2009 derzeit in Überarbeitung (BMI 2019a). Auch für diese ist bereits angekündigt, dass der kooperative Ansatz bestehen bleibt (ebd.). Es zeichnet sich außerdem ab, dass das Konzept der Resilienz auch begrifflich nun in die Strategie einfließt (ebd.).

3.4 Zusammenfassung International genießt das Thema städtische Resilienz auch in Bezug auf die Sicherheitspolitik eine hohe Aufmerksamkeit. Dies zeigt sich in seiner prominenten Rolle in verschiedenen Rahmenpapieren der Vereinten Nationen, aber auch in dem Herausbilden von Städtenetzwerken im Themenbereich.

46

3  Rahmenbedingungen im Politikfeld

Auf Europäischer Ebene hat man sich des Themas des Schutzes kritischer Infrastrukturen angenommen, die Arbeit hierzu kann jedoch als stockend bezeichnet werden. Städte werden im Programm zum Schutz europäischer kritischer Infrastrukturen nicht adressiert. Es existieren jedoch von der EU geförderte Projekte im größeren Themenbereich, welche Städte in den Fokus rücken. Diese sind in der Anzahl jedoch überschaubar. In Deutschland ist Katastrophenschutz Sache der Länder und Kommunen. Die kommunalen Feuerwehren gelten als Basis des Systems. In Großstädten übernimmt de facto die Berufsfeuerwehr die Aufgaben der Unteren Katastrophenschutzbehörde. Die Darstellung der wichtigsten strategischen und rechtlichen Papiere in Deutschland hat gezeigt, dass das Politikfeld derzeit eine hohe Dynamik in Deutschland hat. Der Bund nimmt dabei unter Berufung auf die Amtshilfe und Katastrophenhilfe (Art. 35 GG) eine zunehmend stärkere Rolle im Katastrophenschutz ein, auch wenn dieser Kompetenz der Länder ist (vgl. Pohlmann 2015). Neben der Schaffung von Foren wie dem UP-KRITIS und Übungsangeboten (LÜKEX, AKNZ) sind die Förderung der Forschung, die Schaffung von Konzepten, Leitlinien und Rahmenempfehlungen durch das BBK ein wichtiger Baustein der Unterstützungsleistung des Bundes im Katastrophenschutz. Man folgt dabei mit Ausnahme des I­T-Sicherheitsgesetzes von staatlicher Seite einem kooperativen Ansatz. Während in der KRITISStrategie und der Konzeption Zivile Verteidigung auf Bundesebene die Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder und wiederum dieser mit der Wirtschaft in den Vordergrund stehen, bleibt die Rolle der Kommunen unterbelichtet. Eine Definition dieser Rolle von Bundesseite wäre auch aufgrund der Kompetenzlage wohl als unangemessen zu bewerten. Stattdessen gerät die Kommune in Forschungsprojekten in den Fokus. Von den Erfahrungen in Projekt können dann auch weitere Städte profitieren. Aber auch Leitlinien des BBKs bieten kommunalen Einrichtungen Orientierung, auch wenn kein Zuschnitt auf die besondere Rolle des kommunalen Katastrophenschutzamtes erfolgt. Die Darstellung der Rahmenbedingungen im Politikfeld stärkt insofern den Befund des Mangels von Normen und Regeln aus dem Forschungsstand (Monstadt/Schmidt 2019: 2368). Die Rolle des kommunalen Katastrophenschutzes im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen und die Stärkung der Resilienz im Falle eines Ausfalls ist strategisch und rechtlich nur vage bestimmt.

4

Analyserahmen und Erhebung

Im vorliegenden Kapitel wird der Rahmen der Analyse dargestellt. Die Darstellung dient als Übersicht zum Vorgehen in der Forschung. Die vorliegende Arbeit geht zwei aufeinander aufbauenden Forschungsfragen nach. Das Ziel der ersten Forschungsfrage ist die Ermittlung des Arbeitsstandes der lokalen Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte bei der Stärkung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall. Die zweite Frage dient dazu, den Einfluss verschiedener Faktoren auf das Ausmaß der Aktivität der Katastrophenschutzämter zur Stärkung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall, unter Berücksichtigung kausaler Komplexität, zu untersuchen. Das Vorgehen in der Arbeit zur Beantwortung dieser Fragen lässt sich, im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen Forschungsliteratur (Kapitel  2) und der dem rechtlichen und strategischen Rahmen (Kapitel 3), in vier Arbeitsschritte unterteilen (Abbildung 4.1).

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_4

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4  Analyserahmen und Erhebung

Abbildung 4.1   Analyserahmen

Am Anfang der vorliegenden Arbeit steht die Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs, der dazu geeignet ist, Ausmaß und Ausrichtung der Maßnahmen der lokalen Katastrophenschutzämter zur Erhöhung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall zu erfassen sowie die Identifizierung potenzieller Einflussfaktoren auf die Anzahl der durchgeführten Maßnahmen der Katastrophenschutzämter. Als Basis hierfür dienten Gespräche mit Experten und Praktikern im Themenfeld sowie Rahmenempfehlungen der Länder und aktuelle Forschungsliteratur. Auch die Auseinandersetzung mit den im Kapitel 2 dargestellten Konzepten und ihre Bestimmung innerhalb der Arbeit gehört zu diesem ersten Schritt, der im Folgenden unter dem Begriff „Konzeptualisierung“ zusammengefasst wird. Schritt 2 ist die Datengewinnung mittels einer im Rahmen der Arbeit durchgeführten empirischen Erhebung. Hierzu wurden die ermittelten Faktoren und der Maßnahmenkatalog in einem webbasierten Fragebogen umgesetzt und an alle Katastrophenschutzämter deutscher kreisfreier Großstädte versandt. In Schritt 3 erfolgt die Auswertung der Daten zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage (Analyse I). Schritt 4 ist die Durchführung einer Qualitativen Comparative Analysis (QCA) zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage (Analyse II). Im Folgenden wird auf das Vorgehen in den einzelnen Schritten eingegangen. Die Erhebung wird dabei im Detail besprochen, da sie Grundlage für alle weiteren Schritte darstellt. Die einzelnen Aspekte der Analysen werden erst jeweils unmittelbar im Vorfeld der Analyse I (Bearbeitung der ersten Forschungsfrage) und Analyse II (Bearbeitung der zweiten Forschungsfrage) zum Zwecke der besseren Lesbarkeit vertieft.

4.1 Konzeptualisierung

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4.1 Konzeptualisierung Abbildung 4.2 fasst das Vorgehen im Rahmen der Konzeptualisierung zusammen.

Abbildung 4.2   Konzeptualisierung

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde zunächst ein Maßnahmenkatalog entwickelt, der geeignet ist Ausmaß und Ausrichtungen der Maßnahmen der lokalen Katastrophenschutzämter zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall zu erheben. Da das Politikfeld vergleichsweise neu und wenig institutionalisiert ist, gibt es keinen gängigen Maßnahmenkatalog, der als Vorbild für die Abfrage der Maßnahme gelten und übernommen werden konnte. Als Grundlage zur Entwicklung des Maßnahmenkatalogs wurden, im Vorfeld und während der Entwicklung des Katalogs, Gespräche mit Experten und Praktikern u. a. aus verschiedenen kommunalen Katastrophenschutzämtern, dem Ministerium für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dem Hessischen Ministerium des Inneren und für Sport (HMIuS) und aus der Forschung geführt. Des Weiteren wurde Fachliteratur und alle vorhandenen Rahmenempfehlungen für den Fall eines Stromausfalls der Länder sowie des Regierungspräsidiums Karlsruhe herangezogen. Auf diesem Wege umfasst der Katalog sowohl Maßnahmen, die bereits einschlägig bekannt sind, als auch Maßnahmen, die sich aus neueren Forschungsdiskursen ergeben. Der fertige Maßnahmenkatalog umfasst in zwei Dimensionen

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4  Analyserahmen und Erhebung

sieben Handlungsfelder und insgesamt 58 Maßnahmen. Diese werden in Abschnitt 5.4 im Vorfeld der Analyse I vorgestellt. Um in einem weiteren Schritt den Einfluss verschiedener Faktoren auf das Ausmaß der Auseinandersetzung mit dem Thema Stromausfall untersuchen zu können, wurden außerdem potenzielle Einflussfaktoren identifiziert. Die Vorarbeiten hierzu wurden im Kapitel 2 vorgenommen und werden durch weitere Faktoren in Abschnitt 8.1 ergänzt. Auch die Einflussfaktoren wurden in den Vorgesprächen thematisiert. Insgesamt werden so zehn verschiedene Faktoren in den beiden Bereichen „Faktoren der lokalen Politik“ und „Rahmenfaktoren“ identifiziert. Zu diesen zählen unter anderem die Fürsprache des Oberbürgermeisters, die finanzielle Situation der Katastrophenschutzbehörde oder auch die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis, wie einem Stromausfall, in der Stadt. Alle zehn Einflussfaktoren werden in Abschnitt 8.1, im Vorfeld der Analyse II, theoretisch begründet und vorgestellt. Auch die Definition der Begriffe Urbane Resilienz und die Bedeutung des Begriffs der Kritische Infrastrukturen für die vorliegende Arbeit erfolgt unmittelbar vor der ersten Analyse, in der mit diesen Begriffen gearbeitet wird.

4.2 Erhebung Die Daten für die Beantwortung beider Fragen wurden durch eine schriftliche Erhebung generiert (siehe Abbildung 4.3).

Abbildung 4.3   Erhebung

4.2 Erhebung

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Der Maßnahmenkatalog und die Einflussfaktoren wurden erst in einem Fragebogenkonzept und dann online in einem webbasierten Fragebogen umgesetzt. Zur Erstellung des Fragebogens wurde die Infrastruktur von SoSci Survey (soscisurvey.de) genutzt. Das Konzept zum Fragebogen mit allen für die Analyse relevanten Fragen ist im Anhang einsehbar (siehe Anhang I). Um einen möglichst umfassenden Einblick in die Arbeit der lokalen Katastrophenschutzämter in deutschen Großstädten zu generieren, wurde eine Vollerhebung angestrebt. Der Erhebungszeitraum betrug 26 Tage und lag zwischen dem 07.05.2018 und dem 01.06.2018. Im Folgenden werden die Fallauswahl, der Pretest und das Vorgehen in der Erhebung vorgestellt und Entscheidungen diese betreffend begründet. Schließlich wird der Rücklauf dargestellt.

4.2.1 Fallauswahl Die Grundgesamtheit der Erhebung sind die Katastrophenschutzämter aller deutschen Großstädte mit der Funktion als Untere Katastrophenschutzbehörde. Eine Großstadt zeichnet sich durch eine Einwohnerzahl von über 100 000 Einwohnern aus. Mit dieser Grenze von mindestens 100 000 Einwohnern wird in der Arbeit der Definition des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefolgt (BBSR o. J.). Die Einwohnerzahl wurde auf Grundlage der fortgeschriebenen Bevölkerungszahlen auf Basis des Zensus 2011 zum Stichtag 31.12.2015 des Statistischen Bundesamtes angenommen (Destatis 2019). Stadtstaaten wurden bei der Erhebung ausgeschlossen. Sie stellen einen Sonderfall dar, da sie Untere und Oberste Katastrophenschutzbehörde zugleich sind und dadurch eine Doppelfunktion haben. Durch die Eingrenzung der Städte wurde sichergestellt, dass die Städte durch drei zentrale Gemeinsamkeiten vergleichbar sind. Die erste dieser Gemeinsamkeiten ist die Funktion und die Kompetenzen der Städte als Untere Katastrophenschutzbehörde im deutschen Katastrophenschutzsystem. In einigen Gebieten oder einzelnen Städten variiert die Bezeichnung oder es wurden Sonderformen wie z. B. sogenannte Regionalverbände gebildet. Entscheidend für die Fallauswahl ist jedoch die faktische Kompetenz als Untere Katastrophenschutzbehörde. Zweitens haben die Städte eine Berufsfeuerwehr, die an die Stadtverwaltung als Amt angegliedert ist. Die Feuerwehr, als die zentrale Organisation im Katastrophenschutz, baut in diesen Städten also nicht ausschließlich auf Ehrenamtlichem auf. Dies ist für alle Städte der Fallauswahl aufgrund der Einschränkung über die Einwohnerzahl und der Kompetenz als Untere Katastrophenschutzbehörde gewährleistet. Und drittens ist des Weiteren durch

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4  Analyserahmen und Erhebung

die mit der Bevölkerungszahl einhergehende Größe der Städte sichergestellt, dass diese über eine gewisse Masse an miteinander verbundenen und interdependenten Infrastrukturnetzen verfügen und daher den Charakter eines infrastrukturellen Knotenpunktes haben. Die Gemeinsamkeiten in diesen drei Punkten ist wichtig für die Vergleichbarkeit der Städte, da ohne diese Gemeinsamkeiten, der Einfluss der untersuchten Faktoren auf das Ausmaß der Aktivität auf die untersuchten Einflussfaktoren, z. B. durch die fehlende Kompetenz als Untere Katastrophenschutzbehörde, überdeckt werden könnten. Eine Kleinstadt, deren Feuerwehr auf Ehrenamtlichen aufbaut, die keine Kompetenz als Katastrophenschutzbehörde hat und auch nur über vergleichsweise wenig Infrastruktursysteme verfügt, ist aufgrund der beschriebenen Ausgangsbedingungen nicht vergleichbar mit einer kreisfreien Großstadt. Unterschiede in der Aktivität wären hier nicht sinnvoll auf die untersuchten Einflussfaktoren rückführbar, vielmehr müsste ein anderer Maßstab angelegt werden, da die Voraussetzungen grundverschieden sind. Die Auswahl der Städte auf Grundlage ihrer Einwohnerzahl ergab dabei eine Grundgesamtheit von 68 Städten. Für diese wurde das entsprechende Amt mit Zuständigkeit für den Katastrophenschutz ermittelt. Dieses ist ausnahmslos mit der Berufsfeuerwehr der Städte verbunden und wird im Folgenden als lokales Katastrophenschutzamt oder auch kommunales Katastrophenschutzamt bezeichnet.

4.2.2 Pretest Im Vorfeld der Erhebung wurde ein Pretest mit fünf Städten durchgeführt. Hierfür wurden die fünf bevölkerungsstärksten Städte Deutschlands unterhalb der Grenze von 100 000 Einwohnern gewählt, die ansonsten den Anforderungen der Fallauswahl entsprechen. Anhand der Ergebnisse wurden die Fragen im „Handlungsfeld 2.4 – Ressorts der Verwaltung“ der Maßnahmenkatalog leicht modifiziert, da eine hohe Non-Response-Quote im Pretest im Handlungsfeld auf Verständnisprobleme hingewiesen hat.

4.2.3 Durchführung der Erhebung Die Maßnahmen und Einflussfaktoren wurden aufgrund der Größe der Grundgesamtheit über eine schriftliche Erhebung abgefragt. Es wurde außerdem die Möglichkeit eröffnet, ohne Angabe des Stadtnamens und Name des Befragten

4.2 Erhebung

53

oder der Befragten an der Erhebung teilzunehmen. In den Vorgesprächen wurde immer wieder betont, dass es sich um ein sensibles Thema handelt, bei dem die Antwortbereitschaft bei nicht anonym durchgeführten Befragungen voraussichtlich gering sei. Daher wurde zu Gunsten einer höheren Rücklaufquote eine Gestaltung gewählt, die es ermöglicht, ohne Angaben zur Stadt oder Identität den Fragebogen zu bearbeiten. Am Ende des Fragebogens wurde die Option gegeben, Angaben über die Identität nur zum Zwecke von Rückfragen zu machen oder den Namen der Stadt auch für Veröffentlichungen freizugeben. Während viele der Befragten eine Adresse für Rückfragen angegeben haben, wurde die zweite Option kaum genutzt. Dies bestätigt, dass die entsprechenden Ämter vorsichtig mit solchen Angaben sind und eine anonyme Verarbeitung der Daten bevorzugen. Des Weiteren wurde ein web-basiertes Verfahren zur Durchführung der Erhebung mittels SoSci Survey (soscisurvey.de) gewählt. Die web-basierte Durchführung birgt gegenüber einer postalischen Erhebung sowohl Vor- wie auch Nachteile. Ein Vorteil der webbasierten Befragung ist ihre kostengünstige und zeiteffektive Durchführung (Thielsch/Weltzin 2009: 71). Darüber hinaus konnte beobachtet werden, dass bei online durchgeführten Befragungen das Gefühl der Anonymität ausgeprägter ist als bei persönlichen Interviews oder schriftlichen Erhebungen und das Problem der sozialen Erwünschtheit weniger stark zu Tage tritt (Taddicken 2009: 94). Dies könnte gerade bei einem sensiblen Thema, wie das Thema der vorliegenden Arbeit, relevant sein und sich positiv auf wahrheitsgemäße Antworten auswirken. Der größte Vorteil der webbasierten Erhebung, der für die vorliegende Arbeit gesehen wird, ist, dass durch eine entsprechende Programmierung Folgefragen abhängig von den Antworten im Vorfeld angezeigt oder übersprungen werden können. Dies reduziert den zeitlichen Aufwand für die Befragten und verringert so die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragung frühzeitig aufgrund ihrer Länge abgebrochen wird. Da des Weiteren nicht auszuschließen war, dass viele Städte sehr wenig Maßnahmen ergreifen, hätte das Durchklicken vieler irrelevanter Fragen zu Frustration, Verunsicherung und letztlich zum Abbrechen führen können. Die Programmierung der Fragen abhängig von Vorantworten, kann dem entgegenwirken. Dieser Vorteil wurde daher für die Untersuchung als besonders relevant eingeschätzt. Darüber hinaus bietet SoSci Survey die Möglichkeit, den Bearbeitungsstatus des Fragebogens je Stadt einzusehen und Serienmails dieser Gruppe oder Teilen dieser Gruppe zuzusenden. So wird es möglich, auch bei einer anonymen Erhebung, Erinnerungen selektiv an solche Städte zu versenden, die den Fragebogen noch nicht ausgefüllt haben. Diese Möglichkeit ist bei einem analogen

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4  Analyserahmen und Erhebung

Verfahren nicht gegeben. Im Resultat versendet man entweder Erinnerungen auch an alle, die bereits den Fragebogen ausgefüllt haben, wodurch eine unnötige Belastung der Befragten generiert wird oder versendet keine oder sehr restriktiv Erinnerungen zu Lasten der Rücklaufquote. Die technische Lösung dieses Problems mittels SoSci Survey stellt hier ein klarer Vorteil dar. Dennoch gibt es auch nachteilige Effekte der webbasierten Erhebung. So haben diese, einer Studie zur Folge, häufig besonders niedrige Rücklaufquoten (vgl. Manfreda et al. 2008). Sie stehen damit im Verdacht, dass sie eventuell leichter ignoriert oder vergessen werden als eine vergleichbare postalische Befragung und als wenig seriös und verbindlich wahrgenommen werden könnten. Nachteilig hinzu kommt außerdem die Möglichkeit, dass technische Schwierigkeiten bei den Befragten beim Ausfüllen auftreten (Thielsch/Weltzin 2009: 71). Die genannten Vorteile erscheinen trotz der genannten Nachteile schwerwiegend genug, um sich für das Onlineverfahren zu entscheiden. Um hohe Rücklaufquoten zu erreichen und genannte Nachteile auszugleichen, wurden Maßnahmen ergriffen, um Vertrauen aufzubauen, Verbindlichkeit zu generieren und Aufmerksamkeit auf die Erhebung zu lenken. So konnte die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund) überzeugt werden, über das Vorhaben im Vorfeld über ihren Newsletter zu informieren. Außerdem konnte auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) dafür gewonnen werden, über einen eigenen E-Mail-Verteiler die Zuständigen der Innenministerien der Länder über das Vorhaben zu informieren, die daraufhin wiederum ihre Gemeinden informieren konnten. Auf diese Art und Weise wussten viele der Befragten im Vorfeld der ersten Kontaktaufnahme bereits durch Institutionen, die sie kennen und allgemein als seriös gelten, vom Forschungsvorhaben. Im Vorfeld der ersten Erhebung wurde zudem, sofern möglich, per Telefon der oder die Zuständige für das Themengebiet ermittelt und ein kurzes Gespräch mit ihm oder ihr über die Erhebung geführt. Durch diese Gespräche konnten in vielen Fällen Fragen zur Erhebung im Vorfeld geklärt, Vertrauen aufgebaut und zum Ausfüllen motiviert werden. Des Weiteren konnte durch eine Abfrage der Bereitschaft zum Ausfüllen eine gewisse Verbindlichkeit generiert werden. Im Anschreiben (siehe Anhang II) mit Einladung zur Erhebung und dem Link zum Fragebogen wurde, sofern eine klare Zuständigkeit ermittelt werden konnte, eine persönliche Anrede gewählt. Dies ist auch bei analogen schriftlichen Erhebungen üblich (Scholl 2015: 57). Des Weiteren wurde im Vorfeld der Fragebogen dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV) vorgestellt und eine Empfehlung erbeten. Diese wurde ausgestellt. Auch das BBK hat explizit

4.2 Erhebung

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zugestimmt, dass seine Beratung bei der Erstellung im Anschreiben genannt werden darf. Im Anschreiben selbst konnte so, zusätzlich zu den Informationen im Vorfeld, auf die Empfehlungen des DFVs und die Beratung des BBKs verwiesen werden. Beide Organisationen sind den Berufsfeuerwehren vertraut. Durch die Nennung ihrer Zustimmung und Empfehlung des Vorhabens sollte Vertrauen aufgebaut, Relevanz signalisiert und Interesse geweckt werden. Ein weiterer Anreiz wurde durch die Möglichkeit gegeben, bei einer Teilnahme eine kostenlose Zusammenfassung der Ergebnisse der Erhebung, also in einem für die Feuerwehren relevanten Themengebiet, zugesendet zu bekommen. Im Erhebungszeitraum wurde dreimal nachgefasst. Bei den Nachfassungen wurde jeweils zunächst versucht einen telefonischen Kontakt herzustellen und nur, wenn dies nicht möglich war, auf eine Erinnerung per E-Mail zurückgegriffen. Dem telefonischen Kontakt wurde Vorrang gegenüber der Korrespondenz via E-Mail eingeräumt, um motivierend im persönlichen Gespräch auf die Befragten einzuwirken und aktiv eventuell bestehende technische Probleme zu erfragen und wenn nötig, Hilfestellung zu geben. Des Weiteren wurde eine E-Mail-Adresse und Telefonnummer für solche Zwecke auch im Fragebogen zur Verfügung gestellt, auf die auch im Anschreiben verwiesen wurde.

4.2.4 Rücklauf 49 der 68 Städte der Grundgesamtheit haben den Fragebogen in ausreichendem Umfang bearbeitet. Dies entspricht einer bereinigten Ausschöpfungsquote von 72,05 Prozent. Diese hohe Rücklaufquote kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Erhebungsverfahren und die Maßnahmen im Vorfeld ihren Zweck erfüllt haben, aber auch dafür, dass das Thema bei den Berufsfeuerwehren mehrheitlich auf Interesse stößt. Für die Auswertung und Ermittlung der Rücklaufquote wurden nur Fragebögen berücksichtigt, bei denen die letzte Seite in der Bearbeitung erreicht wurde. Zudem wurde ein weiterer Fragebogen ausgeschlossen, bei dem zwar die letzte Seite erreicht wurde, aber über 60 Prozent der Fragen unbeantwortet blieben. Des Weiteren wurden die Fragebögen auf Auffälligkeiten untersucht die Hinweise auf nicht wahrheitsgemäße Antworten gaben. So gab es bei zwei Fällen im freien Text einen Vermerk, der darauf hindeutete, dass einzelne Fragen versehentlich falsch beantwortet wurden. Ein weiterer Fall wies zudem darauf hin, dass der Fragebogen im letzten Drittel nur noch durchgeklickt und nicht mehr

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4  Analyserahmen und Erhebung

ordentlich beantwortet wurde. In diesen drei Fällen wurde nachgefragt und gegebenenfalls Antworten korrigiert. Die verbleibenden Fragebögen haben eine Item-Non-Responsequote zwischen einem und 11 Prozent. Die meisten Fälle von Item-Non-Response treten im letzten Abschnitt auf. Bei keiner einzelnen Frage sind es über alle Fragebögen hinweg jedoch mehr als 10 Fälle. Die Häufung dieser Fälle im letzten Abschnitt ist ein Hinweis darauf, dass die Länge für einige Befragten bereits grenzwertig war. Von einer starken systematischen Verzerrung zwischen der Grundgesamtheit und dem Rücklauf ist nicht auszugehen. Eine leichte Verzerrung könnte daraus resultieren, dass eventuell eher Feuerwehren geantwortet haben, die bereits eine gewisse Aktivität im Themengebiet vorzuweisen haben, als jene, die dem Thema gar keine Aufmerksamkeit widmen. Diese Verzerrung könnte dadurch entstehen, dass trotz der Zusicherung der Anonymität eventuell Bedenken bestanden, über fehlende Aktivität im Themenfeld Auskunft zu geben oder schlichtweg das Interesse am Thema in Katastrophenschutzämtern ohne Aktivität eventuell geringer ausfällt, da der Bezug zur Thematik fehlt. Die Fälle der Untersuchung hätten dann im Vergleich zu der Grundgesamtheit im Mittel eine etwas höhere Aktivität, als dies insgesamt gegeben ist. Abbildung 4.4 zeigt die Verteilung der Grundgesamtheit und des Rücklaufs nach Bundesland im Vergleich. In drei Fällen wurde auf die Angabe des Bundeslandes verzichtet. Diese sind in der graphischen Darstellung des Rücklaufs ausgenommen.

Abbildung 4.4   Grundgesamtheit und Rücklauf nach Bundesland

4.3  Analyse I

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Betrachtet man die Verteilung der Antworten über die Bundesländer hinweg, so kann man erkennen, dass die meisten Fälle von Non-Response aus Nordrhein-Westfalen stammen. Da die meisten Großstädte in Deutschland in ­ ­Nordrhein-Westfalen liegen, schwächt das die Bias der Grundgesamtheit in dieser Hinsicht sogar leicht ab.

4.3 Analyse I Im Rahmen der Analyse I wird ausgewertet, wie viel Prozent der lokalen Katastrophenschutzämter der Städte der Erhebung die einzelnen Maßnahmen des Katalogs zur Erhöhung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall ergreifen (Kapitel 6; siehe Abbildung 4.5).

Abbildung 4.5   Analyse I

Auf diesem Wege können Ausmaß und Ausrichtung der Maßnahmen der Katastrophenschutzämter ermittelt und reflektiert werden. Im Vorfeld der Analyse wird das Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls und seine Folgen auf andere kritische Infrastrukturen erläutert, Urbane Resilienz im Rahmen der Arbeit definiert, die Rolle des kommunalen Katastrophenschutzamtes reflektiert und der entwickelte Maßnahmenkatalog vorgestellt (Kapitel 5).

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4  Analyserahmen und Erhebung

4.4 Analyse II In der Analyse II stehen die Unterschiede in der Anzahl der ergriffenen Maßnahmen zwischen den Städten und die Einflussfaktoren auf diese Quantität im Fokus. Dazu wird für jede Stadt ein Aktivitätslevel auf Basis der durchgeführten Maßnahmen ermittelt. Im Rahmen der Kalibrierung werden die Städte in zwei Gruppen aufgeteilt: Städte mit relativ hohem Aktivitätslevel und Städte, die kein relativ hohes Aktivitätslevel haben. Auf Basis des Forschungsstandes, der Gespräche im Vorfeld und weitergehender Forschungsliteratur wurden außerdem fünf lokale Faktoren und fünf Rahmenfaktoren ermittelt, von denen aus theoretischer Sicht vermutet wird, dass sie Einfluss auf das Aktivitätslevel haben. Auch diese wurden im Rahmen der Erhebung erfragt und werden in Abschnitt 8.1 vorgestellt. Im Rahmen der Kalibrierung wird auch hier bestimmt, wann die Faktoren für eine Stadt als gegeben gelten und wann dies nicht der Fall ist. Der Einfluss der Faktoren wird dann mit Hilfe einer crisp-set Qualitative Comparative Analysis (csQCA) durchgeführt. In Abschnitt 8.2 wird die Wahl der Methode begründet, Grundlagen der Methode dargestellt sowie Spezifizierungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit dargelegt. Abbildung 4.6 fasst das Vorgehen im Rahmen der zweiten Analyse zusammen.

Abbildung 4.6   Analyse II

Nach Durchführung der Analyse folgen Einzelfallbetrachtungen ausgewählter Fälle auf Basis von Interviews. Die Auswahl der Fälle erfolgt auf Grundlage der Ergebnisse der Analyse, die diese Fälle als besonders erklärungsbedürftig aufzeigen.

Teil II Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

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Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Im vorliegenden Kapitel werden alle Begriffe und Konzepte definiert und operationalisiert, die im Rahmen der ersten Forschungsfrage Verwendung finden. Die erste Forschungsfrage lautet: Welche Maßnahmen werden von den kommunalen Katastrophenschutzämtern deutscher kreisfreier Großstädte zur Stärkung der Urbanen Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall ergriffen? Zu Beginn des Kapitels wird das Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls und seine Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen dargestellt. Kritische Infrastrukturen und Urbane Resilienz werden im Rahmen der Arbeit definiert und der Mehrwert der Verwendung der Konzepte aufgezeigt. In einem weiteren Schritt wird der Fokus auf das Katastrophenschutzamt und seine Rolle, wie sie in der Arbeit verstanden wird, gelegt. Denn nur wenn der Akteur, das Szenario und die verwendeten Konzepte eindeutig spezifiziert sind, kann auch sinnvoll darüber gesprochen werden, welche Maßnahmen zur Stärkung der Urbanen Resilienz gegenüber dem Szenario durch das lokale Katastrophenschutzamt ergriffen werden können. Abschließend wird der erarbeitete Maßnahmenkatalog vorgestellt, der das Maß darstellt, an dem die Aktivität der Katastrophenschutzämter im Rahmen der Arbeit gemessen wird.

5.1 Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall Das Szenario, welches der Erhebung dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, ist das eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls. In diesem Kapitel wird definiert, was unter dem Begriff „langanhaltender, überregionaler Stromausfall“ © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_5

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

verstanden wird. In diesem Rahmen wird auch die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens kurz diskutiert und beschrieben, mit welchen Folgen durch das Szenario zu rechnen ist. Da die Stromversorgung in der vorliegenden Arbeit als kritische Infrastruktur verstanden wird, wird auch der Begriff „Kritische Infrastruktur“ definiert. Eine Charakteristik kritischer Infrastrukturen sind die schwerwiegenden Folgen ihres Ausfalls. Im Bereich der Stromversorgung werden diese maßgeblich durch die Effekte des Ausfalls der Stromversorgung auf weitere (technische) kritische Infrastrukturen verstärkt, auf die daher auch im Rahmen des Kapitels eingegangen wird. Diese Auseinandersetzung mit dem Szenario erfolgt, da die Kenntnis des Szenarios und seiner Folgen nicht nur die Grundlage dafür ist, die Relevanz der Arbeit zu verstehen, sondern auch die Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz gegenüber dem Szenario nachvollziehen zu können. Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall wird in der vorliegenden Arbeit als Stromausfall mit einer Länge von mindestens 24 Stunden und einer überregionalen Ausdehnung definiert. Die entscheidende Charakteristik einer überregionalen Ausdehnung ist, dass in den betroffenen Kommunen mit keiner oder nur wenig unmittelbarer Hilfe von außen gerechnet werden kann, da zusätzliche Ressourcen und Einsatzkräfte nicht zwangsläufig von umliegenden, ebenfalls betroffenen Gebieten herangezogen werden können. Die Führung läge bei einem solchen Szenario dann bei den Ländern. Der Bund könnte gemäß § 16 Abs. 1 des ZSKGs auf Wunsch der Länder Koordinierungsaufgaben übernehmen. Das Gemeinsame Lage- und Sicherheitszentrum (GMLZ) betreibt Informationsund Ressourcenmanagement. Je nach Ausdehnung des Stromausfalls könnte auf europäischer Ebene das Emergency Response Coordination Centre (ERCC) koordinativ zwischen den Mitgliedstaaten tätig werden. Die Stromversorgung wird in der Arbeit als kritische Infrastruktur verstanden. Der Definition des Bundes folgend werden kritische Infrastrukturen als „[…] Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen einträten“ (BMI 2005: 21)

definiert. Ergänzend wird darauf verwiesen, dass es nicht die Anlagen selbst sind, die kritisch sind, sondern die Versorgungsleistung, die durch die Einrichtungen und Organisationen geleistet wird. Kritisch ist die Versorgungsleistung für wiederum andere kritische Infrastrukturen, dem System des Katastrophenschutzes

5.1  Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall

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e­ingeschlossen, und letztlich für die Bevölkerung. Das Konzept der Kritikalität und der Diskurs um kritische Infrastrukturen lässt besonders das Relationale in den Vordergrund rücken (vgl. Lukitsch et al. 2018: 11). Die Einordnung des Szenarios in den Diskurs um kritische Infrastrukturen, lenkt den Fokus daher insbesondere auf die Verbindungen und die damit einhergehenden Abhängigkeiten der Stromversorgung zu anderen kritischen Infrastrukturen. Diesen eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu widmen ist wichtig, da die Kaskadeneffekte häufig die größere Katastrophe darstellen als das primäre Ereignis. Die gemeinsame Verantwortung einer Vielzahl von Akteuren macht zudem das Schnittstellenmanagement zwischen Organisationen in privater und öffentlicher Hand und unterschiedlicher Infrastruktursektoren besonders wichtig. Eine exakte Wahrscheinlichkeit, mit der das Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Ausfalls dieser Infrastruktur in Deutschland zur Realität wird, kann nicht angegeben werden. Es ist jedoch plausibel, das Szenario als eines mit geringer, aber steigender Wahrscheinlichkeit mit sehr starken Folgen einzuordnen (vgl. Petermann et al. 2013). Durchschnittlich mussten die Letztverbraucher in Deutschland 2017 mit einer Unterbrechung der Stromversorgung von nur circa 2,22 Minuten auskommen (BNA 2018). Gerade diese hohe Versorgungssicherheit führt aber auch zu einem Sicherheitsgefühl, das unter Umständen in unzureichender Vorbereitung auf Stromausfälle mündet (vgl. Verletzlichkeitsparadoxon, Abschnitt 2.1.2). Für einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall gibt es kein historisches Beispiel in Deutschland, wohl aber für Stromausfälle mit einer zeitlichen Ausdehnung über 24 Stunden und einer geringeren regionalen Ausdehnung oder aber einer überregionalen Ausdehnung bei kürzerer zeitlicher Ausdehnung. Der Stromausfall in Münsterland 2005 gilt als Beispiel dafür, dass es auch in Deutschland durch Extremwetterereignisse zu Stromausfällen über mehrere Tage kommen kann (vgl. BBK 2019i: 5). Zu seiner Bewältigung wurden damals Einsatzkräfte aus ganz Deutschland hinzugezogen (BBK 2017: 19). Es ist davon auszugehen, dass die Bewältigung deutlich schwieriger verlaufen wäre, hätte eine überregionale Ausdehnung dazu geführt, dass weniger oder auch keine Hilfe aus dem Umland zu erwarten gewesen wäre. Ein Beispiel für einen Stromausfall mit großflächiger Ausdehnung ist wiederum der circa zweistündige Stromausfall 2006 in Teilen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Österreichs und Italien in Folge einer fehlerhaften Netzabschaltung für die Durchquerung eines Kreuzfahrtschiffs durch die Ems (Geißler et al. 2015: 7). Da damals die technischen Anlagen nicht zerstört worden sind, konnte der Stromausfall schnell wieder behoben werden (BBK 2019i: 5).

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Da das Szenario auch von Bundesseite nicht für ausgeschlossen gehalten wird, wurde für das Szenario eines langanhaltenden, großflächigen Stromausfalls im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom Büro für Technikfolge-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) eine Folgeabschätzung vorgenommen. Der Bericht zur Folgeabschätzung wurde 2013 veröffentlicht (siehe Petermann et al. 2013). Im Folgenden werden die Folgen des Szenarios kurz dargestellt. Zunächst wird auf die primär betroffene Infrastruktur (die Stromversorgung) eingegangen und dann auf in Folge betroffene kritische technische Infrastrukturen. Im Anschluss erfolgt ein Überblick über die Folgen auf soziale kritische Infrastrukturen. Die Arbeit konzentriert sich jedoch auf die Folgen für die technischen kritischen Infrastrukturen, da die sozialen Infrastrukturen in ihrem Funktionieren im außergewöhnlichen Maße von den technischen Infrastrukturen abhängig sind und Folgen im Bereich der sozialen kritischen Infrastrukturen daher häufig als Folgen höherer Rangordnung betrachtet werden können (vgl. Rinaldi et al. 2001: 19; BMI 2009: 5). Die technischen kritischen Infrastrukturen wurden in die Bereiche Energieversorgung (Strom), Energieversorgung (Gas/Öl), Verkehr und Transport, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und Telekommunikation und Informationstechnik unterteilt. Dabei wurde sich an der aktualisierten Sektoreinteilung des Bundes bezüglich der technischen Infrastrukturen orientiert (vgl.: BBK o.  J.b). Abweichend wurde sich im Bereich der Energieversorgung dafür entschieden, weiter zwischen primär betroffener Infrastruktur (Stromversorgung) und in Folge betroffener Infrastruktur (Versorgung mit Gas und Öl) zu unterscheiden, um Folgen erster und zweiter Klasse abzugrenzen. Ferner wurde im Sektor Wasserund Abwasserversorgung zwischen den beiden Branchen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung unterschieden, um durch die Differenzierung ein genaueres Bild für die Trinkwasserversorgung zeichnen zu können und damit der herausragenden Bedeutung des Trinkwassers für die Versorgung der Bevölkerung gerecht werden zu können. Bei der Erhebung spiegelt sich diese Aufteilung wider, da die Kooperation mit Infrastrukturbetreibern und Ämtern entlang dieser Aufteilung erfragt und in der vorliegenden Arbeit dargestellt wird. In der Darstellung der Folgen des Szenarios wird kein Anspruch auf Vollständigkeit verfolgt, sie soll stattdessen lediglich eine Vorstellung vermitteln. Für eine ausführlichere Darstellung wird der TAB-Bericht empfohlen1.

1Petermann,

Thomas; Bradke, Harald; Lüllmann, Arne; Paetzsch, Maik; Riehm, Ulrich (2013): Was bei einem Blackout geschieht. Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls, Berlin: Ed. Sigma.

5.1  Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall

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5.1.1 Energieversorgung (Elektrizität) Die primär betroffene Infrastruktur im Szenario ist die Stromversorgung. Unmittelbar fallen dadurch zum Beispiel Beleuchtungen und elektrisch versorgte Geräte ohne Akkupufferung in ihrer gesamten Bandbreite aus. Auf die Folgen in den verschiedenen Sektoren wird in dem nächsten Kapitel eingegangen. Über alle Sektoren hinweg ist die Notstromversorgung bestimmter Anlagen von großer Relevanz. Diese sind auf einen weiteren Energieträger in Form von Treibstoff, der aus Erdöl gewonnen wird, angewiesen. Damit kommt dieser Ressource besondere Bedeutung für den Katastrophenschutz zu (Petermann et al. 2013: 233). Raffinerien haben eigene Stromerzeugungskapazitäten und können häufig im Inselbetrieb sich selber versorgen und daher weiterarbeiten (Petermann et al. 2013: 233 f.). In Folge des Erdölbevorratungsgesetzes (ErdölBevG)2 gibt es außerdem „erhebliche Treibstoffreserven“ (Petermann et al. 2013: 234) in Form von Benzin und Diesel. Diese sind in der Regel oberirdisch gelagert und können daher ohne den Gebrauch von elektrischen Pumpen durch die Nutzung der Schwerkraft in Tankwagen und -züge gefüllt werden (ebd.). Hier ist weniger die Menge als die Koordinierung und Umsetzung der Verteilung bis zum Endverbraucher die Herausforderung (BBK 2017: 11). Diese ergibt sich vor allem durch die eingeschränkte Nutzbarkeit von Transportkapazitäten und den Ausfall der IT sowie von Kommunikationsmitteln (ebd.: 11 f.). Trotz der hohen Reservemengen wird für eine effektive Treibstoffversorgung daher die Notwendigkeit gesehen, dass die „[…] bedarfstragenden Einrichtungen bereits ein[en] hohe[n] Grad an Eigenvorsorge […]“ (BBK 2017: 13) vorhalten.

5.1.2 Energieversorgung (Wärme) Die Energieversorgung besteht neben der Stromversorgung aus der Versorgung mit Wärme. Die beiden Energieträger Gas und Öl werden in Wohnungen mit weitem Abstand am häufigsten in Deutschland zum Heizen genutzt (BDEW 2015: 15). In nur knapp drei Prozent der Wohnungen wird mit Pellets oder Holz und damit von Strom unabhängig geheizt (ebd.). Für den Betrieb der Heizungen werden Pumpen verwendet, die auf die Versorgung mit Strom angewiesen sind.

2Erdölbevorratungsgesetz

vom 16. Januar 2012 (BGBl. I S. 74), das zuletzt durch Artikel 127 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Die Heizung fällt also aus (BBK 2019i: 6). Was im Sommer wenig Relevanz hat, kann im Winter zum Problem werden. Das BBK empfiehlt daher der Bevölkerung, warme Kleidung für einen solchen Fall vorzusehen (ebd.: 8).

5.1.3 Verkehr und Transport Im Sektor Verkehr und Transport werden die Auswirkungen des Stromausfalls unmittelbar spürbar. Ampelsignale und Straßenbeleuchtungen fallen aus, elektrisch betriebene Schranken und Tore bleiben geschlossen, Bahnen und elektroversorgte Busse bleiben stehen und blockieren Straßen (Petermann et al. 2013: 103 f.). Auch Züge und U-Bahnen bleiben unmittelbar stehen und blockieren Strecken (ebd.: 109). Die Belüftungen und Beleuchtung in den U-Bahnstationen werden vorerst notstromversorgt (ebd.: 110). Dieselloks können u. U. zum Abschleppen von Zügen verwendet werden. Mit Verbrennungsmotoren ausgestattete Busse und der Individualverkehr ist grundsätzlich vorerst weiter einsetzbar (ebd.: 104). Es kommt in der Anfangsphase des Stromausfalls voraussichtlich vermehrt zu Unfällen (ebd.). Die elektrischen Pumpen an den Tankstellen fallen unmittelbar aus, daher kann ohne die Existenz oder den Zugang zu einer notstromversorgten Tankstelle nicht nachgetankt werden (ebd.). Dies führt zum starken Rückgang des Güterverkehrs, Individualverkehrs und Öffentlichen Personennahverkehrs nach circa 24 Stunden (ebd.: 106 f.). Ein Grundbetrieb kann an den Flughäfen auch über 24 Stunden hinaus aufrechterhalten werden, trotzdem ist mit Flugausfällen zu rechnen (ebd.: 166). Auch Binnen- und Seehäfen sind unmittelbar von einem Stromausfall betroffen (ebd.: 117). Güter können nicht mehr verladen werden, da Portalkräne und Pumpen auf Strom angewiesen sind (ebd.). Auch können Güter nicht mehr über den Schienenverkehr abtransportiert werden (ebd.). Im gesamten Sektor Verkehr und Transport gilt, dass die chaotische Situation durch den zunehmenden Ausfall von Kommunikationsmitteln weiter erschwert wird (ebd.: 93–121).

5.1.4 Wasserversorgung „Der Betrieb der Wasserversorgung ist ohne elektrische Energie auf Dauer nicht möglich“ (Petermann et al. 2013: 131). Die Wasserförderung und Wasserverteilung bauen auf elektronische Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik ­(MSR-Technik) auf, hinzu kommen elektrisch betriebene Pumpen (ebd.: 124 f.).

5.1  Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall

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Über Hochbehälter oder Wassertürme wird Wasser in Trinkwasserqualität gespeichert (ebd.: 125). Die Behälter sind meistens für den Tagesausgleich ausgelegt, der Füllstand kann variieren (ebd.). Die Krisenbewältigungskapazitäten werden im Bereich der Wasserver- und auch Abwasserentsorgung als „örtlich sehr heterogen“ (Petermann et al. 2013: 131) beschrieben. Neben den Potenzialen dieser Speicher ist ein Betrieb durch eine Notstromversorgung, für welche häufig Notstromeinspeisevorrichtungen vorhanden sind, denkbar. „Ein Großteil der in den Netzen und auf Anlagen vorhandenen Speicher sowohl für elektrische Energie als auch für Trink- und Abwasser, ist auf die Überbrückung kurzer, d. h. im Subtagesbereich liegender Versorgungsstörungen, ausgelegt“ (Petermann et al. 2013: 130). In Außenbereichen des Netzes wird mit einem Ausfall der Wasserversorgung bereits nach 4 bis 8 Stunden, mit dem Ausfall der Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik in Wasserwerken nach 8 bis 24 Stunden gerechnet (ebd.: 132). Der Treibstoffvorrat für Pumpen in der Wasserversorgung wird mit etwa 5 Tagen angegeben (ebd.). Örtlich abhängig ist damit zu rechnen, dass bereits früher die leitungsgebundene Trinkwasserversorgung abbricht, es zu Verunreinigung kommt und Hygieneprobleme entstehen (ebd. 131 f.). Neben der leitungsgebundenen Trinkwasserversorgung verfügt Deutschland über mehr als 5200 Notbrunnen (BBK 2013: 3). Sie bilden die Grundlage für die nach dem Wassersicherstellungsgesetz (WasSiG)3 konzipierte Trinkwassernotversorgung für den Verteidigungsfall und kann auch in anderen Extremsituation ergänzend genutzt werden (ebd.: 2 f.). Die meisten Brunnen befinden sich dabei in Großstädten und Ballungsgebieten (ebd.: 4; 6). Bei geringen Förderhöhen können handbetriebene Pumpen eingesetzt werden. „Bei größeren Förderhöhen und -mengen gibt es zum Einsatz von Unterwassermotorpumpen keine Alternative“ (BBK 2013: 9). Daher sind in diesen Fällen Notstromerzeuger nötig, welche auf eine fortdauernde Versorgung mit Treibstoff angewiesen sind (ebd.). Es liegen keine Informationen darüber vor, wie lange diese bei einer überregionalen Lage gewährleistet und koordiniert werden kann. Erschwerend hinzu kommt ein großer Personalaufwand für Betrieb und Transport des Wassers, der bei einem langanhaltenden Ausfall ohne Unterstützung aus dem Umland problematisch werden kann (vgl. Fischer et al. 2012: 23).

3Wassersicherstellungsgesetz

vom 24. August 1965 (BGBl. I S. 1225, 1817), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 20 des Gesetzes vom 12. August 2005 (BGBl. I S. 2354) geändert worden ist

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

5.1.5 Abwasserentsorgung Die Abwasserentsorgung und Wasserversorgung hängen unmittelbar zusammen. Die Abhängigkeit von Strom offenbart sich vor allem „[…] bei den Pump- und Hebewerken in der Kanalisation und beim Betrieb der Kläranlagen mit allen elektrischen Komponenten, wie Pumpen, Rührwerke, Belüftungsanlagen, sowie der gesamten MSR-Technik“ (Petermann et al. 2013: 133). Die Hebepumpen verfügen meistens über keine Notstromversorgung (ebd.). Durch die Auswirkungen auf die Wasserversorgung ist mit einer geringeren Menge Schmutzwasser zu rechnen (ebd.). Da Verdünnungseffekte z. B. durch Duschwasser zurückgehen, kann es zu Ablagerungen und in Folge zu Verstopfungen der Kanalisation und daraus folgenden Hygieneproblemen kommen (ebd.: 133 f.). Kläranlagen können in der Regel mit ihren Notstromerzeugungskapazitäten unter Volllast weiter betrieben werden (Petermann et al. 2013: 134). Fällt diese aus, ist auch der Betrieb der Kläranlage nicht mehr denkbar (ebd.).

5.1.6 Telekommunikation und Informationstechnik (IT) Telekommunikation und IT sind in einem so hohen Ausmaß wie keine andere Infrastruktur von der Versorgung mit Strom abhängig (Petermann et al. 2013: 77). Dementsprechend stark sind hier die Auswirkungen eines Stromausfalls. Bei der Telefonie ist zwischen Festnetz und Mobilfunk zu unterscheiden. Im Festnetz ist die Dauer des Weiterbetriebs des Endgeräts von der verwendeten Technik (z. B. Schnurlostelefon, ISDN-Telefone, VoiP über DSL-Router oder Kabelmodem) abhängig (ebd.: 84). Die Ortsvermittlungsstellen sind unabhängig von der verwendeten Technik die nächste Hürde (ebd.: 85). Diese sind nur zwischen 15 Minuten und 8 Stunden notstromversorgt (ebd.). Danach ist Telefonieren über Festnetz nicht mehr möglich (ebd.). Dies gilt auch für etwaig notwendige Notrufe, die auch nur mit einem Telefonnetz, also einer Verbindung zur Ortsvermittlungsstelle oder Basisstation, möglich sind (ebd.: 86). Beim Mobilfunk sind alle Endgeräte mit Akkupufferung ausgestattet. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass das Mobilfunknetz noch circa 8 bis 48 Stunden aufrechterhalten werden kann (ebd.: 87). Eventuell können einzelne Basisstationen und Fernvermittlungsstellen mit Notstrom versorgt werden, sodass eine Einwahl in diese möglich bleibt (ebd.). Auch an den Grenzen des Ausfallgebiets, könnte man zudem in den Empfangsbereich von Vermittlungsstellen außerhalb des Gebiets gelangen (ebd.).

5.1  Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall

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Auch das Internet kann unter Umständen für die Laufzeit der unabhängigen Stromversorgung der „Orts- bzw. DSL-Vermittlungsstelle […] oder Basisstation im Funknetz“ (Petermann et al. 2013: 89) für wenige Stunden noch verwendet werden und ist dann aber auch mit akkugepufferten Notebook nicht mehr erreichbar. Stromabhängige Endgeräte ohne Akkupufferung wie Desktopcomputer, Server und Modems fallen sofort aus (ebd.: 88). Die Endgeräte für den Fernsehempfang haben in der Regel keine Notstromversorgung und fallen daher ebenfalls sofort aus. Rundfunk kann mit batteriebetriebenen Radios empfangen werden. Gesetzlich gilt ein Versorgungsauftrag für Notfallkommunikation und Information der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, welche dafür Studios vorhalten, „[…] mit denen ein reduzierter Produktionsbetrieb über mehrere Tage aufrechterhalten werden kann“ (Petermann et al. 2013: 90).

5.1.7 Soziale kritische Infrastrukturen Die sozialen kritischen Infrastrukturen sind in vielerlei Hinsicht auf die Versorgung mit Elektrizität, aber auch auf die Versorgungsleistung anderer durch einen langanhaltenden Stromausfall betroffenen technischen Infrastrukturen angewiesen. Der Bund führt unter dem Begriff der kritischen Infrastrukturen neben den technischen Infrastrukturen folgende Sektoren auf: Gesundheit, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen, Staat und Verwaltung (einschließlich des Katastrophenschutzes) und schließlich Medien und Kultur (BMI 2017b). Der Sektor „Medien und Kultur“ war in der ursprünglichen Sektoreinteilung des Bundes nicht enthalten und wurde später hinzugefügt. In ihm sind neben Rundfunk und Presse, symbolträchtige Bauwerke und Kulturgüter verzeichnet (ebd.). Für den Sektor gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nur eine Abschätzung der Folgen für das Szenario in den überschneidenden Bereichen mit dem Sektor „Telekommunikation und Informationstechnologie“. Daher wird auf eine Ausführung darüber hinaus an dieser Stelle verzichtet. Für alle anderen Sektoren folgt eine kurze Übersicht der Auswirkungen des Szenarios. Für den Sektor Gesundheit prognostiziert der TAB-Bericht zum Szenario eine „[…] nahezu völlige Einstellung der Leistungen der Basisinfrastrukturen des Sektors […]“ (Petermann et al. 2013: 219). Während Arztpraxen, Dialysezentren, Apotheken sowie Alten- und Pflegeheime in der Regel keine Notstromversorgung haben, müssen Krankenhäuser eine Notstromversorgung für die ersten 24 Stunden zum Weiterbetrieb des Kernbereichs vorhalten (Petermann et al. 2013: 157). Treibstoffvorräte sind in Krankenhäusern für einen bis zwei

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Tagen verpflichtend (ebd.). Für alle genannten Einrichtungen stellt der Wegfall der IT bei der Patientenverwaltung unmittelbar ein Problem dar (ebd.: 158). Zudem bauen viele Untersuchungen auch in Arztpraxen auf technische Gerätschaften auf, die ohne Strom nicht durchgeführt werden können (ebd.: 160). Eine besondere Herausforderung ergibt sich für die Versorgung von dezentral versorgten Patienten z. B. in der häuslichen Pflege, die auf elektrische Geräte wie z. B. Heimbeatmungsgeräte angewiesen sind (HMDIuS o. J.a 29; MILI SH 2014: 32). Die entsprechenden Geräte haben in der Regel nur eine Akkupufferung für einige Stunden (HMDIuS o. J.a 29; MILI SH 2014: 32). Gibt es zu den Wohnorten der Patienten kein Register, ist ihre Versorgung nur schwer zu koordinieren, da auch der Notruf durch den Zusammenbruch der Telekommunikation betroffen ist (HMDIuS o. J.a 29; MILI SH 2014: 32; Petermann et al. 2013: 219). Des Weiteren ist die Kühlung von bestimmten Medikamenten für alle genannten Einrichtungen ohne Notstromaggregat nicht mehr möglich (ebd.: 161). Erschwerend wird davon ausgegangen, dass es zu Problemen bei der Nachlieferung von Medikamenten aufgrund der Auswirkungen auf den Verkehrssektor kommt (ebd.: 218). Die aufkommenden Probleme in der Wasserversorgung machen wiederum die Versorgung von Patienten zunehmend schwierig. Saubere Wäsche wird Mangelware (ebd.: 218 f.). Viele Arztpraxen werden Patienten an Krankenhäuser weiterleiten, die ihre Basisfunktionen mit Notstrom vorerst aufrechterhalten können (ebd.: 219). Diese sind daher stark frequentiert und überlastet (ebd.). In diesen wird die Lage zusätzlich durch die Auswirkungen des Stromausfalls in der Verwaltung, die in der Regel nicht zum mit Notstrom versorgten Bereich gehört, verschärft (ebd.: 158). Zudem ist damit zu rechnen, dass zunehmend weniger Personal seinen Arbeitsplatz erreicht. Im Sektor Ernährung ist u. a. der Ausfall der Kühlung in der kommerziellen und privaten Lagerung sowie im Lebensmittelhandel ein erhebliches Problem (Petermann et  al. 2013: 151  f.). Ferner machen die bereits dargestellten Schwierigkeiten im Sektor Verkehr und Transport die Lieferungen von Waren in die Supermärkte schwierig (ebd.: 152). Das Erhitzen von Speisen ist nur noch mit Ersatzgeräten, z. B. Campingkochern möglich. In der Landwirtschaft ist man in weiten Teilen, und besonders in großen Betrieben sowohl in der Pflanzenproduktion wie auch bei der Tierhaltung, auf Strom angewiesen (Petermann et al. 2013: 143 f.). Im Bereich der Pflanzenproduktion betrifft dies sowohl die Ernte und Lagerung wie auch die Sortierung, Verpackung, Klimatisierung und Bewässerung (ebd.: 143). Bei der Tierhaltung ist gerade in Großbetrieben die

5.1  Das Szenario: Ein langanhaltender, überregionaler Stromausfall

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Kompensation des Wegfalls der Automatisierung der Fütterung, der Wasserversorgung, der Stallreinigung und der Milchgewinnung ohne erhebliche Unterstützung nicht zu bewältigen (ebd.: 144, 151). Ebenso ist die Belüftung und Klimatisierung von großen Stallanlagen für das Tierwohl häufig sehr wichtig (ebd.: 144). Betriebe, bei denen die Gesundheit der Tiere von technischen Geräten abhängt, sind durch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutzVO) verpflichtet Notstromkapazitäten vorzuhalten (§ 3 Art. 4 und 5 TierSchNutzVO). Über vorzuhaltende Treibstoffmengen gibt es keine Angaben. Das Finanz- und Versicherungswesen gilt als vergleichsweise gut vorbereitet auf einen Stromausfall. „Größere Banken, Versicherungs- und Vorsorgeeinrichtungen und andere bankähnliche Organisationen haben sich auf Stromausfälle vorbereitet“ (Petermann et al. 2013: 173). Banken haben meistens eine Notstromversorgung für circa eine Woche, kritische Geschäftsprozesse sind abgesichert (ebd.: 173, 175). Einige Kreditinstitute haben zudem Ausweichstandorte, in die die Daten und die Belegschaft umgezogen werden können (ebd.: 173). Der Zahlungs- und Datenverkehr zwischen Banken und bankähnlichen Organisationen, Handelsplattformen und den Zentralbanken ist in weiten Teilen abgesichert (ebd.: 150). Eine Elektronische Zahlung in Geschäften ist jedoch nicht mehr möglich. Geldautomaten, bis auf eine geringe Anzahl, die direkt in der Bank mit Notstrom versorgt sind, funktionieren nicht mehr (ebd.: 175, 181). Bargeld wird am Schalter abgehoben. Bereits vor dem Ausfall getätigte Überweisungsaufträge (z. B. Lohnzahlungen) werden ausgeführt (ebd.: 175). Zu Mangel an Bargeld kommt es nach Einschätzung des TAB-Berichts im Verlauf der ersten Woche des Stromausfalls (ebd.: 178, 182). Zum Sektor Staat und Verwaltung zählt unter anderem der Katastrophenschutz, der im Fokus dieser Arbeit steht und auf dem an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Im Allgemeinen sind Verwaltungstätigkeiten in Ämtern, aber auch z. B. in Schulen und Universitäten durch den Ausfall der Informationsund Kommunikationstechnologie (IKT) stark erschwert (Petermann et  al. 2013: 188). Der Ausfall von Beleuchtung, der Wasserversorgung und Aufzügen erschwert den Büroalltag, sofern die Arbeit ohne IKT überhaupt fortgeführt werden kann (ebd.: 187 f.). Die polizeiliche Gefahrenabwehr arbeitet unter erschwerten Bedingungen, gleichzeitig wird von einer erhöhten Gefahr für Diebstähle und Plünderungen ausgegangen (ebd.:188). Auch im Sektor Staat und Verwaltung ist die zunehmend angespannte Personallage ein zusätzlich erschwerender Faktor.

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

5.2 Urbane Resilienz Im vorliegenden Kapitel wird der Begriff der Urbanen Resilienz im Rahmen der Arbeit definiert, seine Rolle für den Katastrophenschutz kurz diskutiert und dargelegt, warum der Begriff innerhalb der Arbeit genutzt wird und inwieweit der Begriff die Gestaltung des Maßnahmenkatalogs prägt. Angelehnt an die Definition der UNISDR wird „Urbane Resilienz“ in der vorliegenden Arbeit als Fähigkeit einer Stadt, mit all ihren Akteuren, Ressourcen, Prozessen und Strukturen, gegenüber einem extremen Ereignis unter Beibehaltung eines akzeptablen Niveaus an Funktionsfähigkeit und Struktur durch Beharrlichkeit, Veränderung oder Anpassung zu bestehen, verstanden (vgl. UNISDR 2005: 4). Unter dem Begriff der „Resilienz“ wird im Bereich des Katastrophenmanagements der Umgang mit einer neuen Bedrohungslage diskutiert (Fekete et al. 2016: 215). Diese neue Bedrohungslage ergibt sich zum einem aus einer steigenden Komplexität und Abhängigkeit von einem System aus untereinander gekoppelten Infrastrukturen und zum anderen aus einer steigenden Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse sowie Cyber- und Terrorangriffe (BMI 2009: 7; Thoma et al. 2012; Libbe/Petschow 2017; BSI 2018; Berger et al. 2019). Dabei hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion bereits ein Shift zum Konzept der Resilienz vollzogen, für die Praxis gilt dies nur bedingt (vgl. Stump 2013; Chmutina 2016). In behördlichen Papieren wurde in Deutschland mit der Begrifflichkeit bisher zurückhaltend umgegangen (Krings 2016: 3). Dennoch prägt das Konzept die Debatte über modernes Katastrophenschutzmanagement. Elemente der Resilienz finden sich auch durchaus in behördlichen Papieren und Ansätzen des BBKs (Fekete 2016: 22). Diese neueren Entwicklungen sollen auch in der vorliegenden Arbeit Berücksichtigung finden, daher ist die Übernahme des Begriffs konsequent. Die Impulse des Konzepts der Resilienz werden dabei in drei zentralen Punkten gesehen. Erstens in der Betonung der Bedeutung der Mitarbeit und Zusammenarbeit einer Vielzahl von Akteuren. Dies kann als „Empowerment“ (MamulaSeadon 2017: 335) gelobt oder als Verantwortungsverlagerung im Sinne einer neoliberalen Agenda kritisiert werden (vgl.: Höhler 2014: 440). Gerade die Zusammenarbeit mit dem Bürger gewinnt in Resilienz-Strategien an Gewicht (Kaufmann 2012: 124; Krings 2016). Zweitens in der Integration verschiedener aber sich beeinflussender Themengebiete ineinander mit dem Ziel der Erreichung kontextsensitiver Lösungen (vgl. Chandler/Coaffee 2016: 25; UN-Habitat 2017: 15). Und drittens in der Fokusverlagerung von der Vermeidung von Katastrophen zu der Vorbereitung auf solche (Boin/McConell 2007; Chandler/Coaffee 2016: 22).

5.3  Kommunales Katastrophenschutzamt

73

Die Maßnahmen, wie sie in der vorliegenden Arbeit abgefragt werden, spiegeln diese Verschiebungen wider. Es wird ein Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit verschiedenen Stakeholdern einschließlich der Bürger, Ämter der Stadtverwaltung und der Betreiber weiterer kritischer Infrastrukturen gelegt. Diese Zusammenarbeit kann dabei auch zu der Integration vielfältiger Themengebiete ineinander beitragen. Des Weiteren steht der Umgang mit dem Szenario klar im Fokus und nicht dessen Vermeidung.

5.3 Kommunales Katastrophenschutzamt Die Maßnahmen des kommunalen Katastrophenschutzamtes stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit. Es werden nur solche Maßnahmen untersucht, an denen das kommunale Katastrophenschutzamt mitgewirkt hat oder mitwirkt. Im Rahmen der Fallauswahl wurde der Begriff des lokalen oder auch kommunalen Katastrophenschutzamtes bereits definiert (Abschnitt 4.2.1 Fallauswahl). An dieser Stelle wird an die Definition angeknüpft und der Fokus auf das lokale Katastrophenschutzamt innerhalb der Arbeit begründet. Als kommunales Katastrophenschutzamt wird in der vorliegenden Arbeit die Berufsfeuerwehr der untersuchten Großstädte bezeichnet. Nicht jede dieser Feuerwehren trägt auch diesen Titel, aber jede hat eine Zuständigkeit für den Katastrophenschutz in der Stadt. Jede der einbezogenen Städte hat die Kompetenz und Aufgaben der Unteren Katastrophenschutzbehörde (vgl.: Abschnitt 4.2.1 Fallauswahl). Die kommunale Katastrophenschutzbehörde ist dabei weder die einzige Behörde, Einrichtung oder Organisation, die Verantwortung für den Schutz und die Vorbereitung auf Katastrophen hat, noch ist sie das einzige Organ, das regelnd wirkt. Die Verantwortung liegt auch bei den Ressorts innerhalb ihrer Themenzuständigkeiten wie auch bei den Betreibern der Infrastrukturen. Auch die Verantwortung der Bürger selbst wird zunehmend betont. Die Fokussierung auf das Katastrophenschutzamt in dieser Forschung ist durch seine Zentralität in vier Punkten gerechtfertigt. Die Zentralität ergibt sich dem Forschungsstand folgend aus einer Rollenzuweisung durch die Stakeholder (Schmidt/Matern 2015: 78) und aus der faktischen, teilweisen Übernahme dieser zentralen Rolle durch das Katastrophenschutzamt. Der Forschungsstand lässt außerdem vermuten, dass Koordination, Initiative und Management notwendig sind, um ein (zu definierendes) zufriedenstellendes Schutzniveau zu erreichen (vgl. Monstadt/Schmidt 2019: 2368). Wenn es also einen Akteur braucht, der diese Funktionen ausfüllt, dann gilt es zwei weitere Punkte zu ergänzen. Das lokale

74

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Katastrophenschutzamt ist also drittens die Einrichtung, die diese Rolle aufgrund ihrer legislativen Kompetenzen, ihres katastrophenspezifischen Erfahrungswissens und ihrer Positionierung „zwischen“ den Stakeholdern am effektivsten ausfüllen kann. Und viertens – und das ist ein normativer Anspruch – sollte diese wichtige Funktion im Bereich der Sicherheit der BürgerInnen, und damit einer Kernaufgabe des Staates, von einem Amt mit Rückbindung an ein demokratisch kontrolliertes Organ, wie sie das Katastrophenschutzamt darstellt, erfüllt werden. Ein Fokus auf das Katastrophenschutzamt und seine Verbindungen zu anderen Stakeholdern soll in diesem Sinne nicht die Fähigkeit und die Verantwortung anderer öffentlicher Akteure und auch nichtstaatlicher Akteure steuernd tätig zu werden verneinen. Vielmehr wird durch den Fokus dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei der Steigerung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall um ein sicherheitsrelevantes Thema handelt, in dem der Staat um eine Gewährleistungsfunktion nicht umhinkommt.

5.4 Maßnahmen Um die Maßnahmen zu erheben, die zur Steigerung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall durch die Katastrophenschutzämter ergriffen werden, wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt, anhand dessen diese abgefragt wurden. Der Weg zur Entstehung des Maßnahmenkatalogs wurde bereits in Abschnitt 4.1 dargestellt. In diesem Kapitel wird der fertige Maßnahmenkatalog vorgestellt. Unter „Maßnahmen zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall“ werden in dieser Arbeit Handlungen, Regelungen oder Pläne des kommunalen Katastrophenschutzamtes verstanden, die darauf ausgerichtet sind, die Resilienz A) des Katastrophenschutzamtes selbst gegenüber einem Stromausfall und/oder B) der Stadt als Gesamtheit gegenüber dem Eintreten eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls zu erhöhen. Das Aktivitätslevel bezeichnet daran angelehnt, die relative Quantität der durchgeführten Maßnahmen einer Katastrophenschutzbehörde. Der fertige Maß­ nah­ menkatalog zur Bestimmung des Aktivitätslevels gliedert sich in sieben Handlungsfelder in zwei Dimension (siehe Abbildung 5.1).

5.4 Maßnahmen

75

Abbildung 5.1   Dimensionen und Handlungsfelder des Aktivitätslevels

Im Folgenden werden die Dimensionen und die in ihnen enthaltenen Handlungsfelder sowie die erfragten Maßnahmen kurz vorgestellt. Die Maßnahmen werden innerhalb des Katalogs je Handlungsfeld potentiell anspruchsvoller und bauen teilweise aufeinander auf, um sowohl sehr grundlegende Formen der Beschäftigung als auch weitergehende Formen der Auseinandersetzung identifizieren zu können.

5.4.1 Dimension 1: Katastrophenschutzamt Die Dimension 1 „Katastrophenschutzamt“ umfasst zum größten Teil Maßnahmen, die durch die Feuerwehr bzw. das lokale Katastrophenschutzamt alleine ausgeführt werden können und im überwiegenden Teil auf die Aufrechterhaltung des Betriebs der Feuerwehr und des Katastrophenschutzamtes bei Eintreten des Szenarios ausgerichtet sind. Die Handlungsfelder 1 bis 3 lauten „Einsatzkräfte“, „Notstrom“ und „Treibstoff“. Handlungsfeld 1.1: Einsatzkräfte Tabelle 5.1 gibt eine Übersicht über alle erfragten Maßnahmen im Handlungsfeld 1.1.

76

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Tabelle 5.1   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.1 – Einsatzkräfte Handlungsfeld 1.1: Einsatzkräfte 1

Es gibt eine Abschätzung der Folgen eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls für den eigenen Betrieb.

2

Diese Abschätzung wurde den Einsatzkräften kommuniziert. Sie wissen, was im Falle eines Stromausfalls nicht funktioniert.

3

Es gab bereits eine oder mehrere Übungen der Einsatzkräfte zu dem Szenario eines Stromausfalls.

4

Es gibt einen Personalplan, der die geringere Verfügbarkeit von ­Einsatzkräften (ca. -50 %) bei einem Stromausfall berücksichtigt.

5

Es gibt eine Trinkwasser- und Nahrungsmittelbevorratung für die ­Hilfskräfte.

6

Die Familien der Hilfskräfte werden bei dieser Bevorratung berücksichtigt.

7

Es gibt eine Alarmierungsabsprache (z. B. nach 1h Stromausfall finden sich alle Einsatzkräfte automatisch im Feuerwehrhaus ein).

Verfügbare und vorbereitete Mitarbeiter sind bei einem langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfall wichtig, um die Folgen des Stromausfalls zu bearbeiten. Hierzu ist es notwendig, die Folgen des Szenarios für die Katastrophenschutzbehörde und Feuerwehr im Vorfeld abzuschätzen und das Ergebnis dieser Abschätzung den Einsatzkräften zu kommunizieren (vgl. BBK/ MI BW 2010: 9; 14). Darüber hinaus sind Übungen geeignet, den Umgang mit dem Szenario zu trainieren und Lücken in der Planung aufzuzeigen (vgl. BBK/ MI BW 2010: 24; Lauwe/Geier 2016: 198). Bei Eintreten des Szenarios fallen übliche Alarmierungswege schnell aus. Daher wird in Rahmenempfehlungen empfohlen, alternative oder redundante Alarmierungswege zu planen (HMdIuS o. J.a: 21; BBK/MI BW 2010: 73; MILI SH 2014: 70; RP KA 2014: 12). Häufig wird explizit eine Alarmierungsabsprache empfohlen, bei der die Einsatzkräfte nach einer gewissen Zeit ohne Strom sich automatisch in der Dienststelle einfinden, ohne dass eine weitere Alarmierung notwendig ist (BBK/ MI BW 2010: 73; MILI SH 2014: 70; RP KA 2014: 12). Des Weiteren ist mit einer verminderten Personalverfügbarkeit zu rechnen. Ein Mitarbeiter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport (HMdIuS) berichtet, dass in Fachgesprächen zur Thematik die Erfahrungswerte zur Reduktion des Personals bei zwei Drittel bis der Hälfte des Personals für die Einheiten des Katastrophenschutzes lägen (Gespräch mit Mitarbeiter des Hessischen

5.4 Maßnahmen

77

Ministerium des Innern und für Sport, 12.02.18). Die Minderung kommt durch verschiedene Faktoren zustande, so kann z. B. der Anfahrtsweg zum Amt ein Hindernis darstellen oder Personalunionen führen dazu, dass Mitarbeiter an einer anderen Stelle gebraucht werden (vgl. HMdIuS o. J.b: 2; RP KA 2014: 12). Es wird weiterhin empfohlen, Trinkwasser und Nahrungsmittel für die Einsatzkräfte während eines Stromausfalls einzuplanen (HMdIuS o. J.b: 5; BBK/MI BW 2010: 107; RP KA 2014: 12). Es ist sinnvoll, in dieser Planung auch die Familien der Einsatzkräfte zu bedenken, da diese sonst die Versorgung ihrer Familie gegenüber der Arbeit priorisieren könnten (vgl. RP KA 2014: 12). Handlungsfeld 1.2: Notstrom Tabelle 5.2 zeigt die erfragten Maßnahmen im Handlungsfeld 1.2 Notstrom in der Übersicht.

Tabelle 5.2   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.2 – Notstrom Handlungsfeld 1.2: Notstrom 1

Der Notstrombedarf des eigenen Amtes/der Feuerwehr ist bekannt.

2

Es gibt einen Plan, wie dieser Notstrombedarf gedeckt werden kann.

3

Es gibt einen Plan, welche Einrichtungen in der Stadt besonders schnell wieder mit Strom versorgt sein sollten.

4

Es werden Notstromaggregate über den eigenen Bedarf des Amtes hinaus ­vorgehalten, mit denen Dritte versorgt werden können.

5

Es gibt einen Plan, an welcher Stelle diese zusätzlichen Notstromaggregate eingesetzt werden.

Um bestimmte Funktionen bei einem Stromausfall aufrechterhalten zu können, müssen diese mit Notstrom versorgt werden. Es gilt daher zu ermitteln, welche Funktionen dies sind und welcher Notstrombedarf daraus resultiert (HMdIuS o. J.a: 16; BBK/MI BW 2010: 37–39; Petermann et al. 2013: 28 f.; MILI SH 2014: 18). Darauf aufbauend kann ein Plan entwickelt werden, wie dieser Bedarf gedeckt wird (ebd.). In den Rahmenempfehlungen wird weiterhin darauf verwiesen, dass die jeweiligen Gebietskörperschaften die kritischen Infrastrukturen in ihrem Gebiet erfassen und eine Priorisierung nach Notwendigkeit der Ersatzstromversorgung vornehmen sollten (HMdIuS o. J.a: 12 f.; BBK/ MI BW 2010: 71; MILI SH 2014: 15). An dieser Stelle ist also der Blick über die eigene Organisation hinaus erforderlich. Es wird zwar darauf verwiesen,

78

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

dass Unternehmen und Betreiber selbst für die Ersatzstromversorgung zuständig sind, dennoch findet sich implizit und in der Praxis auch die Möglichkeit, dass der Katastrophenschutz Teile dieser Versorgung selbst ausführt (HMdIuS o. J.a: 11). Wenn solche Kapazitäten vorhanden sind, dann ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, an welcher Stelle diese zum Einsatz kommen und alle ­nicht-berücksichtigen Einrichtungen darüber zu informieren, dass selbst Vorsorge zu treffen ist (HMdIuS o. J.a: 11; BBK/MI BW 2010: 71). Handlungsfeld 1.3: Treibstoff Das Handlungsfeld 1.3 folgt in seiner Logik dem Handlungsfeld 2 in den Schritten Bedarfsermittlung und Bedarfsdeckung (vgl. HMdIuS o. J.a: 37 f.; BBK/MI BW 2010: 39; Petermann et al. 2013: 28 f., 46 f.; MILI SH 2014: 42 f., RP KA 2014: 14). Bei der Bedarfsermittlung gilt es, sowohl den Treibstoffbedarf der Notstromaggregate als auch den Bedarf der Fahrzeuge zu berücksichtigen. Genau wie im Handlungsfeld 1.2 „Notstrom“, ist es möglich, dass Treibstoff für Dritte vorgehalten wird und Pläne dafür existieren, an welcher Stelle dieser zum Einsatz kommt. Zur Deckung des Treibstoffbedarfs können im Vorfeld Lieferverträge abgeschlossen werden, darüber hinaus kann es von großem Vorteil sein, eine Tankstelle oder mehrere Tankstellen mit Notstrom auszustatten (HMdIuS o. J.a: 37; BBK/MI BW 2010: 82; Petermann et al. 2013: 29; MILI SH 2014: 41). Tabelle 5.3 zeigt die Maßnahmen des Handlungsfeldes 1.3 im Überblick. Tabelle 5.3   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 1.3 – Treibstoff Handlungsfeld 1.3: Treibstoff 1

Der Treibstoffbedarf des eigenen Amtes/der Feuerwehr (Notstromaggregate und Fahrzeuge) ist bekannt.

2

Es gibt einen Plan, wie dieser Treibstoffbedarf gedeckt werden kann.

3

Über den eigenen Bedarf des Amtes hinaus, existiert Zugriff auf Treibstoff, der Dritten in der Stadt als Hilfeleistung zur Verfügung gestellt werden kann.

4

Es gibt einen Plan, an welcher Stelle dieser zusätzliche Treibstoff zum Einsatz kommt.

5

Es gibt eine notstromversorgte Tankstelle, die von Ihnen genutzt werden kann.

5.4 Maßnahmen

79

5.4.2 Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern Die Dimension 2 „Zusammenarbeit mit Stakeholdern“ beinhaltet Maßnahmen, durch die Aufschluss über die interorganisationale Zusammenarbeit im Themenbereich gewonnen werden soll. Die Handlungsfelder 1 bis 4 sind daher entlang der Stakeholder „Bevölkerung“, „KRITIS-Betreiber“, „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ und „Verwaltung“ organisiert. Der organisations-, ebenen- und sektorenübergreifenden Zusammenarbeit wird beim Schutz kritischer Infrastrukturen besondere Bedeutung in der Forschung und Politik zugesprochen (BMI 2009: 14; John-Koch 2010: 3; Kloepfer 2010: 17; Schäuble 2010: 25; Prior/Roth 2013: 39; Geier 2018: 0; Monstadt/Schmidt 2019: 2358). Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus den zunehmenden Interdependenzen zwischen den Infrastrukturdomänen und der geteilten Verantwortung für die Sicherheit der Versorgung zwischen dem Staat und den zunehmend privaten Infrastrukturbetreibern (BMI 2009: 8; John-Koch 2010: 3; Schmidt/Matern 2015). Kompetenzen, Wissen und Ressourcen sind in diesem System dezentral gelagert, daher sind effektive Lösungen nur durch Zusammenarbeit erreichbar (ebd.). Gerade wenn viele Akteure einzubinden sind, wird der kommunalen Politik aufgrund der räumlichen Dichte und der daraus resultierenden Nähe zu den Stakeholdern, besondere Lösungsfähigkeit zugesprochen (siehe Abschnitt 2.3, Schindler 2011: 7). Mit dem Einzug des Konzepts der Resilienz in die Katastrophenforschung hat der Aspekt der interorganisationalen Zusammenarbeit und Stakeholderpartizipation mehr Aufmerksamkeit erfahren (Fekete et al. 2016: 221). In einer Studie von Merrow und Stults zum Verständnis des Konzepts in Theorie und Praxis zeigt sich „Integration“ in beiden Welten als wichtige Charakteristik der Resilienz (2016: 709). Um diese zu erreichen, wird dem Katastrophenschutzamt Potenzial als Initiativ- und Koordinations- und Leitungsinstanz zugesprochen (Abschnitt 2.4; Schmidt/Scharf 2017: 42). Das BBK hat 2018 angesichts dieser Entwicklungen einen Ansatz für ein Integriertes Risiko- und Krisenmanagement entwickelt (Lauwe 2018: 2–5). Dieses hat zum Ziel, den Austausch zwischen zwei oder mehreren Akteuren zu verbessern und so zu einer engeren Verknüpfung bis hin zu gemeinsamen Plänen im Risiko- und Krisenmanagement zu führen (Lauwe 2018: 3). Im Fokus des Ansatzes steht die Zusammenarbeit von Katastrophenschutzamt und Betreibern kritischer Infrastrukturen (Lauwe 2018: 3). Vor dem Hintergrund der zentralen Stellung des Einbezugs von Stakeholdern im Politikfeld, erscheint es gerechtfertigt, bei der Erhebung des Aktivitätslevels hier einen Schwerpunkt zu setzen. Dieser drückt sich in einer höheren Quantität der abgefragten Maßnahmen und Detailgrad aus.

80

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Handlungsfeld 2.1: Bevölkerung Die Folgen eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls für die Bevölkerung sind weitreichend (Petermann et al. 2013: 30). Die Bevölkerung ist aber auch ein wichtiger Akteur im Katastrophenschutz, von dem erwartet wird, Vorsorge für Katastrophen zu treffen (BBK 2018b). Dieser Notwendigkeit steht jedoch eine Bevölkerung gegenüber, deren Notfallwissen und Vorkehrungen gegenüber Katastrophen als gering eingestuft wird (vgl. Lorenz 2010: 33-40; Schippers 2016: 6; Sandholz et al. 2019: 29). Besonders Single- und Studierendenhaushalte treffen einer aktuellen Studie des BBKs folgend kaum Vorkehrungen (Sandholz et al. 2019: 29). Eine Ursache für diese mangelnde Selbsthilfefähigkeit wird in der fehlenden persönlichen Erfahrung mit Katastrophen in der eigenen Lebenszeit gesehen (vgl. Lorenz 2010: 37 f.). Die Studie des BBKs verweist dagegen auf die Bedeutung der Wohndauer und des Wohnorts (Stadt oder Land) und kann keinen Effekt der Katastrophenerfahrung auf die Bevorratung feststellen (Sandholz et al. 2019: 29). Aber auch Umfang und Art und Weise der Einbindung der Bevölkerung durch den Katastrophenschutz in der Praxis ist Anlass zur Kritik (vgl. Clare 1999; Lorenz 2010: 32; Prior/ Roth 2013: 27; Beerlage 2018). Im Katastrophenschutz werde die Bevölkerung häufig noch als Problem statt Ressource wahrgenommen (Prior/Roth 2013: 37). Die Bevölkerung sollte dabei nicht nur informiert werden, sondern vielmehr dazu befähigt werden, ihre eigenen Ressourcen einzubringen und so den Katastrophenschutz von unten mitzugestalten (Bach et al. 2013: 7; Beerlage 2018). Während im Katastrophenschutz entsprechende Konzepte fehlen, werden im Bereich der Entwicklungshilfe und des Gesundheitsmanagements adaptierbare Ansätze identifiziert (Lorenz 2010: 32 f.; Beerlage 2018: 9–12). In existierenden Rahmenempfehlungen wird die Information und Sensibilisierung der Bevölkerung im Vorfeld der Katastrophe empfohlen und Hinweise zur Aufrechterhaltung der Information während der Katastrophe gegeben (vgl. HMdIuS o. J.a: 43, 72; BBK/MI BW 2010: 74; RP KA 2014: 18; MILI SH 2014: 49, 63–65). Neben der Information über Flugblätter, Sirenenund Radiodurchsagen wird die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle zur Information der Bevölkerung empfohlen (vgl. HMdIuS o. J.a: 15; BBK/MI BW 2010: 131; MILI SH 2014: 18). Darüber hinaus kann eine, von der Anlaufstelle zur Information räumlich getrennte, Betreuungsstelle eingerichtet werden (HMdIuS o. J.a: 37; RP KA 2014: 20). Auch wenn von einer selbstständigen Versorgung der Bevölkerung im Allgemeinen ausgegangen wird, könnte dort – so die Idee – das Notwendigste für bedürftige Personen bereitgehalten werden (RP KA 2014: 20).

5.4 Maßnahmen

81

Des Weiteren ist es ratsam, in Plänen die Bedürfnisse von Minderheiten und vulnerabler Personengruppen zu berücksichtigen. So wird empfohlen, wichtige Informationen mehrsprachig zur Verfügung zu stellen, damit auch Migranten Zugang zu diesen Informationen erlangen (BBK/MI BW 2010: 74; Prior/Roth 2013: 38 f.). Auch Alte und Pflegebedürftige gilt es zu bedenken (Prior/Roth 2013: 38 f.). Für Menschen in der häuslichen Pflege, die z. B. auf eine Stromversorgung ihres Beatmungs- oder Dialysegerätes angewiesen sind, wird die Situation schnell kritisch. Moderne Geräte sind zwar mit einem Akku ausgestattet, der in der Regel bei einem langanhaltenden Stromausfall jedoch lediglich für einige Stunden eine Versorgungsüberbrückung darstellen kann (Petermann et al. 2013: 161; HMDIuS o. J.a: 29; MILI SH 2014: 32). Um den Betroffenen zuverlässig helfen zu können und Transport und Unterbringung vorzubereiten, empfiehlt es sich daher, eine entsprechende Liste im Vorfeld zu erstellen (HMDIuS o. J.a: 29; MILI SH 2014: 32). Hält ein Stromausfall lang genug an, werden wichtige Ressourcen wie Treibstoff, aber auch Nahrungsmittel, Trinkwasser und Medikamente knapp (Petermann et al. 2013). Um in dieser Situation Plünderungen zu vermeiden, kann es ratsam sein, sich über die Verteilung dieser Güter im Vorfeld Gedanken zu machen und Vorkehrungen in Form von z. B. Bezugsscheinen zu treffen (vgl. HMDIuS o. J.a: 32). Tabelle 5.4 zeigt die Maßnahmen zur Zusammenarbeit mit der Bevölkerung im Überblick. Tabelle 5.4   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.1 – Bevölkerung Handlungsfeld 2.1: Bevölkerung 1

Die Folgen eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls für die Bevölkerung wurden abgeschätzt.

2

Es gibt Aufklärungsarbeit, mit der die Bevölkerung adressiert wird.

3

Es werden neben deutschsprachigen auch fremdsprachige Informationsmaterialien für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt.

4

Es gibt eine Aufstellung, wie viele Hilfs- und Pflegebedürftigen es in der Stadt gibt.

5

Es gibt einen Plan, wie mit Pflegebedürftigen (wie z. B. Dialysepatienten) umgegangen wird. (Fortsezung)

82

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Tabelle 5.4   (Fortsezung) Handlungsfeld 2.1: Bevölkerung 6

Es gibt einen Plan, wie die Information der Bevölkerung nach Ausfall der üblichen Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden kann (z. B. über Sirenendurchsagen, Flugblätter, Radio, etc.).

7

Es ist eine zentrale Anlaufstelle zur Information der Bevölkerung geplant.

8

Es ist eine zentrale Betreuungsstelle für die Bevölkerung geplant.

9

Über Ort und Funktion der zentralen Anlauf- und Betreuungsstelle wurde die Bevölkerung bereits informiert.

10

Es gibt einen Plan, wie die Zivilbevölkerung (z. B. Vereine) in die Bewältigung der Krise eingebunden werden kann.

11

Es gibt einen Plan, wie die Verteilung knapper werdender Ressourcen (z. B. Arznei, Nahrungsmittel, Treibstoff) erfolgt.

12

Teile der Bevölkerung haben bereits an einer gemeinsamen Übung zu dem Szenario eines Stromausfalls teilgenommen.

Handlungsfeld 2.2: KRITIS-Betreiber Die Zusammenarbeit mit den Betreibern kritischer Infrastrukturen ist für ein umfassendes Krisen- und Risikomanagement essentiell (BMI 2009: 14; DunnCavelty/Suter 2009: 179; John-Koch 2014: 3). Diese sind im Rahmen der Betreiberverantwortung zur Vorsorge verpflichtet (Kloepfer 2010: 17; John-Koch 2014: 3). Es besteht jedoch Unsicherheit darüber, inwieweit die Unternehmen Vorsorge betreiben und auf Seite der Betreiber, welches Sicherheitsniveau verlangt wird (vgl. Kloepfer 2010: 17; Lauwe/Geier 2016: 205; Monstadt/Schmidt 2019: 2365). Des Weiteren wird zwischen den Betreibern unterschiedlicher Sektoren und zwischen den Betreibern und dem Katastrophenschutz von einer mangelhaften Abstimmung ausgegangen (vgl. Schmidt/Matern 2015; Lauwe 2018:  2; Monstadt/Schmidt 2019:  2367). Gerade um die Zusammenarbeit zwischen Katastrophenschutz und KRITIS-Betreibern zu fördern, wurde Ende des Jahres 2018 durch das BBK das bereits erwähnte Konzept zum integrierten Risikomanagement entwickelt (Lauwe 2018: 2). In diesem ist ein Abstimmungsprozess zwischen Betreibern und Katastrophenschutzamt skizziert, welcher über eine gemeinsame Vorplanung und Risikobewertung in gemeinsamen Maßnahmen und schließlich in einem gemeinsamen Krisenmanagement mündet (Lauwe 2018: 4). Auch wenn das Konzept zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht veröffentlicht war, finden sich seine Elemente in Rahmenempfehlungen und Forschungsarbeiten bereits wieder. Seine Struktur passt daher gut zu den erfragten Maßnahmen. Diese setzen auf einem niedrigen Niveau der Zusammenarbeit an, enden aber, ähnlich wie das Konzept des BBKs, bei gemeinsamen Plänen und Übungen.

5.4 Maßnahmen

83

Für die Zusammenarbeit ist es auf einer ganz grundsätzlichen Ebene wichtig, die Notwendigkeit zu erkennen, über das Katastrophenschutzamt hinaus, auch mögliche Folgen eines Stromausfalls auf KRITIS-Betreiber abzuschätzen. In einem weiteren Schritt kann gegenüber den Betreibern Aufklärungsarbeit geleistet und über die Notwendigkeit und Pflicht zur Vorsorge informiert werden (RP KA 2014: 21). Für eine Zusammenarbeit im Vorfeld und auch während eines Stromausfall ist es ferner notwendig, den jeweiligen Krisenansprechpartner der Betreiber zu kennen (BBK/ MI BW 2010: 58, 80; MILI SH 2014: 69; RP KA 2014: 13; Lauwe 2018: 4). In „Krisen Köpfe kennen“ gilt als bewährtes Prinzip des Katastrophenschutzes (Haritz 2016: 265; Prior/Roth 2016: 15). Monstadt und Schmidt stellen im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen dazu fest, dass die Zuständigen der Infrastrukturbetreiber dem Katastrophenschutzmanagement oft nicht bekannt seien (2019: 9 f.) Über die Kenntnis der Ansprechpersonen hinaus, können im Vorfeld eines Stromausfalls Informationen über Vorsorgemaßnahmen der Betreiber eingeholt werden. Weitergehend ist dann ein einmaliger oder auch regelmäßiger Austausch zwischen KRITIS-Betreiber und Katastrophenschutzamt über das Szenario, bei dem über Ressourcen, Fähigkeiten und Bedarfe beider Organisationen gesprochen werden kann (vgl. Lauwe 2018: 4). Ein solcher Austausch kann auch in Form eines Runden Tisches mit mehreren Betreibern gleichzeitig stattfinden. Dies hat den Vorteil, dass auch Sektorkopplungen zwischen den Infrastrukturbetreibern berücksichtigt werden können (vgl. Matern et al. 2014). Unabhängig von der genauen Ausgestaltung des Austausches kann er im Ergebnis in gemeinsamen Plänen münden (vgl. Lauwe 2018). Es kann aber auch Ziel der Akteure sein, die jeweiligen Handlungslogiken der anderen Organisation besser kennenzulernen. Dies kann im Ereignisfall wichtig sein, um z. B. die Dauer der internen Prozesse in der jeweiligen anderen Organisation besser abschätzen zu können (Schmidt/Scharf 2017: 39). In der Kenntnis dieser Strukturen der beteiligten Organisationen wird im Forschungsstand ein erhebliches Verbesserungspotenzial für den organisationsübergreifenden Informationsaustausch gesehen (Schmidt/Scharf 2017: 39). Bei einem Stromausfall sollte außerdem die Kommunikation mit den Betreibern kritischer Infrastrukturen weiter möglich sein. Die üblichen Kommunikationsmittel (Festnetz, Mobilfunk, E-Mail) sind schnell nicht mehr funktionstüchtig (Petermann et al. 2013: 10). In diesem Fall ist es von Vorteil, wenn kompatible alternative Kommunikationswege zwischen Katastrophenschutz und Betreiber existieren und darüber Kenntnis besteht (BBK/ MI BW 2010: 97; MILI SH 2014: 69; RP KA 2014: 13; Schmidt/Scharf 2017: 39). Des Weiteren kann Verbindungspersonal in die jeweiligen Krisenstäbe entsendet werden (BBK/MI BW 2010: 14). In gemeinsamen Übungen können entsprechende Prozesse trainiert und Verbesserungspotentiale aufgezeigt werden (vgl. BBK/MI BW 2010: 26).

84

5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Tabelle 5.5 gibt eine Übersicht über die erfragten Maßnahmen im Bezug zur Zusammenarbeit mit den KRITIS-Betreibern. Tabelle 5.5   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.2 – KRITIS-Betreiber Handlungsfeld 2.2: KRITIS-Betreiber 1

Die Folgen eines langanhaltenden Stromausfalls auf die Dienstleistungserbringung wurden abgeschätzt.

2

Es gibt Aufklärungsarbeit, die den Infrastrukturbetreiber adressiert.

3

Der Krisenansprechpartner des Betreibers ist bekannt.

4

Es ist vorgesehen, dass der Betreiber im Falle eines langanhaltenden Stromausfalls eine Verbindungsperson in den Verwaltungsstab entsendet.

5

Es sind Informationen über eigene Vorsorgemaßnahmen des Betreibers auf einen Stromausfall vorhanden.

6

Es kann mit dem Betreiber jenseits der schnell ausfallenden Kommunikationsmittel (Festnetz, Mobiltelefon, E-Mail) kommuniziert werden. Die technischen Voraussetzungen sind auch von Seiten des Betreibers gegeben.

7

Es gab schon einmal einen Austausch mit dem Betreiber zu dem Thema Stromausfall.

8

Der Austausch mit dem Betreiber findet regelmäßig statt.

9

Der Austausch findet mit mehreren Betreibern gleichzeitig statt (Runder Tisch).

10

Die Handlungslogiken der Betreiber sind bekannt, z. B. kann die Dauer der internen Prozesse abgeschätzt werden.

11

Es gibt einen gemeinsamen Plan, wie mit den Folgen eines Stromausfalls umgegangen wird.

12

Der Betreiber hat bereits an einer gemeinsamen Übung zu dem Szenario eines Stromausfalls teilgenommen.

Das Ausmaß des Austausches des Katastrophenschutzamtes mit den Betreibern kann zwischen verschiedenen Infrastruktursektoren variieren. Bei dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls steht natürlich die Stromversorgung insbesondere im Fokus, aber auch der Austausch mit Betreibern anderer kritischer Infrastrukturen kann aufgrund der zu erwartenden Kaskadeneffekte sinnvoll sein. Angesichts der zu erwartenden Varianz wurden die Maßnahmen für die einbezogenen Infrastrukturen (siehe Abschnitt 5.1) getrennt erfragt.

5.4 Maßnahmen

85

Handlungsfeld 2.3: BOS Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sind „[s]taatliche (polizeiliche und nichtpolizeiliche) sowie nichtstaatliche Akteure, die spezifische Aufgaben zur Bewahrung und/oder Wiedererlangung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrnehmen.“ (BBK 2018a: 15).

Neben den Katastrophenschutzbehörden und der Feuerwehr sind die Polizei, das Technische Hilfswerk (THW) und Hilfsorganisationen des Rettungsdienstes zentrale BOS im Katastrophenschutz (vgl. BBK 2018a: 15, 26; Gnedler 2015: 18). Traditionell arbeiten diese Organisationen eng zusammen und es wird angenommen, dass diese Zusammenarbeit im Allgemeinen gut funktioniert (Lauwe 2018: 2). Tabelle 5.6 gibt eine Übersicht über die erfragten Maßnahmen zur Zusammenarbeit mit den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Die Maßnahmen 2 bis 9 wurden getrennt für die Polizei, das THW und das Rettungswesen erfragt, um Unterschiede zwischen der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen BOS abbilden zu können. Tabelle 5.6   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.3 – BOS Handlungsfeld 2.3: BOS 1

Es gibt Aufklärungsarbeit, durch die Behörden oder Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) adressiert werden.

2

Der Ansprechpartner für den Krisenfall ist bekannt.

3

Es ist vorgesehen, dass die Behörde im Falle eines langanhaltenden Stromausfalls eine Verbindungsperson in den Verwaltungsstab entsendet.

4

Es gibt Informationen, inwieweit die Behörde in ihrem Zuständigkeitsbereich das Szenario eines Stromausfalls berücksichtigt.

5

Es gab schon einmal einen Austausch mit der Behörde über das Szenario eines Stromausfalls.

6

Dieser Austausch findet regelmäßig statt.

7

Dieser Austausch findet mit mehreren Behörden gleichzeitig statt (Runder Tisch).

8

Es gibt einen gemeinsamen Plan, wie man mit den Folgen eines Stromausfalls im jeweiligen Zuständigkeitsbereich umgeht.

9

Die Behörde hat schon mal an einer gemeinsamen Übung zu dem Szenario teilgenommen.

10

Es sind mindestens drei Möglichkeiten zur Kommunikation mit anderen Behörden mit Sicherheitsaufgaben (BOS) im Falle eines lang anhaltenden Stromausfalls gegeben, auf die zurückgegriffen werden kann.

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

Grundsätzlich sind für die Zusammenarbeit des Katastrophenschutzamtes und anderer BOS ähnliche Maßnahmen denkbar, wie bei der Zusammenarbeit mit den Betreibern kritischer Infrastrukturen. Als wichtige Ansprechpartner sollten natürlich auch hier entsprechende Kontaktdaten vorliegen (BBK/MI BW 2010: 58, 80). Der Kommunikation im Vorfeld und während der Katastrophe wird auch zwischen den BOS zentrale Bedeutung für eine gelungene interorganisationale Zusammenarbeit beigemessen (vgl. Hofinger et al. 2013). Im Vorfeld kann der damit verbundene Austausch zum Szenario eines Stromausfalls unterschiedlich stark in den Städten ausgeprägt sein. Grundsätzlich kann auch für den Kontakt mit den BOS das Modell des BKK zum integrierten Risikomanagement angewendet werden (Lauwe 2018). Ein guter Ausgangspunkt ist wieder das Einholen der Informationen über etwaige Vorsorgemaßnahmen der Polizei und des THWs. Aus diesem Kontakt kann ein einmaliger oder regelmäßiger Austausch über Synergien, Erwartungen und Herausforderungen der Organisation im Hinblick auf das Szenario erfolgen. Der Austausch kann nur zwischen Katastrophenschutzamt und einer Organisation oder in Form eines Runden Tisches mit mehreren Organisationen stattfinden. Ergebnis dieses Prozesses können dann gemeinsame Pläne sein. Auch hier sind gemeinsame Übungen zum Szenario sinnvoll, um Vereinbartes und Gelerntes zu verinnerlichen (Hofinger et al. 2013: 229 f.). Übungen und Gespräche helfen außerdem über das konkrete Szenario hinaus, „[…] gegenseitiges Verständnis für Kommunikations- und Abstimmungsbedarf zu fördern und eine Vertrauensbasis zu bilden“ (Hofinger et al. 2013: 230). Für die Kommunikation zwischen den BOS existiert ein zusätzliches nichtöffentliches Netz, der sogenannten BOS-Funk (Petermann et al. 2013: 26). Dieser wurde in den letzten Jahren sukzessive von einem analogen zu einem digitalen System umgebaut. Laut der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) wurden im Juni 2018 99 Prozent der Bundesrepublik durch das auf dem TETRA-Mobilfunkstandard basierende Digitalfunknetz abgedeckt (BDBOS 2018: 15, 18). Der analoge ­BOS-Funk soll sukzessive nach Maßgabe der Länder abgestellt werden (BDBOS 2018: 23). Kritik erntete diese Umstellung nicht zuletzt wegen der geringeren Pufferdauer des Systems bei einem Stromausfall gegenüber dem alten analogen System (Petermann et al. 2013: 26). Während das analoge System vier bis acht Stunden mit Notstrom versorgt war, ist im digitalen System grundsätzlich nur eine unterbrechungsfreie Notstromversorgung von zwei Stunden gewährleistet (Petermann et al. 2013: 26; BDBOS 2018: 37). Auch wenn diese Pufferung noch verbessert werden soll (vgl. BDBOS 2018: 37), ist es also ratsam, wenn BOS auf weitere Kommunikationsmöglichkeiten bei einem Stromausfall zugreifen können.

5.4 Maßnahmen

87

Im TAB-Bericht wird auf Satellitenkommunikation, provisorische Feldkabelnetze und die Unterstützung durch den Amateurfunk diesbezüglich verwiesen (vgl. Petermann et al. 2013: 27). Gerade die Kommunikation mit den BOS ist wichtig zur Bewältigung des Ereignisses, daher sollte auch nach Ablauf der Pufferungen des analogen oder digitalen Funks die Kommunikation noch möglich sein. Eine weitere bewährte Möglichkeit ist die Aussendung von Verbindungspersonen in die jeweiligen Krisenstäbe der Organisationen (BBK/MI BW 2010: 141; Hofinger et al. 2016: 223, 230). Diese vertreten im “fremden“ Stab jeweils die Behörde oder Organisation, aus der sie entsendet wurden (Heimann 2016: 43). Handlungsfeld 2.4: Ressorts der Verwaltung Die Ressorts der Verwaltung sind „[…] im Rahmen ihrer jeweiligen fachlichen Zuständigkeit verantwortlich, geeignete Regelungen zu schaffen und Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz ‘ihrer‘ Infrastrukturen und damit die Verfügbarkeit der Leistungen gewährleisten zu können“ (John-Koch 2014: 3). Damit Wechselwirkungen, Synergien aber auch mögliche Konflikte zwischen den ressortimmanenten Interessen frühzeitig identifiziert werden, sollten Maßnahmen über das eigene Ressort hinaus abgestimmt werden (John-Koch 2014: 3 f.). Jochen Monstadt und Martin Schmidt weisen darauf hin, dass die Ressorts sich dieser Verantwortung nicht zwangsläufiger Weise bewusst sind: „Relevant government departments are often not aware that they (and not the crisis management authorities alone) have major responsibility for theses tasks“ (Monstadt/Schmidt 2019: 2366). Im Kontrast dazu zeichnet Lauwe ein positives Bild der Zusammenarbeit und stellt fest, dass „auf strategischer Ebene […] im Bevölkerungsschutz ebenfalls ein enger Austausch statt[findet], auch über Verwaltungsebenen hinweg“ (2018: 2). Während man sich in der Forschung also weitgehend einig ist, dass die Zusammenarbeit mit den BOS in weiten Teilen gut funktioniert und mit den Betreibern kritischer Infrastrukturen wenig ausgeprägt ist, ist man sich hinsichtlich der Bewertung des Austausches mit der Verwaltung uneins. In Rahmenempfehlungen sind häufig Maßnahmen komplett allgemein, an die Kommune oder Behörden adressiert (vgl. z. B. HMDIuS o. J.a: 11; BBK/ MI BW 2010: 2). Diese allgemeinen Empfehlungen sind teilweise auch für die Ressorts einer Verwaltung anwendbar. Im Pretest hat sich jedoch gezeigt, dass für die Kooperation zwischen Katastrophenschutzamt und Ressorts ein Detailgrad vergleichbar zu der Kooperation mit BOS oder kritischen Infrastrukturen zu einem hohen Non-Response-Anteil geführt hat. Eine Ursache kann sein, dass die organisationsübergreifende Zusammenarbeit noch nicht so weit fortgeschritten ist und die Fragen daher nicht gut zu der Praxis des Katastrophenschutzes

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5  Konzeptspezifikation und Operationalisierung I

gepasst haben und daher als irritierend wahrgenommen wurden. Der Fragebogen wurde daher im Handlungsfeld angepasst und der Non-Response-Anteil konnte reduziert werden. Die Erhebung im Handlungsfeld setzt daher auf einem sehr grundlegenden Niveau an und konzentriert sich auf Kontakt und Austausch zum Szenario im Vorfeld eines Stromausfalls. In einem ersten Schritt wurde so erfragt, ob im Kontext des Szenarios bereits Kontakt zu Teilen der Verwaltung bestand. In weiteren Schritten wurde Art und Ausmaß des Austausches ermittelt (Aufklärungsarbeit, informieren und Informationen aktiv einholen, einmaliger oder regelmäßiger Austausch, bilateral oder multilateral). Tabelle 5.7 zeigt die erfragten Maßnahmen zur Zusammenarbeit mit den Ressorts der Verwaltung im Überblick. Tabelle 5.7   Maßnahmenkatalog Handlungsfeld 2.4 – Ressorts der Verwaltung Handlungsfeld 2.4: Ressorts der Verwaltung 1

Es gibt Kontakt zu der Stadtverwaltung mit thematischen Bezug zum Thema Stromausfall.

2

Es gibt Aufklärungsarbeit, die die Stadtverwaltung adressiert.

3

Es wurden bei Teilen der Stadtverwaltung Informationen darüber eingeholt, inwieweit diese Vorbereitungen auf einen Stromausfall getroffen haben oder die Möglichkeit eines Stromausfalls in ihrer Arbeit berücksichtigen.

4

Bei der Arbeit in Ihrer Behörde zum Thema „Stromausfall‟ wurden Teile der Stadtverwaltung einbezogen, indem sie z. B. über Maßnahmen informiert wurden und die Möglichkeit hatten, Feedback zu geben.

5

Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit Teilen der Stadtverwaltung zum Thema Stromausfall.

6

Es gibt einen Runden Tisch zum Thema Stromausfall, bei dem Sie sich mit allen relevanten Teilen der Stadtverwaltung zum Thema absprechen und koordinieren.

7

Es gibt einen Plan, wie bei einem Stromausfall nach dem Ausfall der üblichen Kommunikationsmittel (Festnetz, Mobiltelefon, E-Mail) der Kontakt zu relevanten Teilen der Stadtverwaltung aufrechterhalten werden kann.

Das Handlungsfeld 2.4 „Ressorts der Verwaltung“ war das letzte Handlungsfeld der sieben Handlungsfelder im Maßnahmenkatalog. Im nächsten Kapitel folgt die Auswertung der erhobenen Daten auf Grundlage des Maßnahmenkatalogs.

6

Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

In diesem Kapitel wird die erste Teilfrage der vorliegenden Forschungsarbeit auf Grundlage des vorgestellten Maßnahmenkatalogs und der durchgeführten Erhebung beantwortet. Die Frage lautet: Welche Maßnahmen werden von den Katastrophenschutzämtern deutscher Großstädte zur Erhöhung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall ergriffen? Die Erhebung zeigt, dass sich 82 Prozent und damit der weit überwiegende Teil der Katastrophenschutzämter mit dem Szenario eines überregionalen, langanhaltenden Stromausfalls beschäftigt haben oder derzeit beschäftigen. Abbildung 6.1 zeigt das Verhältnis der Antworten auf die diesbezügliche Frage.

Abbildung 6.1   Auseinandersetzung mit dem Szenario © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_6

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90

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

Von den verbleibenden 18 Prozent setzen sich 6 Prozent der Katastrophenschutzämter mit dem Szenario im geringeren Umfang auseinander. 12 Prozent der Katastrophenschutzämter geben an, dass sie sich noch gar nicht mit dem Thema in der Behörde auseinandergesetzt haben. Im Folgenden werden nur die Aktivitäten jener Städte näher betrachtet, die angeben sich mit dem Szenario auseinandergesetzt zu haben oder zur Zeit der Befragung sich mit ihm auseinanderzusetzen. Städte, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema grundsätzlich verneint haben, oder diese nur im geringerem zeitlichen oder räumlichen Umfang bejahen, sind nicht Teil der weiteren Ausführung. Die Darstellung orientiert sich dabei entlang der Dimensionen und Handlungsfelder des Aktivitätslevels.

6.1 Dimension 1: Katastrophenschutzamt Die Dimension 1 gliedert sich in die Handlungsfelder „Einsatzkräfte“, „Notstrom“ und „Treibstoff“.

6.1.1 Handlungsfeld 1.1: Einsatzkräfte Abbildung 6.2 zeigt, wie groß der Anteil der Katastrophenschutzämter ist, die die jeweilige Maßnahme im Handlungsfeld 1.1 ergreifen, gemessen an der Anzahl der Katastrophenschutzämter, die angeben, sich grundsätzlich mit dem Szenario auseinanderzusetzen.

6.1  Dimension 1: Katastrophenschutzamt

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Abbildung 6.2   Handlungsfeld 1.1 – Einsatzkräfte

Alle erfragten Maßnahmen im Handlungsfeld werden von Teilen der deutschen Katastrophenschutzämter ergriffen. Über 80 Prozent der Städte geben an, eine Abschätzung der Folgen eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls für den eigenen Betrieb durchgeführt zu haben. Da es sich um eine der grundlegendsten Arten der Auseinandersetzung handelt, war ein sehr hoher Wert unter den Städten, die eine Auseinandersetzung mit dem Szenario bejaht haben, zu erwarten. In einem Drittel der Fälle, in denen eine Abschätzung getroffen wurde, wurde diese jedoch nicht den Einsatzkräften kommuniziert. Diese Kommunikation wäre im Vorfeld jedoch sehr sinnvoll, da Kommunikationsprozesse während eines Stromausfalls ungleich schwerer zu gestalten sind. In diesem Licht kann auch die Nutzung einer Alarmierungsabsprache als alternativer Alarmierungsmittel gesehen werden, die nur von circa

92

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

20 Prozent der Städte genutzt werden. Das Aufstellen eines Personalplans, der die geringere Verfügbarkeit von Personal berücksichtigt, wurde von circa einem Drittel der Katastrophenschutzämter vorgenommen. Ebenso ein Drittel der Städte hat eine Trink- und Nahrungsmittelbevorratung für ihre Einsatzkräfte. Sofern in diesen Fällen auch keine entsprechenden Lieferabsprachen getroffen wurden, kann dies zu weiteren Einbußen bei der Personalverfügbarkeit führen. Die Einsatzkräfte müssen sich in diesen Fällen voraussichtlich anderweitig und unter zunehmend schwierigen Bedingungen versorgen und stehen in dieser Zeit nicht für den Einsatz zur Verfügung. Die Familien der Einsatzkräfte wurden bei der Bevorratung in unter zehn Prozent der Fälle, also sehr selten, berücksichtigt. Im Resultat kann dies zum gleichen Effekt wie eine fehlende Bevorratung für die Einsatzkräfte selbst führen. Im Kontrast zu den geringen Werten bei der Personalplanung und Bevorratung steht, dass in über 50 Prozent der Städte Einsatzkräfte schon an Übungen zum Szenario teilgenommen haben. Eine Übung kann nicht nur dazu beitragen, Gelerntes zu trainieren, sondern auch neue Lernbedarfe aufzuzeigen. Es ist positiv zu bewerten, dass diese häufig ein Teil der Auseinandersetzung mit dem Szenario ist. Insgesamt zeigen die Werte, dass in rund der Hälfte der Fälle die Einsatzkräfte durch Übungen oder der Kommunikation einer Folgenabschätzung über mögliche Konsequenzen des Szenarios informiert sind. Dagegen treffen wenige Städte Vorkehrungen im Sinne eines angepassten Personalplans und einer Bevorratung für ihre Einsatzkräfte. Dies könnte zur Folge haben, dass entsprechende Behörden durch eine geringere Personalstärke beim Eintreten des Szenarios überrascht sind und Einsatzpläne auf unrealistische Annahmen aufbauen.

6.1.2 Handlungsfeld 1.2: Notstrom Abbildung 6.3 zeigt den Anteil der Katastrophenschutzämter, welche die verschiedenen Maßnahmen im Handlungsfeld 1.2 durchführen oder durchgeführt haben, gemessen an den im Themenfeld aktiven Katastrophenschutzämtern.

6.1  Dimension 1: Katastrophenschutzamt

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Abbildung 6.3   Handlungsfeld 1.2 – Notstrom

Fast alle Katastrophenschutzämter dieser Städte (98 Prozent) kennen den Notstrombedarf des eigenen Amtes bzw. der Feuerwehr und 90 Prozent haben auch einen Plan, wie sie diesen decken können. Während der Notstrombedarf und seine Deckung also fast von allen Katastrophenschutzämter beachtet wird, richtet ein deutlich kleinerer Teil der Ämter den Blick über die eigene Behörde hinaus. Halb so viele Katastrophenschutzämter wie jene, die Pläne für die eigene Bedarfsdeckung haben (45 Prozent), haben eine Auflistung über Einrichtungen in der Stadt erstellt, die Auskunft darüber gibt, welche Einrichtungen schnell wieder mit Strom versorgt sein sollten. Fast genauso viele Katastrophenschutzämter haben Notstromaggregate, die sie für Dritte vorhalten. Diese übernehmen also bei der Notstromversorgung nicht nur eine Koordinationsleistung, sondern in Teilen zudem die Versorgung anderer Einrichtungen. 30 Prozent haben darüber hinaus einen Plan, an welcher Stelle diese „zusätzlichen“ Aggregate zum Einsatz kommen. Während also der Anteil der Städte, der den Blick im Handlungsfeld einzig auf den eigenen Betrieb richtet, erheblich von dem abweicht, der auch weitere Einrichtungen der Stadt in den Blick nimmt, ist kaum ein Unterschied zwischen dem Anteil der Städte, der den Blick nach außen gerichtet hat und jenem, der die Versorgungsleistungen für Dritte trägt, festzustellen. Dies ist nicht selbstverständlich. Eine Priorisierung der Notstromaggregate könnte auch lediglich dazu dienen, einen Überblick über die Bedarfe in der Stadt zu erlangen und

94

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

zur Koordination und Planung dienen. Dies könnte sich zum Beispiel in einer Abfrage der Vorkehrungen für einen Stromausfall bei den Einrichtungen, die in der Priorisierung obere Plätze erhalten haben, durch das Katastrophenschutzamt widerspiegeln. Die Erhebung zeigt jedoch, dass wenn eine Priorisierung vorgenommen wurde, sie häufig damit einhergeht, dass das Katastrophenschutzamt auch Aggregate zur Versorgung von Dritten bereithält.

6.1.3 Handlungsfeld 1.3: Treibstoff Abbildung 6.4 zeigt den Anteil der Städte pro Maßnahme in Prozent, die die jeweilige Maßnahme im Handlungsfeld 1.3 „Treibstoff“ durchführen oder durchgeführt haben, gemessen an den aktiven Städten insgesamt.

Abbildung 6.4   Handlungsfeld 1.3 – Treibstoff

6.2  Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern

95

Die Verteilung der Prozentsätze auf die Maßnahmen ähnelt der Verteilung im Handlungsfeld „Notstrom“. Es sind sehr hohe Werte bei der Bedarfsermittlung und Bedarfsdeckung festzustellen. Über 90 Prozent der Katastrophenschutzämter kennen ihren eigenen Treibstoffbedarf und circa 80 Prozent wissen, wie sie diesen decken können. Damit verfügen die Katastrophenschutzämter, der Städte die über Aggregate und Treibstoff verfügen, über zwei der grundlegendsten Ressourcen für einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall, um als Behörde für sich genommen handlungsfähig zu bleiben. 60 Prozent der Katastrophenschutzämter haben über den eigenen Bedarf hinaus Zugriff auf Treibstoff, der anderen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden könnte. Dies passt gut dazu, dass ebenfalls ungefähr 60 Prozent der Ämter Zugriff auf eine notstromversorgte Tankstelle haben. Treibstoff ist damit häufiger über den eigenen Bedarf des Katastrophenschutzamtes verfügbar, als dies für Notstromaggregate der Fall ist. Bei der Frage danach, an welchen Stellen dieser Treibstoff zum Einsatz kommt, ähnelt der Prozentsatz mit 30 Prozent dem Anteil der Städte, die diese Planung im Bereich Notstrom hat.

6.2 Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern Nach Darstellung der Ergebnisse für die getroffenen Maßnahmen der Katastro­ phenschutzämter in den Handlungsfeldern „Einsatzkräfte“, „Treibstoff“ und „Notstrom“, geht es in der Dimension 2 um die interorganisationale Zusammenarbeit der Katastrophenschutzämter mit den verschiedenen Stakeholdern der Stadt. Diese sind die „Bevölkerung“, „KRITIS-Betreiber“, „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS)“ und die „Ressorts der Verwaltung“.

6.2.1 Handlungsfeld 2.1: Bevölkerung Abbildung 6.5 zeigt, wie groß der Anteil der Katastrophenschutzämter ist, der die jeweilige Maßnahme im Handlungsfeld 2.1 ergreift, gemessen an der Anzahl der Katastrophenschutzämter, die angeben, sich grundsätzlich mit dem Szenario auseinanderzusetzen.

96

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

Abbildung 6.5   Handlungsfeld 2.1 – Bevölkerung

In circa 60 Prozent der aktiven Städte wurde eine Abschätzung der Folgen für die Bevölkerung vorgenommen. Damit werden die Folgen für die Bevölkerung seltener abgeschätzt als die Folgen für den eigenen Betrieb, aber ähnlich häufig wie für kritische Infrastrukturen, wie beispielsweise die Stromversorgung oder die Wasserversorgung.

6.2  Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern

97

In über 50 Prozent gibt es Aufklärungsarbeit, die die Bevölkerung adressiert. Dieser relativ hohe Wert überrascht, wenn man sich das geringe Notfallwissen der Bevölkerung gerade in Städten im Vergleich betrachtet (Sandholz et al. 2019: 29). Es ist jedoch positiv zu bewerten, dass es offensichtlich Anstrengungen durch viele kommunale Katastrophenschutzämter gibt, Aufklärungsarbeit zum Szenario zu betreiben. Das mangelnde Wissen in der Bevölkerung könnte also eventuell an den gewählten Informationskanälen, der Aufbereitung oder der Bereitschaft der Bevölkerung zur Auseinandersetzung mit der Thematik liegen. Umso wichtiger erscheint es, dass in Form der „Bevölkerungsschutzpädagogik“ inzwischen ein Forschungsfeld existiert, das sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und in Zukunft Hilfestellungen für kommunale Katastrophenschutzämter vorbereiten kann (vgl. Karutz/Mitschke 2018a). Das in der Art und Weise der Kommunikation und der Betrachtung der Bevölkerung noch Nachholbedarf besteht, zeigen auch die geringen Prozentwerte bei den Maßnahmen im Kontext des Einbezugs vulnerabler Bevölkerungsgruppen. In mehr als der Hälfte der Fälle sind diese nur in deutscher Sprache verfügbar. In circa 20 Prozent gibt es eine Aufstellung, wie viele Hilfs- und Pflegebedürftigen es in der Stadt gibt und in genauso vielen Städten gibt es einen Plan dafür, wie mit Pflegebedürftigen bei Eintreten des Szenarios umgegangen wird. Circa 60 Prozent der Katastrophenschutzämter haben einen Plan zur Kommunikation mit der Bevölkerung nach dem Ausfall der üblichen Kommunikationsmittel. Das sind mehr Katastrophenschutzämter als im Vorfeld eines Stromausfalls in Form von Aufklärungsarbeit das Gespräch mit der Bevölkerung suchen. Ebenfalls circa 60 Prozent planen die Einrichtung einer Informations- und Betreuungsstelle für die Bevölkerung. Dass in keiner dieser Städte die Bevölkerung über Ort und Funktion dieser Stellen bereits informiert wurde, zeigt wie wenig die aus technischer Sicht guten Kommunikationsbedingungen in ruhigen Zeiten sich zu Nutzen gemacht werden. In knapp über zehn Prozent der Städte gibt es einen Plan, wie die Zivilbevölkerung in die Bewältigung der Krise eingebunden werden kann. In keiner der Städte haben Teile der Bevölkerung bereits an einer gemeinsamen Übung teilgenommen. Der Mangel an Konzepten zur Einbindung der Bevölkerung in den Katastrophenschutz (vgl. Lorenz 2010: 32 f.; Beerlage 2018: 9–12), spiegelt sich in diesen geringen Werten wider. Städte, die zur Einbindung der Zivilbevölkerung bereits Pläne entwickelt haben, können als Pioniere in dieser Hinsicht gelten. In zehn Prozent der Städte gibt es einen Plan, wie die Ver- und Zuteilung knapper werdender Ressourcen erfolgt. Nur wenn im Vorfeld für den Umgang mit diesen Ressourcen ein Plan existiert, können auch entsprechende Vorbereitungen, wie z. B. der Druck von Wertmarken, erfolgen. Die Umverteilungsmaßnahmen, bei denen gesellschaftliche Gruppen um Ressourcen konkurrieren, sind kontrovers

98

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

und können als illegitim wahrgenommen werden (vgl. Knill/Tosun 2012: 17). Es ist möglich, dass die Verteilung knapper werdender Ressourcen gerade deswegen nicht gerne in den Katastrophenschutzämtern berührt wird. Hilfestellungen durch eine höhere politische Ebene, die über den Appell zu Vorplanung hinausgehen, können zu dieser heiklen Frage sinnvoll sein.

6.2.2 Handlungsfeld 2.2: KRITIS-Betreiber Die Maßnahmen im Handlungsfeld 2.2 „KRITIS-Betreiber“ wurden getrennt nach den Infrastrukturbereichen „Energie (Strom)“, „Energie (Gas/Öl)“, „Wasserversorgung“, „Abwasserentsorgung“, „Telekommunikation/IT“ und „Transport/Verkehr“ abgefragt. Abbildung 6.6 zeigt den Anteil der Städte, der die Maßnahmen bejaht hat, aufgegliedert nach diesen Infrastrukturbereichen.

Abbildung 6.6   Handlungsfeld 2.2 – KRITIS-Betreiber

6.2  Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern

99

Betrachtet man die Zusammenarbeit zunächst entlang der Sektoren, so ist festzustellen, dass die Zusammenarbeit mit den Infrastrukturbetreibern im Bereich „Strom“ am weitesten ausgeprägt ist. Da das Szenario einen Ausfall dieser Versorgungsleistung vorsieht, ist das erwartungsgemäß. Ähnlich ausgeprägt ist die Zusammenarbeit mit Betreibern in den Bereichen „Wasser“ und „Energie (Gas/ Öl)“, mit leichten Abstand steht dazu der Bereich „Abwasser“. Anders als durch den Forschungsstand zu vermuten war (vgl. Monstadt/Schmidt 2019: 2361 f.), sind für die genannten vier Betreiber der Krisenansprechpartner in über 90 Prozent der Fälle bei den Katastrophenschutzämtern nach eigener Aussage bekannt. Auch ist für diese Themenbereiche häufig geplant, Verbindungspersonen in den Krisenstab bei Eintreten des Szenarios zu integrieren. Beides wird nur in 60 Prozent der Fälle für den Bereich „Transport/Verkehr“ und in unter 50 Prozent für den Bereich „Telekommunikation/IT“ angegeben. Damit ist die Zusammenarbeit in diesen Infrastrukturbereichen am wenigsten ausgeprägt. Häufig gab es schon mal einen Austausch zu dem Szenario zwischen dem Katastrophenschutzamt mit den Betreibern (80 % Strom, 65 % Gas/Öl, 65 % Wasser, 53 % Abwasser), dieser ist aber nur in rund einem Drittel dieser Fälle regelmäßig und noch seltener in Form eines Runden Tisches institutionalisiert. In dieser Hinsicht kann der Befund von Monstadt und Schmidt durch diese Studie untermauert werden, demzufolge „[…] knowledge exchange on potential vulnerabilities of individual domains or assets, local risk analysis across infrastructure systems […] is hardly institutionalised“ (2019: 2363). Ein gemeinsamer Plan existiert sehr selten. Für die Bereiche „Energie (Strom)“, „Energie (Gas/Öl)“, „Wasser“ und „Abwasser“ gilt dies für nur 10 Prozent der aktiven Städte, für den Bereich „Transport/Verkehr“ und „Telekommunikation/IT“ in unter 10 Prozent. Es ist abzuwarten, ob der Leitfaden zum integrierten Risiko- und Krisenmanagement des BBKs (Lauwe 2018) effektiv zu höheren Zahlen im Bereich der regelmäßigen und multilateralen Arrangements führen kann. Über 30 Prozent der Energieversorger (Strom und Gas/Öl) haben schon mal an einer gemeinsamen Übung mit dem Katastrophenschutzamt zu dem Szenario eines Stromausfalls teilgenommen. Für die Bereiche „Wasser“, „Abwasser“ und „Transport/Verkehr“ trifft dies auf etwa 20 Prozent zu. Der Bereich „Telekommunikation/ IT“ ist mit 13 Prozent Schlusslicht bei der Teilnahme an gemeinsamen Übungen. Damit sind in circa der Hälfte der Fälle, in denen das Szenario von Einsatzkräften beübt wurde, auch mindestens ein Infrastrukturbetreiber beteiligt gewesen. Circa ein Drittel der Katastrophenschutzämter gibt an, dass die Handlungslogiken im Bereich der Energieversorgung (Strom und Gas/Öl) bekannt sind. Bei den Bereichen „Wasser“ und „Abwasser“ trifft das auf circa ein Viertel der Katastrophenschutzämter zu. Bei den verbleibenden zwei Sektoren „Transport/Verkehr“ sowie „Telekommunikation/IT“ sind dies noch unter 10 Prozent.

100

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

6.2.3 Handlungsfeld 2.3: BOS Im Rahmen der Erhebung konnte festgestellt werden, dass kaum ein Unterschied zwischen dem Ausmaß der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zum Szenario existiert. Da der Kontakt des Katastrophenschutzamtes zu den großen BOS im Themenfeld gleich verteilt ist, wird auf eine nach den BOS getrennte Darstellung verzichtet. In Abbildung 6.7 wurden die Maßnahmen als gegeben bewertet, wenn die Maßnahme für mindestens zwei der Organisationen bejaht wurde.

Abbildung 6.7   Handlungsfeld 2.3 – BOS

6.2  Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern

101

Nahezu 100 Prozent der Katastrophenschutzämter geben an, die Krisenansprechpartner der BOS zu kennen und damit zu planen, bei Eintreten des Szenarios Verbindungspersonen auszutauschen. Werte an die 100 Prozent überraschen bei diesen Maßnahmen nicht, da die Organisationen in vielen Bereichen eng zusammenarbeiten müssen. 60 Prozent der Ämter hatten bereits einen Austausch zu dem Szenario, dieser ist aber nur in einem Drittel dieser Fälle regelmäßig. Dagegen war in der Hälfte der Fälle der Austausch in Form eines runden Tisches mit mehreren BOS gleichzeitig organisiert. Ähnlich selten wie mit KRITIS-Betreiber geben nur circa 10 Prozent der Katastrophenschutzämter an, einen gemeinsamen Plan mit anderen BOS zum Umgang mit den Folgen eines Stromausfalls zu haben. Die Kommunikation und gemeinsame Planung zwischen den BOS zum Szenario ist damit nicht häufiger vorhanden als mit Infrastrukturbetreiber im Bereich „Energie (Strom)“. Dies überrascht angesichts der vorherrschenden Annahme, dass die Zusammenarbeit zwischen den BOS besonders ausgeprägt ist (vgl. Lauwe 2018: 2). Die Kommunikation über mehrere Parteien hinweg in Form eines Runden Tisches unter den BOS gelingt dagegen häufiger als mit mehreren Infrastrukturbetreibern. Offensichtlich nehmen sich die BOS trotz unterschiedlicher „Organisationskulturen und Berufskulturen“ (Hofinger et al. 2013: 215) eher als Team wahr, als dies unter den Infrastrukturbetreibern der Fall ist. Des Weiteren ist bei den BOS die Übung ein vertrautes Instrument zum Lernen und Trainieren. Mit fast 40 Prozent der Ämter haben diese im Vergleich zwischen den Stakeholdern am häufigsten andere BOS in Übungen zu einem Stromausfall einbezogen.

6.2.4 Handlungsfeld 2.4: Ressorts der Verwaltung Abbildung 6.8 zeigt, wie groß der Anteil der Katastrophenschutzämter ist, die die jeweilige Maßnahme im Handlungsfeld 2.4 ergreifen, gemessen an der Anzahl der Katastrophenschutzämter, die angeben, sich grundsätzlich mit dem Szenario auseinanderzusetzen.

102

6  Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

Abbildung 6.8   Handlungsfeld 2.4 – Stadtverwaltung

Es ist zu erkennen, dass über 70 Prozent der Ämter angeben, bereits in Kontakt zu Teilen der Verwaltung zu dem Thema gestanden zu haben. Ein geringfügig kleinerer Anteil gibt an, bereits Aufklärungsarbeit gegenüber Teilen der Verwaltung geleistet zu haben. Damit ist die Verwaltung der häufigste Adressat der Aufklärungsarbeit des Katastrophenschutzamtes. Abbildung 6.9 zeigt welche

6.2  Dimension 2: Zusammenarbeit mit Stakeholdern

103

Infrastrukturbereiche dabei im Fokus stehen. Die Aufklärungsarbeit richtet sich dabei am häufigsten an Ressorts, die mit dem Infrastrukturbereich „Energie“ befasst sind, dicht gefolgt von Ressorts mit thematischer Verbindung zu „Telekommunikation/IT“, „Wasserversorgung“ und „Abwasserentsorgung“. Deutlich seltener werden mit der Aufklärungsarbeit Ressorts mit Verbindung zu „Verkehr und Transport“ adressiert. In der Gestaltung des Austausches lassen sich ähnliche Muster, wie bei anderen Stakeholdern feststellen. Viele Katastrophenschutzämter haben schon mal Informationen bei einem Amt zu der Berücksichtigung der Möglichkeit eines Stromausfalls eingeholt. Fast genauso viele haben über ihre eigene Arbeit schon einmal in Teilen der Verwaltung informiert und Möglichkeiten zum Feedback gegeben. Deutlich seltener gibt es einen regelmäßigen Austausch oder einen Runden Tisch mit mehreren Ressorts gleichzeitig. Insgesamt sind die Werte zum Austausch mit der Verwaltung niedriger als beim Austausch mit den BOS oder den Betreibern kritischer Infrastrukturen (mit Ausnahme des Bereichs „IT/Telekommunikation“). Für die Möglichkeit zur Kommunikation mit der Stadtverwaltung nach Ausfall der üblichen Kommunikationsmittel (Festnetz, Mobilfunk, E-Mail) verfügen 30 Prozent der Ämter über einen Plan. Damit existieren für die Kommunikation während eines Stromausfalls mit der Verwaltung ähnlich häufig Pläne, wie zur Kommunikation mit Infrastrukturbetreibern in den Bereichen „Energie“ und „Wasserversorgung“.

Abbildung 6.9   Handlungsfeld 2.4 – Stadtverwaltung, Aufklärungsarbeit

7

Zwischenfazit I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

Insgesamt befassen sich 82 Prozent der Katastrophenschutzämter der Erhebung mit dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls. In diesen 82 Prozent wurden Ausrichtung und Ausmaß der Maßnahmen untersucht. Abbildung 7.1 zeigt eine Übersicht über die Mittelwerte der getroffenen Maßnahmen der Katastrophenschutzämter im Verhältnis zu den abgefragten Maßnahmen im jeweiligen Themengebiet sowie ein Mittel dieser Werte je Dimension (Katastrophenschutzamt; Zusammenarbeit mit Stakeholdern).

Abbildung 7.1   Mittelwerte je Dimension und Themengebiet © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_7

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7  Zwischenfazit I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

Es ist zu erkennen, dass in der ersten Dimension (Katastrophenschutzamt) im Mittel mehr Maßnahmen bejaht wurden, als dies bei der zweiten Dimension (Zusammenarbeit mit Stakeholdern) der Fall ist. Die Anzahl der getroffenen Maßnahmen im Themengebiet „Einsatzkräfte“ weichen dabei in der ersten Dimension deutlich nach unten ab. Bei der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stakeholdern wurden prozentual am meisten Maßnahmen bei der Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bejaht und am wenigsten bei der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. In der ersten Dimension ist positiv zu vermerken, dass der Notstrom- und Treibstoffbedarf in der Regel für den eigenen Betrieb bekannt sind und gedeckt werden können. Besonders interessant erscheint in diesem Kontext, dass jene Städte, die eine Priorisierung für die Notstromversorgung weiterer Einrichtungen der Stadt treffen, auch in der Regel dabei helfen, einen Teil dieses Bedarfs zu bedienen. Dies kann ein Ausdruck der Herausforderung der Katastrophenschutzämter sein, zwar zu koordinieren, aufzuklären und zu initiieren, aber auch deutlich zu kommunizieren, dass die Verantwortung zur konkreten Vorsorge bei den Einrichtungen selbst liegt. Des Weiteren ist es erfreulich festzustellen, dass in über der Hälfte der Fälle die Einsatzkräfte bereits an einer Übung zu dem Szenario eines Stromausfalls teilgenommen haben. In rund einem Drittel der Fälle nehmen an dieser Übung auch BOS und/oder einzelne Infrastrukturbetreiber teil. Im Kontrast dazu kann besonderer Nachholbedarf innerhalb der ersten Dimension bei der Personalplanung gesehen werden. Den Einsatzkräften werden getroffene Folgeabschätzungen nicht durchgängig kommuniziert und in circa zwei Drittel der Fälle liegen keine Personalpläne vor, die die geringe Verfügbarkeit von Einsatzkräften und deren Versorgung bedenken. Auch Alarmierungsabsprachen werden nur selten getroffen. In der Dimension 2 ist zu erkennen, dass viele Katastrophenschutzämter den Blick bereits in irgendeiner Form nach außen wenden. Der Einbezug der Betreiber kritischer Infrastrukturen erfolgt teils weiter, als es der Forschungsstand vermuten ließ (vgl. Monstadt/Schmidt 2019: 2361 f.), so sind in den meisten Fällen die Krisenansprechpartner der Betreiber den Katastrophenschutzämtern bekannt. Eine Ausnahme bildet der Bereich der „Telekommunikation/IT“, der zusammen mit dem Sektor „Transport/Verkehr“ bei der Zusammenarbeit mit den KRITIS-Betreibern und mit den Ressorts der Stadtverwaltung das Schlusslicht bildet. Für die Zusammenarbeit mit den Infrastrukturbetreiber wie auch BOS und Verwaltung ist positiv festzustellen, dass es häufig bereits einen einmaligen Austausch zum Szenario gab. Die vorliegende Arbeit

7  Zwischenfazit I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter

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bestärkt den Befund des Forschungsstandes, dass der Informationsaustausch selten institutionalisiert ist (vgl. Monstadt/Schmidt 2019: 2363). Nur in wenigen Ämtern wird der Austausch regelmäßig oder in Form eines Runden Tisches mit mehreren Parteien gleichzeitig geführt. Die Rolle des Initiators wird in weiten Teilen durch die Katastrophenschutzämter angenommen. Dies ist durch recht hohe Prozentwerte im Bereich der Aufklärungsarbeit erkennbar. Die Verwaltung ist am häufigsten Adressat der Aufklärung. Angesichts des geringen Notfallwissens eines Großteils der Bevölkerung (vgl. Lorenz 2010: 33–40; Schippers 2016: 6; Sandholz et al. 2019: 29), überrascht es, dass über 50 Prozent der im Themenfeld aktiven Ämter angeben, Aufklärungsarbeit zu betreiben, die die Bevölkerung adressiert. Dennoch bleibt das Handlungsfeld eines mit dem größten Nachholbedarf. Die Bevölkerung wird häufig durch die Katastrophenschutzämter noch als homogener Akteur wahrgenommen. Dies zeigt sich daran, dass vulnerable Bevölkerungsgruppen nur von rund 20 Prozent der Ämter, die sich mit dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls beschäftigen, berücksichtigt werden. Getroffene Vorkehrungen, wie geplante Informations- und Betreuungsstellen, werden im Vorfeld bei guten technischen Kommunikationsbedingungen der Bevölkerung nicht vermittelt. Auch gibt es bisher wenig Ansätze, die Bevölkerung aktiv im Vorfeld einzubinden. Der Mangel an Konzepten diesbezüglich spiegelt sich in der Praxis wider. Insgesamt kann auf Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, das Fazit des TAB-Berichts, dass ein langanhaltender, großflächiger Stromausfall einer „nationale[n] Katastrophe“ (Petermann et al. 2013: 239) gleichkäme, deren Bewältigung im Ungewissen liegt, nicht entschärft werden. Während einige Maßnahmen fast immer getroffen werden, hierzu zählen zum Beispiel die Bedarfsermittlung und -deckung von Notstrom und Treibstoff, müssen andere Maßnahmen, wie z. B. gemeinsame Pläne mit Infrastrukturbetreibern oder BOS, als Ausnahme gelten. Die Untersuchung hat dazu beigetragen, ein differenzierteres Bild der Aktivitäten zu zeichnen, als dies bisher durch den Forschungsstand möglich war. Aber nicht nur zwischen den Handlungsfeldern und Maßnahmen gibt es Variationen, sondern auch zwischen den Städten selbst. So gibt es Städte, die schon einige Maßnahmen ergreifen, während andere keine oder nur in sehr geringem Umfang Vorbereitungen treffen. Auf diese Verteilung kann ein genauerer Blick im zweiten Teil der Arbeit geworfen werden. In diesem geht es darum, die Einflussfaktoren auf die Unterschiede im Aktivitätslevel zwischen den Städten und ihre Wirkung zu ermitteln.

Teil III Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

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Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Das vorliegende Kapitel bereitet die Durchführung der zweiten Analyse zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage in Kapitel 9 vor. Die zweite Fragestellung der Arbeit lautet: Welche Faktoren führen zu einem hohen Aktivitätslevel der kommunalen Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte zur Stärkung der Urbanen Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall? Zu Beginn des Kapitels werden die potentiellen Einflussfaktoren auf die Quantität der durchgeführten Maßnahmen der lokalen Katastrophenschutzämter vorgestellt. Um den Einfluss dieser auf die Quantität der durchgeführten Maßnahmen, d. h. das Aktivitätslevel zu untersuchen, wird eine Qualitative Comparative Analysis (QCA) durchgeführt. Im Fortgang des Kapitels wird die Wahl der Methode begründet und die Grundlagen der QCA dargelegt (Abschnitt 8.2). Darauffolgend wird das Vorgehen in der QCA für die vorliegende Forschung spezifiziert. Darauf folgt die Quantifizierung und Kalibrierung des Outcomes sowie der Bedingungen (Abschnitt 8.3). Zuletzt werden Basishypothesen aufgestellt, die dazu dienen, die Analyse zu strukturieren (Abschnitt 8.4).

8.1 Einflussfaktoren Im Abschnitt 2.4 „Forschungsstand und Forschungslücke“ wurde dargestellt, dass die bisherige Forschung auf wenigen Einzelfallstudien aufbaut, die jedoch entweder den Katastrophenschutz im Allgemeinen oder die Arbeit zum Schutz kritischer Infrastrukturen ohne spezifische Akteursperspektive betrachtet. Der Forschungsstand liefert einige Hinweise für die Einflussfaktoren, die hinsichtlich des Forschungsgegenstands untersucht werden sollten. Ergänzt werden diese © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_8

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

durch Forschungserkenntnisse der vergleichenden Staatstätigkeit, Urban Studies und Hinweisen aus den Gesprächen mit Praktikern und Experten im Themengebiet. Insgesamt konnten so zehn Faktoren identifiziert werden, von denen begründet vermutet wird, dass sie Einfluss auf das Ausmaß der Aktivität einer Stadt in Vorbereitung auf einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall haben. Die Faktoren können in „Rahmenfaktoren“ und „Faktoren der Lokalen Politik“ untergliedert werden. Abbildung 8.1 gibt eine Übersicht.

Abbildung 8.1   Einflussfaktoren auf das Aktivitätslevel

8.1.1 Rahmenfaktoren Im Set „Rahmenfaktoren“ werden jene Faktoren mit potenziellen Einfluss auf das Ausmaß der Aktivität im Themenfeld zusammengefasst, die nicht im unmittelbaren Gestaltungsspielraum der lokalen Politik oder Verwaltung liegen.

8.1 Einflussfaktoren

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Kritisches Ereignis Der Erfahrung mit einer Katastrophe, Krise, Funktionsunterbrechung oder einem kritischen Ereignis wird in der Forschungsliteratur große Bedeutung für die Arbeit im Katastrophenschutz beigemessen (vgl. Maduz et al. 2016: 8 f.; Monstadt/Schmidt 2019: 2365). Durch den Begriff „Katastrophe“ wird einem Ereignis, wie z. B. einem Hochwasser, eine besondere Qualität zugeschrieben. Die Zuschreibung stellt das Erlebte im Kontrast zum Normalzustand und kann daher als „Kulturprodukt“ (Voss/Dittmer 2016: 180) bezeichnet werden. Wann die Bezeichnung eines Ereignisses als Katastrophe angebracht oder geboten ist, ist „[…] stets das Produkt von Kämpfen um Macht“ (Voss/Dittmer 2016: 182). Hommels et al. hingegen sprechen im Zusammenhang der Infrastrukturforschung von „Critical Events“ (2013: 266), die entscheidend für die Wahrnehmung der Vulnerabilität eines Systems seien. Diese können als „[…] Einzelereignisse […], die zum Funktionsausfall eines technischen Systems führen“, interpretiert werden (Engels 2018a: 25). Es wird angenommen, dass in solchen Städten, mit einer Erfahrung mit einem nicht näher spezifizierten Ereignis, ein größeres Bewusstsein für Risiken besteht (vgl. Hommels 2013: 266; Monstadt/Schmidt 2019: 2365). Monstadt und Schmidt gehen darüber hinaus davon aus, dass in Folge des Ereignisses, die Politik für die Versäumnisse im Katastrophenschutz in Kritik gerät (2019: 2365). Das allgemeine Niveau der Katastrophenvorsorge wird dann unabhängig von der Art des Ereignisses als höher eingestuft (ebd.). Die Art des Ereignisses – z. B. definiert über die Ursache (z. B. Sturm) – führe jedoch zu einem Fokus rund um das erlebte Ereignis (Prior/Roth 2013: 26; Monstadt/Schmidt 2019: 2365). Prior und Roth sehen hier die Grenze des Potentials vergangener Ereignisse für die zivile Verteidigung: „If past experiences become the sole source of learning, organizations will only prepare for the (proverbial) last war, but not the next war“ (Prior/Roth 2016: 24). In Städten ohne Erfahrung mit einer Unterbrechung der Versorgungsleistung sind laut Monstadt und Schmidt die politische Aufmerksamkeit und Gewichtung des Katastrophenschutzes sowie daraus folgende Ausstattung des Katastrophenschutzes mit Ressourcen geringer (2019: 2367). Eine andere Argumentation verfolgen Prior und Roth, die statt auf die Ressourcenallokation in Folge politischer Aufmerksamkeit, den Fokus auf die Möglichkeit von Lernprozesse, die aus vergangenen Ereignissen folgen können, legen (Prior/Roth 2016). Dieser erweist sich, in den von ihnen gewählten Fallstudien jedoch keinesfalls als Automatismus, sondern voraussetzungsvoller Prozess. So können zum Beispiel fehlender Wille zum Lernen seitens der Organisation, die Kultur der Organisation sowie fehlende Institutionalisierung von Evaluations- und

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­ ernprozessen dem Lernen entgegenstehen (Prior/Roth 2016: 22 f.). In beiden L Ansätzen kann das Ereignis als Impuls für die beschriebenen Prozesse aufgefasst werden. Nun ist es plausibel anzunehmen, dass nicht jedes „Critical Event“, d. h. Einzelereignis, das einen Funktionsausfall zur Folge hat, geeignet ist, die beschriebenen Prozesse auszulösen. Es ist davon auszugehen, dass für die Deutung des Ereignisses durch Akteure der Stadt auch die Folgen des Ereignisses relevant sind. Interessant ist hierbei, dass laut Hommels et al. diese Folgen nicht beim Endkunden spürbar sein müssen, sondern auch nur die Betreiber betreffen und trotzdem einen Impuls darstellen können (Hommels et al. 2013: 266). Dies könnte darauf verweisen, dass nicht nur erlebte Folgen, sondern auch erfolgreich verhinderte Folgen, relevant für die Deutung des Ereignisses sind. Diese stehen wiederum im engen Zusammenhang mit der Abhängigkeit der betroffenen Gesellschaft zum Zeitpunkt des Ausfalles von der Versorgungsleistung und den ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten zur Bewältigung der Situation (vgl. Lorenz 2010: 17). Ein Indikator für diese Folgen oder auch das Begreifen potentieller Folgen, könnte die Länge des Funktionsausfalls sein. In den Vorgesprächen zur Erhebung hat sich herausgestellt, dass bereits ein Stromausfall von zwanzig Minuten zu einem Impuls führen kann, der die Auseinandersetzung mit dem Thema befördert (Mitarbeiter des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, 12.02.18). Daher wurde dieser Schwellenwert als Minimalanforderung an das kritische Ereignis gestellt. Die Frage im Rahmen der Erhebung lautete daher: Gab es in der Stadt, für die Ihre Behörde zuständig ist, bereits einen Stromausfall, der länger als zwanzig Minuten angedauert hat? Um des Weiteren zu berücksichtigen, dass auch andere als katastrophal gedeutete Ereignisse, wie zum Beispiel ein Hochwasser, Impulse für den Katastrophenschutz der Stadt als Ganzes sein können (vgl. Monstadt/Schmidt 2019: 2365), wurden diese in einer weiteren Frage erhoben. Des Weiteren ist es möglich, dass auch kritische Ereignisse, die außerhalb der Stadt aufgetreten sind, Impulse ausüben. Da diese jedoch für jede Stadt gegeben sind, fehlt die Variation innerhalb des Faktors für die Städte der Erhebung. Daher werden solche Ereignisse nicht bei der Erhebung erfragt. Es müssen andere Faktoren für das Nichtlernen bzw. Lernen aus kritischen Ereignissen außerhalb der Stadt verantwortlich sein. Die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis kann durch Akteure in der Stadt nur bedingt beeinflusst werden. Natürlich kann z. B. die Wahrscheinlichkeit eines technischen Defekts durch regelmäßige Wartung gesenkt werden, aber sicherlich nicht unmöglich gemacht werden. Hinzu kommt, dass andere potenziell

8.1 Einflussfaktoren

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f­olgenreiche Ereignisse, wie z. B. schwere Stürme, nicht durch Handeln der Akteure in einer Stadt herbeigeführt oder vermieden werden können. Die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis wird daher dem Set „Rahmenfaktoren“ zugeordnet. Bundesland Im föderalen System Deutschlands kann zwischen der Bundesebene, den Ländern und der kommunalen Ebene unterschieden werden. Deutschland als Ganzes ist wiederum Mitglied der Europäischen Union und Teil eines internationalen Systems aus Staaten. In diesem System haben unterschiedliche Ebenen verschiedene Kompetenzen und Macht. Die Städte der Untersuchung sind also eingebettet in ein Mehrebenensystem, in dem sie Adressat von vielfältigen Steuerungsversuchen sind (Benz 2010; Pierre 2011; Kemmerzell/Tews 2014). Den Bundesländern kommt in diesem System eine besondere Rolle zu, da diese die Kompetenz für den Katastrophenschutz und die allgemeine Gefahrenabwehr in Friedenszeiten innehaben (Art. 70 Abs. 1 GG) und die einzige politische Ebene bilden, die zwischen den Städten der Fallauswahl variiert. Steuerungsversuche könnten hier also einige Fallstädte betreffen und andere nicht. Sie können damit für Unterschiede im Outcome verantwortlich sein. Die Bundesländer könnten theoretisch verschiedene regulative Vorgaben zum Schutz kritischer Infrastrukturen verabschieden, faktisch stimmen sich die Bundesländer aber u. a. im Rahmen der Innenministerkonferenz ab, sodass sich die regulativen Vorgaben nicht stark unterscheiden (IMK 2019). Eine Besonderheit stellt das Landeskatastrophenschutzgesetz ­ Mecklenburg-Vorpommerns (LKatSG M-V)1 dar. Es ist das einzige Landeskatastrophenschutzgesetz (Stand März 2019), dass „Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastrukturen“ explizit als Aufgabe der Katastrophenschutzbehörden benennt (LKatSG M-V, Art. 3, Abs. 2). In einem weiteren Artikel wird der Begriff „Kritische Infrastrukturen“ definiert und auf die Vorsorgepflicht der Betreiber verwiesen sowie deren Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Katastrophenschutzbehörden und der Information der selbigen (LKatSG M-V, Art. 13). Auch wenn alle Katastrophenschutzbehörden und Betreiber verpflichtet sind, Vorsorge für Katastrophen zu treffen (siehe Abschnitt 3.3), ist die explizite Benennung des Schutzes kritischer Infrastrukturen ein nennenswerter Unterschied. Sie könnte dazu beitragen,

1Gesetz

über den Katastrophenschutz in ­ Mecklenburg-Vorpommern (Landeskatastrophenschutzgesetz - LKatSG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2016

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

dass Katastrophenschutzbehörden in Mecklenburg-Vorpommern sich dem Thema häufiger oder in größerem Ausmaß annehmen, als dies bei Städte aus anderen Bundesländern der Fall ist. Abseits der Rechtsetzung, hat eine Internetrecherche ergeben, dass drei Bundesländer (Stadtstaaten ausgenommen) zudem Rahmenempfehlungen oder Leitlinien für den Fall eines Stromausfalls erstellt haben (Stand Mai 2018). Diese sind S ­ chleswig-Holstein, Hessen und BadenWürttemberg. Die Dokumente sind online potenziell aus jedem Bundesland abrufbar und nutzbar. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass diese Empfehlungen bei den Städten in dem jeweiligen Bundesland größere Beachtung finden als außerhalb und sich positiv auf die Aktivität der Städte im Land auswirken. Im Forschungsstand wird die politische Unterstützung in Form eines klaren politischen Mandats der verantwortlichen Instanz als ein wichtiger Einflussfaktor benannt (Maduz et al. 2016: 12). Die Nennung des Schutzes kritischer Infrastrukturen als Aufgabe im Katastrophenschutzgesetz, aber auch die Erstellung von Rahmenempfehlungen sind eine solche politische Unterstützung und wirken auch gegen den von Monstadt und Schmidt identifizierten Mangel an Regeln, Normen und Standards (ebd. 2019: 2368). Das Bundesland kann demnach einen Einfluss auf das Aktivitätslevel der Städte in Vorbereitung auf einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall darstellen. Daher wurde diese Angabe im Rahmen der Erhebung erfragt. Die Beantwortung der Frage konnte auch verweigert werden. Diese Option war notwendig, da in einigen Bundesländern nur wenige oder nur eine Großstadt existiert und demnach ein anonymes Ausfüllen ansonsten unmöglich gewesen wäre. Das Engagement des Bundeslandes ist durch die Stadt nur in geringem Ausmaß, schwer oder langfristig beeinflussbar, daher wird der Einflussfaktor dem Set „Rahmenfaktoren“ zugeordnet. Finanzielle Situation Der Faktor „Finanzielle Situation“ ist bei der Zuordnung zu den beiden Sets „Rahmenfaktoren“ oder „Faktoren der lokalen Politik“ ein Grenzfall. Durch die kommunale Selbstverwaltung hat die Kommune die Finanzhoheit (Art 28 Abs. 2 GG). Sie kann in diesem Rahmen Steuern sowie Gebühren erheben und ihren Haushalt gestalten. Das größte Gewicht auf der Einnahmeseite haben die Steuern in Form der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern und die über Hebesätze beeinflussten Realsteuern (Gewerbe- und Grundsteuer) (Andersen/Woyke 2013: 224). Die Finanzielle Situation der Kommune wird aber auch durch die Strukturschwäche bzw. -stärke der Region bestimmt, durch über lange Zeiträume

8.1 Einflussfaktoren

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e­ ntstandene finanzielle Altlasten und durch politische Entscheidungen der Länder und des Bundes. Insgesamt ergibt sich so eine Situation, in der die finanzielle Situation nur langfristig und nur teilweise durch die Politik der Kommune gestaltbar ist. Sie wird deswegen dem Set „Rahmenfaktoren“ zugeordnet. Die Unteren Katastrophenschutzbehörden müssen für Katastrophen vorsorgende Maßnahmen ergreifen. Die Landeskatastrophenschutzgesetze lassen jedoch einen erheblichen Spielraum, inwieweit und ob für einen langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfall Vorsorge ergriffen werden muss. Durch diesen Spielraum existiert eine erhebliche Freiwilligkeit in Art und Umfang der Maßnahmen. Dies lässt vermuten, dass, gerade bei einer schlechten finanziellen Ausstattung der Behörde, auf solche Maßnahmen verzichtet wird. Das Maßnahmen auch Kosten verursachen und dementsprechend finanzielle Mittel vorhanden sein müssen, wurde als Einflussfaktor auf die Aktivität der Katastrophenschutzämter bereits beschrieben (Prior/Roth 2013: 38; Maduz/Roth 2017: 235; Monstadt/Schmidt 2019: 15). Auch werden personelle Ressourcen im Forschungsstand thematisiert (Maduz et al. 2016: 12). In der vorliegenden Forschung wird die finanzielle Situation stellvertretend für beide Ressourcen und damit bis zu einem gewissen Punkt als Proxy verstanden. Es wird damit davon ausgegangen, dass bei guter finanzieller Lage auch potentiell mehr oder umfangreichere Stellen genehmigt werden. Die finanzielle Situation der Behörde lässt sich hierfür über die Perzeption der Zuständigen erfassen. Durch die Abfrage einer Perzeption statt fixer Kennzahlen erhält das Kontextwissens des Akteurs Einzug in die Bewertung. Dies ist der größte Vorteil der Perzeption gegenüber fixer Kennzahlen. Aber auch aus forschungspraktischer Sicht bietet sie entscheidende Vorteile. Da die Erhebung anonym durchführbar war, wären bei der Abfrage harter Kennziffern alle erforderlichen Werte durch den Befragten unmittelbar in der Erhebung anzugeben, da im Nachhinein keine Zuordnung der Antworten zu Städten oder Ämtern möglich ist. Abgesehen von der Herausforderung bei einer solchen Abfrage die Anonymität aufrechtzuerhalten, ist davon auszugehen, dass der Befragte die Kennziffern nicht zur Hand hat und daher Antwortausfälle oder auch hohe Abbruchquoten die Folge sein könnten. Daher wurden die Zuständigen im Rahmen der Erhebung dazu aufgefordert, die finanzielle Lage ihrer Behörde auf einer Skala zwischen 1 (sehr schlecht, wenig Spielraum) bis 5 (sehr gut, viel Spielraum) einzuschätzen. Des Weiteren wurde erfragt, ob die finanzielle Situation als Hinderungsfaktor wahrgenommen wird, der einer weitergehenden Auseinandersetzung entgegensteht.

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Zivilgesellschaft Mit „Zivilgesellschaft“ ist der „[…] Bereich zwischen Staat, Markt und Privatsphäre“ (Freise/Geißel 2016: 528) bezeichnet. Sie kann sich in einer Vielzahl verschiedener Organisations- und Assoziationsformen manifestieren (Freise 2016: 8). Ihr Zusammenschluss erfolgt freiwillig (Freise/Geißel 2016: 528). Ihre Handlungen sind friedfertig und an der Öffentlichkeit orientiert (Freise 2016: 10). Diese Orientierung kann als „[…] Heraustreten aus dem Privaten zum Zwecke der Artikulation von Interessen, Diskussion und Problemlösung“ (Freise 2016: 10) verstanden werden. Der Katastrophenschutz in Deutschland baut maßgeblich auf zivilgesellschaftlich organisierten, ehrenamtlichen Helfern auf, deren Gesamtzahl in Deutschland auf 1,8 Millionen Menschen geschätzt wird (BBK 2019 g). Zivilgesellschaftliche Organisationen im Kontext des Katastrophenschutzes sind in erster Linie die freiwilligen Feuerwehren und die Hilfsorganisationen im Rettungsdienst (Deutsches Rotes Kreutz, Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser Hilfsdienst, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, Arbeiter-Samariter-Bund) (vgl. Gnedler 2015: 18). Hinzu kommen noch sogenannte Regieeinheiten, die als „[…] freiwillige Einheiten der unteren Katastrophenschutzbehörden […] bestimmte Aufgaben ‚in eigene Regie‛ wahrnehmen z. B. Veterinärdienste oder logistische Unterstützung der Einsatzleistung“ (Gnedler 2015: 18). Das Technische Hilfswerk (THW) ist eine Einrichtung des Bundes und daher staatlich. Da es aber zu 99 Prozent auf Ehrenamtlichen aufbaut (Terberl 2015: 29), hat auch das THW zivilgesellschaftlichen Charakter. Neben den direkt am Katastrophenschutz Beteiligten gibt es des Weiteren meist überlokal organisierte Interessenverbände der Organisationen im Katastrophenschutz wie z. B. der Deutsche Feuerwehr Verband (DFV) oder der Bundesverband eigenständiger Rettungsdienste und Katastrophenschutz e. V. (BKS), die auch dem Bereich der Zivilgesellschaft zuzuordnen sind. Im Rahmen der Resilienz wird der Einbezug der Bevölkerung und Zivilgesellschaft als wichtiges Element des politischen Prozesses porträtiert (z. B.: Christmann et al. 2016: 32; Bach et al. 2013: 6 f.) und auch im Kontext des Katastrophenschutzes wird die Bedeutung des Einbezugs der Bevölkerung betont (Lorenz 2010; Ohder/Sticher 2013; Maduz et al. 2016: 12; Beerlage 2018). Im zugehörigen Narrativ wird herausgestellt, dass der Staat keine hundertprozentige Sicherheit herstellen kann und auch nicht über die Ressourcen verfügt, um für den Bürger im ausreichenden Maße vorzusorgen (Prior/Roth 2013: 36; Ohder/ Sticher 2013: 64 f.; Maduz et al. 2016: 12). Der Bürger wird also gebraucht, daher gilt es ihn bereits vor der Katastrophe einzubeziehen und zu sensibilisieren (Ohder/Sticher 2013: 64 f.). Dabei sollen Bürger als „Experten ihrer L ­ ebenswelt“

8.1 Einflussfaktoren

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(Beerlage 2018: 8) und „Partner“ (Karutz/Mitschke 2018b: 298) betrachtet werden und nicht als reine Adressaten von Informationen. Den Bürger gilt es also zu aktivieren. Viel weniger wird betrachtet, inwieweit Bürger bereits aktivierend auf den Katastrophenschutz einwirken. Eventuell ist es ein Zeichen dafür, wie selbstverständlich der Katastrophenschutz auf Ehrenamtliche aufbaut, dass es fast in Vergessenheit gerät, dass das Engagement der Zivilgesellschaft, also organisierter Bürger, bereits eine tragende Säule des Katastrophenschutzes (auch in Großstädten mit Berufsfeuerwehren) ist. Die Anreize auf politischer Seite zur Berücksichtigung der Interessen der Zivilgesellschaft liegen in einer Steigerung der Legitimität des Prozesses durch höhere Bürgerbeteiligung, der Verbesserung des politischen Outputs durch akteursspezifisches Wissen und einer reibungslosen Implementation von Maßnahmen durch eine erhöhte Akzeptanz (Pierre 2011: 57–60; Freise 2016: 17–25). Im Rahmen der Erhebung wurde daher erfragt, ob Personen oder Unternehmen wahrgenommen werden, die sich für das Thema Stromausfall einsetzen oder eingesetzt haben. Wurde diese Frage bejaht, wurde der entsprechende Bereich erfragt. Eine der gegebenen Möglichkeiten war hierbei der Bereich „Zivilgesellschaft“. Da die „Zivilgesellschaft“ per Definition nicht zum Bereich des Staates zählt, wird sie dem Set „Rahmenfaktoren“ zugeordnet. Wirtschaft Politikwissenschaftliche Forschungen, die eine Dominanz wirtschaftlicher Interessen im Prozess der politischen Entscheidungsfindung (gerade in Städten) vermuten, haben eine lange Tradition (Harding 2009). Begonnen bei Hunter (1953) über Molotch (1972), Lindblom (1977) und Peterson (1981), sie alle sahen städtische Unternehmen als die durchsetzungsstärksten Akteure in der Stadt. Dabei baut die Argumentation auf zwei Säulen auf. In der ersten wird die sozioökonomische Bedeutung von in der Stadt ansässigen Unternehmen betont. Dieses trägt zu den Einnahmen der Stadt in Form der Gewerbesteuer bei und bietet Arbeitsplätze für ihre Einwohner an. Da das Wohlergehen des Unternehmens dann auch als relevant für die Prosperität der gesamten Stadt eingeschätzt wird, finden die Interessen des Unternehmens Gehör und Berücksichtigung (vgl. Harding 2009). Man bezeichnet diese Macht der Unternehmen auch als „structural power“ (Lindblom 1977). Die zweite Säule, auf der die Durchsetzungsstärke der Unternehmen beruht, ist die sogenannte „instrumental power“ (Lindblom 1977). Demnach haben Unternehmen bei der Artikulation ihrer Interessen Vorteile durch ihre Ausstattung mit Ressourcen und durch ihre

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Organisation und erhalten privilegierten Zugang zur Politik (Lindblom 1977). Übertragen auf das Politikfeld hieße das, dass ein ausgeprägtes Engagement bei der Vorbereitung auf einen Stromausfall darauf zurückzuführen wäre, dass ein sozioökonomisch bedeutendes städtisches Unternehmen, das z. B. im besonderen Maße auf eine stabile Stromversorgung angewiesen ist, in der Stadt existiert. Zu Zeiten Lindbloms Publikation, in den 70er Jahren, gerät der in den Markt hineinregierende Interventionsstaat bereits in die Kritik (vgl. Mayntz 2010: 38). Heute wird ein Unternehmen nicht mehr nur als Akteur gesehen, der versucht, staatliche Regelungen zu beeinflussen, sondern auch als Akteur, der selbst Regelungen setzt. Dieses Verständnis von Unternehmen ist im Zuge des Konzepts der sogenannten Governance zu begreifen und soll als zweite, moderne Perspektive auf Unternehmen im Politikfeld im Folgenden aufgezeigt werden. In den 1990er Jahren entsteht „Governance“ als neues politikwissenschaftliches Konzept und löst in Folge die Steuerungstheorie als vorherrschendes Paradigma ab (vgl. Mayntz 2008: 45; Mayntz 2010: 37). Während unter dem Begriff der Steuerung „[…] zielorientierte[s] Handeln politischer Akteure im Zentrum des Interesses“ (Mayntz 2008: 46) standen, rücken unter Governance nichtstaatliche Akteure und Steuerungsformen jenseits der Hierarchie in den Fokus der Betrachtung. Diese Modi der sozialen Handlungskoordination sind zum Beispiel Märkte und Netzwerke (Mayntz 2008: 45). Diese Verschiebung des Fokus kann als Folge einer sich veränderten Realität und „[…] Wahrnehmung bzw. Interpretation dieser Realität […]“ (Benz/Dose 2010: 15) betrachtet werden, in der die Steuerungsfähigkeit des Staates zunehmend bezweifelt wird. Als ursächlich für den Verlust an Steuerungsfähigkeit werden in erster Linie drei Prozesse begriffen. Erstens eine Denationalisierung, die sich dadurch auszeichnet, dass Probleme häufig nicht mehr innerhalb eines Nationalstaates zu lösen sind, sondern die Zusammenarbeit mehrere Nationen oder sogar mehrerer Kontinente bedürfen (Benz/Dose 2010: 15). Zweitens hemmt die Einbettung des Staates in ein Mehrebenensystem, seine Steuerungsfähigkeit, indem die „[…] Verflechtung von Entscheidungsfähigkeit, wenn mehrere Entscheidungsebenen miteinander verknüpft sind […]“ (Benz/Dose 2010: 16), zu Blockaden führen kann. Und drittens wird eine „Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft“ (Benz/Dose 2010: 16) als erschwerender Faktor wahrgenommen. Unter letzteres subsumieren sich Widerstände der Gesellschaft gegenüber einer hierarchischen Steuerung, aber auch der Versuch des Staates, „[…] die Ressourcen und das Wissen Privater für die staatliche Aufgabenerfüllung […]“ (Benz/Dose 2010: 16) zu nutzen. Für die Stärkung der Resilienz gegenüber Stromausfällen ist vor allem die zuletzt beschriebene Entwicklung von Bedeutung. Die Notwendigkeit die Ressourcen von Privaten zu nutzen, ist im Bereich der Infrastrukturen durch die

8.1 Einflussfaktoren

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Privatisierung und Liberalisierung vieler Infrastrukturzweige in Deutschland seit den 1980er Jahren stark gestiegen. Aufgrund dieser rücken Unternehmen als mächtige Akteure auch in der Infrastrukturdebatte vermehrt in den Blick (z. B. de Bruijne/van Eeten 2007; Dunn-Cavelty/Suter 2009; Monstadt/Schmidt 2019). Man geht davon aus, dass sich in Deutschland 80 Prozent aller kritischen Infrastrukturen in privater Hand befinden (Kloepfer 2010: 17; Schäuble 2010: 24; Scholz 2013: 168). Es wird befürchtet, dass private Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen die Kosten für Sicherheitsmaßnahmen scheuen könnten (vgl. de Bruijne/van Eeten 2007; Dunn-Cavelty/Suter 2009: 179; Wiater 2013; Matern et al. 2014: 70). Deren Vorkehrungen und Mitarbeit ist jedoch ein wichtiger Teil des Systems, der für den Schutz vor und die Vorsorge gegenüber Ausfällen unverzichtbar ist (BMI 2009: 14; Dunn-Cavelty/Suter 2009: 179; ­John-Koch 2014: 3). Unternehmen sind also zum einen selbst regelungssetzende Akteure und zum anderen wirken sie auf staatliche Regelungen ein. Sie stehen im Bereich der Vorsorge für einen Stromausfall nicht nur außerhalb des Systems und versuchen ihren Interessen Gehör zu verschaffen, sondern viele von ihnen sind selbst Teil des Systems, welches eine Policy zur deren effektiven Erreichung beschließen muss. Sie können die Arbeit des Katastrophenschutzes durch unkooperativen Verhalten erschweren, aber auch initiierend auftreten. Es erscheint also gleich aus mehreren Perspektiven sinnvoll zu erfragen, ob in der Stadt ansässige Unternehmen als Entrepreneur wahrgenommen werden. Daher wurde dieser Faktor in die Erhebung aufgenommen.

8.1.2 Lokale Politik Während die „Rahmenfaktoren“ nicht oder nur schwerlich durch die lokale Politik beeinflusst werden können, finden sich im Set „Lokale Politik“ alle jene Faktoren, die in der Hand der lokalen Politik und Verwaltung liegen. Risikowahrnehmung Im Forschungsstand wird eine gestiegene Risikowahrnehmung in Folge eines kritischen Ereignisses thematisiert und als einflussreiche Größe für eine erhöhte Auseinandersetzung mit Risiken und dem Krisenmanagement betrachtet (vgl. Maduz et al. 2016: 9; Monstadt/Schmidt 2019: 2365). Der Prozess, in dem sich die Katastrophe in eine erhöhte Risikowahrnehmung und diese wiederum in mehr Maßnahmen übersetzt, wird häufig nur am Rande oder gar nicht beleuchtet. Implizit wird davon ausgegangen, dass sich Politik an Notwendigkeiten und

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

objektiv gegebenen Problemen orientiert: Wenn die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung klar zu Tage tritt, ändert sich die Einschätzung der Akteure bezüglich des Risikos und in Folge dessen wird sich dem objektiven Problem auch angenommen. Damit teilt die Forschung zu kritischen Infrastrukturen die sogenannte „Problemlösungsbias“ (Mayntz 2001: 23), die auch eine Schwäche des Governance-Ansatzes darstellt. Denn was als Problem oder auch Katastrophe wahrgenommen und welche Risiken gesehen und zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung werden, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, in dem Macht- und Ressourcenasymmetrien eine entscheidende Rolle spielen (Mayntz 2010: 45; Voss/Dittmer 2016: 182). Es gilt also in Frage zu stellen, wie natürlich der Prozess vom Ereignis zur gestiegenen Risikowahrnehmung und dem Erlass von Maßnahmen vonstattengeht. Es ist dennoch davon auszugehen, dass die Wahrnehmung neben den Präferenzen und Kapazitäten, das Handeln eines Akteurs prägt (Scharpf 1997: 43). Die Risikowahrnehmung ist aber losgelöst von der Erfahrung mit einem kritischen Ereignis zu betrachten. Besonders relevant dürfte in dieser Hinsicht die Wahrnehmung des Risikos durch Akteure im Katastrophenschutzamt als zentrale Behörde im Themenfeld selbst sein. Das Risiko eines Ereignisses ergibt sich aus dessen Eintrittswahrscheinlichkeit und dessen potenziellen Konsequenzen (UNISDR 2009: 25). Es wurde daher beim jeweils Zuständigen des Katastrophenschutzamtes für das Themenfeld erfragt, wie hoch er oder sie die Eintrittswahrscheinlichkeit für das Szenario in den nächsten 10 Jahren einschätzt. Ergänzend wurde auch erhoben, ob der Zuständige lokale Faktoren wahrnimmt, die die Stadt besonders empfindlich oder besonders unempfindlich gegenüber einem Stromausfall machen. Engagement im Überlokalen Handlungsraum Im Rahmen der Einführung des Einflussfaktors „Bundesland“ wurde bereits festgestellt, dass die lokale Ebene in ein komplexes Mehrebenensystem eingebettet ist, in denen Kompetenzen und Macht verteilt sind und in der Städte Adressaten verschiedener Steuerungsversuche sind (Benz 2010; Pierre 2011). Darüber hinaus ist zunehmend zu beobachten, dass Städte nicht nur passiver Empfänger dieser Steuerung sind, sondern den sich ergebenden Raum für sich zu nutzen wissen (Kern/Bulkeley 2009; Pierre 2011; Bulkeley/Betsill 2013; Kemmerzell/ Tews 2014). Aus der Sicht der lokalen Gebietskörperschaften kann dieser Raum als „Überlokaler Handlungsraum“ (Kemmerzell/Tews 2014) begriffen werden. Der Überlokale Handlungsraum (ÜLH) kann von Seiten der Städte zum Aufbau epistemischer, materieller und legitimatorischer Kapazitäten genutzt werden (Kemmerzell/Tews 2014: 270). Der Aufbau epistemischer Kapazitäten erfolgt,

8.1 Einflussfaktoren

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indem durch die Teilhabe in Städtenetzwerken, Verbänden oder Forschungsprojekten Wissen zum Gegenstandsbereich vermittelt und Gelegenheit zum Austausch geboten wird. Materielle Kapazitäten entstehen, da die Teilnahme unter Umständen mit finanziellen oder anderen materiellen Anreizen verbunden ist (ebd.). Und drittens kann die Einbindung in einem überlokalen Arrangement, welche z. B. mit einer Selbstverpflichtung zur Erfüllung bestimmter Ziele verknüpft ist, auch dazu dienen, Investitionen und Maßnahmen in einem bestimmten Themenbereich auf lokaler Ebene zu rechtfertigen und über eine bestimmte Zeit hin abzusichern (ebd.). Dabei muss ein Engagement im ÜLH nicht allen drei Interessen, sondern kann auch nur einem Teil von diesen dienen. Der ÜLH kann also dazu beitragen, Kapazitäten auf lokaler Ebene aufzubauen, um eine bestimmte Policy durchzuführen. Darüber hinaus können über die Einbindung im ÜLH auch günstige Diffusionsbedingungen für Policies erzeugt werden (vgl. Graham et al. 2013). Graham betrachtet die hier tätigen Akteure als sogenannte „Go-Betweens“ (ebd. 2013: 687), die zwischen jenen vermitteln, die bereits eine Policy adaptiert haben und jenen, die dies noch nicht getan haben. Die mit der Diffusion verbundenen Mechanismen können in „Lernen“, „Sozialisation“ und „Wettbewerb“ untergliedert werden2 (Graham et al. 2013: 690). Denn neben Wissen (→ Lernen) werden auch Norme über den ÜLH vermittelt (→ Sozialisation), die aus einer konstruktivistischen Sichtweise das Handeln der Akteure prägen (ebd.). Des Weiteren kann die Einbindung dazu dienen, das Engagement der Stadt sichtbar und vergleichbar zu machen (→ Wettbewerb) (ebd.). Im Forschungsstand wird der Austausch zwischen Städten als Mittel für ein besseres Krisenmanagement thematisiert (Monstadt/Schmidt 2019: 2368; Maduz et al. 2016: 16). In der Diskussion stehen dabei die Möglichkeiten zu Generierung von Wissen und dem Austausch von Best-Practices über den ÜLH im Vordergrund. Die Einbindungen im ÜLH wurden daher als Einflussfaktor auf das Aktivitätslevel in der Erhebung aufgenommen und dementsprechend abgefragt. Da das Engagement im ÜLH ein aktives Heraustreten städtischer Akteure aus Politik und Verwaltung darstellt und prinzipiell allen Städten der Untersuchung

2Graham

et al. unterscheiden zwischen neben den genannten drei noch einen vierten Mechanismus, namentlich „Zwang“. Dieser ist aber für den ÜLH, wie er hier untersucht wird, nicht relevant, da ausschließlich solche Organisationen in den Blick genommen werden, die über keine hierarchischen Mittel verfügen.

124

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

offensteht, wird der Faktor im Gestaltungsspielraum der lokalen Politik und Verwaltung verordnet. Daher wird der Faktor dem Set „Lokale Politik“ zugeordnet. Lokaler Politiker Politische Unterstützung (vgl. Maduz et al. 2016: 12) kann nicht nur durch das Bundesland generiert werden, sondern auch von Seiten der lokalen Politik. Das Katastrophenschutzamt arbeitet nicht losgelöst von der restlichen Stadtpolitik. Es ist zu einem gewissen Grade abhängig von der Ressourcenzuteilung der Haushaltspolitik und der Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Ämter in der Stadt. Auch können durch lokale Politiker Impulse zur Beschäftigung mit der Vorbereitung auf einen Stromausfall ausgehen. Ein lokaler Politiker kann sowohl innerhalb des Stadtparlamentes oder des Stadtrats für das Thema eintreten wie auch gegenüber dem Katastrophenschutzamt selbst. Er kann Teil eines Netzwerkes sein, das sich für das Thema einsetzt, für es werben und seine Kapazitäten für es nutzen. Es wurde daher in der Erhebung erfragt, ob ein lokaler Politiker wahrgenommen wird, der sich für das Thema einsetzt. (Ober-)Bürgermeister Eine Sonderstelle unter den lokalen Politikern nimmt der Oberbürgermeister bzw. der Bürgermeister als Spitze der Exekutive auf lokaler Ebene ein. Der institutionelle Aufbau variiert zwischen deutschen Kommunen. So gibt es in einigen Großstädten die Position des Oberbürgermeisters, in anderen steht der Bürgermeister an höchster Position. Des Weiteren hat dieser, abhängig von der kommunalen Verfassung, unterschiedlich viel formale Macht (Gissendanner 2002: 95). Trotz dieser Unterschiede in der formalen Position, kann er als zentrale politische Führungsperson auf kommunaler Ebene betrachtet werden (Gissendanner 2002: 92). Neben formalen Aspekten werden seine persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, persönlichen Netzwerke und politisches Umfeld als Erfolgsfaktoren diskutiert (vgl. Gissendanner 2002; Greasley/Stoker 2009). Diese ermöglichen es ihm, Entscheidungen vorab zu strukturieren und als koordinierende Instanz zwischen Stadtrat und Stadtparlament zu fungieren (Gissendanner 2002: 94). Auch ist der (Ober-)Bürgermeister häufig maßgeblich daran beteiligt, zusätzliche Ressourcen für die Stadt im überlokalen Handlungsraum einzuwerben (Gissendanner 2002: 97) und so ein Thema langfristig in der Stadtpolitik zu verankern und abzusichern. Es ist also plausibel anzunehmen, dass es einen Unterschied machen könnte, ob das Thema „Stärkung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall“ ein Teil der Agenda des Oberbürgermeisters bzw. des Bürgermeisters ist. Daher wurde in der Erhebung neben eine Fürsprache durch einen lokalen Politiker auch erfragt, ob

8.1 Einflussfaktoren

125

speziell der Oberbürgermeister bzw. der Bürgermeister als Entrepreneur für das Thema eintritt. Ressortübergreifende, Energieintensive Themenstellungen Der Schutz und die Stärkung der Resilienz kritischer Infrastrukturen hat starke Verbindungen zu den Themen Klimaanpassung oder Klimaschutz und Digitalisierung. Eine Auseinandersetzung mit den genannten Themen kann daher zu einer Reduktion der Transaktionskosten auf inhaltlicher und organisatorischer Ebene für die Beschäftigung mit dem Thema „Stärkung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden Stromausfall“ führen. Der Begriff der Transaktionskosten kommt ursprünglich aus der Ökonomie, in der er die Kosten bezeichnet, die anfallen, um einen Vertrag vorzubereiten, abzuschließen und seine Einhaltung zu überprüfen (Braun 2013: 173). In der Politikwissenschaft wird er im ­ Rational-Choice-Institutionalismus analog dazu genutzt, um die Kosten zu bezeichnen, die anfallen, um eine Policy durchzusetzen (ebd.). Als solche strukturieren Transaktionskosten die Situation, in der Akteure Entscheidungen über Policies treffen, vor. Im Folgenden wird auf die Verbindung der beiden Themenkomplexe Klimaschutz/-anpassung und Digitalisierung zu dem Thema Schutz kritischer ­ Infrastrukturen und im Speziellen der Resilienz gegenüber Stromausfällen näher eingegangen und dargelegt, wie diese dazu beitragen, die Transaktionskosten zu senken. Klimaschutz und Klimaanpassung sind Themen, die besonders häufig unter dem Schlagwort „Resilienz“ verhandelt werden (vgl. Chmutina et al. 2105: 74 f.; Elsner et al. 2018: 34). Sowohl der Schutz kritischer Infrastrukturen wie auch Klimaschutz und -anpassung haben zum Ziel, die Resilienz einer Gesellschaft gegenüber Katastrophen zu erhöhen. Dabei konzentrieren sich die meisten Maßnahmen deutscher Kommunen im Klimaschutz auf die Energieerzeugung, -verteilung, -speicherung und den Energieverbrauch (Kern et al. 2005: 41). Dadurch entsteht eine erhebliche Auseinandersetzung mit dem Bereich der Stromversorgung und eine dementsprechende Dynamik innerhalb des Politikfeldes. Aus den Maßnahmen im Zuge des Klimaschutzes und der Klimaanpassung folgen Wechselwirkungen für die Energieversorgung und die Folgen eines Blackouts, die sowohl positiver als auch negativer Natur sein können. So kann die erhöhte Volatilität der Stromproduktion durch den Einsatz erneuerbarer Energien als Herausforderung für die Netzstabilität und Versorgungssicherheit betrachtet werden (Yao 2018: 19). Um der Volatilität in der Erzeugung zu begegnen und in Einklang mit dem Verbrauch zu bringen, geraten neue Möglichkeiten im Bereich der Stromspeicherung in den Fokus der Forschung und

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Politik. Zum Beispiel wird in diesem Kontext die Speicherung dieser Energie in e-Mobilität diskutiert (Birkmann et al. 2010: 104; Yao 2018: 19). Dies verweist darauf wie Infrastrukturen immer weniger nur einer Domäne zugeordnet werden können und noch mehr als in der Vergangenheit als vernetztes und ineinander verschränktes System gedacht werden müssen. So wie ein Auto in Zukunft nicht nur Teil des Verkehrsnetzes ist, sondern auch als Stromspeicher dienen kann, sind moderne Kläranlagen heute nicht nur Aufbereitungsanlagen für Abwasser, sondern auch Stromproduzenten. Eine Industrieanlage, welche als Nebenprodukt Abwärme produziert, kann durch eine Fernwärmeanlage eine Wohnanlage beheizen. Die Energiewende und der vermehrte Einsatz von erneuerbaren Energien sind in diesem Kontext Treiber für eine Diversifizierung der Energiequellen und eine höhere Dezentralität in der Energieproduktion (Birkmann et al. 2010: 75). Diese Dezentralität wird als Chance hinsichtlich der Resilienz der Systeme bewerte, die erhöhte Komplexität und Interdependenzen dagegen häufig als Herausforderung begriffen (vgl. Birkmann et al. 2010: 77, 94). Die Unterschiede und Synergien, Herausforderungen und Potenziale der beiden Themenfelder Klimaanpassung und Disaster Risk Reduction werden von verschiedenen Autoren herausgestellt (vgl. Venton/La Trobe 2008; Solecki et al 2011; Chmutina et al. 2016). Die bisherigen Arbeiten können in erster Linie als Aufruf zur Zusammenarbeit der Forschungsgemeinschaften gelesen werden und weniger als eine Deskription der Praxis. Digitalisierung wird im Kontext der Stadt in der Regel unter dem Schlagwort „Smart City“ diskutiert. Für diese gibt es keine einheitliche Definition (Gargiulo/Zucaro 2015: 83). Die Arbeitsgruppe Smart City des Zentrums für Technik und Gesellschaft, stellt nach Betrachtung der vielfältigen Definitionsmöglichkeiten folgende zentrale Charakteristika heraus: Erstens die „Vernetzung von BürgerInnen, Informationen und städtischer Infrastruktur“ (AG Smart City 2017:10) und im Rahmen dieser „die gezielte Ausschöpfung der Möglichkeiten von IKT […]“ (AG Smart City 2017: 10), zweitens die „gezielte Nutzung der entstehenden Vernetzung und der Informationsflüsse, um die ökologische […], soziale […] und ökonomische […] Nachhaltigkeit auf städtischer Ebene zu verbessern“ (AG Smart City 2017: 10) und drittens, den Gebrauch der entstehende Potenziale für eine „[…] integrierte Perspektive auf städtische Entwicklung […]“ (AG Smart City 2017: 10). Durch die Vernetzung durch Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) soll also eine Verbesserung in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht erzielt werden. Die beschriebenen Entwicklungen in der Stromproduktion, -speicherung und -verbrauch im Rahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung setzen dabei im großen Maße auf intelligente Lösungen in Form

8.1 Einflussfaktoren

127

intelligenter Netze („Smart Grids“) und der Steuerung teilautonomer und heterogener Teilsysteme (Libbe/Petschow 2017: 17). Für die damit verbundenen Veränderungen werden Folgen für die Resilienz einer Gesellschaft gegenüber einem Stromausfall erwartet. IKT und die Stromversorgung sind enger miteinander verknüpft als alle anderen technischen Infrastruktursysteme (Petermann et al. 2013: 77). Dementsprechend stark sind die Interdependenzen und Abhängigkeiten. Die gesteigerte Komplexität durch die Verknüpfung und Durchdringung der Energieversorgung mit IKT ist dabei ein Versuch mit neuen Herausforderungen umzugehen, schafft aber zugleich auch neue Vulnerabilitäten (vgl. Libbe/Petschow 2017; Aretz et al. 2017). In diesem Kontext werden vor allem die Folgen möglicher Cyberattacken, z.  B. auf das Stromnetz durch die Digitalisierung, thematisiert (z. B. Birkmann et al. 2010: 94; Libbe/Petschow 2017: 17; Aretz et al. 2017: 23). Die kurze Darstellung der Themenfelder und ihrer Verbindung zu der Resilienz gegenüber einem Stromausfall, verdeutlichen wie die Auseinandersetzung mit den Themenfeldern ineinandergreifen. Die Beschäftigung mit einem der drei bereitet die Auseinandersetzung mit dem nächsten vor, kann als Türöffner fungieren und macht sie aus einem normativen Gesichtspunkt aufgrund ihrer Interdependenzen auch ratsam. Sie haben gemeinsam, dass in ihnen Infrastrukturen und im Speziellen die Energieversorgung herausragende Bedeutungen haben. Besonders die Verschränkungen der Infrastruktursektoren ineinander und das Denken über ein System hinaus prägen Debatten zu den Themen. Zukunftsfähigkeit in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht erscheint dabei ein Kernanliegen der involvierten Städte zu sein. Neben diesen inhaltlichen Synergien kann auch auf organisatorischer Ebene mit einer Reduktion der Transaktionskosten der Auseinandersetzung mit dem Thema der Resilienz der Stadt gegenüber einem Stromausfall gerechnet werden. Eine Stadt, die sich bereits mit Klimaschutz und/oder -anpassung sowie Digitalisierung auseinandergesetzt hat, hat bereits Erfahrungen damit gesammelt, wie die Arbeit über mehrere Ressorts hinweg organisiert werden kann. Es ist wahrscheinlich, dass sich bereits Kontakte zwischen Mitarbeitern der beteiligten Ressorts gebildet haben, mögliche gegenseitige Vorbehalte abgebaut wurden und sich Wege der Organisation für gemeinsame Treffen etabliert haben. Auch wenn es teilweise Abweichungen bezüglich der einzubeziehenden Ressorts gibt, kann ein weiteres, ähnlich strukturiertes Thema von den daraus entstehenden Lerneffekten profitieren. In der bisherigen Forschung zum Thema wurde der Faktor der Auseinandersetzung mit Nexusthemen bisher nicht berücksichtigt. Die theoretische Reflektion lässt es jedoch plausibel erscheinen, dass die Auseinandersetzung mit den

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8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Themen Klimaschutz/-anpassung und Digitalisierung sich positiv auf das Aktivitätslevel im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen auswirkt. Daher wird der Faktor in die Erhebung aufgenommen. Es wurde daher erfragt, ob die Stadt eine Strategie in diesen Bereichen verfolgt. Da die Auseinandersetzung mit den Themen im Gestaltungsspielraum der lokalen Politik liegt, wurde sie dem Set „Lokale Politik“ zugeordnet.

8.2 Qualitative Comparative Analysis (QCA) Die Analyse des Einflusses der im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Faktoren auf die Quantität der durchgeführten Maßnahmen der Katastrophenschutzämter erfolgt mit Hilfe einer Qualitative Comparative Analysis (QCA). Eine QCA ist eine mengentheoretische Methode, die erstmals breitere Aufmerksamkeit durch eine Publikation des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Charles C. Ragin 1987 bekam (Wagemann 2016: 63). Während sie zunächst als Mittelweg zwischen Statistik und Fallstudie oder quantitativen und qualitativen Vorgehen aufgefasst wurde, wird sie inzwischen mehr als qualitative Methode verstanden (Wagemann 2016: 64). Sie bedient sich der formalen Logik, Boolescher Algebra und der Mengentheorie (Wagemann 2016: 64). Ein Fall (bzw. eine Stadt) wird dabei immer als Konfiguration verschiedener Bedingungen dargestellt und die Auswirkung dieser Konfiguration auf den interessierenden Outcome (in der vorliegenden Arbeit das Aktivitätslevel) untersucht. Im Folgenden wird zunächst die Wahl der Methode begründet. Darauffolgend werden die Grundlagen der Methode kurz zusammengefasst3. Diese Grundlagen werden dann durch Spezifika des Vorgehens für diese Arbeit wie den Umgang mit Widersprüchen und fehlender empirischer Vielfalt ergänzt.

8.2.1 Begründung der Methodenwahl Eine QCA ist in erster Linie dann als Methode eine gute Wahl, wenn es Grund gibt anzunehmen, dass dem untersuchten Phänomen eine komplexe Kausalität zugrunde liegt (Schneider/Wagemann 2013: 77). Die Vergleichende

3Für

eine ausführliche Einführung in die Methodik siehe Schneider, Carsten Q; Wagemann, Claudius (2013): Set-Theoretic Methods for the Social Sciences. A Guide to Qualitative Comparative Analysis, Cambridge: Cambridge University Press.

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

129

­ olitikwissenschaft gilt daher auch als ein besonders geeignetes Anwendungsfeld P (Clarke 2007: 453; Wagemann 2016: 67). In diesem Forschungsgebiet wurden im vergangenen Jahrzehnt mehrfach QCAs bereits erfolgreich angewendet. So beispielsweise für einen Vergleich der fiskalpolitischen Maßnahmen der ­OECD-Länder im Anschluss an die Finanzkrise (Hörisch 2013), zur Ermittlung des Einflusses der Einbindung in den überlokalen Handlungsraum auf die Klimaschutzpolitik deutscher Großstädte (Kemmerzell/Hofmeister 2019), der Identifizierung von Einflussfaktoren auf die Privatisierung des Strafvollzugs (Stoiber/ Töller 2016) oder auch der Asylpolitik in den Bundesländern (Hörisch 2018). Eine Anwendung auf den Forschungsgegenstand der Resilienz kritischer Infrastrukturen steht noch aus. Der Forschungsstand (siehe Kapitel 2) gibt Anlass zur Vermutung, dass eine Reihe von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren für die Entstehung des Outcomes (Hohes Aktivitätslevel) verantwortlich sein können. Es ist daher von komplexer Kausalität auszugehen. Des Weiteren ist eine QCA gut für mittlere Fallzahlen (10–50 Fälle) geeignet (Schneider/Wagemann 2007: 26; Schneider/Wagemann 2013: 12). Bei diesen Fallzahlen sind statistische Verfahren häufig nicht oder nur eingeschränkt möglich. Qualitative Studien mit wenigen Fällen nutzen wiederum nicht die volle Breite der verfügbaren empirischen Informationen. Eine QCA ersetzt keine Einzelfallstudien, ermöglicht aber eine neue Perspektive, in der die fallorientierte Logik erhalten bleibt, aber ein höheres Abstraktivitätsniveau und ein größeres Maß Verallgemeinerbarkeit angestrebt wird. Die QCA als Methode füllt durch ihre Anwendbarkeit auf mittlere Fallzahlen eine Leerstelle im sozialwissenschaftlichen Methodenbaukasten. Diese mittlere Fallzahl ist im vorliegenden Forschungsgegenstand gegeben. Und schließlich eignet sich eine QCA sehr gut, wenn die Erkenntnisse im Forschungsgegenstand noch nicht so weitgehend sind. Sie kann dann dafür genutzt werden, Hypothesen zu generieren, die dann wiederum Einzelfallstudien anleiten können (Schneider/Wagemann 2013: 295). Fallstudien und QCA befruchten sich so gegenseitig. Durch diese Forschung werden Basishypothesen auf Grundlage des Forschungsstandes und weiterer politikwissenschaftlicher Forschung durch die QCA überprüft und Folgehypothesen für weitere Einzelfallstudien erstellt. Eine begründeter Verdacht für kausale Komplexität, eine mittlere Fallzahl und das Interesse an der Bildung von Hypothesen machen daher die QCA zur geeigneten Methode für die vorliegende Forschung.

130

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

8.2.2 Grundlagen Im Folgenden wird in die Grundlagen der QCA eingeführt. Die Einführung soll auch dem QCA-unerfahrenen Leser das Verständnis der Analyse ermöglichen. In einer QCA als mengentheoretisches Verfahren „[…] werden sozialwissenschaftliche Phänomene in Mengen dargestellt und durch die Beziehungen zwischen den Mengen analysiert“ (Wagemann 2016: 65). Ein Fall wird als Konfiguration verschiedener Bedingungen verstanden. Bedingungen und untersuchtes Outcome werden als Gruppen betrachtet. Für jeden Fall (jede Stadt) wird der Aussage der Gruppenzugehörigkeit ein Wert zugeordnet. Die beiden am weitesten verbreiteten Varianten der QCA sind crisp-set QCA (csOCA) und fuzzy-set QCA (fsQCA). Sie unterscheiden sich dahingehend welche Werte für die Bewertung der Aussage der Gruppenzugehörigkeit zugelassen werden (Schneider/ Wagemann 2013: 13). In einer csQCA sind die Werte 0 („nicht wahr“) und 1 („wahr“) zulässig (ebd.). Ein Fall kann also entweder einer Gruppe zugehören oder nicht. In einer fsQCA können weitere Werte zwischen 0 und 1 gewählt werden, jedoch nicht der Mittelwert 0,5 (ebd.: 30). Ein Fall kann also als teilweise zugehörig und teilweise nicht zugehörig zu einer Gruppe betrachtet werden. Die Vergabe von Gruppenmitgliedschaftswerten baut sowohl bei csQCA wie auch fsQCA auf theoretischen Vorwissen und empirischer Evidenz auf (Ragin 2000: 150; Schneider/Wagemann 2007: 280; Schneider/Wagemann 2013: 32). In der vorliegenden Arbeit wurde sich für eine csQCA entschieden. Die Voraussetzung für eine Gruppenmitgliedschaft werden im Rahmen der Kalibrierung begründet und transparent dargelegt. Eine fsQCA hat den Vorteil, dass die Realität feingliedriger abgebildet werden kann als in einer csQCA. Ein qualitativer Unterschied zwischen einer Gruppenzugehörigkeit (Werte größer 0,5) und der Nicht-Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Werter kleiner 0,5) bleibt dabei erhalten, hinzu kommt eine quantitative Unterscheidung. Diese vergleichsweise feinere Abbildung der Realität macht Sinn, wenn theoretisches Vorwissen und verfügbare Daten eine solche graduelle Unterscheidung erlauben. Im Gegensatz dazu werden in einer csQCA starke, trennscharfe Unterscheidung getroffen. Auch eine Tendenz in eine Richtung wird so klar einer Gruppe zugeordnet. Die theoretischen Vorannahmen sind noch vage im Feld, die empirischen Daten werden für eine Vielzahl an Einflussfaktoren erhoben. Dem Abbilden der Breite der möglichen Einflussfaktoren wird dabei Vorrang gegenüber der Tiefe eingeräumt. Aussagen über Teilmitgliedschaften scheinen auf dieser Basis nicht begründet. Durch die Verwendung der csQCA gewinnt der Abdeckungsparameter zudem an Interpretierbarkeit, das Feld wird untergliedert und für weitere Studien aufbereitet.

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

131

Auf Grundlage der Gruppenzugehörigkeit können Wenn-Dann-Aussagen gebildet werden (ebd.). So ist zum Beispiel die Gruppe der EU-Mitglieder eine Teilmenge der Menge der Demokratien. Daraus abgeleitet kann die Aussage getroffen werden: Wenn ein Staat EU-Mitglied ist, dann ist er eine Demokratie (ebd.). Eine QCA eignet sich also dazu, Wenn-Dann-Hypothesen zu generieren und zu untersuchen (ebd.). Für die Untersuchung von Je-Desto-Aussagen sind wiederum statistische Verfahren eher geeignet (ebd.). Wenn-Dann-Beziehungen können weiter in hinreichende und notwendige Bedingungen unterteilt werden (Wagemann 2016: 65). Eine hinreichende Bedingung ist gegeben, wenn es hinreichend ist, die Gruppenmitgliedschaft in einer Gruppe zu kennen und daraus auf die Mitgliedschaft in der zu untersuchenden Gruppe (dem Outcome) zu schließen (ebd.). Eine hinreichende Bedingung ist also eine Teilmenge des Outcomes (ebd.). Im Beispiel ist die Gruppenzugehörigkeit zu der Gruppe „EU-Mitglied“ eine hinreichende Bedingung für „Demokratie“. Eine notwendige Bedingung hingegen ist gegeben, wenn die Gruppenmitgliedschaft in der untersuchten Gruppe, also dem Outcome, nur vorliegt, wenn eine bestimmte andere Gruppenmitgliedschaft gegeben ist. Der Outcome ist folglich eine Teilmenge der anderen Gruppe (Wagemann 2016: 66). Es handelt sich also um das spiegelbildliche Verhältnis (Wagemann 2016: 66). In einer empirischen Untersuchung könnten sich möglicherweise „Wahlen“ als eine notwendige Bedingung für eine Gruppenzugehörigkeit zur Gruppe „repräsentative Demokratie“ herausstellen, auch wenn aus theoretischer Sicht natürlich andere Verfahren zur Repräsentation denkbar sind. Eine Bedingung kann schließlich auch hinreichend und notwendig zugleich sein. In diesem Fall sind beide Gruppen deckungsgleich. Die Beziehung zwischen Teil- und Übermenge ist dabei nicht immer perfekt (Wagemann 2016: 65). Um diesen Umstand zu beschreiben, wird ein Konsistenzmaß genutzt. Fürs erste wird im Folgenden von einer perfekten ­„Teilmengen-Übermengen-Beziehung“ (Wagemann 2016: 65) ausgegangen. Auf das Maß der Konsistenz und dem Umgang mit widersprüchlichen Zeilen wird im Rahmen der Spezifizierung des Verfahrens für diese Arbeit im nächsten Kapitel eingegangen. Eine QCA zeichnet sich bei der Untersuchung der Gruppenbeziehung durch die Berücksichtigung kausaler Komplexität in drei Punkten aus. So ist erstens zu beachten, dass die Aussagen nicht automatisch in ihrer verneinten Form gelten. So lässt sich aus der Aussage „Wenn ein Staat ein EU-Mitglied ist, dann ist er eine Demokratie“ nicht schließen, dass alle ­Nicht-EU-Mitglieder keine Demokratien sind. Durch eine QCA können solche

132

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

asymmetrischer Kausalbeziehung, im Gegensatz zu statistischen Verfahren, berücksichtigt werden (Schneider/Wagemann 2013: 78; Wagemann 2016: 67). Zweitens können nicht nur einzelne Bedingungen entscheidend für das Auftreten eines Phänomens sein, sondern auch eine Kombination aus Bedingungen. Dieser Umstand wird auch als konjunkturale Kausalität bezeichnet (Wagemann 2016: 67). Neben einzelnen Gruppenzugehörigkeiten können also auch Schnittmengen und Vereinigungsmengen Bedingungen für einen Outcome sein (Wagemann 2016: 66). Die einzelnen Bedingungen stehen also nicht wie in der konventionellen Forschung in Konkurrenz um Netto-Effekte auf den Outcome (Ragin 2007: 14). Wechselwirkungen zwischen den erklärenden Faktoren können als Teil einer komplexen Realität durch die Analyse beschrieben werden. Ist eine Bedingung ein notwendiger Teil einer hinreichenden Bedingung wird diese auch als „insufficient but necessary part of a condition which is itself unnecessary but sufficient for the result“ (Mackie 1965: 246) beschrieben oder in Kurzform als INUS-Bedingung bezeichnet. Der dritte Aspekt der komplexen Kausalität zeigt sich in der Abbildung verschiedener Erklärungen für einen Outcome. Ein Outcome kann nicht nur eine Teilmenge in sich tragen, sondern auch mehrere Teilmengen. Äquifinale Erklärungen berücksichtigen so die verschiedenen Umstände, unter denen ein Outcome zustande kommen kann (Wagemann 2016: 66). Dabei können einzelne Teilmengen mehr oder weniger Fälle umschließen. Dieser Umstand wird näher durch die Abdeckung der hinreichenden Bedingung beschrieben. Die Abdeckung (Raw Coverage) ist kein Maß, welches die Qualität der Bedingung, Erklärung oder Teilmenge beschreibt, sondern gibt lediglich Auskunft darüber, für wie viele Fälle der untersuchten Gruppe die Bedingung relevant ist (Schneider/Wagemann 2013: 139). Neben der Raw Coverage steht die Unique Coverage. Diese beschreibt, wie viele Fälle durch eine Bedingung exklusiv abgedeckt werden. Sie kann als Maß dafür gesehen werden, inwiefern die Bedingung durch eine oder mehrere andere Bedingungen ersetzbar ist. Zur Notation greift man in der QCA auf Ausdrucksformen der Booleschen Algebra und Settheorie zurück (Schneider/Wagemann 2013: 42–51). Werden die Bedingungen A, B und C und ihre Wirkung auf den Outcome Y untersucht, so drücken die Buchstaben A, B, C, Y eine Mitgliedschaft in den jeweiligen Gruppen aus, ein „~“ vor dem Buchstaben (~A, ~B, ~C, ~Y) zeigt die ­Nicht-Mitgliedschaft in einer Gruppe an (Schneider/Wagemann 2013: 47). Ein „*“ bedeutet in der Booleschen Algebra „und“ (Schneider/Wagemann 2013: 46). Zur vereinfachten Darstellung der Terme kann das „*“ auch weggelassen und die verbundenen Gruppenbezeichnungen ohne Leerzeichen hintereinander

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

133

notiert werden (Schneider/Wagemann 2007: 56). Ein „+“ bedeutet „oder/und“ (Schneider/Wagemann 2007: 57). Durch einen Pfeil nach rechts („→“) wird eine hinreichende Bedingung gekennzeichnet, durch einen Pfeil nach links („←“) wird eine notwendige Bedingung gekennzeichnet (Schneider/Wagemann 2013: 55).4 Angenommen für eine Mitgliedschaft in Y existiert eine erste hinreichende Bedingung bestehend aus der Vereinigungsmenge von A und B und eine zweite hinreichende Bedingung durch eine Nicht-Mitgliedschaft in C wird das also wie folgt notiert:

A∗B+∼C→Y Als Grundlage der Analyse wird eine sogenannte Wahrheitstabelle (auch Wahrheitstafel genannt) verwendet (Schneider/Wagemann 2007: 43; Schneider/ Wagemann 2013: 91). In dieser wird jede Konfiguration der einbezogenen Bedingungen dargestellt. Das heißt eine Wahrheitstabelle mit k Bedingungen hat 2k Zeilen (Schneider/Wagemann 2013: 92). Einer Analyse mit den Bedingungen A, B und C liegt also eine Wahrheitstabelle mit 8 (23 ) Zeilen zugrunde. Diesen Konfigurationen werden in einem weiteren Schritt die empirisch beobachteten Fälle und der empirisch beobachtete Outcome zugeordnet. Man erhält so eine Übersicht aller Fälle, ihrer Konfigurationen und Gruppenzugehörigkeiten. Noch vor der Analyse auf hinreichende Bedingungen, steht die Analyse notwendiger Bedingungen (Schneider/Wagemann 2007: 49). Wie bereits dargestellt, ist diese nur widerspruchsfrei gegeben, wenn der Outcome nur unter einer bestimmten Bedingung auftritt und nie ohne diese Bedingung. Da eine Schnittmenge zwischen zwei Gruppen kleiner ist als jede Gruppe für sich, ist die Analyse von Schnittmengen von einzeln nicht notwendigen Bedingungen nicht sinnvoll. Ist A und B für sich genommen keine notwendige Bedingung, dann kann auch nicht die Schnittmenge aus A und B notwendig sein. Für die Analyse auf notwendige Bedingungen werden also die Bedingungen einzeln und keine Schnittmengen (z. B. A * B) betrachtet (Schneider/Wagemann 2007: 59). Vereinigungsmengen (z. B. A + B) sind in Ausnahmen zu bilden, z. B., wenn es plausibel ist anzunehmen, dass einzelne Faktoren als funktionale Äquivalente zu verstehen sind (Schneider/Wagemann 2007: 59).

4Neben

dieser Notation sind auch andere Schreibweisen in der Booleschen Algebra und QCA möglich (z. B. Kleinbuchstaben oder ein „¬“ vor dem Großbuchstaben für Nichtmitgliedschaften). In der vorliegenden Arbeit werden lediglich die Zeichen vorgestellt, die in der durchgeführten Analyse Verwendung finden.

134

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Nach der Analyse auf notwendige Bedingungen folgt die Analyse auf hinreichende Bedingungen. Diese kann in einem Bottom-Up-Prozess vorgenommen werden. Hierzu wird zunächst jeder einzelne Faktor daraufhin überprüft, ob er hinreichend für den Outcome ist. In weiteren Schritten werden Kombinationen getestet bis alle Fälle mit dem Outcome Y = 1 (bzw. Y = 0) abgedeckt sind (Schneider/ Wagemann 2007: 63). Dieses händische Verfahren ist jedoch nur bei wenigen einbezogenen Faktoren realistischerweise durchzuführen und kann sehr aufwendig werden (ebd.). Eine zweite Variante arbeitet sich von komplexen Ausdrücken zu vereinfachten Ausdrücken vor (ebd.: 64). Dafür wird zunächst jede Zeile der Wahrheitstafel als hinreichende Bedingung für den beobachteten Outcome verstanden (Schneider/Wagemann 2013: 104). Die Zeilen, die zu dem zu untersuchenden Outcome führen, können dann als komplexer Term mit einem „+“ verbunden und im Weiteren zu einem logischen Äquivalent minimiert werden (Schneider/Wagemann 2007: 65; Schneider/Wagemann 2013: 105). Dieser Minimierungsprozess baut auf dem Quine-McClusky Algorithmus auf (Schneider/Wagemann 2007: 65). Durch ihn werden logisch redundante Bedingungen zusammengefasst. Unterscheiden sich zwei Zeilen nur in einer Bedingung und haben den gleichen Outcome, so kann die sich unterscheidende Bedingung als logisch redundant aus dem Term ausgeschlossen werden (Schneider/Wagemann 2013: 105). Die sich daraus ergebenden Terme werden Prime Implicants genannt (Schneider/Wagemann 2013: 109). Auch sie können logisch redundant sein (ebd.). Zur Erzielung einer möglichst sparsamen Zusammenfassung der Informationen aus der Wahrheitstafel wird nur einer der logisch redundanten Prime Implicants gewählt (ebd.). Die Lösungsterme können dann auf Grundlage theoretischen Vorwissens interpretiert werden. Durch die vorangegangene Einführung in die Methodik soll die notwendige Basis für ein Grundverständnis der Methode bereitgestellt worden sein. Die Methode ist dabei nicht als rein technisches Analyseverfahren zu begreifen, sondern viel mehr als ein umfassender Ansatz, in dem neben der Durchführung des technischen Verfahrens den Entscheidungen des Anwenders auf Grundlage theoretischen Vorwissens große Bedeutung zukommt (vgl. Schneider/Wagemann 2013: 275). Dies betrifft den ganzen Prozess der QCA, von der Auswahl der untersuchten Bedingungen über ihre Kalibrierung, der Wahl bei logisch redundanten Implikaten bis hin zu der Interpretation der Lösungsterme.

8.2.3 Spezifizierung QCA Im vorangegangenen Kapitel wurde in die Grundprinzipien der Qualitative Comparative Analysis (QCA) eingeführt. In der Praxis der QCA treten jedoch zwei Phänomene auf, die weitergehender Entscheidungen bedürfen, die hier

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

135

erläutert werden sollen. Zum einen können in der Praxis Widersprüche zwischen den Outcomes der Fälle in den Zeilen der Wahrheitstafel auftauchen und zum anderen können Zeilen der Wahrheitstafel ohne ausreichende empirische Evidenz im Outcome verbleiben. Unvollständige Wahrheitstafeln in der einen oder der anderen Weise sind in der Praxis die Regel und nicht die Ausnahme und beides erfordert eine Entscheidung des Wissenschaftlers über den Outcome (Schneider/ Wagemann 2013: 119). Die beiden Problemquellen sowie der Umgang in der vorliegenden Forschung mit ihnen werden im Folgenden vorgestellt. Umgang mit Widersprüchen: Konsistenzwert Im Rahmen der Analyse der hinreichenden Bedingungen sind häufig einzelne oder mehrere Zeilen einer Wahrheitstafel inkonsistent (vgl. Schneider/Wagemann 2013: 119). Dies ist der Fall, wenn mehrere Fälle die gleiche Konfiguration aufweisen (also eine Zeile in der Wahrheitstafel teilen), aber nicht den gleichen Outcome (hohes bzw. nicht hohes Aktivitätslevel) haben. Da in der Wahrheitstafel diesen Fällen der gleiche Outcome zugewiesen werden muss, muss eine Entscheidung über den Outcome getroffen werden, die bei einer inkonsistenten Zeile in der csQCA zwangsläufigerweise der empirischen Information aus mindestens einem real existierenden Fall widerspricht. Es gibt verschiedene Möglichkeiten hier eine Entscheidung zu treffen. Schneider und Wagemann empfehlen die Entscheidung auf Grundlage dessen zu treffen, wie weit die Zeile von der Aussage einer perfekten hinreichenden Bedingung für einen bestimmten Outcome abrückt (2013: 122). Der entsprechende Wert setzt die Fälle, die der Aussage einer perfekten hinreichenden Bedingung entsprechen, ins Verhältnis zu allen Fällen in der Zeile der Wahrheitstafel und wird Konsistenzwert genannt. Es ergibt sich also folgende Formel für die Konsistenz (K) einer Zeile der Wahrheitstafel bzw. hinreichenden Bedingung (x): Konsistenz (K) f¨ur hinreichende Bedingung(x): X =

Anzahl F a¨ lle mit X = 1 und Y = 1 Anzahl der F a¨ lle mit X = 1

Statt deterministische trifft man so possibilistische Aussagen (Schneider/Wagemann 2007: 87). Welcher Konsistenzwert als angemessen gilt, um die entsprechende Zeile in eine Analyse einzubeziehen, d. h. den Outcome mit „1“ zu codieren, hängt von einer Reihe von Faktoren ab (Schneider/Wagemann 2013: 127 f.). In der Regel wird davon abgeraten, Zeilen mit einer Konsistenz unter 0,5 in Betracht zu ziehen, da unter dieser Konfiguration dann häufiger der gegenläufige Outcome als der angenommene Outcome beobachtet worden ist (Schneider/Wagemann 2013: 127). Auf eine Konsistenz von 0,75 wird sich dagegen häufig als unterste akzeptable Schwelle berufen (Ragin 2006: 3; Schneider/Wagemann 2013: 127, 129). Indizien dafür, dass eine niedrige

136

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Konsistenzschwelle angemessen sein kann, sind nur vage Erwartungen bezüglich des Forschungsgegenstands in der existierenden Literatur und eine relativ hohe Fallzahl. Beides ist für die Analyse der vorliegenden Arbeit zutreffend. Hinzu kommt, dass berücksichtigt werden muss, dass mit höheren Konsistenzansprüchen eine geringe Abdeckungsquote der Lösungsterme einhergeht, da mit dem Ausschluss einer inkonsistenten Zeile die empirische Information aller Fälle der Zeile für die Analyse verloren geht. In der vorliegenden Arbeit wird daher die Konsistenzschwelle bei 0,75 gewählt. Diese gilt nicht nur für einzelne Zeilen der Wahrheitstafel, sondern auch für die durch den Minimierungsprozess erreichten Lösungsterme. Sprachlich wird in diesen Fällen in der vorliegenden Arbeit auch von hinreichenden Bedingungen gesprochen, die jeweiligen Konsistenzwerte der Bedingungen werden dabei immer kenntlich gemacht. Auf die Analyse der notwendigen Bedingung kann das Konzept der Konsistenz übertragen werden. Bei den notwendigen Bedingungen, werden nur einzelne Faktoren, aber keine Konfigurationen getestet (außer sie können als Substitut füreinander gelten). Hier werden die Fälle, die den Outcome Y und die Bedingung X aufweisen, gegenüber jenen ins Verhältnis gesetzt, die den Outcome Y aufweisen: Konsistenz (K) f¨ur notwendige Bedingung (x): X =

Anzahl F a¨ lle mit X = 1 und Y = 1 Anzahl der F a¨ lle mit Y = 1

Für notwendige Bedingungen sollte ein deutlich höheres Konsistenzmaß zugrunde gelegt werden, als dies für hinreichende Bedingungen der Fall ist (Schneider/Wagemann 2013: 278). In der vorliegenden Arbeit werden daher nur solche Bedingungen als notwendig betrachtet, die eine Konsistenz gleich 1 aufweisen. Das bedeutet, dass immer wenn der Outcome (das Aktivitätslevel) den Wert 1 annimmt, auch der entsprechende Faktor gegeben sein muss. Des Weiteren werden identifizierte notwendige Bedingungen auf Trivialität getestet. Dies bedeutend, es wird überprüft, ob der entsprechende Faktor omnipräsent in der untersuchten Einheit ist und daher keine Aussage über seine Notwendigkeit für einen bestimmten Outcome getroffen werden kann (vgl. Schneider/Wagemann 2013: 144). Umgang mit begrenzter empirischer Vielfalt Jede mögliche Konfiguration der Faktoren stellt eine Zeile in der Wahrheitstafel dar, auf deren Grundlage hinreichende Bedingungen ermittelt werden. Bei k Faktoren ergeben sich so 2k Zeilen der Wahrheitstafel (Schneider/Wagemann 2013: 92). Häufig existieren nicht für alle dieser Kombinationsmöglichkeiten auch genug empirische Fälle, die Aufschluss über den Outcome unter einer

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

137

bestimmten Kombination geben könnten. Dieser Umstand wird auch „begrenzte empirische Vielfalt“ (Schneider/Wagemann 2007: 101) genannt. Für die Frage, wie viele Fälle in einer Zeile der Wahrheitstafel genug sind, dient die gesamte Fallzahl als Orientierung (Schneider/Wagemann 2013: 153). Bei der gegebenen Fallzahl der vorliegenden Arbeit wird in der Regel nur ein Fall veranschlagt (ebd.). Ein Vorgehen, dem auch in der vorliegenden Arbeit gefolgt wird. Die Ursachen für mangelnde empirische Vielfalt werden von Schneider und Wagemann in drei Gruppen unterteilt: „impossible remainders“, „arithmetic remainders“ und „clustered remainders“ (2013: 153). Erstere bezeichnen solche Konfigurationen, die logisch unmöglich sind und daher nicht durch empirische Fälle abgedeckt werden können (ebd.). Ein Beispiel hierfür stellt eine Analyse dar, in der die Gruppen „Schwangerschaft (ja/nein)“ und „Frau (ja/nein)“ existieren. Alle Zeilen, in denen Frau (nein) mit einer Schwangerschaft (ja) kombiniert wären, hätten zwangsläufiger Weise keine empirische Evidenz im Outcome. Die Ursache arithmetischer Art liegt hingegen vor, wenn die Anzahl der Zeilen in der Wahrheitstafel die Anzahl der empirischen Fälle übersteigt (ebd.). Die letzte Ursachengruppe verweist auf dem Umstand, dass die Welt durch „historical, social, cultural and other processes“ (Schneider/Wagemann 2013: 154) strukturiert ist und daher bestimmte Kombinationen häufiger auftreten als andere. Begrenzte empirische Vielfalt ist kein Phänomen, welches aus der Wahl der QCA als Methode hervorgeht, sondern betrifft alle sozialwissenschaftlichen empirisch-vergleichenden Forschungen (Ragin/Sonnett 2005: 181; Schneider/ Wagemann 2013: 157). Der Vorteil der QCA als Methode ist, dass sie alleine fehlende empirische Vielfalt sichtbar macht und der Umgang mit fehlender empirischer Vielfalt transparent wird (Ragin/Sonnett 2005: 182; Schneider/Wagemann 2013: 160). Zum Umgang mit mangelnder empirischer Vielfalt im Minimierungsprozess wurden verschiedenen Verfahren entwickelt. Unabhängig davon, wie Zeilen ohne empirische Evidenz codiert werden, widersprechen die Lösungen dabei nie den empirisch vorhandenen Informationen, sind also formal logisch richtig (Schneider/Wagemann 2013: 161). Die von Charles C. Ragin und John Sonnett entwickelte „Standard Analysis“ gilt als gute Praxis zum Umgang mit dem Problem (Ragin/Sonnett 2005; Schneider/Wagemann 2013: 161). Sie umfasst die Erstellung drei verschiedener Lösungen, die auf einem unterschiedlichen Umgang mit mangelnder empirischen Vielfalt im Prozess der Minimierung beruhen. Zum Erzielen der „conservative solution“ (Ragin/Sonnett 2005: 182; Schneider/Wagemann 2013: 162) wird der Outcome aller Zeilen ohne empirische Evidenz mit „0“ kodiert und auf ihren Einbezug im Minimierungsprozess so verzichtet. In der „most parsimonious solution“ (Schneider/Wagemann 2013: 166)

138

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

werden alle Zeilen ohne empirische Evidenz in der Art und Weise kodiert, dass die am wenigsten komplexe Lösung entsteht. Zwischen beiden Lösungen steht die sogenannte „intermediate solution“. Sie ist ein Superset der „conservative solution“ und ein Subset der „most parsimonious solution“ (Ragin/Sonnett 2005: 204; Schneider/Wagemann 2013: 175). Für sie werden die theoretischen Annahmen zu den Einflussfaktoren berücksichtigt. Diese Annahmen wurden durch die Ausrichtung der Codierung abgebildet. Die Codierung mit „1“ wird für die Ausprägung des Einflussfaktors, durch die er aus theoretischer Sicht dem Outcome zuträglich ist, verwendet und die Codierung mit „0“ für die Ausprägung, durch welche er abträglich ist. Einbezogen werden dann jene Zeilen der Wahrheitstafel ohne empirische Evidenz, welche die konservative Lösung vereinfachen, im Einklang mit den theoretischen Annahmen sind und durch die weder notwendige Bedingungen noch Bedingungen der „most parsimonious solution“ aus dem Lösungsterm verloren gehen (Schneider/Wagemann 2013: 176). Die „intermediate solution“ stellt einen auf theoretischen Wissen aufbauenden Kompromiss zwischen Komplexität und Sparsamkeit dar (Ragin/ Sonnett 2005: 4) und wird daher als Grundlage für die Interpretation verwendet. Die „conservative“ und „most parsimonious solution“ sind im Anhang einsehbar (siehe Anhang IV). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnten zehn Einflussfaktoren auf das Aktivitätslevel identifiziert werden. Im nächsten Abschnitt (8.1 Einflussfaktoren) werden diese zehn Faktoren vorgestellt. Eine Stärke der QCA ist die Berücksichtigung von konjunktiven Wirkungen, aber auch hier ist die Anzahl der in einem Analysedurchgang berücksichtigenden Einflussfaktoren nicht unbegrenzt. Eine Wahrheitstafel mit allen zehn Faktoren hat 1024 (2^10) Zeilen. Bei 49 untersuchten Fällen ist bereits die arithmetisch bedingte begrenzte empirische Vielfalt überwältigend. Die empirische Basis wäre im Verhältnis verschwindend gering, die Lösungsterme überkomplex und nicht interpretierbar (Schneider/Wagemann 2007: 256). Es gibt bisher in der QCA-Praxis keine Richtschnur dafür, welches Verhältnis zwischen empirischer Basis und fehlender empirischer Evidenz noch als angemessen gelten kann. Für die vorliegende Forschung wird die Zahl der gleichzeitig analysierten Faktoren auf fünf begrenzt. Die entsprechende Wahrheitstafel hat 32 (2^5) Zeilen. Damit ist zu vermuten, dass die 49 untersuchten Fälle einen Großteil der Zeilen abdecken und somit Zeilen ohne empirische Evidenz nicht in der Mehrheit sind. Es wurden daher zwei Erklärungssets gebildet und separat analysiert. Das erste Set „Rahmenfaktoren“ beinhaltet alle Faktoren, die nicht unmittelbar durch die lokale Politik und Verwaltung gestaltbar sind. Das zweite Set „Lokale Politik“ beinhaltet alle Faktoren, auf die die lokale Politik und Verwaltung

8.2  Qualitative Comparative Analysis (QCA)

139

unmittelbaren Zugriff hat. Die Aufteilung in mehrere Sets ist ein übliches Vorgehen im Rahmen der Qualitative Comparative Analysis (vgl. Schneider/ Wagemann 2007: 256). Die in der vorliegenden Arbeit gebildeten Sets unterscheiden sich auf Grundlage des Kriteriums der Gestaltbarkeit der Faktoren durch die lokale Politik und Verwaltung. Auf diese Art und Weise werden alle zehn Einflussfaktoren sowie konjunktive Wirkungen der lokalen Faktoren und konjunktive Wirkungen der Rahmenfaktoren in die Analyse einbezogen. Konjunktive Wirkungen zwischen den Faktoren der beiden Sets werden dagegen nicht berücksichtigt. Durch die getrennte Analyse wird keinesfalls verneint, dass die Rahmenfaktoren auf die lokalen Faktoren wirken. Ein experimenteller, iterativer Umgang mit den Daten veranlasst die Annahme, dass diese Wirkung innerhalb der Sets größer als zwischen den Faktoren der Sets ist. Die Trennung betrifft außerdem einen Dreh- und Angelpunkt der Urban Studies. Nämlich die Frage, ob im spezifischen Politikfeld lokales politisches Handeln relevant ist oder nur Spielball von den Faktoren, die es umgibt (vgl. John 2009: 18). Aus den Ergebnissen können so Hinweise dazu gewonnen werden, ob die lokale Politik und Verwaltung ohne Anschauung der sie umgebenden Faktoren Einfluss auf das Aktivitätslevel ausüben können. Im Anschluss an die getrennte Analyse werden die Ergebnisse wieder zusammengeführt und den Fällen zugeordnet. So kann präzisiert werden, in welchen Städten besonders förderliche Rahmenfaktoren und in welchen Städten vorrangig Faktoren der lokalen Politik ausschlaggebend für ein gesteigertes Aktivitätslevel waren. Dies kann in weiterführenden qualitativen Studien helfen, den Fokus der Untersuchung zu lenken. Verwendete Software Das Minimierungsverfahren wird in der vorliegenden Arbeit mit Hilfe der frei erhältlichen Computersoftware fsQCA 2.5 durchgeführt. Es stellt das am weiteste verbreitete Analyseprogramm zur Durchführung einer QCA dar (Schneider/ Wagemann 2013: 282). Sofern redundanten Prime Implicants existieren, wird ihre Wahl dabei dem Anwender freigestellt. Das Programm erstellt die conservative solution, most parsimonious solution und intermediate solution, auf Basis der Eingaben des Nutzers zu den theoretischen Vorannahmen. Mit der Software können darüber hinaus sogenannte Subset/Superset-Analysen durchgeführt werden. Dabei wird für jede Bedingung bzw. Gruppe sowie den verschiedenen Schnittmengen der Gruppen ermittelt, wie hoch die Abdeckung (raw coverage) und Konsistenz der Bedingungen bzw. der Kombination der Bedingungen ist. Das Programm TOSMANA 1.5.4.0 ist ebenso frei erhältlich und auch für die Durchführung einer QCA konzipiert. Sein größter Nachteil gegenüber fsQCA

140

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

ist, dass keine theoretischen Vorannahmen zur Erstellung einer intermediate solution eingegeben werden können. Dennoch ist es als Ergänzung für bestimmte Aufgaben geeignet (vgl. auch Schneider/Wagemann 2013: 283). So eignet sich TOSMANA für Clusteranalysen im Rahmen der Kalibrierung. Eine weitere hilfreiche Funktion der Software ist die Dokumentation von Fallbezeichnung bei der Erstellung einer Wahrheitstafel. Sollen die Fälle einer Zeile identifiziert werden, um sie genauer zu betrachten, kam daher TOSMANA zum Einsatz.

8.3 Kalibrierung Damit die QCA durchgeführt werden kann, muss entschieden werden, wann einem Fall auf Grundlage der erhobenen empirischen Daten eine Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe zugewiesen bekommt. Der Vorgang, in dem dies geschieht, wird „Kalibrierung“ genannt (Schneider/Wagemann 2013: 32) und erfolgt für den Outcome sowie für die Bedingungen im vorliegenden Kapitel.

8.3.1 Outcome: Aktivitätslevel Das Aktivitätslevel beschreibt die relative Menge der durchgeführten Maßnahmen einer Katastrophenschutzbehörde im Vergleich zu der maximal erreichten Maßnahmenanzahl einer Fallstadt. In Kapitel  6 „Analyse I: Maßnahmen der Katastrophenschutzämter“ wurde Einblick in die Maßnahmen der Katastrophenschutzämter entlang der sieben Handlungsfelder gewonnen. Dieser bildet den Ausgangspunkt für die Operationalisierung des Aktivitätslevels, durch welches die Fälle in die Gruppen „kein hohes Aktivitätslevel“ und „hohes Aktivitätslevel“ unterteilt werden. Die Bestimmung des Aktivitätslevels orientiert sich an dem Fall, mit den meisten getroffenen Maßnahmen. Es handelt sich daher beim Aktivitätslevel um kein absolutes Maß, sondern ein relatives Maß. Weiter kann grundlegend zwischen zwei Ansätzen zur Messung der Aktivität unterschieden werden. Diese werden als density approach und intensity approach bezeichnet (vgl.: Knill/Tosun 2012; Schaffrin et al. 2015: 260). Während beim ersten die Dichte oder auch Anzahl an Maßnahmen bestimmt wird, werden in einem intensity approach Faktoren wie die finanzielle Basis oder die Reichweite der Maßnahmen berücksichtigt (Schaffrin et al. 2015: 260 f.). Aktivität wird in der vorliegenden Arbeit anhand der Quantität („density approach“), nicht anhand der Qualität der Maßnahmen gemessen („intensity approach“). Durch den gewählten Ansatz ist es möglich, eine gute Einsicht in die Aktivitätsbereiche und das Aktivitätsausmaß der Städte über

8.3 Kalibrierung

141

die verschiedenen Handlungsfelder hinweg zu erlangen. Er passt daher gut zum Ansatz der Arbeit. Ferner ist er für mittlere Fallzahlen geeigneter als der intensity approach, der eher im Rahmen einzelner Fallstudien umsetzbar ist. Im Rahmen der Erhebung wurde festgestellt, dass sich 80 Prozent der Katastrophenschutzämter mit der Steigerung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall beschäftigen, sechs Prozent in einem geringeren räumlichen oder zeitlichen Umfang und 14 Prozent geben an, sich gar nicht mit dem Szenario zu befassen. Die Fälle, die angegeben haben, sich in einem geringeren zeitlichen oder räumlichen Ausmaß mit dem Szenario zu beschäftigen, können weder als inaktiv gelten, noch erscheint es gerechtfertigt, sie genauso zu behandeln wie die Städte, die sich mit dem Szenario in voller zeitlicher und räumlicher Ausdehnung beschäftigen. Die drei Städte, die das betrifft, wurden aus dem zweiten Teil der Analyse daher ausgeschlossen. Für alle anderen Fälle wurde das Aktivitätsniveau auf einer Skala zwischen 0 und 1 quantifiziert und ein Schwellenwert für die Zuordnung zu der Gruppe „kein hohes“ bzw. „hohes Aktivitätslevel“ eingeführt. Für die Quantifizierung wurde zunächst für die 14 Prozent der Katastrophenschutzämter, die angegeben haben, sich mit dem Szenario eines Stromausfalls in keinerlei Ausmaß zu beschäftigen, ein Aktivitätslevel von 0 angenommen. Für die restlichen 80 Prozent der Katastrophenschutzämter wurde für jedes Handlungsfeld ein Prozentsatz ermittelt, der das Verhältnis der durchgeführten zu den abgefragten Maßnahmen angibt. Im nächsten Schritt wurden die Prozentsätze pro Handlungsfeld gleich gewichtet zusammengefasst. Es wurde also kein Handlungsfeld als wichtiger als ein anderes eingestuft. Der höchste sich ergebende Wert für eine Stadt betrug gerundet 0,8341. Dieser wurde als Maximalwert angenommen, da es sich um das höchste real existierende Aktivitätsniveau der Städte der Erhebung handelt. Die Skala wurde dementsprechend gestreckt. Der sich ergebende Wert ist als Aktivitätslevel (AL) der Stadt für diese Arbeit definiert. Die folgende Formel fasst den Prozess der Quantifizierung für alle Städte zusammen, die sich mit dem Szenario auseinandersetzen: AL =

durchgef u¨ hrte Maßnahmen HF1 abgefragte Maßnahmen HF1

+

durchgef u¨ hrte Maßnahmen HF2 abgefragte Maßnahmen HF2

7

+ ··· +

durchgef u¨ hrte Maßnahmen HF7 abgefragte Maßnahmen HF7

/0,8341

Bei der Bestimmung des Schwellenwerts ist zu beachten, dass erstens kein Cluster durch den Schwellenwert durchbrochen wird und zweitens ein inhaltlich aussagekräftiger Wert gewählt wird, der die Trennung in zwei dichotome Kategorien rechtfertigt (vgl. Schneider/Wagemann 2013: 33). Betrachtet man die Verteilung der Aktivitätslevel in einer in TOSMANA erstellten Clusteranalyse (siehe Abbildung 8.2), erkennt man, dass die meisten Städte mit gleichem Aktivitätslevel mit 0 bewertet wurden.

142

8  Konzeptspezifikation und Operationalisierung II

Abbildung 8.2   Clusteranalyse der Aktivitätslevel

Des Weiteren gibt es ein Cluster rund um den Mittelwert von 51 Prozent. Dieser hat eine kleine Lücke bei 55 Prozent. Vor und hinter diesem Cluster gibt es größere Lücken, die sich potenziell eignen, um eine Trennlinie zu ziehen, die die Fälle in zwei Gruppen trennt. Es gilt also zu entscheiden, wie hoch die Schwelle liegen soll, um ein Mitglied der Gruppe „hohes Aktivitätslevel“ zu sein. Die dahinterstehende Frage ist, ob im Erkenntnisinteresse der Arbeit mehr die Faktoren stehen, die zu einem sehr hohen relativen Aktivitätslevel führen oder auch jene, die sich im Mittelfeld befinden. Angesichts des allgemein sehr niedrigen Niveaus der Auseinandersetzung mit dem Thema in den Katastrophenschutzämtern, ist es von vorrangigem Interesse zu wissen, welche Faktoren zu einer initialen Beschäftigung mit dem Thema führen. Im Interesse der Arbeit steht damit, die Ermittlung der Faktoren, die dazu führen, dass eine Stadt klar ersichtliche Ansätze zur Beschäftigung mit dem Thema zeigt. Diese können gesehen werden, wenn eine Stadt im Mittel circa ein Drittel der gegebenen Maßnahmen je Handlungsfeld bereits durchgeführt hat. Aus dieser Perspektive ist es sinnvoll, den Schwellenwert vor den Städten im Mittelfeld zu setzen. Folglich wurde der Schwellenwert bei einem Aktivitätslevel von 42 Prozent gesetzt. Städte mit einem niedrigeren Wert werden der Gruppe „kein hohes Aktivitätslevel“ zugeordnet. Städte, deren Aktivitätslevel über diesem Wert liegt, werden der Gruppe „hohes Aktivitätslevel“ zugeordnet.

8.3.2 Bedingungen: Einflussfaktoren Für die Analyse muss nicht nur der Outcome, also das Aktivitätslevel, dichotom vorliegen, sondern auch die Einflussfaktoren müssen für jeden Fall als gegeben oder nicht gegeben bewertet werden können. In der Terminologie der QCA spricht man bei den Faktoren, deren Einfluss untersucht werden soll, von sogenannten Bedingungen. Die Bedingungen werden

8.3 Kalibrierung

143

dabei immer mit 1 codiert, wenn sie der Gruppe zugehören, deren Eigenschaft als förderlich für ein hohes Aktivitätslevel eingeschätzt wurde und mit 0, wenn dies nicht der Fall ist. In Abschnitt 8.1 wurden die Einflussfaktoren theoretisch hergeleitet und eingebettet. Für viele der Einflussfaktoren ergibt sich daraus automatisch eine dichotome Kategorie. So zum Beispiel bei der Wahrnehmung von Entrepreneuren aus verschiedenen Bereichen. Wird ein Entrepreneur aus einem bestimmten Bereich wahrgenommen, so ergibt sich daraus die Codierung 1 für den entsprechenden Faktor. Wird kein Entrepreneur aus dem entsprechenden Bereich wahrgenommen, ergibt sich daraus die Codierung mit 0. Andere Bedingungen können grundsätzlich auf mehrere Arten und Weisen dichotomisiert werden. Hier liegt es am Wissenschaftler oder an der Wissenschaftlerin, eine begründete Entscheidung zu treffen. Im Folgenden werden die Codierungen der Faktoren kurz dargestellt. Ein Kritisches Ereignis (KE) wurde dann mit 1 bewertet, wenn eine Erfahrung mit einem Stromausfall (≥20 Minuten) existiert und/oder mit einer anderen Katastrophe, die zur Auseinandersetzung beigetragen hat. Dies trifft auf 34 der 46 Fallstädte zu. Trifft dies nicht zu, wurde der Faktor mit 0 codiert. Der Faktor Bundesland (BL) wurde dann mit 1 codiert, wenn die Stadt in einem Bundesland ansässig ist, dass eine Rahmenempfehlung zum Umgang mit einem Stromausfall veröffentlicht hat oder den Schutz kritischer Infrastrukturen im Katastrophenschutzgesetz explizit als Aufgabe der Katastrophenschutzbehörde benannt hat (Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein). Dies trifft auf 15 der 46 Fallstädte zu. Liegt die Stadt in einem anderen Bundesland, wurde der Faktor mit 0 codiert. Der Faktor Finanzielle Situation (FIN) wurde, wie in Abschnitt 8.1.1 dargestellt, über die Wahrnehmung der Situation durch den Zuständigen im Amt erfragt. Sie wurde mit 1 bewertet, wenn die finanzielle Situation nicht als hinderlich für ein weitergehendes Engagement wahrgenommen oder mindestens mittelmäßig oder besser (Skalenwerte ≥ 3) eingeschätzt wurde. Sie wurde mit null bewertet, wenn die finanzielle Situation als schlecht (Skalenwerte  0). Dies sind 21 Zeilen von theoretisch 32 möglichen Konfigurationen. Es sind also für mehr Konfigurationen empirische Daten vorhanden, als dies nicht der Fall ist. Zeilen mit einer Konsistenz kleiner Tabelle 9.2   Wahrheitstabelle, Set „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen

153

1 wurden mit einem „C“ als Kurzform für „Contradiction“ hinter der Zeile gekennzeichnet. Die Wahrheitstabelle ist nach absteigender Fallzahl sortiert. Die erste Zeile zeigt folglich die Konfiguration mit der höchsten Fallzahl (10 Städte). Es handelt sich um eine widersprüchliche Zeile mit einer Konsistenz von 0,9. Eine der zehn Städte, die diese Konfiguration teilen, hat also kein hohes Aktivitätslevel. Mit einer Konsistenz von 0,9 überschreitet sie deutlich den für die vorliegende Arbeit gewählten Konsistenzschwellenwert von 0,75 (siehe Abschnitt  8.2.3) und wird daher in die Analyse des hohen Aktivitätslevels einbezogen. Neben dieser Zeile gibt es acht weitere Zeilen, die Widersprüche aufweisen. Alle diese Zeilen wurden aufgrund zu niedriger Konsistenzwerte im Outcome mit 0 bewertet und daher in die Analyse des hohen Aktivitätslevels nicht einbezogen. Die hohen Fallzahlen in den widersprüchlichen Zeilen zeigt bereits, dass die Rahmenfaktoren alleine nicht in der Lage sind, alle Fälle mit hohem Aktivitätslevel zu erklären. Die Hypothese HRF3 wird damit bestätigt. Es ist weiter zu erkennen, dass zweimal die Konfiguration existiert, in der alle Rahmenfaktoren mit 1 bewertet wurden. In beiden Fällen liegt ein hohes Aktivitätslevel vor. Durchgängig positiv bewertete Rahmenfaktoren sind also eine hinreichende Bedingung für ein hohes Aktivitätslevel. Die geringe empirisch beobachtbare Fallzahl gilt es bei der Bewertung dieser Aussage jedoch zu beachten. Die Hypothese HRF1 wird unter Einschränkung der geringen Anzahl empirisch beobachtbarer Fälle bestätigt. Der umgekehrte Fall, in dem kein einziger Rahmenfaktor mit 1 bewertet wurde, ist empirisch nicht vorhanden. Der Minimierungsprozess soll dabei helfen, weitere hinreichende Bedingungen zu identifizieren. Sie ist Grundlage zur Untersuchung der Hypothese HRF2, die besagt, dass alle Rahmenfaktoren INUS-Bedingungen sind. Tabelle 9.3 zeigt die Lösungsterme der Intermediate Solution1 für das Set „Rahmenfaktoren“ und den Outcome = 1 (Hohes Aktivitätslevel). Zunächst fällt auf, dass die Lösungsterme sehr hohe Konsistenzwerte haben, aber alle zusammen nur 67 Prozent der Fälle abdecken. Die Abdeckung ist damit erwartungsgemäß gering, da Hypothese HRF3 bereits auf Grundlage der widersprüchlichen Zeilen in der Wahrheitstafel bestätigt wurde. Des Weiteren enthalten drei Lösungsterme (1,3,4) jeweils mindestens einen mit Null bewerteten Faktor (gekennzeichnet durch „~ “ vor dem Faktorkürzel).

1Die

Complex und Parsimonious Solutions sind im Anhang einsehbar.

154

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Tabelle 9.3   Intermediate Solution, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Gesamtabdeckung

Rohabdeckung

Konsistenz

1

WI*KE* ~BL* ~ZG

0.37

0.37

0.92

2

ZG*WI*BL

0.13

0.13

1.00

3

ZG*FIN* ~WI

0.10

0.10

1.00

4

FIN*BL* ~KE

0.07

0.07

1.00

solution coverage:

0.67

solution consistency:

0.95

Auch sie stellen INUS-Bedingungen dar. Aus theoretischer Sicht ist es jedoch nicht nachvollziehbar, wie diese einen notwendigen Beitrag zum Outcome leisten. Dieser Umstand kann einen Ausschluss aus dem Term zur Interpretation rechtfertigen (Schneider/Wagemann 2013: 281). Nachvollziehbar hingegen erscheint es, die mit Null bewerteten Faktoren in den Lösungstermen als Hinweis auf Inkonsistenzen im Superset des Terms zu bewerten. Das Superset wird daher ins Zentrum der Interpretation gerückt. Als ergänzender Analyseschritt wird durch eine Superset-Analyse überprüft, ob auch das Superset den Konsistenzschwellenwert von 0,75 erreicht. Wenn dies nicht der Fall ist, wird der Term aus der Interpretation ausgeschlossen. Tabelle 9.4 zeigt die Prüfung der Supersets und den neuen Konsistenz- und Gesamtabdeckungswert für die Lösungsterme 1,3 und 4 im Überblick. Aus Tabelle 9.4 wird ersichtlich, dass die Supersets der Lösungsterme 1 und 3, den Konsistenzschwellenwert von 0,75 erreichen. Das Superset des Lösungsterms 4 unterschreitet ihn und wird daher aus der Interpretation ausgeschlossen. Folglich verbleiben folgende Lösungen (Tabelle 9.5): Die drei Lösungsterme enthalten alle fünf betrachteten Rahmenfaktoren in 2er- oder 3er-Konfigurationen. Die Konsistenzschwelle wurde in Lösungsterm 1 und 3 nur geradeso überschritten. Alle Rahmenfaktoren sind als I­ NUS-Bedingung

Tabelle 9.4   Superset-Analyse, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Superset

Gesamtabdeckung

Konsistenz

1

WI*KE* ~BL* ~ZG

WI*KE

0.63

0.76

3

ZG*FIN* ~WI

ZG*FIN

0.20

0.75

4

FIN*BL* ~KE

FIN*BL

0.27

0.73

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen

155

Tabelle 9.5   Lösungsterme, Set: „Rahmenfaktoren“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Gesamtabdeckung

Rohabdeckung

Konsistenz

1

WI*KE

0.63

0.50

0.76

2

ZG*FIN

0.20

0.10

0.75

3

ZG*WI*BL

0.13

0.03

1.00

solution coverage:

0.76

solution consistency:

0.79

im Ergebnis enthalten. Für die Hypothese HRF2 bedeutet dies, dass diese angenommen werden kann. Im Folgenden werden nun die identifizierten Lösungsterme mit absteigender Abdeckung beschrieben. Dabei wird in diesem Schritt ganz bewusst auf Annahmen über Wirkungsmechanismen verzichtet, um eine klare textliche Trennung zwischen dem analytischen Ergebnis und der Hypothesengenerierung vorzunehmen. Lösungsterm 1: WI*KE Ein Unternehmen als Entrepreneur und ein kritisches Ereignis Wenn ein Entrepreneur aus einem stadtansässigen Unternehmen wahrgenommen wird und eine Erfahrung mit einem kritischen Ereignis besteht, führt dies in 76 Prozent der Fälle zu einem hohen Aktivitätslevel. Diese Konfiguration ist bei 63 Prozent aller Fälle, also in über der Hälfte der Fälle, die ein hohes Aktivitätslevel aufweisen, gegeben. WI*KE ist damit der abdeckungsstärkste Pfad der Analyse des Sets. Die Rohabdeckung zeigt außerdem, dass er zum weitaus größten Teil nicht durch andere der Lösungsterme ersetzbar ist. Die Konsistenz von 0,76 verweist darauf, dass es sich offensichtlich um förderliche Rahmenbedingung für die Aktivität im Themenfeld handelt, aber kein Garant für diese ist. Lösungsterm 2: ZG*FIN Ein Entrepreneur aus der Zivilgesellschaft und eine gute finanzielle Situation des Katastrophenschutzamtes Ein Entrepreneur aus der Zivilgesellschaft und eine gute finanzielle Situation führt bei 75 Prozent der Fälle, die diese Konfiguration teilen, zu einem hohen Aktivitätslevel. Er deckt laut Superset-Analyse 20 Prozent aller Fälle mit hohen Aktivitätslevel ab, davon die Hälfte exklusiv. Er ist damit der Lösungsterm mit

156

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

der zweithöchsten Abdeckung in der Analyse der Rahmenfaktoren. Er erreicht wie der erste Term nur knapp den Konsistenzschwellenwert. Auch er ist kein Garant für ein hohes Aktivitätslevel, aber geht in vielen Fällen mit einem hohen Aktivitätslevel einher. Lösungsterm 3: ZG*WI*BL Ein Entrepreneur aus der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft und ein im Themenfeld engagiertes Bundesland Der Lösungsterm 2 hat eine perfekte Konsistenz, das heißt alle Städte, die diese Konfiguration aufweisen, haben ein hohes Aktivitätslevel. Seine Gesamtabdeckung ist mit 13 Prozent gering, seine Rohabdeckung mit einem Fall minimal. Es handelt sich um Städte, die in einem Bundesland liegen, welches sich im Themenbereich engagiert und in denen eine breite Entrepreneurbasis aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft sich für das Thema einsetzt. Das Katastrophenschutzamt ist hier also von Akteuren umgeben, die das Thema aktiv fördern und dazu in einer Stadt ansässig, die in einem Bundesland liegt, welches, beispielsweise durch die Erstellung von Rahmenplänen, eine Richtschnur zur Bearbeitung des Themas zur Verfügung stellt. Zusammenfassung: Einfluss der Rahmenfaktoren Hypothese 3 wurde angenommen und Hypothese 1 und 2 wurden unter Einschränkungen angenommen. Optimale Rahmenbedingungen (alle Rahmenfaktoren mit 1 bewertet) sind also hinreichend für ein hohes Aktivitätslevel (HRF1). Eingeschränkt wird diese Aussage durch die geringe Anzahl empirischer Fälle mit der genannten Konfiguration (zwei Fälle). Des Weiteren zeigt die Gesamtabdeckung und Konsistenz aller Terme, dass die Rahmenfaktoren nicht alle Fälle erklären können. Dies bestätigt Hypothese 3 und zeigt die Notwendigkeit, das Set „Lokale Politik“ zu untersuchen. Die logische Minimierung hat außerdem gezeigt, dass alle Rahmenfaktoren (unter der Annahme eines Konsistenzniveaus von mindestens 0,75) ­INUS-Bedingungen sind (HRF2). Die Analyse hat dabei drei Terme ergeben. Einer dieser Terme ist eine perfekt konsistente hinreichende Bedingung. Diese erfordert die Lage der Stadt, in einem engagierten Bundesland und eine breite Entrepreneurbasis aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diese erste hinreichende Bedingung betrifft jedoch nur vier Fälle. Eine geringe Abdeckung heißt nicht, dass die Bedingung theoretisch uninteressant ist (vgl. Schneider/Wagemann 2013: 281). Sie kann jedoch, ähnlich wie die hinreichende Bedingung „optimale Rahmenfaktoren“, keinen Ansatz für die Aktivität der meisten Städte liefern. Diese wird durch eine der weiteren nicht-perfekt konsistenten, hinreichenden

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen

157

Bedingungen geliefert. Dieser fordert einen Fürsprecher durch ein stadtansässiges Unternehmen und die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis (KE*WI). Als abdeckungsstärkster Lösungsterm der Rahmenfaktoren ist ein tieferer Einblick in den Term und seinen Wirkungsmechanismus besonders interessant, möchte man Erklärungen für einen Großteil der Städte finden. Sie wird daher Grundlage für die Bildung von Folgehypothesen des Sets „Rahmenfaktoren“ sein.

9.2.2 Set „Lokale Politik“ Das Set „Lokale Politik“ besteht aus den Faktoren: • • • • •

Starke thematische Einbindung in den überlokalen Handlungsraum (ÜLH) Wahrnehmung des (Ober-)Bürgermeisters als Entrepreneur für das Thema (OB) Wahrnehmung eines lokalen Politikers als Entrepreneur für das Thema (LP) Risikowahrnehmung (RW) Engagement in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen (RET)

Die Hypothesen lauten: HLP1: Optimale Bedingungen in der lokalen Politik (alle Faktoren mit 1 bewertet) sind hinreichend für ein hohes Aktivitätslevel. HLP2:  Jeder der Faktoren der lokalen Politik ist für sich selbst genommen nicht notwendig für ein hohes Aktivitätslevel, aber ein notwendiger Teil einer hinreichenden Bedingung für ein hohes Aktivitätslevel (INUSBedingungen). HLP3: Die lokalen Faktoren erklären weitere Fälle über jene Fälle hinaus, die bereits durch die Rahmenfaktoren erklärt worden sind. Sie sind aber auch nicht in der Lage alle Fälle zu erklären. Tabelle 9.6 zeigt die Zeilen der Wahrheitstafel für das Set „Lokale Politik“ für ein hohes Aktivitätslevel (Outcome = 1), für die empirische Daten vorliegen. Dies sind 16 von 32 möglichen Kombinationen. Der Tabelle ist weiter zu entnehmen, dass fünf Zeilen Widersprüche aufweisen (mit „C“ gekennzeichnete Zeilen). Dies sind weniger widersprüchliche Zeilen als bei den Rahmenfaktoren. Nur eine dieser widersprüchlichen Zeilen überschreitet den Konsistenzschwellenwert. Diese Zeile ist die Zeile Nr. 1 mit einer Konsistenz von 0,8.

158

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Tabelle 9.6   Wahrheitstabelle, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1

Die Betrachtung der Extremfälle zeigt, dass ein Fall existiert, in dem alle Faktoren der lokalen Politik mit 1 bewertet wurden. In diesem Fall ist ein hohes Aktivitätslevel beobachtet worden. Hypothese HLP1 kann aufgrund der geringen empirisch beobachtbaren Fälle wieder nur bedingt als bestätigt gelten. Es existieren außerdem fünf Fälle, in denen keine der lokalen Faktoren mit 1 bewertet wurde. In vier der fünf Fälle führt dies zu keinem hohen Aktivitätslevel. Tabelle 9.7 zeigt die Intermediate Solution der QCA für das Set „Lokale Politik“ für das Entstehen eines hohen Aktivitätslevels. Die Lösungsterme 2 bis 5 enthalten nur positiv bewertete Einflussfaktoren und haben eine perfekte Konsistenz. Sie enthalten alle Faktoren der lokalen Politik als Teil einer perfekten hinreichenden Bedingung. Hypothese HLP2 ist also ohne Einschränkung zu bestätigen. Lösungsterm 1 enthält den Faktor „niedrige Risikowahrnehmung“ (~RW). Da der Beitrag einer niedrigen Risikowahrnehmung weder alleine noch in der Konfiguration mit Erfahrungen der Stadt mit weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen (RET) zu einem hohen Aktivitätslevel theoretisch nachvollziehbar ist, wird RET in einer Superset-Analyse auf seine Konsistenz getestet (siehe Tabelle 9.8).

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen

159

Tabelle 9.7   Intermediated Solution, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Gesamtabdeckung

Rohabdeckung

Konsistenz

1

RET* ~RW

0.37

0.13

0.91

2

OB*RW

0.20

0.07

1.00

3

LP*RW

0.17

0.03

1.00

4

RET*ÜLH

0.33

0.07

1.00

5

OB*ÜLH

0.23

0.03

1.00

solution coverage:

0.70

solution consistency:

0.96

Tabelle 9.8   Superset-Analyse, Set: „Lokale Politik“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Superset

Gesamtabdeckung

Konsistenz

1

RET* ~RW

RET

0.5

0.83

Tabelle 9.9   Lösungsterme, Set „Lokale Politik“, Outcome = 1 Nr.

Lösungsterm

Gesamtabdeckung

Rohabdeckung

Konsistenz

1

RET

0.50

0.17

0.83

2

OB*RW

0.20

0.07

1.00

3

LP*RW

0.17

0.03

1.00

4

RET*ÜLH

0.33

0.00

1.00

5

OB*ÜLH

0.23

0.03

1.00

solution coverage:

0.73

solution consistency:

0.88

Der Faktor RET überschreitet die Konsistenzschwelle von 0,75 eindeutig. Das bedeutet, dass der Faktor RET als Lösungsterm Teil der Analyse bleibt. Tabelle 9.9 zeigt die Lösungsterme nach der Superset-Analyse. Die Konsistenz der Terme beträgt zusammen 0,88. Das bedeutet, dass 88 Prozent der Fälle, die einem oder mehreren der Terme entsprechen, tatsächlich ein hohes Aktivitätslevel haben. Im Vergleich zum Set „Rahmenfaktoren“ (Konsistenz 0,76) sind die Lösungen also konsistenter. Die Abdeckung aller Terme der Analyse des Sets „Lokale Politik“ zusammen, liegt bei 73 Prozent der

160

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Fälle mit hohem Aktivitätslevel. Die Abdeckung der Analyse des Sets „Rahmenfaktoren“ liegt bei 76 Prozent. Das Set „Lokale Politik“ deckt also einen Fall weniger als das Set „Rahmenfaktoren“ ab, ist aber wesentlich konsistenter. Die Abdeckung verrät an dieser Stelle noch nicht, ob das Set „Lokale Politik“ die gleichen Fälle wie das Set „Rahmenfaktoren“ erklärt oder die Aktivität weiterer Fälle. Hypothese HLP3 kann also an dieser Stelle weder bestätigt noch verworfen werden. In Anlehnung an das Vorgehen bei der Analyse des Sets „Rahmenfaktoren“ wird auch diesmal zunächst der Pfad betrachtet, der für die meisten Fälle gilt. Dieser ist ein einzelner Faktor: RET. Da 2/3 der Fälle, die von RET abgedeckt werden, auch von dem perfekt konsistenten und zweitbreitesten Term RET*ÜLH abgedeckt werden2, werden die beiden Terme zusammen besprochen. Lösungsterme 1 und 4: RET + RET*ÜLH Erfahrungen mit ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen und eine starke thematische Einbindung in den überlokalen Handlungsraum 50 Prozent der Städte mit einem hohen Aktivitätslevel haben auch Erfahrungen mit anderen ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen wie Klimaschutz oder Klimaanpassung und Digitalisierung. 83 Prozent aller Städte, die diese Erfahrung haben, weisen ein hohes Aktivitätslevel auf. Perfekt konsistent wird die hinreichende Bedingung, wenn neben der Erfahrung mit ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellung (RET) auch eine starke thematische Einbindung in den überlokalen Handlungsraum (ÜLH) existiert. Städte, auf die diese Kombination zutrifft, haben ausnahmslos ein hohes Aktivitätslevel bei der Vorbereitung auf einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall. Sie machen 33 Prozent aller Städte aus, die ein hohes Aktivitätslevel haben. Lösungsterm 5: OB*ÜLH Fürsprache durch den (Ober-)Bürgermeister und eine starke thematische Einbindung in den überlokalen Handlungsraum

2Dies

ist nicht per se aus der Tabelle 9.9 ablesbar, sondern kann erst bei Zuordnung der Fälle zu den Zeilen der Wahrheitstafel erkannt werden. Eine solche Tabelle ist durch das Programm TOSMANA erstellbar. Hier erkennt man, dass kein Fall, der durch RET abgedeckt wird, exklusiv auch von dem Lösungsterm 2, 3 oder 5 abgedeckt wird. Daher ist in diesem Fall die Überschneidung von RET und RET*ÜLH die Gesamtabdeckung von RET*ÜLH.

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen

161

Städte, in denen der (Ober-)Bürgermeister als Fürsprecher für das Thema wahrgenommen wird und eine starke thematische Einbindung in den überlokalen Handlungsraum vorliegt, machen 23 Prozent der Fälle mit hohem Aktivitätslevel aus. Es handelt sich daher um den Term mit der nächsthöchsten Gesamtabdeckung im Set „Lokale Politik“ nach dem Term RET*ÜLH. Seine Rohabdeckung beschränkt sich jedoch auf 3 Prozent. Dies entspricht einem Fall. Er ist also in größten Teilen durch andere Lösungsterme ersetzbar. Insgesamt weisen die verbleibenden Pfade eine geringe Rohabdeckung auf, in den meisten Fällen sind also gleich mehrere dieser Pfade gleichzeitig gegeben. Lösungsterme 2 und 3: OB*RW + LP*RW Fürsprache durch den (Ober-)Bürgermeister oder einem anderen lokalen Politiker und eine hohe Risikowahrnehmung im Katastrophenschutzamt Eine hohe Risikowahrnehmung im Katastrophenschutzamt zusammen mit einem Fürsprecher aus der Politik gehen in den empirisch beobachteten Fällen ausnahmslos mit einem hohen Aktivitätslevel einher. Dies ist unabhängig davon, ob es sich bei dem wahrgenommenen Fürsprecher aus der Politik um den (­ Ober-) Bürgermeister handelt oder um einen anderen lokalen Politiker. Beide Pfade zusammen decken 23 Prozent der Fälle mit hohem Aktivitätslevel ab. Dabei ist der Pfad OB*RW sowohl in der Gesamtabdeckung als auch in der Rohabdeckung ein wenig breiter als der Pfad LP*RW, aber nicht weniger wirkungsstark. Zusammenfassung: Einfluss der lokalen Politik Die Hypothese HLP1 konnte bedingt bestätigt werden. Die lokalen Faktoren der Politik zusammengenommen sind eine hinreichende Bedingung für ein hohes Aktivitätslevel unter der Einschränkung, dass nur ein empirischer Fall hierzu beobachtet werden kann. Die Hypothese HLP2 wird uneingeschränkt bestätigt. Alle Faktoren der lokalen Politik sind INUS-Bedingungen. Sie sind für sich genommen nicht notwendig, aber ein notwendiger Teil einer hinreichenden perfekt konsistenten Bedingung. Neben den perfekt konsistenten hinreichenden Bedingungen kann bei Annahme einer Konsistenz von 0,83 auch bereits das Engagement in anderen ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellung (RET) als hinreichende Bedingung betrachtet werden. RET deckt die meisten Fälle ab, ist aber erst in Kombination mit einer starken thematischen Einbindung in den überlokalen Handlungsraum perfekt konsistent. Da RET und RET*ÜLH (ressortübergreifende, energieintensive Themenstellung, starke Einbindung im überlokalen Handlungsraum) die meisten Fälle im Set erklären und dazu mit RET einen Faktor beinhalten, der in der bisherigen Forschung keine Beachtung gefunden hat, sind diese Terme neben dem bereits im Set „Rahmenfaktoren“

162

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

identifizierten Term KE*WI (kritisches Ereignis, Entrepreneur aus der Wirtschaft) für die Entwicklung von Hypothesen zum Wirkungszusammenhang besonders interessant. Hypothese HLP3 konnte bisher weder bestätigt noch verworfen werden. Diese ging davon aus, dass durch die Analyse der Faktoren der lokalen Politik Fälle abgedeckt werden, die von dem Set „Rahmenfaktoren“ nicht abgedeckt wurden. Da die Abdeckung der Terme des Sets „Lokale Politik“ einen Fall weniger abdecken als das Set „Rahmenfaktoren“, muss dafür erst nachvollzogen werden, welche Fälle durch die Sets abgedeckt werden. Dies wird durch die Zusammenführung der Sets möglich.

9.2.3 Zusammenführung Tabelle 9.10 zeigt alle Fallstädte unabhängig von ihrem Aktivitätslevel. Jedem Fall bzw. jeder Stadt ist eine Identifikationsnummer (ID) zugewiesen. Außerdem ist zu jedem Fall in den zwei darauffolgenden Spalten zu entnehmen, inwieweit er durch das Set „Rahmenfaktoren“ (RF) und/oder durch das Set „Lokale Politik“ (LP) abgedeckt wird. Eine Markierung mit „k“ bedeutet, dass die im Rahmen der Analyse ermittelten Lösungsterme für ein hohes Aktivitätslevel den Fall korrekt beschreiben. Entspricht die Konfiguration der Einflussfaktoren der jeweiligen Stadt einem der ermittelten Lösungsterme der Sets, hat sie also bei einer Markierung mit „k“ tatsächlich ein hohes Aktivitätslevel3. Entspricht die Konfiguration des Falls keinem der Lösungsterme, hat sie bei einer Markierung mit „k“ auch kein hohes Aktivitätslevel. Entscheidend ist also nicht, ob ein hohes oder kein hohes Aktivitätslevel vorliegt, sondern ob die Lösungsterme mit dem beobachteten Aktivitätslevel im Einklang sind. Des Weiteren wird in der Tabelle 9.10 zwischen zwei Arten von Widersprüchen (WS) unterschieden. Ein Widerspruch der 1. Art („WS 1“) bedeutet, dass die Einflussfaktoren, die in der Stadt wirken, durch einen Lösungsterm des jeweiligen Sets abgebildet werden, die Stadt aber dennoch kein hohes Aktivitätslevel hat. Ein Widerspruch der 2. Art ist gegeben, wenn ein hohes

3Der

Darstellung liegen nur jene Lösungsterme zugrunde, die in die Interpretation eingeflossen sind. Wurde in der Analyse das Superset des Terms gewählt, so ist dieses auch hier Grundlage. Wurde ein Term aufgrund zu geringerer Konsistenz aus der Interpretation ausgeschlossen, so fließt dieser Term auch in der Darstellung in Tabelle 9.10 nicht ein. Das Vorgehen ist also konsistent mit der Darstellung in der vorausgegangenen Analyse.

9.2  Analyse hinreichender Bedingungen Tabelle 9.10  Abdeckung, Set „Rahmenfaktoren” und „Lokale Politik“, Outcome = 1

163

164

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Aktivitätslevel vorliegt, dies aber durch keinen Lösungsterm des jeweiligen Sets erklärt wird („WS 2“). Tabelle 9.11 fasst Widersprüche und korrekt beschriebene Fälle für beide Sets zusammen. Die farbliche Einfärbung wurde zur besseren Orientierung beibehalten. Tabelle 9.11   Zusammenfassung Abdeckung der Sets

Es wird ersichtlich, dass das Set „Lokale Politik“ acht Fälle abdeckt, die nicht durch das Set „Rahmenfaktoren“ abgedeckt worden sind. Hypothese HLP3 kann also bestätigt werden. Das Set „Lokale Politik“ erhöht die Gesamtabdeckung der Analyse. Außerdem fällt auf, dass alle Fälle mit hohem Aktivitätslevel durch Lösungsterme des Sets „Rahmenfaktoren“ und/oder des Sets „Lokale Politik“ korrekt beschrieben werden. Es kann also abstrahiert und zusammengefasst werden, dass das Set „Rahmenfaktoren“ und das Set „Lokale Politik“ zusammengenommen eine hinreichende Bedingung für ein hohes Aktivitätslevel bilden:

RF + LP → AL. Von 30 Fällen mit hohem Aktivitätslevel, werden 15 Fälle von beiden Sets erklärt, acht Fälle nur von dem Set „Lokale Politik“ und sieben Fälle nur von dem Set „Rahmenfaktoren“. Das Venn-Diagramm in Abbildung  9.1 veranschaulicht diesen Zusammenhang. Darüber hinaus entsprechen drei Fälle den Lösungstermen beider Sets, die kein hohes Aktivitätslevel haben. Die hinreichende Bedingung RF + LP ist also

Abbildung 9.1   Venn-Diagramm – Hohes Aktivitätslevel

9.3 Folgehypothesen

165

nicht perfekt konsistent. Die drei widersprüchlichen Fälle sind die Fälle mit den IDs 11, 18 und 21. Diese drei Fälle werden genauer betrachtet, um zu verstehen, warum sie Sonderfälle bilden (siehe Abschnitt  9.4 Einzelfallbetrachtung).

9.3 Folgehypothesen Im Folgenden werden die Wirkungen der abdeckungsstärksten Lösungsterme der Analyse der beiden Sets diskutiert und daraus folgend Hypothesen entwickelt. Im Set der Rahmenfaktoren hat sich die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis und die Wahrnehmung eines Entrepreneurs aus einem stadtansässigen Unternehmen (KE*WI) als besonders abdeckungsstarke Konfiguration für ein hohes Aktivitätslevel gezeigt. Dabei ist der Term mit einer Konsistenz von 0,76 nicht perfekt konsistent. Es wurde daher bereits festgestellt, dass es sich offensichtlich um förderliche Rahmenbedingungen für ein hohes Aktivitätslevel handelt, aber kein Garant für dieses ist. Ein stadtansässiges Unternehmen, welches als Fürsprecher für Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall auftritt, kann ein Unternehmen sein, dem diese Resilienz im Rahmen seiner Standortpolitik besonders wichtig ist oder ein Energieunternehmen. Im ersten Fall wäre das Unternehmen Nachfrager von Strom, im zweiten Fall Anbieter. In beiden Fällen könnte ein kritisches Ereignis ausschlaggebend für den Einsatz des Unternehmens zugunsten der Vorsorge gegenüber dem Szenario eines Stromausfalls gewesen sein. Ein Wirtschaftsunternehmen, dass in seiner Produktion auf eine stabile Stromversorgung angewiesen ist, kann durch ein kritisches Ereignis auf seine Vulnerabilität aufmerksam geworden sein. Eine stabile Stromversorgung kann für das Unternehmen aus Gründen der Sicherheit notwendig oder für das Kerninteresse Gewinn zentral sein, da ohne Strom Arbeits- und Produktionsabläufe weitgehend zum Stillstand kommen. In einigen Fällen trifft das Unternehmen aus diesen Gründen selbst Vorsorge, auch weil es unter Umständen rechtlich dazu verpflichtet sein kann (vgl. Wiater 2013; Stober 2010). Über eventuelle rechtliche Verpflichtungen hinaus, ist es aber auch möglich, dass es sich für dieses Interesse in der Kommune stark macht. Die Durchsetzungskraft des Unternehmens mit seinen Interessen, erklärt sich bei ausreichender sozioökonomische Bedeutung für die Stadt durch sein Drohpotenzial, den Standort zu verlassen (vgl. Molotch 1972; Lindblom 1977; Peterson 1981). Im Rahmen der Erhebung wurden solche vermutlich sozioökonomisch bedeutende Unternehmen von den Katastrophenschutzämtern als lokale Vulnerabilitäten benannt. Hier nennen zwei Städte „überregional bedeutende Unternehmen“ (MitarbeiterIn des Katastrophenschutzamtes ID 448,

166

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Mai 2018) und große Industrien (MitarbeiterIn des Katastrophenschutzamtes ID 422, Mai 2018). Diesen Überlegungen folgt die Hypothese: HRFa: Ein kritisches Ereignis führt zu einem hohen Aktivitätslevel zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall, wenn ein sozioökonomisch bedeutendes Unternehmen der Stadt das Vorhaben unterstützt. Im Fragebogen finden sich aber auch Hinweise darauf, dass es sich in vielen Fällen bei dem Advokaten aus der Wirtschaft, um ein Energieunternehmen in der Stadt handelt. Hier wurde zweimal der Energieversorger als Anlass zur Auseinandersetzung und Gesprächspartner benannt. „Auslöser waren Gespräche mit dem örtlichen Energieversorger und die Analyse deren Schwachstellen“ (MitarbeiterIn des Katastrophenschutzamtes ID 447, Mai 2018).

Der Energieversorger ist ein zentraler Akteur beim Aufbau der Resilienz gegenüber einem Stromausfall. Ihm wird ein hohes Maß an Verantwortung in diesem Bereich durch die Politik zugeschrieben und er hat als Betreiber der entsprechenden Infrastruktur wichtige Kompetenzen und wichtiges akteursspezifisches Wissen, das für die Stärkung der Resilienz der Versorgung und dem Umgang mit Ausfällen zentral ist (Kloepfer 2010:17). Für das Katastrophenschutzamt ist es schwer Vorsorge zu organisieren, wenn der Energieversorger nicht kooperativ ist. Dies könnte erklären, warum gerade wenn der Energieversorger sich für eine Auseinandersetzung aktiv einsetzt, dies auch erfolgreich ist. Neben dem Energieversorger fordert die hinreichende Bedingung die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis. Dieses kann zum einen bewirken, dass der Energieversorger sich für das Thema gegenüber dem Katastrophenschutzamt einsetzt, aber auch, dass er damit Erfolg hat. Die Verantwortung für die Sicherheit der Stromversorgung nachzukommen, ist sowohl für den Energieversorger wie auch für das Katastrophenschutzamt mit Aufwand und Kosten verbunden. Ein kritisches Ereignis trägt offensichtlich dazu bei, dass diese Kosten in Kauf genommen werden. Aus diesen Überlegungen folgt die Frage, wie ein kritisches Ereignis sich in Handlungsdruck für die Akteure übersetzt. Es gilt dabei zur berücksichtigen, dass inzwischen der größte Teil der Stromversorger privatisiert ist. Für die Gesamtheit der kritischen Infrastrukturen wird dabei häufig von einem Anteil von 80 Prozent ausgegangen (vgl. Kloepfer 2010: 17; Schäuble 2010: 24; Scholz 2013: 168). Kritiker befürchten, dass durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse unter dem Druck des Wettbewerbs, Sicherheitsbelange zugunsten von Profit nicht ausreichend berücksichtigt werden (vgl. de Bruijne/van Eeten 2007; D ­ unn-Cavelty/ Suter 2009: 179; Wiater 2012; Matern et al. 2014: 70). Derzeit wird in Deutsch-

9.3 Folgehypothesen

167

land ein „kooperativer Ansatz“ verfolgt, der auf eine Partnerschaft zwischen Staat und Privat und freiwilligen Selbstverpflichtungen aufbaut (BMI 2009: 12; vgl. Abschnitt  3.3.2 „Strategischer und rechtlicher Rahmen“). Es wurden aber bereits in der KRITIS-Strategie 2009 Regulierungen in Betracht gezogen, wenn dieser sein Ziel verfehle (ebd.: 15). Da von Seiten des BBKs Mängel gesehen werden, wurden Bedarf und Machbarkeit eines „Gesetzes zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ überprüft (Lauwe/Geier 2016: 205). „Das IT-Sicherheitsgesetz von 2015 ist ein erster Meilenstein hierzu“ (Lauwe/Geier 2016: 206). Hier liegt eine mögliche Quelle für Handlungsdruck in Folge eines kritischen Ereignisses. Nämlich dann, wenn durch diese sich zuspitzende Debatte um strengere Regulierung eine Atmosphäre entsteht, in der der Energieversorger durch vorauseilendes Handeln, strengere Regulierungen verhindern will („Schatten der Hierarchie“). Bisher scheint dies aus Unternehmensperspektive in dem Sinne erfolgreich, als dass die neue, derzeit in Entwicklung stehende KRITIS-Strategie laut BMI-Webauftritt wieder auf Kooperation setzt (BMI 2019a). Die Entwicklung des Leitfadens für ein „integratives Risiko- und Krisenmanagement“ als neustes Instrument aus Seiten des BBKs spiegelt diesen kooperativen Charakter wider (Lauwe 2018). Der „Schatten der Hierarchie“ wird aber auch nicht aufgegeben, indem gesetzliche Vorgaben weiterhin „falls erforderlich“ (BMI 2019a) in Erwägung gezogen werden. Das Katastrophenschutzamt wiederum hat Verantwortung für Katastrophen Vorsorge zu tragen. Auch für das Katastrophenschutzamt ist also unter Umständen mit Kritik und Personalwechseln zu rechnen, wenn der Eindruck entsteht, dass dieser Verantwortung nicht Rechnung getragen wird. Gerade diese nur schwer greifbaren Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure im Politikfeld setzen die Akteure in eine Lage, in der es für sie schwer abzuschätzen ist, mit welchen Konsequenzen sie zu rechnen haben, wenn ein kritisches Ereignis zu einer wahrgenommenen Katastrophe führt. Darüber hinaus muss das Katastrophenschutzamt Vorbereitungen für eine Reihe weiterer bekannter und auch unbekannter Gefahren organisieren. Gerade letzteres hat mit dem Konzept der Resilienz als Stehaufmännchen gegenüber jeder Gefahr mehr Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren (Bach et al. 2013: 3; Höhler 2014: 442). Ein kritisches Ereignis ist in dieser von Nichtwissen geprägten Situation für beide Akteure ein Bezugspunkt, der die Kommunikation erleichtert und auf diese Weise auch zur Reduktion der Transaktionskosten für Kooperation führt. Für all diese Wirkungen ist es entscheidend, dass ein kritisches Ereignis bis zu einem gewissen Maße als zumindest potenzielle „Katastrophe“ wahrgenommen wird, um Kritik und damit Druck zu generieren. Die Wahrnehmung und Reaktion der Bevölkerung auf einen Ausfall ist dabei von einer Reihe von Faktoren

168

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

abhängig, die die sozialen Kosten des Ausfalls bestimmen wie beispielsweise Dauer, Tages- und Jahreszeit (vgl. Lorenz 2010). Die Inkonsistenz des Lösungsterms ist nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass in den Fällen, in denen beide Faktoren gegeben sind, aber kein hohes Aktivitätslevel festzustellen ist, das kritische Ereignis schlichtweg nicht als katastrophal wahrgenommen wurde. Aus den vorangegangenen Überlegungen folgt die Hypothese HRFb. HRFb:  Ein kritisches Ereignis führt dann zu einem hohen Aktivitätslevel zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall, wenn … 1. das kritische Ereignis zu Kritik am Katastrophenschutzamt geführt hat und 2. ein Stromversorger das Vorhaben unterstützt.

Stromversorger

und

dem

Im Set „Lokale Politik“ hat sich der Faktor „Erfahrung mit ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen“ (RET) als besonders wirkungsstark gezeigt. Er erreicht als Einzelfaktor bereits die Konsistenzschwelle und ist in Kombination mit einer starken thematischen Einbindung in den überlokalen Handlungsraum (ÜLH) perfekt konsistent. Die Auseinandersetzung mit den Themen Klimaschutz oder -anpassung und Digitalisierung kann die Transaktionskosten der Auseinandersetzung mit der Steigerung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall reduzieren. Diese Reduzierung kann sowohl auf der Ebene der Organisation dieser Auseinandersetzung wie auch auf der Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung erfolgen. Entscheidend für die Wirkung der Reduzierung der Transaktionskosten auf inhaltlicher Ebene ist dabei die enge Verbindung dieser Themen untereinander, die als Nexusthemen beurteilt werden können und alle drei in unterschiedlichem Ausmaß unter dem Konzept der Resilienz diskutiert werden (vgl. Papa et al. 2015; De Jong et al. 2015; Merrow et al. 2016). Die Interdependenzen zwischen den Themen wurde bei der Einführung des Faktors in Abschnitt  8.1.2 dargestellt. Entscheidend ist, dass jedes der Themen bei seiner Bearbeitung unwillkürlich Auswirkungen auf die anderen Themenfelder hat. Sie sind häufig zum Teil Lösung und zum Teil Problem für eines der anderen Themen und werden auch deswegen alle drei unter dem Schlagwort der Resilienz diskutiert. Energieproduktion und -nutzung sind zentral für die Lösung der in ihnen bearbeiten Problemstellungen, sie erfordern alle das Denken über Infrastrukturdomänen hinweg und machen ressort- und organisationsübergreifendes Arbeiten notwendig. Die Auseinandersetzung mit Klimaschutz oder -anpassung und Digitalisierung machen so den Schritt zur Auseinandersetzung mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen kleiner, günstiger und logisch konsequent. Die Auseinandersetzung kann so als Teil einer Eigendynamik

9.3 Folgehypothesen

169

im Policyprozess gewertet werden. Es handelt sich in diesem Sinne mehr um eine Weiterentwicklung eines bereits eingeschlagenen Pfades und folgt daher mehr dem Verständnis einer inkrementellen Weiterentwicklung von Policy als einer atypischen Policyinnovation. Die Reduktion dieser Transaktionskosten kann jedoch nur stattfinden, wenn eine zeitliche Vorlagerung der Auseinandersetzung mit den Themen Klimaschutz oder -anpassung und Digitalisierung gegeben ist. Genauso können eine nur oberflächliche Auseinandersetzung mit den Themen oder fehlende Institutionalisierung ressortübergreifender Strukturen und weitgehende Wechsel in den beteiligten Verwaltungen sich negativ auf die Reduzierung auswirken und könnten in dem Kontext für die Konsistenz kleiner Eins der hinreichenden Bedingung verantwortlich sein. Aus den Ergebnissen der QCA und dargestellten Überlegungen folgt die Hypothese HLPa. HLPa:  Das Engagement in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen führt dann zu einem hohen Aktivitätslevel zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall, wenn die Transaktionskosten für die Auseinandersetzung effektiv reduziert werden konnten. Ausschließlich führt RET in den empirisch beobachteten Fällen in Kombination mit einer ausgeprägten thematischen Einbindung in den horizontalen überlokalen Handlungsraum (RET*ÜLH) zu einem hohen Aktivitätslevel. Es ist konsequent davon auszugehen, dass RET auch in den Städten mit einer starken Einbindung in den überlokalen Handlungsraum die Transaktionskosten der Auseinandersetzung mit der Stärkung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall reduziert. Der überlokale Handlungsraum (ÜLH) kann in Ergänzung dazu zum Aufbau epistemischer, materieller und legitimatorischer Kapazitäten dienen und wesentlich zur Diffusion von Policies beitragen (vgl. Graham et al. 2013; Kemmerzell/Tews 2014: 270; Abschnitt  8.1.2). So wurden im Rahmen der Erhebung besonders häufig Verbandsmitgliedschaften in der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund) dokumentiert. Die häufigsten genutzten Konferenzen und Tagungen im Themenbereich werden von der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) und durch die Landesfeuerwehrschulen veranstaltet. Die AGBF Bund ist ein Zusammenschluss aller Berufsfeuerwehren in Deutschland und eine sich selbsttragende Vereinigung innerhalb des Deutschen Städtetages (AGBF Bund o. J.). Ziel der Vereinigung ist es, den Erfahrungsaus-

170

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

tausch und die Koordination zwischen den Feuerwehren bei wichtigen Fragen zu fördern und Empfehlungen zu diesen herauszugeben (ebd.). Die Vereinigung bietet auf ihrer Webseite verschiedene Dokumente wie Positionspapiere und Hilfestellungen zum Thema. So wurde zum Beispiel ein Grundsatzpapier zu KRITIS im Jahr 2015 durch die AGBF herausgegeben, welches eine erste kurze Orientierung zum Umgang mit den verbundenen Gefahren den Feuerwehren zur Verfügung stellt (AGBF Bund 2015). Die AKNZ ist Teil des Bundesamtes für Bevölkerungshilfe und Katastrophenschutz (BBK) und die zentrale Aus- und Fortbildungseinrichtung des Bundes im Bevölkerungsschutz (BBK o. J.a). Sie bietet gleich eine Reihe von Kursen an, die sich auf den Fall eines Stromausfalls und dessen Management beziehen lassen. Das Programm im Jahr 2019 enthält u. a. auch ein Seminar explizit zum Umgang mit dem Szenario eines großflächigen Stromausfalls (AKNZ 2018: 48). Über das Kursangebot stattet das AKNZ so die Teilnehmer mit weitgehendem Know-How im Themengebiet aus. Darüber hinaus gaben Städte an zum Beispiel Einbindungen in Städtepartnerschaften im Themengebiet zu verfolgen oder an Forschungsprojekten teilzunehmen (vgl. Abschnitt  8.3.2). Diese Einbindung tragen ganz konkret zum Aufbau epistemischer Kapazitäten und zum Lernen im Themenbereich bei. Die Umsetzung fällt so in diesen Städten, die sowohl eine starke Einbindung in den ÜLH haben wie auch Erfahrungen in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen leichter. Des Weiteren sind die Städte durch die Einbindungen stärker in nationale und internationale Debatten eingebunden. Über diese werden Ideen und Norme vermittelt, die zu Sozialisationseffekten führen können (vgl. Graham et al. 2013: 690). Es ist denkbar, dass in diesen Städten, in denen bereits eine breite Auseinandersetzung mit ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen besteht, eine besonders proaktiver Umgang mit Herausforderungen im Sinne der Zukunftsfähigkeit der Stadt in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht besteht. Damit verbundene Normen sind so weitgehend und in vielfältigen Arrangements verankert, dass sie in diesen Städten als institutionalisiert gelten können. Es ist unter diesem Aspekt, auch in den Lösungstermen der QCA zu erkennen, dass unter den Städten mit hohem Aktivitätslevel, nur jene ohne Entrepreneur für das Thema auskommen, die sich bereits mit anderen ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen beschäftigen. Auch dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass entsprechende Normen bereits institutionalisiert sind und daher nicht mehr die aktive Fürsprache durch strategische Akteure in der Stadt benötigen.

9.4 Einzelfallbetrachtung

171

HLPb:  Das Engagement in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen führt gemeinsam mit einer starken thematischen Einbindung im überlokalen Handlungsraum zu einem hohen Aktivitätslevel. Ausschlaggebend hierfür sind die Reduktion von Transaktionskosten durch die Beschäftigung mit Nexusthemen sowie über den überlokalen Handlungsraum vermittelte Lern- und Sozialisationseffekte.

9.4 Einzelfallbetrachtung Für die Einzelfallanalyse wurden die Fälle ausgewählt, die sowohl im Set „Rahmenfaktoren“ als auch im Set „Lokale Politik“ einen Widerspruch darstellen. Sie wurden ausgewählt, da sie besonders erklärungsbedürftig erscheinen, weil sie gleich mehreren Lösungstermen zuwiderlaufen und bisher keine plausible Erklärung für ihre Outcomes auf Grundlage der beiden Erklärungssets „Lokale Politik“ und „Rahmenfaktoren“ gegeben werden konnte. Bei den drei Fällen handelt es sich um die Fälle mit den Kennungen 11, 18 und 21. Tabelle 9.12 gibt eine Übersicht über die Bewertung der Einflussfaktoren dieser Fälle. In den Fällen 11 und 18 findet laut Angaben des Katastrophenschutzamtes gar keine Auseinandersetzung mit dem Thema „Stromausfall“ in der Behörde statt, weder überregional und langanhaltend noch in geringerem Umfang. Im Fall 21 wurde eine Auseinandersetzung mit dem Thema eines überregionalen, langanhaltenden Stromausfalls grundsätzlich bejaht, es werden jedoch nur 33,83 Prozent der erfragten Maßnahmen durchgeführt. Der Fall weist daher kein hohes Aktivitätslevel im Themenbereich auf. Tabelle 9.12   Übersicht der Einflussfaktoren der Fälle in der Einzelbetrachtung Kennung

Fall 11

Fall 18

Fall 21

Aktivitätslevel





„Nicht hoch“ (33,83 %)

Rahmenfaktoren

BL, KE, WI, ~ZG, ~FIN

 ~BL, KE, WI, ~ZG, FIN

 ~BL, KE, WI, ZG, ~FIN

Diese entsprechen Lösungsterm:

KE*WI

KE*WI

KE*WI

Lokale Politik

RET, ~OB, ~LP,  ~ÜLH, ~RW

RET, ~OB, ~LP, ~ÜLH, RET, ~OB, ~LP, ~ÜLH, RW RW

Diese entsprechen Lösungsterm:

RET

RET

RET

172

9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

In allen drei Fallstädten besteht eine Erfahrung mit einem kritischen Ereignis (KE) und es wird ein stadtansässiges Unternehmen als Fürsprecher für das Thema wahrgenommen (WI). Dies entspricht Lösungsterm 1 KE*WI des Sets „Rahmenfaktoren“. In allen drei Städten bestehen zudem Erfahrungen mit weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen (RET). Dies entspricht dem Lösungsterm 1 des Sets „Lokale Politik“. Jeweils über 75 Prozent der Städte, die mindestens einem der beiden Lösungsterme entsprechen, haben unter den genannten Bedingungen ein hohes Aktivitätslevel. Im Rahmen der Hypothesenentwicklung wurden zudem Annahmen getroffen, welche Wirkmechanismen diesem hohen Aktivitätslevel zugrunde liegen. Es stellt sich also die Frage, warum diese in den widersprüchlichen Fällen nicht zu einem hohen Aktivitätslevel führen. Um diese Frage zu beleuchten, wurden leitfadengestützte Telefoninterinterviews mit den zuständigen Mitarbeitern im Katastrophenschutzamt geführt. Diese wurden zur Dokumentation und als Gedankenstütze nach vorheriger Zustimmung des Mitarbeiters aufgenommen. Es wurde Anonymität in der Veröffentlichung zugesichert. Die Interviews haben gezeigt, dass zwischen den drei Städten, die trotz scheinbar guten Bedingungen kein hohes Aktivitätslevel erreichen, erhebliche Parallelen bestehen. In allen drei Fällen wird im Interview deutlich, dass von den Zuständigen im Amt mangelnde personelle Kapazitäten als der größte Hinderungsgrund gesehen wird. Alle drei waren zum Zeitpunkt der Onlineerhebung alleine für den Bereich des Bevölkerungsschutzes im Amt zuständig. Die Aufgaben des Amtes sind jedoch mit der Zeit gestiegen. Einer der Interviewten beschreibt die Situation wie folgt: „Ich war jetzt bis vor zwei Wochen […] Einzelkämpfer […] und die Aufgaben haben […] exponentiell zugenommen, was vom Bund und Land kommt, was jetzt von städtischer Seite geplant werden soll […], ist in keinster Weise mehr darstellbar […]“ (Interview 04.06.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 11).

Ein anderer vermerkt auf die Frage nach der personellen Situation, dass er allein tätig ist und fügt hinzu: „Und das ist halt das Problem“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21). Die limitierte Rolle des Faktors Personal gilt auch für den Fall mit der Kennung 18, der eine gute Bewertung des Faktors „Finanzielle Situation“ erreicht. Die Ergebnisse legen daher nahe, dass personelle Ressourcen eine

9.4 Einzelfallbetrachtung

173

eigenständige Rolle spielen, die nicht durch den erhobenen Faktor „Finanzielle Situation“ in ihrem vollen Umfang abgebildet werden konnte. Bei allen drei wird die Dynamik und die steigende Bedeutung des Politikfeldes dadurch deutlich, dass in ihnen ausnahmslos im letzten Jahr eine weitere Stelle geschaffen worden ist. Im Fall 18 mit vergleichsweise guter finanziellen Situation wurde bereits mit der Arbeit zur Vorbereitung auf einen Stromausfall seit Schaffung der zusätzlichen personellen Kapazität in umfangreichem Maß begonnen. In Fall 21 und 11 kann durch die Stelle derzeit noch keine Unterstützung erreicht werden, da die Stelle noch nicht besetzt oder der entsprechende Mitarbeiter noch eingearbeitet werden muss. Die Bedeutung des Faktors Personal zieht sich dabei wie ein roter Faden durch alle Interviews. Aber auch in den Fällen, in denen der Mitarbeiter noch nicht unterstützend tätig ist, gibt es erste Auseinandersetzungen mit der Thematik mit engagierten Betreibern im Bereich der Wasserversorgung. Diese wurden in beiden Fällen als Fürsprecher für die Thematik wahrgenommen. Es ist zu erkennen, dass ohne zusätzlichen Mitarbeiter das Engagement von Betreibern besondere Bedeutung erlangt: „In den Bereichen wo wir selber aktiv werden müssen und selber vieles regeln und machen müssen, da hängen wir ein bisschen hinterher“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21).

Die Fürsprache zeigt also in den vorliegenden Fällen Wirkung, aber nur auf die Infrastrukturbetreiber bezogen, die diese vorbringen und sich auch selber um den Großteil der anfallenden Arbeit kümmern. In diesen Fällen zeigt sich die Wirkung der Fürsprache nicht durch die Generierung von Druck, sondern durch den Zugewinn an Arbeitskapazitäten durch den Fürsprecher selbst. Die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis, die im Lösungsterm der QCA zusammen mit der Fürsprache wirkt, existiert tatsächlich nur in zwei Fällen. Im Fall 11 stellt sich im Interview heraus, dass die Angabe zur Existenz einer Erfahrung mit einem Stromausfall im Fragebogen inkorrekt war. Ein hohes Aktivitätslevel wäre daher auf Grundlage der Ergebnisse der QCA des Sets „Rahmenfaktoren“ gar nicht zu erwarten gewesen. Der Fall stellt in diesem Set also auch keinen Widerspruch mehr da. In den anderen beiden Fällen kann von einer Erfahrung mit einem Stromausfall berichtet werden. In einem Fall konnte die Dauer nicht angegeben werden. Die Folgen wurden jedoch im niedrigschwelligen Bereich angesiedelt. In einem anderen Fall wurde von einer Erfahrung mit einem Stromausfall von mehreren Stunden berichtet, der aber als „[…] nicht dramatisch ‘in Anführungsstrichen‘“

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9  Analyse II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

(Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21) beschrieben wird. Während im ersten Fall die Behörde im Nachgang keine Kritik erreicht hat, scheint im zweiten Fall der Stromausfall zu Nachfragen geführt zu haben: „[…] es wird dann hinterfragt, was gibt’s da […]“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21). Es wird weiter darauf verwiesen, dass solche Gelegenheiten auch genutzt werden würden, um auf Personalmangel hinzuweisen, dies aber nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt ist: „Und bei solchen Gelegenheiten wird dann natürlich auch mal darauf verwiesen: Wir würden ja gerne mehr machen, wenn es leistbar wäre, und dann verschwindet das auch schnell wieder von der Tagesordnung […]“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21).

Im Fall 21 wird die zusätzliche Stelle als Resultat langer Bemühungen gewertet: „Wir drängen natürlich regelmäßig, steter Tropfen höhlt den Stein“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21). Im Fall 18 hingegen wird darauf verwiesen, dass die Planungen schon lange existieren. Ein gesonderter Impuls kann für die Genehmigung der neuen Stelle zu genau diesem Zeitpunkt im Interview nicht identifiziert werden. In den drei Städten gibt es eine Klimaschutz- oder Klimaanpassungsstrategie sowie eine Digitalisierungsstrategie. In vielen Fällen geht dies mit einem hohen Aktivitätslevel im Bereich Stärkung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall einher, nicht so in den drei vorliegenden Fällen. Auch wenn in den Städten die Auseinandersetzung mit dem Thema Stromausfall vermutlich mit geringeren Transaktionskosten verbunden wäre, bleibt der Faktor Personal und Zeit der entscheidende Hinderungsgrund. Zwei der Zuständigen geben sogar an, im Rahmen dieser Strategien, um Einschätzungen zu Sicherheitsaspekten gebeten worden zu sein. In diesen Fällen gab es also bereits Anknüpfungspunkte an existierende ämterübergreifende Strukturen, die dann auch für andere Themen durch den Kontakt leichter nutzbar wären. Da das Thema aber mit den personellen Kapazitäten, wie sie sich vor einem Jahr in den Fallstädten darstellten, nicht zu bewerkstelligen schien, kommt dieser Vorteil gar nicht zum Zug. Ein Zuständiger formuliert hierzu: „Natürlich wird man da gefragt und gibt auch mal einen Hinweis, aber das man da jetzt an irgendwelchen Sitzungen und Besprechungen und was-weiß-ich teilnimmt, dafür fehlt einfach die Zeit“ (Interview 01.07.2019 mit Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 21).

9.4 Einzelfallbetrachtung

175

Im Fall 18, in dem das Thema schon durch die zusätzliche Kraft im Bevölkerungsschutz angegangen wurde, konnte bereits ämterübergreifend gearbeitet werden. Gerade der Fachbereich IT wird für die ­IT-Sicherheitsstruktur von dem Katastrophenschutzamt stark eingebunden. „Die sind ständig mit dabei“ (Interview 12.06.19 mit dem Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 18). Und auch von der Zusammenarbeit mit dem Umweltamt wird positiv berichtet. Hier gibt es insbesondere Erfahrungen in der Zusammenarbeit durch den Hochwasserschutz in der Stadt. Auf die Frage, ob die Arbeit mit KRITIS davon profitiert, dass sich mit den Themen Klimaschutz, -anpassung und Digitalisierung in der Stadt auseinandergesetzt wurde, ist die Antwort des Zuständigen: „Also den Eindruck habe ich definitiv“ (Interview 12.06.19 mit dem Zuständigen aus der Berufsfeuerwehr im Fall Kennung 18). Personalmangel ist in den vorliegenden Städten ein großer Hinderungsgrund gewesen. Dieser kann dafür verantwortlich sein, dass die Transaktionskostenreduktion durch den Faktor RET nicht eingetreten ist oder keine Wirkung hatte. Es ist auch vorstellbar, dass dieser auch dafür verantwortlich ist, dass trotz Fürsprecher aus der Wirtschaft und einer Erfahrung mit einem kritischen Event noch keine oder nur geringfügige Auseinandersetzung mit dem Thema Stromausfall gab bzw. gibt. In einer Situation mit Personalmangel kommt der Eigeninitiative von Infrastrukturbetreibern dann besonders große Bedeutung zu. Durch die Eigeninitiative der Betreiber wird in zwei der Fallstädte, auch ohne zusätzliches Personal, partiell Arbeit zum Thema möglich. Darüber hinaus machen Zeitmangel und steigende Aufgabenlast die Auseinandersetzung, auch unter ansonsten förderlichen Bedingungen, schwer. Damit stellt sich die Frage: Wie kam es dazu, dass in den betreffenden drei Städten im letzten Jahr eine neue Stelle geschaffen worden ist? Für die Schaffung der Stelle scheinen in zwei Fällen die Erfahrungen mit Stromausfällen, aufkommende Kritik durch die Stadtspitze und der teils hartnäckige Verweis auf den Personalmangel ausschlaggebend gewesen zu sein. In einem dritten Fall trifft diese Erklärung nicht zu. Hier ist es denkbar, dass die guten Rahmenbedingungen und lokalen Bedingungen sich letztendlich doch noch ohne größere Vorkommnisse durchgesetzt haben. Die guten Beziehungen zu dem IT-Sektor und dem Umweltamt sowie die gute finanzielle Situation der Stadt könnten hierzu einen Beitrag geliefert haben.

Zwischenfazit II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

10

Durch die Durchführung der Qualitative Comparative Analysis (QCA) wurde der Frage nachgegangen, welche Faktoren zu einem hohen Aktivitätslevel der kommunalen Katastrophenschutzämter bei der Erhöhung der Resilienz gegenüber einem langanhaltenden, überregionalen Stromausfall führen. Hierzu wurden im Vorfeld Basishypothesen entwickelt. Diese Hypothesen konnten alle, teils mit Einschränkung, angenommen werden. Keine der einbezogenen zehn Faktoren stellt eine notwendige Bedingung für ein hohes Aktivitätslevel dar (HNB). Auch der in der bisherigen Forschungsliteratur sehr zentrale Faktor der Katastrophenerfahrung, der in dieser Untersuchung durch den Faktor „kritisches Ereignis“ (KE) abgebildet worden ist, ist in Kombination mit einem „stadtansässigen Unternehmen als Fürsprecher“ (WI) in den meisten Fällen wirkungsstark, aber nicht notwendig. Es sollte in diesem Sinne keine Verengung auf den Faktor der Katastrophenerfahrung stattfinden. Dies ist insofern positiv zu bewerten, als dass dieser Faktor durch keine politische Ebene legitim zu beeinflussen ist. Auch positiv im Sinne des Gestaltungsspielraums der Kommunen ist es zu bewerten, dass das Set „Rahmenfaktoren“ nicht alle Fälle abdeckt und diese also auch nicht gänzlich determiniert (HRF3). Das Set „Lokale Politik“ deckt hier fast genauso viele Fälle ab und dies häufig konsistenter. Seine Lösungsterme umfassen weitere, durch die Lösungsterme des Sets „Rahmenfaktoren“ noch unbeschriebene Fälle, für sich genommen jedoch auch nicht alle Fälle (HLP2). Optimale Rahmenfaktoren (alle Rahmenfaktoren mit 1 bewertet) und optimale Bedingungen in der lokalen Politik (alle Faktoren der lokalen Politik mit 1 bewertet) können dabei jeweils als hinreichende Bedingung gelten (HRF1, HLP1), sind aber die Ausnahme in der Empirie.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_10

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10  Zwischenfazit II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

Durch die Minimierung im Zuge der QCA und unter Zuhilfenahme von Superset-Analysen konnten weitere acht hinreichende Bedingungen identifiziert und beschrieben werden. Drei davon werden durch Rahmenfaktoren gebildet, fünf durch lokale Faktoren der Politik. Sie erreichen durchgängig den Konsistenzschwellenwert von 0,75, fünf von ihnen sind perfekt konsistent. Sowohl alle Rahmenfaktoren wie auch alle Faktoren der lokalen Politik sind Teil dieser hinreichenden Bedingungen, es handelt sich daher um INUS-Bedingungen (HLP2, HRF2). Betrachtet man die identifizierten Bedingungen genauer, dann ist außerdem zu erkennen, dass der Großteil der hinreichenden Bedingungen nicht ohne einen Fürsprecher auskommt. Und kein Fürsprecher wiederum ohne eine weitere positive Bedingung. Die Terme zeigen, dass ein hohes Aktivitätslevel zur Stärkung der Resilienz gegenüber einem Stromausfall von verschiedenen Fürsprechern aktiv gefördert wird und häufig auch gefördert werden muss, um zu entstehen. Besonders abdeckungsstark ist im Set „Rahmenfaktoren“ die hinreichende Bedingung in Form einer Konfiguration aus Fürsprache eines stadtansässigen Unternehmens und der Erfahrung mit einem kritischen Ereignis. Auf Grundlage des Terms wurde nachstehende Folgehypothese erarbeitet: HRFb: Ein kritisches Ereignis führt dann zu einem hohen Aktivitätslevel zur Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall, wenn … 1. das kritische Ereignis zu Kritik am Katastrophenschutzamt geführt hat und 2. ein Stromversorger das Vorhaben unterstützt.

Stromversorger

und

dem

Die beiden einzigen hinreichenden Bedingungen, die ohne Fürsprecher auskommen und gleichzeitig die abdeckungsstärksten hinreichenden Bedingungen im Set „Lokale Politik“ darstellen, betreffen Städte, in denen Erfahrungen mit anderen ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen (RET) existieren. Der Faktor RET hat bisher in der Forschungsliteratur, die sich mit Einflussfaktoren auf die Aktivität im Bereich kritische Infrastrukturen beschäftigt, noch keine Beachtung gefunden und hat in Zukunft mehr Aufmerksamkeit verdient. Er erweist sich als besonders wirkungsvoll, wenn gleichzeitig eine starke Einbindung in den überlokalen Handlungsraum (ÜLH) festzustellen ist. Zu seiner Wirkung wurden die zwei nachstehende Folgehypothesen entwickelt: HLPa: Das Engagement in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen führt dann zu einem hohen Aktivitätslevel bei der Steigerung der Urbanen Resilienz gegenüber einem Stromausfall, wenn die Transaktionskosten für die Auseinandersetzung effektiv reduziert werden konnten.

10  Zwischenfazit II: Einflussfaktoren auf ein hohes Aktivitätslevel

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HLPb:  Das Engagement in weiteren ressortübergreifenden, energieintensiven Themenstellungen führt gemeinsam mit einer starken thematischen Einbindung in den überlokalen Handlungsraum zu einem hohen Aktivitätslevel. Ausschlaggebend hierfür sind die Reduktion von Transaktionskosten durch die Beschäftigung mit Nexusthemen sowie über den überlokalen Handlungsraum vermittelte Lern- und Sozialisationseffekte. Die hinreichenden Bedingungen der beiden Sets „Lokale Politik“ und „Rahmenbedingungen“ zusammengenommen, decken alle Fälle mit hohem Aktivitätslevel ab und drei Fälle ohne hohes Aktivitätslevel. Die beiden Erklärungssets können daher in der hinreichende Bedingung RF + LP → AL zusammengefasst werden. Die drei Fälle ohne hohes Aktivitätslevel bei augenscheinlich guten Bedingungen wurden gesondert betrachtet. Zwischen diesen drei Fällen konnten erhebliche Parallelen festgestellt werden. Als entscheidender Hinderungsgrund zeigt sich in allen drei Fällen der Mangel an Personal und damit Zeit bei gesteigerter Aufgabenlast. Dieser scheint dafür ausschlaggebend zu sein, dass zum Zeitpunkt der Erhebung förderliche Bedingungen keine oder nur geringe Wirkung zeigen konnten. Die Zuständigen beschreiben, dass unter diesen Bedingungen eine Arbeit im Themenfeld nicht zu bewältigen war. Auch gab es Hinweise in den Gesprächen dafür, dass die Transaktionskostenreduktion durch den Faktor RET durch den Personalmangel nur in geringem Ausmaß erreicht werden konnte und auch nicht zum Tragen kommen konnte. Durch den Personalmangel erhält jedoch der Faktor der Fürsprache einzelner Unternehmen besondere Bedeutung. Diese sind in den drei näher betrachteten Fällen durchgehend Infrastrukturbetreiber, die in Eigeninitiative an die Katastrophenschutzämter herangetreten sind. Einer der Mitarbeiter der Katastrophenschutzämter schilderte dabei, wie die Initiative der Infrastrukturbetreiber durch die Übernahme von Arbeitslast dazu geführt hat, dass zumindest partiell Arbeit im Themengebiet auch bei Personalmangel möglich wurde. Die Interviews haben aber auch eindrücklich die Dynamik im Politikfeld gezeigt. Denn in allen drei Städten wurde innerhalb des letzten Jahres eine weitere Stelle im Bereich des strategischen Katastrophenschutzes geschaffen. Hierfür wurde die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis und die daraus folgende Aufmerksamkeit auf die Thematik in zwei der Städte für die Verhandlung um zuständige Stellen erfolgreich genutzt.

Teil IV Licht ins Dunkel

Resümee und Ausblick

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Die Gefahren für einen Ausfall der Stromversorgung, aber auch anderer kritischer Infrastrukturen nehmen zu. Terrorangriffe zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Cyberangriffe der letzten Jahre und eine gestiegene Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse im Zuge des Klimawandels machen deutlich, dass das Gefahrenspektrum vielfältig ist und ein Eintreten des Szenarios nicht ausgeschlossen werden kann. Die Folgen eines großflächigen, langanhaltenden Stromausfalls wurden im TAB-Bericht als „nationale Katastrophe“ mit ungewissem Ausgang beschrieben. Die Sicherheitspolitik darf deswegen nicht bei dem Versuch der Vermeidung von Ausfällen enden, sondern muss auch die Möglichkeit des Eintretens solcher Ereignisse bedenken. Städte nehmen im Katastrophenschutz und in der Sicherheitspolitik eine zentrale Rolle ein. Die Berufsfeuerwehren sind dabei in deutschen Großstädten faktisch auch für den Katastrophenschutz zuständig. Auch wenn die Einsatzleitung bei großflächigen Ereignissen bis auf Landesebene aufwächst, ist im Falle des Szenarios nicht mit viel Hilfestellung von außen zu rechnen. Das Engagement der Städte ist somit notwendig, um dem Szenario gewachsen zu sein. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war Ausmaß und Ausrichtung der Maßnahmen der lokalen Katastrophenschutzämter deutscher Großstädte zur Stärkung der Resilienz gegenüber dem Szenario eines langanhaltenden, überregionalen Stromausfalls zu erfassen und Hypothesen dafür zu entwickeln, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit vergleichsweise viele Maßnahmen getroffen werden. In diesem Kapitel werden die Ergebnisse beider Analysen zusammengefasst dargestellt und eingeordnet. Darüber hinaus werden Empfehlungen für eine Politik formuliert, die zukünftig eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema auf kommunaler Ebene wünscht. Abschließend wird das methodische © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1_11

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11  Resümee und Ausblick

Vorgehen der vorliegenden Arbeit reflektiert und mögliche Perspektiven für sich anschließende Forschungen vorgestellt. Die vorliegende Forschung hat an Einzelfallstudien des Forschungsstandes angeschlossen, in denen ein geringes Niveau der interorganisationalen Koordination zwischen Ressorts, Organisationen des Katastrophenschutzes und Betreibern festgestellt wurde (Matern et al. 2014: 67; Schmidt/Monstadt 2019: 2361). Häufig seien zum Beispiel Ansprechpartner der Betreiber dem kommunalen Katastrophenschutz nicht bekannt (Monstadt/Schmidt 2019: 2361 f.). An das Katastrophenschutzamt wird die Erwartung formuliert, eine „Initiativ-, Koordinations- und Leitungsverantwortlichkeit“ (Schmidt/Scharf 2017: 42) zu übernehmen, gleichzeitig wird jedoch seine Fähigkeit dazu in Frage gestellt (Monstadt/Schmidt 2019: 2367). Die Betrachtung der Rahmenbedingungen im Politikfeld in der vorliegenden Arbeit hat dabei gezeigt, dass die Rolle, welche Kommunen und ihre Katastrophenschutzämter beim Schutz kritischer Infrastrukturen einnehmen sollen, sowohl rechtlich als auch strategisch nur vage definiert ist. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass im Rahmen der ersten Forschungsfrage ein sehr heterogenes Niveau der Vorbereitung der Katastrophenschutzämter festzustellen war. Während bestätigt werden kann, dass der Austausch zwischen den Ämtern, Organisationen und Betreibern in der Regel sporadisch und selten regelmäßig oder in Form eines Runden Tisches erfolgt, sind die Krisenansprechpartner der Betreiber dem Katastrophenschutzamt, anders als im Forschungsstand beschrieben, in den allermeisten Fällen bekannt. Auch die Initiativfunktion wird in Teilen durch das Katastrophenschutzamt schon ergriffen. So betreibt ein großer Teil der Ämter Aufklärungsarbeit gegenüber der Bevölkerung und den Ressorts der Stadtverwaltung. Es zeigt sich jedoch, dass die Bevölkerung meistens als homogener, passiver Empfänger von Informationen verstanden oder zumindest als solcher behandelt wird. Vulnerable Gruppen werden in weitaus geringeren Anteil berücksichtigt, Ansätze zum aktiven Einbezug der Bevölkerung fehlen im Katastrophenschutz vollkommen. Auch werden die vermeintlich guten technischen Bedingungen zur Kommunikation im Vorfeld der Katastrophe nur selten dafür genutzt, um getroffene Folgenabschätzungen und Pläne der Bevölkerung und auch den Einsatzkräften zu kommunizieren. Positiv hingegen ist festzustellen, dass häufig Übungen mit anderen Stakeholdern gemeinsam zum Szenario eines Stromausfalls durchgeführt wurden und Notstrom- und Treibstoffbedarfe des eigenen Betriebs bekannt sind und gedeckt werden können. Im Rahmen der Analyse zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage ist darüber hinaus zusehen, dass Katastrophenschutzämter, die Bedarfe weiterer Einrichtungen in der Stadt betrachten, häufig auch

11  Resümee und Ausblick

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planen, diese zu decken. Dies kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Katastrophenschutzamt leicht von der Rolle des Koordinators in die Rolle des Versorgers rutscht. Die Versorgung kann dieses jedoch in der Breite nicht übernehmen. Die unklare Verantwortungsstruktur im Politikfeld zeigt sich in diesem Aspekt als problematisch. Für einen gelingenden Katastrophenschutz muss allen Akteuren ihre Rolle klar sein. Die Ressorts müssen wissen, das auch sie Vorsorge zu treffen haben, die Betreiber müssen wissen, welches Schutzniveau erwartet wird und auch die Bürger müssen wissen, was sie an Vorsorge zu leisten haben. Die vorliegende Arbeit gibt keinen Anlass dazu, die Einschätzung des ­TAB-Berichts einer „nationale[n] Katastrophe“, deren Bewältigung ungewiss sei (Petermann et al. 2013: 239), zu relativieren. Schon gar nicht kann davon ausgegangen werden, dass das Szenario aus Sicht der meisten Bürger zufriedenstellend bearbeitet werden würde. Im Rahmen der Berichterstattung zum Ausfall in Berlin Anfang des Jahres, der in deutlich kleinerem Umfang, wie das angenommene Szenario dieser Arbeit stattfand, konnte man den Eindruck gewinnen, dass Überraschung und in Teilen Entsetzen über den Status der Vorbereitung vorherrschten. Gerade die heterogenen Vorbereitungen im Vergleich zwischen den Städten dürfte bei nationalen Schadenslagen beim Bürger auf besonders großes Unverständnis stoßen. Die Operationalisierung von Schutzzielen, so wie durch die Konzeption Zivile Verteidigung angeregt, wird daher aus Sicht der vorliegenden Arbeit als notwendiger und sinnvoller Schritt eingestuft. Aber was zeichnet nun Städte aus, die ausgeprägte Ansätze zur Bearbeitung, also ein relativ hohes Aktivitätsniveau im Themenbereich, vorweisen? In vielen dieser Städte existiert eine Erfahrung mit einem Stromausfall und gleichzeitig setzt sich ein Unternehmen, z. B. ein Infrastrukturbetreiber, für das Thema ein. Dass kritische Ereignisse eine hohe Bedeutung im Politikfeld haben, ist bereits im Forschungsstand unumstritten und wurde auch durch die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigt. Aber, und das ist wichtig festzuhalten, es gibt Wege jenseits der Erfahrung mit kritischen Ereignissen zu einem hohen Aktivitätslevel. Man muss eben nicht prinzipiell auf eine Katastrophe warten, damit Vorbereitung möglich ist. Ein Hinweis hierauf, wird durch die Analyse des Sets „Lokale Politik“ gegeben. Hier zeigen sich Erfahrungen in ressortübergreifenden und energieintensiven Themenstellungen und eine starke Einbindung in den überlokalen Handlungsraum als Voraussetzungen, unter denen empirisch ausschließlich hohe Aktivitätslevel festgestellt werden konnten. Unter diesen Fällen, sind auch Städte ohne Erfahrungen mit einem Stromausfall von über oder gleich 20 Minuten. Existierten keine ausgeprägten Erfahrungen mit anderen ressortübergreifenden, energieintensiven Themen, so ist die Fürsprache durch weitere

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11  Resümee und Ausblick

Akteure zentral. Ein Entrepreneur kann dabei prinzipiell aus verschiedenen Bereichen stammen: der lokalen Politik, der Wirtschaft oder auch aus der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig ist die Fürsprache nur von Erfolg gekrönt, wenn weitere förderliche Bedingungen vorliegen. Diese unterscheiden sich je nach Bereich aus dem der Fürsprecher stammt. Im abschließenden Teil der empirischen Untersuchung wurden ferner Gespräche mit Zuständigen aus Städten geführt, in denen augenscheinlich gute Bedingungen vorhanden sind, aber kein hohes Aktivitätslevel festgestellt wurde. In den Gesprächen hat sich nicht nur gezeigt, wie dynamisch das Politikfeld sich derzeit entwickelt, sondern auch, dass der Mangel an Personal ein schwerwiegender Hinderungsgrund für alle drei interviewten Katastrophenschutzämter bis zum Vorjahr war. Hier zeigt sich, dass das Konzept der Resilienz nicht funktioniert, wenn die Verantwortungsverlagerung vom Staat in die „betroffenen Subjekte und Organisationen“ (Höhler 2014: 440) als Einbahnstraße missverstanden wird. Sowohl für die Verantwortungsverlagerung in die Städte wie auch zum Bürger bedarf es auch der Befähigung zur Übernahme dieser Verantwortung. Hierzu gehört unter anderem die Ausstattung mit dem notwendigen Personal. Dies ist in Bezug auf den Katastrophenschutz in Teilen der Städte noch unzureichend geschehen. Aus den Ergebnissen der Arbeit lassen sich drei Empfehlungen an die Politik ableiten. Erstens empfiehlt sich von Seiten des Bundes und der Länder die Klärung der Verantwortungsstrukturen und des Aufgabenspektrums der Akteure z. B. durch die zeitnahe Operationalisierung der Schutzziele der Konzeption Zivile Verteidigung (KZV). Nur wenn Erwartungen an und Pflichten der Akteure näher bestimmt sind, besteht eine realistische Chance, dass diese auch erfüllt werden. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht im ausreichenden Maß gegeben. Zweitens ist die Befähigung der Katastrophenschutzämter und der Bevölkerung zur Übernahme der ihr zugewiesenen Verantwortung notwendig für das Erreichen dieser Ziele. Hierzu gehört die finanzielle Stärkung der Kommunen und die Ausstattung der Ämter mit Personal, aber auch die Ausstattung der Katastrophenschutzämter mit praxisnahen Konzepten zur Vorbereitung auf das Szenario und die Kommunikation mit und Einbezug der Bevölkerung. Und drittens kann die städtische Politik und Verwaltung bei entsprechender Priorisierung des Themas durch die politisch verantwortlichen Komponenten unabhängig vom Bund und der Länder tätig werden, indem die Möglichkeiten des überlokalen Handlungsraums und der inhaltliche sowie organisatorische Mehrwert, der sich durch die Integration der Nexusthemen Klimaschutz und -anpassung, Digitalisierung und dem Schutz kritischer Infrastrukturen ergibt, aktiv gesucht und genutzt werden.

11  Resümee und Ausblick

187

Abschließend wird das Vorgehen in der vorliegenden Arbeit reflektiert und ein Ausblick auf sich anschließende Forschungsperspektiven gegeben. Die Grundlage der Analysen war eine Erhebung, die sich an alle kreisfreien deutschen Großstädte richtete und durch eine hohe Rücklaufquote eine starke Datenbasis für diese Analysen lieferte. Die hohe Rücklaufquote zeigt darüber hinaus, dass das Thema in den lokalen Katastrophenschutzämtern auf reges Interessen stößt und damit auch in der Praxis als relevant erlebt wird. Das Vorgehen in den Analysen selbst kann grundsätzlich als gelungen betrachtet werden. Im Rahmen der ersten Analyse wurden durch den eigens entwickelten Maßnahmenkatalog weitgehende Einblicke in die Arbeit der Katastrophenschutzämter in den verschiedenen Bereichen ermöglicht. Es konnten Ausmaß und Ausrichtung der Maßnahmen der Katastrophenschutzämter, Ansätze zur Steigerung der Resilienz der Städte gegenüber dem Szenario einen langanhaltenden, überregionalen Stromausfall, aber auch Nachholbedarfe in differenzierter Form aufgezeigt werden. Retroperspektiv wäre hier eine genauere Abfrage der Ausgestaltung der Aufklärungsarbeit zum Szenario gegenüber der Bevölkerung empfehlenswert gewesen. Die Tatsache, dass ein hoher Prozentsatz angibt, diese zu betreiben, aber gleichzeitig keiner der Ämter über Anlauf- und Betreuungsstellen informiert, legt die Frage nahe, welchen Inhalt diese Aufklärungsarbeit hatte. Eine Abfrage des Inhalts hätte daher hier aufschlussreich sein können. Im Rahmen der zweiten Analyse wurde der Zusammenhang zwischen den identifizierten Faktoren und dem Ausmaß der Arbeit der Katastrophenschutzämter in einem konfigurativen Ansatz untersucht. Die Quantitative Comparative Analysis (QCA) als Methode hat sich in diesem Zusammenhang bewährt und es konnten durch die Analyse nicht nur Basishypothesen für die Breite der deutschen Großstädte überprüft werden, sondern auch weitergehende Hypothesen für die zugrundeliegenden Wirkmechanismen besonders abdeckungsstarker Konfigurationen aufgestellt werden. Auf diese Weise konnte gegenüber dem Forschungsstand ein Mehrwert erzeugt werden, indem die Wirkung einzelner Faktoren überprüft, weitere Faktoren identifiziert und kontextualisiert wurden. Dabei wurde jedoch auch die Grenze in der vorliegenden Arbeit augenscheinlich, Fälle auf Grundlage der Konfiguration der Einflussfaktoren zusammenzufassen. Diese Grenze zeigt sich darin, dass ein Teil der Terme nur sehr knapp den Konsistenzschwellenwert von 0,75 erreicht. Diesem Umstand wurde durch eine genauere Betrachtung der widersprüchlichsten Fälle in Einzelfallbetrachtung begegnet. Dennoch stellt die Analyse nicht das Ende der Forschung zum Themengebiet, sondern gewinnbringendes Bindeglied zu weiteren Studien, z. B. in Form von Einzelfallstudien, dar. In diesen können die Folgehypothesen näher untersucht und überprüft werden. Als besonders interessante Fallstädte bieten sich ferner drei Städtegruppen an:

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11  Resümee und Ausblick

Die erste dieser Gruppen sind jene Städte, die ohne die Erfahrung mit einem kritischen Ereignis ein relativ hohes Aktivitätslevel aufweisen. Ein kritisches Ereignis ist legitim nicht herbeizuführen und durch keinen Akteur gestaltbar. Die Untersuchung jener Städte, die ohne ein solches Ereignis im eigenem Stadtgebiet aktiv werden, kann dazu beitragen, gestaltbare Rahmenbedingungen jenseits der Erfahrung mit kritischen Ereignissen zu einem ausgeprägten Engagement besser zu verstehen. Für eine Politikwissenschaft, die praxisrelevante Handlungsempfehlungen geben möchte, ist die Gestaltbarkeit der Faktoren ein wichtiges Kriterium und sollte daher eine hohe Priorität haben. Dies macht diese Gruppe zu interessanten Fallstädten. Die zweite Gruppe sind jene Städte, die die höchsten Ränge innerhalb des Aktivitätslevel einnehmen und damit als Pioniere im Politikfeld gelten können. Hier könnte eine weitere Differenzierung eingeführt und überprüft werden, welche Rahmenfaktoren und lokalen Faktoren diese Städte wiederum von Städten im Mittelfeld innerhalb der Aktivitätsskala unterscheiden. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie aus einer Stadt im Mittelfeld eine Stadt mit sehr hohem Aktivitätslevel wird. Die dritte Gruppe sind schließlich jene Städte, die neben einem hohen Aktivitätslevel im Bereich der Resilienz gegenüber einem Stromausfall auch ein ausgeprägtes Engagement in den Themenbereichen Klimaschutz- und Klimaanpassung sowie Digitalisierung vorweisen. Die vorliegende Arbeit gibt Grund zur Annahme, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themen die Transaktionskosten zur Auseinandersetzung mit der Resilienz weiterer kritischer Infrastrukturen reduziert und vorbereitet. Gleichzeitig handelt es sich um einen Faktor, der im Gestaltungsrahmen der lokalen Politik liegt und der empirisch kaum untersucht ist. Eine Analyse und Betrachtung der Kriterien in Einzelfallstudien, durch die die Vernetzung und Integration dieser Themen besonders gewinnbringend für alle drei Bereiche gelingt, könnte ein Anhaltspunkt für andere Städte darstellen, wie eine sich gegenseitig befruchtete Auseinandersetzung mit den Zukunftsthemen möglich ist. Neben der Auseinandersetzung mit den genannten Gruppen, stellen folgende drei Anschlussperspektiven vielversprechende Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen dar. Erstens kann die Betrachtung der vorbereitenden Maßnahmen hinsichtlich eines Ausfallsszenarios im ländlichen Gebiet sowie die Zusammenarbeit der Großstädte mit dem Umland die Studie sinnvoll ergänzen. Da im Umland in der Regel keine Berufsfeuerwehr existiert und die Kompetenz als Untere Katastrophenschutzbehörde nicht gegeben ist, ist davon auszugehen, dass diese zu einem gewissen Teil auf die Unterstützung durch umliegende Großstädte

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angewiesen sind. Auch wenn der Trend zur Urbanisierung ungebrochen ist, leben zum Stand 2015 ungefähr 70 Prozent der deutschen Bevölkerung in Städten mit weniger als 100 000 Einwohnern oder kleineren Dörfern (Bangel et al. 2017). Eine Untersuchung der vorbereitenden Maßnahmen im ländlichen Gebiet und der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umland sowie die Identifizierung von Best Practices könnte daher eine wertvolle Ergänzung der Forschung darstellen. Zweitens bedarf die Rolle, die Infrastrukturbetreiber im Bereich der Sicherheitspolitik einnehmen, empirisch, aber auch theoretisch genauerer Untersuchung. Innerhalb der Studie hat sich herausgestellt, dass, gerade bei Personalmangel, das Engagement von Infrastrukturbetreibern wichtig ist, um zumindest partiell vorbereitende Maßnahmen zu treffen. Hier stellt sich nicht zuletzt die normative und demokratietheoretische Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzung eine Abgabe der Erbringungs-, aber auch Gewährleistungsverantwortung für die Sicherheit der Bürger an privatwirtschaftlich organisierte Betriebe möglich und ratsam ist. Und letztlich könnte ein internationaler Vergleich der deutschen Ergebnisse mit anderen Staaten dazu beitragen, nationale Besonderheiten, Stärken und Schwächen der jeweiligen Systeme des Katastrophenschutzes zu identifizieren und zu reflektieren. Aus diesem Vergleich wäre nicht nur eine internationale Einordnung des Aktivitätsniveaus deutscher Städte möglich, sondern es könnten sich auch interessante Perspektive zum Lernen über nationale Grenzen hinweg eröffnen.

Anhang

Anhang I: Fragebogenkonzept Der Fragebogen enthält viele Filterfragen. Das bedeutet, dass viele Fragen online nur angezeigt werden, wenn zuvor eine bestimmte Option gewählt wurde. Dies erspart dem Befragten Zeit. Im Konzept sind diese Fragen durch „Wenn …“‘ gekennzeichnet. Das Fragebogenkonzept dient dazu einen vollständigen Überblick über den Fragekatalog zu erhalten, der so online nicht möglich ist. Kursive Schrift → Informationen, die im Fragebogen nicht enthalten sind. Abkürzungsverzeichnis AGBF

Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren

AKNZ

Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz

AV

Abhängige Variable Frage dient dazu, die Maßnahmen zur Vorbereitung auf einen Stromausfall durch das lokale Katastrophenschutzamt zu erfassen.

BBK

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

BOS

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben

IT

Informationstechnik

THW

Technisches Hilfswerk

ÜLH

Überlokaler Handlungsraum

UV

Unabhängige Variable Frage dient dazu, die Bedingungen zu erfassen, die Einfluss auf die Aktivität des lokalen Katastrophenschutzamt im Themenbereich haben könnten.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Knauf, Urbane Resilienz gegenüber Stromausfällen in deutschen Großstädten, Stadtforschung aktuell, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31254-1

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192 Einleitungstext

Anhang

Die Abhängigkeit des städschen Lebens von Strom war noch nie so hoch wie heute, gleichzeig steigt laut Experteneinschätzungen die Gefahr für einen Ausfall dieser Versorgung. Adressiert werden in dieser Untersuchung kreisfreie Städte in ihrer Rolle als Untere Katastrophenschutzbehörden. Ziel ist aufzuzeigen, wie die Unteren Katastrophenschutzbehörden in Deutschland zum Umgang mit dieser Gefahr beitragen, welche Rahmenbedingungen dafür gegeben sind und an welcher Stelle, Städte bei dieser Herausforderung unterstützt werden können. Entsprechend den Regeln guten wissenscha„lichen Arbeitens gewährleiste ich einen vertraulichen Umgang mit den Daten, die zu wissenscha„lichen Zwecken erhoben werden. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert circa 30 Minuten. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit!

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Anhang II: Anschreiben/E-Mail an Berufsfeuerwehren Sehr geehrte/r Frau/Herr XX [persönliche Ansprache], im Rahmen meiner Dissertation am Graduiertenkolleg KRITIS der TU Darmstadt führe ich eine Untersuchung zur Rolle der Unteren Katastrophenschutzbehörde bei der Vorbereitung auf einen lang anhaltenden, überregionalen Stromausfall durch. Heute lade ich Sie herzlich ein, und bitte Sie gleichermaßen, an der Onlineumfrage hierzu teilzunehmen. Sie erhalten diese E-Mail, weil Sie mir als Ansprechpartner für das Themengebiet in Ihrer Feuerwehr am Telefon genannt wurden. Sollte dies nicht der Fall sein, bitte ich Sie die E-Mail an die entsprechende Kollegin oder den entsprechenden Kollegen weiterzuleiten. Über diesen Link gelangen Sie zum Fragebogen: %link% Die Erstellung des Fragebogens wurde durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) beratend unterstützt und hat zum Ziel, den Beitrag der Städte und die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit in diesem Themenfeld zu erfassen. Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) empfiehlt die Teilnahme ausdrücklich. Nähere Informationen zum Graduiertenkolleg finden Sie auf der Homepage der TU Darmstadt unter: https://www.kritis.tu-darmstadt.de/graduierten_kolleg_kritis/start_kritis.de.jsp Ich bitte Sie die Umfrage bis zum 27.05.2018 auszufüllen. Das Ausfüllen nimmt circa 30 Minuten in Anspruch und ist anonym durchführbar. Sie haben im Rahmen der Umfrage die Gelegenheit anzumerken, dass Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse erhalten wollen. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne per Telefon (+49 6151 1657577) oder E-Mail ([email protected]) zur Verfügung. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Teilnahme. Beste Grüße Alice Knauf, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Darmstadt Graduiertenkolleg KRITIS [email protected] https://www.kritis.tu-darmstadt.de

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Angang III: Codierung der Bedingungen Tabelle III.1 gibt eine Übersicht über Bedingungen des Sets „Rahmenfaktoren“, ihre Kürzel in der Analyse und ihre Codierung. Tabelle III.1   Kalibrierung der Bedingungen im Set „Rahmenfaktoren“ Bedingung

Kürzel

Codierung

Kritisches Ereignis

KE

Erfahrung mit einem Stromausfall ( → KE = 1 >20 Minuten) und/oder Erfahrung mit einer anderen Katastrophe, die zur Auseinandersetzung beigetragen hat. Keine Erfahrung mit einem Kritischen Ereignis.

Bundesland

BL

→ BL = 1 Stadt ist in einem Bundesland ansässig, dass eine Rahmenempfehlung zum Umgang mit einem Stromausfall veröffentlicht hat oder den Schutz Kritischer Infrastrukturen im Katastrophenschutzgesetz explizit als Aufgabe der Katastrophenschutzbehörden benennt. Stadt liegt in einem anderen Bundesland.

Finanzielle Situation

FIN

→ KE = 0

→ BL = 0

→ FIN = 1 Die finanzielle Situation wird nicht als hinderlich für weitergehendes Engagement wahrgenommen oder mindestens mittelmäßig oder besser (Skalenwerte ≥ 3) eingeschätzt. Die finanzielle Situation wird als hinderlich → FIN = 0 eingeschätzt und schlecht (Skalenwerte