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German Pages 432 [394] Year 2022
Denkhaus/Ziegenhagen Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz
RWS-Skript 351
Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz 4., neu bearbeitete Auflage
von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Stefan Denkhaus, Hamburg Rechtsanwalt, WP, StB Andreas Ziegenhagen, Frankfurt/Berlin
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Köln
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Vorwort In Krisensituationen ist der Unternehmenskauf nach wie vor eine von den beteiligten Stakeholdern präferierte Strategie zur Umsetzung der erforderlichen, den Unternehmenserhalt und ggf. ihre Finanzinteressen sichernden Sanierung. Dabei unterschieden sich der Unternehmenskauf in der Krise und der Unternehmenskauf nach Insolvenzantragstellung regelmäßig jedenfalls insoweit voneinander, als beim Verkauf in der Krise und ohne Insolvenz die notwendigen Forderungsverzichte/sonstigen Beiträge von den beteiligten Stakeholdern geleistet werden, während beim Unternehmensverkauf aus der Insolvenz sämtliche Gläubiger faktisch zum quotalen Verzicht gezwungen werden. Ziel dieses Werks in seiner nunmehr 4. Auflage ist, den beteiligten Stakeholdern (u. a. Unternehmen, Finanzierern, Investoren, Gläubigern, Beratern und Insolvenzverwaltern/Sachwaltern) einen Überblick über die Besonderheiten des Unternehmensverkaufs in Krise und Insolvenz zu verschaffen, um so beim Entscheidungsprozess zu unterstützen. Nach einer kurzen Darstellung der Abwicklungsoptionen des Unternehmenskaufs im Allgemeinen werden die möglichen Phasen für den Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz und deren jeweiligen Besonderheiten erörtert. Sodann werden wesentliche Besonderheiten und häufig auftretende Probleme vertieft erörtert und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dabei werden neben den insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Aspekten, insbesondere auch die betriebswirtschaftlichen, steuerlichen sowie arbeitsrechtlichen Themen betrachtet. Diese überarbeitete vierte Auflage berücksichtigt auch die Besonderheiten des Unternehmenskaufs im Rahmen des vom Gesetzgeber neu geschaffenen Sanierungsverfahrens nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (kurz: StaRUG). Nach Auffassung der beiden Autoren, die die Disziplinen Insolvenzverwalter, Sachwalter, Sanierungs- und Restrukturierungsberater, Doppeltreuhänder, Steuerrechtler, (Distressed) M&A-Anwalt und Wirtschaftsprüfer als Unternehmenssanierer und Unternehmensbewerter in sich vereinen, bietet dieses Werk einen praktischen Leitfaden, der die wesentlichen Probleme und Gestaltungsmöglichkeiten beim Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz zusammenfasst. Diese vierte Auflage berücksichtigt Rechtsprechung, Literatur und Gesetzgebungsvorhaben bis einschließlich Frühjahr 2022.
Hamburg und Berlin, im September 2022
Stefan Denkhaus Andreas Ziegenhagen
V
Inhaltsverzeichnis Rn.
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Vorwort ............................................................................................................ V Literaturverzeichnis .................................................................................. XVII A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz ................................................................ 1 ........ 1 I.
Abwicklungsoptionen des Unternehmenskaufs aus der Krise/Insolvenz ................................................................ 3 1. Asset Deal .............................................................................. 4 2. Share Deal .............................................................................. 6 a) Grundform ..................................................................... 6 b) Sonderfall: Debt-Equity-Swap vor oder in der Insolvenz ........................................................... 12 c) Sonderfall: Erwerb auf Grundlage eines Insolvenzplans .................................................... 17 d) Sonderfall: Erwerb auf Grundlage eines Restrukturierungsplans ...................................... 18
........ ........ ........ ........
1 2 2 2
........ 4 ........ 6 ........ 6
II. Mögliche Phasen für einen Unternehmenskauf ....................... 19 ........ 7 III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung ....... 1. Share Deal ............................................................................ 2. Share Deal auf Grundlage eines Restrukturierungsplans ....................................................... a) Zulässige Gestaltungen ................................................ b) Zustimmungserfordernisse der Gesellschafter? ........ 3. Asset Deal ............................................................................ a) Insolvenzanfechtung ................................................... aa) Unternehmenskaufvertrag mehr als drei Monate vor Antragstellung ................... bb) Unternehmenskaufvertrag erst in den letzten drei Monaten vor Antragstellung .......... b) Der Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO ................................................. c) Der Anspruch des Erwerbers nach Erfüllung des Kaufpreisanspruchs ............................................... aa) Fall 1: Anfechtung des Unternehmenskaufvertrags nach § 132 Abs. 1 InsO ................. bb) Fall 2: Isolierte Anfechtung der Verfügungsgeschäfte ..............................................................
25 ........ 8 26 ........ 9 28 28 32 40 47
........ 9 ........ 9 ...... 11 ...... 13 ...... 15
50 ...... 15 58 ...... 18 61 ...... 19 74 ...... 21 74 ...... 21 79 ...... 23
VII
Inhaltsverzeichnis Rn.
4.
Weitere Risiken beim Unternehmenskauf vor Insolvenzantrag ............................................................ a) § 75 AO ........................................................................ b) § 25 HGB ..................................................................... c) § 613a BGB ..................................................................
83 84 88 94
IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren ................................................................... 99 1. Grundsatz ............................................................................ 99 2. Besonderheit: Sicherungsanordnungen nach §§ 21 ff. InsO .................................................................... 100 a) Zustimmungsvorbehalt („schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter) ................................ 101 b) Übertragung der Verfügungsbefugnis („starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) .............. 103 aa) Möglichkeit der Unternehmensveräußerung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner im Insolvenzantragsverfahren ............................... 103 bb) Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens .......................................... 112 c) Anfechtbarkeit von Verfügungen des starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder des einzelermächtigten vorläufigen Insolvenzverwalters/ eigenverwaltenden Schuldners .................................. 115 d) Anfechtbarkeit von Verfügungen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter .............. 118 3. Vorläufige Eigenverwaltung ............................................. 125 a) Voraussetzungen, insbesondere Dual Track M&A Prozess ......................................... 125 b) Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung ....... 137 V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens .................................................................. 1. Unternehmensveräußerung vor dem Berichtstermin ..... 2. Unternehmensveräußerung nach dem Berichtstermin ... 3. Reduzierung der Risiken ................................................... 4. Insolvenzplanverfahren ..................................................... a) Grundsätzliches ......................................................... b) Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan ............................................................. c) Struktur des Insolvenzplans, Abstimmung .............. d) Das Obstruktionsverbot und der Wertverbleib beim Schuldner/geschäftsführenden Gesellschafter .............................................................
VIII
139 141 146 158 163 163
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...... ...... ...... ......
24 25 25 27
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39 40 41 44 45 45
166 ...... 46 172 ...... 47
183 ...... 50
Inhaltsverzeichnis Rn.
e)
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Planbestätigung, Rechtsmittel und Verfahrensaufhebung ................................................ 200 ...... 53
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle .............. 215 ...... 57 I.
Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren ............ 1. „Beteiligte“ des Insolvenzverfahrens ............................... 2. Die Beteiligten einer (übertragenden) Sanierung im Einzelnen ...................................................................... a) Der Insolvenzverwalter ............................................. aa) Rechtsstellung des Insolvenzverwalters .......... bb) Aufgaben des Insolvenzverwalters/ Verfahrensziele .................................................. cc) Verfügungs- und Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters .................................... b) Schuldner/Geschäftsführer ....................................... c) (Vorläufiger) Sachwalter ........................................... d) Gesellschafter des Schuldnerunternehmens ............. e) Gläubiger .................................................................... f) Organe der Gläubiger ................................................ g) Insolvenzgericht ........................................................ h) Arbeitnehmer ............................................................. i) Kunden und Lieferanten ...........................................
215 ...... 57 215 ...... 57 222 ...... 58 222 ...... 58 225 ...... 59 232 ...... 60 254 267 275 289 295 312 335 337 343
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
63 65 66 69 70 73 78 78 80
II. Verhandlungspartner für Kaufinteressenten ........................... 348 ...... 81 1. Verwaltung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter ............................................................ 349 ...... 81 2. Eigenverwaltung unter Aufsicht des (vorläufigen) Sachwalters ................................................. 359 ...... 83 III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal ................ 1. Probleme der Vertragsgestaltung ..................................... a) Kaufgegenstand .......................................................... aa) Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern ...... bb) Genaue Bestimmung des Kaufobjekts ............. cc) Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters im Hinblick auf Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen ......................... dd) Firma .................................................................. ee) Immaterialgüterrechte ...................................... ff) Daten ................................................................. gg) Gesellschaftsvertragliche Veräußerungsbeschränkungen ................................................ b) Forderungsmanagement ............................................ 2. Kaufpreisbemessung ......................................................... 3. Garantievereinbarungen .................................................... a) „Garantiefeindlichkeit“ des Insolvenzverwalters .....
365 365 365 365 369
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84 84 84 84 85
375 393 402 415
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85 88 90 92
428 430 434 447 447
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94 95 96 98 98 IX
Inhaltsverzeichnis
4.
Rn.
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b) Gewährleistungsausschluss ....................................... 454 c) Mögliche Garantien ................................................... 462 Besonderheiten der Due Diligence, Haftung für Verbindlichkeiten (insbesondere beihilferechtliche und umweltrechtliche Fragen) und kartellrechtliche Fragen ............................................................... 467 a) Checkliste für übertragende Sanierungen ................ 467 b) Haftung für schädliche Bodenveränderungen/ Altlasten ..................................................................... 469 aa) Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für schädliche Bodenveränderungen/ Altlasten ............................................................ 469 bb) Verantwortlichkeit des Investors bei übertragender Sanierung ............................. 475 c) Haftung für rechtswidrig gewährte Beihilfen .......... 489 aa) Rückforderung gewährter Beihilfen für das insolvente Unternehmen ...................... 489 bb) Rückforderungsanspruch als einfache Insolvenzforderung .......................................... 496 d) Kartellrecht ................................................................ 500 aa) Allgemeine kartellrechtliche Grundsätze betreffend die Fusionskontrolle ....................... 502 bb) Besonderheiten des Fusionskontrollverfahrens beim Erwerb aus der Insolvenz ........................ 506 cc) Verfahren der Zusammenschlusskontrolle und Vollzugsverbot .......................................... 508 (1) Fristen und Prüfverfahren ........................ 508 (2) Vollzugsverbot .......................................... 510
...... 99 .... 101
.... 102 .... 102 .... 110
.... 110 .... 111 .... 114 .... 114 .... 116 .... 117 .... 118 .... 119 .... 120 .... 120 .... 120
IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan ............................... 515 .... 122 V. Dual-Track-Investorenprozesse als Gläubigeroption ............ 1. Problemstellung ................................................................ 2. Dual-Track-Verfahren ...................................................... 3. Generalität als Basis ..........................................................
524 524 525 526
.... .... .... ....
137 137 138 138
VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten .................. 1. Verschmelzung .................................................................. a) Verschmelzung durch Aufnahme ............................. b) Verschmelzung durch Neugründung ....................... 2. Ausgliederung ................................................................... a) Begriff ......................................................................... b) Folgen der Ausgliederung ......................................... c) Einschränkungen ....................................................... 3. Anwachsung ...................................................................... 4. Liquiditäts- und Kapitalmaßnahmen ...............................
528 530 533 536 537 537 540 544 547 550
.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
139 139 139 140 140 140 141 141 142 142
X
Inhaltsverzeichnis Rn.
Liquiditäts- und/oder Kapitalbeschaffung bei Gesellschaftern .................................................... aa) Gesellschafterdarlehen ...................................... bb) Änderungen durch das MoMiG ....................... cc) Forderungsverzicht ........................................... b) Liquiditäts- und Kapitalbeschaffung durch Investoren .................................................................. aa) Darlehen ............................................................ bb) Sanierende Kapitalherabsetzung ...................... cc) Stille Gesellschaft .............................................. c) Debt-Equity-Swap ..................................................... d) Debt-Mezzanine-Swap ..............................................
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a)
551 552 557 561
.... .... .... ....
143 143 144 146
563 564 567 575 581 595
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146 146 147 148 149 152
VII. Verkaufsprozess aus der doppelnützigen Treuhand .............. 600 .... 153 VIII. Erwerb einer börsennotierten AG – WpÜG ........................ 608 .... 155 IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz .......................................................... 1. Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz und Voraussetzungen eines Betriebsübergangs ............... 2. Fallbeispiele ....................................................................... a) Mietvertrag und Auftragsvergabe als Betriebsübergang ....................................................... b) Mehrere Standorte ..................................................... 3. Rechtsfolgen des § 613a BGB für den Erwerber und Strategien zur Vermeidung ....................................... a) Auflösung der betrieblichen Einheit ........................ b) Transfergesellschaft bzw. BQG – Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaft ................................ c) § 613a BGB in masselosen Insolvenzen ................... d) Verbindliches Erwerberkonzept zur Restrukturierung ....................................................... e) Der nicht mehr erwartete Betriebsübernehmer ....... 4. Kündigung zur Verbesserung der Verkaufschancen ....... 5. Kombinationsmöglichkeiten ............................................
615 .... 156 619 .... 157 641 .... 161 642 .... 161 664 .... 165 678 .... 168 682 .... 168 689 .... 170 722 .... 176 736 753 767 792
.... .... .... ....
186 189 191 195
X. Betriebliche Renten und Zusagen im Insolvenzfall ................ 797 .... 196 XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen in Krise, Insolvenz und Sanierung ................... 1. Steuerliche Interessen des Veräußerers in der Krise ....... a) Asset Deal .................................................................. aa) Veräußerer ist eine natürliche Person .............. bb) Veräußerung von Mitunternehmeranteilen ..... cc) Thesaurierungsbesteuerung von Personengesellschaften ..................................... dd) Veräußerung durch Kapitalgesellschaft ...........
815 815 816 816 826
.... .... .... .... ....
201 201 201 201 204
830 .... 205 834 .... 206 XI
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2.
3.
XII
b) Share Deal .................................................................. 838 aa) Veräußerer ist eine natürliche Person .............. 839 (1) Einkünfte aus Gewerbebetrieb ................. 840 (2) Einkünfte aus Kapitalvermögen ............... 848 bb) Veräußerer ist eine Kapitalgesellschaft ............ 849 Steuerliche Interessen des Erwerbers in der Krise .......... 850 a) Asset Deal .................................................................. 851 b) Nutzung steuerlicher Verlustvorträge beim Share Deal ......................................................... 865 aa) Tatbestand des § 8c KStG im Einzelnen ......... 880 bb) Anteilsübertragung und vergleichbare Sachverhalte gemäß § 8c KStG ........................ 890 cc) Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG .. 911 (1) Voraussetzungen der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG ......................... 926 (2) Ausschluss der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a Satz 4 KStG .......................... 939 dd) Konzernklausel gemäß § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG ....................................................... 940 ee) Verschonungsregelung bei stillen Reserven gemäß § 8c Abs. 1 Satz 5–8 KStG .................... 944 ff) Fortführungsgebundener Verlustvortrag gemäß § 8d KStG .............................................. 956 (1) Unterhaltung ausschließlich desselben Geschäftsbetriebs ...................................... 966 (2) Kein schädliches Ereignis im Beobachtungszeitraum .............................. 972 (3) Rechtsfolgen des § 8d KStG ..................... 993 c) Keine Nutzung steuerlicher Verlustvorträge mehr bei Verschmelzung/Abspaltung .................... 1000 d) Verlustnutzung durch andere Gestaltungen .......... 1004 aa) Gestaltung einer Organschaft ........................ 1005 bb) Realisation stiller Reserven ............................. 1007 e) Steuerliche Behandlung von stillen Gesellschaften/ Genussrechten ......................................................... 1009 Besteuerung von Sanierungsgewinnen ........................... 1016 a) Besteuerung von Sanierungsgewinnen bis 8.2.2017 ............................................................... 1019 b) Besteuerung von Sanierungsgewinnen seit dem 8.2.2017 ..................................................... 1040 aa) Unternehmensbezogene Sanierungen gemäß § 3a Abs. 2 EStG ................................. 1044 (1) Sanierungsbedürftigkeit .......................... 1048 (2) Sanierungsfähigkeit ................................. 1052
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.... .... .... .... .... .... ....
207 207 207 210 210 210 210
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245 246 246 246
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Inhaltsverzeichnis Rn.
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(3) Sanierungseignung ................................... 1054 (4) Sanierungsabsicht .................................... 1055 bb) Steuerbefreiung gemäß § 3a EStG ................. 1064 (1) Abzugsverbot für Sanierungsaufwendungen gemäß § 3c Abs. 4 EStG .......................... 1075 (2) Ausübung steuerlicher Wahlrechte gemäß § 3a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG .... 1086 (3) Verbrauch von Verlustvorträgen und weiteren Steuerminderungspositionen gemäß § 3a Abs. 3 EStG .......................... 1090 (4) Erweiterung des Wegfalls von Verlustvorträgen bei nahestehenden Personen gemäß § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG ............... 1094 (5) Verfahrensrechtliche Regelungen im Fall der Mitunternehmerschaft ......... 1099 (6) Regelungen im Rahmen der Körperschaftsteuer .................................. 1101 (7) Regelungen im Rahmen der Gewerbesteuer ......................................... 1104 (8) Regelungen im Rahmen der Schenkungssteuer .................................... 1108 (9) Regelungen im Rahmen der Umsatzsteuer .................................... 1115 4. Steuerrechtliche Behandlung von Forderungsverzichten mit Besserungsabrede ................................... 1120 a) Steuerliche Auswirkungen im Zeitpunkt des Verzichts ............................................................ 1121 b) Steuerliche Auswirkungen im Zeitpunkt des Besserungsfalls .................................................. 1123 aa) Auswirkungen auf Ebene der Gesellschaft .... 1124 bb) Auswirkungen auf Ebene des Gesellschafters .......................................... 1125 cc) Behandlung der Darlehenszinsen ................... 1129 c) Besonderheit bei zeitgleicher Abtretung von Forderungen und Geschäftsanteilen ............... 1131 5. Steuerrechtliche Behandlung des Rangrücktritts .......... 1140 6. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Push-Up ......... 1156 7. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Equity-Swaps ......................................................... 1160 8. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Mezzanine-Swaps .................................................. 1169 9. Umsatzsteuer beim Unternehmenskauf ........................ 1179 a) Asset Deal ................................................................ 1179 b) Share Deal ................................................................ 1188 10. Grunderwerbsteuer beim Unternehmenskauf .............. 1189
.... 256 .... 257 .... 258 .... 260 .... 263
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281 283 283 287 288
XIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
11. Sonstige steuerliche Haftungsrisiken ............................. a) § 75 AO .................................................................... b) § 13c UStG ............................................................... c) § 73 AO bei umsatzsteuerlicher Organschaft ........
1198 1198 1210 1212
Seite
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289 289 292 292
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz ................................ 1234 .... 297 I.
Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters ........................ 1234 .... 297
II. Interessenlage des Insolvenzverwalters ................................. 1262 .... 304 III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz: Grundkonstellationen aus Sicht des Insolvenzverwalters, Eigenverwalters und Sachwalters ........................................... 1. Übertragende Sanierung ................................................. 2. Unternehmenserwerb auf Grundlage eines Insolvenzplans ................................................................. a) Übertragende Sanierung auf Grundlage eines Insolvenzplans ......................................................... b) Eigensanierung und Insolvenzplan .........................
1293 .... 310 1302 .... 311
IV. Leitlinien für Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter, Sachwalter und Eigenverwalter bei Kaufinteresse ................ 1. Timing .............................................................................. 2. Kaufpreisfindung ............................................................. 3. Vertragsverhandlung und -gestaltung ............................
1309 1309 1319 1327
1277 .... 307 1278 .... 307 1292 .... 310
.... .... .... ....
312 312 314 315
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten im Rahmen des Unternehmenskaufs in der Krise ............. 1336 .... 317 I.
Vorbemerkung ........................................................................ 1336 .... 317
II. Grundlagen des Sanierungskonzepts i. S. d. IDW S 6 .......... 1340 .... 318 III. Bestimmung von Auftragsinhalt und Verantwortlichkeiten im Rahmen der Erstellung von Sanierungskonzepten .......... 1348 .... 320 IV. Darstellung und Analyse des Unternehmens ....................... 1. Anforderungen an die Qualität der Informationen ...... 2. Basisinformationen über die Ausgangslage des Unternehmens ................................................................. 3. Analyse der Unternehmenslage .....................................
1352 .... 321 1352 .... 321
V. Feststellung der Krisenursachen und der Krisenstadien ...... 1. Feststellungen zur Stakeholderkrise .............................. 2. Feststellungen zur Strategiekrise ................................... 3. Feststellungen zur Produkt- und Absatzkrise .............. 4. Feststellungen zur Erfolgskrise ......................................
1359 1360 1362 1363 1364
XIV
1353 .... 322 1354 .... 322 .... .... .... .... ....
324 324 325 325 326
Inhaltsverzeichnis Rn.
5. 6.
Seite
Feststellungen zur Liquiditätskrise ................................ 1365 .... 326 Feststellungen zur Insolvenzreife .................................. 1366 .... 326
VI. Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens ........ 1369 .... 327 VII. Beschreibung von Wettbewerbsvorteilen und Wettbewerbsstrategien .......................................................... 1376 .... 329 VIII. Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise .............................................................. 1. Sanierung in der Insolvenz ............................................. 2. Vermeidung der Insolvenz ............................................. 3. Überwindung der Liquiditätskrise ................................. 4. Überwindung der Erfolgskrise ....................................... 5. Überwindung der Produkt- und Absatzkrise ................ 6. Überwindung der Strategiekrise ..................................... 7. Überwindung der Stakeholderkrise ...............................
1379 1381 1382 1386 1387 1391 1396 1400
.... .... .... .... .... .... .... ....
330 330 331 332 332 333 334 336
IX. Integrierte Sanierungsplanung ............................................... 1401 .... 337 E.
Grundlagen der Unternehmensbewertung ........................ 1410 .... 341
I.
Theoretische Grundlagen ....................................................... 1410 1. Allgemeines ..................................................................... 1410 2. Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse ........ 1418 3. Kapitalisierung der künftigen Überschüsse ................... 1427 4. Ertragswert- und „Discounted-Cashflow-Verfahren“ ...... 1434 a) Ertragswertverfahren ............................................... 1435 b) Die „Discounted-Cashflow-Verfahren“ ................. 1437
.... .... .... .... .... .... ....
341 341 343 344 346 346 349
II. Multiplikatorverfahren ........................................................... 1443 .... 351 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 353
XV
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz Dem Unternehmenskauf in der Krise bzw. aus der Insolvenz kommt aufgrund 1 der wirtschaftlichen Gesamtsituation sowie den erweiterten Restrukturierungsoptionen im Zusammenhang mit der Reform des Insolvenzrechts durch das am 1.3.2012 sowie am 1.1.2013 in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) sowie jüngst mit dem Inkrafttreten des SanInsFoG und hier insbesondere des StaRUG immer größere Bedeutung zu. Obwohl die Zahl der Insolvenzen in den letzten Jahren und jüngst insbesondere während der COVID-19 Pandemie rückläufig ist, führen komplexere Finanzierungsstrukturen im Zusammenhang mit Verfehlung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen im Rahmen der Unternehmensplanung häufig zu einer potenziellen Liquiditätskrise des Unternehmens, die dann unter Umständen mit dem Einstieg von Investoren durch eine Unternehmenstransaktion beseitigt werden soll. Bei Scheitern der Unternehmenstransaktion in der Krise kommt immer die Fortführung bzw. Einleitung eines Unternehmensverkaufs aus der Insolvenz in Betracht. Schließlich führen auch spezialisierte „Distressed“ bzw. „Opportunity Fonds“ im Rahmen von Restrukturierungen zu erweiterten Möglichkeiten bei Unternehmenstransaktionen in der Krise, da diese sowohl Eigen- als auch Fremdkapital in Krisensituationen erwerben und hierdurch erweiterte Optionen für die Beteiligten geschaffen werden. Verschiedene Unternehmensbeteiligungsgesellschaften haben sich insoweit sogar ausschließlich auf den Erwerb von Unternehmen in der Krise oder aus der Insolvenz spezialisiert, um durch einen günstigen Erwerb und nach erfolgreicher Sanierung einen Veräußerungsgewinn zu realisieren. Im Folgenden werden die rechtlichen und steuerlichen Besonderheiten des 2 Unternehmenskaufs in den jeweiligen Phasen der Krise und unter Berücksichtigung der jeweiligen Transaktionsstruktur und des regelmäßig bestehenden zusätzlichen Zeitdrucks zwecks Herbeiführung einer Lösung zur Abwendung einer Insolvenz oder einer schnellen Umsetzung des Unternehmenskaufs aus der Insolvenz dargestellt. Maßgeblich für den Zeitdruck ist regelmäßig, dass das Unternehmen in der Krise meist einen Wertverlust aufgrund von negativen Maßnahmen der verschieden beteiligten Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Dienstleister, Warenkreditversicherer, Kreditgeber, Arbeitnehmer, Wettbewerber etc.) erleidet. Der unverzügliche Unternehmenskauf in der Krise kann insoweit eine weitere Wertvernichtung im Interesse aller Beteiligten vermeiden. I. Abwicklungsoptionen des Unternehmenskaufs aus der Krise/Insolvenz Unabhängig vom Bestehen einer wirtschaftlichen Krise des Verkäufers bzw. 3 seines Unternehmens oder einer bereits eingetretenen Insolvenz kommen
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
für einen Unternehmenskauf grundsätzlich zwei Transaktionsstrukturen in Betracht: „Asset Deal“ und „Share Deal“. 1. Asset Deal 4 Beim Unternehmenskauf als Asset Deal erwirbt der Käufer sämtliche zum Unternehmen gehörende geschäftsbedeutsamen Vermögensgegenstände als Inbegriff von Sachen, Rechten und sonstigen Vermögenswerten und lässt sich von dem Träger des Unternehmens eine Option zur Übernahme solcher Rechtsverhältnisse mit Dritten einräumen, die für den Fortbetrieb des Unternehmens wesentlich sind. Der Käufer ist selbstverständlich auch am Erwerb der tatsächlichen wertbeeinflussenden Faktoren des Geschäftsbetriebs des Unternehmens wie deren Wettbewerbsstellung, Know-how und Qualität des Personals interessiert. 5 In der Insolvenz des Unternehmensträgers ist der Asset Deal der praktische Regelfall. Dabei wird der Kaufvertrag über die zu übertragenden Vermögenswerte (Assets) mit dem zur Verfügung Berechtigten – nach Insolvenzeröffnung im Rahmen des Regelinsolvenzverfahrens wegen § 80 Abs. 1 InsO also mit dem Insolvenzverwalter – abgeschlossen. Dieser Erwerb aus der Insolvenz wird allgemein als sog. „übertragende Sanierung“ bezeichnet, weil die Vermögensgegenstände unabhängig von den im Insolvenzverfahren zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten oder sonstigen Haftungsrisiken übertragen werden und hierdurch eine bewusste Trennung von den Schulden des insolventen Unternehmens realisiert wird. Der Erwerber startet mithin seine Geschäftstätigkeit grundsätzlich ohne „Altlasten“, die im Insolvenzverfahren verbleiben. Allerdings muss er diesen Unternehmenskauf im Rahmen des Asset Deals auch selbst finanzieren, da er grundsätzlich keine Schulden des insolventen Unternehmens übernimmt. Der Erwerb im Rahmen der „übertragenden Sanierung“ stellt den Regelfall im Insolvenzverfahren dar. 2. Share Deal a) Grundform 6 Im Gegensatz dazu erwirbt der Käufer beim Unternehmenskauf als Share Deal Anteile an dem Unternehmensträger; ist dieser z. B. eine GmbH, also die Geschäftsanteile. Dabei wird der Käufer meist sämtliche Gesellschaftsanteile erwerben. Notwendig ist dies jedoch nicht. Insbesondere in der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens – außerhalb der Insolvenz – kann auch der Erwerb einer Teilbeteiligung die Ziele des Erwerbers, die Geschicke des Zielunternehmens je nach der Höhe der Beteiligung maßgeblich mitzubestimmen und vom künftigen Erfolg im Rahmen einer erfolgreichen Sanierung der Unternehmung zu profitieren, mit den Zielen des Anteilsveräußerers zusammenführen, die etwa darin bestehen können, der Unternehmung zusätzliche finanzielle Mittel des neuen Teilhabers zuzuführen und zugleich das Know-how des bisherigen Anteilsinhabers weiterhin an das Unterneh-
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I. Abwicklungsoptionen des Unternehmenskaufs aus der Krise/Insolvenz
men zu binden. Der Share Deal in der Krise wird insoweit wirtschaftlich regelmäßig primär eine Zuführung von Eigenkapital und Liquidität bezwecken und kann insoweit auch im Rahmen einer Kapitalmaßnahme realisiert bzw. mit dieser kombiniert werden. Die bisherigen Altanteile bleiben insoweit bestehen, werden jedoch durch die neuen Anteile verwässert und die Beteiligung der bisherigen Anteilsinhaber sinkt entsprechend. Bei einer Kombination mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung bleiben die bisherigen Altgesellschafter nur dann am Unternehmen beteiligt, wenn sie sich an der Kapitalerhöhung mit neuem Eigenkapital beteiligen können. Der Share Deal ist ein Rechtskauf i. S. v. § 453 BGB. Für die Frage, ob der 7 Käufer beim Share Deal neben Rechtsmängeln des gekauften Mitgliedschaftsrechts ausnahmsweise auch Sach- und Rechtsmängel der durch den Share Deal erworbenen Vermögensgegenstände des Unternehmens geltend machen kann, ist entscheidend, ob der erworbene Anteil so bedeutend ist, dass sich der Erwerb nach den Umständen des Einzelfalls als Erwerb des gesamten Unternehmens und damit zugleich als Unternehmenskauf darstellt. Die Höhe der erforderlichen Beteiligungsquote differiert je nach Einzelfall, darf aber nach Rechtsprechung des BGH jedenfalls nicht unter 50 % liegen. BGH, Urt. v. 12.11.1975 – VII ZR 142/74, NJW 1976, 236, 237; BGH, Urt. v. 23.11.1979 – I ZR 161/77, DB 1980, 679, 681: Erwerb der anderen Hälfte durch einen schon zur Hälfte beteiligten Aktionär als Unternehmenskauf; BGH, Urt. v. 2.6.1980 – VIII ZR 64/79, ZIP 1980, 549 = NJW 1980, 2408, 2409: 60 % reichen nicht aus; vgl. auch BGH, Urt. v. 4.4.2001 – VIII ZR 32/00, ZIP 2001, 918 = NJW 2001, 2163, 2164; OLG München, Urt. v. 25.3.1998 – 7 U 6364/97, DB 1998, 1321, 1321: Erwerb von 75 % als Unternehmenskauf, wegen der damit verbundenen Möglichkeit des Käufers, satzungsändernde Beschlüsse durchzusetzen.
Der Share Deal kommt sowohl auf der Ebene des in die Krise geratenen Un- 8 ternehmensträgers als auch auf der Ebene seiner Tochtergesellschaft in Betracht. Beim Erwerb aus der Insolvenz ist insbesondere der Share Deal hinsichtlich einer Tochtergesellschaft praktisch bedeutsam. Dabei kann es sich sowohl um den marktgerechten Erwerb der Beteiligung an einer nicht insolventen Tochtergesellschaft des Insolvenzverwalters als auch um eine Beteiligung an einer Tochtergesellschaft handeln, auf die der Insolvenzverwalter seinerseits durch einen „internen“ Asset Deal Vermögensteile des Schuldners übertragen hat. Der im Rahmen des Share Deals zu vollziehende Erwerb der Anteile am Trä- 9 ger des Unternehmens lässt dessen rechtliche Identität unberührt. Das ist immer dann vorteilhaft, wenn der Unternehmensträger Inhaber zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen ist, die für den Betrieb des Unternehmens unentbehrlich sind und, sei es aufgrund unüberwindbarer rechtlicher Hindernisse oder aus Kostengründen, nicht auf einen neuen Unternehmensträger übertragen werden können. So sind z. B. öffentlich-rechtliche Genehmigungen zum Betrieb bestimmter Anlagen, aber auch Konzessionen,
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
Lizenzen oder besondere Gewerbegenehmigungen grundsätzlich auf den das Unternehmen betreibenden Rechtsträger bezogen. Das gleiche gilt für die Beteiligung an Ausschreibungsverfahren über öffentliche Aufträge. Häufig sollen dem Unternehmen aber auch zivilrechtliche Verhältnisse, z. B. ein günstiger Mietvertrag, erhalten bleiben, deren Übertragung auf einen neuen Unternehmensträger der Vertragspartner nicht zustimmen würde. Dagegen ist, wie § 23 HGB zeigt, eine Übertragung der Firma auf einen neuen Unternehmensträger möglich, sodass allein zwecks Fortführung einer am Markt bereits etablierten Firma der Share Deal dem Asset Deal nicht vorgezogen werden muss. 10 Soll ein neuer Erwerber das Unternehmen im Rahmen eines Share Deals übernehmen, nachdem bereits ein Insolvenzgrund eingetreten oder sogar schon das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmensträgers eröffnet worden ist, so kann der Unternehmenskauf wirtschaftlich nur dann erfolgreich abgeschlossen werden, wenn es gelingt, die Insolvenzgründe zu beseitigen und den Rechtsträger aus einem etwa schon eröffneten Insolvenzverfahren im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten wieder herauszuführen. Die Notwendigkeit, die Insolvenzgründe zu beseitigen, ergibt sich für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (insbesondere Personengesellschaften), bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, bereits aus den die Mitglieder des Vertretungsorgans treffenden Insolvenzantragspflichten (§ 15a Abs. 1 und Abs. 2 InsO). 11 Für die Beendigung eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens kommen dabei nur drei Möglichkeiten in Betracht: Die Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Unternehmensträgers (Schuldners) wegen Wegfall des Eröffnungsgrunds nach § 212 InsO, die Zustimmung sämtlicher angemeldeter Insolvenzgläubiger nach § 213 InsO und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch die rechtskräftige Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 258 Abs. 1 InsO. b) Sonderfall: Debt-Equity-Swap vor oder in der Insolvenz 12 Der Anteilserwerb lässt sich insbesondere in Sanierungsfällen auch durch einen sog. „Debt-Equity-Swap“ erreichen. Dabei erklären sich die Gläubiger damit einverstanden, gegen Gewährung von Anteilen an dem Unternehmensträger auf ihre Forderungen zu verzichten bzw. diese an das Unternehmen abzutreten, diese Forderungen also gegen Anteile am Unternehmensträger einzutauschen. Der Gläubiger erhält dadurch nicht nur die Möglichkeit, an späteren Gewinnen beteiligt zu werden, sondern er gewinnt gesellschaftsrechtlichen Einfluss und kann somit steuernd auf das Unternehmen einwirken. Gleichzeitig verringert sich beim Unternehmensträger die bilanzielle Überschuldung und die Liquiditätslage verbessert sich. Somit stellt der „Debt-Equity-Swap“ ein für beide Seiten attraktives und effektives Sanierungsmittel dar. HambKo-Thies, InsO, § 225a Rn. 14.
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I. Abwicklungsoptionen des Unternehmenskaufs aus der Krise/Insolvenz
Die gegen den Unternehmensträger bestehende Forderung kann danach ins- 13 besondere im Wege einer Kapitalerhöhung als Sacheinlage eingebracht werden. Hierfür ist jedoch bei Kapitalgesellschaften neben dem entsprechenden Kapitalerhöhungsbeschluss grundsätzlich die Werthaltigkeit der Sacheinlage erforderlich, die durch einen Prüfungsbericht nachzuweisen ist. Näher Kestler/Striegel/Jesch, Distressed Debt Investments, Rn. 104 ff.; Baer, ZInsO 2002, 153, 159; von Schorlemer/Stupp, NZI 2003, 345, 346; Vallender, NZI 2007, 129, 132 f.; vgl. auch Redeker, BB 2007, 673 ff.; Graf-Schlicker-Kebekus/Wehler, InsO, § 225a Rn. 5 f.
In der Praxis machen Banken von diesem Sanierungsinstrument allerdings 14 kaum Gebrauch, da sie nicht das Risiko eingehen wollen, mit ihren Darlehensforderungen als Gesellschafter nachrangig zu sein. Relevanter ist der „DebtEquity-Swap“ mit Anleihegläubigern. Mit Wirkung zum 5.8.2009 ist das reformierte Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) maßgeblich. Danach können in einer Gläubigerversammlung die Anleihegläubiger grundsätzlich jede Sanierungsmaßnahme gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG mit einer qualifizierten Mehrheit von 75 % der teilnehmenden Stimmrechte gerechnet nach Summen (vgl. § 6 SchVG) beschließen, sofern die Anleihebedingungen nicht höhere Anforderungen stellen. Auch die Umwandlung der Anleiheforderungen in Gesellschaftsanteile kommt insoweit gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG als sog. „Debt-Equity-Swap“ der Anleihe in Betracht. Zum neuen Schuldverschreibungsgesetz vgl. Horn, BKR 2009, 446 ff.; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 ff.; zum alten Schuldverschreibungsgesetz vgl. Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 ff. und Klerx/Penzlin, BB 2004, 791 ff.
Das Gesetz gilt nunmehr auch für Auslandsanleihen, sofern diese gemäß § 1 15 Abs. 1 SchVG von Emittenten im Ausland nach deutschem Recht vergeben wurden. Zudem findet das neue Schuldverschreibungsgesetz auf sämtliche inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen Anwendung, sodass nunmehr ein weiter Schuldverschreibungsbegriff gilt. Auf Genussscheine, deren Rückzahlungsansprüche aufgrund einer vereinbarten Gewinn- und Verlustbeteiligung von Anfang an bedingt und der Höhe nach unbestimmt sind, war das alte Schuldverschreibungsgesetz z. B. nicht anwendbar. Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 28.4.2006 – 20 W 158/06, ZIP 2006, 1388 ff.
Durch das am 1.3.2012 sowie am 1.1.2013 in Kraft getretene Gesetz zur wei- 16 teren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) können nun im Interesse verbesserter Sanierungsmöglichkeiten im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens nach § 225a InsO auch die Anteilsrechte des schuldnerischen Unternehmens in den Insolvenzplan einbezogen werden. Danach können insbesondere im Insolvenzplan Kapitalmaßnahmen vorgesehen werden, die die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftsanteile im Rahmen des „Debt-Equity-Swaps“ bewirken, § 225a Abs. 2 InsO. Die Einbeziehung der
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
Gläubiger setzt deren Zustimmung voraus, sodass Gläubiger nicht gegen ihren Willen zu einer Umwandlung ihrer Forderung in Gesellschaftsanteile gezwungen werden können (anders im ursprünglichen ESUG-Diskussionsentwurf sowie bei Anwendung von § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG). Für die Einbeziehung der Anteilsrechte in die gestaltende Wirkung eines Insolvenzplans spricht, dass in der Insolvenz das Eigenkapital der Anteilsinhaber wertlos ist und diese nur aufgrund ihres gesellschaftsrechtlichen Einflusses ein erhebliches Blockadepotenzial zulasten der Gläubiger geltend machen können. Vgl. zum „Debt-Equity-Swap“ im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG Günther, ZInsO 2012, 2037, 2038 ff.; zum Regierungsentwurf des ESUG vgl. Hölzle, NZI 2011, 124, 127 ff.; Meyer/Degener, BB 2011, 846 ff.; zum Diskussionsentwurf des ESUG vgl. J. Schmidt, GWR 2010, 568 ff.
c) Sonderfall: Erwerb auf Grundlage eines Insolvenzplans 17 Gemäß § 225a Abs. 3 kann neben dem Debt-Equity-Swap im Insolvenzplan jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils-oder Mitgliedschaftsrechten. In der Praxis sehen Insolvenzpläne auf Grundlage einer mit einem Investor geschlossenen Investorenvereinbarung (zur Investorenvereinbarung ausführlich Rn. 515 ff.) insbesondere die Herabsetzung des Stammkapitals der jeweiligen Schuldnerin auf null und die gleichzeitige Erhöhung des Stammkapitals an der Schuldnerin vor, wobei die neu begebenen Geschäftsanteile an der Schuldnerin vom Investor gezeichnet werden und zugleich die Bezugsrechte der Altgesellschafter und Dritter ausgeschlossen sind. Diese Darstellung für die Rechtsform der GmbH gilt bei Kommanditgesellschaften und bei Aktiengesellschaften entsprechend, wobei bei Kommanditgesellschaften der Altgesellschafter aus der Gesellschaft austritt und der Investor als Neugesellschafter die Gesellschaft eintritt; zugleich wird auch ein Eintritt eines neuen Komplementärs erfolgen. d) Sonderfall: Erwerb auf Grundlage eines Restrukturierungsplans 18 Gemäß § 7 Abs. 1 StaRUG kann der gestaltende Teil eines Restrukturierungsplans auch festlegen, wie die Rechtsstellung der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte durch den Restrukturierungsplan geändert werden soll. Der Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg vom 12.4.2021 ist bei der Darstellung der abstimmenden Gruppen zu entnehmen, dass auch die Gruppe der Anteilsinhaber Planbetroffene waren, sodass diese Entscheidung ein erster Beleg für eine Anteilsübernahme auf Grundlage eines Restrukturierungsplans ist. AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, BeckRS 2021, 7959.
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II. Mögliche Phasen für einen Unternehmenskauf
II. Mögliche Phasen für einen Unternehmenskauf Der zeitliche Verlauf einer Krise bis hin zur Liquidation des Unternehmens- 19 trägers im Rahmen eines Insolvenzverfahrens lässt sich in drei Phasen unterteilen: in Phase 1 vor der Stellung des Insolvenzantrags (inkl. der Zeit, in der ein Restrukturierungsplan nach dem StaRUG wegen der eingetretenen drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits gerichtlich bestätigt werden kann, vgl. § 63 StaRUG), in die Zeit nach dem Insolvenzantrag bis zur Entscheidung über Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dem sog. Insolvenzantragsverfahren als Phase 2 sowie dem eröffneten Insolvenzverfahren als Phase 3. In Phase 1 kann der Unternehmensträger uneingeschränkt über sein Vermö- 20 gen verfügen. Doch besteht unter bestimmten Voraussetzungen das Risiko einer insolvenzrechtlichen Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Dabei ist der Zeitraum der letzten drei Monate vor Eingang des Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht besonders gefährlich, weil in dieser Zeit eine Anfechtung unter den vergleichsweise geringen Anforderungen der §§ 130 – 132 InsO droht. Der Zeitraum jeglichen Anfechtungsrisikos reicht – wenn der Schuldner eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zumindest für möglich hielt – sogar bis zu zehn Jahre vor dem Insolvenzantrag zurück (vgl. § 133 InsO), es sei denn, dass die Regelungen der §§ 89 f. StaRUG Anwendung finden, die eine rechtshängige Restrukturierungssache voraussetzen. Ob die Verfügungsmacht auch in Phase 2 noch bei dem eigentlichen Träger 21 des Unternehmens liegt, hängt davon ab, ob das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner schon für das Insolvenzantragsverfahren ein allgemeines Verfügungsverbot oder einen Zustimmungsvorbehalt auferlegt. In ersten Fall geht mit dem entsprechenden Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Dieser hat nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO insbesondere ein vom Schuldner betriebenes Unternehmen bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung fortzuführen und kann ein solches Unternehmen nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts stilllegen. Angesichts dessen ist äußerst umstritten, ob der mit Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO ausgestatte vorläufige Insolvenzverwalter (sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) überhaupt berechtigt ist, das vom Schuldner betriebene Unternehmen als Ganzes zu veräußern. Über die grundsätzliche Aufgabe auch des starken vorläufigen Insolvenzverwalters, den notleidend gewordenen Betrieb zu bewahren und die vorhandenen Werte zu erhalten, geht dies deutlich hinaus. Entsprechendes gilt für ein Handeln des Schuldners entweder mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters oder bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung. Das Insolvenzantragsverfahren wird zeitlich durch die InsO nicht beschränkt. 22 Für schuldnerische Unternehmen, die Arbeitnehmer beschäftigen, ergibt sich eine solche Begrenzung jedoch regelmäßig in der Praxis aus dem Um-
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
stand, dass § 183 Abs. 1 SGB III die Zahlung von Insolvenzgeld für die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer auf die drei Anstellungsmonate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. einer Antragsabweisung mangels Masse begrenzt. Vor allem der starke vorläufige Insolvenzverwalter ist deshalb gehalten, über diese drei Monate hinaus keine Arbeitsentgeltverbindlichkeiten des Schuldners zu begründen, weil diese nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen sind. Denn nach § 55 Abs. 3 Satz 1 InsO sind nur die aufgrund einer Zahlung von Insolvenzgeld nach § 187 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt von der Qualifizierung als Masseverbindlichkeiten ausgenommen. Für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter würde sich aus einer Überschreitung der durch Insolvenzgeld abgesicherten Dreimonatsfrist nach § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 61 InsO ein erhebliches Haftungsrisiko ergeben. 23 Die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnende dritte Phase lässt sich noch einmal in die nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht über drei Monate hinausgehende Zeit vor dem Berichtstermin, in dem der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten hat, und die Zeit danach unterteilen. Im Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter oder der eigenverwaltende Schuldner nach § 156 Abs. 1 Satz 2 InsO insbesondere darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Aus diesen Angaben lassen sich wertvolle Informationen für den Erwerb von Unternehmensteilen entnehmen. 24 Während der Asset Deal grundsätzlich während aller drei Phasen in Betracht zu ziehen ist, ist ein Share Deal über die Schuldnergesellschaft selbst in den Phasen 2 und 3 grundsätzlich nur im Rahmen eines Insolvenzplans bzw. bei beabsichtigter Umsetzung eines solchen nach §§ 217 ff. InsO sinnvoll. Da der Share Deal die Identität des (insolventen) Unternehmensträgers nicht berührt, wäre eine Beteiligung an der Schuldnergesellschaft bei Fortbestand aller gegen diese gerichteten und im Verfahren angemeldeten Forderungen unattraktiv. Von den die Erfüllung dieser Forderungen regelnden Bestimmungen der InsO kann gemäß § 217 InsO nur im Rahmen eines Insolvenzplans abgewichen werden. III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung 25 Wird der Verkauf eines Unternehmens durch eine wirtschaftliche Krise des Verkäufers bzw. seines Unternehmens veranlasst, so ist der Erwerber einer Anschlussinsolvenzgefahr ausgesetzt. Bei Unternehmenskäufen in der Krise muss daher aufgrund der regelmäßig im Rahmen der Due Diligence erworbenen konkreten Kenntnis über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Verkäufers das Risiko einer nachfolgenden Insolvenz beurteilt werden. In Abhängigkeit von der Transaktionsstruktur – Share Deal oder Asset Deal – sind insoweit die etwaigen Rechtsfolgen einer späteren Insolvenz zu beachten. 8
III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
1. Share Deal Für die Frage, welche Vertragsgestaltung für den Unternehmenskauf vor 26 Antragstellung gewählt wird, wirkt sich zugunsten des Share Deals aus, dass eine Übertragung von Vermögensgegenständen, die dem in die Krise geratenen Unternehmensträger gehören, im Gegensatz zum Asset Deal nicht vollzogen wird. Der Erwerber wird bei uneingeschränkter Fortsetzung der Identität des Unternehmensträgers lediglich dessen Anteilseigner. Dies schließt vor allem Anfechtungsrisiken aus, denen ein Asset Deal unterliegt, wenn nach der Veräußerung der erfassten Vermögensgegenstände der Unternehmensträger in die Insolvenz fällt (siehe Rn. 47 ff.). Dies gilt selbstverständlich nur insoweit, als der Anteilsverkäufer selbst nicht insolvenzbedroht ist, sondern nur dessen Gesellschaft. Da nicht nur die Vermögensgegenstände, Know-how und ein etwaiger Fir- 27 menwert, sondern auch alle Verbindlichkeiten beim Unternehmensträger verbleiben, beträgt der Kaufpreis häufig nur 1 € oder ist sogar negativ, sodass der Anteilsverkäufer zusätzlich einen negativen Kaufpreis an den Anteilskäufer zahlt bzw. das Unternehmen vorab mit zusätzlichem Eigenkapital ausstattet. Der Erwerb wird hierdurch für einen Investor attraktiv, wenn dieser mit zusätzlichen eigenen Mitteln und Know-how ein etwaiges künftiges Ertragspotenzial ausschöpfen kann. Allerdings müssen spätestens nach dem Vollzug des Unternehmenskaufs zumindest bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit und ohne eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter die Insolvenzgründe Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit (§§ 17, 19 InsO) beseitigt werden, weil anderenfalls für die geschäftsführenden Organe die Insolvenzantragspflicht aus § 15a Abs. 1 und Abs. 2 InsO bestehen bleibt. In den seltensten Fällen ist für den Erwerber die Übernahme des unveränderten Fortbestands aller Aktiva und Passiva attraktiv. Deshalb verhandelt der Erwerber regelmäßig vor dem verbindlichen Vertragsschluss mit den Gläubigern des Unternehmens Sanierungsbeiträge wie Verzichte oder Stundungen als Voraussetzung für die Übernahme der Anteile sowie die Investition von zusätzlichem Eigenkapital, um dem Erwerber einen wirtschaftlich attraktiven Einstieg zu ermöglichen. Diese Gläubigerbeiträge inklusive etwaigen Arbeitnehmerbeiträgen z. B. im Rahmen eines Sanierungstarifvertrages können insoweit von dem Erwerber auch bei Vertragsschluss („Signing“) als Vollzugsbedingungen (sog. „Closing Conditions“) für den Erwerb der Anteile in der Krise gefordert werden. 2. Share Deal auf Grundlage eines Restrukturierungsplans a) Zulässige Gestaltungen Der Werkzeugkasten des StaRUG sieht – gleich der InsO – die Durchführung 28 gesellschaftsrechtlich zulässiger Maßnahmen zum Zwecke der Sanierung vor, vgl. §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 StaRUG bzw. § 225a Abs. 3 InsO. Entscheidend ist die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit der beabsichtigten Maßnahmen, d. h.,
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
zwingende gesellschaftsrechtliche Vorschriften sind auch im Restrukturierungsplan zu berücksichtigen. BeckOK-Fridgen, StaRUG, § 7 Rn. 80.
29 Zu den vom Gesetzgeber ausdrücklich genannten Maßnahmen zählt insbesondere der sog. „Debt-Equity-Swap“, also die Umwandlung von Restrukturierungsforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 StaRUG. Zudem kann im Restrukturierungsplan gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 StaRUG ein Kapitalschnitt i. S. d. §§ 228 ff. AktG bzw. §§ 58 ff. GmbHG geregelt werden. Hierdurch können das satzungsgemäße Stammkapital bzw. Grundkapital auf null herabgesetzt und zugleich durch eine Kapitalerhöhung wieder aufgefüllt werden. Der Kapitalschnitt ermöglicht den Ausschluss von Altgesellschaftern, die nicht willens oder in der Lage sind, die Gesellschaft und den Eintritt von Investoren als neue Gesellschafter künftig zu unterstützen. Angesichts der in § 26 StaRUG normierten Möglichkeit des sog. „Cross-class Cram-downs“ können die im Restrukturierungsplan vorgesehenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen auch gegen den Willen der Gesellschafter beschlossen werden. Auch ein umwandlungsrechtlicher Formwechsel – wie im sog. Suhrkamp-Fall, in dem auf Betreiben der Mehrheitsgesellschafterin einer GmbH & Co. KG die Gesellschaft im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens gegen den Willen der Minderheitsgesellschafterin in eine AG umgewandelt und hierdurch die Minderheitsgesellschafterin sich ihrer wesentlichen Anteilsrechte entledigt sah – ist eine grundsätzlich zulässige Gestaltung im Restrukturierungsplan. Zu Suhrkamp siehe BVerfG, NJW 2015, 465 ff.; BGH, ZIP 2014, 1442 ff., LG Berlin, BeckRS 2014, 9404; OLG Frankfurt a. M., ZIP 2013, 2018 ff.; LG Frankfurt a. M., ZInsO 2013, 1793 ff.
30 Im Rahmen der Suhrkamp-Entscheidung hat der BGH festgestellt, dass „nach dem Inhalt des Insolvenzplans alle Insolvenzgläubiger ohne die Notwendigkeit weiterer Sanierungsmaßnahmen voll befriedigt werden. Vor diesem Hintergrund hätte die Schuldnerin in ihrer bisherigen Rechtsform weitergeführt oder ihr Geschäftsbetrieb im Wege einer übertragenden Sanierung veräußert werden können.“ Trotz dieser für die Sanierung unerheblichen Plangestaltung hat der BGH die Umwandlung nicht als unzulässig erachtet. BGH, ZIP 2014, 1442 Rn. 41.
31 Hieraus schließt die h. M. zu Recht, dass die in § 2 Abs. 3 StaRUG normierte Schranke der im Restrukturierungsplan gesellschaftsrechtlich zulässigen Regeln weit zu verstehen und lediglich zwingendes Gesellschaftsrecht zu beachten ist, nicht jedoch allgemeine gesellschaftsrechtliche Schutzprinzipien. Mulert/Steiner, NZG 2021, 673, 671; BeckOK-Skauradszun, StaRUG, § 2 Rn. 89.
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
b) Zustimmungserfordernisse der Gesellschafter? Vor dem Hintergrund der durch das Restrukturierungsverfahren drohenden 32 erheblichen Einschnitte in die Rechte der Gesellschafter stellt sich die Frage, ob die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 StaRUG im Vorfeld der Zustimmung der Anteilseigner bzw. einer entsprechenden Weisung der Gesellschafter bedarf. Die Ausgangssituation ist vergleichbar mit der Stellung eines fakultativen Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO. Es besteht keine gesetzlich normierte Antragspflicht, jedoch kann der Geschäftsleiter grundsätzlich ohne Zustimmung der Anteilseigner im Außenverhältnis wirksam agieren. Die Antragsbefugnis gemäß § 18 Abs. 3 InsO ist streng an die gesellschaftsrechtliche Vertretungsbefugnis gekoppelt. Ein zustimmender Gesellschafterbeschluss ist im Außenverhältnis keine Voraussetzung der Antragstellung. Allerdings besteht für den Geschäftsführer regelmäßig ein potenzielles Haf- 33 tungsrisiko nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn er gegen den Willen der Gesellschafter die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung stellt ein fakultativer Insolvenzantrag vor dem Hintergrund der erheblichen Folgen – insbesondere auch für die Anteilseigner – keine bloße Geschäftsführungsmaßnahme dar, sondern ist vielmehr eine Grundlagenentscheidung, die der alleinigen Entscheidungskompetenz des Geschäftsführers entzogen ist. Demzufolge verletzt ein Geschäftsleiter im Innenverhältnis seine Geschäftsleiterpflichten, wenn er ohne Zustimmung der Anteilseigner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer bloß drohend zahlungsunfähigen – nicht jedoch überschuldeten – Gesellschaft stellt. OLG München, NZI 2013, 542, 545; LG Frankfurt a. M., NZI 2013, 986, 987; AG Mannheim, NZI 2014, 412, 413; HambKo-Schröder, InsO, § 18 Rn. 17; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 18 Rn. 75; Braun-Bußhardt, InsO, § 18 Rn. 17; Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 13 Rn. 2; Fuhrmann/Heinrich/ Schilz, NZG 2021, 684, 687; Leinekugel/Skauradszun GmbHR 2011, 1121, 1125; a.°A. Gessner, NZI 2018, 185, 186; K. SchmidtK. Schmidt, InsO, § 18 Rn. 31 (Zustimmungserfordernis nur bei GmbH – nicht bei AG); Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1203; Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1851 (kein Gesellschafterbeschluss erforderlich).
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt die Gesellschaft gemäß § 60 34 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG als aufgelöst. Die Geschäftsanteile sind regelmäßig wertlos. Anders stellt sich die Sachlage jedoch beim Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG dar. Dieses dient der originären Sanierung der Gesellschaft, sodass die Gesellschaftsanteile mit der Anzeige des Restrukturierungsverfahrens nicht per se wertlos werden. Die möglichen Einschnitte in die Gesellschafterrechte nach dem StaRUG sind also grundsätzlich erst einmal nicht so tiefgreifend wie die Folgen der Insolvenz. Da die Stellung eines Insolvenzantrags gemäß § 18 Abs. 3 InsO im Außen-
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
verhältnis auch gegen den Willen der Gesellschafter zulässig ist, ist auch die gegen den Willen der Gesellschafter erfolgte Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 StaRUG im Außenverhältnis wirksam. BeckOK-Kramer, StaRUG, § 31 Rn. 31; Skauradszun, KTS 2021, 1, 49; Brünkmans, ZInsO 2021, 1, 8; Fuhrmann/Heinrich/Schilz, NZG 2021, 684, 688.
35 Analog zur eigenmächtigen Insolvenzantragstellung droht dem Geschäftsleiter im Falle der nicht vom Gesellschafterwillen getragenen Anzeige der Restrukturierungssache im Binnenverhältnis eine Regresshaftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG sowie ggf. nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG. Fuhrmann/Heinrich/Schilz, NZG 2021, 684, 690; Balthasar, NZI-Beilage 2021, 18, 22; a. A. Scholz, ZIP 2021, 219, 231.
36 Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die Ausformung des Pflichtenmaßstabs, also die Frage, welche Interessen der Geschäftsführer vorrangig berücksichtigen muss. Im Insolvenzrecht ist diese Frage eindeutig zugunsten der Gläubiger geregelt. Folgerichtig hat das LG München I mit Urteil vom 22.5.2015 dem Geschäftsführer einer drohend zahlungsunfähigen Gesellschaft „zur Abwehr seiner Risiken insbesondere aus § 64 GmbHG“ auch einen umfassenden Haftungsfreistellungsanspruch gegenüber den Gesellschaftern für den Fall anerkannt, dass die Gesellschafter ihre Zustimmung zur Insolvenzantragstellung verweigern. LG München I, ZIP 2015, 1634, 1636.
37 Außerhalb des Anwendungsbereichs der InsO ist der Geschäftsführer primär den Gesellschaftsinteressen verpflichtet. Die Leitlinien für das unternehmerische Handeln des Geschäftsleiters geben die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierte sog. „Business Judgement Rule“ vor, die auf die GmbH weitestgehend entsprechend anwendbar sind. Doch auch die Interessen der Gesellschafter hat der Geschäftsführer zu beachten. Dies ergibt sich aus der Zustimmungspflicht der Gesellschafter bei Grundlagengeschäften bzw. der Weisungsbefugnis der Anteilseigner gegenüber dem Geschäftsleiter. 38 Bei einer bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit ist – wie oben dargelegt – der Geschäftsführer im Innenverhältnis nach wie vor an die Vorgaben der Anteilseigner bei Grundlagengeschäften gebunden, so also auch bei der Entscheidung, ob er ein Restrukturierungsverfahren initiiert. Verweigern die Anteilseigner ihre Zustimmung zur Anzeige der Restrukturierungssache, so steht dem Geschäftsleiter entsprechend der vorgenannten Entscheidung des LG München I ebenfalls ein Haftungsfreistellungsanspruch gegen die Gesellschafter zu.
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
Im Ergebnis ist ein Unternehmensverkauf auf Grundlage eines Restrukturie- 39 rungsplans nach dem StaRUG demnach nur mit der Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafterversammlung bzw. des Aufsichtsrats möglich. AG Hamburg, Beschl. v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, BeckRS 2021, 7959.
3. Asset Deal Neben den Insolvenzanfechtungsrisiken des Unternehmenskaufs in der Form 40 des Asset Deals ist bei einer nachfolgenden Insolvenz des Verkäufers das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO als Risiko für den Käufer zu berücksichtigen. Das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO besteht, wenn der Unternehmenskaufvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens von keiner Seite vollständig erfüllt ist. Maßgeblich für die Erfüllung ist der Eintritt des vertraglich geschuldeten 41 Leistungserfolgs, vgl. § 362 Abs. 1 BGB. Beim Kaufvertrag muss folglich der Verkäufer die Sache übergeben und übereignen, der Käufer schuldet die Kaufpreiszahlung und die Annahme der Sache. Werden im Rahmen des Unternehmenskaufs auch Grundstücksobjekte übertragen, so sollte neben der Auflassung auch der Eintragungsantrag von beiden Parteien gestellt werden, da aufgrund des hierdurch entstehenden unentziehbaren Anwartschaftsrechts des Käufers § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist. MüKo-Huber, InsO, § 103 Rn. 132.
Des Weiteren ist § 106 InsO zu berücksichtigen, wonach der Vormerkungs- 42 berechtigte vom Insolvenzverwalter trotz späterer Insolvenz Erfüllung des Grundstücksübertragungsanspruchs verlangen kann. Lehnt der Insolvenzverwalter bei Anwendbarkeit von § 103 InsO die Erfüllung 43 des Kaufvertrages ab, so sind die Erfüllungsansprüche des Erwerbers nicht mehr durchsetzbar. BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093, 1094; BGH, Urt. v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, ZIP 2003, 1208, 1209; BGH, Urt. v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, ZIP 2013, 526, 527 f.; Gottwald-Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, § 34 Rn. 42 ff.; MüKo-Kreft, InsO, § 103 Rn. 13; HambKo-Ahrendt, InsO, § 103 Rn. 38.
Der Vertragspartner kann gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO einen Schadenser- 44 satzanspruch wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung geltend machen. Auch bereits erbrachte Kaufpreiszahlungen sind als Vorleistungen lediglich Insolvenzforderungen, jedoch kann der Käufer insoweit mit Forderungen des Insolvenzverwalters aufgrund von Vorleistungen des Verkäufers – unabhängig von der streitigen rechtlichen Dogmatik – verrechnen.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz BGH, Urt. v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, ZIP 2013, 526, 527 f.; Gottwald-Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, § 35 Rn. 41; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rn. 172a; HambKo-Ahrendt, InsO, § 103 Rn. 46.
45 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des Asset Deals neben vereinbarten Vollzugsbedingungen (u. a. Freigabe durch die Kartellbehörde bzw. Europäische Kommission) regelmäßig eine Vielzahl von Übertragungsakten als Erfüllungshandlungen des Verkäufers realisiert werden müssen. Die schnelle vollständige Erfüllung des Verkäufers kann daher im Rahmen eines Asset Deals regelmäßig nicht gewährleistet werden. Auf der anderen Seite führt auch die Verwendung von üblichen Kaufpreisanpassungsklauseln – variable Kaufpreisteile nach Bilanzaufstellung oder „EarnOut-Klauseln“ – zu einer Hinauszögerung der vollständigen Erfüllung durch Kaufpreiszahlung des Erwerbers und erhöhen insoweit das Risiko der Erfüllungsablehnung gemäß § 103 InsO bei einer Anschlussinsolvenz, soweit auch der Verkäufer aufgrund von erheblichen Mitwirkungspflichten (z. B. Erstellung von Bilanzen etc.) noch nicht vollständig seine Vertragspflichten erfüllt hat. Maßgeblich ist insoweit, dass die Erfüllung der synallagmatischen Hauptleistungspflichten nach herrschender Meinung für die vollständige Erfüllung i. S. d. § 103 InsO nicht ausreicht, sondern es auch auf die Erfüllung sämtlicher ergänzender selbstständiger Nebenpflichten ankommt. Vgl. MüKo-Huber, InsO, § 103 Rn. 123; Braun-Kroth, InsO, § 103 Rn. 18 f.; HambKo-Ahrendt, InsO, § 103 Rn. 10 ff.; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 103 Rn. 58 f. m. w. N.; BGH, Urt. v. 25.2.1983 – V ZR 20/82, ZIP 1983, 709; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 103 Rn. 171 sowie Graf-Schlicker-Breitenbüchler, InsO, § 103 Rn. 21, wonach es sich um eine im Synallagma stehende Pflicht handeln muss.
46 Das Risiko einer Erfüllungsablehnung bei einer Anschlussinsolvenz des Verkäufers ist im Ergebnis grundsätzlich erst ausgeschlossen, wenn bei einem der Vertragspartner vollständige Erfüllung i. S. d. § 103 InsO eingetreten ist und mithin entweder der Verkäufer die dinglichen Vollrechte als Hauptleistungspflicht im Rahmen des Unternehmenskaufs wirksam übertragen und etwaige ergänzende Nebenpflichten erfüllt oder der Erwerber seine Hauptleistungspflicht mit Zahlung des gesamten Kaufpreises erfüllt hat. Die vertragliche und tatsächliche Sicherstellung eines zügigen Vollzugs der jeweiligen Erfüllungshandlungen setzt insoweit erhöhte Anforderungen an den Asset Deal in der Krise. Die Vorleistung des Erwerbers hinsichtlich der Kaufpreiszahlung sollte selbstverständlich nur gegen hinreichende Sicherung erfolgen, die allerdings nicht erfüllungsschädlich sein darf (z. B. selbstschuldnerische Bankbürgschaft). Vgl. Wessels, ZIP 2004, 1237, 1243.
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
a) Insolvenzanfechtung Sowohl die Veräußerung des kaufmännischen Unternehmens als Ganzes als 47 auch die jeweiligen Verfügungen über die einzelnen Vermögensgegenstände können gemäß §§ 129 ff. InsO angefochten werden, sofern durch die angefochtene Rechtshandlung eine Gläubigerbenachteiligung eingetreten ist. Vgl. dazu K. Schmidt, BB 1988, 5 ff.; Braun-de Bra, InsO, § 129 Rn. 31; Holzapfel/Pöllath/Bergjan/Engelhardt, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 2418 ff.; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 129 Rn. 60; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 391; MüKo-Kayser/Freudenberg, InsO, § 129 Rn. 94.
Außer in den Fällen der §§ 132 Abs. 1, 133 Abs. 2 InsO genügt bereits eine 48 mittelbare Benachteiligung, bei welcher nicht durch die anfechtbare Rechtshandlung selbst (unmittelbar), sondern durch weitere – bis zum Schluss der mündlichen Tatsachenverhandlung im Anfechtungsprozess hinzutretende – Umstände die (mittelbare) Gläubigerbenachteiligung verursacht wird. BGH, Urt. v. 9.12.1999 – IX ZR 102/97, ZIP 2000, 238, 241; BGH, Urt. v. 26.4.2012 – IX ZR 146/11, ZIP 2012, 1183, 1184; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 129 Rn. 22 f.; MüKo-Kayser/Freudenberg, InsO, § 129 Rn. 122 mit Beispielen zur mittelbaren Gläubigerbenachteiligung.
Die übrigen Voraussetzungen, unter denen ein späterer Insolvenzverwalter 49 Rechtshandlungen im Zuge eines Unternehmenskaufs vor der Insolvenz anfechten kann, hängen davon ab, ob der Kaufvertrag in den letzten drei Monaten vor Antragstellung oder davor wirksam wurde. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist selbstverständlich noch nicht bekannt, ob und wann ein Insolvenzantrag gestellt wird. Deshalb sind beide Alternativen, ein Vertragsschluss vor oder innerhalb der kritischen Dreimonatsfrist, zu betrachten. aa) Unternehmenskaufvertrag mehr als drei Monate vor Antragstellung Wird ein Insolvenzantrag erst mehr als drei Monate nach dem Unterneh- 50 menskaufvertrag gestellt, so kommen gemäß § 133 InsO die Vorsatzanfechtung sowie nach §§ 130, 131 InsO die Anfechtung von zur Erfüllung des Kaufvertrags vorgenommenen Verfügungen über Vermögensgegenstände des Schuldners in Betracht. Eine Anfechtung kommt gemäß § 133 InsO in Bezug auf die in den letzten 51 zehn Jahren vor Insolvenzantragstellung vorgenommenen Rechtshandlungen in Betracht, wenn dem Insolvenzverwalter der Nachweis gelingt, dass der Schuldner mit der Unternehmensveräußerung vor der Insolvenz die Möglichkeit einer Benachteiligung seiner übrigen Gläubiger billigend in Kauf nahm und der Käufer hiervon Kenntnis hatte. Die Kenntnis des Käufers wird gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn er die drohende Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 18 Abs. 2 InsO) und die Gläubigerbenachteiligung kannte. Auch wenn die Ausschöpfung der Zehn-Jahres-Frist in der Praxis nicht
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
relevant ist, kann die lange Anfechtungsfrist des § 133 InsO von erheblicher Bedeutung sein. Maßgeblich ist insoweit, dass der Erwerber aufgrund der Informationen im Rahmen der Due Diligence Kenntnis von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erlangen kann und zudem das Risiko einer Gläubigerbenachteiligung besteht, wenn im Rahmen des Asset Deals auch einzelne Verbindlichkeiten übernommen werden. Kommt es dann nach dem Unternehmensverkauf zur Insolvenz des Verkäufers, so erhalten die Insolvenzgläubiger nur die Insolvenzquote, die Gläubiger der übernommenen Verbindlichkeiten wurden dagegen vom Erwerber vollständig befriedigt. Vgl. MüKo-Kayser/Freudenberg, InsO, § 129 Rn. 104, 123 zur mittelbaren Gläubigerbenachteiligung bei Erfüllung von Verbindlichkeiten des Schuldners.
52 Wegen des Risikos der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung der Insolvenzgläubiger bei einer Anschlussinsolvenz sollte der Erwerber grundsätzlich möglichst keine dinglich ungesicherten Verbindlichkeiten des Verkäufers im Rahmen des Asset Deals übernehmen. Theoretisch wäre auch die Übernahme sämtlicher Verbindlichkeiten insolvenzanfechtungsrechtlich unbedenklich, jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Belastung (ohne bereits vorverhandelte Reduzierung wie beim Share Deal als Vollzugsbedingung) regelmäßig nicht umsetzbar. Lediglich die Übernahme von Verbindlichkeiten, deren Gläubigern ein Aussonderungsrecht zusteht (vgl. § 47 InsO) ist unschädlich, da insoweit objektiv keine Gläubigerbenachteiligung eintreten kann. Bei Gläubigern mit Absonderungsrechten (vgl. §§ 49, 50, 51 InsO) kommt ebenfalls keine Gläubigerbenachteiligung in Betracht, sofern deren Wert nicht den Nominalwert der übernommenen Verbindlichkeit überschreitet. BGH, Urt. v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509, 1511; BGH, Urt. v. 13.1.2005 – IX ZR 457/00, ZIP 2005, 585, 587; BGH, Urt. v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585, 585; HK-Kreft, InsO, § 129 Rn. 76; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 129 Rn. 28; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 180, 211; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 129 Rn. 48.
53 Kommt mangels Gläubigerbenachteiligungsabsicht nur die Anfechtung der Erfüllungshandlungen in Betracht, so ist zwischen der kongruenten und der inkongruenten Deckung gemäß § 130 InsO bzw. § 131 InsO zu differenzieren. Hat der Käufer lediglich das erhalten, was er aufgrund des Unternehmenskaufvertrages vom Schuldner verlangen konnte („kongruente Deckung“), so besteht gemäß § 130 InsO das Risiko einer Anfechtung der Vermögensverfügung nur dann, wenn die Verfügung in den letzten drei Monaten vor Antragstellung vorgenommen wurde, der übertragende Unternehmensträger bereits zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war und der Erwerber zu diesem Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit kannte. Die positive Kenntnis des Erwerbers von der Zahlungsunfähigkeit wird vermutet, wenn der Erwerber Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Diese Kenntnis wird der Erwerber häufig aufgrund der ihm im Rahmen der Due Diligence erschlossenen Informationen haben. Erfolgt die den Vertrag er16
III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
füllende Verfügung erst nach Insolvenzantrag, was der Unternehmensträger selbst freilich nur kann, solange noch kein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt ist, so genügt es, wenn der Erwerber zum Zeitpunkt der Veräußerung den Eröffnungsantrag kannte. Hat der Erwerber etwas anderes erhalten, als er aufgrund des Unternehmens- 54 kaufvertrags verlangen konnte („inkongruente Deckung“), so ist die Verfügung, soweit sie im letzten Monat vor Antragstellung vorgenommen worden ist, in jedem Fall anfechtbar (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO); wenn sie im zweiten oder dritten Monat vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist, schon dann, wenn der Veräußerer zur Zeit der Handlung objektiv zahlungsfähig war oder dem Erwerber zum Zeitpunkt der Verfügung Umstände bekannt waren, die auf eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger schließen lassen (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 InsO). Eine Anfechtung der Verfügungsgeschäfte gemäß §§ 130, 131 InsO ist aller- 55 dings nach § 142 InsO ausgeschlossen, wenn die gleichwertigen Leistungen und Gegenleistungen der Parteien des Unternehmenskaufvertrages zeitnah ausgetauscht werden. Der Erwerber ist aber hinsichtlich der Voraussetzungen des Bargeschäfts gemäß § 142 InsO darlegungs- und beweisbelastet. BGH, Urt. v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, NJW 2003, 360, 362; BGH, Urt. v. 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162, 1164; MüKo-Kirchhof, InsO, § 142 Rn. 39 f.; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 142 Rn. 14; K. Schmidt-Ganter/Weinland, InsO, § 142 Rn. 52.
Das Anfechtungsrisiko der Verfügungsgeschäfte gemäß §§ 130, 131 InsO 56 kann zudem durch Vorverlagerung des Vornahmezeitpunkts im Rahmen der Gestaltung des Unternehmenskaufvertrages gemindert werden, sofern hierdurch die Rechtshandlung außerhalb des Dreimonatszeitraums verlagert werden kann. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass bei bedingten oder befristeten Rechtshandlungen gemäß § 140 Abs. 3 InsO der anfechtungsrechtlich maßgebliche Zeitpunkt auf den Abschluss der rechtsbegründenden Tatumstände ohne den Eintritt der Bedingung oder des Termins vorverlegt wird. Mithin kann bereits durch Begründung eines Anwartschaftsrechts der Beginn der anfechtungsrechtlichen Dreimonatsfrist ausgelöst werden. Vgl. Wessels, ZIP 2004, 1237, 1239.
Wann und wie der Erwerber das Anwartschaftsrecht erwirbt, hängt jeweils 57 von den zu übertragenen Vermögensgegenständen ab. Aus Sicht des Erwerbers sollte möglichst bereits mit Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrages das jeweilige Anwartschaftsrecht an den Kaufgegenständen entstehen und zugleich könnte vereinbart werden, dass der Zufluss des Kaufpreises insoweit erst nach Ablauf der anfechtungsrechtlichen Dreimonatsfrist, nach Entstehen des Anwartschaftsrechts, erfolgt. Dies wird jedoch häufig beim Verkäufer nicht durchsetzbar sein.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
bb) Unternehmenskaufvertrag erst in den letzten drei Monaten vor Antragstellung 58 Wird der Kaufvertrag erst in den letzten drei Monaten vor Antragstellung wirksam, so sind die ihn erfüllenden Verfügungsgeschäfte nach den soeben unter (1) geschilderten Voraussetzungen anfechtbar, der Kaufvertrag als die die schuldrechtlichen Verpflichtungen begründende Rechtshandlung zudem unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 InsO. Dieser verlangt zusätzlich eine unmittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger durch den abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrag. Eine solche Benachteiligung liegt vor, wenn nach dem Maßstab einer wirtschaftlichen ex post-Betrachtung nach einer Erfüllung des Kaufvertrags weniger Masse zur Verteilung zur Verfügung stünde als davor, wenn also insbesondere die vom Erwerber zu erbringende Gegenleistung unangemessen niedrig ist. Ein Preisabschlag wegen krisenbedingter Eilbedürftigkeit des Unternehmenskaufvertrages erhöht insoweit das Anfechtungsrisiko, da nachträglich ein höherer objektiver Marktwert festgestellt werden kann. Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 132 Rn. 9; HambKo-Rogge/ Leptien, InsO, § 132 Rn. 4; nach a. A. besteht ein gewisser Bewertungsspielraum, vgl. Kübler/Prütting/Bork-Schoppmeyer, InsO, § 132 Rn. 29.
59 Die Beweislast für die verursachte unmittelbare Gläubigerbenachteiligung aufgrund des Unternehmenskaufvertrags nach § 132 InsO obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter. HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 132 Rn. 20; K. Schmidt-Ganter/Weinland, InsO, § 132 Rn. 50.
60 § 132 InsO ist Auffangtatbestand zu §§ 130 f. InsO. Deshalb richtet sich die Anfechtung der zur Erfüllung eines Unternehmenskaufvertrags getroffenen Verfügungen auch dann nach §§ 130 f. InsO (siehe dazu Rn. 53 ff.), wenn der zugrunde liegende Unternehmenskaufvertrag innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag geschlossen wurde. Dagegen ist der Abschluss des Kaufvertrags selbst keine den Vertragspartner i. S. v. §§ 130 f. InsO befriedigende oder ihm Sicherung gewährende Rechtshandlung, weil dessen Ansprüche durch den Vertragsschluss überhaupt erst begründet werden. Die Bedeutung einer an das zusätzliche Merkmal der unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung geknüpften Anfechtung nach § 132 InsO liegt darin, dass durch die auf die Vorschrift gestützte Anfechtung des Kaufvertrags schon die vertragliche Grundlage für die in Erfüllung des Kaufvertrags geleisteten Verfügungen des Schuldners beseitigt wird, was die Inkongruenz dieser Leistungen i. S. v. § 131 Abs. 1 InsO und mithin ihre nach Nr. 1 – 3 dieser Vorschrift erleichterte Anfechtung begründet. Denn wird der Kaufvertrag erfolgreich nach § 132 Abs. 1 InsO angefochten, so konnte der Erwerber mangels wirksamen Vertrages etwa zu seinen Gunsten gemachte Verfügungen des Schuldners nicht beanspruchen (vgl. § 131 Abs. 1 InsO). Nicht zu beanspruchen im Sinne dieser Vorschrift ist auch die Befriedigung einer Forde18
III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
rung, deren Rechtsgrundlage der Insolvenzverwalter durch eine erfolgreiche Insolvenzanfechtung beseitigt hat. BGH, Urt. v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, ZIP 1995, 630, 635; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 131 Rn. 5.
b) Der Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO Die aufgrund des Unternehmenskaufvertrags auf den Erwerber übertragenen 61 Vermögensgegenstände, für deren Verfügung ein Anfechtungsgrund besteht, muss der Erwerber nach § 143 Abs. 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewähren. Der Umfang des Anspruchs entspricht dem Verlust, den die Insolvenzmasse 62 durch die angefochtene Rechtshandlung erlitten hat, nicht jedoch der beim Anfechtungsgegner eingetretenen Bereicherung. Die Erstattungspflicht kann deshalb über das vom Anfechtungsgegner durch die Rechtshandlung unmittelbar Erlangte hinausgehen und ist unabhängig davon, inwieweit der Anfechtungsgegner noch bereichert ist. BGH, Urt. v. 29.1.1964 – I b ZR 197/62, NJW 1964, 1319, 1321; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 143 Rn. 20 f.; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 143 Rn. 14 f.; K. Schmidt-Büteröwe, InsO, § 143 Rn. 7; vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 16.4.1996 – 27 U 197/95, ZIP 1996, 1140, 1141: Rückgewähranspruch nach § 37 Abs. 1 KO ist kein Bereicherungsanspruch, § 818 BGB weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Die Erstattungspflicht besteht auch unabhängig davon, ob der Anfechtungs- 63 gegner durch die Herausgabe gegenüber Dritten ersatzpflichtig wird. BGH, Beschl. v. 24.5.2005 – IX ZR 77/03, NJW-RR 2005, 1283.
Problematisch ist der Umfang des Erstattungsanspruchs, wenn – was bei ei- 64 ner Betriebsfortführung nach einem Unternehmenskauf fast immer der Fall ist – sich der Wert des veräußerten Unternehmens zwischen der Übertragung an den Erwerber und Rückerstattung in die Insolvenzmasse verändert hat. Grundsätzlich gilt: Durch die Übertragung des Unternehmens und die zwischenzeitliche Fortführung durch den Erwerber darf der Masse kein Nachteil, aber auch kein unberechtigter Vorteil erwachsen, in dessen Genuss sie ohne die Übertragung des Unternehmens bei dessen Fortführung durch den Schuldner bzw. den (vorläufigen) Insolvenzverwalter nicht gekommen wäre. Zwischenzeitliche Wertsteigerungen des Unternehmens erfasst der Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO deshalb nur dann, wenn sie auch bei einer Fortführung durch den Schuldner angefallen wären. Soweit das nicht der Fall ist, sind dem Anfechtungsgegner die von ihm erbrachten werterhöhenden Aufwendungen zu ersetzen und darf dieser Erträge zurückhalten, die allein auf von ihm gemachte Aufwendungen zurückgehen.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz So, allerdings allgemein für den Erstattungsanspruch aus § 143 Abs. 1 InsO, Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 143 Rn. 20; Kübler/Prütting/Bork-Jacoby, InsO, § 143 Rn. 52 ff.; vgl. auch BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 18/95, ZIP 1996, 83, 88 für den Fall notwendiger Verwendungen auf ein anfechtbar übertragenes Grundstück.
65 Worauf vom Erwerber zwischen Übertragung und Rückübertragung erwirtschaftete Gewinne oder Wertsteigerungen bzw. Wertminderungen beruhen, wird sich im Einzelfall selten eindeutig zuordnen lassen. Zumeist werden sie aus dem Zusammenspiel der schon mit der Übertragung auf den Erwerber gegebenen Umstände mit dessen unternehmerischem Engagement erwachsen. Ausgehend von der Rechtslage im allgemeinen Bereicherungsrecht lassen sich jedoch Grundregeln für die Erstattung von Nutzungen bzw. die Anrechnung von Wertsteigerungen oder -minderungen im Rahmen eines Anfechtungsanspruchs nach § 143 Abs. 1 InsO aufstellen. 66 Wertminderungen begründen grundsätzlich einen Wertersatzanspruch des Insolvenzverwalters entsprechend § 818 Abs. 2 BGB. Der zur Rückübertragung verpflichtete Erwerber muss, will er diesem Nachzahlungsanspruch entgehen, nachweisen, dass die Wertminderung auch bei Fortführung durch den Schuldner entstanden wäre. Anderenfalls würde – nimmt man den Erstattungsanspruch des Erwerbers aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO hinzu (siehe dazu Rn. 74 ff.) – im wirtschaftlichen Ergebnis die von § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO vorgegebene Beweislast hinsichtlich der in der Masse auf Grund der Kaufpreiszahlung noch vorhandenen Bereicherung umgekehrt. 67 Ebenso verbleiben Wertsteigerungen der zum Unternehmen gehörenden Gegenstände bei der Masse, die nicht von der unternehmerischen Betätigung des Unternehmensinhabers, sondern von der objektiven Marktentwicklung abhängen, wie z. B. der durch ein allgemeines Anziehen der Immobilienpreise erhöhte Wert eines Betriebsgrundstücks. Auch sind entsprechend § 818 Abs. 1 BGB Nutzungen herauszugeben, von denen der Insolvenzverwalter mindestens im Wege des ersten Anscheins nachweisen kann, dass sie ohne Veräußerung vom Schuldner im gleichen Maße gezogen worden wären. Ein solcher Anschein ist etwa dann begründet, soweit der Erwerber während der Dauer der Unternehmensfortführung regelmäßige Einnahmen erzielt hat, die zuvor bereits dem Schuldner in gleichem Maße zugeflossen waren. 68 Nicht ganz so klar zu beantworten ist die Frage nach dem Verbleib des vom Erwerber vereinnahmten Unternehmensgewinns. Das ist auch bei der Übertragung im Rahmen der Insolvenz des Unternehmensträgers kein nur theoretisches Problem, da häufig rentable Unternehmensteile abgetrennt und veräußert werden, auch wenn die dabei erzielte Liquidität nur einen begrenzten Zeitraum überbrückt und die Insolvenz des Unternehmensträgers letztlich doch nicht verhindert. Außerdem ist es häufig das Verdienst des Erwerbers, das von ihm erworbene Unternehmen kraft eigener Anstrengungen wieder in die Gewinnzone geführt zu haben, z. B. unter Ausnutzung in seinem
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
Konzernverbund verfügbarer gewerblicher Schutzrechte oder schlicht durch die Aufwendung dringend notwendiger Investitionen. Der vom Anfechtungsgegner kraft eigenen unternehmerischen Engagements 69 realisierte (zusätzliche) Gewinn sollte nach der hier vertretenen Auffassung beim Anfechtungsgegner verbleiben. Das ist für den Kondiktionsanspruch im normalen Bereicherungsverhältnis allerdings umstritten. Vgl. MüKo-Schwab, BGB, § 818 Rn. 39 ff.: Unternehmenserträge fallen nach herrschender Auffassung unter den Begriff der Nutzungen i. S. v. § 818 Abs. 1 BGB.
Auch dort befürwortet man jedoch zum Teil, dem Bereicherungsschuldner 70 diejenigen Gewinnanteile zu belassen, die auf seiner eigenen Tätigkeit und Tüchtigkeit beruhen. MüKo-Schwab, BGB, § 818 Rn. 41; so auch für den Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nach Rücktritt (§§ 347, 987 BGB a. F.) BGH, Urt. v. 11.5.1978 – VII ZR 55/77, NJW 1978, 1578, 1578.
Dies muss umso mehr für den Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO gelten, der 71 nicht den Schuldner als Partei des mit dem Erwerber geschlossenen unwirksamen Unternehmenskaufvertrags schützen soll, sondern dessen (Insolvenz-)Gläubiger, die vom Schuldner grundsätzlich nicht beanspruchen können, dass dieser sich über das bis zur Übertragung geübte Maß hinaus in seinem Unternehmen engagiere. Die praktische Schwierigkeit dieser Lösung besteht, beim allgemeinen Berei- 72 cherungsanspruch ebenso wie bei § 143 Abs. 1 InsO, allerdings darin, denjenigen Gewinnanteil, der auf die Tätigkeit des neuen Erwerbers zurückgeht, von demjenigen Gewinnanteil zu trennen, der aus der schlichten Fortführung des erworbenen Unternehmens resultiert. Wo dies nicht punktgenau gelingt, kann nur eine Schätzung nach § 287 ZPO erfolgen. Dafür BGH, Urt. v. 11.5.1978 – VII ZR 55/77, NJW 1978, 1578, 1578; dagegen nunmehr MüKo-Schwab, BGB, § 818 Rn. 40.
Immerhin spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Verbleib desjeni- 73 gen Gewinnanteils beim Erwerber, um den dieser den zuvor vom Schuldner mit dem übertragenen Unternehmen(-steil) erwirtschafteten Gewinn steigern konnte. Ist es dem Erwerber gelungen, das Unternehmen für die Zeit seiner Inhaberschaft mit seinen Restrukturierungsmaßnahmen aus der Verlust- in die Gewinnzone zu führen, so gebührt wohl der gesamte in dieser Zeit erwirtschaftete Gewinn dem Erwerber. c) Der Anspruch des Erwerbers nach Erfüllung des Kaufpreisanspruchs aa) Fall 1: Anfechtung des Unternehmenskaufvertrags nach § 132 Abs. 1 InsO Konnte der Insolvenzverwalter hinsichtlich der Übertragung des Unterneh- 74 mens einen Erstattungsanspruch aus § 143 Abs. 1 InsO etwa i. V. m. §§ 130 f.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
InsO nur dadurch begründen, dass er den Unternehmenskaufvertrag selbst nach § 132 Abs. 1 InsO angefochten hat, so muss er auch einen bereits vom Erwerber gezahlten Kaufpreis erstatten. Dieser Anspruch ist nach § 144 Abs. 2 InsO Masseforderung, soweit der Kaufpreis – etwa auf einem gesonderten Konto des Schuldners – noch in der Masse unterscheidbar vorhanden ist oder die Masse noch um seinen Wert bereichert ist. Der Erwerber trägt also das Entreicherungsrisiko des Schuldners und muss ggf. die noch bestehende Bereicherung der Masse im Prozess beweisen. MüKo-Kirchhof, InsO, § 144 Rn. 29 f.; Hirte/Borries, InsO, § 144 Rn. 11; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 144 Rn. 5; K. Schmidt-Büteröwe, InsO, § 144 Rn. 7 f.; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 144 Rn. 21 ff.
75 Nach herrschender Meinung ist die Bereicherung der Masse auf den Zeitpunkt zu bestimmen, in dem der Anfechtungsgegner den zu erstattenden Vermögensgegenstand an den Insolvenzverwalter herausgegeben hat. Der Erstattungsanspruch des Anfechtungsgegners entsteht erst mit Vollzug der Herausgabe an den Insolvenzverwalter. Uhlenbruck-Hirte/Borries, InsO, § 144 Rn. 11; HambKo-Rogge/ Leptien, InsO, § 144 Rn. 21; wohl auch BGH, Urt. v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, ZIP 1986, 787, 790; a. A. Kübler/Prütting/ Bork-Jacoby, InsO, § 144 Rn. 31, wonach der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung maßgeblich sein soll.
76 Der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters nach § 143 Abs. 1 InsO und der Erstattungsanspruch des Anfechtungsgegners nach § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO sind zwar keine in einem vertraglichen Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Ansprüche, doch steht dem Anfechtungsgegner gegen den Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB aufgrund seines Erstattungsanspruchs zu, weil dieser auf demselben rechtlichen Verhältnis wie der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters beruht. BGH, Urt. v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, ZIP 1986, 787, 790 zu §§ 37, 38 KO; BGH, Urt. v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061, 1066; HK-Kreft, InsO, § 144 Rn. 6; MüKo-Kirchhof, InsO, § 144 Rn. 31; Uhlenbruck-Hirte/Borries, InsO, § 144 Rn. 12; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 144 Rn. 5; K. Schmidt-Büteröwe, InsO, § 144 Rn. 9; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 144 Rn. 23.
77 Durch etwaige Wertminderungen des Unternehmens zwischen Übertragung auf den Erwerber und Rückerstattung in die Masse tritt jedoch keine Entreicherung der Masse ein, durch die sich der Anspruch des Anfechtungsgegners aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO ermäßigen würde. Denn diese Wertminderungen sind, sofern sie Folge der Unternehmensfortführung durch den Erwerber sind und bei einer Fortführung durch den Schuldner bzw. den (vorläufigen) Insolvenzverwalter nicht aufgetreten wären, bereits beim Anspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO zu berücksichtigen und erhöhen diesen um einen entsprechenden Wertersatzanspruch (§ 818 Abs. 2 BGB). Soweit der Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters nach § 143 Abs. 1 InsO in 22
III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
einem solchen Wertersatz besteht, ist streitig, ob der Anspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO, der Masseforderung ist, mit dem Wertersatzanspruch des Insolvenzverwalters verrechnet werden kann. Befürwortend, soweit keine Masseunzulänglichkeit vorliegt Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 144 Rn. 5; Nerlich/RömermannNerlich, InsO, § 144 Rn. 11; HK-Thole, InsO, § 143 Rn. 28; MüKo-Kirchhof/Piekenbrock, InsO, § 144 Rn. 31; HambKo-Rogge/Leptien, InsO, § 144 Rn. 23; für eine generelle Aufrechnung von Geldansprüchen auch hinsichtlich der Insolvenzforderung bei Entreicherung der Insolvenzmasse sogar Kübler/Prütting/Bork-Jacoby, InsO, § 144 Rn. 31; ebenso nun auch Uhlenbruck-Borries/Hirte, § 143 Rn. 110, § 144 Rn. 13.
Im Ergebnis erscheint die Möglichkeit der Aufrechnung oder eines Zurück- 78 behaltungsrechts hinsichtlich des Masseanspruchs gemäß § 144 Abs. 2 InsO angemessen, um den Schutz des Erwerbers als Massegläubiger zu gewährleisten. Allerdings trägt der Erwerber das volle Entreicherungsrisiko, wenn der spätere Insolvenzschuldner den empfangenen Kaufpreis aus dem Unternehmensverkauf verbraucht hat. bb) Fall 2: Isolierte Anfechtung der Verfügungsgeschäfte Ist dem Insolvenzverwalter hingegen – ohne Vernichtung des Unternehmens- 79 kaufvertrags unter Rückgriff auf § 132 Abs. 1 InsO – die isolierte Anfechtung einer Rechtshandlung nach §§ 130 f. InsO gelungen, durch die der Schuldner in Erfüllung des Unternehmenskaufvertrags Vermögensgegenstände auf den Erwerber übertragen hat, so stellt sich die Situation für den Erwerber hingegen deutlich schlechter dar. Der gegen die Masse gerichtete Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises nach § 144 Abs. 2 InsO besteht nur nach Anfechtung auch des (schuldrechtlichen) Unternehmenskaufvertrags nach § 132 InsO, unter Umständen auch nach § 133 InsO. Dagegen sieht man bei der isolierten Anfechtung von Erfüllungshandlungen die Gegenleistung des Gläubigers für die konkrete Verfügung nicht in der Kaufpreiszahlung, die schuldrechtlich als Gegenleistung versprochen wurde, sondern lediglich in der mit der Erfüllungshandlung verbundenen Befreiung des Schuldners von einer Verbindlichkeit. Für die „Erstattung“ dieser Schuldbefreiung trifft § 144 Abs. 1 InsO eine abschließende Regelung. Deshalb lebt durch die Rückgewähr einer isoliert angefochtenen Verfügung über einen Vermögensgegenstand nach § 144 Abs. 1 InsO lediglich der Anspruch des Erwerbers auf diesen Gegenstand wieder auf. MüKo-Kirchhof/Piekenbrock, InsO, § 144 Rn. 8; HK-Thole, InsO, § 144 Rn. 3; Uhlenbruck-Hirte/Borries, InsO, § 144 Rn. 9; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 144 Rn. 1; HambKo-Rogge/ Leptien, InsO, § 144 Rn. 5.
Dieser Anspruch des Erwerbers auf die (erneute) Übertragung des Vermögens- 80 gegenstands ist dann nur Insolvenzforderung i. S. v. § 38 InsO, wird nach § 45 Satz 1 InsO in Geld umgerechnet und bei der Verteilung lediglich mit der
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
Quote bedient. Gelingt mithin dem Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die isolierte Anfechtung der zur Erfüllung des Unternehmenskaufvertrags vom Schuldner vorgenommenen Verfügungen über die in den Vertrag einbezogenen Vermögensgegenstände, so muss der Erwerber diese an den Insolvenzverwalter erstatten, während ein bereits gezahlter Kaufpreis der Masse vollständig erhalten bleibt; der Anspruch des Erwerbers aus dem Unternehmenskaufvertrag auf Übertragung der einbezogenen Vermögensgegenstände nimmt als Insolvenzforderung lediglich in Höhe des nach § 45 Satz 1 InsO ermittelten objektiven Werts der zu übertragenden Vermögensgegenstände an der quotalen Verteilung des Schuldnervermögens teil. 81 Nicht selten wird der nach § 45 Satz 1 InsO nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmenskaufvertrages, sondern auf die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu schätzende objektive Wert der zu übertragenden Vermögensgegenstände hinter dem vom Erwerber bezahlten Kaufpreis zurückbleiben. Diese Minderung tritt neben den Ausfall des Erwerbers, den er ohnehin schon aufgrund der nur quotalen Bedienung seiner Forderung im Insolvenzverfahren des Verkäufers erfährt. Beide Komponenten führen dazu, dass der Erwerber bei isolierter Anfechtung der Erfüllungshandlungen des insolventen Verkäufers einen erheblichen Schaden bis zur Höhe des vollen von ihm gezahlten Kaufpreises erleiden kann. 82 Im Ergebnis ist bei einem nach den zugrunde liegenden Tatsachen erheblichem Anschlussinsolvenzrisiko des Verkäufers nicht zu empfehlen, einen Unternehmenskaufvertrag in der Krise des verkaufenden Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals abzuschließen, sofern nicht ein sofort umsetzbares Bargeschäft i. S. d. § 142 InsO mit unmittelbarem gleichwertigem Austausch von Leistung und Gegenleistung realisiert werden kann. Stattdessen kann der Erwerber unverbindliche Verkaufsverhandlungen führen, um sofort nach einem Insolvenzantrag bereits im Insolvenzantragsverfahren – vor der Verfahrenseröffnung – mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder dem eigenverwaltenden Schuldner unter der Aufsicht des vorläufigen Sachwalters über einen Asset Deal zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu verhandeln. Es ist auch nicht ratsam, mit dem Abschluss eines Asset Deals vor Insolvenzeröffnung darauf zu spekulieren, dass das Insolvenzgericht die Verfahrenseröffnung mangels Masse ablehnt und insoweit nur die Anfechtung des einzelnen Gläubigers außerhalb des Insolvenzverfahrens nach dem Anfechtungsgesetz droht. 4. Weitere Risiken beim Unternehmenskauf vor Insolvenzantrag 83 Weitere Risiken eines Unternehmenskaufs vor Stellung des Insolvenzantrags ergeben sich aus allgemeinen, nicht insolvenzspezifischen Regeln, die an die Übernahme eines Unternehmens oder eines einheitlichen Betriebsteils anknüpfen.
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
a) § 75 AO Der Erwerber eines Unternehmens oder eines in der Gliederung eines Un- 84 ternehmens gesondert geführten Betriebs haftet nach § 75 Abs. 1 AO für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet und die im letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahr entstanden sind. Immerhin beschränkt sich die Haftung nach Satz 2 der Vorschrift auf das übernommene Vermögen. Neben dem Erwerb des Unternehmens als Ganzes greift die Haftung auch ein, wenn ein in der Gliederung des veräußernden Unternehmensträgers gesondert geführter Teilbetrieb i. S. v. § 16 EStG erworben wird. Allgemein zur Haftung gemäß § 75 AO vgl. Ziegenhagen/Thieme, Besteuerung in Krise und Insolvenz, § 4 Rn. 53 – 63.
Da die Haftung von der Kenntnis des Erwerbers unabhängig ist, sollte der 85 Erwerber vor Abschluss eines Unternehmenskaufs mit Zustimmung des Verkäufers beim zuständigen Finanzamt eine Auskunft über etwaige Steuerschulden einholen. Ohne Zustimmung des Verkäufers ist die Finanzbehörde an einer solchen Auskunft durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) gehindert. Im Kaufvertrag vereinbarte Unbedenklichkeitsbescheinigungen durch den Veräußerer können lediglich Schadensersatzansprüche des Erwerbers gegen den Veräußerer auslösen, die in dessen Insolvenz wiederum nur quotal bedient werden. Vertragliche Haftungsfreistellungen sind gegenüber den Finanzbehörden un- 86 wirksam. Ein aus ihnen erwachsender Freistellungsanspruch des Erwerbers ist in einem späteren Insolvenzverfahren nur dann Masseforderung, wenn der Erwerber den Unternehmenskaufvertrag mit dem verfügungsberechtigten („starken“) Insolvenzverwalter geschlossen hat. Anderenfalls handelt es sich lediglich um eine Insolvenzforderung. Sind erhebliche Steuerschulden zu befürchten, so sollte aufgrund des be- 87 trächtlichen Haftungsrisikos für den Erwerber der Unternehmenskauf erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisiert werden, da nach § 75 Abs. 2 AO die steuerliche Haftung des Unternehmenserwerbers beim Kauf aus dem eröffneten Insolvenzverfahren nicht anwendbar ist. b) § 25 HGB Der Erwerber haftet für alle in dem zu erwerbenden Handelsgeschäft be- 88 gründeten Verbindlichkeiten des Verkäufers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB, wenn er das erworbene Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne einen Nachfolgezusatz fortführt. Ob eine Firmenfortführung i. S. d. § 25 HGB vorliegt, ist aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise zu beantworten. Entscheidend ist, dass der prägende Teil der alten Firmierung in der neuen Firmierung beibehalten bzw. übernommen wird, sodass der Ver-
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
kehr darin eine Fortführung des Unternehmens erblickt. Auf eine wort- und buchstabengetreue Übernahme der Firma kommt es insoweit nicht an. Vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 324/01, NZG 2004, 716 f.; BGH, Urt. v. 28.11.2005 – II ZR 355/03, NJW 2006, 1001, 1002; BGH, Urt. v. 16.9.2009 – VIII ZR 321/08, NJW 2010, 236, 237; BGH, Urt. v. 5.7.2012 – III ZR 116/11, NZG 2012, 916, 917; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.5.2004 – I-24 U 34/04, NZG 2005, 176.
89 Für die Anwendung von § 25 HGB genügt auch bereits der Teilerwerb eines Unternehmens, sofern diejenigen Teile, die den nach außen in Erscheinung tretenden wesentlichen Unternehmenskern bestimmen, übertragen werden. Für die Frage, ob der wesentliche Kernbereich eines Unternehmens fortgeführt wird, soll insbesondere auch der hierdurch übernommene Ertragswert des Unternehmensteils maßgeblich sein. Vgl. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 229/08, NZG 2010, 112 f.; BGH, Urt. v. 5.7.2012 – III ZR 116/11, NZG 2012, 916, 917; vgl. auch die Urteilsbesprechung hierzu von Müller/Kluge, NZG 2010, 256 ff.; OLG Köln, Urt. v. 11.11.2005 – 10 U 1325/04, NZG 2006, 477, 478.
90 Grundsätzlich ist in allen Konstellationen, in denen der Erwerber vom insolventen Veräußerer ein Handelsgeschäft vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirbt, § 25 HGB zulasten des Erwerbers anwendbar. Neuberger, ZIP 2020, 606, 610.
91 Der Erwerb vom Veräußerer, dessen Insolvenzverfahren bei gleichzeitiger Anordnung der Eigenverwaltung eröffnet wurde, ist allerdings privilegiert. § 25 HGB ist insoweit nicht anwendbar. BGH, ZIP 2020, 263.
92 Übernimmt der Erwerber die Firma des Verkäufers vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so ist diesem Haftungsrisiko, sofern die Übernahme der Verbindlichkeiten des Verkäufers durch den Erwerber nicht zugleich der Vereinbarung im Unternehmenskaufvertrag entspricht, durch eine abweichende Vereinbarung zu begegnen, die nach § 25 Abs. 2 HGB in das Handelsregister einzutragen und bekannt zu machen ist. Das Registergericht hat die Eintragung des Haftungsausschlusses bereits dann vorzunehmen, wenn die Möglichkeit der Haftungsvoraussetzungen nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB zumindest ernsthaft in Betracht kommt. Vgl. BGH, Urt. v. 5.7.2012 – III ZR 116/11, NZG 2012, 916, 917; OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1.12.2012 – 2 W 192/11, FGPrax 2012, 126; OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.3.2010 – 8 W 139/10, NZG 2010, 628 betreffend den Erwerb einzelner Vermögensgegenstände vom Insolvenzverwalter; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.6.2003 – 3 Wx 108/03, NZG 2003, 774, 776; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23.6.2005 – 20 W 272/05, NZG 2005, 846, 847.
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III. Phase 1: Unternehmenskauf vor Insolvenzantragstellung
Ein späterer Insolvenzverwalter des Verkäufers kann den Haftungsausschluss 93 nicht nach §§ 129 ff. InsO anfechten. Soweit sich der Erwerber nicht i. S. v. § 25 Abs. 3 HGB gesondert zur Haftungsübernahme verpflichtet hat oder die Übertragung der Einzelobjekte oder des gesamten Unternehmenskaufvertrags anfechtbar ist, entgeht durch den nach § 25 Abs. 2 HGB vereinbarten, eingetragenen und bekannt gemachten Haftungsausschluss der Wert des veräußerten Unternehmens dem Zugriff des Insolvenzverwalters. Hopt-Merkt, HGB, § 25 Rn. 16; Weimar, MDR 1964, 566, 567.
c) § 613a BGB Im Hinblick auf die mit dem veräußerten Betrieb oder Betriebsteil verbun- 94 denen Arbeitsverhältnisse besteht für den Erwerber das Eintrittsrisiko nach § 613a Abs. 1 BGB. Für die vor dem Betriebsübergang entstandenen Forderungen der Betriebsarbeitnehmer haftet der Erwerber nach § 613a Abs. 2 BGB. Nachdem der EuGH in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hatte, dass die § 613a BGB zugrunde liegende Richtlinie (RL 77/187/EWG, inzwischen aufgehoben durch RL 2001/23/EG) nicht den Betriebsübergang aufgrund eines Konkurses erfasse, das nationale Recht jedoch über die Richtlinie hinausgehen und deren Anforderungen auch an Veräußerungen in der Insolvenz anlegen dürfe, wendete das BAG § 613a BGB auf Betriebsveräußerungen durch den Insolvenzverwalter an. EuGH, Urt. v. 7.2.1985 – Rs. 135/83, H.B.M. Abels ./. Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalindustrie en de Electrotechnische Industrie, Slg. 1985, 469 ff.; BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124 ff.; bestätigt durch BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, ZIP 2005, 1706, 1708.
Der Gesetzgeber hat hieran bei Einführung der Insolvenzordnung nichts ge- 95 ändert, wenngleich die noch in § 61 KO enthaltene Privilegierung von Arbeitsentgeltansprüchen entfallen ist. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZI 2003, 222, 225; vgl. dazu Lembke, BB 2007, 1333, 1333; Wisskirchen/Bissels, BB 2009, 2142, 2144.
Allerdings machte das BAG für die Betriebsveräußerung nach der Eröffnung 96 des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers eine entscheidende Einschränkung. § 613a BGB ist bei einer Betriebsveräußerung aus der Insolvenz nicht auf diejenigen Ansprüche der Arbeitnehmer anzuwenden, die bereits bei Insolvenzeröffnung entstanden waren. Grund ist, dass die übernommene Belegschaft anderenfalls auch für die bereits vor Verfahrenseröffnung entstandenen Ansprüche einen neuen zahlungskräftigen Haftungsschuldner erhielte. Dies würde sie nicht nur zulasten des Erwerbers begünstigen, sondern zudem – entgegen dem Grundsatz „par conditio creditorum“ – auch die übrigen Insolvenzgläubiger benachteiligen, weil der Betriebserwerber mit Rücksicht auf die übernommene Haftung in der Regel einen entsprechend geringeren Kaufpreis zahlen würde. Deshalb könne ein Erwerber des notlei27
A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
denden Betriebs z. B. durch Vereinbarung mit den übernommenen Arbeitnehmern die Grundsätze der betrieblichen Altersversorgung einschränken oder aufheben. BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124 ff.; BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, NZA 2004, 654, 655 f.; BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, BB 2007, 1281, 1282; ErfKoArbR-Preis, BGB, § 613a Rn. 146; Berkowsky, NZI 2007, 386, 388.
97 Nach dieser Rechtsprechung stellt sich die Haftungssituation eines Unternehmenserwerbers – ähnlich wie bei § 75 AO – bei einem Erwerb aus der Insolvenzmasse deutlich besser dar. Hinzu kommt, dass in denjenigen Fällen, in denen der Betriebsübergang mit einer Betriebsänderung i. S. v. § 111 Satz 3 BetrVG einhergeht, die in §§ 111 ff. BetrVG geregelten Möglichkeiten der Mitbestimmung in der Insolvenz des (veräußernden) Betriebsinhabers durch §§ 121 ff. InsO deutlich eingeschränkt sind. Zwar ist der Betriebsübergang für sich genommen nach herrschender Meinung noch keine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG. BAG, Beschl. v. 17.2.1981 – 1 ABR 101/78, NJW 1981, 2716, 2716 für den Fall der Betriebsaufspaltung; BAG, Beschl. v. 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523, 523; BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570, 575; ErfKoArbR-Kania, BetrVG, § 111 Rn. 12; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 125 Rn. 10; a. A. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.1978 – 9 TaBV 4/78, DB 1979, 114, 115; Karthaus, AuR 2007, 114, 115 f.
98 Doch liegt eine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG schon dann vor, wenn anlässlich des Betriebsübergangs grundsätzlich neue Arbeitsstrukturen eingeführt (§ 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG) oder – was häufig sein wird – ein Personalabbau durchgeführt werden soll (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG: Einschränkung wesentlicher Betriebsteile). Die Mitbestimmungsrechte gemäß § 111 ff. BetrVG schließt § 613a BGB, wenn es anlässlich eines Betriebsübergangs zu einer damit verbundenen Betriebsänderung kommt, nicht aus. BAG, Beschl. v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, NZA 2000, 1069, 1070.
IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren 1. Grundsatz 99 In der Zeit zwischen Insolvenzantrag und Insolvenzeröffnung setzen sich die oben (siehe Rn. 25 ff.) für einen Unternehmenskauf in der Zeit vor Stellung des Insolvenzantrags dargestellten Risiken fort, wobei der Insolvenzantrag wegen der zusätzlichen Anfechtungsmöglichkeiten (vgl. etwa § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO) insbesondere die Anfechtungsrisiken erhöht.
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IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren
2. Besonderheit: Sicherungsanordnungen nach §§ 21 ff. InsO Zumeist wird das Gericht von der durch §§ 21 ff. InsO gegebenen Möglich- 100 keit Gebrauch machen, Sicherungsmaßnahmen anzuordnen. Solche Anordnungen beschränken die Möglichkeit eines Asset Deals. Von den in § 21 Abs. 2 InsO genannten Anordnungen ist dabei lediglich die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) relevant, dessen Befugnisse und mithin dessen notwendige Einbindung in den Asset Deal davon abhängen, ob das Gericht Verfügungen des Schuldners unter den Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters stellt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO) oder mit der Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots für den Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über dessen Vermögen gänzlich dem vorläufigen Insolvenzverwalter überträgt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). a) Zustimmungsvorbehalt („schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter) Beim Zustimmungsvorbehalt bleibt die Veräußerung von Vermögensgegens- 101 tänden durch den Schuldner und mithin auch des vollständigen Unternehmens oder abgeschlossener Unternehmensteile grundsätzlich möglich, doch ist die Verfügung ohne die Zustimmung des vorläufigen („schwachen“) Insolvenzverwalters nach § 24 Abs. 1, § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO unwirksam. Stimmt der vorläufige Insolvenzverwalter nicht zu, kann der Erwerber einen bereits gezahlten Kaufpreis zwar nach § 81 Abs. 1 Satz 3 InsO als Masseforderung geltend machen, allerdings nur, soweit die Masse noch um den Kaufpreis bereichert ist. Der Umfang dieses Anspruchs richtet sich nach §§ 818, 819 BGB. Anders als § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO gewährt § 81 Abs. 1 Satz 3 InsO, vorrangig zum Bereicherungsanspruch, keinen Anspruch auf Erstattung einer in der Insolvenzmasse noch unterscheidbar vorhandenen Gegenleistung. Deshalb kommt es hier nur auf die bereits oben (siehe Rn. 61 ff.) geschilderte bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der bereits ausgetauschten Leistungen an. Dabei sind dieselben Maßstäbe anzusetzen, weil ein durch das Insolvenzgericht angeordneter Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ebenso wie die Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO den Insolvenzgläubigern entsprechend dem Grundsatz der „par conditio creditorum“ den gleichrangigen Zugriff auf eine ungeschmälerte Insolvenzmasse sichern soll. Selbst wenn der gegen die Masse gerichtete Bereicherungsanspruch nach § 88 102 Abs. 1 Satz 3 InsO der Höhe nach auf die Erstattung des gesamten Kaufpreises gerichtet ist, muss der Erwerber mit der nur quotalen Befriedigung seiner Rückzahlungsforderung rechnen, wenn die Masse unzulänglich i. S. v. § 208 Abs. 1 InsO ist.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
b) Übertragung der Verfügungsbefugnis („starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter) aa) Möglichkeit der Unternehmensveräußerung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner im Insolvenzantragsverfahren 103 Wird ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so geht mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf diesen über. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO hat der vorläufige Insolvenzverwalter ein bis dahin vom Schuldner betriebenes Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. 104 Häufig werden dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter gerade unmittelbar nach Antragstellung besonders günstige Angebote für eine Unternehmensveräußerung unterbreitet. Denn zu diesem Zeitpunkt ist das Unternehmen zumeist noch werbend aktiv und das Vertrauen der Arbeitnehmer und der Geschäftspartner in das Unternehmen noch nicht gänzlich verloren. Auf der anderen Seite besteht bei einer allzu schnellen Veräußerung des Unternehmens die Gefahr, dass Insider wie Gesellschafter oder Geschäftsführer des Schuldners ihren Wissensvorsprung vor anderen potenziellen Interessenten nutzen und dem vorläufigen Insolvenzverwalter schon unmittelbar nach Antragstellung ein Übernahmeangebot etwa im Rahmen eines „ManagementBuy-Outs“ unterbreiten, das der vorläufige Insolvenzverwalter – zusätzlich zur Begutachtung der Insolvenzgründe und innerhalb der regelmäßigen dreimonatigen Eröffnungsphase – nur unter großem Zeitdruck prüfen kann und das ihn unter Umständen davon abhält, nach Insolvenzeröffnung mit weiteren Kaufinteressenten zu verhandeln. 105 Ob angesichts des Fortführungsgebots in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO der starke vorläufige Insolvenzverwalter nach geltendem Recht überhaupt die Möglichkeit hat, das Unternehmen zu veräußern, ist umstritten. Eine Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens sieht § 159 InsO erst für das eröffnete Verfahren und dort sogar erst für die Zeit nach dem ersten Berichtstermin vor, während das vorläufige Insolvenzverfahren durch den in §§ 21 ff. InsO zum Ausdruck kommenden Sicherungszweck der in diesem Stadium durch Insolvenzgericht oder vorläufigen Insolvenzverwalter zu treffenden Maßnahmen geprägt ist. Zwar ist nicht jede Veräußerung eines einzelnen Massegegenstands schon eine Verwertungshandlung, sondern kann auch im Rahmen der nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO das Vermögen des Schuldners sichernden und erhaltenden Verwaltung erfolgen. Vgl. Kirchhof, ZInsO 1999, 436, 436 f. zur Abgrenzung zwischen erhaltender und fortführender Verwaltung einerseits und Verwertung andererseits.
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IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren
Doch sprengt jedenfalls die Veräußerung des gesamten Schuldnerunterneh- 106 mens oder abgeschlossener Unternehmensteile den durch den Sicherungszweck vorgegebenen Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Vallender, GmbHR 2004, 543, 544.
Der BGH ließ in einem früheren Urteil zum Sequester lediglich offen, ob von 107 diesem Grundsatz ausnahmsweise abgewichen werden kann, wenn die Sicherung des Schuldnervermögens im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Eröffnung des Verfahrens dies zwingend gebietet. BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727, 728 f.; für eine solche Ausnahme OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.1991 – 22 U 202/91, ZIP 1992, 344, 346.
Mit dem OLG Düsseldorf gestattet ein Teil des Schrifttums in seltenen Aus- 108 nahmefällen dem vorläufigen Insolvenzverwalter, bereits im Eröffnungsverfahren das Schuldnerunternehmen zu veräußern oder auf eine Auffanggesellschaft zu übertragen, wenn sich diese Maßnahme als für den Gläubiger günstigste Verwertungsart darstellt und gleichzeitig zur Erhaltung des „Good Will“ erforderlich ist. Dies sei vor allem dann möglich, wenn sich eine „exorbitant günstige Verwertungsmöglichkeit“ biete und der Schuldner zustimme. Zusätzlich wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter empfohlen, zur Haftungsabsicherung die Zustimmung des Insolvenzgerichts einzuholen. Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rn. 41; MüKo-Haarmeyer, InsO, § 22 Rn. 81; zu entsprechenden Überlegungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“ vgl. Graf-Schlicker/ Remmert, NZI 2001, 569, 573 f.
Das Amtsgericht Duisburg hat in dem Insolvenzverfahren über die Vermö- 109 gen von Gesellschaften des Babcock Borsig Konzerns durch Beschluss vom 28.7.2002, AG Duisburg, ZIP 2002, 1700,
dem vorläufigen Insolvenzverwalter die alleinige rechtliche Verfügungsbefugnis übertragen, um einen bestimmten Konzerngeschäftsbereich als Gesamtheit oder in Teilen zu übertragen und entsprechende Verträge mit einem bestimmten Käufer abzuschließen, inklusive der Vornahme aller sonstigen damit zusammenhängenden Rechtsgeschäfte, insbesondere die Übernahme von Zahlungsverpflichtungen, Gewährleistungen und Garantien sowie der Abschluss von Wettbewerbsvereinbarungen, Treuhandvereinbarungen, Lieferverträgen und Mietverträgen. Hierdurch war bzw. ist der Käufer jedenfalls insoweit auch bei einem Vertragsschluss im Antragsverfahren geschützt, als das der vorläufige Insolvenzverwalter (oder auch der vorläufig eigenverwaltende Schuldner) in Wahrnehmung dieser Verfügungsbefugnis Verbindlichkeiten im Rang des § 55 Abs. 2 InsO begründet, die somit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten. Diese gerichtliche Ermächtigung schützt somit vor Anfechtungsrisiken und vor den dargestellten
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
(Rn. 45 ff.) Risiken einer Erfüllungsablehnung nach §§ 103 ff. InsO, nicht jedoch unbedingt vor den Risiken des § 75 AO, § 25 HGB und 613a BGB. 110 Zeigt die Entscheidung des AG Duisburg, dass in spezifischen Einzelfällen der Erwerb eines Unternehmensteils (arbeitsrechtlich Betriebsteil, steuerrechtliche Teilbetrieb) in Ausnahmefällen darstellbar und aufgrund der Flexibilität des Insolvenzrechts auch in den Risiken begrenzbar ist, bleibt es aber bei dem Grundsatz, dass von einem Unternehmenserwerb vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter regelmäßig abzuraten ist, weil sich die Unsicherheit, ob die von der zitierten Ansicht aufgestellten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Erwerbs gegeben sind, kaum beherrschen lässt und als Ausnahme den allgemeinen Grundsätzen des Insolvenzeröffnungsverfahrens widerspricht. Vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2000 – IX ZB 195/00, NJW 2001, 1496, 1497; BGH, Urt. v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259, 260; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rn. 41; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 22 Rn. 89; HambKo-Schröder, InsO, § 22 Rn. 45.
111 Da wie vorstehend ausgeführt bei einer Verfügung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch einen durch entsprechenden Einzelermächtigungsbeschluss „ausgestatteten“ schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder eigenverwaltenden Schuldner keine Anfechtungsrisiken bestehen (dazu näher Rn. 115 f.), kann sich der Käufer dies ausnahmsweise zunutze machen, indem der Kaufvertrag schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der ermächtigten Partei geschlossen wird. Die Ansprüche des Käufers sind dann Masseforderungen (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Nach der Verfahrenseröffnung sollte sich der Käufer den Kaufvertrag vom Insolvenzverwalter durch Erfüllungswahl gemäß § 103 InsO bestätigen lassen. Es bleiben jedoch die zusätzlichen sonstigen Haftungsrisiken, insbesondere gemäß § 613a BGB, § 25 HGB und § 75 AO, zu berücksichtigen. bb) Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 112 Der Ende April 2003 vom Bundesministerium der Justiz vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung sah eine neu zu fassende Nr. 2 des § 22 Abs. 1 InsO vor, die unter den Voraussetzungen, unter denen schon jetzt eine Stilllegung des Betriebs in Betracht käme, mit Zustimmung des Insolvenzgerichts die Veräußerung des Unternehmens an einen Dritten zulassen sollte. Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung, des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze, abgedruckt in ZVI 2003, Beilage 1; zu der darin vorgeschlagenen Möglichkeit einer Unternehmensveräußerung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. Sabel, ZIP 2003, 781, 782.
113 Das Vorhaben ist allerdings aufgrund des Widerspruchs zu dem Grundsatz, dass der vorläufige Insolvenzverwalter regelmäßig kein Recht zur Verwertung der 32
IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren
Insolvenzmasse hat und insbesondere wegen der fehlenden Beteiligung des Schuldners an der zu treffenden Verkaufsentscheidung, in einer Phase, in der noch keineswegs abzusehen ist, ob der – etwa von einem einzelnen Gläubiger gestellte – Insolvenzantrag Erfolg haben wird, auf Kritik gestoßen. Vgl. Pape, ZInsO 2003, 389, 391; Pape, NZI 2007, 425, 426; Pannen/ Riedemann, NZI 2006, 193, 195; Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 621.
Das am 1.7.2007 in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenz- 114 verfahrens hat die Möglichkeit der Unternehmensveräußerung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter nicht aufgenommen. Jedoch ist der Wortlaut des § 158 InsO, der bis zur Gesetzesänderung vor dem Berichtstermin nur die Stilllegung des Schuldnerunternehmens durch den Insolvenzverwalter erlaubte, um die Möglichkeit der Unternehmensveräußerung durch den Insolvenzverwalter vor dem Berichtstermin ergänzt worden. c) Anfechtbarkeit von Verfügungen des starken vorläufigen Insolvenzverwalter oder des einzelermächtigten vorläufigen Insolvenzverwalters/eigenverwaltenden Schuldners Wie bereits ausgeführt ist das Risiko einer Anfechtung bei einer Veräußerung 115 durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter eingeschränkt. Die zutreffende herrschende Meinung schließt die Anfechtung von Rechtshandlungen des starken vorläufigen Insolvenzverwalters aus, sofern er Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet und insoweit im Interesse des schutzwürdigen Vertrauens des Rechtsverkehrs keine anfechtungsrechtliche Rückabwicklung droht. Vgl. nunmehr BGH, Urt. v. 20.10.2014 – IX ZR 164/13, NJW 2014, 1737, 1738; zuvor bereits Kirchhof, ZInsO 2000, 297, 297; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 140; HK-Thole, InsO, § 129 Rn. 35; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 129 Rn. 14; anders für den Fall insolvenzzweckwidriger Zahlungen das OLG Dresden, Urt. v. 29.1.2004 – 13 U 2163/03, ZInsO 2005, 1221, 1222.
Diese Grundsätze gelten bei einer Einzelermächtigung des vorläufigen Insol- 116 venzverwalters und des eigenverwaltenden Schuldners gemäß § 270c Abs. 4 InsO entsprechend. Die Ausnahmen für den Fall eines vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder 117 Sachwalter bei Vornahme der Rechtshandlung gemachten Anfechtungsvorbehalts und einer vom Anfechtungsgegner erzwungenen Rechtshandlung sind bei der Unternehmensveräußerung nicht relevant. d) Anfechtbarkeit von Verfügungen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter Rechtshandlungen eines ohne Übertragung der Verfügungsbefugnis bestell- 118 ten vorläufigen („schwachen“) Insolvenzverwalters sind hingegen, soweit sie
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
dem Schuldner zurechenbar sind, wie dessen eigene Rechtshandlungen grundsätzlich anfechtbar. BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, ZIP 2003, 810, 811; BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 56/02, ZIP 2003, 855, 856; BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218, 219; BGH, Urt. v. 20.10.2014 – IX ZR 164/13, NJW 2014, 1737, 1738; OLG Stuttgart, Urt. v. 24.7.2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900, 1901; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 142 ff.; HK-Thole, InsO, § 129 Rn. 35; Graf-Schlicker-Huber, InsO, § 129 Rn. 16.
119 Etwas anderes gilt entsprechend den Grundsätzen zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter, wenn dieser ausnahmsweise zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im konkreten Einzelfall des Rechtsgeschäfts vom Insolvenzgericht ermächtigt war. BGH, Urt. v. 20.10.2014 – IX ZR 164/13, NJW 2014, 1737, 1738; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 140.
120 Im Rahmen eines Unternehmensverkaufs durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter sollte insoweit auf eine konkret hierfür erteilte Einzelermächtigung geachtet werden. Siehe Rn. 101, AG Duisburg, ZIP 2002, 1700.
121 Liegt die Einzelermächtigung nicht vor, so kann sich der Vertragspartner ausnahmsweise noch auf einen Vertrauenstatbestand gegenüber dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter berufen, wenn er als Anfechtungsgegner berechtigterweise auf die Insolvenzfestigkeit der Rechtshandlungen vertrauen durfte, tatsächlich darauf vertraut hat und dieses Vertrauen schutzwürdig ist, eine Anfechtung deshalb also treuwidrig wäre. BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 56/02, ZIP 2003, 855, 856; BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 218, 220; BGH, Urt. v. 15.12.2005, IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431, 433; OLG Stuttgart, Urt. v. 24.7.2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900, 1902; OLG Celle, Urt. v. 12.12.2002 – 13 U 56/02 ZIP 2003, 412, 413.
122 Ein solcher Vertrauenstatbestand liegt vor, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter der Erfüllung vertraglicher Ansprüche im Rahmen des Vertragsschlusses vorbehaltlos zustimmt. Wegen der Einbindung des vorläufigen Insolvenzverwalters in den Vertragsschluss darf der Gläubiger nach Treu und Glauben davon ausgehen, das empfangene Recht als Erfüllungsleistung behalten zu dürfen (Fall des „venire contra factum proprium“). Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand scheidet grundsätzlich aus, wenn die Rückforderung ausdrücklich vorbehalten wird oder der Insolvenzverwalter der Erfüllungshandlung zwar zustimmt, diese jedoch nicht im Zusammenhang mit einem neuen Vertragsschluss steht. BGH, Urt. v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218, 220; vgl. Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 142 ff. m. w. N.
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IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren
Eine allein durch Ausnutzung besonderer Marktstärke oder sonstiger wirt- 123 schaftlicher Zwänge „erpresste“ Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters schafft zwar keinen nach Treu und Glauben schützenswerten Vertrauenstatbestand, jedoch ist der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Anfechtungsprozesses für die entsprechenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431 ff.; vgl. auch de Bra, LMK 2005, 95 f.
Im Ergebnis besteht beim Unternehmenskauf mit Zustimmung des (schwa- 124 chen) vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. des vorläufigen Sachwalters im Insolvenzeröffnungsverfahren zwar nur ein geringes Anfechtungsrisiko, jedoch scheidet in der Praxis der Erwerb regelmäßig aufgrund sonstiger Haftungsrisiken (§ 613a BGB, § 25 HGB, § 75 AO) und der fehlenden Verwertungsbefugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters aus. Auf eine entsprechende Einzelermächtigung für den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner ist daher zu achten. 3. Vorläufige Eigenverwaltung a) Voraussetzungen, insbesondere Dual Track M&A Prozess Im Rahmen des ESUG, ergänzt durch das SanInsFoG wurde im Insolvenz- 125 eröffnungsverfahren die Möglichkeit der Eigenverwaltung gemäß den §§ 270b und 270d InsO eingeführt. In diesem Fall wird anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt, der allerdings hinsichtlich seiner Befugnisse und Kompetenzen nicht mit Ersterem vergleichbar ist. Der Schuldner behält im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, allerdings nicht schrankenlos, da er die Überwachungs- und Mitwirkungsrechte des vorläufigen Sachwalters gemäß §§ 274 f. InsO zu beachten hat. Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters richtet sich gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 270c Abs. 1 InsO nach der Aufgabenteilung im eröffneten Verfahren gemäß den §§ 274 f. InsO, wonach er primär zur Überwachung der wirtschaftlichen Lage, insbesondere der gewöhnlichen Geschäftsführung des Schuldners im Insolvenzeröffnungsverfahren, zur Berichterstattung über die Schlüssigkeit und Durchführbarkeit der Eigenverwaltungsplanung sowie der Rechnungslegung und Buchführung und über das Vorliegen etwaiger Haftungsansprüche gegen (ehemalige) Organe verpflichtet ist. Lediglich bei nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörenden Rechtsgeschäften besteht gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO ein Zustimmungsvorbehalt. Im Übrigen stehen dem vorläufigen Sachwalter ein Widerspruchsrecht und umfassende Informations-, Auskunfts- und Einsichtsrechte zu. Auch die Kassenführung kann er gemäß § 275 Abs. 2 InsO bereits im vorläufigen Verfahren ohne weiteres an sich ziehen. Während in der Praxis ein Ansichziehen der Kassenführung bei Betriebsfort- 126 führungen der absolute Ausnahmefall ist, ist dieses meist in Abstimmung mit
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
der Eigenverwaltung nach einem Unternehmensverkauf im Wege eines Asset Deals nicht ungewöhnlich. Gleiches gilt im Hinblick auf eine partielle Übernahme der Kassenführung (partielle Kassenführung) als rechtlich zulässiges Minus der Übernahme der gesamten Kassenführung, wenn ein Betriebsteil oder nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte mit Zustimmung des Sachwalters verkauft werden und die sich hieraus ergebende nicht betriebsnotwendige Liquidität auf einem Sonderkonto des Sachwalters für die Gläubigerbefriedigung verwahrt wird. 127 Verstößt der Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gegen Mitwirkungs- und Informationspflichten des vorläufigen Sachwalters, so hat der vorläufige Sachwalter das Insolvenzgericht sowie ggf. den vorläufigen Gläubigerausschuss zu informieren. Das Insolvenzgericht kann unter den Voraussetzungen des § 270e InsO die vorläufige Eigenverwaltung aufheben. 128 Da der Schuldner im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behält, sind auch seine Rechtshandlungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich gemäß den §§ 129 ff. InsO anfechtbar. Für die Insolvenzanfechtung ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Eigenverwaltung gemäß § 280 InsO der Sachwalter zuständig. Lediglich bei einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO, sei es als Einzel-, oder Gruppenermächtigung des Insolvenzgerichts gegenüber dem Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kommt keine spätere Insolvenzanfechtung dieses Rechtsgeschäfts in Betracht. Ob ausnahmsweise auch der vorläufige Sachwalter wie der vorläufige Insolvenzverwalter einen Vertrauenstatbestand im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung schaffen kann, obwohl seine Einbindung in Rechtsgeschäfte mangels allgemeinen Zustimmungsvorbehalts wie beim vorläufigen Insolvenzverwalter nicht als gleichwertig angesehen werden kann, ist streitig und eher abzulehnen. Vgl. zum aktuellen Streitstand der Anfechtung von Rechtshandlungen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren UhlenbruckZipperer, InsO, § 270a Rn. 23 m. w. N.
129 Der Unternehmenskauf vom Schuldner im vorläufigen Eröffnungsverfahren kommt in der Praxis selbst mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters und konkreter Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten wegen der übrigen Haftungsrisiken insbesondere gemäß § 613a BGB, § 25 HGB und § 75 AO nur in Ausnahmesachverhalten in Betracht. Grundsätzlich sollte aus potenzieller Käufersicht versucht werden, auch im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung über den Schuldner und den vorläufigen Sachwalter eine Prüfung des Unternehmenswerts im Rahmen einer Due Diligence durchzuführen, auch wenn dieses eventuell den Interessen des Schuldners bzw. seiner Organe und Gesellschafter an der Eigensanierung im Rahmen der Eigenverwaltung widerspricht, da dieser gerade kein Interesse an kompetitiven Angeboten eines potenziellen Käufers hat.
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IV. Phase 2: Unternehmenskauf im Insolvenzeröffnungsverfahren
Aus rechtlicher Sicht ist im Übrigen das Verbot der Schlechterstellung ge- 130 mäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu berücksichtigen, wonach die etwaige Möglichkeit einer übertragenden Sanierung auf einen potenziellen Käufer geprüft werden muss, um die erforderliche Vergleichsrechnung im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens zwecks Eigensanierung transparent und mit einem plausiblen „Markttest“ aufzustellen. Das AG Hamburg hält insoweit auch den vorläufigen Sachwalter im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO im Regelfall für verpflichtet, die Möglichkeiten für eine übertragende Sanierung auszuloten. Aufgrund des engen Zeitrahmens, insbesondere im Schutzschirmverfahren, müsste diese Tätigkeit auch bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen. AG Hamburg, Beschl. v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, 239.
Für Verunsicherung hinsichtlich der Frage der Pflicht, ob ein M&A Prozess 131 im Wege eines sog. Dual Track vom Insolvenzverwalter bzw. vom eigenverwaltenden Schuldner durchzuführen ist, hat eine Entscheidung des LG Stade geführt. LG Stade, ZInsO 2018, 614.
Diese wurde von interessierten Kreisen,
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Schröder, ZInsO 2018, 668,
dahingehend interpretiert, das erkennende Gericht habe in dieser Entscheidung festgestellt, dass eine Pflicht zur Durchführung eines Dual Track M&A Prozesses grundsätzlich nicht bestehe. Hierbei handelt es sich um eine „Überinterpretation“. Vielmehr hat das Landgericht nur festgestellt, dass eine Zulässigkeit der Beschwerde gemäß § 253 InsO der Glaubhaftmachung einer konkreten und wesentlichen wirtschaftlichen Schlechterstellung durch die Planbestätigung bedarf. Der Beschwerdeführer muss zu seiner materiellen Beschwer konkrete Tatsachen vortragen und dadurch glaubhaft machen, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde. Vorliegend erfolgte die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung allein auf indikativen Angeboten. Dieses ließ das Landgericht für die Glaubhaftmachung nicht genügen. Das Szenario einer Gesamtveräußerung (übertragende Sanierung) komme nur unter der Voraussetzung als Vergleichsmaßstab in Betracht, dass konkrete Angebote hierfür vorlagen und im Beurteilungszeitraum noch vorliegen. Abstrakte Übertragungs- und Gesamtverkaufsmöglichkeiten müssen gerade nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung in der Beschwerdein- 133 stanz im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 245 InsO ergangen ist. Entgegen den Ausführungen des LG Stade muss im Lichte des primären Verfahrensziels – der Gläubigerbefriedigung – der Grundsatz die Verpflichtung zum (parallelen) Investorenprozess sein. Denn ohne aktive (Investoren-)Suche besteht entweder keine Vergleichsmöglichkeit oder Unsicherheit
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
darüber, ob das Vergleichsszenario zutreffend gewählt ist, da Sanierungsalternativen nicht gesucht worden sind. Dies ohne Begründungsaufwand und besondere Legitimation zuzulassen, kann für die Gläubigergesamtheit nur von Nachteil sein. Aus dem Grund ist von der unbedingten Verpflichtung zum Dual-Track Verfahren auszugehen. Die Festlegung des Grundsatz- (DualTrack-Verfahren) -Ausnahme (Verzicht auf Dual-Track-Verfahren)-Verhältnisses ist dem Postulat des § 1 Satz 1 InsO geschuldet. Die für einen Verzicht auf einen Dual Track vorgetragenen Argumente mögen im Einzelfall relevant sein, können aber nicht zu einem grundsätzlichen Verzicht auf einen Investorenprozess (in der Eigenverwaltung) führen. Es besteht daher die Notwendigkeit der Analyse des Einzelfalls. Schmidt, Anm. zu LG Stade, NZI 2019, 31, 33.
134 Die Annahme einer solchen Ausnahme erfordert einen Sachgrund, der von Gläubigerausschuss, Sachwalter und Insolvenzgericht zu genehmigen ist. 135 Jedenfalls muss der eigenverwaltende Schuldner seit Inkrafttreten des SanInsFoG und Einführung der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO als Teil seiner Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO auch ein Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, des Verfahrensziels und der Maßnahmen zur Zielerreichung darlegen. Bei der Erstellung des Konzeptes werden die Berater des Schuldners und bei der Prüfung des Konzepts der Eigenverwaltungsplanung der Insolvenzrichter und der (vorläufige) Sachwalter prüfen müssen, ob die Eigenverwaltungsplanung den Erfordernissen des § 1 InsO genügt und daher auch einen Dual Track Prozess regelmäßig zum Inhalt hat oder ob eine begründete Ausnahme vorliegt. 136 Nach den richtigen Ausführungen des AG Hamburg und von Schmidt darf sich der vorläufige Sachwalter nicht nur auf die Überwachung der Ermittlung der Liquidationswerte sowie des Restrukturierungskonzepts des Schuldners beschränken, sondern muss im Interesse der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung auch die Prüfung der Fortführungsoptionen mit Investoren verlangen. Kommt der vorläufige Sachwalter zu dem Ergebnis, dass der Schuldner trotz Vorliegens ernsthaften Interesses von Investoren bereits die Möglichkeit dieser Option ohne plausible Begründung verweigert, so hat er dies dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss anzuzeigen. Maßgeblich sind insoweit §§ 270c, 274 Abs. 3 Satz 1 InsO, nach denen der (vorläufige) Sachwalter dem Insolvenzgericht zu berichten bzw. anzuzeigen hat, wenn die Eigenverwaltungsplanung unschlüssig ist bzw. undurchführbar erscheint oder Umstände erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Die einseitige Fixierung auf das vom Schuldner initiierte Insolvenzplanverfahren ohne Ermittlung marktgerechter Vergleichsrechnungen kann derartige Nachteile zulasten der Gläubiger erwarten lassen (vgl. zum Dual Track auch die Rn. 133 ff. und 524 ff.).
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
b) Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung Gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO führt der Antrag des vorläufigen Sachwal- 137 ters mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder der Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses (gemäß § 72 InsO) mit einfacher Mehrheit zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung. Ferner kann die Berichterstattung des vorläufigen Sachwalters zu den in § 270c Abs. 1 InsO genannten Berichtsinhalten gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung führen, soweit ein schwerwiegender Verstoß gegen insolvenzrechtliche Pflichten vom Insolvenzgericht festgestellt wird. Schließlich können die nicht fristgemäße Behebung von Mängeln an der Eigenverwaltungsplanung und die Aussichtslosigkeit der Erreichung des Eigenverwaltungsziels zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung führen. Sowohl bei der Feststellung von Verstößen gegen insolvenzrechtliche Pflichten als auch bei der Frage der Feststellung der Aussichtslosigkeit der Erreichung des Eigenverwaltungsziels wird das Insolvenzgericht auf die Feststellungen und die Berichterstattung des vorläufigen Sachwalters angewiesen sein und dessen Berichterstattung neben Anhörungen von Schuldner, Gläubigerausschuss und ggf. Gläubigern zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Die Aufhebung der im eröffneten Verfahren angeordneten Eigenverwaltung 138 kann nur unter den Voraussetzungen des § 272 InsO erfolgen. Ein Antragsrecht für den Sachwalter oder den Gläubigerausschuss sieht das Gericht in diesem Verfahrensstadium nicht vor; jedoch besteht ein Antragsrecht für die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger in der Gläubigerversammlung. Allerdings können Feststellungen in der Berichterstattung des Sachwalters zu schwerwiegenden Verstößen gegen insolvenzrechtliche Pflichten und die Feststellung der Aussichtslosigkeit des Erreichens des Eigenverwaltungsziels gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO zur Aufhebung der Eigenverwaltung führen. Die Regelungen entsprechen denen in § 270e Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO. Sowohl im Antragsverfahren als auch im eröffneten Verfahren kann der Schuldner die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Aus den vorstehenden Abschnitten folgt, dass regelmäßig mit dem Vollzug des 139 Unternehmenskaufs bei eingeleiteter Insolvenz bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Unternehmensträger gewartet werden sollte. Etwaige wirtschaftliche Vorteile eines schnellen Erwerbs außerhalb des eröffneten Insolvenzverfahrens sind insoweit mit den dargestellten rechtlichen Risiken abzuwägen. Tatsächlich gewährleistet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Erwerber eine deutlich höhere Rechtssicherheit. So kann selbst die Tragweite des in der Insolvenz fortgeltenden § 613a BGB 140 durch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten abgeschwächt werden. Die
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
Haftungsrisiken der § 75 AO und des § 25 Abs. 1 HGB bestehen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht, unabhängig davon, ob ein Insolvenzverwalter bestellt wird oder die Eigenverwaltung angeordnet wird. BGH, ZIP 2020, 263.
1. Unternehmensveräußerung vor dem Berichtstermin 141 Im Berichtstermin, der üblicherweise ersten Gläubigerversammlung, den das Insolvenzgericht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss bestimmt, hat der Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende Schuldner nach § 156 Abs. 1 InsO über die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu berichten und insbesondere darzulegen, ob es aussichtsreich ist, das Unternehmen des Schuldners vollständig oder in Teilen zu erhalten. 142 Die Verwertungsphase setzt nach § 159 InsO grundsätzlich erst nach dem Berichtstermin ein, der möglichst sechs Wochen, längstens jedoch drei Monate nach der Insolvenzeröffnung festgesetzt werden soll (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO). 143 Gemäß § 158 InsO ist die Veräußerung und alternativ die Stilllegung des Unternehmens vor dem Berichtstermin mit Zustimmung des Gläubigerausschusses möglich. In jedem Fall ist gemäß § 158 Abs. 2 InsO der Schuldner vom Insolvenzverwalter zu unterrichten. Der Schuldner kann beim Insolvenzgericht beantragen, die Veräußerung oder Stilllegung zu untersagen. Voraussetzung für eine Untersagung ist, dass eine Entscheidung über den Unternehmensverkauf oder die Stilllegung ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann. Dieses wird regelmäßig nicht der Fall sein, da der Insolvenzverwalter den Zeitplan eines M&A Prozesses stets an der Vermögensentwicklung, insbesondere der geplanten Liquiditätsentwicklung nach der Verfahrenseröffnung ausrichten wird. Soweit der (vorläufige) Insolvenzverwalter vor der Entscheidung mitbekommt, dass ein Antrag nach § 158 Abs. 2 InsO droht, wird er vorsorglich entsprechenden Bericht an das Insolvenzgericht erstatten. 144 Regelmäßig werden die Verträge bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren verhandelt und insoweit wird eine schnelle verbindliche Entscheidung vom Erwerbsinteressenten und etwaigen Finanzgebern erwartet. In der Praxis wird in Vorbereitung der Entscheidung des Gläubigerausschusses zur Genehmigung des Unternehmensverkaufes nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entweder bereits ein Gläubigerausschuss gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO eingesetzt, auch wenn die Schwellenwerte des § 22a InsO nicht vorliegen, oder parallel zur Verfahrenseröffnung erfolgt die Einsetzung des Gläubigerausschusses, der sofort handlungsfähig ist, sodass die Zustimmung des Ausschusses und die Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrages durch den Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner unverzüglich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen kann. In einer Vielzahl von Insolvenzverfahren wird der Gläubigerausschuss im Berichtstermin nicht
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bestätigt, da die institutionellen öffentlichen und privaten Gläubiger ihre Personalressourcen aus Kostengründen reduziert haben. Für den Erwerber ist ein etwaiger Verstoß gegen die untersagende Entschei- 145 dung des Insolvenzgerichts oder ein Verkauf ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses ungefährlich, weil der Verkauf trotz der Verstöße im Außenverhältnis wirksam ist. Das folgt aus der uneingeschränkten Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO und aus § 164 InsO, der auch dem Verstoß gegen die Mitwirkungsgebote in §§ 160 – 163 InsO bei einer Unternehmensveräußerung nach dem Berichtstermin jegliche Außenwirkung versagt. Hingegen haftet der Insolvenzverwalter den Gläubigern im Rahmen von § 60 InsO auf Schadensersatz. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 161 Rn. 13, § 164 Rn. 2; Graf-Schlicker-Castrup, InsO, § 164 Rn. 1 f.; Vallender, GmbHR 2004, 643, 643.
2. Unternehmensveräußerung nach dem Berichtstermin Die nach dem Berichtstermin gemäß § 159 InsO einsetzende Verpflichtung 146 des Insolvenzverwalters, unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten, schließt die Veräußerung des Schuldnerunternehmens mit ein. Wie schon bei einer Veräußerung vor dem Berichtstermin führt eine Verletzung der insbesondere in §§ 160 – 163 InsO dem Insolvenzverwalter auferlegten Pflichten, Gläubiger und Insolvenzschuldner in die geplanten Verfügungen einzubeziehen, keineswegs zur Unwirksamkeit der vom Insolvenzverwalter getroffenen Verfügungen. Diese Rechtssicherheit gibt § 164 InsO dem Erwerber ausdrücklich. Nur im Verhältnis zu den Insolvenzgläubigern ist der Insolvenzverwalter 147 deshalb nach § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO verpflichtet, vor der Veräußerung des Schuldnerunternehmens oder auch nur eines Unternehmensteils die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, falls ein solcher nicht bestellt ist, die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Zudem hat der Insolvenzverwalter nach § 161 Satz 1 InsO vor der Beschlussfassung durch den Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung den Schuldner von der bevorstehenden Veräußerung zu unterrichten. Der Schuldner soll Gelegenheit haben, dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern seine Auffassung zu der bevorstehenden Veräußerung darzulegen. Die Mitteilung ist, wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, an dessen gesetzlichen Vertreter zu richten, bei der GmbH also an die Geschäftsführer bzw. bei der Aktiengesellschaft an die Mitglieder des Vorstands. Die Suspensionsmöglichkeit in § 161 Satz 2 soll den Schuldner sowie eine qualifizierte Gläubigerminderheit vor der Schaffung von Tatsachen in für das weitere Verfahren einschneidenden Entscheidungen durch den Insolvenzverwalter und die Gläubigerausschussmitglieder schützen. BeckOK-Verhoeven/Theiselmann, InsR, § 161 InsO Rn. 1.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
148 Die Unterrichtung kann in mündlicher, schriftlicher oder sonstiger Form vorgenommen werden. In der Praxis stellt der Insolvenzverwalter dem Schuldner bzw. seinen Vertretungsorganen regelmäßig den Bericht zur Gläubigerversammlung zur Verfügung. Zumeist sind die Vertretungsorgane oder der Schuldner ohnehin in den Verkaufsprozess eingebunden. 149 Es liegt im Ermessen des Insolvenzverwalters, ob er auf die Unterrichtung des Schuldners letztlich verzichtet. Als Grund für einen solchen Verzicht nennt das Gesetz in Satz 1 mögliche nachteilige Auswirkungen einer Verzögerung der Durchführung der beabsichtigten Rechtshandlung für das Verfahren. BeckOK-Verhoeven/Theiselmann, InsR, § 161 InsO Rn. 2.
150 Unterlässt der Insolvenzverwalter die rechtzeitige Unterrichtung gemäß § 161 InsO, beeinflusst dies jedoch weder die Wirksamkeit eines durch den Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung gefassten Beschlusses noch – nach § 164 InsO – die Wirksamkeit der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen im Außenverhältnis. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 161 Rn. 2; Kübler/Prütting/Bork-Webel, InsO, § 161 Rn. 7.
151 Gänzlich unbeachtlich ist die Unterrichtungspflicht, wenn der Insolvenzverwalter – sei es vorsorglich oder weil kein Gläubigerausschuss bestellt ist – die Zustimmung der Gläubigerversammlung einholt. Denn selbst das vom Schuldner gemäß § 161 Satz 2 InsO gerichtlich geltend zu machende Interventionsrecht ist ausgeschlossen, sobald die Zustimmung der Gläubigerversammlung vorliegt. Die §§ 162, 163 InsO verpflichten den Insolvenzverwalter zudem in den Fällen einer Veräußerung an eine dem Schuldner nahestehende Person oder an einen Insolvenzgläubiger sowie dann, wenn ein für die Gläubiger günstigeres Alternativangebot vorliegt, die Zustimmung der Gläubigerversammlung zur Unternehmensveräußerung einzuholen. Die Zustimmung des Gläubigerausschusses genügt in diesen Fällen also nicht. 152 In der Praxis des Unternehmensverkaufs insolventer klein- und mittelständiger Unternehmen, insbesondere auch insolventer Start-up-Unternehmen, hat die Regelung des § 162 InsO, der Betriebsveräußerung an besonders Interessierte erhebliche Relevanz. Bei Start-ups und Mittelständlern ist die Mittwirkung der oder eines Teils der Gesellschafter bzw. Gründer für die Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in deren Person liegender Umstände unerlässlich. Diese Realität hat auch der Gesetzgeber endlich bei der Neufassung/Ergänzung des § 28 Abs. 2 Ziffer 1 StaRUG bzw. § 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO erkannt. Aus diesem Grunde beteiligen Unternehmenskäufer die bereits beim Schuldner beteiligten Personen an der Käufergesellschaft, um deren Know-how langfristig für das Unternehmen zu sichern. Soweit diese Personen zu mehr als 20 % an dem Erwerber unmittelbar (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder mittelbar (§ 162 Abs. 2 InsO) beteiligt sind, genügt die Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Unternehmensveräußerung nicht; es bedarf der Zustimmung der Gläubigerversammlung. Für den 42
V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Insolvenzverwalter aber auch den eigenverwaltenden Schuldner bietet es sich durch den Käufer im Unternehmenskaufvertrag an, die Gesellschafterstruktur des Käufers offenlegen zu lassen oder jedenfalls zusichern zu lassen, dass der Tatbestand des § 162 InsO zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und des Vollzugs des Vertrags nicht erfüllt ist. Da § 164 InsO die Wirkungen der §§ 160 – 163 InsO auf das Verhältnis des 153 Insolvenzverwalters – im Ergebnis – zur Gläubigerversammlung beschränkt, ist es für den Erwerber grundsätzlich nicht von Bedeutung, ob bei Abschluss des Unternehmenskaufvertrags sowie der zu seiner Erfüllung vorgenommenen Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzverwalter oder dem eigenverwaltenden Schuldner ein zustimmender Beschluss des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung vorlag. Dies gilt sogar dann, wenn der Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags bemerkt hat, dass die erforderliche Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung fehlt. Lediglich bei einer objektiven Evidenz der Insolvenzzweckwidrigkeit der Handlung des Insolvenzverwalters bzw. eigenverwaltenden Schuldners, welche dem Geschäftspartner zumindest grob fahrlässig entsprechend den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht vorwerfbar sein muss, ist diese unwirksam. BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375, 377; BGH, Urt. v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, ZIP 2013, 531, 531 Rn. 9; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 164 Rn. 3; FK-Wegener, InsO, § 164 Rn. 4; HK-Kayser, InsO, § 80 Rn. 36 f.; a. A. Kübler/Prütting/Bork-Webel, InsO, § 164 Rn. 3.
Dem Insolvenzverwalter wie auch dem eigenverwaltenden Schuldner droht, 154 wenn er seine Verpflichtungen aus §§ 160 – 163 InsO verletzt, eine Haftung nach § 60 InsO. BGH, NZI 2018, 519 ff. zur Haftung des Geschäftsleiters in der Eigenverwaltung analog §§ 60, 61 InsO; seit dem 1.1.2021 (auch) § 276a InsO.
Eine solche Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Insolvenzverwalter bzw. 155 der eigenverwaltende Schuldner den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung vor dem Unternehmensverkauf ausreichend und richtig über die Konditionen, die Ergebnisse des M&A Prozesses und etwaige konkurrierende Angebote informiert hat und die Veräußerung nicht offensichtlich masseschädigend ist. Grundsätzlich besteht neben einer bereits auf die einzelnen Vertragskondi- 156 tionen bezogenen Zustimmung des zuständigen Gläubigerorgans auch die Möglichkeit, dass die Gläubigerversammlung im Berichtstermin den Insolvenzverwalter ermächtigt, das Schuldnerunternehmen bestmöglich zu veräußern. In diesem Fall überträgt die Gläubigerversammlung ihre Entscheidungsmacht hinsichtlich dieser Verwertungshandlung auf den Insolvenzverwalter. Vallender, GmbHR 2004, 642, 644.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
157 Diese Ermächtigung kommt in den meisten Fällen aber zu spät, da eine Vielzahl der insolventen Unternehmen, insbesondere Start-ups und KMU, rund um den Stichtag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert werden müssen, möchte man eine die Gläubiger schädigende weitere Betriebsfortführung oder Betriebsschließung vermeiden. 3. Reduzierung der Risiken 158 Der Unternehmenserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedeutet in den Fällen der übertragenden Sanierung (Asset Deal) für den Erwerber im Vergleich zu einem Erwerb in der Krise oder noch im Eröffnungsverfahren in mehrfacher Hinsicht eine Reduzierung seiner Risiken. Insbesondere hat er keine Anfechtung des Kaufvertrags oder der Verfügungen durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO zu befürchten. Dies gilt auch für den Fall der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO. Jegliche Anfechtungsmöglichkeiten sind nach § 129 Abs. 1 InsO ausdrücklich auf Rechtshandlungen beschränkt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind. Gleiches gilt für Rechtshandlungen, die im Antragsverfahren auf Grundlage einer Einzelermächtigung oder von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommen worden sind. 159 Zudem ist die steuerliche Haftung des Erwerbers für betriebliche Steuern des Unternehmens nach § 75 Abs. 2 AO im Rahmen des Erwerbs aus dem eröffneten Insolvenzverfahren nicht anwendbar (siehe dazu Rn. 84 ff.). Dies gilt nicht für den Unternehmenserwerb einer Tochtergesellschaft im Rahmen einer Anteilsübertragung durch Share Deal. Hier fehlt es an dem von § 75 Abs. 1 AO vorausgesetzten Wechsel des Unternehmensträgers; etwaige der Qualifizierung in § 75 Abs. 1 AO unterfallende Steuerschulden verbleiben selbstverständlich ohne besondere Vorschriften beim fortbestehenden Unternehmensträger. Sollen im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens die Anteile im Wege des Share Deals auf Grundlage einer Investorenvereinbarung (vgl. Rn. 515 ff.) erworben werden, so unterliegen die Steuerschulden des schuldnerischen Unternehmens den Verzichtsregelungen des Insolvenzplans. 160 Nach herrschender Meinung kann der im Wege des Asset Deals aufkaufende Erwerber zudem die Firma des insolventen Unternehmensträgers fortführen, ohne eine Haftung für die Verbindlichkeiten des Schuldners nach § 25 Abs. 1 HGB fürchten zu müssen (zu dieser Haftung siehe Rn. 88 ff.). Nach Ansicht des BGH wäre es mit der Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Vermögensgegenstände des Schuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den höchstmöglichen Erlös für die anschließende Verteilung zu erzielen, unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB haften müsste. Denn dann wäre eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch des bisherigen Unternehmensträgers geführt haben, nur in den seltensten Fällen erreichbar. Der Insolvenzverwalter wäre zumeist darauf beschränkt, das Schuldnervermögen durch Zerschlagung zu verwerten, was nicht nur dem Verwertungsinte44
V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
resse der Insolvenzgläubiger im Rahmen von § 159 InsO, sondern nach Ansicht des BGH auch dem Sinn und Zweck des § 25 Abs. 1 HGB widerspricht. BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, NJW 1988, 1912, 1913; zustimmend unter Geltung der InsO, z. B. Vallender, GmbHR 2004, 642, 645; bestätigend BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, NZI 2007, 252, 253; BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, BB 2013, 2235, 2239.
Entsprechendes gilt beim Asset Deal in der Eigenverwaltung.
161
BGH, ZIP 2020, 263.
Darüber hinaus sind die mit § 613a BGB verbundenen Haftungsgefahren bei 162 einer Betriebsveräußerung durch den Insolvenzverwalter bzw. eigenverwaltenden Schuldner im eröffneten Insolvenzverfahren deutlich eingeschränkt (siehe dazu Rn. 615 ff.). 4. Insolvenzplanverfahren a) Grundsätzliches Vor allem für Unternehmensveräußerungen auf Grundlage eines Share Deals 163 bzw. im insolvenzrechtlichen Sprachgebrauch eher „Investorenvereinbarung“ (ausführlich zur Investorenvereinbarung Rn. 515 ff.), bei denen der Unternehmensträger, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird bzw. bereits ist, erhalten bleiben soll, bietet sich eine das Insolvenzverfahren beendende Auseinandersetzung mit den Insolvenzgläubigern im Rahmen eines Insolvenzplans nach §§ 217 ff. InsO an. Der Erhalt des Unternehmensträgers ist in vielen Fällen geboten, z. B., weil für die Fortführung des Unternehmens unentbehrliche öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Zertifizierungen oder wirtschaftlich wichtige Dauerschuldverhältnisse (Mietverträge) auf den insolventen Unternehmensträger lauten oder datenschutzrechtliche Einschränkungen der Übertragbarkeit von (Verbraucher-)Kundendaten in der Art des Asset Deals im Wege stehen. Aber auch zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung kann sich ein In- 164 solvenzplanverfahren anbieten, wenn die Unternehmensveräußerung Vermögensgegenstände des Schuldners umfassen soll, an denen ein Absonderungsrecht besteht und einzelne Absonderungsberechtigte der Veräußerung nicht zustimmen oder die Zustimmung aufgrund der Vielzahl von Absonderungsberechtigten nicht innerhalb angemessener Zeit eingeholt werden kann. Die Normen zum Insolvenzplanverfahren (§§ 217 – 269 InsO) wurden teil- 165 weise durch das ESUG und das SanInsFoG reformiert, sodass nun auch Anteilsinhaber des Schuldnerunternehmens als abstimmungsberechtigte Beteiligte in das Insolvenzplanverfahren eingebunden sind, da nunmehr auch in deren Rechte eingegriffen werden kann. Durch das SanInsFoG wurde insbesondere die Möglichkeit aufgenommen, Eingriffe in Haftungen oder gruppeninterne Drittsicherheiten durch den Insolvenzplan vorzunehmen, die zugunsten
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
eines Insolvenzgläubigers und zulasten verbundener Unternehmen i. S. d. § 15 AktG des Schuldners bestehen. b) Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan 166 Die wohl bedeutendste Norm, die für eine Vielzahl von InsolvenzplanSanierungen in der Praxis geführt hat, ist der durch das ESUG eingeführte § 225a InsO. Nach § 225a Abs. 2 InsO kann insbesondere eine Umwandlung von Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte sowie eine Kapitalherabsetzung und -erhöhung die Leistung von Sacheinlagen (die Insolvenzforderungen) und der Ausschluss von Bezugsrechten oder auch die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter vorgesehen sein. Damit ist der „Debt-Equity-Swap“ in § 225a Abs. 2 InsO explizit für das Planverfahren geregelt. Deutlich größere Praxisrelevanz hat hingegen § 225a Abs. 3 InsO, der vorsieht, dass im Insolvenzplan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere die Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft und die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. Damit durchbricht § 225a InsO die strikte Trennung von Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht. In der Praxis sieht der Insolvenzplan regelmäßig die Kapitalherabsetzung auf null und eine Barkapitalerhöhung einschließlich der Ausgabe neuer Anteile unter Ausschluss der Bezugsrechte für die Altgesellschafter vor. Bezugsberechtigt ist der Investor auf Grundlage der geschlossenen Investorenvereinbarung. Die Anteilsübertragung bestehender Anteile findet in aller Regel nicht statt. Es besteht die Gefahr, dass die zu übertragenden Anteile unerkannt mit Rechten Dritter (z. B. Pfandrechten) belastet sind. 167 Nach § 227 Abs. 1 InsO wird der Schuldner mit der im Plan vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. In diesem Zeitpunkt endet nach § 227 Abs. 2 InsO auch die persönliche gesellschaftsrechtliche Haftung der nicht ausgeschiedenen Gesellschafter für diese Verbindlichkeiten. Infolge der Insolvenzeröffnung ausgeschiedene Gesellschafter unterliegen nicht dem Privileg des § 227 Abs. 2 InsO. HambKo-Thies, InsO, § 227 Rn. 8.
168 Im Planverfahren können die Konditionen und Vollzugsbedingungen für eine Übernahme des Unternehmens durch den Erwerber im Rahmen eines Share Deals unter dessen frühzeitiger Beteiligung und unterstützt vom Sachwalter unter Vermittlung des Insolvenzverwalters bzw. des eigenverwaltenden Schuldners frei mit den Insolvenzgläubigern und insbesondere auch mit den Absonderungsberechtigten ausgehandelt werden. Dabei verhindern die vom Gesetz differenziert angeordneten Mehrheitsverhältnisse (§ 244 InsO) sowie das Obstruktionsverbot (§ 245 InsO), dass Abstimmungsgruppen, für die sich die geplante Sanierung nicht nachteilig auswirkt, oder einzelne Stimmbe-
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
rechtigte die Veräußerung des Unternehmens und dessen Fortführung durch den Erwerber blockieren. Ziel ist auch im Falle des Insolvenzplanverfahrens die bestmögliche Gläubi- 169 gerbefriedigung. Vgl. MüKo-Eidenmüller, InsO, § 217 Rn. 3.
Im Rahmen eines Erwerbs der Gesellschaftsanteile i. V. m. einem Insolvenz- 170 planverfahren durch Übertragung oder durch Kapitalmaßnahmen werden die einzelnen Bedingungen der Anteilsübertragung sowie des Insolvenzplans in der Investorenvereinbarung als Quasi Anteilskaufvertrag fixiert. Der Vollzug steht stets unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses für den Insolvenzplan. Der Eintritt dieser Bedingung ist dann folglich von der Zustimmung zum Insolvenzplan durch die Beteiligten abhängig. Um zu verhindern, dass der Insolvenzplan von den Vorgaben im Angebot des 171 Erwerbers abweicht, sind daher im Rahmen der Investorenvereinbarung die wesentlichen Bedingungen des Insolvenzplans zugleich als Vollzugsbedingungen zu vereinbaren. Dies können beispielsweise die weiterzuführenden Aufträge (Ausübung des Wahlrechts gemäß § 103 InsO), die Kündigung von Mietverhältnissen (§§ 108 ff. InsO), das nach Annahme des Insolvenzplans zur Verfügung stehende freie Vermögen der Gesellschaft (Bilanzgarantie), Änderungen in Arbeitnehmerverhältnissen bzw. Abschluss von Sanierungstarifverträgen, Interessenausgleichsvereinbarungen (§ 125 InsO), Sozialpläne (§ 123 InsO) sowie weitere, für den Erwerber relevante Punkte sein. Ein Muster einer Investorenvereinbarung findet sich in Rn. 515 ff. c) Struktur des Insolvenzplans, Abstimmung Der Insolvenzplan enthält im erläuternden Teil gemäß § 220 InsO eine Be- 172 schreibung des Unternehmens, eine Analyse der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und der Krisenursachen, das Sanierungskonzept des Erwerbers nebst Maßnahmenkatalog sowie eine Darstellung der bereits eingeleiteten und noch einzuleitenden Sanierungsmaßnahmen. Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans werden sodann gemäß § 221 die Be- 173 teiligtenrechte neu gestaltet bzw. die jeweiligen Eingriffe in die Beteiligtenrechte dargestellt sowie nach § 222 InsO die Abstimmungsgruppen gebildet. Auch die gesellschaftsrechtlichen Änderungen – insbesondere gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen – sind Bestandteil des gestaltenden Teils des Insolvenzplans. Soweit der Plan eine unmittelbare Änderung der dinglichen Rechtslage herbeiführen soll, können die dafür erforderlichen Willenserklärungen der Beteiligten insoweit schon in den gestaltenden Planteil aufgenommen werden; mögliche weitergehende Formvorschriften gelten nach § 254a InsO als gewahrt. Gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO wird das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger zur Befriedigung aus den Gegen-
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
ständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, nicht vom Insolvenzplan berührt, es sei denn, im Insolvenzplan ist ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Entsprechendes gilt gemäß § 223a für das Recht der Gläubiger aus gruppeninternen Drittsicherheiten. Für die nicht nachrangigen Gläubiger ist gemäß § 224 InsO anzugeben, um welchen Bruchteil ihre Forderung gekürzt wird. Gemäß § 225 Abs. 1 InsO gelten die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger als erlassen, wenn im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist. 174 Der Insolvenzplan muss insbesondere als „Herzstück“ eine Vergleichsrechnung der Gläubigerbefriedigung bei Durchführung des Regelinsolvenzverfahrens, auch bei einer greifbaren übertragenden Sanierung, mit der Gläubigerbefriedigung im Rahmen des vorgeschlagenen Insolvenzplans ausweisen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass für alle Beteiligten nachweislich das Insolvenzplanverfahren zu einer besseren Gläubigerbefriedigung führt. Dies ist Mindestanforderung an den Insolvenzplan, da ein Gläubiger, der durch den Plan schlechter gestellt wird als im regulären Insolvenzverfahren, gemäß § 251 Abs. 1 InsO die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans mit dieser Begründung beantragen kann, sofern er dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle widersprochen hat. 175 Der Insolvenzplan wird gemäß § 218 Abs. 1 InsO dem Insolvenzgericht vorgelegt. Das Insolvenzgericht prüft zunächst formale und offensichtliche inhaltliche Anforderungen auf deren Vorliegen i. S. d. § 231 InsO prüft. Sodann wird der Plan den in § 232 Abs. 1 InsO bezeichneten Personenkreisen (Gläubigerausschuss, Betriebsrat, Sprecherausschuss der leitenden Angestellten und je nach Initiative dem Schuldner bzw. dem Insolvenzverwalter/Sachwalter) zugeleitet. Das Gericht setzt hierbei nach § 232 Abs. 3 Satz 1 InsO eine Frist für die Abgabe von Stellungnahmen, die gemäß § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO einen Zeitraum von zwei Wochen nicht überschreiten soll, und bestimmt gemäß § 235 Abs. 1 InsO einen Erörterungs- und Abstimmungstermin mit den Beteiligten. 176 Im Insolvenzplan sind bereits die im Abstimmungstermin zu bildenden Beteiligtengruppen aufgeführt. Gesetzlich vorgeschriebene Beteiligtengruppen sind hierbei gemäß § 222 Abs. 1, 3 InsO: x
Gläubiger mit Absonderungsrechten, in welche eingegriffen wird;
x
nicht nachrangige Insolvenzgläubiger;
x
nachrangige Insolvenzgläubiger, die Forderungen nicht erlassen;
x
am Schuldner beteiligte Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden;
x
Arbeitnehmer, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind;
x
die Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten.
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Um ein Abstimmungsergebnis zu erreichen, bei dem zumindest die Mehrheit 177 der Gläubigergruppen dem Plan zustimmt, können weitere Gruppen als die gesetzlich vorgesehenen gebildet werden. Diese Gruppenbildung obliegt dem Planersteller und ist bereits im Insolvenzplan auszuweisen. Mögliche weitere Gruppen sind hierbei z. B. die Gruppe der Banken, der Lieferanten, der Kunden oder öffentlich-rechtlicher Gläubiger. Die Bildung sog. Mischgruppen, die Gläubiger mit unterschiedlicher Rechtsstellung in sich vereinen (z. B. Gläubiger mit Recht auf abgesonderte Befriedigung gemeinsam mit einfachen Insolvenzgläubigern) ist unzulässig. BGH, Beschl. v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, NZI 2005, 619, 621.
Die Abstimmung erfolgt innerhalb jeder Gruppe gesondert, § 243 InsO. Die 178 Zustimmung einer Gläubigergruppe zum Insolvenzplan liegt nach § 244 Abs. 1 InsO vor, wenn innerhalb dieser Gruppe x
die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger dem Plan zustimmt (Anzahl nach Köpfen)
sowie x
die Summe ihrer Ansprüche über 50 % der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger ausmacht.
Für das Ergebnis der Kopfmehrheit ist die Mehrheit der tatsächlich abstimmen- 179 den Gläubiger maßgebend, nicht die der „passiv“ Anwesenden. Die Gruppe der am Schuldner beteiligten Personen stimmt gemäß § 244 Abs. 3 InsO zu, wenn die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Anteilsinhaber mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Anteilsinhaber beträgt. Auf die Kopfmehrheit kommt es insoweit im Rahmen der Anteilseignergruppe nicht an. Vgl. MüKo-Hintzen, InsO, § 244 Rn. 9; HambKo-Thies, InsO, § 244 Rn. 10.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein Gläubiger mehrere Kopfstimmen haben 180 kann, da sich das Stimmrecht aus den unterschiedlichen Forderungen bzw. Rechtsansprüchen in unterschiedlichen Gruppen ergeben kann. Ein Gläubiger, der z. B. Absonderungsrechtsinhaber und Ausfallinsolvenzgläubiger ist, kann in beiden Gruppen abstimmen, wird also für die Kopfzahl in jeder Gruppe gezählt. Braun-Braun/Frank, InsO, § 243 Rn. 5.
Zur Berechnung der Summenmehrheit wird die Höhe des jeweiligen An- 181 spruchs eines Gläubigers bzw. der Beteiligung eines Anteilsinhabers vor Beginn der Abstimmung durch die Forderungsprüfung, die Festlegung des Stimmrechts und die Eintragung in die Stimmliste gemäß § 239 InsO festgelegt. Die Gesamtsumme der jeweiligen Gruppe ergibt sich aus der Addition der abstimmenden Gläubiger/Anteilsinhaber. Für die erforderliche Mehrheit ist mehr als die Hälfte der Gesamtsumme gefordert. Im Falle der Gläubigergruppen müssen Kopfmehrheit und Summenmehrheit kumulativ vorliegen. 49
A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz MüKo-Hintzen, InsO, § 244 Rn. 13 f.
182 Stimmen alle Gruppen zu, gilt der Insolvenzplan als angenommen. Wird der Insolvenzplan durch die Mehrheit der Gruppen abgelehnt, so gilt dieser als nicht angenommen. In diesem Fall kann die fehlende Zustimmung der ablehnenden Gruppen auch nicht ersetzt werden. d) Das Obstruktionsverbot und der Wertverbleib beim Schuldner/ geschäftsführenden Gesellschafter 183 Stimmt die Mehrheit der Gruppen dem Insolvenzplan zu, kann die fehlende Zustimmung der anderen Gruppe(n) unter Beachtung des Obstruktionsverbotes ersetzt werden. 184 Sofern die Mehrheit der Gruppen zustimmt, gilt die Zustimmung einer ablehnenden Gruppe nach dem Obstruktionsverbot des § 245 Abs. 1 InsO dann als erteilt, wenn x
die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Insolvenzplan stünden
und x
die Angehörigen dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll.
185 Seit Inkrafttreten des ESUG regelt das Gesetz ausdrücklich, wann eine angemessene Beteiligung i. S. d. § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt. Für eine Gläubigergruppe ist dies gemäß § 245 Abs. 2 InsO der Fall, wenn nach dem Plan x
kein anderer Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen,
x
weder ein Gläubiger, der ohne einen Plan mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält
und x
kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger.
186 Hingegen liegt eine angemessene Beteiligung für die Gruppe der Anteilseigner gemäß § 245 Abs. 3 InsO vor, wenn nach dem Plan x
kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und
x
kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinhabern der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese.
50
V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Somit sind ein „Debt-Equity-Swap“ nach § 225a Abs. 2 InsO, eine Kapital- 187 herabsetzung und -erhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechtes der bisherigen Gesellschafter oder Anteilsübertragungen sogar ohne Zustimmung der bisherigen Gesellschafter möglich. Sollte sich eine Gruppe gänzlich nicht an der Abstimmung beteiligen, so wird 188 die Zustimmung dieser Gruppe nach § 246a InsO fingiert. Durch das SanInsFoG wurde im Hinblick auf den Schuldner bzw. an der Ge- 189 schäftsführung beteiligte Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten in § 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO die Möglichkeit eröffnet, diesen unter gesetzlich definierten Bedingungen einen Wert im Insolvenzplan zukommen zu lassen, soweit deren Mitwirkung bei der Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in der Person des Schuldners oder der geschäftsführenden Gesellschafter liegenden Umstände unerlässlich ist, um den Planmehrwert für die Gläubiger zu realisieren. § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG enthält für das Restrukturierungsverfahren eine entsprechende Regelung. Es spricht vieles dafür, die besonderen in der Person des Schuldners oder der 190 geschäftsführenden Gesellschafter liegenden Umstände weit zu fassen. Schon die Bereitschaft des Schuldners oder des geschäftsführenden Gesellschafters, nach einem im Übrigen erfolglosen M&A Prozess, das schuldnerische Unternehmen auf Grundlage einer plausiblen, aber ggf. ambitionierten Unternehmensplanung fortzuführen und damit den Insolvenzgläubigern die als Masseverbindlichkeiten qualifizierten Auslaufkosten während der Kündigungsfristen für Arbeitnehmer und Vermieter gemäß §§ 55, 109, 113, 123 InsO bei zumeist sinkenden Umsätzen zu ersparen, dürfte ein in der Person des Schuldners oder der geschäftsführenden Gesellschafter liegender Umstand sein, der für die Realisierung des Planwertes unerlässlich ist. Damit bleibt die Frage, wie der Begriff des Wertes zu definieren ist, der dem 191 Schuldner bzw. seinen geschäftsführenden Gesellschaftern durch den Insolvenzplan zukommt. Ist Liquidität, die in dem durch den Insolvenzplan (oder den Restrukturierungsplan) entschuldeten, schuldnerischen Unternehmen verbleibt, bereits ein Wert i. S. d. § 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO (bzw. § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG)? Eine Wertzuweisung in diesem Sinne muss nicht zwingend nur durch Zufluss, sie kann auch durch Behalten erfolgen. Dies wird bereits durch die Formulierung in § 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO deutlich, nach der der Schuldner oder eine an dem Schuldner beteiligte Person unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Nichterbringung einer Ausgleichsleistung einen Wert erhalten bzw. beteiligt bleiben kann. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob hierin die Zuwendung eines wirtschaftlichen Wertes gesehen werden kann. Diese Frage stellt sich bei § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG erst recht, da, anders als beim Insolvenzplanverfahren, hier eine Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens angestrebt wird, und damit die Geschäftsanteile nicht von vornherein wertlos sind. Braun-Herzig, StaRUG, § 27 Rn. 8.
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
192 Der Gesetzgeber stellt aber bereits in der Gesetzesbegründung zum § 245 InsO klar, dass nicht allein durch die im Plan angestrebte Unternehmensfortführung zwangsläufig die Zuwendung eines wirtschaftlichen Werts an den Schuldner vorliegt. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles zu betrachten. Insbesondere kommt es darauf an, ob die Leistungen, die der Schuldner nach dem Plan zu erbringen hat, den noch vorhandenen Wert des Unternehmens aufwiegen. Wenn kein Dritter bereit ist, anstelle des Schuldners das Unternehmen zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen, kann im Zweifel nicht angenommen werden, dass der Schuldner durch den Plan „einen wirtschaftlichen Wert erhält“. Begr. RegE § 245 InsO, BT-Drucks. 12/2443, 209, siehe auch BeckOK-Geiwitz/von Danckelmann, InsR, § 245 InsO Rn. 11.
193 Liegen die im Rahmen eines M&A-Prozesses abgegebenen (bindenden) Angebote bei maximal null oder liegt die auf Grundlage des besten Angebotes eines anderen Bieters zu erwartende Quote unterhalb der Quote, die die Insolvenzgläubiger auf Grundlage des Plans erhalten, der das Unternehmen beim Schuldner bzw. den geschäftsführenden Gesellschaftern belässt, ist dieses mit dem in der Gesetzesbegründung genannten Fall eines fehlenden Angebotes vergleichbar. 194 Wurde kein Angebot abgegeben, ist ein M&A-Prozess im Einzelfall nicht möglich oder nicht hinreichend fortgeschritten, sollte jedoch eine IDW S1Bewertung oder jedenfalls eine Fairness-Opinion eingeholt werden. 195 Mindestens sollte eine bilanzielle und damit statische Betrachtung durch eine Substanzwertermittlung zum Stichtag erfolgen, d. h., die beim Schuldner verbleibenden Aktiva werden den zu übernehmenden Passiva (auch aus den Restlaufzeiten der Dauerschuldverhältnisse) gegenübergestellt. Ist der so ermittelte Saldo null oder negativ, ist kein Mehrwert gegeben. Auch die Erhöhung des inhärenten Optionswerts durch Minderung des negativen Eigenkapitalwertes durch den Schuldenschnitt kann in diesem Fall nicht als Wertzufluss i. S. d. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO oder § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG angesehen werden, da der wirtschaftliche Wert des Unternehmens unverändert null beträgt. 196 Sofern der Substanzwert positiv ist, führt dies nicht zwangsläufig zu einem (Mehr-)Wert. Vielmehr sind in diesen Fällen die prognostizierbaren Ergebnisse nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit einzubeziehen (Ertragswert). HambKo-Thies, InsO, § 245 Rn. 14, mit Verweis auf UhlenbruckLüer/Streit, § 245 Rn. 27; Braun-Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 13.
197 Allerdings dürfen Ertragswert und Substanzwert nicht zu einem Gesamtsaldo zusammengerechnet werden, HambKo-Thies, InsO, § 245 Rn. 14,
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
sondern können lediglich nebeneinander abgewogen werden. Auch ein gewichteter Durchschnitt aus Substanz- und Ertragswert ist möglich (sog. Praktiker-Methode). Dabei wird deutlich, dass auch möglicherweise stehengelassenes Startkapital 198 in Form von freier Liquidität nicht per se eine Wertzuweisung darstellt. Entweder kann im Rahmen eines M&A-Prozesses festgestellt worden sein, dass trotz dieses Startkapitals kein Dritter bereit ist, anstelle des Schuldners das Unternehmen fortzuführen, oder die übernommenen Passiva übersteigen den Gesamtwert der beim Schuldner verbleibenden Vermögensgegenstände (alternativ Ertragswert ist null oder negativ). Wird ein Wert für das Unternehmen größer null ermittelt, muss der Schuld- 199 ner bzw. dessen Anteilseigner insoweit einen Investorbeitrag als Wertausgleich leisten. e) Planbestätigung, Rechtsmittel und Verfahrensaufhebung Haben alle Gruppen dem Insolvenzplan mit den erforderlichen Mehrheiten 200 zugestimmt oder ist die Zustimmung auf Grundlage des Obstruktionsverbots ersetzt, prüft das Insolvenzgericht, ob der Schuldner dem Insolvenzplan gemäß § 247 Abs. 1 InsO zugestimmt hat. Ist dies der Fall, kann die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Gericht nach § 248 InsO erfolgen, sofern kein Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des § 250 InsO vorliegt und kein Antrag auf Minderheitenschutz nach § 251 InsO gestellt hat Gemäß § 251 Abs. 1 InsO ist die Bestätigung des Insolvenzplans auf Antrag 201 eines Gläubigers bzw. einer am Schuldner beteiligten Person wegen Minderheitenschutz zu versagen, wenn der Antragsteller x
dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle widersprochen hat
und x
durch den Plan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde.
Nach § 251 Abs. 2 InsO muss der Antragsteller die Schlechterstellung glaub- 202 haft machen. Der Antrag ist gemäß § 251 Abs. 3 InsO abzuweisen, wenn im gestaltenden 203 Teil des Plans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist. Ob der Beteiligte einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären. Insolvenzpläne enthalten heutzutage regelmäßig Regelungen, die den Anforderungen des § 251 Abs. 3 InsO entsprechen. Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestä- 204 tigung versagt wird, steht den Gläubigern, dem Schuldner und, wenn dieser 53
A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz
keine natürliche Person ist, den am Schuldner beteiligten Personen gemäß § 253 Abs. 1 InsO die sofortige Beschwerde zu. 205 Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass der Insolvenzverwalter nicht beschwerdebefugt ist. Dies gilt, obwohl der Insolvenzverwalter aufgrund seines originären Initiativrechts durchaus ein eigenes Interesse an der angefochtenen Entscheidung haben kann, wenn sein Insolvenzplan abgelehnt wird. 206 Die Beschwerde ist gemäß §§ 4, 6 Abs. 2 InsO i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen. Die Frist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung über den Plan zu laufen. Die Beschwerde kann durch Einreichung einer Beschwerdeschrift beim Insolvenzgericht oder beim Beschwerdegericht gemäß § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben werden (§ 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Vor dem Insolvenzgericht besteht kein Anwaltszwang, selbst wenn die Beschwerde an das Landgericht abgegeben wird (§ 4 InsO i. V. m. mit § 78 Abs. 3 ZPO). 207 Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestätigung versagt wird. Über Insolvenzplanverfahren, die ab dem 1.1.2013 beantragt wurden, entscheidet gemäß Art. 103g Satz 2 EGInsO i. V. m. § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG nur noch der Richter, nicht mehr (auch) der Rechtspfleger. 208 Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass das Insolvenzgericht die Vorschriften über die Bestätigung des Insolvenzplans verletzt hat. Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer durch die Entscheidung beschwert sein. Seit Inkrafttreten des ESUG verlangt § 253 Abs. 2 InsO im Falle der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans neben der materiellen nun auch eine formelle Beschwer. Auf formeller Seite muss der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen (Nr. 1) und gegen ihn gestimmt haben (Nr. 2). Legt demnach ein nicht stimmberechtigter Beteiligter Beschwerde ein, scheitert diese bei ordnungsgemäßer Ladung jedenfalls an Nr. 2. HK-Haas, InsO, § 253 Rn. 4 ff.; Braun-Braun/Frank, InsO, § 253 Rn. 2 ff.; HambKo-Thies, InsO, § 253 Rn. 6 ff.; vgl. auch MüKo-Sinz, InsO, § 253 Rn. 11, 23 ff., der § 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO für nicht stimmberechtigte Gläubiger aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG einschränkend auslegen will.
209 § 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO gelten nur, wenn in der öffentlichen Bekanntmachung des Termins (§ 235 Abs. 2) und in den Ladungen zum Termin (§ 235 Abs. 3) auf die Notwendigkeit des Widerspruchs und der Ablehnung des Plans besonders hingewiesen wurde. Investor, dessen Berater und der Sachwalter oder Insolvenzverwalter sollten den Ladungstext und die öffentliche Bekanntmachung mit dem Insolvenzgericht abstimmen und damit dafür Sorge tragen, dass § 253 Abs. 3 InsO Anwendung findet. Die Formulare der Justiz sind nicht immer frei von Fehlern.
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V. Phase 3: Unternehmenskauf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
In materieller Hinsicht muss der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass 210 er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden könne (Nr. 3). Auf den Fall der Beschwerde gegen die Versagung der Bestätigung findet § 253 Abs. 2 InsO seinem Wortlaut nach schon keine Anwendung. Hier ist eine materielle Beschwer ausreichend, etwa dadurch, dass dem Beschwerdeführer durch den Plan zugedachte Leistungen entgehen. Sofern die Zustimmung aller Gruppen vorliegt, kein Rechtsmittel eingelegt 211 wurde bzw. alle Rechtsmittel zurückgewiesen wurden, erwächst der Insolvenzplan nach Zustimmung des Schuldners und Bestätigung durch das Insolvenzgericht in Rechtskraft. Mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses werden alle Verfahrensmängel geheilt und die Rechtswirkungen des Insolvenzplans treten ein. Der Erlass von Forderungen kommt dabei nur dem Schuldner bzw. der Schuldnerin, ggf. gruppeninternen Drittsicherheitengebern und ggf. den persönlich haftenden Gesellschaftern zugute, nicht aber mithaftenden Dritten oder Sachen (§ 254 Abs. 2 InsO). Im Falle eines „Debt-EquitySwaps“ gemäß § 225a InsO kann der Schuldner nach § 254 Abs. 4 InsO keine Ansprüche wegen einer Überbewertung der Forderungen im Plan gegen die bisherigen Gläubiger geltend machen. Gleiches gilt in einer etwaigen Folgeinsolvenz für den weiteren Insolvenzverwalter. Die Bewertung der Forderung kann insoweit nur im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens selbst angegriffen werden. Nach gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans besteht folglich kein Haftungsrisiko mehr wegen nachträglich festgestellter Überbewertung der Forderung. Ferner ersetzt der Plan das Erfordernis eines Beschlusses der Gesellschafter- oder Hauptversammlung sowie etwaiger weiterer Erklärungen oder Maßnahmen, da diese nach § 254a Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO als abgegeben bzw. bewirkt gelten. Gemäß § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Anmeldung beim Registergericht vorzunehmen. Vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter bzw. 212 der eigenverwaltende Schuldner gemäß § 258 Abs. 2 InsO die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit gemäß §§ 232 ff. BGB zu leisten. Für die nicht fälligen Masseansprüche kann auch ein Finanzplan vorgelegt werden, wonach die Erfüllung gewährleistet ist. Letzteres ist die Regel in der Praxis. Verletzt der Insolvenzverwalter oder die eigenverwaltende Geschäftsführung diese Pflicht, so haftet er bzw. sie bei etwaigen Ausfallschäden gemäß § 60 InsO. Das Insolvenzgericht beschließt nach Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, § 258 Abs. 1 InsO, die gemäß §§ 258 Abs. 3 Satz 2 und 4, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO nach Ablauf zwei weiterer Tage wirksam wird. Soll die Wirksamkeit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zur Vermeidung eines untermonatlich beginnenden Rumpfgeschäftsjahres nach der Wirksamkeit der Verfahrensaufhebung,
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A. Phasen für den Unternehmenskauf in der Krise/Insolvenz HambKo-Denkhaus, InsO, § 155 Rn. 8b; IDW RH HFA 1.012, Rn. 26. (Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren),
also am Monatsletzten erfolgen, muss der Beschluss bei einem Monat mit 31 Tagen am 29. Tag ergehen und sofort veröffentlicht werden, damit die Wirksamkeit am 31. um 24:00 Uhr eintritt. 213 Die im Insolvenzplan festgelegten Ansprüche der Insolvenzgläubiger sind entsprechend den Planangaben zu befriedigen. Um schließlich den Schuldner zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Plans zu bewegen, sieht § 255 InsO den Wegfall etwaiger Stundungen und Erlasse vor, soweit er sich mit der Erfüllung erheblich im Rückstand befindet. Gleichzeitig können die Gläubiger aus dem Plan i. V. m. der ihre Forderung ausweisenden Tabelle die Vollstreckung wie aus einem vollstreckbaren Urteil (d. h. ohne Sicherheitsleistung) betreiben. 214 Gegebenenfalls schließt sich noch eine im Plan vereinbarte Überwachung der Planerfüllung nach Maßgabe der §§ 260 ff. InsO an. Im Ergebnis kann der Erwerber beim Erwerb der Anteile im Zusammenhang mit der Rechtskraft des Insolvenzplans eine angemessen entschuldete Gesellschaft erwerben.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren 1. „Beteiligte“ des Insolvenzverfahrens Beteiligte des Insolvenzverfahrens im formellen Sinne sind der Schuldner, das 215 Insolvenzgericht, der Insolvenzverwalter oder Sachwalter sowie die Insolvenzgläubiger und deren Organe (Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss). Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, Einl. Rn. 70 ff.
Im Hinblick auf die Konsequenzen, namentlich für das Recht auf Aktenein- 216 sicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 4 InsO, wird man jedenfalls im eröffneten Verfahren auch die Massegläubiger, Aus- und Absonderungsberechtigte sowie die Mitglieder des Gläubigerausschusses zu den Beteiligten des Insolvenzverfahrens im formellen Sinne rechnen müssen. H. M., siehe z. B. MüKo-Ganter/Bruns, InsO, § 4 Rn. 61; Jaeger-Gerhardt, InsO, § 4 Rn. 21; Heeseler, ZInsO 2001, 873 ff.; HK-Sternal, InsO, § 4 Rn. 14; Uhlenbruck-Pape, InsO, § 4 Rn. 29.
Davon zu unterscheiden sind die „Beteiligten“ gemäß § 60 InsO, die poten- 217 zielle Ersatzberechtigte im Rahmen der Verwalterhaftung sind. Hier gilt nach ganz herrschender Ansicht der sog. materielle Beteiligtenbegriff: Beteiligte in diesem Sinne sind alle Personen, denen gegenüber der Insolvenzverwalter, eigenverwaltende Schuldner bzw. der Sachwalter insolvenzspezifische Pflichten hat. HK-Lohmann, InsO, § 60 Rn. 5; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 6.37 f.; Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 60 Rn. 13; Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 60 Rn. 9; enger wohl MüKoSchoppmeyer, InsO, § 60 Rn. 5 ff.
Im Falle der übertragenden Sanierung aber auch beim Unternehmenskauf auf 218 Grundlage eines Insolvenzplans spielen insbesondere aus Käufersicht noch weitere Personen oder Personengruppen eine Rolle, die weder im formellen noch im materiellen (Rechts-)Sinne Beteiligte des Insolvenzverfahrens, aber für die Fortführung des Unternehmens in einer Auffanggesellschaft unentbehrlich sind. Bei der Vorbereitung der übertragenden Sanierung sind als weitere Stakehol- 219 der einzubeziehen: x
Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter/Betriebsrat und Gewerkschaft;
x
Kunden;
x
Lieferanten;
x
ggf. Vermieter, Lizenzgeber und sonstige Vertragspartner im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen.
57
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
220 In vielen Insolvenzszenarien ist das künftige Verhältnis zu den wesentlichen Lieferanten und Kunden von herausragender Bedeutung für den Erfolg der (übertragenden) Sanierung. Paradebeispiel ist die Insolvenz von Automobilzulieferern oder -händlern. Dabei ist die Kommunikation und enge Abstimmung in Vorbereitung der (übertragenden) Sanierung mit den Kunden/Auftraggebern wie auch mit den Vertragspartnern im Hinblick auf die Stellung als Vertragshändler von entscheidender Bedeutung. Die (übertragende) Sanierung steht und fällt mit dem zukünftigen Verhalten der Automobilhersteller hinsichtlich der Auftragsvergabe und des Händlervertrages. Aber auch in anderen Branchen ist die Kunden- und Lieferantenpflege durch den Insolvenzverwalter bzw. den eigenverwaltenden Schuldner in Vorbereitung der übertragenden Sanierung für das Überleben des Unternehmens unerlässlich. Zu der Gruppe der sog. Stakeholder und ihrer Einbeziehung im Rahmen der Unternehmenssanierung vgl. aus betriebswirtschaftlicher Sicht z. B. Bickhoff/Blatz/Eilenberger/Haghani/KrausBuschmann, Die Unternehmenskrise als Chance, S. 197 ff.
221 Im Folgenden wird der Begriff der „Beteiligten“ als Oberbegriff sowohl für all diejenigen Personen bzw. Gruppen verwendet, die im Rahmen einer übertragenden Sanierung zwingend zu beteiligen sind, als auch für solche Dritte, deren Interessen in besonderer Weise zu berücksichtigen sind. Ausführliche systematische Darstellung der Beteiligten mit allen Rechten und Pflichten z. B. bei Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Teil 4. Rn. 2 ff.
2. Die Beteiligten einer (übertragenden) Sanierung im Einzelnen a) Der Insolvenzverwalter 222 Zentrale Figur des Insolvenzverfahrens, bei dem keine Eigenverwaltung angeordnet ist, ist der Insolvenzverwalter. Seine Auswahl gilt daher mit Recht als „Schicksalsfrage“ des Insolvenzverfahrens. Uhlenbruck-Uhlenbruck, InsO, § 56 Rn. 1 unter Bezugnahme auf die klassische Formulierung bei Ernst Jaeger. „Die Aufgaben des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren darzustellen, würde praktisch den Versuch bedeuten, eine Gesamtdarstellung des Insolvenzrechts zu geben.“ Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 14 Rn. 30.
223 Durch das ESUG hat sich allerdings vieles geändert; insbesondere bei Insolvenzverfahren großer Mittelständler und von Konzernen oder Konzerngesellschaften ist die Bestellung eines Insolvenzverwalters die Ausnahme und die Anordnung der Eigenverwaltung der Regelfall. In diesen Fällen ist die Auswahl der Berater – zumeist Rechtsanwälte, die auch als Insolvenzverwalter tätig sind – die Schicksalsfrage des Verfahrens, wobei auch die Person des zuständigen Insolvenzrichters bzw. der zuständigen Insolvenzrichterin schicksalhaft sein kann. Die Person des zu bestellenden Sachwalters hat selbstre-
58
I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
dend auch nicht unerheblichen Einfluss auf den Verfahrensverlauf und damit den Sanierungserfolg. Die folgenden Ausführungen müssen sich in Bezug auf den Insolvenzverwal- 224 ter (und zugleich auf den eigenverwaltenden Schuldner) auf eine holzschnittartige Darstellung der wesentlichen Fragen beschränken, die für eine Unternehmensveräußerung von Bedeutung sind. aa) Rechtsstellung des Insolvenzverwalters Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters ist in der Wissenschaft nach wie 225 vor umstritten. Vgl. die Darstellungen des Streitstandes bei Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 15.01 ff. und MüKO-Graeber, InsO, § 56 Rn. 142 ff.
Für die Praxis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts und 226 des BGH von der sog. Amtstheorie auszugehen, MüKo-Graeber, InsO, § 56 Rn. 146; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.10.1983 – I ARZ 334/83, ZIP 1984, 82 ff.,
nach welcher der Insolvenzverwalter kraft des ihm übertragenen Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen ausübt. Daher ist der Insolvenzverwalter im eigenen Namen Vertragspartei des Un- 227 ternehmenskaufvertrages. Er tritt weder als Vertreter noch als Organ des Schuldnerunternehmens bzw. des Unternehmensträgers oder der Insolvenzmasse auf. Sein Name ist – versehen mit einem Verwalterzusatz – ins Rubrum des Vertrages als Verkäufer aufzunehmen: Kaufvertrag zwischen N. N., handelnd nicht für sich persönlich, sondern ausschließlich handelnd als Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der XYGmbH, – Verkäufer – und der Firma ABC GmbH – Käuferin –. Ist hingegen Eigenverwaltung angeordnet, handelt das Unternehmen, vertreten 228 durch die vertretungsberechtigten Organe und (im Innenverhältnis) mit Zustimmung des Sachwalters.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
229 Für vertragliche und nachvertragliche Pflichten der Parteien ist er materiell berechtigt und verpflichtet, für sich aus dem Unternehmenskauf eventuell ergebende Prozesse ist er als Partei kraft Amtes aktiv- wie passivlegitimiert. 230 Seine Legitimation leitet der Insolvenzverwalter ausschließlich aus seiner Bestellung her, selbst wenn er sein Amt durch Wahl der Gläubigerversammlung nach § 57 InsO erhält. MüKo-Graeber, InsO, § 56 Rn. 142.
231 Alle seine Maßnahmen, einschließlich der Veräußerung des Schuldnerunternehmens, unterstehen nach § 58 InsO der Aufsicht des Insolvenzgerichts. bb) Aufgaben des Insolvenzverwalters/Verfahrensziele 232 Der Insolvenzverwalter hat die vielfältigen unterschiedlichen Interessen der Beteiligten miteinander in Einklang zu bringen, er ist „mehrseitig fremdbestimmter Liquidator“. Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 14 Rn. 2.
233 Seine Aufgaben orientieren sich an den Zwecken des Insolvenzverfahrens und ergeben sich mithin in erster Linie aus § 1 InsO. Danach stehen die Interessen der Gläubiger im Vordergrund, ihre „gemeinschaftliche Befriedigung“ bildet das Primärziel des Verfahrens. Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 3 ff.
234 Die Befriedigung der Gläubiger kann prinzipiell auf zwei verschiedene Weisen erfolgen: durch Liquidation, also durch Verwertung des Schuldnervermögens, oder durch die Erhaltung und Sanierung im Rahmen eines Insolvenzplans. Im Rahmen der Verwertung können die Wirtschaftsgüter einzeln veräußert werden; damit ist die Zerschlagung des Unternehmens verbunden. Daneben kann die Verwertung aber auch durch Veräußerung des Unternehmens als Ganzes erfolgen. Hierfür hat sich der Begriff der „übertragenden Sanierung“ eingebürgert. Der Begriff wurde geprägt von K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336.
235 Einige Autoren bevorzugen die Formulierung „sanierende Übertragung“, z. B. Hölzle, DStR 2004, 1433 ff., insbesondere Rn. 14,
ohne dass damit ein Unterschied in der Sache verbunden wäre. 236 Die „sanierende Übertragung“ oder „übertragende Sanierung“ wird schon dem Namen nach durch zwei Elemente definiert: 237 Rechtstechnisch handelt es sich um eine „Übertragung“, nämlich um die Übertragung der einzelnen Wirtschaftsgüter, die zur Masse eines insolventen Unternehmens gehören. Insoweit ist die übertragende Sanierung nichts anderes als ein sog. Asset Deal.
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
Es werden jedoch nicht – dies ist der Unterschied zum klassischen Unter- 238 nehmenskauf – Aktiva und Passiva des Unternehmens übertragen. Die (finanzwirtschaftliche) Sanierung besteht darin, dass die Aktivmasse von dem bisherigen Vermögensträger getrennt wird mit der Folge, dass die Verbindlichkeiten bei dem Vermögensträger verbleiben und der Erwerber die Aktivmasse ohne die Verbindlichkeiten erwirbt. Soll und Haben des Unternehmens werden gespalten, der Erwerber erhält das Haben, der Soll verbleibt in der Insolvenzmasse. Hölzle, DStR 2004, 1433, 1434.
Saniert wird also das Unternehmen als solches, nicht dessen Rechtsträger. 239 Hinsichtlich des Rechtsträgers ist die übertragende Sanierung nichts anderes als eine Liquidation. Die Begründung zum Regierungsentwurf definiert die übertragende Sanie- 240 rung als „die Übertragung eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils von dem insolventen Träger auf einen anderen, bereits bestehenden oder neu zu gründenden Rechtsträger.“ BT-Drucks. 12/2443, 71 ff.
In diesem Sinne wird der Begriff der übertragenden Sanierung auch vorlie- 241 gend verstanden und benutzt. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird die übertragende Sanierung 242 ausdrücklich als gleichrangiges Instrument neben der Sanierung des Schuldners bezeichnet und allen rechtspolitischen Forderungen, die übertragende Sanierung gesetzlich zu erschweren und gegenüber dem Planverfahren zurückzudrängen, eine Absage erteilt. Vgl. BT-Drucks. 12/2443, 94.
Gemäß § 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, eine Sa- 243 nierung des Schuldnerunternehmens in sein Kalkül einzubeziehen. Auch der Insolvenzplan ist freilich „Mittel der Gläubigerbefriedigung“, die Sanierung des Unternehmensträgers ist als solche kein Selbstzweck. Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 7.
Allerdings wäre im Rahmen der Gläubigerautonomie auch ein reiner Sanie- 244 rungsplan denkbar, der die Sanierung des Schuldnerunternehmens ohne den Aspekt der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zum primären Ziel hat. In der Praxis wird sich ein solcher Plan allerdings kaum durchsetzen lassen; die Regelungen der §§ 245, 251 InsO lassen die Obstruktion von Gläubigergruppen und einzelnen Gläubigern zu, die durch den Insolvenzplan schlechter gestellt werden, als sie ohne ihn stünden. Es besteht daher eine vom Gesetzgeber vorgegebene „Hierarchie der Insolvenzzwecke“. MüKo-Stürner, InsO, Einl. Rn. 3.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
245 § 1 Satz 1 InsO führt den „Erhalt des Unternehmens“ als Beispiel für einen möglichen Inhalt eines Insolvenzplans an. Hierunter wird gewöhnlich, in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des Gesetzgebers, die Sanierung des Rechtsträgers verstanden. Der Gesetzgeber wollte den Beteiligten mit dem Planverfahren in erster Linie (aber nicht ausschließlich) die Möglichkeit eröffnen, auf eine Verwertung des Schuldnervermögens zu verzichten und die Befriedigung der Gläubiger in anderer Weise zu regeln. 246 Das Institut des Insolvenzplans kann jedoch unstreitig auch als Mittel für eine Zerschlagung oder eine übertragende Sanierung eingesetzt werden. Kübler/Prütting/Bork-Prütting, InsO, § 1 Rn. 24; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rn. 17 f.
247 In der Praxis stehen der Verwendung des Insolvenzplanverfahrens für eine Liquidation, vor allem aber für eine übertragende Sanierung, Hindernisse entgegen. Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 15 ff.
248 Die Nachteile des Insolvenzplanverfahrens zur Umsetzung einer übertragenden Sanierung liegen vor allem in zeitlicher Hinsicht auf der Hand: Die Aufstellung eines Insolvenzplans bedarf einer gewissen Zeit. Das Verfahren zur Annahme und Bestätigung des Insolvenzplans ist aufwendiger in inhaltlicher wie zeitlicher Hinsicht. Schuldner wie Gläubigern steht gegen die Bestätigung des Plans der Rechtsweg offen (§§ 251, 253 InsO). Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn., 15.
249 Auch wenn der Insolvenzverwalter mit einem sog. „Prepacked-Plan“ in die Verhandlungen mit einem potenziellen Erwerber des Unternehmens eintritt, lösen sich diese Schwierigkeiten nicht auf. Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall weder die Annahme des Plans durch die Gläubigerversammlung garantieren noch absehen, ob Schuldner und/oder Gläubiger Rechtsmittel ergreifen werden und wie lange es ggf. bis zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel dauert. Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 15.
250 Es wird daher nur in Ausnahmefällen vorkommen, dass ein Insolvenzverwalter, der eine Möglichkeit sieht, das Unternehmen als Ganzes im Wege eines Asset Deals zu veräußern, hierzu das Planverfahren wählt. Ebenso Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 16.
251 In der Praxis sind jedoch kombinierte Modelle immer häufiger anzutreffen. Beispiele hierfür sind: x
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Übertragung sämtlicher Assets eines Filialnetzes (Einzelhändler, Hotelbetreiber) im Wege des Asset Deals bei gleichzeitiger Untervermietung der Filialen an den Unternehmenserwerber; nachgelagerter Insolvenzplan, bei dem der Erwerber auf Grund von Kapitalmaßnahmen die Antei-
I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
le am Schuldner und damit im Ergebnis auch die Mietverträge übernimmt. Im Anschluss Verschmelzung des Schuldners mit dem Unternehmenserwerber. x
Übertragung des gesamten Unternehmens im Wege des Asset Deals; nachgelagerter Insolvenzplan, bei dem der Erwerber auf Grund von Kapitalmaßnahmen die Anteile am Schuldner und damit im Ergebnis (nur noch) die (Verbraucher-)Kundendaten übernimmt. Im Anschluss Verschmelzung des Schuldners mit dem Unternehmenserwerber.
Seit dem Inkrafttreten des ESUG werden gut vorbereitete Insolvenzplanver- 252 fahren allerdings im Schnitt in einem Zeitraum von vier bis sechs Monaten zwischen Insolvenzantragstellung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgewickelt, sodass insbesondere bei Unternehmen, bei denen der Erhalt des Rechtsträgers große Bedeutung hat (bspw. Filialisten, Krankenhausträger, Fluglinien) der Insolvenzplan, zumeist gepaart mit der Eigenverwaltung ein probates Sanierungsinstrument ist. Ferner ist ein Insolvenzplanverfahren in Erwägung zu ziehen, wenn im Rahmen 253 der (übertragenden) Sanierung das Unternehmen eines Einzelkaufmanns oder einer Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Vollhafter übertragen werden soll. Hier kann im Insolvenzplan geregelt werden, welche gegenwärtigen Vermögensgegenstände und welche Teile der künftigen Erträge dem Einzelkaufmann verbleiben sollen oder welche Zahlungen mit dem Ziel der vorzeitigen Restschuldbefreiung bzw. Gesellschafterenthaftung gemäß § 227 Abs. 2 InsO durch einen Insolvenzplan an die Gläubiger geleistet werden. Vgl. hierzu auch Wellensiek, NZI 2002, 233, 238.
cc) Verfügungs- und Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das 254 Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Auch durch einen Verstoß gegen Mitwirkungsrechte des Gläubigerausschusses, der Gläubigerversammlung und des Schuldners nach §§ 160 – 163 InsO wird die Wirksamkeit von Verfügungen des Insolvenzverwalters nicht berührt (§ 164 InsO). Was zur Insolvenzmasse gehört, ergibt sich aus der Legaldefinition in 255 § 35 InsO: „das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.“ Weil nur pfändbare Gegenstände dem Haftungszugriff der Gläubiger unter- 256 liegen, beschränkt sich die Masse gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO auf pfändbares Vermögen. Das Unternehmen „als solches“ ist selbst kein feststehender Rechtsbegriff. 257 Nach einer verbreiteten Definition versteht man darunter eine „Gesamtheit
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
von Sachen und Rechten, tatsächlichen Beziehungen und Erfahrungen sowie unternehmerischen Handlungen“. Ballerstedt, ZHR 134 (1970) 251, 260; diese Definition wird z. B. benutzt von Picot-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I Rn. 6; ähnlich Holzapfel/Pöllath/Bergjan/Engelhardt, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 10 ff.: „stetig verändernde Gesamtheit von Sachen, Rechten, Verträgen, Wissen, Mitarbeiter, organisatorischen Strukturen, tatsächlichen Beziehungen, Geschäftschancen und vielem mehr“.
258 Das Unternehmen bildet also einen Inbegriff von Vermögenswerten rechtlicher und tatsächlicher Art. Als solcher unterliegt es nicht der Vollstreckung. Gleiches gilt für die inbegriffenen „tatsächlichen Vermögenswerte“. Gleichwohl gehört das Unternehmen nach allgemeiner Auffassung „als Ganzes“ zur Masse; dies folgt nach zutreffender Ansicht bereits aus den §§ 120 bis 128, 158, 160 Abs. 2 Satz 1, 162, 163 InsO. HK-Ries, InsO, § 35 Rn. 30; Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 9; Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 268 f.
259 In dieser Hinsicht geht der Insolvenzbeschlag also weiter als die Beschlagnahme im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung. 260 Der Insolvenzverwalter ist mithin im Grundsatz befugt, über das Unternehmen im Ganzen zu verfügen. 261 Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen Soll- und Istmasse. § 35 InsO definiert die Sollmasse als das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners. Nur die Sollmasse wird vom Insolvenzbeschlag erfasst. Die Istmasse umfasst diejenige Masse, die der Insolvenzverwalter vorfindet, wenn er das Schuldnervermögen in Besitz nimmt, einschließlich derjenigen Gegenstände, die nicht im Eigentum des Schuldners stehen. Die Istmasse ist daher vor einer Verwertung zunächst zur Sollmasse zu bereinigen. Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 47.
262 Die Verwertung der Sollmasse ist gemäß § 159 InsO die Pflicht des Insolvenzverwalters. 263 Eine Form der Verwertung nach § 159 InsO ist die übertragende Sanierung. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 159 Rn. 47.
264 Die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters umfasst nach Maßgabe der §§ 165 ff. InsO in vielen Fällen auch die Verwertung von Gegenständen, an denen ein Absonderungsrecht besteht. Namentlich sind dies Grundstücke (§ 165 InsO), bewegliche Gegenstände, die der Insolvenzverwalter im Besitz hat (§ 166 Abs. 1 InsO) sowie Forderungen, die zur Sicherheit abgetreten sind (§ 166 Abs. 2 InsO). Damit ist das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters im Gegensatz zur Rechtslage unter der Konkursordnung für drei wich-
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
tige Fälle von Absonderungsrechten, die auch im Rahmen übertragender Sanierungen eine Rolle spielen, gesetzlich anerkannt. Anders ist die Rechtslage für diejenigen mit einem Absonderungsrecht be- 265 lasteten Gegenstände, die zumindest dem Wortlaut nach nicht von §§ 165, 166 InsO erfasst werden. Dabei geht es einerseits um rechtsgeschäftliche Pfandrechte an beweglichen Sachen und an Rechten, Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, § 166 Rn. 12,
andererseits um zur Sicherheit abgetretene Rechte, die keine Forderungen sind. HK-Hölzle, InsO, § 166 Rn. 14.
Im Rahmen übertragender Sanierungen dürften innerhalb der zuletzt genannten 266 Fallgruppe insbesondere Immaterialgüterrechte und Beteiligungen von besonderer Bedeutung sein. Auf die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten wird zurückgekommen. b) Schuldner/Geschäftsführer Dem Schuldner – das wird in den meisten Fällen einer Unternehmensver- 267 äußerung aus der Insolvenz eine Gesellschaft sein – kommen im Regelinsolvenzverfahren mit Bestellung eines Insolvenzverwalters grundsätzlich keine Befugnisse mehr zu. In der Praxis sieht dies oft anders aus, da das „Knowhow“ des Unternehmens in vielen Fällen mit der Person des Geschäftsführers eng verbunden ist. Faktisch leitet dann häufig der bisherige Geschäftsführer das Unternehmen unter Aufsicht des Insolvenzverwalters in dessen Auftrag weiter. Wenn diese Situation gegeben ist, dann ist eine Abstimmung des Insolvenz- 268 verwalters mit der Geschäftsleitung vor und während einer Veräußerung des Unternehmens aus tatsächlichen Gründen unumgänglich, wenn man nicht Gefahr laufen will, den Know-how-Träger zu verlieren. Umgekehrt ist auch ein Kontakt des Erwerbers mit der Geschäftsleitung im 269 Rahmen der Due Diligence dringend ratsam, da diese das Unternehmen in der Regel länger und besser kennt als der Insolvenzverwalter. Das ist insbesondere im Hinblick darauf von Bedeutung, dass der Insolvenzverwalter in aller Regel nicht die sonst bei Unternehmenskäufen üblichen Garantien abgeben wird. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 40 f.
Aus rechtlicher Sicht ist der Schuldner vor einer Veräußerung des Unter- 270 nehmens zu unterrichten, wenn sich die Veräußerung – was häufig der Fall sein wird – als „besonders bedeutsame Rechtshandlung“ darstellt (§ 161 Satz 1 InsO). Ist der Schuldner keine natürliche Person, sind die organschaftlichen Vertreter zu informieren.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 161 Rn. 2.
271 Sofern nicht die Gläubigerversammlung ihre Zustimmung erteilt hat, kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners und nach Anhörung des Insolvenzverwalters die Vornahme der „besonders bedeutsamen Rechtshandlung“ gemäß § 161 Satz 2 InsO untersagen. 272 Ist Eigenverwaltung angeordnet, dann bleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner, § 270 Abs. 1 InsO. Dies gilt auch für das Verwertungsrecht an Sicherungsgut (vgl. § 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 160 ff. InsO). 273 Der Schuldner steht in den Fällen der Eigenverwaltung unter der Aufsicht eines Sachwalters (§§ 270, 275 InsO). Insbesondere dürfen Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen werden. Dies dürfte für den Verkauf des Unternehmens als Ganzes stets zutreffen. 274 Die Insolvenzgerichte sind nach wie vor gegenüber dem Institut der Eigenverwaltung sehr zurückhaltend. Maßgebend dürfte dabei der viel geäußerte Gedanke sein, dass „der Bock nicht zum Gärtner gemacht“ werden dürfe. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270 Rn. 3.
c) (Vorläufiger) Sachwalter 275 Im Rahmen der der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß §§ 270a bis e InsO und der Eigenverwaltung gemäß §§ 270, 270f ff. InsO ist der Schuldner unter bestimmten, gesetzlich geregelten Bedingungen berechtigt, die Insolvenzmasse unter der Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters (eigen) zu verwalten. Die Rechtsstellung des (vorläufigen) Sachwalters richtet sich dabei nach §§ 270c, 274, 275 InsO und ähnelt der Stellung des ehemaligen Vergleichsverwalters i. S. d. §§ 39, 40 VerglO. Gottwald-Haas/Kahlert, Insolvenzrechts-Handbuch, § 89 Rn. 28.
276 Im Rahmen des vorgelagerten Insolvenzantragsverfahrens wird, sofern ein Antrag auf Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 Nr. 1 InsO gestellt wurde, gemäß § 270b, c InsO bereits ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt. Auf diesen finden die §§ 274, 275 InsO entsprechende Anwendung. Hierzu sogleich. 277 Die Beantwortung der Frage nach der Art der Bestellung des Sachwalters, den Anforderungen, die an seine Person zu stellen sind, nach der Reichweite der Beaufsichtigung durch das Insolvenzgericht sowie nach seiner Vergütung und persönlichen Haftung, richtet sich nach § 274 InsO. Diese Norm verweist jedoch auf die allgemeinen Regelungen in Bezug auf den Insolvenzverwalter, mit der Folge, dass dem Sachwalter eine dem Insolvenzverwalter insoweit zumindest ähnliche Stellung zukommt. Gottwald-Haas/Kahlert, Insolvenzrechts-Handbuch, § 89 Rn. 28.
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
Primäre Aufgabe des Sachwalters im Rahmen der Eigenverwaltung ist die Be- 278 aufsichtigung und Überwachung des Schuldners. Den Schuldner dagegen trifft beispielsweise bei der Vornahme von bestimmten Verfügungen die Pflicht, die Zustimmung des Sachwalters oder die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. Die Insolvenzgläubiger sind gemäß § 270f Abs. 2 InsO verpflichtet, ihre 279 Forderungen beim Sachwalter anzumelden. Er hat die Insolvenztabelle zu führen. In der Folge trifft den Sachwalter sodann eine Prüfungs- und Berichtspflicht hinsichtlich dieser Forderungen. Ebenso verhält es sich mit den im Rahmen der Eigenverwaltung durch den Schuldner selbst zu erstellenden Dokumenten, namentlich dem Vermögensverzeichnis, der Schlussrechnung sowie dem Verteilungsverzeichnis. MüKo-Kern, InsO, § 270 Rn. 145.
Um der Aufgabe der Überwachung und Prüfung gerecht werden zu können, 280 werden dem Sachwalter Zustimmungs- und Widerspruchsbefugnisse eingeräumt. In der Folge kann er im Zweifel Einfluss auf den Schuldner bzw. dessen Handlungen nehmen. So soll der Schuldner gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO beispielsweise Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen bedarf es gemäß § 276 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Im Zweifel ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung an, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners ausschließlich mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind, vgl. § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 277 Rn. 2 ff.
Anders als im Falle eines Regelinsolvenzverfahrens, bei dem ein (schwacher 281 oder starker) vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird, der nach Eröffnung sodann regelmäßig zum Insolvenzverwalter wird, mit der Folge, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auf den (starken vorläufigen) Insolvenzverwalter übergeht, verbleibt diese im Rahmen der Eigenverwaltung stets beim Schuldner. Er wird Amtswalter in eigener Sache, Kübler-Kübler, HRI, § 19 Rn. 6,
der nach Verfahrenseröffnung bestimmte, eigentlich dem Insolvenzverwalter zugewiesene Rechte wahrnehmen kann, dabei jedoch, wie dargestellt, der Aufsicht und dem Einverständnis des Sachwalters unterliegt. MüKo-Kern, InsO, § 270 Rn. 141.
Durch den Schuldner in dieser Eigenverwaltungsphase begründete Verbind- 282 lichkeiten der Insolvenzmasse werden zu privilegierten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 InsO. HambKo-Fiebig, InsO, § 270 Rn. 22.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
283 Insoweit ist der Schuldner in Eigenverwaltung auch Partei eines Unternehmenskaufvertrages, soweit das schuldnerische Unternehmen im Rahmen eines Asset Deals verkauft werden soll. Die Zustimmung des Sachwalters ist im Innenverhältnis gegenüber dem Schuldner zu erklären. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich, dass der Sachwalter dem Vertragsschluss durch Unterzeichnung/Teilnahme an der Beurkundung zustimmt. 284 Bestimmte, im Rahmen einer Insolvenz anfallende Aufgaben sind jedoch originäre des Insolvenzverwalters, mit der Folge, dass die Gesetzgebung diese Aufgaben auch im Rahmen der Eigenverwaltung gemäß § 280 InsO bei dem Sachwalter verortet. Dies betrifft die Geltendmachung der Haftung für einen Gesamtschaden gemäß § 92 InsO bzw. die persönliche Haftung der Gesellschafter gemäß § 93 InsO, praktisch jedoch wohl insbesondere die Anfechtung von die Insolvenzgläubiger benachteiligenden Rechtshandlungen des Schuldners gemäß §§ 129 ff. InsO. Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 280 Rn. 1 ff.
285 Die Umsetzung dieser Vorgaben stößt in der Praxis auf nicht unerhebliche Probleme, da das Gesetz davon ausgeht, dass die Eigenverwaltung kompetent genug ist, das Insolvenzverfahren, namentlich die Sanierung, selbst durchzuführen. Nicht selten waren in der Vergangenheit Eigenverwaltungsverfahren jedoch entweder unzureichend vorbereitet oder die Gesamtumstände bzw. fehlendes Know-how der Geschäftsführung verhinderten, dass das Verfahren in Eigenverwaltung durchgeführt werden kann. Dies stellt sich in vielen Fällen erst nachträglich im Rahmen des Eröffnungsverfahrens heraus. Zeitgleich muss der vorläufige Sachwalter die für die Gutachtenerstellung und die Überwachung des Verfahrens erforderlichen Informationen von den Verantwortlichen erhalten, insbesondere über die wirtschaftliche Lage und die Zielrichtung der Sanierung. Frind, NZI 2014, 937 ff.
286 Mit Inkrafttreten des SanInsFoG sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung auf Grundlage der ESUG-Evaluation deutlich verschärft worden. Insbesondere die detaillierten Voraussetzungen der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO werden dafür Sorge tragen, dass nur geeignete Schuldner das Privileg der Eigenverwaltung erhalten. So ist der Gesetzgeber in § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO der sich seit 2021 entwickelten Praxis gefolgt, die im Falle einer sich ankündigenden, aber noch nicht eingetretenen Insolvenzreife einen Sanierungsgeschäftsführer oder Generalhandlungsbevollmächtigten gemäß § 54 HGB mit insolvenzrechtlicher Expertise zu bestellen. 287 Soweit die Insolvenzreife nicht abgewendet werden können, ist der Geschäftsführer verpflichtet, einen Eröffnungsantrag gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 InsO zu stellen. Regelmäßig stellt der Sanierungsgeschäftsführer zugleich den Antrag gemäß § 270 Abs. 1 Nr. 1 InsO, ggf. gepaart mit einem sog. Schutz-
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
schirmantrag gemäß § 270d InsO, und benennt in diesem Zusammenhang bereits den gewünschten und ihm in der Regel bereits bekannten (vorläufigen) Sachwalter. Tatsächlich kommen die Insolvenzgerichte, unabhängig von einem Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 56a InsO, dieser Begehr regelmäßig nach, auch um kurze Einarbeitungszeiten und damit eine zügige Insolvenz zu gewährleisten. Die vorgenannten Risiken und Probleme werden auf diese Weise minimiert bzw. eliminiert. Der (vorläufige) Sachwalter hat als Aufsichtsorgan zu überwachen und damit 288 auch dafür Sorge zu tragen, dass der Schuldner insbesondere nach dem Gebot der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung handelt. In diesem Zusammenhang hat er auch regelmäßig seinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass ein Dual Track M&A Prozess durchgeführt wird, um den Marktwert des schuldnerischen Unternehmens zu ermitteln (zum Dual Track vgl. Rn. 133 ff. und 524 ff.). Nur in gut begründeten Ausnahmefällen kann ein solcher in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss unterbleiben. Andernfalls ist die Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung gemäß §§ 270e, 272 InsO angezeigt. d) Gesellschafter des Schuldnerunternehmens Die Gesellschafter der Schuldnerin zählen formell nicht zu den Beteiligten 289 des Insolvenzverfahrens. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die „übertragende Sanierung“ mit 290 Hilfe einer Auffanggesellschaft erfolgen soll, die der/die Gesellschafter des Schuldnerunternehmens gründen. Das bietet sich aus Verkäufersicht insbesondere dann an, wenn – wie häufig – der „Goodwill“ des Unternehmens tatsächlich „Goodwill“ des Gesellschafters ist, weil er in der Branche und/oder Region, in der das Unternehmen tätig ist, besonderes Ansehen genießt. Umgekehrt können die Gesellschafter (oder ein Teil von ihnen) Interesse an einer derartigen Auffanglösung haben, weil sie hierdurch die Chance wahren, aus zukünftigen Gewinnen einen Teil ihrer Investition zu amortisieren. Im Übrigen werden die Stellung und die gesellschaftsrechtlichen Befugnisse der 291 Gesellschafter von der Insolvenz der Gesellschaft im Grundsatz nicht berührt. Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rn. 137.
Diese Rechte werden im eröffneten Verfahren zwar vielfach ins Leere laufen, 292 z. B. ist das Weisungsrecht der GmbH-Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer angesichts der alleinigen Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters in der Regel kaum von Bedeutung. In der Literatur wird allerdings mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Gesellschafter immerhin den amtierenden Geschäftsführer abberufen und jederzeit neue Geschäftsführer bestellen und damit dem Unternehmen u. U. erheblichen Schaden zufügen können. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 40 f.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
293 In der (vorläufigen) Eigenverwaltung sind diese Befugnisse durch § 276a InsO eingeschränkt. Zwar wirkt sich dies, wenn der Insolvenzverwalter an dem bisherigen Geschäftsführer als seinem Beauftragten festhält, nicht unmittelbar auf die operative Leitung des Unternehmens aus. Es kann jedoch nach innen wie außen ein falsches Signal sein, gerade wenn der bisherige Geschäftsführer objektiv oder aus Sicht eines potenziellen Erwerbers, mit dem sich der Insolvenzverwalter in Verhandlungen über einen Verkauf des Unternehmens befindet, für das Unternehmen unentbehrlich ist. 294 Der in der einschlägigen Literatur den Insolvenzverwaltern gegebene Rat, mit den Gesellschaftern zumindest ein grundsätzliches Auskommen zu suchen, ist insoweit beherzigenswert. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 39.
e) Gläubiger 295 Beteiligte des Insolvenzverfahrens sind ferner – und eigentlich in erster Linie – die Gläubiger. 296 Der Begriff des Insolvenzgläubigers ist definiert in § 38 InsO („persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben“). 297 Keine Insolvenzgläubiger sind die Aussonderungsberechtigten (vgl. § 47 Satz 1 InsO). Sie werden außerhalb des Insolvenzverfahrens nach den allgemeinen (d. h. in der Regel nach zivilrechtlichen) Vorschriften befriedigt. 298 Am Verfahren teilnehmen können demgegenüber die Absonderungsberechtigten. Gemäß § 52 Satz 1 InsO sind sie Insolvenzgläubiger, soweit ihnen der Schuldner auch persönlich haftet. Sie partizipieren allerdings an der Befriedigung aus der Insolvenzmasse nur insoweit, als sie entweder auf abgesonderte Befriedigung verzichten oder mit einem Teil ihrer Forderung ausgefallen sind (§ 52 Satz 2 InsO). Die Absonderungsberechtigten nehmen entsprechend an der Gläubigerversammlung teil (§ 74 Abs. 1 InsO). 299 Gläubiger eigener Art sind die Massegläubiger nach § 53 InsO. Sie sind im Interesse einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens gegenüber den Insolvenzgläubigern privilegiert. Die Geltendmachung der Ansprüche der Massegläubiger vollzieht sich außerhalb des Insolvenzverfahrens. Im Rahmen der übertragenden Sanierung spielen sie bzw. die Höhe der Masseverbindlichkeiten allenfalls im Rahmen der Kaufpreisfindung eine Rolle. 300 Nach ihren wirtschaftlichen Interessen sind die Insolvenzgläubiger eine heterogene Gruppe. Im Rahmen einer Unternehmensinsolvenz treten in der Regel als Gläubiger auf: x
70
Arbeitnehmer;
I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
x
Banken;
x
Lieferanten & Dienstleister;
x
Vermieter/Verpächter;
x
Steuergläubiger und sonstige öffentliche Gläubiger.
Im Rahmen der Novellierung durch das ESUG sind die Rechte der vorge- 301 nannten Gläubiger im Insolvenzverfahren gestärkt worden. Namentlich haben diese nun mehr Einfluss auf „ihr“ Insolvenzverfahren, da Ziel eines jeden Verfahrens, unabhängig von dessen Ausgestaltung als Sanierung oder Liquidation, gemäß § 1 InsO die bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger ist. Insofern war es nur konsequent, die Gläubiger, insbesondere bei einer Sanierung, mehr in das Verfahren und damit in die vorzunehmenden Maßnahmen einzubinden. Im Wesentlichen bestimmt die Insolvenzordnung seit Inkrafttreten des ESUG, dass bereits im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens unter bestimmten Bedingungen ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden kann bzw. muss. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO normieren die Einsetzung eines solchen vorläufigen Gläubigerausschusses als vom Insolvenzgericht anzuordnende vorläufige Maßnahme. § 56a InsO regelt nach der Novellierung die Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung. Demnach ist vor der Bestellung des Insolvenzverwalters dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen, die an den potenziellen Kandidaten zu stellen sind, und zu der avisierten Person selbst zu äußern, es sei denn, diese Beteiligung führte aus zeitlicher Sicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners. Ferner kommt dem vorläufigen Gläubigerausschuss ein Vorschlagsrecht im Hinblick auf die zu bestellende Person zu. Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, D. Rn. 90; Huber, ZInsO 2013, 1, 5.
Dies reicht nach Auffassung der Verwalterpraxis und auch des Gesetzgebers 302 jedoch nicht aus, eine Sanierung auf eine solide Grundlage zu stellen. In der Folge wurde im Zuge der Novellierungen durch das ESUG beispielsweise ebenfalls der Zugang zur Eigenverwaltung erleichtert und ein sog. Schutzschirmverfahren gemäß §§ 270a und 270b InsO eingeführt, nach dem der Eigenverwalter unter und zu bestimmten Bedingungen nahezu frei von äußeren negativen Einflüssen eine auch für die Gläubiger wirtschaftlich sinnvolle Sanierung, respektive einen Insolvenzplan, vorbereiten kann. Diese Regelungen sind mit dem Inkrafttreten des SanInsFoG und den damit 303 einhergehenden Verschärfungen der Voraussetzungen einer (vorläufigen) Eigenverwaltung gemäß §§ 270a bis e InsO angemessen geschärft worden. Die ursprüngliche Intention, den in die Krise geratenen Schuldner zu einer frühzeitigen oder vielmehr zu einer so früh wie möglichen Antragsstellung zu bewegen, da regelmäßig nur in einem so frühen Stadium ausreichend Warenbestände, Liquidität und vor allem Kunden vorhanden sind, um das Ruder des vom Kurs ab-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gekommenen Schiffes aussichtsvoll herumreißen zu können, gelten weiter. Erfolgt die Antragsstellung zu spät, sind nicht selten Kontakte und Markverbundenheit unwiederbringlich zerstört und damit meist auch Aussichten auf Fortführung des Geschäftsbetriebes. Eine Liquidation führt regelmäßig zu einer geringeren Quote für die Insolvenzgläubiger als eine Sanierung. 304 Die vorgenannten Gesetzesänderungen waren und sind auch nötig, da ausländische Kreditgeber und Stakeholder in der Vergangenheit zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte und der damit globalen Krisen ist nach wie vor vermehrt mit Insolvenzen von Unternehmen zu rechnen, die durch „Private-Equity-Fonds“ erworben und deren Erwerb durch ein international besetztes Bankenkonsortium fremdfinanziert wurde. 305 Dabei wurde zur Erzielung einer hohen Eigenkapitalrendite der „PrivateEquity-Fonds“ meist ein hoher Fremdkapitalanteil verwendet (sog. „Leverage“). Zugleich wurde vielfach ein stetiges Wachstum bei steigenden Werten unterstellt. Diese Annahmen haben sich häufig nicht bestätigt. Die so erworbenen Unternehmen haben mit dem zu hohen Kapitaldienst für das zu hohe Fremdkapital zu kämpfen und fallen infolgedessen in die Insolvenz. 306 Auf den Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner und den Sachwalter kommt in diesen Fällen die Herausforderung zu, mit diesem Bankenkonsortium über die Freigabekonditionen und Verwertung der Vermögensgegenstände, die als Sicherheit gewährt wurden, in Vorbereitung der übertragenden Sanierung zu verhandeln. Dabei stellt die Prüfung der Wirksamkeit bzw. Anfechtbarkeit der bestellten Sicherheiten noch das übliche Standardprogramm dar. Besonders herausfordernd ist es, die Vielzahl der unterschiedlichsten Kreditgeber von der regionalen Sparkasse bis zum Hedgefonds mit ihren heterogenen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Zum Teil wird allein schon die Grundstruktur des deutschen Insolvenzrechts auf Unverständnis bei den ausländischen Gläubigerbanken stoßen. Neben sprachlichen Hürden werden dabei auch die Feinheiten der Kredit- und Sicherheitenverträge zu beachten sein. Auch wenn die Insolvenzmasse nicht unmittelbar davon betroffen ist, wird sich der Insolvenzverwalter den Auswirkungen der Interessengegensätze unterschiedlich rangiger Kreditgeber nicht entziehen können. Diese Verhandlungen ähneln teils einem Geschacher. Gegebenenfalls bietet es sich auch hier an, professionelle Expertise, insbesondere im Umgang mit heterogenen Bankenpools, einzuholen. Vgl. zu dem Gesamtkomplex Denkhaus/Demisch, InsVZ 2010, 243, 244.
307 Derartige Inanspruchnahmen besonders qualifizierter Personen durch den Insolvenzverwalter können delegiert werden. BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, ZInsO 2004, 1348, 1349.
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren
In diesem Zusammenhang sehen sich Insolvenzverwalter oder Sachwalter zu- 308 nehmend dem Ansinnen ausgesetzt, die Zustimmung der gesicherten Gläubiger, also insbesondere der Banken, zum Abschluss des Kaufvertrags nur gegen Verzicht auf Anfechtung gestellter Sicherheiten zu erhalten. Der Insolvenzverwalter wird regelmäßig zurzeit des Abschlusses des Kaufvertrags noch nicht wissen, ob bestehende Sicherheiten einzelner Gläubiger anfechtbar sind und wie es um die Beweislage und damit die Prozessaussichten bestellt ist. Die Einforderung derartiger Erklärungen ist darüber hinaus als Indiz zu werten, dass Anfechtungsansprüche bestehen können. Ein Anfechtungsverzicht zu einem solchen Zeitpunkt wäre damit insolvenzzweckwidrig. BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 ff.; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 25.
Aus diesem Grunde dürfte der Insolvenzverwalter bzw. der Sachwalter re- 309 gelmäßig nicht in der Lage sein, derartige Erklärungen abzugeben, will er sich nicht selbst etwaigen Haftungsrisiken gemäß § 60 InsO aussetzen. Auch wenn die Gläubigerversammlung die Abgabe einer derartigen Erklärung 310 durch den Insolvenzverwalter genehmigt, dürfte dieser Beschluss gemäß § 78 InsO aufzuheben sein, da durch ihn ein einzelner Gläubiger einseitig bevorzugt wird. HambKo-Preß/Henningsmeier, InsO, § 78 Rn. 7.
Diese Aufhebung erfolgt allerdings nur, soweit ein entsprechender Antrag in 311 der Gläubigerversammlung von einem nicht nachrangigen Gläubiger, einem absonderungsberechtigten Gläubiger oder dem Insolvenzverwalter gestellt wird. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, so sind die Beschlüsse wirksam. Lediglich Beschlüsse, die unter Verletzung formeller Voraussetzungen zustande gekommen sind oder gegen Verbotsgesetze bzw. inhaltlich gegen zwingendes Recht (§§ 134, 138 BGB) verstoßen, sind nichtig und bedürfen keiner Aufhebungsentscheidung. Dieses ist z. B. der Fall, wenn die Gläubigerversammlung ihre gesetzlichen Kompetenzen überschreitet. AG Duisburg, Beschl. v. 10.2.2010 – 60 IN 26/09, ZInsO 2010, 815, 816.
f) Organe der Gläubiger Rechtlich sind die Gläubiger an Entscheidungen im Insolvenzverfahren durch 312 ihre Organe, Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss, beteiligt. Eingehend Pape, Gläubigerbeteiligung im Insolvenzverfahren, insbesondere S. 61 ff.
Der Gläubigerausschuss war bisher nur im Rahmen des eröffneten Insol- 313 venzverfahrens gesetzlich geregelt. Durch das ESUG erfolgten jedoch erforderliche Anpassungen der Regelungen zum Gläubigerausschuss im Insolvenzantragsverfahren. Hintergrund ist der Umstand, dass ein Insolvenzverfahren, egal in welcher Form und zu welcher Zeit es geführt wird, schluss73
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
endlich ein Verfahren zwischen Schuldner und Gläubigern ist. Die Gesetzesreform trägt diesem Gedanken dadurch Rechnung, dass die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Gläubiger im Zuge der Novellierung gestärkt wurden. Cranshaw/Vallender/Steinwachs-Cranshaw, Gläubigerausschuss und Gläubigerbeirat in Restrukturierung und Insolvenz des Firmenkunden, S. 6 ff.; Huber, ZInsO 2013, 1, 1.
314 Um dieser Intention Raum zu verschaffen, sieht das ESUG diverse Regelungen und damit Mechanismen vor, die Gläubiger stärker in einem frühen Verfahrensstadium einzubinden. Unter anderem soll diese verstärkte Mitbestimmung dadurch gewährleistet werden, dass bereits im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens unter bestimmten Bedingungen ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden kann bzw. muss. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO normieren die Einsetzung eines solchen vorläufigen Gläubigerausschusses als vom Insolvenzgericht anzuordnende vorläufige Maßnahme. 315 Der § 69 Abs. 1 InsO spricht in diesem Zusammenhang davon, dass vor der ersten Gläubigerversammlung ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden kann. Die Einsetzung ist demnach grundsätzlich fakultativ. § 22a Abs. 1 InsO hingegen normiert, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a einzusetzen hat, wenn die dort genannten Merkmale, den Schuldner betreffend, erfüllt sind. Ferner soll ein solcher Ausschuss auch dann eingesetzt werden, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter oder ein Gläubiger dies beantragt und Personen benannt werden, die als Mitglieder des Ausschusses in Betracht kommen und entsprechende Einverständniserklärungen bereits abgegeben haben. Huber, ZInsO 2013, 1, 3; Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, D. Rn. 6 f.
316 Nicht eingesetzt werden soll ein Ausschuss hingegen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist, die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Die ersten beiden Gründe sind wirtschaftlicher Natur. Im Falle der Einstellung des Geschäftsbetriebes, nämlich der Liquidation des Schuldners, bedarf es regelmäßig keiner besonders frühzeitigen Abstimmung über den weiteren Verlauf mit den Gläubigern, im Falle einer geringen Insolvenzmasse würde diese mit Zusatzkosten für die Mitglieder des Gläubigerausschusses belastet werden. Letzterer Fall stellt einen Zeitfaktor dar: Die Beteiligung der Insolvenzgläubiger vor der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erscheint nur dann praktikabel, wenn hierdurch keine erhöhten Risiken für die spätere Insolvenzmasse entstehen. Andernfalls wäre die Einsetzung eines Gläubigerausschusses kontraproduktiv.
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I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, D. Rn. 9.
Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses soll insbesondere den 317 frühzeitigen Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters sicherstellen. Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 24.
Dies ist deshalb uneingeschränkt zu begrüßen, da das Insolvenzverfahren 318 ausschließlich der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger dienen soll und die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig wegweisend für den Gang des Insolvenzverfahrens ist. Vallender, MDR 2012, 61, 63.
In der Folge regelt § 56a InsO die Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestel- 319 lung. Demnach ist vor der Bestellung des Insolvenzverwalters dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen, die an den potenziellen Kandidaten zu stellen sind, und zu der avisierten Person selbst zu äußern, es sei denn, diese Beteiligung führte aus zeitlicher Sicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners. Da sich einzelne Insolvenzgerichte auch im Jahr 2021 immer noch schwer damit tun, die Gläubiger angemessen zu beteiligen, wird die befürchtete nachteilige Veränderung häufig von diesen Gerichten als Schlupfloch genutzt, um „durchzuentscheiden“. Ferner steht dem vorläufigen Gläubigerausschuss das Recht zu, einstimmig einen (vorläufigen) Insolvenzverwalter vorzuschlagen. Im Falle eines solchen Vorschlages darf das Insolvenzgericht nur dann von diesem abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet erscheint. Grundsätzlich, aber insbesondere im Falle der Ablehnung des vorgeschlagenen Kandidaten, hat das Insolvenzgericht die von dem vorläufigen Gläubigerausschuss beschlossenen Anforderungen an die Person des Insolvenzverwalters der Auswahl und Entscheidung zugrunde zu legen. Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, D. Rn. 94; Huber, ZInsO 2013, 1, 5.
Durch diese Regelung hat das vormalige Alleinbestimmungsrecht des Insol- 320 venzgerichts bezüglich des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zumindest in den Fällen, in denen ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt wurde, erhebliche Einschränkungen erfahren. Dies hat Vor-, aber auch Nachteile. Zum einen ist die Entscheidungsbefugnis damit nicht mehr isoliert bei dem 321 Insolvenzrichter angesiedelt, sondern wird von vielen, nämlich sämtlichen Gläubigerausschussmitgliedern, ausgeübt. Dies minimiert das Risiko von Fehlentscheidungen, insbesondere zulasten der nachmaligen Insolvenzgläubiger. Außerdem entscheiden die Insolvenzgläubiger in ihrem Verfahren, denn das Insolvenzverfahren dient der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, wegweisend mit.
75
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
322 Zum anderen birgt die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses und das diesem sodann zugestandene Mitbestimmungsrecht aber auch ein gewisses Risiko für das zu sanierende Unternehmen, da sowohl die Einsetzung des Ausschusses als auch eine Abstimmung durch diesen einer gewissen Zeit bedürfen, die das Unternehmen möglicherweise nicht hat. Huber, ZInsO 2013, 1, 6.
323 Das eröffnete Insolvenzverfahren ist sodann nach der Konzeption des Gesetzes in zwei Abschnitte geteilt. Der Insolvenzverwalter hat nach dem gesetzlichen Modell (§ 156 InsO) bis zum Berichtstermin die Masse zu sichern und zu verwalten. Durch seinen Bericht soll er die Entscheidung der Gläubigerversammlung über den weiteren Fortgang des Insolvenzverfahrens vorbereiten. Nach dem Berichtstermin ist es dann die Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Entscheidungen der Gläubigerversammlung umzusetzen und die Masse zu verwerten. 324 Zunächst hatte die Insolvenzordnung eine Verwertung der Masse vor dem Berichtstermin im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Hieraus wurde in der Literatur von der wohl noch herrschenden Meinung auf die Unzulässigkeit von Verwertungshandlungen vor dem Berichtstermin geschlossen, Kübler/Prütting/Bork-Webel, InsO, § 159 Rn. 4; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 159 Rn. 44,
was auch für die übertragende Sanierung vor dem Berichtstermin gelten sollte. Vallender, GmbHR 2004, 642, 643.
325 Daran war problematisch, dass dies einen verlorenen Zeitraum von bis zu drei Monaten (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) mit sich brachte, was in vielen Fällen die Chancen einer übertragenden Sanierung überhaupt zunichtemacht oder jedenfalls erschwert, weil bei vielen Verfahren nicht genug Liquidität vorhanden sein wird, um das Unternehmen derart lange fortzuführen. Das gilt umso mehr, als die Personalkosten ab der Verfahrenseröffnung die Masse belasten. Daneben wird in vielen Branchen auch die Marktreaktion auf die Insolvenz umso heftiger ausfallen, je länger mit einer Sanierung gewartet wird. Schließlich kann sich ein längeres Zuwarten zum Nachteil der Masse auf den für das Unternehmen erzielbaren Preis auswirken. Der zunehmende Zeitdruck schwächt die Verhandlungsposition des Insolvenzverwalters; überdies besteht die Gefahr, dass in der Zwischenzeit wichtige Arbeitnehmer, Lieferanten oder Kunden abspringen. Ähnlich Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 55.
326 In der Insolvenzpraxis hatte sich dementsprechend schnell herausgestellt, dass häufig der günstigste Zeitpunkt für eine übertragende Sanierung oft unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens liegt. Bork/Hölzle-Bieg, Handbuch Insolvenzrecht, § 14 Rn. 23;
76
I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren Menke, BB 2003, 1133, 1138; Vallender, GmbHR 2004, 642, 643.
Daher wird der Unternehmenskaufvertrag regelmäßig schon durch den vor- 327 läufigen Insolvenzverwalter mit dem Erwerbsinteressenten ausgehandelt und dann als sog. „Prepacked-Deal“, Menke, BB 2003, 1133, 1138; Zipperer, NZI 2008, 206, 207,
unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens unterzeichnet. Der Gesetzgeber ist dieser Praxis durch das zum 1.7.2007 in Kraft getretene 328 Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 gefolgt. Nach Änderung des § 158 Abs. 1 und 2. InsO ist nun eine Betriebsveräußerung vor dem Berichtstermin analog der Stilllegung mit Zustimmung des Gläubigerausschusses möglich. Dadurch erhält der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, schon vor dem Berichtstermin das Unternehmen im Ganzen zu veräußern, was wie bereits ausgeführt oft die beste Form der Verfahrensabwicklung darstellt. Pape, NZI 2007, 481, 484.
Mit der Neufassung des § 158 Abs. 2 InsO – Unterrichtung des Schuldners – 329 sind auch die Rechte des Schuldners gewahrt. Seiner Zustimmung zur Betriebsveräußerung bedarf es jedoch nicht, weil die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung bereits vorher gefallen ist, was den Eingriff in die Rechte des Schuldners legitimiert. Pape, NZI 2007, 481, 484.
Die Gläubigerversammlung ist gemäß § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO nur ersatz- 330 weise zuständig, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt ist. Vallender, GmbHR 2004, 642, 643.
In jedem Fall bedarf es der Zustimmung der Gläubigerversammlung und ggf. 331 ihrer kurzfristigen Anberaumung in den Fällen des § 162 InsO, der sog. Betriebsveräußerung an besonders Interessierte. In diesem Spezialfall des § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO, bei dem der Erwerber zu dem schuldnerischen Unternehmen ein besonderes Näheverhältnis hat, ist nicht der Gläubigerausschuss, sondern ausschließlich die Gläubigerversammlung zustimmungskompetent. Aufgrund der steigenden Missbrauchsgefahr bei einer übertragenden Sanierung auf einen Erwerber mit Näheverhältnis zum schuldnerischen Unternehmen soll das oberste Gläubigerorgan entscheiden, ob der Fortführungswert angemessen vergütet wird. Als besonders Interessierte werden in § 162 InsO zwei Erwerbergruppen genannt: Die dem Schuldner nahestehenden Personen i. S. d. § 138 InsO, die zu 20 % 332 oder mehr am Kapital des Erwerbers beteiligt sind sowie absonderungsberechtigte Gläubiger oder Insolvenzgläubiger mit einer derartigen Beteiligung am Erwerber, deren Absonderungsrechte bzw. Forderungen zugleich 20 % des Wertes aller Absonderungsrechte bzw. Insolvenzforderungen erreichen. Gesellschaftsrechtliche Konstruktionen mit mittelbaren Beteiligungen – ab77
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
hängige Unternehmen, Treuhandverhältnisse wie auch abhängige Unternehmen als Treugeber – sind über § 162 Abs. 2 InsO erfasst, siehe auch Rn. 152. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 162 Rn. 6.
333 Findet sich keine ausreichende Anzahl an Mitgliedern für einen Gläubigerausschuss (mindestens zwei), sollte der Insolvenzverwalter spätestens im Berichtstermin zur Vermeidung von Haftungsrisiken die Gläubigerversammlung um die Genehmigung der erfolgten übertragenden Sanierung bitten. In seinem Bericht sollte er dabei darlegen, warum ein Warten bis zum Berichtstermin nachteilige Folgen für die Masse gehabt hätte. Vallender, GmbHR 2004, 642, 644.
334 Aus Sicht des Erwerbers ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses mit Blick auf § 164 InsO nicht von zentraler Bedeutung. g) Insolvenzgericht 335 Das Insolvenzgericht wirkt am eröffneten Insolvenzverfahren durch die Beaufsichtigung des Insolvenzverwalters gemäß § 58 Abs. 1 InsO mit. Aus systematischer Sicht von besonderer Bedeutung ist die Prüfung der Schlussrechnung gemäß § 66 Abs. 2 InsO, die als Vorprüfung stets der Prüfung durch die Gläubigerversammlung vorauszugehen hat, es sei denn, der Insolvenzplan sieht eine abweichende Regelung – typischerweise den Verzicht auf eine Schlussrechnungslegung – vor, § 66 Abs. 4 InsO. 336 Im Rahmen einer übertragenden Sanierung kann das Gericht auf Antrag des Schuldners oder einer bestimmten Anzahl von Gläubigern, wenn der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses gemäß § 161 InsO zur Veräußerung des Unternehmens eingeholt hat, eine Gläubigerversammlung zur Entscheidung der Frage (an Stelle des Gläubigerausschusses) einberufen. Antragsbefugt sind neben dem Schuldner allein mindestens fünf absonderungsberechtigte oder nicht nachrangige Gläubiger, deren Forderungen zusammen 1/5 der Summe aller Absonderungsrechte und nicht nachrangigen Forderungsbeträge ergeben müssen. h) Arbeitnehmer 337 Nach einer gewichtigen Stimme in der Literatur sind im Rahmen des Insolvenzverfahrens – auch wenn dies, anders als im Regierungsentwurf vorgesehen, im Text der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich seinen Niederschlag gefunden hat – die Interessen des Schuldners, seiner Familie sowie der Arbeitnehmer des Schuldners in angemessener Weise zu berücksichtigen. Der Rechtsauschuss habe, so wird u. a. zur Begründung angeführt, die Streichung des § 1 Abs. 2 Satz 1 des Regierungsentwurfs, der dies ausdrücklich normierte, mit einer „redaktionellen Straffung“ begründet, hat also eine sachliche Änderung nicht gewollt. 78
I. Relevante Beteiligtengruppen im Insolvenzverfahren Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rn. 5 ff., insbesondere Rn. 16.
In welcher Weise allerdings insbesondere die Arbeitnehmerinteressen über 338 die insolvenzarbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Spezialnormen hinaus im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden können, ist bislang ungeklärt. Allerdings sind die Arbeitnehmer und deren Interessen grundsätzlich über die Regelungen der §§ 55, 113, 123 InsO dahingehend privilegiert, als ihre nach der Verfahrenseröffnung entstehenden Ansprüche grundsätzlich Masseverbindlichkeiten sind, was sie bspw. von einem Leasinggeber erheblich unterscheidet. Vom rechtsdogmatischen Standpunkt aus ist der Erhalt von Arbeitsplätzen 339 nach geltendem Recht kein selbstständiger Verfahrenszweck, MüKo-Ganter/Bruns, InsO, § 1 Rn. 71; Jaeger-Henckel, InsO, § 1 Rn. 5,
weswegen Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter, wenn sie nicht selbst Gläubiger sind, keine Verfahrensbeteiligten sind. MüKo-Ganter/Bruns, InsO, § 1 Rn. 71.
Sie sind daher, nicht anders als andere Interessierte, darauf angewiesen, die 340 Beteiligten, insbesondere den Insolvenzverwalter und die Gläubiger, für ihre Ziele zu gewinnen. MüKo-Ganter/Bruns, InsO, § 1 Rn. 71.
Dies wird im Rahmen einer übertragenden Sanierung vor allem dann gelingen, 341 wenn ein potenzieller Erwerber an dem Erhalt von Arbeitsplätzen aus selbstständigen Erwägungen interessiert ist und die Gläubiger sich bei Annahme seines Gebots nicht schlechter stellen als bei Annahme eines anderen Gebots oder bei Zerschlagung. Im Rahmen einer übertragenden Sanierung dürften die Interessen der Ar- 342 beitnehmer, insbesondere die Möglichkeit des Erhalts von Arbeitsplätzen, faktisch häufig den Ausschlag dafür geben, dem Gebot eines bestimmten Erwerbers den Vorzug zu geben. Die Interessen der Arbeitnehmer decken sich jedenfalls wirtschaftlich auch mit den Interessen der Insolvenzgläubiger. Kommt es zu keiner oder nur zu einer teilweisen übertragenden Sanierung, lösen die nicht übernommenen Arbeitnehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten während der Dauer der Kündigungsfristen aus. Diese (auf-)oktroyierten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind vorrangig aus der Insolvenzmasse zu zahlen und schmälern damit die Masse, die den nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern i. S. d. § 38 InsO zur Verfügung steht. Infolgedessen ist auch ein Unterschreiten der Liquidationswerte vertretbar, soweit die Insolvenzmasse durch die Unternehmensveräußerung von ansonsten entstehenden Masseverbindlichkeiten entlastet wird. Grenzen findet diese Kalkulation bei den Gegenständen, die mit Rechten Dritter belastet sind. Zwar wird die Insolvenzmasse regelmäßig gemäß
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
§§ 166, 170 f. InsO oder aufgrund höherer ausgehandelter Massekostenbeiträge an den Verwertungserlösen beteiligt. Eine vollständige Anrechnung der Masseverbindlichkeiten, um die die Insolvenzmasse bei einer Unternehmensveräußerung im Ganzen entlastet wird, ist im Hinblick auf diese Gegenstände jedoch ausgeschlossen. i) Kunden und Lieferanten 343 Auch wenn diese im Normalfall, d. h., wenn sie nicht zugleich aus irgendeinem Grunde Gläubiger sind, keine Beteiligten des Insolvenzverfahrens im Rechtssinne sind, spielen ihre Interessen gleichwohl eine entscheidende Rolle für die Abwicklung einer übertragenden Sanierung. 344 Insbesondere führt das Interesse am Erhalt der Kundenbeziehungen in der Regel dazu, einen möglichst frühen Verkauf bzw. Erwerb des Unternehmens vorzunehmen, und zwar sowohl aus Verkäufer- wie aus Käufersicht. 345 In vielen Insolvenzszenarien ist das künftige Verhältnis zu den wesentlichen Lieferanten und Kunden von derart herausragender Bedeutung für den Erfolg der (übertragenden) Sanierung, dass sie damit steht und fällt. Paradebeispiel ist die Insolvenz von Automobilzulieferern oder -händlern. Hierzu ausführlich Brossette/Plagens/Schmidt, Das Autohaus in der Krise und Insolvenz, S. 1 ff.
346 Dabei ist die Kommunikation und enge Abstimmung in Vorbereitung der übertragenden Sanierung mit den Kunden/Auftraggebern wie auch mit den Vertragspartnern im Hinblick auf die Stellung als Vertragshändler von herausragender Bedeutung. Die übertragende Sanierung steht und fällt mit dem zukünftigen Verhalten der Automobilhersteller hinsichtlich der Auftragsvergabe und des Händlervertrages. Im Ergebnis und im Regelfall bestimmen die Automobilhersteller den Unternehmenskäufer, der Insolvenzverwalter ist insoweit meistens nur ausführendes Organ. Aber auch in anderen Branchen ist die Kunden- und Lieferantenpflege durch den Insolvenzverwalter in Vorbereitung der übertragenden Sanierung für das Überleben des Unternehmens unerlässlich. 347 Aus diesem Grunde muss der Insolvenzverwalter Kunden und Lieferanten in vertretbarem Maß in die Vorbereitung der übertragenden Sanierung einbeziehen, ihnen somit Planungssicherheit hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit mit dem schuldnerischen Unternehmen geben und damit den Weg für die zukünftige Geschäftsbeziehung zwischen Käufer und diesen beiden wesentlichen Stakeholdern ebnen. Denn jeder Unternehmenskäufer kauft das Unternehmen im Ergebnis nur wegen der damit verbundenen Umsatz- und Ertragspotenziale, die im Wesentlichen mit den Kundenbeziehungen verbunden sind. Beck/Depré-Beck, Praxis der Insolvenz, § 1 Rn.14.
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II. Verhandlungspartner für Kaufinteressenten
II. Verhandlungspartner für Kaufinteressenten Die Person des Verhandlungspartners für einen Kaufinteressenten in Krise 348 und Insolvenz des Unternehmens ist formal abhängig vom Verfahrensstand und der Verfahrensart. 1. Verwaltung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter Wie bereits oben dargelegt, tritt im eröffneten Verfahren der Insolvenzver- 349 walter im eigenen Namen als Verkäufer des Unternehmens auf. Im Eröffnungsverfahren ist es demgegenüber regelmäßig der Schuldner, der als Verkäufer auftritt, wobei er für den Abschluss die Zustimmung des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalters benötigt. Zentrale Figur ist aber bereits im Regelinsolvenzeröffnungsverfahren der 350 vorläufige Insolvenzverwalter. Dieser wird sich möglichst schon unverzüglich nach einer Bestellung um einen Kaufinteressenten bemühen, jedenfalls sobald er sich ein Bild von dem Unternehmen und dem relevanten Markt gemacht hat. Häufig liegt schon bei Eröffnung des eigentlichen Verfahrens ein sog. „Prepacked-Deal“ vor, der im Rahmen des eröffneten Verfahrens dann nur noch formal umgesetzt wird. Menke, BB 2003, 1133, 1138; Vallender, GmbHR 2004, 642, 643.
An den Verhandlungen über eine derartigen „Prepacked-Deal“ ist regelmäßig 351 neben dem vorläufigen Insolvenzverwalter auch die Geschäftsführung des Schuldnerunternehmens beteiligt, da sie es in erster Linie ist, die über die für die Formulierung des Vertrages notwendigen Kenntnisse des Unternehmens verfügt. Ob ein Kaufinteressent den Erstkontakt zunächst besser mit dem Insolvenz- 352 verwalter oder mit dem Schuldnerunternehmen bzw. dessen Geschäftsleitung sucht, zu dieser Frage Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 38 f.,
hängt von den Umständen des Einzelfalles, von den Usancen des betreffenden Insolvenzverwalters und oft auch von Zufälligkeiten ab. Jedenfalls sollte der Kaufinteressent Wert darauf legen, die Geschäftsleitung und ggf. weitere sachkundige Mitarbeiter des Zielunternehmens in die Gespräche einzubeziehen und auf diese Weise Informationen über das Unternehmen zu gewinnen, über die der Insolvenzverwalter und seine Mitarbeiter meist nach wenigen Wochen noch nicht verfügen. Weiterhin sollte der Kaufinteressent auf sachkundige Beratung sowohl in 353 rechtlicher als auch in steuerlicher Hinsicht achten. Besonders die anwaltliche Beratung sollte dabei im Idealfall einer Kanzlei anvertraut werden, die selbst Insolvenzverwalter in ihren Reihen hat, da dort das Gefühl für das spezifische Denken eines Insolvenzverwalters vorhanden ist.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Ähnlich Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 38.
354 Neben dem Insolvenzverwalter und den vorstehend bereits erwähnten Kunden und Lieferanten sind die jeweiligen Stakeholder des Unternehmens, das erworben werden soll, Verhandlungspartner. 355 Soweit Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Mietverträge, für die Betriebsimmobilie oder ein Filialnetz betriebsnotwendiger Bestandteil sind, ist die nachhaltige übertragende Sanierung davon abhängig, dass die Vermieter dem Eintritt des Käufers in den Mietvertrag zustimmen. Zwar kann auch die Untervermietung durch den Insolvenzverwalter an den Käufer für eine Übergangszeit eine Lösung darstellen, soweit der Vermieter die Untervermietung nicht verweigert. Sie gibt dem Käufer aber nicht die notwendige Planungssicherheit für die langfristige Betriebsfortführung. Auch wenn vereinzelt in der Rechtsprechung, OLG Hamburg, Urt. v. 29.10.1993 – 4 U 167/93, WuM 1993, 737,
für Gewerberaummietverträge dem Mieter ein Anspruch auf Erteilung einer Zustimmung zur Untervermietung zugebilligt wird, existiert nach der herrschenden Meinung kein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Untervermietung. Statt aller Neuhaus, Handbuch der Geschäftsraummiete, Kap. 17, Rn. 14.
356 Es ist daher unerlässlich, dass der Erwerbsinteressent und Insolvenzverwalter in Vorbereitung der übertragenden Sanierung mit den Vermietern die Überleitung des oder der Mietverhältnisse auf den Käufer verhandelt oder einen Insolvenzplan als alternative Gestaltung in Betracht zieht. Vgl. Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, C. Rn. 6.
357 Entsprechendes gilt für jedwede betriebsnotwendigen, nur mit Zustimmung des Vertragspartners übertragbaren Vertragsverhältnisse wie Lizenzverträge. Auf Lizenzverträge ist nach der aktuellen Rechtsprechung, BGH, Urt. v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZInsO 2006, 35 ff.; vgl. Seegel/Remmertz/Kast, ZInsO 2015, 1993 ff.,
§ 103 InsO anwendbar; die durch Einführung eines § 108a InsO in einem RegE angedachte Insolvenzfestigkeit eines Lizenzvertrages ist bisher nicht vom Gesetzgeber realisiert worden. 358 Letzteres gilt auch eingeschränkt für behördliche Genehmigungen. Diese können zwar zumeist nicht übertragen, sondern nur neu erteilt werden, soweit sie nicht mit einzelnen Vermögenswerten, wie z. B. einem Grundstück verbunden sind. Die Vorbereitung der übertragenden Sanierung erfordert daher auch die Kontaktaufnahme und ein Vorfühlen des Insolvenzverwalters
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II. Verhandlungspartner für Kaufinteressenten
und des Erwerbsinteressenten bei denjenigen Behörden, die betriebsnotwendige Genehmigungen zugunsten des Käufers erteilen müssen, mit dem Ziel, etwaige Probleme im Vorwege zu erkennen und zu lösen. BGH, Urt. V. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZInsO 2006, 35, 37.
2. Eigenverwaltung unter Aufsicht des (vorläufigen) Sachwalters Hat der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 359 sein Vermögen und zusätzlich einen Antrag nach §§ 270 ff. InsO gestellt und hat das Insolvenzgericht diesem Antrag im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO und des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgegeben, so verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen grundsätzlich bei dem eigenverwaltenden Schuldner. Demnach kann das Vorgesagte zu den Verhandlungen eines etwaigen Ver- 360 kaufs des sanierungsfähigen Schuldners durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter im Falle der Eigenverwaltung nicht gelten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 270 Abs. 1 InsO besagt, dass der Schuldner berechtigt ist, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Ferner bestimmt § 270b Abs. 1 InsO, dass – anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters – im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird. Demnach ist die alleinige Verhandlung eines Kaufes des schuldnerischen Unternehmens für Kaufinteressenten im Rahmen eines Asset- oder Share Deals bereits aus diesen Gründen ausschließlich mit dem (vorläufigen) Sachwalter ausgeschlossen. Vielmehr hat der eigenverwaltende Schuldner bzw. sein (Interims-)Manage- 361 ment die Aufgabe, einen etwaigen Verkauf des schuldnerischen Unternehmens an einen Interessenten in eigener Regie, aber unter der Aufsicht des (vorläufigen) Sachwalters zu organisieren. Dies ist bereits dem Begriff der Eigenverwaltung inhärent. Faktisch bedarf es insbesondere bei größeren Unternehmen eines strukturierten 362 Bieterprozesses (Dual Track), der zum einen eine Marktansprache, namentlich die Ansprache von potenziellen Investoren, in der Regel inklusive einer umfassenden Due Diligence, und zum anderen natürlich die Verhandlung eines entsprechenden Kaufvertrages benötigt (hierzu sogleich). Dabei gilt: Je größer das Unternehmen, umso langwieriger, komplexer und aufwändiger sind diese Prozesse. Die Organe der Gesellschaft sind regelmäßig in diesen Angelegenheiten wenig 363 bis gar nicht erfahren und müssen daher insolvenzrechtliche Expertise hinzuziehen, § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO. In der Folge bedarf es ferner der Einbindung eines professionellen M&A-Beraters, der idealerweise über die nötige Erfahrung von Verkäufen aus der Insolvenz, sog. „Distressed Transaktionen“ verfügt. Problematisch hieran ist, sofern nicht eine Ansprache eines solchen
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Beraters bereits vor Antragstellung erfolgte, dass sich der Berater sehr kurzfristig einarbeiten muss. Dies ist, je nach Unternehmensgröße, ein zeitaufwändiger und damit die Sanierung bzw. den Verkauf gefährdender Prozess. 364 Eine Veräußerung des insolventen Geschäftsbetriebes aus der Eigenverwaltung heraus ist im Grunde immer dann besonders sinnvoll, wenn das schuldnerische Unternehmen bereits vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch einen Sanierungsgeschäftsführer geführt wurde, der bereits im Zeitraum der sich ankündigenden Krise den Weg für eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sofort umsetzbare Veräußerung bereitet hat. Im Idealfall kann die auf diese Weise vorbereitete (übertragende) Sanierung zeitnah nach Eröffnung des Verfahrens umgesetzt werden, wenn nicht ein Insolvenzplan die zu bevorzugende Alternative ist. Die erfolgreiche Veräußerung eines laufenden Geschäftsbetriebes im Rahmen der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO ist demnach eine Frage der richtigen Vorbereitung. Vgl. von Buchwaldt, BB 2015, 3017 ff.
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal 1. Probleme der Vertragsgestaltung a) Kaufgegenstand aa) Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern 365 Die übertragende Sanierung ist eine besondere, durch die Insolvenz des Zielunternehmens geprägte Form des Unternehmenskaufs in der Gestalt des sog. Asset Deals. 366 Der Begriff des Unternehmens als solcher ist im deutschen Recht nicht definiert. Bei allen Unterschieden im Detail besteht Einigkeit dahingehend, dass das Unternehmen im Rechtssinne weder eine Sache noch ein Recht ist. Es wurde bereits auf die Definition Ballerstedts verwiesen, der darunter eine Gesamtheit von Sachen und Rechten, tatsächlichen Beziehungen und Erfahrungen sowie unternehmerischen Handlungen versteht. Ballerstedt, ZHR 134 (1970) 251, 260.
367 Diese Umschreibung ist freilich keine Begriffsbestimmung im engeren Sinne, wie sich schon daran zeigt, dass sie selbst wiederum der Definition bedürftige Elemente („tatsächliche Beziehungen und Erfahrungen“, „unternehmerische Handlungen“) enthält. 368 Das „Unternehmen“ ist daher zwar ein tatsächliches, wirtschaftliches Phänomen, aber kein genau bestimmbares Objekt des Rechtsverkehrs. Dementsprechend bezieht sich zwar die schuldrechtliche Verpflichtung aus dem Asset Deal auf das Unternehmen als Ganzes, das sachenrechtliche Bestimmtheitsgebot erfordert jedoch für den dinglichen Übergang die Übertragung aller zugehörigen Einzelwirtschaftsgüter.
84
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
bb) Genaue Bestimmung des Kaufobjekts Mithin ist die genaue Bestimmung des Kaufobjekts für den Asset Deal von 369 entscheidender Bedeutung. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 86 ff.; Vallender, GmbHR 2004, 642, 647.
Bei einem werbenden Unternehmen, welches eine Handelsbilanz aufgestellt 370 hat, genügt für die genauere Bestimmung der zu übertragenden Sachen und Rechte in der Regel die Bezugnahme auf die Bilanz nebst Inventarverzeichnis. Lediglich Vermögensgegenstände, die entweder nicht bilanziert werden müssen oder nicht bilanzierungsfähig sind, müssen im Vertrag konkret bestimmt werden, z. B. die voll abgeschriebenen Wirtschaftsgüter. Picot-Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Teil I Rn. 49.
Bei einer übertragenden Sanierung genügt die Bezugnahme auf Handelsbi- 371 lanzen zur Bestimmtheit des Kaufobjektes regelmäßig nicht. Grundlage für die Bestimmbarkeit des Kaufobjektes in der übertragenden 372 Sanierung ist der Massebegriff der Insolvenzordnung. Hieraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Verwertung bezieht sich gemäß 373 § 159 InsO ausschließlich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen. Im ersten Schritt ist daher eine rechtliche Abgrenzung zwischen den zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenständen und anderen, nicht in die Insolvenzmasse fallenden Gegenständen vorzunehmen. Nicht zur Insolvenzmasse gehören insbesondere die mit Aussonderungsrechten behafteten Vermögensgegenstände, § 47 InsO. Sodann ist gemäß § 151 InsO durch den Insolvenzverwalter unter Hinzuzie- 374 hung des Schuldners ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse aufzustellen. Dies kann nur im Wege einer Inventur erfolgen. Uhlenbruck-Sinz, InsO, § 151 Rn. 3.
cc) Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters im Hinblick auf Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht, gehören, wie erörtert, 375 zur Insolvenzmasse. Hinsichtlich der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist zu differenzieren: Unbewegliche Gegenstände kann der Insolvenzverwalter gemäß § 165 InsO 376 im Wege der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung verwerten, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht. Nach einhelliger Ansicht ist der Insolvenzverwalter aber auch berechtigt, zur 377 Insolvenzmasse gehörende Grundstücke und Grundstücksanteile freihändig
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
zu verwerten, soweit nicht gesetzliche oder vertragliche Bindungen entgegenstehen. Kübler/Prütting/Bork-Flöther, InsO, § 165 Rn. 7; UhlenbruckBrinkmann, InsO, § 165 Rn. 14; zum Sonderfall der Verfügungsbefugnis des Treuhänders in der Insolvenz von Verbrauchern und Kleinstunternehmern vgl. Kesseler, ZInsO 2006, 1029 ff.
378 Dabei bedarf die freihändige Verwertung gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO der Mitwirkung der absonderungsberechtigten Gläubiger – da der Käufer regelmäßig lastenfrei erwerben möchte – und der Mitwirkung von Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung. Das Fehlen der Mitwirkung von Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung berührt allerdings die Wirksamkeit der Verwertungsmaßnahmen gemäß § 164 InsO nicht. 379 Bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, darf der Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO freihändig verwerten, wenn er die Sachen in seinem Besitz hat. Zur Sicherheit abgetretener Forderungen darf der Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 2 InsO verwerten. 380 Die Insolvenzordnung enthält keine weiteren Regelungen über die Verwertungsbefugnis, insbesondere nicht hinsichtlich beweglicher Sachen, die der Insolvenzverwalter nicht in seinem Besitz hat sowie sonstiger, mit einem Absonderungsrecht belasteter Rechte, die nicht Forderungen sind. Hierunter fallen z. B. die Immaterialgüterrechte oder gesellschaftsrechtliche Beteiligungen. In der Literatur ist umstritten, wie das Schweigen des Gesetzes in dieser Hinsicht zu bewerten ist. Gleiches gilt für andere Sicherungsformen an Rechten als die Sicherungsabtretung. § 166 Abs. 2 InsO erwähnt nur die Sicherungsabtretung, nicht hingegen insbesondere das rechtsgeschäftliche Pfandrecht. 381 Für die Praxis der übertragenden Sanierung stehen die folgenden Fallgruppen im Vordergrund: x
zur Sicherheit abgetretene oder verpfändete Patente, Marken, Lizenzen etc.;
x
verpfändete GmbH-Geschäftsanteile und Aktien;
x
verpfändete oder sicherungsübertragene Miteigentumsanteile und Anwartschaften.
382 Die Diskussion in der Literatur ist mittlerweile nur noch schwer zu übersehen. Im Kern lassen sich drei Ansätze unterscheiden: 383 Entweder wird hinsichtlich der sicherungsübertragenen Rechte schlicht eine Analogie zu § 166 Abs. 2 InsO angenommen, da insoweit eine (unbewusste) Gesetzeslücke vorliege, die durch Analogie zu schließen sei. Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 166 Rn. 35.
384 Insbesondere spreche die Gesetzeslücke dafür, dass am bisherigen Rechtszustand nach der Konkursordnung nichts geändert werden sollte. Marotzke, ZZP 109 (1996), 429 ff.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Dagegen wird angeführt, die vom Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen 385 des Verwertungsrechts dürften nicht im Wege der Analogie überschritten werden. HK-Hölzle, § 166 Rn. 28 ff.; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rn. 29; Wallner, ZInsO 1999, 453 ff.
Demgegenüber wird eine Analogie des § 166 Abs. 2 InsO auf verpfändete 386 Forderungen überwiegend abgelehnt. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rn. 30; HK-Hölzle, InsO, § 166 Rn. 39; BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, ZIP 2013, 987 ff.
Ein mit guten Gründen vertretener und vertretbarer Ansatz stellt sowohl für 387 sicherungsübereignete wie für verpfändete Rechte nicht auf eine Analogie zu § 166 Abs. 2 InsO, sondern auf § 166 Abs. 1 InsO ab. Zweck des § 166 Abs. 1 InsO sei es, die Chancen der Betriebsfortführung und der übertragenden Sanierung des Schuldnerunternehmens zu erhalten. Daher sei in analoger Anwendung des § 166 Abs. 1 InsO der Insolvenzverwalter zur Verwertung und Benutzung all derjenigen mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände befugt, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur technisch-organisatorischen Einheit des schuldnerischen Unternehmens zur Fortführung oder übertragenden Sanierung erforderlich und daher betriebsnotwendig seien. Häcker, Abgesonderte Befriedigung aus Rechten, Rn. 1055.
Diese Auffassung löst gerade die im Zusammenhang einer übertragenden 388 Sanierung auftretenden Zweifelsfälle überzeugend. Sie wird freilich in der Kommentarliteratur nur sehr vorsichtig aufgegriffen. Kritisch z. B. HK-Hölzle, InsO, § 166 Rn. 40; zweifelnd Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rn. 36.
Im Ergebnis besteht in dieser Hinsicht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, 389 die letztendlich nur durch den BGH oder den Gesetzgeber beseitigt werden kann. Ebenso Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rn. 36; Kor, ZInsO 2021, 1204.
Wirtschaftlicher Mittelpunkt der Auseinandersetzung um die Verwertungs- 390 befugnis ist weniger das Recht zur Verwertung als solches. Vielmehr geht es um die wirtschaftliche Notwendigkeit, das Unternehmen mit sämtlichen Vermögenswerten aus einer Hand verkaufen zu können. Schließlich geht es um die Erhöhung der freien Insolvenzmasse durch Kostenbeiträge auf Grundlage der Vorschriften der §§ 170, 171 InsO, nach denen die Insolvenzmasse bei einer Verwertung von Gegenständen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, einen Kostenbeitrag in Höhe von 9 % des Verwertungserlöses erhält. In der Praxis wird der Insolvenzverwalter häufig schon aus diesem Grunde 391 bei zur Sicherheit abgetretenen Rechten die Verwertungsbefugnis für sich re-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
klamieren. Andererseits wird gerade deshalb der Sicherungsgläubiger seinerseits die Verwertung an sich ziehen. 392 Der Insolvenzverwalter wird seinerseits allerdings seine Verwertungsbefugnis nicht garantieren, es sei denn, mit den Absonderungsberechtigten ist eine Verwertungsvereinbarung getroffen worden. Aus Sicht des Erwerbers empfiehlt es sich daher, wenn z. B. der Erwerb einer Marke oder einer Gesellschaftsbeteiligung für den wirtschaftlichen Erfolg dringend notwendig ist, den Sicherungsgläubiger an den Vertragsverhandlungen zu beteiligen. Aufgabe des Insolvenzverwalters ist es dann, einen internen Ausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Absonderungsberechtigtem zu finden, der z. B. in einem pauschalen Kostenbeitrag liegen kann, der deutlich hinter dem gesetzlichen Massebeitrag zurückbleibt. dd) Firma 393 Die Firma ist Bestandteil der Insolvenzmasse. BGH, Urt. v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, ZIP 1983, 193 ff.; BGH, Urt. v. 14.12.1989 – I ZR 17/88, ZIP 1990, 388 ff.; dazu Lepsien, EWiR 1990, 491 f.; Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 275; Nerlich/Römermann-Andres, InsO, § 35 Rn. 76.
394 Das gilt nach heute herrschender Auffassung im Grundsatz auch für die Firma, die den Namen des Geschäftsinhabers enthält, insbesondere auch die Firma des Einzelkaufmanns. MüKo-Petersi, InsO, § 35 Rn. 565, 571; Uhlenbruck-Hirte/ Praß, InsO, § 35 Rn. 275, ausführlich Barnert, KTS 2003, 523 ff.
395 Die sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (§ 12 BGB, Art. 2 GG) stützende Rechtsprechung, BGH, Urt. v. 26.2.1960 – I ZR 159/58, BGHZ 32, 103, 108; BGH Urt. v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, ZIP 1983, 193, 193,
nach der die Firma, die den Namen des Geschäftsinhabers enthält, nur dann in die Insolvenzmasse fällt, wenn sie den Familiennamen des Schuldners nicht enthält, soll seit der Reform des Firmenrechts, Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz) v. 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474 ff.,
als überwunden gelten. Gemäß der Neufassung des § 18 Abs. 1 HGB ist die Firma des Einzelkaufmanns nicht mehr zwingend sein Name. Auch Einzelkaufleute können seitdem eine Sachfirma wählen. Wer gleichwohl seinen Namen als Firma verwende, sei mit der in diesem Zusammenhang eintretenden Kommerzialisierung einverstanden und begebe sich dadurch des namensrechtlichen Schutzes.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 35 Rn. 71a; Hölzle, DStR 2004, 1433, 1436; MüKo-Vuia, InsO, § 80 Rn. 57.
Die Frage ist jedoch weiterhin streitig.
396
Anderer Ansicht z. B. Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 21, wonach weiterhin die Zustimmung des Schuldners erforderlich sein soll, wenn die Firma seinen Namen enthält.
Die herrschende Ansicht erhebt den Anspruch, auch für Altfirmen zu gelten, 397 da der Kaufmann es nach neuem Firmenrecht auch insoweit in der Hand habe, eine Firma zu wählen, in der sein Name nicht mehr vorkommt. Kübler/Prütting/Bork-Holzer, InsO, § 35 Rn. 71a; Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 379.
Bei einer Unternehmensveräußerung aus der Insolvenz kann der Insolvenz- 398 verwalter daher auch die Firma des Handelsgeschäfts ohne Zustimmung des Schuldners veräußern. Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 275, 379.
Allerdings ist zu beachten, dass es dem Schuldner schon aus verfassungsrechtli- 399 chen Gründen wohl nicht verwehrt werden kann, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens im Geschäftsverkehr wieder mit seinem Namen zu werben. Jaeger-Henckel, InsO, § 35 Rn. 24.
Besondere Probleme ergeben sich durch die Veräußerung der Firma für den 400 verbleibenden Rechtsträger. Der Erwerber im Rahmen einer übertragenden Sanierung, der auch die Firma erworben hat, hat Interesse, dass die Firma der insolventen Gesellschaft geändert wird, um Verwechselungen vorzubeugen und die negative Marktwirkung der Insolvenz von seinem neuerworbenen Unternehmen fernzuhalten. Für die Änderung der Firma sind und bleiben aber auch in der Insolvenz die Gesellschafter zuständig. Der Literaturauffassung, dass diese zur Satzungsgewalt zählende Zuständigkeit der Gesellschafter in der Insolvenz ihre Schranke insoweit findet, als sie zur Beeinträchtigung der Insolvenzmasse führt und der Insolvenzverwalter befugt ist, die Masse und damit auch die Firma ohne Zustimmung der Gesellschafter zu ändern, Uhlenbruck-Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 275, 379; Ulmer, NJW 1983, 1697, 1702.
hat der BGH eine Absage erteilt. BGH ZInsO 2020, 301.
Dieses gilt immer schon für die Personalfirma des Einzelkaufmanns, die der 401 Insolvenzverwalter auch nicht aus eigener Machtbefugnis ändern kann. Herchen, ZInsO 2004, 1112, 1116.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
ee) Immaterialgüterrechte 402 Eine besondere Problematik stellt sich bisher im Hinblick auf die Behandlung von Lizenzverträgen. Bisher unterliegen Lizenzverträge dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters, soweit kein Fall des „Lizenzkaufs“ (Erteilung der Lizenz gegen einmaligen „Kauf-preis“) vorliegt, bei dem trotz der Einordnung als Dauerschuldverhältnis von einer beiderseitigen vollständigen Erfüllung ausgegangen wird. BGH, Urt. v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZInsO 2006, 35 ff.; Seegel/Remmertz/Kast, ZInsO 2015, 1993 ff.; BGH, Urt. v. 21.10.2015 – I ZR 173/14, GRUR 2016, 201 ff.
403 Das stellte sich insbesondere für den Lizenznehmer als problematisch dar, wenn der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers die Nichterfüllung des Vertrages wählt. Zu unterscheiden ist dann jedoch, ob es sich um den Hauptlizenznehmer oder um einen Unterlizenznehmer handelt. In ersterem Fall erlischt die Lizenz, wenn der Insolvenzverwalter den Nichteintritt in den Vertrag zwischen insolventem Lizenzgeber und Lizenznehmer erklärt. Dahl/Schmitz, NZI 2007, 626 ff.; LG Mannheim, Urt. v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 ff.
404 Umstritten ist jedoch weiter, ob die Forderung des Lizenzgebers aufgrund der Nichterfüllung des Lizenzvertrages durch den Schuldner einen Schadensersatzanspruch des Lizenzgebers begründet, für den die §§ 249 ff. BGB gelten, BGH, Urt. v. 16.1.1986 – VII ZR 138/85, NJW 1986, 1176, 1176; Schricker, Verlagsrecht, § 36 Rn. 22,
oder ob der Schaden lediglich durch den Betrag der noch offenen Forderung festgelegt wird. Kübler/Prütting/Bork-Tintelnot, InsO, § 103 Rn. 317 f.
405 Im Fall der Unterlizenz führt das Erlöschen der Hauptlizenz nicht zum Erlöschen der Unterlizenz, wenn der Hauptlizenznehmer dem Unterlizenznehmer ein einfaches Nutzungsrecht gegen fortlaufende Zahlung von Lizenzgebühren eingeräumt hat und die Hauptlizenz nicht aufgrund eines Rückrufs wegen Nichtausübung, sondern aus anderen Gründen erlischt. BGH, Urt. v. 19.7.2012 – I ZR 70/10, ZInsO 2012, 1561 ff.
406 Der Gesetzgeber wollte den Interessen der lizenznehmenden Unternehmen Rechnung tragen. Das sollte durch eine Novellierung der Insolvenzordnung erfolgen. Der Entwurf sah eine grundsätzliche Insolvenzfestigkeit von Lizenzverträgen vor. Danach unterliege der Lizenzvertrag nicht mehr dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters, sondern behalte im Insolvenzverfahren seine volle Gültigkeit. Die Vertreter der Insolvenzverwalter stemmen sich verständlicherweise gegen solch eine Reform, da der Status quo den Insolvenzverwaltern mehr Spielraum zugunsten der Insolvenzmasse lässt. Die diesbezüglichen Meinungsstände gehen auseinander, sodass eine Neuregelung noch auf sich
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
warten lässt. Bis zu diesem Zeitpunkt herrscht nach wie vor Rechtsunsicherheit. Seegel/Remmertz/Kast, ZInsO 2015, 1997 ff.
Besonderheiten sind ferner bei urheberrechtlich geschützten Werken i. S. d. § 2 407 UrhG zu berücksichtigen. Hierzu gehören u. a. Sprachwerke, Werke der Musik, der bildenden Künste einschließlich Werke der Baukunst und Entwürfe solcher Werke, Filmwerke, Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen sowie Computerprogramme (Software), sofern diese persönliche geistige Schöpfungen darstellen. Es gilt der Grundsatz der Unübertragbarkeit des Urheberrechts; dieses kann 408 nur als Ganzes vererbt oder durch Verfügung von Todes wegen auf andere übergehen (§ 29 Abs. 1 UrhG). Der Urheber kann sein Werk jedoch durch andere verwerten lassen, indem er Nutzungsrechte in mehr oder weniger großem Umfang einräumt (§§ 29 Abs. 2, 31 ff. UrhG). Dabei können ausschließliche oder einfache Nutzungsrechte, zeitlich, räumlich, inhaltlich beschränkt oder unbeschränkt eingeräumt werden. Ein gutgläubiger Rechtserwerb scheidet aus. Wer behauptet, Inhaber eines Nutzungsrechts zu sein, muss deshalb im Streitfall eine lückenlose Vertragskette darlegen und beweisen, die bis zum Urheber führt. Sind Art und Umfang des Nutzungsrechts nicht ausdrücklich bezeichnet, 409 bestimmt sich dies aus dem von den Parteien zugrunde gelegten Vertragszweck (§ 31 Abs. 5 UrhG). Nutzungsrechte sind im Grundsatz frei übertragbar, die Verfügung über das Recht bedarf aber der Zustimmung des Urhebers, die dieser gegenüber dem Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts nicht willkürlich verweigern darf. Das Erfordernis der Zustimmung ist durch eine entsprechende Vereinbarung abbedingbar. Schließlich ist die Zustimmung des Urhebers dann nicht nötig, wenn die Weiterübertragung im Rahmen der Veräußerung eines Unternehmens oder von Teilen eines Unternehmens geschieht oder sich die Beteiligungsverhältnisse am Unternehmen wesentlich verändern (§ 34 Abs. 3 UrhG). Dies gilt auch im Rahmen der übertragenden Sanierung des insolventen Un- 410 ternehmens oder einzelner in sich abgeschlossener Unternehmensteile. Für Arbeitnehmer stellt § 43 UrhG eine generalklauselartige Regelung bereit, 411 die die Verwertung der Rechte angestellter Urheber nach dem Inhalt oder Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses einschränkt, woraus sich nach ständiger Rechtsprechung, BGH, Urt. v. 22.2.1974 – I ZR 128/72, GRUR 1974, 480, 483; BAG, Urt. v. 13.9.1983 – 3 AZR 371/81 – „Statikprogramme“, GRUR 1984, 429, 431,
die Verpflichtung ergibt, dem Arbeitgeber oder Dienstherrn die zur Auswertung der Werke erforderlichen Nutzungsrechte vertraglich einzuräumen. Eine ausdrückliche vertragliche Regelung über den Umfang der Nutzungsrechte 91
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
ist anzuraten. Für den Fall geschützter Computerprogramme bestimmt hingegen § 69b UrhG, dass dem Arbeitgeber bzw. Dienstherrn kraft Gesetzes alle vermögensrechtlichen Befugnisse an einem in abhängiger Position geschaffenen Programm zustehen, sofern nichts anderes vereinbart ist. 412 Für Softwarelizenzen ist zu beachten, dass bei der zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkten Einräumung der ausschließlichen Nutzungsrechte in Bezug auf die Software auch die Anwendungsdokumentation und der Quellcode übertragen werden. Überwiegend wird bei einer dauerhaften Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalentgelt (auch bei nur einfachen Nutzungsrechten) von der Anwendbarkeit kaufrechtlicher Vorschriften ausgegangen. BGH, Urt. v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86, NJW 1988, 406, 407 f.; BGH, Urt. v. 23.7.2009 – VII ZR 151/08, NJW 2009, 2877 ff.; aber weiterhin str., ob bei der Erstellung und dauerhaften Überlassung von Individualsoftware Kauf- oder Werkvertragsrecht zur Anwendung kommt.
413 Bei einer beschränkten Überlassung auf Zeit gegen wiederkehrendes Entgelt werden Softwareüberlassungsverträge als Verträge mit „sui-generis-Charakter“ zu klassifizieren sein. BGH, Urt. v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, NJW 2003, 2014, 2016.
414 Im Übrigen können Immaterialgüterrechte wie Patente, Gebrauchsmuster, Marken und Designs im Rahmen der übertragenden Sanierung veräußert und übertragen werden. HambKo-Lüdtke, InsO, § 35 Rn. 110 ff.
ff) Daten 415 Erhebliche Probleme wirft die Übertragung von Kundendaten vom insolventen Unternehmen an den Unternehmenserwerber auf, die für eine Fortführung des Geschäftsbetriebs regelmäßig von großer Bedeutung sind. 416 Der Datenschutz überlagert grundsätzlich das Insolvenzrecht. Der Insolvenzverwalter ist Verantwortlicher i. S. d. Art. 4 Nr. 4 DSGVO mit allen daraus resultierenden (persönlichen) Haftungsverantwortlichkeiten im Rahmen der Betriebsfortführung und der Transaktion. Kommt eine Verwertung der personenbezogenen Datenbestände nicht in Betracht und genügt die Insolvenzmasse nicht, um den Anforderungen der DSGVO und des BDSG zu genügen, so kommt eine Freigabe vom Beschlag der Insolvenzmasse in Betracht (vgl. die Rechtsprechung zur Freigabe kontaminierter Grundstücke Rn. 481 f.). Über die erfolgte Freigabe soll die Aufsichtsbehörde nachrichtlich durch den Verwalter informiert werden. Siehe https://www.vid.de/initiativen/eckpunktepapierdatenschutz/.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Die Übertragung von Kundendaten stellt eine „Verarbeitung“ von personen- 417 bezogenen Daten i. S. v. Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar, die gemäß Art. 6 Abs. 1 DSGVO nur bei Vorliegen eines Erlaubnistatbestands zulässig ist. Hierzu ausführlich Hoffmann/Danylak, NZI 2020, 705, 709.
Keine gesonderten datenschutzrechtlichen Probleme stellt die Übernahme 418 von Vertragsverhältnissen dar. Diese bedarf regelmäßig der Zustimmung des Vertragspartners, in der nach Ansicht der Datenschutzbehörden in der Regel als „Minus“ auch die datenschutzrechtliche Zustimmung zur Übermittlung der Daten gesehen werden kann. Siehe v. d. Bussche/Voigt-Platz, Konzerndatenschutz, 6. Teil, Rn. 62; https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/ dskb/20190524_dskb_asset_deal.pdf.
Komplizierter ist die Sache jedoch, wenn personenbezogene Daten poten- 419 ziell künftiger Kunden bei fortgeschrittener Vertragsanbahnung übertragen werden sollen. Gleiches gilt hinsichtlich der Datenübertragung von Bestandskunden ohne laufende Verträge, wenn die letzte Vertragsbeziehung weniger als drei Jahre zurückliegt. Hoffmann/Danylak, NZI 2020, 705, 709.
Diesbezüglich wird von der Konferenz der unabhängigen Datenschutzauf- 420 sichtsbehörden in Anlehnung an die noch zur alten Rechtslage vom Bayerischen Landesamt für Datenaufsicht herangezogenen Widerspruchslösung, siehe https://www.lda.bayern.de/media/pm/pm2015_10.pdf,
ein „Opt-out“ mit einer ausreichenden Widerspruchsfrist gefordert. Siehe https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/ dskb/20190524_dskb_asset_deal.pdf.
Ausgenommen von der Widerspruchslösung sind nach Ansicht der Daten- 421 schutzbehörden allerdings Bankdaten (IBAN), die nur nach ausdrücklicher Einwilligung des Kunden übermittelt werden dürfen. Daten von Bestandskunden ohne laufende Verträge, bei denen die letzte ak- 422 tive Vertragsbeziehung mehr als drei Jahre zurückliegt, sollen hingegen ausschließlich in Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 c DSGVO (zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung) übermittelt werden dürfen, soweit eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht besteht und dürfen dann auch nur zur Erfüllung der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen genutzt werden Hoffmann/Danylak, NZI 2020, 705, 709.
Daten, die bestehende Forderungen betreffen, dürfen im berechtigten Inte- 423 resse des Erwerbers (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 f DSGVO) übertragen werden, es sei denn, es ist ein Abtretungsverbot vereinbart worden. Siehe https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/dskb/ 20190524_dskb_asset_deal.pdf.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
424 Besondere Aufmerksamkeit erfordern sensible Kundendaten, die unter Art. 9 Abs. 1 DSGVO fallen und die nur im Wege der informierten Einwilligung nach Art. 9 Abs. 2a i. V. m. Art. 7 DSGVO übertragen werden dürfen. 425 Die Empfehlungen der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden geben damit Richtlinien vor, die vom Insolvenzverwalter und vom eigenverwaltenden Schuldner beachtet werden sollen, um sich nicht in die Gefahr behördlicher Verfahren, hoher Bußgelder und auch Schadenersatzklagen der betroffenen Personen gemäß Art. 82 DSGVO zu begeben. Hoffmann/Danylak, NZI 2020, 705, 709.
426 Pragmatischste Lösung für die datenschutzrechtlichen Probleme beim Asset Deal ist eine Kombination aus Share und Asset Deal. Während das Unternehmen im Wege des Asset Deals erworben wird, der sofort vollzogen werden kann, wird ein erheblicher Teil des Kaufpreises als Plansonderzahlung auf die Daten allokiert. Der Unternehmenskäufer erwirbt den Unternehmensmantel nebst Kundendaten auf Grundlage eines Insolvenzplans, der Kapitalmaßnahmen vorsieht. Bei dieser Form des Share Deals bedarf es keiner datenschutzrechtlichen Rechtfertigung, da die Zielgesellschaft (und nicht deren Eigentümer) Verantwortlicher im i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO ist und somit kein Verarbeitungsvorgang von Daten vorliegt. Siehe v. d. Bussche/Wrobel, SanB 21, 20 ff.
427 Voraussetzung für sämtliche Datenübermittlung ist selbstverständlich, dass die personenbezogenen Daten beim insolventen Unternehmen auf Grundlage einer wirksamen Rechtsgrundlage verarbeitet werden und nicht schon aus anderen Gründen (z. B. Zweckfortfall, Widerruf der Einwilligung) nicht (mehr) verarbeitet werden dürfen. gg) Gesellschaftsvertragliche Veräußerungsbeschränkungen 428 Die Abtretung von Geschäftsanteilen einer GmbH bedarf in vielen Fällen nach näherer Bestimmung der Satzung der Zustimmung der Gesellschafter bzw. der Gesellschafterversammlung. Nach herrschender Auffassung in der Literatur gelten im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Zustimmungserfordernisse oder Veräußerungsbeschränkungen nicht bei einer Veräußerung aus der Insolvenz, weil die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter zugunsten der Gläubiger das Insolvenzverfahren als Verwertung nicht durch gesellschaftsvertragliche Regelungen eingeschränkt werden kann. Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 15 Rn. 102; MüKo-Peters, InsO, § 35 Rn. 255.
429 Folglich kann der Insolvenzverwalter beim Unternehmensverkauf aus der Insolvenzmasse dem Erwerber auch ohne Einhaltung einer satzungsmäßigen Vinkulierungsvorschrift eine Beteiligung verkaufen und übertragen, die außer-
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
halb eines Insolvenzverfahrens wegen fehlender Zustimmung der Gesellschafter unveräußerbar wäre. b) Forderungsmanagement In der Regel stehen nach dem Unternehmenskaufvertrag sowohl der Insol- 430 venzmasse als auch den Erwerbern Altforderungen bzw. Forderungen aus laufenden Verträgen zu. In einem solchen Fall sollten zur Vermeidung von Streitigkeiten möglichst eindeutige Regelungen zum Forderungsmanagement getroffen werden. Vallender, GmbHR 2004, 642, 647.
Kauft der Erwerber nicht den gesamten Forderungsbestand des Schuldner- 431 unternehmens aus Lieferung und Leistung, so muss der Forderungseinzug eindeutig geregelt werden. Dies erfordert eine Abgrenzung dahingehend, ob und in welchem Umfang der Insolvenzverwalter bzw. Erwerber berechtigt bzw. verpflichtet sein soll, Forderungen einzuziehen bzw. bei dem Forderungseinzug mitzuwirken. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 116.
Soll der Insolvenzverwalter die Forderungen der Insolvenzmasse selbst ein- 432 ziehen, so stellt sich für ihn in tatsächlicher Hinsicht das Problem, dass er nicht über die sachlichen und personellen Mittel zum Forderungseinzug verfügt, weil auch diese im Rahmen der übertragenden Sanierung auf den Erwerber übergegangen sind. Auch werden die für den Forderungseinzug notwendigen Unterlagen regelmäßig im Rahmen des Asset Deals dem Erwerber übergeben werden. Ein effektiver Forderungseinzug durch den Insolvenzverwalter setzt daher voraus, dass der Erwerber sich im Vertrag verpflichtet, den Insolvenzverwalter gegen angemessene Vergütung bei dem Forderungseinzug mit sachlichen und personellen Mitteln zu unterstützen. Idealerweise sollte dabei dem Insolvenzverwalter ein eigenständiges Weisungsrecht gegenüber den zuständigen Mitarbeitern eingeräumt werden. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 119.
Kommen die Vertragsparteien demgegenüber überein, dem Erwerber den 433 Einzug der Forderungen der Insolvenzmasse zu übertragen, so wird in der Regel zugunsten des Erwerbers für die Abrechnung und den Forderungseinzug ein Bearbeitungsentgelt in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Netto-Rechnungsbetrages vereinbart. Ferner wird man in diesem Fall eine Verpflichtung des Erwerbers zur regelmäßigen Rechnungslegung sowie fixe Zahlungstermine bzw. -fristen in den Vertrag aufnehmen. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 118.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
2. Kaufpreisbemessung 434 Gesetzlicher Anhaltspunkt für die Kaufpreisermittlung ist der gesetzliche Auftrag des Insolvenzverwalters gemäß § 1 InsO. Ziel muss es sein, für die Gläubiger eine möglichst hohe Quote zu erreichen. 435 Bei der Bestimmung des Kaufpreises im Rahmen übertragender Sanierungen ergeben sich erhebliche Unterschiede zur üblichen Kaufpreisfindung bei Unternehmenskäufen. 436 Der Kaufpreis bei der übertragenden Sanierung orientiert sich an der Gesamtsumme der Werte der zu veräußernden einzelnen Vermögensgegenstände. Insbesondere kann die Bemessung des Kaufpreises bei einem Unternehmenskauf aus der Insolvenz nicht auf der Grundlage der sonst bei Kauf eines „lebenden“ Unternehmens üblichen Methoden erfolgen. Eine Bewertung anhand der vergangenen und erwarteten Erträge oder Cashflows kommt nicht infrage, da das Unternehmen gerade keinen Gewinn bzw. positiven Cashflows erwirtschaftete. Auch die Substanzwertmethode scheidet im Fall der Überschuldung aus, da Eigenkapital nicht vorhanden ist. 437 Der vorläufige Insolvenzverwalter veranlasst regelmäßig nach seiner Bestellung eine Inventarisierung und Bewertung der vorhandenen materiellen Wirtschaftsgüter. Eine derartige Bewertung enthält üblicherweise zwei Werte, den Liquidations- bzw. Zerschlagungswert sowie den Fortführungswert (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO a. F.). Für immaterielle Vermögenswerte, insbesondere gewerbliche Schutzrechte, erfolgt ggf. eine gesonderte Bewertung. Gleiches gilt für etwaige nicht insolvente Beteiligungen oder Tochtergesellschaften, die nach den üblichen Methoden nicht insolventer Unternehmen durch eine Unternehmensbewertung zu bewerten sind. 438 Erwerbsinteressenten wird im Datenraum eine Aufstellung sämtlicher veräußerbarer Vermögensgegenstände inklusive des Fortführungswertes übergeben. Auskünfte über Liquidationswerte wird der (vorläufige) Insolvenzverwalter regelmäßig nicht geben, da sie die untere Grenze des Insolvenzverwalters in den Kaufpreisverhandlungen darstellen. 439 Der Kaufinteressent kann bei der Kaufpreisberechnung berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter ohne Verkauf des Unternehmens mit erheblichen Mehrkosten rechnen muss, die für ihn somit kaufpreisbestimmende Faktoren bei einer von ihm immer anzustellenden Alternativbetrachtung der Zerschlagung sind. Nicht übernommene Arbeitnehmer lösen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten aus. Diese aufoktroyierten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind vorrangig aus der Insolvenzmasse zu zahlen und schmälern damit die Masse, die den nicht nachrangigen Gläubigern (§ 38 InsO) zur Verfügung steht. Sind im Zielunternehmen viele Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit vorhanden, sodass regelmäßig die dreimonatige Kündigungsfrist des § 113 InsO greift, kommt es nicht selten vor, dass die Insolvenzmasse bei einer Betriebseinstellung durch
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
die Auslauflöhne bis zum Ende der Kündigungsfrist aufgezehrt wird. Verfügt der Betrieb über einen Betriebsrat, besteht die zusätzliche Verpflichtung, gemäß § 112 BetrVG einen Sozialplan zu schließen. Infolgedessen ist die Übernahme von Arbeitnehmern ein wesentliches Kriterium der Kaufpreisermittlung. Der Investor sollte somit im Rahmen der Kaufpreisfindung anhand der Ar- 440 beitnehmerlisten ermitteln, in welchem Umfang die Insolvenzmasse belastet wird, wenn der Insolvenzverwalter das Unternehmen liquidiert und die Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der Regelung des § 113 InsO kündigt. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Bernsau, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 53.
Auch ein Sozialplanvolumen und die Beträge für eine etwaige Urlaubsabgel- 441 tung unter Berücksichtigung der Regelung der § 123 InsO sollten ermittelt werden und Berücksichtigung finden, wenn es im Rahmen der übertragenden Sanierung zu keinem Arbeitsplatzabbau kommt. Der Insolvenzverwalter wird diese Kalkulation für sich entsprechend vornehmen, um das erforderliche Mindestgebot zu ermitteln. Eine entsprechende Kalkulation kann ebenfalls erfolgen, wenn die Übernahme 442 von Mietverträgen für Immobilien kaufvertraglicher Bestandteil ist, denn auch die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO zu zahlenden Mieten sind aufoktroyierte und vorab zu erfüllende Masseverbindlichkeiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass für Mietverträge keine Überleitungsvorschrift, wie die des § 613a BGB für Arbeitsverhältnisse, existiert. Infolgedessen ist die Überleitung eines Mietverhältnisses vom insolventen Unternehmen auf den Erwerber von der Zustimmung des jeweiligen Vermieters abhängig. HambKo-Ahrendt/Pohlmann-Weide, InsO, § 109 Rn. 11 ff.
Für die Beurteilung eines Mindestgebotes wird der Insolvenzverwalter somit 443 zwei Kriterien zugrunde legen: x
die Liquidationswerte der einzelnen Wirtschaftsgüter des Unternehmens als Bewertungsuntergrenze und
x
die Masseverbindlichkeiten, die bei der Liquidation des Schuldnerunternehmens oder bei einer Ausproduktion entstehen.
Ein Unterschreiten der Liquidationswerte ist vertretbar, soweit die Insol- 444 venzmasse durch die Unternehmensveräußerung von ansonsten entstehenden Masseverbindlichkeiten entlastet wird. Grenzen findet diese Kalkulation bei den Gegenständen, die mit Rechten Dritter belastet sind. Zwar wird die Insolvenzmasse regelmäßig gemäß §§ 166, 170 f. InsO oder aufgrund höherer ausgehandelter Massekostenbeiträge an den Verwertungserlösen beteiligt. Eine vollständige Anrechnung der Masseverbindlichkeiten, um die die Insol-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
venzmasse bei einer Unternehmensveräußerung im Ganzen entlastet wird, ist im Hinblick auf diese Gegenstände jedoch ausgeschlossen. 445 Weitere Elemente der Kaufpreisfindung sind der Zeitfaktor und die Liquiditätslage im Zielunternehmen. Ein Unternehmensverkauf setzt im Regelfall ein werbendes Unternehmen voraus. Ist schon eine kurzfristige Betriebsfortführung in Anbetracht der Liquiditätslage des Unternehmens nur unter erheblichen Mühen und Haftungsrisiken des (vorläufigen) Insolvenzverwalters möglich, wird der erste Interessent, der zügig unternehmerische Entscheidungen zu einer Investition trifft, auch bei einem schlechten Kaufpreisgebot den Zuschlag erhalten. Zögerliche Interessenten, die einen langwierigen DueDiligence-Prozess aufsetzen, werden nicht mehr zum Zuge kommen, auch wenn sie grundsätzlich bereit sind, am Ende ihres Entscheidungsfindungsprozesses einen höheren Kaufpreis zu zahlen Vgl. Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Rn. 358 f.
446 Schließlich können auch die Vorstellungen der einzelnen Interessenten hinsichtlich Fälligkeit und Besicherung der Kaufpreisforderungen ein wesentlicher Punkt bei der Bewertung mehrerer Angebote durch Interessenten durch den Insolvenzverwalter und den Gläubigerausschuss sein. Soweit höhere, aber ratierlich zu zahlende Kaufpreise, die nicht werthaltig besichert sind, niedrigeren, aber sofort fälligen Kaufpreisgeboten gegenüberstehen, kann dies ausschlaggebendes Kriterium für die Annahme des niedrigeren Angebotes sein. 3. Garantievereinbarungen a) „Garantiefeindlichkeit“ des Insolvenzverwalters 447 Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen einem „normalen“ Unternehmenskauf und einem Unternehmenskauf aus der Insolvenz liegt darin, dass der Insolvenzverwalter in fast allen Fällen nicht bereit sein wird, die sonst bei Unternehmenskäufen üblichen Garantien zu übernehmen. Vgl. zu den sonst üblichen Garantien den umfangreichen Katalog bei Holzapfel/Pöllath/Bergjan/Engelhardt, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 2480 ff.
448 Derartige Garantiekataloge kann der Insolvenzverwalter nicht abgeben. Häufig wird er im insolventen Unternehmen keine ordnungsgemäße Buchhaltung vorfinden und nur in beschränktem Umfang auf aktuelle Bilanzen und betriebswirtschaftliche Auswertungen zurückgreifen können und eine Vollständigkeitserklärung wird auch niemand abgeben (wollen). Aber auch wenn dem Grunde nach ausreichende Unterlagen vorhanden sind, ist die abschließende Prüfung entweder zeitlich unmöglich oder jedenfalls zu aufwendig und kostspielig. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 129.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Der Insolvenzverwalter wird es ferner vermeiden, das Bestehen von Verträ- 449 gen oder das Vorliegen von Aufträgen zum Gegenstand einer Garantie zu machen, da er nicht sicher sein kann, dass ihm hinsichtlich bestehender Verträge bzw. Kundenaufträge sämtliche relevanten Vertragserklärungen der Parteien zur Verfügung standen. Der Insolvenzverwalter kann nicht sicher ausschließen, dass Kunden ihre Aufträge gekündigt haben, Verträge zwischenzeitlich einvernehmlich aufgehoben wurden oder Willenserklärungen angefochten oder widerrufen wurden. Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl-Höpfner, Handbuch der übertragenden Sanierung, S. 132.
Vergleichbare Gründe werden den Insolvenzverwalter auch von den meisten 450 anderen, sonst bei Unternehmenskäufen üblichen Garantien abhalten. Entsprechendes gilt für den eigenverwaltenden Schuldner. Grund für diese „Garantiefeindlichkeit der Insolvenzverwalter“ ist letztlich die 451 Vermeidung der Haftung der Insolvenzmasse und der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters. Der Insolvenzverwalter kennt den Kaufgegenstand in der Regel erst seit wenigen Wochen und nur rudimentär. Schließlich wird er in der Mehrzahl der Fälle auch nicht branchenkundig sein. Er wird daher meist darauf bestehen, das Unternehmen in dem Zustand zu übertragen, in welchem er es vorgefunden hat. Er wird dem Erwerber eher mit dem Preis entgegenkommen, als Garantien zu übernehmen. Im Übrigen soll der gezahlte Kaufpreis zur alsbaldigen Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stehen. Im Rahmen der Eigenverwaltung wird das zuvor Gesagte inhaltlich so nicht 452 haltbar sein, da in der Regel davon auszugehen ist, dass die den eigenverwalteten Schuldner führenden Organe Einblick in die Situation – namentlich die Buchhaltung und wesentlichen Verträge – des Schuldners haben. Trotz dieses Wissens und einer damit möglichen Risikobeurteilung werden die Organe des in der Eigenverwaltung befindlichen Schuldners im Rahmen des Unternehmensverkaufs in der Krise versuchen, die Gewährleistungen soweit wie möglich auszuschließen und Garantiezusagen nur in beschränktem Umfang abzugeben, um eine mögliche Haftung weitestgehend auszuschließen. Ferner treffen den Veräußerer daneben weitere Aufklärungs-, Wahrheits- 453 und Berichtspflichten. So besteht beispielsweise eine Pflicht zur Aufklärung, wenn der Erwerber unter Zugrundelegung des Grundsatzes von Treu und Glauben die Offenlegung bestimmter Tatsacheninformation erwarten kann. Um hier einen überschaubaren und damit berechenbaren Rahmen für die Beteiligten zu schaffen, wird in der Regel ein Garantiekatalog vereinbart. Dieser enthält sodann die offen zu legenden Informationen, den zu beachtenden Maßstab an Sorgfalt sowie die mit einem Verstoß verbundenen Rechtsfolgen. b) Gewährleistungsausschluss Anstatt Garantien zu übernehmen, wird der Insolvenzverwalter im Gegenteil 454 und in der Regel auf einen Gewährleistungsausschluss bestehen. Unter99
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
nehmenskaufverträge aus der Insolvenz sehen daher regelmäßig vor, dass der Verkäufer keine Gewährleistungs- oder Schadensersatzverpflichtungen irgendwelcher Art übernimmt. In der Literatur wird ferner empfohlen, auch die Nacherfüllungsansprüche nach § 439 BGB ausdrücklich auszuschließen. Vallender, GmbHR 2004, 642, 648.
455 Im Hinblick auf die Regelung des § 444 BGB ist es erforderlich, in den Vertrag eine weitere Klausel aufzunehmen, nach welcher der Verkäufer Einsicht in alle notwendigen und relevanten Unterlagen erhalten hat und auch alle Gegenstände in Augenschein genommen hat. Vallender, GmbHR 2004, 642, 648.
456 Es ist aus Erwerbersicht nicht sinnvoll, an diesem Punkt die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Die Insolvenzmasse wird ohnedies nur in wenigen Fällen in der Lage sein, auftretende Gewährleistungsansprüche zu befriedigen. Zeigt der Insolvenzverwalter nach Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen des Erwerbers nach § 208 InsO Masseunzulänglichkeit an, sind die Käuferrechte nicht mehr durchsetzbar. Vgl. Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Rn. 337.
457 Es verbleiben dem Erwerber daher allenfalls Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter persönlich. 458 Voraussetzung hierfür wäre, dass ein die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters auslösendes Verhalten die Gewährleistungsansprüche begründet hat. 459 Denkbar ist zum einen der Fall, dass der Insolvenzverwalter wesentliche Umstände, die ihm bekannt waren und zu den Gewährleistungsansprüchen führten, verschwiegen hat. 460 Ferner kann der Insolvenzverwalter als Sachwalter nach den Grundsätzen der Vertreterhaftung wegen Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens (§ 311 Abs. 3 BGB) haften. BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, ZIP 1987, 650 ff.; dazu Baur, EWiR 1987, 609 f.; BGH, Urt. v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86, ZIP 1987, 1586 ff.; BGH, Urt. v. 12.10.1989 – IX ZR 245/88, ZIP 1989, 1584 ff.
461 Ebenso kommt eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters nach §§ 60, 61 InsO wegen Masseunzulänglichkeit in Frage. Der Insolvenzverwalter kann sich jedoch exkulpieren, wenn er beweist, dass er bei Eingehung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Das wird bei Gewährleistungsansprüchen kaum je der Fall sein. MüKo-Schoppmeyer, InsO, § 61 Rn. 24.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
c) Mögliche Garantien Möglich und häufig verwendet ist eine Klausel, mit der der Insolvenzverwalter 462 seine Verfügungsbefugnis garantiert und nachweist. Zu empfehlen ist eine dahingehende Vertragsklausel, dass sich die Parteien 463 einig sind, dass die verkauften Vermögensgegenstände im Eigentum der Schuldnerin stehen, es von den Parteien jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei einigen Vermögensgegenständen um Eigentum Dritter (z. B. Leasinggüter oder gemietete Gegenstände) handelt. Ferner kann die Regelung aufgenommen werden, dass die mögliche Mitveräußerung von Gegenständen, die nicht zur Masse gehören, auf den Vertrag keinen Einfluss hat und auch keine Schadensersatzansprüche auslöst. Ferner gewährleistet der Insolvenzverwalter eventuell die Existenz des verkauf- 464 ten Anlagevermögens und der verkauften Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. Eine typische Gewährleistungsklausel des vom Insolvenzverwalter vorbereiteten 465 Unternehmenskaufvertrages lautet: Der Käufer hatte ausreichend Gelegenheit, sich von den Rechten, dinglichen Berechtigungen und Ansprüchen an den Vermögensgegenständen, die Gegenstand dieses Vertrages sind sowie über Zustand und Beschaffenheit der Vermögensgegenstände und Vertrags- und Rechtsverhältnisse, die Gegenstand dieses Vertrages sind, zu überzeugen. Der Verkäufer garantiert ausschließlich die Existenz des in Anlage 1 aufgeführten beweglichen Anlagevermögens und die Existenz der veräußerten Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe. Im Zusammenhang mit dem vorgenannten beweglichen Anlagevermögen und den Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen erstreckt sich die Gewährleistung des Verkäufers nicht auf Abtretungen zu Sicherungszwecken im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und nicht auf irgendeine Art von Eigentumsvorbehalten von Lieferanten, verlängerte Eigentumsvorbehalte eingeschlossen. Sämtliche mit diesem Kaufvertrag verkauften und übertragenen Gegenstände gemäß Anlage 1 sind gebraucht und möglicherweise beschädigt. Die Gegenstände gemäß Anlage 1 werden deshalb verkauft wie besichtigt. Der Käufer ist daher nicht verpflichtet, die Gegenstände frei von Sachmängeln zu verschaffen. Eine bestimmte Beschaffenheit ist nicht vereinbart. Eine Haftung für Sachmängel jeder Art ist – so nicht arglistige Täuschung vorliegt – ausgeschlossen. Dem Käufer stehen – so nicht arglistige Täuschung vorliegt – die Rechte aus §§ 437 ff. BGB nicht zu. Dies gilt auch dann, wenn Mängel im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Gefahrübergang auftreten sollten, es sei denn, der Verkäufer hätte diese grob fahrlässig zu vertreten. Soweit dem Verkäufer Ansprüche gegen Dritte (Schädiger, Versicherung) zustehen, tritt der Verkäufer – unter Ausschluss jeder Gewährleistung – seine möglichen Ansprüche an den die Abtretung bereits jetzt annehmenden Käufer ab.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Für die Frage, ob arglistige Täuschung vorliegt und/oder welches Wissen zuzurechnen ist, ist allein der Wissenstand des Verkäufers oder des von ihm mit den Vertragsverhandlungen Beauftragten entscheidend. Eine Zurechnung des Wissens der Schuldnerin, sei es aus deren Unterlagen, von deren Organen, Mitarbeitern oder sonst von ihr beauftragten, findet nicht statt. Rein vorsorglich sind Ansprüche des Verkäufers auf Nacherfüllung ausgeschlossen, der Verkäufer ist jedoch dazu berechtigt. 466 Darüber hinaus ist der Insolvenzverwalter in der Regel bereit, die Zusage abzugeben, dass der Betrieb bis zum Übertragungsstichtag in ordnungsgemäßer Weise geführt wurde und Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes nicht stattgefunden haben. 4. Besonderheiten der Due Diligence, Haftung für Verbindlichkeiten (insbesondere beihilferechtliche und umweltrechtliche Fragen) und kartellrechtliche Fragen a) Checkliste für übertragende Sanierungen 467 Eine Prüfung des Zielunternehmens (Due Diligence) ist wegen des Zeitdrucks, häufig auch wegen der mangelhaften Dokumentation nur eingeschränkt möglich. Gleichwohl ist sie in vielen Fällen gerade im Hinblick auf die fehlenden Garantien des Verkäufers unentbehrlich. 468 Eine Due-Diligence-Prüfung erfolgt in der Regel anhand von Checklisten. Diese enthalten jedoch zahlreiche Punkte, die im Rahmen eines Unternehmenserwerbs aus der Insolvenz ohne Belang sind. Eine auf den Unternehmenskauf in der Insolvenz zugeschnittene Checkliste findet sich auch bei Fiebig/Undritz, MDR 2003, 254 ff.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Gesellschaftsstruktur Name, Rechtsform, Gesellschaftsvertrag, Eintragung im Handelsregister Beteiligungen an anderen Gesellschaften
Besonders relevant bei Konzerninsolvenzen, da Konzern in Insolvenz in Einzelteile zerfällt und jedes Unternehmen der individuellen insolvenzrechtlichen Prüfung unterzogen wird. Gehören sie mit zum Kaufgegenstand? Wenn ja, muss die DD auch bzgl. der Töchter durchgeführt werden! Achtung: Haftungserleichterungen (z. B. keine Geltung der § 25 HGB, § 75 AO in Insolvenz) gelten nur für insolvente Mutter.
Niederlassungen
Gehören sie mit zum Kaufgegenstand? Das zu Tochtergesellschaften bemerkte gilt ebenso. Sofern die Niederlassung rechtlich unselbstständig ist, greifen allerdings die Haftungserleichterungen des Mutterhauses.
Unternehmensverträge, Beherrschungsverträge, Ergebnisabführungsverträge
Gehen Beteiligungen an Tochtergesellschaften mit über, haben die Verträge keinen Bestand mehr.
Umsatzgrößen
Relevant für die Fusionskontrolle.
Sonstige gesellschaftsrechtliche Verträge und Absichtserklärungen Aktueller HR-Auszug Aktuelle beglaubigte Kopie des Gesellschaftsvertrages sowie aller nichteingetragener, satzungsändernder Gesellschafterbeschlüsse
Bedeutung ausschließlich im Share Deal. Der Normalfall der übertragenden Sanierung ist ein Asset Deal.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Versammlungs- und Beschlussprotokoll
Bedeutung ausschließlich im Share Deal. Der Normalfall der übertragenden Sanierung ist ein Asset Deal.
Öffentliche Erklärungen und Anmeldungen
Beispielsweise kartellrechtlich.
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Betriebsgenehmigungen Geprüfte Jahresabschlüsse der letzten fünf Jahre Für die Gesellschaft bisher tätige Rechts- und Patentanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Notare Kapitalstruktur und Steuern Die Kapitalstruktur der Gesellschaft hat Bedeutung im Share Deal. Der Normalfall der übertragenden Sanierung ist der Asset Deal. Steuerverbindlichkeiten werden bei einem Verkauf aus einem eröffneten Insolvenzverfahren heraus gemäß § 75 AO vom Erwerber nicht übernommen. Anderes gilt jedoch z. B. bei einem Verkauf aus dem Eröffnungsverfahren heraus, bzw. bei einem Share Deal. Gezeichnetes und genehmigtes Kapital, Kapitalerhöhungen, Leistung der Bar- und Sacheinlage, lückenlose Urkunden über den Stand und die Entwicklung der Gesellschaftsanteile Bilanzen und finanzwirtschaftliche Lage: Konzernabschluss, Bilanzen der Einzelunternehmen, Jahresabschlüsse, Gewinn- und Verlustrechnung, Buchführung, BWAs, etc. Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern untereinander und/oder mit der Gesellschaft Optionen, Bezugsrechte oder sonstige kapitalbezogenen Rechte Überschuldungsstatus und Liquiditätsübersichten Zuständiges Finanzamt, Steuernummer, Umsatzsteuer-Identifikationsnummer
104
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Steuererklärungen und -bescheide Steuerschulden Prüfungsberichte Arbeitsverhältnisse Liste der Mitarbeiter, Führungskräfte und Organmitglieder Arbeitsverträge Muster-Anstellungsverträge/ Standardvereinbarungen Vereinbarungen über Zusatzvergütungen, Abfindungszahlungen Verträge mit freien Mitarbeitern (Individual- und Standardverträge, Zusatzvereinbarungen) Pensionspläne Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge Einzelpensionsvereinbarungen Gruppenversicherungen Arbeitnehmern gewährte Darlehen Darstellungen von Verstößen der Gesellschaft gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen Schwerbehinderte Altersstruktur der Arbeitnehmer Ausfallzeiten der Arbeitnehmer Existenz, Identität und Vergütung Bedeutung bei Share Deal oder bei von Gesellschaftsorganen (Geschäfts- (vorläufiger) Mitnahme der Geführer, Aufsichtsrat, Beirat, Vorstand) schäftsführung bzw. der Organe. Identität und Vollmachten der Prokuristen und Bevollmächtigten
Auch bei Asset Deal wichtig wegen § 613a BGB.
Mögliche Interessenkonflikte dieser Personen
105
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Im Betrieb tätige Betriebsräte und Gewerkschaften, existente Betriebsvereinbarungen und sonstige kollektivrechtlichen Regelungen Grundvermögen Grundbuchauszüge für Grundstücke und Erbbaurechte Dingliche und öffentlich-rechtliche Belastungen Gemietete/vermietete Grundstücke Unerfüllte Verträge über Immobilienerwerb bzw. -verkauf Gewerbliche Schutzrechte Patente und -anmeldungen Warenzeichen und -anmeldungen Urheberrechte Geschmacks- und Gebrauchsmuster bzw. -anmeldungen Geheimes Know-how Internationale Rechte Markennamen Lizenzverträge für Schutzrechte und Know-how Sonstiges Vermögen Bankkonten
106
Der Bestand von Bankkonten bzw. die Kontoauszüge der Vergangenheit können zwar evtl. Hinweise über Kostenstrukturen des Unternehmens geben, die alten Konten sind jedoch im Regelfall zum Verkaufszeitpunkt bereits durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter aufgelöst bzw. die Guthaben auf das Insolvenzverwalter-Anderkonto überführt.
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Sicherungsrechte (Grundpfandrechte, Sicherungsübereignungen und -abtretungen, Bürgschaften, Pfändungen und Verpfändungen)
Sicherheiten, die noch auf Assets des Unternehmens liegen, sind i. d. R. bereits durch den Insolvenzverwalter festgestellt worden, da ihm die Verwertungsrechte zustehen. Trotzdem sollte auch ein Käufer darauf achten, dass wirklich alle Sicherheiten erfasst wurden, da hier die Gläubiger in eine Vereinbarung miteinbezogen werden müssen, um einen wirksamen, lastenfreien Übergang der Vermögensgegenstände sicherzustellen.
Darlehen und Vorschüsse
Sofern nicht ein Share Deal stattfindet (im Regelfall nicht!), haben die Verbindlichkeiten des Unternehmens bei der Prüfung keine Relevanz, da eine übertragende Sanierung ja gerade dazu dient, Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten zu trennen. Sie verbleiben also bei dem insolventen Unternehmen. Dennoch kann eine Analyse der Verbindlichkeiten dazu dienen, die Knackpunkte, die letztlich zur Insolvenz führten, näher zu bestimmen.
Finanzielle Verbindlichkeiten
Siehe Kommentar zu Darlehen und Vorschüssen.
Subventionen, Prämien, Investitionszulagen, Zuschüsse
Siehe Kommentar zu Darlehen und Vorschüssen.
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Kraftfahrzeuge und -briefe Computersysteme und sonstige Maschinen Mangelhafte Gegenstände des Anlageund Umlaufvermögens Zahlungsverzüge
Siehe Kommentar zu Darlehen und Vorschüsse.
107
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Umwelt Ausführliche Checklisten zur umweltrechtlichen DD bei Sietz/Sondermann, Umwelt-Audit und Umwelthaftung, S. 3 ff. Insbesondere soweit Grundstücke mit veräußert werden, ist eine mögliche Kontamination mit schädlichen Bodenveränderungen/Altlasten sorgfältig zu prüfen, da gemäß § 4 BBodSchG auch der Grundstückseigentümer als Rechtsnachfolger für die Altlastenbeseitigung haftet. Hier besteht also für den Erwerber trotz eines eröffneten Insolvenzverfahrens ein erhebliches Haftungsrisiko. Angaben über das Betriebsgelände Auf dem Betriebsgelände hergestellte Produkte Abfall- und Abwasserbeseitigung Grundwassergefährdende Substanzen Umweltrechtliche Vorkommnisse Gefahr- und Giftstoffe Emissionen Genehmigungspflichtige Anlagen Umweltrechtliche Lizenzen Arbeitsschutzuntersuchungen Umweltrechtliche Verstöße Drohende, anhängige und abgeschlossene umweltrechtliche Untersuchungen Umweltschutz-, Arbeitsschutz und Sicherheitspolitik, jährlicher Kostenaufwand Sanierung von Umweltschäden Dauerrechtsverträge Versicherungsverträge Verträge mit Lieferanten Verträge mit Kunden
108
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Handelsrechtliche Verträge mit Vertriebsmittlern (Vertragshändler, Handelsvertreter, Kommissionäre usw.) Kooperationsvereinbarungen/Joint Venture Miete/Leasing/Gebrauchsüberlassung Factoring Ver- und Entsorgungsverträge Unternehmenskaufverträge Wettbewerbsbeschränkungen Staatliche Verträge Change-of-Control-Klauseln
Alle Verträge, die durch die Änderung der Beteiligungsverhältnisse verändert werden oder verändert werden können (z. B. Kündigungsrechte, Unwirksamkeitsklauseln etc.)
Sonstige wirtschaftlich relevante Verträge Internet Internetdomains Beschreibung der technischen Voraussetzungen/Sicherheitsstandards des Zahlungsverkehrs Beschreibung der Sicherstellung des Datenschutzes bei Teledienstes
Angebote von Waren- und Dienstleistungen mit unmittelbarer und interaktiver Bestellmöglichkeit
Kopie aller Web-Seiten bzw. der Ober- Anbieterkennzeichnung § 6 flächen der Bestellseiten bei TeleTDG diensten Rechtsstreitigkeiten (drohende und anhängige) Finanzrechtliche Streitigkeiten Verfahren wegen Schutzrechtsverletzungen
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Fortsetzung Information
Relevanz/Prüfungsumfang
Fundort bzw. Vorhanden ja/nein
Arbeitsrechtliche Streitigkeiten, insbesondere Kündigungsverfahren Sozialrechtliche Streitigkeiten Umweltrechtliche Verfahren Sonstige Zivilrechtsstreitigkeiten Straf- und Bußgeldverfahren Sonstiges Laufende Genehmigungsverfahren Mitteilungen/Studien/Produktinformationen Qualitätsmanagement (Existiert ein lizenziertes oder zertifiziertes Qualitätssicherungshandbuch (DIN ISO 9000-9004)?) Mitgliedschaften (betriebsbezogene Mitgliedschaften in Organisationen und Vereinigungen sowie Verbänden) Besondere Geschäftsidee
b) Haftung für schädliche Bodenveränderungen/Altlasten aa) Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für schädliche Bodenveränderungen/Altlasten 469 Die Kosten der Beseitigung von Bodenkontaminationen (nachfolgend wird zur Vereinfachung von Altlasten gesprochen) in der Insolvenz beschäftigt seit vielen Jahren Insolvenzverwalter, Behörden, Gerichte und Wissenschaft. Die Frage der Zuordnung dieser Kosten ist nicht nur von erheblicher Bedeutung für die Befriedigungschancen der Gläubiger, sondern auch für die Chancen einer (übertragenden) Sanierung. 470 In der geführten Diskussion standen sich eine „massefreundliche“ und eine „massefeindliche“ Lösung gegenüber. Nach dem massefreundlichen Ansatz traf den Insolvenzverwalter keine Ordnungspflicht für Verunreinigungen des Bodens vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach dieser Auffassung waren folglich auch die Kosten der Ersatzvornahme keine Masseschulden nach § 55 InsO, sondern einfache Insolvenzforderungen. Der „massefeindliche“ Ansatz sah den Insolvenzverwalter kraft dessen umfassender Sachherrschaft als Zustandsstörer an und begriff infolgedessen die Haftung für Bodenverunreinigungen als Masseverbindlichkeit. Auch die Freigabe von Masse-
110
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
grundstücken sollte nach dieser Auffassung sittenwidrig sein und damit keine enthaftende Wirkung entfalten. Zum Meinungsstreit vgl. MüKo-Peters, InsO, § 35 Rn. 95 ff.
Das BVerwG hat durch eine Grundsatzentscheidung vom 23.9.2004 hier für 471 eine gewisse Klarheit gesorgt. Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.9.2004 – 7 C 22.03, ZIP 2004, 2145 ff.; dazu ausführlich Hess, InsO, § 55 Rn. 50 ff.
Nach der Lösung des BVerwG kann der Insolvenzverwalter bis zur Freigabe des 472 Grundstücks aus dem Insolvenzbeschlag für die Altlastensanierung herangezogen werden. Seine bodenrechtlichen Verpflichtungen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sind Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Das BVerwG bekräftigt in seiner Entscheidung die Trennung von Insolvenzrecht und öffentlichem Recht. Das Insolvenzrecht bestimme, wie Ordnungspflichten im Insolvenzverfahren einzuordnen seien (also z. B. als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung), das öffentliche Recht bestimme, ob den Insolvenzverwalter eine Ordnungspflicht für die vom Massegegenstand ausgehende Störung trifft. Deshalb sei auch die Frage, ob allein die dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis folgende Inbesitznahme der Masse durch den Insolvenzverwalter nach § 148 Abs. 1 InsO eine Ordnungspflicht für von der Masse ausgehende Störungen bekundet, ausschließlich nach den Tatbestandsmerkmalen des jeweils einschlägigen Ordnungsrechts zu bestimmen. Hess, InsO, § 55 Rn. 53.
Nach Auffassung des BVerwG kann der Insolvenzverwalter die betroffenen 473 Grundstücke aber freigeben und darf nach der Freigabe nicht mehr zu deren Sanierung herangezogen werden. Die Möglichkeit der Freigabe sei insolvenzrechtlich anerkannt. Durch die Freigabe entfalle die tatsächliche Gewalt über die Flächen und damit die bodenschutzrechtliche Voraussetzung für eine Inanspruchnahme. Da die Schonung der Masse Pflicht des Insolvenzverwalters ist, kann die 474 Freigabe von Vermögenswerten, die die Masse belasten, durchaus eine Amtspflicht des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO sein. Hess, InsO, § 55 Rn. 54; Blum, Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit in der Insolvenz, S. 214; zum Pflichtenprogramm des Insolvenzverwalters bei Altlastenverdacht vgl. Küpper/ Heinze, ZInsO 2005, 409 ff.
bb) Verantwortlichkeit des Investors bei übertragender Sanierung Mit der Übereignung des kontaminierten Grundstücks trifft den Erwerber die 475 Zustandshaftung des Grundstücks. Eventuelle Ordnungsverfügungen richten sich vom Zeitpunkt der Übereignung an gegen den Rechtsnachfolger. Runkel/Schmidt-Undritz, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 14 Rn. 102.
111
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
476 Dies ist im Falle eines Unternehmens(teil)kaufs der Erwerber. Im Rahmen von übertragenden Sanierungen stellt also die bodenrechtliche Verantwortlichkeit eine ernste Gefahr für die Sanierungschance und für den potenziellen Investor dar. Das gilt umso mehr, als der Insolvenzverwalter sich regelmäßig weigern wird, irgendwelche Gewährleistungen zu übernehmen. 477 Die Freigabe des Grundstücks ist dann keine Lösung, wenn das Grundstück betriebsnotwendig ist und daher im Rahmen der übertragenden Sanierung in jedem Fall mitveräußert werden soll. 478 Eine für alle Fälle passende Lösung kann hierfür nicht angeboten werden. Mögliche Ansätze für eine praktische Bewältigung können sein: x
Im Rahmen der Vertragsgestaltung ist darauf zu achten, dass der Investor nicht Gesamtrechtsnachfolger des insolventen Unternehmens wird, da andernfalls die Gesamtrechtsnachfolgerhaftung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG einschlägig ist.
x
In Frage kommt ferner der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (Sanierungsvertrag i. S. v. § 13 Abs. 4 BBodSchG) mit der zuständigen Behörde und dem Insolvenzverwalter zur Regelung des Haftungsumfangs des Erwerbers. Einzelne Länder (z. B. Bayern) haben bereits allgemeine Verwaltungsanweisungen erlassen, mit denen derartige öffentlichrechtliche Verträge faktisch als Rechtsinstitut anerkannt werden.
x
In derartigen Verträgen wird die Haftungshöchstgrenze des Erwerbers festgeschrieben, darüber hinaus erklärt die Behörde die Freistellung.
479 Mit der zuständigen Bodenschutzbehörde ist vor Abschluss des Kaufvertrages ein Sanierungsplan gemäß § 13 BBodSchG zu erarbeiten und gleichzeitig eine Freistellungsvereinbarung ggf. mit Haftungshöchstgrenze abzuschließen, die wirksam wird, wenn die Anforderungen aus dem Sanierungsplan erfüllt sind. Geschäftsgrundlage für einen solchen Sanierungsplan und eine solche Freistellungsvereinbarung ist regelmäßig der Erhalt der bisherigen gewerblichen Nutzung. Sofern aufgrund des knappen Zeitrahmens der Abschluss eines solchen Sanierungsplans nicht in Betracht kommt, sollte sich der Erwerber von der zuständigen Bodenschutzbehörde vor Abschluss des Kaufvertrages zusichern lassen, dass diese keine Sanierungsanordnung erlassen wird, soweit sich die bisherige gewerbliche Nutzung nicht ändert. Das Risiko, dass die Behörde bei einer Änderung der Geschäftsgrundlage nicht mehr an eine solche Zusicherung gebunden wäre und dass sie die Zusicherung unter bestimmten Voraussetzungen zurücknehmen oder widerrufen kann, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden. 480 Neben dem Risiko der Haftung der Erwerbergesellschaft kann auch das Risiko einer Haftung der Gesellschafter der Erwerbergesellschaft für Altlasten nicht ausgeschlossen werden. Im Extremfall droht gar die Haftung des gesamten Erwerberkonzerns. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 4 1. Alt. BBodSchG ist zur Sanierung verpflichtet, „wer aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Grund für 112
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
eine juristische Person einzustehen hat“, der ein kontaminiertes Grundstück gehört. Bei weiter Auslegung dieser Norm kann eine altlastenrechtliche Haftung des Gesellschafters der Erwerbergesellschaft und letztlich sogar des Konzerns, dem die Erwerbergesellschaft angehört, in Betracht kommen. Für das Vorliegen einer gesellschaftsrechtlichen Einstandspflicht ist zu berück- 481 sichtigen, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Einstandspflicht nur in Fällen besteht, in denen das kontaminierte Grundstück einer juristischen Person gehört. Nach der derzeit wohl überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und 482 Literatur ist die Einstandspflicht nicht analog auf Personengesellschaften wie z. B. die GmbH & Co. KG anwendbar. VGH München, Urt. v. 29.11.2004 – 22 CS 04.2701, NJW-RR 2005, 829, 831 Rn. 15; Versteyl/Sondermann, BBodSchG, § 4 Rn. 62; Fluck/Frenz/Fischer/Franßen-Giesberts, BBodSchG, § 4 Rn. 277; Denkhaus/Demisch, InsVZ 2010, 243, 245.
Hier kommt es zu keiner Durchgriffshaftung. Bei ihnen ist die Haftung nicht 483 auf Missbrauchsfälle beschränkt, sondern es greift eine umfassende zivilrechtliche Haftung, mit der es sein Bewenden haben soll. BVerwG, Beschl. v. 5.6.2019 – 7 B 18.18; BeckOK-Hilf, UmweltR, § 4 BBodSchG Rn. 41.
Nach der Rechtsprechung des BGH besteht seit der Trihotel-Entscheidung,
484
BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 ff.,
aus dem Jahr 2007 eine gesellschaftsrechtliche Einstandspflicht des Gesellschafters nach § 826 BGB in Fällen „existenzvernichtender Eingriffe“ der Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen. Infolgedessen wird in der bodenschutzrechtlichen Literatur teilweise vertreten, 485 dass durch diese Entwicklung der von § 4 Abs. 3 Satz 4 1. Alt. BBodSchG geforderte gesellschaftsrechtliche Rechtsgrund einer Einstandspflicht im Bereich der Haftung aufgrund qualifizierter Konzernabhängigkeit endgültig aufgegeben worden sei. Vgl. Tiedemann, NVwZ 2008, 257, 259.
Da sich die Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 4 1. Alt. BBodSchG an der Recht- 486 sprechung des zweiten Senats des BGH orientiert, hat diese Vorschrift einen dynamischen Charakter. In der bisher seltenen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu dieser Vorschrift wird jeweils auf die aktuelle Rechtsprechung des zweiten BGH-Senats abgestellt. Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.12.2007 – 10 S 2351/06, NVwZ-RR 2008, 605, 609 Rn. 45.
Es ist fraglich, ob die Verwaltungsgerichte auch künftig den Maßstäben des 487 BGH für eine gesellschaftsrechtliche Haftung ohne Weiteres folgen oder eigene Maßstäbe entwickeln werden. 113
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Fluck/Frenz/Fischer/Franßen-Giesberts, BBodSchG, § 4 Rn. 292; vgl. zu diesem Thema auch Denkhaus/Demisch, InsVZ 2010, 243, 245.
488 In der Praxis werden die Erwerbsgesellschaften vor diesem Hintergrund jedenfalls als Personengesellschaften ausgestaltet. c) Haftung für rechtswidrig gewährte Beihilfen aa) Rückforderung gewährter Beihilfen für das insolvente Unternehmen 489 Nach den Entscheidungen der Europäischen Kommission, EuGH, Urt. v. 28.1.2003 – Rs. C-334/99, Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission – „Gröditzer Stahlwerke“, Slg. 2003, I-1139; EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – verb. Rs. C-328/99, Italienische Republik ./. Kommission und C-399/00 SIM 2 Multimedia SpA ./. Kommission – „Seleco“, NVwZ 2003, 839 ff.,
war in Deutschland die Unsicherheit über die gemeinschaftsrechtliche Behandlung der Rückforderung zu Unrecht gewährter Beihilfen in der Insolvenz des Beihilfeempfängers sehr groß. In diesen Entscheidungen hat die Kommission die Haftung für die Rückforderung der Beihilfen auf die Erwerber von wesentlichen Vermögenswerten dem Grunde nach erweitert. Damit ist in derartigen Fällen eine übertragende Sanierung mit erheblichen Rückforderungsansprüchen der Kommission belastet und im Ergebnis praktisch nur mit erheblichem Aufwand und Sorgfalt durchführbar, da der Erwerber faktisch automatisch das Risiko eines (bisher noch nicht gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend gemachten) Rückforderungsanspruchs übernimmt. 490 Insbesondere in der Entscheidung „Seleco“ hat sich der EuGH mit einer Kommissionsentscheidung befasst, die neben dem ursprünglichen Beihilfeempfänger auch den Erwerber des beihilfebegünstigten Unternehmens zur Rückzahlung der Beihilfe verpflichtete. Vgl. EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – verb. Rs. C-328/99, Italienische Republik ./. Kommission und C-399/00 SIM 2 Multimedia SpA ./. Kommission – „Seleco“, NVwZ 2003, 839 ff.
491 Der EuGH hat in dieser Entscheidung die Rechtsansichten der Kommission bestätigt, wonach der Mitgliedsstaat verpflichtet sei, alle verfügbaren Mittel juristischer Art zur Rückforderung der Beihilfe einzuleiten, inklusive der Liquidation des Unternehmens, wenn es anders nicht zur Rückzahlung der rechtswidrig gewährten Beihilfe in der Lage sein sollte. 492 Die SMI-Entscheidung (System Mikroelektronik Innovation) des Europäischen Gerichtshofs vom 29.4.2004, EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-277/00, Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission, ZIP 2004, 1013 ff.,
hat für eine gewisse Klärung gesorgt. Die Rückforderung einer Beihilfe gegenüber dem Unternehmenserwerber ist danach ausgeschlossen, soweit das 114
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Unternehmen von einem Dritten zum Marktpreis erworben wird. Der höchste realisierbare Preis, den ein privater Investor unter normalen Wettbewerbsbedingungen für dieses Unternehmen in der Situation, in der es sich nach dem Erhalt staatlicher Beihilfen befindet, zu zahlen bereit ist, bewertet das Beihilfeelement zum Marktpreis. Unter diesen Umständen kann der Erwerber nicht als Nutznießer eines Vorteils gegenüber den übrigen Marktteilnehmern angesehen werden. Wird eine Auffanggesellschaft in der Insolvenz des ursprünglichen Beihilfeempfängers gegründet, die einen Teil der Tätigkeit des insolventen Unternehmens, welches Beihilfe erhalten hat, nach dessen Insolvenz fortführt, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass ggf. auch diese Auffanggesellschaft zur Rückerstattung der fraglichen Beihilfen verpflichtet ist. Voraussetzung ist aber, dass der tatsächliche Nutzen des mit dem Erhalt der Beihilfen verbundenen Wettbewerbsvorteils bei dieser Auffanggesellschaft verblieben ist und die Auffanggesellschaft die Aktiva der insolventen Gesellschaft erwirbt, ohne dafür einen den Marktbedingungen entsprechenden Preis zu zahlen. Gleiches gilt, wenn Zweck der Gründung der Erwerbsgesellschaft ist, die Pflicht zur Rückerstattung der Beihilfen zu umgehen. Eine Rückforderung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Veräußerung des 493 Unternehmens bzw. der geförderten Vermögenswerte zum Marktpreis erfolgt. In dem der SMI-Entscheidung zugrunde liegenden Insolvenzverfahren hatte der bestellte Insolvenz- bzw. Gesamtvollstreckungsverwalter zwar wohl kein den heutigen Standards entsprechendes Bieterverfahren unter Hinzuziehung von M&A-Beratern und weiter Marktansprache durchgeführt. Der EuGH stellt jedoch fest, dass der Verkauf unter gerichtlicher Kontrolle stattfand und er nicht sofort vorgenommen wurde, sondern erst nach fruchtlosen Verhandlungen mit einem anderen Unternehmen. Dies seien Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein hinreichend offenes und transparentes Verfahren gehandelt habe. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-277/00, Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission, ZIP 2004, 1013, 1018 f.
Die Europäische Union hat ihren vormals eingeschlagenen Kurs bestätigt. 494 Der Kommissionsentscheidung vom 15.10.2014, C(2014) 7359, final,
liegt ein Sachverhalt zugrunde, in dessen Rahmen der Insolvenzverwalter über das Vermögen der slowakischen NCHZ im Wege eines Asset Deals die Insolvenzschuldnerin zum Höchstgebot veräußerte. Sämtliche Vermögensgegenstände wurden jedoch durch den Erwerber einen Tag nach Vollzug des Kaufs an einen Zweiterwerber weiterveräußert. Die der NCHZ gewährten Beihilfen wurden infolgedessen von der Kommission als rechtswidrig erachtet und zurückgefordert. Zur Begründung führte die Kommission aus, dass das höchste Gebot nicht dem Marktpreis für die Insolvenzschuldnerin entsprach, da es der Insolvenzverwalter versäumt hatte, einen offenen, transparenten, bedingungs- und diskriminierungsfreien Verkaufsprozess durchzuführen. Ein
115
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Verkaufsprozess erfolgt nach Auffassung der Kommission unter einer Bedingung, wenn das Bieterverfahren so ausgestaltet ist, dass derjenige, der das höchste Gebot abgegeben hat, sein Gebot nachbessern darf, um ein anderes Gebot, welches unter anderen Bedingungen abgegeben wurde, zu überbieten. Ferner bejahte die Kommission eine ökonomische Kontinuität zwischen Veräußerer und Zweiterwerber, da sowohl Erst- als auch Zweiterwerber sämtliche bestehenden Verbindlichkeiten sowie die für den Betrieb relevanten Verträge von der Insolvenzschuldnerin übernommen hatten. Zusätzlich gingen sämtliche Arbeitsverhältnisse auf den Zweiterwerber über, die Unternehmensstrategie wurde beibehalten und das Produktangebot und die Produktionsabläufe blieben ebenfalls konstant. Diese Faktoren, insbesondere der Zwischenerwerb, veranlassten die Kommission zu dem Schluss, dass die Veräußerung nicht zum Marktpreis erfolgte und eine Durchbrechung der Unternehmenskontinuität ebenfalls nur dann anzunehmen wäre, wenn der Zweitverkauf zum Marktpreis erfolgt wäre. Vgl. dazu ausführlich Jüchser, NZI 2015, 596 ff.
495 Infolge dieser Entscheidungen müssen Kaufinteressenten in der Due Diligence etwaige Rückforderungsrisiken identifizieren und i. S. d. zitierten Rechtsprechung des EuGH Vorsorge treffen. Der Insolvenzverwalter muss zudem sicherstellen, dass ein dem Markt entsprechender Preis für das Unternehmen erzielt wird, was ohnehin seine Pflicht ist. Ferner muss er das Risiko einer Beihilferückforderung im Bieterverfahren offenlegen, um auszuschließen, dass der im Rahmen der Rückforderung haftende Erwerber Schadensersatzansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend macht. In entsprechend gelagerten Beihilfe-Insolvenzverfahren ist es somit umso erforderlicher, unter Hinzuziehung eines professionellen M&A-Beraters ein transparentes, bedingungs- und diskriminierungsfreies Bieterverfahren durchzuführen. Nur ein solches kann die Inanspruchnahme des Unternehmenserwerbers wegen der ursprünglich rechtswidrig gewährten Beihilfen ausschließen. Thierhoff/Müller-Undritz, Unternehmenssanierung, Rn. 420 f.; vgl. zum Bieterverfahren ausführlich Bieg/ Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, C. Rn. 54.
bb) Rückforderungsanspruch als einfache Insolvenzforderung 496 Rechtswidrig gewährte Beihilfen sind nach der Entscheidung der Kommission von der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des deutschen Rechts zurückzufordern. Die nationalen Regelungen dürfen aber die Rückforderung nicht ausschließen oder faktisch unmöglich machen. Im Fall von rechtswidrigen, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfen muss ein wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt und dazu die betreffende Beihilfe unverzüglich zurückgefordert werden. Vgl. BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 221/05, ZIP 2007, 1760 ff.
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Die Verpflichtung zur Rückforderung besteht aber nicht uneingeschränkt. 497 Befindet sich das Unternehmen in der Insolvenz, genügt es, dass der Beihilfegeber seine Rückerstattungsforderung zur Tabelle anmeldet. Denn durch das Insolvenzverfahren und die Liquidation des Beihilfeempfängers wird die durch die unerlaubte Beihilfe hervorgerufene Beeinträchtigung des Wettbewerbs in aller Regel bereinigt. Vgl. BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 221/05, ZIP 2007, 1760, 1763.
Der BGH hat der in der Literatur teilweise vertretenen Auffassung, der Rück- 498 forderungsanspruch für staatliche Beihilfen, die als eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen zu werten seien, gewähre gemäß § 89 Abs. 1 Nr. 5 InsO nur eine nachrangige Insolvenzforderung, was auch durch das Europarecht nicht modifiziert werde, Bork, in: FS Lutter, S. 301, 315 f.; Geuting/Michels, ZIP 2004, 1215 ff.,
eine Absage erteilt. Der Beihilfegeber sei auch in der Insolvenz des Beihilfeempfängers zur Rückforderung verpflichtet, da nur so die unerlaubte Beeinträchtigung des Wettbewerbs bereinigt werden könne. An der Verpflichtung des Mitgliedsstaats, die Beihilfe effektiv und unverzüglich zurückzufordern, ändere die Insolvenz des Beihilfeempfängers grundsätzlich nichts, sodass auch dann die Anwendung des deutschen Insolvenzrechts die Rückforderung nicht faktisch verhindern dürfe. BGH, Urt. v. 5.7.2007 – IX ZR 221/05, ZIP 2007, 1760, 1763; vgl. auch von der Lühe/Lösler, ZIP 2002, 1752, 1758.
Wenn die Rückforderung aber nur zu einer nachrangigen Insolvenzforderung 499 führte, hätte der Beihilfegeber nicht einmal die uneingeschränkte Möglichkeit, die Rückforderung zur Tabelle anzumelden, sondern könnte der entsprechenden Pflicht nur nachkommen, wenn das Insolvenzgericht ihn zur Anmeldung aufforderte, sodass er noch schlechter stünde, als dies wegen der Zahlungsunfähigkeit des Beihilfeempfängers ohnehin schon der Fall ist. Die Einordnung als nachrangige Insolvenzforderung würde selbst die auf der Zahlungsunfähigkeit beruhende quotale Rückforderung faktisch unmöglich machen, denn auch die nur teilweise Befriedigung nachrangiger Insolvenzforderungen sei regelmäßig nicht zu erwarten. Dies würde darüber hinaus die Einflussnahme des Rückforderungsgläubigers auf das Insolvenzverfahren ausschalten. Gerade diese ist jedoch nötig, um den mit der Beihilfe erlangten Wettbewerbsvorteil vollständig abschöpfen zu können. Als nachrangiger Insolvenzgläubiger wäre der Beihilfegeber nicht berechtigt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, er wäre in ihr auch nicht stimmberechtigt. d) Kartellrecht Insbesondere die großen Automobilzuliefererinsolvenzen, insbesondere aber 500 der aus kartellrechtlichen Gründen (verweigerte Zustimmung der EU Kom-
117
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
mission) gescheiterte Verkauf der NIKI als Tochtergesellschafter der insolventen Air Berlin, und die Übernahme insolventer Krankenhausträger durch Wettbewerber auf Grundlage eines Insolvenzplans haben gezeigt, dass der Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz in Einzelfällen in kartellrechtlicher Hinsicht besondere Risiken begründen kann. Auch beim Unternehmenskauf aus der Insolvenz stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Erwerb eines insolventen oder eines insolvenzbedrohten Unternehmens durch Wettbewerber von der Europäischen Kommission oder dem Bundeskartellamt untersagt werden kann. 501 Die Fusionskontrolle an dieser Stelle mit allen Aspekten darzustellen, würde zu weit gehen. Aus diesem Grunde wird sie hier ausschließlich anhand der deutschen Zusammenschlusskontrollvorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), nicht aber anhand der europäischen Fusionskontrollverordnung (FKVO) erörtert. Ob die FKVO aufgrund einer gemeinschaftsweiten Bedeutung eines Zusammenschlusses zur Anwendung kommt oder aber das GWB, hängt maßgebend vom Umsatz der beteiligten Unternehmen und damit von quantitativen Kriterien ab. Im Übrigen finden im deutschen sowie im europäischen Fusionskontrollrecht im Hinblick auf die kartellrechtliche Problematik von Unternehmenskäufen aus der Insolvenz – mit Unterschieden in den Einzelheiten – die gleichen Grundsätze Anwendung. aa) Allgemeine kartellrechtliche Grundsätze betreffend die Fusionskontrolle 502 Nach § 39 GWB ist jeder Zusammenschluss, der die Kriterien der §§ 35 und 37 GWB erfüllt, durch die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen anmelde- und kontrollpflichtig; es besteht somit eine generelle vorbeugende Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt. 503 § 35 Abs. 1 GWB regelt die quantitativen Aufgreifschwellen der deutschen Fusionskontrolle. Danach finden die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle Anwendung, wenn x
im letzten Geschäftsjahr die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. € erzielt haben und
x
im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Mio. € und
x
ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Mio. € erzielt hat.
504 Daneben nennt § 37 Abs. 1 GWB die entscheidenden Kriterien für die materielle Fusionskontrolle. Danach liegt ein der Fusionskontrolle unterliegender Zusammenschluss im Fall des Vermögenserwerbs, des Kontrollerwerbs, des
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III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal
Anteilserwerbs und/oder im Fall eines wettbewerblich erheblichen Einflusses eines oder mehrerer Unternehmen auf ein anderes Unternehmen vor. Liegt ein Zusammenschluss i. S. d. §§ 35 und 37 GWB vor, so muss das Bundes- 505 kartellamt nach § 36 Abs. 1 GWB diesen untersagen, wenn von dem Zusammenschluss zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, es sei denn, die beteiligten Unternehmen können nachweisen, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. bb) Besonderheiten des Fusionskontrollverfahrens beim Erwerb aus der Insolvenz In der Praxis wird beim Erwerb eines insolventen oder eines insolvenzbe- 506 drohten Unternehmens durch einen Wettbewerber häufig das Argument der „Sanierungsfusion“ vorgebracht. In diesen Fällen soll es an dem Kausalitätserfordernis des § 36 Abs. 1 Halbs. 1 GWB zwischen Unternehmenszusammenschluss und der dadurch verursachten Marktbeherrschung bzw. deren Verstärkung, also der Verschlechterung der Wettbewerbsstruktur, fehlen. Der Zusammenschluss diene der Rettung eines vor dem finanziellen Zusammenbruch stehenden Unternehmens durch ein gesundes Unternehmen und sei daher ausnahmsweise nach der Abwägungsklausel des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 GWB zulässig. Das Bundeskartellamt, Bundeskartellamt, Leitfaden zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle, Rn. 184,
dessen Verwaltungspraxis der der Europäischen Kommission entspricht und im Einklang mit den im US-Antitrustrecht entwickelten Prinzipien steht, gibt Sanierungsfusionen frei, wenn nachfolgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: x
Das zu übernehmende Unternehmen würde ohne Übernahme durch ein anderes Unternehmen ohnehin kurzfristig aus dem Markt ausscheiden, d. h., es wäre ohne Übernahme nicht überlebensfähig.
x
Es gibt keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative, insbesondere kommt kein Unternehmen als alternativer Erwerber in Betracht.
x
Die Marktanteile des zu erwerbenden, sanierungsbedürftigen Unternehmens würden im Fall seines Ausscheidens aus dem Markt dem erwerbenden Unternehmen ohnehin im Wesentlichen zuwachsen. Dabei reicht es nach der Praxis des Bundeskartellamtes aus, wenn – sofern das erwerbende Unternehmen zu einem Oligopol gehört – das Marktpotenzial innerhalb dieses Oligopols verbleibt.
Demnach können Unternehmenszusammenschlüsse, die außerhalb einer Krise 507 unzulässig wären, in der Krise ausnahmsweise vor dem Hintergrund zulässig
119
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
sein, dass die Marktsituation durch den Erwerb nicht stärker beeinträchtigt wird als sie durch ein Ausscheiden dieses Unternehmens aus dem Markt, verbunden mit einer Übernahme der Marktanteile dieses Unternehmens durch den potenziellen Erwerber, beeinträchtigt würde. An eine Sanierungsfusion sind jedoch hohe Anforderungen gestellt. Dem Rechtfertigungsgrund der Sanierungsfusion wird regelmäßig entgegenstehen, dass dasselbe Ziel auch durch weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen erreicht werden kann, insbesondere durch einen Zusammenschluss oder eine sonstige Kooperation des sich in der Insolvenz befindenden Unternehmens mit Dritten, die ggf. über geringere Marktanteile als der Erwerber verfügen. cc) Verfahren der Zusammenschlusskontrolle und Vollzugsverbot (1) Fristen und Prüfverfahren 508 Ungeachtet der Besonderheiten der Sanierungsfusion darf das Bundeskartellamt nach § 40 Abs. 1 Satz 1 GWB einen Zusammenschluss, der ihm gemäß § 39 GWB angemeldet worden ist, nur untersagen, wenn es den anmeldenden Unternehmen innerhalb einer Frist von einem Monat seit Eingang der vollständigen Anmeldung mitteilt, dass es in die Prüfung des Zusammenschlusses (Hauptprüfverfahren) eingetreten ist. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 GWB soll das Hauptprüfverfahren eingeleitet werden, wenn eine weitere Prüfung des Zusammenschlusses erforderlich ist. Im Hauptprüfverfahren entscheidet das Bundeskartellamt durch Verfügung, ob der Zusammenschluss untersagt oder freigegeben wird (§ 40 Abs. 2 Satz 1 GWB). Wird die Verfügung den anmeldenden Unternehmen nicht innerhalb von vier Monaten nach Eingang der vollständigen Anmeldung zugestellt, gilt der Zusammenschluss nach § 40 Abs. 2 Satz 2 GWB als freigegeben. 509 Dies gilt nach § 40 Abs. 2 Satz 4 GWB allerdings nicht, wenn die anmeldenden Unternehmen einer Fristverlängerung zugestimmt haben, das Bundeskartellamt wegen unrichtiger Angaben oder wegen einer nicht rechtzeitig erteilten Auskunft nach § 39 Abs. 5 GWB oder § 59 GWB die Mitteilung nach Abs. 1 oder die Untersagung des Zusammenschlusses unterlassen hat oder eine zustellungsbevollmächtigte Person im Inland entgegen § 39 Abs. 3 Satz 2 Nr. 6 GWB nicht mehr benannt ist. (2) Vollzugsverbot 510 Zur Sicherung des Systems der präventiven Zusammenschlusskontrolle enthält § 41 GWB in Abs. 1 Satz 1 ein generelles Vollzugsverbot für alle anmeldepflichtigen Zusammenschlüsse bis zur Freigabe durch das Bundeskartellamt oder bis zum Ablauf der oben genannten Untersagungsfristen. Mit der Freigabeentscheidung des Bundeskartellamtes oder dem Ablauf der Untersagungsfristen entfällt das Vollzugsverbot. § 41 Abs. 1 Satz 2 GWB sieht die zivilrechtliche Nichtigkeit von Rechtsgeschäften, die gegen das Vollzugsverbot nach Abs. 1 verstoßen, vor. Nach der herrschenden Meinung,
120
III. Risiken und Schwierigkeiten bei einem Asset Deal anstelle aller Immenga/Mestmäcker-Thomas, GWB, § 41 Rn. 1,
handelt es sich hierbei um eine schwebende Unwirksamkeit, die mit der Untersagungsverfügung ex tunc eintritt. § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB erfasst alle Maßnahmen, die einen Zusammenschluss in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht vollenden. Zu den verbotenen Rechtshandlungen gehört insbesondere der unbedingte Abschluss von Erfüllungsgeschäften. Zu den verbotenen tatsächlichen Handlungen gehört vor allem die Einräumung des Besitzes im Fall der Vermögensübertragung. Neben der Unwirksamkeit der gegen das Vollzugsverbot verstoßenden Rechts- 511 geschäfte können Verstöße gegen das Vollzugsverbot mit einer Geldbuße von bis zu 1 Mio. € bzw. bei Unternehmen bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr vom betroffenen Unternehmen erzielten Umsatzes geahndet werden (§ 81 Abs. 4 GWB). Nach § 41 Abs. 2 GWB besteht allerdings die Möglichkeit, dass das Bundes- 512 kartellamt auf Antrag ausnahmsweise eine Befreiung vom Vollzugsverbot erteilt, wenn die beteiligten Unternehmen hierfür wichtige Gründe geltend machen. Hierzu gehört insbesondere die Sanierungsfusion. In materiell-rechtlich eindeutigen Fällen sollte von einem entsprechenden Befreiungsantrag abgesehen werden, da das Befreiungsverfahren in diesen Fällen nicht kürzer dauert als das Genehmigungsverfahren selbst. Die Befreiung kommt daher grundsätzlich nur bei kritischen Fällen infrage, in denen mit einer langen Verfahrensdauer zu rechnen ist. Vgl. Bieg/Borchardt/Frind-Kühne, Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3. C. Rn. 71; MüKo-Mäger, GWB, § 41 Rn. 51.
Nach § 41 Abs. 3 GWB ist ein vollzogener Zusammenschluss, der die Unter- 513 sagungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 erfüllt, auf Anordnung des Bundeskartellamtes aufzulösen (sog. Entflechtung), wenn nicht ausnahmsweise der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie nach § 42 GWB die Erlaubnis zu dem Zusammenschluss erteilt. § 41 Abs. 4 GWB enthält verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Durchsetzung der Auflösungsanordnung. Bei der Vertragsgestaltung im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen, 514 die nach § 39 GWB anmelde- und kontrollpflichtig sind, empfiehlt es sich, die Wirksamkeit des Unternehmenskauf- und Übertragungsvertrages unter die aufschiebende Bedingung der Freigabe durch das Bundeskartellamt oder des Ablaufs der Untersagungsfristen zu stellen, um nicht – im Fall der endgültigen Untersagung des Zusammenschlusses – gegen das Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB zu verstoßen. Aus demselben Grund sollte ein solcher Vertrag vorsehen, dass Übergangsstichtag und Übergabe erst nach Erfüllung der aufschiebenden Bedingung eintreten. Auch die Einräumung von Befugnissen des potenziellen Erwerbers im Übergangszeitraum bis zur Freigabe ist anhand des Vollzugsverbotes zu prüfen.
121
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan 515 Die Investorenvereinbarung (vgl. Rn. 17) ist der Vertrag, der zwischen eigenverwaltendem Schuldner mit Zustimmung des Sachwalters oder dem Insolvenzverwalter einerseits und den beteiligten Gesellschaften des Übernehmers/ Käufers geschlossen wird. Er regelt die wirtschaftlichen Parameter der Übernahme des schuldnerischen Unternehmens durch den Käufer, regelt dessen Verpflichtungen gegenüber der Gläubigergesamtheit und ist entweder selbst Plananlage gemäß § 230 Abs. 2 und/oder 3 InsO oder beinhaltet die Plananlagen. 516 Auf die inhaltlichen Ausführungen an anderer Stelle (Rn. 163 ff.) wird verwiesen ergänzt um den Hinweis, dass die Investorenvereinbarung, insbesondere diejenige, die mit dem eigenverwaltenden Schuldner geschlossen wird, grundsätzlich weder Garantien noch Gewährleistungsklauseln enthält. Denn diese Vereinbarung wird mit dem „Target“ geschlossen. Anders als bei der übertragenden Sanierung kennt die Investorenvereinbarung keinen Verkäufer. Sie regelt nur die Verpflichtungen des Investors, auf deren Grundlage der Schuldner oder der Insolvenzverwalter in Abstimmung mit dem Investor den Insolvenzplan erstellt und dem Insolvenzgericht vorlegt. 517 In der Praxis hat sich gezeigt, dass einerseits der Investor es bevorzugt, die Befriedigung der Gläubiger mit den im Insolvenzplan vorgesehenen Quotenzahlungen dem Sachwalter zu überlassen, damit sich das Unternehmen auf sein operatives Geschäft konzentrieren kann. Andererseits vertrauen die Insolvenzgläubiger auch eher auf Geld, das vom Sachwalter verwahrt wird, denn dann besteht kein Risiko eines Ausfalls mit den Quoten bei einer etwaigen Folgeinsolvenz. In Anbetracht dieser Gemengelage ist die nachfolgende Gestaltung in Insolvenzplänen regelhaft zu finden, die es der Person des Sachwalters darüber hinaus erlaubt, auch noch nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte (bspw. eine Schadensersatzforderung oder Organhaftungsansprüche) für die Insolvenzgläubiger mit der Aussicht auf eine Quotenerhöhung geltend zu machen: 518 Gemäß § 228 Satz 1 InsO können in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans Willenserklärungen aufgenommen werden, sofern Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden sollen. Insoweit kann als eine Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse, BT-Drucks. 12/2443, 202,
eine fiduziarische Forderungsabtretung erfolgen, die den Zessionar verpflichtet, den Erlös an die Gläubiger auszuschütten. BGHZ 175, 86 = NZI 2009, 340 Rn. 11; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 259 Rn. 8; HambKo-Thies, InsO, § 259 Rn. 9
519 Als Vollrechtsinhaber kann der Zessionar auch einen Einziehungsrechtsstreit noch nach Verfahrensaufhebung einleiten. 122
IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan BGH, NJW 1992, 2894.
Nur auf diesem Wege kann nach Verfahrensaufhebung ein Vollstreckungs- 520 zugriff sonstiger Gläubiger auf die betroffenen, bei einer fehlenden Abtretung der wiederauflebenden Verfügungsbefugnis der Schuldnerin (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO) unterstehenden Vermögenswerte ausgeschlossen werden. Ebenso kann nur durch diese Gestaltung zuverlässig verhindert werden, dass der Schuldnerin, deren originäres Einziehungsrecht als Forderungsinhaberin auch bei einer unwiderruflichen Ermächtigung unangetastet bleibt, Staudinger-Schilken, BGB, 2019, Vor §§ 164 ff. Rn. 67; Soergel-Leptien, BGB, § 185 Rn. 33; Erman/Martens, BGB, 16. Aufl., § 398 Rn. 51 f.; Staudinger-Busche, BGB, Vor §§ 398 Rn. 118,
nach Verfahrensaufhebung durch Abtretung wirksam über die Forderung verfügt. Soergel-Leptien, BGB, § 185 Rn. 33; MüKo-Bayreuther, BGB, § 185 Rn. 36; Staudinger-Busche, BGB, Vor §§ 398 Rn. 118; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.81
Dieses hat der BGH in seinem Beschluss vom 26.4.2018, IX ZB 49/17 festge- 521 stellt. BGH NZI 2018, 691.
In seiner Entscheidung vom 7.1.2008 – II ZR283/06,
522
NZI 2009, 340,
hat der BGH festgestellt, dass in einem Insolvenzplan die Schuldnerin Vermögensgegenstände an den Insolvenzverwalter als Treuhänder fiduziarisch zugunsten der Gläubiger abtreten kann. Im Hinblick auf Anfechtungsrechtsstreite ist die Regelung des § 259 Abs. 3 InsO abschließend. Das nachfolgende Muster einer Investorenvereinbarung berücksichtigt die 523 vorstehende Gestaltung, ist im Übrigen selbsterklärend und zeigt die Essentialia dieser Vereinbarung sui generis auf:
123
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
INVESTORENVEREINBARUNG
(die „Investorenvereinbarung“ oder der „Vertrag“)
zwischen
1. […] GmbH, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter HRB […], [Adresse] – „Schuldnerin“ –
2. […], [Geschäftsanschrift], eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter HRB […], – „Investor“ –
3. Herrn Rechtsanwalt […] a) in seiner Funktion als Sachwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der […] GmbH aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts […] – Insolvenzgericht – vom […] 2021 (Az. … IN/21) – „Sachwalter“ – b) persönlich in seiner künftigen Funktion als Treuhänder für die Schuldnerin – „Rechtsanwalt […]“ oder „Treuhänder“ –
– Schuldnerin, Investor, Sachwalter und Treuhänder einzeln „Partei“ und gemeinsam „Parteien“ genannt
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IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
Präambel A. Die […] GmbH (Schuldnerin) ist eine nach deutschem Recht errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in […], eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter HRB […]. B. Die […] GmbH, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter HRB […] (der „Altgesellschafter“), ist der alleinige Gesellschafter der Schuldnerin. Das Stammkapital der Schuldnerin beträgt […] € und ist in einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von […] € (der „Alt-Geschäftsanteil“) eingeteilt. C. Das Amtsgericht […] – Insolvenzgericht – (Az.: … IN …/21) hat mit Beschluss vom […] das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin in Eigenverwaltung eröffnet (das „Insolvenzverfahren“), die Eigenverwaltung angeordnet und Herrn Rechtsanwalt […] zum Sachwalter bestellt. D. Die Schuldnerin ist ein […]. Grundeigentum ist im Vermögen der Schuldnerin [nicht] vorhanden. E. Die Schuldnerin beabsichtigt, in Abstimmung mit dem Investor einen Insolvenzplan einzureichen, der im Wesentlichen dem im Entwurf als Anlage F beigefügten Insolvenzplan nebst Anlagen (der „Insolvenzplan“) entspricht und in dem u. a. folgende gesellschaftsrechtliche Maßnahmen vorgesehen sind, und zwar in folgender Reihenfolge: E.1 Fortsetzung der Schuldnerin; E.2 Übertragung des Alt-Geschäftsanteils an den Investor. [Alternativ: Durchführung einer Kapitalherabsetzung auf null und gleichzeitiger Erhöhung des Stammkapitals auf einen Betrag in Höhe von [BETRAG] €, die jeweils im Rahmen des Insolvenzplans erfolgen werden, und Verpflichtung des Investors neu begründete [ANZAHL] Geschäftsanteile an der Schuldnerin zum Nennwert in Höhe von insgesamt [BETRAG] € gegen eine in Geld zu leistende und sofort voll einzuzahlende Stammeinlage zu übernehmen.] E.3 Neben diesen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen sieht der Insolvenzplan die quotale Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO aus Mitteln, die der Investor der Schuldnerin zur Verfügung stellt, vor. F. Der Investor beabsichtigt die Übernahme und nachhaltige Entwicklung der Schuldnerin. Der Investor beabsichtigt, hierzu nach näherer Maßgabe dieses Vertrags an den Sachwalter eine Zahlung (sog. Investorbeitrag, vgl. § 5.1) zu leisten. G. Zur Vorbereitung der Übernahme der Schuldnerin hat der Investor eine Due Diligence durchgeführt. Hierzu wurden dem Investor Unterlagen in einem elektronischen Datenraum offengelegt. Der Inhalt des Datenraums ist auf der zu Beweiszwecken als Anlage H beigefügten Daten-DVD mit Stand des Datenraums zum [Datum] [Uhrzeit] festgehalten.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
H. Der vom Amtsgericht […] eingesetzte Gläubigerausschuss hat den Abschluss dieser Investorenvereinbarung genehmigt. I. Die Gläubigerversammlung der Schuldnerin soll dem Insolvenzplan im Erörterungs- und Abstimmungstermin zustimmen. J.
Dies vorausgeschickt, vereinbaren die Parteien was folgt: §1
Vollzugstag, Vollzugsbedingungen, auflösende Bedingung 1.1 „Vollzugstag“ ist der Tag 00:00 Uhr, der auf den Tag folgt, an dem die letzte der Vollzugsbedingungen eingetreten ist. 1.2 „Vollzugsbedingungen“ sind die folgenden aufschiebenden Bedingungen (§ 158 Abs. 1 BGB): 1.2.1 Fusionskontrollrechtliche Freigabe durch das Bundeskartellamt und/ oder eine andere Wettbewerbsbehörde als zuständige Fusionskontrollbehörde, sei es durch Zeitablauf oder ausdrückliche schriftliche Bestätigung. Eine fusionskontrollrechtliche Freigabe wird insoweit auch angenommen bei Eintreten einer entsprechenden gesetzlichen Fiktion. Erfolgt die Freigabe unter einer aufschiebenden Bedingung, gilt der Eintritt dieser aufschiebenden Bedingung als maßgeblicher Zeitpunkt für die Freigabe (die „Kartellfreigabe“); 1.2.2 Bestätigung gemäß § 248 InsO eines Insolvenzplans; 1.2.3 Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans (die „RKBedingung“; 1.2.4 Gutschrift auf dem Verfahrenssonderkonto des Sachwalters 1.2.5 … 1.2.7 Aufhebung des Insolvenzverfahrens.
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IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
§2 Bankbürgschaft für Zahlungspflichten des Investors 2.1 Der Investor hat dem Sachwalter bei Abschluss dieses Vertrags die Urkunde einer selbstschuldnerischen Bürgschaft auf erstes Anfordern der [Bank] mit einem Höchstbetrag, der der Höhe des Investorbeitrags entspricht, als Sicherheit für die Leistung des Investorbeitrags übergeben. 2.2 Der Sachwalter verpflichtet sich hiermit, diese Bürgschaftsurkunde unverzüglich an den Investor zurückzugeben (i) sobald der Investorbeitrag vollständig auf dem Verfahrenssonderkonto eingegangen oder (ii) die Schuldnerin den Rücktritt von diesem Vertrag erklärt hat. 2.3 [ALTERNATIV: Einzahlung auf Notaranderkonto] §3 Insolvenzplan 3.1 Die Schuldnerin verpflichtet sich, spätestens am […] einen Insolvenzplan beim Insolvenzgericht einzureichen, der im Wesentlichen dem Entwurf des Insolvenzplans gemäß Anlage … entspricht. §4 Verkauf und Übertragung Alt-Geschäftsanteil 4.1 Der Alt-Geschäftsanteil wird durch die Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans an den Investor übertragen. [HINWEIS Alternativ kommt ein Erwerb über Kapitalschnitt/Kapitalerhöhung in Betracht]. 4.2 Der Investor nimmt die Übertragung des Alt-Geschäftsanteils hiermit an. §5 Investorbeitrag 5.1 Der Investor verpflichtet sich gegenüber dem dies hiermit annehmenden Sachwalter und gegenüber der dies annehmenden Schuldnerin, an den Sachwalter eine Zahlung von € […],00 € (der „Unternehmenswert“) zuzüglich eines Betrags in Höhe der Liquiditätsausstattung (Unternehmenswert und Liquiditätsausstattung gemeinsam der „Investorbeitrag“) auf das nachfolgend bezeichnete Verfahrenssonderkonto des Sachwalters (das „Verfahrenssonderkonto“) zu zahlen: Kontoinhaber Bank:
[…]
IBAN:
[…]
BIC:
[…].
Sachwalter/[Schuldnerin] GmbH
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
5.2 Der Investorbeitrag ist innerhalb von drei Bankarbeitstagen nach Eingang einer Mitteilung der Schuldnerin beim Notar, dass die RK-Bedingung eingetreten ist, unter Vorlage einer Kopie des amtsgerichtlichen Beschlusses samt Rechtskraftzeugnis, zur Zahlung auf das Verfahrenssonderkonto fällig. 5.3 Der Sachwalter wird der Investorbeitrag an den Investor zurückzahlen, wenn das Insolvenzverfahren nicht bis zum [31.7.2020] aufgehoben wurde. §6 Liquiditätsausstattung, Entnahmebetrag 6.1 Die Schuldnerin wird dafür Sorge tragen, dass die Schuldnerin am Vollzugstag über ein Netto-Umlaufvermögen (das „Net Working Capital“) von mindestens […] € (die „Liquiditätsausstattung“) verfügt. Das Netto-Umlaufvermögen setzt sich zusammen aus 6.1.1 dem am Vollzugstag vorhandenen, frei verfügbaren Guthaben bei Kreditinstituten der Schuldnerin; 6.1.2 zuzüglich dem Bestand der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen am Vollzugstag; 6.1.3 abzüglich des Bestands der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen am Vollzugstag. Die darüber hinausgehende Liquidität auf den Konten der Schuldnerin wird diese am Vollzugstag auf das Verfahrenssonderkonto überweisen. 6.2 Die Schuldnerin erfüllt aus der Liquiditätsausstattung ihre sämtlichen Verbindlichkeiten, insbesondere ihre Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, mit Ausnahme der Verbindlichkeiten, die der Sachwalter gemäß § 7.1 zu erfüllen hat. 6.3 Auf die Pflichten der Schuldnerin gemäß § 14.1 wird hingewiesen. §7 Befriedigungsvermögen 7.1 Der Sachwalter wird – soweit die Schuldnerin nicht bereits erfüllt hat – nach dem Vollzugstag zuerst den Entnahmebetrag (vgl. § 6.1) und danach den Investorbeitrag (Entnahmebetrag und Investorbeitrag gemeinsam das „Befriedigungsvermögen“) wie folgt und in der nachstehend aufgeführten Reihenfolge verwenden: 7.1.1 Verfahrenskosten i. S. d. § 54 InsO (einschließlich Vorschuss für die Kosten der Verfahrensüberwachung und Umsatzsteuer, soweit anwendbar); 7.1.2 Verbindlichkeiten gegenüber den in der Anlage 7.1.2 aufgeführten Dienstleistern (Sanierungsberater) (einschließlich Umsatzsteuer);
128
IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
7.1.3 Separierung eines Betrages von […] € als Betrag i. S. d. § 251 Abs. 3 InsO (Mittel für Minderheitenschutz – „Minderheitenschutz-Betrag“) auf ein Sonderkonto des Treuhänders; 7.1.4 Separierung eines Betrages von […] € als Rücklage für ungewisse Verbindlichkeiten, insbesondere für teilweise oder vollständig bestrittene oder bis zum Abstimmungstermin nicht angemeldete Forderungen (die „UGV-Rücklage“) auf ein Sonderkonto des Treuhänders; 7.1.5 zur Zahlung der Planquote gemäß Insolvenzplan an die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, deren Forderungen vom Sachwalter bis zum Tage der Aufhebung des Insolvenzverfahrens festgestellt worden sind, gemäß den Regelungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans; 7.1.6 zur Zahlung der Planquote an nicht nachrangige Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen in einem Zeitraum von einem Jahr nach der Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses i. S. d. § 248 InsO gegenüber der Schuldnerin geltend gemacht haben (die „Nachzügler“), soweit deren Forderungen vom planüberwachenden Sachwalter und der Schuldnerin im Einvernehmen oder auf Grundlage eines rechtskräftigen Urteils festgestellt worden sind; 7.1.7 zur Zahlung der Besserungsquote gemäß Insolvenzplan an die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, deren Forderungen vom Sachwalter bis zum Tage der Aufhebung des Insolvenzverfahrens festgestellt worden sind, sowie an die Nachzügler soweit deren Forderungen vom planüberwachenden Sachwalter und der Schuldnerin im Einvernehmen oder auf Grundlage eines rechtskräftigen Urteils festgestellt worden sind, jeweils gemäß den Regelungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans. 7.2 Soweit Mittel des Befriedigungsvermögens für die vollständige Befriedigung einer Klasse der vorstehenden Verbindlichkeiten nicht ausreichen, erhalten Gläubiger dieser Klasse von Verbindlichkeiten eine anteilige Befriedigung. Die nachfolgenden Klassen von Verbindlichkeiten erhalten in diesem Fall keine Befriedigung. 7.3 Soweit der Minderheitenschutz-Betrag und/oder die UGV-Rücklage nicht vollständig benötigt wird, weil kein Minderheitenschutzantrag gestellt wird oder Minderheitenschutzanträge nur in einem geringeren Volumen als der Minderheitenschutz-Betrag gestellt werden, bzw. Nachzügler nur in geringerem Umfang zu befriedigen sind, steht der nicht mehr für den Minderheitenschutz bzw. die Nachzüglerbefriedigung benötigte Teil des MinderheitenschutzBetrags bzw. der UGV-Rücklage für die Zahlung der Besserungsquote. §8 Zahlungsweg, Darlehensgewährung 8.1 Soweit der Sachwalter Zahlungen aus dem Investorenbeitrag auf Verbindlichkeiten der Schuldnerin leistet, erfolgt dies im Wege des abgekürzten Zahlungswegs. Im Verhältnis zwischen Investor und Schuldnerin handelt es 129
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
sich dabei um ein Darlehen, dass der Investor der Schuldnerin gemäß dem hiermit aufschiebend bedingt auf den Eintritt der Vollzugsbedingungen zwischen dem Investor und der Schuldnerin geschlossenen Darlehensvertrag gemäß Anlage 8.1 gewährt. 8.2 Im Verhältnis zwischen Schuldnerin und dem jeweiligen (ggf. nachrangigen) Insolvenzgläubiger handelt es sich um eine Leistung der Schuldnerin auf die zur Tabelle festgestellte Forderung des Insolvenzgläubigers; im Verhältnis zwischen der Schuldnerin und den sonstigen Gläubigern (insbesondere absonderungsberechtigte Gläubiger und Massegläubiger) auf deren jeweilige Forderungen und zur Ablösung der Absonderungsrechte. §9 Treuhandvertrag 9.1 Für den Zeitraum ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens schließen die Schuldnerin und Herr Rechtsanwalt (der Sachwalter) hiermit den als Anlage 9.1 beigefügten Treuhandvertrag (der „Treuhandvertrag“), demzufolge Herr […] die folgenden Beträge treuhänderisch für die Schuldnerin verwalten wird: 9.1.1 Minderheitenschutz-Betrag; 9.1.2 Rücklage-Nachzügler; 9.1.3 Anfechtungserlöse und Ansprüche aus […]. § 10 Prüfung der Forderungen der Nachzügler und aus Minderheitenschutzantrag 10.1 Für Ansprüche (i) der Nachzügler gegen die Schuldnerin, die gemäß § 7.1.6 oder § 7.1.7 zu erfüllen sind oder (ii) Ansprüche, deren Gläubiger gemäß § 251 Abs. 3 InsO (Minderheitenschutz) gerichtlich Ausgleich verlangen, gelten in Ergänzung zu den Regelungen des gestaltenden Teils des Insolvenzplans ab dem Vollzugstag folgende Regelungen: 10.1.1 Der Investor wird dafür Sorge tragen, dass die Schuldnerin dem Sachwalter unverzüglich nach Inanspruchnahme und danach in regelmäßigen Abständen, mindestens quartalsweise, ausführliche prüffähige Aufstellungen, Erläuterungen und Belege über solche Ansprüche übermittelt. 10.1.2 Der Investor wird dafür Sorge tragen, dass sich die Schuldnerin gegen unberechtigte Ansprüche nach Maßgabe der Regelungen im Insolvenzplan verteidigt. Der Sachwalter ist berechtigt, an allen Verhandlungen und dem Schriftverkehr mit der dritten Partei teilzunehmen. Kosten, die aus der Abwehr von Ansprüchen entstehen, trägt die Schuldnerin. 10.1.3 Der Investor trägt dafür Sorge, dass die Schuldnerin dem Sachwalter Zugang zu allen Informationen, Mitarbeitern der Schuldnerin und geschäftlichen Unterlagen gewährt, die erforderlich sind, damit der Sachwalter etwaige
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IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
Ansprüche prüfen können. Der Investor trägt dafür Sorge, dass die Schuldnerin dem Sachwalter die Kontaktaufnahme mit den für den betreffenden Vorgang relevanten Mitarbeitern ermöglicht und im Rahmen ihrer arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnisse auf diese dahin einwirkt, dass sie die von dem Sachwalter angeforderten Informationen erteilen. 10.2 Die vorstehenden Regelungen gelten ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens zugunsten des Treuhänders anstelle des Sachwalters. § 11 Insolvenzrechtliche Anfechtung 11.1 Soweit der Sachwalter Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend macht, werden Rechtsstreitigkeiten, die auf eine Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff InsO gestützte Ansprüche zum Gegenstand haben, nach Verfahrensaufhebung durch den Sachwalter fortgesetzt. 11.2 Soweit Zahlungen auf solche Ansprüche (die „Anfechtungserlöse“) erfolgen, sind diese auf ein vom Treuhänder geführtes Sonderkonto einzuziehen und stehen nach Deckung sämtlicher Kosten der Durchsetzung dieser Ansprüche zur für die Verteilung im Rahmen der Besserungsquote zur Verfügung. § 12 Leistung von Zahlungen 12.1 Sämtliche Zahlungen sind in Euro frei von Kosten und Gebühren zu leisten. Für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es auf die Gutschrift auf dem Verfahrenssonderkonto an. 12.2 Erfüllt der Investor seine Zahlungsverpflichtung nicht fristgerecht, schuldet er ab Fälligkeit Verzugszinsen von 10 % p. a. auf den rückständigen Betrag, ohne dass es einer Mahnung bedarf. Der Nachweis eines höheren Schadens bleibt unbenommen. 12.3 Der Investor verzichtet hinsichtlich sämtlicher Ansprüche der anderen Parteien aus diesem Vertrag auf jegliche Einreden, Einwendungen und Zurückbehaltungsrechte, insbesondere auf die Einrede der Verjährung und die Einwendung der Aufrechenbarkeit sowie auf die Erklärung der Aufrechnung. Der Verzicht auf die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten und die Aufrechnung gilt nicht für unstreitige oder rechtskräftig festgestellte Ansprüche des Investors, soweit diesen Rechten nicht Regelungen der Insolvenzordnung entgegenstehen. § 13 Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO 13.1 Der Investor ist verpflichtet, unverzüglich nach Unterzeichnung dieses Vertrages eine dem Wortlaut der Anlage 13.1 entsprechende schriftliche Er-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
klärung nach § 230 Abs. 3 InsO abzugeben, wonach er sich für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans zu der Zahlung des Investorbeitrags verpflichtet hat. § 14 Geschäftsführung der Schuldnerin bis zum Vollzugstag 14.1 Die Schuldnerin wird ihre Geschäfte bis zum Vollzugstag mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis und im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs führen, insbesondere einen geschäftsüblichen Forderungseinzug durchzuführen und die Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit zahlen. Maßnahmen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsgangs bedürfen der Zustimmung des Erwerbers, soweit kartellrechtlich zulässig. 14.2 Die Schuldnerin ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, gegenüber Vertragspartnern das Erfüllungswahlrecht (§ 103 InsO) oder die Kündigung (§ 109 InsO) zu erklären. Sofern zeitlich möglich und rechtlich zulässig, wird die Schuldnerin sich vor Ausübung dieser Rechte mit dem Investor abstimmen. 14.3 Die Regelungen in §§ 14.1 gilt nicht für solche Handlungen oder Maßnahmen, die zur Umsetzung des Insolvenzplans, des Sanierungskonzepts und dieser Investorenvereinbarung erforderlich sind. 14.4 Die Organe der Schuldnerin haften aus den vorstehenden Erklärungen und Zusagen nur bei Vorsatz. Jede sonstige Haftung hieraus ist ausgeschlossen. § 15 Arbeitsplatzerhalt 15.1 Der Investor verpflichtet sich, dafür Sorge zu tragen, dass bei der Schuldnerin bis zum […] keine Arbeitsplätze aus betriebsbedingten Gründen abgebaut werden. § 16 Steuern, Förderungen 16.1 Die Parteien gehen davon aus, dass die Übertragung des AltgesellschafterGeschäftsanteils keine Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG ist, sondern ein steuerbarer Leistungsaustausch. Der jeweilige Umsatz ist grundsätzlich – d. h. vorbehaltlich eines Verzichtes (§ 9 Abs. 1 UStG) – steuerbefreit (§ 4 Nr. 8 lit. c, e oder f UStG). 16.2 Dem Investor ist bewusst, dass jegliche Haftung und Gewährleistung für Steuern und die steuerlichen Verhältnisse der Schuldnerin gemäß § 18 ausgeschlossen sind.
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IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
§ 17 Kartellanmeldung 17.1 Der Investor ist verpflichtet, innerhalb einer Woche nach der Beurkundung dieser Investorenvereinbarung die erforderlichen Kartellanmeldungen bei den zuständigen Behörden einzureichen. Kosten der Anmeldungen trägt der Investor. Der Investor ist verpflichtet, der Schuldnerin vor Einreichung der Anmeldungen einen Entwurf der Anmeldungen – um Geschäftsgeheimnisse des Investors und der mit ihm verbundenen Unternehmen bereinigt – zur Prüfung zu überlassen. Berechtigte Anmerkungen der Schuldnerin hat der Investor zu berücksichtigen. 17.2 Der Investor ist verpflichtet, der Schuldnerin zeitgleich mit der Anmeldung bei den zuständigen Kartellbehörden eine Kopie der Anmeldung zur Verfügung zu stellen, in der etwaige Geschäftsgeheimnisse des Investors und der mit ihm verbundenen Unternehmen geschwärzt sein können. Der Investor wird der Schuldnerin unverzüglich über die Freigabe des Zusammenschlussvorhabens durch Übergabe einer Kopie der entsprechenden Mitteilung unterrichten. Die Parteien sind verpflichtet, eng zusammenzuwirken, um die Freigabe der nach diesem Vertrag vorgesehenen Rechtsgeschäfte in kürzest möglicher Zeit zu erreichen. 17.3 Der Investor ist verpflichtet, die Schuldnerin laufend über den aktuellen Stand des Verfahrens informiert zu halten. 17.4 Dem Investor ist es untersagt, nach Unterzeichnung dieser Investorenvereinbarung bis zum Abschluss des bzw. der Kartellverfahren(s) Verträge abzuschließen oder in Projekte einzutreten, die den erfolgreichen Abschluss des oder der Fusionskontrollverfahren(s) nachteilig beeinflussen oder unmöglich machen. 17.5 Wird die Erteilung der fusionskontrollrechtlichen Freigaben vom Eintritt oder der Erfüllung von Bedingungen oder Auflagen abhängig gemacht, ist der Investor verpflichtet, diese Bedingungen oder Auflagen zu erfüllen. Eine Anpassung der Zahlungsverpflichtungen von Investor aufgrund der Bedingungen oder Auflagen erfolgt nicht. § 18 Haftungsausschluss 18.1 Jede Partei haftet nach diesem Vertrag nur für die Einhaltung der jeweils von ihr übernommenen Verpflichtungen; eine gesamtschuldnerische Haftung ist ausgeschlossen. 18.2 Alle nicht ausdrücklich in diesem Vertrag genannten Ansprüche und Rechte der Vertragsparteien aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag, einschließlich Ansprüche des Investors aufgrund der gesetzlichen Rechtsund Sachmängelgewährleistung, aus Verschulden bei Vertragsschluss, aus
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
vorvertraglichen Nebenpflichten oder wegen Störung der Geschäftsgrundlage sind ausgeschlossen. Soweit nicht ausdrücklich in diesem Vertrag geregelt, ist insbesondere das Recht des Investors, von diesem Vertrag zurückzutreten oder ihn sonst rückgängig zu machen, ausgeschlossen. 18.3 Jede persönliche Haftung des Sachwalters, sowie der [Geschäftsführung, Generalhandlungsbevollmächigte] aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag und dessen Ausführung, insbesondere aus § 60 InsO sowie gemäß § 311 BGB wegen Verschuldens bei Vertragsabschluss, ist – soweit gesetzlich zulässig – ausgeschlossen und schuldrechtlich und dinglich im Übrigen auf den Betrag beschränkt, der sich jeweils auf dem Verfahrenssonderkonto befindet. Eine darüber hinaus gehende Haftung ist soweit gesetzlich zulässig ausgeschlossen. Diese Regelung hat keinen Einfluss auf den Umfang der in diesem Vertrag vorgesehenen Leistungen des Investors. 18.4 Haftungsausschluss und -beschränkung gelten nicht im Falle arglistiger Täuschung, für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Sachwalters beruhen, sowie für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung beruhen. Für die Frage, ob eine arglistige Täuschung vorliegt und/oder welches Wissen zuzurechnen ist, ist allein der Wissenstand des Sachwalters zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Investorenvereinbarung entscheidend. Eine darüberhinausgehende Zurechnung des Wissens der Schuldnerin – sei es Wissen ihrer Organe, Mitarbeiter oder sonstigen Beauftragten oder Wissen, das sich aus Unterlagen der Schuldnerin ergibt – ist ausgeschlossen, insbesondere finden §§ 166 und 278 BGB keine Anwendung. § 19 Rücktrittsrecht 19.1 Die Schuldnerin ist zum Rücktritt von diesem Vertrag berechtigt, wenn (alternativ): 19.1.1 die Gläubigerversammlung dem Insolvenzplan nicht bis zum […] zugestimmt hat; und/oder 19.1.2 die Vollzugsbedingungen nicht bis zum […] eingetreten sind; 19.1.3 die Kartellfreigabe nicht bis zum […] erfolgt ist oder endgültig versagt wird. 19.2 Der Rücktritt ist schriftlich gegenüber dem Investor zu erklären. 19.3 Mit Erklärung des Rücktritts werden die Parteien von den Rechten und Pflichten aus diesem Vertrag frei, mit Ausnahme der Rechte der Schuldnerin bzw. des Sachwalters aus § 12, § 16.1, § 16.2, § 18 sowie diesem § 19, den Rechten des Investors aus § 2.2, § 5.3, sowie den Rechten und Pflichten aller Parteien aus § 23, § 24, § 25 und § 26.
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IV. Investorenvereinbarung & Insolvenzplan
§ 20 Aufbewahrungspflichten, Unterstützung 20.1 Ab dem Vollzugstag wird der Investor dafür Sorge tragen, dass sämtliche bei der Schuldnerin vorhandenen Unterlagen und Dokumente, Geschäftsbücher und sonstige Aufzeichnungen, darunter Computerdateien und Datenbanken, andere sowie sämtliche sonstigen Unterlagen, Dokumente und Datenträger (nachfolgend „Unterlagen“) sowie die zur Übernahme der Schuldnerin erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten zu (die „Daten“) im Rahmen der gesetzlichen Aufbewahrungspflichten verwahrt werden. 20.2 Der Investor und die Schuldnerin gewähren dem Sachwalter nach dem Vollzugstag jederzeit nach Vorankündigung zu den üblichen Geschäftszeiten Einsicht in die Unterlagen und Daten. Der Sachwalter ist berechtigt, Kopien zu fertigen. 20.3 Die Schuldnerin wird dem Sachwalter nach dem Vollzugstag qualifizierte Arbeitnehmer in einem Umfang von 10 Stunden wöchentlich unentgeltlich und in darüberhinausgehendem Umfang zu Selbstkosten zur Verfügung stellen, soweit dieses bei der Abwicklung des Insolvenzverfahrens notwendig ist. § 21 Datenschutzrechtliche Pflichten Der Investor ist verpflichtet, sämtliche anwendbaren datenschutzrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), einzuhalten. § 22 Zustimmung Sachwalter Der Sachwalter stimmt dem Abschluss dieser Investorenvereinbarung zu. § 23 Mitteilungen und Erklärungen 23.1 Nach diesem Vertrag notwendige Aufforderungen, Mitteilungen, abzugebende Erklärungen oder andere Nachrichten sind jeweils schriftlich (Telefax ausreichend). 23.1.1 gegenüber der Schuldnerin an die nachfolgende Adresse oder an eine andere durch die die Schuldnerin gegenüber den Parteien schriftlich (Telefax ausreichend) bekannt gegebene Adresse zu richten: […].
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
23.1.2 gegenüber Investor an die nachfolgende Adresse oder an eine andere durch die den Investor gegenüber den Parteien schriftlich (Telefax ausreichend) bekannt gegebene Adresse zu richten: […]. 23.1.3 gegenüber dem Sachwalter an die nachfolgende Adresse oder an eine andere gegenüber den Parteien schriftlich (Telefax ausreichend) bekannt gegebene Adresse zu richten: […]. § 24 Kosten 24.1 Die Kosten der Beurkundung und des Vollzugs dieses Vertrags trägt der Investor. 24.2 Die Parteien tragen ihre jeweiligen Kosten, insbesondere Rechtsanwaltsund sonstige Beraterkosten, im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seinem Zustandekommen selbst. § 25 Vertraulichkeit 25.1 Die Parteien verpflichten sich, den Inhalt dieses Vertrages, die Umstände seiner Verhandlung, seines Abschlusses und seiner Durchführung sowie alle in diesem Zusammenhang über die anderen Parteien und mit ihr verbundene Unternehmen erlangten Informationen streng vertraulich zu behandeln sowie vor dem Zugriff Dritter wirksam zu schützen. Von der vorstehenden Verpflichtung nicht umfasst sind Tatsachen, die öffentlich bekannt sind oder ohne eine Verletzung dieser Verpflichtung öffentlich bekannt werden oder deren Offenlegung durch Gesetz oder kapitalmarktbezogene Regularien vorgeschrieben ist. In einem solchen Fall sind die Parteien jedoch soweit zeitlich und rechtlich möglich verpflichtet, die jeweils andere Partei vor der Offenlegung zu informieren und den Inhalt der Veröffentlichung mit der anderen Partei abzustimmen. 25.2 Die Schuldnerin und der Sachwalter sind ungeachtet des vorstehenden Absatzes berechtigt, das Insolvenzgericht, die Gläubigerversammlung und den Gläubigerausschuss über den Inhalt dieses Vertrages und sämtliche Umstände in Zusammenhang mit diesem Vertrag zu informieren. 25.3 Die Schuldnerin, der Sachwalter und der Investor sind jeweils berechtigt, über allgemeine Aspekte dieses Vertrages eine Pressemitteilung zu veröffentlichen. Den Inhalt dieser Pressemitteilung werden die Parteien miteinander abstimmen.
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V. Dual-Track-Investorenprozesse als Gläubigeroption
§ 26 Schlussbestimmungen 26.1 Der Investor ist nicht berechtigt, ohne schriftliche Zustimmung des Sachwalters Rechte aus diesem Vertrag auf einen Dritten zu übertragen. 26.2 Bankarbeitstage im Sinne dieses Vertrags sind die Wochentage Montag bis Freitag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage in Frankfurt a. M. sowie des 24. und 31. Dezember. 26.3 Die Regelungen in diesem Vertrag und die Zahlungen, die im Rahmen der Abwicklung dieses Vertrags an Gläubiger der Schuldnerin geleistet werden, beinhalten kein Anerkenntnis von Forderungen gegen die Schuldnerin. 26.4 Dieser Vertrag und die in ihm in Bezug genommenen Anlagen und Dokumente enthalten alle Vereinbarungen zwischen den Parteien bezüglich seines Gegenstandes. Nebenvereinbarungen, gleich welcher Art, bestehen nicht. 26.5 Die Parteien verpflichten sich, sämtliche Handlungen vorzunehmen, die für eine reibungslose Umsetzung dieses Kaufvertrages gefordert und zweckdienlich sind. 26.6 Jede Änderung oder Ergänzung dieser Vereinbarung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der den Anforderungen des § 126 Abs. 1 BGB genügenden Schriftform, soweit nicht das Gesetz eine strengere Form vorschreibt. § 127 Abs. 2 BGB wird ausgeschlossen. 26.7 Sollte eine Bestimmung dieser Vereinbarung ganz oder teilweise unwirksam oder nicht durchsetzbar sein, so bleibt die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit aller übrigen Bestimmungen dieser Vereinbarung davon unberührt. Die unwirksame oder nicht durchsetzbare Bestimmung ist als durch diejenige wirksame und durchsetzbare Bestimmung ersetzt anzusehen, die dem von den Parteien verfolgten wirtschaftlichen Zweck am nächsten kommt. Gleiches soll entsprechend für mögliche Lücken in dieser Vereinbarung gelten. 26.8 Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung ist […]. V. Dual-Track-Investorenprozesse als Gläubigeroption 1. Problemstellung Insbesondere im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens, aber auch im 524 Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens besteht das Risiko, dass die von Eigenverwaltung oder Insolvenzverwalter forcierte Lösung die Gläubiger nicht überzeugt. Regelmäßig begehren die Gläubiger, dass ihnen Lösungsansätze aufgezeigt werden, die zunächst ergebnisneutral sind. Dies kann in Form einer Insolvenzplan- oder Übertragungslösung geschehen, bedarf aber im Vorfeld entsprechender Weichenstellungen. Der durch die Eigenverwaltung vorge-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
legte Insolvenzplan ist nicht selten auf die Eigensanierung ausgerichtet, mit der Folge, dass dieser den Gläubigern keine Alternativ-, mithin keine wirkliche Vergleichslösung (sondern nur die Planvergleichsrechnung mit einem mutmaßlichen Liquidationsszenario) aufzeigt. Wünschenswert und zu fordern ist daher, dass die einzelnen Szenarien mit belastbaren Daten aus dem Markt hinterlegt werden, um ihre Glaubwürdigkeit zu steigern. Ergänzend wird auf die Ausführungen in Rn. 130 ff. verwiesen. 2. Dual-Track-Verfahren 525 Im Rahmen eines Dual-Track-Verfahrens sollte regelmäßig ein Investorenprozess durchgeführt werden, der dem vorgenannten Problem entgegenwirkt. Besonderheit dieses Prozesses ist, dass im Hinblick auf eine Veräußerung des in die Krise geratenen Unternehmens in jedem Fall potenzielle Interessenten angesprochen werden. Diese Ansprache erfolgt jedoch dahingehend ergebnisoffen, dass im Rahmen der ersten Gespräche noch nicht kommuniziert wird, in welcher Form ein möglicher Verkauf durchgeführt werden würde. Zur Auswahl stehen hier die Übertragungslösung (Asset Deal) oder aber ein Insolvenzplan. Hierauf aufbauend scheinen als Annex Fremdkapitalakquisition oder „Debt-Equity-Swap“ möglich. In der Folge gestaltet sich die Sanierung in dieser Anfangsphase ergebnisoffen, mit der Folge, dass den Gläubigern später alle Optionen zur Verfügung stehen. Madaus, NZI 2011, 622 ff.
3. Generalität als Basis 526 In jedem Fall, und zwar unabhängig davon, ob man einen internen Investor bzw. Übernehmer benötigt, oder die Planlösung fokussiert, sollte zeitnah nach der Antragstellung eine breite Interessentenansprache durchgeführt werden. Diese kann und sollte ergebnisoffen erfolgen (siehe oben). Die Praxis zeigt, dass dieses Vorgehen keine Abschreckung potenzieller Interessenten bewirkt, da die tatsächliche Umsetzung der Transaktion zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam mit der Geschäftsleitung, den Gläubigern in Form des Gläubigerausschusses und dem potenziellen Investor festgelegt werden kann. Allerdings sollte, wenn der Plan bevorzugt wird, bereits ein grobes Konzept im Rahmen der Interessentenansprache präsentiert werden können, um den potenziellen Geldgeber von dem Plan zu überzeugen. Der Insolvenzplan als solcher ist dann Teil der Phase 2 des Investorenprozesses und gemeinsam mit der Investorenvereinbarung das zu verhandelnde Vertragswerk. 527 Auch Jahre nach den Novellierungen durch das ESUG zeigt sich, dass in der Mehrheit der Insolvenzverfahren die übertragende Sanierung immer noch gegenüber einer Sanierungslösung mittels eines Insolvenzplans mit Gesellschafterwechsel grundsätzlich bevorzugt wird. Auch in den Fällen des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO wird bisher selten ein praktikabler sog. „Prepacked-Plan“ vorgelegt, mit der Konsequenz, dass zum Zeit-
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
punkt der Antragstellung weder dem Schuldner, noch den Gläubigern klar ist, ob eine Sanierungslösung ohne Investor oder ein Übernahmeszenario außerhalb eines Insolvenzplans vorteilhafter ist und realisiert werden kann. VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten Neben der übertragenden Sanierung im Wege des Asset Deals aus dem er- 528 öffneten Insolvenzverfahren und der Sanierung auf Grundlage eines Insolvenzplans sind auch alternative Gestaltungen durch Nutzung von umwandlungs- und gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten zur Restrukturierung eines Unternehmens oder Unternehmensteils in Betracht zu ziehen. Diese werden im Regelfall eher in der Unternehmenskrise zur Vermeidung der Insolvenz in Betracht kommen. Im Folgenden werden die in der Praxis wichtigsten Gestaltungen kurz erläu- 529 tert. 1. Verschmelzung Bei der Verschmelzung geht eine Gesellschaft in einer neuen Gesellschaft 530 auf, d. h., das übertragende Unternehmen transferiert im Wege der Gesamtrechtsnachfolge alle Aktiva und Passiva auf die aufnehmende Gesellschaft und erlischt mit Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister. Die Gesellschafter der hiernach aufgelösten Gesellschaft erhalten neue Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft. Möglich sind Verschmelzungen zur Aufnahme oder durch Neugründung. Die Möglichkeiten der Verschmelzung ergeben sich aus § 3 UmwG. Das Um- 531 wandlungsgesetz lässt grundsätzlich Verschmelzungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu. Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen Umwandlungsmaßnahmen noch in Betracht, aber dann nur noch im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens gemäß §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO. Gläubiger können nach § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwG Sicherheitsleistungen verlangen und haben im Einzelfall Schadensersatzansprüche gegen die Organe und den Verschmelzungsprüfer, §§ 11, 25 ff. UmwG. Im Konzern besteht die Möglichkeit im Wege der Verschmelzung, das wirt- 532 schaftlich gesunde Mutter- auf das Tochterunternehmen oder das Tochterauf das wirtschaftlich gesunde Mutterunternehmen zu verschmelzen. Vgl. zum Handelsregisterverfahren OLG Hamm, Beschl. v. 3.11.2020 – 27 W 98/20, ZIP 2021, 30 f. Wachter, EWiR 2021, 231.
a) Verschmelzung durch Aufnahme Eine Gesellschaft wird hier mit einer bereits bestehenden Gesellschaft, die 533 danach allein weiterexistiert, verschmolzen. Diese Gesellschaft führt eine ent-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
sprechende Kapitalerhöhung durch, die daraus resultierenden Gesellschaftsanteile erhalten die Gesellschafter der alten Gesellschaft. Semler/Stengel/Leonard-Stengel, UmwG, § 2 Rn. 24 f.
534 Im Konzern ist für den Fall, dass die aufnehmende Gesellschaft schon an der aufzunehmenden Gesellschaft beteiligt ist, gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 68 Abs. 1 Nr. 1 UmwG eine Kapitalerhöhung bereits dem Grunde nach ausgeschlossen. Wird eine überschuldete Gesellschaft zur Aufnahme außerhalb des Konzerns verschmolzen, so kann auf die Anteilsgewährungspflicht gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 68 Abs. 1 Satz. 3 UmwG verzichtet werden. Heckschen, in: Beck’sches Notar-Handbuch, § 24 Rn. 129.
535 Der BGH hat eine etwaige Differenzhaftung der Anteilseigner bei Überbewertung der der übertragenden überschuldeten Gesellschaft mangels Rechtsgrundlage abgelehnt. Allerdings kann ein existenzvernichtender Eingriff vorliegen, wenn durch Verschmelzung einer insolvenzreifen Gesellschaft zugleich die aufnehmende Gesellschaft insolvenzgefährdet wird. BGH, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, ZIP 2019, 114 ff., Heckschen, EWiR 2019, 101 f.; NZG 2019, 561 ff.
b) Verschmelzung durch Neugründung 536 Im Rahmen der Verschmelzung zur Neugründung sind zwei Rechtsträger notwendig, die zusammen zu einem dritten Rechtsträger verschmolzen werden. Die Gesellschafter der beiden zu verschmelzenden Gesellschaften erhalten gemeinsam die Anteile an der neu gegründeten, dritten Gesellschaft. Semler/Stengel/Leonard-Stengel, UmwG, § 2 Rn. 29.
2. Ausgliederung a) Begriff 537 Die Ausgliederung wird umwandlungsrechtlich in § 123 Abs. 3 UmwG legaldefiniert. Es handelt sich um eine Art der Spaltung, bei der ein Teil der Gesellschaft von dieser abgespalten wird, die Anteile jedoch nicht von den Gesellschaftern des Ausgangsunternehmens als „übertragender Rechtsträger“, sondern vielmehr von dem Ausgangsunternehmen selbst erworben werden. Semler/Stengel/Leonard-Schwanna, UmwG, § 123 Rn. 15 f.
538 Durch diese Vorgehensweise wird aus dem bisher zusammenhängenden Unternehmen ein Konzern, da nunmehr die Ausgangsgesellschaft Teile der neuen, ehemals eingegliederten Gesellschaft hält. 539 Wie bei jeder Spaltung werden auch bei der Ausgliederung Aktiva und Passiva auf den übernehmenden neuen Rechtsträger übertragen. Semler/Stengel/Leonard-Schwanna, UmwG, § 123 Rn. 15.
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
b) Folgen der Ausgliederung Die Ausgliederung hat mehrere Effekte, die dem alten Unternehmen die Sa- 540 nierung erleichtern können. Das neue ausgegliederte Unternehmen nimmt selbstständig am Rechtsverkehr teil. Durch die Schaffung dieser neuen, kleineren (Teil-)Gesellschaft kann z. B. 541 der Verkauf dieser Gesellschaft vorbereitet werden, um so den Restkonzern der Sanierung näher zu bringen. Semler/Stengel/Leonard-Schwanna, UmwG, § 123 Rn. 7.
Sollen künftige Haftungs- oder Verschuldensrisiken begrenzt werden, eignet 542 sich die Ausgliederung, soweit keine Konzernhaftung droht. Das neue Unternehmen ist im Rahmen der Konzernstrukturen eigenständig, verfügt über eine eigene Haftungsmasse und die Möglichkeit, nunmehr Verträge im eigenen Namen abzuschließen, eigene Verbindlichkeiten zu begründen und eigene Rechte zu erwerben. Durch die Verkleinerung beider Teilunternehmen können in Einzelfällen die 543 internen organisatorischen Strukturen effizienter gestaltet werden. Es müssen nicht mehr beide Gesellschaften „in eine Richtung laufen“; vielmehr haben beide Gesellschaften die Eigenständigkeit, die sie möglicherweise benötigen. Beispielsweise können künftige Investitions- und Finanzierungerfordernisse unabhängig voneinander umgesetzt werden und etwaige künftige Risiken des einen Teilunternehmens beeinträchtigen dem Grunde nach nicht mehr die künftige Entwicklung und Sanierungschancen der anderen rechtlich eigenständigen Teilunternehmen. c) Einschränkungen Zu beachten ist, dass gemäß § 133 UmwG der Gläubigerschutz ein Hindernis 544 für die Spaltung sein kann. Denn alle Verbindlichkeiten der Ausgangsgesellschaft begründen eine gesamtschuldnerische Haftung aller an der Spaltung beteiligten Unternehmen. Semler/Stengel/Leonard-Seulen, UmwG, § 133 Rn. 3; Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.245; Knops/Bamberger/Maier-ReimerThielemann, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 13 Rn. 197.
Dadurch ist es nicht möglich, Altverbindlichkeiten einfach loszuwerden. Viel- 545 mehr will das Gesetz gerade diese Vorgehensweise verhindern. Semler/Stengel/Leonard-Seulen, UmwG, § 133 Rn. 1; Schmidt/Uhlenbruck-K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.246.
Die Ausgliederung kann daher nur als mittelfristige Insolvenzprophylaxe statt 546 als sofort realisierte Sanierung durch Enthaftung bewertet werden.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
3. Anwachsung 547 Die Anwachsung ist eine gesetzliche Rechtsfolge beim Austritt eines Gesellschafters aus einer Gesellschaft. Kraft Gesetzes (vgl. § 738 BGB) gehen in einem solchen Fall die dem alten Gesellschafter gehörenden Gesellschaftsanteile an Personengesellschaften auf die verbleibenden Gesellschafter über. Hierdurch kann beispielsweise auch eine Anwachsung auf eine ausländische Gesellschaft realisiert werden, indem diese an der Personengesellschaft (durch vorherige Umwandlung in eine KG) beteiligt wird und anschließend die übrigen Gesellschafter ausscheiden. Dieses Modell wurde beispielsweise bei den ersten öffentlich bekannten Migrationen deutscher Gesellschaften nach England zwecks Nutzung der dortigen Restrukturierungsverfahren genutzt („Deutsche Nickel“ und „Schefenacker“). Sowohl im Rahmen des Unternehmenskaufs als auch danach im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung kommt insoweit ebenfalls die Nutzung des Anwachsungsmodells in Betracht. Vgl. zur grenzüberschreitenden Anwachsung Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613 ff.
548 Zur Sanierung trägt die Anwachsung bei, indem einzelne Tochtergesellschaften dergestalt umorganisiert und konzentriert werden, dass sie am Ende am gewünschten „Ast“ der Firmenstruktur gesammelt sind. Durch Austritte von Konzernteilen aus Beteiligungen an anderen Konzernteilen sowie Umstrukturierung des Gesamtkonzerns kann eine Struktur realisiert werden, aus der defizitäre oder im Gegenteil allein profitable Organisationsteile herausgenommen und isoliert liquidiert bzw. veräußert werden. Dergestalt können strukturelle Verbindlichkeiten, die den gesamten Konzern oder Konzernteile belasten, umstrukturiert, isoliert und/oder gezielt ausgeglichen werden. 549 Zusätzlich können die einzelnen Organisationsteile eigenständige Sanierungsmaßnahmen einleiten, die nunmehr durch flachere Hierarchieebenen, effizientere Organisation und die Möglichkeit, getrennte Verbindlichkeiten einzugehen oder gezielt auszugleichen, die Sanierung des Unternehmens unterstützen und zugleich künftige Risiken voneinander abgrenzen. Hinzu kommt schließlich, dass die einzelnen Organisationsteile Strukturierungsmaßnahmen einleiten können, die evtl. im Zusammenhang mit anderen Teilen des Konzerns nicht möglich oder überflüssig wären oder sogar schaden würden. 4. Liquiditäts- und Kapitalmaßnahmen 550 Liquiditäts- und Kapitalmaßnahmen mit dem Ziel der Sanierung können durch die bestehenden Gesellschafter oder neue Investoren realisiert werden. Investoren können sich insoweit in der Krise des Unternehmens entweder aufgrund von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen an diesem direkt oder zunächst lediglich als Gläubiger im Rahmen von schuldrechtlichen Finanzierungsmaßnahmen beteiligen. Allen Sanierungsmaßnahmen ist gemein, dass die Gesellschaft entweder neue Liquidität erhält oder zumindest ein bereits
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
gewährtes Darlehen als Zahlungsverpflichtung subordiniert wird oder endgültig wegfällt, wodurch zugleich das Eigenkapital des Unternehmens gestärkt wird. Maßgeblich ist, dass die Maßnahme geeignet sein muss, dass das Unternehmen künftig dauerhaft seine laufenden Zahlungspflichten erfüllen kann und mithin aufgrund einer mittelfristigen Durchfinanzierung des Unternehmens eine positive Fortführungsprognose sichergestellt werden kann. a) Liquiditäts- und/oder Kapitalbeschaffung bei Gesellschaftern Für die Liquiditäts- und/oder Kapitalbeschaffung bei Gesellschaftern gibt es 551 neben der unmittelbaren Barkapitalerhöhung in der Praxis insbesondere das Gesellschafterdarlehen, ggf. mit Rangrücktritt und den Forderungsverzicht. aa) Gesellschafterdarlehen Ein Darlehen durch einen oder mehrere Gesellschafter ist die häufigste Form 552 der kurzfristigen Liquiditätszuführung, bedingt durch die Tatsache, dass die Gesellschaft aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage keine externen Kapitalgeber mehr aufzubringen in der Lage ist. Die Sicherstellung der positiven Fortführungsprognose muss dann regelmäßig durch Liquiditätszuführung der Gesellschafter zwecks mittelfristiger Durchfinanzierung des Unternehmens realisiert werden. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und 553 zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) mit Wirkung zum 1.11.2008, BGBl. I 2008, 1982 ff.,
waren dabei die Regeln über eigenkapitalersetzende Darlehen gemäß §§ 32a, 32b GmbHG sowie die sog. Rechtsprechungsgrundsätze des BGH zu beachten, BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, MDR 1960, 205 f.; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, ZIP 1984, 698 ff.; vgl. zur Entwicklung des Eigenkapitalersatzrechts Gehrlein, BB 2011, 3 ff.,
und das womöglich daraus folgende Verbot der Rückzahlung der einmal geleisteten Zahlungen, §§ 30 ff. GmbHG, sowie der nachträglichen Anfechtung in der Insolvenz, vorbehaltlich des Sanierungsprivilegs, § 32a Abs. 3 GmbHG. Zwecks Vermeidung einer drohenden Überschuldung haben die Gesellschafter 554 in der Praxis bis zum Inkrafttreten des MoMiG regelmäßig einen sog. „qualifizierten Rangrücktritt“ mit der Gesellschaft vereinbart. Der Rangrücktritt beinhaltete die Verpflichtung des Gesellschafters in seiner Eigenschaft als Gläubiger, mit seinen Forderungen hinter allen anderen Gläubigern zurückzutreten. Rechtlich stellt die Rangrücktrittsvereinbarung einen verfügenden Schuldänderungsvertrag i. S. v. § 311 Abs. 1 BGB dar. Die Forderung blieb insoweit in ihrem Bestand unangetastet und wurde auch weiterhin handelsbilanziell passiviert, lediglich für den Insolvenzfall wurde eine Befriedigungsregelung getroffen. Die Rechtsprechung des BGH verlangte insoweit für die 143
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Nichtpassivierung einer Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus eine sog. qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung, wonach die im Rang zurücktretende Forderung insolvenzrechtlich in „Quasi-Eigenkapital“ umqualifiziert werden musste, d. h., in der Art und Weise ihrer Erfüllung im Insolvenzverfahren den Einlagen der Gesellschafter gleichgestellt wurde. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 ff.; dazu Priester, EWiR 2001, 329 f.; außerdem OLG Dresden, Beschl. v. 25.2.2002 – 13 W 2009/01, DZWIR 2004, 476 f.; dazu Steinecke, EWiR 2002, 489 f.
555 Aufgrund des qualifizierten Rangrücktritts musste der Gesellschafter für die Dauer der Krise seinen Anspruch wie Eigenkapital behandeln lassen. Die Gesellschaft erhielt insoweit gegen die Forderung eine Einrede, sodass diese Forderung in der Krise auch keine Zahlungsunfähigkeit herbeiführen konnte. 556 Dies galt auch für sog. eigenkapitalersetzende Darlehen, die in der Insolvenz der Gesellschaft lediglich im Nachrang zu bedienen waren. Allein diese Nachrangigkeit reichte jedoch nicht aus, um von der Passivierung im Überschuldungsstatus eine Ausnahme zu machen. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 ff.; BGH, Beschl. v. 1.3.2010 – II ZR 13/09, ZInsO 2010, 1069 f.
bb) Änderungen durch das MoMiG 557 Der Gesetzgeber hat im Zuge des MoMiG den Eigenkapitalersatzbegriff zum 1.11.2008 abgeschafft und stattdessen Darlehen von Gesellschaftern an eine juristische Person oder solche Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit, bei denen nicht wenigstens ein Gesellschafter eine persönlich haftende natürliche Person ist, rechtsformneutral gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dem gesetzlichen Nachrang unterstellt. Gleichzeitig wurde § 19 Abs. 2 InsO um einen weiteren Satz ergänzt, wonach Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht bei den Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus zu berücksichtigen sind, wenn für sie ein Nachrang hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist. Der Gesetzgeber hat dadurch klargestellt, dass trotz des nunmehr gesetzlich normierten Nachrangs der Gesellschafterdarlehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Rangrücktrittsvereinbarung erforderlich ist, um die Nichtpassivierung des Darlehens in der maßgeblichen Überschuldungsbilanz zu bewirken. Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 5.3.2015 die seit MoMiG geltenden Anforderungen an einen qualifizierten Rangrücktritt zur Vermeidung einer Überschuldung begründet. BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 ff.; vgl. dazu K. Schmidt, ZIP 2015, 901 ff.; Berger ZIP 2016, 1 ff.
558 Danach muss der qualifizierte Rangrücktritt zur Beseitigung einer rechnerischen Überschuldung als Schuld- oder Schuldänderungsvertrag ein zwingendes nicht
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
aufhebbares Zahlungsverbot in der Krise der Gesellschaft bewirken. Verbotswidrige Zahlungen auf diese nachrangigen Forderungen können nach § 812 Abs. 1 Satz1 Fall 1 BGB kondiziert und nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter zudem gemäß § 134 Abs. 1 InsO angefochten werden. Dieser qualifizierte Rangrücktritt darf nicht ohne Mitwirkung der übrigen (künftigen) Gläubiger aufgehoben werden. Dogmatisch begründet der BGH dieses Aufhebungsverbot mit einem Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. § 328 BGB. Im Ergebnis begründet der qualifizierte Rangrücktritt zur Beseitigung der Überschuldung nach den Grundsätzen des BGH bereits ein vorinsolvenzrechtliches materielles Zahlungsverbot, nach dessen Inhalt die Forderung des nachrangigen Gläubigers nur im Falle eines die Verbindlichkeiten übersteigenden Aktivvermögens befriedigt werden darf. Der qualifizierte Rangrücktritt i. S. d. vorgenannten BGH-Entscheidung schützt mithin die übrigen Gläubiger insoweit, als keine Zahlungen an nachrangige Gläubiger in der Krise der Gesellschaft bewirkt werden und hierdurch keine Insolvenzantragspflicht ausgelöst wird. Eine zeitliche Befristung des qualifizierten Rangrücktritts ist somit nicht möglich, da es sich sonst lediglich um eine Stundung der Forderung handeln würde, die nicht zum Wegfall der Passivierungspflicht im Überschuldungsstatus führt. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rn. 237 ff.; Scholz-Bitter, GmbHG, Vor § 64 GmbHG Rn. 95 ff.139; Hoos/Köhler, GmbHR 2015, 729 ff.
Aufgrund des am 18.10.2008 in Kraft getretenen Finanzmarktstabilisierungs- 559 gesetzes (FMStG) wurde § 19 Abs. 2 InsO zunächst für einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.2009, später 31.12.2013, neu gefasst. Mittlerweile hat der Gesetzgeber, im Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012, die zeitliche Befristung aufgehoben. BGBl. I 2008, 1982, 1988 f., BGBl. I 2009, 3151 und BGBl. I 2012, 2418, 2424; vgl. Leithaus/Schaefer, NZI 2010, 844, 845 f.; Böcker/Poertzgen, GmbHR 2013, 17 ff.
Überschuldung liegt somit weiterhin vor, wenn das Vermögen des Schuld- 560 ners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Mit Wirkung zum 1.1.2021 wurde insoweit noch der Prognosezeitraum im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf die „nächsten zwölf Monate“ konkretisiert. Im Ergebnis kann daher mittels Dokumentation einer positiven Fortführungsprognose durch Erstellung einer mindestens zwölfmonatigen Liquiditätsplanung mit einer überwiegend wahrscheinlichen Zahlungsfähigkeitsprognose eine etwaige rechtliche Überschuldung vermieden werden. Auf eine bilanzielle „rechnerische“ Überschuldung kommt es dann nicht mehr an.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
cc) Forderungsverzicht 561 Schließlich kommt als Kapitalmaßnahme des Gesellschafters der Forderungsverzicht mit oder ohne Besserungsabrede in Betracht. Aufgrund des Wegfalls der Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter kann wiederum eine etwaige drohende Überschuldung vermieden werden. 562 Die steuerrechtliche Problematik hinsichtlich der Besteuerung des Forderungsverzichts inklusive etwaiger Besserungsabrede wird unter Rn. 1120 ff. dargestellt. b) Liquiditäts- und Kapitalbeschaffung durch Investoren 563 Auch die Liquiditäts- und Kapitalbeschaffung durch Investoren beinhaltet ein breites Spektrum von Möglichkeiten. Namentlich zu erwähnen sind Darlehen, sanierende Kapitalherabsetzung und die Begründung einer stillen Gesellschaft. aa) Darlehen 564 Investoren können der Gesellschaft in der Krise Darlehen gewähren, um hierdurch erforderliche Liquidität zuzuführen. Aufgrund des erhöhten Risikos wird der „Fresh-Money-Darlehensgeber“ regelmäßig werthaltige Sicherheiten und insoweit einen Vorrang gegenüber den bisherigen Darlehensgebern verlangen (sog. „Super-Senior-Facility“). Angemessene Sicherheiten in Sachwerten sind nach § 142 InsO als Bargeschäft nicht anfechtbar und insoweit insolvenzfest. Da freie werthaltige Sicherheiten in der Krise regelmäßig nicht vorhanden sind, ist die Mitwirkung der bisherigen Kreditgeber erforderlich, die insoweit ihre Altsicherheiten anteilig freigeben müssen. Maßgeblich ist insoweit die Risikoverteilung hinsichtlich der Rangfolge der Darlehensgeber untereinander in einem Problemstellung Insolvenzverfahren. 565 Die neuen Darlehensgeber können auch als sog. „Distressed-Debt-Investoren“ die Finanzierung als ersten Schritt für den Erwerb des Unternehmens im Rahmen einer „Loan-to-Own-Strategie“ nutzen. Zu beachten ist auch hier der insolvenzrechtliche Nachrang gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, sofern nicht das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO eingreift. 566 Schließlich ist § 44a InsO zu berücksichtigen, sofern der Darlehensgeber sich vom Gesellschafter des Unternehmens Kreditsicherheiten gewähren lässt. Danach kann der Darlehensgeber im Insolvenzfall nur insoweit Befriedigung verlangen, als er sich nicht aus der Sicherheit des Gesellschafters befriedigen kann. Der Darlehensgeber nimmt insoweit im Ergebnis nur in Höhe seines Ausfalls hinsichtlich der Gesellschaftersicherheit als Insolvenzgläubiger des Unternehmens teil. Bei gleichzeitiger Besicherung des Darlehens besteht allerdings nach zutreffender herrschender Ansicht die Wahlfreiheit des Darlehensgebers, sich primär aus der Realsicherheit des Unternehmens zu befrie-
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
digen. Der Darlehensgeber muss insoweit nicht vorrangig die Gesellschaftersicherheit in Anspruch nehmen. BGH, Urt. v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417 Rn. 14 ff.; BGH, Urt. v. 13.7.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 44a Rn. 7; Graf-Schlicker-Neußner, InsO, § 44a Rn. 12; Kübler/Prütting/Bork-Preuß, InsO, § 44a Rn. 18; MüKo-Bitter, InsO, § 44a Rn. 30; a. A. HambKo-Lüdtke, InsO, § 44a Rn. 21; K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 44a Rn. 10 ff.
bb) Sanierende Kapitalherabsetzung Die vereinfachte sanierende Kapitalherabsetzung ist im Gegensatz zur or- 567 dentlichen Kapitalherabsetzung als ein zweckgebundenes schnelles Verfahren zwecks schneller Sanierung des Unternehmens konzipiert. Die gesetzlichen Voraussetzungen finden sich in § 229 AktG bzw. in den §§ 58a ff. GmbHG. Danach dient die vereinfachte sanierende Kapitalherabsetzung dem Ausgleich von Wertminderungen oder sonstiger Verluste. Etwaige Gewinn- oder Kapitalrücklagen müssen insoweit vorab aufgelöst werden (vgl. § 229 Abs. 2 AktG, § 58a GmbHG). Der Zielsetzung des schnellen Sanierungserfolgs dient insoweit auch die Rückwirkung der vereinfachten sanierenden Kapitalherabsetzung gemäß § 238 AktG, § 58e GmbHG. Vgl. zu den rechtlichen Voraussetzungen zusammenfassend Reul/Heckschen/Wienberg-Heckschen, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 Rn. 406 ff.
Die sanierende Kapitalherabsetzung kann insoweit in zwei Schritten den Ein- 568 tritt neuer Gesellschafter mit neuem Gesellschafterkapital bewirken. In einem ersten Schritt wird das Kapital nominell herabgesetzt, also ohne Freiwerden von Mitteln für die Gesellschafter. Infolgedessen wird die Unterbilanz beseitigt. In einem zweiten Schritt erfolgt die Aufnahme neuer Gesellschafter gegen Gewährung von neuen Gesellschaftsrechten. Bei einer nachhaltigen bilanziellen und wirtschaftlichen Unterbilanz ist die 569 „Vernichtung“ der wertlosen Anteile an der Gesellschaft im Rahmen der Kapitalherabsetzung auf null regelmäßig erforderlich, damit die neuen Gesellschafter den entsprechenden Wert im Rahmen der anschließenden Sanierungskapitalerhöhung erhalten. Ein besonderes Problem sind Voreinzahlungen, die sich im Sanierungsfall 570 nicht immer werden ausschließen lassen, wenn frisches Kapital dringend benötigt wird. Der BGH hat festgestellt, dass Voreinzahlungen schuldbefreiende Wirkung bei einer Kapitalerhöhung nur dann haben, wenn der eingezahlte Betrag noch vorhanden ist, sobald der Beschluss über die Kapitalerhöhung gefasst wird. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, ZIP 2004, 849 ff.; BGH, Beschl. v. 11.6.2013 – II ZB 25/12, ZIP 2013, 1422 ff.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
571 Diese Grundsätze sind in Krisenfällen regelmäßig nicht aufrechtzuerhalten. Der BGH hat insoweit klargestellt, dass ausnahmsweise Voreinzahlungen unter engen Voraussetzungen in Sanierungsfällen als wirksame Erfüllung der später übernommenen Einlageschuld anerkannt werden, wenn die Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung mit aller gebotenen Beschleunigung nachgeholt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt, andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen und die Rettung der sanierungsfähigen Gesellschaft scheitern würde, sofern die übliche Reihenfolge der Kapitalerhöhungsmaßnahme beachtet werden müsste. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, NZG 2007, 23 ff.; vgl. zur Umsetzung Noack/Servatius/Haas-Servatius, GmbHG, § 56a Rn. 9 ff.; vgl. allgemein zu Vorausleistungen auf Kapitalerhöhungen nach MoMiG und ARUG Priester, DStR 2010, 494 ff.
572 Keinesfalls dürfen die Mittel jedoch alsbald zurückfließen. BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211 ff.; dazu Blöse, EWiR 2003, 223 f.; BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046 f.; BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 ff.
573 Zu beachten ist, dass es sich hinsichtlich der Kapitalerhöhung zumindest in Höhe des nominellen Mindeststamm- bzw. Grundkapitals der GmbH bzw. AG um eine Barkapitalerhöhung handeln muss. Darüber hinaus kommt zwar dem Grunde nach auch eine Sacheinlage in Betracht, dies empfiehlt sich aber aufgrund der hiermit verbundenen Anfechtungs- und Eintragungsrisiken in Kombination mit der möglichst schnell zu vollziehenden sanierenden Kapitalherabsetzung nicht. Noack/Servatius/Haas-Servatius, GmbHG, § 56a Rn. 34
574 Schließlich ist zu beachten, dass sich das Bezugsrecht der bisherigen Anteilseigner auch bei einer Kapitalherabsetzung auf null in Kombination mit der Kapitalerhöhung nach dem ursprünglich nicht herabgesetzten Kapital richtet. Die Kapitalerhöhung muss insoweit so bemessen sein, dass auch die Minderheitsanteilseigner eine größtmögliche Chance auf Beteiligung haben. Noack/Servatius/Haas-Servatius, GmbHG, § 56a Rn. 35.
cc) Stille Gesellschaft 575 Die als reine Innengesellschaft in den §§ 230 ff. HGB konstruierte stille Gesellschaft beinhaltet eine Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters am Unternehmen eines anderen. Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, § 4 Rn. 4.3.
576 Die stille Gesellschaft eignet sich insbesondere im Rahmen einer Beteiligung an einer GmbH oder Handelspersonengesellschaft vor allem dann als Sanierungsmaßnahme, wenn die Krise nicht publik gemacht werden soll, da sie weder eingetragen noch anderweitig veröffentlich werden muss. Dies gilt aller148
VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
dings nicht bei der Begründung einer stillen Gesellschaft mit der AG, da die stille Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag gemäß § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG zwecks Wirksamkeit nach § 294 AktG der Eintragung im Handelsregister bedarf. Emmerich/Habersack-Emmerich, AktG, § 292 Rn. 29f.
Der stille Gesellschafter erhält eine Gewinnbeteiligung, eine Beteiligung am 577 Verlust ist dispositiv. In der Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens ist der stille Gesell- 578 schafter mit seiner Einlageforderung Gläubiger und kann seinen Rückzahlungsanspruch – abzüglich etwaiger Verlustbeteiligung – zur Gläubigertabelle anmelden (vgl. § 236 HGB). Zu beachten ist jedoch: Hat der stille Gesellschafter eine dem Gesellschafter 579 gleichgestellte oder gleichzustellende Position, so ist der insolvenzrechtliche Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sowie die Insolvenzanfechtung gemäß § 135 InsO insoweit auch auf die sog. atypische stille Gesellschaft anzuwenden. Maßgeblich für eine dem Gesellschafter gleichgestellte Position des atypischen stillen Gesellschafters ist, dass dessen Stellung nach dem Beteiligungsvertrag im Innenverhältnis der Stellung eines Kommanditisten weitgehend angenähert ist. BGH, Urt. v. 23.1.2018 – II ZR 246/15, ZIP 2018, 576, Rn. 14; BGH, Urt. v. 28.6.2012 – II ZR 191/11, ZIP 2012, 1869 ff.; OLG Köln, Urt. v. 27.10.2011 – I-18 U 34/11, ZIP 2011, 2208 ff.
Im Ergebnis ist auch nach Änderung der Regeln über eigenkapitalersetzende 580 Darlehen durch das MoMiG auf die atypischen stillen Gesellschaften der insolvenzrechtliche Nachrang des § 39 Ans. 1 Nr. 5 InsO entsprechend anwendbar. Vgl. Graf-Schlicker-Neußner/Bremen, InsO, § 39 Rn. 43.
c) Debt-Equity-Swap Unter „Debt-Equity-Swap“ versteht man den Erwerb eines Unternehmens 581 oder einer Beteiligung im Wege des Forderungskaufs mit anschließendem Tausch des Fremdkapitals in Eigenkapital. Hierzu erwirbt der Investor die (häufig notleidenden) Darlehen des in der Krise befindlichen Unternehmens von den Banken oder anderen Großgläubigern. Reul/Heckschen/Wienberg-Heckschen, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 Rn. 411 ff.; Kestler/Striegel/Jesch, Distressed Debt Investments, Rn. 104 ff.; Buth/Hermanns-Buth/Herrmanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 21 Rn. 49.
Es wird also eine gegen die Gesellschaft bestehende Forderung im Wege der 582 Sachkapitalerhöhung in die Gesellschaft eingebracht. Der Gläubiger tritt entweder seine Forderung an die Gesellschaft ab, wodurch diese im Wege der Konfusion erlischt oder er bringt die Forderung im Wege des Erlassvertrages 149
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
i. S. d. § 397 BGB ein. Der Umstand, dass sich die Forderung gegen die Gesellschaft selbst richtet, beeinträchtigt deren Einlagefähigkeit nicht. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 282.
583 Bei einem in der Krise befindlichen Unternehmen wird vor der Sachkapitalerhöhung in der Regel ein Kapitalschnitt notwendig sein, um das Kapital der Gesellschaft an die erlittenen Verluste anzugleichen bzw. sogar um eine rechnerische Überschuldung zu beseitigen. Die Kapitalersetzung zu Sanierungszwecken kann bei der Aktiengesellschaft gemäß §§ 229 ff. AktG bzw. bei der GmbH gemäß §§ 58a ff. GmbHG in vereinfachter Form durchgeführt werden (siehe Rn. 567 ff.). 584 Ein „Debt-Equity-Swap“ beseitigt die Krise des Unternehmens durch Beseitigung der bilanziellen Überschuldung. Gleichzeitig wird die künftige Ergebnisund Liquiditätssituation wegen Wegfalls der Zins- und Tilgungsbelastung verbessert. Für die Investoren liegt der Vorteil darin, dass sie als Gesellschafter unmittelbaren Einfluss auf die Sanierung des Unternehmens nehmen können. Bei erfolgreich durchgeführter Sanierung können die Investoren den ursprünglichen Forderungswert mindestens teilweise durch den Beteiligungswert kompensieren. 585 Der „Debt-Equity-Swap“ ist auch im deutschen Recht möglich, nur unter anderen Voraussetzungen als im Common Law. Eine erste Restriktion findet er im Recht der Sachkapitalerhöhung. Die Einbringung von Forderungen in das Gesellschaftskapital stellt eine Sacheinlage dar, zu der es einer Sachkapitalerhöhung bedarf. Nach §§ 5 Abs. 4, 19 Abs. 5, 56 GmbHG sowie §§ 27, 183 ff. AktG ist für diese ein Sachkapitalerhöhungsbeschluss der Gesellschafterversammlung bzw. Hauptversammlung sowie eine Sachprüfung nötig. Reul/Heckschen/Wienberg-Heckschen, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 Rn. 413.
586 Die Sacheinlage ist bei der Einbringung zum Zweck der Festsetzung ihrer Höhe zu bewerten. Dabei kommt es für die Höhe der Sacheinlage aufgrund des realen Kapitalaufbringungsgrundsatzes nicht auf den Nennwert, sondern auf den tatsächlichen Wert der Forderung an. Dieser richtet sich nach der Solvenz der Gesellschaft selbst zum Zeitpunkt der Einbringung. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279, 282.
587 Wegen der Krisensituation der Gesellschaft ist eine Einbringung der Forderung zum Nennwert mangels Vollwertigkeit regelmäßig nicht mehr der Fall, sodass insoweit regelmäßig ein erheblicher Abschlag auf den Nennwert der Forderung im Rahmen der Sachkapitalerhöhung in Ansatz zu bringen ist. 588 Misslingt die Sanierung (trotz des „Debt-Equity-Swaps“) und wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so besteht für den Investor das Risiko, dass der Insolvenzverwalter innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist aufgrund der verschuldensunabhängigen Differenzhaftung gemäß §§ 9, 56 GmbHG eine
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VI. Exkurs: Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten
Nachzahlung in bar in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag der übernommenen Einlage und dem Wert der eingebrachten Forderung geltend macht. Bei der Aktiengesellschaft umfasst die Differenzhaftung gemäß § 9 Abs. 1 AktG auch das Agio. Hoffmann-Becking-Scholz, MünchHdb/AG, § 57 Rn. 61 m. w. N.
Dieses Risiko der Differenzhaftung lässt sich folglich verringern, wenn der 589 Investor bereits im Rahmen des „Debt-Equity-Swap“ eine ausreichend hohe Wertberichtigung der Forderung vornimmt und zusätzlich sicherheitshalber einen Teilbetrag der Forderung als Agio – Zuzahlung in das Eigenkapital – einbuchen lässt. Die geschilderte Gefahr der Differenzhaftung im Rahmen eines „Debt-Equity- 590 Swaps“ kann dadurch begrenzt werden, dass die Forderung nur zum tatsächlichen (sicheren) Forderungswert eingelegt wird und hierfür eine höhere Beteiligung am Unternehmen mit den Gesellschaftern vereinbart wird, sodass der Unternehmenswert entsprechend „angepasst“ wird. Dadurch erhält der Investor nach seiner Vorstellung eine Beteiligung bzw. setzt eine solche durch, die zumindest nach seiner Ansicht mehr wert ist, als er für seine „eingetauschte“ Forderung aufbringen muss. Kestler/Striegel/Jesch, Distressed Debt Investments, Rn. 118; dies., NZI 2005, 417, 422.
Eine weitere Möglichkeit die Differenzhaftung zu vermeiden, ist der Erwerb 591 bereits bestehender Gesellschaftsanteile gegen (teilweisen) Forderungsverzicht im Wege des Erlassvertrages i. S. v. § 397 BGB. Neben der Vermeidung des Differenzhaftungsrisikos besteht ein weiterer Vorteil in der schnellen einfachen Abwicklung gegenüber der „wirtschaftlichen“ Sachkapitalerhöhungsmaßnahme. Letztlich ist aber auch hier mindestens die Mitwirkung des abtretenden Altgesellschafters erforderlich. Vgl. Eilers, GWR 2009, 3 ff.
Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unterneh- 592 men (ESUG) wurde im Interesse verbesserter Sanierungsmöglichkeiten im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens nach § 225a InsO ermöglicht, auch die Anteilsrechte des schuldnerischen Unternehmens in den Insolvenzplan einzubeziehen. Die Einbeziehung der Gläubiger setzt weiterhin deren Zustimmung voraus, sodass Gläubiger nicht gegen ihren Willen zu einer Umwandlung ihrer Forderung in Gesellschaftsanteile gezwungen werden können (anders im ursprünglichen ESUG-Diskussionsentwurf sowie bei Anwendung von § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG). Für die Einbeziehung der Anteilsrechte in die gestaltende Wirkung eines Insolvenzplans spricht, dass in der Insolvenz das Eigenkapital der Anteilsinhaber wertlos ist und diese nur aufgrund ihres gesellschaftsrechtlichen Einflusses ein erhebliches Blockadepotenzial zulasten der Gläubiger geltend machen können.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Vgl. zum „Debt-Equity-Swap“ im Insolvenzplanverfahren nach dem Regierungsentwurf des ESUG Hölzle, NZI 2011, 125, 128; Meyer/Degener, BB 2011, 846 ff.; zuvor zum Diskussionsentwurf vgl. J. Schmidt, GWR 2010, 568 ff.
593 Die Anteilsinhaber werden als stimmberechtigte Beteiligte in einer eigenen Gruppe in den Insolvenzplan einbezogen, unterliegen dann allerdings gemäß § 245 Abs. 3 InsO dem sog. Obstruktionsverbot. 594 Hinsichtlich der Differenzhaftung ist in § 254 Abs. 4 InsO normiert, dass diese nach der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplanverfahrens ausgeschlossen ist. Die Bewertung der Forderung kann insoweit nur im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens selbst angegriffen werden. Nach gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans besteht folglich kein Haftungsrisiko für die neuen Anteilseigner mehr wegen nachträglich festgestellter Überbewertung der Forderung. d) Debt-Mezzanine-Swap 595 Eine Alternative zum „Debt-Equity-Swap“ stellt die Umwandlung von Forderungen in Mezzanine-Finanzierungen im Rahmen eines sog. „Debt-MezzanineSwaps“ dar. Dabei kann es sich insbesondere um die Umwandlung in Beteiligungen über Genussrechte oder stille Gesellschaften handeln. Vgl. Jesch/Striegel/Boxberger-Lürkene/Ehger/Hiemer, Rechtshandbuch Private Equity, § 29 Rn. 103 ff.; Bork/Hölzle-Wienberg/Dellit, Handbuch Insolvenzrecht, Kap. 13 Rn. 129; Volk, BB 2003, 1224 ff.; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299 ff.; Rusch/Brocker, ZIP 2012, 1293 ff.
596 Der Begriff der Mezzanine-Finanzierung umfasst einen großen Teil der Eigenund Fremdkapital-Finanzierungsfazilitäten. Link/Reichling, Die Bank 2000, 266, 268; Volk, BB 2003, 1224 ff.
597 Die Gestaltungsformen von Mezzanine-Kapital weisen im Wesentlichen folgende Kernelemente auf: x
Nachrangigkeit in Bezug auf die sonstigen Gläubiger;
x
Vorrangigkeit gegenüber dem haftenden Eigenkapital;
x
erfolgsabhängige höhere Vergütung für die Kapitalbereitstellung im Vergleich zum klassischen Fremdkapital aufgrund der Nachrangigkeit;
x
Beteiligung am Verlust;
x
zeitliche Befristung der Kapitalüberlassung auf ca. sechs bis zehn Jahre;
x
die Vergütung für die Kapitalbereitstellung stellt unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin steuerlichen Betriebsaufwand dar.
152
VII. Verkaufsprozess aus der doppelnützigen Treuhand Bieg/Borchardt/Frind-Ziegenhagen Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, G. Rn. 70 ff.; Nelles/Klusemann, FB 2003, 1, 6 f.; Volk, BB 2003, 1224, 1225; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299, 301 ff.
In der Praxis kann auch durch einen „Debt-Mezzanine-Swap“ im Rahmen 598 eines Insolvenzplans durch Umwandlung der Verbindlichkeit des schuldnerischen Unternehmens in bilanzielles Eigenkapital nach HGB zugleich eine rechtliche Überschuldung aufgrund des nachrangigen Genussrechts beseitigt werden. Vgl. Kellmann/Schulz, BB 2021, 1392 ff.; Küting/Kessler, BB 1994, 2103 ff. zur Bilanzierung von Genussrechten.
Steuerlich ist zu berücksichtigen, dass das Genussrecht als steuerliches Fremd- 599 kapital ausgestaltet werden kann, wenn es nicht am Liquidationserlös der Gesellschaft beteiligt wird. In diesen Fällen bleibt die Vergütung des Genussrechts aus Sicht der Gesellschaft steuerlicher Aufwand und mindert das körperschaftsteuerliche Einkommen sowie den Gewerbeertrag. Vgl. Bieg/Borchardt/Frind-Ziegenhagen Unternehmenssanierung und Betriebsfortführung, Teil 3, G. Rn. 72; FBeh Hamburg, Fachinformation v. 25.1.2019 – S 2133 – 2017/001 – 52/S 2742 – 2017/003 – 53, DStR 2019, 1093; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299, 301.
VII. Verkaufsprozess aus der doppelnützigen Treuhand Die doppelnützige Treuhand ist eine in der Praxis regelmäßig angewendete 600 Sanierungsgestaltung, wenn die Liquiditätskrise durch Sanierungsfinanzierungen überwunden werden muss, weil die Gesellschafter des Unternehmens selbst keine Mittel bereitstellen. Aufgabe des Treuhänders ist insbesondere, die Umsetzung der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen zu überwachen sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch einen bestmöglichen Verkauf der Gesellschaftsanteile am Unternehmen zu realisieren. Die Kreditgeber sind insoweit durch den Treuhandvertrag zugleich dahingehend abgesichert, dass der Treuhänder rechtzeitig einen strukturierten Investorenprozess umsetzt, sobald die Realisierung der operativen Sanierung wegen Nichterreichens der finanziellen Ziele nicht mehr überwiegend wahrscheinlich ist. Neben der Sanierung des Unternehmens als Treugutgesellschaft kann auch bereits von Anfang an der strukturierte Verkauf des Unternehmens unter bestimmten Rahmenbedingungen vereinbart werden („Verkaufstreuhand“). Vgl. ausführlich zur Doppelnützigen Treuhand HambKo-Ziegenhagen, Restrukturierungsrecht, Anhang I Abschnitt 5 Rn. 89 ff.
Der Treuhandvertrag enthält die maßgeblichen Vorgaben für die Strukturie- 601 rung des Investorenprozesses, insbesondere hinsichtlich des zeitlichen Beginns, der laufenden Informations- und Konsultationspflichten des Treuhänders, der Verteilung des Verkaufserlöses (»Wasserfall«), des Freigabeprozes-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
ses betreffend die Kreditsicherheiten sowie der Optionen der Transaktionsstruktur. 602 Die Vorbereitung des Verkaufsprozesses muss vom Treuhänder rechtzeitig mit der Auswahl eines geeigneten M&A-Beraters sowie Vorbereitung der Due Diligence gestartet werden. Der Beauftragung des M&A-Beraters wird regelmäßig eine Konsultation der Treugeber sowie der drittbegünstigten Kreditgeber vorangehen, um deren Erfahrung und Einschätzung möglichst zu berücksichtigen. 603 Die Vorbereitung umfasst auch die Einrichtung eines elektronischen Datenraums mit dazugehörigen Factbooks oder ggf. auch Vendor Due DiligenceBerichten zu den wesentlichen Themen Markt, Businessplan, Recht und Steuern. Dies erleichtert den Investoren deren Due Diligence und beschleunigt zugleich den Prozess. Der Treuhänder stimmt parallel mit dem M&ABerater das Informationsmemorandum und den Prozessbrief sowie die Vertraulichkeitsvereinbarung mit den Investoren ab. 604 Im Rahmen der Marktansprache werden auf Basis eines Informationsmemorandums des M&A Beraters erste indikative Angebote der Investoren eingefordert, um dann die besten Bieter zur Due Diligence und Management Meetings einzuladen. Etwaige sensible Geschäftsdaten des Unternehmens werden regelmäßig insbesondere gegenüber strategischen Investoren, die zugleich Wettbewerber sind, erst in der finalen Due Diligence-Phase nach Abgabe eines bestätigenden Angebots offengelegt. 605 Im Rahmen des Verkaufs aus der Treuhand ist neben der Erzielung des bestmöglichen Verkaufspreises zugleich die Transaktionssicherheit ein wesentliches Kriterium für den Treuhänder. Dies betrifft einerseits die Sicherheit der Finanzierung des Kaufpreises und andererseits die Erfüllung sämtlicher Bedingungen für die Durchführung des Closings. Dies kann die Kartellfreigabe der Transaktion, aber auch sonstige Zustimmungserfordernisse betreffen. Der Treuhänder ist insoweit regelmäßig eher an einem hohen fixen Kaufpreis interessiert und insoweit gegenüber unsicheren variablen Kaufpreisanteilen oder nachträglich aufzustellenden Closing-Bilanzen zurückhaltend. 606 Auch bei der Vereinbarung von unternehmensbezogenen Garantien und deren Laufzeit wird der Treuhänder regelmäßig zurückhaltend sein, da diese durch entsprechende Kaufpreiseinbehalte abgesichert werden müssten. Diese stehen wiederum der bezweckten Rückführung der durch die Treuhandschaft besicherten Verbindlichkeiten sowie einer zeitnahen Abwicklung der Treuhandstruktur entgegen. Daher wird in der Praxis regelmäßig als Alternative eine Versicherungslösung („W&I-Versicherung“) zwecks Absicherung des Käufers gegen bestimmte Risiken organisiert. 607 Schließlich ist hinsichtlich der Transaktionsstruktur zu berücksichtigen, dass neben dem Anteilsverkauf als Share Deal ein Verkauf der Gesellschafterforderungen und ggf. sogar zusätzlich ein Verkauf der kreditbegünstigten Kre-
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VIII. Erwerb einer börsennotierten AG – WpÜG
ditforderungen strukturiert werden kann. Der Forderungsverkauf der Kreditgeber als sogenannter „Debt-Deal“ erfolgt rechtstechnisch ohne Beteiligung des Treuhänders, da es sich insoweit nicht um sein Treugut handelt. Der Treuhänder wird aber die bestmögliche Transaktionsstruktur im Interesse der Parteien organisieren. VIII. Erwerb einer börsennotierten AG – WpÜG Im Rahmen des Erwerbs einer Beteiligung an einer börsennotierten Aktien- 608 gesellschaft sind die Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) zu berücksichtigen. Nach §§ 35, 39, 29 Abs. 2 WpÜG ist der Erwerber von mindestens 30 % der Stimmrechte an einer deutschen Aktiengesellschaft, deren Aktien an einem organisierten Markt im Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel zugelassen sind, grundsätzlich verpflichtet, den außenstehenden Aktionären ein sog. Pflichtangebot für ihre Anteile zu unterbreiten. Auch im Rahmen eines „Debt-Equity-Swaps“ muss insoweit die vorgenannte 609 Kontrollgrenze von 30 % beachtet werden. Hierbei ist zusätzlich der umfangreiche Zurechnungskatalog des § 30 WpÜG zu berücksichtigen, der zu einem mittelbaren Kontrollerwerb führen kann (Zurechnung von Treuhandbeteiligungen, Tochtergesellschaften, Stimmbindungsvereinbarungen, „Actingin-Concert“ etc.). Im Zusammenhang mit der Sanierung der Gesellschaft kann die Bundesan- 610 stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) gemäß § 37 Abs. 2 i. V. m. § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-Angebotsverordnung von diesem Pflichtangebot befreien, sofern die Voraussetzungen der Sanierungsbefreiung erfüllt sind. Da in Sanierungssituationen der tatsächliche Wert häufig unter dem Mindestpreis des Pflichtangebots in Höhe des gewichteten Dreimonatsbörsenkurses liegt, kommt der Sanierungsbefreiung eine zusätzliche erhebliche Bedeutung zu. Voraussetzung der Sanierungsbefreiung sind die Sanierungsbedürftigkeit, ein 611 Sanierungskonzept, ein Sanierungsbeitrag des Bieters sowie eine positive Ermessensausübung der BaFin, jeweils zum Zeitpunkt der Kontrollerlangung. Vgl. Beurskens/Ehricke/Ekkenga-Ekkenga/Schirrmacher, WpÜG, § 37 Rn. 27 ff.; Kocher, ZInsO 2010, 2125 ff.; Hasselbach/Hoffmann, DB 2009, 327 ff.; Klepsch/Kiesewetter, BB 2007, 1403 ff.
Die Sanierungsbedürftigkeit ist im WpÜG nicht definiert. Nach Auffassung 612 der BaFin sollen ein Insolvenzantragsgrund oder bestandsgefährdende Risiken i. S. v. § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB vorliegen, da nur in diesen Fällen ein Totalverlust bei den bisherigen Anteilseignern drohe, der eine Befreiung rechtfertige. Der Nachweis soll insoweit durch den letzten testierten Lagebericht oder einem aktuellen Vermerk des Wirtschaftsprüfers erbracht werden. In der Praxis wird dies regelmäßig im Rahmen des Sanierungskonzepts nach
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
dem Standard IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) dokumentiert werden. Vgl. Beurskens/Ehricke/Ekkenga-Ekkenga/Schirrmacher, WpÜG, § 37 Rn. 29 ff.; Kocher, ZInsO 2010, 2125, 2126; Hasselbach/Hoffmann, DB 2009, 327, 328 ff.; Klepsch/Kiesewetter, BB 2007, 1403 ff.
613 Hinsichtlich des Sanierungsbeitrags ist zu berücksichtigen, dass der Anteilseignerwechsel allein nicht für den Befreiungstatbestand ausreichend ist. Es müssen insoweit die typischen Sanierungsbeiträge wie Übernahme von Barkapitalerhöhungen, Forderungsverzichte oder Kreditgewährungen dazukommen. Die Maßnahmen sollten bereits rechtlich verbindlich zugesagt werden und zudem in dem Sanierungskonzept zwecks geeigneter Überwindung der Krise einbezogen werden. Vgl. Beurskens/Ehricke/Ekkenga-Ekkenga/Schirrmacher, WpÜG, § 37 Rn. 31; Kocher, ZInsO 2010, 2125, 2127; Hasselbach/Hoffmann, DB 2009, 327, 331; Klepsch/Kiesewetter, BB 2007, 1403, 1407.
614 Schließlich muss die BaFin gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG eine interessengerechte Ermessensausübung vornehmen, wonach die Interessen des Bieters an der Befreiung mit den Interessen der übrigen bisherigen Aktionäre abzuwägen sind. Aufgrund der strengen Anforderungen an den Befreiungstatbestand wird die BaFin kaum eine ermessensfehlerfreie Versagung begründen können. Da die Befreiung nur für den Fall der Umsetzung des Sanierungskonzepts erteilt wird, werden zugleich regelmäßig Auflagen erteilt, wonach der Bieter diese Umsetzung durch geeignete Dokumentation nachzuweisen hat. Die Befreiung steht daher regelmäßig unter dem Widerrufsvorbehalt gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Vgl. Beurskens/Ehricke/Ekkenga-Ekkenga/Schirrmacher, WpÜG § 37 Rn. 31; Klepsch/Kiesewetter, BB 2007, 1403, 1407 inkl. Checkliste zum Antrag auf Sanierungsbefreiung; Hasselbach/Hoffmann, DB 2009, 327, 332.
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz 615 Mit einer übertragenden Sanierung werden im Regelfall einschneidende Sanierungsmaßnahmen auf der Personalebene verbunden sein. Der Erwerber eines Unternehmens aus der Insolvenz wird aufgrund der Haftungskonsequenzen zumeist Vermögenswerte, nicht jedoch Anteile an dem Insolvenzunternehmen übernehmen wollen. Ein derartiger Asset Deal stellt bei Übernahme wesentlicher Vermögenswerte häufig einen Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB dar, der zu einer unveränderten Übernahme der bestehenden Arbeitsverhältnisse verpflichtet. 616 Nach einer weit verbreiteten Auffassung erweist sich die Vorschrift des § 613a BGB nach wie vor als ein „Sanierungshindernis par excellence“. 156
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Bis Ende 1998 waren die fünf neuen Bundesländer für Unternehmenserwer- 617 ber ein „Schlaraffenland“, erklärte doch Art. 232 § 5 Abs. 2 Ziff. 1 EGBGB die Vorschrift des § 613a BGB in den Beitrittsgebieten für nicht anwendbar. Mit der Vereinheitlichung des Insolvenzrechtes durch das Inkrafttreten der In- 618 solvenzordnung zum 1.1.1999 findet auch in den neuen Ländern § 613a BGB in der Insolvenz Anwendung. Vallender, GmbHR 2004, 642, 646.
1. Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz und Voraussetzungen eines Betriebsübergangs Gemäß § 613a BGB tritt der Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteiles 619 vollumfassend in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Damit ist der Erwerber eines Betriebes nicht nur zur Übernahme der Arbeitsverhältnisse in ihrem aktuellen Bestand verpflichtet, sondern auch zur Übernahme der Haftung für bereits entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer. Insbesondere im Hinblick auf die betriebliche Altersversorgung, rückständige Lohnzahlungen oder entstandene Urlaubsansprüche können hier erhebliche Belastungen gerade für den Erwerber eines in die Insolvenz geratenen Unternehmens entstehen. Die gesetzliche Haftungsregel des § 613a BGB sieht ihrem Wortlaut nach keine Erleichterung für Fälle des Betriebsübergangs in der Insolvenz vor. Bliebe es dabei, würde der Erwerber eines insolventen Betriebes vollumfänglich die Haftung für bereits entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer übernehmen müssen. Allerdings hat das BAG die Haftung des Erwerbers eines Betriebes oder Betriebsteiles in der Insolvenz maßgeblich eingeschränkt. Wie nachfolgend dargestellt, kommt es für den Umfang der Haftung gemäß § 613a BGB entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Betriebsübergang erfolgt. Bei Erwerb eines Unternehmens während des Insolvenzantragsverfahrens 620 (vor dem Eröffnungsbeschluss) haftet der Erwerber in vollem Umfang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, d. h., er haftet auch für Verbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen, die vor dem Übertragungsstichtag entstanden sind. Insoweit ergibt sich aus der Insolvenzsituation des Unternehmens keine Privilegierung des Erwerbers. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, BB 2003, 423, 426.
Eine teleologische Reduktion des § 613a BGB erfolgt nach der Rechtspre- 621 chung des BAG jedoch für den Unternehmenserwerb, der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführt wird. BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, BB 2003, 423, 426; Vallender, GmbHR 2004, 543, 548; Menke, BB 2003, 1133, 1138.
Auf einen Unternehmenserwerb, der nach der Eröffnung des Insolvenzver- 622 fahrens über das Vermögen des Verkäufers durchgeführt wird, findet nach
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
ständiger Rechtsprechung des BAG § 613a BGB zwar hinsichtlich seiner Bestandsschutzfunktion Anwendung, d. h., die Arbeitnehmer des betroffenen Betriebes bzw. Betriebsteiles gehen mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über, BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, BB 2003, 423, 426; Menke, BB 2003, 1133, 1138 m. w. N.,
jedoch haftet der Erwerber nicht für solche Verbindlichkeiten, die vor der Verfahrenseröffnung entstanden sind. Diese Privilegierung ermöglicht es, die oft erheblichen Versorgungsanwartschaften „abzuhängen“ und beim insolventen Unternehmensträger zu belassen. Der Erwerber haftet lediglich für den Teil der Betriebsrentenansprüche und Versorgungsanwartschaften, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient werden. Betriebsrentenansprüche oder -anwartschaften, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, können nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Sofern die Ansprüche gemäß den Regelungen des BetrAVG bei Insolvenzeröffnung unverfallbar sind, haftet insoweit der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV). BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, NZA 2010, 568 ff.; BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BB 2006, 943, 946.
623 Der Erwerber haftet ebenfalls nicht für bereits vor Betriebsübergang eingetretene Versorgungsfälle, denn gemäß § 613a BGB können nur aktuelle Arbeitsverhältnisse, nicht jedoch bereits beendete Arbeitsverhältnisse übergehen. 624 Ansprüche, die vor der Verfahrenseröffnung entstanden sind, können grundsätzlich nur gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, sei es als Forderung im Rang des § 38 InsO, sei es als Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 InsO. Urlaubsansprüche werden von dieser Privilegierung grundsätzlich nicht erfasst, es sei denn, sie können einem Zeitpunkt vor der Insolvenzeröffnung zugeordnet werden. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, NZI 2005, 120, 122.
625 Soweit ein tariflicher oder vertraglicher Anspruch auf zusätzliche Urlaubsvergütung („Urlaubsgeld“) besteht, ist dieser Anspruch – akzessorisch zum Urlaubsanspruch – ebenfalls vom Erwerber zu erfüllen. LAG Hamm, Urt. v. 15.9.2004 – 18 Sa 389/04, NZA-RR 2006, 65, 66.
626 Der Erwerber haftet allerdings gesamtschuldnerisch mit dem Insolvenzverwalter für Arbeitsentgeltansprüche, die im Zeitraum zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Stichtag für den Betriebsübergang entstanden sind. 627 Von erheblicher Bedeutung ist demnach der richtige Zeitpunkt für einen Betriebsübergang. Entscheidend für die Beurteilung, wann der Betriebsübergang stattgefunden hat, ist der Zeitpunkt, zu dem der Erwerber die betrieb-
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
liche Leitungsmacht übernommen hat. Insbesondere ist darauf zu achten, nicht aufgrund von nicht eindeutigen Vertragsregelungen die Übertragung der betrieblichen Leitungsmacht auf einen Zeitpunkt vor die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu legen. Um die Haftungsrisiken für den Betriebserwerber nochmals zu verdeutlichen, 628 sei auf die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum Insolvenzgeld – Abschnitt § 169 SGB III (FA) hingewiesen: „Liegen die Voraussetzungen des § 613a BGB vor, sind die auf die BA übergegangenen Ansprüche mit den nachfolgenden Einschränkungen auch gegen den Übernehmer des Betriebes oder Betriebsteiles geltend zu machen.“
Die vorerwähnte FA 169.21 stellt insoweit klar, dass eine Haftungsbeschrän- 629 kung nur für den nachinsolvenzlichen Erwerber gilt: „Erfolgt der Betriebsübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist die Haftung des Übernehmers auf die nach Insolvenzeröffnung entstandenen Ansprüche begrenzt.“
Soweit der Insolvenzverwalter den Betriebsübergang nicht anfechten kann, 630 kann er jedoch dafür Sorge tragen, dass die Agentur für Arbeit die notwendigen Informationen über den tatsächlichen Schuldner des Insolvenzgeldes erhält. Eine von der Agentur für Arbeit im Rang des § 38 InsO angemeldete Forderung kann dann ggf. mit dem Hinweis auf den tatsächlichen Insolvenzgeldschuldner bestritten werden. Unter welchen Voraussetzungen ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB 631 vorliegt, gibt die Norm selbst nicht vor. Die Auslegung des § 613a BGB wurde und wird maßgeblich von der Rechtsprechung des EuGH bestimmt. EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-466/07, Dietmar Klarenberg ./. Ferrotron Technologies GmbH – „Klarenberg“, NZA 2009, 251 ff.; EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01, Carlito Abler u. a. ./. Sodexho MM Catering Gesellschaft mbH, NJW 2004, 45, 46; Danko/Cramer, BB-Special 4/2004, 9, 13 m. w. N.
Dieser Rechtsprechung folgt das BAG, präzisiert und modifiziert sie stellen- 632 weise auch. Ein Betriebsübergang liegt demnach vor, wenn ein neuer Rechtsträger die auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich auf eine auf Dauer angelegte organisatorische Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. BAG, Urt. v. 23.5.2013 – 8 AZR 817/12, BeckRS 2013, 72352.
Ob ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Ge- 633 samtheit „Betrieb oder „Betriebsteil“ beim Erwerber anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, die in einer Gesamtwürdigung einzubringen sind. Die Rechtsprechung erachtet insbesondere die folgenden Teilaspekte für relevant: x
Art des betroffenen Betriebes;
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
x
Übergang der materiellen Vermögensgegenstände, wie Grundstücke, Gebäude und beweglicher Besitz;
x
Wert der übergehenden immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Überganges;
x
Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft;
x
Über- oder Nichtübergang der Kundschaft und Lieferantenbeziehungen;
x
Grad der Ähnlichkeit der vor und nach Übergang verrichteten Tätigkeiten;
x
Dauer der Betriebsunterbrechung.
634 Daneben kann sich auch aus der Arbeitsorganisation, den Führungskräften, den Betriebsmethoden oder den Betriebsmitteln die Identität der Einheit ergeben. Wichtig ist, zu beachten, dass keine feste Gewichtung der einzelnen Kriterien besteht; diesen kommt vielmehr je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179 ff.; BAG, Urt. v. 26.6.1997 – 8 AZR 426/95, NZA 1997, 1228, 1229; BAG, Urt. v. 22.1.1998 – 8 AZR 243/95, NJW 1998, 2994, 2995; BAG, Urt. v. 22.1.1998 – 8 AZR 775/96, NZA 1998, 638, 639.
635 Entscheidend ist, ob die funktionelle Verknüpfung der Wechselbeziehung und gegenseitigen Ergänzung zwischen den Produktionsfaktoren beim Erwerber verloren geht. BAG, Urt. v. 23.5.2013 – 8 AZR 817/12, BeckRS 2013, 72352.
636 Verliert ein Betrieb oder Betriebsteil beim Übergang auf den Erwerber seine organisatorische Einheit, liegt kein Fall des § 613a BGB vor. Insbesondere die entsprechend gesteuerte Integration von Betriebsteilen in bereits bestehende Strukturen des Erwerbers oder auch die Änderung des Betriebskonzepts kann damit zur Vermeidung eines Betriebsübergangs und seiner Rechtsfolgen genutzt werden. 637 Die vorstehenden Grundsätze gelten ebenfalls bei der Übertragung von Betriebsteilen. Der § 613a BGB findet hier Anwendung, wenn die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Auch hier genügt es, dass die funktionale Verknüpfung der übertragenen Produktionsfaktoren erhalten bleibt. 638 Bei einem Betriebsteil muss es sich dementsprechend um eine Einheit handeln, die aus einer hinreichend strukturierten und selbstständigen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck besteht. Dabei sind alle Umstände festzustellen und als Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung zugrunde zu legen. Eine isolierte Betrachtung einzelner Umstände darf nicht erfolgen. BAG, Urt. v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167 ff.
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Bei einem Betriebsteilübergang wird es oft um die Frage gehen, welche Ar- 639 beitnehmer vom Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB erfasst sind. Grundsätzlich gehen nur die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer nach § 613a BGB auf den Betriebserwerber über, die dem übernommenen Betriebsteil zugeordnet waren. Für die Zuordnung kommt es zunächst auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien an. Liegt ein solcher Wille weder in ausdrücklicher noch in konkludenter Form vor, so erfolgt die Zuordnung grundsätzlich – ausdrücklich oder konkludent – durch den Arbeitgeber auf Grund seines Direktionsrechts. BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA 2014, 392 (Ls.).
Bei einer Übertragung nur eines Betriebsteiles und der Stilllegung des ver- 640 bleibenden Teils ist darauf zu achten, dass dann, wenn bei der Betriebsteilübertragung über die Stilllegung des übrigen Teils bereits entschieden ist, die Sozialauswahl der wegen der Stilllegung zu kündigenden Arbeitnehmer auf alle Arbeitnehmer zu beziehen ist und die dem Betriebsteil zugeordneten Arbeitnehmer nicht ausgenommen werden können. BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, BB 2005, 892 ff.
2. Fallbeispiele Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze sollen nachfol- 641 gend anhand von zwei Beispielen kursorisch dargestellt werden: a) Mietvertrag und Auftragsvergabe als Betriebsübergang Insbesondere bei Insolvenzen in der Hotellerie und Gastronomie, aber auch 642 im Einzelhandel und bei sonstigen Dienstleistern präsentiert sich dem eingesetzten Gutachter/vorläufigen Insolvenzverwalter bei Aufnahme seiner Tätigkeit ein neuer Betreiber in den (ehemaligen) Geschäftsräumen des Schuldners. Dieser hat die im Eigentum des Vermieters stehende oder aber auch nur mit 643 dem Vermieterpfandrecht belastete Gaststätten-/Restauranteinrichtung inklusive der Räumlichkeiten angemietet, nachdem der Vermieter den Mietvertrag mit dem Schuldner wegen bestehender Mietrückstände fristlos gekündigt hat und der Betrieb für einen kurzen Zeitraum oder auch gar nicht geruht hat. Lohn- und Gehaltsrückstände bestehen häufig für wenigstens drei Monate. Der neue Betreiber führt einen Betrieb mit einem – mehr oder weniger – modifizierten Konzept im Vergleich zum Schuldner und hat mit Teilen der Belegschaft „neue“ Arbeitsverträge geschlossen. Ein entsprechendes Vorgehen birgt für den Neumieter und -betreiber ein er- 644 hebliches Risiko. Unter einem Betriebsübergang wird jeder Wechsel in der Person des Inhabers 645 verstanden, wenn die Identität des Betriebes gewahrt bleibt. Das Rechtsge-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
schäft, das dem Übergang zugrunde liegt, muss jedoch nicht unbedingt eine vertragliche Beziehung zwischen dem früheren und dem neuen Inhaber darstellen, sondern kann auch zwischen dem neuen Inhaber und Dritten bestehen. EuGH, Urt. v. 7.3.1996 – verb. Rs. C-171/94 und C-172/94, Albert Merckx und Patrick Neuhuys ./. Ford Motors Company Belgium SA, NJW 1996, 1199, 1200.
646 Dementsprechend kann ein Betriebsinhaberwechsel i. S. d. § 613a BGB auch dann vorliegen, wenn ein Wechsel von Pächtern/Mietern erfolgt, ohne dass zwischen dem Vor- und dem Nachpächter/-mieter eine rechtsgeschäftliche Beziehung bestehen müsste. Auch durch den „Rückfall“ des Pachtgegenstandes an den Verpächter kann bereits ein Betriebsübergang ausgelöst werden. BAG, Urt. v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704 ff.
647 Entscheidend ist in derartigen Fällen, ob der Betrieb als solcher fortgeführt wird, etwa indem der neue Pächter die Gaststätte in denselben Räumlichkeiten mit derselben Einrichtung und derselben Angebotsausrichtung betreibt. Die reine Fortführungsmöglichkeit genügt nach neuerer Rechtsprechung nicht. BAG, Urt. v. 26.2.1987 – 2 AZR 768/85, NZA 1987, 419, 420; BAG, Urt. v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161; anders noch BAG, Urt. v. 22.5.1985 – 5 AZR 173/84, DB 1985, 2407 ff.
648 Im Bereich der Zwangsvollstreckung kann ebenfalls ein Betriebsübergang auf den Zwangsverwalter vorliegen: Kündigt der Zwangsverwalter eines Grundstücks den Pachtvertrag über ein auf diesem Grundstück von einem Dritten betriebenen Hotelbetrieb und führt er dieses Hotel mit Zustimmung des Vollstreckungsgerichts in eigenem Namen weiter, nachdem er es vom bisherigen Pächter übernommen hat, so liegt ein Übergang des Betriebs „durch Rechtsgeschäft“ i. S. d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vor. BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 230/10, NZA 2012, 267 ff.
649 Die Betriebsmittel müssen nicht auf Grund eines wirksamen Kaufvertrages erworben werden und in das Eigentum eines Dritten übergehen. Sofern der Insolvenzverwalter die Betriebstätigkeit des Unternehmens lediglich einstellt und einem Dritten – der mit den bisherigen Arbeitnehmern des Unternehmens und den übernommenen Betriebsmitteln die bisherige wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens fortsetzt – die bisherigen Betriebsmittel zur Nutzung überlässt, liegt ein Betriebsübergang vor. BAG, Urt. v. 15.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZI 2008, 450, 451.
650 Unerheblich ist auch, von wem der Erwerber/Neumieter das Mobiliar erworben hat und ob er dieses nur vorübergehend nutzt oder langfristig durch neues ersetzen möchte. Selbst wenn der Erwerber/Neumieter die für die Betriebsführung wesentlichen sächlichen Betriebsmittel von Dritten erhält, die als Sicherungseigentümer oder aufgrund ähnlicher Rechtsstellung über das Betriebsvermögen verfügen können (z. B. Leasinggeber), kann von einem Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB ausgegangen werden. 162
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Es muss sich auch nicht um ein Rechtsgeschäft mit einem einzigen Vertrags- 651 partner handeln, sondern kann auch ein sog. „Bündel“ von Rechtsgeschäften mit mehreren Parteien sein. Anzahl und Form der Rechtsgeschäfte, die zu der Möglichkeit führen, die Betriebsführungsbefugnis über einen intakten Betrieb zu erlangen, sind dementsprechend nicht entscheidend. BAG, Urt. v. 22.5.1985 – 5 AZR 173/84, DB 1985, 2407 ff.
Unschädlich für die Annahme des Vorliegens eines Betriebsübergangs ist es, 652 wenn der Betrieb kurzfristig stillgelegt wird oder eine Einstellung der Tätigkeit mit anschließender Liquidation vorgenommen wird. EuGH, Urt. v. 2.12.1999 – Rs. C-234/98, G. C. Allen u. a. ./. Amalgamated Construction Co. Ltd, NZA 2000, 587, 589 Rn. 33; EuGH, Urt. v. 7.3.1996 – verb. Rs. C-171/94 und C-172/94, Albert Merckx und Patrick Neuhuys ./. Ford Motors Company Belgium SA, NJW 1996, 1199, 1200; vgl. auch LAG Köln, Urt. v. 2.10.1997 – 10 Sa 643/97, NZA-RR 1998, 290, 292, wonach für eine Kindertagesstätte eine dreimonatige Unterbrechung nicht mehr kurzfristig sei.
Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist eine 653 Gesamtabwägung der oben genannten maßgeblichen Faktoren, vor allem der Art des Betriebes, des Übergangs materieller Aktiva (insbesondere genutzte bewegliche und unbewegliche Güter), der Wert immaterieller Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme eines Hauptteils der Belegschaft, der Eintritt in Kundenbeziehungen, die Ähnlichkeit der Tätigkeit des Betriebs vor und nach dem fraglichen Übergang und die Dauer einer etwaigen Unterbrechung. EuGH, Urt. v. 19.5.1992 – Rs. C-29/91, Dr. Sophie Redmond Stichting ./. Hendrikus Bartol u. a., Slg. 1992, I 3189 Rn. 24; ständige Rechtsprechung, z. B. EuGH, Urt. v. 2.12.1999 – Rs. C-234/98, Allen u. a. ./. Amalgamated Construction Co. Ltd, NZA 2000, 587 ff.
Nicht relevant ist jedoch, ob die Nutzung der Betriebsmittel eigenwirtschaft- 654 lich (d. h. innerhalb der eigenen Verfügungsmacht und der eigenen Kalkulation zur Erzielung eines wirtschaftlichen Vorteils) erfolgt oder nicht. Relevant ist allein, ob durch den Erwerber die bisherigen Betriebsmittel genutzt werden. Grundlegend EuGH, Urt. v. 15.12.2005 – verb. Rs. C-232/04 und C-233/04, Nurten Güney-Görres und Gul Demir ./. Securicor Aviation (Germany) Ltd und Kötter Aviation Security GmbH & Co. KG, ZIP 2006, 95 ff.; im Anschluss daran BAG, Urt. v. 4.6.2006 – 8 AZR 222/04, BB 2006, 2697, 2699; BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101 ff.; BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021 ff.
Der Aspekt der Trennung von Eigentumsrechten und Betriebsfortführung 655 kann außerdem dann relevant werden, wenn der Erwerber den Betrieb nach Übernahme in eine Besitz- und eine Betriebsgesellschaft aufspalten will. 163
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Werden die sächlichen Betriebsmittel, wie Grundstücke und Anlagen, von der Besitzgesellschaft erworben, diese Betriebsmittel jedoch der Betriebsgesellschaft zur Nutzung überlassen und führt diese den bisherigen Betrieb im Übrigen fort, liegt ein Betriebsübergang (nur) auf die Betriebsgesellschaft vor. In dem Asset-Kaufvertrag mit dem Insolvenzverwalter sollten zur Absicherung des Betriebsübergangs nur auf die Betriebsgesellschaft entsprechende Regelungen aufgenommen werden, aus denen sich die beabsichtigte Aufteilung und die Folgen für die zu übernehmenden Arbeitnehmer eindeutig ergeben. 656 Auf den vorliegenden Fall angewandt, sprechen folglich mehrere Kriterien für die Annahme eines Betriebsübergangs. Insbesondere die Weiterbenutzung desselben Mobiliars, das leicht modifizierte Unternehmenskonzept sowie die nur kurzfristige Dauer der Unterbrechung der Betriebstätigkeit sprechen bereits für einen Betriebsübergang. Gleiches gilt für den Eintritt in die Kundenbeziehungen, wovon bei einem nur leicht modifizierten Betreiberkonzept und der unveränderten Einrichtung ausgegangen werden muss. 657 In der Rechtsprechung sind mehrere Fälle höchstrichterlich entschieden worden, in denen es um die Kündigung von Pacht- bzw. Mietverträgen und die anschließende Neuverpachtung bzw. -vermietung ging. Dabei wurde häufig von einem Betriebsübergang ausgegangen. Das BAG entschied z. B. in seinem Urteil vom 25.2.1981, BAG, Urt. v. 25.2.1981 – 5 AZR 991/78, NJW 1981, 2212, 2213,
dass ein Pächter, der den Betrieb im Anschluss an die beendete Pacht eines früheren Pächters pachtet, in die Rechte und Pflichten der mit dem ersten Pächter bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Nach dieser Entscheidung ist es unerheblich, dass der eintretende Pächter nach dem Pachtvertrag verpflichtet war, das zum Betrieb des Restaurants notwendige Personal selbst einzustellen. Entscheidend ist allein der Schutzgedanke der Norm, der auch beim Pächter- oder Mieterwechsel zugunsten der Arbeitnehmer eingreift. 658 Hinsichtlich der oben genannten Gesamtabwägung zur Beurteilung der Wahrung der wirtschaftlichen Identität kommt es nach Ansicht des BAG bei einer Gaststätte auch auf ihr kundenorientiertes Leistungsangebot, die Übernahme der Führungskräfte sowie des sonstigen Personals an. BAG, Urt. v. 11.11.1997 – 8 AZR 555/95, NJW 1998, 1253, 1254.
659 In dem zitierten Fall hatte das BAG die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit verneint, weil der Grad der Ähnlichkeit der vor und nach der Weitervermietung der betriebenen Gaststätte nicht ausreichte. Es handelte sich um eine etwa 80 Jahre lang als gutbürgerliches deutsches Speiserestaurant geführte Gaststätte, die anschließend in ein Restaurant mit arabischen Spezialitäten, arabischer Küche, arabischer Musik und Bauchtanz umgestaltet wurde. 660 Ebenfalls keinen Betriebsübergang hat das BAG, BAG, Urt. v. 6.4.2006 – 8 AZR 249/04, ZInsO 2008, 53 ff.,
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
im Zusammenhang mit der eingestellten Bewirtschaftung von Bistrocafés in Interregio-Zügen, die fremd vergeben war, und der Umstellung der betreffenden Strecken auf IC/ICE-Züge mit gleichzeitiger Übernahme der Bewirtschaftung der Restaurantwagen in ICEs sowie von Bistroabteilen in ICs durch die DB AG gesehen, wobei die DB AG keine Arbeitnehmer des vorherigen Franchisenehmers einstellte. Anders als das LAG hat das BAG den Betriebsübergang nicht deswegen ver- 661 neint, weil die DB AG kein Personal übernahm. Es handelt sich bei der Zugbewirtschaftung nicht um Dienstleistungen, bei denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt. Vielmehr sind materielle Betriebsmittel – die zur Verfügung gestellten Bistrowagen – für die Ausführung der Zugbewirtschaftung unabdingbar. Das BAG hat das Vorliegen eines Betriebsüberganges aber verneint, da dieser 662 die unveränderte Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität voraussetzt. Diese ist nur gegeben, wenn der Betrieb(-steil) organisatorisch selbstständig fortgeführt wird, was – wie in der vorliegenden Entscheidung – nicht der Fall ist, wenn ein (Bewirtschaftungs-)Betrieb vollständig in die Organisationsstruktur eines anderen Unternehmens eingegliedert wird. Das LAG Berlin,
663
LAG Berlin, Urt. v. 23.10.2006 – 15 Sa 1314/06, ZIP 2007, 788 ff.,
hat hingegen einen Betriebsübergang im Rahmen einer Auftragsneuvergabe technischer Dienstleistungen durch ein Krankenhaus angenommen. In diesem Fall hatte ein betriebsmittelarmes Unternehmen seit elf Jahren mit 19 Arbeitnehmern nur einen Auftrag für dieses eine Krankenhaus ausgeführt. b) Mehrere Standorte Ein produzierendes, in der Regionalversorgung tätiges Unternehmen hat in 664 einer Region vier eigenständig arbeitende Standorte, die zunächst im Insolvenzantragsverfahren fortgeführt werden. Ein Erwerbsinteressent gibt ein Angebot für zwei der vier Standorte inklusive Arbeitnehmer, Anlage- und Umlaufvermögen mit Ausnahme der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ab. Im Übrigen bietet er an, von den zwei anderen Standorten die dort vorhandenen Rohstoffe zu übernehmen. Entsprechende Verträge werden geschlossen, zwei leitende Mitarbeiter eines „nicht übernommenen“ Standortes, der liquidiert wird, erhalten einen Arbeitsvertrag an einem übernommenen Standort. Alle übrigen 30 Arbeitnehmer der „nicht übernommenen“ Standorte erhalten eine betriebsbedingte Kündigung wegen Stilllegung des jeweiligen Betriebes. Unstreitig liegt bei den beiden „übernommenen“ Standorten ein Betriebs- 665 übergang i. S. d. § 613a BGB vor. In diesem Zusammenhang sei darauf hin-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gewiesen, dass ein „reiner“ Betriebsübergang, d. h. eine Veräußerung von Assets ohne gleichzeitige Durchführung von Betriebsänderungen o. Ä., nach der Rechtsprechung, BAG, Urt. v. 19.1.1999 – 1 AZR 342/98, ZIP 1999, 1411 ff.; KR-Treber, BGB, § 613a Rn. 45; LAG Köln, Beschl. v. 18.12.2012 – 7 TaBV 44/12, BeckRS 2013, 73876,
keine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG darstellt. 666 Wie verhält es sich aber mit den beiden Standorten, für deren Rohstoffe, Auftragsbestände und zwei leitende Mitarbeiter ein Angebot vorliegt und die im Übrigen liquidiert werden sollen? 667 Da Anknüpfungspunkt des § 613a BGB gerade nicht das Unternehmen, sondern der Betrieb ist, müssen die Voraussetzungen eines Betriebsüberganges für jeden Betrieb bzw. Betriebsteil, i. e. jeden Standort, vorliegen und gesondert geprüft werden, es sei denn, es besteht ein standortübergreifender einheitlicher Betrieb. 668 Zu prüfen ist vorliegend daher, ob die erworbenen Wirtschaftsgüter in ihrer Gesamtheit und die Beschäftigung zweier leitender Mitarbeiter an anderen Standorten die Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit in ihrer bisherigen Identität bedeuten und damit einen Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB begründen. Die Feststellung eines Betriebsübergangs an den beiden „nicht übernommenen“ Standorten hätte zur Folge, dass die Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergegangen wären und die Kündigungen der Arbeitnehmer an den „nicht übernommenen“ Standorten in der Regel unwirksam wären. 669 Für das produzierende Gewerbe kommt dem Erwerb oder Nicht-Erwerb von Rohstoffen nur geringe Bedeutung zu, da sich der etwaige Betriebserwerber diese Rohstoffe unproblematisch am Markt besorgen kann, sodass diese kein identitätsstiftendes Kriterium sind. BAG, Urt. v. 22.9.1994 – 2 AZR 54/94, ZIP 1995, 59 ff.
670 Die Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern beim Betriebserwerber ist ein wesentliches, zu berücksichtigendes Indiz für die Gesamtbetrachtung. Bei der Übernahme von Arbeitnehmern ist zu unterscheiden zwischen der Quantität der übernommenen Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft des Betriebes, um dessen möglichen Übergang es geht. Ebenfalls ist auf die Qualifikationen der betreffenden Mitarbeiter abzustellen. Für einen Betriebsübergang spricht die Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils der Belegschaft, wobei die Frage der „Wesentlichkeit“ wiederum im Einzelfall zu klären ist. Bei betriebsmittelarmen Tätigkeiten wird der Übernahme von Personal regelmäßig mehr Bedeutung zukommen als im Bereich des produzierenden Gewerbes. Dies kann im Einzelfall aber auch durchaus einmal anders zu beurteilen sein, wenn der Betrieb stärker durch das Spezialwissen und die Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt ist.
166
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, BB 2012, 3144 ff.; BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105 ff.; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251 ff.
Ist die Personalstruktur nicht durch derartige Qualifikation geprägt, ist die 671 Übernahme einer Teilbelegschaft eines produzierenden Betriebes zumeist von untergeordneter Bedeutung, da die menschliche Arbeitskraft hier weit weniger präsent für die Betriebsorganisation ist als insbesondere in Dienstleistungsunternehmen. KR-Treber, BGB, § 613a Rn. 35 f.
Eine feste Grenze für die Anforderung an Quantität und Qualität der über- 672 nommenen Arbeitnehmer existiert nicht; die Entscheidung erfolgt im Einzelfall anhand der Betriebsausrichtung und der hierfür erforderlichen und im Betrieb vorhandenen Tätigkeiten. Die Tendenzen in der Rechtsprechung gehen hier von einem deutlich über 50 % liegenden Umfang aus. BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6 ff.: bei IT-Service-Betrieb reichen 58 % aus; BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420, 422: bei Reinigungsdienst reichen 75 % nicht aus; BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, NZA 2000, 1180 ff.: bei Bauunternehmen mit 50 Arbeitnehmern reichen 50 % der Bauleiter und Poliere nicht aus.
Unterbleibt eine Übernahme der Belegschaft vollständig, ist dies zwar ein 673 Indiz dafür, dass kein Betriebsübergang vorliegt, mehr jedoch nicht. In derartigen Fällen ist entscheidend, wie die Transaktion im Übrigen gestaltet ist. Steht ein Betriebsübergang bereits aufgrund anderer Kriterien fest, ist der Übergang der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer Rechtsfolge und nicht Voraussetzung eines Betriebsübergangs. BAG, Urt. v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, AP BGB § 613a Nr. 274.
Für den Beispielfall bedeutet das, dass die zu überprüfenden Kriterien bereits 674 einzeln gegen einen Betriebsübergang sprechen. Auch in der wertenden Gesamtschau ergibt sich keine hiervon abweichende Beurteilung, sodass ein Betriebsübergang nicht vorliegt. Die beiden Betriebe wurden vom Insolvenzverwalter daher zutreffend stillgelegt und den Arbeitnehmern gekündigt. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG,
675
BAG, Urt. v. 10.5.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1161 ff.; anders noch BAG, Urt. v. 22.2.1978 – 5 AZR 800/76, DB 1978, 1453 f.,
ist es für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht ausreichend, dass ein Erwerber grundsätzlich die Möglichkeit hat, einen Betrieb fortzuführen. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass der Erwerber den Betrieb auch tatsächlich fortführt. Daran fehlt es in jedem Fall, wenn in einem eingestellten Betrieb keinerlei 676 betriebliche Tätigkeit mehr ausgeübt wird.
167
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
677 Die vorstehenden Grundsätze gelten entsprechend für den Betriebsteilübergang. Dieser setzt voraus, dass eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit bereits beim Veräußerer bestand, die auf den Erwerber übergegangen ist. 3. Rechtsfolgen des § 613a BGB für den Erwerber und Strategien zur Vermeidung 678 Derjenige, der einen Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft erwirbt, tritt in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein, wobei – wie oben dargestellt – beim Erwerb vom Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich der Haftung für bestehende Ansprüche eine teleologische Reduktion stattfindet. 679 Um Kündigungen wegen des Betriebsüberganges vorzubeugen, ist in § 613a Abs. 4 BGB ein entsprechendes Kündigungsverbot normiert. Danach ist ein Personalabbau durch betriebsbedingte Kündigungen unzulässig, wenn die Kündigungen wegen des Betriebsüberganges ausgesprochen werden. Kündigungen aus anderen Gründen bleiben jedoch zulässig. 680 Ein Kaufangebot für ein Unternehmen im Insolvenzverfahren wird von den Erwerbsinteressenten jedoch häufig mit der Bedingung verbunden, nur einen Teil der Belegschaft übernehmen zu müssen. Sofern ein umfassender Erwerb beabsichtigt ist, würden die im Betrieb beschäftigen Arbeitnehmer auf den Erwerber übergehen, der sich dann nur nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes, d. h., insbesondere unter Beachtung der Sozialauswahlregeln, von Arbeitnehmern trennen könnte. Dies würde häufig dazu führen, dass gerade den vom Erwerber als wichtig angesehenen, oft jungen Arbeitnehmern zu kündigen wäre – oder bei Eingliederung des übernommenen Betriebes in den Betrieb des Erwerbers ggf. den bereits beim Erwerber beschäftigten „AltArbeitnehmern“. Ein Ergebnis, dass die meisten Erwerber richtigerweise vermeiden möchten. 681 Um das Risiko des Betriebserwerbers bezüglich der Arbeitnehmer zu reduzieren, die er nicht übernehmen möchte und eine funktionsfähige Mitarbeiterstruktur sicherzustellen, werden die nachfolgend dargestellten Strategien und Gestaltungen von den Beteiligten praktiziert: a) Auflösung der betrieblichen Einheit 682 Ein Betriebsübergang liegt bereits tatbestandlich dann nicht vor, wenn die bestehende betriebliche Einheit nicht auf den Erwerber übergeht, weil sie ihre Identität verliert. 683 So liegt kein Betriebsübergang in der sog. reinen Funktions- oder Auftragsnachfolge vor, bei der lediglich die bisherige Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer fortgeführt wird, ohne dass dieser weitere betriebliche Mit-
168
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
tel, wie etwa Produktionsanlagen oder Personal, nutzt. Denn die reine Tätigkeit ist für sich genommen noch keine, für § 613a BGB jedoch erforderliche, wirtschaftliche Einheit. BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287, 1289; LAG Niedersachsen, Urt. v. 6.1.2009 – 12 Sa 1058/08, NZA-RR 2009, 184 ff.
Auch die Änderung des Betriebszwecks kann einen Betriebsübergang ver- 684 meiden. Eine derartige Änderung spricht gegen eine unveränderte Fortführung des Betriebes und damit gegen die für einen Betriebsübergang erforderliche Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit. BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021, 1022 f.
Gleiches gilt auch dann, wenn die bisherige Betriebsorganisation „zerschlagen“ 685 wird, indem die bisherige Betriebsstruktur beim Erwerber aufgelöst und in die bei ihm bestehende Organisation eingegliedert wird, ohne dass ein eigener abgrenzbarer Betriebsteil verbleibt. Willemsen, NJW 2007, 2065 ff.
Allerdings hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 12.2.2009 („Klaren- 686 berg“) betont, dass es auf die Beibehaltung des Funktions- und Zweckzusammenhanges zwischen den verschiedenen übertragenen Faktoren ankommt, die es dem Erwerber erlauben, diese Faktoren zur Verfolgung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks zu nutzen. Die Beibehaltung einer organisatorischen Selbstständigkeit sei hierfür nicht erforderlich. EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-466/07, Dietmar Klarenberg ./. Ferrotron Technologies GmbH – „Klarenberg“, NZA 2009, 251, 253.
Das BAG hat zunächst in Kenntnis der EuGH-Entscheidung erkennen lassen, 687 dass eine Änderung des Betriebszwecks nach wie vor einen Betriebsübergang verhindern kann. BAG, Urt. v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412, 1414.
Auch in seiner Entscheidung vom 17.12.2009,
688
BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, ZInsO 2010, 1103, 1104,
hat das BAG die „Zerschlagungsmodelle“, in denen die Identität der selbstständigen wirtschaftlichen Einheit nicht gewahrt wird, sondern erhebliche Organisationsänderungen vorgenommen werden, nicht aufgegeben (Übernahme von Betriebskantinen unter Aufgabe der frischen Zubereitung von Speisen und Umstellung der Essenszubereitung auf bloßes Aufwärmen zentral vorgefertigter Speisen). Trotz der EuGH-Entscheidung bleiben den Unternehmen daher weiterhin Spielräume bei der Gestaltung von Betriebsübergängen und deren Gestaltung.
169
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
b) Transfergesellschaft bzw. BQG – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft 689 Seit Jahren bewährtes und von der Rechtsprechung anerkanntes Modell zur „Bewältigung“ des Personalabbaus in einer Unternehmenskrise ist der Einsatz einer Transfergesellschaft bzw. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (nachfolgend „Transfergesellschaft“ oder „TG“) mittels deren Hilfe eine schnelle und deutliche Senkung der laufenden Personalkosten erreicht werden kann. Die Transfergesellschaft ist in den meisten Fällen eine rechtlich selbstständige Einheit, die von Drittunternehmen betrieben wird. In den letzten Jahren hat sich ein großes Angebot an Transfergesellschaften entwickelt, da mit ihrer Einschaltung nach entsprechender höchstrichterlicher Bestätigung kurzfristig Personalabbaumaßnahmen möglich sind und sie inzwischen auch bei Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretern akzeptiert werden. Dazu ausführlich Lembke, BB 2004, 773 ff.
690 Grundgedanke der Transfergesellschaft ist der zügige Personalabbau beim insolventen Arbeitgeber bei gleichzeitiger Rechtssicherheit durch einvernehmliche Überleitung der Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft (nachfolgend „TG-Modell“). Die Transfergesellschaft wird mit Abschluss des jeweiligen befristeten Arbeitsvertrages in jeder Hinsicht Arbeitgeber, also auch in steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. 691 Voraussetzung für die Durchführung dieses TG-Modells ist der Abschluss eines einvernehmlichen, schriftlichen Aufhebungsvertrages (§ 623 BGB) zwischen dem insolventen Arbeitgeber und jedem betroffenen Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Überführung des Arbeitnehmers in die Transfergesellschaft (gleichzeitiger Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages). In der Transfergesellschaft werden die Arbeitnehmer qualifiziert, fortgebildet, auf eine Anschlussbeschäftigung vorbereitet und vermittelt. 692 Soweit die Voraussetzungen vorliegen, d. h., der Personalabbau selbst oder die hiermit verbundene Strukturänderung zu einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG führt, muss ggf. ein Interessenausgleich und ein (Transfer-)Sozialplan verhandelt werden. 693 Die Arbeitnehmer werden in der Transfergesellschaft grundsätzlich befristet weiterbeschäftigt. 694 Die notwendigen Mittel der TG zur Bezahlung der Arbeitnehmer werden zum einen von der Bundesagentur für Arbeit durch sog. Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) und durch Zuschüsse zu Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) zur Verfügung gestellt. Die Bezugsdauer dieser Zahlungen ist jedoch auf zwölf Monate begrenzt, sodass die Dauer der befristeten Arbeitsverhältnisse in der Transfergesellschaft maximal ebenfalls auf zwölf Monate begrenzt ist.
170
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Zum anderen muss das sich in der Krise bzw. Insolvenz befindende Unter- 695 nehmen die Verwaltungskosten der Transfergesellschaft, Anteile an Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen, sog. Remanenzkosten (Arbeitgeberund Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sowie die Entgeltzahlung an Urlaubs- und Feiertagen) sowie ggf. Aufstockungsbeiträge zum Transferkurzarbeitergeld oder sog. Sprinterprämien (Sonderzahlung für Arbeitnehmer, die besonders schnell die Transfergesellschaft in ein neues Arbeitsverhältnis verlassen) tragen. Dabei wird regelmäßig ein Dienstleistungs- und Kooperationsvertrag zwi- 696 schen dem insolventen Unternehmen bzw. dem Insolvenzverwalter und der Transfergesellschaft geschlossen, aus dem sich die Finanzierungskosten des Insolvenzverwalters ergeben. Die Transfergesellschaft übernimmt außer den Arbeitnehmern keine mate- 697 riellen oder immateriellen Betriebsmittel und verfolgt einen anderen Betriebszweck als die insolvente Gesellschaft, sodass bei der Gesamtbetrachtung keine wirtschaftliche Einheit übergeht und § 613a BGB auf die Transfergesellschaft nicht anwendbar ist. Die Transfergesellschaft ist damit weder an die Arbeitsbedingungen des insolventen Unternehmens gebunden, noch muss sie die Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung übernehmen. Der sich an den Übergang der Mitarbeiter in die Transfergesellschaft an- 698 schließende Erwerb der Assets durch eine Auffanggesellschaft stellt zwar regelmäßig einen Betriebs(teil)übergang i. S. d. § 613a BGB dar, sodass im TGModell die Arbeitsverhältnisse der nicht vom Personalabbau betroffenen Mitarbeiter gemäß § 613a BGB auf den Erwerber übergehen. Im Idealfall haben sämtliche vom Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer jedoch einen Aufhebungsvertrag mit dem insolventen Arbeitgeber und einen neuen Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft geschlossen, sodass im Augenblick des Betriebsübergangs kein Arbeitsverhältnis der vom Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer mehr besteht und § 613a BGB insoweit leerläuft, es sei denn, der Aufhebungsvertrag ist unwirksam. Von der Rechtsprechung waren bisher zwei wesentliche Konstellationen zu 699 entscheiden, in denen Arbeitnehmer Aufhebungsverträge unterzeichnet hatten. Es gibt immer wieder die Fälle, in denen der (vorläufige) Insolvenzverwalter, 700 der Schuldner und der Betriebserwerber versuchen, die Arbeitnehmer zu motivieren, wegen der auch bei Insolvenzgeldvorfinanzierung rechtlich bestehenden Lohnrückstände außerordentlich zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Beim sog. Lemgoer Modell hatte der Betriebserwerber der gesamten (oder 701 auch einem bestimmten Teil der) Belegschaft verbindlich in Aussicht gestellt, neue Arbeitsverträge abzuschließen, wenn entsprechende Aufhebungsverträge unterzeichnet bzw. Eigenkündigungen durch die Arbeitnehmer erklärt würden. Hierdurch wurde versucht, das Unternehmen von allen Arbeitsverhältnissen
171
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
zu „befreien“ und damit die Rechtsfolgen des Eintritts in die Arbeitsverhältnisse mit allen sozialen Nebenleistungen zu umgehen. 702 Das BAG hat eine derartige Vertragskonstruktion inklusive der Eigenkündigungen der Arbeitnehmer bzw. der von ihnen unterzeichneten Aufhebungsverträge für unwirksam erklärt, da eine Umgehung des § 613a BGB vorläge. BAG, Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198, 199.
703 Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages im zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang ist als unzulässige Umgehung des Kündigungsverbotes wegen Betriebsüberganges (§ 613a BGB) unwirksam. BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, BB 2008, 1175, 1178.
704 Differenzierter hatte das BAG in der sog. Dörries-Scharmann-Entscheidung geurteilt. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 135/97, NZA 1999, 422 ff.
705 In diesem Fall hatte die insolvente Schuldnerin in Absprache mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter den Mitarbeitern einen dreiseitigen Vertrag angeboten, nach dessen Inhalt die Arbeitnehmer aus der Schuldnerin ausscheiden sollten und von einer Transfergesellschaft befristet übernommen werden sollten. Ein Teil der Belegschaft sollte später ein Angebot von einer Auffanggesellschaft erhalten. Welche Arbeitnehmer konkret ein derartiges Angebot erhalten sollten, war den Betroffenen nicht mitgeteilt worden. Damit sollte die drohende Entlassung aller Beschäftigten verhindert werden. In dem Vertrag wurden die Arbeitnehmer ausführlich über die Sach- und Rechtslage aufgeklärt. 706 Der Unterschied zum Lemgoer Modell bestand darin, dass der dreiseitige Vertrag auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem insolventen Unternehmen gerichtet war und nicht von Anfang an auf die Wiedereinstellung bei der Auffanggesellschaft. Die Auffanggesellschaft hatte nicht zugesagt, alle Beschäftigten einzustellen. Die ehemaligen Arbeitnehmer hatten lediglich die mehr oder weniger begründete Erwartung, in ein neues Arbeitsverhältnis mit der Auffanggesellschaft zu treten. Damit kam der Vertragsschluss einem Risikogeschäft gleich. Die Arbeitnehmer hatten bereits am Tag der Unterzeichnung des dreiseitigen Vertrages nahezu alles verloren. Der dreiseitige Vertrag eröffnete den Arbeitnehmern neben der sozialrechtlichen Positionsverbesserung die Chance, bei der Auffanggesellschaft einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Infolge dessen diente der dreiseitige Vertrag nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses, denn die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses durch die Auffanggesellschaft war jedenfalls für den einzelnen Arbeitnehmer nicht abzusehen. 707 Die Dörries-Scharmann-Entscheidung wurde vom BAG mehrfach – entgegen vorinstanzlicher Entscheidungen z. B. des LAG Bremen – bestätigt.
172
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148 ff.; BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866 ff.
Danach ist ein Aufhebungsvertrag wegen gesetzwidriger Umgehung des 708 § 613a BGB nur unwirksam, wenn zugleich ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber vereinbart oder verbindlich in Aussicht gestellt wird, bzw. durch den Aufhebungsvertrag die Übernahme in eine Transfergesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt wird, die Sozialauswahl zu umgehen. Zwischenzeitlich hat das BAG u. a. das Kriterium, ob ein neues Arbeitsver- 709 hältnis „verbindlich in Aussicht gestellt“ wird, in zwei Entscheidungen sehr großzügig ausgelegt und damit die Durchführung des „Dörries-ScharmannModells“ für die Praxis weitestgehend ausgeschlossen. BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 ff., BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 ff.
Wie das BAG in seinem „Lotterie-Urteil“,
710
BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 ff.,
festgestellt hat, ist die Vertragsaussicht dann „verbindlich“, wenn der Arbeitnehmer ein vorformuliertes Vertragsangebot unterzeichnet und ein Losentscheid für die Auswahl des Arbeitnehmers gelten soll. Im entschiedenen Fall bestand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Übernahme vom Erwerber (352 zu 452). Das BAG hielt das Vertragsangebot für „verbindlich“, weil der Erwerber sich bereits an den Losentscheid gebunden hatte und nur noch die Bedingung „Losglück“ eintreten musste. Weiterhin hat das BAG in dieser Entscheidung festgestellt, dass eine Übernahme in eine Transfergesellschaft nur zum Schein erfolge, wenn das Transfer-Arbeitsverhältnis nur 24 Stunden andauere und der Arbeitnehmer dort niemals arbeite. Der Aufhebungsvertrag ist in dieser Konstellationen wegen Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB nichtig und das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen auf den Erwerber übergegangen. In einem weiteren Urteil
711
BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 ff.
stellte das BAG sodann klar, dass ein Aufhebungsvertrag wegen gesetzwidriger Umgehung des § 613a BGB auch dann nichtig sei, wenn dem Arbeitnehmer ein neues Arbeitsverhältnis zwar nicht verbindlich in Aussicht gestellt werde, jedoch nach den Umständen klar sei, dass er vom Betriebserwerber eingestellt werde. Der Arbeitnehmer hatte neben dem dreiseitigen Vertrag mit der Schuldnerin und der Transfergesellschaft im entschiedenen Fall vier von einem Erwerber vorformulierte Arbeitsverträge unterzeichnet. Die vier Arbeitsverträge unterschieden sich nur in der Dauer der Arbeitsverhältnisse („unbefristet“ oder 12-, 20-, 32-monatige Befristung). Der Erwerber hatte sich zuvor tarifvertraglich verpflichtet, die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer (1.292 von knapp 1.800) zu übernehmen. In diesem Sachverhalt sei 173
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
nach Ansicht des BAG für den Arbeitnehmer den Umständen nach klar, dass er vom Betriebserwerber – befristet oder unbefristet – eingestellt werde. Nach Ansicht des BAG entspreche die Entscheidung des Erwerbers über die Dauer eines in Aussicht gestellten Arbeitsverhältnisses dem „Losglück“ aus seinem „Lotterie-Urteil“. 712 Diese Fälle zeigen, dass es bei der Umsetzung des „Dörries-ScharmannModells“ eines genauen Timings und einer genauen Umsetzung der Vorgaben der BAG-Rechtsprechung bedarf, soll die Gestaltung wirksam sein. 713 In den typischen Praxisfällen wird dies jedoch häufig nicht möglich sein. Insbesondere hat das BAG durch seine weitgehende Auslegung des Kriteriums, ob ein neues Arbeitsverhältnis „verbindlich in Aussicht gestellt“ wird sowie seine Feststellung, dass eine Übernahme in eine Transfergesellschaft nur zum Schein erfolgt, wenn das Transfer-Arbeitsverhältnis nur 24 Stunden andauert und der Arbeitnehmer dort niemals arbeitet, für eine erhebliche Rechtsunsicherheit gesorgt. 714 Eine rechtssichere krisennahe Beratung sollte daher berücksichtigen, dass ein Erwerber Vertragsangebote von den Arbeitnehmern zeitlich nicht vor deren Wechsel in die Transfergesellschaft unterschreiben lässt. Auch die Kommunikation hinsichtlich der Übernahme einer festen (überwiegenden) Anzahl von Arbeitnehmern sollte vermieden werden. Zudem sollten die Arbeitnehmer für eine gewisse Dauer – von mindestens mehreren Wochen bzw. einem Monat – in der Transfergesellschaft verbleiben und dort auch „arbeiten“, d.°h., Angebote, insbesondere zur Qualifizierung und Fortbildung wahrnehmen. Vorsorglich sollte die Personalauswahl außerdem erst nach dem Wechsel der Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft erfolgen und ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme wahren. Fuhlrott, NZA 2012, 549, 551 ff. Röger-Meyer, Insolvenzarbeitsrecht, S. 468 f.
715 Alle oder auch nur einzelne der vorgenannten Kriterien für eine rechtssichere Umsetzung des „Dörries-Scharmann-Modells“ zu erfüllen, dürfte in den praxisrelevanten Konstellationen selten möglich sein. Das „Dörries-ScharmannModell“ dürfte für die krisennahe Beratung damit keine größere Rolle (mehr) spielen, solange sich die Rechtsprechung des BAG in dieser Hinsicht nicht noch einmal ändert. 716 Sind die Voraussetzungen der Rechtsprechung jedoch erfüllt, können die Arbeitsvertragsparteien ihr Rechtsverhältnis im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang durch einen Aufhebungsvertrag auflösen. 717 Für den Insolvenzverwalter stellt sich im Übrigen nach Einführung des § 613a Abs. 5 BGB, der umfangreiche Mitteilungs-/Unterrichtungsverpflichtungen gegenüber der Belegschaft den Betriebsübergang regelt, die Frage, ob eine Neubewertung der durch die vorgenannten Entscheidungen geschaffenen Rechtslage erfolgen muss.
174
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Die vorgenannten Entscheidungen zeigen bereits, dass es bei Restrukturie- 718 rungen in der Krise/Insolvenz auf die richtige Kommunikation mit den Arbeitnehmern vor Unterzeichnung eines dreiseitigen Vertrages ankommt. Selbstverständlich müssen Auskünfte, die gegenüber den Arbeitnehmern erteilt werden, richtig und vollständig sein. Der Insolvenzverwalter muss den Arbeitnehmern Klarheit über den Risikocharakter des dreiseitigen Vertrages verschaffen und nachvollziehbare Angaben über den Zweck des Modells – Entlastung der Insolvenzmasse und Chance zur Rettung eines Teils der Arbeitsplätze – machen. Insbesondere darf weder der Erwerber noch der Insolvenzverwalter einzelnen Arbeitnehmern ein neues Arbeitsverhältnis zusagen bzw. verbindlich in Aussicht stellen. In diesem Fall liegt kein Risikogeschäft mehr vor und die Aufhebungsverträge sind wegen einer Umgehung des § 613a BGB nichtig. Da ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB durch das „Dörries-Scharmann- 719 Modell“ verhindert werden soll, stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen (dennoch) eine Unterrichtungspflicht gemäß oder analog § 613a Abs. 5 BGB besteht. Da beim „Dörries-Scharmann-Modell“ im Augenblick des Betriebsübergangs keine Arbeitsverhältnisse mehr bestehen, können den Insolvenzverwalter wohl keine Aufklärungspflichten mehr treffen. Diese Frage ist allerdings bis heute in dieser Form nicht von den Arbeitsgerichten entschieden worden, sodass das Risiko besteht, dass z. B. über den Grundsatz von Treu und Glauben eine Aufklärungsverpflichtung des Insolvenzverwalters konstruiert werden könnte. Im Übrigen besteht bei fehlender oder unzutreffender Unterrichtung die Gefahr der erfolgreichen Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Aus diesem Grunde sollte die Aufklärung der Arbeitnehmer detailliert erfolgen und sie sollten darüber informiert werden, dass der Verkauf an die Auffanggesellschaft als Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB zu werten sei, dessen Rechtsfolgen für den Erwerbsinteressenten aber ein „Deal Breaker“ seien und sie aus diesem Grunde durch das beschriebene „Dörries-ScharmannModell“ verhindert werden sollen. Zugleich kann der Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung vorsorglich einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang unterzeichnen. In diesem Zusammenhang sei jedoch darauf hingewiesen, dass das BAG in 720 seinem Urteil vom 24.5.2005, BAG, Urt. v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1303,
entschieden hat, dass die Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, die der Verkäufer nach einem Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang erklärt. Allerdings kann die Verletzung der Unterrichtungspflicht generell zu Schadensersatzansprüchen führen, sofern dem Arbeitnehmer der Nachweis der Kausalität zwischen mangelhafter Unterrichtung und eingetretenem Schaden gelingt.
175
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1022/06, NZA 2008, 1297, 1298; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406, 1411.
721 Die Risiken des „Dörries-Scharmann-Modells“ liegen auf der Hand. Hingegen bietet das TG-Modell weiterhin Vorteile für das insolvente Unternehmen bzw. den Insolvenzverwalter, den Erwerber und die Arbeitnehmer, welche nachfolgend noch einmal zusammengefasst sind: x
Die Zwischenschaltung der TG erlaubt einen zügigen und rechtssicheren Personalabbau.
x
Die Verkürzung von Kündigungsfristen schont die Insolvenzmasse (Faustformel: ein Bruttogehalt, zwei Monate TG).
x
Der Betriebsübernehmer kann über ein Erwerberkonzept seine „Wunschmannschaft“ im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zusammenstellen.
x
Ausschaltung der mit betriebsbedingten Kündigungen verbundenen rechtlichen Risiken.
x
Für den Arbeitnehmer: Neubegründung eines befristen Arbeitsverhältnisses zur TG und dadurch Aufschub der Erwerbslosigkeit und ggf. Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs (Überschreiten von Altersgrenzen, Vorbeschäftigungszeiten).
x
Für den Arbeitnehmer: Chance auf neuen Arbeitsplatz nach Qualifizierung/Fortbildung.
c) § 613a BGB in masselosen Insolvenzen 722 Nachteil des „Dörries-Scharmann-Modells“ sind die damit verbundenen Kosten, die in masselosen bzw. massearmen Insolvenzen nicht darstellbar sind. 723 Da auch größere Unternehmenseinheiten als masseloses Insolvenzverfahren enden können, das Insolvenzantragsverfahren jedoch mit einer Betriebsfortführung verbunden ist und durchaus aussichtsreiche Chancen für eine übertragende Sanierung unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen, wurde von der Praxis ein Modell in Anlehnung an das „DörriesScharmann-Modell“ für masselose Insolvenzverfahren entwickelt, das vor den neueren Entscheidungen des BAG erstmalig gerichtlich überprüft wurde. ArbG Lübeck, Urt. v. 12.10.2010 – 6 Ca 1791/10, ZIP 2010, 2316 f.
724 Aufgrund der neueren Entscheidungen des BAG gelten insoweit die zuvor dargestellten Risiken zum „Dörries-Scharmann-Modell“ auch für diese Gestaltung, die sich aus diesem Grund in der krisennahen Beratung nicht flächendeckend durchsetzen konnte. Bei dieser Gestaltung wird in Anlehnung an die Dörries-Scharmann-Entscheidung ein einvernehmlicher Aufhebungsvertrag zwischen der Schuldnerin mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters und sämtlichen Arbeitnehmern geschlossen, wobei die Arbeitnehmer ebenfalls zuvor darüber informiert werden, dass ein Betriebsübergang 176
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
vorliegen wird, es aber erklärter Wille des Betriebsübernehmers ist, von seinem Angebot zurückzutreten, wenn die Gefahr besteht, dass er mehr Arbeitnehmer wegen § 613a BGB übernehmen muss, als er bereit ist, zu „übernehmen“. Aus diesem Grunde müssen sämtliche Arbeitsverhältnisse vor dem Betriebsübergang beendet sein. Zugleich wird den Arbeitnehmern mitgeteilt, dass sich der Erwerber gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichten wird, einer bestimmten – nicht personalisierten – Anzahl von Arbeitnehmern ein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu unterbreiten. Es muss sich bei dieser Konstellation um ein erkennbares Risikogeschäft für die Arbeitnehmer handeln, die zwischen der Betriebsstilllegung und dem damit endgültigen Verlust ihres Arbeitsplatzes und der Chance auf Neueinstellung bei dem Erwerber wählen. Soweit Entgeltreduzierungen oder eine Reduzierung der Urlaubstage geplant 725 sind, sollten diese mit pauschalen Prozentsätzen den Arbeitnehmern mitgeteilt werden. Der Aufhebungsvertrag enthält im Gegenzug die ggf. als Masseverbindlich- 726 keit zu bestätigende Regelung, dass die Arbeitnehmer, die kein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages vom Erwerber erhalten, eine pauschalierte Abfindung erhalten, die sich die Masse leisten kann. Im Übrigen müssen bzw. können sich diese Arbeitnehmer arbeitslos melden, soweit sie keine Neuanstellung in einem anderen Betrieb finden. Damit auch bei diesem Modell die Arbeitnehmer ein Risikogeschäft i. S. d. Ausführungen des BAG in der Dörries-Scharmann-Entscheidung eingehen, dürfen die Arbeitnehmer bei Unterzeichnung des Aufhebungs- und Abfindungsvertrages nicht wissen, ob sie abgefunden werden oder ein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages erhalten. Auch bei dieser Variante erklärt jeder Arbeitnehmer vorsorglich zusätzlich den Widerspruch gegen einen etwaigen Betriebsübergang. Dies dient der zusätzlichen Absicherung des Erwerbers, da der Widerspruch keines sachlichen Grundes bedarf und grundsätzlich der alleinigen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers unterliegt. Der Widerspruch darf allerdings nicht institutionell missbraucht werden. BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NJW 2005, 775, 778.
727
Das ArbG Lübeck, ArbG Lübeck, Urt. v. 12.10.2010 – 6 Ca 1791/10, ZIP 2010, 2316 f.,
führt aus, dass § 613a BGB keine Einschränkung der Möglichkeit des Arbeitnehmers beinhalte, eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ggf. auch gegen eine Gegenleistung, etwa eine in einem Sozialplan vereinbarte Abfindung, herbeizuführen. Besteht nur eine Chance auf eine Neuanstellung bei dem Betriebsübernehmer und ist der Arbeitnehmer nicht gezwungen, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen, schadet die Abweichung, dass keine Transfergesellschaft zwischen insolventem Unternehmen und Unternehmenserwerber zwischengeschaltet ist, nicht. 177
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
728 Erfahrungsgemäß befürchten die Arbeitnehmer, dass ihnen gegenüber im Falle der Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages von der zuständigen Agentur für Arbeit eine Sperrzeit verhängt wird. Die bis dahin vorherrschende Praxis der Agentur für Arbeit einschränkend BSG, Urt. v. 12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, AuA 2007, 311 ff.
729 Um den Arbeitnehmern diese Sorge zu nehmen, empfiehlt es sich, die lokal zuständige Agentur für Arbeit einzubinden und einzuladen, an den entscheidenden Betriebsversammlungen teilzunehmen. Nicht verhindert werden kann im Übrigen, dass die Abfindungszahlungen ggf. auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden. 730 Das Modell funktioniert regelmäßig nur vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, denn nur dann sind die Arbeitnehmer dazu berechtigt, wegen der bestehenden Entgeltrückstände zu kündigen bzw. Aufhebungsverträge zu schließen, ohne dass eine Sperrfrist droht. 731 Soweit der Erwerbsinteressent sein Angebot zum Ende des Insolvenzgeldzeitraumes noch nicht abgegeben hat und eine revolvierende Insolvenzgeldvorfinanzierung nicht in Betracht kommt, ist die lokal zuständige Agentur für Arbeit aber möglicherweise bereit, von einer Sperrfrist abzusehen, auch wenn erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufhebungsverträge geschlossen werden, ohne dass nun förmlich Lohnrückstände bestehen. Dieses kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter die Agentur für Arbeit davon überzeugen kann, dass die Masseunzulänglichkeit und damit auch die kurzfristige Arbeitslosigkeit der Belegschaft ohne Lohnfortzahlung drohen. Die lokalen Agenturen für Arbeit sind meistens in entsprechenden Situationen flexibel und entgegenkommend, wenn die Mitarbeiter der Agentur für Arbeit in den Prozess rechtzeitig eingebunden werden. 732 Unterstützend können hier Gewerkschaftssekretäre und Betriebsräte auf die Belegschaft Einfluss nehmen, soweit ihnen dieses komplexe Modell vermittelt werden kann. 733 Zur besseren Verständlichkeit enthält dieses Skript nachfolgend ein Musteranschreiben an die Belegschaft mit einer Erklärung des Procedere wie auch ein Muster der Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarung: 734 Exemplarisches Musteranschreiben An die Arbeitnehmer der … Sehr geehrte Damen und Herren, Ihnen ist aus den vorangegangenen Betriebsversammlungen bekannt, dass die Geschäftsführung des Unternehmens einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. Das Insolvenzgericht wird voraussichtlich zeitnah das Insolvenzverfahren eröffnen und mich zum Insolvenzverwalter bestellen. 178
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
Parallel zur Eröffnung wird vom Insolvenzgericht ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden (§ 67 InsO). Dem Gläubigerausschuss soll auch ein Interessenvertreter der Arbeitnehmer angehören. Der Geschäftsbetrieb des Unternehmens ist bis dato im Wesentlichen aufrechterhalten worden. Die betriebswirtschaftliche Prüfung hat jedoch ergeben, dass das Unternehmen in seiner gegenwärtigen Form am Markt keine Chance hat. Das Unternehmen ist wegen hoher Überschuldung von innen heraus nicht sanierungsfähig. Die Gesellschafter können keine Sanierung leisten; auch eine Entschuldungshilfe durch die Gläubiger ist nicht zu erwarten. Es bestehen jedoch gute Aussichten, Teile des Geschäftsbetriebs in eingeschränktem Umfang zu erhalten, und zwar durch einen Verkauf an einen Dritten im Rahmen einer teilweisen sog. übertragenden Sanierung. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, führe ich seit geraumer Zeit Verhandlungen mit mehreren Interessenten, die das bewegliche Anlagevermögen erwerben möchten. Ein bindendes Kaufvertragsangebot eines Interessenten liegt mir vor. Das Angebot sieht vor, dass der Interessent mit einem nicht wesentlichen Teil der Belegschaft in den Geschäftsfeldern der Schuldnerin tätig sein wird. Die Übergabe ist per […] geplant. Die Wirksamkeit des Kaufvertrages hängt jedoch von mehreren Voraussetzungen ab: x
Das Insolvenzgericht hat das Insolvenzverfahren zu eröffnen und einen Gläubigerausschuss gemäß § 67 Abs. 1 InsO einzusetzen.
x
Der bestellte Gläubigerausschuss hat dem Kaufvertrag vorbehaltlos zuzustimmen.
x
Die Käuferin verpflichtet sich, dafür Sorge zu tragen, dass namentlich noch nicht benannten mindestens [Anzahl] Arbeitnehmern Angebote zum Abschluss neuer Arbeitsverträge unterbreitet werden. Das Arbeitsentgelt wird bei den gewerblichen Arbeitnehmern mindestens […] v. H. des derzeit gezahlten Arbeitsentgeltes betragen. Der Jahresurlaub wird mindestens […] Arbeitstage betragen. Der Übergang weiterer Arbeitsverhältnisse, gleich aus welchem Rechtsgrund, ist ausgeschlossen.
Ich halte es für möglich, die vorgenannten Voraussetzungen zu erfüllen. Der Ausschluss des Übergangs weiterer Arbeitsverhältnisse als der der Käuferin verbindlich Zugesagten bedarf jedoch Ihrer Mitwirkung: 1. Information über den möglichen bevorstehenden Betriebsübergang Derzeit ist beabsichtigt, dass der Geschäftsbetrieb durch die Übertragung des beweglichen Anlagevermögens und die Vermietung der Betriebsimmobilien in […] und […] am […] auf die Käuferin übergeht. Von diesem Zeitpunkt an wird die Käuferin von der Schuldnerin die Organisations- und Leitungsmacht übernehmen. Damit würde zu diesem Zeitpunkt ein Fall eines sog. Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB vorliegen. Mit dem Betriebsübergang würden die zu diesem
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Zeitpunkt im Betrieb der Schuldnerin in […] und in […] bestehenden Arbeitsverhältnisse automatisch auf die Käuferin übergehen. Sämtliche vertraglichen Rechte und Pflichten, die im Verhältnis des einzelnen Mitarbeiters zur Schuldnerin bestanden, bestünden unverändert im Arbeitsverhältnis zur Käuferin fort. Bei der Käuferin sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, sodass – abhängig von der Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen – bei der Käuferin Kündigungsschutz für übergegangene Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz bestünde. Ein Betriebsrat besteht bei der Käuferin nicht, auch findet im Betrieb der Käuferin kein Tarifvertrag Anwendung. Aus diesem Grund würden bei einem Betriebsübergang die bei der Schuldnerin bestehenden Betriebsvereinbarungen […] und Regelungen des […]-Tarifvertrages vom […] nicht in ihrer bisherigen, kollektiv-rechtlichen Form, sondern als Bestandteil des einzelnen Arbeitsvertrages weiter gelten. Die Käuferin könnte diese Regelungen für die Frist von einem Jahr nicht zum Nachteil des Mitarbeiters ändern, es sei denn, Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gelten nicht mehr oder die Käuferin vereinbart mit dem Mitarbeiter die Geltung eines anderen Tarifvertrages. Des Weiteren könnte die Käuferin einem Mitarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund des Betriebsüberganges mit der Käuferin besteht, nicht wegen des Betriebsüberganges kündigen. Kündigungen aus anderen Gründen wären jedoch ohne weitere Einschränkungen möglich. Möchte der Arbeitnehmer nicht, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber besteht, hat er das Recht, innerhalb eines Monats nachdem er von dem Betriebsübergang und seinen Folgen unterrichtet wurde, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Mit Ausübung des Widerspruchsrechtes wird das Arbeitsverhältnis bei dem Betriebserwerber beendet und das ursprüngliche Arbeitsverhältnis zum ehemaligen Betriebsinhaber lebt wieder auf. Für den Fall, dass Arbeitsverhältnisse im Rahmen des Betriebsübergangs von der Schuldnerin auf die Käuferin übergehen und ein Arbeitnehmer diesem Übergang widersprechen sollte, könnte die Schuldnerin jedoch betriebsbedingt kündigen, da eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei ihr ausscheidet. Die Käuferin ist seit […] Jahren auf dem Gebiet […] tätig und beschäftigt […] Mitarbeiter an […] Standorten. Wie oben erläutert, würde sich der Betriebsübergang auf die Käuferin als Folge der übertragenden Sanierung von Teilen des Geschäftsbetriebes der Schuldnerin ergeben, deren Grundlage ein (noch abzuschließender) Kaufvertrag zwischen der Schuldnerin und der Käuferin ist. Beabsichtigt ist, das gesamte bewegliche Anlagevermögen auf die Käuferin zu übertragen und die Betriebsimmobilien in […] und […] an die Käuferin zu vermieten. Wie eingangs geschildert, bestehen zu dem vorgestellten Modell der teilweisen übertragenden Sanierung keine Fortführungsalternativen. Eingehende
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
betriebswirtschaftliche Prüfungen ergeben die Unmöglichkeit einer Fortführung des Unternehmens ohne die Veräußerung an die Käuferin. 2. Voraussetzungen der Sanierung und Folgen für den einzelnen Mitarbeiter: Der Kaufvertrag mit der Käuferin kann nur dann zustande kommen, wenn die Kostenrisiken der Käuferin möglichst minimiert werden. Das Übernehmerkonzept setzt voraus, dass die Käuferin nicht mit den aus dem oben dargestellten Betriebsübergang resultierenden Personalkosten belastet wird und eine Reduzierung des Mitarbeiterstammes erfolgt. Damit hängt die teilweise übertragende Sanierung auf die Käuferin davon ab, dass die oben dargelegten Rechtsfolgen eines Betriebsüberganges von der Schuldnerin auf die Käuferin gerade nicht eintreten. Hierfür ist Ihre Mitwirkung unerlässlich: Durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der Schuldnerin kann jeder einzelne Mitarbeiter sein Arbeitsverhältnis mit der Schuldnerin beenden. Es besteht dann kein Arbeitsverhältnis mehr, das bei Verkauf an die Käuferin auf diese übergehen könnte. Gleichzeitig erklärt der einzelne Mitarbeiter rein vorsorglich, dass er dem möglichen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Käuferin widerspricht. Diese Erklärung erfolgt rein vorsorglich und soll sicherstellen, dass die Käuferin in keinem Fall einem Kostenrisiko durch den Übergang von Arbeitsverhältnissen ausgesetzt ist. Im Gegenzug verpflichtet sich die Käuferin, gegenüber […] bisherigen Mitarbeitern der Schuldnerin ein verbindliches Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu geänderten Konditionen zu unterbreiten, wobei die hiervon betroffenen Mitarbeiter noch nicht feststehen. Die folgenden Erläuterungen sollen aufzeigen, aus welchem Grund ein derartiger Aufhebungsvertrag und die Ausübung des Widerspruchsrechts sinnvoll sind: Zum einen sichert sich jeder Arbeitnehmer die Chance, zu einem späteren Zeitpunkt bei der Käuferin beschäftigt zu werden. Die Käuferin hat sich im Rahmen des Kaufvertrages zu verpflichten, […] bisherige Mitarbeiter der Schuldnerin in dem übernommenen Betriebsteil zu beschäftigen. Zwar ist die Käuferin nur zur Zahlung von […] % des bei der Schuldnerin gezahlten Entgeltes verpflichtet und eine Anrechnung der Betriebszugehörigkeitszeit bei der Schuldnerin findet im dann neuen Arbeitsverhältnis mit der Käuferin nicht statt. Auch ist die Käuferin nicht verpflichtet, mehr als […] Arbeitstage als Jahresurlaub zu gewähren. Jedoch besteht für den einzelnen Mitarbeiter die Möglichkeit, zeitnah eine ihm und seinen beruflichen Qualifikationen entsprechende Beschäftigung zu finden. Die Namen der bei der Käuferin in Zukunft beschäftigten Mitarbeiter stehen noch nicht fest. Mit Abschluss des Aufhebungsvertrages verschafft sich damit jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, einer dieser Mitarbeiter zu sein. Für den Fall der Nicht-Unterzeichnung des
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Aufhebungsvertrages besteht diese Möglichkeit nicht, da der Kaufvertrag mit der Käuferin dann nicht zustande kommt. Es liegt aber auch im Interesse der kein Vertragsangebot erhaltenen Mitarbeiter, das Zustandekommen des Kaufvertrages mit der Käuferin zu fördern. Scheitern die Kaufvertragsverhandlungen, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, die Liquidation des Unternehmens zu betreiben, sämtlichen Arbeitnehmern zu kündigen, erhebliche Teile der Belegschaft kurzfristig freizustellen und den Geschäftsbetrieb zeitnah einzustellen. Im Übrigen werde ich nach dem Stand der Dinge nicht umhinkommen, die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO beim Insolvenzgericht anzuzeigen. Rechtsfolge dieser Anzeige ist, dass die sämtlichst gekündigten und freigestellten Mitarbeiter nicht mit Lohn- und Gehaltszahlungen rechnen können. Zahlungen an die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch nicht freigestellten Mitarbeiter kann ich nur im Rahmen des § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO leisten. Sollten hingegen der vorerwähnte Kaufvertrag mit der Käuferin wirksam werden, sehe ich mich im Stande, den Mitarbeitern, die kein Arbeitsvertragsangebot der Käuferin erhalten, eine Abfindung in Höhe von […] Bruttomonatsgehältern pro Person zu versprechen. Ich weise darauf hin, dass die Abfindung allerdings von der Agentur für Arbeit bei der Zahlung von Arbeitslosengeld teilweise angerechnet werden wird. Im Übrigen werde ich sämtlichen Mitarbeitern im Rahmen der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse den noch nicht genommenen Urlaub auszahlen können. Im Ergebnis hat das vorstehend geschilderte Modell zum Erhalt eines Teils der Arbeitsplätze durch eine übertragende Sanierung nur dann eine Chance, wenn sich sämtliche Mitarbeiter dazu bereit erklären, spätestens am […], bis […] Uhr Aufhebungsvereinbarungen hinsichtlich ihrer alten Arbeitsverhältnisse abzuschließen. Die Aufhebungsverträge sind so ausgestaltet, dass x
Mitarbeitern, die von der Käuferin kein Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags erhalten, eine Abfindungszahlung in Höhe von […] Bruttomonatsgehältern zusteht,
x
sämtliche Mitarbeiter ihren noch nicht genommenen Urlaub abgegolten bekommen,
x
ich vom Vertrag zurücktreten kann, wenn nicht sämtliche Mitarbeiter ihre Aufhebungsvereinbarungen abschließen.
Wenn nicht sämtliche Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen, ist der Zweck der Aufhebungsvereinbarung und des Abfindungsversprechens, nämlich das Zustandekommen des Kaufvertrages mit der Käuferin, verfehlt. Mein Entwurf des Aufhebungs- und Abfindungsvertrags ist diesem Rundschreiben beigefügt. Für jeden Mitarbeiter wird ein von mir und dem Ge-
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
schäftsführer bereits gegengezeichneter Vertrag im Original am […], […] Uhr, bei der Betriebsleitung bereitliegen. Ich bitte Sie, sich dort einzufinden und entweder unverzüglich den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen oder aber zu erklären, dass keine Bereitschaft dazu besteht. Ich bitte darum, die kurze Entscheidungsfrist zu entschuldigen. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der Sache. Ob der vorerwähnte Kaufvertrag wirksam wird, bedarf einer schnellen Entscheidung. Ich muss als Insolvenzverwalter kurzfristig Klarheit darüber haben, ob ich das Unternehmen liquidieren muss. Lieferanten und Kunden des Unternehmens müssen eine verlässliche Auskunft darüber erhalten, inwieweit durch das Unternehmen Neuaufträge abgewickelt werden können. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwalt als vorläufiger Insolvenzverwalter Anlage: Vertragsentwurf
Muster Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarung:
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Zwischen der […], vertreten durch den Geschäftsführer bei gleichzeitiger Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters der – nachfolgend Arbeitgeber/Schuldnerin bzw. Insolvenzverwalter genannt – und Herrn/Frau – nachfolgend Mitarbeiter genannt – Vorbemerkung Dem Mitarbeiter liegt das Rundschreiben des […] in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter des Arbeitgebers vom […] vor. Der Mitarbeiter erklärt, darüber unterrichtet worden zu sein, dass der Verkauf des beweglichen Anlagevermögens der Schuldnerin an einen Erwerbsinteressenten beabsichtigt ist. Der Erwerbsinteressent hat hierzu ein verbindliches Angebot abgegeben, das lediglich der Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses sowie der Annahme durch den Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedarf. Der Interessent hat sich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass mindestens […] Arbeitnehmern Angebote zum Abschluss neuer Arbeitsverträge unterbreitet werden. Um welche Mitarbeiter es sich handelt, ist dem unterzeichnenden Mitarbeiter bei Unterschrift dieser Vereinbarung nicht bekannt. Die Parteien gehen davon aus, dass aufgrund des Kaufvertrages 183
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
mit der Erwerbsinteressentin ein Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB vorliegen wird. Der Mitarbeiter ist mit dem Rundschreiben vom […] umfassend über die Voraussetzungen für den Abschluss des Kaufvertrages, die Konsequenzen eines Betriebsübergangs sowie die rechtlichen und tatsächlichen Folgen des Abschlusses einer Aufhebungsvereinbarung in der vorliegenden Form informiert worden. Insbesondere ist sich der Mitarbeiter bewusst, dass die Aufhebung sämtlicher Arbeitsverhältnisse Bedingung für den Abschluss des Kaufvertrages ist. Er wurde darüber informiert, dass der Abschluss dieses Aufhebungsvertrages die Möglichkeit eröffnet, bei der Erwerbsinteressentin zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigt zu werden, ohne dass die Erwerbsinteressentin ihm oder einem anderen Mitarbeiter gegenüber hierzu verbindliche Angebote abgegeben oder bereits Arbeitsverträge abgeschlossen hätte. Grundlage der Entscheidung zum Abschluss dieser Aufhebungsvereinbarung ist damit zum einen die Hoffnung auf eine spätere Beschäftigung bei der Erwerbsinteressentin und zum anderen die Zusicherung einer Abfindung bei nicht erfolgender Einstellung durch die Erwerbsinteressentin. Diese Möglichkeiten stellen zur Überzeugung der Parteien einen deutlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteil verglichen mit der Schließung des Betriebes und den damit verbundenen finanziellen Einbußen bei Nicht-Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages und hierdurch bedingtem Scheitern des Kaufvertrages dar. Das Rundschreiben vom […] wird ausdrücklich Bestandteil dieses Vertrages. Dies vorausgeschickt, vereinbaren die Parteien was folgt: 1. Beendigung des Arbeitsvertrages Das zwischen dem Arbeitgeber und dem Mitarbeiter bestehende Arbeitsverhältnis wird hierdurch einvernehmlich mit Ablauf des […] beendet. Anlass für die Aufhebung ist zum einen der Umstand, dass der Mitarbeiter zumindest seit zwei Monaten keine Lohn- und Gehaltszahlungen mehr erhalten hat und der Insolvenzverwalter im Fall der Nichtunterzeichnung entsprechender Vereinbarungen durch sämtliche Arbeitnehmer gezwungen ist, die Liquidation des Unternehmens zu betreiben, sämtlichen Arbeitnehmern zu kündigen, erhebliche Teile der Belegschaft kurzfristig freizustellen und den Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers zeitnah einzustellen. Zum anderen bedarf es der Aufhebung sämtlicher Arbeitsverhältnisse der Schuldnerin, um eine teilweise sog. übertragende Sanierung bei gleichzeitiger Rettung eines Teils der Arbeitsplätze zu ermöglichen. 2. Widerspruch gemäß § 613a BGB Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass sein Arbeitsverhältnis bei Zustandekommen des Kaufvertrages aufgrund eines Betriebsüberganges auf die Erwerbsinteressentin übergehen würde. Der Mitarbeiter wurde durch Rundschreiben vom […], das er am […] erhalten hat, umfassend über den geplanten Zeitpunkt des Betriebsüberganges, seinen Grund, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Mitarbeiter sowie über die hinsichtlich der Ar184
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
beitnehmer in Aussicht gestellten Maßnahmen informiert. In Kenntnis dieser Tatsachen und in der übereinstimmenden Überzeugung der Parteien von der Wirksamkeit dieser Aufhebungsvereinbarung widerspricht der Mitarbeiter rein vorsorglich diesem Betriebsübergang. 3. Pflichten des Unternehmenskäufers Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass der vorerwähnte Unternehmenskäufer/ Erwerbsinteressent sich gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet hat, dafür Sorge zu tragen, dass […] namentlich noch nicht benannten Arbeitnehmern Angebote zum Abschluss neuer Arbeitsverträge unterbreitet werden. Das Arbeitsentgelt wird bei den gewerblichen Arbeitnehmern mindestens 85 v. H. des derzeit gezahlten Arbeitsentgeltes betragen. Der Jahresurlaub wird mindestens 26 Arbeitstage betragen. Dem Mitarbeiter ist bewusst, dass bisherige Betriebszugehörigkeiten auf ein etwaiges neues Arbeitsverhältnis mit der Käuferin nicht angerechnet werden. 4. Abfindung/Urlaubsabgeltung Für den Fall, dass der Mitarbeiter kein Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages erhält, verpflichtet sich der Insolvenzverwalter, dem Mitarbeiter eine Abfindung in Höhe von € […] zu zahlen. In jedem Fall, und zwar unabhängig davon, ob der Mitarbeiter ein Angebot zum Abschluss eines neuen Vertrags erhält oder nicht, verpflichtet sich der Insolvenzverwalter, dem Mitarbeiter den noch nicht genommenen Urlaub von […] Tagen mit € […] brutto zu vergüten. 5. Frist zum Abschluss dieses Vertrages Dieser Vertrag kann von den Vertragsparteien nur bis zum Ablauf des […], […] Uhr geschlossen werden. Ein späterer Vertragsschluss ist ausgeschlossen. 6. Rücktrittsvorbehalte Der Insolvenzverwalter ist berechtigt von dieser Vereinbarung zurückzutreten, wenn nicht sämtliche Mitarbeiter der Schuldnerin, denen ein inhaltlich gleichlautender Aufhebungs- und Abfindungsvertrag vorliegt, diesen schließen. 7. Abwicklungsmodalitäten/Zeugniserteilung […] 8. Ausgleich aller Ansprüche Mit Abschluss und Erfüllung dieser Aufhebungsvereinbarung sind sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung abgegolten und erledigt. 9. Sonstiges Der Mitarbeiter erklärt, diese Vereinbarung sorgfältig gelesen zu haben und ohne zeitlichen Druck unterschrieben zu haben.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
d) Verbindliches Erwerberkonzept zur Restrukturierung 736 Eine alternative Gestaltungsmöglichkeit zu den bereits geschilderten Modellen ist die „Kündigung des Betriebsveräußerers aufgrund eines Erwerberkonzepts bei zum Zeitpunkt des Zugangs greifbarer Nähe der Sanierungsdurchführung“. Vgl. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.3.2013 – 5 Sa 556/12, BeckRS 2013, 69577.
737 Ein Personalabbau durch betriebsbedingte Kündigungen ist nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unzulässig, wenn die Kündigung wegen des Betriebsüberganges ausgesprochen wird. Dies ist dann der Fall, wenn der Betriebsübergang objektiv Anlass der Kündigung ist und subjektiv alleiniges Motiv. 738 Das Verbot der Kündigung wegen des Betriebsüberganges schließt aber eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen nicht aus, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB. Ist demnach für die Kündigung ein sachlicher Grund gegeben, der aus sich heraus die Kündigung rechtfertigt, sodass der Betriebsübergang nur der äußere Anlass, nicht aber der eigentliche Grund ist, ist das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nicht einschlägig. Prüfungsmaßstab für die Kündigung sind die allgemeinen Regelungen, wie das Kündigungsschutzgesetz. 739 Fraglich war, ob und unter welchen Voraussetzungen der Betriebsveräußerer/Insolvenzverwalter kündigen darf, weil der potenzielle Erwerber zugleich mit der Betriebsübernahme die Belegschaft aus dringenden betrieblichen Erfordernissen verringern will. Hierfür hat sich der Begriff „Veräußererkündigung nach Erwerberkonzept“ herausgebildet. 740 Bis zu seinem Urteil vom 20.3.2003 hat das BAG die Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzeptes für zulässig erachtet, BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, NJW 1984, 627, 628,
jedoch zwei wesentliche Einschränkungen vorgenommen: 741 Zum einen muss die zwischen Veräußerer und Erwerber abgesprochene Umstrukturierung schon bei Ausspruch der Kündigung greifbare Formen angenommen haben. Es muss insoweit überprüfbar sein, ob die Beschäftigungsmöglichkeit mit dem Betriebsübergang tatsächlich wegfällt. 742 Zum anderen stand nach dieser Entscheidung dem Veräußerer ein betriebsbedingter Kündigungsgrund nur dann zu, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit für bestimmte Arbeitnehmer aufgrund eines Erwerberkonzeptes wegfällt, das auch der bisherige Arbeitgeber bei eigener Fortführung des Betriebes ebenfalls hätte durchführen können. Diese Einschränkung führte dazu, dass eine Veräußererkündigung unzulässig war, wenn das Sanierungskonzept nur unter Berücksichtigung der Verhältnisse und Möglichkeiten des Erwer-
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
bers umsetzbar war. Da insbesondere Unternehmen in der Krise und in der Insolvenz aus sich heraus nicht sanierungsfähig sind oder ihnen die für die Sanierung notwendigen Mittel fehlen, war diese Hürde kaum zu nehmen. Der Achte Senat des BAG hat in der Entscheidung vom 20.3.2003 die zweite 743 Einschränkung jedenfalls für den Unternehmenserwerb in bzw. aus der Insolvenz aufgegeben und ist der Auffassung des Zweiten Senats explizit entgegengetreten. Das Wesen der Sanierungsfälle liegt häufig gerade darin, dass der Betrieb aus sich heraus nicht sanierungsfähig ist. Zur Stilllegung des Betriebs besteht oft nur die Alternative der Umstrukturierung durch die finanziellen und/oder organisatorischen Möglichkeiten des Erwerbers. In einer solchen Situation verstößt eine vollzogene Kündigung aufgrund des Sanierungskonzeptes des Erwerbers nicht gegen den Schutzgedanken des § 613a Abs. 4 BGB, der den Erwerber an einer bei der Betriebsübernahme freien Auslese der Belegschaft hindern will. Für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Veräußerers nach dem Erwerberkonzept kommt es – jedenfalls in der Insolvenz – nicht darauf an, ob das Konzept auch bei dem Veräußerer hätte durchgeführt werden können. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 ff.; bestätigend BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, 389.
Um eine Umgehung des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB bei vorzeitiger Veräußer- 744 erkündigung zu verhindern, muss die tatsächliche Verwirklichung des Erwerberkonzepts rechtlich abgesichert sein. Dies kann mittels eines rechtsverbindlichen Sanierungsplans oder des Abschlusses eines Vorvertrages erfolgen, in dem der Betriebsübergang selbst sowie die Anzahl der zu übernehmenden Arbeitnehmer festgehalten wird. Danko/Cramer, BB-Special 4/2004, 9, 14.
In dem vom BAG am 20.3.2003 entschiedenen Fall war das Sanierungskon- 745 zept Teil eines zwischen Insolvenzverwalter und dem bei der Schuldnerin bestehenden Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleiches. Es empfiehlt sich auch die Dokumentation der Rechtsverbindlichkeit des Er- 746 werberkonzeptes in dem zwischen Insolvenzverwalter und Erwerber geschlossenen Kaufvertrag, in dem zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass dem Insolvenzverwalter dieses Erwerberkonzept übergeben und detailliert vorgestellt wurde, der Insolvenzverwalter es alsdann zu seiner eigenen Unternehmerentscheidung gemacht und mit der Umsetzung begonnen hat. In Konsequenz dessen erklärt er die vorgesehenen Kündigungen. In Anbetracht des regelmäßig bestehenden Zeitdrucks kann es im Übrigen 747 angezeigt sein, dass der vorläufige Insolvenzverwalter parallel zur Interessentensuche bereits ein Sanierungskonzept erstellt bzw. erstellen lässt, das dem Erwerber als Grundlage für sein Konzept dienen kann.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
748 In seiner Entscheidung vom 28.10.2004 hat das BAG, BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285, 288,
deutlich gemacht, dass auch bei Betriebsteilübertragungen mit gleichzeitiger Betriebsteilschließung die Sozialauswahl nicht auf diejenigen Arbeitnehmer beschränkt werden kann, die im zu schließenden Betriebsteil beschäftigt sind. Auf die feste Zuordnung eines „umsetzbaren“ Arbeitnehmers zu einem Betriebsteil kommt es demnach nicht an. Die beiden Vorinstanzen hatten noch ausgeführt, dass der im übertragenen Betriebsteil tätige Mitarbeiter zwar den geringeren Schutz in der Sozialauswahl genieße, doch dem übertragenen Betriebsteil fest zugeordnet sei und deshalb durch § 613a BGB geschützt sei. Dieser Argumentation schloss sich das BAG nicht an. 749 Die Entscheidung schreckt potenzielle Erwerber möglicherweise ab, da ggf. nicht ein eingespieltes Team, sondern die „Restmenge“ einer Sozialauswahl verbleibt. Die grundsätzlich bestehende Alternative der Betriebsteilübertragung vor Zugang der Kündigungen bzgl. des Restbetriebes (um so die Sozialauswahl auf den Restbetrieb zu beschränken!) wird in zumeist zeitkritischen Insolvenzsituationen keine sinnvolle Lösungsmöglichkeit bieten oder sich aufgrund der zeitlichen Abläufe schnell dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt sehen. Möglicherweise hat das unter Rn. 689 dargestellte Erwerberkonzept+TG-Modell auch durch diese Entscheidung weiteren Auftrieb erfahren. 750 Schlussendlich bleibt abzuwarten, ob das BAG seine Rechtsprechung zur Kündigung auf Grundlage eines Erwerberkonzeptes auch auf (Sanierungs-)Fälle außerhalb der Insolvenz anwenden wird. Die Ausrichtung der Argumentation lässt eine Ausdehnung auf Sanierungsfälle auch außerhalb der Insolvenz vermuten, wenn ansonsten eine Betriebsstilllegung unmittelbar droht. 751 Das LAG Rheinland-Pfalz und das LAG Köln, LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.3.2013 – 5 Sa 556/12, LSK 2013, 320297; LAG Köln, Urt. v. 17.6.2003 – 9 Sa 443/03, ZIP 2003, 2042 f.,
haben allerdings entschieden, dass außerhalb der Insolvenz eine Kündigung nur dann nicht wegen des Betriebsüberganges erfolgt, wenn auch ohne den Betriebsübergang der Arbeitsplatz entbehrlich geworden wäre. 752 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das BAG in seiner Entscheidung vom 22.9.2005, BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658, 659,
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IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
festgestellt hat, dass im Fall einer vor Insolvenzantragstellung durchgeführten Ausgliederung weder eine Unkündbarkeitsklausel einer Betriebsvereinbarung noch § 323 Abs. 1 UmwG bei einer Betriebsstilllegung des abgespaltenen Unternehmens einer Kündigung unter Berücksichtigung der Fristen des § 113 InsO im Wege steht. Soweit ein Gemeinschaftsbetrieb nicht mehr besteht, ist hinsichtlich der Sozialauswahl nicht mehr auf die Verhältnisse vor Wirksamwerden der Spaltung abzustellen. e) Der nicht mehr erwartete Betriebsübernehmer Nicht selten tauchen Interessenten für Teile oder das gesamte schuldnerische 753 Unternehmen erst auf, wenn der Betrieb bereits vom Insolvenzverwalter stillgelegt wurde oder die Stilllegung beschlossen wurde. Häufig hat der Betrieb sich auch bereits vor Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters „von selbst stillgelegt“. Wegen des Kündigungsverbotes in § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ist daher zwi- 754 schen Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung zu differenzieren, da sich beide gegenseitig ausschließen. BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 201; BAG, Urt. v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NJW 2006, 2138 f.
Letztere ist ein „anderer Grund“ i. S. d. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB und damit 755 zulässige Basis wirksamer Beendigungskündigungen. Eine Betriebsstilllegung liegt vor, wenn der Arbeitgeber endgültig entschlossen 756 ist, den Betrieb dauernd oder für eine nicht unerhebliche Zeitspanne stillzulegen. BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 96.
Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht un- 757 missverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt. BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 96.
Auch die beabsichtigte Betriebsstilllegung kann dringender betrieblicher 758 Grund für eine Kündigung sein, soweit sie greifbar und konkret ist. Dieses ist in der Regel dann der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon ausgegangen werden kann, dass bis zum Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist die Stilllegung durchgeführt sein wird. BAG, Urt. v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, ZIP 1991, 1374 ff.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
759 Die Annahme einer ernsthaften und endgültigen Stilllegungsabsicht ist ausgeschlossen, wenn der Insolvenzverwalter weiterhin beabsichtigt, den Betrieb zu veräußern. Dabei sind die tatsächlichen Begebenheiten entscheidend, nicht hingegen die vom Insolvenzverwalter gegebenen Begründungen. BAG, Urt. v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NJW 1995, 75, 76.
760 Ausschlaggebend ist die Absicht des Insolvenzverwalters im Zeitpunkt der Kündigung. Eine zuvor beabsichtigte Betriebsveräußerung schließt die Annahme einer Betriebsstilllegung nicht aus. Sind jedoch die Bemühungen des Insolvenzverwalters, den Betrieb als Einheit zu veräußern, in dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Betriebsstilllegung als gescheitert anzusehen, sodass er zur endgültigen Einstellung des Betriebes gezwungen ist, rechtfertigt dieses eine Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen. 761 Kündigt der Insolvenzverwalter einem Arbeitnehmer wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung, so spricht es jedoch gegen eine endgültige Stilllegungsabsicht, wenn dem Insolvenzverwalter vor Erklärung der Kündigung ein Übernahmeangebot eines Interessenten vorliegt, der Insolvenzverwalter also noch in Verhandlungen über eine Betriebsveräußerung steht. BAG, Urt. v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720 ff.
762 Ändern sich die tatsächlichen Verhältnisse während des Laufes der Kündigungsfrist, hat der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG, BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BB 2005, 383, 385,
einen vertraglichen Wiedereinstellungsanspruch, der aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet wird. 763 Dieser Wiedereinstellungsanspruch ist gegeben, wenn x
eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers auf der Prognose beruht, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer nicht mehr weiterbeschäftigen,
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diese Prognose sich während des Laufes der Kündigungsfrist als falsch erweist,
x
der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und
x
ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757, 758.
764 Jedoch besteht nach der Entscheidung des BAG vom 28.10.2004, BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405, 406,
190
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
ein Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers grundsätzlich nicht mehr, wenn der Betriebsübergang nach Ablauf der Frist einer insolvenzbedingten Kündigung stattgefunden hat, sofern nicht erkennbar ist, dass die zeitlichen Abläufe rechtsmissbräuchlich zur Umgehung des Wiedereinstellungsanspruches gestaltet werden. BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BB 2005, 383, 385.
Ist die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedoch schon während des Laufs der 765 Kündigungsfrist entstanden und damit die bei Kündigung angestellte Prognose ebenfalls während des Laufs der Kündigung unzutreffend geworden, kann der Wiedereinstellungsanspruch auch dann entstehen, wenn der Betriebsübergang erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt. BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NJW 2009, 391 ff. (Betriebsübergang ein Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist).
Die Rechtsprechung stellt keine feste zeitliche Grenze auf, nach der ein Wie- 766 dereinstellungsanspruch wegen geänderter Prognose infolge Betriebsübergangs ausgeschlossen wäre. Nach der Rechtsprechung begründet allerdings eine Betriebsfortführung durch einen Erwerber vor oder alsbald nach dem beabsichtigten Stilllegungstermin die Vermutung, dass keine endgültige Stilllegungsabsicht bestand. Es obliegt in diesen Fällen dem Erwerber, durch näheren Sachvortrag diese Vermutung zu widerlegen. BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 ff.
4. Kündigung zur Verbesserung der Verkaufschancen Soweit eine Unternehmensveräußerung nicht zwangsweise kurzfristig nach Er- 767 öffnung erfolgen muss und die betriebswirtschaftliche Situation des insolventen Unternehmens eine Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren zulässt, kann der Insolvenzverwalter Maßnahmen zur Personalreduzierung im Vorfeld einer Betriebsveräußerung durchführen und sich dabei der Klaviatur der §§ 113, 120 ff. InsO bedienen. Diese Vorschriften enthalten für den Insolvenzverwalter einige erhebliche Erleichterungen, insbesondere die Verkürzung der Kündigungsfrist und den Interessenausgleich mit Namensliste. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass eine nach § 613a Abs. 4 BGB 768 unzulässige Kündigung wegen Betriebsüberganges nicht vorliegt, wenn sie der Rationalisierung zur Verbesserung der Verkaufschancen dient. Dabei liegt ein Rationalisierungsgrund vor, wenn der Betrieb ohne die Rationalisierung stillgelegt werden müsste. MüKo-Müller-Glöge, BGB, § 613a Rn. 191.
Im Übrigen gilt, dass ordentliche betriebsbedingte Kündigungen im Gel- 769 tungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sozial gerechtfertigt sein müssen und außerordentliche Kündigungen an § 626 BGB zu messen sind. Regelungen über Sonderkündigungsschutz gelten fort. Das Insolvenzverfahren über das
191
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Vermögen des Arbeitgebers stellt keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar, weder der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 770 § 113 InsO verkürzt die Kündigungsfrist bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen auf drei Monate, unabhängig vom Rechtsgrund der eigentlich geltenden Kündigungsfrist. Darüber hinaus ermöglicht § 113 InsO die Kündigung befristeter und „unkündbarer“ Arbeitsverhältnisse, die eine Kündigung vertraglich nicht vorsehen bzw. ausschließen. In diesen Fällen gilt die Frist für eine ordentliche Kündigung, die gelten würde, wenn eine Befristung oder ein Ausschluss des Rechtes zur ordentlichen Kündigung nicht gelten würde, reduziert auf die maximale Frist von drei Monaten. Auch stehen Vereinbarungen zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, die vor der Insolvenz abgeschlossen wurden, einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung nicht entgegen. BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, NZA 2006, 661 ff.
771 Als lex specialis zu § 1 KSchG bietet § 125 InsO weitere Erleichterungen für die Durchführung betriebsbedingter Kündigungen. 772 Zum 1.1.2004 ist eine weitgehende Angleichung des § 1 KSchG an § 125 InsO erfolgt. Diese betrifft in § 1 Abs. 5 KSchG insbesondere die Regelungen über den Interessenausgleich mit Namensliste und die grobe Fehlerhaftigkeit als Überprüfungsmaßstab, allerdings auf einer erweiterten Prüfungsgrundlage. 773 Nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO wird zum einen vermutet, dass die Kündigung der in der Namensliste enthaltenen Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist. 774 Zum anderen enthält § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Regelung, dass die Sozialauswahl nur hinsichtlich der Auswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten und dabei auch nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar ist. Die Sozialauswahl ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. 775 § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO lässt im Vergleich zu § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht nur die Erhaltung, sondern auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur zu. Eine mit diesem Ziel durchgeführte Sozialauswahl ist als nicht grob fehlerhaft anzusehen. Dies ist in den Fällen, in denen eine längerfristige Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren möglich ist, von erheblicher Relevanz, da das Insolvenzverfahren insoweit die Möglichkeit bietet, etwaige Versäumnisse der bisherigen Personalpolitik des Unternehmens im Hinblick auf die Schaffung einer ausgewogenen und damit leistungsfähigeren Personalstruktur nachzuholen. Dieses kann ein besonders relevanter Faktor für eine erfolgreiche Betriebsveräußerung sein. Ein mit dem Ziel einer ausgewogenen Personalstruktur erstelltes Personalkonzept und die damit im Zusammenhang stehende soziale Auswahl ist nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO deshalb nicht grob fehlerhaft, weil eine ausgewogene Personalstruktur 192
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
erhalten bzw. geschaffen wird. Die Regelung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO kodifiziert einen Sonderfall der berechtigten betrieblichen Bedürfnisse i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Die besondere insolvenzrechtliche Regelung ermöglicht eine Ausnahme von der sozialen Auswahl selbst dann, wenn erstmals eine ausgewogene Personalstruktur geschaffen werden soll. Sie erlaubt also auch aktive Eingriffe in die bestehenden Betriebsstrukturen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Betriebes. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271, 1274.
In diesem Fall hielt das BAG es nicht für grob fehlerhaft, wenn der Insol- 776 venzverwalter bei der sozialen Auswahl zwischen Mitarbeitern mit kaufmännischer Ausbildung einerseits und Mitarbeitern ohne kaufmännische Ausbildung andererseits unterschied, BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271, 1274,
und damit von dem Grundsatz abwich, dass sich die Gruppenbildung bei der Sozialauswahl an einer arbeitsplatzbezogenen Austauschbarkeit zu orientieren hat. Im Übrigen wurde die Beschränkung der sozialen Auswahl in nicht einschlä- 777 gig kaufmännisch ausgebildeten Mitarbeiter auf ihre „Abteilung“ als nicht grob fehlerhaft bewertet, da diese der Erhaltung und Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur diente. Das BAG hat ferner klargestellt, dass der Begriff der Personalstruktur in 778 § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO nicht mit dem Begriff der Altersstruktur gleichzusetzen ist. Er ist in einem umfassenderen Sinne zu verstehen, da nach der Gesetzesbegründung dem Schuldner bzw. dem Übernehmer ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung gestellt werden soll. Als weitere Aspekte sind daher auch die Ausbildung sowie die Qualifikation der Arbeitnehmer und damit die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen zu berücksichtigen. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271, 1274.
Die Bildung von Altersgruppen, in denen die Sozialauswahl dann jeweils ge- 779 sondert erfolgt, wird in der neueren Rechtsprechung unter Bezugnahme auf europarechtliche Vorgaben und das AGG angegriffen. ArbG Osnabrück, Urt. v. 5.2.2007 – 3 Ca 778/06, BB 2007, 1504, 1505.
Das BAG hat jedoch festgestellt, dass die Bildung von Altersgruppen gemäß 780 § 10 Satz 1 und 2 AGG durch legitime Zwecke gerechtfertigt sein kann, wovon regelmäßig in Fällen von Massenentlassungen bei Betriebsänderungen auszugehen sei. Die Bildung von Altersgruppen verletzt das Verbot der Altersdiskriminierung nicht. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, NZA 2012, 1090 ff.; BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361, 362.
193
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
781 Demgegenüber hat das BAG, BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 377/02, BB 2004, 1056, 1057,
klargestellt, dass die Regelung des § 125 InsO zu keiner Erleichterung bei der Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG führt. Weder aus dem Wortlaut des § 125 Abs. 1 InsO noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Anwendung des § 102 BetrVG auch nur einschränken wollte. 782 Zu beachten ist im Rahmen des § 125 InsO, dass Betriebsratsmitglieder auch in der Insolvenz den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 4 und 5 KSchG genießen. Wird nicht der gesamte Betrieb, sondern nur eine Betriebsabteilung stillgelegt, so ist gemäß § 15 KSchG ein Betriebsratsmitglied, das in der stillgelegten Abteilung beschäftigt wird, grundsätzlich in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Nur wenn das nicht möglich ist, kann das Arbeitsverhältnis ordentlich, frühestens aber zum Zeitpunkt der Stilllegung der Betriebsabteilung, gekündigt werden. BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370, 372.
783 Durch eine etwaige Aufnahme von Betriebsratsmitgliedern in einen Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO wird dieser besondere Kündigungsschutz nicht aufgehoben. 784 Ebenfalls nicht eingeschränkt ist der Unterrichtungsanspruch des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers auf Mitteilung der Gründe, die zu der getroffenen Sozialauswahl geführt haben; die Darlegungs- und Beweislastverteilung bleibt nach § 125 InsO bzw. § 1 Abs. 5 KSchG unverändert. Für § 1 Abs. 5 KSchG siehe LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.1.1998 – 5 (4) (3) Sa 1913/97, DB 1998, 1235 f.
785 Kommt ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht zustande oder aber verfügt das schuldnerische Unternehmen über keinen Betriebsrat, so kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 126 InsO durchführen. Das Beschlussverfahren nach § 126 InsO ist praktisch wohl nur von geringer Relevanz. 786 Im Rahmen des Beschlussverfahrens kann das ArbG feststellen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Auch hier kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und der Unterhaltspflichten nachgeprüft werden. § 126 InsO schränkt den Prüfungsmaßstab aber nicht auf die grobe Fehlerhaftigkeit ein. 787 Eine weitere Erleichterung bei der Betriebsveräußerung im Insolvenzverfahren bringt schließlich auch noch § 128 InsO mit sich. Danach ist die Anwendbarkeit der §§ 125 – 127 InsO nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Betriebsände194
IX. Betriebsübergang gemäß § 613a BGB bei Unternehmenskäufen aus der Insolvenz
rung, die dem Interessenausgleich bzw. dem Beschlussverfahren zugrunde liegt, erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt wird. Diese Regelung soll die Flexibilität des Insolvenzverwalters bei einer Betriebsveräußerung auf Grundlage eines Erwerberkonzeptes erhöhen. Der Insolvenzverwalter ist auf Grundlage des § 128 InsO nicht gezwungen, die Betriebsänderung selbst durchzuführen und den Betrieb erst danach zu veräußern. Vielmehr kann der Erwerber die Betriebsänderung durchführen, während der Insolvenzverwalter schon vor der Veräußerung die erforderlichen Kündigungen aussprechen und deren Wirksamkeit ggf. gerichtlich überprüfen lassen kann. In Ergänzung dazu regelt § 128 Abs. 2 InsO, dass die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO bzw. auch die gerichtliche Feststellung nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO sich darauf erstreckt, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsüberganges erfolgte. Keine Sonderregelungen bestehen in der Insolvenz im Hinblick auf die Ver- 788 pflichtung zur Abgabe der Massenentlassungsanzeige gemäß §§ 17, 18 KSchG. Eine unterlassene oder nicht korrekte Massenentlassungsanzeige oder auch eine Anzeige, der die Stellungnahme des Betriebsrates nicht beigefügt ist, führt zur Unwirksamkeit sämtlicher betroffener Kündigungen, ohne dass diese Mängel durch den Bescheid der Agentur für Arbeit heilbar wären. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029 ff.
Die Anzeigepflicht gilt sowohl für Beendigungskündigungen als auch für Auf- 789 hebungsverträge und Änderungskündigungen – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das unterbreitete Änderungsangebot angenommen hat oder ablehnt. BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, DB 2014, 2051 ff.
Dementsprechend sind auch die für den Wechsel in eine Transfergesellschaft 790 erforderlichen Aufhebungsverträge anzeigepflichtig gemäß § 17 KSchG. Hierbei ist insbesondere auch auf die Entlassungssperrfrist von regelmäßig einem Monat zu achten, innerhalb derer Entlassungen nicht wirksam werden, sofern die Agentur dem früheren Wirksamwerden nicht zustimmt, § 18 KSchG. Sollen die Arbeitnehmer unmittelbar nach der Eröffnung des Insolvenzver- 791 fahrens in eine Transfergesellschaft wechseln, muss der Insolvenzverwalter zur Wirksamkeit der Aufhebungsverträge daher vor der Unterzeichnung der Aufhebungsverträge die korrekte Massenentlassungsanzeige abgeben und diese Massenentlassungsanzeige zum anderen mit einem Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist (ggf. bis auf „null“) verbinden. 5. Kombinationsmöglichkeiten Soweit die zur Verfügung stehende Insolvenzmasse, die wirtschaftliche Situa- 792 tionen des schuldnerischen Unternehmens und die vorhandene Zeit es ermöglichen, können die unter den Rn. 689 ff., 736 ff. und 767 ff. dargestellten Modelle in unterschiedlichen Varianten miteinander kombiniert werden. So
195
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
kann insbesondere die Überleitung in die Transfergesellschaft mit einer Kündigung der betroffenen Arbeitnehmer auf Grundlage eines verbindlichen Erwerberkonzeptes kombiniert werden. In dem Interessenausgleich, der auf Grundlage des Erwerberkonzeptes erfolgt, kann vereinbart werden, dass den zu kündigenden Arbeitnehmern zusätzlich eine Überleitung in eine Transfergesellschaft angeboten wird. Zeitgleich zur Kündigung bietet der Insolvenzverwalter den betroffenen Arbeitnehmern den Abschluss eines Aufhebungsvertrages bei gleichzeitiger Überleitung in die TG an. Diese Kombinationsmöglichkeit zwischen Erwerberkonzept und TG-Modell (nachfolgend „Erwerberkonzept+TG-Modell“) spielt aufgrund der im Zusammenhang mit der neueren Rechtsprechung zum „Dörries-Scharmann-Modell“ aufgezeigten Risiken in der heutigen Praxis eine immer bedeutendere Rolle. Selbstverständlich bietet das Erwerberkonzept+TG-Modell auch die unter Rn. 721 dargestellten Vorteile für das insolvente Unternehmen bzw. den Insolvenzverwalter, den Erwerber und die Arbeitnehmer. 793 Konterkariert werden können die Bemühungen, eine übertragende Sanierung unter Berücksichtigung der arbeitsrechtlichen, oben dargestellten Gestaltungsmodelle zu ermöglichen, durch das Arbeitskampfrecht. 794 Das BAG hat in zwei Entscheidungen, BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, NZA 2007, 987 ff. sowie BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 ff.,
die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss eines Abfindungstarifvertrages zielen, und damit zugleich die höchst umstrittene Rechtmäßigkeit derartiger Tarifverträge bestätigt. Vgl. hierzu ausführlich Th. Schmidt, ZInsO 2008, 247 ff.
795 Dem Insolvenzverfahren war ein Abfindungstarifvertrag bisher fremd. Soweit eine Betriebsänderung ansteht bzw. -stand, war ein Interessenausgleich und Sozialplan zu schließen, soweit ein Betriebsrat im schuldnerischen Unternehmen gebildet war. 796 Im Zusammenhang mit etwaig anstehenden Abfindungstarifverträgen stellt sich nun die Frage, ob in der Insolvenz die Begrenzungsregeln des § 123 InsO auch für Abfindungstarifverträge gelten. In der hierzu vorhandenen Literatur wird dies überwiegend bejaht; zur Wahrung des vom Gesetzgeber geschaffenen insolvenzrechtlichen Verteilungssystems ist die analoge Anwendung geboten. Röger-Janko/Seidensticker, Insolvenzarbeitsrecht, S. 175 m. w. N.
X. Betriebliche Renten und Zusagen im Insolvenzfall 797 Umfang und Wert von betrieblichen Versorgungsverpflichtungen sind im Rahmen des Unternehmenskaufs sorgfältig durch eine Due Diligence zu beurteilen, da insoweit erhebliche zukünftige Verpflichtungen dem Grunde nach bestehen können. Bedeutsam sind insoweit die arbeits-, steuer- und sozial196
X. Betriebliche Renten und Zusagen im Insolvenzfall
versicherungsrechtlichen Folgen der Unternehmensveräußerung auf die jeweiligen Versorgungszusagen. Zur Due Diligence bei betrieblichen Versorgungsleistungen im Rahmen des Unternehmenskaufs allgemein vgl. Kleffmann/Reich, BB 2009, 214 ff.; vertiefend H. J. Willemsen/Hohenstatt/ Schweibert/Seibt-Schnitker/Döring, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. J Rn. 750 ff.
Zur betrieblichen Altersversorgung gehören alle Leistungen der Alters-, In- 798 validitäts- oder Hinterbliebenenversorgung, die dem Arbeitnehmer aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (§ 1 Abs. 1 BetrAVG). Dabei kann der Arbeitgeber die betriebliche Altersversorgung unmittelbar selbst oder über einen externen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds) durchführen. In allen diesen Fällen hat der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung einzustehen. Sollte also einer der Versorgungsträger die geschuldeten Versorgungsleistungen nicht erbringen, so bleibt der Arbeitgeber zur Leistung verpflichtet. Dies ist nicht lediglich ein theoretisches Risiko, wie die Diskussion um die Pensionskassen belegt. Viele Pensionskassen haben insbesondere aufgrund regulatorischer Vorgaben und der anhaltenden Niedrigzinsphase Schwierigkeiten, die Rücklagen für die über sie durchgeführten Zusagen zu erwirtschaften. Darauf hat inzwischen der Gesetzgeber reagiert, und zum 1.1.2021, insbesondere mit § 10 Abs. 3 Nr. 4 a BetrAVG, auch für Pensionskassen-Zusagen die Beitragspflicht zum PensionsSicherungs-Verein VVaG (PSV) eingeführt. Zur Neuregelung vgl. Rolfs, NZA 2020, 1144 ff.
Im Rahmen eines Share Deals bleibt der Arbeitgeber i. S. d. BetrAVG identisch, 799 da der Wechsel in den Beteiligungsverhältnissen für den Bestand der Versorgungsverpflichtungen keine Bedeutung hat. Der Erwerber muss insoweit mittelbar in seiner Eigenschaft als neuer Gesellschafter wirtschaftlich die Versorgungsverpflichtungen tragen, die das Unternehmen unter Führung der früheren Gesellschafter eingegangen ist. Soll die Übertragung der Versorgungsverpflichtungen vermieden werden, so kommt – insbesondere bei Gesellschaftern – ein (ggf. entgeltlicher) Verzicht des Berechtigten auf die Versorgungsanwartschaft in Betracht. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die steuerlichen Wirkungen des Verzichts ggf. gegen Abfindung zu berücksichtigen. Gehen mit der Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils im Rahmen eines 800 Asset Deals nach § 613a BGB auch die im Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse auf den neuen Inhaber über, so gilt dies auch für eine betriebliche Altersversorgung der übernommenen (aktiven) Arbeitnehmer. Der Erwerber tritt auch insoweit in alle Rechte und Pflichten des alten Betriebsinhabers ein und übernimmt also sämtliche bereits entstandenen Versorgungsansprüche oder -anwartschaften der vom Betriebsübergang erfassten Arbeitnehmer. 197
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
801 Dagegen verbleiben Versorgungsansprüche früherer Arbeitnehmer des Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals beim Unternehmensveräußerer, sodass folglich die Versorgungsverpflichtungen gegenüber Rentnern sowie ausgeschiedenen Arbeitnehmern mit unverfallbaren Anwartschaften nicht auf den Erwerber übergehen. Zur weiteren Haftungsbeschränkung für den Erwerb aus der Insolvenz siehe Rn. 629. Vgl. H. J. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt-Schnitker/ Döring, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. J Rn. 431.
802 Kann der Arbeitgeber infolge einer Insolvenz seinen Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung nicht mehr nachkommen, so übernimmt der PSV als Träger der Insolvenzsicherung von Ansprüchen aus einer betrieblichen Altersversorgung im Rahmen von § 7 BetrAVG die Rentenzahlungen, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Der PSV finanziert sich dabei aus den gemäß § 10 BetrAVG zu leistenden Beiträgen aller Arbeitgeber, die Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung zugesagt haben. 803 Ausnahmsweise kann der Sicherungsfall gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG auch außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs mit Zustimmung des PSV herbeigeführt werden. Der PSV ist zur Erteilung der Zustimmung nicht verpflichtet und stimmte bisher in der Praxis nur sehr selten insoweit zu. Maßgeblich für die Entscheidung über die Zustimmung des PSV sollte die objektive Sanierungsfähigkeit des Unternehmens zwecks Vermeidung einer Insolvenz und hierdurch drohenden höheren Einstandspflicht des PSV sein. Vgl. FK-Griebeling, InsO, Anhang BetrAVG Rn. 24.
804 Aufgrund dieser Insolvenzsicherung nach dem BetrAVG bestehen in der Insolvenz des Arbeitgebers keine besonderen Schutzvorschriften zugunsten rückständiger Forderungen der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber auf Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Derartige Ansprüche können gegenüber dem Insolvenzverwalter nur als einfache Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Da diese Forderungen gemäß § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV übergehen, stehen sie nicht mehr den Arbeitnehmern zu. Die Forderungen sind im Insolvenzverfahren vom PSV als unbedingte Forderungen nach § 45 InsO mit dem Wert geltend zu machen, den sie zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung haben. Dieser Wert ist nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu schätzen. Vgl. FK-Griebeling, InsO, Anhang BetrAVG Rn. 139.
805 Sobald das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet wird bzw. in den übrigen Fällen des § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 – 3 BetrAVG der PSV dem Berechtigten die ihm zustehenden Ansprüche oder Anwartschaften
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X. Betriebliche Renten und Zusagen im Insolvenzfall
schriftlich mitteilt, gehen die Ansprüche oder Anwartschaften des Berechtigten gegen den Arbeitgeber, soweit sie den Anspruch des Berechtigten gegen den PSV begründen, nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV über. Sind die Ansprüche des Arbeitnehmers aus der betrieblichen Altersversor- 806 gung gegen eine Insolvenz des Arbeitgebers zusätzlich gesichert, so geht auch diese Sicherung, sofern sie die auf den PSV übergegangenen Ansprüche betrifft, mit diesen nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV über. FK-Griebeling, InsO, Anhang BetrAVG Rn. 131.
So kann es sein, dass der Arbeitgeber Einzahlungen des Arbeitnehmers in die 807 betriebliche Altersversorgung auf eine Depotstelle übertragen und seine gegen diese gerichteten Ansprüche dem Arbeitnehmer zur Sicherung dessen Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung für den Fall einer Insolvenz des Arbeitgebers verpfändet hat. Darin liegt eine Insolvenzsicherung des Arbeitnehmers, weil dieser in der Insolvenz des Arbeitgebers aufgrund seines Pfandrechts zu einer abgesonderten Befriedigung aus den gegen die Depotstelle gerichteten Ansprüchen des Arbeitgebers berechtigt ist. Zu den Forderungen und Rechten, die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf den PSV übergehen, gehören zudem Bürgschaften, Hypotheken und Pfandrechte. Vgl. Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Betz-Rehm, BetrAVG, § 9 Rn. 17.
Derselbe Effekt wird durch die Übertragung der Einzahlungen auf einen 808 Treuhänder erreicht, der diese Mittel treuhänderisch sowohl für den Arbeitgeber als auch – für den Fall dessen Insolvenz – für den Arbeitnehmer verwaltet (sog. „Contractual-Trust-Arrangement“ [CTA] als sog. doppelseitige Treuhand). In beiden Fällen stehen die sich daraus ergebenden Absonderungsrechte, soweit die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den PSV übergegangen sind, in der Insolvenz des Arbeitgebers dem Treuhänder zugunsten des PSV zu. Zur Insolvenzfestigkeit des Doppeltreuhand-Konzepts BAG, Urt. v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, NZI 2014, 167 ff.
Eine wichtige Ausnahme gilt nach einer neuen Entscheidung des BAG, wonach 809 kein Anspruchsübergang auf den PSV stattfindet, wenn und soweit das CTA zur Deckung gesetzlich nicht insolvenzgeschützter Altersversorgungsansprüche dient. BAG, Urt. v. 22.9.2020 – 3 AZR 303/18, NZI 2021, 127 ff.
Zu beachten ist, dass der Anspruch gegen den PSV nach § 7 Abs. 3 BetrAVG 810 der Höhe nach begrenzt ist auf das dreifache der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV, die in dem Zeitpunkt gilt, in dem der erste Anspruch gegen den PSV fällig wird. Die Höchstgrenze beträgt bei laufenden Leistungen für das Jahr 2022 monatlich 9.870,00 € (alte Bundesländer) bzw. 9.450,00 € (neue Bundesländer). Bei Ansprüchen auf Kapitalleistungen ist der Anspruch
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gegen den PSV nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG auf 10 % der Leistung als Jahresbetrag einer (entsprechenden) laufenden Leistung begrenzt. 811 Soweit dem Arbeitnehmer über die in § 7 Abs. 3 BetrAVG geregelte Höchstgrenze hinaus Ansprüche gegen den insolventen Arbeitgeber aus seiner betrieblichen Altersversorgung zustehen, verbleiben die für den Anspruch geschaffenen Insolvenzsicherungen beim Arbeitnehmer. Dieser kann die Sicherungen und die sich daraus insbesondere ergebenden Rechte auf abgesonderte Befriedigung vor dem PSV geltend machen, auf den das Absonderungsrecht im Rahmen von § 9 Abs. 2 BetrAVG bis zur Höhe der Höchstgrenze nach § 7 Abs. 3 BetrAVG übergeht. Grund ist, dass der PSV den Übergang eines Sicherungsrechts wegen § 9 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG nicht zum Nachteil des Berechtigten geltend machen kann. Hierzu Berenz, DB 2004, 1098, 1099.
812 Beim Erwerb eines Betriebes aus der Insolvenz im Rahmen der sog. übertragenden Sanierung haftet der Erwerber nur für den Teil der betrieblichen Versorgungsansprüche, der nach Insolvenzeröffnung erdient worden ist und künftig erdient wird. Diese Haftungsbegrenzung des Erwerbers ergibt sich aus dem Prinzip der Gläubigergleichbehandlung und erleichtert die Veräußerung von Betriebsteilen aus der Insolvenz. Maßgeblich ist insoweit, dass die bis zum Insolvenzeröffnungszeitpunkt erdienten Versorgungsansprüche als Insolvenzforderungen nicht durch einen späteren Betriebsübergang befriedigt werden sollen. BAG, Urt. v. 13.11.1986 – 2 AZR 771/85, ZIP 1987, 525, 526; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 682, 683.
813 Diese ständige Rechtsprechung des BAG wurde jüngst noch einmal nach europäischem Recht überprüft und vom EuGH und BAG bestätigt. EuGH, Urt. v. 9.9.2020 – verb. Rs. C-674/18 und C-675/18, TMD Friction, BeckRS 2020, 22110; im Anschluss daran BAG Urt. v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, juris.
814 Bei Eintritt des Versorgungsfalls hat der Erwerber folglich nur den Teil des Vergütungsanspruchs zu erfüllen, der auf die Beschäftigungszeiten nach der Insolvenzeröffnung entfällt. Die bei Insolvenzeröffnung bestehenden unverfallbaren Versorgungsansprüche sind vom PSV zu erfüllen. Die bereits erdienten aber zum Insolvenzeröffnungszeitpunkt noch verfallbaren Versorgungsanwartschaften können von den Arbeitnehmern lediglich als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. BAG, Urt. v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BB 1986, 1644 ff.; FK-Griebeling, InsO, Anhang BetrAVG Rn. 102.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen in Krise, Insolvenz und Sanierung 1. Steuerliche Interessen des Veräußerers in der Krise Die Veräußerung in der Krise führt regelmäßig zu einem Veräußerungsver- 815 lust bei dem Veräußerer. Die Art und Weise der Berücksichtigung dieses Veräußerungsverlustes ist in steuerlicher Hinsicht abhängig von der Rechtsform des zu veräußernden Unternehmens und des Veräußerers selbst. Hinsichtlich des zu verkaufenden Unternehmens ist auch steuerlich zwischen der Veräußerung von Wirtschaftsgütern bzw. Personengesellschaftsanteilen (steuerlicher Asset Deal) und der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (steuerlicher Share Deal) zu unterscheiden. Bezüglich der Steuerbelastung des Veräußerers ist dagegen zwischen Kapitalgesellschaften (und ihren Anteilseignern) und natürlichen Personen zu differenzieren. a) Asset Deal aa) Veräußerer ist eine natürliche Person Der Verkauf eines gewerblichen Unternehmens durch eine natürliche Person 816 im Wege eines Asset Deals führt zu Einkünften aus Gewerbetrieb gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter vorgenommen wird; die Veräußerungshandlungen des Insolvenzverwalters stehen denen des Schuldners, der der Steuerpflichtige ist, gleich. Die Veräußerung von Wirtschaftsgütern durch den Insolvenzverwalter nach 817 Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nach Ansicht des BFH jedoch im Hinblick auf die bei der Hebung stiller Reserven entstehenden Steuern zu Masseverbindlichkeiten. Danach wird nur auf den Zeitpunkt der Realisation abgestellt und auf die tatsächliche Entstehung der stillen Reserven – vor der Insolvenz – soll es nicht ankommen. BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BStBl. II 2013, 759 ff, vgl. auch Urt. v. 16.4.2015 – III R 21/11, BStBl. II 2016, 29; Beschl. v. 12.10.2015 – VIII B 143/14, BFH/NV 2016, 40.
Diese Auffassung wird insolvenzrechtlich zu Recht kritisiert, da Massever- 818 bindlichkeiten im Rang von § 55 InsO systematisch lediglich dann begründet werden können, wenn sie die Aufdeckung stiller Reserven betreffen, die nach Insolvenzeröffnung entstanden sind. Die bereits vor Insolvenzeröffnung gebildeten stillen Reserven sind dagegen bereits mit einer vorinsolvenzrechtlich begründeten latenten Steuerverbindlichkeit belastet, die dogmatisch richtigerweise nur als einfache Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO berücksichtigt werden sollten. MüKo-Schüppen/Schlösser, InsO, Insolvenzsteuerrecht, Rn. 154. Kahlert, DStR 2013, 1587 f.; Schmittmann, EWiR 2013, 621 f.;
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle kritisch Waza/Uhländer/Schmittmann-Uhländer, Insolvenzen und Steuern, Rn. 1467 ff.
819 Veräußerungsgewinn ist gemäß § 16 Abs. 2 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG zu ermittelnden Wert des Betriebsvermögens übersteigt. Dieser Veräußerungsgewinn unterliegt der Einkommensteuer, wobei der ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG zur Anwendung kommt, wenn Gegenstand der Veräußerung der gesamte Betrieb mit seinen wesentlichen Betriebsgrundlagen oder ein insoweit gleichgestellter Teilbetrieb ist und der Veräußerer das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist. 820 Der ermäßigte Steuersatz von 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes wird allerdings gemäß § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG nur einmal im Leben begrenzt auf einen Veräußerungsgewinn von bis zu 5 Mio. € gewährt. Liegen die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG nicht vor, so kommt auf Antrag gemäß § 34 Abs. 1 EStG eine Progressionsmilderung im Rahmen der sog. Fünftelregelung zur Anwendung. Der Veräußerungsgewinn einer natürlichen Person unterliegt nicht der Gewerbesteuer (vgl. § 7 Satz 2 GewStG; R 7.1 (3) GewStR). 821 Bei einem Unternehmensverkauf in der Krise kommt insbesondere die Realisierung eines Veräußerungsverlustes in Betracht. Veräußerungsverluste gemäß § 16 Abs. 1 EStG sind als gewerbliche Einkünfte dem Grunde nach abzugsund ausgleichsfähig und innerhalb eines Veranlagungszeitraums uneingeschränkt möglich. Jedoch besteht für die periodenübergreifende Verlustverrechnung gemäß § 10d EStG eine betragsgemäße Begrenzung. Danach besteht eine Art Mindestbesteuerung bezüglich der Verlustverrechnung unterschiedlicher Veranlagungszeiträume, wonach ein Verlustrücktrag gemäß § 10d Abs. 1 EStG auf 1 Mio. € (bei Zusammenveranlagung auf 2 Mio. €) beschränkt ist. In den Veranlagungsjahren 2020 und 2021 wurde der Verlustrücktrag aufgrund der COVID19-Pandemie jeweils auf 10 Mio. € (bei Zusammenveranlagung auf 20 Mio. €) erhöht (vgl. Anwendungsregelung in § 52 Abs. 18b EStG). Der Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 2 EStG ist pro Veranlagungszeitraum auf bis zu 1 Mio. € (bei Zusammenveranlagung 2 Mio. €) zuzüglich 60 % des übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte begrenzt. 822 Nach Auffassung des BFH ist ernstlich zweifelhaft, ob die Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen endgültig ausgeschlossen ist. BFH, Beschl. v. 26.8.2010 – I B 49/10, DStR 2010, 2179 ff.; vgl. Röder, StuW 2012, 18 ff.; nach BFH, Urt. v. 22.8.2012 – I R 9/11, DStR 2012, 2435 sei die Mindestbesteuerung verfassungsgemäß.
823 Diese Frage hat der BFH dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (vgl. BVerfG – 2 BvL 19/14). BFH, Beschl. v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016 ff.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Der Ansicht des BFH nach könnte die Grenze zum Kernbereich der Ge- 824 währleistung eines Verlustausgleichs überschritten sein, wenn der Mindestbesteuerung die Wirkung eines endgültigen Ausschlusses der Verlustverrechnung zukommt. Dies kommt beispielsweise im Zusammenwirken mit schädlichen Beteiligungserwerben i. S. d. § 8c KStG in Betracht. Eine überschießende Wirkung der Mindestbesteuerung kommt aber beispielsweise auch im Rahmen der Liquidation des Unternehmens in Betracht und ist insoweit ebenfalls nicht mit den ertragsteuerlichen Grundsätzen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in der abschnittsübergreifenden Totalgewinnperiode zu vereinbaren. In beiden Fällen führt die Mindestbesteuerung nicht lediglich zu einer „Zeitstreckung“, sondern zu einer endgültigen „Verlustvernichtung“. In Fällen, in denen es aufgrund des Zusammenwirkens von Mindestbesteuerung und eines tatsächlichen oder rechtlichen Grundes zu einem endgültigen Ausschluss einer Verlustnutzungsmöglichkeit kommen kann, gewährt die Finanzverwaltung grundsätzlich unter Bezugnahme auf das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht auf Antrag Aussetzung der Vollziehung. Das FG Düsseldorf hat insoweit zutreffend im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung die Mindestbesteuerung im Insolvenzverfahren aufgrund der definitiven Abwicklungsbesteuerung insoweit eingeschränkt, als das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu berücksichtigen sei, die Mindestbesteuerung dürfe keine definitive Besteuerung auslösen. Vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 18.9.2018 – 6 K 454/15 K, NZI 2018, 990, m. Anm. Witfeld, NZI 2018, 993 f.
Bei der Gewerbesteuer können Verluste gemäß § 10a GewStG lediglich vor- 825 getragen werden und sind bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. € von künftigen Gewerbeerträgen abzuziehen. Der übersteigende Verlustvortrag ist lediglich in Höhe von 60 % des überschießenden Gewerbeertrags zu berücksichtigen. Beispiel: Der Unternehmer U bildet zum 31.12.23 in der Handelsbilanz eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in Höhe von 5 Mio. €, die steuerlich gemäß § 5 Abs. 4a EStG nicht gebildet werden darf. Der steuerliche Gewinn in 23 beträgt daher 5 Mio. €. Im Folgejahr 24 realisiert U die Verluste aus schwebenden Geschäften in Höhe von 5 Mio. € und erzielt im Übrigen ein ausgeglichenes Ergebnis von 0 €. Im Folgejahr 25 realisiert U ein steuerliches Einkommen in Höhe von 5 Mio. €. Das steuerliche Einkommen von U in 23 in Höhe von 5 Mio. € kann hinsichtlich der Einkommensteuer nachträglich im Wege des Verlustrücktrages gemäß § 10d Abs. 1 EStG in Höhe von 1 Mio. € reduziert werden. Zum 31.12.24 wird dann für U jeweils ein Verlustvortrag für die Einkommensteuer in Höhe von 4 Mio. € und für die Gewerbesteuer in Höhe von 5 Mio. € festgestellt. Im Folgejahr 25 wird der Gesamtbetrag der Einkünfte bzw. der Gewerbeertrag von U
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
dann aufgrund des Verlustvortrages im Rahmen der Einkommensteuer um 2,8 Mio. € (1 Mio. € + 60 % von 3 Mio. €) und im Rahmen der Gewerbesteuer um 3,4 Mio € (1 Mio. € + 60 % von 4 Mio. €) gemindert. Der verbleibende Verlustvortrag per 31.12.24 beträgt bei U dann im Rahmen der Einkommensteuer 1,2 Mio. € und im Rahmen der Gewerbesteuer 1,6 Mio. €. Im Ergebnis wird verdeutlicht, dass das steuerliche Einkommen in den Jahren 22 – 24 durch die Verlustverrechnungsbeschränkungen gemäß § 10d EStG beeinflusst wird. Hierdurch können erhebliche Steuerbelastungen entstehen, die erst nachträglich im Rahmen der beschränkten Verlustvortragsverrechnung ausgeglichen werden. bb) Veräußerung von Mitunternehmeranteilen 826 Die vorgenannten Grundsätze zur Besteuerung von Veräußerungsgewinnen gemäß §§ 16, 34 EStG gelten entsprechend für die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch unmittelbare Gesellschafter einer Personengesellschaft, die natürliche Personen sind. 827 Umfasst ein Mitunternehmeranteil auch Sonderbetriebsvermögen mit wesentlichen Betriebsgrundlagen, so liegt allerdings nur dann eine begünstigte Veräußerung gemäß §§ 16, 34 EStG vor, wenn diese wesentlichen Betriebsgrundlagen mit übertragen werden, ohne dass dies unentgeltlich geschieht. Der Veräußerer kann diese Wirtschaftsgüter stattdessen auch in sein Privatvermögen überführen und hierdurch eine begünstigte Betriebsaufgabe bewirken. Der gemeine Wert der überführten Wirtschaftsgüter ist dann zusammen mit dem Kaufpreis für den Mitunternehmeranteil begünstigter Gewinn (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 6 f. EStG). Werden dagegen wesentliche Betriebsgrundlagen aus dem Sonderbetriebsvermögen des Veräußerers im Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen überführt, so entfällt die Begünstigung gemäß §§ 16, 34 EStG. Schließlich kann die Steuervergünstigung nach §§ 16, 34 EStG nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sämtliche stille Reserven des Mitunternehmeranteils aufgedeckt werden. BFH, Urt. v. 6.9.2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229 ff.; vgl. weiterführend L. Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rn. 396.
828 Im Rahmen der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen kann zudem ein Veräußerungsgewinn eines Gesellschafters im Zusammenhang mit seinem negativen Kapitalkonto zu berücksichtigen sein. Scheidet ein Gesellschafter als Mitunternehmer einer Personengesellschaft aus, ohne sein negatives Kapitalkonto ausgleichen zu müssen, so erhöht sich insoweit der Veräußerungsgewinn entsprechend, unabhängig davon, ob das negative Kapitalkonto durch laufende Verluste – bei Kommanditisten ggf. nur verrechenbare Verluste gemäß § 15a EStG – oder durch Entnahmen verursacht worden ist. Vgl. L. Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rn. 485; Kahlert/Rühland-Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 5.113 ff.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Beispiel: Das Kapitalkonto des Kommanditisten K ist negativ in Höhe von 1 Mio. € und es besteht ein verrechenbarer Verlust gemäß § 15a Abs. 2 EStG in Höhe von 500.000 €. Der Erwerber übernimmt diesen Kommanditanteil ohne Zahlung eines zusätzlichen Kaufpreises. Es entsteht bei K ein Veräußerungsgewinn gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG in Höhe von 1 Mio. €. Von diesem Veräußerungsgewinn sind die vorhandenen nur verrechenbaren Verluste gemäß § 15a Abs. 2 EStG abzuziehen, sodass ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn in Höhe von 500.000 € verbleibt. Mithin sind nicht auszugleichende negative Kapitalkonten bei Veräußerung 829 von Kommanditanteilen nur dann ohne einkommensteuerrechtliche Wirkung, wenn aufgrund von Verlustzuweisungen in der Vergangenheit noch entsprechende verrechenbare Verluste gemäß § 15a EStG vorhanden sind. L. Schmidt-Wacker, EStG, § 15a Rn. 152 ff.
cc) Thesaurierungsbesteuerung von Personengesellschaften Im Zuge des Unternehmensteuerreformgesetzes von 2008 wurde mit § 34a 830 EStG auch für Personengesellschaften die Möglichkeit geschaffen, nicht ausgeschütteten Gewinn mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Nach dieser Vorschrift sind Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit auf Antrag ganz oder teilweise mit einem festen Steuersatz in Höhe von 28,25 % zzgl. Solidaritätszuschlag zu besteuern. Da der Gesetzgeber mit der Regelung eine Annäherung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften bzw. Einzelunternehmen beabsichtigte, ist der Steuersatz so festgesetzt, dass er ungefähr demjenigen der Thesaurierungsbelastung bei Kapitalgesellschaften entspricht (Ziel soll nicht die vollständige Belastungsneutralität sein). L. Schmidt-Wacker, EStG, § 34a Rn. 1 ff.
Zu beachten ist, dass die sog. Thesaurierungsbegünstigung nicht endgültig ist. 831 Vielmehr kommt es gemäß § 34a Abs. 4 EStG grundsätzlich immer dann zu einer Nachversteuerung, wenn der Saldo der Entnahmen eines Wirtschaftsjahres die geleisteten Einlagen und den ermittelten Gewinn übersteigen. Der Steuersatz beträgt 25 % des Nachversteuerungsbetrages, § 34a Abs. 4 Satz 2 EStG. Die Regelung der Nachversteuerung erweist sich insbesondere in den Krisen- 832 fällen als problematisch, da infolge von Verlusten Überentnahmen vorliegen dürften, sodass es zu Nachversteuerungsbeträgen kommt. Darüber hinaus kommt es in den hier besonders interessierenden Fällen einer 833 Betriebsveräußerung gemäß § 16 Abs. 1 EStG zur Nachversteuerung, § 34a Abs. 6 Nr. 1 EStG. Solche Fälle kommen daher einer Vollausschüttung gleich mit der Folge, dass der Betrag der Nachversteuerung mit eingerechnet werden muss. Neben der Thesaurierungsbesteuerung hat der Gesetzgeber mit 205
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Wirkung zum 1.7.2021 in § 1a KStG Wirtschaftsjahre für ab dem 1.1.2022 eine Option zur Besteuerung als Personengesellschaft eingeführt. Diese Möglichkeit tritt neben die Thesaurierungsoption gemäß § 39a EStG. Brandis/Heuermann-Wackerbeck, KStG, § 1a Rn. 5 ff.
dd) Veräußerung durch Kapitalgesellschaft 834 Bei Kapitalgesellschaften ist der Gewinn aus dem Verkauf eines Betriebes oder Teilbetriebes im Rahmen eines Asset Deals gewerbe- und körperschaftsteuerpflichtig. Dies gilt gemäß § 7 Satz 2 GewStG auch für die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen. Lediglich bei Gewinnen aus der (Mit-)Veräußerung von Grund und Boden, Gebäuden sowie Binnenschiffen kommt die Vermeidung der steuerlichen Gewinnrealisierung durch Bildung einer Rücklage gemäß § 6b EStG unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. 835 Gewinne, die bei der Veräußerung im Rahmen eines Asset Deals erzielt werden, können nicht unbegrenzt mit bestehenden Verlustvorträgen verrechnet werden. 836 Denn die Nutzung steuerlicher Verlustvorträge einer Kapitalgesellschaft richtet sich nach § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10d EStG und unterliegt mithin ebenfalls der sog. Mindestbesteuerung. Danach sind Verluste oder vielmehr Verlustvorträge grundsätzlich nur bis zu 1 Mio. € vollständig mit laufenden Einkünften ausgleichsfähig. In den Veranlagungsjahren 2020 und 2021 wurde der Verlustrücktrag aufgrund der COVID19-Pandemie jeweils auf 10 Mio. € (bei Zusammenveranlagung auf 20 Mio. €) erhöht (vgl. Anwendungsregelung in § 52 Abs. 18b EStG). Übersteigende positive Einkünfte werden nur in Höhe von 60 % durch den verbleibenden Verlustvortrag gemindert. Die Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG kann daher bei einem Asset Deal im Zusammenhang mit der Liquidation der Kapitalgesellschaft zu einer Steuerbelastung trotz entsprechender nomineller Verlustvorträge führen. Unter Umständen sollte der Veräußerungsgewinn daher erst nach dem Liquidationsbeschluss realisiert werden, um im Rahmen der Abwicklungsbesteuerung gemäß § 11 KStG – verlängerter Besteuerungszeitraum bis zu drei Jahre – den Veräußerungsgewinn mit den nachfolgenden Betriebsausgaben im Rahmen der Abwicklung zu verrechnen. Es sollten insoweit die alternativen Steuerszenarien vor dem Liquidationsbeschluss bzw. Asset Deal verglichen werden. 837 Auch in der Insolvenz kann die Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG zu gravierenden Steuerbelastungen führen, wenn im Rahmen der Abwicklungsbesteuerung gemäß § 11 KStG erhebliche Gewinne – z. B. bei Verwertung originärer immaterieller nicht aktivierungsfähiger Vermögensgegenstände (Patente, Lizenzen, etc.) oder Wegfall von Rückstellungen etc. – entstehen. Nach richtiger Auffassung sollte im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung die Mindestbesteuerung insoweit eingeschränkt werden, als sie keine definitive Besteuerung auslöst.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen Vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 18.9.2018 – 6 K 454/15 K, NZI 2018, 990 für die Beschränkung der Mindestbesteuerung im Insolvenzverfahren.
b) Share Deal Im Rahmen der Besteuerung des Share Deals an einer Kapitalgesellschaft ist 838 vorab zwischen verschiedenen Anteilseignern – natürlichen und juristischen Personen – zu differenzieren. aa) Veräußerer ist eine natürliche Person Anteilsveräußerungen natürlicher Personen unterliegen gemäß § 17 EStG im 839 Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mindestens 1 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist) oder Anteilsveräußerungen aus steuerlichem Betriebsvermögen erfolgen. (1) Einkünfte aus Gewerbebetrieb Für die steuerpflichtigen Anteilsveräußerungen natürlicher Personen nach 840 § 17 EStG gilt gemäß § 3 Nr. 40c i. V. m. § 3c Abs. 2 EStG das sog. Teileinkünfteverfahren, wonach 60 % des Veräußerungsgewinns mit dem persönlichen Steuersatz zu besteuern sind. Veräußerungsverluste sind korrespondierend nur zu 60 % steuerlich verwertbar, wobei zusätzlich die Einschränkungen hinsichtlich der Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre bzw. als Gründungsgesellschafter gemäß § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG zu berücksichtigen sind. Vgl. Brandis/Heuermann-Vogt, EStG, § 17 Rn. 773 ff.
Beispiel: X ist zu 100 % an der X-GmbH mit einem Stammkapital in Höhe von 100.000 € beteiligt. Des Weiteren hat X Darlehen mit einem von vornherein vereinbarten Rangrücktritt in Höhe von 1 Mio. € gewährt und sich für das valutierende Kontokorrentdarlehen in Höhe von 200.000 € selbstschuldnerisch verbürgt. Bei Gründung der GmbH waren Beratungs- und Notarkosten in Höhe von 10.000 € bei X entstanden. X vereinbart mit dem Erwerber E die Übertragung der Anteile an der X-GmbH für einen Kaufpreis in Höhe von 50.000 € unter der Bedingung, dass X auf seinen Darlehensanspruch unwiderruflich verzichtet und zudem im Wege der Schuldübernahme das Kontokorrentdarlehen übernimmt (Verkauf „Debt Free“). Die Veräußerungskosten trägt der Erwerber. Lösung: X erzielt folgenden Veräußerungsverlust gemäß § 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 2a EStG: Veräußerungspreis
50.000 €
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
./. Anschaffungskosten X-Anteile ./. Anschaffungsnebenkosten
100.000 € 10.000 €
./. Nachträgliche Anschaffungskosten: ./. Krisendarlehen (§ 17 Abs. 2a Nr. 2 EStG) ./. Bürgschaft/Schuldübernahme
1.000.000 € 200.000 €
(§ 17 Abs. 2a Nr. 3 EStG) Veräußerungsverlust
1.260.000 €
Nach § 3 Nr. 40c Satz 1 EStG sind lediglich 60 % des Veräußerungsverlusts zu berücksichtigen, sodass vorliegend X gemäß § 17 EStG einen Veräußerungsverlust in Höhe von 756.000 € steuerlich geltend machen kann. 841 Ein Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG ermittelt sich entsprechend § 17 Abs. 2 EStG und ist grundsätzlich in dem Jahr zu erfassen, in dem – bei vorangegangener gesellschaftsrechtlicher Auflösung – mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlustes nicht mehr zu rechnen ist. Bei Insolvenz der Gesellschaft ist insoweit nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich erst mit Abschluss des Insolvenzverfahrens der Auflösungsverlust des Anteilseigners gemäß § 17 Abs. 4 EStG realisiert. Ausnahmsweise kann bereits vor Vollbeendigung der Kapitalgesellschaft der Veräußerungsverlust des Anteilseigners realisiert werden, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlustes wegen Vermögenslosigkeit (nur noch geringfügiges Aktivvermögen) der Kapitalgesellschaft nicht mehr zu rechnen ist und die nachträglichen Anschaffungskosten zwecks Ermittlung des endgültigen Auflösungsverlusts bekannt sind. Die bei Insolvenzeröffnung festgestellte Überschuldung reicht dagegen nach Auffassung des BFH nicht aus, obwohl hierdurch dokumentiert wird, dass die Gesellschaft per Saldo vermögenslos ist. Vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 19.11.2019 – IX R 7/19, DStR 2020, 1247 ff BFH, Beschl. v. 3.12.2014 – IX B 90/14, BFH/NV 2015, 493; BFH, Urt. v. 1.7.2014 – IX R 47/13, DStRE 2014, 1230 ff.; BFH, Beschl. v. 8.6.2011 – IX B 157/10, BFH/NV 2011, 1510; BFH, Beschl. v. 29.12.2008 – X B 141/08, BFH/NV 2009, 581; BFH, Beschl. v. 22.11.2005 – VIII B 308/04, BFH/NV 2006, 539 f.; BFH, Urt. v. 21.1.2004 – VIII R 2/02, BStBl. II 2004, 551 ff.; BFH, Urt. v. 25.3.2003 – VIII R 24/02, DStRE 2003, 1025 f.; BFH, Urt. v. 27.11.2001 – VIII R 36/00, BStBl. II 2002, 731 ff.; BFH, Urt. v. 25.1.2000 – VIII R 63/98, BStBl. II 2000, 343 ff.
842 Die vorgenannte Rechtsprechung des BFH ist insbesondere im Zusammenhang mit einem etwaigen Verlustrücktrag gemäß § 10d EStG des Anteilseigners zu berücksichtigen. Die bewusste Realisation eines Veräußerungsverlustes durch Verkauf der Anteile gemäß § 17 EStG kann insoweit steuerlich zwecks Rückerstattung von festgesetzten Einkommensteuern des Vorjahres mittels
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Verlustrücktrags sinnvoll sein. Zudem ist auf der Ebene des Gesellschafters zu prüfen, ob und in welcher Höhe bei diesem noch nachträgliche Anschaffungs- oder sonstige Aufgabekosten angefallen sind. Hinsichtlich des Gesellschafterdarlehens waren bis zum Inkrafttreten des 843 MoMiG zum 1.11.2008 die Grundsätze zum Eigenkapitalersatzrecht zu berücksichtigen. Danach konnte ein bereits vor der Krise (also vor dem Wertloswerden) gewährtes krisenbestimmtes Darlehen (z. B. aufgrund vorherigen qualifizierten Rangrücktritts) zum Nominalwert als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung berücksichtigt werden. Mit Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts durch das MoMiG ist nach der Rechtsprechung des BFH die Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten „eigenkapitalersetzender“ Gesellschafterdarlehen entfallen und stellen mithin grundsätzlich steuerrechtlich keine nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters im Rahmen des § 17 EStG mehr dar. BFH, Urt. v. 11.7.2017 – IX R 16/15, ZIP 2017, 1905 = BStBl. II 2019, 208 ff.; BFH, Urt. v. 20.7.2018 – IX R 5/15, ZIP 2018, 2407=BStBl. II 2019, 194 ff.; BFH, Urt. v. 14.1.2020 – IX R 9/18, ZIP 2020, 1613=BStBl. II 2020, 419 ff.
Für Altfälle sind aus Vertrauensschutzgründen weiterhin die bisherigen Grund- 844 sätze anzuwenden, wonach der Ausfall bis zum 27.9.2017 gewährter eigenkapitalersetzender Finanzierungshilfen zu nachträglichen Anschaffungskosten führt. BMF-Schreiben v. 5.4.2019 – IV C 6 – S 2244/08/10001, BStBl. I 2019, 257.
Der Gesetzgeber hat daraufhin im Jahressteuergesetz 2019 in § 17 Abs. 2a EStG 845 die nachträglichen Anschaffungskosten gesetzlich definiert. Danach können Gesellschafter nunmehr gemäß § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG auch ihre Darlehensverluste oder Verluste aus Bürgschaftsregressforderungen bzw. sonstigen Sicherheiten als nachträgliche Anschaffungskosten geltend machen, sofern diese gesellschaftsrechtlich veranlasst sind. Nach § 52 Abs. 25a EstG ist die Neuregelung des § 17 Abs. 2a EStG erstmals für Veräußerungen und für Auflösungsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31.7.2019 realisiert werden. Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451; vgl. hierzu Ratschow, GmbHR 2020, 569 ff; Förster/von Cölln/Lentz, DB 2020, 533 ff.; Krumm, FR 2020, 197 ff.; Werth, FR 2020, 530 ff.; Graw, DB 2020, 690 ff.; Fuhrmann, NWB 2020, 150 ff.
Die gesellschaftsrechtliche Veranlassung ist auf der Grundlage eines Fremd- 846 vergleichs anhand der Umstände des Einzelfalls und einer wertenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob ein fremder Dritter zum Zeitpunkt der Darlehenshingabe oder des Kriseneintritts unter sonst gleichen Umständen ebenso wie der Gesellschafter gehandelt hätte. Ist dies zu verneinen, so liegt die gesellschaftsrechtliche Veranlassung vor. Liegt keine 209
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gesellschaftsrechtliche Veranlassung vor oder ist der Gesellschafter weniger als 1 % an der Gesellschaft beteiligt, so kann der Darlehensverlust nur im Rahmen der Kapitaleinkünfte gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG geltend gemacht werden. L. Schmidt-Levedag, EStG, § 20 Rn. 259.
847 In der Praxis empfiehlt sich aus daher steuerlichen Gründen weiterhin für Gesellschafter eine vertragliche Krisenbestimmung des Darlehens zu vereinbaren, um steuerlich im Verlustfall die gesellschaftsrechtliche Veranlassung zu dokumentieren und den Nominalwert des Darlehens im Verzichtsfall geltend zu machen. (2) Einkünfte aus Kapitalvermögen 848 Werden die Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit weniger als 1 % im Privatvermögen gehalten, so führen sie zu Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. v. § 20 Abs. 2 EStG und unterliegen der Abgeltungssteuer in Höhe von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag. bb) Veräußerer ist eine Kapitalgesellschaft 849 Die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften ist grundsätzlich gemäß § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei, sofern nicht zuvor eine steuerwirksame Teilwertabschreibung vorgenommen wurde. Nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG gelten jedoch 5 % des Veräußerungsgewinns als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben, sodass letztlich nur 95 % des Veräußerungsgewinns steuerfrei bleiben. Die tatsächlichen Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der Veräußerung bleiben dafür nach § 8b Abs. 3 Satz 2 KStG voll steuerlich abzugsfähig. Die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen erstreckt sich gemäß § 7 Satz 4 GewStG auch auf die Gewerbesteuer, systematisch korrespondiert wiederum gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG die steuerliche Irrelevanz von Veräußerungsverlusten und Teilwertabschreibungen. 2. Steuerliche Interessen des Erwerbers in der Krise 850 Auch im Rahmen der steuerlichen Erwägungen auf der Erwerberseite ist zwischen dem Kauf des Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals sowie dem Kauf der Gesellschaftsanteile im Rahmen eines Share Deals grundlegend zu differenzieren. a) Asset Deal 851 Der Erwerber ist steuerlich im Rahmen eines Asset Deals daran interessiert, dass der Erwerb von Einzelwirtschaftsgütern die Transformation des Kaufpreises in zukünftig steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben – insbesondere durch planmäßige Abschreibungen – ermöglicht. Der Erwerber hat insoweit den Gesamtkaufpreis auf die einzelnen Wirtschaftsgüter sachgerecht aufzu-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
teilen. Im Allgemeinen richtet sich die Aufteilung nach der vereinbarten Preisabsprache, die jedoch den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen muss. Entspricht die Aufteilung nicht einem objektiv gerechtfertigten Maßstab, so sind die Anschaffungskosten beim Erwerber grundsätzlich entsprechend § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG im Verhältnis der Teilwerte aufzuteilen. Im Einzelnen ist beim Asset Deal auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 7 EStG 852 unter Anwendung der sog. „Stufentheorie“ beim Erwerber die Aufteilung des Kaufpreises auf die einzelnen Wirtschaftsgüter in folgenden Stufen vorzunehmen: 1. Aktivierung der übernommenen beim Verkäufer bilanzierten (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgüter bis zu ihrem jeweiligen Teilwert; wenn die Anschaffungskosten kleiner als die Summe der Teilwerte sind, dann gleichmäßige anteilige Aktivierung im Verhältnis der stillen Reserven; 2. Aktivierung der nicht bilanzierten (selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter [als entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter]), wenn der Kaufpreis nicht bereits verteilt ist; 3. Aktivierung des darüber hinaus gezahlten Kaufpreises als Geschäftswert; 4. ausnahmsweise ist, sofern ein Geschäftswert nachweislich nicht existiert, ein dann noch verbleibender Mehrbetrag sofort als Betriebsausgabe abzugsfähig. Förster/Förster, WpG 2018, 986 f.; zum Erwerb der Mitunternehmerschaft vgl. L. Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rn. 461 ff., 490 m. w. N.
Nach der sog. „modifizierten“ Stufentheorie sind die stillen Reserven in Hö- 853 he des die Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter übersteigenden Gesamtkaufpreises auf alle Wirtschaftsgüter entweder proportional im Verhältnis der stillen Reserven zu verteilen oder es ist der Gesamtkaufpreis im Verhältnis der Teilwerte aller bilanzierungspflichtigen Wirtschaftsgüter aufzuteilen. BFH, Urt. v. 18.2.1993 – IV R 40/92, BStBl. II 1994, 224 ff.; Förster/Brinkmann, BB 2003, 657, 659; Hörger/Stobbe, DStR 1991, 1230; Siegel, DStR 1991, 1477 f.; L. Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rn. 462 und 490 m. w. N.
Die Anwendung der modifizierten Stufentheorie führt im Gegensatz zur 854 klassischen Stufentheorie grundsätzlich zu einem früheren Ansatz von immateriellen Wirtschaftsgütern beim Erwerber des Unternehmens. Diese entgeltlich erworbenen immateriellen Wirtschaftsgüter sind regelmäßig deutlich schneller steuerlich abzuschreiben als materielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit längeren Nutzungsdauern (z. B. Gebäude). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die vorrangige Aufteilung in dem klassischen Stufenverfahren grundsätzlich zu einer sicheren Beurteilung der Bewertung der Wirt211
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
schaftsgüter führt. Insbesondere die isolierte Bewertung des Geschäftswerts ist bei Anwendung der modifizierten Stufentheorie erforderlich, wohingegen sich dieser bei Anwendung der klassischen Stufentheorie ausschließlich als Restgröße (Residualwert) ermittelt. 855 Im Ergebnis entspricht die Anwendung der klassischen Stufentheorie derzeit noch der Auffassung der Finanzverwaltung und ist danach wie folgt anzuwenden: Beispiel: V überträgt im Wege des Asset Deals seinen Gewerbebetrieb einschließlich der betrieblichen Verbindlichkeiten auf S. S verpflichtet sich gegenüber V zu einer Kaufpreiszahlung in Höhe von 2,5 Mio. €. Die Bilanz des Gewerbebetriebes zum Übertragungszeitpunkt stellt sich wie folgt dar: Buchwert (in €)
(Teilwert) (in €)
Geschäfts- oder Firmenwert
–
(2 Mio.)
Kapital
Anlagevermögen
4 Mio.
(5 Mio.)
Verbindlichkeiten 7 Mio.
Umlaufvermögen 5 Mio.
(5 Mio.)
Rückstellungen
9 Mio.
12 Mio.
Buchwert (in €) 1 Mio.
1 Mio. 9 Mio.
Lösung: Zum Erwerb des Betriebs wendet S 2,5 Mio. € auf. V erzielt durch die entgeltliche Übertragung seines Betriebs einen nach §§ 16, 34 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von 1,5 Mio. € (Veräußerungsentgelt 2,5 Mio. €./. Betriebsvermögen 1 Mio. €). S hat V neben dem Kapitalkonto von 1 Mio. € auch die bisher nicht aufgedeckten stillen Reserven bezahlt (vgl. BFH, Urt. v. 10.7.1986 – IV R 12/81, BStBl. II 1986, 811 ff.). Für S ergeben sich folgende Wertansätze: Im Anlage- und Umlaufvermögen sind folgende stille Reserven enthalten: Anlagevermögen
1 Mio. €
Umlaufvermögen
0 Mio. € 1 Mio. €
Diese stillen Reserven werden vollständig aufgedeckt. Zu einer Aufdeckung der in dem von V selbst geschaffenen Geschäfts- und Firmenwert enthaltenen stillen Reserven kommt es dagegen nur anteilig in Höhe von 0,5 Mio. €.
212
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Die Eröffnungsbilanz des S lautet: Geschäfts- oder Firmenwert
0,5 Mio. €
Anlagevermögen
5 Mio. €
Umlaufvermögen
5 Mio. € 10,5 Mio. €
Kapital
2,5 Mio. €
Verbindlichkeiten
7 Mio. €
Rückstellungen
1 Mio. € 10,5 Mio. €
Im Ergebnis sollte der Erwerber die Verteilung des Kaufpreises auf die Wirt- 856 schaftsgüter als sog. „Purchase Price Allocation“ möglichst als Preisabsprache mit dem Verkäufer vereinbaren. Diese Vereinbarung darf steuerlich nicht missbräuchlich sein, sondern muss auf den ernstlich gewollten sowie wechselseitigen Interessen der Vertragsparteien auf Basis der realen Wertverhältnisse beruhen. Auch wenn die Aufteilung des Gesamtkaufpreises auf die einzelnen übernommenen Wirtschaftsgüter nicht mit dem Verkäufer im Rahmen des Kaufvertrages vereinbart wird, sollte die konkrete Aufteilung im Interesse des Erwerbers sorgfältig dokumentiert werden (z. B. durch Gutachten eines Sachverständigen oder Einholung von Drittangeboten), um bei späteren Betriebsprüfungen gegenüber der Finanzverwaltung schlüssig und überzeugend argumentieren zu können. Im Rahmen eines Asset Deals aus der Insolvenz ist zudem zu berücksichtigen, 857 dass der Insolvenzverwalter auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 151 InsO ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse aufzustellen hat, wobei er für jeden Gegenstand einen Fortführungs- und einen Zerschlagungswert anzugeben hat. Diese Werte werden in der Praxis regelmäßig von Sachverständigen bzw. Verwertungsunternehmen im Auftrag des Insolvenzverwalters ermittelt und können mithin bei Offenlegung gegenüber dem Erwerber im Rahmen der Ermittlung des objektiv gerechtfertigten Aufteilungsmaßstabs der stillen Reserven genutzt werden. Der Insolvenzverwalter kann insoweit auch das notwendige Betriebsvermögen steuerlich zu den Fortführungswerten in eine neue Auffanggesellschaft der Insolvenzmasse einbringen und hierdurch später im Rahmen der Veräußerung der Anteile an der Auffanggesellschaft mittelbar Abschreibungspotenzial in Höhe der eingebrachten Wirtschaftsgüter mit übertragen. Dies ist insbesondere dann steuerlich optimiert, wenn der Kaufpreis für die Anteile – z. B. wegen Übernahme von Dauerschuldverpflichtungen – niedriger ist als die Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter. In den Fällen, in denen der Kaufpreis für das Unternehmen im Rahmen des 858 unmittelbaren Asset Deals unterhalb der Summe der erworbenen beim Veräußerer bereits bilanzierten Wirtschaftsgüter liegt, führt dies zu einer entsprechenden Abstockung der Bilanzansätze der erworbenen Wirtschaftsgüter. Die Abstockung führt im Ergebnis zu einer niedrigeren Abschreibungsbe-
213
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
messungsgrundlage für die erworbenen Wirtschaftsgüter. Die Bilanzierung eines negativen Firmenwertes statt der anteiligen Abstockung von den Teilwerten der erworbenen Wirtschaftsgüter wird grundsätzlich abgelehnt. BFH, Urt. v. 21.4.1994 – IV R 70/92, BStBl. II 1994, 745 ff.; L. Schmidt-Weber-Grellet, EStG, § 5 Rn. 226.
859 Die Abstockung kommt selbstverständlich nicht für Wirtschaftsgüter in Betracht, die kurzfristig liquidierbar sind und denen keine greifbaren Bewertungsunsicherheiten innewohnen. Dies gilt neben Bargeldbeständen grundsätzlich auch für Buchgeldforderungen, Kontokorrentguthaben, Termingelder und börsennotierte Wertpapiere (etc.). In der Praxis wird wirtschaftlich ein etwaiger negativer Kaufpreis durch entsprechende Erhöhung des „Barvermögens“ als zusätzliche Ausstattung des verkauften Unternehmens realisiert. Bei einem tatsächlichen rechtlich vereinbarten negativen Kaufpreis soll ausnahmsweise ein passiver Ausgleichsposten beim Erwerber in Betracht kommen, der dann ggf. als negativer Geschäftswert in den nächsten 15 Jahren pro rata analog § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG aufgelöst wird. BFH, Urt. v. 24.6.2006 – I R 49, 50/04, BStBl. II 2006, 656 ff. = DStR 2006, 1313; 1315 f. m. Anm. Hoffmann.
860 Der Insolvenzverwalter kann alternativ bereits das notwendige Betriebsvermögen steuerlich zu den Fortführungswerten in eine neue Auffanggesellschaft der Insolvenzmasse einbringen und hierdurch später im Rahmen der Veräußerung der Anteile an der Auffanggesellschaft mittelbar Abschreibungspotenzial in Höhe der eingebrachten Wirtschaftsgüter an den Erwerber mit übertragen. Eine Abstockung wie beim direkten Asset Deal ist steuerlich nicht zwingend, wenn der Kaufpreis für die Anteile wegen Übernahme von Dauerschuldverpflichtungen (Arbeitnehmer, sonstige Vertragsverpflichtungen) niedriger ist als die Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter. Dies kann zu einer steuerlichen Optimierung zugunsten des Erwerbers führen. 861 Steuerlich kann der Erwerber im Rahmen des Asset Deals eine Abschreibungsbeschleunigung durch eine optimierte Zuordnung der stillen Reserven auf schnell abschreibbare Wirtschaftsgüter bewirken. Der Erwerber sollte insoweit insbesondere prüfen, ob das erworbene Unternehmen über selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt, da diese Wirtschaftsgüter der zweiten Stufe vielfach eine wesentlich kürzere Nutzungsdauer gegenüber den bereits bilanzierten materiellen Wirtschaftsgütern der ersten Stufe und gegenüber dem Geschäftswert der dritten Stufe aufweisen, da der Geschäftswert gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG planmäßig über 15 Jahre abzuschreiben ist. Folgende Wirtschaftsgüter weisen eine relativ kurze Nutzungsdauer auf und eignen sich insoweit zur Optimierung der Abschreibungsbeschleunigung: x
214
Geringwertige Wirtschaftsgüter gemäß § 6 Abs. 2 EStG können bereits im Jahr des Erwerbs sofort abgeschrieben werden (gebrauchte selbstständig nutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstel-
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
lungskosten bis zu 800,00 € ohne Umsatzsteuer. (alternativ besteht ein Wahlrecht gemäß § 6 Abs. 2a EStG einen Sammelposten für Wirtschaftsgüter mit Nettoanschaffungskosten von 150 – 1.000 € zu bilden und auf fünf Jahre mit 20 % pro Jahr abzuschreiben); x
Schutzrechte (Patente, Markenrechte, Geschmacksmuster, Urheberrechte, etc.) mit einer Nutzungsdauer zwischen fünf bis acht Jahren;
x
Auftragsbestand, der ein eigenständiges Wirtschaftsgut darstellt und mit seiner Abwicklung des jeweiligen Auftrags erfolgswirksam „abgeschrieben“ wird. Die Bewertung kann durch Ansatz einer pauschalen Umsatzrendite auf den übernommenen Auftragsbestand unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte aus der Vergangenheit oder durch konkrete Kalkulation jedes einzelnen Auftrags vorgenommen werden;
x
Vorratsvermögen, eine hohe Bewertung der Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens kann zu einer „Sofortabschreibung“ innerhalb eines Geschäftsjahres führen, wenn dieses Vorratsvermögen vollständig umgeschlagen werden kann.
Im Gegensatz zu den vorgenannten relativ kurzfristig als Aufwand zu be- 862 rücksichtigenden Wirtschaftsgütern ist die Bewertung von folgenden Wirtschaftsgütern aus Sicht des Erwerbers eher möglichst gering vorzunehmen: x
Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, die nur einer eventuellen Teilwertabschreibung unterliegen und zudem bei Kapitalgesellschaften zu keinem steuerlichen Aufwand führen;
x
Grund und Boden, der ebenfalls keiner planmäßigen Abschreibung, sondern nur einer eventuellen Teilwertabschreibung unterliegt;
x
Gebäude, die regelmäßig auf einen Zeitraum von 40 – 50 Jahren abzuschreiben sind;
x
Geschäfts-/Firmenwert, der steuerlich auf 15 Jahre abzuschreiben ist.
Zur Präferenz-Liste der Kaufpreisverteilung aus Sicht des Erwerbers vergleiche
863
Vgl. Holzapfel/Pöllath/Bergjahn/Engelhardt, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 230 ff.
Des Weiteren kann im Rahmen der Neufestlegung der Restnutzungsdauern 864 der erworbenen Wirtschaftsgüter ein gewisser Gestaltungsspielraum für den Erwerber genutzt werden. b) Nutzung steuerlicher Verlustvorträge beim Share Deal Die Nutzung steuerlicher Verlustvorträge ist sowohl beim konsensualen 865 distressed Share Deal als auch im Rahmen eines Restrukturierungs- oder Insolvenzplanverfahrens mit Einbezug der Anteilseigner und Bewirkung eines steuerlich schädlichen Anteilseignerwechsels zu berücksichtigen. Die Nut-
215
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
zung steuerlicher Verlustvorträge einer Kapitalgesellschaft richtet sich nach § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10d EStG. Zusätzlich ist die Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG zu berücksichtigen, womit der Gesetzgeber das Ziel einer einfacheren und zielgenaueren Neuregelung der Verlustnutzung bei Körperschaften gegenüber der vorherigen Mantelkaufregelung in § 8 Abs. 4 KStG a. F verfolgte. Es wurde daher auf das schwer zu beurteilende Tatbestandsmerkmal einer Missbrauchsregelung verzichtet. Die Vorschrift des § 8c KStG soll trotzdem weiterhin einen missbräuchlichen Handel mit Verlusten und Verlustvorträgen dadurch unterbinden, dass die Verlustnutzung unmittelbar an die wirtschaftliche Verfügungsgewalt der Anteilseigner geknüpft wird. Maßgebliches Kriterium soll nunmehr allein der Beteiligungserwerb sein. Das körperschaftliche Trennungsprinzip wird insoweit gegenüber der vorherigen Regelung in § 8 Abs. 4 KStG a. F. noch stärker durchbrochen, da nunmehr ausschließlich auf den Beteiligungserwerb abgestellt wird und die Körperschaft selbst hierauf keinerlei Einfluss hat. Mithin liegt der Vorschrift der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft allein durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners oder Anteilseignerkreises ändert. Die Vorschrift unterbindet deshalb die Nutzung aufgelaufener Verluste, wenn ein Erwerber, eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen oder ihnen nahestehende Personen eine Beteiligung von mehr als 50 % an der steuerpflichtigen Körperschaft übernehmen, indem die Verluste grundsätzlich überhaupt nicht mehr abgezogen werden können. 866 Der Gesetzgeber hatte ursprünglich noch zusätzlich eine Regelung in § 8c KStG eingeführt, wonach bei der unmittelbaren Übertragung von mehr als 25 % und bis zu 50 % des gezeichneten Kapitals innerhalb von fünf Jahren wegen eines schädlichen Beteiligungserwerbs Verlustvorträge anteilig nicht mehr abziehbar sind. Diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht allerdings in seiner Entscheidung vom 29.3.2017 auf Vorlage des FG Hamburg als verfassungswidrig festgestellt, da mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094; auf Vorlage des FG Hamburg, Vorlagebeschl. v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 ff., m. Anm. Ernst, DB 2011, 1259 f.; vgl. auch FG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012 – 6 V 87/12, DStRE 2013, 281 ff.
867 Maßgeblich sei insoweit, die erhebliche Einschränkung der Nutzung von Verlustvorträgen als Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. In der zugrunde gelegten Konstellation führte der anteilige Untergang von Verlustvorträgen wegen eines Beteiligungserwerbs in Höhe von 48 % in Kombination mit einer anschließenden Liquidation der betreffenden Gesellschaft zu einer Steuerlast, obwohl die betreffende Gesellschaft insgesamt keinen »Totalgewinn« erzielte. Mithin führte der Wegfall der Verlustvorträge zu Definitiveffekten und zu einem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip im Rahmen der abschnittsübergreifenden Besteuerung. Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass 216
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
zwar die Vermeidung des missbräuchlichen Handels mit Verlustvorträgen ein legitimer Zweck sei, jedoch der alleinige Anknüpfungspunkt an den Beteiligungserwerb von mehr als 25 % und bis zu 50 % als generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelung nicht sachgerecht sei. Bei Übertragung einer Minderheitsbeteiligung ohne maßgeblichen Einfluss auf die Verlustnutzung könne die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft gerade nicht nur durch die Person eines Minderheitsgesellschafters bestimmt werden. Der Gesetzgeber hat aufgrund der vorgenannten Bundesverfassungsgerichts- 868 entscheidung im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 den bisherigen § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zum schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 25 % bis zu 50 % ersatzlos aufgehoben. Diese Aufhebung gilt gemäß § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG rückwirkend für den Veranlagungszeitraum 2008 betreffend Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2007. BGBl. I 2018, 2338.
Mithin kann in sämtlichen noch nicht bestandskräftigen Fällen aus den Jahren 869 2008 bis 2018 rückwirkend beantragt werden, dass die Aberkennung eines quotalen Verlustvortrags aufzuheben ist. Bei bestandskräftigen Fällen gilt dies allerdings nicht, da die rückwirkende Gesetzesänderung kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist und die gesetzliche Regelung in § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG keine entsprechende, die Bestandskraft durchbrechende Regelung enthält. Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 175 Rn. 80 m. w. N.; Förster/Hechtner, DB 2019, 10, 12 f.
Im Ergebnis wurde jedoch an dem grundsätzlichen Konzept der Regelungen 870 zum Wegfall der Verlustabzüge gemäß §§ 8c, 8d KStG betreffend den schädlichen Beteiligungserwerb von über 50 % festgehalten. Es bleibt aber auch hinsichtlich der geltenden Verlustabzugsbeschränkung 871 gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG betreffend den Erwerb von mehr als 50 % an der Kapitalgesellschaft fraglich, ob die wirtschaftliche Identität der entsprechenden Kapitalgesellschaft überhaupt allein von den jeweiligen Anteilseignern abhängt und nicht primär durch den Unternehmensgegenstand und das Betriebsvermögen bestimmt wird. Das FG Hamburg hat insoweit nachfolgend nunmehr auch die etwaige Verfassungswidrigkeit dieser Regelung betreffend den schädlichen Beteiligungserwerb von über 50 % dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Es wird zutreffend auf das Trennungsprinzip hingewiesen, wonach die Kapitalgesellschaft das Besteuerungssubjekt ist und selbst keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Anteilseigner hat und dieses Kriterium allein daher sachlich nicht gerechtfertigt sei. FG Hamburg, Vorlagebeschl. v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, DStR 2017, 2377.
217
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
872 Weiterhin umstritten und vom BFH dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt, ist zudem die Konstellation, in welcher der Untergang von Verlustvorträgen in Kombination mit der Mindestbesteuerung zu Definitiveffekten führt. BFH, Beschl. v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016 ff.
873 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn aufgrund eines Anteilseignerwechsels nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG Verlustvorträge untergehen, die in der Vergangenheit nur aufgrund der Mindestbesteuerung noch nicht und in der Zukunft aufgrund des Wegfalls des Verlustvortrages wegen des schädlichen Anteilseignerwechsels nie mehr ausgenutzt werden können. 874 Schon der Bundesrat – der dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 zwar zugestimmt hat – hatte insoweit hervorgehoben, dass die Norm des § 8c KStG geeignet sei, dem Grundanliegen des Körperschaftsteuerrechts zu widersprechen, wenn durch die Norm wirtschaftlich sinnvolle Transaktionen verhindert werden. Vgl. BR-Drucks. 384/07 (B), 3.
875 Die Regelung § 8c KStG enthielt zunächst auch kein Sanierungsprivileg mehr. Um Sanierungen nicht durch den Untergang von Verlustvorträgen zu erschweren, wurde § 8c KStG im Jahre 2009 dann doch mit Rückwirkung um eine Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) ergänzt. BGBl. I 2009, 1959, 1968 sowie Aufhebung der zeitlichen Befristung durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950, 3952.
876 Diese wurde allerdings aufgrund des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 AEUV mit Rückwirkung bis einschließlich 2008 vorläufig für nicht mehr anwendbar erklärt, da die Sanierungsklausel eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe i. S. d. Art 107 Abs. 1 AEUV sei. Maßgeblich war aus Sicht der Kommission, dass der Wegfall von Verlustvorträgen beim Beteiligungserwerb gemäß § 8c KStG in Deutschland als allgemeine Grundregel das zugrunde zu legende relevante Referenzsystem sei und der Erhalt von Verlustvorträgen im Rahmen der Sanierungsklausel insoweit eine Ausnahme im deutschen Steuerrecht. Diese Ausnahme habe selektiven Charakter und sei ohne anderweitige Rechtfertigung eine verbotene Beihilfe. Europäische Kommission, Beschl. v. 26.1.2011 – C 7/2010, K(2011) 275; hierzu Dörr, NWB 2011, 690 ff.; Drüen, DStR 2011, 289 ff.
877 Der EuGH hat schließlich mit Urteil vom 28.6.2018 entsprechend dem Schlussantrag des Generalanwalts vom 20.12.2017 den Beschluss der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 zur unzulässigen Beihilfe der Sanierungsklausel für nichtig erklärt.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen EuGH, Urt. v. 28.6.2018 – C-203/16 P, ZIP 2018, 1345; zuvor EuGH-Schlussanträge GA Wahl v. 20.12.2017 – C-203/16 P, DStRK 2018, 55.
Auf Basis der vorgenannten EuGH-Entscheidung hat die Bundesregierung 878 im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 die Sanierungsklausel gemäß § 34 Abs. 6 Satz 3 und 4 KStG wieder eingeführt, sodass § 8c Abs. 1 a KStG rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2008 betreffend Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 auf sämtliche nicht bestandskräftige Fälle anwendbar ist. Mithin kann in sämtlichen noch nicht bestandskräftigen Fällen aus den Jahren 2008 bis 2018 rückwirkend beantragt werden, dass die Aberkennung eines Verlustvortrags wegen Erfüllung der materiellen Voraussetzungen der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG aufzuheben ist. Etwaige als Beihilfe abgeführte Steuerzahlungen sind insoweit zu erstatten. Bei bestandskräftigen Fällen gilt dies allerdings nicht, da die rückwirkende Gesetzesänderung kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist und die gesetzliche Regelung in § 34 Abs. 6 Satz 3 und 4 KStG keine entsprechende, die Bestandskraft durchbrechende Regelung enthält Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 175 Rn. 80 m. w. N.
Für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2009 sind zudem die Rückaus- 879 nahmen vom Wegfall des Verlustvortrags gemäß § 8c Abs. 1 Satz 4 – 8 KStG betreffend eine Konzernklausel sowie eine allgemeine Verschonungsregelung in Höhe der im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven der Körperschaft zu berücksichtigen. aa) Tatbestand des § 8c KStG im Einzelnen Im Rahmen von § 8c KStG kommt es gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG grund- 880 sätzlich zum vollständigen Untergang des Verlustabzuges, wenn mehr als 50 % der Anteile oder Stimmrechte übertragen werden. Auch diese Regelung könnte wie bei dem quotalen Verlustabzug bei Übertragung von mehr al 25 % bis 50 % verfassungswidrig sein. Vgl. FG Hamburg, Vorlagebeschl. v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, DStR 2017, 2377.
Allerdings ist seit 2016 im Zusammenhang mit der Regelung in § 8c KStG 881 zusätzlich die Neuregelung zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag gemäß § 8d KStG zu berücksichtigen, wonach die Nutzung des Verlustvortrags trotz eines Beteiligungserwerbs (auch bei 100 %) unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag der Körperschaft als fortführungsgebundener Verlustvortrag weiterhin genutzt und mit künftigen Gewinnen verrechnet werden kann. Wegen dieser Neuregelung könnte ab 2016 insgesamt eine verfassungsgemäße Gesamtregelung vorliegen, da bei Nutzung dieses fortführungsgebundenen Verlustvortrags der Eingriff in den Grundsatz des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips im Rahmen der Besteuerung vermieden wird.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
882 Der Umfang des untergehenden Verlustes bestimmt sich nach dem Wortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, wonach bei einem schädlichen Anteilseignerwechsel eine stichtagsbezogene Einschränkung der Verlustverrechnung normiert wird. Diese Rechtsfolge tritt in dem Wirtschaftsjahr ein, in dem die schädliche Beteiligungsgrenze überschritten wird. Kommt es zur Überschreitung der 50 %-Grenze, so geht in diesem Wirtschaftsjahr der Verlustvortrag vollständig unter und der bis zu diesem Stichtag entstandene laufende Verlust ist nicht mit späteren Gewinnen verrechenbar. Verluste, die bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs entstanden sind, dürfen insoweit nicht mehr mit danach entstandenen Gewinnen verrechnet werden. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 31 mit einer Beispielsberechnung.
883 Nach der Rechtsprechung des BFH bleiben bei einem unterjährigen schädlichen Anteilseignerwechsel die bis zum Stichtag erwirtschafteten Gewinne und Verluste verrechenbar. BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11, DStR 2012, 458 ff.
884 Mittlerweile hat sich auch die Finanzverwaltung dieser Auffassung angeschlossen, sodass gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG unstreitig lediglich die Verrechnung von Verlustvorträgen und etwaigen laufenden unterjährigen Verlusten bis zum Stichtag des schädlichen Beteiligungserwerbs mit Gewinnen nach diesem Stichtag ausgeschlossen ist. Das Ergebnis zu dem maßgeblichen Stichtag ist nach wirtschaftlichen Kriterien regelmäßig mittels eines nach den Regeln des Jahresabschlusses erstellten Zwischenabschlusses zu ermitteln. Da es auf die Ermittlung des anteiligen Einkommens für den jeweiligen Zeitraum ankommt, sind zusätzlich etwaige außerbilanzielle Korrekturen vorzunehmen. Die Finanzverwaltung lässt auch eine Schätzung anhand betriebswirtschaftlicher Auswertungen oder eine zeitanteilige Aufteilung zu, sodass insoweit ein faktisches Wahlrecht besteht. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 35; Gläser/Zöller, BB 2018, 87, 89 f.
885 Die Nutzung des steuerlichen Verlustvortrags in Höhe des bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschafteten unterjährigen Gewinns ist auch dann möglich, wenn wegen Verlusten nach dem Beteiligungserwerb insgesamt im gesamten Wirtschaftsjahr ein niedrigerer Gewinn erzielt wird als im Zeitraum vor dem schädlichen Beteiligungserwerb. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 34.
886 Die Regelungen für die Mindestbesteuerung sind für die Ermittlung der Höhe des verbleibenden Verlustvortrags unbeachtlich, sodass beispielsweise bei einem anteiligen Gewinn von 10 Mio. € im Rumpfwirtschaftsjahr bis zum schädlichen Anteilseignerwechsel bis zu dieser Höhe der maximal verbleibende Verlustvortrag festzustellen ist. Dieser verbleibende Verlustvortrag kann dann aber nur begrenzt unter Berücksichtigung der Mindestbesteue-
220
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
rung vom Jahresgewinn im Veranlagungszeitraum abgezogen und ggf. weiter vorgetragen werden. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 34, Beispiel 6.
Im Rahmen einer steuerlichen Organschaft gemäß §§ 14 ff. KStG ist die Ver- 887 lustabzugsbeschränkung des § 8c KStG auf der Ebene des Organträgers sowie auf der Ebene der Organgesellschaft jeweils getrennt anzuwenden. Bei einem schädlichen Beteiligungserwerb auf der Ebene des Organträgers unterliegt danach regelmäßig auch das noch nicht zugerechnete negative Organeinkommen der Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen die vorgenannten Grundsätze zur Berücksichtigung eines unterjährig bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschafteten Gewinns nicht bei Organgesellschaften zur Anwendung kommen. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 38, vgl. auch Neumann/Heuser, GmbHR 2018, 21, 28.
Nach dieser Auffassung wird das negative Einkommen der Organgesellschaft 888 erst zum Ende des Veranlagungszeitraums zugerechnet und aufgrund des unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerbs scheide eine Zurechnung dieses Einkommens bzw. des unterjährigen anteiligen Ergebnisses aus. Diese Auffassung ist abzulehnen, da entsprechend den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung zum unterjährigen Erwerb auch bei Organschaften eine Ergebnisabgrenzung bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nach dem Sinn und Zweck des § 8c KStG im Zusammenhang mit dem Grundgedanken der Organschaft zu erfolgen hat. Daher ist nach richtiger Auffassung auch im Rahmen der Anwendung des § 8c KStG auf die Organschaft das saldierte Organschaftsergebnis bis zum schädlichen Beteiligungserwerb zu ermitteln und hinsichtlich der Rechtsfolgen der Veränderung der wirtschaftlichen Identität entsprechend anzuwenden. Vgl. Herrmann/Heuer/Raupach-Suchanek, KStG, § 8c Rn. 32b; ebenfalls kritisch zum BMF-Schreiben insoweit Gläser/Zöller, BB 2018, 87, 90; Sommer/Sediqi, FR 2018, 67, 69f.; Weiss/Brühl, DStZ 2018, 451, 457.
Die Verlustabzugsbeschränkung erfasst kraft Verweisung in § 8a Abs. 1 Satz 3 889 KStG auch den Zinsvortrag im Rahmen der Zinsschrankenregelung gemäß § 4h Abs. 1 EStG sowie die gewerbesteuerlichen Fehlbeträge gemäß § 10a Satz 10 GewStG. Beim unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb wendet die Finanzverwaltung nunmehr auch die Grundsätze zur wirtschaftlichen Aufteilung uneingeschränkt an. Vgl. Oberste Finanzbehörden der Länder, Gleichlautender Erlass v. 29.11.2017, DStR 2017, 2678.
221
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bb) Anteilsübertragung und vergleichbare Sachverhalte gemäß § 8c KStG 890 Der schädliche Beteiligungserwerb ist in § 8c Satz 1 KStG legaldefiniert. Danach liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb vor, wenn 1. innerhalb von fünf (Zeit-)Jahren, mittelbar oder unmittelbar, mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschafts-, Beteiligungs- oder der Stimmrechte an einer (auch beschränkt steuerpflichtigen) Körperschaft an einen (einzigen) Erwerber oder diesem nahestehenden Personen oder eine Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen übertragen werden oder 2. ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt (Auffangtatbestand). 891 Gegenstand einer schädlichen Übertragung sind vornehmlich Beteiligungen am Nenn- oder Stammkapital, gleichsam aber auch „Mitgliedschaftsrechte“, also aus der Anteilseignerstellung erwachsene Rechte, insbesondere Verwaltungsrechte (z. B. Teilnahme an Versammlungen, Stimmrechte, Auskunfts-, Einsichtsrechte) sowie Vermögensrechte (z. B. Teilhabe am Gewinn und Liquidationserlös). Betroffen sind darüber hinaus „Beteiligungsrechte“, um auch Verwaltungs- und Vermögensrechte von Nichtkapitalgesellschaften (z. B. Genossenschaften) erfassen zu können. Maßgeblich für die schädliche Übertragung ist vornehmlich der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen der Körperschaft. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 6.
892 Neben dem unmittelbaren Erwerb wird auch der mittelbare Erwerb von § 8c KStG erfasst. Beim unmittelbaren Erwerb, der mittelbar zu keiner Änderung der Beteiligungsquote führt, ist die Konzernklausel des § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG zu berücksichtigen. Bereits vor Einführung der Konzernklausel war § 8c KStG bei Verkürzung der Beteiligungskette ohne Änderung der mittelbaren Beteiligungsquote nach zutreffender Auffassung im Wege einer teleologischen Reduktion nicht anwendbar. Vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.10.2011 – 8 K 8311/10, DStRE 2012, 1189.
893 Die Einbeziehung von Stimmrechten soll eine Umgehung der Verlustabzugsbeschränkung durch Trennung von Mitgliedschaftsrechten vermeiden. Erfasst werden hiervon sowohl die isolierte Übertragung von Stimmrechten als auch Mehrheitsstimmrechte, also Stimmrechte, die höher sind als der Anteil am gezeichneten Kapital und somit entsprechenden Einfluss auf die Gesellschaft gewährleisten.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Beispiel: A hält 30 % des Grundkapitals der X-AG. Die Anteile sind mit einem Mehrstimmrecht versehen, wonach sie 60 % der Stimmrechte vermitteln. A veräußert seine Beteiligung an E. Stille Reserven bestehen nicht. Ungeachtet dessen, dass nur 30 % des gezeichneten Kapitals übertragen werden, geht der bestehende Verlust vollständig unter, da mehr als 50 % der Stimmrechte auf einen Erwerber übertragen werden. Aus der ausdrücklichen Nennung der Stimmrechte kann gefolgert werden, 894 dass andere Mitgliedschaftsrechte, wie z. B. die Gewinnberechtigung, sofern sie von den Anteilen trennbar sind, unschädlich isoliert übertragen werden können. Würden beispielsweise 30 % der Anteile übertragen, welche gleichsam 60 % Gewinnberechtigung vermitteln, liegt unseres Erachtens kein schädlicher Beteiligungserwerb vor. Werden sowohl Stammaktien als auch stimmrechtslose Vorzugsaktien erworben, so sind folgerichtig, jeweils getrennt, die Quote der Stammaktie am Stimmrechtskapital und die Quote der Vorzugsaktie am gesamten Nennkapital für die Ermittlung des schädlichen Erwerbs maßgeblich. Führen diese jeweiligen Quoten nicht isoliert zu einer schädlichen Erwerbsquote, so erfolgt auch keine Zusammenrechnung. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 8.
Eigene Anteile sind bei der Bestimmung der Schädlichkeitsgrenzen heraus- 895 zurechnen. Bei der Erfassung mittelbarer Übertragungen ist die auf die Verlustgesellschaft durchgerechnete Beteiligungsquote maßgebend. Neben der Anteilsübertragung erfährt der ohnehin bereits sehr umfassende 896 Anwendungsbereich eine weitere Öffnung, indem auch ein „vergleichbarer Sachverhalt“ zum Untergang des Verlustabzugs gemäß § 8c Satz 1 KStG führen kann. Nach Ansicht der Finanzverwaltung sollen insbesondere der Erwerb von Genussscheinen, Stimmrechtsvereinbarungen, Stimmrechtsbindungen, Umwandlungen, der Erwerb eigener Anteile – wenn sich hierdurch die Beteiligungsquoten ändern – oder die Kapitalherabsetzung mit Änderung der Beteiligungsquote als vergleichbare Sachverhalte i. S. d. § 8c Satz 1 KStG zu qualifizieren sein. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 7.
Unseres Erachtens ist dies bezogen auf Genussrechte sowie Stimmrechtsver- 897 einbarungen schon allein aus dem Grunde abzulehnen, da diese auf schuldrechtlicher und nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage eingeräumt werden. Im Hinblick auf die vergleichbaren Sachverhalte ist daher ein Typenvergleich zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen etc. erforderlich. Vgl. Brandis/Heuermann-Brandis, KStG, § 8c Rn. 55.
In Zweifelsfällen empfiehlt sich vor Sachverhaltsverwirklichung eine verbind- 898 liche Auskunft bei der zuständigen Finanzbehörde einzuholen.
223
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
899 Grundsätzlich setzt ein schädlicher Beteiligungserwerb die Übertragung auf einen (einzigen) Erwerber voraus. Wobei jedoch (zusätzliche) Erwerbe nahestehender Personen dem Erwerber zugerechnet werden. Der Begriff der nahestehenden Person ist anhand der Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung und nicht i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG auszulegen. Der Grundsatz der Übertragung auf einen (einzigen) Erwerber wird durch § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG dahingehend durchbrochen, dass auch die Übertragung auf eine Gruppe von Erwerbern mit „gleichgerichteten Interessen“ einen schädlichen Beteiligungserwerb bewirkt. Der Gesetzgeber will hiermit insbesondere Gestaltungen vermeiden, bei denen z. B. fünf einander nicht nahestehende Erwerber zu gleichen Anteilen von je 20 % eine Verlustgesellschaft erwerben, um die Anwendung des § 8c Abs. 1 KStG zu umgehen. Ein Indiz für gleichgerichtete Interessen soll nach Ansicht der Finanzverwaltung vorliegen, wenn die Kapitalgesellschaft von den Erwerbern gemeinsam beherrscht wird. Danach sollen folgende Umstände für gleichgerichtete Interessen sprechen: x
Zwischen den Erwerbern hat eine Abstimmung stattgefunden, wobei ein Vertrag hierüber nicht vorliegen muss.
x
Die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks, wobei dies jedoch nicht notwendigerweise Voraussetzung für ein gleichgerichtetes Interesse sein muss.
x
Mehrere Erwerber wirken zur einheitlichen Willensbildung zusammen.
x
Es besteht eine gemeinsame Beherrschung der Körperschaft. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 27f.
900 Ein gemeinsames Interesse der Erwerber allein an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft erfüllt nicht den unbestimmten Rechtsbegriff des gemeinsamen Interesses einer Gruppe von Erwerbern i. S. d. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, denn dieser muss unter Zugrundelegung des Regelungszwecks verfassungsgemäß einschränkend ausgelegt werden. 901 Eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichtetem Interesse setzt daher nach richtiger Auffassung voraus, dass mehrere Erwerber im Hinblick auf den Erwerb von Anteilen an der Verlustgesellschaft zusammenwirken, um im Anschluss an den Erwerb durch Stimmbindungsvereinbarungen oder andere verbindliche Abreden einen beherrschenden einheitlichen Einfluss auf die Verlustgesellschaft auszuüben. Vgl. FG Niedersachsen, Urt. v. 26.2.2015 – 6 K 424/13, DStR 2015, 1610 ff.
902 Die Möglichkeit des Beherrschens reicht dagegen nicht aus, sondern es kommt auf die tatsächliche Beherrschung zum Erwerbszeitpunkt an. Die danach erforderlichen Abreden müssen spätestens zum Erwerbszeitpunkt im Hinblick auf das spätere gemeinsame Beherrschen der Gesellschaft getroffen worden sein.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen BFH, Urt. v. 22.11.2016 – I R 30/15, BStBl. II 2017, 921; FG Köln, Urt. v. 17.5.2018 – 10 K 2695/15, EFG 2020, 732 Rn. 22f.; Herrmann/Heuer/Raupach-Suchanek, KStG, § 8c Rn. 39.
Der Fünf-Jahres-Zeitraum des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG beginnt mit dem ersten 903 schädlichen Beteiligungserwerb an der Verlustgesellschaft durch den Erwerber. Maßgebend ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums; bei Kapitalerhöhungen der Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 14.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung muss zu diesem Zeitpunkt noch kein 904 Verlustvortrag vorhanden sein. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 17.
Diese Auffassung widerspricht dem Sinn und Zweck des § 8c Abs. KStG und 905 ist demzufolge abzulehnen, da nach richtiger Auffassung auf den Zusammenhang zwischen der Änderung der wirtschaftlichen Identität durch den Beteiligungserwerb und die Nutzung zuvor entstandener Verluste abzustellen ist. Auf diesen maßgeblichen Zusammenhang hat auch der BFH in seiner Entscheidung zur Verrechnungsmöglichkeit des Gewinns bis zum schädlichen unterjährigen Erwerb hingewiesen. BFH, Urt. v. 30.11.2011 – IR 14/11, DStR 2012, 458, 460; vgl. auch sinngemäß zum unterjährigen Beteiligungserwerb das FG Hessen, Beschl. v. 7.10.2010 – 4 V 1489/10, DStRE 2011, 289 ff.
Mithin ist dieser Erwerb – mangels Verlustgesellschaft – nach zutreffender 906 Auffassung nicht bei der Berechnung der Schädlichkeitsgrenze im Fünfjahreszeitraum zu berücksichtigen. Zutreffend Gosch-Roser, KStG, § 8c Rn. 83; Brandis/HeuermannBrandis, KStG, § 8c Rn. 50; Meiisel/Bokeloh, BB 2008, 808.
Der Fünf-Jahres-Zeitraum ist taggenau zu berechnen, wobei die allgemeinen 907 Grundsätze der Fristenberechnung (§ 108 Abs. 1 AO i. V. m. § 187 ff. BGB) Anwendung finden. Aufeinander folgende Übertragungen werden innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums zusammengerechnet, wobei jede Übertragung wiederum einen neuen Fünf-Jahres-Zeitraum auslöst. Ist die jeweils schädliche Grenze überschritten, so beginnt ein neuer Fünf-Jahres-Zeitraum. Zu beachten ist ferner, dass wegen der auf den Erwerberkreis bezogenen Betrachtung jeweils gesonderte Berechnungen/Überwachungen notwendig sind. Da nach der alten quotalen Regelung im Rahmen des § 8c KStG bei Über- 908 schreiten der 25 %-Grenze für den Fall des quotalen Verlustwegfalls ein Sanktionsverbrauch hinsichtlich der quotalen Abzugsbeschränkung eintreten sollte, bot sich unter Umständen ein gestreckter Anteilserwerb bzw. ein zeitgenaues Splitten von Anteilsübertragungen an. Danach erwarb ein neuer Gesellschafter zunächst nur 26 % und innerhalb des Fünfjahreszeitraums
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
weitere 24 %, aufgrund Sanktionsverbrauchs sollten so nicht 50 %, sondern lediglich 26 % der Verluste untergehen. Aufgrund des rückwirkenden Wegfalls der quotalen Regelung bleibt der Verlustvortrag vollständig erhalten, da nicht mehr als 50 % im maßgeblichen Zeitraum übertragen wurden. 909 Allerdings ist auch die mehrfache Übertragung der nämlichen Anteile durch Weiterübertragung der erworbenen Anteile an einen anderen Erwerber im Rahmen des § 8c KStG zu berücksichtigen, wenn bei diesem Erwerber die schädliche Beteiligungsgrenze überschritten wird. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 22; Brandis/Heuermann-Brandis, KStG, § 8c Rn. 50.
910 So kann beispielsweise die Übertragung des nämlichen Anteils von 26 % an einer Verlustgesellschaft von A auf B in 01 und von B auf C in 03 zu einem vollständigen Wegfall des Verlustes gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG wegen Überschreiten der 50 % führen, wenn C in 02 bereits 25 % erworben hat (25 % + 26 % = 51 %). Wegen der rückwirkenden Aufhebung der quotalen Regelung kommt auch kein Sanktionsverbrauch wegen quotalen Wegfalls des Verlustvortrages in Betracht. Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese Anwendung verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht. Vgl. FG Hamburg, Vorlagebeschl. v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, DStR 2017, 2377.
cc) Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG 911 Die Regelung § 8c KStG enthielt zunächst kein Sanierungsprivileg mehr. Der Gesetzgeber hatte seine Auffassung damit begründet, dass eine solche Sanierungsklausel nicht erforderlich sei, da bereits nach geltender Rechtslage ein Sanierungsgewinn vorrangig mit vorhandenen Verlustvorträgen zu verrechnen sei. Vgl. zu dem Gesichtspunkt mangelnder Ausweichgestaltungen, Neumann, GmbH-StB 2007, 249 ff.
912 Es wurde zudem davon ausgegangen, dass von der Besteuerung eines Sanierungsgewinnes auch in Zukunft aufgrund des damals angewendeten BMFSchreibens zur Sanierungsgewinnbesteuerung vom 27.3.2003, BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240 ff.,
abgesehen werden wird. Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 75 f.
913 Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise sah sich der Gesetzgeber veranlasst, in § 8c Abs. 1a KStG durch das Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen vom 16.7.2009 eine sog. „Sanierungsklausel“ einzufügen.
226
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Diese Sanierungsklausel stellte nach Auffassung der Kommission eine mit dem 914 EU-Binnenmarkt nicht zu vereinbarende rechtswidrige Beihilferegelung i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Maßgeblich war aus Sicht der Kommission, dass der Wegfall von Verlustvorträgen beim Beteiligungserwerb gemäß § 8c KStG in Deutschland als allgemeine Grundregel das zugrunde zu legende relevante Referenzsystem sei und der Erhalt von Verlustvorträgen im Rahmen der Sanierungsklausel insoweit eine Ausnahme im deutschen Steuerrecht. Diese Ausnahme habe selektiven Charakter und sei ohne anderweitige Rechtfertigung eine verbotene Beihilfe. Europäische Kommission, Beschl. v. 26.1.2011 – C 7/2010; Dörr, NWB 2011, 690 ff.; Drüen, DStR 2011, 289 ff.; Kahlert/Rühland-Gehrke, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 3.283 ff.; zu den Tatbestandsmerkmalen für staatliche Beihilfen im Steuerrecht vgl. Cloer/Vogel, IWB 2010, 439 ff.
Die Finanzverwaltung hatte bereits mit BMF-Schreiben vom 30.4.2010 die 915 Anwendung des § 8c Abs. 1a KStG bis zur Entscheidung der Kommission ausgesetzt, BMF-Schreiben v. 30.4.2010, BStBl. I 2010, 482 ff.,
nachdem die Europäische Kommission am 24.2.2010 ein förmliches BeihilfePrüfverfahren eröffnet hatte. Europäische Kommission, Schreiben v. 24.2.2010 – 2010/C 90/08, ABl. C 90/8 v. 8.4.2010, S. 8 ff.
Danach war gemäß § 34 Abs. 6 Satz 2 KStG die Sanierungsklausel des § 8c 916 Abs. 1a KStG nur anzuwenden, wenn eine rechtskräftige Entscheidung des EuG oder des EuGH den Beschluss der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 für nichtig erklärt und feststellt, dass es sich bei § 8c Abs. 1a KStG nicht um eine staatliche Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt oder die Voraussetzungen des Art. 2 des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 erfüllt sind und die Steuerfestsetzung davor erfolgt ist. Die deutsche Finanzverwaltung musste die nicht zugelassene Beihilfe von 917 den betroffenen Unternehmen zurückfordern, sodass bei den betroffenen sanierungsbedürftigen Kapitalgesellschaften die steuerlichen Verlust- und Zinsvorträge nachträglich rückwirkend auf den Zeitpunkt des schädlichen Anteilseignerwechsels vorläufig untergegangen waren. Auch verbindliche Auskünfte der Finanzverwaltung i. S. v. § 89 Abs. 2 AO entfalteten keinen Vertrauensschutz und waren gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 1 Satz 2 AO aufzuheben, da dieser hinter das vorrangige Interesse an der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV zurücktritt („effet utile“Grundsatz). Im Ergebnis mussten gewährte Steuervorteile innerhalb der vorgegebenen Frist von vier Monaten zurückgefordert werden und die Vorschrift des § 8c Abs. 1a KStG durfte nach § 34 Abs. 6 Satz 2 KStG bis zu einer
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gegenteiligen Entscheidung des EuG oder des EuGH nicht mehr angewandt werden. 918 Die Bundesregierung hatte am 7.4.2011 gegen die Entscheidung der Kommission eine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gericht (EuG) erhoben. Aus Sicht der Bundesregierung handelte es sich bei der Sanierungsklausel nicht um eine staatliche Beihilfe, die selektiv „Unternehmen in Schwierigkeiten“ begünstige. Diese Nichtigkeitsklage der Bundesrepublik Deutschland wurde mit Beschluss vom 18.12.2012 wegen nicht fristgerechter Klageeinreichung zurückgewiesen. EuG, Beschl. v. 18.12.2012 – T-205/11 Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission, DStR 2013, 132 ff.
919 Die dagegen beim EuGH eingelegte Berufung hat dieser zwischenzeitlich zurückgewiesen. EuGH, Urt. v. 3.7.2014 – C-102/13 P, Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission, BeckRS 2014, 81187.
920 Darüber hinaus hatten aber zahlreiche Unternehmen fristgerechte Nichtigkeitsklagen gemäß Art. 263 AEUV vor dem EuG erhoben. EuG, T-287/11; T-585/11; T-586/11; T-610/11; T-612/11; T-613/11; T-614/11; T-619/11; T-620/11; T-621/11; T-626/11; T-627/11; T-628/11; T-629/11; C-102/13.
921 Diese Klagen wurden vom EuG in zwei Rechtssachen abgewiesen und damit die Auffassung der Kommission bestätigt, wonach die Sanierungsklausel als besondere Ausnahme vom Verlustabzugsverbot Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten gegenüber ihren Wettbewerbern begünstigt. EuG, Urt. v. 4.2.2016 – T-620/11, GFKL Financial Services AG ./. Kommission, DStR 2016, 390 ff; EuG, Urt. v. 4.2.2016 – T-287/11, Heitkamp BauHolding ./. Kommission.
922 Der EuGH hat schließlich mit Urteil vom 28.6.2018 entsprechend dem Schlussantrag des Generalanwalts vom 20.12.2017 den Beschluss der Europäischen Kommission vom 26.1.2011 zur unzulässigen Beihilfe der Sanierungsklausel für nichtig erklärt. EuGH, Urt. v. 28.6.2018 – C-203/16 P, ZIP 2018, 1345; Schlussanträge GA Wahl v. 20.12.2017 – C-203/16 P, DStRK 2018, 55.
923 Der EuGH stellt insoweit fest, dass die Europäische Kommission das falsche Referenzsystem im Rahmen der deutschen Besteuerung zugrunde gelegt hat. Für alle körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland gelte nämlich die allgemeine Regel der Nutzung des steuerlichen Verlustvortrags. Der Wegfall des Verlustvortrags beim Beteiligungserwerb gemäß § 8c KStG ist insoweit entgegen der Auffassung der Kommission gerade nicht die allgemeine Regel, sondern stellt eine Ausnahme von der steuerlichen Verlustnutzung dar. Die Sanierungsklausel zum Erhalt der Verlustvorträge ist wiederum eine Rückausnahme hiervon. Der EuGH weist insoweit ausdrücklich 228
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
darauf hin, dass die verwendete Regelungstechnik der streitigen Sanierungsklausel als Ausnahme von dem Wegfall des Verlustvortrags beim Beteiligungserwerb gemäß § 8c KStG kein für die Bestimmung des Referenzsystems ausschlaggebender Gesichtspunkt sein kann. Der Fehler der Kommission bei der Bestimmung des maßgeblichen Referenzsystems führte zwangsläufig dazu, dass deren gesamte Beurteilung hinsichtlich der Selektivität der Sanierungsklausel mangelhaft und damit für nichtig zu erklären war. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der EUGH nicht ausdrücklich eine Feststellung getroffen hat, dass keine unzulässige Beihilfe vorliegt. Die Bundesregierung hat auf Basis der vorgenannten EuGH-Entscheidung 924 im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 die Sanierungsklausel gemäß § 34 Abs. 6 Satz 3 und 4 KStG wieder eingeführt, sodass § 8c Abs. 1 a KStG rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2008 betreffend Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 auf sämtliche nicht bestandskräftige Fälle wieder anwendbar ist. Danach kann in sämtlichen noch nicht bestandskräftigen Fällen aus den Jahren 2008 bis 2018 rückwirkend beantragt werden, dass die Aberkennung eines Verlustvortrags wegen Erfüllung der materiellen Voraussetzungen der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG aufzuheben ist. Etwaige als Beihilfe abgeführte Steuerzahlungen sind insoweit zu erstatten. Bei bestandskräftigen Fällen gilt dies allerdings nicht, da die rückwirkende Gesetzesänderung kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist und die gesetzliche Regelung in § 34 Abs. 6 Satz 3 und 4 KStG keine entsprechende, die Bestandskraft durchbrechende Regelung enthält. Vgl. Kahlert, ZIP 2018, 1709, 1712.
Die Europäische Kommission könnte dem Grunde nach nochmals eine bei- 925 hilferechtliche Prüfung vornehmen; da der EuGH in dem betreffenden Verfahren nicht ausdrücklich entschieden hat, dass keine unzulässige Beihilfe vorliegt. Dies erscheint aber aufgrund der Urteilsbegründung des EuGH sowie dem Antrag des Generalanwalts in dem betreffenden Verfahren unwahrscheinlich. Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 175 Rn. 80 m. w. N.; Förster/Hechtner, DB 2019, 10, 14.
(1) Voraussetzungen der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG Der Beteiligungserwerb i. S. v. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG muss zum Zweck der 926 Sanierung erfolgen, um das Sanierungsprivileg in Anspruch zu nehmen. Mithin muss zumindest eine drohende Zahlungsunfähigkeit der betreffenden Gesellschaft oder die bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung im Rahmen des Beteiligungserwerbs beseitigt werden. Die Krise des Unternehmens muss insoweit in objektiv nachvollziehbarer Weise nachgewiesen werden. Die Sanierungsfähigkeit sowie die Sanierungseignung der jeweiligen Sanierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb sollten insoweit möglichst durch ein Sanierungsgutachten entspre-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
chend den BGH-Grundsätzen oder dem IDW S6 Standard der Wirtschaftsprüfer dokumentiert werden. Vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZIP 2018, 1794 und Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, NZI 2016, 636; zum IDW S6 vgl. Steffan, ZIP 2018, 1767; sowie zu den Anforderungen an die betriebswirtschaftlichen Konzepte des Restrukturierungsplans vgl. Steffan/Oberberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff.
927 Die Erstellung eines derartigen Sanierungsgutachtens, woraus sich nach objektiven Maßstäben der Sanierungszweck sowie die Geeignetheit der jeweiligen Sanierungsmaßnahmen ableiten lassen, indiziert auch nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Sanierung i. S. d. Sanierungsklausel. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 5.
928 Die objektive Beweislast für die Sanierungsbedürftigkeit aufgrund der Unternehmenskrise und die Sanierungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs liegt bei der betreffenden Gesellschaft. Vgl. Gosch-Roser, KStG, § 8c Rn. 189; BeckOK-Micker/Pohl, KStG, § 8c Rn. 244.1.
929 Wird der Beteiligungserwerb im Rahmen eines Insolvenzplan- oder Restrukturierungsplanverfahrens mit Zustimmung der maßgeblichen Gläubigergruppen realisiert, so sollten die Voraussetzungen eines Erwerbs zum Zwecke der Sanierung grundsätzlich gegeben sein. Als Sanierungsmaßnahmen kommen sämtliche Handlungen in Betracht, die die Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bewirken. Ein Finanzierungsbeitrag des erwerbenden Gesellschafters wird nicht als erforderliche Sanierungsmaßnahme vorausgesetzt. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 7.
930 Die Sanierungsmaßnahmen müssen zudem in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb stehen und sollten mithin als Aktivität in Angriff genommen worden sein. Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt kein Erwerb zum Zwecke der Sanierung i. S. d. Kausalität mehr vor, wenn die Sanierungsmaßnahmen erst später als ein Jahr nach dem Beteiligungserwerb ergriffen werden. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 7.
931 Die Sanierung muss nicht alleiniger Zweck des Beteiligungserwerbs sein und der Eintritt des Sanierungserfolgs ist selbstverständlich nicht Voraussetzung für die Anwendung der Sanierungsklausel. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 5.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Weitere Voraussetzung des Sanierungsprivilegs ist die Erhaltung der wesent- 932 lichen Betriebsstrukturen, wobei dies gemäß § 8c Abs. 1a Satz 3 KStG unwiderleglich vermutet wird, wenn alternativ eine der drei unter Nr. 1 bis 3 aufgezählten Voraussetzungen vorliegt: x
1. die Körperschaft eine geschlossene Betriebsvereinbarung mit einer Arbeitsplatzregelung befolgt oder
x
2. die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen der Körperschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb 400 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet – § 13a Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 4 ErbstG gilt sinngemäß – oder
x
3. der Körperschaft durch Einlagen wesentliches Betriebsvermögen zugeführt wird. Eine wesentliche Betriebsvermögenszuführung liegt vor, wenn der Körperschaft innerhalb von zwölf Monaten nach dem Beteiligungserwerb neues Betriebsvermögen zugeführt wird, das mindestens 25 % des in der Steuerbilanz zum Schluss des vorangehenden Wirtschaftsjahrs enthaltenen Aktivvermögens entspricht. Wird nur ein Anteil an der Körperschaft erworben, ist nur der entsprechende Anteil des Aktivvermögens zuzuführen. Der Erlass von Verbindlichkeiten durch den Erwerber oder eine diesem nahestehende Person steht der Zuführung neuen Betriebsvermögens gleich, soweit die Verbindlichkeiten werthaltig sind. Leistungen der Kapitalgesellschaft, die innerhalb von drei Jahren nach der Zuführung des neuen Betriebsvermögens erfolgen, mindern den Wert des zugeführten Betriebsvermögens. Wird dadurch die erforderliche Zuführung nicht mehr erreicht, ist Satz 1 nicht mehr anzuwenden.
Nach Nr. 1 kommt eine mit dem Betriebsrat rechtswirksam geschlossene Be- 933 triebsvereinbarung i. S. v. § 77 BetrVG in Betracht, wobei alternativ bei Unternehmen ohne Betriebsrat auch einzelvertragliche Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern ausreichen kann, wenn von diesen Vereinbarungen in dem betreffenden Geschäftsbereich mehr als 50 % der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer betroffen sind. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 14.
Auf den Umfang der zu erhaltenden Arbeitsplätze kommt es nicht an, sie 934 muss aber im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb getroffen werden, wobei auch eine Anschlussvereinbarung im Rahmen des Beteiligungserwerbs den sachlichen Zusammenhang herstellen kann. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 15.
Nach Nr. 2 ist ein Lohnsummenvergleich maßgeblich, wonach nach dem Be- 935 teiligungserwerb in sinngemäßer Anwendung von § 13a Abs. 1 ErbStG gemessen an der fünfjährigen jährlichen Lohnsumme 400 % der Ausgangslohn231
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
summe zum maßgeblichen Stichtag nicht unterschritten werden dürfen. Etwaige Lohnvergütungen an Gesellschafter werden nur insoweit im Rahmen der Lohnsumme berücksichtigt, als keine verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG vorliegen. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 18.
936 Nach Auffassung der Finanzverwaltung müssen mehr als 20 Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs im Rahmen der Ermittlung der Ausgangslohnsumme vorhanden sein, um die Lohnsummenregelung gemäß Nr. 2 als Tatbestandsmerkmal der Erhaltung der wesentlichen Betriebsstrukturen anzuwenden. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 18.
937 Nach Nr. 3 besteht zudem die Möglichkeit, den Tatbestand der Erhaltung der wesentlichen Betriebsstrukturen durch Zuführung von Betriebsvermögen in Höhe von insgesamt mindestens 25 % der Steuerbilanzwerte des Aktivvermögens der Gesellschaft durch Einlagen des neuen Anteilseigners innerhalb von zwölf Monaten nach dem schädlichen Beteiligungserwerb nachzuweisen. Die Jahresfrist beginnt mit dem Datum des schädlichen Beteiligungserwerbs und für die Zuführung sind der tatsächliche Zufluss und die zivilrechtliche Wirksamkeit maßgeblich. Die 25 %-Grenze gilt bei einem 100 %igen Beteiligungserwerb und ist bei einer niedrigeren Erwerbsquote anteilig zu reduzieren. Die begünstigten Einlagen können sich auch auf die Passivseite der Bilanz beziehen, sodass insbesondere auch ein Forderungsverzicht des neuen Anteilseigners zu berücksichtigen ist. Allerdings soll nur der werthaltige Anteil der betreffenden Forderung maßgeblich sein. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 20.
938 Auch Sacheinlagen können im Rahmen der Zuführung eingebracht werden, wobei etwaige Gegenleistungen oder übernommene Verpflichtungen abzuziehen sind. Zuführungen von nahestehenden Personen des neuen Anteilseigners sind grundsätzlich ebenso zu berücksichtigen. Werden Zuführungen im Rahmen von umwandlungsrechtlichen Vorgängen mit steuerlicher Rückwirkung realisiert, so gelten diese für die Zuführung im Sinne dieser Vorschrift erst zum Zeitpunkt der zivilrechtlichen Wirksamkeit als geleistet und müssen daher im Zwölfmonatszeitraum realisiert werden. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 25.
(2) Ausschluss der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a Satz 4 KStG 939 Nach § 8c Abs. 1a Satz 4 KStG kommt keine privilegierte Sanierung in Betracht, wenn die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb im Zeitpunkt des schäd-
232
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
lichen Beteiligungserwerbs bereits im Wesentlichen eingestellt hat. Dies gilt ausdrücklich auch bei einem Branchenwechsel innerhalb von fünf Jahren nach dem schädlichen Beteiligungserwerb. Wird der Branchenwechsel mithin nach einem grundsätzlich privilegierten Sanierungserwerb innerhalb der FünfJahres-Frist realisiert, so gehen die Verlustvorträge zum Stichtag des Beteiligungserwerbs nachträglich unter. In diesem Fall liegt ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Vgl. OFD NRW, Vfg. v. 20.12.2018 S – 2745 a-2015/0011-St 135, DB 2019, 26, Rn. 32.
dd) Konzernklausel gemäß § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG Für nach dem 31.12.2009 erfolgte Beteiligungserwerbe wurde in § 8c Abs. 1 940 KStG eine Konzernklausel eingeführt. Danach soll gemäß § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG kein schädlicher Beteiligungserwerb vorliegen, wenn x
1. an dem übertragenden Rechtsträger der Erwerber zu 100 Prozent mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist und der Erwerber eine natürliche oder juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft ist,
x
2. an dem übernehmenden Rechtsträger der Veräußerer zu 100 Prozent mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist und der Veräußerer eine natürliche oder juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft ist oder
x
3. an dem übertragenden und an dem übernehmenden Rechtsträger dieselbe natürliche oder juristische Person oder dieselbe Personenhandelsgesellschaft zu jeweils 100 Prozent mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist.
Beispiel: Die M-GmbH mit mehreren Gesellschaftern hält 100 % der Beteiligung an den Tochtergesellschaften T1-GmbH sowie T2-GmbH. Die T1-GmbH hält zudem 100 % an der Enkelgesellschaft E-GmbH, welche über umfangreiche Verlustvorträge verfügt. Die T1-GmbH veräußert ihre Anteile an der E-GmbH im an die T2-GmbH. Lösung: An dem übertragenden Rechtsträger (T1-GmbH) und dem übernehmenden Rechtsträger (T2-GmbH) ist mit der M-GmbH dieselbe Person zu 100 % beteiligt, mit der Folge, dass § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG Anwendung findet und damit der Verlustvortrag der E-GmbH erhalten bleibt. Das gleiche Ergebnis ergibt sich auch, wenn die T1-GmbH nur zu 50 % an der E-GmbH beteiligt ist, da § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG die Schädlichkeit einer Anteilsübertragung nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG insgesamt vermeidet und nicht etwa darauf abstellt, ob eine 100 %ige Beteiligung übertragen wird.
233
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
941 Die Konzernklausel ist auf sämtliche Rechtsvorgänge anwendbar, die zu einem schädlichen Beteiligungserwerb führen können, insbesondere auch auf Verschmelzungen, Einbringungen oder verdeckte Einlagen. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 40.
942 Treten neue Gesellschafter auch nur geringfügig hinzu oder sind beispielsweise aus grunderwerbsteuerrechtlichen Gründen konzernfremde Gesellschafter geringfügig beteiligt, findet die Konzernklausel keine Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn der übertragende und der übernehmende Rechtsträger mehrere beteiligungsidentische Gesellschafter haben. 943 Werden Körperschaften über Personengesellschaften oder treuhänderisch gehalten, so ist hinsichtlich der notwendigen 100 %igen Beteiligung unseres Erachtens auf das wirtschaftliche Eigentum am Vermögen und nicht – wie im Grunderwerbsteuerrecht – auf die gesamthänderische Mitberechtigung an der Personengesellschaft abzustellen. Nach Auffassung des BFH ist der Treugeber von Geschäftsanteilen einer zivilrechtlich als Treuhand bezeichneten Vereinbarung jedoch nur dann wirtschaftlicher Eigentümer dieser Geschäftsanteile, wenn er „alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögensrechte und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann“. BFH, Urt. v. 6.10.2009 – IX R 14/08, BStBl. II 2010, 460 ff.
ee) Verschonungsregelung bei stillen Reserven gemäß § 8c Abs. 1 Satz 5 – 8 KStG 944 Für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2009 wurde eine allgemeine Verschonungsregelung eingeführt, wonach die Verluste in Höhe der im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven der Körperschaft erhalten bleiben. 945 Die stillen Reserven, welche den Erhalt des Verlustverrechnungspotenzials bewirken, ermitteln sich gemäß § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG nach Maßgabe des Unterschiedsbetrages zwischen dem (ggf. anteiligen) steuerlichen Eigenkapital und dem auf dieses Eigenkapital entfallenden gemeinen Wert der Anteile an der Körperschaft. Für die Bemessung des gemeinen Wertes der Anteile ist grundsätzlich der Kaufpreis als Entgelt maßgeblich. Lässt sich der gemeine Wert der Anteile aufgrund gesellschaftsrechtlicher Veranlassung nicht unzweifelhaft aus dem Kaufpreis als Entgelt ableiten, so ist der gemeine Wert der Anteile durch eine entsprechende Unternehmensbewertung zu ermitteln. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 50.
946 Die Unternehmensbewertung ist auch bei negativem Eigenkapital der Verlustgesellschaft erforderlich. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 56.
947 Zu beachten ist, dass die Verschonung nur für diejenigen stillen Reserven gilt, die im Inland steuerpflichtig sind. Dies hat unter anderem zur Folge, dass eine 234
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
sachgerechte Abgrenzung von den ausländischen stillen Reserven erfolgen muss. Des Weiteren können stille Reserven, welche in den von der Körperschaft gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften enthalten sind, nicht verlustrettend berücksichtigt werden, da die Steuerfreiheit des § 8b Abs. 2 KStG greift. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kommt auch nicht in Höhe des pauschalen Abzugsverbots in Höhe von 5 % des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG eine anteilige Berücksichtigung in Betracht. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 52.
Diese Auffassung ist abzulehnen, da in Höhe des pauschalen Abzugsverbots 948 von 5 % des Veräußerungsgewinns die anteilige inländische Besteuerung der stillen Reserven betreffend die Beteiligung sichergestellt ist. Vgl. zutreffend Gläser/Zöller, BB 2018, 87, 91 f.
Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Verschonungsregelung in 949 Höhe der stillen Reserven auch bei einer latenten Einbringungsgewinnbesteuerung gemäß § 22 UmwStG nicht anwendbar sein. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 52; vgl. hierzu Sommer/Sediqi, FR 2018, 67, 71 f.
Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen soll nach Auffassung der Finanz- 950 verwaltung die Verschonungsregelung nur in der jeweiligen Verlustgesellschaft isoliert hinsichtlich der vorhandenen inländischen stillen Reserven berücksichtigt werden. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 58.
Dies soll auch im Organkreis gelten, sodass stille Reserven in der Organge- 951 sellschaft nicht zu berücksichtigen wären, obwohl künftige Gewinne aus der Realisierung während der Organschaft als Einkommen dem Organträger zugerechnet und von diesem voll zu versteuern wären. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 59.
Die Finanzverwaltung stellt insoweit ausschließlich auf die Möglichkeit einer 952 steuerfreien Veräußerung gemäß § 8b Abs. 2 KStG ab. Diese Auffassung ist abzulehnen, da nach dem Sinn und Zweck der Regelung gerade eine Verschonung des Verlustabzugs gemäß § 8c KStG erfolgen soll, wenn aufgrund der weiterhin steuerlich verstrickten stillen Reserven eine Besteuerung im Rahmen der Organschaft sichergestellt ist. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG, wobei für die Frage, ob die stillen Reserven im Inland weiterhin steuerpflichtig sind, jeweils nur der Zeitpunkt der schädlichen Anteilsübertragung maßgeblich sein kann.
235
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Vgl. insoweit ebenfalls Weiss/Brühl, DStZ 2018, 451, 460; Gläser/Zöller, BB 2018, 87, 92; Brandis/Heuermann-Brandis, KStG, § 8c Rn. 61; Gosch-Roser, KStG, § 8c Rn. 175; Sistermann/Brinkmann, DStR 2009, 2633 ff.; a. A. Neumann/Heuser, GmbHR 2018, 21, 30.
953 Im Rahmen der Anwendung der Verschonungsregelung wegen stiller Reserven soll nach Auffassung der Finanzverwaltung eine bestimmte Verwendungsreihenfolge maßgeblich sein. Vorab sollen die im Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven für die Erhaltung des laufenden Verlusts und anschließend für die Erhaltung des Verlustvortrags genutzt werden. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 62.
954 Für die Verrechnung der stillen Reserven mit den nicht genutzten Verlusten soll dann die gleiche Reihenfolge gelten, in der im Fall der Realisierung der stillen Reserven die Verluste aufgebraucht werden würden. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.11.2017, BStBl. I 2017, 1645 Rn. 63.
955 Auf diese Weise bleiben zwar keine stillen Reserven ungenutzt, jedoch kann diese Verwendungsreihenfolge zu steuerlich ungünstigen Ergebnissen führen, indem beispielsweise nur nach § 15a EStG verrechenbaren Verlusten zeitnah keine Gewinne aus der betreffenden Verlust-KG gegenüberstehen. Vgl. Gläser/Zöller, BB 2018, 87, 92 f.
ff) Fortführungsgebundener Verlustvortrag gemäß § 8d KStG 956 Seit dem 1.1.2016 besteht zusätzlich trotz des schädlichen Beteiligungserwerbs gemäß § 8d KStG auf Antrag der betreffenden Körperschaft die Möglichkeit, den Verlustabzug weiter zu nutzen, wenn die betreffende Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb fortführt und bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt. Im Ergebnis sollte durch § 8d KStG der Wegfall der Verlustnutzung nach einem schädlichen Beteiligungserwerb wieder auf die typische Mantelkaufkonstellation reduziert werden. Dieses Konzept trägt auch dem körperschaftsteuerlichen Trennungsprinzip Rechnung, da die Nutzung des fortführungsgebundenen Verlustvortrags sich grundsätzlich nach den Verhältnissen bei der Körperschaft selbst richtet und nicht auf die Anteilseignerebene abstellt. 957 Im Rahmen des schädlichen Beteiligungserwerbs soll gemäß § 8d KStG die weitere Verlustnutzung möglich sein, sofern der Geschäftsbetrieb der Körperschaft fortgeführt und eine anderweitige Verlustnutzung ausgeschlossen ist. Es handelt sich rechtstechnisch wie bei der Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG um eine Rückausnahme zum Wegfall des Verlustabzugs nach § 8c Abs. 1 KStG. Gemäß § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG gilt § 8d KStG auch für den Zinsvortrag gemäß § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG entsprechend. Im Ergebnis besteht ein Wahlrecht, ob sich die betreffende Körperschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Sanierungsklausel gemäß § 8c Abs. 1a KStG oder
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
die Anwendung des fortführungsgebundenen Verlustvortrags gemäß § 8d KStG mit dessen strengen Voraussetzungen entscheidet. Im Zusammenhang mit der Stille-Reserven-Klausel gemäß § 8c Abs. 1 Satz 5 ff. 958 KStG ist zu berücksichtigen, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung der fortführungsgebundene Verlustvortrag gemäß § 8d KStG nicht ergänzend genutzt werden kann. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 6.
Reichen insoweit die stillen Reserven nicht aus, den Verlustvortrag gemäß 959 § 8c Abs. 1 Satz 5 ff. KStG vollständig zu erhalten, so muss sich die Verlustkörperschaft zwischen der Anwendung der Stille-Reserven-Klausel oder dem Antrag auf Fortführung des Verlustvortrags gemäß den Rahmenbedingungen des § 8d KStG entscheiden. Im Rahmen der zeitlichen Anwendung auf schädliche Beteiligungserwerbe ab 960 dem 1.1.2016 gemäß § 34 Abs. 6a Satz 1 KStG ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsbetrieb der betreffenden Körperschaft davor weder ein- noch ruhendgestellt sein darf. Diese generelle Nichtanwendung von § 8d KStG gilt nach dem Wortlaut unabhängig davon, wann und für welche Dauer der Geschäftsbetrieb ein- oder ruhendgestellt wird und sogar dann, wenn zum Zeitpunkt der Ein- oder Ruhendstellung überhaupt keine Verlustvorträge bestanden. So wäre nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 6a Satz 1 KStG bei einer Körperschaft, die in 2013 zeitweise ihren Geschäftsbetrieb ruhendgestellt hat, die Anwendung des § 8d KStG auf einen schädlichen Beteiligungserwerb in 2022 nicht möglich, selbst wenn in Folgejahren bis 2015 der Verlustvortrag vollständig verrechnet werden konnte und die Verluste erst ab 2016 entstanden sind. Dies widerspricht offensichtlich dem Sinn und Zweck der Vorschrift und muss nach zutreffender Auffassung im Wege einer verfassungskonformen Auslegung korrigiert werden, indem nur zum 31.12.2015 bereits inaktive Körperschaften hinsichtlich dieser Verlustvorträge von der Anwendung des § 8d KStG ausgeschlossen werden. Vgl. Suchanek/Rüsch, GmbHR 2018, 57f.
Bei Körperschaften, die mit einem neuen Geschäftsbetrieb neue Verluste er- 961 wirtschaften, muss § 8d KStG anwendbar sein, sofern – bezogen auf diesen neuen Geschäftsbetrieb – die übrigen Voraussetzungen erfüllt werden. Wurde der Geschäftsbetrieb im Beobachtungszeitraum des § 8d KStG – seit ihrer Gründung oder zumindest seit Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum des schädlichen Beteiligungserwerbs vorausgeht – ein- oder ruhendgestellt, so ist § 8d KStG auf diesen einzelnen schädlichen Beteiligungserwerb nicht anwendbar. Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8f.
Voraussetzung für die Anwendung von § 8d KStG ist ein Antrag der Ver- 962 lustkörperschaft, der in der Steuererklärung im Veranlagungsjahr des schädli237
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
chen Beteiligungserwerbs zu stellen ist. Es gelten insoweit die Formvorschriften für Steuererklärungen. Zeitlich kann der Antrag bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung nachgeholt werden. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 7; FG Köln, Beschl. v. 6.2.2019 – 10 V 1706/18, DStRE 2020, 338; Niedersächsisches FG, Urt. v. 28.11.2019 – 6 K 356/18, DStRE 2020, 912; Neumann/Höffer, GmbHR 2021, 413, 416; Kusch, NWB 2021, 1947, 1949.
963 Dies ermöglicht insbesondere in Fällen, in denen ein Anwendungsfall des § 8c KStG nicht erkannt wurde, den Antrag gemäß § 8d KStG nachzuholen. Auch die Rücknahme des Antrags kommt bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung bzw. des Feststellungsbescheides i. S. v. § 8d Abs. 1 Satz 7 KStG in Betracht, wobei die gleichen Formvorschriften gelten und daher die formgerechte Abgabe einer berichtigten Steuererklärung erfolgen muss. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 11.
964 Der Antrag gemäß § 8d KStG umfasst immer die Summe aus Verlustvortrag und dem laufenden Verlust des gesamten Veranlagungsjahres des schädlichen Beteiligungserwerbs und ist für jeden einzelnen schädlichen Beteiligungserwerb gesondert zu stellen. 965 Gewerbesteuerlich ist § 8d KStG über § 10a Satz 11 GewStG entsprechend anzuwenden. Der Antrag für die Körperschaft- und Gewerbesteuer kann aufgrund der Maßgeblichkeit des Antrags gemäß § 8d Abs. 1 Satz 5 KStG nur einheitlich ausgeübt werden. Die isolierte gewerbesteuerliche Anwendung ist nur dann gemäß § 10a Satz 12 GewStG möglich, wenn bei der Körperschaftsteuer mangels Verlustvortrags § 8d KStG nicht zur Anwendung kommt, aber bei der Gewerbesteuer ein negatives Ergebnis durch Kürzungen gemäß § 9 GewStG entstanden ist. Vgl. Suchanek/Rüsch, FR 2021, 194, dieselben bereits zuvor GmbHR 2018, 57, 61.
(1) Unterhaltung ausschließlich desselben Geschäftsbetriebs 966 Im Rahmen der Anwendung des § 8d KStG darf die betreffende Verlustkörperschaft während des Beobachtungszeitraums ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten. Diese Voraussetzung soll verhindern, dass die Körperschaft und ihre Anteilseigner in die Lage versetzt werden, Verluste aus nacheinander betriebenen verschiedenen Geschäftsbetrieben miteinander zu verrechnen. Der Begriff des Geschäftsbetriebs ist normspezifisch auszulegen und umfasst gemäß § 8d Abs. 1 Satz 3 KStG „die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft und bestimmt sich nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung“. Als qualitative
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Merkmale werden gemäß § 8d Abs. 1 Satz 4 KStG insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- oder Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer aufgezählt. Danach ist anhand der vorgenannten qualitativen Merkmale zu prüfen, ob die Unternehmensidentität der Verlustkörperschaft im Beobachtungszeitraum noch vorliegt. Betriebsbedingte Anpassungen an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse im sachlichen Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit beeinträchtigen die Unterhaltung desselben Geschäftsbetriebs i. S. d. § 8d KStG nicht. Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 11.
Letztlich muss im Wesentlichen der Kern der bisherigen Unternehmenstätig- 967 keit unter Berücksichtigung der qualitativen Merkmale fortgeführt werden. Betreibt eine Körperschaft mehrere unterschiedliche selbstständige Geschäfts- 968 betriebe, die mangels Förder- und Sachzusammenhangs nicht als einheitlicher Geschäftsbetrieb qualifiziert werden können, so soll § 8d KStG bereits dem Grunde nach nicht anwendbar sein. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 20.
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollte auch eine Körperschaft mit 969 verschiedenen Betätigungen bei Fortführung derselben wirtschaftlichen Betätigungen § 8d KStG anwenden können. Vgl. zutreffend Engelen/Heider, DB 2020, 2536 f.
Eine Ungleichbehandlung von Verlustkörperschaften mit einem oder zwei 970 Geschäftsbetrieben ist nicht zu rechtfertigen und könnte auch verfassungswidrig sein. Es sollte nur maßgeblich sein, dass die jeweiligen wirtschaftlichen Betätigungen im Beobachtungszeitraum fortgeführt werden. In der Praxis kann es zu schwierigen Abgrenzungsfragen kommen, ob noch „derselbe“ Geschäftsbetrieb i. S. d. § 8d KStG betrieben wird, dies gilt aber auch für die Beurteilung, ob trotz unterschiedlicher Betätigungen aufgrund eines Förderungs- und Ergänzungszusammenhangs – wie bei Autoverkauf mit angeschlossener Werkstatt – noch ein einheitlicher Geschäftsbetrieb vorliegt. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 21 ff.
Die Anforderungen an einen einheitlichen Geschäftsbetrieb i. S. d. § 8d Abs. 1 971 Satz 3 KStG sollten insoweit verfassungskonform weit ausgelegt werden. Vgl. Dörr/Reisich/Plum, NWB 2017, 496, 503.
(2) Kein schädliches Ereignis im Beobachtungszeitraum Im Rahmen der Anwendung des § 8d KStG darf im maßgeblichen Beobach- 972 tungszeitraum vor dem schädlichen Beteiligungserwerb kein schädliches Ereignis i. S. d. § 8d Abs. 2 KStG eingetreten sein. Der jeweils für jeden einzel239
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
nen schädlichen Beteiligungserwerb maßgebliche Beobachtungszeitraum umfasst regelmäßig vier Kalenderjahre, gerechnet vom Ende des Veranlagungsjahrs mit dem schädlichen Beteiligungserwerb rückwärts bis zum Beginn des dritten vorangehenden Veranlagungsjahrs. Wird beispielsweise der schädliche Beteiligungserwerb am 31.3.2022 realisiert, so umfasst der Beobachtungszeitraum den 1.1.2019 bis 31.12.2022. Wurde die Verlustkörperschaft erst in diesem Vierjahreszeitraum gegründet, so ist der kürzere Zeitraum ab Gründung maßgeblich. 973 Mithin ist im ersten Schritt eine vergangenheitsbezogene Prüfung der schädlichen Ereignistatbestände bei Beantragung gemäß § 8d KStG vorzunehmen. Liegen im maßgeblichen Beobachtungszeitraum keine schädlichen Ereignisse vor und ist daher unter Anwendung von § 8d KStG der fortführungsgebundene Verlustvortrag antragsgemäß festzustellen, so muss in der Folgezeit geprüft werden, ob dieser fortführungsgebundene Verlust wegen Eintritt eines schädlichen Ereignistatbestands wegfällt. Die vergangenheitsbezogene Prüfung sollte jeweils vor Realisierung des schädlichen Beteiligungserwerbs durchgeführt werden, um ggf. das Timing so zu optimieren, dass der schädliche Ereignistatbestand wegen Zeitablaufs nicht mehr im vergangenheitsbezogenen Beobachtungszeitraum liegt. 974 Als schädlicher Ereignistatbestand ist in § 8d Abs. 2 Satz 1 KStG insbesondere die Einstellung des Geschäftsbetriebs normiert; darüber hinaus liegen weitere schädliche Ereignistatbestände gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 6 KStG vor, wenn: 1. der Geschäftsbetrieb ruhend gestellt wird, 2. der Geschäftsbetrieb einer andersartigen Zweckbestimmung zugeführt wird, 3. die Körperschaft einen zusätzlichen Geschäftsbetrieb aufnimmt, 4. die Körperschaft sich an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, 5. die Körperschaft die Stellung eines Organträgers i. S. d. § 14 Abs. 1 KStG einnimmt oder 6. auf die Körperschaft Wirtschaftsgüter übertragen werden, die sie zu einem geringeren als dem gemeinen Wert ansetzt. 975 Die Einstellung sowie das Ruhendstellen des Geschäftsbetriebs sind jeweils ein schädliches Ereignis i. S. d. § 8d Abs. 2 Satz 1 bzw. Satz 2 Nr. 1 KStG, wodurch die Nutzung noch bestehender Verluste in bereits inaktiven Körperschaften vermieden werden soll. Nach der Gesetzesbegründung soll auch die bloße Verringerung des Geschäftsbetriebs auf ein unwesentliches Maß bereits eine schädliche Einstellung darstellen. Vgl. BT-Drucks. 18/9986, 13.
976 Dagegen sollte nach zutreffender Auffassung entsprechend dem Wortlaut die Fortführung eines vorhandenen Geschäftsbetriebs in geringerem Umfang 240
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
ausreichend sein, sodass kein schädliches Ereignis vorliegt. In der Praxis wird dies aber regelmäßig streitanfällig sein. Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 12; Dörr/Reisich/Plum, NWB 2017, 573, 574.
Die Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs setzt die unternehmerische Ent- 977 scheidung voraus, den Geschäftsbetrieb trotz fortbestehender Fortführungsmöglichkeit nicht weiterzuführen. Die vorübergehende Betriebsschließung wegen behördlicher Anordnungen (z. B. aufgrund der COVID 19-Pandemie) oder wegen Erkrankungen ist insoweit nicht ausreichend. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 26.
Darüber hinaus soll bereits das zeitweise bloße Ruhendstellen des Geschäfts- 978 betriebes ein schädliches Ereignis sein. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745b/19/1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 28.
Dies ist abzulehnen, sofern der nämliche Geschäftsbetrieb wiederaufge- 979 nommen wird und daher kein Missbrauch in Betracht kommt. Die Verpachtung des Geschäftsbetriebs soll nach Auffassung der Finanzverwaltung ebenfalls als Ruhendstellen des Geschäftsbetriebs schädlich sein, da der Geschäftsbetrieb durch die Körperschaft selbst ausgeübt werden muss. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 27.
Auch insoweit liegt jedoch kein Missbrauch der Verlustnutzung vor. Die Be- 980 gründung einer Betriebsaufspaltung ist daher nach richtiger Auffassung nicht als Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs zu qualifizieren. Vgl. Neumann/Höffer, GmbHR 2021, 413, 420.
Die Zuführung des Geschäftsbetriebs zu einer andersartigen Zweckbestim- 981 mung gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KStG beinhaltet den sog. „Branchenwechsel“ als schädliches Ereignis. Dies setzt eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Betätigung als Unternehmensgegenstand voraus. Die Änderung des satzungsmäßigen Zwecks der Verlustkörperschaft kann insoweit ein Indiz für einen Branchenwechsel darstellen. Wird der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand lediglich an die schon bestehenden tatsächlichen Verhältnisse angepasst, so führt diese formale Anpassung in sachlichem Zusammenhang mit den bisher tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten der Verlustkörperschaft nicht zum Branchenwechsel. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 32.
Der Branchenwechsel ist daher nicht formal, sondern materiell anhand der- 982 selben Kriterien zu bestimmen wie im Zusammenhang mit der Prüfung des Unterhaltens desselben Geschäftsbetriebs hinsichtlich der tatsächlichen Fort241
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
führung des Kerns der bisherigen Unternehmenstätigkeit unter Berücksichtigung der qualitativen Merkmale. Vgl. Dörr/Reisich/Plum, NWB 2017, 573, 575; Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 12.
983 Die Weiterentwicklung des Geschäftsbetriebs im Rahmen des technologischen Fortschritts – z. B. Eröffnung eines Online-Shops – führt nicht zum Branchenwechsel, wobei der bisherige Geschäftsbetrieb fortgeführt werden muss. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 32.
984 Auch etwaige Ergänzungen des Geschäftsbetriebs im Zusammenhang mit der COVID 19-Pandemie sollten insoweit unschädlich sein. Maßgeblicher Prüfungsmaßstab für den Branchenwechsel ist mithin, ob der Kern der bisherigen Unternehmenstätigkeit unter Berücksichtigung der qualitativen Merkmale fortgeführt wird. 985 Die Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs stellt gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 KStG ebenfalls ein schädliches Ereignis dar. Hierdurch soll die Nutzung aufgelaufener Verluste durch künftige Gewinne eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs verhindert werden. Auch insoweit ist allerdings die Weiterentwicklung des Geschäftsbetriebs im Rahmen des technologischen Fortschritts unschädlich, solange ein Förder- und Sachzusammenhang zum fortgeführten verlustverursachenden Geschäftsbetrieb besteht. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 33.
986 Die Abgrenzung einer unschädlichen wirtschaftlichen Erweiterung des bisherigen Geschäftsbetriebs von der Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs wird in der Praxis ebenfalls streitanfällig sein. 987 Die Beteiligung der maßgeblichen Verlustkörperschaft an einer Mitunternehmerschaft ist ebenfalls ein schädliches Ereignis gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 KStG. Dies gilt unabhängig von der Höhe der Beteiligung, wodurch auch bei unbedeutenden Beteiligungen die Anwendung von § 8d KStG ausgeschlossen wird (keine Bagatellschwelle). Danach reichen bereits Kleinstbeteiligungen an einer Mitunternehmerschaft aus. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 38.
988 Ist die Verlustgesellschaft bereits zu Beginn des Beobachtungszeitraums an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, so kommt die Anwendung von § 8d KStG bereits gemäß § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht in Betracht. Danach soll die Verrechnung von Verlusten der Körperschaft gemäß § 8d KStG mit Gewinnen aus der Mitunternehmerschaft verhindert werden, die nicht aus demselben Geschäftsbetrieb stammen. Ob diese Regelung bei einem durch-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
gehenden Bestand derselben Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft sowie Fortführung der jeweiligen Geschäftsbetriebe verfassungskonform ist, erscheint fraglich. Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 13.
Mittelbare Beteiligungen an einer Mitunternehmerschaft über eine zwischen- 989 geschaltete Körperschaft sind dagegen unschädlich. Nach § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KStG schließt auch die Stellung der Verlust- 990 körperschaft als Organträger zu Beginn des Beobachtungszeitraums die Anwendung von § 8d KStG aus. Die Übernahme der Stellung als Organträger ist gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 KStG ein schädliches Ereignis, sodass im Ergebnis die Anwendung von § 8d KStG auf einen Organträger insgesamt ausgeschlossen ist. Bei einem durchgehenden Bestand desselben Organkreises sowie Fortführung der betreffenden Geschäftsbetriebe ist fraglich, ob diese Ungleichbehandlung verfassungskonform ist. Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8, 13.
Bei rückwirkendem Wegfall der Voraussetzungen für die Organschaft durch 991 Nichteinhaltung der Fünf-Jahres-Frist gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 KStG entfällt zugleich das schädliche Ereignis mit Rückwirkung. Vgl. BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV C2 – S 2745-b/19/ 1002:002, BStBl. 2021 I, 363, Rn. 42.
Schließlich liegt gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KStG ein schädliches Ereig- 992 nis vor, wenn der Verlustkörperschaft Wirtschaftsgüter zu einem geringeren Wert als dem gemeinen Wert übertragen werden. Danach soll die Verrechnung von Verlusten der Körperschaft gemäß § 8d KStG mit späteren Gewinnen aus den stillen Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter verhindert werden, die nicht aus demselben Geschäftsbetrieb stammen. Diese Fallgestaltung betrifft insbesondere die Ausübung steuerlicher Wahlrechte zur niedrigeren Bewertung im Rahmen von umwandlungssteuerrechtlichen Vorgängen. Beispielsweise kann auch bereits unmittelbar mit dem schädlichen Beteiligungserwerb durch Einbringung einer Sacheinlage zu Buchwerten gemäß § 20 UmwStG ein schädliches Ereignis realisiert werden und führt mithin zum Ausschluss der Anwendung von § 8d KStG. Konsequenterweise muss mit einem rückwirkenden Wegfall des Wertansatzes unter dem gemeinen Wert – z. B. bei Einbringungen wegen § 22 UmwStG – auch das schädliche Ereignis gemäß § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KStG mit Rückwirkung wegfallen. Vgl. Neumann/Höffer, GmbHR 2021, 413, 422 f.
(3) Rechtsfolgen des § 8d KStG Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 8d KStG und Antragstellung der 993 Verlustkörperschaft ist auf den schädlichen Beteiligungserwerb der Wegfall des Verlustabzugs gemäß § 8c KStG nicht anwendbar und die Verlustabzüge
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bleiben daher dem Grunde nach mit künftigen Gewinnen ausgleichs- und abzugsfähig. Der vortragsfähige Verlustabzug wandelt sich aber in einen fortführungsgebundenen Verlustvortrag, der als solcher entsprechend § 10d Abs. 4 EStG zum Schluss des Veranlagungsjahres des schädlichen Beteiligungserwerbs gesondert festgestellt wird. Auch bei einem unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb umfasst der fortführungsgebundene Verlustvortrag das gesamte Ergebnis des betreffenden Veranlagungszeitraums. Mithin findet abweichend von § 8c KStG keine Aufteilung der anteiligen Ergebnisse vor und nach dem schädlichen Beteiligungserwerb statt. Dies kann zu Nachteilen führen, wenn die Verlustgesellschaft nach dem schädlichen Beteiligungserwerb einen hohen Verlust realisiert hat, da dieser nach § 8c KStG grundsätzlich unbegrenzt vortragsfähig bleibt, wohingegen bei § 8d KStG der Verlustvortrag für das gesamte Jahr bei einem nachträglichen schädlichen Ereignis wegfallen kann. 994 Der fortführungsgebundene Verlustvortrag ist in den Folgejahren jeweils zum Schluss des Veranlagungsjahrs gesondert festzustellen, wobei etwaige weitere Verluste in den Folgejahren nicht dem fortführungsgebundenen Verlustvortrag zugerechnet, sondern als allgemeiner steuerlicher Verlustvortrag gesondert festgestellt werden. Bei Gewinnen in den Folgejahren ist der fortführungsgebundene Verlustvortrag im Rahmen der Mindestbesteuerung nach § 8d Abs. 1 Satz 8 KStG vorrangig vor dem allgemeinen steuerlichen Verlustvortrag abzuziehen. 995 Bei Verwirklichung eines schädlichen Ereignistatbestands gemäß § 8d Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1-6 KStG in den Folgejahren geht der zuletzt festgestellte fortführungsgebundene Verlustvortrag unter, soweit er nicht durch die zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorhandenen stillen Reserven gedeckt ist. Bis zur vollständigen Nutzung des fortführungsgebundenen Verlustvortrags darf die Verlustgesellschaft insoweit kein schädliches Ereignis verwirklichen, da sonst der noch nicht genutzte fortführungsgebundene Verlustvortrag entfällt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des schädlichen Beteiligungserwerbs gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG die Anwendung von § 8d KStG zu nachteiligen Folgen führen kann, da der fortführungsgebundene Verlustvortrag den gesamten Verlust zum Schluss des Veranlagungsjahrs des schädlichen Beteiligungsjahrs (keine Aufteilung der Verluste vor und nach dem Beteiligungserwerb) umfasst und bei nachträglichem schädlichem Ereignis vollständig wegfällt. 996 Vor einer Antragstellung nach § 8d KStG sollten daher immer die Risiken eines nachträglichen Wegfalls des fortführungsgebundenen Verlustvortrages im Verhältnis zur Anwendung des Wegfalls gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG abgewogen werden, da eine Rückkehr zu den günstigeren Rechtsfolgen des § 8c KStG nicht möglich ist. 997 Im Rahmen der Ermittlung des Wegfalls des fortführungsgebundenen Verlustvortrags ist auf den zum Schluss des dem schädlichen Ereignis vorange-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
gangenen Geschäftsjahres und die insoweit vorhandenen stillen Reserven abzustellen. Der fortführungsgebundene Verlustvortrag bleibt insoweit in Höhe der stillen Reserven der Körperschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehen. Dagegen bleiben etwaige neue steuerliche Verlustvorträge, die nach dem Schluss des Veranlagungsjahrs des schädlichen Beteiligungserwerbs entstanden sind, bestehen. Bei einem nachfolgenden weiteren schädlichen Beteiligungserwerb nach Fest- 998 stellung des fortführungsgebundenen Verlustvortrags geht der noch vorhandene fortführungsgebundene Verlustvortrag abzüglich der noch vorhandenen stillen Reserven unter. Die Verlustkörperschaft kann dann für den weiteren nachfolgenden schädlichen Beteiligungswechsel einen neuen Antrag gemäß § 8d KStG stellen, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Es entsteht dann insoweit ein neuer fortführungsgebundener Verlustvortrag. § 8d KStG gilt nach § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG auch für den Zinsvortrag gemäß 999 § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG entsprechend. Dies betrifft auch das Verfahren der Antragstellung und gesonderten Feststellung. c) Keine Nutzung steuerlicher Verlustvorträge mehr bei Verschmelzung/Abspaltung Früher war es möglich, statt der Veräußerung der Anteile an einer Verlust- 1000 kapitalgesellschaft, diese auf eine Gewinnkapitalgesellschaft zu verschmelzen, um den Verlustvortrag durch die aufnehmende Kapitalgesellschaft gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG a. F. zu nutzen. Gleiches galt für zur Aufnahme abgespaltene Gesellschaften gemäß § 15 Abs. 1 UmwStG i. V. m. § 12 Abs. 3 UmwStG a. F. Eingeschränkt wurden die Regelungen durch die Notwendigkeit, dass der 1001 verlustverursachende Betrieb bzw. Betriebsteil ab dem Verschmelzungsstichtag mindestens fünf Jahre in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse vergleichbaren Umfang fortgeführt werden musste. Vgl. BMF-Schreiben v. 16.4.1999, BStBl. I 1999, 455, 458 Rn. 36 ff.; vgl. auch BFH, Urt. v. 29.6.2009 – I R 60/09, BFH/NV 2011, 71 ff.
Diese Möglichkeiten der Verlustnutzung wurden durch das Gesetz über 1002 steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) Ende 2006 abgeschafft. Vgl. BGBl. I 2006, 2782 ff.
Nach § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG tritt die übernehmende Körperschaft 1003 grundsätzlich in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft ein. Allerdings führt der Verweis von § 12 Abs. 3 UmwStG auf § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG explizit zum Wegfall verrechenbarer Verluste, ver-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bleibender Verlustvorträge oder von vom übertragenden Rechtsträger nicht ausgeglichener negativer Einkünfte. d) Verlustnutzung durch andere Gestaltungen 1004 Zur Umgehung der Mantelkaufproblematik von § 8 Abs. 4 KStG a. F. bzw. § 8c KStG und der speziellen Verschmelzungsfolgen gemäß § 12 Abs. 3 UmwStG i. V. m. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG bieten sich zur Verlustnutzung unter Umständen die folgenden Gestaltungen an: aa) Gestaltung einer Organschaft 1005 Die Verlustgesellschaft erwirbt die Anteile an der profitablen Gesellschaft und schließt mit dieser einen Gewinnabführungsvertrag. Nachdem steuerlich nunmehr eine Organschaft zwischen den beiden Gesellschaften besteht, verkauft die profitable Organgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb im Rahmen des Asset Deals unter Hebung der stillen Reserven an den Erwerber. Die Organträgergesellschaft verrechnet diesen laufenden Gewinn mit ihrem Verlustvortrag. Vgl. Holzapfel/Pöllath/Bergjan/Engelhardt, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 490.
1006 Diese Gestaltung erfährt jedoch Einschränkungen durch die Mindestbesteuerung und kann daher nur für kleinere Gesellschaften ohne steuerliche Belastungen angewandt werden. bb) Realisation stiller Reserven 1007 Die Verlustnutzung kann zudem durch Realisation von stillen Reserven (insbesondere bei nicht aktivierten immateriellen Wirtschaftsgütern) im Rahmen eines Asset Deals an die übernehmende Gesellschaft im Konzernverbund bewirkt werden. Die übernehmende Gesellschaft erhält insoweit Abschreibungspotenzial. Bei der Verlustgesellschaft ist allerdings die Grenze der Mindestbesteuerung zu beachten. 1008 Auch „Sale-and-Lease-Back-Gestaltungen“ können als Mittel der Verlustnutzung verwendet werden. Die Aufdeckung der in dem zu übertragenden Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven sollte insoweit im Falle eines Verlustabzugs/-ausgleichs unter Berücksichtigung der Mindestbesteuerung keine Steuerbelastung auslösen. Steht die Verlustnutzung im Vordergrund, ist jedoch zu beachten, dass diese nur dann erreicht werden kann, wenn mit der zivilrechtlichen Eigentumsübertragung auch das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) auf den Leasinggeber übergeht. Zu bedenken ist zudem, dass dies gleichsam die nachteilige Folge einer gewerbesteuerlichen Hinzurechnung der Leasingraten gemäß § 8 Nr. 1 lit. d) oder e) GewStG zur Folge hat.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
e) Steuerliche Behandlung von stillen Gesellschaften/Genussrechten Im Rahmen eines Unternehmenskaufs in der Krise werden auch des Öfteren 1009 stille Gesellschafter oder Genussrechtsinhaber von Maßnahmen betroffen. Steuerlich ist der sog. typisch stille Gesellschafter mit den Rechten gemäß §§ 230 ff. HGB kein Mitunternehmer, sondern erzielt vielmehr Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die typische stille Einlage ist in der Bilanz des Kaufmanns als Fremdkapital unter den sonstigen Verbindlichkeiten auszuweisen. Die Gewinnbeteiligung des typisch stillen Gesellschafters ist bei dem Unternehmen als Betriebsausgabe abzugsfähig, umgekehrt führt die Verlustbeteiligung zu einer entsprechenden Betriebseinnahme beim Unternehmen. Trägt der stille Gesellschafter aufgrund durch Gesellschaftsvertrag begründete 1010 Rechte und Pflichten – abweichend von den Regelungen der §§ 230 ff. HGB – Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative, so wird er steuerlich als atypisch stiller Gesellschafter behandelt. Die atypisch stille Gesellschaft ist selbst Subjekt im Rahmen der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation. Der atypisch stille Gesellschafter bezieht bei einer gewerblichen Tätigkeit des Unternehmens Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft werden im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung anteilig dem Unternehmen und dem stillen Gesellschafter unmittelbar zugerechnet. Gewinn bzw. Verlust des Unternehmens ist mithin von vornherein um den Anteil des stillen Gesellschafters gemindert bzw. erhöht. Objekt der Gewerbesteuer ist jedoch das Unternehmen selbst und nicht die atypisch stille Gesellschaft; Schuldner der Gewerbesteuer ist der Inhaber des Handelsgewerbes, § 5 Abs. 1 Satz 2 GewStG. Zugewiesene Verluste, die die Einlage des atypisch stillen Gesellschafters über- 1011 steigen, sind gemäß § 15a Abs. 5 i. V. m. § 15 Abs. 1 EStG nicht mit anderen Einkünften ausgleichbar, da insoweit ein negatives „Einlagekonto“ des stillen Gesellschafters entsteht oder sich erhöht. Sie sind auch nicht nach § 10d EStG im Rahmen des allgemeinen Verlustabzugs vor- oder rücktragungsfähig. Diese Verluste sind nur mit zukünftigen Gewinnen aus der stillen Beteiligung verrechenbar. Sie werden deshalb gemäß § 15a Abs. 4 Satz 1 EStG gesondert festgestellt. Dieser Vorgang ist beim stillen Gesellschafter steuerlich unbeachtlich und damit erfolgsneutral. Gleiches gilt dementsprechend für die spätere Auffüllung durch Gewinnanteile bis zur Höhe des gesondert festgestellten Verlusts, die ebenso erfolgsneutral erfolgt. Bei Genussrechten wird steuerlich zwischen der Gewährung einer Betei- 1012 ligung am laufenden Ergebnis (sog. einfache Genussrechte) und der zusätzlichen Beteiligung am Liquidationserlös (Genussrechte mit Beteiligungscharakter) unterschieden. Die einfachen Genussrechte begründen einen schuldrechtlichen Anspruch des Inhabers und sind als Fremdkapital zu passivieren. Vergütungen hierauf sind steuerlich Betriebsausgaben. Auch eine Nachrang-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
vereinbarung auf einfache Genussrechte qualifiziert diese nicht zu einer Beteiligung i. S. v. § 17 EStG. BFH, Urt. v. 14.6.2005 – VIII R 73/03, DStR 2005, 1847, 1849.
1013 Steuerlich bestimmt § 8 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt KStG als Sondervorschrift für Genussrechte ausdrücklich, dass Ausschüttungen auf Genussrechte das Einkommen nicht mindern, wenn das Genussrecht kumulativ am Gewinn und am Liquidationserlös beteiligt wird. Das Genussrecht kann danach als steuerliches Fremdkapital ausgestaltet werden, wenn es nicht am Liquidationserlös der Gesellschaft beteiligt wird und daher nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als beteiligungsähnliches Genussrecht erfüllt. In diesen Fällen bleibt die Vergütung des Genussrechts aus Sicht der Gesellschaft steuerlicher Aufwand und mindert das körperschaftsteuerliche Einkommen sowie den Gewerbeertrag vorbehaltlich sonstiger Abzugsbeschränkungen wie die Zinsschranke. Auch eine Nachrangvereinbarung auf einfache Genussrechte qualifiziert diese nicht zu Eigenkapital. Vgl. Karcher, DStR 2020, 1945, 1949 zugleich als Anm. zum BFH-Urt. v; 14.8.2019 – I R 44/17, DStR 2020, 1307; kritisch hierzu Schmid DStR 2020, 2633; zuvor BFH, Urt. v. 19.1.1994 – I R 67/92, BStBl. II 1996, 77; BFH, Urt. v. 14.6.2005 – VIII R 73/03, DStR 2005, 1847, 1849.
1014 Die Genussrechte mit Beteiligungscharakter haben dagegen wirtschaftlich Eigenkapitalcharakter und werden daher auch handelsbilanziell unter bestimmten Voraussetzungen als „Quasi-Eigenkapital“ mit einem eigenen MezzanineSonderposten „sui generis“ passiviert. Die Finanzverwaltung hat mittlerweile anerkannt, dass diese handelsbilanzielle Umqualifizierung in Eigenkapital nicht aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes gemäß § 5 Abs. 1 EStG zugleich eine steuerbilanzielle Umqualifizierung bewirkt. FM Nordrhein-Westfalen v. 18.7.2018 – S 2133-000036-V B 1, DB 2018, 1762; FBeh. Hamburg, Fachinformation v. 25.1.2019 – S 2133 – 2017/001 – 52/S 2742 – 2017/003 – 53, DStR 2019, 1093; zuvor a. A. OFD Nordrhein-Westfalen, 12.5.2016 – S27422019/0009-St 131, DStR 2016, 1816; vgl. hierzu auch Hennrichs/ Schlotter, DB 2016, 2072 ff.
1015 Im Rahmen von Sanierungsgewinnen, z. B. durch den Forderungsverzicht auf ein Darlehen, ist zu beachten, dass dieser Gewinn entsprechend den vertraglichen Regelungen grundsätzlich anteilig den stillen Gesellschaftern oder Genussrechtsinhabern zuzurechnen wäre. Eine abweichende Vereinbarung ist allerdings möglich. 3. Besteuerung von Sanierungsgewinnen 1016 Die steuerlichen Auswirkungen des Forderungsverzichts sind im Rahmen von Sanierungen, StaRUG- und Insolvenzverfahren zu berücksichtigen und sollten vorab mit der Finanzverwaltung im Rahmen einer verbindlichen Auskunft abgestimmt werden. So kann ein Insolvenzplan regelmäßig nur dann 248
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
erfolgreich umgesetzt werden, wenn der Sanierungsgewinn aufgrund des Forderungsverzichts der Gläubiger als maßgebliche Sanierungsmaßnahme nicht unmittelbar zu einer Steuerbelastung des schuldnerischen Unternehmens führt. Verzichtet neben Drittgläubigern auch ein Anteilseigner einer Kapitalgesell- 1017 schaft auf seine Forderung, so führt dies in Höhe des werthaltigen Teils zu einer steuerneutralen (verdeckten) Einlage; der nicht werthaltige Teil führt, wie beim Drittgläubiger, zu einem grundsätzlich steuerpflichtigen Sanierungsgewinn. Großer Senat des BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 ff.
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nachrangige Anteils- 1018 eignerdarlehen i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO regelmäßig insgesamt nicht werthaltig sind, sofern nicht ausnahmsweise die vorrangigen Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO im konkreten Fall vollständig befriedigt werden. a) Besteuerung von Sanierungsgewinnen bis 8.2.2017 Noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 wurde die Steu- 1019 erbefreiung von Sanierungsgewinnen gemäß § 3 Nr. 66 EStG a. F. mit Wirkung zum 1.1.1998 ersatzlos gestrichen. Die Steuerbefreiung hatte bis dahin zur Folge, dass Verlustvorträge trotz Inanspruchnahme der Steuerfreiheit weiterhin genutzt werden konnten und demzufolge die Sanierung zusätzlich gefördert wurde. Die Abschaffung der gesetzlich normierten Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns führte demgegenüber – trotz der besseren insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Sanierung in der Insolvenz seit dem 1.1.1999 – zu einer erheblichen Unsicherheit für die Umsetzung von Sanierungen in der Praxis. Die Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a. F. sollte jedoch lediglich die sog. Doppelbegünstigung durch die Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns sowie die zusätzliche Nutzung der steuerlichen Verlustvorträge gemäß § 10d EStG beseitigen. Eine Besteuerung des Sanierungsgewinns konnte seit dem 1.1.1998 nur noch durch Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen unter bestimmten Voraussetzungen vermieden werden. Vgl. FG Münster, Urt. v. 27.5.2004 – 2 K 1307/02, EFG 2004, 1572 ff.
Die unsicheren Rahmenbedingungen der steuerlichen Behandlung des Sanie- 1020 rungsgewinns führten schließlich zum Erlass eines BMF-Schreibens betreffend die ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen, nämlich durch Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß §§ 163, 222, 227 AO. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240 ff.; ergänzend BMF-Schreiben v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 18 zur Anwendbarkeit auf das Insolvenzplanverfahren sowie die Restschuldbefreiung.
Mit Ausnahme einer modifizierten Verrechnung vorhandener Verlustvorträge 1021 und negativer Einkünfte setzte der Sanierungserlass im Ergebnis die Rechts249
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
folge des früheren § 3 Nr. 66 EStG im Wege der Billigkeit wieder in Kraft. Die von der Rechtsprechung zum früheren § 3 Nr. 66 EStG gefundenen Rechtsgrundsätze wurden im Sanierungserlass in weitem Umfang inhaltlich übernommen. 1022 Erlass und Stundung sind Billigkeitsmaßnahmen, die als Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung von den Finanzgerichten nur eingeschränkt überprüfbar sind. Die Ermessensausübung der Finanzverwaltung ist gemäß § 102 FGO lediglich daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Das Ermessen der Finanzverwaltung kann sich allerdings bei Vorliegen aller im Sanierungserlass geregelten Voraussetzungen für eine steuerliche Sonderbehandlung auf null reduzieren, sodass ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Erlass der Steuer auf den Sanierungsgewinn bestehen konnte. BMF-Schreiben v. 273, 2003, BStBl. I 2003, 240, 243 Rn. 12; vgl. zuletzt BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 23/13, DStR 2015, 1443 ff.
1023 Nachdem infolge dieses BMF-Schreibens regelmäßig von der faktischen Nichtbesteuerung von Sanierungsgewinnen nach Verrechnung von Verlustvorträgen ausgegangen werden konnte, hatte zunächst das FG München Kritik an dieser generellen Praxis geäußert. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass das BMF-Schreiben die frühere Rechtsfolge des § 3 Nr. 66 EStG a. F. über den Billigkeitsweg gewährt, eine derartige Verfahrensweise jedoch mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen sei, da der Gesetzgeber durch Streichung des § 3 Nr. 66 EStG a. F. ausdrücklich zum Ausdruck gebracht habe, dass eine generelle und abstrakte Steuerfreistellung von Sanierungsgewinnen gerade nicht gewollt sei. Allein das Vorliegen der im Billigkeitserlass geforderten Voraussetzungen reiche nicht aus, um in jedem Fall den Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen anzunehmen. Schließlich sei für Billigkeitsentscheidungen in Fällen der Insolvenz nur in völlig außergewöhnlichen Sachverhaltskonstellationen (sachliche Unbilligkeit) Raum. Daneben könne der Steuererlass auch noch aufgrund persönlicher Billigkeitsgründe in Betracht kommen. Dieser Auffassung hat sich auch das FG Sachsen angeschlossen. FG München, Urt. v. 12.12.2007 – 1 K 4487/06, EFG 2008, 615 ff.; FG Sachsen, Urt. v. 24.4.2013 – 1 K 759/12, EFG 2013, 1898 f.
1024 Der 10. Senat des BFH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 nicht tragend die Rechtmäßigkeit des Sanierungserlasses bestätigt. BFH, Urt. v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl. II 2010, 916 ff.
1025 Im Rahmen einer summarischen Prüfung hielt jedoch der 8. Senat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2012 Billigkeitsmaßnahmen auf der Grundlage des Sanierungserlasses für zweifelhaft, hat aber auch nicht die Gesetzwidrigkeit des Sanierungserlasses postuliert.
250
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen BFH, Beschl. v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, DStR 2012, 943 ff.
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 hat der 9. Senat die Frage, ob der 1026 Sanierungserlass gesetzwidrig sei und deswegen keine Anwendung finde, ausdrücklich offengelassen. Mit Beschluss vom 25.3.2015 ließ der 10. Senat des BFH die Rechtsfrage, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, dem Großen Senat des BFH als Vorlagefrage vorlegen. In diesem Beschluss begründete der 10. Senat nochmals seine Auffassung, dass der Sanierungserlass mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorbehalt des Gesetzes vereinbar sei. BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 23/13, DStR 2015, 1443 ff.
Der Große Senat des BFH hat schließlich mit seinem Beschluss vom 1027 28.11.2016 die im Sanierungserlass getroffene Billigkeitsregelung wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen. Zentrale Begründung des Großen Senats des BFH war, dass der Gesetzgeber die ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 66 EStG a. F. abgeschafft hatte, sodass es der Finanzverwaltung verwehrt bleiben muss, eine Steuerbefreiung zu gewähren. BFH, Beschl. v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393.
Die Finanzverwaltung wollte den Sanierungserlass aus Gründen des Vertrau- 1028 ensschutzes auf Altfälle bis zum Tag der Veröffentlichung des BFHBeschlusses am 8.2.2017 anwenden. BMF-Schreiben v. 27.4.2017, BStBl. I 2017, 741.
Nach Auffassung des BFH ist jedoch auch das vorgenannte BMF-Schreiben 1029 zur Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle rechtswidrig. BFH, Urt. v. 23.8.2017 – X R 38/15, BStBl. II 2018, 236 und I R 52/14, BStBl. II 2018, 232.
Daraufhin hat die Finanzverwaltung einen Nichtanwendungserlass zu den 1030 vorgenannten BFH-Entscheidungen erlassen, um den Sanierungserlass auf Altfälle vor dem 9.2.2017 weiterhin anzuwenden. BMF-Schreiben v. 29.3.2018, BStBl. I 2018, 588.
Der BFH hat auch diesen Nichtanwendungserlass des BMF erneut für nicht 1031 rechtens erklärt. BFH, Beschl. v. 16.4.2018 – X B 13/18, NZI 2018, 570, m. Anm. Schmittmann.
Die Finanzverwaltung beruft sich insoweit auch auf den Deutschen Bundes- 1032 tag, der sich dieser Vertrauensschutzregelung angeschlossen hatte. Vgl. BT-Drucks. 18/12128, 33; Lenger, NZI 2018, 347 ff; Uhländer, DB 2018, 854 ff.
Danach soll es bei der Anwendung des alten Sanierungserlasses durch die Fi- 1033 nanzverwaltung bleiben, wenn der Forderungsverzicht bis zum 8.2.2017 251
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
vollzogen wurde. Bereits vor diesem Stichtag erteilte verbindliche Auskünfte sollen nur dann zurückgenommen werden, wenn diese nicht schon im Wesentlichen vollzogen wurden oder keine anderen Gründe für einen Vertrauensschutz vorliegen. BMF-Schreiben v. 27.4.2017, BStBl. I 2017, 741; vgl. dazu Hiller/Baschnagel, DStZ 2018, 537 ff.
1034 Allerdings wird der Sanierungserlass im finanzgerichtlichen Verfahren für Altfälle nicht angewendet. BFH, Beschl. v. 8.5.2018 – VIII B 124/17, ZInsO 2018, 1511.
1035 Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 aufgrund dieser unsicheren Rechtslage auch für Altfälle vor dem 9.2.2017 gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG eine antragsgebundene Anwendung der Neuregelung gemäß § 3a EStG, § 7b GewStG eingeführt, um eine lückenlose Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen sicherzustellen. BGBl. I 2018, 2338.
1036 Dies ist allerding aus verfahrensrechtlichen Gründen für Altfälle nicht umfassend gelungen, da § 3a EStG als Steuerbefreiungsvorschrift im Veranlagungsverfahren anzuwenden ist, wohingegen der Sanierungserlass als Billigkeitsmaßnahme erst im Erhebungsverfahren anzuwenden war. Bei Altfällen mit bestandskräftigem Bescheid mit Sanierungsgewinn ist ggf. nur ein Rechtsbehelfsverfahren betreffend die Anwendung des alten Sanierungserlasses im Erhebungsverfahren anhängig, sodass eine Änderungsvorschrift für den bestandskräftigen Bescheid fehlt und der neue § 3a EStG als Billigkeitsmaßnahme nicht anwendbar ist. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.3.2021 – 5 K 1689/20, ZInsO 2021, 1131; FG Münster, Urt. v. 15.5.2019 – 13 K 2520/16 AO, EFG 2019, 1401.
1037 Die rückwirkende Änderung von Steuergesetzen ist zugleich als rückwirkendes Ereignis i. S. d. Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu werten. Der Antrag auf Anwendung des § 3a EStG stellt insoweit ein rückwirkendes Ereignis dar, wofür auch die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG betreffend die rückwirkende Ausübung des Antragsrechts spricht. Zutreffend FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013; vgl. hierzu zuvor bereits Hasbach, DB 2019, 871, 874 f.; Eilers/Tiemann, Ubg 2020, 190, 194 f.; Kanzler, NWB 2021, 1367, 1368 ff.; a. A. Förster/Hechtner, DB 2019, 10, 12, die ein rückwirkendes Ereignis mangels Änderung des Lebenssachverhalts ablehnen.
1038 Einer zeitlich uferlosen Ausübung des Antragsrechts wird teilweise dadurch begegnet, hinsichtlich des Beginns der Festsetzungsfrist des § 175 Abs. 1
252
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt der Einführung der gesetzlichen Neuregelung gemäß § 3a EStG am 11.12.2018 abzustellen. Danach wäre dann nach Ablauf der vierjährigen Feststellungsfrist kein Antrag mehr möglich. So FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013.
Im Ergebnis kann auf Antrag des Steuerpflichtigen entsprechend dem aus- 1039 drücklichen Willen des Gesetzgebers gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG auch noch für Altfälle die Anwendung der neuen Steuerbefreiungsvorschriften durchgesetzt werden. Hinsichtlich der Gewerbesteuer führt diese rückwirkende Regelung dazu, dass die Gemeinden bereits in diesen offenen Altfällen bei entsprechender Antragstellung keine Entscheidungsbefugnis mehr haben, wobei das Wahlrecht für die Gewerbe- und Einkommen-/Körperschaftsteuer jeweils eigenständig und damit unabhängig voneinander ausgeübt werden kann. Vgl. BayLfSt, Vfg. v. 11.2.2019 – G 1413.1.1-2/8 St32, DB 2019, 399.
b) Besteuerung von Sanierungsgewinnen seit dem 8.2.2017 Für die Besteuerung des Sanierungsgewinns im Rahmen des Forderungsver- 1040 zichts finden nach dem 8.2.2017 die neuen gesetzlichen Regelungen in §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG, § 7b GewStG Anwendung. Nach dem ursprünglichen Gesetz war die rückwirkende Wirksamkeit der Neuregelung davon abhängig, dass die EU-Kommission durch Beschluss feststellt, dass keine verbotene europarechtliche Beihilfe vorliegt. Die EU-Kommission hat nach über einjähriger Prüfung jedoch nicht mit einer förmlichen Beschlussfassung reagiert, sondern stattdessen der Bundesregierung mittels Schreiben als sog. „Comfort Letter“ mitgeteilt, dass für die beabsichtigte Neuregelung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen keine Notifizierungspflicht bestehe, weil die grundsätzliche Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen in Deutschland bereits vor Inkrafttreten der AEUV bestand und es sich damit um eine AltBeihilfe handelt. Vgl. Hiller/Biebinger, DStZ 2019, 65, 66.
Der sog. „Comfort Letter“ ist lediglich eine informelle Äußerung der EU- 1041 Kommission, die im Gegensatz zu förmlichen Beschlüssen keine Bestandskraft entfaltet und insbesondere keine unmittelbare Rechtssicherheit gegenüber formellen Beschwerden bei der Kommission oder Klagen gegen mitgliedschaftliche Maßnahmen bis hin zum EUGH gewährt. Die EU-Kommission wird von sich aus insoweit keine beihilferechtlichen Schritte einleiten und zudem könnte auch steuerlicher Vertrauensschutz gewährt werden. Vgl. Völkel, DB 2018, 2080; de Weerth, ZInsO 2018, 1893.
Da die neuen gesetzlichen Regelungen in §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG, § 7b GewStG 1042 mangels formellen Beschlusses der EU-Kommission betreffend den EU-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Vorbehalt nicht automatisch in Kraft treten konnten, musste der Gesetzgeber den EU-Vorbehalt zwecks Inkrafttretens des Gesetzes im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2018 ersatzlos aufheben. BGBl. I 2018, 2338.
1043 Die Neuregelung der Steuerbefreiung gemäß § 3a EStG führt rechtstechnisch rückwirkend ab dem 9.2.2017 wieder wie früher bei § 3 Nr. 66 EStG zu einer Steuerfreiheit des Sanierungsertrags, die aber weder von einem Antrag des Steuerpflichtigen noch von einer Ermessensausübung des Finanzamts abhängig ist. Zudem wird eine neue Rechensystematik im Rahmen des § 3a EStG eingeführt, wonach im ersten Schritt der steuerfreie Sanierungsertrag zunächst um die nach § 3c Abs. 4 EStG nicht abziehbaren Beträge gemindert wird und dann im zweiten Schritt um die Verlustminderungspotenziale verringert wird, um dann im dritten Schritt zusätzlich die Verlustminderungspotenziale einer nahestehenden Person abzuziehen, wenn diese die erlassenen Schulden innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem Schuldenerlass auf das zu sanierende Unternehmen übertragen hat und soweit das Verlustminderungspotenzial zum Ablauf des Wirtschaftsjahres der Übertragung bereits vorhanden war. Der nach dieser Verrechnung verbleibende Sanierungsertrag ist dann steuerfrei. Diese gesetzliche Steuerbefreiung gilt nunmehr sowohl für die Körperschaftsteuer gemäß § 8 Abs. 1 KStG als auch für die Gewerbesteuer gemäß § 7b GewStG. Es bedarf damit betreffend die Gewerbesteuer keiner separaten Abstimmung mehr mit den Gemeinden, vielmehr ist eine vom zuständigen Betriebsstättenfinanzamt erteilte verbindliche Auskunft nunmehr auch für Gewerbesteuerzwecke bindend. aa) Unternehmensbezogene Sanierungen gemäß § 3a Abs. 2 EStG 1044 Die neue gesetzliche Regelung gemäß § 3a EStG findet auf die Besteuerung von Sanierungserträgen aus einem Schulderlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung nach dem 8.2.2017 Anwendung. Für Altfälle vor dem 9.2.2017 besteht zudem gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG eine antragsgebundene Anwendung der Neuregelung gemäß § 3a EStG. Eine unternehmensbezogene Sanierung i. S. d. § 3a Abs. 2 EStG liegt vor, wenn das schuldnerische Unternehmen sanierungsbedürftig und sanierungsfähig ist und die Sanierungseignung des Schulderlasses sowie die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachgewiesen werden. Die unternehmensbezogene Sanierung ist darauf gerichtet, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen, wobei dies sowohl im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung als auch im Rahmen von gerichtlichen StaRUG- oder Insolvenzverfahren realisiert werden kann. Typische Sanierungen sind daher auch der gerichtlich bestätigte Restrukturierungsplan oder das Insolvenzplanverfahren. Eine begünstigte Sanierung liegt auch im Fall einer übertragenden Sanierung vor. Die Möglichkeit der übertragenden Sanierung hatte der BFH bereits für § 3 Nr. 66 EStG a. F. anerkannt. 254
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen BFH, Urt. v. 24.4.1986 – IV R 282/84, BStBl. II 1986, 672 ff.
Sanierungsgewinn ist die Erhöhung des Betriebsvermögens aufgrund eines 1045 Forderungsverzichts, der nach § 3a EStG bei einer unternehmensbezogenen Sanierung steuerbefreit ist, wenn x
die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens,
x
die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens,
x
die Sanierungseignung des Forderungsverzichts und
x
die Sanierungsabsicht der verzichtenden Gläubiger
nachgewiesen werden. Die vorgenannten Voraussetzungen sind nicht eigenständig definiert, daher 1046 ist weiterhin auf die Rechtsprechung zu § 3 Nr. 66 EStG a. F. zurückzugreifen, deren Merkmale für den begünstigten Sanierungsgewinn auch im Sanierungserlass des BMF vom 27.3.2003 zugrunde gelegt wurden. Vgl. BFH, Beschl. v. 27.11.2020 – X B 63/20, ZInsO 2021, 725; zuvor FG Hamburg, Urt. v. 12.6.2020 – 5 K 160/17, BeckRS 2020, 43624.
In der Praxis sind die vorgenannten Voraussetzungen regelmäßig erfüllt, wenn 1047 sich die Gläubiger auf der Grundlage eines Sanierungskonzepts mit dem Forderungsverzicht als Sanierungsmaßnahme beteiligen. Dies wird regelmäßig durch ein Sanierungsgutachten nach den Grundsätzen des BGH bzw. dem IDW S 6 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer dokumentiert. Vgl. BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, BStBl. II 2004, 9; BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854; zu den Anforderungen an ein Sanierungskonzept BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZInsO 2018, 2017.
(1) Sanierungsbedürftigkeit Der BFH ging für den Fall der unternehmensbezogenen Sanierung von einer 1048 Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens aus, wenn einerseits eine Überschuldung vorlag und andererseits zukünftig aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht mit einer finanziellen Verbesserung gerechnet werden konnte. Sanierungsbedürftigkeit i. S. d. Sanierungserlasses lag demnach vor, wenn ein Unternehmen ohne den Schuldenerlass nicht in der Lage wäre, seinen aktuellen und zukünftigen Verpflichtungen nachzukommen und daher wirtschaftlich vor dem Zusammenbruch steht. BFH, Urt. v. 12.10.2005 – X R 42/03, BFH/NV 2006, 715 ff.
Die Sanierungsbedürftigkeit i. S. d. § 3a Abs. 2 EStG liegt nach denselben 1049 Grundsätzen unter den insolvenzrechtlichen Rahmenbedingungen vor. Dies entspricht regelmäßig bereits der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO, die nunmehr zugleich Zugangsvoraussetzung für die Nutzung des Sta-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bilisierungs- und Restrukturierungsrahmens und die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ist. Vgl. FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013; Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 24.
1050 Die Sanierungsbedürftigkeit kann daher auch im Zusammenhang mit einem gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan regelmäßig als Vermutung angenommen werden. Vgl. Eisolt/Wolters, ZInsO 2021, 1058, 1061.
1051 Die Sanierungsbedürftigkeit sollte auch bereits bei Kreditunwürdigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten bejaht werden, ohne dass zusätzlich bereits eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen muss. Bei Personengesellschaften ist zudem die Überschuldung wirtschaftlich zu ermitteln, sodass auch Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter und deren etwaige Überschuldung zu berücksichtigen sind. Vgl. BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 43/99, BFH/NV 2000, 1330; FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013.
(2) Sanierungsfähigkeit 1052 Für die Sanierungsfähigkeit kam es bereits bisher darauf an, ob das Unternehmen nach der Sanierung objektiv in der Lage sein wird, einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben zu erzielen und damit künftig auch wettbewerbs- und kapitaldienstfähig ist. Dies wird im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung regelmäßig mit einem Sanierungskonzept oder im Rahmen eines Insolvenzplans mittels Unternehmensplanung als Anlage hierzu dokumentiert. Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 25; zu den Anforderungen an ein Sanierungskonzept BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, ZIP 2018, 1794.
1053 Im Rahmen eines Restrukturierungsplans muss der Schuldner selbst gemäß § 14 StaRUG eine Erklärung zur Bestandsfähigkeit des Unternehmens und damit zur Sanierungseignung abgeben und mittels Finanzplanung darlegen. Danach muss die Sanierungsfähigkeit der unternehmensbezogenen Sanierung auf Basis betriebswirtschaftlicher Prognosen dokumentiert werden. Die Sanierungsfähigkeit ist mithin die positive Fortführungsprognose auf Basis der umzusetzenden Sanierungsmaßnahmen. (3) Sanierungseignung 1054 Zur Beurteilung der Sanierungseignung kommt es auf den Zeitpunkt des Schuldenerlasses an. Bezogen auf diesen Zeitpunkt muss das Unternehmen mit dem Schuldenerlass inklusive etwaiger weiterer Sanierungsmaßnahmen betriebswirtschaftlich als lebensfähig angesehen werden. Mithin muss der Schul-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
denerlass gemäß dem Sanierungskonzept wirtschaftlich erforderlich und zugleich ausreichend sein, um die Sanierungsfähigkeit insgesamt bestätigen zu können. Maßgeblich ist insoweit, dass der Schuldenerlass ein erforderlicher Teilbetrag zur Verhinderung des Zusammenbruchs des Unternehmens und zur Wiederherstellung der dauerhaften Ertragsfähigkeit sein muss, wobei auch zusätzliche umzusetzende Sanierungsmaßnahmen bei der Beurteilung der Geeignetheit einzubeziehen sind. Vgl. BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027 ff.
(4) Sanierungsabsicht Schließlich ist zusätzlich wie bisher nach dem alten Sanierungserlass das Tat- 1055 bestandsmerkmal Sanierungsabsicht zu beachten. Die Sanierung des Unternehmens muss aus Sicht des Gläubigers mindestens mitentscheidend sein, damit das Tatbestandsmerkmal der Sanierungsabsicht des Gläubigers erfüllt ist. Vgl. BFH, Beschl. v. 27.11.2020 – X B 63/20, ZInsO 2021, 725; zuvor FG Hamburg Urt. v. 12.6.2020 – 5 K 160/17, BeckRS 2020, 43624; FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013.
An das Vorliegen der Sanierungsabsicht sollten grundsätzlich keine strengen 1056 Anforderungen gestellt werden. Die Sanierungsabsicht ist bereits zu vermuten, wenn das Unternehmen sanierungsbedürftig ist und der Schulderlass geeignet war, die Sanierung herbeizuführen. Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 26; FG Münster, Beschl. v. 7.2.2022 – 9 V 2784/21 F, BeckRS 2022, 3013.
Beteiligen sich mehrere Gläubiger eines sanierungsbedürftigen Schuldners an 1057 einem Schuldenerlass im Rahmen eines sog. Gläubigerakkords, so wird ebenfalls die Sanierungsabsicht unterstellt. Vgl. BFH, Urt. v. 24.4.1986 – IV R 282/84, BStBl. II 1986, 672; BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854; BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027 ff.
Dagegen kann es an der erforderlichen Sanierungsabsicht des Gläubigers feh- 1058 len, wenn dieser als einzelner Gläubiger nur deshalb auf eine Teilforderung verzichtet, damit die verbliebene Restforderung schneller gezahlt wird. Vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.5.2009 – 5 K 1494/06, BeckRS 2009, 26030431; BFH, Beschl. v. 8.9.2010 – IV B 109/09, BFH/NV 2011, 30.
Nach richtiger Auffassung sind aber neben der Sanierungsabsicht zugleich 1059 mitentscheidende eigennützige Motive des Gläubigers betreffend die Rettung eines Teils seiner Restforderung unschädlich. Vgl. BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, BStBl. II 2004, 9, BFH, Beschl. v. 27.11.2020 – X B 63/20, ZInsO 2021, 725 ff.
257
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
1060 Sowohl im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens als auch bei Bestätigung des Restrukturierungsplans sind jeweils etwaige ablehnende Gläubigerstimmen ebenfalls unschädlich, da es auf die rechtliche Zustimmungswirkung zum Forderungsverzicht der jeweiligen Gläubigergruppen ankommt. Maßgeblich sind insoweit die Sanierungsabsicht der erforderlichen Mehrheit der planbetroffenen Gläubiger und die (teil-) kollektive Rechtskraftwirkung des Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplans zwecks Sanierung des schuldnerischen Unternehmens, unabhängig von einzelnen dissentierenden Gläubigern. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1235, 1252; Lenger-Bauchowitz, NZI 2021, 591 f. als Anm. zu BFH, Beschl. v. 27.11.2020 – X B 63/20, ZInsO 2021, 725 ff.
1061 Daher ging auch die Finanzverwaltung unter dem alten Sanierungserlass davon aus, dass die vorgenannten Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sind, wenn sie auf einem Insolvenzplan zwecks Sanierung des Unternehmens beruhen. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240, 240 Rn. 4; vgl. dazu auch BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854 ff.; BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, BStBl. II 2004, 9 f.
1062 Verzichtet ein Gesellschafter auf seine Forderung, so muss er nunmehr gemäß § 3a Abs. 2 EStG die betriebliche gegenüber der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung nachweisen. Dies wird ihm regelmäßig nur durch einen Drittvergleich gelingen, wenn neben Gesellschaftern auch Drittgläubiger auf Forderungen (anteilig) verzichten (sog. „Gläubigerakkord“). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Schulderlass des Gesellschafters in Höhe des werthaltigen Anteils zu einer verdeckten Einlage führt, die insoweit den Gewinn aus der Ausbuchung der Forderung neutralisiert. BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307.
1063 Bei einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung ist zudem die Rechtsfolge beim Gesellschafter zu berücksichtigen, da dieser seinen Verlust aus der Ausbuchung des nicht werthaltigen Anteils an der Darlehensforderung als natürliche Person gemäß § 3c Abs. 2 Satz 2 – 5 EStG im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens nur zu 60 % oder als Kapitalgesellschaft gemäß § 8b Abs. 3 Satz 4-8 KStG gar nicht steuerlich geltend machen kann. Vgl. Desens, FR 2017, 981, 983; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1066; Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 27; a. A. zum alten § 3 Nr. 66 EStG BFH, Urt. v. 14.10.1987 – I R 381/83, BFH/NV 1989, 141.
bb) Steuerbefreiung gemäß § 3a EStG 1064 Betriebsvermögensmehrungen und Betriebseinnahmen aus einem Forderungsverzicht zum Zwecke der unternehmensbezogenen Sanierung sind als Sanierungsertrag gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfrei. Die Steuerbefreiung ist allerdings gemäß § 3c Abs. 4 Satz 1 EStG mit einem Abzugsverbot für Be-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
triebsausgaben verknüpft, die mit dem steuerfreien Ertrag in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Wirtschaftlich bleibt daher nur der verbliebene Sanierungsgewinn steuerfrei. Der Schulderlass kann durch Erlassvertrag gemäß § 397 Abs. 1 BGB oder ein 1065 negatives Schuldanerkenntnis gemäß § 397 Abs. 2 BGB realisiert werden. Auch auf die Wirkung der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans gemäß §§ 67 ff. StaRUG oder der Rechtskraft eines Insolvenzplans sind die Grundsätze zur Steuerfreiheit des Schulderlasses als Sanierungsertrag gemäß § 3a EStG anwendbar. Vgl. Skauradzun/Kwauka, DStR 2020, 953, 955 f.; Uhländer, DB 2021, 16, 19; Kanzler, NWB 2021, 1235, 1252.
Im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens entsteht der Sanierungsgewinn auf- 1066 grund des im gestaltenden Teil geregelten Schulderlasses mit Rechtskraft des Insolvenzplans gemäß § 254 Abs. 1 InsO, auf die spätere Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt es insoweit nicht an. Vgl. BFH, Beschl. v. 15.11.2018 – XI B 49/18, ZInsO 2020, 15 ff.
Im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens entsteht der 1067 Sanierungsertrag aufgrund des im gestaltenden Teil geregelten Schuldenerlasses mit Wirkung der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans gemäß §§ 67 ff. StaRUG. Der Schuldenerlass ist insoweit im laufenden Geschäftsjahr zu verbuchen und steuerlich im Rahmen der Veranlagung zu berücksichtigen. Im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens entsteht insoweit – anders als im Rahmen des Insolvenzverfahrens – kein handelsbilanzielles Rumpfwirtschaftsjahr. Nach richtiger Auffassung stellt auch der Konfusionsgewinn beim Erwerb einer 1068 Forderung vom Gläubiger unter dem Nennwert (sog. „Debt-Buy-Back“) einen Sanierungsgewinn als Schulderlass i. S. v. § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG dar, da die Entlastung der Passiva entscheidend sein muss und nicht die Rechtstechnik im Rahmen der Umsetzung. Vgl. Desens, FR 2017, 981 f; Eilers/Tiemann, Ubg 2020, 190, 191; a. A. BFH, Urt. 14.10.1987 – I R 381/83, BFH/NV 1989, 141 zum alten § 3 Nr. 66 EStG, wonach es auf den Schulderlass im Rechtssinne ankommt; vgl. Kanzler, NWB 2021, 1235, 1248.
Auch der sog. „Debt-Equity-Swap“, wonach Forderungen im Wege der Sach- 1069 kapitalerhöhung in Anteilsrechte umgewandelt werden, ist in Höhe des nicht werthaltigen Anteils an der Forderung als Sanierungsertrag i. S. d. § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfrei. Vgl. Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897, 1900; Desens, FR 2017, 981, 983 Eilers/Tiemann, Ubg 2020, 190, 191; vgl. bereits zum Sanierungserlass OFD Frankfurt a. M. v. 24.1.2018, S 2140 A – 4 – St 213, Beckverw. 353177 unter „Gewinne aus Dept-to-Equity-Swap-Gestaltungen“.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
1070 Ein Rangrücktritt, der so formuliert ist, dass die Verpflichtung nur aus künftigen Gewinnen zu bedienen ist, führt wegen Wegfall der zu passivierenden Verbindlichkeit gemäß § 5 Abs. 2a EStG ebenfalls als steuerbilanzieller Schuldenerlass zu einer Betriebsvermögensmehrung i. S. d. § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG. Vgl. Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1538; Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 20; Eilers/Tiemann, Ubg 2020, 190, 191.
1071 Der Gewinn aufgrund eines Vergleichs mit dem Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG ist ebenfalls begünstigt i. S. v. § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG. Der PSVaG übernimmt hierbei auf Dauer die Erfüllung der laufenden Versorgungsleistungen des schuldnerischen Unternehmens als Arbeitgeber gegenüber dessen Versorgungsempfängern und zugleich gehen gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG die Rechte und Ansprüche der Versorgungsberechtigten auf den PSVaG über, wobei der PSVaG auf die übergegangenen Forderungen gegenüber dem schuldnerischen Arbeitgeber verzichtet. Dieser Verzicht ist ebenfalls ein begünstigter Erlassvertrag und es kommt nicht darauf an, dass die Versorgungsempfänger selbst in diesem Zusammenhang keinen Verzicht erbringen. Vgl. bereits zum Sanierungserlass OFD Frankfurt a. M. v. 24.1.2018, S 2140 A – 4 – St 213, Beckverw. 353177 unter „Übernahme von Versorgungsverpflichtungen durch einen Pensions-Sicherungs-Verein“.
1072 Zuschüsse von Gläubigern und Dritten oder Preiserhöhungen von Kunden stellen keinen steuerfreien Sanierungsertrag i. S. d. § 3a EStG dar, da diese Sanierungsmaßnahmen im Rahmen eines Leistungsaustauschs erfolgen und nicht auf ein Erlöschen eines Schuldverhältnisses gerichtet sind. Vgl. BFH, Urt. v. 31.1.1985 – IV R 149/82, BStBl. 1985 II, 365 wonach eine Preiserhöhung unter alten § 3 Nr. 66 EStG kein steuerfreier Sanierungsgewinn war; ebenso zum verlorenen Zuschuss BFH, Urt. v. 24.2.1994 – IV R 71/92, BFH/NV 1995, 15.
1073 Die Gestaltung des Schuldenerlasses bereits entstandener Verbindlichkeiten aus Leistungsbeziehungen bleibt dagegen möglich und stellt dann grundsätzlich einen steuerfreien Sanierungsertrag i. S. d. § 3a EStG dar. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1235, 1249.
1074 In der Praxis empfiehlt sich bei erheblichen steuerlichen Auswirkungen des Schuldenerlasses die Voraussetzungen der Steuerfreiheit gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG vorab im Rahmen einer verbindlichen Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO bei der zuständigen Finanzbehörde zwecks Absicherung der Steuerfreiheit zu beantragen. (1) Abzugsverbot für Sanierungsaufwendungen gemäß § 3c Abs. 4 EStG 1075 Das Abzugsverbot für Sanierungsaufwendungen gemäß § 3c Abs. 4 EStG setzt einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang der Aufwendun260
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
gen mit dem steuerfreien Sanierungsertrag voraus. Dies gilt unabhängig davon, wann diese anfallen und wann der steuerfreie Sanierungsertrag entsteht. Auch im Rahmen des Sanierungserlasses minderten die Sanierungskosten vorab den aus Billigkeitsgründen erlassenen Sanierungsgewinn. Das Abzugsverbot erfasst nach der Regierungsbegründung alle Aufwendungen, die unmittelbar der Erlangung von Sanierungsbeiträgen der Gläubiger dienen, wie die Kosten für das Sanierungsgutachten, die Sanierungsberatung, Rechtsanwaltskosten, Gerichtskosten oder sonstige Gutachterkosten. BT-Drucks. 18/12128, 33.
Entsteht der Sanierungsertrag im Zusammenhang mit dem Stabilisierungs- 1076 und Restrukturierungsrahmen, so betrifft das Abzugsverbot auch die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten gemäß §§ 80 ff. StaRUG oder des Sanierungsmoderators gemäß § 98 StaRUG sowie die Kosten für die Erstellung des Restrukturierungsplans bzw. Sanierungsvergleichs und die gerichtlichen Verfahrenskosten. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1316.
Eine Aufteilung dieser Aufwendungen kommt im jeweiligen Einzelfall in Be- 1077 tracht, wenn diese zugleich mit steuerpflichtigen Sanierungsbeiträgen von Gläubigern in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. So kann das Sanierungskonzept beispielsweise neben dem Schuldenerlass auch die Reduzierung von Einkaufspreisen oder Mietaufwendungen und Einführung von Preiserhöhungen beinhalten, die zu höheren künftigen steuerpflichtigen Gewinnen führen. Vgl. hierzu Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1543; Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 20; Hölzle, ZIP 2020, 301, 308; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1316.
Auch Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Besserungsschein und 1078 vergleichbare Aufwendungen werden gemäß § 3c Abs. 4 Satz 3 EStG ausdrücklich vom Abzugsverbot erfasst. Beim Forderungsverzicht gegen Besserungsschein lebt die erlassene Forderung unter konkret definierten auflösenden Bedingungen i. S. d. § 158 Abs. 2 BGB wieder auf. Regelmäßig werden konkrete wirtschaftliche Kennzahlen wie ein bestimmter Jahresüberschuss oder ein EBITDA in den Folgejahren mit angemessener Beteiligung des verzichtenden Gläubigers an der Besserung vereinbart. Tritt die definierte Bedingung als wirtschaftlicher Besserungsfall ein, so lebt die Forderung wieder auf und ist dem Grunde nach als steuerlicher Aufwand zu verbuchen. Bei vorheriger Steuerfreiheit des Sanierungsverzichts ist dann jedoch insoweit das Abzugsverbot § 3c Abs. 4 Satz 3 EStG anzuwenden und der steuerliche Aufwand aufgrund des Besserungsfalls bis zur Höhe des zuvor steuerfreien Sanierungsertrags zu korrigieren. Da das Abzugsverbot einen steuerfreien Sanierungsertrag voraussetzt, bleiben vergebliche Sanierungsaufwendungen für eine Sanierung ohne realisierten Schuldenerlass gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1
261
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
EStG entgegen der Regierungsbegründung nach zutreffender Auffassung abzugsfähig. Vgl. Desens, FR 2017, 981, 985; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1543; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1316.
1079 Dies gilt auch für Fälle, in denen die Steuerbefreiung mangels Nachweises einer unternehmensbezogenen Sanierung nicht gewährt wird. 1080 Übersteigen die Sanierungsaufwendungen ausnahmsweise den Sanierungsertrag aus dem Schuldenerlass, so unterliegen diese übersteigenden Aufwendungen gemäß § 3c Abs. 4 Satz 1 EStG nach dem Wortlaut dem Abzugsverbot, da dieses nicht wie bei § 3c Abs. 1 EStG der Höhe nach auf den Umfang des steuerfreien Sanierungsertrags begrenzt ist. Vgl. Desens, FR 2017, 981, 985; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1543.
1081 Bei einem effektiven Sanierungsverlust droht aber gerade keine Doppelbegünstigung des steuerpflichtigen Unternehmens im Rahmen der Steuerbefreiung, sondern im Gegenteil der Nichtabzug stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem objektiven Nettoprinzip im Rahmen der Besteuerung dar. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, DStR 2017, 1094, 1099 zu § 8c KStG.
1082 Daher ist bei einem effektiven Sanierungsverlust eine einschränkende verfassungsgemäße Auslegung des Abzugsverbots gemäß § 3c Abs. 4 Satz 1 EStG anzuwenden und der steuerliche Abzug des übersteigenden Sanierungsverlustes zuzulassen. Vgl. Skauradzun/Kwauka, DStR 2020, 953, 956; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1316.
1083 Der Gesetzgeber hat dies lediglich bei nachlaufenden Sanierungsaufwendungen, die erst nach dem Sanierungsjahr entstehen, entsprechend berücksichtigt, da das Abzugsverbot gemäß § 3c Abs. 4 Satz 4 EstG sich ausdrücklich auf den verbleibenden steuerfreien Sanierungsertrag begrenzt. Danach bleiben Sanierungsverluste bei nachlaufenden Sanierungsaufwendungen abzugsfähig. 1084 Des Weiteren ist das Abzugsverbot für Sanierungsaufwendungen gemäß § 3c Abs. 4 Satz 2 EStG nicht anzuwenden, wenn die Sanierungsaufwendungen im vorangegangenen Gewinnermittlungszeitraum zur Erhöhung von Verlustvorträgen geführt haben, die nach der Verlustverrechnungsregelung gemäß § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG entfallen. Diese Regelung vermeidet eine doppelte Nichtberücksichtigung, da die Sanierungskosten im Vorjahr bereits in dem zu verrechnenden Verlustvortrag enthalten sind. 1085 Verfahrensrechtlich ist zu berücksichtigen, dass Sanierungsaufwendungen, die bereits in einem dem steuerfreien Sanierungsertrag vorangegangenen Gewinnermittlungszeitraum entstanden sind, nachträglich im Rahmen der 262
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Steuerfestsetzung gemäß § 3c Abs. 4 Satz 5 EStG geändert werden können, wenn sie zuvor gewinnmindernd berücksichtigt wurden. Dies gilt gemäß § 3c Abs. 4 Satz 6 EStG auch, wenn der maßgebliche Steuerbescheid bereits bestandskräftig geworden ist, da seine Festsetzungsfrist nicht endet, bevor die Festsetzungsfrist für das Sanierungsjahr abgelaufen ist. (2) Ausübung steuerlicher Wahlrechte gemäß § 3a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns soll auf das erforderliche Min- 1086 destmaß begrenzt werden, indem § 3a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG einen Zwang zur gewinnmindernden Ausübung steuerlicher Wahlrechte im Sanierungsjahr sowie im Folgejahr vorschreibt. Mithin sind etwaige stille Lasten zu heben, damit möglichst alle Verlustpotenziale bei Anwendung der Steuerbefreiung ausgeschöpft werden. Dies betrifft neben der Teilwertabschreibung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 EStG auch sonstige gesetzliche Bewertungswahlrechte im Rahmen der steuerlichen Abschreibung (AfAMethode nach § 7 EStG, Sofortabschreibung gemäß § 6 Abs. 2 EStG oder Poolabschreibung gemäß § 6 Abs. 2a EStG) oder LiFo-Bewertung des Vorratsvermögens gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG. Es wird insoweit sichergestellt, dass keine stillen Lasten durch Nichtausübung steuerlich gewinnmindernder Wahlrechte steuerlich über die Sanierungsphase hinweggerettet und dann später als steuerliche Verluste ungeschmälert geltend gemacht werden. Nach richtiger Auffassung ist die Bildung einer Rücklage gemäß § 6b EStG nicht unter die verpflichtende Wahlrechtsausübung gemäß § 3a Abs. 1 Satz 2 EStG zu subsumieren und auch Subventionsvorschriften wie Sonderabschreibungen gemäß §§ 7 g ff. EStG sollten vom Zwang zur gewinnmindernden Ausübung ausgenommen werden. Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 34; Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897, 1902; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1542; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1068; a. A. BeckOK-Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 3a Rn. 255; Desens, FR 2017, 981, 989; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1314.
Der Höhe nach sollte der Zwang zur gewinnmindernden Ausübung nach dem 1087 Sinn und Zweck der Vorschrift – entgegen dem Wortlaut – auf den maßgeblichen Sanierungsgewinn begrenzt sein. Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 34; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1542; a. A. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1314; BeckOK-Kirchhof/Kulosa/Ratschow, EStG, § 3a Rn. 251; Desens, FR 2017, 981, 989.
Rechtsfolge der tatsächlichen Nichtausübung von Wahlrechten ist nach rich- 1088 tiger Auffassung nicht der Wegfall der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns, sondern der steuerfreie Sanierungsgewinn ist im Wege einer abweichenden Steuerfestsetzung entsprechend zu reduzieren.
263
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 34; Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897, 1902.
1089 Nach anderer Auffassung ist zwingend eine Bilanzberichtigung hinsichtlich der zwingenden Wahlrechtsausübung vorzunehmen. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1315.
(3) Verbrauch von Verlustvorträgen und weiteren Steuerminderungspositionen gemäß § 3a Abs. 3 EStG 1090 Die Steuerbefreiung wird zudem durch Verbrauch der Verlustvorträge im Wege der vorrangigen Verrechnung gemäß § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG begrenzt, um eine Doppelbegünstigung des sanierungsbedürftigen Unternehmens zu vermeiden. Danach wird der Sanierungsgewinn nacheinander durch die in den Nummern 1 – 13 bezeichneten Verlustverrechnungspotenziale gemindert, die damit zugleich gemäß § 3a Abs. 3 Satz 5 EStG untergehen. Soweit in den Nummern 1 – 13 auf das Sanierungsjahr Bezug genommen wird, handelt es sich um den jeweiligen Gewinnermittlungszeitraum, in dem der Sanierungsertrag realisiert wird. In einem ersten Schritt ist der Sanierungsertrag um die nicht abziehbaren Sanierungskosten gemäß § 3c Abs. 4 EStG zu reduzieren und anschließend sind die nicht abziehbaren Sanierungspotenziale in der Reihenfolge der Nummern 1 – 13 des § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG abzuziehen, wobei hierbei nur anteilig das jeweilige Steuerminderungspotenzial bis zum vollständigen Verbrauch des Sanierungsgewinns verbraucht wird. 1091 Im Einzelnen sind folgende Verlustminderungspotenziale nacheinander vom Sanierungsertrag abzuziehen: Nr. 1:
Verpflichtungsübernahmen nach § 4f EStG
Nr. 2, 3: Verluste nach § 15a EStG aus dem zu sanierenden Unternehmen Nr. 4, 5: Verluste nach § 15b EStG aus derselben Einkunftsquelle wie der Sanierungsertrag Nr. 6, 7: Verluste nach § 15 Abs. 4 EStG des zu sanierenden Unternehmens Nr. 8:
Laufender Verlust des zu sanierenden Unternehmens im Sanierungsjahr
Nr. 9:
Weitere ausgleichsfähige Verluste aus allen Einkunftsarten im Sanierungsjahr
Nr. 10:
Der gesondert festgestellte Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 4 EStG zum Ende des Vorjahres
Nr. 11:
Verlustvorträge aus anderen besonderen Verrechnungskreisen
264
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Nr. 12:
Verlustrücktrag = negative Einkünfte des Folgejahres ohne Höchstbetragsbegrenzung
Nr. 13:
Zins- und EBITDA-Vortrag.
Mithin sind wie bisher auch bei Anwendung des früheren Sanierungserlasses 1092 vom Sanierungsgewinn vorrangig die ertragsteuerlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten ohne Anwendung der ansonsten bestehenden Ausgleichs- und Verrechnungsbeschränkungen vollständig auszuschöpfen; d. h., die sog. Mindestbesteuerung begrenzt hierbei die Verlustverrechnung nicht. Im Ergebnis hat weiterhin wie nach dem früheren Sanierungserlass, im Gegensatz zur älteren Regelung der Steuerbefreiung des Sanierungsgewinns gemäß § 3 Nr. 66 EStG a. F., eine „totale“ Verlustverrechnung im Rahmen der Steuerbefreiung gemäß § 3a Abs. 3 EStG zu erfolgen. Nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 12 EStG werden insbesondere auch im Folgejahr entstehende Verluste im Wege des Verlustrücktrags bis zur Höhe des Sanierungsgewinns des Vorjahres abgezogen und können daher nicht mehr mit zukünftigen Gewinnen im Rahmen der Sanierung verrechnet werden. Die Minderung der EBITDA-Vorträge gemäß § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 13 1093 EStG erfolgt in ihrer zeitlichen Reihenfolge, sodass die ältesten EBITDAVorträge vorrangig untergehen. Da die Nutzung eines Zins- oder EBITDAVortrags lediglich das Abzugsverbot der Zinsschranke neutralisiert und keine Begünstigung darstellt, wird die Verfassungsmäßigkeit dieses Tatbestands zutreffend bezweifelt. Vgl. Desens, FR 2017, 981, 988; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1320.
(4) Erweiterung des Wegfalls von Verlustvorträgen bei nahestehenden Personen gemäß § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG Die vorgenannten Steuerminderungspotenziale gehen ausnahmsweise auch 1094 bei einer dem steuerpflichtigen Unternehmen nahestehenden Person gemäß § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG (anteilig) unter, wenn diese die erlassenen Schulden innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem Schuldenerlass auf das zu sanierende Unternehmen übertragen hat und soweit die Verlustverrechnungspotenziale zum Ablauf des Wirtschaftsjahres der Übertragung bereits entstanden waren. Hierdurch soll im Rahmen einer typisierten Missbrauchsabwehr vermieden werden, dass Steuerminderungspotenziale auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden. Vgl. Brandis/Heuermann-Krumm, EStG, § 3a Rn. 50; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1320.
Dies könnte beispielsweise durch Übertragung des zu sanierenden Unter- 1095 nehmens einschließlich der später zu erlassenden Verbindlichkeiten durch Einbringungen unter Anwendung von §§ 20, 24 UmwStG oder § 6 Abs. 3 EStG realisiert werden, um sich verbleibende Steuerminderungspotenziale
265
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
beim übertragenden Rechtsträger zu sichern. Auch Übertragungen im Wege der verdeckten Einlage oder im Rahmen eines sog. „Debt Push-Up“ durch Schuldübernahme von der Tochtergesellschaft mit Regressverzicht durch deren Muttergesellschaft sind von dieser Regelung umfasst. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1320; Desens, FR 2017, 981, 989; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1068.
1096 Allerdings findet ein Verlustverbrauch bei nahestehenden Personen nur nachrangig statt und ist der Höhe nach auf die identischen übernommenen Schulden sowie zugleich auf den Verlustvortrag zum Ablauf des Wirtschaftsjahres vor der Übertragung begrenzt. Vgl. Desens, FR 2017, 981, 990; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1321.
1097 Für die Auslegung des Begriffs nahestehender Person soll nach der Gesetzesbegründung auf die Rechtsprechung des BFH zur verdeckten Gewinnausschüttung zurückgegriffen werden, wonach familienrechtliche, gesellschaftsrechtliche, schuldrechtliche oder auch rein tatsächliche Beziehungen ein Nahestehen begründen können. BT-Drucks. 18/12128, S. 32; vgl. hierzu BFH, Urt. v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301.
1098 Diese Auslegung ist weiter als der Begriff der nahestehenden Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG oder des Angehörigen gemäß § 15 AO. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1320; Desens, FR 2017, 981, 989; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536 ff.
(5) Verfahrensrechtliche Regelungen im Fall der Mitunternehmerschaft 1099 Verfahrensrechtlich enthält § 3a Abs. 4 EStG ergänzende Vorschriften zur gesonderten Feststellung im Fall der Sanierung einer Mitunternehmerschaft. Danach ist der Sanierungsertrag vom für die Mitunternehmerschaft zuständigen Finanzamt einheitlich und gesondert festzustellen. Dies gilt auch für die nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 6 und 13 EStG mindernden Beträge, die gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG auf der Ebene der Mitunternehmerschaft anfallen. 1100 Des Weiteren enthält § 3a Abs. 4 Satz 3 und 4 EStG eigenständige Änderungsvorschriften für bereits bestandskräftig festgestellte verrechenbare Verluste/ Verlustvorträge, wenn diese ohne Berücksichtigung des § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG bereits festgestellt worden sind. (6) Regelungen im Rahmen der Körperschaftsteuer 1101 Im Rahmen der Körperschaftsteuer sind über § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG die Vorschriften §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG unmittelbar anwendbar. In § 8c Abs. 2 KStG wird klargesellt, dass vorrangig die Verlustverrechnungsmöglichkeiten des § 8c KStG zu nutzen sind und § 3a EStG nachrangig auf den verbliebe-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
nen Sanierungsertrag anzuwenden ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der fortführungsgebundene Verlustvortrag gemäß § 8d Abs. 1 Satz 9 KStG im Rahmen des § 3a EStG vorrangig vor dem allgemeinen Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 4 EStG abzuziehen ist. Im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Organschaft ist § 3a EStG jeweils 1102 eigenständig auf der Ebene des Organträgers sowie der Organgesellschaften zu ermitteln. Dort, wo der steuerfreie Sanierungsertrag anfällt, gehen die jeweiligen Steuerminderungspotenziale unter, wobei dies bei der Organgesellschaft gemäß § 15 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 KStG nur deren vororganschaftliche Verlustvorträge betrifft. Ist der Sanierungsertrag bei der sanierten Organgesellschaft höher als deren vororganschaftliche Verlustvorträge, so erfolgt gemäß § 15 Satz 1 Nr. 1a KStG eine Verrechnung der Verlustpositionen beim Organträger mit dem verbleibenden Sanierungsertrag, sodass auch beim Organträger die Steuerminderungspotenziale untergehen. Dies gilt gemäß § 15 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 KStG auch noch nach Beendigung der Organschaft nachlaufend, wenn die Organschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Sanierungsjahr bestand. Der Organträger hat in diesem Fall bei einem Sanierungsertrag einer ehemaligen Organgesellschaft innerhalb von fünf Jahren seit Beendigung der Organschaft seine Steuerminderungspotenziale auch nachträglich weiterhin zur Verfügung zu stellen. Diese nachlaufende Regelung soll sicherstellen, dass die Sanierungsverluste einer Organgesellschaft, die während der Organschaft dem Organträger zugerechnet wurden, weiterhin mit dem Sanierungsertrag verrechnet werden, auch wenn die Organschaft zum Zeitpunkt des Sanierungserlasses beendet wurde. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass diese nachlaufende Regelung lediglich auf den nachlaufenden Fünfjahreszeitraum verweist und sich weder auf die Verlustzurechnungen während der Organschaft noch auf die Identität der Schulden bei der Organgesellschaft zum Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft begrenzt. Mithin können Verluste und neue Schulden nach Beendigung der Organschaft innerhalb des Fünfjahreszeitraums bei der ehemaligen Organgesellschaft dazu führen, dass wegen eines späteren Sanierungsertrags das Verlustminderungspotenzial des ehemaligen Organträgers gemindert wird, ohne dass ihm vorher entsprechende Verluste zugewiesen wurden. Hierdurch werden neue Verluste beim Organträger nach Beendigung der Organschaft nachträglich „vernichtet“. Die nachlaufende Verlustminderung gemäß § 15 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 KStG kann daher im Einzelfall gegen das verfassungsrechtlich anerkannte objektive Nettoprinzip verstoßen, wenn Verlustpositionen beim Organträger nachträglich gemindert werden, die erst nach Beendigung der Organschaft entstanden sind. Vgl. Gosch-Neumann, KStG, § 15 Rn. 15b; Desens, FR 2017, 981, 991; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1068 f.; a. A. Brandis/Heuermann-Krumm, KStG, § 15 Rn. 16 (verfassungsrechtlich sei die zeitliche Typisierung noch vertretbar).
Schließlich können Verlustminderungspotenziale beim ehemaligen Organ- 1103 träger auch noch innerhalb des Fünfjahreszeitraums untergehen, obwohl die 267
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bis dahin profitable Organgesellschaft an einen fremden Dritten verkauft worden ist. Auch dies verdeutlicht die überschießende verfassungsrechtlich bedenkliche Wirkung dieser Regelung. Aufgrund dieser nachlaufenden Risiken ist empfehlenswert, im Rahmen des Verkaufs der Organgesellschaft für diesen Fall einen entsprechenden Anspruch gegen den Käufer zu vereinbaren, der zudem zwecks Sicherstellung der Werthaltigkeit in einer etwaigen wirtschaftlichen Krise des Käufers mit einer entsprechenden Versicherung abgesichert werden sollte. (7) Regelungen im Rahmen der Gewerbesteuer 1104 Die Billigkeitsregelungen des Sanierungserlasses hinsichtlich der Steuerstundung und des Steuererlasses galten nicht unmittelbar für die Gewerbesteuer, da für derartige Zwecke die jeweils hebeberechtigte Gemeinde zuständig ist. Die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags und eines gewerbesteuerlichen Verlustabzugs erfolgte jeweils eigenständig. Vgl. BFH, Urt. v. 25.4.2012 – I R 24/11, DStR 2012, 1544; H 1.5 Abs. 1 Fn. 2 GewStR 2009, Vfg. des LfSt Bayern v. 8.8.2006, FR 2006, 900 f.; Nolte, NWB 2005, 3856, 3866 f.
1105 Das Finanzamt teilte der Gemeinde im Rahmen der Erteilung des Gewerbesteuermessbescheides im Verfahren nach § 184 Abs. 3 AO förmlich die Höhe des Sanierungsgewinns und die Höhe der noch verrechenbaren Verluste, die Grundlagen der abweichenden Festsetzung und die anteilige Verteilung in Zerlegungsfällen mit. Die vom Finanzamt getroffene Qualifizierung als Sanierungsgewinn hatte insoweit keine bindende Wirkung im Hinblick auf die Billigkeitsmaßnahme der Gemeinde. 1106 Nunmehr ist gemäß § 7b Abs. 1 GewStG im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags die Steuerbefreiung entsprechend den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG auch für den gewerbesteuerlichen Messbescheid automatisch zu berücksichtigen. Vgl. Vfg. des LfSt Bayern v. 11.2.2019, DStR 2019, 627.
1107 Mithin gilt nunmehr die Steuerbefreiung des Sanierungsertrags auch unmittelbar für die Gewerbesteuer und führt zu einer erheblichen Planungssicherheit gegenüber dem alten Sanierungserlass aus Billigkeitsgründen, wo jede einzelne Betriebsstättengemeinde im Erhebungsverfahren von der entsprechenden Anwendung des Sanierungserlasses überzeugt werden musste. Für gewerbesteuerliche Zwecke ist zudem gemäß § 7b Abs. 2 GewStG die Verlustuntergangsreihenfolge zu berücksichtigen. (8) Regelungen im Rahmen der Schenkungssteuer 1108 Auch schenkungsteuerlich sind etwaige Auswirkungen eines Forderungsverzichts im Rahmen von Sanierungen gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG zu prüfen. Nach dieser Vorschrift soll im Rahmen einer Fiktion die Werterhöhung von
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Anteilen an einer Kapitalgesellschaft durch eine Zuwendung besteuert werden. Diese Regelung soll insbesondere die reflexartige Bereicherung der Mitgesellschafter bei disquotalen Einlagen besteuern. Vgl. Meincke/Hannes/Holtz, § 7 ErbStG Rn. 168.
Nach dem Wortlaut ist der Tatbestand aber auch bei einem Forderungsver- 1109 zicht zum Zwecke der Sanierung erfüllt. Vgl. Meincke/Hannes/Holtz, § 7 ErbStG Rn. 174; zuvor bereits Viskorf, ZEV 2012, 442; Maile, DB 2012, 1952; Kahlert/Schmidt, DStR 2012, 1208.
Die Finanzverwaltung vertritt zum Forderungsverzicht mit Besserungsabrede 1110 die Auffassung, dass dieser eine Werterhöhung der Anteile der übrigen Gesellschafter bewirke, es jedoch an einem steuerbaren Vorgang fehle, weil der verzichtende Gläubiger nichts aus seinem Vermögen hergibt, sondern lediglich uneinbringbare Werte gegen Erwerbsaussichten umschichtet. Vgl. Gleichlautender Erlass Oberste Finanzbehörden der Länder v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 Rn. 3.3.7.
Im Ergebnis ist die vom Wortlaut überschießende Vorschrift nach herrschender 1111 Auffassung teleologisch einschränkend auszulegen und nicht auf unbedingte Forderungsverzichte im Rahmen von wirtschaftlich begründeten Sanierungen inklusive Insolvenzplänen anwendbar. Vgl. Kanzler, NWB 2021, 1311, 1324; Viskorf, ZEV 2012, 442; Kahlert/Schmidt, DStR 2012, 1208.
Maßgeblich ist insoweit, dass die Gläubiger grundsätzlich nur auf den nicht 1112 werthaltigen Anteil ihrer Forderung verzichten und sie zudem eigennützige Zwecke verfolgen, da die verbliebene Restforderung aufgrund der Sanierung werthaltig wird. Im Rahmen des Restrukturierungsplans sowie Insolvenzplanverfahrens ist zu- 1113 dem zu berücksichtigen, dass deren materielle Wirkungen jeweils mit der Rechtskraft kraft Gesetzes eintreten und insoweit bereits keine Leistung i. S. d. § 7 Abs. 8 ErbStG vorliegt. Vgl. Ebbinghaus/Neu/Hinz, NZI 2014, 729, 733.
Darüber hinaus ist in der Praxis zu berücksichtigen, dass der Insolvenzplan – 1114 und nunmehr auch im Rahmen des Restrukturierungsplans gestaltbar – regelmäßig eine Kapitalmaßnahme enthält, wonach die bisherigen Anteile im Rahmen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung auf null „vernichtet“ werden und zugleich eine Kapitalerhöhung umgesetzt wird. Danach kommt bereits dem Grunde nach keine reflexartige nachhaltige Werterhöhung der alten Anteile in Betracht.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
(9) Regelungen im Rahmen der Umsatzsteuer 1115 Umsatzsteuerlich ist im Rahmen des Forderungsverzichts zu berücksichtigen, ob die Vorsteuer des schuldnerischen Unternehmens gemäß § 17 UStG wegen Minderung der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage zu berichtigen ist. Dies betrifft mithin den Forderungsverzicht, dem ein umsatzsteuerlicher Leistungsaustausch zugrunde liegt. In diesen Fällen ist die Liquiditätsbelastung aufgrund der Zahlungsverpflichtung aus der Vorsteuerkorrektur zu berücksichtigen. Zwecks Vermeidung einer Berichtigung nach § 17 UStG kommt eine Novation der Forderung aus dem Leistungsaustausch in eine Darlehensforderung in Betracht, wodurch umsatzsteuerlich die Forderung aus dem Leistungsaustausch befriedigt wird und eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 UStG entfällt. Vgl. Ebbinghaus/Neu/Hinz, NZI 2014, 729, 732; Kanzler, NWB 2021, 1311, 1324.
1116 Danach kommt beim anschließenden Verzicht auf die Darlehensforderung eine Vorsteuerkorrektur nach § 17 UStG mangels umsatzsteuerpflichtigen Leistungsaustauschs nicht mehr in Betracht. Nach Auffassung des FG Köln stellt die Novation jedoch noch keine endgültige Vereinnahmung des umsatzsteuerlichen Entgelts gemäß § 10 UStG dar, sodass bei Forderungsverzicht auf das Darlehen wegen Uneinbringlichkeit die Vorsteuerkorrektur nach § 17 UStG auslösen soll. FG Köln, Urt. v. 14.11.2013 – 15 K 2659/10, EFG 2014, 601, Rn. 13 ff.
1117 Maßgeblich sei die tatsächliche Belastung, die wegen des Forderungsverzichts beim Leistungsempfänger insoweit nicht eintritt. 1118 Im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens ist zu berücksichtigen, dass die Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigungen i. S. v. § 17 UStG bereits spätestens mit Insolvenzeröffnung durchzuführen sind. BFH, Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988.
1119 Mithin wurde die Vorsteuer bereits vollständig gemäß § 17 UStG berichtigt und im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens erfolgt dann wiederum eine Korrektur zugunsten des schuldnerischen Unternehmens, wenn eine Quotenzahlung erbracht wird. Die Berichtigung gemäß § 17 UStG erfolgt insoweit erst bei Zahlung und nicht bereits bei Rechtskraft des Insolvenzplans. Ebbinghaus/Neu/Hinz, NZI 2014, 729, 732.
4. Steuerrechtliche Behandlung von Forderungsverzichten mit Besserungsabrede 1120 Als weitere Gestaltung neben dem einfachen Schuldenerlass als Forderungsverzicht kommt ein sog. Forderungsverzicht mit Besserungsabrede in Betracht. Bei einem Forderungsverzicht mit Besserungsabrede handelt es sich um einen
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
auflösend bedingten Schuldenerlass, wonach auf die Forderung verzichtet wird, aber bei Eintritt eines vorab definierten wirtschaftlichen Besserungsereignisses wieder auflösend bedingt (ggf. nur anteilig) entfällt. Die Kriterien, an die der Besserungsfall geknüpft wird, sind insoweit frei vereinbar. In aller Regel wird der Besserungsfall an einen bestimmten zu erzielenden Gewinn oder EBITDA geknüpft. Tritt der Besserungsfall ein, so lebt die Forderung als Verbindlichkeit des Unternehmens wieder auf, der Gläubiger erhält sein Forderungsrecht (anteilig) zurück. Der Forderungsverzicht mit Besserungsabrede wirkt insoweit wie ein endgültiger Forderungsverzicht mit entsprechender Ausbuchung der Verbindlichkeit. Bei Eintritt des Besserungsfalls ist die Buchung jeweils spiegelbildlich zum Forderungsverzicht und führt mithin zur Wiedereinbuchung der zu passivierenden Verpflichtung aus der Besserungsabrede. Sowohl für den Verkäufer als auch für den Erwerber der Kapitalgesellschaft sind insoweit die steuerlichen Folgen zu berücksichtigen. a) Steuerliche Auswirkungen im Zeitpunkt des Verzichts Nach der Rechtsprechung des BFH steht ein Forderungsverzicht unter einer 1121 auflösenden Bedingung (hier: Besserungsabrede) zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung einem unbedingten Forderungsverzicht gleich. Mithin ist auf diesen Schuldenerlass auch § 3a EStG anzuwenden. Dies ergibt sich zudem im Umkehrschluss aus § 3c Abs. 4 Satz 3 EStG, wonach der Aufwand aus dem Besserungsschein oder vergleichbare Aufwendungen nicht abzugsfähig sind, wenn der Verzicht zuvor gemäß § 3a EStG steuerfrei war. BeckOK-Bleschick, EStG, § 3a Rn. 200; L. Schmidt-Levedag, EstG, § 3a Rn. 13; vgl. ebenso ehemaliges BMF-Schreiben v. 2.12.2003, BStBl. I 2003, 648 f.
Verzichtet ein Gesellschafter auf seine Forderung mit Besserungsabrede, so 1122 sind zudem die vom Großen Senat des BFH mit Beschluss vom 9.6.1997 aufgestellten Grundsätze der steuerlichen Behandlung eines Forderungsverzichtes zu berücksichtigen. Großer Senat des BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 ff.; BFH, Urt. v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588 ff.; vgl. ebenso ehemaliges BMF-Schreiben v. 2.12.2003, BStBl. I 2003, 648 f.
b) Steuerliche Auswirkungen im Zeitpunkt des Besserungsfalls Im Zeitpunkt des Besserungsfalls entsteht wieder die ursprüngliche Forde- 1123 rung und die Buchungen bei den betroffenen Vertragsparteien werden spiegelbildlich zu dem maßgeblichen Stichtag wieder rückgängig gemacht. Dies eröffnet die Möglichkeit eines Transfers von Verlusten in die Zukunft, indem im Rahmen eines Forderungsverzichts mit Besserungsabrede laufende Verluste des Geschäftsjahres sowie Verlustvorträge im Rahmen der Mindestbesteuerung verrechnet werden, um dann später bei Eintritt des Besserungs-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
falls einen steuerlichen Aufwand zwecks Verrechnung mit künftigen Gewinnen (über die Grenzen der Mindestbesteuerung hinaus) zu generieren. aa) Auswirkungen auf Ebene der Gesellschaft 1124 Die bei der Gesellschaft ursprünglich ausgebuchte Forderung ist bei Eintritt des Besserungsfalls wieder als Verbindlichkeit aufwandswirksam einzubuchen. Bei der weitergehenden steuerlichen Behandlung ist abermals danach zu differenzieren, wie der Verzicht steuerlich behandelt wurde. Grundsätzlich führt die Wiedereinbuchung der Verbindlichkeit im Besserungsfall auf Ebene der Gesellschaft zu einer Minderung des steuerlichen Gewinns War der Verzicht aber steuerfrei gemäß § 3a EStG, so ist der Aufwand aus der Einbuchung der Besserungsverpflichtung gemäß § 3c Abs. 4 Satz 3 EStG nicht steuerlich abzugsfähig. Diese spiegelbildliche steuerliche Anwendung gilt auch beim Forderungsverzicht des Gesellschafters, sodass die zum Zeitpunkt des Verzichts (ggf. teilweise) werthaltige Forderung als verdeckte Einlage mit Eintritt des Besserungsfalls als zurückgewährt gilt. bb) Auswirkungen auf Ebene des Gesellschafters 1125 Die steuerrechtliche Beurteilung des Besserungsfalls auf Ebene des Gesellschafters richtet sich zunächst danach, ob auf Ebene der Gesellschaft von einer Einlagerückgewähr auszugehen ist oder nicht. Soweit dies der Fall ist, also bei dem seinerzeitigen Verzicht eine verdeckte Einlage auf Ebene der Gesellschaft angenommen wurde, entsteht auf Ebene einer natürlichen Person als Gesellschafter entweder ein dem Teileinkünfteverfahren nach § 17 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c) EStG oder ein der Abgeltungssteuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 32d Abs. 1 EStG unterliegender (Veräußerungs-)Gewinn in der Höhe, wie die Einlagenrückgewähr die Anschaffungskosten des Gesellschafters übersteigt. Vgl. OFD Frankfurt a. M., Vfg. v. 17.4.2000, DStR 2000, 1093 f.
1126 Ist der Anteilseigner eine Körperschaft, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Einlagenrückgewähr mit dem Buchwert der Beteiligung zu verrechnen ist (Anschaffungskostenminderung) und, sofern die Rückzahlung den Buchwert überschreitet, ein Veräußerungsgewinn i. S. v. § 8b Abs. 2 KStG vorliegt. Vgl. BMF-Schreiben v. 28.4.2003, BStBl. I 2003, 292, 293 Rn. 6; Demgegenüber wird in der Literatur mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass die Einlagenrückgewähr den Bezügen i. S. d. § 8b Abs. 1 KStG gleichzustellen ist, vgl. Dötsch/Pung/MöhlenbrockPung, KStG, § 8b Rn. 90 Vereinzelt wird aber auch die Ansicht vertreten, dass der die Anschaffungskosten übersteigende Teil der Einlagenrückgewähr voll steuerpflichtig wäre, so GoschGosch, KStG, § 8b Rn. 106.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Fraglich ist, ob ein direkter Zugriff auf das steuerliche Einlagekonto aufgrund 1127 des seit 2006 eindeutigen Wortlautes des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG noch möglich ist oder der Rückfluss an den Gesellschafter bei Eintritt des Besserungsfalls als (normale) Gewinnausschüttung qualifiziert wird, soweit sich nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG ein ausschüttbarer Gewinn ergibt. Vgl. Endert, DStR 2016, 1009 ff.; Winkeljohann/Fuhrmann, DB 2006, 1862 ff.
Das Wiederaufleben der Forderung im Besserungsfall führt zu einer Vermö- 1128 gensminderung bei der Gesellschaft und einer entsprechenden Vermögensmehrung beim Gesellschafter. Diese Vermögensmehrung beruht nach zutreffender Auffassung nicht auf einer Leistung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG, sondern stellt sich als actus contrarius zu der durch den Forderungsverzicht in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung bewirkten Einlage dar. Diese „negative Einlage“ ist daher durch Abzug vom steuerlichen Einlagekonto zu erfassen und zwar selbst dann, wenn das steuerliche Einlagekonto dadurch negativ wird. Die Begrenzung in § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG gilt insoweit nicht. So Gosch-Bauschatz, KStG, § 27 Rn. 53.
cc) Behandlung der Darlehenszinsen Wird neben der Verbindlichkeit auch – bedingt – auf Darlehenszinsen während 1129 der Krise der Gesellschaft verzichtet, so können nach Bedingungseintritt Zinsen auch für die Dauer der Krise der Gesellschaft nachgezahlt werden. Diese Zinsen sind nach der Rechtsprechung des BFH auf Ebene der Gesellschaft als Betriebsausgabe absetzbar. Vgl. BFH, Urt. v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588 ff.
Im Hinblick auf die gewerbesteuerliche Behandlung als Dauerschuld hat der 1130 BFH entschieden, dass die ursprünglich ausgebuchte Darlehensverbindlichkeit infolge des Bedingungseintritts nicht wieder auflebt, sondern aufgrund der Besserungsabrede und Eintritt der hier vereinbarten Bedingungen als neue Darlehensverbindlichkeit zu passivieren ist. Vgl. BFH, Urt. v. 29.1.2003 – I R 50/02, BStBl. II 2003, 768 ff.
c) Besonderheit bei zeitgleicher Abtretung von Forderungen und Geschäftsanteilen Grundsätzlich gelten die oben dargestellten Rechtsfolgen bei einem Gesell- 1131 schafterwechsel zwischen Forderungsverzicht gegen Besserungsabrede und Eintritt des Besserungsfalls entsprechend. Dies eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit eines Transfers von Verlusten in die Zukunft, indem unmittelbar vor dem Gesellschafterwechsel im Rahmen eines Forderungsverzichts mit Besserungsabrede laufende Verluste des Geschäftsjahres sowie Verlustvorträge im Rahmen der Mindestbesteuerung verrechnet werden und der Anspruch aus der Besserungsabrede gemeinsam mit den Anteilen an der Kapi273
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
talgesellschaft abgetreten werden. Bei späterem Eintritt des Besserungsfalls wird dann der steuerliche Aufwand generiert und mit dem laufenden Gewinn verrechnet. BMF-Schreiben v. 2.12.2003, BStBl. I 2003, 648, 648 unter 2. lit. c).
1132 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll aber ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i. S. d. § 42 AO vorliegen, wenn im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Forderungsverzicht mit Besserungsabrede zugleich die nachfolgende Abtretung dieser Ansprüche sowie der Anteile an der Kapitalgesellschaft an einen neuen Gesellschafter bewirkt wird. BMF-Schreiben v. 2.12.2003, BStBl. I 2003, 648, 648 unter 2. lit. c) zum alten § 8 Abs. 4 KStG unter Bezugnahme auf BFH, Urt. v. 1.2.2001 – IV R 3/00, BStBl. II 2001, 520 ff.
1133 Danach wäre in Höhe der Rückzahlung aus der Besserungsabrede eine verdeckte Gewinnausschüttung der Gesellschaft an den neuen Gesellschafter anzunehmen. In dem Leitsatz des BFH-Urteils vom 1.2.2001 wurde allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Urteil einen Sachverhalt vor Inkrafttreten der Verlustabzugsbeschränkung des § 8 Abs. 4 KStG a. F. betraf. 1134 Nach zutreffender Ansicht ändert sich die betriebliche Veranlassung der einzubuchenden Verbindlichkeit nicht aufgrund des Gläubiger- und Anteilseignerwechsels. Dies wurde auch vom BFH in seiner Entscheidung vom 12.7.2012 bestätigt. BFH, Urt. v. 12.7.2012 – I R 23/11, DStR 2012, 2058 ff. m. Anm. Hoffmann; vgl. auch Gosch-Roser, KStG, § 8c Rn. 106.
1135 Wird dagegen eine vermögenslose und inaktive Kapitalgesellschaft, deren Gesellschafter auf Forderungen gegen Besserungsabrede verzichtet haben auf eine profitable Kapitalgesellschaft verschmolzen, dann soll der spätere Eintritt des Besserungsfalls mit Einbuchung der Verbindlichkeit durch außerbilanzielle Hinzurechnung als verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter behandelt werden. Maßgeblich ist, dass die betriebliche Veranlassung aufgrund des Schuldnerwechsels im Rahmen der Verschmelzung fehlt. BFH, Urt. v. 21.2.2018 – I R 46/16, DStR 2018, 1284 ff.
1136 Dieses Urteil steht nicht im Widerspruch zu der weiterhin vorliegenden betrieblichen Veranlassung beim Gläubigerwechsel, verbunden mit dem Anteilseignerwechsel, da dort weiterhin bei derselben Schuldnergesellschaft der Forderungsverzicht und der Besserungsfall realisiert werden. Vgl. Bodden, NZG 2018, 932 ff.
1137 Da die Finanzverwaltung – entgegen der zivilrechtlichen Lage – wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO steuerlich vom Nichtbestehen der Forderung/Verbindlichkeit ausgeht, wäre es nur konsequent, auch bezüglich nachgezahlter Zinsen von verdeckten Gewinnausschüttungen auszugehen. Bei einer beherrschenden Gesellschafterstellung käme 274
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
danach insoweit breits bei Fälligkeit der Darlehen der Zufluss einer solchen verdeckten Gewinnausschüttung in Betracht. Bei der von der Finanzverwaltung proklamierten Anwendung des BFH-Urteils 1138 vom 1.2.2001 wird nicht danach unterschieden, inwieweit die Forderung zum Zeitpunkt des Forderungsverzichts werthaltig war oder nicht. Die Darlehensrückzahlungen wären danch als verdeckte Gewinnausschüttung wäre dann gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d) bzw. lit. c) EStG nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens zu besteuern. Anders als in dem oben beschriebenen „Normalfall“ (ohne Gesellschafter- 1139 wechsel) käme es mithin nicht lediglich zu einer Besteuerung der die Anschaffungskosten überschreitenden Einlagerückgewähr, sondern zu einer steuerlichen Erfassung sämtlicher Darlehensrückzahlungen. 5. Steuerrechtliche Behandlung des Rangrücktritts Regelmäßig wird in Sanierungen für eine Forderung eines Anteilseigners 1140 statt eines Forderungsverzichts eine schuldrechtliche Rangrücktrittsvereinbarung gemäß § 39 Abs. 2 InsO als Schuld- oder Schuldänderungsvertrag vereinbart. Der insolvenzrechtliche Vorteil des Rangrücktritts liegt darin, dass die entsprechende Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner dazu führt, dass die Verbindlichkeit im Rahmen der Prüfung der Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 InsO nicht mehr als Verbindlichkeit zu berücksichtigen ist, Seit der unbefristeten Geltung des § 19 Abs. 2 InsO i. d. F. des FMStG liegt allerdings bei einer positiven Fortführungsprognose trotz bilanzrechtlicher Unterdeckung keine rechtliche Überschuldung mehr vor und ein Rangrücktritt zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Überschuldung ist mithin nicht zwingend erforderlich. Der Rangrücktritt kommt nicht nur für Anteilseigner, sondern auch für jeden anderen Gläubiger in Betracht, insbesondere im Bereich von Mezzanine-Finanzierungen wird bereits regelmäßig von Anfang an ein Rangrücktritt gewährt. Die Rangrücktrittsforderung als solche besteht rechtlich weiterhin und etwaige akzessorische Sicherungsrechte für die Forderung bleiben dem Grunde nach bestehen. Der BGH verlangt für den Rangrücktritt zwecks Vermeidung einer Über- 1141 schuldung, dass diese Vereinbarung bereits vor Insolvenzeröffnung eine Auszahlungssperre zugunsten der Gläubiger (§ 328 BGB) begründet, sofern hierdurch die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der schuldnerischen Gesellschaft droht. BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 ff.; vgl. hierzu Berger ZIP 2016, 1 ff. kritisch zur neuen Dogmatik K. Schmidt, ZIP 2015, 901 ff.; Ekkenga, ZIP 2017, 1493 ff.
Umstritten sind die bilanz- und steuerrechtlichen Folgen der vorgenannten 1142 BGH-Rechtsprechung hinsichtlich der Passivierung der Rangrücktrittsverbindlichkeit in der Handels- und Steuerbilanz, da nunmehr der Rangrücktritt nicht lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des schuldnerischen Unter275
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
nehmens im Sinne eines pactum non petendo, sondern ein Zahlungsverbot mit einem Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB bei verbotener Zahlung begründet. Aufgrund dieser neuen Dogmatik des Rangrücktritts ist nunmehr umstritten, ob die Rangrücktrittsverbindlichkeit weiterhin im Rahmen der Handelsbilanz gemäß §§ 246 Abs. 1, 247 Abs. 1 HGB und in der Steuerbilanz über den Maßgeblichkeitsgrundsatz gemäß § 5 Abs. 1 EStG unter Berücksichtigung des Vollständigkeitsgrundsatzes als Schuld zu passivieren ist. Vgl. zum Streitstand Oser, DStR 2017, 1889 ff.
1143 Nach zutreffender, nunmehr auch vom BFH bestätigter Auffassung, ist die Rangrücktrittsverbindlichkeit trotz der vorgenannten BGH-Dogmatik weiterhin gemäß § 246 Abs. 1 HGB handelsbilanziell als Verbindlichkeit zu passivieren, sofern der Nachranggläubiger weiterhin einen gegenständlich nicht beschränkten Anspruch auf Befriedigung seiner Forderung aus dem gesamten auch sonstigen freien Vermögen hat und lediglich mit dem Nachrang das Konkurrenzverhältnis gegenüber den übrigen Gläubigern vereinbart wird. Vgl. BFH, Urt. v. 19.8.2020 – XI R 32/18, BStBl. II 2021, 279; zuvor bereits zutreffend Schulze-Osterloh, BB 2017, 427 ff.; Kahlert WpG 2017, 602 ff.; Müller, BB 2016, 491 f.; Briese, DStR 2017, 799 ff. und DStR 2017, 2832 ff.; Sonnleitner/Witfeld, Insolvenzsteuerrecht, Kap. 10 Rn. 68 ff.; Wacker, DB 2017, 26 ff.
1144 Eine etwaige Vermögenslosigkeit des schuldnerischen Unternehmens wegen wirtschaftlicher Überschuldung ist kein maßgebliches Kriterium für eine Nichtpassivierung der nachrangigen Verbindlichkeit. Vgl. BFH, Urt. v. 19.8.2020 – XI R 32/18, DStR 2020, 2716 ff.; zuvor bereits BFH, Urt. v. 10.8.2016 – I R 25/15, DStR 2017, 925, 927; Wacker, DB 2017, 26 ff; a. A. Weber-Grellet, FR 2021, 172 f. als ablehnende Anm. zu BFH, Urt. v. 19.8.2020 – XI R 32/18.
1145 Maßgeblich ist insoweit, dass trotz des Rangrücktritts weiterhin der rechtliche Zugriff auf das sog. freie Vermögen des schuldnerischen Unternehmens besteht. Solange der Nachranggläubiger sich diese rechtliche Zugriffsmöglichkeit im Rahmen der Nachrangvereinbarung ausdrücklich vorbehält, ist diese Verbindlichkeit beim schuldnerischen Unternehmen unter Anwendung des Vollständigkeitsgrundsatzes gemäß § 246 Abs. 1 HGB sowie der zutreffenden Darstellung der Vermögenslage gemäß § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB zu passivieren, da das gesamte Vermögen als Aktiva mit dieser nachrangigen Schuld belastet bleibt. Im Ergebnis ist der rechtliche Gehalt der Durchsetzungssperre der nachrangigen Forderung und nicht das wirtschaftliche Unvermögen des schuldnerischen Unternehmens für die bilanzielle Passivierungspflicht maßgeblich. Auch die Finanzverwaltung ging bereits vor der BFH-Entscheidung vom 19.8.2020 trotz der neuen Dogmatik des Rangrücktritts weiterhin von einer Passivierung des Rangrücktrittsdarlehens aus.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen OFD Frankfurt a. M. v. 3.8.2018 – S 2743 A – 12 – St 525, DStR 2019, 560 mit der Bestätigung, dass dies auch im Rahmen der Liquidation gilt.
Allerdings hat eine Ausbuchung der Nachrangforderung zu erfolgen, wenn die 1146 Nachrangforderung nur aus einem künftigen Jahresüberschuss oder Handelsbilanzgewinn oder aus künftigen Einnahmen zu tilgen ist, da in diesem Fall die gegenwärtige wirtschaftliche Belastung zum jeweiligen Bilanzstichtag nicht besteht. Schulze-Osterloh, BB 2017, 427 ff.; Wacker, DB 2017, 26 ff.
Steuerlich ist zugleich das Passivierungsverbot nach der Sondervorschrift ge- 1147 mäß § 5 Abs. 2a EStG zu berücksichtigen, wonach ausdrücklich keine Verbindlichkeiten oder Rückstellungen zu bilden sind, sofern diese nur aus künftigen Einnahmen oder Gewinnen erfüllt werden müssen. Beim Rangrücktritt führt insoweit auch eine Regelung, wonach die nachrangige Forderung nur aus einem künftigen handelsrechtlichen Bilanzgewinn oder einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu begleichen ist, zum Ausbuchen der Forderung. BFH, Urt. v. 19.8.2020 – XI R 32/18, BStBl. II 2021, 279; BFH, Urt. v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 ff.; bestätigend BFH, Urt. v. 10.8.2016 – I R 25/15, BStBl. II 2017, 670 ff.; hierzu auch Wacker, DB 2017, 26 ff.
Lediglich wenn die Kapitalrücklage den laufenden Jahresfehlbetrag und die 1148 Verlustvorträge zum Bilanzstichtag übersteigt, kommt insoweit eine Passivierung wegen einer gegenwärtigen Belastung bei Auflösung der Rücklagen in Betracht. Hinsichtlich eines etwaigen künftigen Liquidationsüberschusses liegt erst bei Eintritt des Liquidationsfalls eine gegenwärtige Belastung des schuldnerischen Vermögens mit der Nachrangverbindlichkeit vor, die daher im Rahmen der Going Concern Bilanzierung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB nicht zu passivieren ist. BFH, Urt. v. 15.4.2015 – I R 44/14, DStR 2015, 1551 m. Anm. Hoffmann; bestätigend BFH, Urt. v. 10.8.2016 – I R 25/15, DStR 2017, 925, 927; hierzu auch Wacker, DB 2017, 26 ff.
Auch der weitestgehende Rücktritt in den Rang des § 199 Satz 2 InsO führt 1149 nicht zu einem Passivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2a EStG, sofern die Rangrücktrittsforderung nicht nur aus gewinnabhängigen Einkünften, sondern auch aus sonstigem freien Vermögen zu bedienen ist. In der Praxis muss daher unabhängig vom vereinbarten Rang im Rahmen eines 1150 Rangrücktritts in jedem Fall vereinbart werden, dass die Rückzahlung der zurückgetretenen d. h. subordinierten Forderung auch „aus sonstigem freien Vermögen“ möglich ist, um die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG sicher zu vermeiden. Gehört das Rangrücktrittsdarlehen beim Gesellschafter als Darlehensgeber zum 1151 Betriebsvermögen, so führt der Rangrücktritt – außerhalb des Anwendungs-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
bereichs von § 17 EStG – nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung. Erst mit dem Verzicht gegenüber der Gesellschaft entstehen nachträgliche Anschaffungskosten in Höhe des werthaltigen Teils der Darlehensforderung. Da die Darlehensforderung ein selbstständiges Wirtschaftsgut ist, kommt jedoch insoweit eine Teilwertabschreibung aufgrund des Rangrücktritts i. V. m. der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft in Betracht. Vgl. BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, ZIP 2006, 249, 251 ff.
1152 Steuerlich ist in diesem Zusammenhang seit 2008 das Abzugsverbot gemäß § 8b Abs. 3 Sätze 4 – 7 KStG zu berücksichtigen. wonach Gewinnminderungen „im Zusammenhang“ mit einer (in- oder ausländischen) Darlehensforderung eines Gesellschafters, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligt ist oder war, oder eine diesem nahe stehenden Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG oder ein sog. rückgriffsbewehrter Dritter nicht abzugsfähig sind. Dieses Abzugsverbot gilt auch für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar sind, sowie für Gewinnminderungen aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden. Vgl. zur Gesetzesentwicklung mit weiteren Nachweisen GoschGosch, KStG, § 8b Rn. 260 ff.
1153 Allerdings besteht gemäß der sog. „Escape“ Klausel gemäß § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG die Möglichkeit, die gesetzliche Vermutung des § 8b Abs. 3 Sätze 4 und 5 KStG zu widerlegen. Danach hat der Darlehensgeber die Möglichkeit nachzuweisen, dass ein fremder Dritter das Darlehen unter sonst gleichen Umständen ebenfalls gewährt oder stehen gelassen bzw. noch nicht zurückgefordert hätte. Nach der Gesetzesbegründung soll nicht von einer fremdüblichen Darlehensgewährung ausgegangen werden, wenn x
das Darlehen nicht verzinslich ist,
x
zwar eine Verzinsung vereinbart, jedoch keine Sicherheiten bestellt sind,
oder x
zwar eine Verzinsung und Sicherheiten vereinbart sind, jedoch das Darlehen bei Eintritt in die Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert wurde. Gosch-Gosch, KStG, § 8b Rn. 279b ff.
1154 In der Praxis muss bei Krisendarlehen grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG eingreift. 1155 Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens gelten nachträgliche Forderungen gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen, sofern nichts anderes im Insolvenzplan bestimmt ist. Der Insolvenzplan kann insoweit eine abweichende Regelung für die Nachranggläubiger bestimmen, die dann auch steuerlich maßgeblich ist. Des Weiteren kann der Insolvenzplan für nicht nachrangige Gläubiger einen Nachrang im gestaltenden Teil bestimmen, der insoweit unter Be-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
rücksichtigung der steuerlich geforderten Formulierung einen steuerlichen Verzicht bewirkt. Dies gilt auch für den Restrukturierungsplan. 6. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Push-Up In der Praxis kommt zudem die befreiende Schuldübernahme als sog. Debt- 1156 Push-Up alternativ zum Forderungsverzicht in Betracht, der auch im Rahmen einer Erwerbsstruktur gestaltet werden kann. Danach kann beispielsweise der Erwerber im Rahmen einer Kapitalerhöhung einen Teil der Schulden zur Entlastung der zu sanierenden Gesellschaft schuldbefreiend übernehmen, um die Verbindlichkeiten des operativen Schuldnerunternehmens im Wege einer steuerneutralen Einlage zu verringern, gleichzeitig den betroffenen Gläubigern als Ersatz eine strukturell nachrangige Forderung gegen den Neugesellschafter zu gewähren. Diese Forderung wird dann regelmäßig neu strukturiert, z. B. als nachrangige Mezzanineforderung. Der strukturelle Unterschied zwischen einem Forderungsverzicht und einem Debt-Push-Up liegt mithin darin, dass bei einem Debt-Push-Up die Forderungen der Gläubiger bestehen bleiben und lediglich strukturell nachrangig bedient werden. Rechtlich kann die Schuldübernahme durch zweiseitige Vereinbarung zwi- 1157 schen Gläubiger und dem neuen Erwerber im Wege des Vertrages zugunsten der Gesellschaft oder im Wege einer dreiseitigen Vereinbarung, jeweils unter Ausschluss jeglicher Regressforderungen umgesetzt werden. Die Erfüllungsübernahme zur unbedingten Übernahme der Verbindlichkeit gemäß §§ 329 BGB, 415 Abs. 1 und 3 BGB führt bei der Gesellschaft zu einem Freistellungsanspruch als sog. Upstream-Forderung in Höhe des Nennwerts der Verbindlichkeit gegen den Gesellschafter. Erfüllt der Gesellschafter die Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger, dann erlöschen auf Ebene der Gesellschaft sowohl der Freistellungsanspruch als auch die Verbindlichkeit. Steuerlich ist der Freistellungsanspruch gegenüber dem Gesellschafter in vol- 1158 lem Umfang in Höhe des Nennbetrags der Verbindlichkeit als steuerneutrale Einlage auf Ebene der Kapitalgesellschaft zu werten und wegen der Regresslosigkeit der Schuldübernahme auch kein Verzicht auf eine möglicherweise nicht werthaltige Forderung. BFH, Beschl. v. 20.12.2001 – I B 74/01, DStRE 2002, 257.
Zwecks Absicherung der steuerneutralen Gestaltung sollte bei wesentlichen 1159 Beträgen eine verbindliche Auskunft beim zuständigen Finanzamt beantragt werden. Vgl. insoweit OFD Frankfurt a. M. v. 26.6.2021 – S 2743 A-12St-523, BeckVerw 556782, wo unter 2. darauf hingewiesen wird, die Anträge auf verbindliche Auskünfte betreffend den DebtPush-Up vorab mit der OFD abzustimmen.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
7. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Equity-Swaps 1160 Im Rahmen des „Debt-Equity-Swaps“ tauscht der Gläubiger wirtschaftlich und steuerrechtlich seine bisherige Forderung gegen Gesellschaftsrechte ein. In der Bilanz des Unternehmens erhöht sich entsprechend das bilanzielle Eigenkapital und die künftige Ergebnis- und Liquiditätssituation wird aufgrund des Wegfalls der Zinsbelastung verbessert. Der Gläubiger tritt entweder im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung seine Forderung an die Gesellschaft ab, wodurch diese im Wege der Konfusion erlischt, oder er bringt die Forderung im Wege des Erlassvertrages i. S. d. § 397 BGB ein. Im Rahmen der Transaktion in der Krise wird die einzubringende Forderung regelmäßig nur teilweise werthaltig sein, sodass im Rahmen der Sachkapitalerhöhung die Einlageverpflichtung aufgrund des Prinzips der effektiven Kapitalaufbringung nur in Höhe des tatsächlichen Werts der Forderung erfüllt wird. Handelsbilanziell ist der nicht werthaltige Anteil der eingebrachten Forderung erfolgsneutral als andere Zuzahlung gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB als Kapitalrücklage zu verbuchen. Vgl. Schulze-Osterloh, NZG 2017, 641, 643 f.
1161 Steuerlich sind Einlagen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG mit dem jeweiligen Teilwert des Wirtschaftsguts zum Zeitpunkt der Zuführung anzusetzen. Der Teilwert einer Forderung ist im Wege der Bewertung aufgrund der zum maßgeblichen Stichtag gegebenen objektiven Verhältnisse zu ermitteln und wird insbesondere durch die Zahlungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens und damit der Ausfallwahrscheinlichkeit der Forderung bestimmt. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Forderung sind auch stille Reserven und die Möglichkeit einer ratenweisen Rückzahlung im Rahmen einer positiven Fortführungsprognose zu berücksichtigen. Vgl. FG Bremen, Beschl. v. 28.3.2017 – 3 V 22/17 1, Rn. 92, BeckRS 2017, 135083.
1162 Der BFH wendet diese Grundsätze sowohl beim Erlass einer Forderung als auch bei deren Abtretung entsprechend an. Vgl. BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307, 310.
1163 Danach führt der Wegfall der Forderung auf Ebene der Gesellschaft im ersten Schritt zu einem steuerlichen Ertrag in Höhe des Nennwertes der Forderung. Dieser Ertrag wird dann im 2. Schritt steuerrechtlich durch eine Einlage des neuen Gesellschafters in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung als Anschaffungskosten der Beteiligung korrigiert, die gleichsam zu einer Erhöhung des Einlagekontos gemäß § 27 KStG führt. Auf Ebene der Gesellschaft verbleibt somit in Höhe des wertlosen Teils der Forderung ein – auch steuerlich zu berücksichtigender – Gewinn. Auf diesen Sanierungsgewinn muss dann bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen der die Anwendung
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
der Steuerbefreiung gemäß § 3a EStG wie beim Forderungsverzicht zu prüfen, um eine Steuerbelastung zu vermeiden. Nach anderer Auffassung ist die Einlage auch steuerlich mit ihrem Nennwert 1164 zu bewerten und wäre danach steuerneutral. So Schulze-Osterloh, NZG 2017, 641, 644 f; ebenso Pöschke, NZG 2017, 1408, 1414.
Führt die Sachkapitalerhöhung im Rahmen des „Debt-Equity-Swaps“ zu einer 1165 Übertragung von mehr als 50 % der Anteile an der Gesellschaft, so ist die Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, dass der Konfusionsgewinn aus der Umwandlung der Forderung in Eigenkapital zeitgleich mit der Eintragung der Sachkapitalerhöhung im Handelsregister und somit zum Zeitpunkt einer schädlichen Anteilsübertragung i. S. d. § 8c Abs. 1 KStG entsteht. Sind die steuerlichen Verlustvorträge geringer als der Sanierungsgewinn, so 1166 führt der schädliche Anteilseignerwechsel des § 8c KStG zu keinen negativen Auswirkungen, sofern durch Anwendung der Steuerbefreiung gemäß § 3a EStG im Ergebnis keine Besteuerung des Sanierungsgewinns erfolgt und der steuerliche Verlustvortrag sowieso vorab zu verrechnen ist. Sofern sich die Verlustbeschränkungen des § 8c KStG oder eine Steuerbelas- 1167 tung aufgrund der Mindestbesteuerung nicht vermeiden lassen, kommt alternativ eine Umwandlung der Forderung im Rahmen des „Debt-MezzanineSwap“ ggf. In Verbindung mit einem Debt-Push-Up in Betracht, wobei diese Gestaltungen durch verbindliche Auskünfte gemäß § 89 Abs. 2 AO abgesichert werden sollten. Der Debt-Equity-Swap kann auch im Rahmen eines Restrukturierungsplans 1168 gemäß § 7 Abs. 4 StaRUG sowie des Insolvenzplanverfahrens nach § 225a InsO realisiert werden, wobei dies jeweils nur mit Zustimmung des jeweiligen Gläubigers möglich ist. Die Differenzhaftung bei einer etwaigen Überbewertung der Forderung als Sacheinlage ist jeweils nach der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungs- bzw. Insolvenzplans aufgrund von § 254 Abs. 4 InsO ausgeschlossen. Steuerlich gelten auch im Rahmen des Restrukturierungsplans bzw. dem Insolvenzplanverfahren die vorgenannten Grundsätze. 8. Steuerrechtliche Behandlung des Debt-Mezzanine-Swaps Im Rahmen des „Debt-Mezzanine-Swaps“ tauscht der Gläubiger wirtschaft- 1169 lich und steuerrechtlich seine bisherige Forderung in eine strukturell nachrangige Mezzanine-Finanzierung, die unter bestimmten Voraussetzungen handelsbilanziell unter dem Eigenkapital ausgewiesen werden. Dabei kann es sich insbesondere um die Umwandlung in Genussrechtsbeteiligungen oder stille Gesellschaften handeln.
281
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
1170 Der Debt-Mezzanine-Swap kann auch im Rahmen eines Restrukturierungsoder Insolvenzplans durch Umwandlung von Verbindlichkeiten des schuldnerischen Unternehmens in nachrangige Genussrechte oder stille Beteiligungen realisiert werden. 1171 Die Gestaltungsformen von Mezzanine-Finanzierungen als handelsbilanzielles Eigenkapital weisen im Wesentlichen folgende Kernelemente auf: x
Nachrangigkeit in Bezug auf die sonstigen Gläubiger (zugleich vorrangig gegenüber Eigenkapital).
x
Erfolgsabhängigkeit (höhere Vergütung für die Kapitalbereitstellung im Vergleich zum klassischen Fremdkapital, die nicht aus dem Eigenkapital geleistet wird).
x
Verlustteilnahme (vollständige Beteiligung am Verlust bis zum Rückzahlungstermin).
1172 Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung (grundsätzlich fünf Jahre Mindestüberlassung, alternativ langfristige Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren). Vgl. IDW, Stellungnahme HFA 1/1994, WPG 1994, 419; Schubert, in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 Rn. 195; Kubik/Münch, BB 2021, 1387, 1389 f.
1173 Unter vorgenannten Voraussetzungen können sowohl schuldrechtliche Genussrechtsvereinbarungen als auch stille Gesellschaften so ausgestaltet werden, dass sie wesentliche Merkmale von Eigenkapitalinstrumenten haben und daher in der Handelsbilanz als „Quasi-Eigenkapital“ zwischen dem klassischen Eigenkapital und dem klassischen Fremdkapital als Genussrechtskapital oder stille Beteiligung unter einem eigenen Bilanzposten im Eigenkapital ausgewiesen werden. Vgl. IDW Stellungnahme HFA 1/1994, WPG 1994, 419; Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072 ff.; MüKo-Kropff, HGB, § 272 Rn. 268 ff. und 286 ff.
1174 Erfüllen Genussrechtsvereinbarungen die Voraussetzungen für den handelsbilanziellen Ausweis unter dem Eigenkapital, so bleibt die Vergütung für Genussrechte handelsrechtlich trotzdem Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung. Vgl. Brandis/Heuermann-Rengers, KStG, § 8 Rn. 194.
1175 Steuerlich bestimmt § 8 Abs. 3 Satz 2 2. Alt KStG, dass Ausschüttungen auf Genussrechte das Einkommen nicht mindern, wenn das Genussrecht kumulativ am Gewinn und am Liquidationserlös beteiligt wird. Das Genussrecht kann danach als steuerliches Fremdkapital ausgestaltet werden, wenn es nicht am Liquidationserlös der Gesellschaft beteiligt wird und daher nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als beteiligungsähnliches Genussrecht erfüllt. In diesen Fällen bleibt die Vergütung des Genussrechts aus Sicht der Gesellschaft steuerlicher Aufwand und mindert das körperschaftsteuerli282
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
che Einkommen sowie den Gewerbeertrag vorbehaltlich sonstiger Abzugsbeschränkungen wie die Zinsschranke. Vgl. Karcher, DStR 2020, 1945, 1949 zugleich als Anm. zum BFH-Urt. v. 14.8.2019 – I R 44/17, DStR 2020, 1307; kritisch hierzu Schmid DStR 2020, 2633; zuvor BFH, Urt. v. 19.1.1994 – I R 67/92, BStBl. II 1996, 77.
Neben der Sonderregelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 2. Alt KStG sind lediglich 1176 die allgemeinen steuerlichen Passivierungsgrundsätze für das Genussrecht anzuwenden. Vgl. Brandis/Heuermann-Rengers, KStG, § 8 Rn. 215.
Der Debt-Mezzanine-Swap führt nach dieser zutreffenden Auffassung auch 1177 nicht zu einer steuerrechtlich gewinnerhöhenden Ausbuchung der Verbindlichkeit, gleichzeitig kann aber in der Handelsbilanz ein Eigenkapitalausweis und somit eine Verbesserung des Bilanzbildes erreicht werden. Dies hat auch die Finanzverwaltung mittlerweile anerkannt. Es erfolgt daher keine steuerbilanzielle Umqualifizierung in Eigenkapital aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes gemäß § 5 Abs. 1 EStG. Vgl. FM Nordrhein-Westfalen v. 18.7.2018 – S 2133-000036-V B 1, BeckVerw 437976; FBeh. Hamburg, Fachinformation v. 25.1.2019 – S 2133 – 2017/001 – 52/S 2742 – 2017/003 – 53, DStR 2019, 1093; zuvor a. A. OFD Nordrhein-Westfalen, 12.5.2016 – S27422019/0009-St 131, DStR 2016, 1816.
Im Rahmen des Debt-Mezzanine-Swaps kommt auch die Umwandlung einer 1178 Forderung des Gläubigers in eine stille Gesellschaft in Betracht, wobei diese bei der Aktiengesellschaft einen Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG darstellt und deshalb grundsätzlich erst mit Genehmigung der Hauptversammlung und Eintragung im Handelsregister wirksam wird. Für die Bilanzierung als Fremdkapital oder als »Quasi-Eigenkapital« gelten grundsätzlich dieselben Grundsätze wie beim Genussrecht. Vgl. MüKo-Ballwieser, HGB § 246 Rn. 85.
9. Umsatzsteuer beim Unternehmenskauf a) Asset Deal Werden bei einem Asset Deal sämtliche Wirtschaftsgüter des Unternehmens 1179 oder eines gesondert geführten Betriebsteils veräußert, so ist diese Geschäftsveräußerung grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbar. Diese Regelung vermeidet insbesondere eine Vorfinanzierung beim Erwerber, dem regelmäßig ein entsprechender Anspruch auf Vorsteuerabzug zustehen würde. Eine Geschäftsveräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG liegt vor, wenn die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens oder eines gesondert geführten Betriebes in der Weise übertragen werden, dass der erwerbende Unternehmer den Betrieb ohne nennenswerte Investitionen fortsetzen kann.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle Abschnitt 1.5. UStAE; OFD Karlsruhe, Vfg. v. 3.3.2021 – S 7100b -Karte 1, DStR 2021, 1821.
1180 Ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens im Rahmen eines Asset Deals übertragen werden, richtet sich nach der Lage des Einzelfalles und hängt insbesondere von der Art der unternehmerischen Tätigkeit ab. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigten, dass auch ein einzelner Gegenstand, wie ein Grundstück, Schiff oder Flugzeug, nicht steuerbar im Rahmen einer Geschäftsveräußerung übereignet wird, wenn dieser Gegenstand das ganze Unternehmen oder den gesondert geführten Betrieb des Unternehmens funktional ausmacht. Vgl. BFH, Urt. v. 12.8.2015 – XI R 16/14, DStR 2016, 47, 49 f.= BStBl. II 2020, 790; BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 4/07, BStBl. II 2009, 863 ff.; BFH, Urt. v. 23.8.2007 – V R 14/05, BStBl. II 2008, 165 ff.; BFH, Beschl. v. 1.4.2004 – V B 112/03, BStBl. II 2004, 802 f.; BFH, Urt. v. 21.3.2002 – V R 62/01, BStBl. II 2002, 559 f.; OFD Karlsruhe, Vfg. v. 3.3.2021 – S 7100b -Karte 1, DStR 2021, 1821, unter 5.
1181 In der Praxis ist insoweit insbesondere die Veräußerung eines vermieteten Grundstücks, dessen Vermietung die einzige unternehmerische Betätigung des Veräußerers ist, eine nicht steuerbare Veräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG. Dagegen liegt keine Geschäftsveräußerung vor, wenn das Grundstück unvermietet veräußert wird, da dann kein auf den Erwerber übergehender Geschäftsbetrieb vorliegt. FG Köln, Urt. v. 19.9.2020 – 8 K 2974/18, DStRE 2021, 999; OFD Karlsruhe, Vfg. v. 3.3.2021 – S 7100b -Karte 1, DStR 2021, 1821 unter 6.
1182 Nach der Geschäftsveräußerung im Ganzen ist der Erwerber an die vom Veräußerer ausgeübten Wahlrechte grundsätzlich nicht gebunden. Der Erwerber kann daher insbesondere gemäß § 9 UStG auf Steuerbefreiungen für die von ihm getätigten Umsätze verzichten. Nach § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG tritt der erwerbende Unternehmer an die Stelle des Veräußerers. Im Rahmen der Vorsteuerberichtigung stellt § 15a Abs. 10 Satz 1 UStG sicher, dass durch die Geschäftsveräußerung der für das jeweilige Wirtschaftsgut maßgebliche Berichtigungszeitraum nicht unterbrochen wird. Der Veräußerer ist insoweit gemäß § 15a Abs. 10 Satz 2 UStG verpflichtet, dem Erwerber für die Durchführung der Berichtigung die erforderlichen Angaben zu machen, damit dieser bei geänderten Verwendungsverhältnissen die entsprechenden Berichtigungen durchführen kann. Der Erwerber muss auch die Vorsteuerkorrekturen nach § 15a UStG vornehmen, falls er das Wirtschaftsgut nach der Geschäftsveräußerung für den Vorsteuerabzug anders verwendet. Die Auswirkungen der Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG müssen sowohl vom Erwerber als auch vom Veräußerer im Rahmen der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigt werden.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Beispiel: Der Insolvenzverwalter I veräußert das gesamte Unternehmensvermögen der Schuldnerin zum 1. Januar 23 an den Erwerber E. Zum Unternehmensvermögen der Schuldnerin gehört ein am 1. Januar 21 für 10 Mio. € zuzüglich 1,9 Mio. € Umsatzsteuer erworbenes Grundstück, welches bisher zu 50 % umsatzsteuerpflichtig und im Übrigen umsatzsteuerfrei vermietet wurde. Der Erwerber hat im Rahmen des Gesamtkaufpreises einen anteiligen Kaufpreis für das Grundstück in Höhe von 3 Mio. € vereinbart und wird das Grundstück zukünftig ausschließlich steuerpflichtig vermieten. Zum Unternehmensvermögen gehört weiterhin ein ungenutztes Grundstück, das zum Zwecke der steuerpflichtigen Vermietung ebenfalls am 1. Januar 21 zum Kaufpreis von 10 Mio. € zzgl. 1,9 Mio. € Umsatzsteuer erworben wurde. Entsprechend der damaligen geplanten steuerpflichtigen Nutzung wurde dem Veräußerer die Vorsteuer erstattet. Auch auf dieses Grundstück entfiel ein vereinbarter anteiliger Kaufpreis von 3 Mio. €. Kurz nach Erwerb wurde das Grundstück umsatzsteuerpflichtig an einen anderen Veräußerer verkauft. Lösung: Unter Berücksichtigung der Verwendungsverhältnisse im Jahr 21 betrug der abziehbare Vorsteuerbetrag 0,95 Mio €. (50 % von 1,9 Mio. €), den die Schuldnerin geltend machen konnte. Im Rahmen der Veräußerung kommt eine Option zur Steuerpflicht gemäß § 9 UStG wegen der Anwendung von § 1 Abs. 1a UStG nicht in Betracht. Der Erwerber kann aufgrund der nunmehr ausschließlich steuerpflichtigen Vermietung gemäß § 15a Abs. 5 UStG vom Übertragungsstichtag bis zum 31. Dezember 30 in jedem Kalenderjahr 95.000,00 € abzugsfähige Vorsteuer geltend machen (insgesamt 760.000 €). Der Verkauf des ungenutzten Grundstücks löst keine Vorsteuerberichtigung aus, da keine Verwendungsänderungen eingetreten sind. Abwandlung: Der Erwerber nutzt das Grundstück zukünftig ausschließlich für steuerfreie Umsätze (Wohnungsvermietung). Er muss daher bis zum Ende des zehnjährigen Berichtigungszeitraums (31. Dezember 30) jährlich 95.000 € Vorsteuer gemäß § 15a Abs. 5 UStG berichtigen und an das Finanzamt zahlen. Eine Option zur Umsatzsteuerpflicht des Veräußerers gemäß § 9 UStG kommt bei Anwendbarkeit von § 1 Abs. 1a UStG nicht in Betracht, auch wenn dies wie vorliegend günstiger wäre. Das ungenutzte Grundstück verkauft der Erwerber steuerfrei an eine Privatperson. Unabhängig vom Zeitpunkt des Verkaufs muss der Erwerber die Vorsteuer in der Voranmeldung zum Verkaufszeitpunkt gemäß § 15a Abs. 2 UStG berichtigen und die 1,9 Mio. € an Vorsteuer des Erwerbers wieder zurückzahlen, da keine umsatzsteuerpflichtige Verwendung des ungenutzten Grundstücks stattgefunden hat. Die vorgenannten Auswirkungen des § 15a UStG müssen die Vertragsparteien 1183 insbesondere im Rahmen der Kaufpreisermittlung berücksichtigen.
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
1184 Fallen auf Seiten des Erwerbers Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit der Geschäftsveräußerung an (Rechtsanwälte, Steuerberater, Gutachter, Notar etc.), so richtet sich der Vorsteuerabzug für diese Eingangsleistungen nach den Umsätzen, die der Erwerber mit den übertragenden Wirtschaftsgütern ausführt bzw. auszuführen beabsichtigt. Die Geschäftsveräußerung selbst als nicht steuerbarer Umsatz i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG ist kein Verwendungsumsatz i. S. d. § 15 Abs. 2 UStG. BFH, Urt. v. 8.3.2001 – V R 24/98, DStR 2001, 700 ff.; EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98, Abbey National plc ./. Commissioners of Customs & Excise, UR 2001, 164 ff.
1185 Aufgrund des Risikos, ob im Rahmen des Unternehmenskaufs § 1 Abs. 1a UStG anwendbar ist (insbesondere bei Teilgeschäftsveräußerungen), wird in Unternehmenskaufverträge regelmäßig eine Klausel aufgenommen, wonach der Kaufpreis als Nettosumme zu verstehen ist und sich bei einer etwaigen Umsatzsteuerpflicht des Verkaufs um die geschuldete Umsatzsteuer erhöht. 1186 Vertragsklausel: (Umsatzsteuer/Betriebsveräußerung) Die Parteien gehen davon aus, dass der Vollzug dieses Vertrages eine gemäß § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellt. Für den Fall, dass die Finanzverwaltung schriftlich durch Steuerbescheid oder sonstigen Verwaltungsakt feststellt, dass der Vollzug dieses Vertrages ein steuerbarer Verkauf ist, gelten ergänzend die Regelungen der folgenden Absätze. Der Veräußerer verzichtet hiermit im Umfang wie aus der Anlage ersichtlich gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 UStG auf die Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 9a UStG (Umsatzsteueroption) und verpflichtet sich, diese Umsatzsteueroption nicht zu widerrufen. Der Erwerber schuldet in diesem Fall über den Kaufpreis hinaus die gesetzliche Umsatzsteuer unmittelbar gegenüber dem zuständigen Finanzamt. Der Veräußerer wird in diesem Fall zur USt-Nr. des Veräußerers (Finanzamt […]) und des Erwerbers (Finanzamt […]) mitteilen, dass seitens des Veräußerers zur Umsatzsteuer optiert wurde. Von der Mitteilung wird der Veräußerer dem Erwerber unverzüglich eine Abschrift überlassen. Sollte diese nicht eingehen, ist der Erwerber berechtigt, seinerseits die vorgenannte Mitteilung an die Finanzämter zu machen. Der Veräußerer wird dem Erwerber gemäß § 14 Abs. 4 i. V. m. § 14a Abs. 5 UStG nach Zugang eines Steuerbescheides oder sonstigen Verwaltungsakts (oder einer Kopie davon) beim Veräußerer, mit dem die Finanzverwaltung feststellt, dass der Vollzug dieses Vertrages ein steuerbarer Verkauf ist, und nach Vorliegen der Voraussetzungen für die Bezahlung des Kaufpreises gemäß _____ dieses Vertrages eine Rechnung über den Kaufpreis jedoch ohne Umsatzsteuerausweis ausstellen. In der Rechnung ist auf die Steuerschuldnerschaft des Erwerbers zur Zahlung der Umsatzsteuer hinzuweisen.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Die Parteien stellen ausdrücklich klar, dass dieser Vertrag noch keine Rechnung i. S. v. § 14 Abs. 4 UStG ist. Der Notar hat ferner darüber belehrt, dass die Veräußerung des Kaufgegenstandes nur dann der Umsatzsteuer unterliegt, wenn der Veräußerer Unternehmer i. S. v. § 2 UStG ist und er die Veräußerung im Rahmen seines Unternehmens ausführt und keine Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. v. § 1 Abs. 1a UStG vorliegt. Der Notar hat weiterhin darüber belehrt, dass ungeachtet der Voraussetzungen gemäß vorstehendem Absatz ein umsatzsteuerbarer und -pflichtiger Vorgang nur vorliegt, wenn der Veräußerer die Option gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 UStG wirksam in dieser Urkunde ausübt, was wiederum voraussetzt, dass auch der Erwerber Unternehmer i. S. v. § 2 UStG ist und der Erwerb des Kaufgegenstandes für sein Unternehmen erfolgt. Der Erwerber garantiert, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Der Veräußerer hat den Erwerber über die durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung im […] sowie das Ergebnis dieser Prüfung sowie den Änderungsbericht zur Umsatzsteuer informiert und ihm diese sowie weitere erforderliche Unterlagen für seine eigene Berechnung des Korrekturbetrages nach § 15a UStG übergeben. Für die Richtigkeit der in den vorstehenden Unterlagen enthaltenen Informationen wird keine Haftung übernommen. Der Veräußerer wird dem Erwerber auch nach Abschluss dieses Vertrages noch von ihm für die Durchführung von Berechnungen der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG ggf. benötigte Unterlagen zur Verfügung stellen, soweit sie bei ihm vorhanden sind. Da der Veräußerer über seine nicht steuerbaren Leistungen gemäß § 1 1187 Abs. 1a UStG keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erteilen darf, schuldet er bei irrtümlichem Ausweis der Umsatzsteuer diesen ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag nach § 14c Abs. 1 UStG. Dem Erwerber steht hingegen trotzdem kein Vorsteuerabzug zu, da die Vorsteuerabzugsberechtigung gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG nur für Steuern besteht, die für Umsätze und nicht wegen falschem Rechnungsausweis geschuldet werden. Der Veräußerer kann in vorgenannten Fällen jedoch grundsätzlich die fehlerhafte Rechnung gemäß § 14c Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG nachträglich berichtigen. Allerdings darf die Berichtigung nach § 14c Abs. 2 Sätze 3 – 5 UStG nur erfolgen, sofern die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Danach muss sichergestellt werden, dass der Erwerber als Empfänger der Rechnung den (unberechtigten) Vorsteuerabzug nicht durchgeführt oder die etwaig geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt hat. b) Share Deal Im Rahmen des Share Deals ist der Erwerb von Gesellschaftsrechten als An- 1188 teilsveräußerung gemäß § 4 Nr. 8e bzw. 8f UStG umsatzsteuerfrei, sodass
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
ein Vorsteuerabzug aus Aufwendungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Veräußerung (M&A-Berater, Rechtsanwälte etc.) nach § 15 Abs. 2 Satz 1 UStG ausgeschlossen sind. Der veräußernde Unternehmer hat jedoch dem Grunde nach die Möglichkeit, gemäß § 9 Abs. 1 UStG zur Umsatzsteuerpflicht des Vorgangs zu optieren, sofern der Erwerber Unternehmer i. S. d. § 2 UStG ist. 10. Grunderwerbsteuer beim Unternehmenskauf 1189 Werden im Rahmen eines Asset Deals Grundstücke veräußert, so entsteht gemäß § 1 Abs. 1 GrEStG eine Grunderwerbsteuerbelastung in Höhe von mindestens 3,5 % des Wertes der Gegenleistung für die erworbenen Grundstücke. Mit Ausnahme von Bayern und Sachsen haben alle Bundesländer von der durch Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG eingeräumten Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes Gebrauch gemacht und den Betrag auf 4,5 – 6,5 % angehoben. Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist der Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG). Hierzu zählt alles, was der Erwerber aufwendet, um das Grundstück zu erhalten (§ 9 GrEStG). Mithin ist für grunderwerbsteuerliche Zwecke der Anteil des Kaufpreises, der auf die Grundstücksobjekte entfällt, aus der ertragsteuerlichen Kaufpreisaufteilung abzuleiten. Ist eine Gegenleistung nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ergibt sich die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer nach § 8 Abs. 2 GrEStG aus den sog. Grundbesitzwerten gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG i. V. m. § 157 Abs. 1 – 3 BewG. 1190 Nach § 13 Nr. 1 GrEStG sind sowohl Erwerber als auch Veräußerer Steuerschuldner der Grunderwerbsteuer und haften insoweit gesamtschuldnerisch (vgl. § 44 Abs. 1 AO). In der Praxis wird regelmäßig vereinbart, dass der Erwerber die Grunderwerbsteuer zu tragen hat. 1191 Werden Anteile an Personengesellschaften veräußert, so führt der Gesellschafterwechsel nach § 1 Abs. 2a GrEStG zu einer Grunderwerbsteuerbelastung, wenn hierdurch innerhalb von zehn Jahren unmittelbar oder mittelbar mindestens 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen. Nach § 1 Abs. 2a Sätze 2 – 5 GrEStG sind mittelbare Änderungen im Bestand von Personengesellschaften quotal durchzurechnen ist und bei Kapitalgesellschaften erfolgt eine volle Zurechnung erfolgt, wenn mindestens 90 % der Anteile auf neue Gesellschafter übergehen. 1192 Mit Wirkung zum 1.7.2021 wurden die Grenzen bei Anteilsvereinigungen von ursprünglich 95 % auf 90 % herabgesenkt, der maßgebliche Zeitraum von fünf auf zehn Jahre erhöht und zudem ein neuer Erwerbsergänzungstatbestand für Anteilsübertragung an Kapitalgesellschaften gemäß § 1 Abs. 2b GrEStG mit entsprechender Regelung wie bei den Personengesellschaften gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG eingeführt. Schließlich wurde auch noch eine Börsenklausel § 1 Abs. 2c GrEStG geschaffen, wonach die Anteilsübertra-
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
gungen an der Börse grundsätzlich nicht im Rahmen der Ermittlung des Ergänzungstatbestandes zu berücksichtigen sind. Vgl. Oberste Finanzbehörden der Länder, gleich lautender Erlasse zu den Übergangsregelungen aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes v. 29.6.2021, BStBl. I 2021, 1006; hierzu kritisch Broemel/Mörwald, DStR 2021, 2383 ff; Behrens/Klinger, DStR 2021, 2870 ff.
Steuerschuldner ist in diesem Fall gemäß § 13 Nr. 6 GrEStG die Personenge- 1193 sellschaft selbst. Nach § 1 Abs. 3 GrEStG führt der Erwerb von Grundbesitz haltenden Per- 1194 sonen- oder Kapitalgesellschaften zu einer Grunderwerbsteuerbelastung, wenn unmittelbar oder mittelbar 90 % der Anteile erworben werden. Steuerschuldner ist in diesem Fall gemäß § 13 Nr. 5 GrEStG der Erwerber und nicht die Kapitalgesellschaft selbst. Nach § 1 Abs. 3a GrEStG gilt als Rechtsvorgang i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG 1195 auch ein Rechtsvorgang, durch welchen ein Rechtsträger eine wirtschaftliche Beteiligung von 90 % an der grundbesitzenden Gesellschaft innehat. Die wirtschaftliche Beteiligung bestimmt sich nach der Beteiligung am Kapital oder Vermögen der Gesellschaft und kann unmittelbar, mittelbar oder teils unmittelbar und teils mittelbar bestehen. Im Ergebnis werden durch die erweiterten Erwerbsergänzungstatbestände ge- 1196 mäß § 1 Abs. 2a – 3a GrEStG Grunderwerbsteuervermeidungsstrukturen erschwert. Bei Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs, dem Rückerwerb oder der 1197 Herabsetzung der Gegenleistung innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren besteht nach § 16 GrEStG die Möglichkeit, dass die Steuer auf Antrag nicht festgesetzt, aufgehoben oder geändert wird. Die Anwendung des § 16 GrEStG setzt im Fall des Rückerwerbs stets die Identität der am vorausgegangenen Erwerbsvorgang Beteiligten voraus. Ist der Zwei-Jahres-Zeitraum überschritten, so sind weitergehende Voraussetzungen notwendig, wie beispielsweise ein Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung wegen Nichterfüllung bestimmter Vertragsbedingungen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 GrEStG). 11. Sonstige steuerliche Haftungsrisiken a) § 75 AO Im Rahmen eines Asset Deals haftet der Käufer eines Unternehmens oder 1198 eines gesondert geführten Teilbetriebs gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AO für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge. Der Käufer muss das Unternehmen bzw. den gesondert geführten Betriebsteil „im Ganzen“, mithin zumindest die wesentlichen Betriebsgrundlagen erwerben. Der Haftungszugriff auf den
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
Erwerber wird mit dem Übergang der wirtschaftlichen Ertragskraft des Unternehmens begründet. Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 1.
1199 Das übertragende Unternehmen muss als lebendes Unternehmen erworben werden. Nach der Rechtsprechung des BFH muss der Erwerber insoweit in der Lage sein, das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortzuführen. Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 27; BFH, Urt. v. 12.1.2011 – XI R 11/08, BStBl. II 2011, 477 ff; BFH, Urt. v. 7.11.2002 – VII R 11/01, BStBl. II 2003, 226 ff.; BFH, Urt. v. 11.5.1993 – V R 90/92, BStBl. II 1993, 700 (Ls.); BFH, Urt. v. 22.9.1992 – VII R 73-74/91, BFH/NV 1993, 215 ff.; BFH, Beschl. v. 7.3.1996 – VII B 242/95, BFH/NV 1996, 726 f.
1200 Eine kurzfristige Stilllegung schließt die Haftung grundsätzlich nicht aus, dagegen ist es hoch wahrscheinlich, dass die Haftung bei Stilllegung über zwei Jahre ausgeschlossen ist. BFH, Beschl. v. 12.1.1988 – VII R 44/87, BFH/NV 1988, 615; Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 28.
1201 Für den gesondert geführten Betrieb wird auf die Rechtsprechung zum Teilbetrieb gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zurückgegriffen. Danach ist das Gesamtbild der beim Veräußerer im Zeitpunkt des Kaufvertrags vorgefundenen Verhältnisse maßgeblich und es muss eine Untereinheit im Sinne eines selbstständigen Zweigbetriebs veräußert werden, die als eigenes Unternehmen bestehen könnte. Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 11 f.; BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 33/11, BFH/NV 2014, 693 ff.; BFH, Urt. v. 9.12.2009 – X R 4/07, BFH/NV 2010, 888 ff.; BFH, Urt. v. 5.6.2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003, 838 ff.; BFH, Urt. v. 13.2.1996 – VIII R 39/92, BStBl. II 1996, 409 ff.; BFH, Urt. v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486, 486; BFH, Urt. v. 13.2.1980 – I R 14/77, BStBl. II 1980, 498 f.; BFH, Urt. v. 27.3.1969 – IV R 113/68, BStBl. II 1969, 464.
1202 Für einen Teilbetrieb sprechen dabei eine getrennte Buchführung, eine selbstständige Geschäftsführung, das eigenständige Auftreten am Markt oder die räumliche Trennung von dem übrigen Unternehmen. Koenig-Kratzsch, AO, § 75 Rn. 10.
1203 Nach der ausdrücklichen Regelung des § 75 Abs. 2 AO ist die Haftung für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse und im Vollstreckungsverfahren ausgeschlossen. Auch bei einem Erwerb von Betriebsgegenständen nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse kommt eine Haftung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AO regelmäßig nicht in Betracht. Dies gilt insbesondere, wenn sich die wesentlichen verwertbaren Betriebsgegenstände im Eigentum Dritter befunden haben.
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XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen BFH, Urt. v. 8.7.1982 – V R 138/81, BStBl. II 1983, 282 f.
Betriebssteuern i. S. d. § 75 Abs. 1 AO sind dadurch gekennzeichnet, dass 1204 sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Mithin fallen hierunter insbesondere die Gewerbesteuer, Umsatzsteuer sowie sonstige Verbrauchssteuern, nicht dagegen die Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Die Haftung erstreckt sich auch nicht auf steuerliche Nebenleistungen des Veräußerers. Steuerabzugsbeträge i. S. v. § 75 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Lohnsteuer, die Kapitalertragsteuer, die einzubehaltenden Steuern bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50a Abs. 5 EStG) sowie die einzubehaltende Umsatzsteuer bestimmter Lieferungen (§ 13b UStG). Den vorgenannten Steuern stehen auch die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gemäß § 75 Abs. 1 Satz 3 AO gleich. Beim Erwerb von gesondert geführten Teilbetrieben beschränkt sich die Haftung auf Steuern und Abzugsbeträge, die diesem übernommenen Teilbetrieb zuzuordnen sind. Zeitlich beschränkt sich die Haftung des Käufers auf die Steuern und Ab- 1205 zugsbeträge, die seit Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind. Auf die Fälligkeit der Steuern kommt es hingegen nicht an. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Fristberechnung ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den übertragenen Vermögensgegenständen, sodass regelmäßig die tatsächliche Verfügungsmacht übergegangen sein muss. Dagegen kommt es auf die Verwirklichung des dinglichen Übereignungstatbestandes – insbesondere bei Grundstücken erst mit Grundbucheintrag – nicht maßgeblich an. Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 36.
Erfolgt beispielsweise der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums am 1206 31.12.2022, so haftet der Käufer für sämtliche Steuern und Steuerabzugsbeträge, die seit dem 1. Januar 2021 entstanden sind, auch wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig waren. Die Beträge, für die gehaftet wird, müssen bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebes durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. Unter Anmeldung des Betriebes ist die Anzeige des Erwerbers über die Eröffnung des Betriebes bei der Gemeinde nach § 138 Abs. 1 Satz 1 AO zu verstehen. Dies gilt auch für die Fortführung eines Unternehmens oder eines Teilbetriebes. Für den Beginn der Frist wird gemäß § 108 AO i. V. m. § 187 BGB der Tag der Anmeldung nicht mitgerechnet. Ist eine Steuerfestsetzung gegen den Verkäufer innerhalb der Jahresfrist (wegen Unauffindbarkeit) nicht möglich, so genügt für die Fristwahrung nicht, dass der Haftungsbescheid innerhalb der Frist gegen den Käufer ergeht. Vgl. Koenig-Kratzsch, AO, § 75 Rn. 53.
Gegenständlich ist die Haftung des Käufers gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 AO 1207 auf den Bestand des übernommenen Vermögens beschränkt. Es handelt sich insoweit um eine Einwendung, die der Käufer im Zwangsvollstreckungsverfahren erheben muss. 291
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle BFH, Urt. v. 18.3.1986 – VII R 146/81, BStBl. II 1986, 589 ff.
1208 Verweigert der Erwerber die Zahlung, so hat er aufgrund der gegenständlich beschränkten Haftung die übernommenen Vermögensgegenstände zum Zwecke der Zwangsvollstreckung herauszugeben. Reicht der Erlös aus der Zwangsvollstreckung nicht aus, so entfällt die Haftung des Erwerbers. Verfahrensrechtlich ist zu berücksichtigen, dass die Finanzbehörde den Erwerber als Haftungsschuldner gemäß § 219 Satz 1 AO nur in Anspruch nehmen darf, wenn die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners (des Verkäufers) ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. 1209 Im Ergebnis muss der Erwerber bei einem Asset Deal in der Krise – außerhalb eines Insolvenzverfahrens – im Rahmen einer Tax Due Diligence exakt prüfen, ob und welche Steuerverbindlichkeiten bestehen. Zu diesem Zweck kann auch eine Auskunft bei der zuständigen Finanzbehörde eingeholt werden, wodurch zumindest die Kenntnis über tatsächlich erklärte und gezahlte sowie erklärte und offene Steuerbeträge ermittelt werden kann. b) § 13c UStG 1210 Werden im Rahmen eines Asset Deals auch die Forderungen des Unternehmers an den Erwerber abgetreten, so haftet der Erwerber als Unternehmer gemäß § 13c UStG für nicht entrichtete Umsatzsteuerschulden des abtretenden Unternehmers. 1211 Der Erwerber haftet mithin als Zessionar gemäß § 13c UStG, wenn er die Forderung einzieht und die Umsatzsteuerschuld gegen den leistenden Unternehmer festgesetzt, fällig und nicht bzw. nur teilweise bezahlt wurde. c) § 73 AO bei umsatzsteuerlicher Organschaft 1212 Werden Tochtergesellschaften eines Konzerns in der Krise oder Insolvenz an Investoren veräußert, dann ist insbesondere die Haftung gemäß § 73 AO für Umsatzsteuern des Organträgers im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft zu beachten. Die Organgesellschaft haftet nach § 73 AO für solche Steuern und Steuervergütungen des Organträgers, für welche die Organschaft besteht. Vgl. BFH, Urt. v. 21.2.1986 – VI R 9/80, BStBl. II 1986, 768, 770.
1213 Vorliegend wird nur auf die Haftung im Rahmen des umsatzsteuerlichen Organschaftsverhältnisses eingegangen, da diese auch außerhalb des Vertragskonzerns praktische Relevanz hat. 1214 § 73 Satz 1 AO behandelt den steuerlichen Organkreis als einheitliches Ganzes. Hieraus resultiert eine Haftung der Organgesellschaft für alle Steuern innerhalb des Organkreises ohne Rücksicht darauf, welcher Teilnehmer an diesem Organkreis diese Steuern verursacht hat. Die Organgesellschaft haftet
292
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
also nicht nur für Steuern, die in ihrem eigenen Betrieb oder dem des Organträgers verursacht worden sind, sondern auch für die Steuern, die im Betrieb einer anderen Organgesellschaft verursacht worden sind. Klein-Rüsken, AO, § 73 Rn. 7; Koenig-Kratzsch, AO, § 73 Rn. 2.
Die Haftung kann insbesondere nicht schon im Wege systematischer und te- 1215 leologischer Auslegung der Norm auf solche Beträge beschränkt werden, die ohne steuerliche Anerkennung des Organschaftsverhältnisses von der Organgesellschaft zu entrichten wären, also wirtschaftlich von ihrer Tätigkeit verursacht sind. So Begründung der Bundesregierung zu § 73 AO, BT-Drucks. VI/1982, 120; BFH, Urt. v. 5.10.2004 – VII R 76/03, DStRE 2005, 51 ff.; Koenig-Kratzsch, AO, § 73 Rn. 13; Klein-Rüsken, AO, § 73 Rn. 7; für eine Beschränkung bereits auf Tatbestandsebene Lüdicke, in: FS Herzig, S. 259, 274; Rau/Dürrwächter-Stadie, UStG, § 18 Anhang 1 Rn. 63 ff.; Reiß/Kraeusel/Langer-Reiß, UStG, § 2 Rn. 104, § 13a Rn. 32; Tipke/Kruse-Loose, AO, § 73 Rn. 6.
Da § 73 AO insoweit das Steuerausfallrisiko teilweise auf die Organgesell- 1216 schaft überwälzt, kann gegen die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur eingeschränkt im Rahmen der Haftungsinanspruchnahme ausnahmsweise eine fehlerhafte Ermessensausübung geltend gemacht werden, wenn die angeforderten Steuern eindeutig aus dem anderen Organkreisbereich stammen und die Organgesellschaft keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Gestaltung gezogen hat. Vgl. Rn. 4; FG Nürnberg, Urt. v. 11.12.1990 – II 238/86, EFG 1991, 437 ff.; Klein-Rüsken, AO, § 73 Rn. 13.
Eine Haftung der Organgesellschaft für die in den anderen Bereichen verur- 1217 sachten Steuern ist insoweit nur gerechtfertigt, wenn der Organträger oder die anderen Organgesellschaften so erhebliche Vermögenswerte auf die der Haftung ausgesetzte Organgesellschaft übertragen haben, dass die Haftung nur für den Steueranteil in einem Missverhältnis zu den haftenden Vermögenswerten stehen würde. FG Nürnberg, Urt. v. 11.12.1990 – II 238/86, EFG 1991, 437 ff.
Die Haftung setzt eine umsatzsteuerliche Organschaft voraus, die gemäß § 2 1218 Abs. 2 Nr. 2 UStG vorliegt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Hierbei ist nicht erforderlich, dass alle Eingliederungsmerkmale gleichermaßen feststellbar sind, maßgeblich ist insoweit das Gesamtbild der Verhältnisse. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, liegt eine umsatzsteuerliche Organschaft von Gesetzes wegen vor. Es besteht insoweit kein Wahlrecht, die Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft eintreten zu lassen. Wirtschaftlicher Vorteil der umsatzsteuerlichen Organschaft ist, dass Leistungen innerhalb des Or-
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B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gankreises als nicht steuerbare Innenumsätze eine (vorübergehende) Umsatzsteuerbelastung vermeiden. BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07, BStBl. II 2009, 256.
1219 Eine Tochtergesellschaft ist finanziell in das Unternehmen der Muttergesellschaft eingegliedert, wenn sie ihren Willen in der Organgesellschaft durch eine Mehrheitsbeteiligung durchsetzen kann. Entscheidend ist mithin grundsätzlich das Vorliegen einer Stimmenmehrheit. Im Regelfall muss daher die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft mehr als 50 % der gesamten Stimmrechte betragen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist. BFH, Urt. v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017. 553.
1220 Eine unmittelbare Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft ist indes nicht zwingend erforderlich, da die finanzielle Eingliederung auch über mittelbaren Anteilsbesitz entstehen kann. 1221 Voraussetzung für die wirtschaftliche Eingliederung ist, eine Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen des Organträgers und der Organgesellschaft. Es muss insoweit ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit bzw. Kooperation zwischen den Unternehmensbereichen bestehen. Dies kann sich aber auch aus einer Verflechtung zwischen den Unternehmensbereichen verschiedener Organgesellschaften ergeben. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist dagegen nicht erforderlich. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – IX R 35/17, ZRI 2020, 489, Rn. 37 f.
1222 Die Anforderungen an eine wirtschaftliche Eingliederung sind insoweit bereits bei mehr als nur unerheblichen Geschäftsbeziehungen erfüllt. Treten die Konzernunternehmen nach außen für den Markt erkennbar einheitlich als Unternehmensgruppe auf, ist daher bereits regelmäßig eine solche gegenseitige Förderung und Ergänzung gegeben. 1223 Für die organisatorische Eingliederung kommt es darauf an, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft auch tatsächlich wahrnimmt. Es muss insoweit sichergestellt werden, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht möglich ist. BFH, Urt. v. 5.12.2007 – V R 26/06, BStBl. II 2008, 451, BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 19/13, BStBl. II 2017, 543, Rn. 25.
1224 Im Regelfall ergibt sich die organisatorische Eingliederung durch personelle Verflechtung der Geschäftsführungen des Organträgers und der Organgesellschaft. BFH Urt. v. 3.4.2008 – V R 76/05, BStBl. II 2008, 905, BFH, Urt. v. 10.5.2017 – V R 7/16, BStBl. II 2017, 1261, Rn. 16.
294
XI. Ausgewählte steuerliche Sachverhalte bei Unternehmenstransaktionen
Sie kann sich aber auch daraus ergeben, dass leitende Mitarbeiter des Organ- 1225 trägers als Geschäftsführer der Organgesellschaft tätig sind – Prokura reicht dagegen nicht aus. BFH, Urt. v. 28.10.2010 – V R 7/1, BStBl. II 2011, 391, Rn. 23, BFH, Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BStBl. II 2013, 218, Rn. 27 f.
Die schwächste Form der Eingliederung ist die institutionell abgesicherte 1226 unmittelbare Eingriffsmöglichkeit des Organträgers in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft. Diese kann durch einen Beherrschungsvertrag sichergestellt werden. Um die Haftung der Organgesellschaft für Umsatzsteuer der Organträgerin 1227 für die Zukunft zu vermeiden, sollte daher vor Veräußerung der Tochtergesellschaft in der Krise bzw. bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren des Organträgers die umsatzsteuerliche Organschaft beendet werden. Vor allem im Hinblick auf die drohende Entstehung von Vorsteuerberichtigungsansprüchen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG bei dem insolventen Organträger wegen Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts für eine in Anspruch genommene steuerpflichtige Lieferung oder Leistung. Nach Rechtsprechung des BFH endet die organisatorische Eingliederung der 1228 Organgesellschaft bereits bei Bestellung eines „schwachen“ Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, DStR 2013, 1883.
Dem Organträger fehlt auch insoweit die erforderliche tatsächliche Willens- 1229 durchsetzung gegenüber der Organgesellschaft, da der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen des Zustimmungsvorbehalts Vermögensverringerungen bei der schuldnerischen Organgesellschaft im Interesse der Gläubigergleichbehandlung verhindern muss. Der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter muss danach im Interesse der Massesicherung auch den Anspruch des Organträgers gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Zahlung der abzuführenden anteiligen Umsatzsteuer verweigern, sodass dieser die Zahlung nicht durchsetzen kann. Diese Konstellation widerspricht nach der Rechtsprechung des BFH der Annahme, dass der Organträger aufgrund einer Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen mit der Organgesellschaft auch Steuereinnehmer für diese sein kann. Im Rahmen der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung der Organge- 1230 sellschaft entfällt dagegen die finanzielle und organisatorische Eingliederung nach der Rechtsprechung des BFH nicht. BFH, Urt. v. 27.11.2019 – XI R 35/17, ZRI 2020, 489.
Maßgeblich sind insoweit die wesentlichen Unterschiede zwischen der vor- 1231 läufigen Regelinsolvenzverwaltung und der vorläufigen Eigenverwaltung mit der weiterhin bestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des schuldnerischen Geschäftsführers. Auch die insolvenzspezifischen Befugnisse werden dem Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren noch nicht übertragen. Der BFH verwies insbesondere darauf, dass auch die Einschränkun295
B. Ausgewählte Problemstellungen und Sonderfälle
gen des Einflusses der Gesellschafter auf die Geschäftsführung des § 276a InsO nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren noch nicht anwendbar sei. Allein die Nichtdurchsetzung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 426 Abs. 1 BGB auf die anteilig abzuführende Umsatzsteuer der Organgesellschaft und deren Ausfall als einfache Insolvenzforderung führe insoweit nicht zum Wegfall der organisatorischen Eingliederung bei der Organträgerin. 1232 Bei Insolvenzantragsverfahren im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung ab dem 1. Januar 2021 sind aufgrund des SanInsFoG gemäß § 276a Abs. 3 InsO nunmehr bereits mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung die Beschränkungen des Einflusses der Gesellschafter auf die Geschäftsführung des Schuldners anwendbar. Folgerichtig ist die maßgebliche Begründung des BFH betreffend die Fortgeltung der umsatzsteuerlichen Organschaft wegen Nichtanwendung von § 276a InsO nicht mehr tragend. Mangels Einflusses und Durchsetzungsmacht des Gesellschafters fehlt nunmehr bereits mit dem Beschluss über die vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die finanzielle Eingliederung als Voraussetzung für die umsatzsteuerliche Organschaf, die mithin entfällt. Vgl. Piroth, MwStR 2021, 146, 147 f; Wäger, DStR 2021, 825, 829.
1233 Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen, sodass nunmehr ab 1.1.2021 auch bereits mit der vorläufigen Eugenverwaltung die umsatzsteuerliche Organschaft entfällt. BMF-Schreiben v. 22.6.2021 – III C 2 – S 7105/20/10001:001, DStR 2021, 1542 = BStBl. I 2021, 856.
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C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz I. Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters Der Funktionswandel des Insolvenzrechts vom Vollstreckungsverfahren zum 1234 Wirtschaftsrecht wird in der Person des Insolvenzverwalters besonders augenfällig: Seine Aufgabe ist nicht mehr primär, das schuldnerische Vermögen zu liquidieren und zu verteilen, sondern dessen Betrieb nach Möglichkeiten zu sanieren und in seiner Gesamtheit zu erhalten. Der Insolvenzverwalter handelt dabei – abgesehen von der Mitwirkung der Gläubigerorgane – wirtschaftlich selbstständig und kann durch das Insolvenzgericht insoweit nicht beeinflusst werden. Beck/Depré-Holzer, Praxis der Insolvenz, § 3 Rn. 23.
Trotzdem ist die Sanierung kein vorrangiges Verfahrensziel.
1235
Uhlenbruck-Pape, InsO, § 1 Rn. 1.
Ähnlich verhält es sich im Falle der Anordnung der Eigenverwaltung und der 1236 Bestellung eines (vorläufigen) Sachwalters. Hier erfolgt die Wahrnehmung der Aufgaben größtenteils durch die Organe des Schuldners selbst. Der Sachwalter ist lediglich mit der Überwachung und Prüfung dieser Tätigkeiten beauftragt. Dennoch soll auch hier das verortete Ziel die Erhaltung des in die Krise geratenen Betriebes sein, um eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu realisieren. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rn. 13 f.
Unabhängig von der Intention der Sanierung dient das Insolvenzverfahren ge- 1237 mäß § 1 Satz 1 InsO in erster Linie jedoch dazu, die Gläubiger des Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. Anders als die Konkursordnung sieht die Insolvenzordnung keine Zerschlagungsautomatik vor, sondern strebt eine ökonomisch vernünftige Haftungsverwirklichung an. Der Erhalt des Unternehmens bzw. die Sanierung desselben ist daher nur gerechtfertigt, wenn sie die für die Gläubiger günstigere Alternative bietet. Die bestmögliche Gläubigerbefriedigung und die Sanierung stehen dabei zuweilen in einem Spannungsverhältnis, dessen Lösung Aufgabe des Insolvenzverwalters bzw. Eigenverwalters ist. MüKo-Kern, InsO, § 270b Rn. 11.
Die Insolvenz- und Eigenverwalter sind für das Schicksal der Insolvenzmasse 1238 und damit im Ergebnis für die Quotenerwartungen der Insolvenzgläubiger entscheidend verantwortlich. Er wird dabei durch die Selbstverwaltungsorgane der Gläubiger – Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss – und das Insolvenzgericht und im Falle der Eigenverwaltung zusätzlich durch den Sachwalter beaufsichtigt. Auf den Insolvenzverwalter geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 1239 über (§ 80 InsO). Entsprechendes gilt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO für den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter.
297
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1240 Nur noch wenige originäre Rechte verbleiben in der Regelinsolvenz bei den Organen der Schuldnerin. 1241 Im Falle der Eigenverwaltung stellt sich die Situation gegenteilig dar. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt bei den eigenverwaltenden Organen der Schuldnerin. Die Kompetenz dieser wird jedoch durch die Aufsicht und Prüfung des Sachwalters und der Zustimmung des Gläubigerausschusses zu gewissen Handlungen limitiert. Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1903 ff.
1242 Im Fall der Regelinsolvenz einer börsennotierten AG ist auf die Entscheidung des BVerwG vom 13.4.2005, BVerwG, Urt. v. 13.4.2005 – 6 C 4.04, ZIP 2005, 1145 ff.,
hinzuweisen. Danach obliegen die wertpapierhandelsrechtlichen Veröffentlichungspflichten, die im Interesse der Transparenz des Kapitalmarktes bestehen, dem trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Amt bleibenden Vorstand. 1243 Das Schicksal des Unternehmens der Schuldnerin und damit auch das Schicksal der Quotenaussichten für die Gläubiger werden in erster Linie natürlich durch die leistungs- und finanzwirtschaftlichen Umstände bei der Schuldnerin bestimmt. Je nachdem, welche Situation bei Stellung des Insolvenzantrages gegeben ist, ist es die Aufgabe des Insolvenzverwalters – gemeinsam mit dem Management der Schuldnerin – bzw. die Aufgabe des Managements der Schuldnerin selbst, aus der Situation „das Beste“ zu machen. Tatsächlich sind bei Betriebsfortführungen die ersten Wochen, wenn nicht sogar Tage, entscheidend für das Schicksal und die Zukunft des schuldnerischen Unternehmens und der dort vorhandenen Vermögenswerte und Arbeitsplätze. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein Regel- oder Eigenverwaltungsverfahren handelt. 1244 Der (vorläufige) Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwalter trifft die mit der Insolvenzmasse zusammenhängenden wirtschaftlichen Entscheidungen über Betriebsfortführung, Ausproduktion, Zerschlagung, übertragende Sanierung oder Eigensanierung. Er ist deshalb die Zentralfigur und der wirtschaftliche Mittelpunkt des Insolvenzverfahrens. Seine Entscheidungen sind für das Wohl der Insolvenzmasse inklusive des in dieser Masse vorhandenen Unternehmens von ausschlaggebender Bedeutung, wobei im Rahmen der Eigenverwaltung zu berücksichtigen ist, dass diese ausweislich des Wortlautes des § 270d InsO und der Antragsvoraussetzung der nicht offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Sanierung primär auf eine solche ausgerichtet ist. 1245 Eine Sanierung, gleich ob als übertragende Sanierung oder als Insolvenzplansanierung, hat nur Erfolgsaussichten, wenn es gelingt, den Betrieb ohne längere Unterbrechungen weiterzuführen. Die Sanierung setzt in aller Regel die Betriebsfortführung voraus. Diese findet im Insolvenz(-antrags-)verfahren in einem besonders schwierigen Umfeld statt. Liquidität ist meist nicht mehr vorhanden, das Vertrauensverhältnis zu Lieferanten und Kunden ist stark be-
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I. Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters
lastet, die Belegschaft ist verunsichert und hat Angst vor drohender Arbeitslosigkeit. Für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwalter ist es eine besondere Herausforderung, wenn er den Betrieb aufrechterhalten möchte bzw. muss. Vgl. Wellensiek, in: FS Uhlenbruck, S. 199 ff.
Infolgedessen kann die Auswahl des Insolvenzverwalters die „Schicksalsfrage“ 1246 des gesamten Insolvenzverfahrens sein. Im Rahmen der Eigenverwaltung gilt selbiges, wobei hier nur bedingt von einer Auswahl gesprochen werden kann, da die eigenverwaltenden Organe der Schuldnerin im Amt verbleiben. Allerdings ist die Auswahl des insolvenzrechtlichen Beraters, unabhängig davon, ob dieser „ins Organ geht“ und Geschäftsführer wird oder eine Generalhandlungsvollmacht gemäß § 54 HGB erhält, für den Erfolg des Verfahrens von schicksalhafter Bedeutung. Die Frage danach, wer Eigen- oder Insolvenzverwalter wird, ist deshalb eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft des Unternehmens und die Befriedigung der Forderung jedes einzelnen Gläubigers. Die Eigenverwaltung kann auf sichere Füße gestellt werden, wenn bereits vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung ein Sanierungsgeschäftsführer oder Generalhandlungsbevollmächtigter eingesetzt wurde, der sich mit der Situation der Schuldnerin vorab vertraut machte und daher im Zeitpunkt des Insolvenzantrages sofort reagieren kann. Über den Erfolg des Insolvenzverfahrens wird allerdings in den meisten Fällen 1247 bereits viel früher entschieden, weit vor Insolvenzantragstellung und vor der Entscheidung über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters, und zwar durch Unterlassung eines rechtzeitigen Insolvenzantrags, der professionell vorbereitet ist. Zur professionellen Vorbereitung des Insolvenzantrages gehört die Antizipation der Bedürfnisse des Verfahrens: x
Die frei verfügbare Liquidität im schuldnerischen Unternehmen ist deutlich größer als null.
x
Unternehmen und Berater berücksichtigen in Sanierungskonzepten das Sanierungsszenario „Insolvenz“ inklusive einer Liquiditätsplanung für das Insolvenzverfahren.
x
Aufbereitung diverser Unterlagen, wie: –
Aufstellung des Auftragsbestandes inklusive der Kalkulationen und der Kundenstruktur,
–
Durchführung einer Inventur im schuldnerischen Unternehmen am Tag der Insolvenzantragstellung inklusive Aufbereitung der Drittrechte,
–
Vorbereitung der Öffentlichkeitsarbeit,
–
Aufbereitung im- bzw. exportfähiger Dateien mit Kunden-, Lieferantenund Versorgerdaten.
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C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1248 Die beiden schicksals- und verfahrensentscheidenden Faktoren sind daher die rechtzeitige, d. h. frühzeitige Insolvenzantragstellung samt professioneller Vorbereitung des Insolvenzantrags i. S. d. § 270a InsO wie auch die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. des Eigenverwalters. Nur ein gut vorbereitetes Regelinsolvenz- oder Eigenverwaltungsverfahren garantiert gute Sanierungschancen. 1249 Die Betriebsfortführung im Insolvenz(-antrags-)verfahren ist allerdings kein Selbstzweck. Der Betrieb ist einzustellen, wenn die Fortführung nur zu weiteren Verlusten und damit zu einer Verminderung der Aktiva führt (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Im Rahmen der Eigenverwaltung hat der Sachwalter dies zu überwachen. Vor allem im Insolvenzantragsverfahren neigen vorläufige Insolvenzverwalter vereinzelt dazu, den Betrieb ohne betriebswirtschaftliche Prüfung und Steuerungsinstrumente, insbesondere ohne Liquiditätsplanung nebst Soll-Ist-Abgleich fortzuführen. Die irrtümliche Annahme, die Liquiditätsvorteile der Insolvenzgeldvorfinanzierung und bei schwacher vorläufiger Verwaltung der Nichtbezahlung der Umsatzsteuerzahllast würden schon zu einem positiven Cashflow führen, verleitet leider immer noch zu häufig dazu, dass vorläufige Insolvenzverwalter Unternehmen ohne ausreichende betriebswirtschaftliche Analyse fortführen. Die Entscheidungen zur Haftung des Insolvenzverwalters belegen dieses. Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NZI 2004, 435 ff.; OLG Celle, Urt. v. 13.7.2004 – 16 U 11/04, NZI 2004, 630 (Ls.); OLG Schleswig, Urt. v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92 f.; BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, NZI 2013, 284 ff.
1250 Soweit die Insolvenzverwalter den Anforderungen unter Ziff. 2 der „Hamburger Leitlinien zum Insolvenzeröffnungsverfahren“ nachkommen und aus der von ihnen erstellten Liquiditätsplanung die richtigen Schlüsse ziehen, dürfte eine Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters für Zahlungszusagen jedenfalls nahezu ausgeschlossen sein. Hamburger Leitlinien zum Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2004, 133 f.; dazu auch Rauscher, ZInsO 2009, 1847 f.
1251 Dieses setzt jedoch voraus, dass der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen der Regelinsolvenz und der Sachwalter im Rahmen der Eigenverwaltung nicht nur den Mut hat, den Betrieb fortzuführen, sondern – je nach Einzelfall – auch den Mut hat, den Betrieb stillzulegen, auch wenn sich damit etwaige Chancen, das Unternehmen als Ganzes zu veräußern, verringern. 1252 Spätestens nachdem die Frage der weiteren Betriebsfortführung geklärt ist und damit zunächst im schuldnerischen Unternehmen zumindest ein wenig „Ruhe“ eingekehrt ist, muss der (vorläufige) Insolvenzverwalter mit der Suche nach einer mittel- bis langfristigen Lösung beginnen, er muss eine „ExitStrategie“ entwickeln. Da in der überwiegenden Anzahl der Unternehmensinsolvenzverfahren mit Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren
300
I. Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters
eine langfristige Betriebsfortführung nach Verfahrenseröffnung wegen der zumeist dramatischen wirtschaftlichen Situation nicht in Betracht kommt, ist die Suche nach Betriebsübernehmern dringend notwendig. Häufig melden sich nach Insolvenzantragstellung Konkurrenten des schuldnerischen Unternehmens mit der Interessensbekundung, den gesamten oder zumindest einen Teilbetrieb des schuldnerischen Unternehmens erwerben zu wollen. Das bloße Warten auf Interessenten ist regelmäßig jedoch nicht ausreichend. 1253 Der Insolvenzverwalter und der Eigenverwalter müssen agieren und nicht reagieren. Er muss selbst einen Vermarktungsprozess für das schuldnerische Unternehmen in die Wege leiten. Mittel hierfür kann zum einen die Schaltung von Anzeigen in der Tages- und Fachpresse, die Identifikation von potenziellen Betriebsübernehmern gemeinsam mit der Geschäftsführung des insolventen Unternehmens, aber auch – branchenabhängig – bereits in kleineren und mittleren Fällen die Einschaltung von Unternehmensberatungsgesellschaften mit Erfahrungen im M&A sein. Die Beauftragung von M&ABeratern hat sich in Insolvenzsituationen etabliert. Vgl. Fröhlich/Köchling, ZInsO 2005, 1121 ff.; Schröder/Hiort, Corporate Finance Law 2010, 109, 112; Frind, ZInsO 2015, 2309 ff.
Sowohl Insolvenzverwalter als auch Eigenverwalter dürfen einen M&A- 1254 Berater – auch auf Kosten der Insolvenzmasse – beauftragen. Dies ergibt sich daraus, dass ein solch komplexes Bieterverfahren eine Aufgabe darstellt, deren alleinige Bewältigung nicht erwartet werden kann und daher keine Regelaufgabe darstellt. Vgl. Bork, ZIP 2009, 1747, 1750 mit Verweis auf BGH, Beschl. v. 11.10.2007 – IX ZB 234/06, ZIP 2007, 2323 ff.
Über die Frage der Zulässigkeit der Einschaltung eines externen Experten 1255 hinaus stellt sich die Frage, ob die Einschaltung bei komplexen Verfahren nicht sogar zwingend erfolgen muss, da sie mittlerweile – zumindest beim lebenden Unternehmen – zum Stand der Technik gehört. Gerade die Gründe, die die Einschaltung eines solchen Experten rechtfertigen, gebieten auf der anderen Seite deren Einschaltung i. S. d. Insolvenzmasse. Denn nur der professionelle M&A-Berater verfügt über das notwendige Fachwissen, die Marktkenntnis und die Kontakte, um einen solch komplexen Vorgang wie das Bieterverfahren innerhalb der zur Verfügung stehenden, extrem kurzen Zeitspanne erfolgreich durchzuführen. Dabei wird allerdings auf die Handvoll solcher M&A-Berater zurückzugreifen sein, die nicht erst im Zuge der jetzigen Krise auf den rollenden Zug aufgesprungen sind, sondern seit Jahren als auf den Verkauf aus der Insolvenz und den damit verbundenen Besonderheiten vertrauten Spezialisten den Insolvenzverwaltern zur Seite stehen. Nur dann werden der Insolvenzverwalter und insbesondere der Eigenverwalter, der auf solch kompetente Hilfe angewiesen sein dürfte, im Zweifel die Weichen dafür gestellt haben, um einen optimalen Verwertungserlös für die Insolvenzmasse zu erzielen. 301
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1256 Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, die Verwertung der Masse und die verfahrenswichtigen Gespräche, insbesondere bei Betriebsfortführungen, höchstpersönlich zu führen, vgl. HambKo-Frind, InsO, § 56 Rn. 61; MüKo-Graeber, InsO, § 56 Rn. 77; K. Schmidt-Ries, InsO, § 56 Rn. 29,
wozu auch die Gespräche mit Interessenten gehören. Übliche Herangehensweise der M&A-Berater ist es, dass die ersten Gespräche zwischen Interessenten und M&A-Beratern ohne Beteiligung des Insolvenzverwalters geführt werden. Dieser wird auch in größeren Unternehmensinsolvenzen mit der großen Vielzahl derjenigen, die zunächst ein Interesse haben oder vorgeben zu haben, nicht jeweils persönliche Gespräche führen können. Es muss ein „Vorsortieren“ durch den M&A-Berater stattfinden. Dies gilt für die Eigenverwaltung gleichermaßen. Die sich konkretisierenden Gespräche, insbesondere die Kaufvertragsverhandlungen muss der Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwalter unter Aufsicht des Sachwalters selbst führen. Hierbei kann er sich rechtlich und wirtschaftlich beraten lassen. 1257 Die Insolvenz- oder Eigenverwaltung wird in der ersten Phase des Bieterverfahrens/M&A-Prozesses gemeinsam mit dem M&A-Berater ein Informationsmemorandum (sog. „Teaser“) erstellen, in dem die wesentlichen Eckdaten des Schuldnerunternehmens dargestellt werden. Der M&A-Berater wird in Abstimmung mit der Insolvenz- oder Eigenverwaltung potenziell interessierte strategische Investoren oder Finanzinvestoren ansprechen. Interessierte Investoren wird die Insolvenz- oder Eigenverwaltung auffordern, eine Absichtsund Verschwiegenheitserklärung abzugeben, um ihnen daraufhin weitere – auch vertrauliche – Informationen zum Schuldnerunternehmen zur Verfügung zu stellen. 1258 Nach einer etwaigen Betriebsbesichtigung werden die Kaufinteressenten auf Grundlage dieser Informationen ein indikatives, also vorläufiges und unverbindliches Angebot abgeben. Der Insolvenzverwalter sollte in diesem Zusammenhang in der Regel darauf bestehen, dass den indikativen Kaufpreisgeboten bereits ein Finanzierungsnachweis beigefügt wird. Auf Grundlage der indikativen Gebote entscheidet die Insolvenzverwaltung, welche Kaufinteressenten in die nächste, intensivere Verhandlungsrunde einbezogen werden. Im Rahmen der Eigenverwaltung ist die Dokumentation besonders wichtig, da diese letztlich die Grundlage der Prüfung des (vorläufigen) Sachwalters und des (vorläufigen) Gläubigerausschusses sein wird. Diesen Kaufinteressenten wird Zugang zum Datenraum zwecks Durchführung der Due Diligence gewährt. Gespräche mit Mitgliedern des Managements des schuldnerischen Unternehmens werden üblicherweise zu diesem Zeitpunkt geführt. Nach der Due Diligence geben die Kaufinteressenten bindende Angebote ab. Der Insolvenzverwalter wird mit den präferierten Kaufinteressenten regelmäßig auf Grundlage des von ihm vorgegebenen Kaufvertragsentwurfes in die
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I. Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters
Vertragsverhandlung einsteigen, um schlussendlich den Kaufvertrag mit dem Kaufinteressenten mit dem besten Angebot zu schließen. Fokussiert auf das Thema Unternehmensverkauf in bzw. aus der Insolvenz 1259 ergibt sich demnach folgendes Aufgabenspektrum des Insolvenzverwalters: a) Höchste Priorität des Handelns hat die bestmögliche Gläubigerbefriedigung. b) Bezogen auf einen Verkauf des Unternehmens eines insolventen Schuldners sind erfahrungsgemäß höhere Werte realisierbar, wenn sich die Insolvenzverwaltung in der Lage sieht, ein lebendes Unternehmen inklusive des eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetriebs zu veräußern. Um dieses Ziel erreichen zu können, muss der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwalter unverzüglich die Betriebsfortführung in die Wege leiten, soweit diese betriebswirtschaftlich sinnvoll oder wenigstens vertretbar ist. Die Betriebsfortführung ist kein Selbstzweck. Sie kann nur dann durchgeführt werden, wenn Werte durch die Betriebsfortführung erhalten oder geschaffen werden und ein positiver Cashflow erwirtschaftet wird. c) Sobald im schuldnerischen Unternehmen „Ruhe“ eingekehrt ist, muss die wirtschaftliche Entscheidung der Zukunft des Unternehmens der Schuldnerin vorbereitet und geprüft werden, ob eine Eigensanierung, eine übertragende Sanierung oder aber nur eine Zerschlagung nach einer etwaigen Ausproduktion in Betracht kommt. Die weiteren Aufgaben des Insolvenz-/Sachverwalters, die ausnahmslos das Ziel 1260 der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung mit sich bringen, wie z. B. die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen, die Teil einer vollständigen und bestmöglichen Masseverwertung ist, werden an dieser Stelle nicht näher betrachtet. Im Zuge der Internationalisierung der Finanzierungsstrukturen ist vermehrt mit 1261 Insolvenzen von Unternehmen zu rechnen, die durch „Private-Equity-Fonds“ erworben und deren Erwerb durch ein in der Regel international besetztes Bankenkonsortium fremdfinanziert wurde. Auf den Insolvenzverwalter kommt in diesen Fällen die Herausforderung zu, mit dem Bankenkonsortium über die Freigabekonditionen und Verwertung der Vermögensgegenstände zu verhandeln, die als Sicherheit gewährt wurden. In diesem Zusammenhang wird sich ein Insolvenzverwalter auch dem Ansinnen ausgesetzt sehen, die Zustimmung der gesicherten Gläubiger, also insbesondere der Banken, zum Abschluss des Kaufvertrags nur gegen Verzicht auf Anfechtung der gestellten Sicherheiten zu erhalten. Der Insolvenzverwalter wird in der Regel zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrags mangels eingehender Prüfung noch nicht wissen, ob bestehende Sicherheiten einzelner Gläubiger anfechtbar sind und wie es um die Beweislage und damit die Prozessaussichten bestellt ist. Ein Verzicht auf eine Anfechtung zu einem solchen Zeitpunkt wäre damit insolvenzzweckwidrig. Vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 ff.; MüKo-Hefermehl, InsO, § 55 Rn. 26 f.
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C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
II. Interessenlage des Insolvenzverwalters 1262 Interessenlage aller Beteiligten, egal ob Insolvenzverwalter, Sachwalter oder Eigenverwalter, ist die best- und schnellstmögliche Abwicklung des Insolvenzverfahrens. Diese ist dann gegeben, wenn das Unternehmen möglichst schnell und bestmöglich in eine sichere Zukunft geführt wird. Die „Exitstrategie“ aus dem Insolvenzverfahren muss jedenfalls bei Einleitung der Eigenverwaltung bereits feststehen. 1263 Bei Unternehmensfortführungen ist dieses dann der Fall, wenn – bei Außerachtlassung des Insolvenzplanverfahrens – das Unternehmen zum höchsten Preis veräußert wird und der Unternehmenserwerber möglichst viele Arbeitnehmer übernimmt. Bezogen auf den Arbeitsplatzerhalt gehen soziale Verantwortung und der Versuch, das Entstehen oktroyierter Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die im Ergebnis die zu verteilende Masse schmälern, Hand in Hand. Je mehr Arbeitnehmer der Insolvenzverwalter an den Unternehmenserwerber „abgeben“ kann, desto weniger Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO entstehen im Regelfall. Der Eigenverwalter bedarf hier entweder erheblicher Erfahrung, mithin einer Sanierungsgeschäftsführereigenschaft oder erheblicher Unterstützung durch den M&A-Berater bzw. Sachwalter. Andernfalls drohen in diesem Verfahrensabschnitt Haftungsrisiken und das mindestens partielle Scheitern der Sanierung. 1264 Wenn der Insolvenzverwalter dieses Ziel im Regelinsolvenzverfahren erreicht, sind auch seine eigenen Interessen bestmöglich gewahrt. Eine hohe Berechnungsgrundlage i. S. d. § 1 InsVV liegt genauso im Interesse des Insolvenzverwalters als eigener Unternehmer wie auch der regelmäßig mit weniger Folgearbeit im Vergleich zu einer Unternehmenszerschlagung verbundene Verkauf des Unternehmens im Ganzen. Die Vergütung des Sachwalters bemisst sich gemäß § 274 Abs. 1 InsO entsprechend den Vorschriften der §§ 63 – 65 InsO. Der Sachwalter erhält i. d. R. gemäß § 12 Abs. 1 InsVV „nur“ 60 % der für den Insolvenzverwalter bestimmten Vergütung, der vorläufige Sachwalter erhält gemäß § 12a InsVV regelmäßig 25 % der Vergütung des Sachwalters. Dafür ist sein Tätigkeitsumfang gegenüber der Regelverwaltung erheblich reduziert. 1265 Der Erfolg von Unternehmensfortführung und Unternehmensveräußerung inklusive Arbeitsplatzerhalt kann sich schließlich positiv auf die zukünftige Auftragsvergabe durch die Insolvenzgerichte auswirken. Insolvenzrichterinnen und Insolvenzrichter nehmen den Erfolg einer Betriebsfortführung und einer Betriebsveräußerung wohl eher zur Kenntnis als die durch ggf. jahrelange Anfechtungs- und Werklohnprozesse vom Insolvenzverwalter erwirtschaftete Insolvenzmasse bzw. Quote für die betroffenen Insolvenzgläubiger. Dieses mag zum einen daran liegen, dass Insolvenzrichter und Insolvenzrichterinnen regelmäßig (nur) für das Insolvenzantragsverfahren bis einschließlich zum Eröffnungsbeschluss zuständig sind. Zum anderen sind Meldungen über Betriebsfortführungen und Betriebsveräußerungen aus der Insolvenz
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II. Interessenlage des Insolvenzverwalters
öffentlichkeitswirksamer als Mitteilungen über die Quotenerwartungen für Insolvenzgläubiger. Weiteres wesentliches Interesse des Insolvenzverwalters und des Sachwalters 1266 ist die Minimierung persönlicher Risiken, insbesondere in Anbetracht der teils ausufernden, oben bereits erwähnten obergerichtlichen Rechtsprechung zur Haftung des Insolvenzverwalters gemäß der §§ 60, 61 InsO. Aus diesem Grunde wird insbesondere der Insolvenzverwalter nach wie vor regelmäßig versuchen, die Betriebsveräußerung zeitnah nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchzuführen. Eine Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren ist insbesondere deswegen mit höheren Risiken verbunden, als das schuldnerische Unternehmen nach der Verfahrenseröffnung auf „Vollkostenbasis“ fortgeführt werden muss. Positive Liquiditätseffekte, wie die Ausnutzung des Insolvenzgeldes, die ggf. nicht erfolgte Zahlung der Umsatzsteuerzahllast oder aber auch die teils übliche unentgeltliche Nutzung von Gegenständen eines Miet-, Pacht- oder Leasingvertrages im Insolvenzantragsverfahren entfallen. Gleiche Herausforderungen stellen sich in der Eigenverwaltung, sodass auch hier Eile geboten ist. Auch unabhängig davon sind Unternehmensfortführungen nach Eröffnung 1267 des Insolvenzverfahrens eher nur in wenigen Fällen möglich. Die Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren ist häufig wirtschaftlich nur vertretbar, da die besonderen, oben dargestellten Liquiditätseffekte einen positiven Cashflow bewirken. Das schuldnerische Unternehmen ist nicht ohne Grund in Insolvenz und daher unter Vollkosten kaum fortführungswürdig. Im Übrigen drängen Vertragspartner häufig auf die Abgabe einer Erklärung nach § 103 InsO. Zu einer langfristigen Bindung kann und wird der jeweilige Insolvenzverwalter kaum bereit sein; aus diesem Grunde ist man auf die Zustimmung der Vertragspartner zu übergangsweisen Lösungen angewiesen. Schlussendlich ist das Phänomen der „Leerproduktion“ nicht selten festzustellen. Der bei Insolvenzantragstellung vorhandene Auftragsbestand dezimiert sich wegen und während der Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren. Da neue Aufträge insolventen Unternehmen aus Gewährleistungsgründen jedoch zumindest in der Vielzahl der Insolvenzverfahren eher selten erteilt werden, ist der Auftragsbestand im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens häufig überschaubar. Die Gründung einer „Vertriebsgesellschaft“ durch die Insolvenzmasse, die neue Aufträge akquiriert, mag in Einzelfällen eine Lösung sein, ein Patentrezept ist sie jedoch nicht. Unter Berücksichtigung dieser praktischen Erfahrungen, die zumindest für 1268 das Gros der kleineren und mittleren Insolvenzverfahren gilt, bei denen eine Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren noch in Betracht kommt, scheint die nach wie vor grundsätzlich bestehende Verpflichtung des Insolvenzverwalters, das Unternehmen im Regelinsolvenzverfahren bis zum Berichtstermin fortzuführen, ein wenig praxisfern. Praxisnähe hat die InsO allerdings durch die seit 1.7.2007 geltende Ergänzung des § 158 InsO erfah-
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C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
ren, nach dessen Inhalt nun auch ausdrücklich die Option des Unternehmensverkaufes nach Eröffnung und vor dem Berichtstermin gegeben ist. 1269 Die Verpflichtung zur Betriebsfortführung ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO, der die Fortführungsverpflichtung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters beinhaltet, die ohne eine weitere Fortführungspflicht des Insolvenzverwalters nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Berichtstermin sinnlos wäre. Eine Betriebsstilllegung wäre regelmäßig irreversibel, sodass in diesem Fall der Gläubigerversammlung die ihr nach § 157 InsO eingeräumte Wahlmöglichkeit über die Betriebsfortführung oder -stilllegung genommen werden würde. Wellensiek, in: FS Uhlenbruck, S. 210.
1270 Die Regelungen der §§ 156 ff. InsO sind insbesondere im Hinblick auf die Veräußerung des Unternehmens unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Praxis angepasst worden. 1271 Die Betriebsveräußerung erfolgt in der wohl überwiegenden Mehrzahl der Fälle unmittelbar nach Verfahrenseröffnung. Aus diesem Grunde kommt es in der Praxis häufig vor, dass ein Unternehmenskaufvertrag bereits im Eröffnungsverfahren zwischen dem Erwerbsinteressenten und dem vorläufigen Insolvenzverwalter/Eigenverwalter durch Unterstützung eines M&A-Beraters ausgehandelt wird, der dann (unmittelbar) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses unterzeichnet wird. Menke, BB 2003, 1133, 1138; HambKo-Decker, InsO, § 158 Rn. 8 f.
1272 Unabhängig von den wirtschaftlichen „Nöten“, die die Verwaltung häufig dazu zwingen, das Unternehmen unmittelbar nach Eröffnung zu veräußern, wird ein ernsthafter Kaufinteressent in vielen Fällen nicht abwarten können und nicht weitere wertvolle Wochen, innerhalb derer das insolvente Unternehmen nicht mehr am Markt tätig ist und möglicherweise die wichtigsten Arbeitnehmer den Betrieb in Anbetracht der ungewissen Zukunft bereits verlassen haben, verstreichen lassen. Vallender, GmbHR 2004, 543 ff. und GmbHR 2004, 642, 644.
1273 Vor diesem Hintergrund ist der Verkauf unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oftmals die einzige Möglichkeit, die höchsten Werte zu realisieren und die meisten Arbeitsplätze zu erhalten. 1274 Ergänzend wird auf die obigen Ausführungen den richtigen Zeitpunkt für den Unternehmenserwerb betreffend und die Ergänzung des § 158 InsO verwiesen, der nun den Gepflogenheiten der Praxis Rechnung trägt. Sternal, NJW 2007, 1909, 1913.
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III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz
Etwaige Kaufinteressenten dürfen und müssen demnach davon ausgehen, 1275 dass der Insolvenzverwalter regelmäßig nur wenig Zeit hat, um das schuldnerische Unternehmen als lebende Einheit zu veräußern. Er ist daher an einer erfolgreichen und schnellen Abwicklung des (teilweisen) Unternehmensverkaufes interessiert. Sind mehrere Interessenten vorhanden, so kann sich der Erwerbsinteressent, der die kurzfristigste Übernahme nach Verfahrenseröffnung anbietet, gegenüber zögerlicheren Erwerbsinteressenten einen nicht unerheblichen Vorteil verschaffen. Der an einer schnellen und erfolgreichen Lösung interessierte Verwalter wird 1276 im Übrigen flexibel in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch vor Ablauf des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes empfehlen, die das Insolvenzgericht sodann regelmäßig auch beschließen wird. Wenn es demnach sachliche Gründe gibt, den Insolvenzgeldzeitraum nicht auszuschöpfen und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens „vorzuziehen“, werden Eigenverwalter, vorläufiger Sachwalter und insbesondere der vorläufige Insolvenzverwalter sowie das Insolvenzgericht dem nicht im Wege stehen. III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz: Grundkonstellationen aus Sicht des Insolvenzverwalters, Eigenverwalters und Sachwalters Der Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz setzt bereits begrifflich 1277 voraus, dass der Unternehmenskaufvertrag und die Übertragung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen. 1. Übertragende Sanierung Die am häufigsten durchgeführte Gestaltung des Unternehmensverkaufes 1278 aus der Insolvenz ist die übertragende Sanierung unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als sog. Asset Deal. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein Regel- oder Eigenverwaltungsverfahren handelt. Sie ist das wesentliche Instrument der Sanierung von Unternehmen und Unternehmensteilen im Insolvenzverfahren, ist letztlich allerdings nichts anderes als ein Liquidationsakt in der „Mogelpackung“ einer Sanierung. Uhlenbruck, BB-Special 4/2004, 2, 7.
Die übertragende Sanierung, oder besser gesagt „sanierende Übertragung“, 1279 ist die „klassische“ und in der Regel richtige Variante für den Unternehmenserwerb aus der Insolvenz, da x
keine Übernahme der Verbindlichkeiten erfolgt,
x
keine Haftungsrisiken für Verbindlichkeiten des insolventen Unternehmens bestehen und
x
auf der Aktivseite des insolventen Unternehmens ein „Cherry Picking“ möglich ist.
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C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1280 Nicht selten sehen potenzielle Unternehmenserwerber nach Durchführung einer umfassenden Due Diligence davon ab, ein Angebot für einen Unternehmenskauf vor bzw. außerhalb einer Insolvenz abzugeben, da sie im Rahmen der Unternehmensprüfung die tatsächliche Krisensituation des Targets/Kaufgegenstandes festgestellt haben und sie – ihrem anwaltlichen Rat oder ihrer Erfahrung folgend – wegen der bestehenden Anfechtungs- und Haftungsrisiken einen insolvenzfesten Unternehmenskauf aus der Insolvenz bevorzugen. 1281 Dieses Vorgehen hat nichts mit „Leichenfledderei“ oder mit „Schnäppchenjagd“ zu tun, sondern ist häufig, wenn der Unternehmensgegenstand und insbesondere die Kunden- und Lieferantenbeziehungen des Targets eine Insolvenz „(v)ertragen“ können, die kaufmännisch und juristisch sinnvollste Lösung. 1282 Größte Schwierigkeit bei der übertragenden Sanierung ist die Gestaltung der Übernahme der gewünschten Mitarbeiter und der Verbleib der nichtgewünschten Mitarbeiter im insolventen Unternehmen. Im Rahmen der Eigenverwaltung bleibt dieses nicht immer leicht zu händelnde Thema dem Eigenverwalter vorbehalten, der hier ohne die nötige Erfahrung und die Unterstützung des vorläufigen Sachwalters gerade bei Unternehmen mit einer Vielzahl an Arbeitnehmern schnell Fehler machen kann, die die übertragende Sanierung Zeit und damit den „Kopf kosten“ können. 1283 Darüber hinaus stellt sich die Übernahme bzw. Überleitung bestimmter, vom Erwerber gewünschter Dauerschuldverhältnisse als problematisch dar, soweit sie nicht von § 613a BGB, § 571 BGB und §§ 69, 151 Abs. 2 VVG erfasst sind. Die Vertragspartner können nicht dazu „gezwungen“ werden, einer Überleitung des sie betreffenden Vertrages auf den Unternehmenserwerber zuzustimmen. Auf eine Freihalteerklärung des Unternehmenserwerbers für den Fall, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Dauerschuldverhältnisses wählt bzw. keine Kündigung ausspricht, wird sich der Insolvenzverwalter wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken und auch wegen einer etwaigen möglichen Verfahrensverzögerung nur selten einlassen. Praktisch sind viele Vertragspartner im Grunde gar nicht abgeneigt, den Erwerber als neuen Partner zu akzeptieren, allerdings braucht diese Akzeptanz in der Regel Zeit – Zeit, die das Unternehmen meist nicht hat. 1284 Soweit daher bestimmte vertragliche Beziehungen oder öffentlich-rechtliche Genehmigungen für das Unternehmen von derart grundlegender Bedeutung sind, ist die übertragende Sanierung ein weniger taugliches Instrument zur Sanierung. Dieses betrifft insbesondere die Fälle, in denen die Vertragspartner nicht oder nur zu wesentlich schlechteren Konditionen einer Vertragsüberleitung zustimmen oder aber ein ggf. zeitaufwendiges und kostenintensives behördliches Genehmigungsverfahren für den Unternehmenserwerber ansteht. Jedenfalls in diesen Konstellationen bietet sich ein Unternehmenserwerb nach oder bei gleichzeitiger Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens an (siehe dazu Rn. 1292 ff.).
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III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz
Auf Käuferseite hat die übertragende Sanierung im Übrigen den Vorteil, dass 1285 zumindest im Hinblick auf Verbindlichkeiten, Gewährleistungsrisiken und steuerrechtliche Risiken keine umfassende Due Diligence notwendig ist. Der Schwerpunkt liegt für die Juristen im Arbeitsrecht und ggf. im Umweltrecht. Tendenziell können daher schnelle Verhandlungsergebnisse erzielt werden. Üblicherweise übernimmt sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Eigenverwalter kaum bis gar keine Garantien und es wird ein umfassender Sachund Rechtsmängelgewährleistungsausschluss seitens des Verkäufers verlangt. Gleiches gilt, wenn es sich bei den zu veräußernden Assets um Gesellschafts- 1286 anteile handelt. Hier sind im Wesentlichen zwei Konstellationen vorstellbar: Zum einen sind Holding-Insolvenzen durch zunehmende Insolvenzen von 1287 Beteiligungsgesellschaften und durch die Groß- oder Konzerninsolvenzen der vergangenen Jahre häufiger geworden. In der Regel veräußert der Insolvenz- oder Eigenverwalter die nicht insolventen Beteiligungen, da sie die Assets der Holding darstellen. Entsprechende Fälle verlangen insbesondere vom vorläufigen Insolvenzverwalter schnelles Agieren, um – soweit wie möglich – weitere Insolvenzen von Konzerntöchtern zu vermeiden und damit die „Assets“ der Holding zu erhalten. So kann z. B. die kurzfristige Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft auf Betreiben des vorläufigen Insolvenzverwalters die drohende Insolvenz der Tochtergesellschaft verhindern (siehe Rn. 1212 ff.), allerdings ist der vorläufige Insolvenzverwalter auch darauf angewiesen, dass der anwaltliche Berater des schuldnerischen Unternehmens den Zeitpunkt für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens richtig „wählt“. Auch beim Verkauf von Tochtergesellschaften wird man im Zweifel keine wie auch immer gearteten Garantien vom Insolvenzverwalter erhalten. Vielmehr werden auch hier umfassende Haftungsausschlüsse vom Insolvenzverwalter gefordert werden. Zum anderen kommt eine Veräußerung von Gesellschaftsanteilen in Betracht, 1288 wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Unternehmen des Schuldners in eine Auffanggesellschaft übertragen hat, deren Geschäftsanteile von der Insolvenzschuldnerin gehalten werden. Im Idealfall ist diese Übertragung bereits mit den notwendigen arbeitsrechtlichen Gestaltungs- und sonstigen leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen verbunden gewesen. Aus Sicht des Insolvenzverwalters gibt es jedoch keinen Grund, eine Veräuße- 1289 rung der Geschäftsanteile an der Auffanggesellschaft anders zu bewerten als die Veräußerung des Unternehmens im Rahmen einer übertragenden Sanierung, sodass er nicht bereit ist bzw. sein wird, Garantien zu geben. Auch hier wird er einen umfassenden Haftungsausschluss für Sach- und Rechtsmängel fordern. Auf Käuferseite indes verlangt der Erwerb einer Tochtergesellschaft – unab- 1290 hängig davon, ob diese im Rahmen einer Holding-Insolvenz oder aber als Erwerb einer vom Insolvenzverwalter gegründeten Auffanggesellschaft er309
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
folgt – in der Regel eine umfassendere Due Diligence als eine übertragende Sanierung. 1291 Insbesondere bei Holding-Insolvenzen können nicht unbeträchtliche steuerrechtliche Risiken sowie Risiken aus etwaigen Mithaftungserklärungen und Schuldbeitritten bestehen. Im Übrigen müssen die vorhandenen Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen „gerettet“ werden. 2. Unternehmenserwerb auf Grundlage eines Insolvenzplans 1292 Die Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens auf der Grundlage eines Insolvenzplans ist in zwei Konstellationen vorstellbar. a) Übertragende Sanierung auf Grundlage eines Insolvenzplans 1293 Eine übertragende Sanierung kann auch auf Grundlage eines Insolvenzplans erfolgen. 1294 Sie bietet sich an, wenn in Absonderungsrechte eingegriffen werden muss, eine Zustimmung der Absonderungsberechtigten aber entweder teilweise nicht zu erlangen ist oder aus sonstigen Gründen nicht sicher ist. Vallender, GmbHR 2004, 642, 646.
1295 Dieses wohl eher selten praktizierte Verfahren soll darüber hinaus den weiteren Vorteil einer differenzierteren, dem Einzelfall angemessenen Gestaltung haben. So soll z. B. eine Stundung des Kaufpreises möglich sein, um diesen von künftigen Entwicklungen, etwa dem Erreichen bestimmter Bilanzkennzahlen, abhängig zu machen. Vallender, GmbHR 2004, 642, 646; Picot/Aleth, Unternehmenskrise und Insolvenz, Rn. 794.
1296 Soweit sich eine Mehrheit der Gläubiger auf ein entsprechendes Procedere einlässt, wird sich die Insolvenzverwaltung, und sei es unter dem Druck der Gläubigermehrheit, auch im Rahmen einer übertragenden Sanierung auf entsprechende vertragliche Regelungen einlassen. Ob daher die übertragende Sanierung im Gewand des Insolvenzplans eine erhebliche Praxisrelevanz erhält, ist eine Frage des Einzelfalls. 1297 Sie bietet sich allerdings bei den in Rn. 164 ff. dargestellten Fallkonstellationen an. 1298 Vorstellbar ist eine übertragende Sanierung bei gleichzeitiger Durchführung eines Insolvenzplans schließlich dann, wenn der Insolvenzverwalter die gesunden Unternehmensteile der Schuldnerin oder aber ggf. nicht insolvente, operativ tätige Tochtergesellschaften in einer Auffanggesellschaft in Absprache und mit Unterstützung der Großgläubiger bündelt und der Insolvenzplan ein Angebot enthält, sämtliche oder einzelne Gläubigergruppen durch Geschäftsanteile an der Auffanggesellschaft abzufinden.
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III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz Vallender, GmbHR 2004, 642, 646.
Entsprechende Gestaltungen können besonders im Hinblick auf die wach- 1299 sende Präsenz angloamerikanischer Investmentbanken im deutschen Markt Bedeutung erlangen. Da diese jedoch nur bei erheblichen Volumina aktiv werden, dürfte es sich insoweit auch um Einzelfälle handeln. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass angloamerikanische Investmentbanken und Fonds den deutschen „Distressed-Debt-Markt“ bereits vor einiger Zeit entdeckt haben und diese eher bereit sind, sich bei einer vorhandenen ExitPerspektive auch unternehmerisch zu engagieren, sind „Debt-Equity-Swaps“ im Gewand eines Insolvenzplans durchaus vorstellbar, insbesondere in Anbetracht der Novellierung durch das ESUG und der damit eingeführten Regelungen zum Debt-Equity-Swap und zu den gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen (siehe Rn. 12 ff. sowie Rn. 581 ff.). Abschließend sei erwähnt, dass auch sog. verfahrensleitende Insolvenzpläne 1300 möglich sind. Durch eine Änderung von § 217 Satz 1 InsO ist durch den Gesetzgeber verdeutlicht worden, dass auch „verfahrensleitende“ bzw. „verfahrensbegleitende“ (Teil-)Insolvenzpläne zulässig sind, sofern diese das Regelinsolvenzverfahren in Verfahrensfragen ergänzen, aber dennoch nicht ersetzen. Vgl. BT-Drucks. 17/7511, 35; Heinrich, NZI 2012, 235, 237.
Regelungsgehalt kann beispielsweise die Verwertung des schuldnerischen Ver- 1301 mögens sein. b) Eigensanierung und Insolvenzplan Weitere Konstellation für einen Unternehmens(ver)kauf aus der Insolvenz ist 1302 der Share Deal, gepaart mit einem Insolvenzplanverfahren, mit dem Ziel der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Eigensanierung des schuldnerischen Unternehmens. Auf die Besonderheiten des Insolvenzplanverfahrens als Mittel der Eigensanierung soll auch an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Eine Eigensanierung im Insolvenzplanverfahren (insbesondere im Rahmen 1303 der Eigenverwaltung) kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn der Schuldner über wirtschaftlich bedeutende und nicht ohne Weiteres im Rahmen einer übertragenden Sanierung übertragbare Rechte verfügt. Hierbei kann es sich sowohl um Verträge als auch um öffentlich-rechtliche Genehmigungen handeln, die einen Erhalt des Unternehmens samt Unternehmensträger attraktiv machen. Denkbar ist dieses z. B. bei Unternehmen mit einer zumindest teilweise interessanten angemieteten Filialstruktur, bei dem das Filialnetz ohne Neuabschluss von Mietverträgen aber unter Ausnutzung der insolvenzrechtlichen Sonderkündigungsrechte restrukturiert werden soll (so z. B. durchgeführt bei diversen Einzelhandelsfilialisten). Nachfolgend sollen die wesentlichen Einzelprobleme in entsprechend gela- 1304 gerten Fällen, bei denen nicht nur die Eigensanierung, sondern auch der Unternehmensverkauf das Ziel ist, kurz dargestellt werden. 311
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1305 Die Gesellschafter können im Rahmen eines Insolvenzplans auf Grundlage der Regelung des § 225a Abs. 3 InsO durch eine entsprechende Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan ihrer Gesellschaftsanteile verlustig werden, sei es durch eine Anteilsübertragung oder durch eine (vereinfachte) Kapitalherabsetzung und -erhöhung. Aufgrund der durch das ESUG neu in die Insolvenzordnung eingeführten Regelung des § 225a Abs. 2 InsO ist in einem Insolvenzplan im Übrigen im Rahmen eines „Debt-Equity-Swaps“ ein Eingriff in Gesellschafterrechte möglich (siehe Rn. 12 ff., 186 sowie Rn. 581 ff.). 1306 Soweit dieses beabsichtigt ist, ist bei der Vorlage eines Insolvenzplans allerdings die Entscheidung des BGH vom 3.3.2005, BGH, Beschl. v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719 ff.,
im Hinblick auf die unlautere Herbeiführung der Annahme eines Insolvenzplans beim Kauf von Forderungen anderer Insolvenzgläubiger zu einem die Quote übersteigenden Preis zu beachten. 1307 Hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeiten etwaig bestehender Verlustvorträge wird an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zum Steuerrecht verwiesen (siehe Rn. 821 ff.). 1308 Die Eigenverwaltung ist in der Regel mit weniger Problemen im Zusammenhang mit Gesellschafterrechten konfrontiert, da sie zumeist mit der Zustimmung der Gesellschafter aktiv werden. Das Blockadepotenzial ist hier geringer, dafür kämpft die Eigenverwaltung unter Umständen mit Struktur- und Kompetenzproblemen (siehe Rn. 125 ff., 272 ff. sowie 359 ff.). IV. Leitlinien für Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter, Sachwalter und Eigenverwalter bei Kaufinteresse 1. Timing 1309 Von besonderer Bedeutung ist das richtige Timing. Wie bereits ausgeführt, wird die Veräußerung unmittelbar nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am häufigsten praktiziert. Entweder wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein zwischen den Vertragsparteien bereits während des Insolvenzantragsverfahrens in weiten Punkten verhandelter Vertrag geschlossen. Oder es wird das sog. „Reißverschlussverfahren“ praktiziert, bei dem sich der Insolvenzverwalter noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein bindendes Angebot übergeben lässt, das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nach Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses angenommen wird. Dieses Procedere ist sowohl im Regel- als auch im Eigenverwaltungsverfahren praktikabel. 1310 Eine solche Veräußerung ist insbesondere nach der Novellierung der Insolvenzordnung zulässig, da die Mehrheit der insolventen Unternehmen wegen der dramatischen Verlustsituation nicht nach Verfahrenseröffnung bei Vollkosten über einen Zeitraum von mehreren Wochen fortgeführt werden kann
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III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz
und bei einer Veräußerung nach dem Berichtstermin ein erheblicher Vermögensverzehr droht. Im Rahmen der Eigenverwaltung wird dieses Problem häufig nicht ernst genug genommen, sodass im Zweifel wertvolle Zeit verstreicht. Ist bereits vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sanierungsgeschäftsführer eingesetzt, erfolgt idealerweise parallel bzw. vor dem Antrag bereits eine auf die übertragende Sanierung ausgerichtete Unternehmensstrukturierung. Nur so funktioniert moderne und effektive Eigenverwaltung. Der Insolvenzverwalter hat und die Eigenverwaltung sollte demnach das Inte- 1311 resse haben, das Unternehmen alsbald nach Verfahrenseröffnung zu veräußern. In den Fällen, in denen sich die Erwerbsinteressenten noch nicht bis zum 1312 Ende des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes entscheiden können, ein bindendes Angebot abzugeben oder aber unverzüglich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Kaufvertrag zu schließen, ein ernsthaftes Erwerbsinteresse allerdings nach wie vor besteht und die Prüfung des insolventen Unternehmens durch den Erwerbsinteressenten oder aber die Finanzierung des Unternehmenserwerbs auf Käuferseite noch nicht abgeschlossen ist, kann es aus Sicht der Insolvenzverwaltung sinnvoll sein, eine revolvierende Insolvenzgeldvorfinanzierung vorzunehmen. Dieses setzt voraus, dass das Insolvenzgericht, im Rahmen der Eigenverwaltung auch Sachwalter und (vorläufiger) Gläubigerausschuss, mit diesem Procedere einverstanden ist. Die Ausschöpfung des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes ist ein aner- 1313 kanntes Mittel zum Erhalt von Sanierungschancen. Vgl. Hamburger Leitlinien zum Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2004, 133, 134.
Die revolvierende Insolvenzgeldvorfinanzierung ist eine Ausnahmekonstella- 1314 tion und wird daher nur verhältnismäßig selten praktiziert. Bei der revolvierenden Insolvenzgeldvorfinanzierung „füllt“ das schuldneri- 1315 sche Unternehmen mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (bei schwacher vorläufiger Verwaltung) bzw. des Sachwalters (bei Eigenverwaltung) oder aber der vorläufige Insolvenzverwalter selbst (bei starker vorläufiger Insolvenzverwaltung) das debitorisch geführte Insolvenzgeldvorfinanzierungskonto in Höhe des Insolvenzgeldvolumens des ersten Monats vom laufenden Verfahrensanderkonto auf. Hierbei wird er ggf. die Kaufinteressenten beteiligen, in dem er von ihnen einen „verlorenen Zuschuss“ für die revolvierende Insolvenzgeldvorfinanzierung als Beleg für das ernsthafte Interesse des oder der Interessenten einfordert. Er verschafft sich somit „Luft“, einen vierten Insolvenzgeldmonat, der wirtschaftlich betrachtet der dritte Insolvenzgeldmonat ist, zu nutzen und kann dabei das schuldnerische Unternehmen im Insolvenzantragsverfahren unter Ausnutzung der übrigen Vorteile des Insolvenzantragsverfahrens fortführen.
313
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
1316 Dieses Procedere ist mit der zuständigen Agentur für Arbeit abzustimmen. BSG, Urt. v. 18.3.2004 – B 11 AL 57/03 R, NZS 2005, 385 ff.; Schaub-Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, § 94 Rn. 18.
1317 Den Weg der revolvierenden Insolvenzgeldvorfinanzierung wird die Insolvenzverwaltung jedoch nur in Ausnahmefällen und dann auch nicht unbegrenzt gehen, um Sanierungs- und Veräußerungschancen zu erhalten. 1318 Demnach sollten Erwerbsinteressenten möglichst früh Kontakt mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter aufnehmen, damit die Kaufvertragsverhandlungen frühzeitig und ergebnisorientiert aufgenommen werden können. 2. Kaufpreisfindung 1319 Entgegen den Gepflogenheiten bei der Kaufpreisfindung für Unternehmen bei deren Veräußerung außerhalb der Insolvenz, orientiert sich der Kaufpreis an der Gesamtsumme der Werte der zu veräußernden einzelnen Vermögensgegenstände. 1320 Im Rahmen der Veräußerung ist es daher ratsam und auch gängige Praxis, ein Taxat über die vorhandenen Wirtschaftsgüter erstellen zu lassen. Das Taxat enthält üblicherweise zwei Werte, den Liquidationswert, der in der Regel bei einer Zerschlagung und Einzelversteigerung der Vermögensgegenstände erzielt wird, und den Fortführungswert (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO a. F.). Für immaterielle Vermögenswerte, insbesondere gewerbliche Schutzrechte erfolgt ggf. eine gesonderte Bewertung. Die Offenlegung dieser unabhängig ermittelten Werte gegenüber dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss ist verpflichtend, aber auch ratsam, um die Akzeptanz für den dann später eingeschlagenen Weg (übertragende Sanierung, Sanierung, Liquidation o. Ä.) zu erhöhen. 1321 Erwerbsinteressenten erhalten erfahrungsgemäß im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine Aufstellung sämtlicher veräußerbaren Vermögensgegenstände inklusive des Fortführungswertes. Auskünfte über Liquidationswerte sollten jedoch nicht gegeben werden, da die Kenntnis dieser Werte das Risiko einer Minderbewertung des zu erwerbenden Unternehmens durch den Käufer in sich birgt. 1322 Die Liquidationswerte stellen die „untere Schmerzgrenze“ in den Kaufpreisverhandlungen dar. Allerdings ist ein Unterschreiten in einem Maße vorstellbar, in dem die Insolvenzmasse durch die Unternehmensveräußerung von ansonsten aufoktroyierten Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 InsO entlastet wird. 1323 Grenzen findet diese Kalkulation bei den Gegenständen, die mit Rechten Dritter belastet sind. Zwar wird die Insolvenzmasse regelmäßig gemäß §§ 166, 170 f. InsO oder aber aufgrund höherer ausgehandelter Massekostenbeiträge an den Verwertungserlösen beteiligt. Eine vollständige Anrechnung der Masse-
314
III. Unternehmensverkauf aus der Insolvenz
verbindlichkeiten, um die die Insolvenzmasse bei einer Unternehmensveräußerung im Ganzen entlastet wird, ist im Hinblick auf diese Gegenstände jedoch ausgeschlossen. Ohnehin wird der Insolvenzverwalter wegen der Entlastung der Insolvenz- 1324 masse nur zu anteiligen Zugeständnissen bereit sein. Soll hingegen der Unternehmensverkauf bei gleichzeitiger Durchführung ar- 1325 beitsrechtlicher Maßnahmen stattfinden, in deren Durchführung der Insolvenzverwalter zwangsläufig eingebunden ist, so wird er hierfür eine entsprechende Kaufpreiserhöhung verlangen. Kaufgegenstand sind häufig auch nicht bilanzierte Vermögensgegenstände, 1326 wie das Know-how, der eingerichtete und ausgeübte Geschäftsbetrieb, selbst geschaffene gewerbliche Schutzrechte, insbesondere Patente oder aber der Kundenstamm sowie ggf. die Firma sein. Diese Kaufgegenstände sind häufig nicht mit Rechten Dritter belastet, sodass der darauf entfallende Kaufpreisanteil vollständig als freie Insolvenzmasse zur Verfügung steht. 3. Vertragsverhandlung und -gestaltung In den Vertragsverhandlungen mit Insolvenzverwaltern werden regelmäßig 1327 die Essentialia des Kaufvertrages erörtert, d. h. Kaufgegenstand, ggf. Auftragsbestand, Kaufpreis, ggf. Zahlungsmodalitäten und die Frage des Betriebsüberganges bzw. der diesbezüglichen arbeitsrechtlichen Gestaltung. Soweit diesbezüglich ein Konsens zustande gekommen ist, wird der Insol- 1328 venz- oder Eigenverwalter – zumindest bei übertragenden Sanierungen mittelständischer Unternehmen – den Vertragsentwurf erstellen, der im Detail kaum noch verhandelbar ist. Derart stellt sich zumindest die Situation in Insolvenzverfahren mittelständi- 1329 scher Unternehmen mit bis zu vierstelligen Belegschaften dar. Dass sich bei Groß- oder Konzerninsolvenzen die Situation anders darstellen kann, versteht sich von selbst. Üblicherweise sind Unternehmenskaufverträge im Hinblick auf eine über- 1330 tragende Sanierung (Asset Deal) nach dem folgenden schlichten, aber vollkommen ausreichenden Schema aufgebaut: x
Kaufgegenstand inklusive Auftragsbestand;
x
Kaufpreis inklusive etwaiger Regelung zur Umsatzsteuer;
x
Kaufpreiszahlung inklusive Verzugsregelung und Verzicht auf Aufrechnung, Minderungs- oder Zurückbehaltungsrechte;
x
Gewährleistungsausschluss, soweit möglich;
x
Eigentumsübergang/Eigentumsvorbehalt/Abtretung von Rechten;
x
weitere Mitwirkungspflichten des Insolvenzverwalters, insbesondere bei der Übertragung von IP; 315
C. Unternehmenskauf aus der Insolvenz
x
Betriebsübergang/arbeitsrechtliche Gestaltung;
x
Übergabestichtag/Abgrenzung von Rechtsverhältnissen/Übernahme sonstiger Dauerschuldverhältnisse und vom Insolvenzverwalter ausgelöster Bestellungen;
x
Rücktritts-/Rückabwicklungsregelungen bei Zahlungsverzug;
x
Haftungsbeschränkung, Verjährung;
x
Mitwirkungspflichten des Käufers bei der Abwicklung des Insolvenzverfahrens, insbesondere Zurverfügungstellung von Personal zu Selbstkosten, unentgeltliche Akteneinlagerung mit Zutrittsrecht;
x
Kosten des Vertrages;
x
Schlussbestimmungen, insbesondere anwendbares Recht und Gerichtsstand.
1331 Die vorstehende Auflistung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit; insbesondere müssen bei Massezugehörigkeit etwaiger Betriebsimmobilien ein oder mehrere Mietverträge verhandelt werden. Soweit Betriebsimmobilien mitveräußert werden, muss der gesamte Unternehmenskaufvertrag notariell beurkundet werden. Vallender, GmbHR 2004, 642, 648.
1332 Gleiches kann – je nach Rechtsform – gelten, wenn parallel nicht insolvente Konzerngesellschaften vom Insolvenzverwalter veräußert werden. 1333 Ergänzend sei angemerkt, dass die von Insolvenzverwaltern im Regelverfahren genutzten Vertragsmuster weitreichende Einredeverzichte des Käufers enthalten. Dieses ist insoweit legitim, als der Insolvenzverwalter als Verkäufer das Unternehmen und den Kaufgegenstand meist nur kurze Zeit und in gleichem Maße wie der Erwerber kennt, sodass er nicht nur keine Sach- und Rechtsmängelhaftung übernehmen kann, sondern weitreichende Sicherheit erzielen muss, dass der Kaufpreis vereinbarungsgemäß gezahlt wird. Wie bereits dargestellt, ist der Eigenverwalter hier auf Grundlage seiner erweiterten Unternehmenskenntnisse unter Umständen kompromissbereiter. 1334 Ein Insolvenzverwalter wie auch der Eigenverwaltung wird von diesen Klauseln jedoch nicht Abstand nehmen, sodass in der Vertragsgestaltung mit Insolvenzverwaltern regelmäßig kein Spielraum für juristische Spitzfindigkeiten auf Käuferveranlassung hin besteht. 1335 Trotzdem empfiehlt es sich für den Unternehmenserwerber, einen erfahrenen Berater hinzuzuziehen, der zum einen den Unternehmenskauf auf Seiten und zugunsten seines Mandanten verhandeln kann, und zum anderen die oftmals für nicht mit der Materie vertraute Personen extremen Positionen des Insolvenzverwalters nachvollziehen und dem Mandanten vermitteln kann, damit keine unnötigen Zeit- und Reibungsverluste auftreten.
316
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten im Rahmen des Unternehmenskaufs in der Krise I. Vorbemerkung Regelmäßig werden im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen in der Krise 1336 bereits Sanierungskonzepte erstellt worden sein, die dem potenziellen Erwerber erhebliche Erkenntnisse über das Unternehmen und deren Organisation und insbesondere relevante Informationen für seine eigene durchzuführende Unternehmensbewertung zwecks optimaler Kaufpreisverhandlung liefern können. Solche Sanierungskonzepte werden regelmäßig von den finanzierenden Banken zur Entscheidungsfindung über die Verlängerung bestehender Kredite oder Gewährung von Sanierungskrediten eingefordert. Im Folgenden werden daher die Grundsätze für die Erstellung von Sanierungskonzepten unter Berücksichtigung der Anforderungen gemäß dem Standard IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) dargestellt, der zugleich die Anforderungen des BGH an Sanierungsgutachten erfüllt. Vgl. BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, ZIP 2016, 1235.
Der IDW S 6 beschreibt die Anforderungen an Sanierungskonzepten gemäß 1337 der Berufsauffassung von Wirtschaftsprüfern als Mitglieder des IDW unter Berücksichtigung der Rechtsprechung, Theorie und Praxis. Der Standard wurde zuletzt am 16.5.2018 angepasst und orientiert sich stark an der Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an Sanierungsgutachten. Zusätzlich wurden hierbei ein umfangreicher Katalog von Fragen und Antworten zum IDW S 6 ergänzt, der dem Gutachter als eine Hilfestellung bei der praktischen Umsetzung des IDW S 6 dienen soll. Im Vorwort wird insoweit klargestellt, sie keine zusätzlichen Anforderungen zur Ergänzung des IDW S 6 und auch keine verbindlichen Hinweise zur Auslegung dieses Standards darstellen. IDW S 6 in der Fassung v. 15.5.2018, IDW Life 2018, 813 ff;
Anlass für die Beauftragung der Beurteilung eines Sanierungskonzepts ge- 1338 mäß IDW S6 ist regelmäßig die erforderliche Finanzierungsentscheidung der Banken in der Krise des Unternehmens die Sanierung durch positive Kreditentscheidungen zu begleiten. Die qualifizierte positive Beurteilung des vorgelegten Sanierungskonzepts durch den Sanierungsgutachter ermöglicht insoweit eine plausibilisierte eigenständige Beurteilung der jeweiligen Bank, ob die Sanierung realisiert werden kann. Maßgeblich sind insoweit für deutsche Banken die Mindestanforderungen an das Risikomanagement(„MaRisk“) der BaFin, wonach bei Problemkrediten die Vorlage eines Sanierungskonzepts und deren eigenständige Beurteilung Voraussetzung für die Begleitung der Sanierung sein soll. Vgl. MaRisk, BTO 1.2.5 inkl. Erläuterungen der BaFin hierzu (BaFin – Rundschreiben – Rundschreiben 10/2021 (BA) – MaRisk BA), Reiner, WM 2018, 993, 994 f.
317
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
1339 In der Sanierungspraxis wird der IDW S6 regelmäßig im Rahmen der Beauftragung der Beurteilung des Sanierungskonzepts unmittelbar gegenüber Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder mittelbar durch Bezugnahme „in Anlehnung an den IDW S6“ bei den Unternehmensberatungsgesellschaften einbezogen. Zugleich wird regelmäßig noch explizit auf die Erfüllung der Anforderungen des BGH an Sanierungsgutachten in den Auftrag einbezogen, wobei der IDW S6 diese Anforderungen vollumfänglich integriert. Die Beauftragung erfolgt insoweit durch das Unternehmen in der Krise, wird aber vorab mit den Kreditgebern inhaltlich vollumfänglich abgestimmt. Dies betrifft auch die Weitergabe an die finanzierenden Banken inklusive die Haftungserweiterung durch Einbezug der Banken. Zugleich wird das Sanierungsgutachten regelmäßig für steuerliche Zwecke wie Beantragung einer verbindlichen Auskunft zur Anwendung der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns gemäß § 3a EStG oder auch für die Verhandlung der erforderlichen arbeitsrechtlichen Restrukturierungsmaßnahmen in Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaften. II. Grundlagen des Sanierungskonzepts i. S. d. IDW S 6 1340 Auf dem Weg zur erfolgreichen Sanierung eines in die Krise geratenen Unternehmens müssen zwei zeitlich aufeinanderfolgende Zwischenstufen erreicht werden. Auf der ersten Stufe ist zunächst die Fortführungsfähigkeit i. S. d. Annahme der Unternehmensfortführung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB („Going Concern“) sicherzustellen. Anschließend sind in einem zeitlich längerfristigen Korridor die Wettbewerbsfähigkeit und die Renditefähigkeit wiederzuerlangen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 24 ff.
1341 Um eine entsprechende Aussage zur Sanierungsfähigkeit treffen zu können, müssen nach IDW S 6 sämtliche Bestandteile eines Sanierungskonzeptes umgesetzt werden. Dennoch liegt der praxisnahe Vorteil vom IDW S 6 darin, dass mit den einzelnen Bestandteilen stufenweise eine Unternehmenskrise bewältigt werden kann. 1342 Sanierungskonzepte nach IDW S 6 setzen sich aus folgenden Kernanforderungen zusammen: x
Beschreibung von Auftragsgegenstand und -umfang;
x
Basisinformationen über die wirtschaftliche und rechtliche Ausgangslage des Unternehmens in seinem Umfeld, einschließlich der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage;
x
Analyse von Krisenstadium und -ursachen sowie Analyse, ob eine Insolvenzgefährdung vorliegt;
x
Darstellung des Leitbildes mit dem Geschäftsmodell des sanierten Unternehmens;
318
II. Grundlagen des Sanierungskonzepts i. S. d. IDW S 6
x
Darstellung der Maßnahmen zur Abwendung einer Insolvenzgefahr und Bewältigung der Unternehmenskrise sowie zur Herstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens;
x
ein integrierter Unternehmensplan;
x
die zusammenfassende Einschätzung der Sanierungsfähigkeit. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 11.
In Abhängigkeit vom Krisenstadium bestimmen sich die Inhalte und der je- 1343 weils gebotene Detaillierungsgrad eines Sanierungskonzeptes. Ausgeprägte Arten von Krisen lassen sich wie folgt unterscheiden: x
Stakeholderkrise;
x
Strategiekrise;
x
Produkt- und Absatzkrise;
x
Erfolgskrise;
x
Liquiditätskrise;
x
Insolvenzreife.
Dabei sind die Krisenarten nicht unabhängig, sondern i. d. R. als aufeinander 1344 aufbauend zu begreifen. Jedoch können sie auch parallel, singulär oder überlappend auftreten. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 31 ff.
Bei der Erstellung eines Sanierungskonzeptes zur Beurteilung der Sanie- 1345 rungsfähigkeit eines Unternehmens können nur objektive oder objektivierbare Kriterien zugrunde gelegt werden. Wird in einer ersten Beurteilung eine akute Illiquiditäts- oder Überschuldungslage festgestellt, sind gemäß IDW S 6 innerhalb von längstens drei Wochen Sofortmaßnahmen zu deren Beseitigung zu konkretisieren und umzusetzen. Ein längerer Zeitraum ist schon von Gesetzes wegen nach § 15a InsO nicht erlaubt. Geeignete Sofortmaßnahmen sind regelmäßig Überbrückungsfinanzierungen zur Liquiditätssicherung oder die Erteilung eines Rangrücktritts zur Überschuldungsabwendung. Im Falle der Insolvenzgefahr muss als Vorstufe zunächst einmal eine Beur- 1346 teilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen durchgeführt werden, um ggf. geeignete Sofortmaßnahmen für eine positive Fortführungsprognose umzusetzen. Im Rahmen der liquiditätsorientierten Fortbestehensprognose ist der IDW S 11 als maßgeblicher Standard für die Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen zugrunde zu legen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 13; IDW S 11, IDW Life 2022, 107 ff.
319
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
1347 In einem zweiten Schritt ist die Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit des Krisenunternehmens darzustellen (nachhaltige Fortführungsfähigkeit). Die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Sanierung stellt ein Prognoseurteil und mithin eine Wahrscheinlichkeitsaussage dar. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Basis plausibler Annahmen positive Prognoseurteil zu den Erfolgsaussichten einer Sanierung mittels nachhaltiger Fortführungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Renditefähigkeit durch Defizite in der Umsetzung oder Unwägbarkeiten des Marktgeschehens hinfällig werden kann. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 19 ff.
III. Bestimmung von Auftragsinhalt und Verantwortlichkeiten im Rahmen der Erstellung von Sanierungskonzepten 1348 Die typischen Ersteller von Sanierungskonzepten sind Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Unternehmensberater, wobei Hauptadressat des IDW S 6 die Wirtschaftsprüfer sind. Deshalb wird im IDW S 6 darauf hingewiesen, dass die Erstellung eines Sanierungskonzeptes und die gleichzeitige Durchführung der Abschlussprüfung für dieselbe Gesellschaft unvereinbar sind. Denn im Rahmen der Abschlussprüfung ist die Voraussetzung der Unternehmensfortführung i. S. d. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB zu beurteilen. Aus dem berufsüblichen Grundsatz der Unbefangenheit und dem hierdurch begründeten Verbot der Selbstprüfung des Abschlussprüfers ergibt sich, dass ein Abschlussprüfer nicht eine von ihm selbst erstellte Unterlage zum Prüfungsgegenstand machen darf. Die Beurteilung eines bereits vorliegenden Sanierungskonzeptes kann dagegen auch der Abschlussprüfer vornehmen, wenn er nicht an deren Erstellung mitgewirkt hat. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 38.
1349 Die Festlegung des Auftragsinhalts und der Verantwortlichkeiten bestimmen sich nach der Zielsetzung der Auftraggeber sowie dem akuten Krisenstadium. Soll unter Beteiligung der Kapitalgeber (Eigen- wie auch Fremdkapitalgeber) eine gegenwärtige Insolvenzbedrohung beseitigt werden und dient das Konzept auch oder explizit zur Entscheidungsfindung für die Kapitalgeber, kann sich daraus eine Haftungserweiterung (Dritthaftung) über den Auftraggeber hinaus ergeben. Deshalb muss mit Festlegung des Auftragsgegenstandes sowohl für das beauftragende Unternehmen als auch für die Kapitalgeber und andere Dritte erkennbar werden, welche Aufgaben der Konzeptersteller übernimmt und welchem Zweck das Arbeitsergebnis dienen soll. In diesem Zusammenhang muss zudem in den Auftragsbedingungen des Gutachters festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Überlassung des Gutachtens an Dritte – z. B. Warenkreditversicherer – erfolgen darf und welche Haftung dann gegenüber diesen Dritten gelten soll. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 35 f.
320
IV. Darstellung und Analyse des Unternehmens
Bedingung der Auftragsannahme muss ein umfassendes Auskunftsrecht so- 1350 wie der Zugang zu allen Geschäftsunterlagen sein. Die Auftragsbedingungen müssen insoweit auch den Anspruch des Gutachters auf eine Vollständigkeitserklärung des Auftraggebers in Bezug auf Vollständigkeit und Richtigkeit der zugrunde gelegten rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Ausgangslage begründen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 37.
Über die Durchführung des Auftrags zur Erstellung eines Sanierungskon- 1351 zeptes nach IDW S 6 ist schriftlich zu berichten. Bedingt durch den Auftragsumfang folgen Gliederung und Inhalt der Berichterstattung den im IDW S 6 dargelegten Grundsätzen. Die zu erstellende Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ist zwecks Vermeidung von Missverständnissen über Auftrag und Umfang der Tätigkeiten sowie Tragweite der Erklärung des Gutachters nur im Zusammenhang mit dem Erstellungsbericht an Dritte weiterzugeben. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 36.
IV. Darstellung und Analyse des Unternehmens 1. Anforderungen an die Qualität der Informationen Grundlage für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes ist die vollständige 1352 und systematische Erfassung der für die Unternehmensentwicklung wesentlichen Daten. Die klare, übersichtliche und vollständige Darstellung der Ausgangssituation ist Grundvoraussetzung für ein nachvollziehbares Sanierungskonzept. Die Datenerfassung erfolgt mittels Umfeldanalyse, Branchenanalyse und Analyse der internen Unternehmensverhältnisse. Der Fokus der Unternehmensanalyse ist vor allem auf das Geschäftsmodell sowie das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Unternehmens auszurichten. Die Ableitung der dem Sanierungskonzept zugrunde gelegten Annahmen müssen mit den eigenen Erkenntnissen des Gutachters plausibilisiert werden. Mithin muss sichergestellt werden, dass die Schlussfolgerungen für die Unternehmensplanung sachlich und rechnerisch richtig aus den Ausgangsdaten und Annahmen abgeleitet wurden. Die Zuverlässigkeit der prognostischen Angaben und Wertungen in der Lagebeurteilung ist durch ein geeignetes Planungssystem zu unterstützen. Bei künftigen Maßnahmen ist der Konkretisierungsgrad bzw. der Stand der Umsetzung anzugeben. Dies betrifft beispielsweise etwaige geplante Veräußerungen oder Beiträge Dritter wie Gesellschafterbeiträge, Sanierungsvereinbarungen inklusive Kreditprolongation mit finanzierenden Banken oder arbeitsrechtliche Sanierungsbetriebsvereinbarungen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 46 ff.
321
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
2. Basisinformationen über die Ausgangslage des Unternehmens 1353 Ein erfolgreiches Sanierungskonzept setzt voraus, dass die wesentlichen Informationen eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung und Analyse des Unternehmens gewährleisten. Die Informationsquellen der wesentlichen für das Sanierungskonzept relevanten Daten sind zusätzlich anzugeben. Folgende Unternehmensangaben sind regelmäßig für die bisherige Unternehmensentwicklung wesentlich: x
Rechtliche und organisatorische Verhältnisse.
x
Finanzwirtschaftliche Verhältnisse.
x
Leistungswirtschaftliche Verhältnisse.
x
Personalwirtschaftliche Verhältnisse. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 53 ff.
3. Analyse der Unternehmenslage 1354 Im Rahmen der Unternehmensanalyse sind die Zusammenhänge innerhalb des Unternehmens sowie das externe Umfeld zu analysieren. Durch das externe Umfeld werden gesamtwirtschaftliche Branchentrends im Speziellen mit ihren Chancen und Risiken bestimmt, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung haben, jedoch nicht unmittelbar beeinflusst werden können. Nachfolgend sind die vom IDW S 6 beispielhaft genannten Methoden und Techniken zur Unternehmensanalyse aufgeführt. Welches Verfahren im Einzelfall anzuwenden ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Konzepterstellers: x
Portfoliomethode,
x
Szenarioanalyse,
x
Stärken-Schwächen-Analyse,
x
Kompetenzanalyse,
x
Wertanalyse,
x
Konkurrentenanalyse,
x
(quantitative) Risikoanalyse. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.4.
1355 Die Branchenanalyse identifiziert die Einflussfaktoren, die starken Bezug zur Geschäftstätigkeit haben und für die erfolgreiche Restrukturierung wesentlich sind. Kurzfristige Änderungen in der Branche, bedingt z. B. durch eine Rezession, sind vom langfristigen Branchentrend zu abstrahieren. Wesentlich sind die Chancen und Risiken, die sich aus der Wettbewerbssituation der Branche ergeben. Der IDW S 6 benennt hier: x
322
Anzahl und Stärke der Wettbewerber,
IV. Darstellung und Analyse des Unternehmens
x
aktuelle und potenzielle Kunden,
x
aktuelle und potenzielle Lieferanten,
x
Substitutionsprodukte und neue Technologien,
x
neue Wettbewerber,
x
neue Geschäftsmodelle,
x
Veränderungen in Nachbarbranchen,
x
Verhaltensänderungen der Kapitalmärkte gegenüber der Branche. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.3.
Im Rahmen der Analyse der internen Unternehmensverhältnisse ist die bis- 1356 herige strategische Ausrichtung (Leitbild) des Unternehmens zu beurteilen. Dafür ist zunächst die Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage des Unternehmens zu erfassen und deren Weiterentwicklung ohne Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen abzuschätzen. Im Fokus steht die Entwicklung der Umsätze, Kosten und Deckungsbeiträge der Produktgruppen und Geschäftsbereiche. Hier verweist der IDW S 6 auf die „Break-Even-Analyse“, um die erforderlichen Absatzveränderungen und Kostensenkungen zu bestimmen. Mögliche Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen in einzelnen Funktionsbereichen der Wertschöpfungskette sind entsprechend abzuleiten. Ansatzpunkte zur Verbesserung der Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage bilden Verhältnisse gesellschaftlicher, zivilrechtlicher, steuerrechtlicher sowie arbeitsrechtlicher Art. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.4.
Die Analyse der internen Verhältnisse im Unternehmen bezieht sich auch 1357 auf die Stärken und Schwächen des Geschäftsmodells bis hin zur Wettbewerbsstrategie und den vorhandenen Kernkompetenzen. Die Strategie des Unternehmens ist dabei immer im Verhältnis zur Unternehmensumwelt zu analysieren. Der Fokus liegt auf den möglichen Kernaufträgen bzw. Kerngeschäften und deren Rentabilität. Die Identifizierung der wichtigsten Ergebnisträger kann über die sog. „Walkurve“ oder auch kunden- oder produktbasierte basierte ABC-Analyse dargestellt werden. Aus dieser Darstellung lässt sich ableiten, wie viel ein Produkt oder eine Leistung zu einem Leistungsparameter (z. B. Rohertrag, EBITDA, EBIT, etc.) beiträgt. Als Faustformel gilt, dass mit 20 % der Produkte 80 % vom Ergebnis erwirtschaftet werden. Vgl. Kaplan/Cooper, Cost & Effect, S. 162.
Des Weiteren sind auch die wettbewerbsrelevanten Ressourcen zu beurteilen. 1358 Hier zählen insbesondere die Qualität und Nutzbarkeit vorhandener Potenziale in den Bereichen Management, Belegschaft, Beschaffung, Produktion, Vertrieb, Technologie, Innovation und Finanzierung. Wichtige interne Informationsquellen für die Unternehmensanalyse sind das Rechnungswesen, die Mitarbeiter und die Führungskräfte. Die Mitglieder aller Führungsebenen – 323
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
in einer sinnvollen Relation zwischen „Top-down“ zu „Bottom-up“ – sind in die Analyse einzubeziehen. Extern ist das Umfeld des Unternehmens auf Basis der gesamtwirtschaftlichen Lage zu analysieren. Auch die Herausforderungen des Unternehmens im Rahmen der Digitalisierung oder im Rahmen der Environmental Social Governance („ESG“) sind zu berücksichtigen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 56 ff.; Richter/Schemminger BB 2019, 1512 ff.; Müller, ZInsO 2022, 686 ff.
V. Feststellung der Krisenursachen und der Krisenstadien 1359 Die Beurteilung des eingetretenen Krisenstadiums sowie deren Krisenursachen sind fester Bestandteil der Lagebeurteilung zum Unternehmen. Erfahrungsgemäß ist eine Unternehmenskrise bis hin zur drohenden Insolvenz zumeist das Resultat mehrstufiger Ursachen-Wirkungs-Ketten. Nicht identifizierte und behobene Krisenursachen wirken weiter und können dazu führen, dass eine offensichtliche Liquiditätskrise oder drohende Überschuldung nur vorübergehend überwunden wird. Für eine sachgerechte Beurteilung der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens ist mithin die Aufarbeitung der bereits durchlaufenen Krisenstadien des betreffenden Unternehmens erforderlich. 1. Feststellungen zur Stakeholderkrise 1360 Die mit Führungsdefiziten verbundenen Krisen führen regelmäßig zu Deformationen der Unternehmenskultur. Solche Entwicklungen wirken zunächst auf die Stakeholderbeziehungen. Erste Konflikte innerhalb der Corporate Governance strahlen auf das Unternehmen ab. Eine Stakeholderkrise, d. h. Konflikte zwischen den verschiedenen Parteien, hat das Unternehmen erfasst. Von der Leitungs- und Überwachungsebene über die Belegschaft bis hin zu den Gesellschaftern entstehen Blockaden und Reibungsverluste, oft als Ergebnis einer fehlenden Erkenntnis, Akzeptanz und Kommunikation der erforderlichen Neuausrichtung des Unternehmens. Weitere negative Folgen wie Nachlässigkeit, Täuschungen und Vermögensschädigungen können auftreten. Mögliche Ursachen hierfür können sein: x
Bewusste Behinderung der Aktivitäten des Controllings und der internen Revision.
x
Billigung falscher Bereichsergebnisse.
x
Unstimmigkeiten in den Potenzialen, die u. a. dadurch eintreten, dass Schwächen in der Produktqualität durch erhöhte Marketing-Aktivitäten kompensiert werden.
1361 Gleichzeitig kommt zur Stakeholderkrise häufig eine Vertrauenskrise hinzu, da die Stakeholder zunehmend daran zweifeln, ob die Organe noch den kommenden Aufgaben gewachsen sind. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
324
V. Feststellung der Krisenursachen und der Krisenstadien
2. Feststellungen zur Strategiekrise Infolge mangelnder Reaktions- und Anpassungsfähigkeit bedingt durch die 1362 Stakeholderkrise ergibt sich häufig eine Strategiekrise. Die Gefahr, dass vermehrt Leistungsträger wegen zunehmender Frustration das Unternehmen verlassen, nimmt zu. Wichtiges Know-how geht verloren. Die Folgen sind unangemessene oder ineffektive Innovationen und Investitionen. Dies wiederum verursacht strukturelle Defizite bis hin zu einer strategischen Lücke im Produktprogramm. Der dadurch induzierte Verlust von Marktanteilen verursacht wiederum einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit. Die möglichen Ursachen einer Strategiekrise können sein: x
Unzureichende Kundenorientierung,
x
unzureichendes Produktprogramm,
x
Schwächen im Personalmanagement,
x
Unklare oder fehlende strategische Ausrichtung im Hinblick auf die angestrebten Wettbewerbspositionen oder Wettbewerbsvorteile,
x
Nachhaltige Fehleinschätzungen der Wettbewerbssituation oder der Marktentwicklung. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
3. Feststellungen zur Produkt- und Absatzkrise Aus der Strategiekrise kann sich eine Produkt- und Absatzkrise entwickeln. 1363 Die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern bleibt nachhaltig unter den Erwartungen. Die Lagerumschlagshäufigkeit nimmt ab und steigende Vorratsbestände führen zu einer Zunahme der Kapitalbindung. Im Ergebnis sinkt der Auslastungsgrad, die Produktivität fällt und die Umsatzerlöse sind rückläufig. Die Unterauslastungen der Produktionskapazitäten führen insoweit zu Ergebnisrückgängen. Diese Situation kann auf der Nachfrage oder auf der Unternehmensseite verursacht sein. Beispielhaft nennt der IDW S 6 in den ergänzenden Fragen und Antworten unter 4.5.: x
Ein qualitativ nicht ausreichendes Marketing- und Vertriebskonzept.
x
Sortimentsschwächen.
x
Qualitätsprobleme bei Produkten, Dienstleistungen oder Service.
x
Falsch eingeschätzte Preisentwicklung und Fehler in der Preispolitik.
x
Schwächen in der Lieferkette.
x
Fehler in der Vertriebssteuerung bzw. falsche Anreizsysteme im Vertrieb. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
325
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
4. Feststellungen zur Erfolgskrise 1364 Ohne wirksames Gegensteuern verursachen die Auswirkungen der vorgelagerten Krisenstadien zwangsläufig eine Erfolgskrise. Der Rückgang der Rentabilität drückt sich darin aus, dass zunächst die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient werden. Der anhaltende Gewinnrückgang und eintretende Verluste können den vollständigen Verzehr des Eigenkapitals zur Folge haben. Die Kreditwürdigkeit des Unternehmens nimmt ab. Durch effizientes Liquiditätsmanagement kann zwar die Zahlungsfähigkeit noch eine Zeit lang aufrechterhalten werden, aber regelmäßig lässt sich in diesem fortgeschrittenen Krisenstadium eine nachhaltige Sanierung ohne Kapitalzuführung – ggf. auch unter Änderung der bisherigen Gesellschafterstruktur – nicht mehr erreichen. Die Erstellung eines Sanierungskonzeptes wird dann unumgänglich. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
5. Feststellungen zur Liquiditätskrise 1365 Mit Eintritt der Liquiditätskrise wird ein erhöhtes Insolvenzrisiko indiziert und die Existenzgefährdung des Unternehmens erhöht sich. Eine krisenverschärfende Finanzierungsstruktur wird offensichtlich. Ursachen hierfür können sein: x
Fehlende Übereinstimmung zwischen Geschäftsmodell und Eigenkapitalsituation.
x
Komplexe Finanzierungsstruktur aufgrund einer Vielzahl bilateraler Beziehungen zu Finanzgebern mit heterogenen Interessenlagen.
x
Unausgewogene Zusammensetzung der Finanzierung mit Eigenkapital, Fremdkapital und hybriden Finanzierungsformen.
x
Mangelnde Fristenkongruenz zwischen Kapitalbindung und Kapitalbereitstellung.
x
Klumpenrisiken in der Fälligkeitsstruktur von Finanzierungen;
x
Unzureichendes „Working-Capital-Management“. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
6. Feststellungen zur Insolvenzreife 1366 Mit einer verschärften Liquiditätskrise kann die Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund für das Unternehmen verursacht werden. Die insolvenzrechtliche Zahlungsunfähigkeit ist nach § 17 InsO stichtagsbezogen auf Basis der verfügbaren Finanzmittel im Verhältnis zu den fälligen Verbindlichkeiten zu ermitteln. Soweit nur eine sog. Zahlungsstockung festgestellt wird, ist zu beurteilen, ob das Unternehmen entsprechend ihrer Planung in der Lage ist, in einem kurzfristigen Zeitraum die Zahlungsstockung zu beseitigen. Eine etwaige Insolvenzreife muss mit geeigneten Sofortmaßnahmen unverzüglich über-
326
VI. Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens
wunden werden, damit wieder eine positive Fortführungsprognose sichergestellt wird. Ergeben sich im Rahmen der Unternehmensplanung Hinweise auf eine drohen- 1367 de Zahlungsunfähigkeit und/oder eine Überschuldung, so muss darauf ebenfalls unverzüglich hingewiesen werden. Ist für den Gutachter erkennbar, dass eine Insolvenzantragspflicht bereits vor- 1368 liegt, so hat er die gesetzlichen Vertreter darauf hinzuweisen und muss seine Tätigkeit vorzeitig beenden. Er darf sich insoweit nicht an einer außergerichtlichen Sanierung weiterhin beteiligen, wenn die Insolvenzantragspflicht bereits besteht. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 4.5.
VI. Ausrichtung am Leitbild des sanierten Unternehmens Das Leitbild des sanierten Unternehmens ist Kernbestandteil des Sanierungs- 1369 konzepts. Es müssen insoweit die maßgeblichen Konturen für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in wirtschaftlicher Hinsicht dargestellt werden. Die geeigneten Sanierungsmaßnahmen müssen insoweit identifiziert werden 1370 und zu einer nachhaltigen Wettbewerbs- und Renditefähigkeit des Unternehmens führen, welches dadurch wieder attraktiv für Eigen- und Fremdkapitalgeber werden soll. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 63 ff.
Für potenzielle Erwerber im Rahmen des Unternehmenskaufs in der Krise 1371 sollte die Plausibilisierung dieses Abschnitts des Sanierungskonzepts ein Schwerpunkt der Financial Due Diligence sein. Das Leitbild des sanierungsfähigen Unternehmens muss mithin ein realisier- 1372 bares und zukunftsfähiges Geschäftsmodell umfassen. Der Weg zu den notwendigen Strukturveränderungen für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell ist transparent darzustellen und mit den wesentlichen Eckdaten zu beschreiben. Dies betrifft beispielsweise: x
Angaben zu den wesentlichen Geschäftsfeldern des Unternehmens mit –
ihren Produkt- und Marktkombinationen sowie
–
der zugehörigen Umsatz- und Kostenstruktur und
–
den hierfür erforderlichen Prozessen und Systemen.
x
Bestimmung der dafür erforderlichen Ressourcen und Fähigkeiten, die es zu entwickeln und zu nutzen gilt.
x
Festlegung der langfristigen Zielvorstellungen und Grundstrategien (inklusive Digitalisierungsstrategie).
327
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
x
Aussagen zu der angestrebten Wettbewerbsposition bzw. den angestrebten Wettbewerbsvorteilen für den Kunden und wie dies erreicht werden soll.
x
Implementierung einer Corporate Governance, die in ihrer Gesamtheit zudem die zu beachtenden Wertvorstellungen, Grundregeln und Verhaltensweisen, die den Kern der Unternehmenskultur bilden und das interne Miteinander sowie das Auftreten nach außen maßgeblich prägen (inklusive Environmental Socal Governanve „ESG“).
1373 Die einzelnen Bestandteile des Leitbildes sind nach dem Kriterium der Stimmigkeit zu analysieren und auszurichten. Folgerichtig ist zusammen mit den Stakeholdern im Laufe der Konzepterstellung das Leitbild anhand der gewonnenen Erkenntnisse weiterzuentwickeln. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 65 ff.
1374 Das Leitbild benennt die Ziele der Unternehmensentwicklung. Es bestimmt die Unternehmensstruktur und dessen Potenzial unter Effektivitäts- und Stimmigkeitsaspekten. Funktion, Aufgabe und Beitrag zur Wertschöpfung sollten entlang einer ggf. neu zu bestimmenden Prozessstruktur für jeden einzelnen Teilbereich erfasst werden. Zu den wesentlichen Bestandteilen der Unternehmensstruktur zählen: x
Produktions- und Absatzprogramm (Breite, Tiefe, Funktionen, Design, Qualität).
x
Marketing und Vertrieb (Segmentierung, Positionierung, Markenprägung, Distribution, Service, Werbung, Kontrahierung, Preispolitik).
x
Produktion und Beschaffung (Ausstattung, Kapazitäten/Standorte, Layout, Technologie, Vortestungen, Abläufe, Bestände, Lieferbeziehungen).
x
Forschung und Entwicklung (Fähigkeiten, Innovations- und Ideenmanagement, Vermarktungsprozess, Patente, Lizenzen).
x
Finanzen (Kapitalbedarf, Zugang zu Finanzquellen, Rating, Kapitalstruktur, Eigenkapitalrentabilität und Cashflow).
x
Belegschaft (Belegschaftsstärke, Qualifikationen, Arbeitszeitmodelle, Vergütung, Lernprogramme, Motivation).
x
Führungs- und Fachkräfte (quantitatives und qualitatives Potenzial, Motivation, Anreizsysteme).
x
Organisation (Organigramm, Abläufe, Führungs- und Entscheidungsprozesse, lernende Organisation, Unternehmenskultur).
x
Nachhaltigkeit (insbesondere Arbeitnehmer- und Umweltbelange, ESG).
x
Unterstützungssysteme (IT, Rechnungswesen, Controlling, Shared Services). Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 5.6.
328
VII. Beschreibung von Wettbewerbsvorteilen und Wettbewerbsstrategien
Das Leitbild lässt sich mit Kennzahlen konkretisieren, beispielsweise zu Markt- 1375 anteil, Bekanntheitsgrad, Kundenzufriedenheit, Innovationsleistung, Produktivität oder Mitarbeiterbindung. Für die Steuerung und Kontrolle der im Leitbild dargestellten Sanierungsmaßnahmen bietet sich die „Balanced Scorecard“ an. Deren Tiefen- und Breitendarstellung qualitativer und quantitativer Kennzahlen ermöglicht die Analyse von Interdependenzen zwischen den einzelnen Sanierungsmaßnahmen. Gleichzeitig ist die „Balanced Scorecard“ auf einzelne zu sanierende Teilbereiche anwendbar. Vgl. zur „Balanced Scorecard“ Niven, Balanced Scorecard, S. 52 ff.
VII. Beschreibung von Wettbewerbsvorteilen und Wettbewerbsstrategien Die Realisierung der Wettbewerbsfähigkeit wird das Krisenunternehmen nur 1376 erreichen, wenn es nachhaltig durch echte Wettbewerbsvorteile seine Marktposition festigt oder gar ausbauen kann. Einfache Wettbewerbsvorteile werden über Differenzierungsmerkmale gegenüber den Wettbewerbern erreicht. Beispielhafte Ansatzpunkte für solche Merkmale im Bereich: x
Produktion,
x
Preispolitik,
x
Kundenbindung,
x
Kundennähe,
x
Markenimage,
x
Service.
Zu einem echten Wettbewerbsvorteil werden Differenzierungsmerkmale 1377 dann, wenn sie im Vergleich zu anderen Wettbewerbern als relevante Besonderheit der Unternehmung x
vom Kunden wahrgenommen werden und
x
vom Kunden besonders honoriert werden sowie
x
dauerhaft und nur schwer imitierbar sind. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 5.6.
Des Weiteren muss das Unternehmen im Leitbild die entsprechende Strate- 1378 gie zur Realisierung von Wettbewerbsvorteilen des Unternehmens darstellen. Hierfür müssen die verschiedenen strategischen Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens unter dem Kriterium der Stimmigkeit so ausgewählt und zum Einsatz gebracht werden, dass daraus die verfolgten Wettbewerbsvorteile entstehen. Eine entsprechende strategische Positionierung und Wettbewerbsbehauptung kann dabei abzielen auf: x
Kosten-/Preiswettbewerb (Preisführerschaft: Nutzung von Skaleneffekten, Erfahrungskurveneffekte, Kostenminimierung). 329
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
x
Qualitäts- und Leistungswettbewerb.
x
Wettbewerb um Zeitvorteile (Responsewettbewerb: schnelle Einführungs-, Produktions-, Liefer-, Servicezeiten).
x
Innovations-/Technologiewettbewerb (Technologieführerschaft: hohe Innovationskraft, schnelle Produktentwicklung, Kenntnisse über Kundenbedürfnisse).
x
Wettbewerb um die beste Wertschöpfungsarchitektur (sog. Layer Competition: Bildung von Kernkompetenzen, Ausbau von Netzwerken, Outsourcing auf Spezialisten). Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 5.6.
VIII. Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise 1379 Dringlichkeit und Komplexität in Abhängigkeit des jeweiligen Krisenstadiums bestimmen Inhalte und Maßnahmen des Sanierungskonzeptes. Mithin muss jeweils gegenläufig zur Entwicklung der Krisenstadien gehandelt werden, um die konkrete Unternehmenskrise zu bewältigen. Die Sanierungsmaßnahmen müssen entsprechend der Dringlichkeit wie folgt priorisiert werden: x
Kurzfristig: Beseitigung von Insolvenzgründen (drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung).
x
Mittelfristig: Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramme zum Erreichen der Gewinnzone.
x
Strategische Neuausrichtung des Unternehmens für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 68.
1380 Für den Sanierungserfolg ist die Einhaltung der zeitlichen und finanziellen Vorgaben von entscheidender Bedeutung. Daher sind im Sanierungskonzept für die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen deren finanzielle Effekte, die zeitlichen und finanziellen Erfordernisse sowie die für die Umsetzung Verantwortlichen zu nennen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 71.
1. Sanierung in der Insolvenz 1381 Die Sanierung in der Insolvenz kann im Rahmen einer Eigenverwaltung in Verbindung mit dem Insolvenzplanverfahrens nach §§ 217 ff. InsO erfolgen. Auch das Schutzschirmverfahren kommt in Betracht. Die zahlreichen insolvenzrechtlichen Erleichterungen wie die Entlastung von unwirtschaftlichen Verträgen durch Beendigung von Dauerschuldverhältnissen sind zu berücksichtigen, um die Sanierung in der Insolvenz zu optimieren. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
330
VIII. Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise
2. Vermeidung der Insolvenz Mit Feststellung eines Insolvenzgrundes bleiben gemäß § 15a InsO nur noch 1382 Fristen von drei bzw. sechs Wochen, um durch geeignete Sanierungsmaßnahmen die Einleitung des Insolvenzverfahrens abzuwenden. Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit setzt voraus, dass das Unternehmen innerhalb der Drei-Wochenfrist wieder seine jeweils fälligen Verbindlichkeiten fristgerecht bezahlen kann. Zur Abwendung der Überschuldung innerhalb der SechsWochenfrist muss das Unternehmen die positive Fortführungsprognose wiederherstellen. Dies erfordert, dass für den Prognosezeitraum von mindestens zwölf Monaten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die jeweils fällig werdenden Verbindlichkeiten fristgerecht beglichen werden können. Als Sofortmaßnahmen zur Beseitigung bzw. Vermeidung der Zahlungsunfä- 1383 higkeit kommen beispielsweise in Betracht: x
Verlängerung des Zahlungsziels.
x
Stundung und/oder Verzicht von Verbindlichkeiten.
x
Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital.
x
Leasing statt Kauf.
x
Beschleunigte Rechnungsstellung.
x
Bestandsabbau.
x
Verschiebung von Großreparaturen.
x
Abbau freiwilliger Leistungen.
x
Verkauf von Grundstücken (inklusive „Sale-and-Lease-Back“).
x
Verkauf von Beteiligungen.
Die Überwindung oder Abwendung einer Überschuldung kann beispielsweise 1384 über nachfolgende Sanierungsmaßnahmen erfolgen: x
Eigenkapitalzuführung durch die Altgesellschafter oder Aufnahme neuer Gesellschafter.
x
Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital.
x
Gesellschafterdarlehen oder Drittdarlehen mit Rangrücktritt.
x
Aufnahme von nachrangigem Mezzanine-Kapital.
x
Harte interne Patronatserklärung mit Regressverzicht.
x
Freistellung/Bürgschaft mit Regressverzicht.
x
Beiträge der Gläubiger und der Belegschaft (Sanierungstarifvertrag etc.).
331
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
1385 Die Insolvenzvermeidung eines Unternehmens hängt auch davon ab, ob es bei der Umsetzung des Sanierungskonzeptes gelingt, durch die Nutzung bestehender und den Aufbau neuer Unternehmenspotenziale den Sanierungsspielraum zu erweitern. Dazu müssen sog. „Realoptionen“, also zugesagte sowie ernsthaft in Aussicht gestellte Absicherungen und Beiträge der Stakeholder, auf ihre Gültigkeit geprüft werden. 3. Überwindung der Liquiditätskrise 1386 Zur Überwindung einer Liquiditätskrise sind vorhandene Liquiditätsreserven zu mobilisieren. Verbleibende Liquiditätslücken sind extern durch Zuführung liquider Mittel oder Zahlungsmoratorien zu schließen. Ziel all dieser Maßnahmen ist die Wiedererlangung einer hinreichenden Kreditwürdigkeit. Ansatzpunkte zur Erschließung vorhandener Liquiditätspotenziale sind z. B.: x
Optimierung der Lagerhaltung.
x
Reduzierung der Forderungslaufzeiten.
x
Factoring von Forderungen.
x
Outsourcing von Randfunktionen/-geschäften.
x
„Sale-and-Lease-Back“ von Anlagegütern.
4. Überwindung der Erfolgskrise 1387 Um eine Erfolgskrise nachhaltig zu überwinden, ist das Minimalziel eine angemessene branchenübliche Rendite. Ansatzpunkte hierfür sind der Rückzug aus defizitären Geschäftsfeldern und die Konzentration auf wichtige Kerngeschäfte. Eine Aufgabe einzelner Geschäfte kann erfolgen durch: x
Stilllegung von Tochterunternehmen, Standorten oder Produktlinien.
x
Verkauf von Geschäftsbereichen.
x
Outsourcing von Funktionsbereichen und Fremdvergabe der betroffenen Aktivitäten.
1388 Regelmäßig wird die Konzentration auf das Kerngeschäft durch die Straffung des Leistungssortiments und die Reduzierung der Fertigungstiefe zur Überwindung der Erfolgskrise zu empfehlen sein. 1389 Ein weiterer Ansatzpunkt zur Überwindung der Erfolgskrise ist die Verbesserung der Kostenstruktur und die Steigerung der Umsatzerlöse. Ansatzpunkte zur Verbesserung der Kostenstruktur sind beispielsweise: x
Senkung der Bezugspreise.
x
Verbesserung der Ressourceneffizienz bzw. Optimierung der Verbrauchsmengen.
332
VIII. Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise
x
Verminderung der Ausschussquote.
x
Senkung der Lagerkosten und der Kapitalbindungskosten.
x
Reduktion und Bereinigung der Artikelvielfalt.
x
Veränderungen der Vergütungsstruktur im Personalbereich.
x
Personalabbau.
x
Senkung/Flexibilisierung der Fixkosten.
x
Abbau von Leerkosten durch bessere Kapazitätsauslastung.
Nachfolgende Maßnahmen kommen zur Steigerung der Umsatzerlöse in Be- 1390 tracht: x
Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse.
x
Verbesserung des Liefer- und Leistungsprogramms.
x
Stärkerer Fokus auf die Kundenbedürfnisse.
x
Marketing- und Vertriebsmaßnahmen zur Erzielung von Mengen- und/ oder Preiserhöhungen. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
5. Überwindung der Produkt- und Absatzkrise Bei der Überwindung einer Produkt- und Absatzkrise ist zunächst zu diffe- 1391 renzieren, ob die Krise durch externe Schocks nur vorübergehend ist oder langfristig das Unternehmen belastet. Ist die Produkt- und Absatzkrise offensichtlich nur von vorübergehender Dauer, so sind lediglich bestandswahrende Maßnahmen zur Sicherung des Know-hows und des Belegschaftspotenzials mit seinen Qualifikationen einerseits und zur Überbrückung der vorübergehenden Schwächephase durch striktes Kostenmanagement andererseits zu identifizieren. Nachfolgende bestandswahrende Maßnahmen kommen in Betracht: x
Einführung von Kurzarbeit,
x
Rücknahme von Leiharbeit,
x
Abbau von Zeitguthaben und
x
Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
Kann die Produkt- und Absatzkrise nicht durch kurzfristige Überbrückungs- 1392 maßnahmen überwunden werden, so müssen die Kapazitäten strukturell angepasst werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Stellt sich heraus, dass die Produkte oder Dienstleistungen nur noch bedingt marktfähig sind, ist vorab das zukünftige Absatzpotenzial zu bestimmen. Neben den Modifikationen 333
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
im eigentlichen Leistungsprozess sind auch die Unterstützungsprozesse im Unternehmen anzupassen. Dazu zählen insbesondere die bisherigen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen zwecks Verbesserung der Absatzchancen. 1393 Liegen die Probleme der Produkt- und Absatzkrise auf der Ebene der Leistungserbringung, müssen Maßnahmen definiert werden, mit denen die relevanten Funktionen und Prozesse verbessert werden. Dazu zählen beispielsweise: x
Einführung von Produktinnovationen oder Neuprodukten.
x
Beseitigung von Qualitäts- und Belieferungsmängeln.
x
Behebung von Ertragsnachteilen.
1394 Die zusätzlichen Anpassungskosten führen regelmäßig vorübergehend zu weiteren Rendite- oder Gewinneinbußen, die zu berücksichtigen sind. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
1395 Ein nützliches Instrument zur Identifizierung unerkannter Verbesserungspotenziale in der Leistungserstellung sind „Benchmarking-Verfahren“. Im Vergleich zu den Besten einer Branche („Best Practices“) oder zu Branchen mit ähnlichen Prozessabläufen können Referenzen zur Leistungsoptimierung abgeleitet werden. Vgl. Siebert/Kempf, Benchmarking, S. 14 ff.
6. Überwindung der Strategiekrise 1396 Gilt es, eine Strategiekrise zu überwinden, ist die Wiedererlangung einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit wesentlich. Dafür kann es in einem ersten Schritt erforderlich sein, sich auf die strategischen Optionen zu konzentrieren, bei denen die Ressourceneinsätze höchstmögliche Effektivität versprechen. Eine positive Liquiditäts- und Erfolgsprognose als Ergebnis der integrierten Unternehmensplanung ist dafür allein nicht ausreichend. Maßgeblich sind zusätzlich die Kriterien für das Erlangen einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit, damit das Unternehmen seine Marktanteile halten oder sogar ausbauen kann. 1397 Eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit kann aber langfristig nur durch Alleinstellungsmerkmale in Form von echten Wettbewerbsvorteilen gehalten werden. Entsprechend erfolgt eine strategische Neuausrichtung auch immer an den Bedürfnissen der Kunden. Dabei müssen alle Maßnahmen zur strategischen Neuausrichtung den Anforderungen der Effektivität, Nachhaltigkeit und Stimmigkeit entsprechen. Durch Kombination materieller, immaterieller, personeller und finanzieller Ressourcen werden organische Fähigkeiten geschaffen, die interne Wettbewerbsvorteile sichern. Mögliche Ansatzpunkte können beispielsweise sein: x
Beherrschung einzelner Technologien oder wichtiger Prozesse: –
334
Produktentwicklung
VIII. Stadiengerechte Bewältigung der Unternehmenskrise
– x
x
Absatzentwicklung
Besondere Stärken in einzelnen Funktionen: –
Kundenakquisition
–
Produktion
–
Montage
–
Service
Effizientere Systeme: –
Aufbauorganisation
–
Ablauforganisation
–
Controlling- und Reportingsystem
Zur Überwindung der Strategiekrise kann die strategische Neuausrichtung 1398 weiter differenziert werden. So wird zwischen geeigneten Produkt-MarktStrategien und Ressourcen-Strategien. Die zur Strategieoptimierung umzusetzenden Maßnahmen bewegen sich dabei im Spannungsfeld von Qualität, Kosten und Zeit. Die Zielerreichung der im Leitbild des Unternehmens festgelegten mittel- und 1399 langfristigen Ziele wird in der strategischen Unternehmensplanung beschrieben. Folgende Maßnahmenpakete kommen insbesondere in Betracht: x
x
Stärkung des Kerngeschäfts, z, B. durch –
gezielte Profilierung der Marke und des Produkts,
–
Definition des Marktsegments oder der Nischenbelegung,
–
Profilierung durch Identifikation und Ausbau der Stärken und Eliminierung von Schwachstellen.
Ausweitung des Kerngeschäfts durch das Angebot –
komplementärer Produkte und Dienstleistungen,
–
integrierter Lösungen über die bisherigen Leistungen hinaus.
x
Transfer angestammter Produkte, Marken, Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen auf neue
x
– Anwendungsfelder auf: –
neue Kunden,
–
neue Regionen,
–
neue Geschäftsfelder.
335
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten
x
x
Entwicklung neuer Erfolgspotenziale: –
Produkt- und Prozessinnovationen;
–
Aufbau von Kernkompetenzen;
–
Öffnung für Partnerschaften;
–
Einführung von Netzwerkstrukturen und strategischen Allianzen.
Reduzierung des Risikos, etwa durch: –
Ausstieg aus besonders risikoreichen Geschäftsfeldern;
–
Begrenzung und Reduzierung operativer Risiken;
–
Transfer von Risiken auf Dritte (Versicherungsunternehmen, Kapitalmarkt);
–
Stärkung des Risikopuffers (z. B. durch höhere Eigenkapitalausstattung oder Ausweitung des verfügbaren Liquiditätsrahmens). Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
7. Überwindung der Stakeholderkrise 1400 Im Rahmen der Stakeholderkrise gilt es, das verlorengegangene Vertrauen in die Unternehmensleitung oder die Aufsichtsorgane zurückzugewinnen. Mit allen Interessengruppen sollte ein Konsens zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zu einer gemeinsam getragenen und gelebten Unternehmens- und Zielstruktur gefunden werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt hierfür sind die Ziele einer guten Corporate Governance. Die Unternehmensführung muss in der Lage sein: x
Das Unternehmensleitbild entsprechend den Markt- und Wettbewerbsanforderungen zu präzisieren und weiterzuentwickeln.
x
Angemessene Zielvorgaben abzuleiten und der Belegschaft vorzugeben.
x
Durch Vorbild und Vorleben eine starke Unternehmenskultur zu prägen.
x
Strukturen für eine angemessene innerbetriebliche Kommunikation zu schaffen.
x
Die ständigen Wandlungsanforderungen des Unternehmens zu bewältigen.
x
Das erforderliche Vertrauen seiner internen und externen Stakeholder zu gewinnen. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 6.1.
336
IX. Integrierte Sanierungsplanung
IX. Integrierte Sanierungsplanung Die integrierte Sanierungsplanung beschreibt, ausgehend vom Zeitpunkt der 1401 Sanierungskonzepterstellung, mit welchen Maßnahmen das Leitbild des sanierten Unternehmens erreicht werden soll. Mit der integrierten Sanierungsplanung werden die zeitlichen und finanziellen Effekte der Sanierungsmaßnahmen in einer integrierten GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung dargestellt. Mit der Verwendung geeigneter Kennzahlen kann die Tragfähigkeit und Stimmigkeit des Sanierungskonzeptes weiter plausibilisiert werden. Etwaige Kennzahlen sind regelmäßig auch im Rahmen von Covenants in Finanzierungsverträgen vertraglich vereinbart. Die Finanzierbarkeit der Sanierungsmaßnahmen ist insoweit durch rechnerische Verprobung zu plausibilisieren. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 72 f.
Folgende Kennzahlen können hierfür insbesondere in Betracht kommen: x
x
x
1402
Liquiditätskennzahlen: –
Liquiditätsgrade I – III
–
Cashflow in Prozent vom Umsatz
–
Schuldentilgungsdauer in Jahren
–
Kapitaldienstdeckungsfähigkeit/Debt Service Coverage
Ertragskennzahlen: –
Gesamtkapitalrentabilität
–
Eigenkapitalrentabilität
–
Umsatzrentabilität
–
Material-/Fremdleistungsquote
–
Personalaufwandsquote
–
EBITDA in Prozent vom Umsatz
Vermögenskennzahlen: –
Eigenmittelquote
–
Verschuldungsgrad
–
Anlagendeckung
–
Working Capital
–
Laufzeit der Debitoren und Kreditoren in Tagen
–
Vorratsreichweite in Tagen.
337
D. Grundlagen für den Umgang mit Sanierungskonzepten Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 7.4.
1403 Bei der Darstellung der Maßnahmeneffekte sind deren Auswirkungen auf die künftige Ergebnis-, Finanz- und Vermögenslage zu erläutern. Zu Beginn der Sanierung ist eine strikte Ergebniskontrolle der geplanten Auswirkungen erforderlich, da in akuten Krisensituationen nur ein stark eingeengter Handlungsspielraum zur Verfügung steht. Entsprechend sind alle Aktivitäten regelmäßig auf ihre Effektivität und Effizienz hin zu überprüfen und ggf. anzupassen. Es wird daher für das laufende und das folgende Jahr eine möglichst monatliche Beschreibung und Quantifizierung der Maßnahmeneffekte. Dabei ist auch anzugeben, welche Maßnahmen bereits eingeleitet und mit welchem Grad diese bereits realisiert wurden. Für die Folgejahre sind viertelbzw. halbjährliche Planangaben ausreichend. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 74.
1404 Für den Sanierungsplan wesentliche Annahmen sind besonders hervorzuheben. Mögliche Determinanten sind z. B.: x
Entwicklung von Rohstoffpreisen.
x
Wachstum von Auslandsmärkten.
x
Wechselkursstabilität.
x
Preisentwicklung auf der Nachfrageseite.
x
Wettbewerbsentwicklung.
x
Stabilität der Rechtslage (z. B. Steuerrecht).
x
Fortsetzung wichtiger Verträge mit Großkunden und wesentlichen Lieferanten. Vgl. IDW Life 2018, 813 ff. F & A zu IDW S 6, Frage 7.3.
1405 Um Planungsunsicherheiten zu berücksichtigen, kann es zudem sachgerecht sein, verschiedene Szenarien i. S. v. Sensitivitäts- oder Alternativrechnungen durchzurechnen. Alternativ kann mit einer quantitativen Risikoeinschätzung die Aufrechterhaltung von Liquidität und einer vorgegebenen Eigenmittelquote oder Einhaltung von weiteren Covenants in Finanzierungsvereinbarungen abzuschätzen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 80.
1406 Eine integrierte Sanierungsplanung kann nur dann hinreichend realisiert werden, wenn das Maßnahmenbündel in seiner Gesamtheit betrachtet wird. Die wesentlichen Querbeziehungen innerhalb eines Maßnahmenbündels sind hierbei zu berücksichtigen. Notwendige Bedingung für den Erfolg der Sanierung ist somit die Stimmigkeit der einzelnen Maßnahmen zueinander. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 77.
338
IX. Integrierte Sanierungsplanung
Der Aufbau eines Sanierungsplans im Sanierungskonzept ist als integrierter 1407 Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan zu erstellen. Ausgehend von den betrieblichen Teilplänen mit Absatz-, Investitions- und Personalplanung sowie unter Berücksichtigung der abgeleiteten Sanierungsmaßnahmen ist eine PlanGewinn- und Verlustrechnung, eine Plan-Bilanz und darauf aufbauend ein Finanzplan zu entwickeln. Für das laufende und das folgende Planjahr ist der Sanierungsverlauf monatlich zu beschreiben und zu quantifizieren. Für die Folgejahre können die Planangaben auch auf Quartals-, Halbjahres- oder Jahresbasis erstellt werden. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 78.
Die Analyse der Planabweichungen sowie die Planfortschreibung sind nicht 1408 Bestandteil des Sanierungskonzeptes. Dennoch verweist der Standard auf die Notwendigkeit dieser Tätigkeiten, Planabweichungen zu identifizieren und ggf. gegenzusteuern. Des Weiteren wird auf die Erforderlichkeit einer fortgesetzten Beratung während der gesamten Sanierungsphase hingewiesen. Vgl. IDW S 6, IDW Life 2018, 813 ff. Rn. 83.
Für einen potenziellen Erwerber empfiehlt sich daher neben den Manage- 1409 mentgesprächen zusätzlich ein Informationstreffen mit den Sanierungsberatern zu verlangen, um hierdurch ergänzende Informationen zu dem Sanierungskonzept und zu dessen aktuellem Umsetzungsgrad zu erlangen. Insbesondere die integrierte Sanierungsplanung kann insoweit als Grundlage bzw. Ausgangspunkt für die eigene Unternehmensbewertung aus Sicht des potenziellen Erwerbers dienen.
339
E. Grundlagen der Unternehmensbewertung I. Theoretische Grundlagen 1. Allgemeines Im Rahmen von Unternehmenskäufen in der Krise werden häufig – insbe- 1410 sondere bei übertragenden Sanierungen aus der Insolvenz – nur die erworbenen Vermögensgegenstände als „Assets“ einfach summarisch mit dem jeweiligen Fortführungswert bewertet. Ausgangspunkt ist insoweit regelmäßig das Vermögensverzeichnis gemäß § 153 InsO i. V. m. dem Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, wonach der Insolvenzverwalter für jeden Vermögensgegenstand jeweils den Zerschlagungs- und Fortführungswert anzugeben hat. Bei größeren Unternehmenskäufen oder beim Erwerb von Tochtergesell- 1411 schaften werden dagegen regelmäßig betriebswirtschaftlich anerkannte Unternehmensbewertungsverfahren angewandt. Den Wert eines Unternehmens zu bestimmen heißt, dieses Unternehmen mit Investitionsalternativen zu vergleichen, die einem Investor offenstehen. Unter dieser Zielstellung bestimmt sich der Wert eines Unternehmens ausschließlich anhand finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen einhergehenden Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner. Durch die Anwendung des Barwertkalküls wird mit der Diskontierung dieser Nettozuflüsse zum Alternativzinssatz implizit ein Vergleich mit der diesen Zins reflektierenden Geldanlagemöglichkeit vorgenommen. Die Bewertung von Unternehmen ist eng mit der Finanzierungstheorie ver- 1412 bunden, die sich ständig weiterentwickelt. Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) hat zur Unternehmensbewertung einen sog. IDW Standard veröffentlicht, der die in der Theorie, Praxis und Rechtsprechung entwickelten Standpunkte als Grundsätze darstellt. Dieser Standard ist gerichtsfest und allgemein anerkannt. Die Unternehmenssteuerreform 2008 veranlasste den Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW am 2.4.2008 die aktuell geltende Fassung des IDW S 1 zu verabschieden. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 ff.
Der IDW S 1 unterscheidet zwischen dem subjektiven Entscheidungswert 1413 und einem objektivierten Unternehmenswert. Der subjektive Entscheidungswert dient der individuellen Wertfindung eines (potenziellen) Eigentümers, wobei dessen persönliches Entscheidungsfeld, also seine Möglichkeiten, Verhältnisse und Planungen zugrunde zu legen sind. Bei dem objektivierten Unternehmenswert handelt es sich hingegen um einen von einem neutralen Gutachter ermittelten typisierten Zukunftserfolgswert, der mit nachvollziehbarer Methodik ohne die individuellen Wertvorstellungen der betroffenen Parteien zustande kommt. Dieser Wert findet vor allem im Schiedsstellenverfahren
341
E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
und insbesondere für im Aktien- oder Umwandlungsgesetz geregelte Bewertungsanlässe seine Anwendung. In der Praxis lassen auch Verkäufer/Insolvenzverwalter vorab einen objektivieren Unternehmenswert ermitteln, um z. B. im Rahmen eines Bieterverfahrens einen strukturierten Verkaufsprozess einzuleiten und die Angemessenheit der ersten indikativen Gebote zu plausibilisieren. Hierbei kann insbesondere auf ein bereits vorliegendes Sanierungskonzept i. S. d. IDW S 6 aufgebaut werden, in welchem das Leitbild des Unternehmens bei Überwindung der Krise dargestellt wird. 1414 Hinsichtlich der Bewertung ist das zu bewertende Unternehmen in das für den Betrieb notwendige und in das nicht betriebsnotwendige Vermögen zu trennen. Die Abgrenzung erfolgt funktional, denn alle Vermögensteile, die frei veräußert werden können, ohne dass davon das eigentliche Ziel des Unternehmens berührt wird, gehören zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen. 1415 Für die Fortführung des Unternehmens auf Basis des betriebsnotwendigen Vermögens wird der eigentliche Unternehmenswert bestimmt. Diesem ist der gesondert bestimmte Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zuzurechnen. Sofern der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens unter Beachtung der Besteuerungswirkungen einen eventuellen Fortführungswert übersteigt, stellt die Liquidation die vorteilhafte Alternative und damit die Grundlage zur Bewertung dar. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 279 Rn. 59 ff.
1416 Der eigentliche Unternehmenswert stellt einen Gesamtwert dar. Er bestimmt sich nicht aus der Summe der Werte der Vermögensgegenstände („Assets“) abzüglich der Schulden, sondern ergibt sich regelmäßig als Barwert künftiger finanzieller Überschüsse (Zukunftserfolgswert), wobei von der Fortführung des Unternehmens unter gleichzeitiger Annahme der zeitnahen Veräußerung nichtbetriebsnotwendigen Vermögens ausgegangen wird. Da beim Erwerb aus der Insolvenz nur die betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände erworben werden, sind auch nur deren künftigen finanziellen Überschüsse im Rahmen der Bewertung für den Erwerber zu berücksichtigen. Im Rahmen der betriebswirtschaftlich anerkannten Unternehmenswertermittlung kommt dem Substanzwert keine eigenständige Bedeutung zu. 1417 Durch die Unternehmensbewertung auf Basis standardisierter Verfahren ist die Vergleichbarkeit verschiedener Investitionsmöglichkeiten gegeben, wobei im Falle des hier relevanten subjektiven Entscheidungswerts durch den Einfluss subjektiver Elemente eine beträchtliche Wertbeeinflussung möglich ist. Insofern sind die Bewertungsanlässe im Rahmen des Ertragswertverfahren und des „Discounted-Cashflow-Verfahren“ (DCF-Verfahren) jeweils zu berücksichtigen, da als neutraler Gutachter ein objektivierter Unternehmenswert unter Berücksichtigung einer Kapitalmarktbewertung und als Berater des Käufers dagegen der subjektive Unternehmenswert abhängig von dessen individuellem Entscheidungsfeld zu ermitteln ist.
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I. Theoretische Grundlagen
2. Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse Da der Unternehmenswert als Barwertsumme künftiger finanzieller Über- 1418 schüsse bestimmt wird, sind die jährlich zufließenden Nettoeinnahmen der Unternehmenseigner zu ermitteln. Diese ergeben sich aufgrund von geplanten Ausschüttungen bzw. Entnahmen abzüglich eventueller Einlagen nach Abzug persönlicher Einkommensteuern. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 277 Rn. 35 ff.
Die Ermittlung finanzieller Überschüsse erfordert eine Prognose für die Zu- 1419 kunft und kann daher nur mittels plausibilisierter Schätzung der künftigen Zahlungsströme erfolgen. Mithin sind alle für die Prognose verfügbaren unternehmens- und marktorientierten zukunftsbezogenen Informationen erforderlich. Vergangenheitsbezogene Daten sind nur als Schätzgrundlage für die Zukunftsdaten von Bedeutung. Zuerst ist im Rahmen der Vergangenheitsanalyse auf die in der vorangegangenen Zeit stattgefundene Entwicklung abzustellen und in diesem Rahmen sind Erfolgsursachen zu ermitteln. Weiterhin sind für eine Prognose künftiger Zahlungsüberschüsse, die nur aus dem betriebsnotwendigen Vermögen stattfinden sollen, die Vergangenheitsdaten dementsprechend zu bereinigen, d. h., Aufwendungen/Erträge des nicht betriebsnotwendigen Vermögens sind für die Vergangenheitsrechnungen, von denen ausgegangen werden soll, zu eliminieren. Aufbauend auf der Vergangenheitsanalyse sind künftige finanzielle Über- 1420 schüsse unter Berücksichtigung von Markt-, Branchen- und Umweltentwicklungen zu prognostizieren. Dazu ist das zum Bewertungsstichtag zugrunde liegende Unternehmenskonzept samt eingeleiteter oder hinreichend konkretisierter Maßnahmen auf Veränderungen der Ertragskraft zu würdigen. Auch unechte, d. h., durch Zusammenschluss mit fast jedem anderen Unternehmen erzielbare Synergieeffekte (Verschlankung der Verwaltung etc.) sind stets zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ermittlung subjektiver Unternehmenswerte sind darüber hinaus auch geplante oder bereits erkannte und als sinnvoll beurteilte realisierbare Veränderungen und echte Synergieeffekte, d. h. durch Zusammenschluss mit einem dem Erwerber gehörenden Unternehmen, mit ihren Auswirkungen abzubilden. Für die Ermittlung subjektiver Unternehmenswerte ist weiterhin von der Ri- 1421 sikoeinstellung des Erwerbers auszugehen, die sich u. U. unternehmenswertverändernd in einer geänderten zukünftigen Kapitalstruktur (Verschuldungsgrad) ausdrückt. Der Standard IDW S 1 sieht eine zeitliche Aufteilung der Bewertung in ver- 1422 schiedene Phasen vor, deren Vorhersagbarkeit anfänglich höher ist und mit fortschreitendem Zukunftsbezug abnimmt. In den meisten Fällen erfolgt die Bewertung in einem Zwei-Phasen-Modell, bei dem in der ersten Phase eine Detailplanung erfolgt und sich daran eine Phase anschließt, in der gleichbleibende Bedingungen oder ein gleichbleibendes Wachstum angenommen werden.
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E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
1423 In der ersten, näheren Detailplanungsphase, die einen Zeitraum von ca. drei bis fünf Jahren erfasst, werden auf Basis integrierter Unternehmensplanungsrechnungen ausgehend von der Einnahmen- oder Ertragsüberschussrechnung aufgestellt. Bei einer Ertragsüberschussrechnung ist zudem noch auf die jährlichen ausschüttbaren Einnahmenüberschüsse überzuleiten. Da diese Rechenwerke sich jeweils gegenseitig beeinflussen, denn z. B. dient der Ertragsüberschuss als Grundlage der Bemessung der Steuerzahlungen, sind für eine Zukunftssimulation integrierte Planungsrechnungen aufzustellen (Zahlungsplanung mittels Planinvestitions- und -finanzierungsrechnungen, Planbilanzen, Plangewinn- und Verlustrechnungen sowie steuerliche Gewinnermittlungen). 1424 Die fernere zweite Phase baut auf den Ergebnissen der Detailplanung der ersten Phase auf. Für diese zweite Phase, die regelmäßig als bis in alle Zukunft andauernd geplant wird, ist eine Entscheidung zu treffen, ob sich das Unternehmen in einem Beharrungs- oder in einem Wachstumszustand befinden soll und ob damit die finanziellen Überschüsse im Rahmen einer konstanten oder einer wachsenden ewigen Rente anzunehmen sind. Aufgrund der Totalperiodengleichheit von Zahlungs- und Ertragsüberschüssen können in dieser Phase die jährlichen Gewinne als Surrogat für die Zahlungen verwendet werden. Wegen des starken Gewichts der Zahlungsströme der zweiten Phase auf den Unternehmenswert kommt den hier getroffenen Annahmen eine besondere Bedeutung zu. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 280 Rn. 75 ff.
1425 Bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts ist insoweit von der Ausschüttung der finanziellen Überschüsse unter Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen auszugehen. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 277 Rn. 35.
1426 Der Standard IDW S 1 empfiehlt aufgrund der Fülle von Einflussfaktoren mehrwertige Planungen zu erstellen, um das Ausmaß künftiger Unsicherheiten der Zahlungsüberschüsse darzulegen und dem Erwerber bzw. Veräußerer mögliche Szenarien zu verdeutlichen. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 281 Rn. 80.
3. Kapitalisierung der künftigen Überschüsse 1427 Der Unternehmenswert i. S. d. Zukunftserfolgswerts wird durch Diskontierung der künftigen finanziellen Zahlungsüberschüsse auf den Bewertungsstichtag ermittelt, wobei die Barwerte für das betriebsnotwendige und das nicht betriebsnotwendige Vermögen getrennt ermittelt werden. 1428 Da das Unternehmen mit einer Alternativinvestition, die einem Investor offensteht, implizit durch den verwendeten Kalkulationszinsfuß im Barwertkalkül verglichen wird, kommt diesem Zinsfuß eine stark wertbeeinflussende Wirkung zu. Der Kalkulationszinsfuß sollte die beste künftige Alternativverwendung der
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I. Theoretische Grundlagen
Geldmittel in Höhe des Kaufpreises abbilden und deshalb stets von den mit dem Unternehmen vergleichbaren Risikoprämissen ausgehen. In Theorie und Praxis wird einstimmig davon ausgegangen, dass Wirtschafts- 1429 subjekte künftige Risiken höher bewerten als die künftigen Chancen, also risikoavers sind. Zur Verarbeitung dieser Risikoaversion bieten sich zwei Vorgehensweisen an: Zum einen die Zinszuschlagsmethode und zum anderen die sog. Sicherheitsäquivalenzmethode. Im Rahmen der Risikozuschlagsmethode wird unterstellt, dass ungewisse Zahlungen mit einem höheren Zinssatz als Risikozuschlag zu diskontieren sind und somit ein Zuschlag auf den sicheren Basiszinssatz anzuwenden ist. Das Risiko wird ausschließlich im Kalkulationszinsfuß berücksichtigt. Anders geht die Sicherheitsäquivalenzmethode vor. Bei dieser wird gefragt, wie hoch eine sichere Zahlung sein müsste, damit sie der Käufer bzw. Veräußerer als gleichwertig zu der ungewissen mehrwertigen Zahlungsverteilung ansieht, von der jede Ausprägung mit jeweils unterschiedlichem Risiko eintreten wird. Im Rahmen der Sicherheitsäquivalenzmethode werden stets sichere Zahlungen dargestellt, die risikoäquivalent ebenfalls mit einem, dem Basiszinssatz entsprechenden, Kalkulationszinsfuß abzuzinsen sind. Hier findet eine ausschließliche Risikoberücksichtigung in den Zahlungsströmen statt. Der Zinszuschlagsmethode ist in der Praxis der Vorzug einzuräumen, da sie sich auf empirisches Verhalten stützt. Sie bietet zudem die Möglichkeit – gerade in Anwendung der DCFVerfahren – die Risikozuschläge marktorientiert zu bestimmen. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 282 Rn. 88 ff.
Die konkrete Höhe des Risikozuschlags kann in der Praxis nur mithilfe von 1430 Typisierungen und vereinfachenden Annahmen festgelegt werden. Dazu sind regelmäßig am Markt beobachtete Risikoprämien den Besonderheiten des Bewertungsfalls anzugleichen, da jedes Unternehmen spezifischen Risiken und Chancen unterliegt und die Risikoprämien an künftige Erwartungen anzupassen sind. Alle größeren Wirtschaftsprüfungs- und Bewertungsgesellschaften führen dazu umfangreiche Datenbanken. Als Bandbreite für die Bemessung der Marktrisikoprämie wird aufgrund der aktuellen Finanzmarktrahmenbedingungen 5 % bis 7 % als sachgerecht bewertet. Eine Risikozuschlagsbestimmung zur Marktwertbestimmung kann insbe- 1431 sondere auf der Basis des „Capital Asset Pricing Models“ (CAPM) und unter Berücksichtigung der Besteuerung auf Basis des Tax-CAPM marktgestützt vorgenommen werden. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 282 Rn. 100 ff.
Neben der Risikosituation ist ebenfalls die steuerliche Situation sachgerecht 1432 abzubilden. Da nachsteuerliche Zahlungen diskontiert werden, sind auch die Zuwächse der Alternativanlage und damit ein nachsteuerlicher Kalkulationszinsfuß anzuwenden. Der Kapitalisierungszinssatz ist mithin um die Steuerbelastung zu mindern, die auf die Alternativanlage entfällt. Seit der Unternehmenssteuerreform 2008 ist der Kapitalisierungszinssatz um die Steuerbe345
E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
lastung zu mindern, die sich ab dem Jahr 2009 aufgrund der Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlags ergibt. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 283 Rn. 93; weiterführend Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731 ff.; Wiese, WPg 2007, 368 ff.; Ballwieser/Kruschwitz/Löffler, WPg 2007, 765 ff.
1433 Neben der risikoadjustierten und steuerlichen Anpassung des Kalkulationszinsfußes findet ein unendliches Wachstum der finanziellen Überschüsse mit der gleichen Rate, wie es ggf. in der zweiten Phase angenommen wird, im Diskontierungssatz über den Abzug eines Wachstumsfaktors seinen Niederschlag. In der Detailplanungsphase wird das Wachstum hingegen in den finanziellen Überschüssen abgebildet. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 283 Rn. 94 ff.
4. Ertragswert- und „Discounted-Cashflow-Verfahren“ 1434 Sowohl das Ertragswertverfahren als auch die „Discounted-Cashflow-Verfahren“ (DCF-Verfahren) beruhen auf den gleichen konzeptionellen Grundlagen der Barwertbildung mithilfe eines, die Alternativanlage darstellenden Kalkulationszinsfußes. Die verschiedenen zugrunde liegenden Methoden lassen sich bei gleichen Annahmen ineinander überführen und errechnen somit stets den gleichen Unternehmenswert. Werden dennoch unterschiedliche Unternehmenswerte ermittelt, so liegt das an den unterschiedlichen zugrunde gelegten Annahmen. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 284 Rn. 101
a) Ertragswertverfahren 1435 Im Ertragswertverfahren bestimmt sich der Wert eines Unternehmens, indem die künftigen den Eigentümern zufließenden finanziellen Überschüsse (Ausschüttungen oder Dividenden) in geeigneter Weise kapitalisiert werden. Die obigen Ausführungen zur Prognose künftiger Überschüsse und zum Kalkulationszinsfuß gelten entsprechend. Besonders sind Risiken, die aus der Kapitalstruktur und deren Fristigkeit und etwaiger Veränderung herrühren, gebührend im Kalkulationszinsfuß zu berücksichtigen. Bei der Ertragswertbestimmung im Rahmen des sog. objektivierten Unternehmenswerts ist von vielen, intersubjektiv nachvollziehbaren, Annahmen auszugehen. Vgl. weiterführend zu den anzuwendenden Prämissen IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 285 Rn. 114 ff.
1436 Zur Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte richtet sich die Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes nach den individuellen Verhältnissen des Investors.
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I. Theoretische Grundlagen
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E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
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I. Theoretische Grundlagen
b) Die „Discounted-Cashflow-Verfahren“ Die DCF-Verfahren unterteilen sich in drei relevante Verfahren zur marktmä- 1437 ßigen Unternehmensbewertung. Zu trennen sind in diesem Zusammenhang die „Entity-„ und die „Equity-Verfahren“, wobei bei ersteren ein Unternehmensgesamtwert für alle Kapitalgeber und bei letzteren nur der Unternehmenswert der Eigenkapitalgeber bestimmt wird. Im Rahmen der „Entity-Verfahren“ sind das Verfahren des „Weighted Average Cost of Capital“ (WACC) und der Ansatz des „Adjusted Present Value“ (APV) relevant. Beiden Verfahren ist immanent, dass sie einen Gesamtunternehmenswert ermitteln, wobei im WACCAnsatz von einer relativen Verschuldung ausgegangen wird, die sich anhand eines Anteils am gerade zu ermittelnden marktmäßigen Gesamtunternehmenswert bestimmt. Das „Adjusted-Present-Value-Verfahren“ geht hingegen von einer fest vorgegebenen, d. h. in absoluten Werten bestehenden Verschuldung aus. Abgesehen von den Steuereinflüssen bestimmen beide Verfahren den Gesamtwert der Investition, also unabhängig von der Finanzierung den Wert eines unverschuldeten Unternehmens. Als finanzielle Überschüsse werden sowohl im WACC- als auch im APV- 1438 Verfahren die sog. „Free Cashflows“, also eine Größe verwendet, die allen Kapitalgebern zugutekommende Ansprüche enthält: Handelsrechtliches Jahresergebnis +
Fremdkapitalzinsen
–
Tax Shield (Steuerersparnis durch den Fremdkapitalzinsabzug auf Unternehmensebene)
+
Nicht zahlungswirksame Aufwendungen (vor allem Abschreibungen)
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E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
–
Zahlungsunwirksame Erträge
–
Investitionsauszahlungen
+/– Veränderungen der Höhe des Umlaufvermögens =
„Free Cashflows“
1439 Diskontiert wird, wie der Name es bereits sagt, im WACC-Verfahren mit dem gewogenen Kapitalkostensatz. Diese gewogenen Kapitalkosten hängen von der Höhe der Fremd- und der Eigenkapitalkosten und dem unterstellten Verhältnis zwischen den Marktwerten des Fremd- und des Eigenkapitals ab. Als dritte Einflussgröße verbleibt ein aus einer nicht finanzierungsneutral wirkenden Besteuerung gegebener Besteuerungseinfluss.
1440 Im Rahmen des APV-Verfahrens wird ebenfalls der „Free Cashflow“ ermittelt, also jener Wert, den ein unverschuldetes Unternehmen als finanzielle Überschüsse hätte. Die Diskontierung erfolgt jedoch mit dem Kapitalkostensatz eines unverschuldeten Unternehmens. Der aufgrund einer Fremdfinanzierung bestehende absolute Wertbeitrag durch die nichtfinanzierungsneutrale steuerliche Behandlung der Fremdkapitalzinsen wird extra und zwar regelmäßig mit dem Fremdkapitalzinssatz diskontiert. Die Summe beider Werte ergibt den Wert des Gesamtkapitals, also den Unternehmenswert für alle Kapitalgeber.
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II. Multiplikatorverfahren
Der Wert des Eigenkapitals, also der Unternehmenswert der Eigentümer, be- 1441 stimmt sich bei diesen beiden Verfahren nur indirekt, indem vom ermittelten Unternehmensgesamtwert der Wert des jeweiligen Fremdkapitals abgezogen wird, der im WACC-Verfahren relativ am Gesamtunternehmenswert definiert und im APV-Verfahren direkt vorgegeben ist und damit ohne weitere Berechnungen abgezogen werden kann. Zu den „Entity-Verfahren“ vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 286 Rn. 125 ff.
Neben den beschriebenen „Entity-Verfahren“ existiert das „Equity-Verfahren“, 1442 das von seiner Methodik dem herkömmlichen Ertragswertverfahren entspricht. Mit anderen Worten: Unter den gleichen Annahmen hinsichtlich der Einflussfaktoren (gleiche finanzielle Überschüsse, gleiche Basiszins-, Risiko-, Fristigkeits- und Steuerannahmen) gelangen sowohl das „Equity-Verfahren“ als auch das „Entity-Verfahren“ stets zum gleichen Ergebnis. Zu den „Equity-Verfahren“ vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 288 Rn. 138.
II. Multiplikatorverfahren Im Rahmen der vereinfachten Preisfindung werden gerade bei der Bestimmung 1443 des Unternehmenswerts kleiner und mittlerer Unternehmen sowie in bestimmten Branchen sog. Multiplikatormethoden angewandt. Diese können auch bei Unternehmensverkäufen in der Krise Orientierung für die konkrete Bewertung bieten. Je nach unterstellter Einflussgröße sind dazu ergebnis-, umsatz- und produkt- 1444 mengenorientierte Multiplikatoren anzutreffen: Bei der Anwendung der Ergebnismultiplikatoren ergibt sich der Unterneh- 1445 menswert als Schätzung, indem ein Produkt aus dem Multiplikator und eines entsprechend definierten Ergebnisses, z. B. EBIT oder EBITDA, gebildet wird. Dieses Verfahren ist damit in letzter Konsequenz nichts anderes als die Anwendung der Ertragswertmethode für den Fall einer ewigen Rente. Deshalb lässt sich als Kritik hier anbringen, dass eine Planung in einem Zweistufenmodell nicht möglich ist. Der Faktor spiegelt die Barwertbildung mit einem Kalkulationszinsfuß wider. Er ist branchen- und unternehmensspezifisch, da sich in ihm die aktuellen Kapitalkosten der Branche, die Risikoneigung des Investors und das Risiko des Unternehmens sowie eventuelle Wachstumsfaktoren des Unternehmens wiederfinden. Ähnlich verhält es sich mit den umsatz- und produktmengenorientierten Multi- 1446 plikatoren, da hier insoweit ein Zusammenhang zwischen dem Umsatz und den entziehbaren Zahlungsüberschüssen bzw. der Produktionsmenge und damit dem Umsatz und letztlich über eine zweite Annahme mit den entziehbaren Zahlungsüberschüssen hergestellt wird. Es ist offensichtlich, dass dieses Verfahren durch die Unterstellung vieler zugrunde liegender Zusammenhän-
351
E. Grundlagen der Unternehmensbewertung
ge äußerst anfällig gegen fehlerhafte Unternehmenswertschätzungen ist. Außerdem besteht keine unmittelbare Verbindung zwischen Zukunftserfolgswerten und den zugrunde liegenden Multiplikatoren. Dennoch wird dieses Verfahren in der Praxis insbesondere zur Ermittlung von Marktpreisen für Unternehmen herangezogen. Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271, 290 Rn. 164 ff.
352
Stichwortverzeichnis
Abfindungstarifvertrag
794 ff. Abfindungsvereinbarung 735 Abschreibungsbeschleunigung 861 Absonderungsberechtigte 52, 164, 168, 173, 176, 180, 216, 251, 264, 298, 311, 332, 336, 375 ff., 392, 807, 811, 1294 Abtretung 380, 428, 1131 ff. Abzugsverbot 1064, 1075 f., 1093, 1152 Adjusted Present Value (APV) 1437 ff. Altersversorgung 96, 619, 798 ff. Altlasten 469 ff. Anteilseignerwechsel 613 ff., 865 ff., 882, 917, 921, 1134, 1166 Anteilsübertragung 159, 166, 170, 187, 878, 890 ff., 952, 1132, 1165, 1192, 1305 Anwachsung 547 ff., 1300 Arbeitnehmer 94, 337 ff., 411, 439 f., 639 f., 664 ff., 689 ff., 798 ff. Arbeitnehmer – Kündigung 439, 664, 668, 679, 701 ff., 720, 736 ff., 784 ff. Arbeitsverhältnis 94, 171, 440, 619 ff., 673, 678, 690 ff., 734 f., 738, 767 ff., 798 Asset Deal 4 f., 40 ff., 82, 158 ff., 237 f., 365 ff., 615, 800 f., 816 ff., 851 ff., 1179 ff., 1189, 1198, 1209 f., 1278 ff. Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarung 735 Auffanggesellschaft 108, 218, 290, 492, 690, 698, 705 ff., 857, 735, 1288 ff., 1298 Auflösungsverlust 841 Ausgliederung 537 ff., 752
BaFin
610 ff. Beihilfen 489 ff., 914 ff.
Berichtstermin 22, 114, 141 ff., 323 f., 328, 333, 1268 f. Beschwerde 204 ff. Besserungsabrede 561 f., 1110, 1120 f., 1123 ff. Besteuerung von Sanierungsgewinnen 920, 1016 ff., 1040 ff. BetrAVG 622, 797 ff. Betriebliche Renten 622, 797 ff. Betriebsfortführung 387, 766 f., 1243 ff., 1249, 1252, 1259, 1265 ff. Betriebsübergang 94 ff., 615 ff., 800 Beschäftigungsgesellschaft/BQG 689 ff., 792 Bieterverfahren 493 ff., 1254 f., 1257 Börsennotierte AG 608 ff., 1242
Capital Asset Pricing Model 1431 Checkliste 467 f. Contractual Trust Arrangement 807 Darlehenszinsen 1129 ff. Debt-Equity-Swap 12 ff., 186, 211, 581 ff., 869, 1160 ff., 1299 Debt-Mezzanine-Swap 595 ff., 1167 f., 1169 ff. Differenzhaftung 588 ff., 594 Discounted-Cashflow-Verfahren 1434, 1437 ff. Dörries-Scharmann-Entscheidung 704 ff. Due Diligence 25, 51, 53, 129, 467 f., 495, 797, 1209, 39, 1280, 1285, 1290, 1371 EBIT 1357, 1445 EBITDA 1357, 1445 Eigensanierung 524, 1244, 1302 ff. Eigenverwaltung 125 ff., 158, 272 ff., 359 ff., 452, 524, 1230 ff., 1236 ff., 1282, 1302 ff., 1309 ff. Einlagenrückgewähr 1125 f. Erfüllungsablehnung 45 f. 353
Stichwortverzeichnis
Erstattungsanspruch 62 ff. Ertragswertverfahren 1417, 1434 f., 1442 Erwerberinteressen 850 ff. Erwerberkonzept 736 ff., 787, 792 Europarechtswidrigkeit der Sanierungsklausel 914 ff.
Firma 9, 88 ff., 160, 393 ff. Firmenfortführung 9, 88 ff., 160, 393 ff. Finanzdienstleistungsaufsicht 610 ff. Forderungsmanagement 430 ff. Forderungsverzicht 561 f., 591, 613, 937, 1016, 1040, 1045 ff., 1120 ff. Freistellungsanspruch 86 Fusionskontrolle 501 ff. Garantie
447 ff., 462 ff., 1285 ff. Genussrechte 595, 598 f., 897, 1009 ff., 1174 f. Geschäftsveräußerung – Umsatzsteuer 1179 ff. Gesellschafterdarlehen 498, 552 ff., 843, 1384 Gesellschaftsvertragliche Veräußerungsbeschränkungen 428 f. Gewährleistungsausschluss 454 ff., 1285 Gewerbesteuer 820, 825 f., 849, 885, 1008, 1010, 1104 ff., 1130 f. Gewinnabführungsvertrag 1005 Gewinnausschüttung 899, 1125, 1127, 1135 f., 1418 Gläubigerausschuss 127, 131 f., 142 ff., 254, 278, 280, 301, 312 ff., 378, 1238, 1241, 1271 Gläubigerbenachteiligung 47 f., 51 ff., 59 f. Gläubigerversammlung 14, 141 f., 147 ff., 150 ff., 271, 280, 298, 310 ff., 323, 330 ff., 378, 499, 1238, 1269 Grunderwerbsteuer 1189 ff.
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Haftung – § 75 AO 84 ff., 1198 ff. Haftung – § 73 AO 1212 ff. Haftung – § 25 HGB 88 ff. Haftung – § 613a BGB 96 ff. Haftung des Insolvenzverwalters 1249 f. Haftung für Altlasten 469 ff. Haftung für Beihilfen 489 ff. IDW Standard S 1 1412 ff. IDW Standard S 6 1336 ff. Immaterialgüterrechte 266, 380, 402 ff. Insolvenzanfechtung 18, 47 ff., 74 ff., 115 ff., 308, 1260 f. Insolvenzgeld 21, 22, 630, 731, 1276, 1312 ff. Insolvenzgericht 20, 206 ff., 231, 271, 274, 314 f., 319 f., 335 f. Insolvenzplanverfahren 16, 130 f., 159, 163 ff., 247 f., 253 f., 592 ff., 865, 1292 ff. Insolvenzsicherung 802 ff. Insolvenzverwalter – Interessenlage 1262 ff. Integrierte Sanierungsplanung 1401 ff. Kartellrecht 500 ff. Kaufpreisbemessung 434 ff., 1182, 1319 ff., 1410 ff. Kalkulationszinsfuß 1428 ff., 1445 Kapitalherabsetzung 166, 567 ff., 896, 1114, 1305 Kapitalisierung 1427 ff. Kapitalmaßnahmen 170, 251, 550 ff. Kapitalschnitt 583 Konzernklausel 878 f., 940 ff. Krisenstadium 1342 f., 1350, 1359 ff. Kunden 343 ff. Kündigung – Arbeitnehmer 439, 664, 668, 679, 701 ff., 720, 736 ff., 784 ff.
Stichwortverzeichnis
Leitbild des sanierten Unternehmens 1371 ff. Leitlinien für Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter 1309 ff. Lemgoer Modell 701, 706 Lieferanten 343 ff. Liquiditätsmaßnahmen 550 ff. Lizenzvertrag 357, 406
M&A-Berater
363, 495, 1253 ff. M&A-Verfahren 1253 ff. Masseunzulänglichkeit 456, 461, 731, 734 Mezzanine-Finanzierung 595 ff., 1168 ff. Mindestbesteuerung 821 ff., 835 f., 874 f., 1006 ff., 1062, 1167 Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer 98 Mitunternehmeranteile 826 ff. MoMiG 557 ff. Multiplikatorverfahren 1443 ff. Musteranschreiben 733 f.
Nachversteuerung
831 ff.
Obstruktionsverbot
168, 183 f., 593 Organgesellschaft 947, 1005 f., 1212 ff.
Pachtverhältnis
642 ff. Pension 797 ff. Pensions-Sicherungs-Verein 622, 802 ff. Personalstruktur 671, 774 ff. Prepacked-Deal 249, 327, 350 f. Progressionsmilderung 820
Rangrücktritt
554 ff., 1140 ff., 1345 Rationalisierung 768 Remanenzkosten 695
Sacheinlage 13 f., 573, 585 f. Sachwalter 125 ff., 273 ff., 359 ff., 460, 1236 ff., 1249, 1251, 1256, 39, 1262 ff., 1277 ff., 1309 ff. Sanierende Übertragung 168, 234 ff., 290, 324 ff., 355, 365 ff., 467 ff., 489, 615, 793, 1045, 1278 ff., 1293 ff., 1330 Sanierungsbefreiung 610 ff. Sanierungsgewinn 911 f., 1016 ff., 1040 ff. Sanierungskonzept 611 ff., 742 ff., 1336 ff. Sanierungsplan 244, 479, 744, 1401 ff. Sanierungsprivileg 553, 565, 926, 932 Sanierungsklausel 911 ff., 926 f., 939 Schädliche Anteilsübertragung 1164 Schuldverschreibungen 14 f. Schutzschirmverfahren 130, 302, 527, 1381 Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter 101 f., 118 ff., 281, 349, 1249, 1315 Share Deal 6 ff., 24, 26 f., 159, 163, 799, 838 ff., 865 ff., 1188, 1302 Sicherungsanordnungen 100 ff. Sonderbetriebsvermögen 827 Sonderkündigungsschutz 769 Sozialplan 439, 692, 727, 795 Steuerausfallrisiko 1216 Steuerliche Interessen des Erwerbers 850 ff. Steuerliche Interessen des Veräußerers 815 ff. Starker vorläufiger Insolvenzverwalter 20 f., 103 ff., 115, 119, 281, 1239, 1269, 1315 Stiller Gesellschafter 575 ff., 1009 ff.
355
Stichwortverzeichnis
Stille Reserven 817 f., 852 ff., 944 ff., 1005 ff. Stufentheorie 852 ff. Summenmehrheit 181 ff.
Tax-CAPM 1431 Teilwertabschreibungen 849, 862 Thesaurierung 830 ff. Transfergesellschaft 689 ff., 727, 790 ff. Überschuldung
554, 557 ff., 583 f., 598, 1048, 1345, 1359, 1368, 1384 Übertragende Sanierung 168, 234 ff., 290, 324 ff., 355, 365 ff., 467 ff., 489, 615, 793, 1045, 1278 ff., 1293 ff., 1330 Umsatzsteuer 1179 ff., 1210 ff. Umsatzsteuerliche Organschaft 1212 ff. Unbedenklichkeitsbescheinigung 85 Unternehmensbewertung 437, 945, 1336, 1410 ff., 1437 Unternehmensplanung 1049, 1369, 1399, 1401 ff. Unternehmensteuerreformgesetz 830, 867, 877 Unterrichtungspflicht 151, 719 f. Urlaubsanspruch 624 f.
Veräußererkündigung
739 ff. Veräußerungsbeschränkungen 428 f. Veräußerungsgewinn 819 f., 826 ff., 835, 840, 849 f., 1126 f.
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Veräußerungsverlust 815, 821, 840 ff., 849 Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters 20, 103 ff., 226, 254 ff., 462, 1239 Verlustnutzung 824, 865, 868 f., 1002, 1004 ff. Verlustvortrag 821, 825 f., 836, 825 ff., 1000 ff., 1005, 1166 Vermieterpfandrecht 643 Verschmelzung 530 ff., 1000 ff. Verschonungsregelung 878, 944 ff. Versorgungsanwartschaften 622, 799, 813 Versorgungsfall 813 Versorgungsverpflichtungen 797 ff. Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters 124, 254 ff., 375 ff. Vollzugsverbot 510 ff. Vorläufiger Insolvenzverwalter 21, 101, 102 ff., 281, 735 Vorsatzanfechtung 18 f., 50 f., 79 Vorsteuerberichtigung 1115, 1182 f., 1227
Weighted Average Cost of Capital (WACC) 1437 ff. Wettbewerbsfähigkeit 1340, 1347, 1362, 1376 ff., 1396 f. Wiedereinstellungsanspruch 762 ff. WpÜG 608 ff.
Zurechnungskatalog 609 Zustimmungsvorbehalt 101 f., 125 Zwei-Phasen-Modell 1422 ff.