Unter Beobachtung: Österreich seit 1918 [1 ed.] 9783205206828, 9783205205005, 9789783205


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German Pages [634] Year 2017

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Unter Beobachtung: Österreich seit 1918 [1 ed.]
 9783205206828, 9783205205005, 9789783205

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UNTER BEOBACHTUNG ÖSTERREICH SEIT 1918

MANFRIED RAUCHENSTEINER

Manfried Rauchensteiner

UNTER BEOBACHTUNG Österreich seit 1918

böhl au verl ag w ien . köln . weimar | 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Umschlagabbildung: Otto Dix, An die Schönheit, 1922 (Detail) © Bildrecht, Wien, 2017 Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Karten: Stefan Lechner, Wien Korrektorat: Hans-Peter Schmit, Jena Einbandgestaltung  : hawemannundmosch, Berlin Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20500-5 | eISBN 978-978-3-205-20682-8

Inhalt

Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

   9

1 . Das Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  13

Der Auflösungsbescheid (16) – Die deutschen Abgeordneten (18) 2. Die verhinderte Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  25

Ein Staat entsteht (28) – Ein Kaiser zu viel (36) – Umsturzversuche (38) 3. Saint-Germain  : das Ende der Illusionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  43

Die Teile und das Ganze (45) – Zeit der Ungewissheit (48) – Der Moment der Wahrheit (52) – Die Bilanz (57) – Der Kampf um die Erinnerung (59) 4. Das Ende der Gemeinsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  65

Eine Verfassung für acht Bundesländer (67) – Sanierer am Werk (69) – Die Völkerbundanleihe (73) 5. Die Aufmarschsaison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  77

Der Paramilitarismus (79) – Der latente Bürgerkrieg (84) – Von Linz nach Schattendorf (85) 6. Bürgerkriegsszenarien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  89

Der Tag von Wiener Neustadt (91) – Ruhe vor dem Sturm (94) – Eskalation der Gewalt (96) – Zollunion (100) – »Südosteuropa steht in Flammen« (102) – Alle gegen alle (104) – 84.000 Gewehre und 980 Maschinengewehre (106) 7. Das Trauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das Ende der parlamentarischen Demokratie (111) – National contra ­vaterländisch  (116) – Die Rebellion der Unterdrückten (119)

109

6

Inhalt

8. Ständestaat ohne Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

Die sogenannte Maiverfassung (128) – Der Kanzlermord (129) – Ein besseres Deutschland  ?  (135) – Alles auf eine Karte (141) – Berchtesgaden (148) 9. Das Scheitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

Die Volksbefragung (155) – Der Einmarsch (158) – Nachruf auf einen Staat (161) 10. Die NS-Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

Die Volksabstimmung (167) – Land Österreich (172) – Die Kehrseite der Medaille (177) – Volksgemeinschaft (183) – Pflichtsoldaten (189) – Der Lagerkomplex (192) – Die Entgrenzung (195) 11. Der Abnützungskrieg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

Die Princip-Tafel (200) – Unternehmen »Barbarossa« (205) – Das sogenannte Heimatkriegsgebiet (208) – Partisanen (210) – Die Schatten­ armee (211) – Der Vernichtungskrieg (214) 12. Zurück in die Zukunft.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Die Moskauer Deklaration (221) – Der Faktor Mensch (225) – Kindersoldaten (227) – In ihrem Lager war Österreich (229) – Stichwort »Walküre« (232) 13. Schutt und Asche.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Aufruf zum Mord (238) 14. Der Walzer der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

Die Schlacht um Wien (245) – Renner, wer sonst (247) – Blick nach vorn (255) – Die Teile und das Ganze (262) 15. Gestrenge Herren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

Die Not regiert (269) – Re-Austrifizierung (274) – Das Schlüssel­ gebiet (279) – Teilungsgerüchte (285) – Die »vierte Partei« (289) – Der große Streik (291) – Neuansatz (296) 16. Ein strahlender Frühlingstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gong zur letzten Runde (305) – Schluss mit Jubel (308) – Die Mühen der Ebene (313)

303

Inhalt

17. Zwischen den Blöcken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 319

Ein Mythos entsteht (321) – Das Ende der Fünfziger (324) – Das »Unbehagen im Parteienstaat« (327) – Das Jahrzehnt der Unzufriedenen (332) – Die Agonie (336) 18. Der neue Stil der Sachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

343

Alleinregieren (346) – Die anderen und wir (349) – »Macht und Ohnmacht in Österreich« (354) – Südtirol (358) – Die Tschechenkrise (363) – Bilanz der Sachlichkeit (368) 19. Die Gegenerzählung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

Lasst Kreisky und sein Team arbeiten (373) – »Ich bin der Meinung« (380) – Kärnten (384) – Juden, Palästinenser und der Terror (389) – Polarka (392) – Die UNO in Wien (395) – Oppositionelle Rezepte (398) – »König Kreisky« (403) – Von »Kronprinzen« und »Erbhofbauern« (406) – Der »Alte« (412) 20. Der »Sündenfall«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

417

Die Hainburger Au (419) – Kurt Waldheim und die Watchlist (426) 21. Die Implosion im Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

431

Hoffnung auf den ewigen Frieden (433) – Entschlossenes Zuwarten (438) – Der Gleichklang (443) – Wir sind Europa (447) – Ein Intermezzo (450) – Tafelsilber (452) 22. Unter Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461

Die »Sanktionen« (463) – Die Donnerstagsdemonstrationen (469) – Der Störenfried (476) 23. Der Rückfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

483

Die Ungeliebte (485) – »Pummerin statt Muezzin« (487) 24. »Es reicht«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

491

Ausverkauf (494) – Verrat an Rot-Weiß-Rot  ?  (496) – Die Völkerwanderung (506) – Alles neu … (510) 25. Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Der Heldenplatz (521) – Der Platz des irdischen Unfriedens (523)

519

8

Inhalt

Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525

Chronik Österreichs 1918–2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

529

Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

559

Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

599

Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

O

tto Dix, einer der großen Maler und Grafiker des 20. Jahrhunderts, hat mir seine Augen geliehen. Sein Bild »An die Schönheit«, das dem Umschlag dieses Buchs Farbigkeit und Ausdruck gibt, ist auf einen Ausschnitt reduziert. Damit wird ihm eine Art Zwangsjacke angelegt, die eine Umdeutung ermöglicht. Was zählt sind die Augen, ist der strenge Blick eines Menschen, dem nichts zu entgehen scheint. Mag sein, dass der Blick auch so etwas wie Missbilligung ausdrückt. Es ist ein Selbstporträt. Das elegante Paar im Hintergrund scheint voll und ganz mit sich beschäftigt zu sein und ist sich wohl auch nicht bewusst, dass es unter Beobachtung steht. Nur die Gegenwart zählt. Das gibt ihm etwas Zeitloses. Und es ist nicht lokalisierbar. Wie das Bild ist auch dieses Buch auf einen Ausschnitt reduziert. Es handelt von Österreich, und es richtet seinen Blick auf ein einhundertjähriges Geschehen. Der gewollt strenge Blick, scheinbar von außen, ist gleichzeitig das eigene Spiegelbild. Dass dabei auch Selbstverliebtheit eine Rolle spielt, entspricht dem Sujet. In dem Jahr, als Otto Dix »An die Schönheit« gemalt hat, 1922, drohte Österreich gerade unregierbar zu werden. Es taumelte zwischen Selbstaufgabe und Zukunftsvisionen hin und her und wurde mit Hilfe des Völkerbunds gerettet. Ein Konglomerat aus historischen Einheiten, das sich erst zu einer neuen Gemeinsamkeit finden musste, ging einer ungewissen Zukunft entgegen. Es war nicht mehr das, als das es der tschechische Historiker František Palacký 1848 bezeichnet hatte, etwas Unverzichtbares, eine europäische Notwendigkeit, sondern ein schwer zu definierender Rest. Österreich war von einer Unentbehrlichkeit zur Verlegenheit geworden. Vom ersten Tag an aber stand das Land unter Beobachtung. Und es waren nicht nur freundliche Blicke, mit denen auf Österreich gesehen wurde. Sorge, Argwohn, Mitleid, Misstrauen und Gier mischten sich mit Gleichgültigkeit, Zufriedenheit und Wohlwollen. Es beobachteten die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, die anderen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie und der Völkerbund. Aber es waren nicht nur die anderen, die beobachteten. Auch die eigenen Blicke spiegelten die ganze Palette von Empfindungen wider, die auch bei den näheren und ferneren Nachbarn festzustellen waren. Österreich war kein Land, in dem Selbstbestimmung groß geschrieben wor-

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Vorwort

den wäre. Und auch der Selbstbehauptungswille kam erst spät auf. Die Verlegenheit blieb. Gewalt dominierte. Und gerade in den Augen mancher Beobachter konnte man Zufriedenheit aufleuchten sehen, dass sich 1938 Stille über Österreich senkte. »Thank goodness, Austria is out of the way«, meinte ein britischer Politiker. Dem folgte die reumütige Erkenntnis, dass man sich mit dem Verschwinden des einen Problems, Öster­ reich, neue Probleme eingehandelt hatte. 1945 war es, als ob man den »reset«-Knopf gedrückt hätte. Es war Vieles anders geworden. Österreich lag zwischen den Blöcken, sah sich selbst gerne als Brücke und spielte eine Rolle, erfuhr eine neue Form der Beaufsichtigung, unmittelbarer als alles Vorangegangene, und tauchte schließlich in eine Zeit ein, in der sich allgemeine Zufriedenheit breitmachte. Das Land war über den Berg. Aus der Verlegenheit war plötzlich ein Stabilitätsfaktor geworden. Eines blieb freilich gleich  : Jedes Mal, wenn sich in Österreich etwas tat, stand das Land unter Beobachtung. Und auch dann, wenn sich nichts tat. Immer wieder galt es als Problemzone, dann wieder als Sonderfall, als Musterschüler und gleich mehrfach als der böse Bube, dem man ganz genau auf die Finger schauen wollte. Das alles lässt sich nicht gleichmäßig erzählen. Es kann auch gar nicht darum gehen, jedes Ereignis und alle handelnden Personen in sämtlichen verfügbaren Einzelheiten zu beschreiben. Da und dort gilt es innezuhalten, um die Parallelität und das Fließen der Zeit als Erzählstrang zu nützen. Man kann nicht immer durch die Zeiten hetzen. Eines sollte jedenfalls erreicht werden  : dass man die Geschichte eines Landes, das sich selbst manchmal nicht wichtig nimmt, als wichtig für die Gesamtentwicklung eines Kontinents versteht und sich selbst eingestehen kann, dass es eine spannende Geschichte ist. Sie wird denn auch nicht weniger interessant, wenn man einen größeren Zeitraum zu überblicken sucht. Manches wird dabei zutage zu fördern sein, das bekannt, anderes, das unbekannt ist, wo aber die Sicht über einen längeren Zeitraum hinweg auch Vergleichsmöglichkeiten bietet, die dazu einladen, immer wieder ins Grübeln zu geraten  : War da nicht schon einmal etwas Ähnliches geschehen, sind Vorgänge oder auch Nicht-Vorgänge so ungewöhnlich, dass sich dazu keine Präzedenzfälle finden lassen  ? Und es wird um die alte und immer wieder inspirierende Frage gehen  : Was wäre gewesen, wenn  ? – Wenn z. B. Ignaz Seipel dem Ansinnen bayerischer Stellen entsprochen und Adolf Hitler 1924 wieder die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen hätte, wenn die Dollfuß-Attentäter danebengeschossen, sich die Alliierten in Moskau 1943 auf die Aufteilung Österreichs verständigt, die Sowjets wie von Marschall Žukov 1956 gewünscht Ostösterreich wiederbesetzt hätten, oder Jörg Haider 2008 nicht tödlich verunglückt wäre … Es gilt nicht, das Unmögliche zu denken, sondern das Mögliche. Es ist auch eine Einladung, das Vergängliche zu sehen. Bei einem Gang durch die Geschichte kommt man an vielen Schauplätzen vorbei. Sie bieten sich mit einer nicht enden wollenden Bereitwilligkeit an. Man kann in der Villa des Senators Giusti bei Padua genauso Station machen wie in Saint-Germain,

Vorwort

11

Genf, Berlin, Berchtesgaden, Ödenburg/Sopron, Kragujevac, Stalingrad/Wolgograd oder Prag. Österreichische Geschichte wurde in London, Moskau, Paris und Washington geschrieben und hat auch dort Spuren hinterlassen und Erinnerungsorte geschaffen. Letztlich gibt es keine Stelle, die nicht eine Erzählung bergen würde, kein Denkmal, keinen Friedhof, ja nicht einmal einen Acker oder eine Wiese, die nicht mit einem Ereignis oder einer Person in Verbindung gebracht werden könnten. Häufig geben die Steine und Fluren wohl nur jenen ihre Geschichte preis, die dort wohnen und sich vom »Moos auf den Steinen« (Gerhard Fritsch), den Lichtungen und Furchen ebenso angesprochen sehen wie jene anderen, die sich von Baudenkmälern, Statuen oder auch »Stolpersteinen« zum Nachdenken einladen lassen und sich der bekannten Erzählformel von  : »Es war einmal …« bedienen möchten. Es gibt auch keinen Ort, von dem sich sagen ließe, dass an ihm Geschehnisse gleichmäßig verlaufen wären. Und es gibt keinen Friedhof, auf dem nicht jene, die man als die »Guten« und jene anderen, die man als die »Schlechten« wahrgenommen hat, nebeneinander liegen würden. Gerade Friedhöfe sind zutiefst demokratische Gedächtnisorte, denn für sie gilt in besonderem Maße die von Gilbert Keith Chesterton angebotene Interpretation von Tradition, bei der »der obskursten aller Gesellschaftsklassen« das Stimmrecht verliehen wird – unseren Vorfahren. (Chesterton, Moral des Märchenreiches). Alles das findet sich in einer Jahrhundertgeschichte. Gegen Ende wird die Erzählung langsamer, tastender. Am Bewusstsein, beobachtet zu werden, wird sich nichts ändern. Ebenso wenig an der Notwendigkeit, sich selbst ein Urteil zu bilden. Es ist auch noch nichts abgeschlossen  ; es ist im Fluss. Im altbekannten Strom der Zeit.

Das Experiment

1 Das Experiment

1 Der in der Villa des Senators Giusti del Giardino in der Nähe von Padova (Padua) am 3. November 1918 abgeschlossene Waffenstillstand beendete Österreich-Ungarns letzten Krieg. Über 300.000 Soldaten der k.u.k. Armee traten den Weg in italienische Kriegsgefangenschaft an. Für die meisten dauerte die Gefangenschaft nur kurz. Doch ein Teil der Kriegsgefangenen blieb bis 1921 in italienischen Lagern. Bis dahin zählte man in Österreich (ohne das Burgenland) immer noch rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 22.000 Vermisste. (Foto: Österreichisches Staatsarchiv/ Kriegsarchiv)

D

ie Schlangen vor den Geschäften wurden immer länger. 1918, im fünften Kriegsjahr, litt man in Österreich-Ungarn Hunger. In unregelmäßigen Abständen wurden in den größeren Orten Plakate angeschlagen, auf denen zum Sammeln von Brennnesselblättern für die Textilerzeugung, Kaffee-Absud zur Ölgewinnung oder Maikäfern als Hühner- und Schweinefutter aufgerufen wurde. Wenn es ausnahmsweise Kohle gab, wurde das ebenso bekannt gegeben, wie die Abgabe von Kartoffeln, Mehl und Milch. Für Kriegsblinde, Kriegsinvalide, Militär-Witwen und Waisen und Dutzende Gruppen Not leidender Menschen wurde um Spenden gebeten. Die Bauern stellten Flurwachen auf, um zu verhindern, dass Erdäpfel und Rüben von den Feldern gestohlen wurden. Die noch im Dezember 1917 vorherrschende Zuversicht, dass der Krieg bald zu Ende gehen würde, wich schon im Januar einer allgemeinen Enttäuschung. In einigen großen Städten und Industriezentren der Habsburgermonarchie wurde der Krieg bestreikt. Dann ging man wieder an die Arbeit, schöpfte kurz neue Hoffnung und sah sich abermals getäuscht. Die Not rührte aber nicht nur vom Hunger her. Die meisten Menschen hatten nicht nur nichts mehr zu essen, sondern kaum noch Hoffnung und keine Perspektive. Man wusste nicht, ob Österreich-Ungarn bestehen bleiben würde oder ob es der Auflösung entgegen ging. Ja, man wusste häufig nicht einmal mehr, was man sich wünschen sollte. Die Rede des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson im Washingtoner Kongress am 8. Januar 1918 hatte alles nur noch schwieriger gemacht. Wilson hatte bei der Bekanntgabe seiner 14 Punkte als Punkt 10 genannt  : »Den Völkern Österreich-­ Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden.« Damit war die Selbstbestimmung ein besonderes Thema geworden, das von allen Kriegführenden aufgegriffen wurde. Die elf Nationalitäten der Habsburgermonarchie machten da keine Ausnahme. War nur zu fragen  : Galt das für alle Völker  ? Zwischen 13. und 15.  Juni 1918 traten die österreichisch-ungarischen Truppen von den Dolomiten bis zur Adria zu ihrer letzten Offensive an. Die Alliierten wussten über den Zeitpunkt des Angriffs Bescheid und hatten keine Mühe, die anrennenden Armeen abzuwehren. Ab Ende Juni war Österreich-Ungarn als Gegner unwichtig geworden. Jetzt entfiel sogar die Notwendigkeit, amerikanische Truppenverbände nach Italien zu bringen. Diese wurden daher nach Frankreich geschickt. Noch hielt die Disziplin bei den Fronttruppen der k. u. k. Armee, doch sie nahm von Tag zu Tag ab. Und Abneigung und der immer häufiger aufbrandende, lang aufgestaute Hass der Völker der Habsburgermonarchie

16

Das Experiment

aufeinander griffen immer weiter um sich. Angesichts der tristen Situation an der Front und im Hinterland versuchte Kaiser Karl noch im letzten Augenblick eine Lösung zu finden, die den Bestand seines Reiches sichern sollte. Die Antwort des Slowenen Anton Korošec  : »Majestät, es ist zu spät«, sagte eigentlich schon alles aus.1 Der Kaiser versuchte am 14. September einen einseitigen Friedensschritt zu setzen. Die Alliierten reagierten nur mit der Feststellung, dass sich zuerst Deutschland ergeben müsse, dann könne man auf die Wünsche Österreich-Ungarns eingehen. Wieder war man um eine Hoffnung ärmer. Der Auflösungsbescheid Einen Monat später, am 16. Oktober 1918, erließ Kaiser Karl ein sogenanntes »Völkermanifest«, wonach Österreich-Ungarn als ein Bund freier Nationen fortbestehen sollte.2 Die ungarische Regierung hatte es allerdings zu verhindern gewusst, dass das Manifest auch für die Länder der Heiligen Stephanskrone galt. Doch auch Ungarn konnte sich der unausweichlichen Fragmentierung des Reichs nicht entziehen. Die Reaktionen auf das Manifest zeigten aber wie die Worte des Slowenen Korošec, dass es zu spät kam. Es wurde als Freibrief, eine Art Auflösungsbescheid gesehen, dass alle Völker der Habsburgermonarchie ihrer Wege gehen konnten. Und die Feindmächte taten alles, um den Zerfall zu fördern. Am 24.  Oktober trat die italienische Armee gemeinsam mit britischen und französischen Truppen zu einer letzten Offensive an. Es war der Jahrestag des größten Siegs österreichisch-ungarischer und deutscher Truppen über die Italiener ein Jahr zuvor. An einen Gegenangriff war nicht mehr zu denken. Nach zwei Tagen begann sich die Front aufzulösen.3 Einer der letzten regulären Urlauber, der nach dem Norden fuhr, war der Kaiserschützen-Oberleutnant Engelbert Dollfuß. Er nächtigte in Trient im selben Hotel wie eine vorsorglich nach Südtirol geschickte Waffenstillstandskommission, die seit Anfang Oktober darauf wartete, Kontakt mit den Italienern aufzunehmen. Eine fast schicksalhafte Begegnung von Vergangenem und Zukünftigem. Endlich fasste Kaiser Karl den lange hinausgeschobenen Entschluss, ohne Rücksichtnahme auf Deutschland um Waffenstillstand oder Sonderfrieden zu bitten. Der Minister des Äußern, Gyula Graf Andrassy, erklärte das Bündnis mit Deutschland für beendet. Österreich-Ungarn konnte gar nicht anders, als eigenständig zu handeln. Jetzt war es so weit. Der Leiter der österreichisch-ungarischen Waffenstillstandskommission in Trient, General Viktor von Weber, wurde instruiert, dass er ermächtigt sei, einen Waffenstillstand abzuschließen. Er durfte alle Bedingungen akzeptieren, außer solchen, die die Ehre der Armee nicht zuließen oder auf eine totale Entrechtung hinausliefen. Die österreichische Kommission wurde in die Villa des Senators Giusti del Giardino in der Nähe von Padua, dem Gästehaus der italienischen Heeresleitung gebracht. In der Nacht zum 2. November wurden die vom Alliierten Obersten Kriegsrat in Paris aus-

Der Auflösungsbescheid

17

gearbeiteten Forderungen übergeben. Sie liefen auf eine bedingungslose Kapitulation hinaus und ließen keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen. Die Habsburgermonarchie sollte zertrümmert werden, sofern sie sich nicht von selbst auflöste. Es gab zwar auch bei den Siegermächten Stimmen, die für den Erhalt der Monarchie eintraten, aber die Entente hatte alles getan, um die Auflösung zu betreiben, hatte Nord- und Südslawen signalisiert, dass sie als Kriegführende auf Seite der Entente anerkannt wurden  ; Italien selbst stand ohnedies seit 1915 im Lager der Alliierten. Somit waren alle Überlegungen, eine verkleinerte Habsburgermonarchie zumindest als Rumpfstaat erhalten zu wollen, mehr oder weniger hinfällig. Und nachdem am 30. Oktober auch die Realunion zwischen Österreich und Ungarn aufgelöst worden war, blieb vom Reich nichts mehr übrig außer der Erinnerung. Eine halbe Stunde vor Mitternacht des 2. November ermächtigte Kaiser Karl General von Weber, den Waffenstillstand abzuschließen. Gleichzeitig gab der Monarch den Oberbefehl über seine Truppen an Feldmarschall Hermann Kövess von Kövesshaza ab. Im Waffenstillstandsvertrag wurde gefordert  : 1. Sofortige Einstellung aller Feindseligkeiten zu Wasser, zu Land und in der Luft. 2. Vollständige Demobilisierung Österreich-Ungarns und Rücknahme aller Truppen. 3. Räumung aller seit 1914 besetzten Gebiete. 4. Bewegungsfreiheit für alliierte Truppen auf dem ganzen Gebiet der Habsburgermonarchie. 5. Abzug aller deutschen Truppen aus Italien und von der Balkanfront innerhalb von 15 Tagen. 6. Sofortige Heimsendung aller Kriegsgefangenen und Internierten.4 Es gab auch eigene Bestimmungen für die Flotte, doch diese war von Kaiser Karl auf Vorschlag des letzten Flottenkommandanten, Konteradmiral Miklós von Horthy, schon am 31. Oktober dem Nationalrat in Agram (Zagreb) übergeben worden. Die Alliierten mussten also untereinander ausmachen, was mit der Flotte zu geschehen hatte. Italien schuf darauf insofern vollendete Tatsachen, als es das Flottenflaggenschiff der k. u. k. Kriegsmarine, die »Viribus unitis«, in der Bucht von Pola (Pula) durch Haftminen versenkte. Der Dreadnought sollte nicht in südslawische Hände fallen. Und dann war da noch eine besondere Ungenauigkeit im Waffenstillstandsvertrag  : Es wurde wiederholt von Österreich-Ungarn und dessen Territorium gesprochen, doch in den Detailvereinbarungen kam eigentlich nur die italienische Front vor, nicht aber war von Rumänien oder Serbien und schon überhaupt nicht von Russland und der Ukraine die Rede. Für Letztere wurden wohl die im März 1918 geschlossenen Friedensverträge von BrestLitovsk und Bukarest als gültig angesehen. Was im Osten und Südosten sein würde, war daher in der Villa Giusti zum wenigsten thematisiert worden.

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Das Experiment

Das k. u. k. Armeeoberkommando befahl den österreichisch-ungarischen Truppen am frühen Morgen des 3.  November 1918 die Einstellung der Kämpfe, bevor noch der Waffenstillstandsvertrag unterschrieben war. Ob das voreilig oder nachlässig war, ist bis heute umstritten. Über 300.000 österreichisch-ungarische Soldaten gerieten in italienische Gefangenschaft. Am 3.  November 1918, um 15 Uhr, wurde das Waffenstillstandsdokument unterzeichnet. 24 Stunden später trat die Waffenruhe in Kraft. Der Krieg hinkte der politischen Entwicklung um Tage nach. Die deutschen Abgeordneten Am 21.  Oktober waren im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herren­ gasse die deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrats zusammengekom­ men und sprachen darüber, was sein würde, sollte die Habsburgermonarchie tatsäch­lich zerfallen. Sie waren schon vorsorglich am 17.  Oktober zu dieser Sitzung eingeladen worden5 und hielten sich an die im »Völkermanifest« genannten Vorgaben. 106 Deutschnationale verschiedener Parteien, 65 Christlichsoziale und 38 Sozialdemokraten sowie ein Freisozialist,6 darunter auch Abgeordnete aus Böhmen, Mähren und Schlesien, zogen die Konsequenzen aus der ausweglosen Situation des Reichs und suchten einen Minimalkonsens. Schon Anfang des Monats hatte es einzelne Vorstöße gegeben, um einmal auszuloten, welche Möglichkeiten es nach dem absehbaren Ende des Kriegs und dem wahrscheinlichen Zerfall der Monarchie geben könnte. Vertreter der beiden Massenparteien, der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten, hatten dabei zwei Szenarien skizziert  : Es könnte im Fall der Auflösung der Monarchie zur Bildung eines losen Staatenbundes kommen, oder aber zum Anschluss der deutschen Gebiete der Habsburgermonarchie an Deutschland. Letzteres konnte man durchaus als Drohung verstehen. Wenn nämlich die anderen, die Polen, Tschechen, Ungarn, Rumänen, Italiener und Südslawen, keine Verbindung mehr halten wollten, dann würde es eben ein um die deutschen Gebiete Österreich-Ungarns vergrößertes Deutschland geben. Auch der Begriff Deutschösterreich wurde schon gebraucht.7 Vorderhand konstituierten sich die deutschen Abgeordneten am 21. Oktober einmal als Provisorische Nationalversammlung. Es war ein Schritt, der zwischen Resignation, Verzweiflung und Hoffnung angesiedelt war. Der Vorsitzende des Gremiums, Viktor Waldner, begann mit der Anrede »Werte Volksgenossen« und stellte die Intention der Zusammenkunft dar. Seine Rede und die Beiträge der Abgeordneten wurden immer wieder von Händeklatschen und Heilrufen unterbrochen, wie im Protokoll der Versammlung festgehalten wurde. »Heil« war überhaupt das häufigste Wort der Zustimmung. Als Kern einer zukünftigen deutschösterreichischen Regierung wurde ein Vollzugsausschuss gewählt. Andere Ausschüsse folgten. Provisorischer Staatskanzler sollte

Die deutschen Abgeordneten

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der Bibliotheksdirektor des Reichsrats, Karl Renner, werden, obwohl nicht davon auszugehen war, dass die Sozialdemokraten die stärkste politische Kraft sein würden. Doch sie hatten ein klares Ziel vor Augen  : Das Ende der Monarchie.8 An ein Abgleiten in die Isolation dachte niemand, und der Führer der österreichischen Sozialdemokraten, der Abgeordnete Viktor Adler, merkte an  : Wenn die anderen Staaten, die romanischen und slawischen, denen er zu ihrer Unabhängigkeit gratuliere, sich nicht mit Österreich vereinen wollten, dann würde sich Österreich als ein Sonderbundstaat dem Deutschen Reich angliedern. Das wurde zum Antrag erhoben. Die nächste Sitzung wurde für den 30. Oktober anberaumt. In den neun Tagen bis dahin schrieb Renner einen Verfassungsentwurf, in dem weiterhin offen blieb, was das für ein Staatswesen sein sollte, das es aus der Taufe zu heben galt. Es konnte eine Monarchie oder eine Republik sein, unabhängig oder Teil eines neuen Ganzen. Am 30.  Oktober war es dann tatsächlich so weit  : Die Provisorische Nationalversammlung fasste den Beschluss zur Gründung des Staates Deutschösterreich. Die deutschen Abgeordneten waren die letzten, die sich vom Reich lossagten. Sie befürchteten wohl, dass der Frieden seinen Preis haben würde, und dass die meisten Nationalitäten den beiden bis dahin dominanten Völkern des Reichs, den Deutschen der Habsburgermonarchie und den Ungarn, die Schuld am Krieg aber auch an den Fehlern anlasten würden, die unter den Regierungen der Kaiser Franz Joseph I. und Karl I. begangen worden waren. Versuche von Kaiser Karl, die Verantwortung für Vergangenes und Zukünftiges mit Vertretern der politischen Parteien zu teilen, waren gescheitert. Vor allem die sozialdemokratischen Politiker weigerten sich strikt, Regierungsverantwortung in einem kaiserlichen Kabinett zu übernehmen. Karl Renner hätte das zwar ohne Weiteres getan, aber seine Partei wollte eine Art »politische Unschuld« signalisieren,9 um unbelastet einen Neubeginn zu versuchen. Also wurde der Pazifist und international angesehene Völkerrechtler Heinrich Lammasch letzter kaiserlich-österreichischer Ministerpräsident. Er konnte aber nur mehr zusehen, wie ein Reich, das auch seines war, liquidiert wurde. Der Staatsrat Deutschösterreichs tat alles, um deutlich zu machen, dass er mit der Vergangenheit nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Also weigerten sich seine Vertreter auch konsequent, am Abschluss des Waffenstillstands mitzuwirken. Es war ja nicht der Krieg Deutschösterreichs gewesen, daher solle jener »Faktor«, der den Krieg erklärt hatte, den auch beenden. Kaiser Karl konnte darauf nur erwidern, dass auch er nicht jener Faktor gewesen sei, doch er musste trachten, zumindest die Waffenstreckung noch als souveränen Akt erscheinen zu lassen. Deutschland wollte Deutschösterreich anerkennen. Für die Feinde Österreich-Ungarns war das ein irrelevanter Vorgang, denn sie befanden sich noch im Krieg mit der Habsburgermonarchie und brauchten einen Gegner und keine Neuschöpfung, um einen Frieden diktieren zu können.10

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Das Experiment

Um der Notwendigkeit zu entgehen, ein Staatsoberhaupt zu wählen, gewissermaßen einen »Gegenkaiser«, und man auch noch nicht absehen konnte, ob und wie Kaiser Karl das Ende der Monarchie besiegeln würde, behalf sich die Provisorische Nationalversammlung mit einem besonders mühsamen Konstrukt  : Es wurden drei Präsidenten gewählt, eigentlich bestimmt, von denen einer den Vorsitz in der Nationalversammlung führen, der andere Vorsitzender des Staatsrats und der dritte Vorsitzender des Kabinettsrats sein sollte. Die drei hatten sich wöchentlich in ihrer Funktion abzulösen. Aber es sollte ja nur ein Provisorium sein, so wie zunächst alles provisorisch war. Nachdem der Staatsgründungsakt gesetzt worden war, wurden – wie es sich gehört – Ansprachen gehalten. Draußen, in der Herrengasse, standen die Menschen Kopf an Kopf. Mehrheitlich wurde gejubelt und »Heil« gerufen. Man sah schwarz-rot-goldene und rote Fahnen. Ein wenig wurde randaliert. Der Kaiser blieb unerwähnt. Man lebte in einer Art Schwebezustand. Während sich eine neue Staatlichkeit herausbildete und Parallelinstitutionen zu den kaiserlichen Ministerien in Erscheinung traten, arbeiteten diese weiter. In der Wiener Herrengasse Nr. 7 amtierte der k. k. Ministerpräsident Heinrich Lammasch und suchte ebenso wie die auf die Reichshauptund Residenzstadt verteilten kaiserlich-königlichen Ministerien der österreichischen Reichshälfte etwas zu verwalten, das es nicht mehr gab. Und einige Häuser weiter entfaltete der deutschösterreichische Staatsrat seine Tätigkeit. Es gab auch noch immer die drei gemeinsamen Ministerien Österreich-Ungarns, die sich für die Außenbeziehungen, Krieg und Finanzen der Habsburgermonarchie zuständig sahen und deren Chefs sich auf dem Ballhausplatz im Ministerium des Äußern trafen. Nicht zu vergessen der im Parlamentsgebäude an der Ringstraße untergebrachte Reichsrat, der zwar vertagt worden war, dessen Beamte aber in den Büros saßen, die ihnen einmal zugewiesen worden waren und in die nun die Mitarbeiter der Provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs hineindrängten. Am Anfang des neuen österreichischen Staatswesens stand der Irrtum. Man hatte das Kriegsende nicht für den November 1918, sondern für das Frühjahr 1919 erwartet. Es sollte anders kommen. Kaiser Karl hatte sich erhofft, dass Österreich-Ungarn irgendeine Art von Gemeinsamkeit, am besten in Form eines Staatenbundes, beibehalten würde – er irrte. Die deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrats befürchteten das totale Chaos im Augenblick des Auseinanderbrechens des alten Staatswesens und suchten nacheinander bei der k. u. k. Armeeführung, bei den Siegermächten und vor allem bei der deutschen Reichsführung Rat und Hilfe. Alle erklärten sich für nicht zuständig. Der nächste und fundamentalste Irrtum war wohl der, dass sich die deutschen Österreicher der Habsburgermonarchie der Illusion hingaben, ihr Staat würde so klein nicht sein. Das wurde am 21.  Oktober so locker hingesagt und fand sich neun Tage später im (ersten) Staatsgrundgesetz. Da wurde dann aufgezählt, auf welche Gebiete ein deutsches Österreich Anspruch erhob  : Deutsch Böhmen, Deutsch

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Südböhmen (Böhmerwaldgau), Deutsch Südmähren, das deutsche Gebiet um Neubistritz (Nová Bystřice), das Sudetenland sowie die deutschen Sprachinseln Brünn (Brno), Iglau ( Jihlava) und Olmütz (Olomouc). Diese zwar nicht zusammenhängende, jedoch nennenswerte Landmasse würde jedenfalls genügend Ressourcen besitzen, um sich zu einem geordneten Staatswesen auszuwachsen. Und was die anderen Völker des zerfallenen Reichs anlangte, würden diese nach der Loslösung doch irgendeine Art Gemeinsamkeit suchen. – Auch das erwies sich als falsch. Wie selbstverständlich machte man sich Gedanken über die Zukunft und hätte Vergangenes gerne ungeschehen gemacht. Ein wenig verdrängen ließ es sich jedenfalls. Es war daher zum wenigsten der Fall, dass man sich selbstkritisch die Frage stellte, ob nicht gerade Österreich ein höheres Maß an Verantwortung für das Geschehene zu tragen hätte als andere. Und es waren wohl auch nur wenige, die dann so wie der Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung«, Friedrich Austerlitz, am 5. November 1918 die rhetorische klingende Frage nach dem »Verdienten Schicksal« zum Thema eines Leitartikels machten. Es waren ja nicht nur die Siegermächte, die Österreich und Ungarn eine historische Schuld aufhalsen wollten, sondern auch jene, die sich als »unterdrückte Nationen« sahen. Letztlich hatten zwar auch sie ihren Anteil am Geschehenen, an den Erfolgen wie an den Misserfolgen, bis hin zum Zerfall der Habsburgermonarchie. Doch sie sahen die Schuld ausschließlich bei den deutschen Österreichern und den Ungarn. Diese sollte denn auch das »verdiente Schicksal« ereilen. Wer aber waren »die« Österreicher, und wo war ihr Platz im Nachkriegseuropa  ? Sollte nicht auch für sie gelten, was der amerikanische Präsident Woodrow Wilson mit dem Selbststimmungsrecht der Völker gemeint hatte  ? Keiner wusste es noch so genau. Einiges sprach dafür, dem aus dem Zerfall der Habsburgermonarchie hervorgegangenen Gebilde, dem »Rest«, wie das der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau dann so kurz und treffend formuliert haben soll,11 dieselbe Stellung einzuräumen wie den nicht-deutschen und nicht-ungarischen Teilen den Reichs, die dann eben Nachfolgestaaten waren. Doch dagegen sprach nicht zuletzt das Selbstwertgefühl, das gerade den deutschen Österreichern eigen war. Man sah sich nicht als »Rest«. Das Habsburgerreich war doch letztlich aus den deutschen Kern- oder Erblanden hervorgegangen, hatte eine höhere Verantwortung aber auch Last als andere zu tragen gehabt, war immer im Zentrum gestanden und hatte sich mit dem Reich in einem weit höheren Maß identifiziert als die anderen Teile der Habsburgermonarchie. Was aber war nun Österreich wirklich  ? Weitgehend einig war man sich darüber, dass Deutschösterreich (Südostdeutschland, wie es gelegentlich auch genannt wurde, wollte man sich nicht zu Wortgebilden wie »Ostsass«, »Donau-Germanien«, »Treuland« oder »Teutheim« versteigen),12 eine demokratische Republik werden sollte. Voraussetzung dafür wären eine bürgerliche Ordnung und ein den westlichen Demokratien vergleichbares politisches System. Und

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noch etwas  : Aus der »Schützengrabengemeinschaft« von Deutschen und Österreichern, wie sie Karl Renner bezeichnet hatte,13 sollte ein mitteleuropäisches Staatswesen werden, das seine Zukunft selbst gestalten konnte. Dass das im Einklang mit Deutschland geschehen würde, wurde vorausgesetzt. Einige Tage hindurch wusste man im November 1918 freilich nicht, ob sich die Staatsformen in Einklang bringen lassen würden, denn während Deutschösterreich schon ein klares Bekenntnis zur demokratischen Republik abgelegt hatte, war Deutschland noch ein Kaiserreich. Erst zwei Tage nach dem 9. November ließ sich feststellen, dass es die notwendige Übereinstimmung gab. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. floh in die Niederlande und machte den Weg für eine deutsche Republik frei. Philipp Scheidemann proklamierte sie in Berlin. Jetzt war es wieder Österreich, das nachziehen und den letzten entscheidenden Schritt in Richtung Republik machen musste. Zunächst ging es dabei um die Person von Kaiser Karl. Er kämpfte um den Erhalt der Macht, doch er hatte keine Machtmittel mehr. Bis zuletzt hatte er noch gemeint, dass es für ihn wie für das Habsburgerreich noch eine gemeinsame Zukunft geben würde. »Es wird doch gehen«, hatte er noch Ende Oktober zum Generalrat der österreichisch-ungarischen Bank, Michael Hainisch, gemeint.14 Der Kaiser hatte auch eine Vorleistung erbracht, die ihn sogar für die Radikalen akzeptabel machen sollte  : Am 6. November begnadigte er Friedrich Adler, den Sohn des Vorsitzenden der Sozialdemokraten, der nach dem Mord am österreichischen Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh 1916 zum Tod verurteilt und dann zu lebenslanger Haft begnadigt worden war. Sollte Karl gehofft haben, sich mit der Freilassung Friedrich Adlers irgendeine Gegenleistung verdient zu haben, hatte auch er sich geirrt. Noch wollte man ihn aber nicht einfach ignorieren. Trotz seines Unvermögens, Österreich anders als im Wege einer bedingungslosen Kapitulation und als zerschmettertes Staatswesen aus dem Krieg zu führen, galt noch immer ein hohes Maß an Loyalität und Respekt dem Monarchen gegenüber. Und vielleicht wollten die Alliierten doch eher mit ihm als mit Vertretern der Neuschöpfung Deutschösterreich verhandeln. Als politischer Faktor sollte der Monarch freilich ausgeschaltet werden, sonst würde das Wort von der demokratischen Republik keine Geltung erhalten. Nach längerem Zögern und vielen Einwänden willigte der Kaiser am 11. November ein, einen Verzicht auf die Teilnahme am politischen Geschehen Deutschösterreichs auszusprechen. »Ich verzichte auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften«, hieß es in dem im Juli 1927 verbrannten Dokument. Der Kaiser wurde also nicht abgesetzt und des Landes verwiesen, er dankte auch nicht ab, sondern wurde auf eine sehr moderate Art aus dem Geschehen ausgeblendet. Er enthob noch die letzte kaiserliche Regierung ihres Amts, verließ Schönbrunn und übersiedelte in das Marchfeld, um in Schloss Eckartsau die weitere Entwicklung abzuwarten. Dort unterschrieb er am 13. November eine ähnliche Verzichtserklärung für Ungarn, wie er sie zwei Tage zuvor für Österreich akzeptiert hatte.

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Da fortan der Kaiser keine Macht mehr hatte, man der letzten kaiserlichen Regierung und dem Armeeoberkommando nur noch die Liquidierung des Reiches und seiner bewaffneten Macht zugestehen wollte, war zu fragen, wer dem neuen Staatswesen Macht geben würde. Denn das Problem war wohl, dass Deutschösterreich nur dann eine Chance auf einen politischen Neubeginn hatte, wenn es auch die Macht besaß, die Beschlüsse der Provisorischen Nationalversammlung und deren gesetzgeberische Akte umzusetzen und ihnen Respekt zu verschaffen. Daher wurde schon am 30.  Oktober 1918 mit dem Aufbau einer neuen militärischen Einrichtung, der Volkswehr, begonnen. Es ging ganz banal darum, dem neuen Staatswesen ein Minimum an Sicherheit zu garantieren, denn der Stadtkommandant von Wien, Feldmarschallleutnant Johann Ritter von Mossig, hatte nur mehr vier Kompanien zur Verfügung, also rund 500 Mann, mit denen sich weder Plünderungen noch Krawalle heimkehrender Soldaten verhindern ließen. Und erst recht nicht eine noch weitergehende Veränderung, eine bolschewistische Revolution. Heimkehrende Soldaten wurden genötigt, auf ihren Kappen die kaiserlichen Farben gegen rote Kokarden auszutauschen. Offizieren wurden gelegentlich ihre Distinktionen heruntergerissen. Einige Tage hindurch befürchtete man im Staatsrat, dass die Regierung gestürzt werden könnte. Und Renner soll gesagt haben  : »Wenn ich jetzt an einem Laternenpfahl vorbeikomme, habe ich immer ein etwas sonderbares Gefühl.«15 Er sprach offen aus, dass die Koalition von Bürgern, Bauern und Arbeitern ein sehr fragiles Konstrukt war und seitens der Arbeiterschaft abgelehnt würde.16 Es waren aber nur einige Radikale, die Gewalt anwenden wollten. Und nicht zuletzt sie sollten mittels der Volkswehr diszipliniert werden. Die allermeisten und schließlich Zehntausenden Angehörigen der Volkswehr waren aber ohnedies zufrieden, wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben und der drückendsten Existenzsorgen ledig zu sein. Sie dachten nicht an Revolution. Die Volkswehr wurde denn auch in Kürze weit mehr eine soziale Einrichtung, als dass sie tatsächlich für militärische Einsätze heranzuziehen gewesen wäre.17 Das wurde sehr rasch deutlich. Anfang November begannen slowenische Truppen aus dem neuen südslawischen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS) damit, die südlichen und teilweise von Slowenen besiedelten Gebiete Kärntens sowie der Steiermark zu besetzen. Sie stießen zunächst nur auf den Widerstand lokaler Bürgerwehren. Ein bewaffneter Konflikt zeichnete sich ab. Die Volkswehr spielte dabei keine Rolle. Salzburg und Tirol bis zum Brenner waren vom 6. bis 11.  November von bayerischen Truppen besetzt. Am 7. November begannen italienische Einheiten mit dem Vormarsch nach Norden, überschritten den Brenner und besetzten schließlich Innsbruck. Als Siegermacht war Italien dazu berechtigt. Wo die Grenzen im Norden und Osten verlaufen würden, war noch völlig ungewiss. Die Volkswehr konnte darauf jedenfalls keinen Einfluss nehmen. Gewalt griff um sich. Statt dem Staat exekutive Gewalt zu geben und die Sicherheitsprobleme zu lösen, wurde die Volkswehr Teil der Probleme. Die idealistische

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Das Experiment

Annahme, der neue Staat würde ohne Militär auskommen, wie sie u. a. vom letzten Generalstabschef der Isonzo Armee, Oberst im Generalstab Theodor von Körner, vertreten wurde und in dem Reim »Ohne Waffen, ohne Pfaffen wird die Jugend sich die Zukunft schaffen«,18 ihren Ausdruck fand, hielt der Realität der Nachkriegszeit nicht stand. Rote Garden und Soldatenräte waren immer wieder bereit, Gewalt einzusetzen. Und sie wollten nicht einfach zusehen, wie sich da sehr ordentlich und bedächtig, immer auf die Verwaltungsabläufe bedacht, Rechtskontinuität wahrend und gewissermaßen legitim ein neuer Staat definierte. Jetzt, so glaubte eine Handvoll Radikaler, wäre der Augenblick gekommen, um wie in Russland Räte zu bilden und eine bolschewistische Revolution auszulösen. Tatsächlich wusste man ja noch immer nicht, was das eigentlich für ein Staat sein würde, ja nicht einmal der Name war unumstritten. Beide Teile des Wortes Deutschösterreich befriedigten nicht. Und als Befürchtungen laut wurden, die Siegermächte würden die Bezeichnung Österreich als Fingerzeig dafür nehmen, dass man diesem einzigen weiterbestehenden Österreich die ganze Kriegsschuld aufhalsen könnte – da war man mit dem Staatsnamen gar nicht mehr zufrieden. Dennoch wurde das Wort weiterverwendet, nicht zuletzt in der provisorischen Verfassung und im Gesetzesentwurf über die Staats- und Regierungsform, in dem festgelegt wurde, dass Deutschösterreich eine demokratische Republik sein sollte. Im § 2 hieß es  : »Deutschösterreich ist ein Teil der Deutschen Republik«. Es wurde also nicht eine Absicht bekundet, sondern so getan, als ob das alles schon Gewissheit wäre. Lediglich ein Abgeordneter zögerte. Der Christlichsoziale Wilhelm Miklas hätte die Entscheidung über die Staatsform gerne einer Volksabstimmung unterzogen. Doch es galt, den Minimalkonsens aufrecht zu erhalten. Also gab Miklas nach.

2. Die verhinderte Revolution

2 Die verhinderte Revolution

2 Ausspeisung von Kindern in Wien, 1919. In den Monaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ermöglichte nur ausländische Hilfe das Überleben der städtischen Bevölkerung. Anlässlich des Beginns einer Ausspeisungsaktion der Anglo-American Society of Friends wurde erhoben, dass in Wien und Niederösterreich 72% der Schulkinder zwischen dem 6. und dem 14. Lebensjahr sehr schlecht oder schlecht ernährt waren. Um hier effektiv zu helfen, wurden in den ersten Nachkriegsjahren täglich 300.000 Ausspeisungsportionen verteilt. Die Hälfte entfiel auf Wien, alles andere auf die Bundesländer. 40.00 Kinder fanden 1919 vor allem in der Schweiz und den Niederlanden Pflegeeltern, die sie drei bis sechs Monate aufnahmen. Auslandskomitees, wie das New Yorker »Vienna Milk Relief« betrieben eigene Kinderfürsorgeanstalten. (Foto: Wienbibliothek)

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s könnte eine der schwereren Fragen in einem Quiz sein  : An welchem Tag begann die Erste österreichische Republik, am 30. Oktober oder am 12. November 1918  ? Die Antwort darauf würde vielleicht in einer Diskussion münden. Rechtshistoriker könnten argumentieren, dass der Beginn vom Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung zur Gründung des Staatswesens Deutschösterreich am 30. Oktober 1918 markiert wurde.19 Karl Renner gab noch 1947 den Auftrag, die »Ausrufung der Republik in der Herrengasse am 30. Oktober 1918« auf einem Gemälde von Max Frey festzuhalten, das für das von Renner initiierte Museum der 1. und 2. Republik gedacht war. Ein Aquarell von Moritz Ledeli hält dieselbe Szene aus einer anderen Perspektive fest. Dem Argument, mit dem Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt wäre die Staatsgründung vollzogen worden, wäre entgegenzuhalten, dass es sich bei der Sitzung im Niederösterreichischen Landhaus nur um eine Absichtserklärung gehandelt habe, denn am 30. Oktober wäre Österreich ja noch Monarchie gewesen. Erst nach dem Verzicht Kaiser Karls wäre der Weg zur Ausrufung der Republik frei geworden. Die Geschichte der Republik beginne daher mit dem 12.  November 1918 mit dem Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung über die Provisorische Verfassung und der Ausrufung der Republik vor dem Parlament. Sicher ist, dass sich dieser Tag im historischen Gedächtnis festgesetzt hat, dass das Staatsgründungsdenkmal unweit dem Parlamentsgebäude dieses Datum trägt, der Abschnitt der Wiener Ringstraße zwischen Bellaria und Rathaus von 1919 bis 1934 »Ring des 12. November« hieß, die Verfassunggebende Nationalversammlung am 25. April 1919 den 12. November zum Staatsfeiertag erklärte20 und es am 1. Mai 1934, dem Tag, an dem dann auch schon wieder das Ende der Republik gekommen war, heißen sollte, nun würde »das Österreich des 12.  November 1918 zu Grabe getragen«. Demnach wäre also der 12. November 1918 als richtige Antwort zu geben. Auch dieser Tag und die Geschehnisse vor dem Parlament wurden in einem Gemälde von Rudolf Konopa festgehalten.21 Die Gemälde von Frey und Konopa, tragen unmissverständlich die Bezeichnung »Ausrufung der Republik«. Nur die Örtlichkeiten und Daten sind verschieden. Was stimmt also  ? Brechen wir den Diskurs ab.

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Die verhinderte Revolution

Ein Staat entsteht Der 12. November 1918 endete nicht so friedlich, wie er begonnen hatte. Am Nachmittag sollte von der Provisorischen Nationalversammlung das Staatsgrundgesetz verabschiedet werden und die gewissermaßen offizielle Ausrufung der Republik erfolgen. Alles war vorbereitet, die einzelnen Marschsäulen, die sich vor dem Parlament treffen sollten, waren genau eingewiesen. Man schätzte die Menge auf 150.000 Menschen. Leichter Regen konnte die Feststimmung nicht beeinträchtigen. Die Meisten, Männer wie Frauen, waren gut gekleidet. Man trug Hut. Als die Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung nach der Annahme der Provisorischen Verfassung auf die Rampe des Parlaments traten, um einer im hereinbrechenden Dunkel wartenden Menge die Gründung der Republik zu verkünden und die rot-weiß-rote Fahne aufgezogen wurde, die das alte Schwarz-Gelb der Kaiserzeit ablöste, holten ein paar Angehörige der Roten Garde die Fahne wieder herunter. Sie rissen das Weiß des Mittelstreifens heraus und hissten die zusammengebundenen roten Fetzen als Zeichen der beginnenden Revolution. Anschließend wurden weiter Ansprachen gehalten und der Arbeitergesangsverein sang ein Lied. Dann aber suchte ein Dutzend Rotarmisten ins Parlamentsgebäude einzudringen und begannen eine wilde Schießerei. Die Ruhe konnte nur mühsam wieder hergestellt werden. Doch das Revolutionsgespenst nahm Gestalt an. Es fand nur deshalb keine Nahrung, da die Zukunft des Landes trotz aller Hypotheken einigermaßen gesichert schien. Keinesfalls stand am Anfang die These von der Lebensunfähigkeit Österreichs. Man machte sich weiterhin Hoffnungen, dass Deutschösterreich ein ansehnliches Staatsgebiet haben würde. Im Gesetz über Umfang und Grenzen des Staatsgebietes vom 22. November 1918 wurden schließlich jene Länder und Städte genannt, auf die sich die Gebietshoheit erstrecken sollte, und das waren vornehmlich Landesteile und Sprach­inseln, in denen deutsch gesprochen wurde, die aber auch vom südslawischen SHS-Staat und von der neuen Tschechoslowakei beansprucht wurden oder überhaupt in Polen lagen, wie z. B. Deutsch-Bielitz (Bielsko Biała). Es war unrealistisch. Solcherart wäre ein künstliches Gebilde entstanden, das keinen Zusammenhang gehabt hätte. Aber die sehr einseitige Festlegung, mit der in Wien dekretiert wurde, was alles zu Deutschösterreich gehören und was schließlich auch in dem mit 225 Sitzen gedachten neuen Parlament Sitz und Stimme haben sollte, war mit den anderen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie ohnedies nicht abgestimmt. Und dort dachte man nicht im Entferntesten daran, den Vorstellungen Deutschösterreichs zu entsprechen. Aber auch in den führenden Wirtschaftskreisen Deutschösterreichs herrschte im November 1918 noch vorsichtiger Optimismus. Dieser gründete nicht zuletzt darauf, dass sich eine Art Konzentrationsregierung gebildet und es den Anschein hatte, dass alle politischen Kräfte am Aufbau des neuen Staatswesens mitwirken wollten. Man sah das

Ein Staat entsteht

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Land als nationalen Einheitsstaat und nicht als Wrack eines Großreichs. Dann wurde zusammengezählt, was dieser neue Staat alles haben würde – immer vorausgesetzt, es würde ihm das zufallen, was man anfänglich in Rechnung stellte  : Leistungsfähige Industrien, Eisen, Holz, Wasserkraft und vor allem Kapital. Wien war das Bankenzentrum der Monarchie gewesen, und Geld gab es noch zur Genüge. Österreich-Ungarn war ja im November 1918 nicht bankrott gewesen. Auch die böhmischen Industrien würden ihre Kredite vornehmlich von deutschösterreichischen Instituten beziehen, glaubten die Konzernherren in Wien. Die Kriegsgewinne müssten investiert, die Betriebe auf neue Produkte umgestellt werden, und wenn das alles so lief, dann sei die Lebensfähigkeit eines auch klein gewordenen Landes kein Thema. Wenn der Staat für die innere Ordnung sorgte, würde die Bevölkerung sicherlich rasch Vertrauen zu ihm gewinnen. Anders als in Deutschland suchte man nicht Zuflucht in der Legende vom »Dolchstoß«, dem Österreich-Ungarn zum Opfer gefallen wäre. Zwar wurde wie schon während der Kriegsjahre die Haltung von Nord- und Südslawen als kausal für den Zusammenbruch gesehen, doch gleichzeitig mit einer gewissen Befriedigung festgestellt, dass man nun frei in seinen Entscheidungen sei. Jetzt hieß es nicht mehr auf Ungarn, Tschechen und andere gerne als »Totengräber« der Monarchie bezeichnete Völker des Habsburgerreichs Rücksicht zu nehmen  ; jetzt konnte Deutschösterreich unbeirrt seiner eigenen Wege gehen. Darin waren sich Politiker, Bevölkerung und nicht zuletzt auch die katholische Kirche einig, und gerade letztere schaffte die Umstellung von der Stütze des habsburgischen Herrscherhauses zur Stütze der demokratischen Republik vergleichsweise klaglos. Mag sein, dass eine »blutende Wunde« blieb,22 doch sie ließ sich verbergen. Der Klerus wurde aufgefordert, die Gläubigen von der Kanzel zur »unbedingten Treue gegenüber dem nun rechtmäßig bestehenden Staate Deutschösterreich« zu ermahnen.23 Was alles anders geworden war und was sein würde, musste freilich noch erläutert werden und setzte bei den Kindern an. In Lesebögen für die Volksschulen hieß es daher  : »Manches von dem, was die großen Leute jetzt reden, versteht ihr am Ende doch noch nicht. Da sagen sie jetzt  : Nun ist unser Vaterland Österreich – nein Deutschösterreich heißen sie es jetzt – nun ist Deutschösterreich eine Republik und wir sind Republikaner. Was das wohl heißen mag  ? … Nun wollen wir, die wir die deutsche Sprache reden, uns auch zusammentun und unser Haus so einrichten, wie es uns gefällt. Kein Einzelner soll uns etwas vorschreiben können, sondern das wollen wir tun, was die Mehrheit von uns für gut hält. … Ja, aber wir sind doch zehn Millionen Menschen in Deutschösterreich. Sollen die immer gefragt werden, was sie wollen  ? Gewiss nicht, denn das wäre zu umständlich. Drum wählen die zehn Millionen Menschen von Zeit zu Zeit Leute, zu denen sie Vertrauen haben. Diese Leute kommen dann zusammen und machen die Gesetze, nach denen wir alle uns richten müssen. So macht man es in einer Republik. … Wenn Ihr groß werdet, soll unser liebes Deutschösterreich wieder ein glückliches, frohes Land sein und Ihr sollt stolz sein können auf Euer Vaterland.«24

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Anspruch ohne Wirklichkeit

Das Staatsgebiet Deutschösterreichs

Eger / Cheb

DEUTSCHLAND

Inn

Salzb Bregenz Salzach

Innsbruck

SCHWEIZ

Inn

Karte 1: Gedachter ­Umfang und Grenzen des Staatsgebiets von Deutschösterreich, November 1918

Die verhinderte Revolution

Lienz Bozen / Bolzano

ITALIEN

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Ein Staat entsteht

Reichenberg /

POLEN

Liberec

Prag Bielitz /

Pilsen /

Bielsko

TSCHECHIEN Olmütz /

Plzeň

Olomouc

Iglau / Jihlava

Brünn /

Brno

Krumau / Č. Krumlov

Znaim / Znojmo

SLOWAKEI na

Donau

Linz

rch

u

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Do

Wien

Pressburg / Bratislava

St. Pölten Eisenstadt

burg

Ödenburg / Sopron

Enns

Budapest

UNGARN Mur

Dr

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Klagenfurt

Graz

r

Mu

Marburg /

Maribor

SLOWENIEN

Umfang und Grenzen des Staatsgebiets gem. Gesetz vom 22. November 1918 Die Skizze basiert auf den heutigen Staatsgrenzen.

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Die verhinderte Revolution

Der Übergang von der Monarchie zur Republik schien so selbstverständlich zu sein, dass sich zwar die Meisten der Zäsur bewusst waren, sie aber gleichzeitig ein Experiment erlebten, dessen Bestandteil sie waren. Man hatte keine Erfahrung mit der Demokratie. Für die Masse der Bevölkerung traten trotz aller Verweise auf eine gesicherte Zukunft in einem demokratischen Staatswesen Existenzsorgen und der Wunsch nach einem Halt in einer aus den Fugen geratenen Welt in den Vordergrund. Der Anschluss an Deutschland schien die Lösung schlechthin zu sein. Die großdeutschen Parteien und die österreichischen Sozialdemokraten traten aus voller Überzeugung dafür ein  ; die Christlichsozialen mit einiger Zurückhaltung. Die Sozialdemokraten erwarteten sich von einer vollständigen nationalen Einigung den raschen Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Daher hieß es auch – und hier wird der Gegensatz zum Kapital deutlich – ein selbständiges Österreich sei nicht lebensfähig.25 Der Anschluss an Deutschland war freilich auch bei den Sozialdemokraten nicht ganz unumstritten, und Staatskanzler Renner hätte weit lieber einen Bund unabhängiger Staaten mit einer gemeinsamen Zentralverwaltung gesehen. Wer dem angehören sollte, blieb offen.26 Wenig später relativierte sich das Anschlussstreben, und man musste zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland von den österreichischen Avancen nur mäßig angetan war. Vor allem befürchtete man in Berlin, dass ein Zuwachs um Österreich – wenn er überhaupt möglich sein sollte – von den Siegermächten mit verschärften Friedensbestimmungen beantwortet werden würde. Deutschland wäre solcherart ja gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen. Also signalisierte der Staatssekretär des Auswärtigen, Wilhelm Solf, Ablehnung. Dann aber, als es um die Ausarbeitung der Weimarer Verfassung ging, wurden doch auch Vertreter Deutschösterreichs eingeladen, an diesem Werk mitzuwirken.27 So ganz sicher war man sich also in Deutschland nicht und behielt ein Eisen im Feuer. Schließlich war die Anschlussfrage aber so etwas wie eine politische Karte, die einmal gespielt und ein anderes Mal im Talon gehalten wurde. Auf jeden Fall sollte der Anschluss Österreichs an Deutschland sowohl eine Rückkehr zur Monarchie als auch eine Bolschewisierung verhindern.28 Letzteres schien den Siegermächten eine reale Gefahr zu sein, der sie zwar begegnen wollten, sich aber gleichzeitig eingestehen mussten, dass sie dazu kaum Möglichkeiten hatten. Noch war es ja nicht ausgemachte Sache, dass das Experiment mit der demokratischen Republik gelingen würde, und dass sich nicht radikale Gruppen das Ende des alten Österreichs zunutze machen und eine Revolution anzetteln könnten. Die Gewalt, die während des Kriegs so alltäglich geworden war, wollte ja noch lange nicht abebben. Immer wieder konnte man den Ruf nach alliiertem Militär oder zumindest Ordnungstruppen hören. Die britische Regierung fand freilich keinen Gefallen an französischen und italienischen Plänen, Truppen nach Öster­reich zu schicken. Schließlich einigten sich die drei Mächte darauf, in Wien kleine diplomatische oder Militärmissionen zu installieren. Man wollte die Entwicklung zumindest

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aus der Nähe beobachten. Am 30.  November 1918 beauftragte das Londoner War Office Oberstleutnant Sir Thomas Montgomery Cuninghame als britischen Militärbeauftragten nach Wien zu gehen. Cuninghame war bis 1914 Militärattaché in Wien gewesen. Nun sollte er – fast wie ehedem – aber nicht nur in Deutschösterreich den Willen der Alliierten durchsetzen, sondern auch für Ungarn zuständig sein und regelmäßig aus der Tschechoslowakei berichten. Schon seine ersten Nachrichten aus Wien klangen besorgniserregend. Deutschösterreich drohte eine Hungerkatastrophe. Bereits Ende Oktober 1918 hatte der letzte kaiserliche Staatsminister für Ernährung, Hans Loewenfeld-Russ, darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht möglich sein würde, Österreich mittel- und längerfristig zu ernähren. Er sollte Recht behalten. Die Alliierten beließen es nämlich bei der kriegsbedingten Hungerblockade, und angesichts der Nahrungsmittelkatastrophe, zumindest aber -knappheit in vielen europäischen Staaten gab es auch kaum Hoffnung auf Importe. Die einzige Hoffnung, die Loewenfeld-Russ, der übergangslos als Staatssekretär Mitglied der Provisorischen Staatsregierung Deutschösterreichs geworden war, hegte, war die, dass Österreich mit Hilfe Deutschlands seine Existenzprobleme überwinden würde. Doch Deutschland stornierte im November seine schon zugesagten Lieferungen. Es kämpfte selbst ums Überleben. Und dann kam es noch schlimmer  : Angesichts des sich abzeichnenden Streits um die Zugehörigkeit von Südböhmen und -mähren sowie der deutschen Gebiete Schlesiens waren die Tschechen nicht mehr bereit, Lebensmittel nach Deutschösterreich zu liefern. Sie waren auch regelrecht alarmiert, dass Deutschösterreich in sein Grundgesetz ganz einfach hineingeschrieben hatte, es würde ein Teil Deutschlands sein, denn wenn tatsächlich alle von Österreich beanspruchten Gebiete zu diesem (Groß)Deutschland gehören sollten, würde die Tschechoslowakei regelrecht in die Zange genommen werden. Für die Prager Regierung unvorstellbar. Sie reagierte dementsprechend. Wollte man nicht verhungern, musste Österreich seine territorialen Wünsche zumindest einmal vorläufig zurückstellen und mit den Tschechen reden. Loewenfeld-Russ stellte in der Staatsratssitzung am 8. November die Situation denn auch unmissverständlich klar  : »Bei allem nationalen Empfinden muss man die Frage stellen, ist es möglich, die nationalen und politischen Bedürfnisse durchzusetzen, wenn wir vorher verhungert sind  ?« Die Antwort ergab sich von selbst. Doch es sollte sich als ungemein schwierig erweisen, mit der neuen Tschechoslowakei ins Gespräch zu kommen. Es gab aber doch noch einen Funken Hoffnung  : Fünf Tage nach Abschluss des Waffenstillstands von der Villa Giusti hatte die amerikanische Regierung mitgeteilt, sie würde die »befreiten Völker Europas« mit Nahrungsmitteln unterstützen.29 Der deutschösterreichische Staatssekretär des Äußern, Otto Bauer, Nachfolger des plötzlich verstorbenen Viktor Adler, notifizierte daher den Amerikanern nicht nur die österreichische Neuschöpfung, sondern reflektierte auch auf das amerikanische Angebot. Auch Deutschösterreich würde zu den »befreiten Völkern« gehören, würde also

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mit Nahrungsmitteln aus den USA zu beliefern sein. Präsident Wilson ließ in seiner Antwort mitteilen, die USA würden dem Land zwar die Einfuhr von Nahrungsmitteln ermöglichen, allerdings nur gegen Bezahlung. Die USA wollten sich aber zumindest nicht die britisch-französische Haltung zu eigen machen und die Blockademaßnahmen auch über das Kriegsende aufrechterhalten. Daher wurde wohl Deutschland bis März 1919 nicht beliefert, im Fall Österreichs jedoch stillschweigend eine Gleichsetzung mit den befreiten Nationen vorgenommen, auch wenn sich der Beginn der Hilfslieferungen dann dramatisch verzögerte. Und allein ehe es möglich war, mit dem Direktor der »American Relief Administration«, Herbert Hoover, Gespräche zu beginnen, dauerte es noch bis Jahresende. Bis dahin war in Deutschösterreich alles an Nahrung aufgebraucht worden, was noch irgendwo aufzutreiben gewesen war. Ab Januar 1919 überlebte man dank ausländischer Hilfe. Die aber war – wie angekündigt – nicht unentgeltlich. Vielmehr wurden Zahlungsabkommen geschlossen und ging es um Sicherstellungen, ohne die keine Hilfe zu erwarten gewesen wäre. Für die Bereitschaft der USA, Österreich Lebensmittelkredite zu gewähren und damit sein Überleben zu sichern, war letztlich ausschlaggebend, dass das drohende Gespenst der Bolschewisierung konkrete Formen annahm. Von Großzügigkeit war weiterhin nicht die Rede, und als die USA schließlich Deutschösterreich das Geld vorstreckten, mit dem die Nahrungsmittellieferungen bezahlt werden sollten, musste Deutschösterreich im Gegenzug den USA wesentliche Staatseinnahmen verpfänden und schließlich im Juni 1919 der temporären Transferierung der österreichischen Goldund Devisenbestände nach Italien zustimmen.30 Amerikaner und Franzosen brachten schließlich auch die Tschechoslowakei dazu, Österreich mit Kohlen zur Gaserzeugung zu beliefern.31 Die täglich antransportierten Mengen an Mehl und Getreide stiegen signifikant an. Im April wurde die Mehlquote pro Person verdoppelt, ebenso die Fettquote. Beide erreichten allerdings nur die (äußerst bescheidenen Mengen) vom Dezember 1917 bzw. Januar 1918.32 Anderswo spitzte sich die Krise weiter zu. Österreichs Großbanken mussten ihre Beteiligungen abstoßen. Sie konnten gar nicht anders, da sie ihre Liquidität einzubüßen drohten. Sie verkauften ihre Mehrheitsanteile an den dann italienischen Werften in Triest und Fiume (Rijeka). Die Tschechen luden französische Finanzinstitute ein, die bis dahin österreichischen Anteile bei der Firma »Škoda« zu erwerben. Daraufhin wurde »Škoda« von »Schneider-Creuzot« übernommen. Als es dem italienischen »Fiat«-Konzern gelang, mit Hilfe des berühmt-berüchtigten Spekulationskaisers Camillo Castiglioni die Aktienpakete der »Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft« zu übernehmen, ging ein weiteres österreichisches Großunternehmen in ausländische Hände über. Dass dabei das österreichische Staatssekretariat für Finanzen unter dem Kurzzeit-Staatssekretär Joseph Schumpeter die Hände im Spiel hatte, machte die

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Sache nicht besser. Gerade solche Aktionen, die eine Notverstaatlichung von großen Unternehmungen verhinderten, waren aber Wasser auf die Mühlen derer, die Wirtschaftsfragen auch unter ideologischen Gesichtspunkten sahen. Und für die Sozialdemokraten war der Ausverkauf gleichzusetzen mit einem Verlust von Arbeitsplätzen und auch insofern klassenkämpferisch zu interpretieren, als der »Westen« als imperialistisch und kapitalistisch bezeichnet werden konnte und sich durchaus Parolen der Russischen Oktoberrevolution übernehmen ließen. Trotz eines zunehmenden verbalen Radikalismus versuchte die sozialdemokratische Parteiführung Deutschösterreichs aber immer wieder zu beruhigen. Der Unterstaatssekretär für Heereswesen, Julius Deutsch, wiegelte auch ab, als einiges darauf hindeutete, die politische Führung könnte die Kontrolle über die Volkswehr verlieren. Vor allem in Wien empfand man sie schon als regelrechte Plage, und ihre Stärke von weit mehr als 15.000 Mann gab Anlass zu Sorge. Einzelne Volkswehrtrupps begannen damit, nicht nur Gasthäuser und Geschäfte nach Lebensmitteln und Verwertbarem zu durchsuchen. Jetzt kamen auch Privatwohnungen dran. Es wurde geplündert. Die Polizei war machtlos. Ein militärisches Einschreiten schien den alliierten Militärmissionen weiterhin zu riskant. Sie hatten lediglich 200 Mann zur Verfügung, standen also einer Übermacht gegenüber.33 Auch sonst sah es nicht gut aus. Immer häufiger wurden Anschlussparolen gesichtet. Der schon vor dem Krieg latente Antisemitismus richtete sich verstärkt gegen die in Österreich, vor allem in Wien gebliebenen galizischen sowie die »bodenständigen« Juden. Überall brodelte es. Die Regierung tat, was sie konnte, und kämpfte mit ­einem ganzen Paket von Reformen gegen das Revolutionsgespenst an. Die Koalition beschloss den Acht-Stunden-Tag für Fabrikarbeiter und eine generelle 48-StundenArbeitswoche, fixierte Urlaubsansprüche und Arbeitslosenversicherung, alles Dinge, die bereits während der Streikwelle im Januar 1918 gefordert worden waren. Aber natürlich blieben Wünsche offen. Bis zur Regelung der friedensvertraglichen Fragen war jedoch Wohlverhalten angesagt. Es sollte möglichst keine Unruhen geben, da es sonst gleich geheißen hätte  : Österreich wird kommunistisch. Für den 16.  Februar 1919 wurden die ersten allgemeinen Wahlen ausgeschrieben, die ersten seit Juni 1911, und überhaupt die ersten, bei denen auch Frauen ihr Stimmrecht ausüben konnten. Die Vorwahlzeit brachte verständlicherweise eine zusätzliche Polarisierung und Radikalisierung. Eine Zeitlang war überlegt worden, für die von Deutschösterreich abgetrennten deutschen Gebiete der früheren Monarchie Abgeordnete ganz einfach zu ernennen, da sie ja an den Wahlen nicht teilnehmen konnten, doch man nahm davon Abstand. Das Ergebnis der Wahlen war dann eindeutig  : Die Sozialdemokraten erreichten mit 72 Mandaten die Mehrheit  ; die Christlichsozialen bekamen 69 Sitze in der als Konstituierende Nationalversammlung bezeichneten Volksvertretung  ; deutschnationale Gruppen erhielten 26 und Splitterparteien weitere

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drei Mandate in dem 170 Sitze zählenden Parlament. Tatsächlich waren nur 159 Abgeordnete gewählt worden  ; elf wurden kooptiert.34 Staatskanzler wurde Karl Renner. Die Regierung wurde in Form einer großen Koalition von Sozialdemokraten und Christlichsozialen gebildet und verfügte über eine satte Mehrheit von 141 Abgeordneten. Einer der ersten Beschlüsse der neu gewählten Konstituierenden Nationalversammlung war die Bestätigung des Grundgesetzes vom 12.  November 1918. Deutschösterreich war eine demokratische Republik. Und Deutschösterreich war »Bestandteil des Deutschen Reiches«.35 Zumindest auf dem Papier. Ein Kaiser zu viel Das Reichsratsgebäude an der Wiener Ringstraße war von jenen, die dort nichts mehr zu tun hatten, geräumt worden. Es hieß auch nicht mehr Reichsratsgebäude, sondern Parlament. Nur der größte Sitzungssaal behielt seinen Namen  : Es war der Reichsratssitzungssaal. Er wurde aber kaum gebraucht. Die Konstituierende Nationalversammlung kam ohne ihn aus. Sie hatte jedoch eine übervolle Tagesordnung. Wieder, wie schon im November 1918, beschäftigte man sich zunächst vorranging mit der Person des Kaisers. Er war keinesfalls zur Unperson geworden, auch wenn ihm Vieles vorgeworfen wurde und sich verbale Attacken gleichermaßen gegen ihn, die Aristokratie und vor allem an die Adresse der militärischen Führung im Krieg richteten. Dass der Kaiser eine Art Störfaktor war, schien jedoch evident. Er war bis zuletzt in Wien im offenen Wagen gefahren und akklamiert worden, dann nach Schloss Eckartsau übergesiedelt und wartete darauf, von irgendeinem der Nachfolgestaaten ein Signal zu bekommen, dass er willkommen wäre. Es kam nicht. Der Ex-Kaiser hatte wie so viele die Spanische Grippe. Sein Speiseplan war ein wenig eintönig, da es fast täglich Wild gab. Und er wartete. Es fiel auf, dass der Kaiser die Wehrmacht der Doppelmonarchie, die ja auf ihn vereidigt worden war, nicht entlassen und ihres Eids entbunden hatte  – im Gegensatz zur letzten kaiserlich-österreichischen Regierung. War es eine Unterlassung, die nur passierte oder sollte damit die Fiktion eines weiterhin bestehenden Allerhöchsten Oberbefehls genährt werden  ? Man wusste es nicht. Karl blieb in Schloss Eckartsau, und man war sich über seine Absichten im Unklaren. Also musste eine Lösung gefunden werden. Nach den Wahlen im Februar bereitete die deutschösterreichische Nationalversammlung ein Gesetz über die Landesverweisung der Habsburger vor. Schon bei der Staatsratssitzung am 20. Dezember 1918 war überlegt worden, den Kaiser für »vogelfrei« zu erklären. Dem stand aber noch immer die Überlegung entgegen, Kaiser Karl in die Friedensvertragsverhandlungen einzubinden. Renner fuhr nach Eckartsau, hatte

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aber offenbar keine Gelegenheit, den Ex-Kaiser zu sprechen, da dieser einer Begegnung auswich und Renner unverrichteter Dinge heimfahren musste.36 Karl hatte wohl das Gefühl, mit seiner Verzichtserklärung am 11. November zu weit gegangen zu sein, und hatte sich die Auffassung seiner Frau Zita zu eigen gemacht, dass ein Herrscher nicht einfach abdanken könne. Man könnte ihn töten  ; dann würde eben ein anderer in seine Fußstapfen treten.37 Doch abdanken  : Nie  ! Am 12. März beschäftigte der britische Premierminister David Lloyd George den Obersten Alliierten Rat in Paris mit der Frage einer Kriegsschuld des österreichischen Kaisers. Der Rat stellte fest, dass Karl keinerlei persönliche Schuld treffe, und man dankbar wäre, wenn ihn die Schweiz aufnehmen würde. In Wien aber führte die Weigerung Karls abzudanken zu einer weiteren Verschärfung. Gerüchte, dass das Leben des Kaisers in Gefahr wäre, kursierten, sie waren freilich aus der Luft gegriffen. Er war zu einer Verlegenheit geworden – mehr nicht. Und er wollte nicht wie Kaiser Wilhelm fliehen. Staatskanzler Renner drohte unverhohlen  : Sollte Karl nicht abdanken oder ins Exil gehen, würde er interniert werden. Schließlich entschloss sich der Ex-Kaiser doch zur Emigration und wurde am 24. März 1919 mit einem Sonderzug in die Schweiz gebracht. In die Gegenrichtung fuhr Stefan Zweig. Er, der den Kriegsbeginn 1914, den Aufbruch der Massen, als etwas »Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches« gesehen hatte, dann aber, weil er nicht gebraucht wurde, in die Schweiz gereist war, kehrte im März 1919 nach Österreich zurück, in ein Österreich, »das doch nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte«. In Feldkirch will Zweig genau neben dem Salonwagen von Kaiser Karl zum Stehen gekommen sein und sah zu, wie dessen Zug anfuhr. »Die Beamten sahen ihm respektvoll nach. Dann kehrten sie mit jener gewissen Verlegenheit, wie man sie bei Leichenbegräbnissen beobachtet, in ihre Amtslokale zurück. … Ich wusste, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte«.38

Noch vor Überqueren der Landesgrenze nahm der frühere Kaiser seinen Verzicht vom 11. November des Vorjahres mit der Begründung zurück, es wäre, wem immer auch, nicht gegeben, einen Kaiser »von Gottes Gnaden« abzusetzen. »Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt des ›Gottesgnadentums‹. Ich bin der legitime Herrscher. Alle Gegenkönige, ob auch durch Volkes Gnaden erwählt, sind unrechtmäßig und Hochverräter. Meine österreichische und ungarische Proklamation sind erzwungen, daher ungültig.«39 Die Republik antwortete am 3. April 1919 mit der bedingungslosen Landesverweisung des »ehemaligen Trägers der Krone« und der Ausweisung aller Angehörigen der Familie Habsburg-Lothringen, die sich nicht ausdrücklich zur österreichischen Verfassung bekannten.40 Ihre bürgerlichen Rechte wurden eingeschränkt.

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Die Republik erklärte sich zur Eigentümerin des gesamten auf ihrem Staatsgebiet befindlichen habsburgischen Besitzes, sofern er nicht nachweislich Privatvermögen war. Eide, die dem Kaiser geleistet worden waren, galten als »unverbindlich«. Adelstitel und adelige Vorrechte waren abgeschafft.41 Damit war ein Problem radikal gelöst worden. Lediglich episodenhaft zu werten war die Reaktion von Adalbert (Graf ) Sternberg, der sich Visitenkarten drucken ließ, auf denen er unter seinem Namen anmerkte  : »Geadelt unter Karl dem Großen / entadelt unter Karl Renner«.42 Umsturzversuche Mit dem Gesetz vom 3. April 1919 wurde zumindest ansatzweise deutlich, dass sich Deutschösterreich auch von einer revolutionären Seite zeigen konnte. Zur Entschlossenheit hatte wohl auch beigetragen, dass in Ungarn die Radikalen gesiegt hatten und eine kommunistische Räteregierung bildeten. Am 21.  März 1919 übernahm in Budapest der während der Russischen Revolution radikalisierte Béla Kun die Regierung. Das wurde auch in Österreich als Signal verstanden  : Die Linke hoffte auf ein Übergreifen der Revolution  ; die große Mehrheit der Bevölkerung, vor allem im Westen des Landes, war geschockt. Zur Aufgeregtheit trug bei, dass der britische Oberstleutnant Cuninghame im März alarmiert aus Budapest nach Wien zurückkehrte und von einer unmittelbaren Gefahr sprach. Der österreichische Staatssekretär für Äußeres, Otto Bauer, versuchte zu beruhigen  : Auch in Deutschösterreich würde wohl über eine kommunistische Regierung gesprochen, doch es sei eine lediglich akademische Diskussion. Außerdem hinge die Entwicklung in Österreich nicht von Ungarn, sondern von Deutschland ab.43 Genau das war aber das Problem, denn am 5. April wurde auch in München eine Räterepublik proklamiert. War das der Beginn einer bolschewistischen Revolution in Deutschland  ? Würde das die bis dahin ausgebliebene und bestenfalls herbeigeschriebene »Österreichische Revolution« auslösen  ?44 Am 27.  März begannen Streiks bei der Südbahn und Westbahn. Züge mit Nahrungsmitteln wurden angehalten und umgeleitet. Wieder war es die Volkswehr, die zur Sorge Anlass gab. Der Staatssekretär für Finanzen, Schumpeter, legte den Westmächten dringend die Entwaffnung der Volkswehr nahe und suggerierte den Repräsentanten der Siegermächte, dass auch Staatskanzler Renner einen solchen Schritt befürworten würde.45 Doch die Alliierten konnten sich wieder zu keiner anderen Maßnahme durchringen, als zu drohen. In Wien schlug schließlich die Stunde der Sozialdemokraten. Obwohl die österreichische Linke einen radikalen Flügel hatte und den Klassenkampf durchaus ernst nahm, lehnte sie die Aufforderung der ungarischen Kommunisten zur aktiven Unterstützung ab. Trotz vieler Sympathien für ein linkes Experiment schien auch den mit Béla Kun sympathisierenden österreichischen Sozialdemokraten

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die Situation nicht vergleichbar zu sein. Vor allem wurde geltend gemacht, dass es wohl in Wien eine dominante Linke gäbe, nicht aber im übrigen Österreich. Hier waren die Hochburgen der Bauernschaft und der Christlichsozialen, die sich der Forderung nach einem gemeinsamen Vorgehen mit den ungarischen Kommunisten vehement widersetzten. Die Möglichkeit eines Zusammengehens von Österreich und Ungarn hatte jedoch bei den Siegermächten die Alarmglocken schrillen lassen. Zunächst beschäftigte man sich nun doch mit der Möglichkeit, alliierte Truppen nach Ostösterreich zu verlegen. Österreichischerseits war man durchaus interessiert. Schon ein Regiment in Wien würde genügen, hieß es. Plötzlich stieß die Idee nicht nur bei den Franzosen, sondern auch bei Amerikanern und Briten auf Interesse. Die Franzosen wollten mit 500 Mann einen Anfang machen. Doch der Interventionismus hatte seine große Stunde schon gehabt. Wohl tauchten bei den Militärs auch weiterhin Interventionspläne auf, doch die politische Führung in Paris, London und Washington winkte ein ums andere Mal ab. Dazu trugen nicht zuletzt die geringen Erfolge der alliierten Intervention in Russland bei. Sich mit Österreich und womöglich auch mit Ungarn ein zusätzliches Problem aufzuhalsen, lag nicht im Interesse des Westens. Differenziert war die Haltung Italiens, das eine Intervention der Franzosen im Donauraum nicht ausschloss, seine eigenen Interessen dabei aber gewahrt sehen wollte. Italien trat daher für die Intervention ein und wollte gegebenenfalls ein italienisch besetztes und kontrolliertes Österreich und ein von Franzosen kontrolliertes Ungarn sehen.46 Auch der Vatikan wünschte sich ein Eingreifen der Alliierten in Österreich. Doch schon am 27. März 1919 einigten sich die Siegermächte im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz darauf, dass es keine Intervention geben sollte. Damit wurde den Plänen Cuninghames und seiner Kollegen in Wien, dem italienischen General Roberto Segré und dem französischen Diplomaten Henri Allizé, eine definitive Absage erteilt. Ein rascher Friedensschluss und die Wiederaufnahme des internationalen Handels sollten die Gefahr weit wirkungsvoller bekämpfen als eine militärische Intervention, hieß es aus Paris.47 Am 8. April kam aber auch bei den »Großen Vier« regelrechte Katastrophenstimmung auf. Der italienische Ministerpräsident Orlando ließ verlauten, er habe zuverlässige Nachrichten, dass für den 14. April in Wien die Ausrufung einer Sowjetrepublik vorgesehen sei. Die Briten waren ähnlich informiert worden.48 Der Tag stimmte zwar nicht, doch das Gerücht hatte seine Grundlagen. Die Alliierten reagierten allerdings recht eigenartig  : Der britische Außenminister, Lord Arthur James Balfour, meinte  : Sollte das Land im Chaos versinken oder gar kommunistisch werden, würden die Lebensmittellieferungen sofort gestoppt werden. Und Oberstleutnant Cuninghame ließ sogar mit der Äußerung aufhorchen  : »Unruhen  … werden mit dem Hungertod bestraft.«

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Trotz der seit Januar anrollenden Hilfslieferungen war die existentielle Not in Österreich ja noch immer außerordentlich, und da man im Grunde genommen kaum etwas geschenkt erhielt, war es nur der Umstand, dass überhaupt etwas geliefert wurde, der hervorhebenswert war. Im März wurde die alliierte Blockade gegen Österreich demonstrativ beendet. Österreich durfte allerdings keine Güter nach Deutschland oder Ungarn exportieren. Das schränkte wiederum ein, und die Arbeitslosigkeit nahm zu. Der Klassenkampf gewann an Schärfe. Der beschränkte sich aber nicht auf die radikale Linke und ihre ideologischen Hauptgegner im christlichsozialen Lager, sondern erstreckte sich genauso auf den Gegensatz zwischen einem mehrheitlich als »links« angesehenen Wien und den wiederum mehrheitlich als christlichsozial, zumindest aber nicht links angesehenen Bundesländern. Doch auch innerhalb der Linken war der Gegensatz mit Händen zu greifen. Der Forderung der Radikalen nach Sozialisierung hielt Renner entgegen, »man könne nicht den Bankrott sozialisieren«. Schließlich distanzierte sich im Frühjahr 1919 die Mehrheit der Sozialdemokraten auf einer Reichskonferenz der Arbeiterräte in Linz von der Rätebewegung.49 Die radikale Phrase war damit aber keineswegs verstummt. Und es waren nicht nur Phrasen, sondern immer wieder Gewalttätigkeiten, die die Angst schürten. Jede gesellschaftliche Gruppe suchte sich den Staat nach ihren Vorstellungen zu formen. Dementsprechend wurden Feindbilder produziert. Die Andersdenkenden waren »Klassenfeinde«. Denen wiederum kamen Worte wie »Bolschewiken« oder »verjudet« rasch von den Lippen. Jeder glaubte, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. In Wien drohte das Revolutionsgespenst. In den Bundesländern kämpfte man um den Gebietserhalt. Das Verständnis für die Probleme der anderen ließ sich nur als »enden wollend« bezeichnen. Die Eskalation der Gewalt konnte aber auch so gesehen werden, dass damit eine millionenfache Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und vor allem nach dem Sinn des großen Sterbens im Krieg gegeben werden sollte. Sollte das alles umsonst gewesen sein  ? Rund die Hälfte der männlichen Österreicher hatte militärische Erfahrungen gesammelt, war im Krieg gewesen und hatte überlebt. Gewalt war den Heimgekehrten nicht fremd. Und auch Gewalt in der Politik gehörte zum Nachkriegsalltag. Die radikale Linke bereitete für den 17. April einen bewaffneten Aufstand vor, der auch in Deutschösterreich zur Installierung einer Räteregierung führen sollte. Die ungarischen Kommunisten setzten alle Hoffnung in diese Aktion. In der ungarischen Presse mehrten sich im April Tag für Tag enthusiastische Berichte über das Anwachsen der kommunistischen Bewegung in Österreich. Aus Ungarn sickerten auch Bewaffnete in das Nachbarland ein. Das kommunistische Regime in Budapest wollte sich die Revolutionierung Österreichs sogar einiges kosten lassen und schickte Geld. Dann kamen illegale Emissäre, darunter sogar der Volkskommissar für Unterricht, Sándor Szabados,

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und als Vertreter der Kommunistischen Internationale Ernst Bettelheim. Der tauschte als erstes die Führung der österreichischen Kommunisten aus, die ihm zu inaktiv war.50 Ein anderer brachte vorgefertigte Verlautbarungen mit, die nach dem Gelingen des kommunistischen Putsches affichiert werden sollten. Die Plakate trugen das Datum 16. April.51 Es sollte aber der darauffolgende Tag werden. Kommunistische Agitatoren instrumentalisierten eine Versammlung von Heimkehrern und Arbeitslosen in Wien zum Sturm auf das Parlament. Teile der Volkswehr griffen auf Seite der Kommunisten in die Kämpfe ein. Die Masse der Volkswehr blieb jedoch regierungstreu und folgte den Appellen und Befehlen sozialdemokratischer Politiker, vor allem jenen des Staatssekretärs für Heereswesen Julius Deutsch. Ein allgemeiner Aufstand blieb aus. Die Rädelsführer wurden verhaftet, und es ließ sich mit einiger Berechtigung sagen, dass die Revolutionierung Österreichs an der Sozialdemokratie gescheitert war. Im Juni sollte es noch einmal kritisch werden. Dafür gab es zwei Ursachen  : Die Alliierten, vor allem der italienische Bevollmächtigte für die Überwachung des Waffenstillstands, General Segré, hatten ultimativ die Reduktion der Volkswehr gefordert, und ungarischerseits bzw. von Seiten der Kommunisten wurde alles auf eine Karte gesetzt. Abermals kamen Geld und Agitatoren. Die ungarische Gesandtschaft spielte eine Schlüsselrolle und versuchte alles, um die Erregung über den Abbau der Volkswehr von schließlich mehr als 50.000 Mann auf 12.000 Mann zu nützen. Der Wiener Polizeipräsident Johann Schober ließ jedoch am Vorabend der geplanten Aktion 122 kommunistische Funktionäre verhaften. Die Bewegung war führerlos, und der Sturm auf das Gefangenenhaus auf der Rossauer Lände endete am 15.  Juni in der Wiener Hörlgasse im Kugelhagel der Polizei. Der bolschewistische Traum von der Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte war ausgeträumt. Die radikale Linke hatte ein Debakel erlitten und spielte fortan keine Rolle mehr. Jetzt konnte man sich endlich wieder auf anderes als eine kommunistische Gefahr konzentrieren.

3. Saint-Germain  : das Ende der Illusionen

3 Saint-Germain  : das Ende der Illusionen

3 Am 10. September 1919 unterzeichnete Staatskanzler Karl Renner im Schloss von SaintGermain-en-Laye den Friedensvertrag der Alliierten mit Österreich. »Es ist ein schmerzlicher Friede, aber es ist der Friede«, meinte der Kanzler. Die rumänische und die jugoslawische Delegation nahmen an der Unterzeichnung nicht teil, da sie gegen einzelne Bestimmungen Einwände hatten. Bei der Ratifikationsdebatte in den USA verweigerte das Repräsentantenhaus die Zustimmung zum Vertrag. Das hatte zur Folge, dass die USA den Kriegszustand mit Österreich formell bis 8. November 1921 aufrecht erhielten. (Foto: Österreichische Nationalbibliothek/ Bildarchiv)

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eit Dezember 1918 war intensiv darüber nachgedacht worden, was im Rahmen eines Vertrages der Siegermächte mit Deutschösterreich alles geregelt werden sollte. Da man sich als Nachfolgestaat und nicht als seinerzeit kriegführenden Staat sah, wurde zunächst davon ausgegangen, dass die Alliierten mit Österreich einen Staatsvertrag und keinen Friedensvertrag abzuschließen hätten. – Wieder eine der Illusionen bzw. einer der Irrtürmer, die den Weg der Republik begleiteten. Zunächst hoffte man auch, dass sich alles mehr oder weniger schnell regeln lassen würde, denn Deutschösterreich sollte ja  – wie es im Staatsgrundgesetz hieß  – Teil der Deutschen Republik werden. Wichtig würde daher nur sein, was im deutschen Friedensvertrag stand. Aber die Entwicklung warf alle Planungen und erst recht alle Hoffnungen über den Haufen. Vor allem herrschte größte Unsicherheit darüber, was die Grenzen des Gebiets anlangte, das entweder als selbständiger Staat existieren oder Deutschland inkorporiert werden sollte. Dabei spielte die Frage nach einem Anschluss an Deutschland für die Befürworter der Unabhängigkeit wie für jene, die einer Eingliederung das Wort redeten, eine zentrale Rolle  : Sollte Deutschösterreich bestehen bleiben, war buchstäblich um jeden Quadratkilometer zu ringen  ; sollte es in Deutschland aufgehen, war es wohl nicht so wichtig, ob Randgebiete dabei waren oder nicht. Die Teile und das Ganze

Die Frage nach dem, was sein würde, hatte zur Folge, dass sich die territorialen Fragen von der Ebene des Staates auf die der Länder verlagerten, denn die Bundesländer sahen sich zu Recht als gewachsene historische Einheiten. Sie waren früher gewesen als der Staat  ; sie waren teilweise älter als die Herrschaft der Habsburger im Alpenraum. Daher kämpfte man auch in den Ländern zäh und verbissen um die historischen Einheiten und stellte fallweise sogar die Zugehörigkeit zu Deutschösterreich in Frage. Ganz im Westen, in Vorarlberg, wurde das Selbstbestimmungsrecht als etwas gesehen, das auch kleinen territorialen Einheiten die freie Wahl der Zugehörigkeit ließ. Schon im November 1918 wurde für einen Anschluss des Landes an die Schweiz geworben. Einige Monate später, am 12.  März 1919, als in der Konstituierenden Nationalversammlung über den Anschluss an Deutschland abgestimmt wurde, ließ ein Vorarlberger Abgeordneter aufhorchen, als er dagegen stimmte, da Vorarlberg über seine Zugehörigkeit selbst befinden wollte. »Wien kennt die Vorarlberger nicht, und

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wir wollen nichts von den Wiener Juden wissen«, meinte er kurz und bündig.52 Der Präsident der Nationalversammlung, Karl Seitz, blieb sachlich und meinte, es würde sich für die Länder als »sehr böse erweisen, wenn sie sich von Wien wie von einem Aussätzigen trennen« wollten, »denn ohne die Wiener Steuerkraft würden die Länder nicht überleben«.53 Allerdings gab es auch Überlegungen, Vorarlberg an Bayern oder Württemberg anzuschließen. Am 11. Mai 1919 stimmten in einer Volksabstimmung rund 80 % der Bevölkerung für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz. Dort war man hin- und hergerissen, wollte aber letztlich einen Anschluss Vorarlbergs nur im Einvernehmen mit Wien. Mehr noch  : In Bern setzte sich die Meinung durch, man sollte nicht anfangen Österreich zu zerstückeln.54 Der Oberste Alliierte Rat in Paris, der das Gericht der Sieger vorbereitete, konnte dem nur zustimmen. In Tirol, das seit 1363 zu Österreich gehörte, hoffte man – eigentlich wider besseres Wissen – dass Südtirol, das Gebiet südlich des Brenners bis Salurn, Teil der historischen Einheit bleiben würde. Schließlich war auch Tirol älter als die Habsburgermonarchie. Mittlerweile war wohl längst bekannt, dass Italien im Londoner Vertrag von 1915 Tirol bis zum Brenner zugesprochen bekommen hatte, doch in der Landeshauptstadt Innsbruck sah man das nicht als endgültig an. Daher wurden alle möglichen Überlegungen angestellt, wie Tirol seine Einheit bewahren könnte. Dass das Land seinen Beitritt zum Staat Deutschösterreich erklärt hatte, war eines  ; dass das Land möglicherweise zerrissen würde, ein anderes. Die Anschlusspropaganda fiel daher gerade in Tirol sehr schwach aus und beschränkte sich weitgehend auf sozialdemokratische und großdeutsche Kreise, während die christlichsoziale Mehrheit in der Anschlussfrage gespalten war. Sämtliche Formen staatlicher Autonomie wurden überlegt, vom Anschluss Tirols als Kanton an die Schweiz über die Bildung einer selbständigen Alpenrepublik bis hin zur Neutralisierung Tirols und dem Austritt aus dem deutschösterreichischen Staatsverband.55 In Kärnten, das 1335 zu Österreich gekommen war, wollte man dem neuen Staat Deutschösterreich unbedingt angehören. Nachdem die in Laibach (Ljubljana) agierende slowenische Nationalregierung bestrebt war, ein möglichst großes Territorium in Besitz zu nehmen, Klagenfurt und den Großteil Villachs dem neuen südslawischen Staat eingliedern wollte, begannen slowenische Truppen mit der Besetzung von Kärntner Gebiet nördlich der Karawanken. Sie stießen auf Widerstand. Der Kärntner Abwehrkampf nahm seinen Anfang. Aus Heimkehrern und Freiwilligen wurden Bürgerwehren gebildet, die dem Vordringen der Slowenen Einhalt gebieten sollten. Die Kärntner Landesversammlung konnte und wollte nicht darauf warten, dass vielleicht Volkswehrkräfte einen geordneten Widerstand ermöglichen würden. Man beschloss, eigenständig zu handeln. »Von diesem Beschlusse ist der Staatsrat in Wien sofort zu informieren«, hieß es.56 Die Abwehrmaßnahmen blieben erfolglos. Schließlich musste die Provisorische Landesversammlung in Kärnten am 23.  November in eine Demarkationslinie einwilligen, die entlang von Gail und Drau verlief,

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also mitten durch Kärnten. Doch die bewaffneten Auseinandersetzungen waren damit nicht zu Ende. Nachdem ab Januar 1919 eine amerikanische Studienkommission das Land bereist hatte, die sich gegen eine Teilung des Klagenfurter Beckens aussprach und die Grenze am Hauptkamm der Karawanken ziehen wollte, trachteten die Slowenen vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie begannen eine großangelegte Offensive, wurden allerdings zurückgeschlagen. Diesmal spielte auch die Volkswehr eine Rolle. Einer der Volkswehrmänner, die in Kärnten zum Einsatz kamen, hieß Franz Jonas. Italien, das mit dem SHS-Staat zu dem Zeitpunkt bereits erbittert um Istrien, Fiume (Rijeka) und die Küste Dalmatiens rang, waren die österreichischen Erfolge durchaus recht. Als jedoch serbische Truppen in die Kämpfe eingriffen, blieb den österreichischen Einheiten nichts anderes als der Rückzug. Gegen Entente-Truppen, zu denen auch die serbischen gehörten, durfte aufgrund des Waffenstillstandsvertrags kein Widerstand geleistet werden. Klagenfurt wurde von SHS-Truppen besetzt. Die Landesregierung musste nach Spittal an der Drau evakuiert werden. Bis zur Entscheidung im Rahmen der Friedensvertragsverhandlungen blieb der Süden Kärntens strittig.57 Die Südsteiermark, seit 1282 österreichisch, mit den vornehmlich deutschen Städten Marburg (Maribor), Cilli (Celje) und Pettau (Ptuj), war von vornherein nicht zu halten. Lediglich für Marburg wurde die Abhaltung einer Volksabstimmung überlegt, die dann aber doch nicht zustande kam. Der SHS-Staat hatte massive Unterstützung durch Frankreich bekommen, und für Italien wogen die eigenen Wünsche auch schwerer, als dass man sich mehr als verbal zum Sachwalter Deutschösterreichs gemacht hätte. Wie in Kärnten stießen auch in der südlichen Steiermark slowenische und SHSVerbände nach Norden vor und besetzten unter anderem Radkersburg. Trotz mehrerer Versuche, die SHS-Truppen zurückzuschlagen, konnte die Stadt nicht befreit werden. Ein weiteres Gebiet blieb ebenso und noch für längere Zeit strittig und zwar die deutsch besiedelten Teile Westungarns. Hier begegneten sich ungarische, österreichische und nicht zuletzt tschechische Interessen. Ungarn wollte das Gebiet behalten  ; Österreich wollte es bekommen  ; und in Prag betrieb man das Projekt eines slawischen Korridors, der von der Slowakei über die drei westungarischen Komitate Wieselburg (Moson), Eisenburg (Vasvár) und Ödenburg (Sopron) bis Kroatien reichen sollte. Bis zum Frühjahr 1919 schien es alles andere als eine ausgemachte Sache zu sein, dass Deutsch-Westungarn zu Österreich kommen würde. Doch dann verschaffte das Regime Béla Kuns Österreich in den Augen der Alliierten insofern Vorteile, als man dazu neigte, die Haltung Österreichs zu honorieren und sowohl die ungarischen als auch die tschechischen Wünsche außer Acht zu lassen. Österreich demonstrierte Wohlverhalten. Alles, was die Alliierten oder auch nur die Nachbarn nennenswert reizen konnte, wurde unterlassen. Auch wenn es dafür verbales Lob gab, war mehr als fraglich, ob das die Alliierten bei den nahe Paris anberaumten Verhandlungen über einen Friedensvertrag in Rechnung stellen würden. Sie taten es

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ja auch im Fall Deutschlands nicht, über dessen Friedensvertrag in Versailles beraten wurde. Mittlerweile war auch die Hoffnung zu begraben gewesen, in Paris würde wie seinerzeit 1814/15 in Wien kein Gericht der Sieger tagen. Die Pentarchie der fünf europäischen Großmächte von ehedem, das Europäische Konzert und die Konferenzdiplomatie alten Stils, waren längst nicht mehr gefragt. Lediglich die Vorstellung von einem Gleichgewicht in Europa hatte noch immer ihre Befürworter. Es war daher wohl nicht nur der Liverpooler Professor für Neuere Geschichte, Charles Webster, der sich intensiv mit dem Wiener Kongress 1814/15 beschäftigte  ; das taten auch andere. Webster tat es in besonders eindringlicher Weise. Innerhalb von elf Wochen verfasste er ein beachtliches Buch »The Congress of Vienna, 1814/15«,58 in dem er den Kongress als die einzige Versammlung bezeichnete, die für die bevorstehenden Aufgaben der Staatsmänner in den Schlössern um Paris eine Art Matrix sein sollte. Der britische Gelehrte konnte freilich nicht überzeugen. In Versailles und Saint-Germain-en-Laye, ebenso wenig wie in Neuilly-sur-Seine, Trianon und Sèvres wurden die Grundsätze des Wiener Kongresses zur Anwendung gebracht. Man war im 20. Jahrhundert angekommen. In einem Punkt war man österreichischerseits dennoch zu Unrecht skeptisch  : Man befürchtete, dass die Siegermächte keine Ahnung von den Ländern haben würden, mit denen sie Frieden schließen sollten. Das mochte zwar für einige Politiker gelten, nicht aber für die Fachleute, die nicht nur die Grundlagen zur Lösung territorialer Fragen vorzubereiten hatten, sondern jedes Detail in meist umfangreichen Studien erörterten.59 Bis März 1919 kreisten beispielsweise in britischen Gremien die Gedanken immer wieder um eine Donaukonförderation mit Zentrum Wien. Eine Art Schweizer Modell schwebte vor allem den Finanz- und Wirtschaftsexperten vor. Und sie mahnten zur Eile, denn wenn sich die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtern sollte, würde es eine Revolution in Österreich geben, und angesichts des ungarischen Beispiels schien diese alarmierende Feststellung nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Doch das Problem der Experten war wie immer, dass sie keine einheitlichen Standpunkte vertraten, sich gegenseitig widersprachen und solcherart politischen Entscheidungen außerordentlich viel Platz einräumten. In diesen Fällen galt daher mehr oder weniger durchgängig  : Die Wünsche der Siegermächte sollten möglichst berücksichtigt und jene der Kriegsgegner ignoriert werden. Zeit der Ungewissheit Renner und die Regierung Deutschösterreichs warteten monatelang auf eine formelle Einladung nach Paris. Trotz intensiver Vorbereitungen war man sich aber über ganz wesentliche Punkte im Unklaren. Vor allem wusste man nicht, ob der Anschluss an

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Deutschland noch zu verhandeln war. Der Staatssekretär des Äußern, Otto Bauer, hoffte, dass die Vereinigten Staaten und Großbritannien dem Anschluss Deutschösterreichs an Deutschland letztlich doch noch zustimmen würden.60 Er pflegte denn auch seine ganz persönlichen Illusionen, denn er musste sich des strikten »Nein« der Franzosen bewusst sein. Und die Alliierten gegeneinander ausspielen zu wollen, war von vornherein aussichtslos. Das innenpolitische Klima verschärfte sich. Die Christlichsozialen wandten sich strikt dagegen, dass Otto Bauer österreichischer Delegationsleiter sein sollte, so wie das der Staatssekretär im Auswärtigen Amt der seit Januar 1919 in Weimar sitzenden Regierung Deutschlands, Ulrich von Brockdorff-Rantzau war. Bauer sei, so wurde argumentiert, ein so kompromissloser Befürworter des Anschlusses und obendrein Sympathisant des ungarischen Rätesystems, dass er mit seiner Haltung eher provozieren als Kompromissbereitschaft signalisieren würde. Zudem machte ihm seine antifranzösische Haltung zu schaffen. Und ob der Anschluss an Deutschland überhaupt noch eine Attraktion sein konnte, wurde zum damaligen Zeitpunkt auch schon wieder bezweifelt. So hielt der Vorsitzende der Christlichsozialen Partei, Ignaz Seipel, fest  : »Wir werden uns an Deutschland nur anschließen, wenn es ein wahrhaft freier Staat wird. In dem Deutschland von heute, in dem es Terror von Soldatenräten und eine sozialistische Diktatur gibt, … haben wir nichts zu suchen.«61 Bauer galt jedenfalls als ungeeignet, Österreich in Saint-Germain zu vertreten. Da sich kein vergleichbarerer Spitzenrepräsentant fand, wurde schließlich Staatskanzler Renner Delegationsleiter. Eine sicherlich gute und sinnvolle Wahl, denn es war zu hoffen, dass Renner auch auf der Ebene der Regierungschefs Gehör finden würde und nicht nur auf Ministerebene. Mitte Mai 1919 kam die österreichische Delegation nach Paris. Sie wurde in SaintGermain interniert. Als Nächstes wurde Renner mitgeteilt, dass die Österreicher nur als Auskunftspersonen geladen wären. Sie sollten keinesfalls mitverhandeln dürfen. Auch der Status Österreichs wurde ohne Umschweife zur Kenntnis gebracht  : Österreich sei wie Deutschland als Kriegführender geladen und hätte daher volle Verantwortung für den Krieg und seine Folgen zu tragen. Die letzten Illusionen schwanden. Die Frage der Rechtskontinuität, die von der Habsburgermonarchie auf Österreich übergegangen wäre, war von den Alliierten zwar diskutiert worden, und Präsident Wilson war ebenso wie der britische Premier David Lloyd George dagegen gewesen, Deutschösterreich als Rechtsnachfolger zu sehen. Doch letztlich wogen die Interessen Frankreichs, Italiens und der neuen Verbündeten, vor allem der Tschechen schwerer. Die Deutschen in Österreich wären immer Träger des Staatsgedankens gewesen, hieß es nicht von ungefähr. Daher müssten sie nun auch für den Krieg einstehen. Und was das Territorium anlangte, so wäre das recht einfach zu sehen  : Die Habsburgermonarchie sei 1526 aus einem Kern von Ländern entstanden, auf den Österreich jetzt wieder reduziert werden sollte.62 Den Alliierten machten denn auch die territorialen Fragen am wenigsten Kopfzerbrechen. Und die Franzosen strichen das Wort Deutsch- aus

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dem Staatsnamen. Der Staat wurde schlicht als Österreich bezeichnet und sollte sich auch künftighin so benennen. Die Zugehörigkeit Südtirols, das von Italien bis zum Brenner gefordert worden war, wurde von den Siegermächten nicht in Frage gestellt. Es sollte zu Italien kommen. Strategische und wirtschaftliche Gründe sprächen dafür. Am ehesten war noch der britische Premier Lloyd George für ein Abgehen vom Londoner Vertrag gewesen. Schließlich hatte auch der britische Vertreter in der Waffenstillstandskommission in Wien, Oberstleutnant Cuninghame, gemeint, die Alliierten würden die positive Rolle, die Österreich bei der Einhegung der von Ungarn ausgehenden bolschewistischen Gefahr spielte, durch Konzessionen honorieren. Und auch über Südtirol sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Dann aber beließen es auch die Briten dabei, den Londoner Vertrag in seinen Österreich betreffenden Teilen zu erfüllen. Auch das Kanaltal wurde ohne große Diskussion Italien zugeschlagen. Damit war einmal diese Frage geklärt. Die Alliierten wollten aber auch keine Debatten über die Nordgrenze. Ab Juni 1918 hatte Frankreich die Forderung der Exiltschechen nach den sogenannten historischen Grenzen der Tschechoslowakei unterstützt. Die anderen Alliierten waren zurückhaltend geblieben. Die Tschechen wollten daher kein Risiko eingehen und hatten ab Dezember alle von ihnen geforderten Gebiete besetzt. Dabei kümmerte es nicht, dass die immer wieder ins Treffen geführten historischen Grenzen Böhmens und Mährens unweigerlich die Frage nach sich ziehen mussten, ob nicht auch die bis Kriegsende geltenden Kronlandsgrenzen genauso historisch waren wie ältere Grenzen des Königreichs Böhmen und der Markgrafschaft Mähren. Dort, wo dann über die historischen Grenzen hinausgegriffen wurde, vor allem im Gebiet von Gmünd, Feldsberg (Valtice) und Lundenburg (Břeclav), wurden verkehrsgeografische Gründe genannt.63 An den neuen Grenzen merkte man denn auch den Anbruch einer neuen Zeit in besonderer Weise. War man noch bis 1918 in nicht einmal sieben Stunden mit dem Zug von Wien nach Krakau gefahren, standen die Züge nun sieben Stunden auf dem Bahnhof Hohenau und warteten auf die Abfertigung. Ganz zufrieden war man in Prag noch immer nicht. Bis schließlich auch Präsident Tomáš Masaryk auf jene Wünsche zu sprechen kam, die das eigentliche Ziel sein müssten  : Wien und ein großer Teil Niederösterreichs sollten tschechisch werden. Von der Tschechoslowakei sollte eine Landbrücke zum Staat der Serben, Kroaten und Slowenen führen und Österreich definitiv von Ungarn trennen. Die Begründungen für diese Forderungen waren allerdings ein reines Konstrukt. Österreich protestierte umgehend und bekam von Frankreich gesagt, bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrags würden die historischen Grenzen Böhmens und Mährens sowie Schlesiens gelten. Doch wenn gleichzeitig die Besetzung der strittigen Gebiete durch tschechoslowakische Truppen ermöglicht und Plebiszite abgelehnt wurden, war wohl klar,

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dass das Grenzenziehen ein ausschließlich politischer Akt unter Zugrundelegung der westlichen Interessen sein würde. Auf welcher Seite Frankreich stand, war denn auch schon längst klar geworden. Renner, der sich immer wieder um ein gutes Verhältnis Deutschösterreichs zu seinem nördlichen Nachbarn bemühte, hatte es noch mit einer ganz besonderen Idee versucht. Er schlug den Tschechen eine Föderation vor. An der Spitze des Staatenbundes sollte Präsident Masaryk stehen. Die Wirtschaft würde durch ein dem österreichischungarischen Ausgleich von 1867 nachempfundenes Instrument, nämlich ein Wirtschaftsparlament mit Sitz in Bratislava (Pozsony, Preßburg), gesteuert werden. Auch anderes sollte sehr wohl mit Bedachtnahme auf die tschechischen Interessen eine Regelung finden. Ministerpräsident Karel Kramář und Außenminister Beneš zeigten sich uninteressiert. Für Renner war das auch persönlich ein Rückschlag, da sein Elternhaus in Unter Tannowitz (Dolni Dunajovice) künftig im tschechischen Mähren stand. Die Kärntner Frage und die Grenzziehung der Steiermark drohten vollends in Streit und Krieg zu münden. Nach der Besetzung von Teilen des Klagenfurter Beckens durch südslawische Truppen schien auch da eine Vorentscheidung gefallen zu sein. Doch auch in diesem Fall hieß es  : Die Grenzen werden erst in Paris gezogen. Am 30. Mai meinte denn auch Präsident Wilson in voller Übereinstimmung mit Ministerpräsident Clemenceau und dem britischen Premier, Llloyd George, man sollte den »jugoslawischen Freunden« einen Brief schreiben, um ihnen klar zu machen, dass die Ergebnisse der Kämpfe ohne Einfluss auf die Grenzziehung sein würden.64 Da sich Jugoslawien damit nicht zufrieden geben wollte, dass sich seine Truppen auf eine Demarkationslinie südlich von Klagenfurt und dem Wörthersee zurückziehen mussten, nahmen die Alliierten eine etwas drohendere Haltung ein und erklärten, es wäre noch nicht ausgemacht, dass nicht auch Kroatien und Slowenien Feindstaaten seien und dementsprechend behandelt würden. Die Italiener demonstrierten das sogar. Doch für sie ging es natürlich vornehmlich um Istrien und die adriatische Gegenküste und zum wenigsten um Kärnten. In Österreich hatte man dennoch zu registrieren, dass sich Italien vom Erbfeind zum einzigen europäischen Partner entwickelte.65 Rom konnte sich auch großzügig zeigen, denn seine eigenen Wünsche schienen alle in Erfüllung zu gehen. Nicht minder schwierig gestaltete sich die Burgenlandfrage. Im ersten Entwurf für die Friedensbedingungen war jedenfalls noch keine Rede davon, dass westungarische Gebiete zu Österreich kommen sollten. Zumindest in diesem Fall hoffte die österreichische Delegation aber mit ihren Argumenten überzeugen zu können und die deutschen Gebiete Westungarns Österreich zugeschlagen zu bekommen.

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Der Moment der Wahrheit Vor diesem Hintergrund sollten sich also die friedensvertraglich zu lösenden Fragen abspielen. Viele Vertragsteile waren schon fertig gewesen, als die deutschösterreichische Delegation nach Saint-Germain kam. Dabei hatten sich ganze Partien des Vertragswerks aus den Statuten für den Völkerbund (Societé des Nations) übernehmen lassen, anderes, vor allem auch für die Einleitung, fand sich bereits im deutschen Friedensvertrag von Versailles. Die Kriegsschuld wurde – wie im Fall Deutschlands – uneingeschränkt bei Österreich gesehen und stellte die Grundlage dafür dar, dass dem besiegten Österreich Lasten auferlegt werden konnten. Österreich bekam also einiges von dem Hass ab, der sich primär gegen Deutschland richtete. Dementsprechend wurde dann der Artikel 177 des Österreich-Vertrags formuliert, wo es hieß  : »Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Österreich erkennt an, dass Österreich und seine Verbündeten als Urheber für die Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Österreich-Ungarns und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.« Österreich gegenüber wurde deutlich gemacht, dass es für die Entfesselung des Kriegs und für alles, was nachgefolgt ist, also auch für die Kriege, die dann andere der Habsburgermonarchie erklärt hatten, wie z. B. Italien und Rumänien, haften müsste. Es war auch fast unvermeidlich, dass die Siegermächte ihre eigene Rolle in der Vorgeschichte des Kriegs ausblendeten und lediglich darauf bedacht waren, Schuld zuzuweisen. Das war wohl auch der probateste Weg, um dann aus der einseitig zugewiesenen Kriegsschuld Forderungen abzuleiten. Es war der Tagespolitik geschuldet und ließ einen sorgsamen Umgang mit den historischen Fakten vermissen. Am 2. Juni 1919 übergab der Vorsitzende der Friedenskonferenz, der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau, Karl Renner den Entwurf des Vertrags. Der Schock konnte nicht größer sein. Der Staat, der sich gerne als Neuschöpfung gesehen hätte und immer auf die Diskontinuität verwiesen hatte, wurde von den Alliierten buchstäblich in die Geschichte zurückgeprügelt. Obwohl man über die meisten essentiellen Punkte eigentlich schon Bescheid wusste und auch das Anschlussverbot bereits im deutschen Friedensvertrag von Versailles nachzulesen war, hatten sich die Mitglieder der Friedensdelegation und vor allem die Menschen in der Heimat immer noch der Hoffnung hingegeben, es würde so schlimm nicht werden. Doch es kam wie befürchtet, und Renner meinte unumwunden, wenn der Vertrag 1  :1 Geltung erlangen sollte, würden die Alliierten »eine Leiche auf ihren Triumphwagen laden«.66 Der Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung, Karl Seitz, formulierte im Wiener Parlament  : »Wir wissen es, dass dieses Urteil ein Todesurteil ist«, und der noch amtie-

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rende Außenminister Otto Bauer bediente sich einer in Deutschland bereits gängigen Formulierung  : »Diktat des Siegers«.67 Wie gefordert, brachte die Delegation in Saint-Germain ihre Einwände schriftlich vor. Territoriale Fragen waren das eine. Österreich sollte aber auch Reparationen zahlen. Die Höhe war noch nicht festgelegt worden. Es ging auch um die Auslandsinvestitionen und Schulden Österreich-Ungarns. Vor allem britische Wirtschaftsfachleute waren sich darin einig, dass es ein Unding wäre, die für Deutschland entwickelten Bestimmungen auch auf Österreich anzuwenden. Im Fall Deutschlands würde man die Wirtschaftsentwicklung hemmen wollen, im österreichischen Fall müsse man sie aber fördern. Mehrere Memoranden von Sir Francis Oppenheimer über die katastrophale finanzielle und wirtschaftliche Situation Österreichs bewirkten schließlich eine Änderung, und es setzte sich die Auffassung durch, dass sich die Entschädigungen für Auslandsinvestitionen ebenso wie die Tilgung der Finanzschulden nicht einfach auf Österreich überwälzen ließen, denn das Land wäre damit schlagartig zahlungsunfähig geworden. Vielmehr sollte ein Nationalitätenschlüssel gefunden werden, aufgrund dessen dann jeder Nachfolgestaat einen verhältnismäßigen Anteil zu übernehmen hatte. Die Außenminister und der Oberste Alliierte Rat stimmten nach einigem Zögern ihren eigenen Experten zu und ignorierten die Wünsche der befreundeten Nachfolgestaaten. Wieder war ein Vertragsteil fertig geworden. Im Abstand von Wochen bzw. Monaten wurden Österreich alle Teile des Vertrags übergeben. Ein Verhandeln gab es weiterhin nicht. Doch es gab auch Intermezzi, die plötzlich manches anders aussehen ließen. In Paris war man im Juni 1919 über die Fortschritte der Ungarn bei deren mili­tä­ rischem Vorgehen in der Slowakei beunruhigt. Die Offensive der Rumänen und der Tschechoslowaken gegen Ungarn verlief anders, als es die Alliierten erwartet und erhofft hatten, und führte nicht zum raschen Zusammenbruch des Béla-Kun-Regimes. (Auch 1.200 Freiwillige aus Österreich hatten zum temporären Erfolg der Ungarn beigetragen.) Ungarn blieb folglich weiterhin ausgegrenzt, da mit Bolschewiken nicht verhandelt werden sollte, und die Alliierten begannen damit, Österreich zu einer aktiven Rolle bei der Eindämmung des Kommunismus in Ungarn zu drängen. Bald hieß es, man werde im Rahmen der Friedensverhandlungen die Angliederung Deutsch-Westungarns, des Burgenlands, an Österreich wohlwollend prüfen, wenn Österreich seine Haltung gegenüber Ungarn revidiere. Die Alliierten wollten sich nicht damit zufrieden geben, dass die Wiener Regierung – die Sozialdemokraten sehr wohl widerstrebend – dem kommunistischen Regime in Ungarn schließlich die Unterstützung verweigerte. Die Alliierten wollten mehr. Österreich musste einwilligen, dass Vertreter der Siegermächte an der ungarischen Grenze die geforderten Blockademaßnahmen überwachten. Da ohnedies schon so Vieles überwacht wurde, kam es darauf auch nicht mehr an. Die Folge war freilich der Zusammenbruch des bilateralen Handels mit Ungarn. Es war

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noch immer nicht genug. Die Tschechen wollten aus der Liquidationsmasse der k. u. k. Armee zusätzliche Kontingente an Waffen und Munition erhalten. Im Weigerungsfall wollten sie die Kohlenlieferungen einstellen. Die Alliierten erhöhten den Druck  : Wenn Österreich dem tschechischen Verlangen nicht nachkomme, würden sie die Lebensmittellieferungen einstellen. Daraufhin versicherte der Leiter des Staatsamts für Äußeres, Otto Bauer, die Ungarn zwar nochmals seiner Sympathie und betonte, dass Österreich nur erzwungenermaßen keine Revolution wie in Ungarn wagen könne. In die andere Richtung, nämlich in die Tschechoslowakei, wurden 150.000 Gewehre und 200 Maschinengewehre sowie größere Mengen Munition verschoben, mit dem Hinweis darauf, dass die Öffentlichkeit davon nichts erfahren sollte. Österreich erhielt weiter Lebensmittel. Gleichzeitig wurden in Paris die nächsten Partien des Vertragswerks übergeben. Diesmal war auch die Angliederung der deutschen Gebiete Westungarns enthalten. Zuckerbrot und Peitsche gewissermaßen. Ein wesentlicher Punkt des Vertrags war aber bis zum Sommer noch nicht angesprochen worden, nämlich die Frage eines Anschlusses Österreichs an Deutschland. Für die Alliierten wie für Österreich sicherlich kein Nebenthema.68 Das Anschlussverbot war zunächst nur von Frankreich wirklich gewünscht worden, um einen möglichen Gebietszuwachs Deutschlands zu verhindern. Die USA, Großbritannien und Italien waren eher für den Anschluss gewesen, zumindest war er ihnen minder wichtig. Doch im März 1919, als in Versailles die Grenzen Deutschlands festgelegt wurden, wurde auch eine Grenze im Südosten gezogen, die verhindern sollte, dass sich Deutschland vergrößerte. Mit dieser Festlegung entsprach Frankreich durchaus dem, was eine ganze Reihe von Staaten erwartet und regelrecht gefordert hatte. Die Tschechoslowakei war gegen den Anschluss. Jugoslawien war dagegen, ja sogar die Schweiz protestierte gegen die »Hypothese der Vereinigung«. Das folglich im Umweg über Deutschland unabhängig gedachte Österreich, das zu einer Art Funktion des Deutschlandvertrags wurde, sollte neutral werden, und damit es dabei blieb, sollte der Völkerbund den französischen Vorstellungen folgend, eine Garantie aussprechen. Die Idee war nicht ganz neu. Im März 1919 war darüber in der offiziösen französischen Tageszeitung »Le Temps« geschrieben worden. Dann formulierte der letzte kaiserliche Ministerpräsident Österreichs, Heinrich Lammasch, sehr ähnlich, wenn er von einer neutralen »norischen« oder »ostalpinen« Republik schrieb.69 Aber schon wenig später zeigte Frankreich kein Interesse mehr an einem neutralen Österreich, denn offenbar hatte der französische Generalstab geltend gemacht, dass es viel praktischer wäre, könnte man notfalls über österreichisches Gebiet in Ungarn intervenieren. Und im Übrigen galt es Deutschland zu schwächen, zumindest nicht erstarken zu lassen. Anfang August 1919 war die Ungarische Räterepublik Geschichte geworden, und damit bekam die Anschlussfrage einen neuen Stellenwert. Und erst jetzt, mit dem drit-

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ten Entwurf des Friedensvertrags, wurde die österreichische Delegation offiziell vom Verbot eines Anschlusses an Deutschland informiert. Doch wenn bis dahin jemand getan hatte, als ob es ihn unvorbereitet träfe und er nichts davon gewusst habe, dann war ihm wohl entgangen, dass sich die entsprechenden Passagen als Artikel 80 im Friedensvertrag von Versailles fanden und seit Juni 1919 nachzulesen waren. Dort stand denn auch unmissverständlich, dass sich Deutschland verpflichtete, die österreichische Unabhängigkeit zu wahren. Daher fand das Verbot eines Anschlusses an Deutschland als Artikel 88 auch in den Friedensvertrag von Saint-Germain Eingang. (1920 sollte das Gebot zur Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs auch in den ungarischen Friedensvertrag von Trianon geschrieben werden.) »Die Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich, es sei denn, dass der Rat des Völkerbundes einer Änderung zustimmt.« Otto Bauer nahm das Anschlussverbot zum Anlass, von seinem Posten zu demissionieren, denn, so meinte er  : »Kommt der Anschluss nicht zustande, wird Österreich ein armseliger Bauernstaat, in dem Politik zu machen nicht mehr lohnt.« Er wies jede Verantwortung für den Friedensvertrag von sich.70 Nachdem Anfang September das ganze Konvolut der Bestimmungen übergeben worden war, verlangte Karl Renner Zeit, um sämtliche 381 Artikel des Vertrags zu studieren und auch in der Nationalversammlung beraten zu können  ; doch er bekam nur zusätzliche 48 Stunden zugebilligt. Am 10. September 1919 unterschrieb er im Stehen den Friedensvertrag von Saint-Germain. Nicht dass der Vertrag mit seiner Unterzeichnung auch schon gültig gewesen wäre. Jetzt begann erst der mühsame Prozess der nationalen Ratifikationen und Hinterlegun­ gen. Österreich ratifizierte den Vertrag am 25. Oktober 1919. Frankreich verzögerte seine Unterschrift durch zehn Monate und bewirkte damit unter anderem, dass der Abzug von SHS-Truppen aus Radkersburg erst im Juli 1920 erfolgte. Doch für Österreich war es geboten, sich von Anfang an an den Wortlaut der Bestimmungen zu halten und sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Die Bilanz der Nicht-Verhandlungen konnte man als durchmischt ansehen. Dank der Einbettung des Vertrags in die Völkerbundsatzungen sollte die Staatengemeinschaft den Bestand des Landes garantieren. Gleichzeitig wurde Österreich das Selbstbestimmungsrecht entzogen.71 Die Schulden der Monarchie waren aufgeteilt worden, sodass Österreich nur einen Anteil von rund 8,5 % vorgeschrieben bekam. Dass es einschneidende militärische Bestimmungen gab, Österreichs Bundesheer nur 30.000 Mann Berufssoldaten haben, keinen Generalstab und keine Luftwaffe besitzen und über wenige schwere Waffen verfügen sollte, wurde primär als soziales Problem gesehen, da rund 25.000 Menschen, die bei der Volkswehr untergekommen waren, nun definitiv »abgebaut« werden mussten und schlagartig das Heer der Beschäftigungslosen vermehrten.

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Südtirol kam ohne Autonomiebestimmungen und ohne Minderheitenschutz zu Italien. Einer Italianisierung des Landes stand nichts mehr im Wege. In Nord- und Osttirol fand am 10. Oktober 1919 ein Landestrauertag statt. Er wurde bis 1936 abgehalten.72 Die Nordgrenze war von den Tschechen gezogen worden. Man musste sie akzeptieren. Am 24. September 1919 wurden die Sudetengebiete, die im Gesetz über den Umfang des Staatsgebiets einstmals als Teil Deutschösterreichs erklärt worden waren, feierlich ausgegliedert.73 Für das strittige Gebiet Kärntens war in Saint-Germain eine Volksabstimmung anberaumt worden, die am 10. Oktober 1920 mit rund 60 % Ja-Stimmen ein klares Votum für den Verbleib bei Österreich ergeben sollte. Ganz offensichtlich hatten der Kärntner Abwehrkampf, die wirtschaftlichen Interessen und die traditionellen Bindungen der slowenischen Bevölkerung den Ausschlag gegeben. Strittig blieb weiterhin die Burgenlandfrage, obwohl sie eigentlich als friedensvertraglich geregelt gelten musste. Tatsächlich hatten die Alliierten nach dem Ende des kommunistischen Regimes in Ungarn ihr Interesse an einer Angliederung DeutschWestungarns an Österreich verloren. Die neue Ostgrenze stand zwar im Vertrag. Änderungen waren aber nicht ausgeschlossen und sollten bilateral vereinbart werden. Die neue ungarische Staatsführung unter dem als Reichsverweser amtierenden früheren Vizeadmiral Miklós Horthy setzte auf Zeit. Renner versicherte sich der Unterstützung durch die Tschechen, denn bei ihnen musste man keine besonderen Sympathien für Ungarn voraussetzen, und im Januar 1920 kam auf österreichischen Wunsch eine alliierte Militärmission nach Ödenburg (Sopron). Im August 1920 forderten die Alliierten Ungarn ultimativ zur Übergabe Ödenburgs auf. Es nützte nichts. Ungarn setzte auf Verhandlungen und brachte ein bewährtes Mittel zur Anwendung  : Die Versorgung Österreichs mit Lebensmitteln. Doch diesmal wollte es nicht so recht klappen. Daraufhin setzte die Regierung in Budapest auf Gewalt. Freischärler drangen bis in die südliche Steiermark vor. Österreich schickte Gendarmen und dann Bundesheereinheiten. Bei Kirchschlag und Agendorf (Agfalfa) in der Nähe von Ödenburg kam es zu Gefechten. Es gab einige Dutzend Tote. Nun schalteten sich die Tschechoslowakei und Italien ein und boten ihre Vermittlung an. Österreich entschied sich diesmal für die Italiener und akzeptierte schließlich deren Lösungsvorschlag  : Entgegen den friedensvertraglichen Regelungen sollte es in Ödenburg und acht umliegenden Gemeinden eine Volksabstimmung geben, die am 14. und 16. Dezember 1921 abgehalten wurde. In Ödenburg stimmte eine klare Mehrheit für den Verbleib bei Ungarn, wobei es wohl auch nichts ausmachte, dass Ungarn die Abstimmungslisten manipuliert hatte. In den acht umliegenden Gemeinden gab es eine deutliche Mehrheit für Österreich. Die Ortschaften wurden jedoch bei Ödenburg bzw. Ungarn belassen. Bis schließlich alles geregelt und auch kleinere Siedlungen abgetauscht waren, schrieb man 1924.74

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Nun musste die Abtrennung von Gebieten bzw. deren Anschluss fast unweigerlich zu Spannungen führen, und vielleicht trug in der Folge auch kaum etwas so sehr dazu bei, die alten Bindungen der Habsburgermonarchie zu zerstören und neue staatliche Individuen entstehen zu lassen, wie die zahlreichen Konflikte um die Grenzziehung. Österreich und die Tschechoslowakei gerieten ob der Angliederung der deutschen Gebiete Böhmens und Mährens in einen jahrzehntelangen Konflikt. Italien und Öster­ reich konnten trotz aller späteren Beteuerungen nicht einfach ignorieren, dass das deutsche Südtirol zu Italien gekommen war. In Kärnten und einigen Randgebieten der Steiermark kam es immer wieder zu Spannungen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der Minderheit. Und im Fall der beiden »Schwäger«, Österreich und Ungarn, war wohl zu erwarten gewesen, dass auch die Abtretung des Burgenlandes in Ungarn eine feindselige Stimmung und zahlreiche Ressentiments wecken würde. Vielleicht war es einigen Siegermächten, vor allem Frankreich, gar nicht unlieb, dass es Spannungen, Streit und Drohungen mit dem Einsatz von Militär, ja Kampfhandlungen gab, denn die Zerschlagung der Habsburgermonarchie zielte ja darauf ab, die alten Strukturen zu vernichten. Hoffnung hätte geben können, dass der Vertrag von Saint-Germain nicht für immer­ währende Zeiten gelten sollte und zumindest die theoretische Möglichkeit bestand, dass der Völkerbund einige Bestimmungen aufhob. Wie so häufig kam es also darauf an, wie man den Vertrag interpretierte und wie man ihn auf die jeweils eigene Situation umlegte. Und das ging nicht nur nach objektiven Kriterien und indem man den Vergleich mit anderen, den Deutschen, den Ungarn, aber auch den Briten, Franzosen oder Italienern anstellte, sondern primär im direkten Vergleich von Arbeitern, Bauern, Bürgerlichen, Arbeitslosen, Besitzenden, Armen, Kriegsgewinnlern, Ansässigen, Neuankömmlingen, Juden, Nichtjuden, Linken, Rechten und vielen anderen Kategorien. Der Krieg und das »verdiente Schicksal« hatten nichts Gleichmacherisches an sich, sondern nur neue Kategorien geschaffen und ließen die Unterschiede hervortreten. Neid, Gier, auch Lebensgier und Feindseligkeit wurden bestimmende politische Kategorien. Der Kampf um die Erinnerung begann. Immer mehr Menschen, immer mehr Kriegsteilnehmer sahen sich betrogen, und zwar nicht nur um die Früchte ihres Kämpfens und Leidens, sondern auch um ihre ersten Nachkriegshoffnungen. Eines war jedoch evident geworden  : Die Siegermächte wollten die Auflösung oder auch Selbstauflösung des neuen Österreich unbedingt vermeiden. Es war nun tatsächlich ein Staatswesen geworden, das alle Merkmale eines solchen aufwies. Österreich war ein Land von rund 84.000 Quadratkilometern. Ganz genau wusste man es noch nicht, da die Volksabstimmungen über den Verbleib Südkärntens und Ödenburgs zunächst noch ausständig waren. Dieses Land hatte rund 6,5 Millionen Einwohner. Allein dieser Rest des

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einstmals 52 Millionen Menschen zählenden Habsburgerreichs beklagte rund 155.000 Gefallene und Kriegstote und zählte etwa gleichviele Kriegsinvalide.75 An die 50.000 Menschen starben an der pandemischen Spanischen Grippe. Auch für Österreich galt, was einer der Pioniere der Sexualforschung, Magnus Hirschfeld, mit Rücksicht auf den Krieg festhielt  : Er war die größte sexuelle Katastrophe, »die der zivilisierte Mensch je erlitten hatte«.76 Es war absehbar, dass die sozialen Folgen des Kriegs auch noch in vielen Jahren spürbar sein würden. Es galt, rund 50.000 Kriegerwitwen und Hunderttausende Waisen zu versorgen. Eines ließ sich vielleicht positiv hervorheben  : Es gab so gut wie keine kriegsbedingten Zerstörungen, wie sie etwa Polen, Belgien, Frankreich und Serbien erlitten hatten, aber auch in den nunmehr zu Italien gehörenden ehemaligen Kriegsgebieten oder in Russland, der Ukraine oder in den nahöstlichen Regionen zu sehen waren. Nach wie vor war vieles ungeklärt. Die Frage von Reparationszahlungen war noch offen und wurde letztlich weder gelöst noch von den Siegermächten regelrecht aktualisiert. Zwei Jahre später drohte auch so der Staatsbankrott. Die Wirtschaft lag am Boden. Auch der partielle Ausverkauf hatte nichts genützt. Kultureller Ausverkauf begann. Private, Kirchen und Klöster veräußerten Zimelien, um weiter existieren zu können. Das zentrale Gedächtnis Mitteleuropas, die Bestände der nunmehr staatlichen Archive in Wien, drohte in alle Winde zerstreut zu werden. Zeitweilig nahm sich jeder, wessen er habhaft werden konnte. Obwohl Österreich etwas glimpflicher davon gekommen war als Deutschland, wurde der Vertrag als Katastrophe gesehen. Die Streichung des Anschlussartikels aus der Verfassung am 21. Oktober 1919 ging mit emotionalen Ausbrüchen einher. Die Frage der Lebensfähigkeit wurde damit beantwortet, dass es apodiktisch hieß, Österreich sei ein Staat, den keiner wollte und dem man alle Chancen genommen hätte.77 Das Anschlussverbot wurde abermals in den Vordergrund gespielt. Da dem Gesamtstaat ein Anschluss an Deutschland nicht möglich war, wurden 1921 nacheinander in Tirol, Salzburg und der Steiermark Abstimmungen durchgeführt, die zwar keine Gültigkeit erlangten, aber mit Zustimmungsraten um 98 % für den Anschluss an Deutlichkeit kaum zu überbieten waren.78 Daraufhin wurden die Siegermächte regelrecht drohend. Wieder einmal wurde die Einstellung der Lieferung lebenswichtiger Güter an die Wand gemalt. Der französische Gesandte in Österreich, Pierre Antonin LefèvrePontalis, drohte, Jugoslawien werde mit französischer Billigung Kärnten besetzen und Paris werde die Ansprüche Ungarns auf das Burgenland unterstützen.79 Auch wenn die Abstimmungen in den Bundesländern letztlich keine nachhaltigen Auswirkungen hatten, führten sie zum Rücktritt der Bundesregierung und trugen weiter zur Emotionalisierung und zu innenpolitischen Konflikten bei. Die These von der Lebensunfähigkeit wurde immer mehr Teil einer »Ablehnungspsychose« und Teil der Legende vom Zwangsstaat. Österreich schien nicht nur, son-

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dern war unübersehbar fremdbestimmt, in höchstem Maß abhängig geworden. Und daran sollte sich nie mehr etwas ändern. Das war es auch, das den Wechsel von der selbstbestimmenden Großmacht zum Kleinstaat so augenfällig und gefühlsmäßig entsetzlich erscheinen ließ. Und jetzt zweifelten auch jene, die ursprünglich ein rosiges Bild gezeichnet hatten, am Fortbestand des neuen Staatswesens. Der Kampf um die Erinnerung Es war wohl nicht leicht, gegen die Endzeitstimmung anzukämpfen, Aufbruch in eine neue Zeit zu beschwören und Optimismus zu zeigen. Das genau aber war Sache der Politik. Die ursprüngliche »Herrenrunde« im Parlament war mittlerweile aufgelockert und durchmischt worden. Seit den Märzwahlen 1919 saßen auch acht Frauen in der Nationalversammlung. Entscheidender aber wurde wohl noch, dass die aus dem Krieg Heimgekehrten, Enttäuschten, oft auch Gedemütigten in die Politik drängten. Sie wollten mitentscheiden, die Zukunft nach ihren Vorstellungen gestalten und fallweise auch Rache üben. Sie taten das seit 1918. Schnell entstanden neue Feindbilder. Die österreichischen Sozialdemokraten und Kommunisten hetzten nicht nur gegen den alten Adel, die Kriegsgewinnler und das Großbürgertum, sondern auch gegen die Bauern, die noch immer ca. 40 % der Gesamtbevölkerung ausmachten. Für die Linke war der Klassenkampf unvermeidlich. Terror als Instrument des Klassenkampfs und Bürgerkrieg als Form revolutionärer Politik80 musste aber für viele verstörend wirken. Die Konservativen und deutschnationalen Rechten wiederum sahen in den Linken den Gottseibeiuns, und konnten ihn sogar lokalisieren  : Er war in Wien zu Hause, wo ja aufgrund der neuen Verhältnisse ein Drittel der Bevölkerung Österreichs lebte. Auch da gab es noch Menschen, die sich hervorragend als Feindbild eigneten  : Die Juden. Sie seien schuld am Ausgang des Kriegs, so einfach war das. Was für alle politischen und sozialen Gruppen gleichermaßen galt, war der Wunsch nach Abrechnung. Seit November 1918 gab es das Gesetz zur »Untersuchung militärischer Pflichtverletzungen im Kriege«.81 Vornehmlich für hohe und höchste Offiziere gedacht, von denen einige wenige tatsächlich vor Gericht gestellt wurden, war das Gesetz auch auf Wissenschaftler angewendet worden. Der berühmteste Fall war der, bei dem der Wiener Psychiater und spätere Nobelpreisträger Julius (Ritter von) Wagner-Jauregg angeklagt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, psychisch erkrankte Soldaten und Simulanten mittels Stromstößen (Elektroschock-Methode) gefoltert zu haben. Wagner-Jauregg wurde freigesprochen. Sigmund Freud hatte als Zeuge ausgesagt. Und Julius Tandler, ein nicht minder berühmter Wiener Mediziner und sozialdemokratischer Stadtrat von Wien, hatte alles getan, um Wagner-Jauregg zu entlasten. Tandler selbst sprach von Simulanten und psychisch kranken Soldaten als »Minusvarianten der Menschheit«

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und vertrat damit wohl eine recht weit verbreitete Auffassung.82 Denn der anfängliche Anti-Militarismus und Pazifismus war rasch neuen Formen von Militarismus gewichen. Und letztlich hatte schon die Ausrufung der Republik gezeigt, dass man es zwar mit gewandelten Formen von Aggressivität, doch eigentlich mehr mit der Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln zu tun hatte. Die Heimkehr der Krieger, von denen die letzten 1921 aus italienischer Kriegsgefangenschaft und etliche auch aus der neuen Sowjetunion im Umweg über China nach Hause kamen, hatte die Soldaten omnipräsent werden lassen. Sie waren es, die den Kampf um die Erinnerung begannen, die den Kampf um einen Arbeitsplatz häufig mit dem Klassenkampf mengten und dort aufräumen wollten, wo sie noch zu viel von der Welt von gestern vorfanden. Die Abrechnung fand schließlich in einem alles andere denn »linken« Schriftsteller, nämlich Karl Kraus, ihr mächtigstes Sprachrohr. 1919 begann Kraus in seiner Zeitschrift »Die Fackel« damit, die schon zuvor geschriebenen Episoden seines Anti-Kriegsdramas »Die letzten Tage der Menschheit« zu publizieren. 1922 war das Werk fertiggestellt. Es war zwar Abrechnung und Satire, doch ein pazifistisches Werk war es gewiss nicht. Und es fügte sich in seiner Ambivalenz perfekt in die Anfänge der Republik. Vor allem die Sozialdemokraten wollten zum Völkerfrieden erziehen und die Verherrlichung des Kriegs bekämpfen, predigten aber auf der anderen Seite den Klassenkampf und den »wahren Frieden«, den es erst dann geben würde, wenn sich der Sozialismus durchgesetzt hatte. Der Pazifismus, bis 1914 eine Massenbewegung, war tot. Als am 6. Januar 1921 Heinrich Lammasch, ein überzeugter Pazifist, letzter k. k. Ministerpräsident und Universitätsprofessor für Völkerrecht in Salzburg. beerdigt wurde, folgten seinem Sarg bezeichnenderweise ganze sechs Menschen.83 Einer von denen, die dann sein Grab besuchten, war der Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried. Der war aus der Schweiz nach Österreich zurückgekehrt und hatte wieder damit begonnen, seine Zeitschrift, die »Friedens-Warte«, zu veröffentlichen. Doch eigentlich interessierte sich niemand dafür. Die Krieger blieben weiterhin omnipräsent. Allerdings verhinderte die Bundesregierung 1920 die Herausgabe einer Aktenpublikation zum Weltkrieg, mit der eine wissenschaftliche Aufarbeitung begonnen werden sollte.84 Vielleicht wollte man manches noch nicht so genau wissen. Der Kampf um die Erinnerung wurde aber bald etwas, dem nicht ausschließlich das neue Heer zu dienen hatte, sondern ebenso die Vereinigungen ehemaliger Soldaten sowie die militanten Gruppen der politischen Parteien. Und die Erinnerung an den Krieg beherrschte noch lange das Denken und Fühlen. Die Toten kehrten in den Denkmälern und Heldengedenkfeiern zurück. Und nachdem man sich schon während des Kriegs dafür entschieden hatte, als wichtigste Gedenkorte Gemeindedenkmäler zu schaffen, begann ab 1920 im großen Stil die Errichtung von Kriegerdenkmälern.85 Praktisch jeder Ort erhielt zumindest eines, solange, bis in Österreich an die 4.000 existierten. Entgegen manchen Erwartungen war die Botschaft der

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Denkmäler aber keinesfalls Revanche, vielmehr dominierten Trauer und Sinngebung in Form der Zuschreibungen  : »Held«, »heldenhaft« und »Pflichterfüllung«. Buchstäblich nebenan bettelten verstümmelte Veteranen des »Großen Kriegs« um ein paar immer wertloser werdende Kronen. Zukunftsangst ging um. Auswandern, um der Not und gefühlten Enge zu entgehen, schien eine gute Möglichkeit, um alles hinter sich zu lassen. Auswanderung wurde regelrecht propagiert, und es wurden eigene Organisationen gegründet, die dabei behilflich sein wollten. Die Frage war nur  : Wohin  ? Denn das vor dem Krieg wichtigste Auswanderungsland, die USA, hatte dichtgemacht und erschwerte potentiellen Immigranten den Weg über den Atlantik. Briten, Franzosen und Italiener propagierten zwar die Auswanderung nach Tanganjika, Libyen oder Ostindien. Doch die Vorstellung, dort als Kleinbauer ein neues Leben anfangen zu sollen, war für viele wenig attraktiv.86 Auch arme oder verarmte Bauern zogen mehrheitlich in die Städte, vor allem nach Wien, statt sich auf ein afrikanisches Abenteuer einzulassen. Der Doppeladler war von vielen Gebäuden entfernt und als staatliches Symbol generell entsorgt worden. Wieder war es Renner, der schon am 31. Oktober 1918 vorgeschlagen hatte, die Farben des Bindenschilds der Babenberger, rot – weiß – rot, als Staatsfarben zu wählen und den doppelköpfigen Adler gegen einen einköpfigen zu tauschen, dem als Attribute ein schwarzer Stadtturm als Symbol für das Bürgertum, rote Hämmer für die Arbeiterschaft und goldene Ähren für die Bauern beigegeben werden sollten.87 Schwarz – rot – gold also, die Farben Deutschlands. Die Symbole waren dann wohl modifiziert worden, doch das Wappen blieb fremd. Und angesichts der allgemeinen Auffassung von der Lebensunfähigkeit des Staats erhielt das Wappentier auch schnell den Spottnamen »Pleitegeier«. Wappen und Farben ließen sich dekretieren. Ein Staatsbewusstsein nicht. Als eine schon fast posthume Würdigung der Anfänge der Republik lieferte Karl Renner 1920 auch den Text für eine Bundeshymne, die Wilhelm Kienzl vertonte  : »Deutschösterreich du herrliches Land, wir lieben dich  ! / Hoch von der Alm unterm Gletscherdom stürzen die Wasser zum Donaustrom / … Wir lieben dich, wir schirmen dich.« Mit der kaum zu singenden, wenngleich bis 1929 gültigen Hymne wurde ein weiteres Symbol der Monarchie entsorgt, die Kaiserhymne »Gott erhalte«. Österreich überließ die Haydn-Melodie definitiv Deutschland. Doch das waren vielleicht nur Äußerlichkeiten. Parallel zu Aufarbeitung und Abrechnung mit dem Alten begann die Suche nach einer neuen Normalität. Eine teils vaterlose Gesellschaft musste um ihren Platz im neuen Österreich ringen. Frauen spielten dabei eine zunehmend geringe Rolle, denn die Frauen waren nach dem Krieg rasch aus den männlichen Berufen verdrängt worden. Die Rückkehr der Krieger hatte sie wieder unnötig werden lassen. Und sie ließen sich verdrängen und verdrängten ihrerseits. Bis 1918 hatte die Ehe als unauflöslich gegolten. Jetzt kam es massenhaft zu Scheidungen.88 Nicht nur jahrelange Trennung

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Saint-Germain  : das Ende der Illusionen

hatte dazu geführt, dass Ehen zerrüttet waren und sich Menschen nicht mehr mochten. In zahllosen, wenngleich statistisch nicht genau zu erhebenden Fällen zerbrachen die Bindungen auch daran, dass die Männer körperlich oder psychisch versehrt zurückgekommen waren und Frauen das Zusammenleben mit einem Krüppel oder nervlichen Wrack, einem »Kriegszitterer«, nicht ertrugen.89 Die Orientierungslosigkeit ließ den Ruf nach Richtungsweisendem immer laut werden. Das Bewusstsein, in etwas Unfertigem zu leben, ein Zwischendasein zu führen, führte nicht nur zu Resignation, sondern forderte auch zu kreativen Prozessen heraus. Die große Stunde der Pädagogen und Psychologen schlug. Karl Popper arbeitete an neuen Erziehungsformen, Sigmund Freud schrieb 1921 »Jenseits des Lustprinzips«, fand aber durchaus nicht nur Anerkennung. Später wurde es als »historische Ironie« gewertet, dass die Psychoanalyse, zu der sich so gut wie alle politischen Kräfte in Österreich ablehnend verhielten, ausgerechnet in Wien ihren Aufschwung nahm.90 Karl und Charlotte Bühler bauten die Wiener Schule der Kinder- und Jugendpsychologie auf. Koedukation wurde ausprobiert. Rauschgift galt als Mittel der Befreiung und Kreativität. Freie Liebe wurde propagiert. Auch andere machten von sich reden. Franz Werfel steckte mitten in der Revolution und wurde wegen seiner Beteiligung an den Ausschreitungen nach der Ausrufung der Republik Deutschösterreich von der Landesverweisung bedroht. Rainer Maria Rilke und Stefan Zweig kehrten aus der Schweiz zurück und knüpften an Vorheriges an, schrieben es weiter und fertig, wie Rilke die »Duineser Elegien«. Ludwig Wittgenstein hatte noch während des Kriegs seinen »Tractatus Logico Philosophicus« fertiggestellt. Arthur Schnitzler griff mit seinem »Reigen« das Thema der Zeit schlechthin auf  : Die Sexualität. Letztlich kämpften sie alle um ihre sehr persönliche Gegenwart und führten gleichzeitig einen Kampf um die Erinnerung, so wie das dann Franz Theodor Csokor getan hat. Am deutlichsten wurde der Kampf um die Erinnerung bei den hohen Militärs und den Staatsmännern der »Welt von gestern«. Vieles, das sie schrieben oder sagten, war natürlich vom Bedürfnis nach Rechtfertigung getragen. Anderes fügte sich in den großen Erzählbogen ein und passte sehr häufig in die Gesamtstruktur des Politischen, in der weiterhin Ablehnung dominierte. Aber natürlich galt es auch noch zu fragen, was aus den Sozialdarwinisten, den Erlösungsuchenden und den Radikalen des Jahres 1914 geworden war, die den Krieg als das größte Ereignis des 20. Jahrhunderts herbeigesehnt und herbeigeschrieben hatten. Waren sie alle tot  ? Mitnichten  ! Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal schrieben Neues. Joseph Schumpeter war in die Politik gewechselt, eine ganze Reihe von Diplomaten, die durchaus Anteil an der Entfesselung des Kriegs gehabt hatten, diente nun der Republik. Journalisten, die 1914 die Kriegsstimmung nicht minder angeheizt hatten, schrieben weiter, und die Historiker lehrten weiter. Viele waren geläutert, hatten sich – wie Friedrich Austerlitz  – die Frage nach dem »Verdienten Schicksal« vorgelegt und mussten

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sich neu orientieren. Andere verliehen ihrer Trauer um die Vergangenheit Ausdruck, wie Joseph Roth, und setzten der Welt von gestern literarische Denkmäler, die deutlich machten, dass sie sich in der nun angebrochenen Zeit nicht zurechtfanden. Letztlich war Österreich nicht bereit, die Bestimmungen des Friedensvertrags als etwas Endgültiges anzusehen, ebenso wenig wie das Deutschland, Ungarn, Italien, Polen oder die Tschechoslowakei taten  ; von Bulgarien oder der Türkei ganz zu schweigen. Gefühle von Demütigung, Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Revanche überlagerten die Bestimmungen der jeweiligen Friedensverträge und ließen ihre Umsetzung zu Zwangsmaßnahmen werden.

4. Das Ende der Gemeinsamkeit

4 Das Ende der G ­ emeinsamkeit

4 Volksabstimmung in Diex, nördlich von Völkermarkt, am 10. Oktober 1920. Im Hintergrund ein britischer Offizier als Beobachter. Mit der Volksabstimmung in Kärnten wurde über den Verbleib großer Teile des ehemaligen Herzogtums bei Österreich entschieden. Diex lag am Rande der Abstimmungszone A, in der sich 59,04 % der Stimmberechtigten für Österreich entschieden. Das südlich der Karawanken gelegene Gebiet wurde schon im Friedensvertrag von Saint-Germain dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugeschlagen. (Foto: Kärntner Landesarchiv)

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s brauchte seine Zeit, ehe die Erregung abzuklingen begann, die von Juni bis September 1919 Österreich in Atem gehalten hatte. Erst allmählich kehrte wieder so etwas wie Normalität zurück. Doch in der Regierung zeichneten sich Bruchlinien ab. Staatskanzler Renner wusste, dass die parlamentarische Unterstützung für die von ihm geführte Regierung auf denkbar schwachen Beinen stand. Es waren nur Vernunftgründe, die den Zusammenhalt noch temporär möglich machten. Der eine leitete sich aus dem Vertrag von Saint-Germain ab, denn der musste ja noch parlamentarisch behandelt werden. Dafür galt es eine Mehrheit zu finden. War die nicht gesichert, drohte Österreich im Chaos zu versinken. Die andere ebenso dringliche Maßnahme war die Verabschiedung einer Verfassung, für die es zwar einen schon vom Wiener Ordinarius für Staatsrecht Hans Kelsen ausgearbeiteten Entwurf gab, doch der war noch denkbar umstritten. Eine Verfassung für acht Bundesländer Wie in Deutschland Hugo Preuß und in den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie führende Staatsrechtler hatte Kelsen alle anerkannt liberalen Verfassungsmodelle durchforstet und getrachtet, womöglich noch modernere Formulierungen zu finden. Der Teufel lag wie so oft in den Details. Die Bundesländer hatten zwar meist bereitwillig ihren Beitritt zum Staat Deutschösterreich erklärt, mittlerweile aber jede Menge Vorbehalte angemeldet. Vor allem dort, wo der Gesamtstaat ein Hindernis für die eigene Entwicklung zu sein schien, diskutierte man Loslösungsmöglichkeiten und zumindest Sonderrechte  ; in Tirol etwa, und in Vorarlberg. Das Anschlussverbot an Deutschland war dann Wasser auf die Mühlen. Der Kelsen’sche Verfassungsentwurf tat ein Übriges, die Wogen hochgehen zu lassen, denn Kelsen ging von einem sehr weitgehenden Zentralismus aus und räumte den Bundesländern nur relativ geringe Mitwirkungsmöglichkeiten ein. Erst allmählich zeichnete sich eine Annäherung ab. Renner bediente sich eines schon mehrfach bewährten Mittels und berief Länderkonferenzen nach Wien ein. Sie waren auch ein Ventil für Unmut und Enttäuschung, die sich vor allem auf den Vertrag von Saint-Germain bezogen. Man sah sich – wie es der Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender so unmissverständlich formulierte – »durch den Friedensvertrag vorläufig gezwungen … in diesem Staat zu leben«.91 Dementsprechend sollte in der Verfassung zum Ausdruck kommen, dass man nur unter Zwang handelte. Aber das

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war nur der deklamatorische Teil. Im Kern ging es um die Rechte der damals noch acht Bundesländer, die mit der Forderung vorpreschten, dass ihnen der jederzeitige Austritt aus dem Staat möglich sein sollte. Verfassungsgesetze sollten erst dann in Kraft treten, wenn auch die Landtage ihre Zustimmung gegeben haben würden. Zeitweilig machten sich die Länder regelrecht selbständig und wollten zu den Länderkonferenzen nicht einmal mehr Vertreter entsenden.92 Vollends ins Trudeln kam die Diskussion, nachdem sich die Koalition von Sozialdemokraten und Christlichsozialen aufzulösen begann. Das hatte zwar nichts mit der Verfassungsfrage zu tun, doch Vertreter beider Parteien signalisierten immer öfter Dissens in der Nationalversammlung. Das galt besonders in Fragen des Eherechts, bei Schulfragen und damit auch bei der Frage nach der Stellung der (katholischen) Kirche im Unterricht oder auch bei außerparlamentarischen Einrichtungen wie jenen der Arbeiterräte. Schließlich kam es am 10. Juni 1920 zum Bruch, als es um ein scheinbar nebensächliches Thema ging, nämlich den Wirkungskreis von Soldatenräten. Dahinter verbarg sich aber eine Frage von weitreichender Bedeutung  : Sollte es bei der von den Sozialdemokraten beherrschten Volkswehr sein Bewenden haben oder ein neues und vielleicht weniger politisiertes Heer geben  ? Noch eine dritte Möglichkeit stand im Raum  : Würde es vielleicht überhaupt ohne Heer gehen, indem man dem Wunsch einiger Landeshauptleute entsprechend Polizei und Gendarmerie aufstockte  ? Das hätte freilich bedeutet, dass die Landeshauptleute über die Exekutivkräfte ihres Bundeslandes verfügten – und das konnte nicht im Interesse des Gesamtstaats sein. Noch kam es nicht zur Auflösung des Parlaments, sondern nur zu einer Umbildung der Regierung in Form einer Proporzregierung, in der nicht einmal Einstimmigkeit herrschen musste. Renner trat als Staatskanzler zurück und übernahm das Außenamt. Den Vorsitz im Kabinett führte der Staatssekretär für Verfassungs- und Verwaltungsreform Michael Mayr. Denn es ging weiterhin um die Verfassung. Es war aber nicht die Regierung, die dann die letzten Entwürfe ausarbeitete, sondern es waren die Parteien. Einige Punkte, so die Frage der Grundrechte, Schulfragen oder auch der Finanzausgleich, wurden ausgeklammert. Doch die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern gelang. Eine Länderkammer sollte nur ein aufschiebendes Veto haben, nicht aber regelrecht blockieren können. Es sollte einen Bundespräsidenten geben, und Niederösterreich ebenso wie Wien sollten eigene Bundesländer werden. Das brauchte zwar noch ein gutes Jahr, um Realität zu werden, doch ab dem 1. Januar 1922 war auch Wien ein eigenes, das jüngste Bundesland, und Österreich nach dem Anschluss des Burgenlands demnach in neun Bundesländer gegliedert. Die »Farbenlehre« war klar und für die Folgejahre prägend  : Wien war »rot«  ; alle anderen Bundesländer – außer Kärnten – »schwarz«. Ein Ungleichgewicht ließ sich aber auch durch die neue Verfassung nicht beseitigen  : In Wien, gleichermaßen Hauptstadt der Republik Österreich wie Bundesland, lebte rund ein Drittel der Bevölkerung. Es war der liebevollhässlich genannte »Wasser-

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kopf« des Landes. Und er war anders, wenngleich im Schrumpfen begriffen. Bis 1922 verließen rund 400.000 Menschen die ehemalige Reichshaupt- und Residenzstadt.93 Mit der Einigung auf die Verfassung hatte auch die Proporzregierung ihr Pensum erledigt, und eigentlich konnten die Provisorische Staatsregierung des Jahres 1918, die Staatsregierung Renners und ihre ein halbes Jahr amtierende Nachfolgerin auf eine bemerkenswerte Leistung zurückblicken. Sie hatte zusammen mit den Bundesländern einen Staat geschaffen, der schließlich auch die Kennzeichen eines solchen aufwies, nämlich ein klar definiertes Staatsgebiet und ein Staatsvolk. Damit handelten sie zwar im Einvernehmen mit den Siegermächten und Signataren des Vertrags von Saint-Germain, doch entgegen manch düsteren Prophezeiungen. Trotz der auch von politischen Repräsentanten geförderten Anschlusstendenzen war es dabei geblieben, dass es eine staatliche Einheit gab und Österreich nicht zu einem Selbstbedienungsladen seiner Nachbarn wurde. Die Regierung hatte dem neuen Staatswesen eine Verfassung gegeben und nicht zuletzt auch in mitunter selbstverleugnenden Verhandlungen mit den Nachbarn einer immer wieder am Rand einer Hungerkatastrophe dahinschlitternden Bevölkerung eine Grundversorgung gesichert, die zumindest das Überleben ermöglichte. Dennoch konnte man nur zu leicht den Eindruck gewinnen, unter den Vertretern von Parteien und Interessengruppen würde vor allem Streit herrschen. Zahlreiche Tote der oft aus nichtigen Anlässen beginnenden Auseinandersetzungen bestätigten diese Empfindung. Und immer wieder schien man am Anfang zu stehen. Denn was fehlte, war ein Gefühl von Gemeinsamkeit. Und was irritierte, war der Umstand, dass das Ausland kritisch und unfreundlich auf die Neuschöpfung zwischen Boden- und Neusiedlersee schaute. Sanierer am Werk Im Oktober 1920 wurde zum zweiten Mal in der Geschichte der jungen Republik gewählt. Die politischen Gewichtungen verschoben sich. Die Christlichsozialen wurden mandatsstärkste Partei. Theoretisch hätte es auch noch zu weiteren Verschiebungen kommen können, denn in Kärnten war wegen der zeitgleichen Volksabstimmung über den Verbleib der Abstimmungszone A noch nicht gewählt worden, desgleichen im Burgenland. Dort sollten erst im Juni 1921 bzw. Juni 1922 die Mandate vergeben werden. So lange aber konnte die Politik nicht ruhen. Schon die naheliegendste Frage war freilich schwer zu beantworten  : Wer würde sich zur Zusammenarbeit in einer neuen Regierung bereitfinden  ? Die eigentlich unerwartete Entscheidung der Sozialdemokraten, in Opposition zu gehen, ließ dann keine andere Lösung zu, als dass die Christlichsozialen und die drittgereihte Großdeutsche Volkspartei zusammengingen. Otto Bauer hatte dem Parteivorstand der Sozialdemokraten ein Papier vorgelegt, in

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dem streng vertraulich zu lesen war  : So lange die Sozialdemokraten in der Regierung sind, »können sie die Verantwortung für die wirtschaftliche Krise nicht den bürgerlichen Parteien zuschieben«. Und unmissverständlich  : »Wir setzen in der Koalition nichts mehr durch.«94 Dass das den dauernden Abschied der Sozialdemokraten von der Regierungsverantwortung bedeuten würde, konnte man damals nicht wissen, doch die Gegensätze zu den Christlichsozialen, der Frust über die Zusammenarbeit in den drei Regierungen seit 1918 sowie der nach wie vor anzutreffende Wunsch nach einem linken Experiment und der Diktatur des Proletariats spielten dabei wohl ebenso eine Rolle wie die Erwartung, die anderen Parteien würden an den Aufgaben scheitern. Auch die Christlichsozialen hielten sich bedeckt und verstanden sich nur dazu, den als Interimskanzler schon bewährten Michael Mayr zu nominieren. Er bildete ein aus Beamten und einigen Christlichsozialen zusammengesetztes Kabinett, das er als nunmehr Bundeskanzler genannter Regierungschef führte. Mayr mühte sich redlich, doch er bekam weder im Inland noch vom Ausland den nötigen Spielraum zugestanden, um eine Krise zu meistern, die letztlich schwerer war als manch anderes, das bis 1921 zu bewältigen gewesen war. Österreichs Wirtschaft befand sich in einer steilen Abwärtsspirale. Der Hauptverlierer des wirtschaftlichen Abschwungs war Wien. Die Betriebe erhielten keine Aufträge mehr. Sie hatten auch Überkapazitäten. Vier von fünf Lokomotivfabriken der Habsburgermonarchie waren in Österreich angesiedelt – doch kaum jemand bestellte neue Lokomotiven. Der Westen Österreichs, der so ganz anders war als die große Stadt, zeigte Abstoßungstendenzen. Zur Ernährungskrise kam eine Energiekrise. Der Bankenplatz Wien, vom dem man sich so viel erhofft hatte, da er die größten Kreditinstitute der Monarchie beherbergte, kam ins Trudeln. Die Nachfolgestaaten deckten ihren Geldbedarf nicht mehr in Wien, sondern anderswo. Das Zutrauen der Finanzwelt in die österreichische Kronenwährung litt unter der Vorgabe, dass Österreich zu Reparationszahlungen verpflichtet worden war, auch wenn deren Höhe nach wie vor nicht bekannt war. Die Siegermächte hatten Pfandrechte. Dazu kamen sogenannte »Liberationsschulden«, also Zahlungen in noch ebenso unbestimmter Höhe, welche die Siegermächte von den Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie für die Befreiung – von wem eigentlich  ? – zu fordern berechtigt waren. Ende 1921 wurden die staatlichen Lebensmittelzuschüsse eingestellt. Davon waren zwar nicht nur die Arbeiter betroffen, sondern gleichermaßen die Angestellten mit niedrigen Einkommen und die Arbeitslosen. Doch die Arbeiter sahen sich wieder als Speerspitze der Unzufriedenen. In Wien kam es zu wilden Demonstrationen und Ausschreitungen. Allein der Glasschaden in der Mariahilferstraße belief sich auf zwei Millionen Goldkronen.95 Die einen riefen nach der proletarischen Revolution, die anderen nach dem Anschluss an Deutschland, ungeachtet dessen, dass das Krieg und Chaos bedeutet hätte. Michael Mayr sah keinen Ausweg mehr und trat zurück.

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Wieder wurde ein Regierungschef gesucht. Man fand ihn in dem seit Jahren in Sicherheitsfragen erfolgreichen Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober, der zwar schon einmal abgelehnt hatte, sich aber nun doch bereitfand, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Probleme waren gleich geblieben, und Schober musste letztlich nicht einmal nach anderen Lösungsmöglichkeiten suchen. Er setzte für die Sanierung der Finanzen auf ausländische Kredite  ; die oppositionellen Sozialdemokraten auf Inlandsanleihen und Vermögensabgaben, da sie die Abhängigkeit vom (kapitalistischen) Ausland zumindest reduzieren wollten. Schober und seinem Finanzminister, Alfred Gürtler, schien beides sinnvoll. Der Kanzler erreichte von der Tschechoslowakei einen Kredit von 500 Millionen Tschechenkronen. Der diesbezügliche Vertrag von Lana (Lány) hatte allerdings zur Bedingung, dass sich Österreich verpflichtete, die Bestimmungen von Saint-Germain getreulich zu erfüllen, sowie im Fall eines tschechischungarischen Kriegs neutral zu bleiben. Es war das zweite Mal, dass das Anschlussverbot in einen Vertrag hineingeschrieben wurde, so als ob man misstrauisch gewesen wäre, dass sich Österreich auch an das Verbot halten würde. Die Großdeutsche Volkspartei, auf deren Unterstützung Schober wie schon vorher Mayr angewiesen war, drohte daraufhin, der Regierung die Unterstützung zu entziehen, denn abermals war die ohnedies nur fiktive Möglichkeit des Anschlusses an Deutschland aufgegeben worden. Vollends zum Bruch kam es aber, als der britische Kontrollor der Einhaltung der friedensvertraglichen Bestimmungen, George Malcolm Young, in einem Schreiben Schober in bester Absicht lobte und Österreich schon deshalb Kreditwürdigkeit attestierte, da der Bundeskanzler Stabilität und die Fortsetzung der Eigenstaatlichkeit garantierte. Und während der Kanzler in Fortsetzung seiner Werbetour noch in Genua mit den Siegermächten und potentiellen Kreditgebern um finanzielle Hilfe verhandelte und erreichte, dass die meisten Staaten zusicherten, von ihren Generalpfandrechten keinen Gebrauch machen zu wollen, stürzten die Großdeutschen einen der Ihren und mit ihm die Regierung. Jetzt, endlich, trat einer aus den Kulissen, von dem man schon lange erwartet hatte, dass er nicht nur die Fäden bei den Christlichsozialen ziehen, sondern selber volle Verantwortung übernehmen würde  : Prälat Ignaz Seipel. Der 45-Jährige war die Verkörperung des politischen und politisierenden Katholizismus in Österreich, war in der letzten kaiserlichen Regierung Sozialminister gewesen und hatte an der Verzichtserklärung Kaisers Karls mitgewirkt. Seit damals war er im Hintergrund geblieben und nur als Abgeordneter in Erscheinung getreten. Am 31. Mai 1922 stellte er dem Nationalrat seine Regierung vor. Sie war aus Christlichsozialen und Großdeutschen zusammengesetzt, denn Letztere hatten wohl begriffen, dass die Alternative eine Wiederauflage einer schwarz-roten Regierung sein würde. Eine bloße Duldung wie bei Mayr und Schober war nicht mehr gefragt. Also arrangierte man sich. Auf einem »Reichsparteitag« in Graz billigten die großdeutschen Delegierten das Zusammengehen mit den

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Christlichsozialen. Seipel versprach ein Festhalten an der Anschlusspolitik und fand auch nichts dabei, in den Koalitionspakt einen Passus aufzunehmen, in dem es hieß  : »Wirksamer Schutz der einheimischen deutschen Bevölkerung gegen den zunehmenden schädlichen Einfluss des Judentums auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens«.96 Also konnte man unter der Parole »Der Feind steht links und ist jüdisch« an die Arbeit gehen. Die Probleme waren nicht geringer geworden. Und auch die Lösungsmöglichkeiten waren überschaubar. Seipel setzte für die Stabilisierung der Währung auf vier Möglichkeiten  : Erhöhung der Einnahmen und Senkung der Ausgaben, Vermögensabgaben und Auslandskredite. Doch keines der probaten Mittel wollte greifen. Noch im Juni 1922 hoffte man, der sich anbahnenden Krise auf dem Banken- und Währungssektor dadurch entgegenarbeiten zu können, dass eine österreichische Nationalbank in Form einer Aktiengesellschaft gegründet wurde, die so wie ehemals die Oesterreichisch-Ungarische Bank auch als Notenbank fungieren, also auch Banknoten ausgeben durfte. Plötzlich setzte eine wilde Spekulation gegen die Kronenwährung ein. Die in mehrheitlich britischem Eigentum befindliche Anglobank und die französisch dominierte Länderbank verweigerten die Einlage eines Stammkapitals in die Nationalbank. Die Krone sank auf den 14.400sten Teil ihres Goldwerts.97 Der Geldumlauf, der 1920 noch 12 Milliarden Kronen betragen hatte, stieg im August 1922 auf eine Billion. Die Verbraucherpreise verdoppelten sich innerhalb eines Monats.98 Für einen amerikanischen Dollar zahlte man offiziell 83.600 Kronen. Ein Ei kostete 2.000 Kronen, 1 kg Butter 80.000 Kronen. Die ökonomische Destabilisierung des Bürgertums, der Beamten, Pensionisten und Hausbesitzer ging mit rasender Geschwindigkeit vor sich, und der große Ausverkauf begann. Wer mit Geld, das er rechtzeitig ins Ausland gebracht hatte, Sachwerte erwerben konnte, auf Pump lebte und seine Schulden dann mit wertlos gewordenem Papiergeld zurückzahlte, konnte riesige Vermögen machen. Sigmund Bosel und Camillo Castiglioni waren berühmte Beispiele dafür.99 Auch Politiker machten ihren »Schnitt«. Die Steuereinnahmen konnten mit der Inflation nicht Schritt halten, Vermögensabgaben brachten nichts mehr. Der zaghafte wirtschaftliche Aufschwung wurde dadurch unwirksam, dass der Staat die Preise für Grundnahrungsmittel stützte, und schon 1921 für Stützungsmaßnahmen 59 % des Budgets aufgewendet werden mussten.100 Allen war klar, dass das so nicht weitergehen konnte. Und das Ausland wollte in das kaputte österreichische System nichts mehr investieren. Das Bemühen um eine Kredithilfe von 250 Millionen Dollar scheiterte. Im März 1921 hatten die Siegermächte das Problem Österreich dem Völkerbund übertragen, der als Voraussetzung für eine Finanzhilfe den Verzicht der Alliierten auf die Generalpfandrechte in Österreich verlangte.101 Wieder nichts. Seipel begann, die Folgen einer österreichischen Katastro­ phe an die Wand zu malen  : Der Staat würde sich auflösen. Sollte nicht alles umsonst gewesen sein, müsste Österreich geholfen werden. Da eine Lösung im direkten Kon-

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takt mit den Staaten, die als Geldgeber in Frage kamen, nicht mehr möglich war, wollte sich Seipel an den Völkerbund wenden. Der vertrat zwar auch nur die Summe der Einzelinteressen, doch da gab es auch so etwas wie einen kollektiven Druck und die Notwendigkeit, eine Art öffentliches Bekenntnis abzulegen. Die Völkerbundanleihe Seipel bereitete seine Reise nach Genf an den Sitz des Völkerbunds sorgfältig vor, fuhr nach Prag und dachte dort laut über die Möglichkeit nach, Österreich der »Kleinen Entente« von Tschechoslowaken, Jugoslawen und Rumänen anzuschließen. In Deutschland, das damals noch nicht dem Völkerbund angehören durfte, ließ er sich bestätigen, dass man in Berlin nicht im Entferntesten daran dachte, den österreichischen Anschlussbefürwortern Gehör zu schenken  ; und in Verona stellte er die Möglichkeit einer Währungs- und Zollunion sowie eine dauerhafte Anlehnung an Italien in den Raum.102 Es war ein Balanceakt, denn in Rom war man auf Prag eifersüchtig, in Paris auf Rom, usw. Seipel ließ sich auch durch einen Misstrauensantrag der Sozialdemokraten im Parlament nicht irritieren, sondern appellierte schließlich in der Völkerbundversammlung an die Mitglieder des vom britischen Außenminister Lord Balfour geführten Gremiums Österreich zu helfen. Die Bereitschaft dazu war zwar vorhanden, allerdings verlangte jeder der potenziellen Kreditgeber eine Art Sonderbehandlung. Kurze Zeit sorgte auch der britische Premier David Lloyd George für Irritationen, da er sinngemäß meinte, er sehe keinen Sinn darin, in ein so kaputtes Staatswesen wie Österreich noch Geld zu investieren. Doch offenbar konnten Seipel, aber auch die anderen Sitzungsteilnehmer den britischen Premier beruhigen. Am 4. Oktober 1922 war das Abkommen unter Dach und Fach. Briten, Franzosen, Italiener und Tschechoslowaken fanden sich bereit, Österreich eine Anleihe von 650 Millionen Goldkronen mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu gewähren.103 Auch kleinere Staaten wollten sich beteiligen. Die Anleihensumme war nun kein Weltbetrag, denn er lag weit unter jenen Beträgen, die eine einzige Kriegsanleihe Österreich-Ungarns seinerzeit erbracht hatte. Mit bis zu 10,2 % wurde sie auch hoch verzinst. Schweden und Großbritannien hatten zur selben Zeit weit weniger Zinsen zu zahlen. Doch es war Geld, das sonst nicht mehr zu bekommen war und mit dem die Währung saniert werden konnte. Dass der Völkerbund, der für die aufzubringende Summe haftete, an dessen Gewährung Bedingungen knüpfen würde, war Seipel wohl klar gewesen. Zur Besicherung der Anleihe verpfändete Österreich das Tabakmonopol und die Zolleinnahmen. Doch nun ließ sich sehr wohl argumentieren, dass der Zwang zu einschneidenden Maßnahmen nicht von der Regierung, sondern von »Genf« ausgegangen wäre. Und die Bedingungen hatten es in sich  : Österreich musste in den drei

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Genfer Protokollen ein weiteres Mal ein Anschlussverbot akzeptieren – es war das dritte Mal. Binnen Monatsfrist, also bis November 1922, musste ein Reform- und Sanierungsprogramm vorgelegt werden, das gewährleistete, dass der Staatshaushalt binnen zwei Jahren in Ordnung gebracht werden würde. Und um sicherzustellen, dass das Geld widmungsgemäß verwendet und alle Zusagen eingehalten würden, hatte Österreich einzuwilligen, dass ein vom Völkerbund einzusetzender Generalkommissar an der Spitze eines viergliedrigen Kontrollkomitees der Geberländer das Ganze überwachte. Für die Sozialdemokraten war diese Form der internationalen Aufsicht schlicht eine »Fremdherrschaft«.104 Otto Bauer hielt sich in seiner Kritik denn auch nicht zurück und meinte pointiert  : »Deutschösterreich [Er verwendete  – wie Renner  – noch immer diesen Begriff] hat sich von Deutschland getrennt und sich der Entente in die Arme geworfen.« Es sei zu einer »Kolonie der Entente« geworden.105 Letztlich war das dann vom Niederländer Alfred Rudolph Zimmermann als Generalkommissar geführte Gremium nur eines von vielen, die Österreich unter Beobachtung hielten  : Die Waffenstillstandskommission, die Kommission zur Einhaltung der friedensvertraglichen Bestimmungen, die Reparationskommission, Delegationen zur Kontrolle des Einsatzes der bis dahin erhaltenen ausländischen Kreditmittel, Restitutionskommissionen, die den Abtransport von Kulturgütern überwachten,106 und Delegationen einiger Nachfolgestaaten, die die Akten der Zentralverwaltung und die Archive durchforsteten und die sie betreffenden (oder auch nicht betreffenden) Teile festlegten und abtransportierten, vervollständigten das Bild. Dies ungeachtet der diplomatischen Vertretungen, die sich berufen fühlten, Österreich zu überwachen und ihm notfalls auch zu drohen. In Wien konnte man durchaus den Eindruck haben, Österreich wäre unter Kuratel gestellt worden. Im Nationalrat gingen bei der Behandlung der Genfer Anleihe wieder einmal die Wogen hoch. Otto Bauer meinte auf dem Parteitag der Sozialdemokraten  : »Ich behaupte also, es ist möglich, ohne die fünfhundert (!) Millionen Goldkronen, ohne das Sündengeld des Völkerbundes die österreichische Volkswirtschaft zu sanieren.«107 Da zeigte sich Fundamentalopposition. Da die Regierung Sondervollmachten beantragte, die nur mit einer Verfassungsmehrheit, also mit den Stimmen der Sozialdemokraten zu erhalten waren, kam ihnen Seipel entgegen und gab ihnen in einem »Außerordentlichen Kabinettsrat« die Möglichkeit, zusammen mit Regierungsvertretern darüber zu wachen, dass die Vollmachten nicht missbräuchlich verwendet würden. Das hatte zur Folge, dass die Sozialdemokraten die sogenannte Genfer Sanierung gleichermaßen mittrugen wie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpften. Dass sie dabei abermals das Anschlussverbot in den Vordergrund rückten und in der »Arbeiter-Zeitung« vom »Genfer Knechtungsvertrag« geschrieben wurde,108 mochten zwar viele ihrer Anhänger erwartet haben. Realistisch war es nicht. Doch trotz der innenpolitischen Querelen und einiger Verzögerungen bei der Auszahlung der ersten

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Tranche der Völkerbundanleihe war der Weg frei, und Herr Zimmermann konnte im Dezember 1922 als Völkerbundkommissar mit seiner Arbeit in Wien beginnen. Radikale Sparmaßnahmen sollten das Haushaltsdefizit beseitigen  ; es galt, nominell 100.000 öffentlich Bedienstete abzubauen, darunter viele Kriegsheimkehrer und Berufsmilitärpersonen, sogenannte Gagisten, die nach den Kriegsjahren gehofft hatten, ein Auskommen zu finden. Der Abbau betraf auch viele der dem öffentlichen Dienst zugezählten Eisenbahner. Im März 1923 wurde eine erhöhte Warenumsatzsteuer eingeführt, die schlagartig fast ein Zehntel des Bundeshaushalts erbrachte. Die Industrieproduktion sollte wieder angekurbelt werden, um den Abwärtstrend zu stoppen. Seipel wollte auch die Zahl der Ministerien reduzieren. Um das zu bewerkstelligen, trat er am 16. April formell zurück. Für 24 Stunden führte Sektionschef Walter Breisky die Bundesregierung – das kürzest amtierende Kabinett in der Geschichte Österreichs. Tags darauf stellte Seipel seine neue, verkleinerte Regierung vor. Wieder ging es Schlag auf Schlag. Nicht immer gelang es, Löhne und Preise rasch in Einklang zu bringen. Es gab – wie nicht weiter verwunderlich – viele Unzufriedene. Bei den Wahlen im Oktober 1923 bekam Seipel zwar seine Bemühungen honoriert, doch die Christlichsozialen blieben mit 82 Mandaten knapp unter der eigentlich erwarteten absoluten Mehrheit in einem nur noch 165 Abgeordnete zählenden Nationalrat. Seipel setzte seine Reformbemühungen fort. Finanzminister Viktor Kienböck bereitete für den 1. Januar 1925 die Einführung einer neuen Währung vor, die nun Schilling heißen sollte. Es ging auch darum, die Sparbemühungen auf die Bundesländer und Gemeinden auszuweiten. Anfang Januar 1924 nahm die Nationalbank, gleichzeitig Notenbank, ihre Tätigkeit auf. Der Geldfluss der inflationären Kronen wurde gestoppt. Doch der Widerstand gegen Seipel wuchs. In seiner eigenen Partei rumorte es, vor allem, da die Bundesländer die Sparbemühungen des Bundes nicht auch auf ihre Budgets angewendet wissen wollten und Seipel immer häufiger die Gefolgschaft verweigerten. Die Großdeutschen wussten, dass Seipels mittlerweile striktes Nein gegen den Anschluss unter ihren Gefolgsleuten für Unmut sorgte. Eher episodenhaft musste zum damaligen Zeitpunkt gewertet werden, dass es Seipel zweimal ablehnte, einen in Landsberg am Lech inhaftierten Herrn Adolf Hitler nach Österreich einreisen zu lassen, wie es die bayerische Fremdenpolizei gerne gehabt hätte. Hitler, so Seipel, sei Deutscher geworden, und dabei sollte es bleiben.109 (Was wäre gewesen, wenn Seipel anders entschieden hätte und Hitler wieder Österreicher geworden wäre  ?) Hitler blieb staatenlos  ! Ein Streik der Eisenbahner war es schließlich, den Seipel im November 1924 zum Anlass für seinen Rücktritt nahm. Er war wohl auch menschlich zutiefst getroffen, dass er so wenig Sympathie genoss. Ein Arbeitsloser hatte ihn zudem bei einem Schussattentat ein halbes Jahr zuvor schwer verletzt und nachhaltig geschwächt. Seipel litt an Diabetes und mutete sich vielleicht auch zu viel zu. Schließlich hätte man wie seiner-

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zeit bei Bismarck sagen können  : Der Lotse geht von Bord. Es geschah jedoch ohne Dramatik und war für Viele auch eine Erleichterung. Freilich sollte es kein Abschied für immer sein.

5. Die Aufmarschsaison

5 Die Aufmarschsaison

5 Aufmarsch von Angehörigen des Republikanischen Schutzbunds in Eisenstadt, 1932. Der Schutzbund und die (« rechten«) Heimwehren waren die größten paramilitärischen Organisationen in Österreich. Sie beherrschten unterschiedlich lang das Straßenbild in vielen Orten. Bei Aufmärschen wurden auch Waffen mitgeführt, die Gewaltbereitschaft signalisierten. Wegen der erst 1919 erfolgten Angliederung des »Heinzenlandes«, des Burgenlands, an Österreich sollte dieses 9. Bundesland nicht zum Tummelplatz der Paramilitärs werden. Dass dies dennoch der Fall war, zählte zu den vielen Tabubrüchen in der Zwischenkriegszeit. (Foto: Österreichische Nationalbibliothek/Bildarchiv)

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m November 1923 wäre der fünfte Geburtstag Österreichs zu feiern gewesen. Doch den Wenigsten war zum Feiern zu Mute. Lediglich die Sozialdemokraten zogen eine vorsichtig positive Bilanz und übergingen dabei notgedrungen, dass auch sie von so und so vielen Ideen und Forderungen des Jahres 1918 Abschied genommen hatten. Und sie waren nicht mehr an der Regierung beteiligt. Lediglich in Wien saß die Partei fest im Sattel. Mehr noch  : Man hatte begonnen, Wien zu einer Art sozialdemokratischem Musterland aufzubauen. Der Stadtrat für Finanzen, Hugo Breitner, zögerte nicht, die Steuerschraube anzuziehen und vor allem die besser Verdienenden und Begüterten zur Kasse zu bitten. Für die noch in den Kategorien der Monarchie denkenden Bürger, die einen Steuersatz von maximal 6 % gewohnt gewesen waren, ein Gräuel. Dabei legte Breitner erhebliche Phantasie an den Tag. Neu eingehoben wurden eine Kraftfahrzeugsteuer, Klaviersteuer, Billardsteuer, Glühlampensteuer und Luxus-Hundesteuer, vor allem aber eine Wohnbausteuer, die es ermöglichte, die prekäre Wohnsituation innerhalb weniger Jahre dramatisch zu verbessern und vor allem für die sozial Benachteiligten und finanziell Minderbemittelten leistbare kleine Wohneinheiten zu schaffen.110 Nach und nach entstanden rund 400 sogenannte Gemeindebauten, nicht immer architektonisch revolutionäre Gebäudekomplexe, doch letztlich etwas, das das Stadtbild Wiens abseits der Ringstraße prägte. Dabei wurde nicht in die Höhe, sondern in die Breite gebaut. Dass der Bezug einer Gemeindewohnung an ein Naheverhältnis zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gebunden war, verstand sich von selbst. Ein rundes Drittel der Wiener Bevölkerung besaß die Parteimitgliedschaft.111 Mit den finanziellen Mitteln der bewusst betriebenen Umverteilung wurden Volksbildungseinrichtungen, Bäder, Gesundheitszentren, Mütterberatung, Eheberatung, Kindergärten, Kreditinstitute und andere den Sozialdemokraten zugezählte Einrichtungen finanziert. Häufig war ihnen die Vorsilbe Volks- oder Arbeiter- gemeinsam. Der Paramilitarismus

Mit der bewussten Durchdringung einer als bürgerlich gesehenen Ordnung verstärkte sich die Lagerbildung. Die Trennung der sozialen Gruppen fand sich in zunehmend vielen Bereichen. Später sollte man das mit einem dem Niederländischen entlehnten Wort »Versäulung« nennen. Sie war aber durchaus keine Erscheinung, die sich auf Wien beschränkte. Arbeiter hatten »links« und sozialdemokratisch zu sein  ; Bauern christ-

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lichsozial  ; Öffentlich Bedienstete, die man mit dem Sammelbegriff »Beamte« versah, hatten bürgerlich zu sein und entweder den Christlichsozialen oder der Großdeutschen Volkspartei anzugehören. Jede Partei trachtete, ihre Klientel zu pflegen und fand nichts dabei, damit die Trennungen noch zu vertiefen und sich in geschlossenen Gesellschaften zu bewegen. Man wohnte in Wien entweder in einem Arbeiterbezirk oder in einem bürgerlichen. Man ging in jeweils eigenen Geschäften einkaufen, besuchte jeweils eigene Gasthäuser, Theater und Vergnügungsstätten und suchte auch nur jene Bäder auf, in denen man »unter sich« war. »Bürgerliche« spielten Tennis, ruderten, schwammen oder betrieben Leichtathletik  ; »Arbeiter« spielten Handball, nahmen an Radrennen teil und stiegen auf Berge. Nur beim Fußball gab es einen Gleichklang der Interessen, auch wenn man in verschiedenen Vereinen spielte.112 Die einen gingen ins Burgtheater, die anderen ins Deutsche Volkstheater  ; die einen nannten Anton Wildgans, Max Mell oder auch Karl Heinrich Waggerl ihre bevorzugten Schriftsteller, die anderen den Arbeiterdichter Alfred Petzold, Theodor Kramer oder vielleicht Josef Luitpold Stern. Die kulturelle Polarisierung war ein Abbild der tiefen Spaltung in der Bevölkerung. Die Abschottung ging Hand in Hand mit einem tiefen Misstrauen in die Absichten der anderen und hatte fast selbstverständlich zur Folge, dass man sich absichern wollte. Das war aber kein Vorgang, bei dem man hätte sagen können, Handlungen bzw. Unterlassungen der einen Seite hätten Maßnahmen der anderen zur Folge gehabt. Da griffen vielmehr die Dinge ineinander, blieben jedoch insofern einem Grundmuster verpflichtet, als sich die politischen Gruppierungen und analog dazu Wien und die übrigen Bundesländer in einem zunehmend scharfen Gegensatz befanden. Vielleicht war am Anfang die Enttäuschung darüber gestanden, dass sich der Staat nicht so formen ließ, wie man sich das erhofft hatte. Auch das Gefühl der Schutzlosigkeit spielte eine Rolle. Die noch in den Tagen der Entstehung der Republik gebildete Volkswehr, die während des Winters und im Frühjahr 1919 zu beachtlicher Stärke angewachsen war, stellte nur sehr eingeschränkt eine militärisch einsetzbare Truppe dar. Sie war weit mehr ein soziales Auffangnetz, als dass sie für außenpolitische Erfordernisse verwendbar gewesen wäre. Weit mehr blieb denn auch haften, dass sie dazu eingesetzt wurde, eine oft nicht zu Ablieferungen bereite Bauernschaft zu zwingen, ihre Erzeugnisse herauszurücken. Enttäuschung über die oft auch nur als »Haufen« empfundene Volkswehr machte sich bereit. Das waren eben nicht die k. u. k. Armee oder auch die k. k. Landwehr. Die Enttäuschung wuchs, als sich herausstellte, dass der Staat die Hoffnungen der Länder, den Schutz nach Außen im Sinne einer Vorwärtsverteidigung wahrzunehmen, nicht erfüllte. Die Volkswehr wurde auch dort, wo sie es wohl vermocht hätte, beispielsweise im Kärntner Abwehrkampf, nicht eingesetzt, um die Demarkationslinie von Drau und Gail zu überschreiten und die jugoslawischen Verbände gänzlich aus dem Land zu werfen. Dass sie sich dabei an die Befehle der Provisorischen Staatsregierung und eine klare Weisung Renners hielt, interessierte in Kärnten wenig. Man vermisste

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die Volkswehr ebenso bei den Kämpfen im Raum Radkersburg, das bis 20. Juli 1920 von südslawischen Truppen besetzt blieb, wie zunächst in Deutsch Westungarn und hätte vielleicht auch in Tirol eine gewisse Präsenz erwartet. Nicht zuletzt machte sich Enttäuschung breit, weil die Volkswehr ein entschlossenes Auftreten gegenüber den Tschechen vermissen ließ, als es um Südböhmen und Südmähren ging. Und auch da interessierte es die Kritiker nicht, dass die Provisorische Staatsregierung gute Gründe hatte, keinen militärischen Einsatz zu versuchen und die Volkswehr befehlstreu blieb. Die Volkswehr galt als links – und war es auch. Zwei Bataillone waren sogar kommunistisch. Sie wurden durch organisatorische Maßnahmen und schließlich im Zuge der Reduktion der Volkswehr unwirksam gemacht, allerdings galt die Volkswehr auch weiterhin als eine Einrichtung, der man durchaus mit Misstrauen begegnen konnte. Den friedensvertraglichen Bestimmungen folgend wurde sie 1920 in ein sehr viel kleineres Bundesheer überführt. 30.000 Berufssoldaten waren Österreich von den Siegermächten zugestanden worden. Anfänglich meldeten sich nur halb so viele zum Dienst in der neuen Wehrmacht. Sie bot letztlich kaum Chancen, obwohl sie sich bemühte, den Anschein einer ganz normalen Truppe zu erwecken. Doch mittlerweile war dem Heer bereits Konkurrenz erwachsen. In den westlichen und südlichen Bundesländern waren Selbstschutzverbände entstanden, die zunächst wohl zum wenigsten politisch zu werten waren, jedoch sehr schnell politisiert wurden. In Kärnten waren die ersten Selbstschutzverbände noch im November 1918 entstanden, in Tirol 1919, und so war es weiter gegangen. Die einen waren gegen einen äußeren Feind gerichtet  ; andere wollten sich gegen die »Bolschewisierung« des Landes zur Wehr setzen. Konkurrenz war dem Heer aber auch dort entstanden, wo sich schon im Schatten der Volkswehr Ordnerorganisationen der Sozialdemokraten formiert hatten, die den Schutz der als revolutionär verstandenen Errungenschaften übernehmen sollten. Für die Selbstschutzverbände wie für die Ordnerwehren gab es Entwicklungsschübe, die sie nicht nur nicht zum Verschwinden brachten, sondern ganz im Gegenteil anwachsen ließen. Und es war überhaupt nicht schwer, Menschen zu finden, die sich organisieren ließen und paramilitärische Gruppen attraktiv und den eigenen Interessen adäquat ansahen. Der Staat aber schritt nicht ein, war zu schwach und wehrte nicht den Anfängen – bis es zu spät war. Der Paramilitarismus lag zwar im Trend der Zeit, doch er führte wie kaum etwas anderes zur Krise der staatlichen Macht. Die schon 1918 als Gliederung der Sozialdemokraten geschaffenen Ordnerorganisationen und die fast zeitgleich entstandenen Arbeiterwehren sowie die Bürger- und Bauernwehren hatten als einzige Gemeinsamkeit das Misstrauen. Bei den einen war es das Misstrauen in die als antimarxistisch gesehenen Organisationen, denen nicht zu Unrecht unterstellt wurde, sie würden reaktionär sein und jedenfalls bereit, das Rad zurückzudrehen. Den Bürger- und Bauernwehren, denen bald die summarische Bezeichnung Heimwehren gegeben wurde, schienen wiederum die Arbeiterwehren re-

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volutionäre Garden, die jederzeit bereit wären, einem bolschewistischen Gedankengut mit Waffengewalt zum Durchbruch zu verhelfen.113 Jede Krise der Staatlichkeit und das ewige Gerede von der Lebensunfähigkeit Österreichs schienen den Moment der Selbstauflösung Österreichs näher zu rücken – und da wollte man gerüstet sein. Bis 1920, also dem Ende der Volkswehr, zählten die Sozialdemokraten ebenso auf die staatliche bewaffnete Macht wie auf die Ordnerorganisationen und die in den Industriegebieten und vor allem in Wien existierenden Arbeiterbataillone. (Schon die Bezeichnung machte den paramilitärischen Charakter deutlich.) Nach dem Ende der Koalitionsregierungen und der Übernahme des Verteidigungsressorts durch den Christlichsozialen Carl Vaugoin, setzte eine als »Entpolitisierung« bezeichnete personelle Veränderung ein, die zwar langsam aber stetig vor sich ging und den Einfluss der Sozialdemokraten rasch einschränkte. Der sozialdemokratische Staatssekretär für Heereswesen, Julius Deutsch, verlor seine Stellung. Der ranghöchste Offizier, Generalmajor Theodor Körner, wechselte als Wehrsprecher der Sozialdemokraten ins Parlament. Wer den personellen Abbau überstand und ins Bundesheer wechseln konnte, zeigte sich apolitisch oder riskierte, seinen ohnedies nur auf sechs Jahre beschränkten Vertrag nicht verlängert zu bekommen. Minister Vaugoin übte den an sich dem Nationalrat übertragenen Oberbefehl durchaus persönlich aus. Das Bundesheer stellte daher in Kürze nicht mehr den Rückhalt für die Sozialdemokraten dar. Ihre Reaktion bestand darin, dass eine am 8. Dezember 1920 abgehaltene Tagung der Arbeiterräte und Ordnerorganisationen die Bildung einer Zentralleitung beschloss. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 47.000 Männer in den Ordnerorganisationen formiert. Zwei Jahre später schlug Julius Deutsch vor, die Formationen unter dem Namen »Republikanischer Schutzbund« als Verein zu organisieren.114 Die Mitgliederzahlen stiegen stetig an. Das Ziel, den Sozialismus aufzubauen und den »Ausbeutern« und »Reaktionären« bewaffnet entgegenzutreten, wurde offen ausgesprochen. Die Schutzbündler betrieben Wehrsport und wurden militärisch ausgebildet. Julius Deutsch soll mit einem gewissen Stolz schon 1923 verkündet haben, dass der Schutzbund über 220 Infanterie-, 12 Eisenbahn- und acht Sturmbataillone verfügte und obendrein 80 Maschinengewehrkompanien zählte.115 Das Einzige, das fehlte, waren Geschütze. Doch ansonst gab es Waffen zu Hauf. Sie wurden bei etlichen Gelegenheiten ganz offen getragen. Auch die »Rechten« fanden nichts Schlechtes am Paramilitarismus und suchten nur die »Linken« zu übertreffen. Was anfangs eine aus der Not geborene Maßnahme war, bestand auch fort, nachdem die unmittelbare Bedrohung geschwunden war. Den Landesregierungen, vor allem einigen Landeshauptleuten, war das nicht unrecht, denn damit verfügten sie über eine Art Truppe, die weder auf die Volkswehr noch dann auf das Bundesheer zählte und auf die man sich in einem sehr persönlichen, zumindest aber landesspezifischen Sinn verlassen konnte. Letzterem stand auch einer Zusammenarbeit mit den Einwohnerwehren im süddeutschen Raum, vor allem den Organisatio-

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nen Georg Escherichs und Rudolf Kanzles nicht entgegen, die an der Beseitigung der Münchner Räterepublik beteiligt gewesen waren und ihre Organisationen nach Tirol, Vorarlberg, Kärnten und Salzburg auszudehnen bemüht waren. Doch das blieb Episode. Stattdessen schlossen sich dann die Selbstschutzverbände der genannten Bundesländer sowie Oberösterreichs am 23. Februar 1923 zur »Vereinigung der alpenländischen Selbstschutzverbände« zusammen. Der Tiroler Richard Steidle wurde ihr Vorsitzender. Die steiermärkische und die niederösterreichische Führung wollten zumindest vorderhand ihrer eigenen Wege gehen. Und das »rote« Wien zählte ohnedies nicht dazu, hatte allerdings in der Stadtschutzwache eine ähnliche dem Bürgermeister und Landeshauptmann unterstehende Formation wie die sieben »alten« Bundesländer. Nur das Burgenland hinkte nach. Größenmäßig standen die »Alpenländischen Selbstschutzverbände«, die Heimwehren, dem Republikanischen Schutzbund um nichts nach. Sie gaben ihre Stärke 1922 stolz mit 110.000 Mann an. Und auch wenn man weder den Zahlen von Julius Deutsch noch denen des für die Heimwehren zuständigen Ausschusses allzu viel Gewicht beimessen konnte, war klar  : Rechts wie links war ein gewaltiges paramilitärisches Potential vorhanden. Es sollte dann keine Rolle spielen, wenn der Staat nach der Seipel’schen Sanierung und angesichts der 1924 einsetzenden Erholung der Weltwirtschaft nicht neuerlich in die Krise kam. Falls doch – was dann  ? Außer den beiden großen Organisationen gab es rechts von der Mitte noch ein breites Spektrum, das abzudecken die »Frontkämpfervereinigung« bemüht war. Sie war aus dem »Wirtschaftsverband der nichtaktiven Offiziere und Gleichgestellten« hervorgegangen, und bemühte sich zunächst, den ehemaligen Offizieren und höheren Heeresbeamten Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen und ihre Ansprüche gegenüber dem Staat geltend zu machen, aber auch die Auswanderung zu ermöglichen.116 Allmählich waren die »Frontkämpfer« zu einem besonders bunten »Haufen« geworden. Dem paramilitärischen Potential ließen sich dann die Bauernwehren, die christlich-deutschen Turner, der Freiheitsbund und kleine mehr oder weniger private Gruppen hinzuzählen, die vordergründig Kameradschaft pflegen, Zusammenhalt üben, die ihnen nahestehenden Gruppen und Interessen verteidigen und auf jeden Fall bereit sein wollten, ob und wann sie gebraucht würden. Sie alle nahmen am Kampf um die Erinnerung teil und nützten jegliche Gelegenheit, um auf sich aufmerksam zu machen. Klar, dass sich alle paramilitärischen Verbände außer dem Schutzbund am Begräbnis des langjährigen Generalstabschefs der gesamten bewaffneten Macht Österreich-Ungarns, Franz Conrad (von) Hötzendorf beteiligen wollten. Der Feldmarschall war in Bad Mergentheim in Deutschland gestorben. Am 2. September 1925 wurde er in Wien zu Grabe getragen. Vom Militärkasino auf dem Schwarzenbergplatz aus setze sich der Kondukt über die Ringstraße in Bewegung. Minister, Präsidenten, die ranghöchsten Offiziere der »alten Armee« folgten der Lafette. Truppenkörper von drei Waffengattungen marschierten und ritten im Trauerzug mit, ein Blumenwagen, ein Trauerpferd folgten der Lafette.

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Tausende säumten die Straße. Seit dem Begräbnis von Feldmarschall Radetzky hatte es keinen vergleichbaren Leichenzug gegeben. Ein Volkskundler meinte dazu, es wären »alle herkömmlichen Versatzstücke« mitgeführt worden.117 Mit »Zeitgemäßheit« ließ sich zweifellos nicht argumentieren, eher damit, dass es eine Klage über eine verlorene Welt und eine Anklage an die Gegenwart war. Während der Kondukt Richtung Hietzinger Friedhof unterwegs war, wurde von sozialdemokratischen Abgeordneten aber auch von Kriegsopfern eine bittere Abrechnung gehalten. Wie so oft begegneten sich zwei Wahrheiten. Und sie standen sich nahezu unversöhnlich gegenüber. Der latente Bürgerkrieg 1926 schien das Schwerste überstanden. Wie in den meisten europäischen Staaten gab es einen wirtschaftlichen Aufschwung. In Österreich fiel er sogar stärker aus als in Belgien, Deutschland oder Italien. Die Wirtschaft wuchs im Durchschnitt jährlich um 4,8 %.118 Doch das Land war ein fragiles Gebilde geblieben. Der Ausbau des Sozialstaats kollidierte mit der Notwendigkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Sanierung. Letzteres war mit ein Grund für die Rückkehr Ignaz Seipels an die Spitze der Regierung im Oktober 1926. Seine zweite Amtszeit hinterließ freilich nicht das Bild des großen, erfolgreichen Sanierers, sondern das eines zwar entschlossenen, doch zunehmend autoritär agierenden Regierungschefs. In Österreich war seit seiner ersten Amtszeit einiges anders geworden, und es hatte sich nicht zum Besseren verändert. Vor allem war die Aggressivität gewachsen. Dass sich die Kanzlerpartei dabei verstärkt auf die Juden konzentrierte, lag an ihrer ideologischen Fundierung aber auch daran, dass in Zeiten existentieller Not immer Schuldige gesucht (und gefunden) werden. Der christlichsoziale Abgeordnete zum Nationalrat Leopold Kunschak war nur einer derer, die den Antisemitismus nicht nur in Worten, sondern auch in Taten verlangten. Auf Seiten der Sozialdemokratie wollte man da offenbar nicht zurückstehen, verband den Antisemitismus mit Kapitalismuskritik und zog über die »Geldjuden« her.119 Der Mord an dem jüdischen Schriftsteller und Journalisten Hugo Bettauer war ein Indiz für eine sich wandelnde Szene. Er war von einem Mitglied der damals noch sehr unscheinbaren nationalsozialistischen Bewegung ermordet worden. Doch der Beifall gerade aus dem katholisch-konservativen Lager war überdeutlich. An dem »Pornographen« Bettauer sei nur ein »Volksurteil« vollstreckt worden, hieß es. 1926 nahmen die Christlichsozialen in ihr Programm die »Pflege deutscher Art« und die Bekämpfung der »Übermacht des zersetzenden jüdischen Einflusses auf geistigem und wirtschaftlichem Gebiet« auf.120 An einer Demonstration »gegen die Diktatur des Judentums« nahmen rund 100.000 Menschen teil und zogen skandierend über die Wiener Ringstraße.121

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Seipel hatte wohl Kunschak gewarnt, der radikalen Phrase freien Lauf zu lassen. Doch angesichts der Radikalisierung der Politik sah auch der Bundeskanzler den Einsatz von Gewalt als unvermeidlich an. Er rechnete wie andere auch mit vorgezogenen Neuwahlen. Die Möglichkeit dazu klang schon in seiner Regierungserklärung an. Folglich hieß es, die Positionen zu bestimmen. Die Christlichsozialen taten es, die Großdeutschen, die Kleinparteien und vor allem auch die Sozialdemokraten. Vielleicht war von den Pragmatikern an ihrem rechten Flügel die Weigerung, in eine Konzentrationsregierung einzutreten, mittlerweile als Fehler erkannt worden. Statt aber Abstriche zu machen, legten die Sozialdemokraten die Latte höher. In Linz gaben sie sich ein neues Programm. Von Linz nach Schattendorf Mit dem Linzer Programm vom November 1926 bekundeten die Sozialdemokraten unmissverständlich ihren Willen zur Erreichung der Macht und benannten ihre Ziele. Es war die Androhung des uneingeschränkten Klassenkampfs. Die Bourgeoisie wird ihre Machtstellung nicht freiwillig räumen, hieß es in dem Programm. »Wenn es aber … einer Gegenrevolution der Bourgeoisie gelänge, die Demokratie zu sprengen, dann könnte die Arbeiterklasse die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern.« Und wenn sich die Bourgeoisie den gesellschaftlichen Umwälzungen widersetzen sollte, »dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.« Letztlich waren es diese Formulierungen, die das Linzer Programm zur Kampfansage werden ließen und weit weniger die gesellschaftspolitisch relevanten Vorhaben wie das Asylrecht für politische Flüchtlinge, die Beseitigung bürokratischer Hindernisse, der Ausbau des Mieterschutzes, gemeinnütziger Wohnungsbau, die Schaffung eines steuerfreien Mindesteinkommens, Ausbau eines progressiven Steuersystems, betriebliche Mitbestimmung, Gleichberechtigung der Frauen, Aufklärung über und Bereitstellung von Verhütungsmethoden durch die Krankenkassen, Ausdehnung der Schulpflicht, Festlegung von Schülerhöchstzahlen in den Klassen oder auch die völlige Trennung von Kirche und Staat. Manches an diesen Programmpunkten mochte utopisch, anderes unrealistisch wirken. Das eigentliche Problem war aber wohl, dass das Linzer Programm nicht als gesamtösterreichisches Projekt gelten konnte, sondern sehr stark auf Wien, die Arbeiterschaft und die einkommensschwachen Schichten zugeschnitten war. Außerhalb Wiens und der Industriegebiete war die Attraktivität eingeschränkt. Nur bei den letzten Passagen des Linzer Programms konnten sich die Sozialdemokraten der Zustimmung Vieler, ja der Allermeisten sicher sein. Das Programm wandte sich »gegen die Einmengung ausländischer Staaten in die inneren Angelegenheiten der Republik«.

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Und auch der vorletzte Punkt im Abschnitt »Die Internationale« zielte auf breite Zustimmung ab  : »Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolutionen von 1918. Sie erstrebt mit friedlichen Mitteln den Anschluss an die Deutsche Republik.«122 Die Christlichsozialen antworteten rasch mit einem eigenen Programm, das die Gegenposition deutlich machen sollte. Klar, dass man das Wort von der »Diktatur des Proletariats« aufgriff und es als Gefahr sah, dass allen kollektivistischen Tendenzen eine Absage erteilt und der Schutz des Privateigentums hervorgehoben wurde. Konkret wurde das christlichsoziale Gegenkonzept vor allem in den kulturpolitischen Abschnitten bei der Darstellung des Verhältnisses von Kirche und Staat, in der Schulfrage, beim Eherecht und dem Verbot von Abtreibungen. Auf den Anschluss wurde nicht eingegangen. Der spielte wiederum im dritten zeitgleich entstandenen Parteiprogramm, dem der Großdeutschen, eine wesentliche Rolle und sollte auch ihnen ein Profil verleihen. Allen Parteien, auch den kleineren, gemeinsam war ein verbaler Radikalismus, der auch dann antidemokratische Tendenzen zeigte, wenn man sich zur Demokratie bekannte. Noch aber ging es darum, die Wirksamkeit der Programme und die Attraktivität von Personen und Vorhaben bei den dann vorgezogenen Wahlen zu testen. Seipel hoffte, am 24. April 1927 durch die Schaffung einer Einheitsliste mit den Großdeutschen eine überzeugende parlamentarische Mehrheit zu erlangen und die Sozialdemokraten zu marginalisieren. Das Gegenteil war der Fall. Die Christlichsozialen büßten neun Sitze im Nationalrat ein, und lediglich mit Hilfe des Landbunds ließ sich dann eine Dreierkoalition von Christlichsozialen, Großdeutschen und Landbund bilden. Statt aber eine einigermaßen normale parlamentarische und Regierungsarbeit zu beginnen, steuerte Österreich nur Wochen später auf die größte Krise seit Bestehen der Republik zu. Das Wort vom »Bürgerkrieg« des Linzer Programms schien in anderen Zusammenhängen wahr zu werden. Wien war – wenngleich auf Umwegen – Brennpunkt, denn das Geschehen nahm im Burgenland seinen Anfang. In dem kleinen Ort Schattendorf, nahe der ungarischen Grenze, wollte die vergleichsweise unbedeutende Frontkämpfervereinigung am 30. Januar 1927 ihre Bedeutung als Wehrverband unter Beweis stellen.123 Das geschah, obwohl man das Burgenland wegen seiner erst kurzen Zugehörigkeit zu Österreich seit 1921 frei von paramilitärischen Formationen halten wollte. Doch nicht nur die Frontkämpfer sahen keinen Grund, sich an diese Vereinbarung zu halten. Der Schutzbund reagierte mit einer Gegendemonstration und konnte seine Anhänger zahlreicher und früher mobilisieren als die Frontkämpfer. Der Bürgermeister, der das alles hätte unterbinden können, war Schutzbündler. Niemand griff ein. Schon bei der Ankunft der Frontkämpfer kam es zu Raufereien. Die Gewalt eskalierte. Einige Frontkämpfer flohen in ein Gasthaus und begannen auf die nachdrängenden Schutzbündler zu schießen. Ein Kriegsinvalider und ein mitlaufender Bub wurden tödlich getroffen. Drei Verdächtige konnten leicht ausgeforscht werden und wurden

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in Wien vor ein Geschworenengericht gestellt. Dort ließ sich zwar klären, wer die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, nicht aber, ob sie in Tötungsabsicht abgegeben worden waren. Am 14. Juli 1927 wurde das Urteil verkündet. Es lautete  : Freispruch. Wäre dies das Ende eines »normalen« Kriminalfalls gewesen, hätte man darüber bestenfalls im Chronikteil der Zeitungen lesen können. Doch der Umstand, dass der Zwischenfall Folge einer Auseinandersetzung zwischen sich befehdenden paramilitärischen Formationen war, hob die Sache auf eine andere, nämlich politische Ebene. Das war schon im Vorfeld des Verfahrens zu beobachten gewesen. Schließlich wurde nicht so sehr über den Richter oder die Geschworenen hergezogen und die Sinnhaftigkeit von Geschworenengerichten angezweifelt, sondern der Spruch als Beispiel für Klassenjustiz gewertet. Die »Arbeiter-Zeitung Deutschösterreichs« schrieb von »Arbeitermördern«, stellte die Urteilsfähigkeit der elf männlichen und einer weiblichen Geschworenen in Abrede und sah dies nicht zuletzt als Erfolg eines Verteidigers, der sich als »Hakenkreuzler« bemüht hätte, die Stichhaltigkeit der Anklage in Zweifel zu ziehen.124 Da bedurfte es nur noch eines Leitartikels des Chefredakteurs der »Arbeiter-Zeitung«, Friedrich Austerlitz, um unter der sozialdemokratischen Arbeiterschaft einen Aufruhr zu verursachen. Am 15. Juli marschierten Tausende Arbeiter in die Wiener Innenstadt. Zunächst war noch nicht klar, gegen welche Institution oder welches Gebäude sich die Demonstranten wenden würden. Sie wurden abgedrängt und sammelten sich vor dem als Symbol der staatlichen Rechtsprechung gesehenen Justizpalast. Nach und nach trafen an die 200.000 Menschen ein. Nicht alle waren »Aktivisten«. Viele trieb die Neugierde. Erstere rechneten offenbar mit Gewalttätigkeiten, daher rückten viele Demonstranten schon mit Wurfgeschossen, jedoch ohne Waffen an. Die Massen sammelten sich und versuchten schließlich in den Justizpalast einzudringen. Feuer wurde gelegt. Es griff um sich. Die obersten Stockwerke, in denen u. a. das Allgemeine Verwaltungsarchiv untergebracht war, brannten. Die Verzichtserklärung Kaiser Karls ging ebenso in Flammen auf wie Grundbücher und Akten der Zentralbehörden Alt-Österreichs. Der Wiener Bürgermeister, Karl Seitz, versuchte vergeblich zu beruhigen. Die Feuerwehr wurde am Eingreifen gehindert. Löschleitungen wurden durchschnitten. Der Schutzbund, der als Ordnertruppe hätte eingreifen können, wurde nicht bzw. viel zu spät tätig. Niemand sah sich veranlasst, das Bundesheer als Assistenz anzufordern. Die Polizei sollte der Lage Herr werden. Berittene Polizei und bewaffnete Polizisten rückten an, suchten die Menge zu zerstreuen, schossen zunächst über die Köpfe und dann in die Menschenmassen. 89 Demonstranten, vier Polizisten und ein Kriminalbeamter wurden getötet  ; weit über fünfhundert Personen verletzt. Der Justizpalastbrand, der erst nach 12 Stunden gelöscht werden konnte, war ein Schock. Doch die Konsequenz war nicht eine sorgsame Suche nach den Ursachen für das Geschehene, sondern die Eskalation der verbalen Gewalt. Noch am selben Tag rief die Führung der Sozialdemokratie zum Generalstreik auf. Das ohnedies latente Gespenst des Bürgerkriegs geisterte allenthalben herum. Der Generalstreik hatte zur

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Folge, dass auch Post, Telefon und öffentliche Verkehrsmittel bestreikt wurden, zwei Tage keine Zeitungen außer einem eilig gefertigten »Mitteilungsblatt der Sozialdemokratie Deutschösterreichs« und einem kleinen kommunistischen Kampfblatt erscheinen konnten und daher über den Verlauf der Ereignisse vor dem Justizpalast und seine Folgen nicht berichtet wurde. Alle möglichen Meldungen machten die Runde.125 Da war von 1.000 Toten und mehr die Rede, von der Intervention italienischer und ungarischer Truppen. Manch einer fühlte sich an Kriegszeiten erinnert und hortete eiligst Lebensmittel. In den Bundesländern war man meist auf Hörensagen angewiesen, und die Zeitungen in Oberösterreich, der Steiermark und Vorarlberg berichteten erst Tage später über die Ereignisse in Wien. Soweit es sozialdemokratische Blätter waren, machte das Wort von den freigesprochenen »Arbeitermördern« und der »Klassenjustiz« die Runde. Dazu kam dann die Feststellung, dass Bundeskanzler Seipel, der nicht direkt eingegriffen, sondern den Dingen ihren Lauf gelassen hatte, eine ungeheure Blutschuld auf sich geladen habe. Er mutierte zum »Blutkanzler«.126 Und als er im Parlament den Einsatz der Exekutive verteidigte, war das Wort vom »Prälaten ohne Milde« geboren. Karl Kraus ließ ein Plakat fertigen, auf dem er den Polizeipräsidenten Johann Schober zum Rücktritt aufforderte. Der Justizpalastbrand stellte – was man freilich erst im Rückblick erkennen konnte – eine, wenn nicht die Zäsur in der Geschichte der Zwischenkriegszeit dar. Bis dahin ließ sich trotz aller Rivalitäten und Gewaltakte eine Art Gemeinsamkeit feststellen, die zumindest die Aussicht auf die Überwindung der Gegensätze bestehen ließ. Gemeinsam war die Orientierungslosigkeit gewesen, die Not der ersten Nachkriegsjahre, der Abschied vom Gestern, die Phase der lückenlosen Überwachung durch die europäischen Siegerstaaten und Geldgeber, und schließlich ein moderater wirtschaftlicher Aufschwung, den sich alle gutschreiben konnten. Die Gemeinsamkeit konnte so weit gehen, dass angesichts der Befürchtung, das faschistisch gewordene Italien könnte über den Brenner nach Tirol ausgreifen wollen, Bundesheer, Schutzbund und Heimwehren den Willen zur gemeinsamen Abwehr bekundeten. Am 16. Juli 1927 war alles anders. Die Gegensätze schlugen in offene Feindschaft um. Was nun begann, war ein latenter Bürgerkrieg, bei dem die Fronten quer durch das Land, die Parteien, Interessenvertretungen und Menschen gingen. Der Staat aber, der zwar ein theoretisches Machtmonopol besaß, konnte es nicht zur Geltung bringen und überließ den öffentlichen Raum mehr und mehr den paramilitärischen Formationen. Diese reklamierten das Recht auf die Straße für sich und waren die »Kombattanten« in der Auseinandersetzung. Eine Zeitlang meinten die Regierungsverantwortlichen und Parteiführer, in den Wehrformationen bereitwillige Helfer zur Durchsetzung der jeweiligen Absichten gefunden zu haben. Tatsächlich gerieten sie in eine zunehmende Abhängigkeit und konnten wohl Goethes »Zauberlehrling« zitieren  : »Die ich rief die Geister, werd’ ich nun nicht los.«

6. Bürgerkriegsszenarien

6 Bürgerkriegsszenarien

6 Bundesheerbereitschaft am 1. Mai 1933 vor der Wiener Staatsoper. Nach der Weigerung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, dem Nationalrat die Fortsetzung seiner gesetzgeberischen Tätigkeit zu ermöglichen, wurden am »Tag der Arbeit« Unruhen befürchtet. Maiaufmärsche waren verboten. Spanische Reiter, Stacheldraht und Maschinengewehre sollten deutlich machen, dass die Regierung gewillt war, Waffengewalt einzusetzen. In Wien blieb es ruhig. Lediglich in Altheim bei Braunau kam bei Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten ein Mensch ums Leben. (Foto: Österreichische Nationalbibliothek/Bildarchiv)

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eipel hatte vermutlich gehofft, die Heimwehren würden seiner Regierung Rückhalt geben. Er förderte sie daher bewusst und sah in ihnen eine willkommene Phalanx gegen die Sozialdemokratie und den Republikanischen Schutzbund. Die Heimwehren erkannten ihre Chance. Sie wollten mit der Demonstration ihrer Möglichkeiten keinesfalls gegenüber anderen zurückstehen. Dabei schlug die verbale Entschlossenheit immer häufiger in Gewalt um. Und auch da ging Seipel willig mit, mitunter sogar voran und schien autoritären Maßnahmen durchaus etwas abgewinnen zu können. Mehr und mehr zeigte er seine Bereitschaft, den Weg einer immer größer werdenden Zahl von europäischen Staaten mitzugehen und den mühsamen Weg des Kompromisses zu verlassen. Auch dabei spielte der 15. Juli eine entscheidende Rolle. Denn gegenüber einer tobenden Masse schien der Einsatz von Gewalt das einzig Mögliche und brauchte es mehr als die herkömmlichen Mittel des Diskurses. Wie wenig Steuerungsmechanismen wie Vernunft und Überzeugungsarbeit auszurichten vermochten, glaubte man auch aus dem Scheitern einer so renommierten Persönlichkeit wie des sozialdemokratische Bürgermeister von Wien, Seitz, ablesen zu können. Der Tag von Wiener Neustadt Die nächste Etappe auf dem Weg der Gewalt war der 7.  Oktober 1928. Die steirische Heimwehr, eine besonders aktive und vom steirischen Landeshauptmann Anton Rintelen als Hausmacht gesehene Gruppierung, wollte in Wiener Neustadt einen Aufmarsch durchführen und solcherart ihren Beitrag zur »Aufmarschsaison« leisten. Wiener Neustadt war eine sozialdemokratische Hochburg. Daher konnte man den Aufmarsch der Heimwehr nur als Machtdemonstration und Kampfansage verstehen. Der Schutzbund reagierte nicht überraschend mit der Ankündigung einer Gegendemonstration. Beide Aufmärsche wurden genehmigt und sollten zur selben Zeit über dieselbe Straße führen. Prominenz hatte sich angesagt  : Karl Renner, Otto Bauer und der »Schutzbundgeneral« Theodor Körner. Um ein Super-Schattendorf zu verhindern, wurde die Garnison Wiener Neustadt aufgeboten. 1.000 Mann Bundesheer und zusätzlich 2.500 Gendarmen und Polizisten versetzten die Stadt in Belagerungszustand. Vier Notspitäler und zehn mobile Ambulanzen waren zur Versorgung der Opfer vorgesehen. 380 Journalisten warteten darauf, was passieren würde. Sie kamen nicht auf ihre Rechnung.127 Die Infanteriebataillone, Schwadronen und Artilleriebatterien bildeten

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entlang der Marschrouten einen bewaffneten Kordon, der sicherstellen sollte, dass die Demonstranten nicht übereinander herfielen. Die Maßnahme zeigte Wirkung. Allerdings hätte es auffallen können, dass unter den Bundesheereinheiten auch eine Artillerieabteilung alarmiert worden war und mit ihren Geschützen ausrückte. Trotz des Versuchs, das Machtmonopol des Staats augenfällig zu machen, zogen weder die Bundesregierung noch die Parteien und Wehrverbände die notwendigen Konsequenzen. Ganz im Gegenteil  : Am 24.  Februar 1929 fiel eine Art Stillhalte­ übereinkommen, und Heimwehrformationen durften zum ersten Mal über die Wiener Ringstraße ziehen. Wieder rückten Schutzbündler zu einer Gegendemonstration aus. Das Kräftemessen fand seine Fortsetzung. Die paramilitärischen Kräfte der Linken und der als regierungstreu, zumindest aber regierungsnah geltenden Formationen erreichten bereits die Stärke von jeweils einer Viertelmillion Mitgliedern. Den von Männern gestellten und militärisch gegliederten Abteilungen, Bataillonen und Trupps waren auch Frauen hinzugesellt worden, die vor allem für allfällige Sanitätsdienste herangezogen werden sollten. Und die Anzahl der Formationen nahm weiterhin zu, wobei der Zuwachs rechter Gruppierungen auffallen musste. Denn hier machten sich die Kampforganisationen der Nationalsozialisten, Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS), immer öfter bemerkbar. Den größten Aufschwung nahmen aber die Heimwehren, die ganz offensichtlich von der Angst der nicht-sozialdemokratischen Kreise profitierten, die nach dem Juli 1927 zu einer ständigen Begleiterin der politischen Vorgänge wurde. Die Heimwehren radikalisierten sich immer mehr und schufen auch eine gemeinsame Führung, als im Oktober 1927 der Tiroler Sicherheitsdirektor und Heimwehrführer Richard Steidle zum Bundesführer des »Bundes der österreichischen Selbstschutzverbände« gewählt wurde. Zweiter Bundesführer wurde der Führer der steirischen Heimwehr, Walter Pfrimer. Die Gesamtstärke der Organisationen erreichte 300.000, davon 52.000 Bewaffnete.128 Der Beitritt ganzer Verbände, wie des niederösterreichischen Bauernbundes, veränderte die Heimwehren aber dahingehend, dass sie nicht mehr nur als paramilitärische Organisationen zu sehen waren, sondern als politische Kraft, die nach der Macht im Staat strebte. Bei den Sozialdemokraten war eine gegensätzliche Entwicklung zu beobachten. Der 15.  Juli 1927 war  – ohne dass sie sich das eingestehen wollten  – ein Debakel. Der Schutzbund vermittelte zwar weiterhin den Eindruck von Einheit und Geschlossenheit. Doch er war in der Defensive. Viele Angehörige waren die häufigen Bereitschaften müde geworden und übten an der Führung Kritik, die ein ums andere Mal ein Losschlagen verhinderte. Zwar dominierte weiterhin die radikale Phrase, doch es war natürlich zu fragen, wie es um eine Partei bestellt war, die ganz offensichtlich vor der Gewalt zurückschreckte. Nur eines war evident  : Die Sozialdemokraten standen weiterhin zur Demokratie.

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1928 endete die zweite Amtszeit des Bundespräsidenten. Michael Hainisch war unauffällig geblieben, hatte sich weder groß in die Innenpolitik eingemischt, noch den Anspruch erhoben, Österreich nach außen vertreten zu wollen. Seipel hätte die Wahl eines neuen Bundespräsidenten gerne als Volkswahl durchgeführt, statt die Praxis der Bestellung des Staatsoberhaupts durch die Bundesversammlung beizubehalten. Doch für eine Verfassungsänderung hätte er die Stimmen der Sozialdemokraten gebraucht, die eine Volkswahl strikt ablehnten. Folglich blieb es bei der geübten Praxis. Die Christlichsozialen stellten den Präsidenten des Nationalrats, Wilhelm Miklas, die Sozialdemokraten Karl Renner als Kandidaten auf. Großdeutsche und Landbund benannten Johann Schober. Zwei Wahlgänge brachten keine Mehrheit. Im dritten Wahlgang gaben die Sozialdemokraten weiße Stimmzettel ab. Sie wussten, dass sie Renner nicht durchbringen würden  ; Schober, der als Wiener Polizeipräsident für den Einsatz der Exekutive am 15. Juli des Vorjahrs verantwortlich war, war für sie absolut unwählbar. Also blieb nur Miklas, jener Mann, der 1918 nur zögernd für den Anschluss gestimmt hatte, den man aber wohl als das geringere Übel sah. Seipel mochte es als Erfolg sehen, dass sein Kandidat gewählt worden war. Nichtsdestoweniger zeigte er immer häufiger Zeichen der Resignation. Die Koalition mit den Großdeutschen war zunehmend frustrierend geworden. In der schon Jahre hindurch anstehenden Frage eines neuen Mietengesetzes, einer vor allem für Wien sehr wichtigen Materie, fand Seipel sogar bei der Sozialdemokratie mehr Zustimmung als bei seinen Koalitionspartnern. Das allein hätte ihn aber noch nicht resignieren lassen. Und er hätte eigentlich auch deshalb ganz zufrieden sein können, weil 1928 die Völkerbundkontrolle endete, Seipels 1922 eingeleitetes Sanierungswerk also offensichtlich zur Zufriedenheit der Finanzkontrollore geglückt war. Dennoch war ihm Enttäuschung anzusehen. Und er zog die Konsequenzen. Im April 1929 erklärte Seipel überraschend den Rücktritt seines Kabinetts und ließ damit nicht nur seine Partei, sondern auch die politischen Gegner ratlos werden. Es war das zweite Mal, dass man sagen konnte  : Der Lotse geht von Bord. Und man konnte bestenfalls mutmaßen, warum er alles hingeworfen hat. Eine Vermutung ging dahin, dass dem Prälaten Seipel die vielen Kirchenaustritte zu schaffen machten und er sie auf sich und seine Politik bezog.129 Ebenso, freilich, resignierte er angesichts der Schwierigkeiten innerhalb der Koalition. Es gab noch einen weiteren Grund, der Seipel dazu brachte zu demissionieren  : Die Bundesländer pochten immer häufiger auf ihre Eigenständigkeit und waren nicht bereit, Abstriche daran hinzunehmen. Genau das war es aber, was Seipel im Rahmen einer Reform der Bundesverfassung anstrebte. Das Länderkonglomerat sollte endlich zu einem wirklichen Ganzen zusammenwachsen. Seipel aber ging, ohne die Verfassungsreform, die in Ansätzen sehr wohl erkennbar geworden war, zu erledigen. Sein Nachfolger, der ehemalige Berufsoffizier Ernst Streeruwitz, war eine Verlegenheitslösung. Er hatte keine »Hausmacht« und konnte sich daher nur bemühen, eine

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arbeitsfähige Regierung zu bilden. Doch die wichtigste Unterstützung, nämlich die der Heimwehren, fehlte ihm. Dort hatten die antiparlamentarischen Kräfte immer mehr die Oberhand gewonnen. Die Ausschaltung der Sozialdemokratie rangierte bei den Zielen der Heimwehr an der Spitze. Die Konfrontation wurde regelrecht gesucht. Zwar wollten auch die Heimwehren eine Verfassungsreform, doch nicht unter den Vorgaben eines demokratischen politischen Systems. Immer öfter wurde daher die Forderung nach einem Ständestaat erhoben und waren der italienische Faschismus und das autoritäre System Ungarns unter István Bethlen Vorbild. Da die Heimwehren ihre Zentren in den Bundesländern außerhalb von Wien hatten, verlagerte sich das Geschehen weg von der Bundeshauptstadt, und auch abseits gelegene Orte wurden zu Schauplätzen des latenten Bürgerkriegs. Nach Wiener Neustadt kam es in dem kleinen steirischen Ort St. Lorenzen im Mürztal zur nächsten Konfrontation. Und sie lief nicht so glimpflich ab wie die Aufmärsche in der »Allzeit Getreuen«. Auf die Ankündigung, dass der als Radikaler bekannte steirische Schutzbundführer Koloman Wallisch in St. Lorenzen reden würde, besetzten Heimwehrleute den Versammlungsort. Obwohl die Aktivitäten beider Seiten bekannt gewesen waren, sah sich niemand veranlasst, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, Gendarmeriekräfte heranzubringen oder gar Assistenz des Bundesheers anzufordern. Am Sonntag, dem 18. August 1929, einstmals »Kaisers Geburtstag«, lieferten sich steirische Heimwehr und Schutzbund ein regelrechtes Gefecht, bei dem schließlich drei Schutzbündler getötet wurden. 30 Heimwehrangehörige und zwei Schutzbündler wurden schwer verletzt. Vom Kirchturm kam auch ein Maschinengewehr zum Einsatz.130 Es folgten gegenseitige Schuldzuweisungen und gerichtliche Untersuchungen, die nichts erbrachten. Ruhe vor dem Sturm Bundeskanzler Streeruwitz wollte es nicht dabei bewenden lassen, dass das ein bewaff­ neter Zwischenfall gewesen war und vermutete zurecht, dass der steirische Landeshauptmann Anton Rintelen nicht nur hinter der Heimwehraktion gestanden war, sondern damit den Sturz der Regierung herbeiführen wollte. Die Heimwehren riefen denn auch für den 29.  September zu einem »Marsch auf Wien« auf. Streeruwitz sah sich nicht in der Lage gegenzusteuern und trat zurück. Diesmal war der Nachfolger schon in den Startlöchern gewesen. Es war wieder Johann Schober. Und er konnte sich der Unterstützung breiter Kreise sicher sein. Da er als »starker Mann« galt, glaubten die Heimwehren, dass er ihre Ziele verfolgen würde. Schober wurde zudem von jenen bürgerlichen aber auch bäuerlichen Kreisen unterstützt, die hofften, dass es zu einem Ende der gewaltsamen Auseinandersetzung und zu einer Art Abrüstung kommen würde. Ja, nicht einmal die Sozialdemokraten verweigerten ihm die Unterstützung. Streeruwitz

Ruhe vor dem Sturm

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selbst war es schließlich, der Schober als seinen Nachfolger vorschlug.131 Gerade noch rechtzeitig, wie man meinen konnte. Der »Marsch auf Wien« unterblieb. Schober hatte wohl schon seit Längerem die Fäden gezogen und seine zweite Kanzlerschaft vorbereitet. Er gab Versprechungen und stellte Forderungen. In Richtung Heimwehren ließ er verlauten, dass er einer Novelle der Bundesverfassung keine Dringlichkeit einräumte. Er verlangte aber auch, dass er sein Kabinett aus Leuten zusammensetzen konnte, die sein persönliches Vertrauen genossen und nicht nach irgendeinem Proporzschlüssel in die Regierung aufgenommen werden sollten. Das wurde ihm zugestanden. Unter seinen Ministern stachen denn auch der frühere Bundespräsident Hainisch, der spätere Erzbischof von Wien Theodor Innitzer und der Historiker Heinrich Srbik hervor. Christlichsoziale, Großdeutsche und Landbund bekamen nur jeweils einen Regierungssitz zugestanden. Die Heimwehr ging völlig leer aus. Das war von ihren Führern doch nicht erwartet worden. Schober enttäuschte Steidle & Co aber auch dadurch, dass er entgegen seinen Ankündigungen die Reform der Bundesverfassung nun doch forcierte. Auch dabei handelte er pragmatisch, da er die Verhandlungen darüber, die sich ohnedies schon ein Jahr hinzogen, nicht nur persönlich führte, sondern auch im direkten Kontakt mit dem sozialdemokratischen Chefverhandler und Präsidenten des Wiener Landtags, Robert Danneberg, zum Abschluss bringen wollte. Das war denn auch notwendig, da für die Verfassungsänderung wieder eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erforderlich war. Um zum Ziel zu gelangen, musste man auf die Sozialdemokraten zugehen und durfte die parlamentarische Demokratie nicht in Frage stellen. Sobald das klar war, ließen sich auch Änderungen durchsetzen, die bis dahin auf ein klares Nein der Sozialdemokraten gestoßen waren. Sie verzichteten auf die Durchsetzung einer zunächst zentralen Forderung, nämlich die Abschaffung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917. Es konnte weiter in Kraft bleiben. Ein weiteres Zugeständnis war, dass der nächste Bundespräsident durch Volkswahl bestimmt werden und die Rechte des Bundespräsidenten erheblich gestärkt werden sollten. Er sollte wie der deutsche Reichspräsident das Recht zur Bestellung und Entlassung der Bundesregierung und zur Auflösung des Parlaments bekommen, bei entsprechender Dringlichkeit auch Notverordnungen erlassen können und den (nominellen) Oberbefehl über das Bundesheer ausüben. Als neues plebiszitäres Mittel wurde das Recht der Volksbefragung eingeführt, ferner wurden die Stellung der Länder gegenüber dem Bund neu geregelt und der zweiten Kammer, dem Bundesrat, erhöhte Kompetenzen eingeräumt. Der Kompromiss verlangte, dass auch regierungsseitig von etlichen Forderungen Abstand genommen wurde. Danneberg beharrte darauf, dass das Gesetz vom 3. April 1919 über die Landesverweisung der Habsburger und die Abschaffung der Titel und Vorrechte des altösterreichischen Adels aufrecht blieben und ebenso keine Änderung am Staatswappen vorgenommen wurden. Das war denn auch zuzugestehen und grenzte schon fast an kosmetische Vorgaben. Im Dezember 1929 konnte die parlamentarische

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Verabschiedung der Novelle der Bundesverfassung von 1920 vor sich gehen. Man war einen – wie gehofft wurde – wichtigen Schritt weiter gekommen. Schober war auch in anderen Fragen erfolgreich. Er konnte das Verhältnis zu Italien, das seit 1926 wegen der konsequenten Italianisierung Südtirols spannungsgeladen war, entkrampfen. Nachdem Schober das Vorgehen der Faschisten in Südtirol als inneritalienische Angelegenheit bezeichnet hatte, verzichtete Mussolini darauf, die von ihm praktizierte Blockadepolitik gegenüber Österreich aufrechtzuerhalten, die zur Folge gehabt hatte, dass Österreich eine dringend benötigte Auslandsanleihe zum Ausbau der Industrie nicht bekommen hatte und Italien auch nicht auf die aus dem Friedensvertrag herrührenden Generalpfandrechte verzichten wollte. Jetzt machte sich Mussolini zum Anwalt Österreichs und ließ auch den Widerstand gegen eine neue Anleihe fallen. Schober hatte noch ein weiteres großes Ziel vor Augen, nämlich die Rückgewinnung des Machtmonopols für den Staat und die staatliche Exekutive. Die paramilitärischen Kräfte sollten zurückgedrängt werden. Sie hatten sich wie ein Flächenbrand ausgebreitet. Im Dezember 1929 hatte sich auch der Landbund entschlossen, eine eigene Bauernwehr aufzustellen und sich nicht länger an die Heimwehr gebunden zu sehen. Schober hatte also mit vielen Gegnern zu rechnen, linken wie rechten, doch für ihn wurde nicht der Schutzbund zur Gefahr, sondern die Heimwehr. Denn die blieb nicht untätig. Eskalation der Gewalt An sich schien es ein recht harmloses Treffen zu sein, das am 18. Mai 1930 im niederösterreichischen Korneuburg vor sich ging. Der Bundesführer Richard Steidle hatte eine Tagung der Heimwehrführer einberufen und ein Papier vorbereiten lassen, in dem die Ziele der Heimwehr formuliert wurden. Alle, die sich da versammelten, sollten ein Gelöbnis ablegen und die in dem Papier genannten Prinzipien beschwören. Da hieß es u. a.: »Wir wollen Österreich von Grund auf erneuern  ! / Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohl des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. / Wir müssen den eigenen Vorteil vergessen …, da wir der Gemeinschaft des deutschen Volkes dienen wollen  ! / Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat  ! / Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Personen der großen Stände und aus den fähigsten und den bewährtesten Männern unserer Volksbewegung gebildet wird. / Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberalkapitalistische Wirtschaftsgestaltung …«.

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Rund 800 Delegierte legten das Gelöbnis ab, für das sich bald der Name »Korneuburger Eid« einbürgerte. Der Landesführer der niederösterreichischen Heimwehr, Julius Raab, war einer von ihnen.132 Doch nicht alle wollten das beschwören. Bei den Christlichsozialen regte sich Widerstand, vor allem in der Person von Leopold Kunschak  ; auch etliche Großdeutsche zögerten. Der Vertreter des Landbunds in der Bundesregierung, Vinzenz Schumy, weigerte sich und wurde daraufhin von der Heimwehr ausgeschlossen, woraufhin der Landbund überhaupt eigene Wege ging und sich ebenso wie viele Großdeutsche den Nationalsozialisten zuwandte. Das politische Spektrum wurde immer bunter und schon regelrecht unübersichtlich. Die Republik hatte schon Dutzende Politiker »verbraucht«. Idealistische Ansätze waren nicht zum Tragen gekommen. Ideen wurden durch Ideologien ersetzt. Am ehesten schienen noch jene bestehen zu können, die sich rücksichtslos durchzusetzen verstanden. Damit beeindruckten sie nicht nur ihre Anhänger, sondern auch jene, die der Inflation der Ideen müde geworden waren und das Heil in einer starken Führungspersönlichkeit suchten. Früher noch als die nächste Wirtschaftskrise kam die Ideenkrise. Und es schien kein Mittel dagegen zu geben. Schober ließ sich durch die scheinbare Geschlossenheit der Heimwehren ebenso wenig von seiner Linie abbringen, wie er nicht bereit war, eine antidemokratische Linie einzuschlagen. Doch Schobers Regierung hatte ein Ablaufdatum. In dem Augenblick, als er offen gegen die Heimwehren auftrat und eine der schillerndsten Persönlichkeiten derselben, den für die Ermordung der deutschen Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sowie für mehrere Putschversuche in Deutschland verantwortlichen Stabschef der Heimwehr, Waldemar Pabst, verhaften und nach Deutschland ausweisen ließ, zog er sich den Hass etlicher putschbereiter Heimwehrangehörigen zu. Letztlich war es aber wieder ein nichtiger Anlass, der dann zum Sturz von Schobers Kabinett führte. Er weigerte sich, eine der Umpolitisierung des Bundesheers durch Verteidigungsminister Carl Vaugoin ähnliche Aktion bei den sozialdemokratisch dominierten Bundesbahnen durchzuführen. Der steirische Landeshauptmann Anton Rintelen schlug Schober den Generaldirektor der Grazer Straßenbahnen, Georg Strafella, als neuen Bundesbahngeneraldirektor vor. Er war durch unsaubere Spekulationsgeschäfte aufgefallen. Schober lehnte seine Bestellung ab. Daraufhin erklärten Verteidigungsminister Vaugoin und Landwirtschaftsminister Florian Födermayr ihren Rücktritt. Schober brach seine Regierung weg. Er demissionierte. Das war aber nicht nur eine einfache Regierungskrise. Es stand viel mehr auf dem Spiel. Die Heimwehr drängte in die Politik. Es war die Vorwegnahme des dann auch in Deutschland geltenden Credos »in’s Parlament, um es zu zerstören«. Die Christlichsozialen, die sich ebenso wie die Heimwehren mit Schober zunehmend schwer getan hatten, wollten wieder einen Kanzler ihrer Partei an der Spitze der Regierung wissen. Großdeutsche und Landbund wollten sich nicht mehr mit der Rolle der Mehrheitsbringer begnügen. Und die Sozi-

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aldemokraten hatten keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung, wohl aber konnten sie hoffen, bei den Wahlen verlorenes Terrain gutzumachen. Bundespräsident Miklas betraute schließlich jenen Mann, der Schober gestürzt hatte, Carl Vaugoin, mit der Regierungsbildung. Selten musste man sich so in den Niederungen der Innenpolitik fühlen wie Ende 1930. Schobers Sturz hatte die Republik um eine Hoffnung ärmer gemacht. Verdruss kam auf – sofern er nicht schon vorhanden war. Die Zeit der wirtschaftlichen Erholung, die kurze Prosperität, die es zwischen 1925 und 1929 gegeben hatte, war mit dem »Schwarzen Freitag« der New Yorker Börse (der ein Donnerstag war) am 24. Oktober 1929 zu Ende gegangen. Die Absatzmärkte schrumpften. Banken stellten Kredite fällig. Amerikanische Firmen zogen ihr Geld aus Europa ab, und die Arbeitslosenzahlen begannen rasant zu steigen. Durch nationale Anstrengungen ließ sich sicherlich etwas gegensteuern, doch von der Krise blieb natürlich auch Österreich nicht verschont. Ausreichend Geld für Investitionen und die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen war nicht vorhanden. »Heilslehren« gab es zwar einige, doch sie standen einerseits im Widerstreit zueinander, und auch die schönsten Theorien, wie sie etwa vom österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter entwickelt worden waren oder von John Maynard Keynes in »Treatise on Money« niedergelegt wurden, konnten den Verfall der Weltwirtschaft nicht aufhalten. Schumpeter, der mittlerweile in den USA an der Harvard University lehrte, wurde mit dem Ausspruch zitiert  : »Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine demokratische Regierung eine Haushaltsreserve.« – das sogenannte »Schumpeter-Theorem«.133 Der Harvardprofessor mochte durchaus Recht haben, und Österreich war ein leuchtendes Beispiel dafür. 1930 war es zu spät. Eingedenk der gewaltigen Inflation Anfang der zwanziger Jahre sollte aber diesmal nichts getan werden, was die Stabilität der Währung gefährdete. Also wurde Arbeitslosigkeit in Kauf genommen. Und der Blick nach Deutschland, der über viele Jahre so sehnsüchtig gewesen war, konnte auch keinen Trost spenden, denn Deutschland wurde von der Krise noch schwerer getroffen als Österreich. Und was die Gegensätze anlangte und die Radikalität, mit der Standpunkte, Meinungen und Utopien vertreten wurden, war man in Deutschland zweifellos einen Schritt weiter. Carl Vaugoin übernahm am 30. September 1930 Regierungsverantwortung. Wäre er nicht so machtbesessen gewesen, hätte er eigentlich schon im Vorfeld resignieren müssen. Großdeutsche und Landbund weigerten sich, in seine Regierung einzutreten. Über eine Koalition mit den Sozialdemokraten dachte der erklärte Antimarxist Vaugoin nicht einmal nach. Ein Teil seiner eigenen Partei, der sich weiterhin Schober verpflichtet fühlte, ging auf Distanz. Vaugoin blieb also nur die Zusammenarbeit mit der Heimwehr, die Anfang September 1930 überraschend Steidle gestürzt und Ernst Rüdiger Starhemberg zu ihrem neuen, nun »Reichsführer« genannten Spitzenrepräsentanten gemacht hatte. Starhemberg wurde Innenminister. Doch Vaugoin fand keine

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parlamentarische Mehrheit, und Wilhelm Miklas machte dem Treiben dadurch ein Ende, dass er das Parlament auflöste und Neuwahlen ausschreiben ließ. Vaugoin nützte freilich die Zeit seiner Übergangsregierung, um Georg Strafella nun tatsächlich zum Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen zu machen und gewissermaßen als Verneigung in Richtung Heimwehr die Landesverweisung des Deutschen Waldemar Pabst aufzuheben. Kein Wunder, dass bei jenen, die diese Machenschaften aus der Distanz beobachteten, die Staats- und Politikverdrossenheit weiter zunahm. Die Wirrsale hielten an. Starhemberg, der ein klar (deutsch)nationales Programm vertrat, suchte ein Bündnis mit den erstmals bei Wahlen in Österreich antretenden Nationalsozialisten Adolf Hitlers zustande zu bringen. Doch verständlicherweise wollte der nach wie vor staatenlose Hitler Listenführer werden. Die Gespräche waren zu Ende, noch ehe sie recht begonnen hatten. Innerhalb der Heimwehren begannen Fraktionskämpfe, da sich der Führer der Wiener Heimwehr, Emil Fey, mit den Zielen Starhembergs nicht abfinden wollte. Ein Zusammengehen der Heimwehren mit den Christlichsozialen lehnte Starhemberg ab. Also traten die Heimwehren mit der Bezeichnung »Heimatblock« als eigene wahlwerbende Partei auf. Damit nicht genug, sammelten sich um Johann Schober Vertreter der bürgerlichen Mitte und traten schließlich als »Nationaler Wirtschaftsblock« bei den Nationalratswahlen an. Die Sozialdemokraten aber warteten auf ihre Stunde und hegten die berechtigte Hoffnung, nach den Wahlen aus dem politischen Abseits herauszukommen. Sie ließen sich auch nicht durch gezielte Waffensuchen, die Innenminister Starhemberg angeordnet hatte, zu Gewalttätigkeiten hinreißen. Der 10. November 1930 brachte denn auch den Christlichsozialen und dem Heimatblock eine schwere Niederlage. Doch auch die Sozialdemokraten blieben hinter den Erwartungen zurück, wurden zwar mandatsstärkste Partei und stellten daher mit Karl Renner den Präsidenten des Nationalrats. Doch sie erhielten keinen Auftrag zur Regierungsbildung. Es wäre wohl auch aussichtslos gewesen. Der Schoberblock gewann 19 Mandate, und die Heimwehr zog ins Parlament ein. Es gab aber noch einen vielleicht zu wenig beachteten Verlierer  : Die Nationalsozialisten Adolf Hitlers wurden von rund 110.000 Österreichern gewählt, errangen zwar kein Grundmandat und stellten daher auch keinen Abgeordneten, doch sie waren präsent. Leichter war das Regieren in Österreich nicht geworden. Jetzt mussten sich Parteien zusammenfinden, die mehr trennte als die eine oder andere Animosität. Klar war eines  : Vaugoin würde im Parlament weiterhin keine Mehrheit finden. Der Bundespräsident betraute schließlich den Landeshauptmann von Vorarlberg, Otto Ender, mit der Regierungsbildung Die Gefolgsleute Vaugoins fügten sich. Allerdings weigerte sich Seipel, in die Regierung einzutreten. Er dachte zunehmend autoritär, und Ender erschien ihm zu »weich«. Schober war zur Zusammenarbeit bereit. Der Heimatblock blieb draußen. Die Opposition gegen die Regierung war, wenn auch zersplittert, von Anfang an übermächtig. Ender konnte daher nur den Weg des geringsten Widerstands

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gehen und Kompromisse anbieten. Das gelang ihm denn auch bei der Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Ein nicht minder großes Projekt, nämlich die Schaffung einer Freihandelszone von Deutschland und Österreich sollte jedoch zum Fiasko werden. Zollunion Wieder war man dort angelangt, wo man in Österreich zur Stabilisierung der Wirtschaft ein Abkommen mit Deutschland suchte. Die kurzen Wachstumsjahre waren vorbei. Die Exporte brachen weg. Der Außenhandel wurde halbiert. Die Arbeitslosigkeit hatte allein in Wien von 1929 auf 1930 um 24 % zugenommen. Die Selbstmordrate zeigte steil nach oben. 1931 kletterte die Zahl der Beschäftigungslosen in Österreich auf rund 20 % und in einigen Sparten auf über 50 %.134 Jugendliche und Studierende radikalisierten sich. Eine Generation schien heranzuwachsen, der alle Chancen genommen wurden und die keine Perspektive mehr hatte. Die Pläne, wie gegenzusteuern war, waren nicht neu, doch die Weltwirtschaftskrise schuf eine andere und neue Dringlichkeit. Man setzte wieder einmal auf andere Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie, vornehmlich auf Ungarn. Das weckte prompt den Argwohn der Kleinen Entente und stieß auch auf den erbitterten Widerstand der österreichischen Sozialdemokraten. Das Gespenst einer Restauration der Habsburger geisterte durch den Raum, dabei hätte an sich schon längst klar sein müssen, dass der ungarische Reichsverweser, Miklós Horthy, ein mindestens so erbitterter Gegner einer habsburgischen Restauration war wie etwa der tschechoslowakische Präsident Tomáš Masaryk. Doch die Sache wurde ohnedies nicht weiter verfolgt, denn mittlerweile hatten sich neue Möglichkeiten aufgetan. Erstmals eigentlich seit 1919 war im Deutschen Reichstag am 14. März 1929 der Wunsch nach einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit Deutschlands mit Öster­reich zur Sprache gekommen und auf einhellige Zustimmung gestoßen. Das war für den Außenminister der Regierung Ender und früheren Bundeskanzler Johann Schober ein willkommener Grund, das Projekt einer Zollunion mit Deutschland ernsthaft anzugehen. Ziel war es, die Zollschranken zwischen den beiden Ländern zu beseitigen, Handelsschranken abzubauen und gegenüber anderen Staaten ein einheitliches Zollsystem einzuführen. Da das Handelsvolumen Österreichs mit den Nachfolgestaaten doppelt so hoch war wie jenes mit Deutschland, sollte das auch eine Umorientierung einleiten und eine Art stillen Anschluss vorbereiten. Im Grunde genommen knüpfte man an Gedankengänge an, die schon 1915 und vor allem 1918 ventiliert worden waren, als unter den Vorzeichen der Mitteleuropabewegung und schließlich unter den Auspizien des »Waffenbundes« eine wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands und Österreich-Ungarns überlegt worden war. An die Zeit des Ersten Weltkriegs

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dachte wohl auch der deutsche Reichspräsident, Paul von Hindenburg, der dann von Reichskanzler Heinrich Brüning mit dem Satz zitiert wurde  : »seine [Hindenburgs] Erinnerungen gingen dahin, dass man mit Österreich niemals eine gemeinsame Politik machen dürfe, da die Österreicher nie durchhielten und im geeigneten Augenblick solche Einigungen gegen einen hohen Preis an andere verkaufen würden.«135 Nun wurde das Feld dennoch neuerlich aufbereitet. Die Deutschen, vor allem deutsche Industrielle, wurden drängend, und sie konnten sich der Zustimmung in Österreich sicher sein, obwohl man gerade in Wirtschaftskreisen fürchtete, von den Deutschen überrollt zu werden. Doch die meisten Regierungsmitglieder und die breite Öffentlichkeit waren dafür. Auch wenn es ein wenig nach einem Stehsatz aussah, ließ die Formulierung des Präsidenten des Nationalrats, Karl Renner, am 29.  April 1931 diesbezüglich keinen Zweifel aufkommen  : »Möge es … uns gestattet sein … uns wirtschaftlich mit unserem Mutterlande zu vereinigen. In meinem und wohl auch in Ihrer aller Namen grüße ich in dieser Stunde unser großes deutsches Muttervolk  !«136 Da war es wieder, das pathetisch verbrämte Anschlussstreben. Schober verständigte sich mit dem deutschen Reichsaußenminister Julius Curtius über die Rahmenbedingungen  ; Bundeskanzler Ender baute in seine Regierungserklärung Anfang Dezember 1930 die Formulierung von der »Notwendigkeit eines stufenweisen Aufbaues der europäischen Union« ein,137 und suchte gleichzeitig den ersten Einwänden zu begegnen. Sofort regte sich in Frankreich Widerstand. Dieser bezog sich aber nicht auf den Vertrag von Saint-Germain, sondern auf die Genfer Protokolle von 1922. Natürlich ging es den Franzosen primär um Deutschland, doch man konnte in Paris auch problemlos den indirekten Weg gehen und seine Proteste an die Wiener Adresse richten. Widerstand kam aber auch aus Rom, das an einer Achse mit Ungarn arbeitete und Öster­reich gerne in seine eigene Macht- und Interessenssphäre einbezogen hätte, sowie aus Prag, das sich an die Mitteleuropapläne deutscher und österreichischer Politiker und Intellektueller während des Ersten Weltkriegs erinnerte und daher prinzipielle Ablehnung signalisierte. Die Genfer Protokolle boten dazu eine gute Handhabe, auch wenn man sich dann hinter formaljuristischen Formulierungen versteckte. Schließlich wurde auf britische Initiative der Ständige Internationale Gerichtshof in Den Haag angerufen, der am 5. September 1931 mit 8  :7 Stimmen entschied, dass eine Zollunion gegen die Genfer Protokolle verstoßen würde. »Österreich ist ein wesentliches Element der politischen Ordnung in Europa«, hieß es,138 und in Genf wäre Österreich 1922 verpflichtet worden, seine wirtschaftliche und damit politische Unabhängigkeit zu wahren. Keine Rede davon, was gewesen wäre, wenn Österreich eine Zollunion mit der Tschechoslowakei angestrebt hätte. Doch das war kein Thema. Das deutsche Projekt war jedenfalls gescheitert. Es war aber nicht erst im September, sondern eigentlich schon im Mai und im Juni eine Totgeburt gewesen.

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»Südosteuropa steht in Flammen« Während eines Treffens der deutschen mit der britischen Regierungsspitze im Mai 1931 soll der Gouverneur der Bank von England ins Zimmer des britischen Premiers Ramsay MacDonald auf dessen Landsitz in Chequers gestürzt sein und jenseits aller Gelassenheit gerufen haben  : Sir, »Südosteuropa steht in Flammen. Die Creditanstalt in Wien hat ihre Schalter geschlossen  !« Es war nicht der erste Bankenzusammenbruch in Österreich nach dem Krieg. Ganz im Gegenteil  : Immer wieder waren Bankhäuser zahlungsunfähig geworden, mussten gestützt und durch andere Institute aufgefangen werden. So hatte die Creditanstalt über Intervention von Bundeskanzler Schober im Oktober 1929 die Bodencreditanstalt übernommen, um einen Zusammenbruch dieses Traditionshauses zu vermeiden.139 (Die merkwürdigen Geschäftspraktiken des Gouverneurs der »Boden«, Rudolph Sieghart, blieben dabei ebenso ausgeblendet wie der Umstand, dass er einer der hauptsächlichen Financiers der Heimwehr war, zuletzt aber Geschäfte mit der Gemeinde Wien, also den Sozialdemokraten gemacht hatte.) Die Creditanstalt galt als »Rothschildbank«, grundsolide, und hatte als eine der wenigen Großbanken ihre Verbindungen in die ehemaligen Kronländer der Habsburgermonarchie aufrechterhalten. Brach sie zusammen, konnte man keiner Bank mehr vertrauen. Doch genau das geschah und hatte zunächst einen Rattenschwanz an nachfolgenden Bankenzusammenbrüchen zur Folge, am spektakulärsten der Zusammenbruch der Dresdner Bank.140 Im Mai 1931 musste die Creditanstalt mit 100 Millionen Schilling gestützt werden. Die Regierung gab Schatzscheine aus. Dann setzte ein Sturm auf die Bank ein. Einlagen wurden abgezogen, Sparguthaben abgehoben. Auslandsgläubiger verlangten eine Haftung des Bundes. Die wurde gegeben und betrug 500 Millionen Schilling. Die österreichische Währung geriet unter Druck. Die Nationalbank reagierte alarmiert. Andere Großbanken gab es nicht mehr in Österreich. Rettung konnte nur aus dem Ausland kommen. Die ausländischen Gläubiger der Creditanstalt erzwangen die Einsetzung eines holländischen Generaldirektors. Die Bank von England gewährte der Nationalbank einen Kredit von 150 Millionen Schilling. Frankreich sagte Hilfe zu, verlangte jedoch zweierlei  : Eine neuerliche ausländische Aufsicht über die Finanzgebarung der Republik Österreich – und den Verzicht auf die Zollunion mit Deutschland.141 Beides musste zugestanden werden. Wieder einmal wurde Österreich unter Beobachtung gestellt. Zur Wirtschaftskrise und dem Bankenkrach gesellte sich eine Regierungskrise. Drei Minister traten zurück. Ender konnte nicht anders als zu demissionieren. Wieder ging es darum, einen Nachfolger zu finden. Zunächst einmal hatte es den Anschein, Ender würde sein eigener Nachfolger werden. Doch seine eigene Partei, die Christlichsozialen, ließen ihn im Stich. Wieder bot sich Seipel an. Ihm schwebte eine Konzentrationsregierung vor. Der Bundespräsident drängte regelrecht, diesbezügliche Verhandlungen

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aufzunehmen. Und kurze Zeit sah es ganz so aus, als würde das Kunststück gelingen. Seipel wollte zwar die Kanzlerschaft und war bereit, den Sozialdemokraten mehr Ministerien zu überlassen als den Christlichsozialen. Innerhalb der Sozialdemokratie gab es gewichtige Stimmen, wie die von Karl Renner, die dafür plädierten, in ein Kabinett Seipel einzutreten, doch der damals nach wie vor wichtigste Mann in der Sozialdemokratie, Otto Bauer, lehnte eine Regierungsbeteiligung ganz entschieden ab. Er war der Ansicht, dass sich die Bourgeoisie in Kürze selbst zerfleischen würde und in der Folge die Sozialdemokraten die Bedingungen diktieren könnten, unter denen sie zu einer Zusammenarbeit bereit wären. Nachträglich musste man sich wieder einmal fragen, ob hier nicht eine große Chance vertan worden war. Was, wenn es tatsächlich eine Konzentrationsregierung unter Einbindung von Christlichsozialen, Sozialdemokraten, Großdeutschen und Landbund gegeben hätte  ? Wäre alles anders gekommen  ? Ein Mann entschied. Und er entschied wohl falsch. Die Sozialdemokraten waren zwar bereit, unumgängliche Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen mitzutragen, doch unter den von Seipel genannten Bedingungen mitregieren wollten sie nicht. Dabei laborierten die Sozialdemokraten ebenso wie andere Parteien an ihrer Kompromisslosigkeit, und sie waren auch nicht in der Lage, aus ihrer de facto Isolation auszubrechen und im Westen und Süden Österreichs stärker Fuß zu fassen. Seipel suchte weiter und wollte es wieder mit einer Regierung der »Rechten« versuchen. Aber die im Heimatblock vereinigten Heimwehren blieben auf Distanz, und auch die Großdeutschen verweigerten die Zusammenarbeit, da Seipel Viktor Kienböck als Finanzminister haben wollte, jenen Mann, der mit ihm die Genfer Sanierung durchgezogen hatte und als kompromissloser Sanierer galt. Seipel musste den Auftrag zur Regierungsbildung zurücklegen. Der Bundespräsident brachte ein Beamtenkabinett ins Spiel. Auch das wollte niemand. Schließlich fanden sich Christlichsoziale, Großdeutsche und Landbund bereit, eine Regierung unter der Kanzlerschaft von Karl Buresch zu bilden. Buresch, seit 1922 Landeshauptmann von Niederösterreich, war in der Bundespolitik ein weitgehend »unbeschriebenes Blatt«. Man munkelte wohl von Korruption und witterte Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Niederösterreichischen Bauernbank ebenso wie der Pleite der Centralbank der deutschen Sparkassen, doch Buresch hatte zumindest einigermaßen funktionierende Kontakte zu allen Parteien, auch zur Sozialdemokratie. Gerade Letztere brauchte er auch, um im Parlament ein Budgetsanierungsgesetz durchzubringen, das die Voraussetzung dafür war, dass man – wieder einmal – an den Völkerbund wegen einer Anleihe herantreten konnte. Aber die wirtschaftlichen Probleme hielten an, Österreich ging das Geld aus und die Arbeitslosenzahlen stiegen und stiegen. 1928 schienen in der offiziellen Statistik 179.000 Menschen auf, die Arbeitslosenunterstützung bekamen. Rund 80.000 weitere bekamen keine Hilfe mehr, waren sogenannte »Ausgesteuerte« und daher auf Mildtätigkeit angewiesen. Im Jahr darauf zählte man, alles zusammen, 280.000 Ar-

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beitslose, 1930 schon 350.000 und 1931 wurde die Grenze von 400.000 erreicht. Jeder Sechste hatte keine Arbeit.142 Alle gegen alle Die Bundesländer schienen von der Misere des Staates weniger betroffen als der »Bund«, und es konnte fast nicht ausbleiben, dass sich einer derer, die glaubten, eine gewaltsame Lösung würde Land und Leute aller Sorgen entledigen, daran machte, einen Umsturz zu inszenieren. Das geschah in der Steiermark, wo der kurz zuvor an die Stelle Ernst Rüdiger Starhembergs getretene Bundesführer der Heimwehr, Walter Pfrimer, am 13.  September 1931 zu einem allerdings dilettantisch vorbereiteten Putsch aufrief.143 Gerüchteweise hieß es, dass der fast legendäre Verteidiger der Hochfläche der Sieben Gemeinden im Ersten Weltkrieg, Generalmajor Otto Ellison, die militärischen Vorbereitungen getroffen hätte. Doch das machte die Sache nicht besser. Zwar hatten sich einige Landesführer bereit erklärt mitzumachen, aber es blieb eine weitgehend auf die Steiermark beschränkte Aktion. Ein geplanter »Marsch auf Wien«, der von Klosterneuburg aus begonnen werden sollte, unterblieb. Die beteiligten Heimwehrleute wurden verhaftet. Von Linz aus setzte sich eine Lastwagenkolonne in Bewegung, die von der Exekutive bemerkenswerterweise nur an der Weiterfahrt gehindert wurde und auch ihre 26 Maschinengewehre nicht abzuliefern hatte. Vollends in der Steiermark ergab sich ein denkbar merkwürdiges Bild, da der steirische Landeshauptmann Rintelen ebenso wie Verteidigungsminister Vaugoin einen effektiven Einsatz der Exekutivkräfte stundenlang verhinderten und 4.000 Mann Bundesheer sowie Gendarmerie und Polizei erst am Nachmittag vorgehen ließen. Nur in Kapfenberg war es zu einer Schießerei gekommen, wo Heimwehrangehörige zwei Leute töteten und mehrere verwundeten. Am Abend stand fest, dass der Aufstandsversuch gescheitert war. Die Bundesregierung versprach, die Schuldtragenden »ungesäumt und mit der ganzen Strenge des Gesetzes zur Verantwortung« zu ziehen.144 Starhemberg und andere Heimwehrführer wurden verhaftet. Pfrimer, der zunächst aus Österreich geflohen war, dann aber zurückkehrte, wurde vor Gericht gestellt und freigesprochen. Damit waren auch die Verfahren gegen rund 4.000 Heimwehrangehörige erledigt. Doch das Ganze war weder harmlos gewesen, noch verdiente es die Bezeichnung Operette  : Es war ein durchaus ernstzunehmender Versuch gewesen, die Macht im Staat zu erringen. Er war nur von der falschen Person ausgegangen. Und von einem Triumph oder auch nur Sieg der Demokratie ließ sich ganz sicher nicht sprechen. Auch wenn der Heimwehrputsch des Walter Pfrimer verurteilt wurde, war sein Vorgehen doch für viele keinesfalls empörend gewesen. Die Regierung war schwach und wollte ganz offensichtlich nicht gegen die Heimwehr vorgehen. Auch ein gelegentliches Zusammengehen der Heimwehr mit Nationalsozialisten störte nicht.145 Die

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Großdeutschen waren nach wie vor Bannerträger des Anschlussgedankens und wollten, dass Außenminister Schober weiterhin einen deutschen Kurs steuerte – andernfalls sie aus der Regierung ausscheiden wollten. Sie selbst waren in einer misslichen Situation, da es mittlerweile viel radikalere Anschlussbefürworter in Form der Nationalsozialisten gab. Buresch wusste aber ganz genau, dass er die Hilfe Frankreichs brauchte, um mit seinen Anleihewünschen beim Völkerbund durchzukommen. Er konnte sich daher nicht von den Anschlussbefürwortern erpressen lassen, demissionierte und bildete gleich darauf ein neues Kabinett, in dem Schober und die Großdeutschen nicht mehr vertreten waren, ebenso wenig wie die Heimwehr. Das Kabinett hatte keine parlamentarische Mehrheit hinter sich und war auf die Unterstützung durch die sozialdemokratische Opposition angewiesen. Die Regierung spielte buchstäblich alle Möglichkeiten durch und bekam jede Menge gute Ratschläge, unter anderem auch vom französischen Ministerpräsidenten André Tardieu. Der plädierte für eine ganz andere Zollunion und schlug vor, Österreich, Ungarn, die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien sollten ihre Wirtschaftsräume vereinheitlichen. Frankreich wollte als Geldgeber auftreten. Das widersprach nun italienischen, deutschen und letztlich auch britischen Interessen. Der Tardieu-Plan wurde schnell ad acta gelegt.146 In der Situation, wo bald jeder gegen jeden war, Seipel gegen Buresch, Starhemberg gegen Steidle, Buresch gegen Schober, Renner gegen Bauer  …, konnte eine einzige Partei einen stetigen Zuwachs verzeichnen  : die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP. Dort kümmerte man sich nicht darum, ob Frankreich bereit war Geld zu leihen und propagierte hemmungslos den Anschluss an Deutschland, war klar antimarxistisch und gleichzeitig eine Arbeiterpartei, antidemokratisch wie mittlerweile sehr viele in Österreich, antisemitisch wie ebenfalls viele in Österreich und antiklerikal wie auch nicht zuletzt viele Sozialdemokraten, die den politischen Katholizismus, wenn nicht überhaupt religiöse Überzeugungen ablehnten. Sie attackierten die Demokratie wegen ihrer »Bürgerlichkeit«147 und warfen ihr und ihren Repräsentanten vor, dass sie träge, materialistisch und phantasielos seien, keine Visionen hätten und die Massen nicht ansprechen konnten. Als am 24.  April 1932 in Niederösterreich, Salzburg und Wien Landtagswahlen sowie in der Steiermark und Kärnten Gemeinderatswahlen stattfanden, gab es einen Ruck nach rechts. Alle etablierten Parteien verloren, die Großdeutschen und der Landbund wurden marginalisiert und von der NSDAP regelrecht aufgesaugt. Die Nationalsozialisten schienen zukunftsfähige Lösungen parat zu haben und auch weit eher geeignet, die Vielzahl an Aktivitäten zu unterstützen, mit denen die Großdeutschen bis dahin ihre Gefolgsleute und Sympathisanten an sich zu binden gesucht hatten. Der »Deutsche Schulverein Südmark«, der »Deutschösterreichische Alpenverein«, der »Deutsche Turnerbund«, Burschenschaften, Landsmannschaften, Sängerschaften, Jugendbewegungen wie die »Wandervögel« entwickelten jede Menge Aktivitäten. Sie

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kümmerten sich um die Deutsch sprechenden Altösterreicher im Sudeten- und Karpatenraum, Galizien, Wolhynien, der Bukowina, Siebenbürgen und um die Donauschwaben, um die Deutschen in Cilli, Marburg, Pettau und in der Gottschee, bildeten Volkstanzgruppen, sammelten und führten Büchertransporte nach Südtirol durch, um dort einen vom faschistischen Italien verbotenen Deutschunterricht zu ermöglichen. Die Tage der Großdeutschen waren gezählt. Die Nationalsozialisten machten ein Monopol auf den Anschluss geltend.148 Der Heimatblock verlor, die Christlichsozialen in Wien besonders stark. Jeder zehnte sozialdemokratische Wähler war bei den Landtagswahlen zur NSDAP abgewandert. Klarer Sieger waren daher die Nationalsozialisten. Nun konnte man mit Hilfe der Politikern besonders geläufigen Art der Umdeutung sagen  : Neun von zehn Wählern waren noch immer »ihrer« Partei treu geblieben und keine Nationalsozialisten. Aber eigentlich musste es klar sein, dass es so nicht weiter ging. Was aber war ein gangbarer Weg  ? In Österreich entschloss man sich zur Ausgrenzung, auch auf die Gefahr hin, dass sich die NSDAP als Opfer der etablierten Parteien hinstellen und zu terroristischen Methoden greifen würde. Noch einmal sollte Karl Buresch versuchen, eine Regierungsumbildung vorzunehmen. Doch er konnte sich keine parlamentarische Mehrheit sichern und fügte sich problemlos in die Statistik der durchschnittlichen Regierungszeiten eines Kabinetts der Ersten Republik ein  : Acht Monate. Nun betraute Miklas im Mai 1932 den Landwirtschaftsminister des Kabinetts, Engelbert Dollfuß, mit der Regierungsbildung. 84.000 Gewehre und 980 Maschinengewehre Dollfuß gehörte den Regierungen Ender und Buresch seit dem März 1931 an. Vorher war er Direktor der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer und zuletzt auch Präsident der Österreichischen Bundesbahnen gewesen, als der er die Ernennung Georg Strafellas mit zu verantworten hatte. Er hatte das wohl als notwendige Konzession angesehen. Dollfuß war aber auch schon anderes gewesen  : Student der Theologie, Jurist, kriegsgedienter Offizier bei den Tiroler Kaiserschützen, Mitglied der gar nicht so geheimen Geheimgesellschaft »Deutsche Gemeinschaft«, Alter Herr einer Verbindung des Cartellverbandes. Er war Antimarxist und streng katholisch. Als Funktionär der Landwirtschaftskammer ebenso wie als Landwirtschaftsminister hatte er sich durchaus Sympathien der Sozialdemokraten erworben und stieß auch sonst zum wenigsten auf offene Ablehnung. Jetzt sollte er das schaffen, was so vielen vor ihm nicht gelungen war  : Österreich aus der Krise führen. Dollfuß bildete eine Regierung aus Christlichsozialen, Heimatblock und Landbund. Es war eine erprobte, vielleicht schon zu sehr erprobte Zusammensetzung. Und da die Regierung nur über eine parla-

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mentarische Mehrheit von einer Stimme verfügte, rechneten wohl die wenigsten damit, dass es sie lange geben würde. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme türmten sich. Mit den bis dahin praktizierten Mitteln war der Misere nicht beizukommen. Ein Teil der Christlichsozialen und vor allem der Heimatblock, die parlamentarische Vertretung der Heimwehren, zeigten schon überdeutlich antidemokratische und autoritäre Tendenzen. Die Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten war seit 1927 immer gewaltsamer geworden. Dollfuß folgte also willig jenen, die davon überzeugt waren, dass der »wahre Staat« nicht auf den untauglichen Instrumenten Parlament und Parteien aufbauen könne. Sie sahen sich als Schüler des in Wien lehrenden Philosophen Othmar Spann und wollten nach dem Experiment mit der parlamentarischen Demokratie ein neues Experiment versuchen  : den autoritär geführten Staat. Dass daraus eine Art »Konkurrenzfaschismus« werden könnte, störte zum wenigsten.149 Und da aus der Wirtschaft mehrfach Signale kamen, dass man ein »Regime aufgrund erweiterter Vollmachten« als dringlich ansah und durchaus unterstützen wollte, schien der Weg vorgezeichnet. Schon bei der ersten größeren Maßnahme drohte die Regierung allerdings zu stürzen. Nach mehr als einem Jahr Vorarbeit war der Völkerbund zu einer neuerlichen Anleihe, diesmal in Höhe von 300 Millionen Schilling bereit. Wieder kein Weltbetrag und weit weniger als 1922. Noch dazu sollte die Hälfte der Anleihensumme dazu dienen, alte Schulden zu begleichen. Es war daher von allem Anfang an klar, dass das Geld nicht reichen würde. Briten und Franzosen verstanden die Anleihe als einen politischen Kredit, der gegen das Anschlussstreben ebenso wie gegen die italienischen Ambitionen eingesetzt werden sollte. Und wieder hieß eine der Bedingungen  : Anschlussverbot für weitere zehn Jahre. Erst dann, 1942, – so zumindest die theoretische Überlegung  – hätte der Völkerbund das im Vertrag von Saint-Germain festgelegte und in Genf erneuerte Anschlussverbot aufheben können. Damit nicht genug, wurde Österreich abermals unter Beobachtung gestellt. Der Niederländer Meinoud Rost van Tonningen, der schon im Stab des Völkerbundkommissars Zimmermann gewesen war, wachte in der Folge und bis August 1936 über die Verwendung der Gelder und die Einhaltung der mit der Anleihe verbundenen Auflagen.150 Die Zustimmung des Nationalrats zur Lausanner Anleihe erfolge mit 81  :80 Stimmen. Das Anschlussverbot und die neuerliche Kontrolle boten Anlass für eine wilde Redeschlacht. Der Regierung fehlte zunächst die Stimme des todkranken Seipel. Doch rechtzeitig konnte ein Ersatzmann die Reihen des Regierungslagers auffüllen.151 Fazit  : Dergleichen konnte sich wiederholen. Das war nicht zuletzt Dollfuß klar, der auf eine Verbreiterung der Regierungsbasis hinarbeitete. Er umwarb die Großdeutschen, konnte sie aber nicht gewinnen. Also versuchte es der Kanzler mit der Heimwehr. Bei einem Treffen in Pörtschach ging es um Bedingungen und Modalitäten. Der Wiener Heimwehrführer, Emil Fey, trat als Staatssekretär für Sicherheitswesen in die Regierung ein

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und bekam Polizei und Gendarmerie unterstellt. Damit sollte der Heimwehr der Wind aus den Segeln genommen werden. An den Mehrheitsverhältnissen im Parlament änderte das nichts. Die lauteten weiterhin  : Sozialdemokraten 72, Christlichsoziale 66, Schoberblock 19, Heimatblock 8. Niemand konnte vorhersehen, dass die parlamentarische Demokratie von einem Tag auf den anderen nicht nur in die Krise geraten, sondern ihren Todesstoß erhalten würde. Zunächst mochte es wie so oft als eher nebensächlich gegolten haben, was die »Arbeiter-Zeitung« am 8. Januar 1933 geschrieben hatte, dass nämlich auf dem Gelände der Patronenfabrik im niederösterreichischen Hirtenberg 40 Waggons mit Waffen eingelangt seien, die aus Italien kamen, repariert und modernisiert und schließlich nach Ungarn weiter transportiert werden sollten. 84.000 Gewehre und 980 Maschinengewehre wurden zum Problem und schließlich zum Skandal. Es waren Beutewaffen des Ersten Weltkriegs, die Mussolini nach Ungarn verschieben wollte. Nebstbei sollte auch die Heimwehr ein Kontingent bekommen. Nun hieß es, der Transfer würde den Bestimmungen der Verträge von Saint-Germain und Trianon zuwiderlaufen. Die österreichische Regierung widersprach. In Frankreich war man empört – oder tat zumindest so. Der Hintergrund war denn auch im italienisch-französischen Gegensatz und der Schutzmachtstellung zu sehen, die Frankreich über die Kleine Entente ausübte. Folglich sollte Ungarn keine zusätzlichen Waffen bekommen. Da konnte die Regierung in Wien argumentieren, was sie wollte, und ins Treffen führen, dass ja auch Waffentransporte von der Tschechoslowakei über Österreich nach Jugoslawien gegangen wären. Vielleicht hätte sich die Sache auch beilegen lassen, da Italien anbot, die Waffen zurückzunehmen. Doch der Generaldirektor der Bundesbahnen, Egon Seefehlner, versuchte, die Eisenbahnergewerkschaft mit einer namhaften Summe zu bestechen und den Transport nach Ungarn doch durchzuführen. Die Sache flog auf  ; Herr Seehfehlner wurde entlassen. Doch die Regierung musste sich sowohl in Richtung Frankreich und Großbritannien wie gegenüber den Sozialdemokraten verteidigen und wartete noch immer auf die Überweisung der Millionen aus der Lausanner Anleihe. Schließlich gingen die Waffen tatsächlich zurück. Am 4. März 1933 kam die Angelegenheit, die durch einen Streik der Eisenbahner noch verschärft worden war, auf die Tagesordnung des Nationalrats. Die Sozialdemokraten brachten einen Misstrauensantrag gegen die Regierung ein. Es ging um eine Stimme. Der Erste Präsident des Nationalrats, Karl Renner, übergab nicht ganz überraschend den Vorsitz und wollte mit seiner Fraktion mitstimmen. Nach einer Geschäftsordnungsdebatte verließ auch der zweite Präsident, der Christlichsoziale Rudolf Ramek, das Präsidium. Schließlich legte auch der Dritte Präsident, der Großdeutsche Josef (Sepp) Straffner, sein Amt nieder. Die Sitzung wurde nicht geschlossen  ; die Abgeordneten verließen den Sitzungssaal. Kaum jemand nahm außerhalb des Parlaments davon Kenntnis. Die Zeitungen berichteten kurz und unaufgeregt. Es war halt eine Panne gewesen. Tatsächlich war man an einem Wendepunkt angelangt.

7. Das Trauma

7 Das Trauma

7 Standartentrupp der Heimwehr. Die Heimwehren, die in den Bundesländern als lokale Einwohnerwehren entstanden waren, wurden Mitte der zwanziger Jahre zur mächtigsten paramilitärischen Organisation in Österreich. Mit ihren Aufmärschen, die sie häufig in Konkurrenz zum Republikanischen Schutzbund durchführten, demonstrierten sie ihren Machtanspruch. Sie galten als regierungsnah, stellten aber ab 1927 so gut wie alle Regierungen in Frage. Erst im Oktober 1936 gelang es Kurt Schuschnigg, die Heimwehren aufzulösen. In zahllosen sogenannten »Veteranenvereinen« lebten sie jedoch fort und hatten auch weiterhin Einfluss auf die Politik. (Foto: ORF Archiv)

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unächst waren die Verfassungsjuristen am Wort. Man konnte die Sache so sehen, dass die Sitzung des Nationalrats am 4. März – da sie ja nicht geschlossen worden war – nur unterbrochen worden wäre und an einem anderen Tag wieder aufgenommen werden konnte. Oder aber der Bundespräsident löste das Parlament auf und schrieb Neuwahlen aus. Das schien dem Christlichsozialen Wilhelm Miklas wohl zu riskant, denn das konnte bedeuten, dass die Sozialdemokraten als Gewinner aus den Wahlen hervorgehen konnten und jedenfalls die Nationalsozialisten ins Parlament einzogen. Dass das nicht zur Beruhigung der innenpolitischen Situation führen würde, sah man ja mittlerweile in Deutschland. Dort hatte Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht. Fünf Tage vor dem Abstimmungswirrwarr in Wien brannte in Berlin der Reichstag. Und schon am Tag danach wurde die Verordnung des Reichspräsidenten Hindenburg »zum Schutz von Volk und Staat« (»Reichstagsbrandverordnung«) erlassen. Damit wurden in Deutschland die Grundrechte der Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt, und der Weg für die Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP durch Polizei und SA war frei. Die Nationalsozialisten wollten aber noch viel weitergehende Sonderrechte. Sollte das der österreichische Weg sein  ? Miklas hätte unter Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes »zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit« in einer Zeit, in der der Nationalrat nicht versammelt ist und nicht rechtzeitig versammelt werden konnte, auf Antrag der Bundesregierung im Verordnungsweg selbst Maßnahmen setzen können.152 Doch dazu bedurfte es eines Antrags der Bundesregierung. Und genau diese Möglichkeit machte Dollfuß zunichte. Nachdem er sich einige Tage Zeit gelassen hatte, von seinen Anhängern quer durch Österreich aber aufgefordert worden war, ohne Parlament weiter zu regieren,153 demissionierte er und wurde – wie vorher mit Miklas abgesprochen – wiederberufen. Und das war eine von drei kapitalen Fehlentscheidungen, die Miklas im Verlauf von fünf Jahren begehen sollte. Ein erster Schritt zu einer autoritären Herrschaft war getan. Das Ende der parlamentarischen Demokratie Die wiederbestellte Regierung war erst eine Woche im Amt, als der Dritte Präsident des Nationalrats, Straffner, am 15.  März die Abgeordneten zur Fortsetzung der am

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4. März unterbrochenen Sitzung einberief. Jetzt handelte Dollfuß. Schon im Vorfeld war klar, dass die Parteien des Regierungslagers mit Ausnahme des Landbunds bestritten, dass Straffner das Recht hätte, die Abgeordneten wieder zusammenzurufen. Wieder war man bei einem rechtlichen Problem angelangt. Die beiden Minister des Landbunds, Winkler und Bachinger, boten ihren Rücktritt an. Der Bundespräsident nahm ihn nicht an. Dollfuß aber gab Weisung, die Nationalratsabgeordneten am Zutritt zum Parlament zu hindern. Polizei nahm Aufstellung. Ein Teil der sozialdemokratischen und großdeutschen Abgeordneten war bereits im Inneren des Gebäudes. Dollfuß ließ das Haus am Ring räumen. Als die Wiener Heimwehr das dazu nützen wollte, um loszuschlagen und den bis dahin recht friedlichen Umsturz gewaltsam werden zu lassen, ließ sie Dollfuß entwaffnen. Ganz offensichtlich wollte er keinen Vorwand liefern, um die Situation noch weiter eskalieren zu lassen. Zwei Tage später konnten die Bundesratsabgeordneten sogar ungehindert das Parlament betreten und auch mit großer Mehrheit eine Resolution verabschieden, in welcher der Bundespräsident aufgefordert wurde, die verfassungsmäßigen Zustände wiederherzustellen und die Gesetzgebung nicht durch die Regierung behindern zu lassen.154 Dollfuß irritierte das nicht im Mindesten. Der Nationalrat blieb ausgesperrt. Der Kanzler musste wohl damit rechnen, dass die Sozialdemokraten das Geschehene nicht einfach hinnehmen würden. Doch genau das war der Fall. Es wurde weder zum Generalstreik noch zu lokalen Ausständen aufgerufen. Verbaler Radikalismus regte niemanden mehr auf. Am 19. März wurde die »Arbeiter-Zeitung« beschlagnahmt, weil sie den Text einer Interpellation im Wiener Landtag publiziert hatte. Es geschah nichts. Der 15.  März 1933 schien ein Tag wie jeder andere gewesen zu sein. Am 31.  März wurde der Republikanische Schutzbund verboten. Ordnergruppen durften jedoch bestehen bleiben, ebenso wie die Wiener Stadtschutzwache. Maiaufmärsche der Sozialdemokraten wurden verboten. Aber Dollfuß wollte die Sozialdemokratie nicht noch weiter herausfordern, ebenso wenig wie die Nationalsozialisten. Also signalisierte er Gesprächsbereitschaft. Es musste aber auffallen, dass der Staatssekretär im Innenministerium und Wiener Heimwehrführer, Emil Fey, radikale Töne anschlug, dass die Heimwehr in den Rang einer Hilfspolizei gehoben wurde, während man den Tiroler Schutzbundführer Gustav Kuprian unter der Anschuldigung des Hochverrats verhaftete.155 Als der nach wie vor tagende Bundesrat mehrere Notverordnungen beim Verfassungsgerichtshof anfocht und gute Chancen hatte Recht zu bekommen, löste Dollfuß kurzerhand den Verfassungsgerichtshof auf. Wieder blieb es bei verbalem Widerstand der Sozialdemokraten. Kurze Zeit machte das Gerücht die Runde, Christlichsoziale und Sozialdemokraten würden eine Große Koalition bilden. Da drohte die Heimwehr mit Gewalt. Dann hieß es, der letzte Kommandant der k. u. k. 6. Armee und »entadelte« Fürst Aloys Schönburg-Hartenstein könnte eine Art Regentschaft antreten, doch auch das war bestenfalls ein Gerücht und stieß auf harsche Ablehnung all

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jener, die vor einer Restauration von wem auch immer warnten. Offenbar gab es keine Alternativen. Wohl aber gab es Konsequenzen. Am 18. Mai löste sich der Landbund auf. Ein Teil seiner Mitglieder wechselte zur NSDAP. Zwei Tage später setzte Dollfuß den nächsten Schritt zur Festigung seiner Stellung. Er vereinigte die Christlichsoziale Partei mit der Heimwehr zur Vaterländischen Front (VF). Der Kanzler trat als »Frontführer« an die Spitze der neuen Organisation. Sechs Tage später wurde die Kommunistische Partei Österreichs aufgelöst. Ihre Mitglieder waren die ersten, die in die Illegalität gedrängt wurden. Österreich zog mit Deutschland gleich. Widerstand blieb aus. Die Nationalsozialisten aber sahen sich im Gegensatz zu den Sozialdemokraten in ihrem Kampf um die Macht durch keine Rücksichtnahme auf Demokratie und Legalität behindert. Sie waren nach ihrem für viele überraschenden Einzug in drei österreichische Landtage auf dem Sprung in den Nationalrat gewesen. Dollfuß hatte dem einen Riegel vorgeschoben. Da sich die Berliner Stellen und auch Hitler bedeckt hielten, wurde die Münchner Parteizentrale der NSDAP tätig und regte bei Hitler an, den aus Wiesbaden stammenden Theo(dor) Habicht als Landesinspekteur nach Österreich zu schicken. Habicht hatte schon seit 1931 Einfluss auf die österreichischen Nationalsozialisten genommen. Nun sollte er sie auf einen radikaleren Kurs bringen. Hitler war damit einverstanden. Um dem Ganzen ein entsprechendes Mäntelchen umzuhängen, war daran gedacht, ihn in die deutsche Botschaft in Wien einzubauen.156 Österreich verweigerte die Akkreditierung. Habicht, der schon nach Österreich gekommen war, wurde am 17.  August 1933 ausgewiesen. Als Retorsionsmaßnahme wurde der österreichische Presseattaché an der Botschaft in Berlin zur persona non grata erklärt. Theo Habicht entfaltete seine Tätigkeit von München aus. Gleich darauf gab es die nächste Eskalation. Die Nationalsozialisten schlugen den Christlichsozialen eine Koalition vor. Der Landbund sollte ausgebootet werden.157 Für Dollfuß war das keine Option. Er riskierte die Konfrontation. Sie folgte denn auch unmittelbar. Im Zuge der Intensivierung der Parteiarbeit der NSDAP wurde im Mai 1933 der bayerische Justizminister Hans Frank nach Österreich eingeladen. Frank war während der Krise des Parlaments am 8. März 1933 dadurch aufgefallen, dass er in einer Rundfunkbotschaft einen Gruß Bayerns »an seine unterdrückten Volksgenossen in Österreich« geschickt hatte. Minister Frank ließ es sich denn auch nicht nehmen, bei seinem Besuch über Österreich und die Regierung herzuziehen. Seine Auftritte fielen ausgerechnet mit einer von der Heimwehr organsierten Großveranstaltung anlässlich des 250. Jahrestags der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken 1683 zusammen. Beim Abmarsch der Heimwehrleute aus Schönbrunn kam es zu Störaktionen, an denen sich Sozialdemokraten und Nationalsozialisten beteiligten. Daraufhin wurde Frank nahegelegt, Österreich so schnell wie möglich zu verlassen. Er tat dies zwei Tage später, nicht ohne noch in einem Salzburger Café Sympathiekundgebungen seiner Anhänger entgegenzunehmen.

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Was nun tatsächlich anders war als der operettenhaft wirkende sogenannte PfrimerPutsch, hatte schwerwiegende Folgen. Fast schlagartig setzte nationalsozialistischer Terror ein. Konnte man vorher von »Hakenkreuzschmierereien« sprechen, war das, was auf die Geschehnisse zwischen März und Mai 1933 folgte, bereits Ausdruck einer tiefgehenden Spaltung und die markante Verkehrung dessen, was bis dahin gegolten hatte  : Seit 1918 war Österreich in Sachen Anschluss die treibende Kraft gewesen. Nun war es Deutschland. Und in diesem Bestreben war keine Sehnsucht zu entdecken, sondern unmissverständliches, beinhartes Machtstreben. Im Lauf des Jahres sollten auf das Konto des nationalsozialistischen Terrors 20 Tote und Dutzende unterschiedlich schwer Verletzte gehen.158 Ahnungslose und völlig Unbeteiligte wurden zu Opfern, wenn in einem Zug ein Sprengsatz zur Explosion gebracht wurde, ein jüdischer Juwelier und ein Passant bei einem Attentat in Wien ums Leben kamen, Telefonhütten in die Luft flogen, und damit der Anschein erweckt wurde, der Staat könne seine Bürger nicht mehr schützen, trotz Polizei, Gendarmerie, Bundesheer und der Heimwehr-Hilfspolizisten. Für das Bundesheer waren die Folgen besonders gravierend, denn Heeresangehörige leisteten bereits 1932 rund 150.000 Stunden im politischen Assistenzeinsatz. 1933 schnellte die Einsatzdauer auf das Doppelte hinauf  : 300.000 Stunden. Das Heer war also nicht mehr Machtfaktor der Außenpolitik, sondern vor allem Nothelfer der Innenpolitik. Die Sache wurde noch zusätzlich verworrener, da der NS-Terror durchaus Sympathisanten fand, und das nicht nur unter jenen, die sich vom Nationalsozialismus eine Lösung ihrer Probleme erhofften, sondern auch bei den Großdeutschen und beim Steirischen Heimatschutz. Der verwendete denn auch schon seit Jahren das Hakenkreuz als Symbol.159 Gewalt in der Politik war nichts Neues. Die Gewaltspirale drehte sich aber rasant weiter. Am 19. Juni 1933 wurde die NSDAP in Österreich verboten. Die Nationalsozialisten wurden in die Illegalität abgedrängt  – gerade für jüngere Leute, aber auch Arbeitslose kein Hindernis oder gar Grund zu resignieren. Sie hatten wenig zu verlieren. 1933 zählte man 557.000 Arbeitslose.160 Die Anschläge gingen weiter. Das Verbot der Partei wurde in Deutschland als Affront, ja als eine Art Kriegserklärung gesehen. Die Reichsregierung antwortete mit der sogenannten 1000-Mark-Sperre  : Bei Reisen nach Österreich, welcher Art sie auch sein mochten, wurde von deutschen Staatsbürgern eine exorbitante Visumsgebühr von 1.000 Reichsmark verlangt  ; für den Fremdenverkehr in Österreich ein schwerer Schlag. Und gerade der Fremdenverkehr hatte die wirtschaftlichen Probleme des Landes verringert und galt als regelrechtes Hoffnungsgebiet. Die 1000-Mark-Sperre war daher eine mit Vorbedacht gewählte Maßnahme zur Schädigung des wirtschaftlichen und politischen Gefüges. Die Zahl der deutschen Touristen sank von 749.000 im Jahr 1932 auf weniger als ein Zehntel. Die Auseinandersetzung war damit schon weit über einen Krieg der Worte hinaus geraten. Und die Auswirkungen waren durchaus nicht nur im Tourismus, sondern

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ebenso in den Handelsbeziehungen zu spüren. 60 % der Ein- und Ausfuhren Österreichs wurden mittlerweile mit Deutschland abgewickelt. Die Schuld an dem Debakel wurde aber nicht bei Deutschland gesucht, sondern in Österreich. Die Regierung habe versagt, hieß es, denn sie habe die Maßnahme nicht zu verhindern gewusst.161 Österreichische Nationalsozialisten meldeten sich in Bayern und wurden in einer »Österreichischen Legion« formiert. Dass sie dadurch die österreichische Staatsbürgerschaft verloren und ausgebürgert wurden, irritierte sie zum wenigsten. Im Sommer 1933 zählte man in den Lagern der Legion bereits über 2.000 junge Leute. Dollfuß suchte nach wie vor zu kalmieren. Sein Ton blieb verbindlich. Aufforderungen zum Boykott deutscher Waren wurden unter Strafandrohung gestellt.162 Auch auf dem internationalen Parkett, vor dem Völkerbund, wurde keinesfalls die Konfrontation gesucht. Österreich sollte weiterhin als verlässlicher Partner gelten. Sein Problem war halt, dass es schwach und klein war und nicht um seiner selbst willen, sondern wegen seiner geopolitischen Lage eine gewisse Zuwendung erfuhr. Frankreich und Großbritannien intervenierten in Berlin und bekamen von der deutschen Reichsregierung prompt gesagt, das wäre eine Angelegenheit, die lediglich die Regierungen in Berlin und Wien anginge.163 Dabei konnten sich die Westmächte im Juli 1933 ohnedies nur zu recht unverbindlichen Formulierungen aufraffen und mahnten die gültigen Vereinbarungen an. Doch sie begannen mit zunehmender Sorge auf Österreich zu schauen. Dollfuß stand »mit dem Rücken zur Wand«, stellte der britische Botschafter in Wien fest. Er würde vielleicht mit den Sozialdemokraten eine Koalition eingehen wollen, doch das würde einen Aufstand der Heimwehr zur Folge haben. Würde er den Weg zurück zur Demokratie suchen, wäre die unausweichliche Folge, dass die Nationalsozialisten in den Nationalrat einzogen. Alfred Eduard Frauenfeld, der illegale Landesführer der illegalen Nationalsozialisten erwartete, dass seine Partei bei Nationalratswahlen einen Stimmenanteil von 35 % erhalten würde. Und der ließe sich mir nichts, dir nichts auf über 50 % steigern. Damit wäre eine legale Machtübernahme möglich. Sollte Dollfuß aber aus gutem Grund Wahlen aufschieben oder gar vermeiden wollen, würde er einen Putsch riskieren.164 Düstere Aussichten also. Dollfuß suchte daher noch mehr als seine Vorgänger Anlehnung an Italien. Südtirol sollte dabei kein Hindernis sein, und Erleichterungen beim deutschen Schulunterricht wurden österreichischerseits durchaus als Entgegenkommen gewertet. Was zählte, war, dass Italien in Verfolgung seiner machtpolitischen Ziele Österreich als Bindeglied nach Ungarn unter seine Fittiche nahm. Dollfuß suchte bei mehreren Gelegenheiten Mussolini auf und zeigte sich auch nicht irritiert, als er in Riccione neben einem Duce in der Badehose selbst mit Hemd und Krawatte, den Rock überm Arm, durch den Sand stapfte. Das konnte man durchaus als »Charisma der Kleinheit«165 interpretieren  : der autoritär regierende und gleichzeitig Hilfe suchende österreichische Kanzler und der »große Diktator«. Was zählte, war die von Mussolini zugesagte politische und not-

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falls auch militärische Unterstützung. Mussolini erreichte denn auch, dass Deutschland seine Propagandaflüge über österreichischem Gebiet einstellte und sich auf die Rundfunkpropaganda beschränkte.166 Mussolini zeigte sich auch unbeeindruckt, dass man in Berlin die Brennergrenze als unverrückbar bezeichnete. Denn was sollte das  ? Noch war Österreich ein souveräner Staat, dessen Grenzen 1919 von den Siegermächten gezogen worden waren. Da brauchte es doch keine deutschen Versicherungen, die Brennergrenze zu achten. Dass sich aber auch Italien über die deutschen Absichten nicht recht schlüssig war, zeigte der überdeutliche Hinweis Mussolinis gegenüber Dollfuß, dass das österreichische Bundesheer um 8.000 Mann unter der friedensvertraglich vereinbarten Zahl von 30.000 Mann liege. Militärische Anstrengungen wären also durchaus angebracht. Der Kanzler hatte verstanden. National contra vaterländisch Seit Dollfuß einen autoritären Kurs zu steuern begonnen hatte, näherte er sich nicht nur einer Art europäischer Normalität an, sondern entsprach auch immer mehr den Vorgaben des faschistischen Italien. Ein wesentlicher Unterschied war wohl darin zu sehen, dass Dollfuß die Neukonstruktion des Staates auf katholischer Grundlage, konkreter noch auf der päpstlichen Enzyklika »Rerum Novarum« Papst Leos XIII. (1891) und der darauf aufbauenden Bulle Pius’ XI. »Quadragesimo anno« (1931) bewerkstelligen wollte. Neben der katholischen Soziallehre nahm er aber auch noch ein weiteres Moment in den Dienst seiner politischen Arbeit, nämlich die österreichische Geschichte. Das hatte man schon im Umfeld des März 1933 feststellen können. Es äußerte sich in der Türkenbelagerungsfeier im Mai und fand seinen vorläufigen Höhepunkt in einer Rede Dollfuß’ auf dem Wiener Trabrennplatz am 11. September 1933. Wieder bildete das Türkenjahr 1683 den historischen Hintergrund, um dann die Ziele des Kanzlers zu verkünden. Der Staat sollte auf berufsständischer Grundlage konstruiert werden, also nach Berufsgruppen gegliedert sein, ohne politische Parteien und ohne ein aus demokratischen Wahlen hervorgegangenes Parlament. Die Idee war nicht ganz neu. Sie war von Karl von Vogelsang schon Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung gegen den Kapitalismus und die Arbeiterbewegung zum Schutz einiger an Bedeutung verlierender Berufsgruppen, vor allem der Bauern und Handwerker, ins Spiel gebracht worden. In den zwanziger Jahren hatte sie der an der Wiener Universität lehrende Nationalökonom und Philosoph Othmar Spann als dritten Weg neben Demokratie und Marxismus als ideologische Grundlage vor allem der Steirischen Heimwehr propagiert und in seinem Buch »Der wahre Staat« niedergelegt. Seine Ideen wurden transportiert und interpretiert. Am öftesten wurde die Absage an den demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat herausgelesen. Was übrig blieb, war »die Herstellung der

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wahren Demokratie durch Befreiung von der Parteidiktatur«,167 was ein Widerspruch in sich war. Aber es gab so viel Widersprüchliches. Dollfuß dachte an eine Verfassungsreform und lud vornehmlich Philosophen und Sozialreformer ein, Entwürfe für eine neue Verfassung zu erstellen. Johannes Messner, August Maria Knoll, Friedrich Funder, Eugen Kogon aber auch Kurt Schuschnigg lieferten Beiträge. Als Grundprinzip kristallisierte sich heraus, dass in einer neuen Verfassung die Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Subsidiarität sowie die Selbstverwaltung der »Stände« verankert werden sollte. Auch die Sozialdemokratie verschloss sich einem berufsständischen Aufbau nicht von vornherein, und Otto Bauer schrieb in der »Arbeiter-Zeitung«  : Die Sozialdemokratie kann sich mit einer berufsständischen Selbstverwaltung anfreunden, wenn sie von unten aufgebaut wird.168 Für Dollfuß war das offenbar noch nicht ausreichend.169 Der Begriff Austrofaschismus begann die Runden zu machen, obwohl er eigentlich ein gegen die Idee vom Ständestaat gerichtetes Kampfwort war und nicht befriedigte. Der Präsident des ständestaatlichen Bundestags, Rudolf Hoyos meinte später, dass »das rechte zündende Wort für die spezielle Art von österreichischem Faschismus« erst gefunden werden müsse.170 Ernst Rüdiger Starhemberg drückte es unumwundener aus  : »Unser Programm heißt Austrofaschismus«.171 Ganz offensichtlich wurde die Bezeichnung nicht als herabwürdigend angesehen. Fragte sich nur, ob das Wort den Kern der Sache traf. (Waren später gebrauchte Begriffe wie »Klerikofaschismus«, »Regierungsdiktatur«, »Halbfaschismus«, »Imitationsfaschismus«, »Krisendiktatur« oder Kombinationen mit »repressiv«. »totalitär« und »antimodern« passender  ?)172 Dollfuß setzte aber auch noch einen zusätzlichen Akzent, indem er das sonst so häufig verwendete Wort »deutsch« durch »vaterländisch« ersetzte. Und Österreich wurde – wie das dann der Wiener Historiker Alphons Lhotsky so einprägsam formulierte  – »mit drei Ö am Beginn« zu sprechen begonnen. Die Uniformen des Bundesheers, die 1920 an die Uniformierung der deutschen Reichswehr angeglichen worden waren, wurden 1933 »reaustrifiziert«, das Staatswappen mit geringen Änderungen an den Doppeladler der Monarchie angeglichen. Seit die als sozialdemokratisch verschriene Renner-Hymne 1929 abgeschafft worden war, sang man einen von Ottokar Kernstock verfassten Text nach der alten Haydn-Melodie des »Gott erhalte«. Konsequent wurde getrachtet, ein Staatsbewusstsein zu schaffen, mit dem auch das Landesbewusstsein der Bundesländer überlagert werden sollte. Aus alldem sprach die »Sehnsucht nach einer Art von ›Reich‹«.173 Ehe es aber zum Umbau des Staates kommen konnte, hieß es noch die Reste des alten, jedoch weiter bestehenden Staatswesens zu beseitigen. Noch war Österreich Republik. Noch galt die Verfassung von 1920 in der novellierten Form von 1929. Noch gab es auch einige der traditionellen Parteien, auch wenn sie in den Hintergrund gedrängt worden waren. Jetzt ging es Zug um Zug. Als Erstes stürzte Dollfuß den langjährigen Verteidigungsminister und zeitweiligen Bundeskanzler Vaugoin und

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drängte die Christlichsozialen aus der Regierung. Ebenso erging es dem Landbund und seinem Reichsparteiobmann Franz Winkler. Der Bundeskanzler übernahm zusätzlich zu seinen eigentlichen Aufgaben das Innen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Landwirtschaftsministerium. Ein nächster Schritt zur Kanzlerdiktatur war gemacht. Nur die Heimwehr ließ sich nicht so ohne weiteres gleichschalten. Sie war es nicht gewohnt, sich unterzuordnen und pflegte nach wie vor ihre Kontakte, nach Rom ebenso wie nach München und Berlin. Hier zeichnete sich denn auch die eigentliche Machtprobe für Dollfuß ab. Und er konnte sie nur verlieren. Gleichzeitig, freilich, erreichte er, dass das Manchen so anschlussbereit scheinende Österreich Konturen bekam. Jetzt ging es um Abgrenzung. Dollfuß hätte Hitler gerne von seinem Weg überzeugt. Seine Versuche, mit ­Hitler und dessen Landesinspekteur Habicht ins Gespräch zu kommen, liefen über viele Kanäle, doch als es zu einem Treffen Habichts mit Dollfuß kommen sollte, torpedierten das Fey und Starhemberg erfolgreich, und Habicht, der schon mit dem Flugzeug aus München kommend in Wien-Aspern landen wollte, musste umkehren, da Dollfuß gezwungen war, ihn mit dem Hinweis auf eine neue Böller- und Sprengstoffwelle österreichischer Nationalsozialisten wieder »auszuladen«.174 Dollfuß wurde auf diese Weise ad oculos demonstriert, dass er noch lange nicht Herr im eigenen Haus war. Im Januar 1934 wurde der Kanzler gewahr, dass viele Kontakte an ihm vorbeigelaufen waren, und dass es mindestens ein Dutzend Leute gab, die meinten, ihre  – und nur ihre – Verbindungen nach Berlin und München, zu Regierungs- oder Parteistellen der NSDAP würden geeignet sein, die Lösung aller anstehenden Probleme herbeizuführen. Es ging um mehr oder weniger Anschluss, ein Ende der 1000-Mark-Sperre, ein Ende der terroristischen Aktionen, die von nationalsozialistischer Seite so einfältig-plakativ »Krachendes Österreich« genannt wurden, und nicht zuletzt ging es um persönlichen Einfluss und persönliche Eitelkeiten. Dollfuß suchte nach wie vor den Kompromiss – nach innen wie nach außen. Doch er wollte nicht gelingen. Der Kanzler ließ die Kontakte zu Großdeutschen, Landbund und Nationalsozialisten ebenso wenig abreißen, wie er lose Verbindung zur Sozialdemokratie hielt. Letzteres war ihm aber sicherlich kein Herzensanliegen, und vielleicht zog er aus dem Verhalten der sozialdemokratischen Führung auch die falschen Schlüsse. Politisch spielte die Sozialdemokratie außerhalb von Wien kaum mehr eine Rolle. Die Arbeiterschaft war sich angesichts von eine halben Million Arbeitslosen ihrer prekären Situation nur zu sehr bewusst. Streiken war existenzbedrohend geworden. Ein Drittel der Wiener Parteimitglieder verließ die Sozialdemokraten. Der einstmals so mächtige und die Straßen beherrschende Schutzbund trat nur mehr selten in Erscheinung. Doch es gab ihn noch und er verfügte auch noch über Waffen.

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Da die Ausschaltung des Parlaments und das Verbot des Schutzbundes keine unmittelbare und gewaltsame Reaktion der Sozialdemokratie hervorgerufen hatte, trat ein zweifacher Effekt ein  : Im rechten Lager verstärkte sich der Zustrom zu den Heimwehren, wobei nicht zu übersehen war, dass auch wahllos zweifelhafte Typen Aufnahme fanden, nur weil man dem Zahlenmythos erlegen war.175 Auf der linken Seite hingegen machte sich ein Gefühl der Ohnmacht breit. Das Nichteinsetzen des Schutzbundes zur Rettung der parlamentarischen Demokratie wurde nicht als eine humane und verantwortungsbewusste Tat gesehen, sondern als Zeichen der Schwäche. Als Eingeständnis dessen, dass man letztlich nichts unternehmen wollte, um, wie im »Linzer Programm« vorgesehen, die parlamentarische Demokratie notfalls mit Gewalt oder durch einen revolutionären Akt vor dem Untergang zu bewahren. Die daraufhin einsetzende Abwanderung von Schutzbundmitgliedern wurde zwar zunächst damit zu erklären gesucht, dass der Treibsand weitergezogen war. Teilweise mochten sogar gezielte Aktionen dahinter gestanden sein, wie etwa aus Bruck a. d. Mur gemeldet wurde, dass dort die Kommunisten geschlossen zu der Heimwehr gingen, um diese zu unterwandern.176 Man zweifelte aber auf sozialdemokratischer Seite schon recht offen an der Durchsetzungskraft der Parteiführung und deren Aussagen, weil man die Diskrepanz zwischen Worten und Taten nur zu deutlich sah. Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten im Oktober 1933 wurde daher versucht, eine klar erkennbare »rote« Linie zu ziehen  : Wenn eine neue Verfassung oktroyiert, wenn in Wien ein Regierungskommissär eingesetzt, wenn die Sozialdemokratische Partei aufgelöst oder wenn die freien Gewerkschaften gleichgeschaltet würden, sollte es zu einer gewaltsamen Aktion kommen.177 Ein weiterer Beschluss des außerordentlichen Parteitags verdiente aber besonders hervorgehoben zu werden  : Die Sozialdemokraten strichen den Anschlussparagraphen aus ihrem Programm. Ein Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland, das »Zuchthaus Hitlers«, kam nicht in Frage.178 Das Jahr 1934 kündigte sich durch eine Serie von Böller- und Sprengstoffanschlägen der Nationalsozialisten an, womit die Aufmerksamkeit auf diese immer ungestümer zur Macht drängende politische Gruppe gelenkt wurde. Ganz offensichtlich hatten auch die Verschärfung des Strafrechts und die Einführung des standgerichtlichen Verfahrens im November 1933 keine ausreichend abschreckende Wirkung gehabt. Doch nicht nur die Innenpolitik begann mit einem Paukenschlag, auch die Außenpolitik steuerte das Ihre dazu bei, dass sich die Situation jäh zuspitzte. Am 18. Januar kam der italienische Unterstaatssekretär im Finanzministerium und gebürtige Triestiner Fulvio Suvich nach Wien und erinnerte Dollfuß daran, dass er im Jahr zuvor in Riccione Mussolini Versprechungen im Hinblick auf eine Gleichschaltung der österreichischen Politik mit jener Italiens gemacht hatte. Die politischen Parteien sollten ausgeschal-

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tet und eine Verfassungsreform durchgeführt werden.179 Das entsprach durchaus den Wünschen der Heimwehr. Am 30. Januar marschierte die Heimwehr in Tirol auf und erzwang, dass der Landesregierung ein beratender Ausschuss aus Mitgliedern der regierungsnahen Wehrverbände beigegeben wurde. Das sollte als Modell für Österreich zu werten sein und die Ersetzung von Landeshauptleuten durch Regierungskommissäre vorbereiten.180 Noch aber deutete nichts darauf hin, dass eine Explosion bevorstand. Dann setzten vermehrt Waffensuchen der Polizei ein.181 Regierung und Heimwehr gingen aufs Ganze. Der Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek reagierte in der Weise, dass er der Wiener Parteizentrale mitteilte, er würde, falls es in Linz zu Waffensuchen kommen sollte, den Befehl zum Schießen geben.182 Ab 1929 gab es konkrete Pläne der Schutzbundführung für einen bewaffneten Konflikt in Wien. Maßgeblich bei der Erstellung eines diesbezüglichen Konzepts waren der General a. D. Theodor Körner und der spätere Stabschef des Schutzbundes, Alexander Eifler, gewesen.183 Körner zog sich bald darauf aus dem Schutzbund zurück. Er hielt nichts vom Einsatz paramilitärischer Formationen gegen reguläres Militär. Als ehemaliger Generalstabschef der Isonzoarmee wusste er, wovon er sprach. Doch Eifler sah das anders. Er hielt sich an ein unter dem Pseudonym A. Neuberg erschienenes Konzept, »Der bewaffnete Aufstand«, in dem der Deutsche Hans Kippenberger, der sowjetische General Michail N. Tuchačevskij und der vietnamesische Revolutionär Hṑ Chi Minh ihre Gedanken niedergelegt hatten. »Der bewaffnete Aufstand ist die höchste Form des politischen Kampfes des Proletariats«, hieß es da.184 Und Eifler entwarf einen Aufstandsplan für Wien, in dem davon die Rede war, dass nach Ausrufung eines Generalstreiks Polizeibeamte, Richter und hohe Staatsfunktionäre festzunehmen und als Geiseln zu halten waren. Dann sollten die Schutzbundkräfte zusammengezogen werden. In der letzten Phase sah der Aktionsplan vor, dass der Republikanische Schutzbund vom Wiedner Gürtel aus gegen die Innenstadt vorstoßen würde. Für den Fall aber, dass die ersten Phasen dieses Aktionsplanes scheitern sollten, sah der Plan Eiflers vor, dass sich der Schutzbund aus den inneren Bezirken Wiens gegen den Laaer Berg und gegen Simmering zurückziehen würde, von wo aus dann noch einmal ein geschlossener Angriff gegen das Stadtgebiet geführt werden sollte. Körner meinte dazu 1931  : Der Aktionsplan für Wien »muss Ungeheuerlichkeiten bergen, wenn überhaupt ein Plan für Wien besteht und nicht etwa der haarsträubende Unsinn der Räumung der inneren Bezirke, Besetzung und Befestigung einer Gürtellinie noch immer gilt«.185 Am Morgen des 12. Februar wurde man durch eine Nachricht aus Linz überrascht. Im sozialdemokratischen Parteiheim im Hotel »Schiff« fand eine Waffensuche statt, und Richard Bernaschek hatte seine Ankündigung schießen zu wollen wahr gemacht. Er tat das, was zu erwarten gewesen war  : Er schlug los und lieferte damit einen tadellosen Grund, die Frage nach der Macht im Staat ein für alle Mal zu entscheiden. In

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Wien traten Otto Bauer und Julius Deutsch die Flucht nach vorne an und versuchten durch etwas, das ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen war, nämlich die Bildung einer zentralen Kampfleitung, um die Ereignisse in den Griff zu bekommen.186 Der berufenste Führer, Alexander Eifler, war am 3. Februar verhaftet worden. Gegen Mittag des 12.  Februar war ein Großteil Wiens stromlos  ; damit solle das Zeichen zum Generalstreik gegeben werden. Doch da es immer wieder Stromausfälle gab, herrschte Unsicherheit. Schutzbund und Exekutive bereiteten sich auf den Einsatz von Gewalt vor. Am Anfang stand die Verhängung des Standrechtes. In der am Nachmittag stattfindenden Ministerratssitzung wurde die Auflösung der Sozialdemokratischen Partei, die Einsetzung eines Regierungskommissärs für Wien, die Auflösung der Gewerkschaft und die Beschlagnahme des sozialdemokratischen Vermögens beschlossen. Es waren also drei der vier Fälle eingetreten, von denen jeder einzelne – laut den Oktoberbeschlüssen von 1933 – als Zeichen zum Losschlagen zu werten war. Jetzt trat dadurch nicht einmal eine Verschärfung der Situation ein. Die Polizei begann in den frühen Nachmittagsstunden mit der systematischen Durchsuchung der sozialdemokratischen Wohnbezirke. Stieß sie dabei auf Widerstand oder wurde irgendwo geschossen, erfolgte eine Assistenzanforderung, der das Bundesheer in der Regel mit Verbänden der Einsatzreserven nachkam. Die Sicherung und Durchsuchung nach Brechen des Widerstandes blieb dann wieder der Exekutive bzw. den Wehrverbänden des rechten Lagers überlassen. Der bewaffnete Aufstand des Schutzbunds setzte nicht schlagartig ein. Er flackerte da und dort auf, verlöschte, um neuerlich aufzuflackern. Versteifte sich der Widerstand und gab es auf Seiten der Exekutive Tote, wurde Artillerie aufgefahren. Nicht immer ging der Beschießung eine Warnung voraus, meistens jedoch erfolgte eine solche. Es kam auch vor, dass ein Bataillonskommandant beim Stadthauptmann eines Bezirks anfragte, ob Artillerie eingesetzt werden sollte und der Stadthauptmann von sich aus das ausdrücklich untersagte.187 Doch wenn Artillerie eingesetzt wurde, dann war die Wirkung genau die, welche man sich seitens der Staatsgewalt versprochen hatte. Es waren aber nicht nur die Verwüstungen und die Opfer, die dieser Beschuss hervorrief, die meist eine sofortige Einstellung des Gewehrfeuers nach sich zogen, sondern auch und vor allem die moralische Wirkung, die auch heute noch zu spüren ist und in der Formulierung gipfelt  : Das Bundesheer hat mit Kanonen auf Arbeiter, Frauen und Kinder geschossen. Und dieser moralische Effekt, der sich bei den Kämpfen in einem ganz unmittelbaren Gefühl der Ohnmacht manifestierte, weil den kämpfenden Schutzbündlern auch irgendwie die Regeln der Fairness verletzt schienen, erklärt einen Teil jener Verbitterung, die von sozialdemokratischer Seite lange Zeit gegenüber dem Bundesheer deutlich wurde und auch gelegentlich die Einstellung in der Zweiten Republik beeinflusste. Den Gemeindebauten war vielfach schon in den zwanziger Jahren Festungscharakter zugeschrieben worden. Mittlerweile wissen wir, dass bei der

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Anlage dieser Bauwerke eine ganze Reihe von Gründen mitgespielt hat, unter denen eine mögliche militärische Funktion wohl an allerletzter Stelle stand.188 Eines war aber gewiss nie beabsichtigt gewesen  : Dass vielleicht ein Schutzbündler beim Klofenster seiner eigenen Wohnung hinausschießen würde  ! Wohl aber übernahm dann während der Kämpfe die eigene Wohnung bisweilen die Funktion eines letzten Refugiums. Die Leute, die diesen Kampf um die Selbstbehauptung führten, fluktuierten, kämpften hier, verschwanden entweder in der Nacht oder durch die Kanäle und tauchten in anderen Bezirken auf, um dort den Kampf fortzuführen. Dabei zeigte es sich auch, dass der Widerstand sehr oft nicht die Zustimmung der Bewohner fand, denn die hatten wohl kaum daran gedacht, dass ihren Wohnungen Festungscharakter zugesprochen würde. Der trügerische Schutz der großen kommunalen Wohnbauten verleitete dazu, in ihnen etwas anderes zu sehen als sie waren  : eben Lebensraum für viele Menschen, im Falle des Karl-Marx-Hofes für hunderte Familien. Es gelang auch bei weitem nicht, alle Angehörigen des Schutzbunds zu mobilisieren. In der Brigittenau weigerten sie sich schlichtweg.189 Am 12. und 13. Februar war es noch zu größeren Aktionen gekommen. Beim Kampf um den Goethe-Hof in Wien-Kagran gab es den einzigen Luftangriff, der während der Februarkämpfe geflogen wurde, und zwar von der Luftstaffel der Heimwehr unter dem ehemaligen Feldpiloten der k. u. k. Armee und »Fliegerass« Godwin Brumowski. Am 15. und 16. Februar handelte es sich für Bundesheer und Exekutive praktisch nur mehr darum, den Karl-Marx-Hof, Floridsdorf, Kagran und Stadlau zu durchkämmen, Festnahmen vorzunehmen und Waffen zu beschlagnahmen. Der Karl-Marx-Hof wurde zu Ehren des Kommandanten der an seiner Erstürmung beteiligten Heimwehrkompanie, in Karl »Biedermann Hof« umbenannt. Am Abend des 16. waren alle Einheiten des Bundesheeres wieder in ihre Kasernen eingerückt. Der bewaffnete Aufstand war zu Ende. Natürlich war es ein ungleicher Kampf gewesen. Auch in einigen Bundesländern, vor allem in der Steiermark und in Oberösterreich, hatte sich die Revolte ausgebreitet. In den Industriegebieten der sogenannten Mur-Mürzfurche, in Bruck a. d. Mur, Leoben, Fohnsdorf und Knittelfeld, aber auch in Graz, Weiz und Voitsberg wurde gekämpft. Linz, Steyr, Attnang, Wolfsegg und Ebensee wurden vom Aufstand erfasst. Besonders dramatisch entwickelten sich die Kampfhandlungen in Bruck a. d. Mur, das von Koloman Wallisch regelrecht erobert wurde, ehe das Bundesheer den Aufstand niederwarf. In den niederösterreichischen Industriegebieten wurde gekämpft, und auch im salzburgischen Hallein und in Wörgl in Tirol kam es zu Schießereien. Doch es war ein Aufflackern und kein Flächenbrand. Das Ende war überall das gleiche  : Tote, Verwundete, Verhaftungen und die Anwendung des Standrechts. Die amtlichen Zahlen über die Opfer der Februarkämpfe sprechen von 118 Toten bei Exekutive und Bundesheer sowie von 196 Toten der »anderen Seite«. Diese dürfte

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aber viel mehr Verluste zu beklagen gehabt haben. Es gab Massenverhaftungen. 140 Schutzbündler wurden vor Standgerichte gestellt, 20 Todesurteile gefällt und neun davon vollstreckt.190 Viele Hunderte flohen. Tausende versteckten sich. Es waren also nicht nur die Kampfhandlungen an sich  – die waren ein Risiko gewesen  –, sondern auch die Verfolgungsmaßnahmen der Regierung, die unauslöschliche Spuren hinterließen. Die Folgen der Kämpfe waren daher genauso zahlreich und vielschichtig wie ihre Wurzeln. Sie waren im Inland zu merken und reichten von Hinrichtungen, Gefängnisstrafen und Verbringung in Anhaltelager bis zum Aufbau neuer, nun illegaler Parteiorganisationen und einer nicht unbeträchtlichen Verschiebung der politischen Verhältnisse. Von vielleicht noch weitreichenderer Folge waren aber die Reaktionen des Auslandes. In Italien ließ der schon genannte Unterstaatssekretär Fulvio Suvich verlauten, dass er nicht zweifle, dass die Kämpfe in Wien auf das Konto der Kommunisten gegangen wären. Dollfuß habe sich einer »Roten Armee« gegenübergesehen.191 Rumänien verfolgte mit Nervosität die Vorgänge in Österreich und »die nach Gestaltung suchende Gärung im Donauraum.«192 Jugoslawien ließ den Blick nicht von Italien, das neuerlich davon verständigt wurde, ein italienischer Einmarsch in Österreich hätte auch einen sofortigen Einmarsch jugoslawischer Truppen zur Folge.193 Ungarische Armee- und Regierungskreise äußerten sich über den Erfolg der Dollfuß-Regierung bei Niederringung der »marxistischen Aufrührer« in lobender und anerkennender Weise. Tschechische Zeitungen wussten zu berichten, dass eine deutsche Division bei Passau bereit gestanden wäre, und dass Ungarn an der burgenländischen Grenze Militär konzentrierte.194 Schließlich berichtete der britische Generalkonsul in München, Donald St. Clair Gainer, am 15. Februar an den britischen Botschafter in Berlin, Sir Eric Phipps, er habe in München Informationen erhalten, wonach die Nationalsozialisten beabsichtigt hätten, für den Fall, dass die Sozialdemokraten bei ihrem Putsch erfolgreich gewesen wären, die österreichische Grenze zu überschreiten und der Dollfuß-Regierung zu helfen, um dann als Gegenleistung entsprechende Posten in der Regierung zu bekommen.195 In Berlin meinte Hitler gegenüber dem französischen Botschafter, Dollfuß habe eine kriminelle Dummheit begangen, auf sozialistische Arbeiter, Frauen und Kinder zu schießen. Nun seien seine Hände mit Blut besudelt, er würde bald fallen und durch eine NS-Regierung ersetzt werden. Offenbar hatte jeder etwas zu sagen. Dabei konnte Dollfuß noch am 17. Februar einen außenpolitischen Erfolg für sich verbuchen, da Italien, England und Frankreich eine Garantieerklärung zur österreichischen Unabhängigkeit und Integrität »gemäß den geltenden Verträgen« abgaben.196 Außenpolitische Handlungsfreiheit aber war auch damit nicht zu gewinnen gewesen. Und das Barometer der Innenpolitik stand unverändert auf Sturm.

8. Ständestaat ohne Stände

8 Ständestaat ohne Stände

8 Zwei Buben des Österreichischen Jungvolks bei der Vereidigung. Im August 1936 wurden die regimetreuen Jugendorganisationen des Österreichischen Heimatschutzes und der Ostmärkischen Sturmscharen im Österreichischen Jungvolk zusammengefasst. Alle 6- bis 18-jährigen Buben und männlichen Jugendlichen sollten ihm angehören. Damit entstand eine der Hitlerjugend im nationalsozialistischen Deutschland ähnliche Organisation. Das Gesetz über die vaterländische Erziehung der Jugend vom 29. August 1936 tat ein Übriges, um alle Jugendorganisationen zum Beitritt zu zwingen. 1937 wurden auch die katholischen Jugendorganisationen eingegliedert. Im Jahr darauf zählte das Österreichische Jungvolk 350.000 Mitglieder. (Foto: Hanisch, Männlichkeiten)

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ie österreichische Sozialdemokratie war besiegt, die Partei aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt worden. Prominente Mitglieder waren ins Ausland geflohen, andere in Gefängnisse oder Anhaltelager gebracht und jene, die als Rädelsführer identifiziert worden waren, zum Tod verurteilt worden. In Wien wurde ein Regierungskommissär eingesetzt. Die bis dahin von der Sozialdemokratie beherrschten freien Gewerkschaften gingen der Auflösung entgegen. Es schien das Ende einer Massenpartei zu sein. Dollfuß wähnte sich als Sieger. Er hatte wie schon im März 1933 die Situation genützt, um einen Gegner auszuschalten. Dabei handelte er so, wie er es 1933 Mussolini in Riccione zugesagt hatte. Nun aber waren keine kleinen Schritte mehr gefragt. Wenn er sich weiterhin der Unterstützung Italiens sicher sein wollte, musste er die Reste von Demokratie beseitigen, alle Parteien auflösen und eine Verfassungsreform durchführen. Österreich sollte ein autoritärer Staat werden. Fulvio Suvich hatte das angemahnt. Und selbstverständlich hatte er das italienische Modell eines autoritären Staates angepriesen, in dem die Vertretung der Gesellschaft durch Verbände und nicht durch Klassen stattfinden sollte.197 Ab Mitte Februar schien auch Österreich auf dem besten Weg dahin zu sein. Rom verhehlte seine Zustimmung bei der Ausschaltung der Sozialdemokratie nicht, und schon einen Monat später wurden die Römer-Protokolle unterzeichnet, die ein enges Zusammengehen Italiens mit Ungarn und Österreich vorsahen, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Der Vertrag schlug in Berlin »wie eine Bombe« ein.198 Für Dollfuß galt es, den nächsten Schritt zu setzen. Es ging um eine neue Verfassung. Sozialdemokraten und Nationalsozialisten waren dabei nicht zu berücksichtigen, wohl aber die Heimwehren und andere noch immer existierende regierungsnahe Wehrverbände. Sie sollten in die am 20. Mai 1933 ins Leben gerufene »Vaterländische Front« eingegliedert werden und lieferten sich heftige Positionskämpfe.199 Nicht mehr zu berücksichtigen war auch die Christlichsoziale Partei. Seit dem Herbst 1933 war klar, dass ihre Tage gezählt waren. Am 6. Dezember 1933 brach ihre stärkste Stütze weg, als die katholische Bischofskonferenz den Rückzug aller Priester aus allen politischen Funktionen bekannt gab.200 Bis dahin hatten katholische Priester fünf Nationalratsmandate, drei im Bundesrat sowie eine Reihe von Positionen in der Landespolitik innegehabt.201 Mittlerweile war das primäre Ziel der katholischen Kirche, das Konkordat, erreicht. Die Christlichsozialen wurden nicht mehr gebraucht.

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Die sogenannte Maiverfassung Die Fertigstellung der Verfassung verzögerte sich immer wieder. Endlich stand der 1.  Mai 1934 als Tag fest, an dem die ständestaatliche Verfassung mithilfe einer Verordnung der Bundesregierung in Kraft treten sollte. Für Dollfuß war es eine Art persönlicher Triumph. Er hatte die Unterzeichnung des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl ein Jahr zuvor als den Höhepunkt seines politischen Wirkens gesehen. Nunmehr baute die neue Verfassung auf diesem Staatsvertrag und auf den päpstlichen Enzykliken auf, die ihm schon seit dem März 1933 Grundlage des politischen Handelns gewesen sind, und es hieß daher einleitend  : »Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische deutsche Volk für seinen christlichen deutschen Bundesstaat diese Verfassung …«. Über die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens der Verfassung gab es von allem Anfang an Diskussionen, denn die neue Verfassung konnte nur unter Zuhilfenahme des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes verabschiedet werden, dessen Anwendung fünfzehn Jahre nach dem Krieg als juristischer Kniff und Meisterleistung von Dr. Robert Hecht, einem der führenden österreichischen Juristen, gelten musste. Allerdings hatten auch die Sozialdemokraten 1929 die Geltung des Ermächtigungsgesetzes ausdrücklich bestätigt. Knapp nach Mitternacht des 1. Mai unterzeichnete der Bundespräsident das Konkordat, das schon ein Jahr auf seine Unterschrift hatte warten müssen.202 Zu Mittag trat der Öster­ reichische Nationalrat oder halt das, was als Rumpfparlament noch existierte, ein letztes Mal zusammen und verabschiedete das Gesetz über den Anwendungsbereich des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes. 74 von 76 Abgeordneten stimmten für ein neues »Bundesverfassungsgesetz über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung«. Am Nachmittag stimmte der nun ebenfalls ohne Sozialdemokraten tagende Bundesrat dem Gesetz zu. Mit Verweis darauf, dass ab diesem Tag ohnedies schon eine andere Verfassung in Geltung sei, somit in jeder Weise Rechtskontinuität gewahrt wäre, beendete dann auch der Bundesrat seine Tätigkeit, und sein Vorsitzender, Franz Hemala, der sein Amt für einen einzigen Tag ausübte, schloss mit den in ähnlichen Formulierungen am 1. Mai vielfach gebrauchten Worten  : »Wir tragen heute das Österreich des 12. November 1918 zu Grabe. Es lebe das neue Österreich, das freie, christliche und von sozialer Gerechtigkeit getragene deutsche Österreich der Zukunft.«

Es folgten »lebhafter Beifall und Heilrufe«. Auch Apologeten des Ständestaats, die eine Verbindung von deutschem Nationalismus und Katholizismus grundsätzlich befürworteten, konnten sich letztlich nicht entscheiden, »ob die Lehre vom Ständestaat ein allgemeingültiges Glaubensbekenntnis oder ausschließlich für katholische Deutsche

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gedacht war«.203 Bundespräsident Miklas hatte die Verfassung unterschrieben, und da er sein Amt noch aufgrund einer demokratischen Wahl in der österreichischen Bundesversammlung innehatte, musste man in seinem Fall letztlich wohl von Legitimität ausgehen. Und dass es sich bei dem, das folgte, um eine »pseudo-mittelalterliche Konstruktion« gehandelt habe,204 traf den Sachverhalt ganz sicher nicht. Neo-Romantik passte schon eher. Kernpunkt der Maiverfassung war die Einsetzung einer autoritären Staatsführung. Die Macht wurde vom Parlament zur Regierung verschoben. Der Bundespräsident, dessen Amtszeit auf sieben Jahre verlängert wurde, vor allem aber der Bundeskanzler erhielten erheblich erweiterte Kompetenzen. Vier Gremien sollten Gesetze vorberaten und eine Art Scheinparlament darstellen  : der Staatsrat, der Bundeskulturrat, der Bundeswirtschaftsrat und der Länderrat. Von ihnen wurde der berufsständisch organisierte Bundestag beschickt – oder eigentlich  : Von ihnen hätte der Bundestag beschickt werden sollen. Denn der Aufbau der ständestaatlichen Gremien blieb schon in den Ansätzen stecken. Nichtsdestoweniger galt die Maiverfassung vom ersten Tag an. Vielerorts kam es zu patriotischen Aufmärschen, der größte Aufmarsch der Stände fand vor dem Wiener Rathaus statt. Der Maler Ludwig Koch hielt die Szene in einem Gemälde fest. Und da es ein Auftragswerk war, malte er in die Mitte der Menschengruppe, die aus Vertretern der sieben Stände gebildet wurde, den Führer der Wiener Heimwehr, Emil Fey, hinein, hoch zu Ross und dominant. Doch Fey war an diesem Tag in Graz. Und außerdem wurde er gerade an diesem Tag als Vizekanzler von seinem Kontrahenten Ernst Rüdiger Starhemberg abgelöst. Ganz offensichtlich hatten die Querelen innerhalb des Regierungslagers mit der neuen Verfassung kein Ende gefunden. Der Kanzlermord Vieles harrte noch der Präzisierung und Ausformung. Doch an manchem konnte wohl niemand mehr vorbeischielen. Der Bundesstaat Österreich, wie er offiziell seit dem Mai 1934 hieß, hatte sich in ein autoritär regiertes Staatswesen gewandelt. Wäre Dollfuß in seinem Machtanspruch ähnlich weit gegangen wie Hitler in Deutschland, wäre wohl auch die Bezeichnung Kanzlerdiktatur zutreffend. Doch Dollfuß hatte sich bei weitem nicht jene Position sichern können, die ihm eine diktatorische Machtfülle beschert hätte. Die organisierte Linke war zwar zerschlagen  ; die Auseinandersetzungen um Ideologie und Zukunft fanden innerhalb der Rechten statt. Dollfuß musste aber auch berücksichtigen, dass er mit Miklas noch immer ein dem alten Regime verpflichtetes Staatsoberhaupt an seiner Seite, ja sogar im selben Haus auf dem Ballhausplatz hatte, einen Bundespräsidenten, der zwar 1933 willfährig genug gewesen war, die Ausschaltung des Parlaments zu ermöglichen, dem Kanzler aber immer wieder durch Wi-

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derspruch zu schaffen machte. Es war zwar überlegt worden, die Amtszeit von Miklas vorzeitig zu beenden, dann aber hatte sich doch die Meinung durchgesetzt, dass man ihn bis 1936 ausdienen lassen sollte. Erst dann wären die Bürgermeister aufgerufen gewesen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Es sollte nicht dazu kommen. Miklas war nicht bereit gewesen, sich mit der Heimwehr zu solidarisieren, und es war wohl auch nicht vergessen worden, dass es Wilhelm Miklas gewesen war, der bei der Abstimmung über das erste Grundgesetz der Republik gegen die Formulierung »Deutschösterreich ist Teil der deutschen Republik« Einwände gehabt hatte. Gerade das war sicherlich auch Dollfuß bewusst und ließ ihn die Verbindung enger gestalten. Von Seiten des Bundespräsidenten hatte er keinen Widerstand zu erwarten, wohl aber musste er sich sagen, dass er sich trotz aller Bemühungen nicht auf die in der Vaterländischen Front aufgegangenen bewaffneten Formationen verlassen konnte. Da spielten nach wie vor Starhemberg und Fey eine Rolle. Dollfuß war zwar Bundesführer der Vaterländischen Front, doch sein Stellvertreter war Starhemberg. Und Emil Fey war immer noch mächtig, auch wenn er nicht mehr Vizekanzler war. Der Kanzler hatte auch keine Möglichkeit, seinen Machtanspruch gegenüber den Nationalsozialisten durchzusetzen und musste mehr oder weniger hilflos zusehen, wie sich der nationalsozialistische Terror ab dem Februar 1934 neuerlich steigerte. Das unterstrich denn auch den Unterschied zwischen dem »Führer« Adolf Hitler und dem »Bundesführer« Engelbert Dollfuß. Dollfuß war und blieb abhängig, und Österreich musste den Terror ertragen und gleichzeitig Freundlichkeit verströmen. Das autoritäre Regime ging mit kleinen Schritten daran, die politischen Strukturen zu verändern und den Ständestaat auszugestalten. Dabei kamen auch antikapitalistische Tendenzen zum Tragen. Am nachhaltigsten waren die Veränderungen im gesellschaftspolitischen Bereich. Schon im Januar 1934 war durch einen Erlass des Bundesministeriums für Unterricht von allen Lehrern der Beitritt zur Vaterländischen Front gefordert worden. Andere Berufsgruppen folgten. Mit dem Inkrafttreten von Konkordat und Maiverfassung wurde das Eherecht neu gestaltet. Von da an galt einzig und allein eine kirchliche Ehe als gesetzmäßig. Das im September 1933 geschaffene Anhaltelager Wöllersdorf bei Wiener Neustadt füllte sich immer wieder.205 Nach dem Februar 1934 waren es vornehmlich Sozialdemokraten gewesen  ; jetzt nahmen wieder die Nationalsozialisten überhand. Zu Wöllersdorf war auch das Lager Kaisersteinbruch gekommen, in dem sich Anfang April 1934 schon 629 Häftlinge, vornehmlich illegale Nationalsozialisten wie der Wiener Rechtsanwalt Ernst Kaltenbrunner, befanden. Die Häftlinge wurden Ende April nach Wöllersdorf verlegt. Die NSDAP wuchs und wuchs. Seit Hitlers Machtantritt hatte sich der Mitgliederstand der Partei in Österreich verdoppelt und betrug im Juli 1934 rund 90.000.206 Offen wurde zum Terror aufgerufen und dabei mit unsäglicher Frivolität auch zu Selbstmordattentaten geraten. Wenn sich schon jemand umbringen wollte, dann könnte er

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doch gleich auch »einen Heldentod suchen und immer ein paar Schuldige an ihrer Not mitnehmen.«207 Wenn nötig, galt auch das vielbeschworene Deutschtum nicht mehr. Marburg und Laibach wurden zu Stützpunkten der österreichischen Nationalsozialisten, die von dort aus ihre antiösterreichische Tätigkeit entfalteten. In aller Ungeniertheit wurde Slowenien angeboten, im Fall des Anschlusses an Deutschland das ehemalige Abstimmungsgebiet in Südkärnten an Jugoslawien abzutreten.208 Die Meisten, die nach Attentaten als Verdächtige verhaftet wurden, kamen gegen Gelöbnis wieder frei  – und hielten sich nicht an ihr Versprechen. Die Regierung steigerte den wirtschaftlichen Druck und trachtete, Nonkonformisten notfalls durch Geiselaushebungen in die Knie zu zwingen. Schließlich agierten auch die Scharfrichter und vollstreckten die Todesstrafe. Sie war nach einem Schussattentat auf Dollfuß am 11. November 1933 als Maßnahme angedroht worden, sollte es zur Verhängung des Standrechts kommen. Die Todesstrafe galt für Mord, Brandstiftung und boshafte Sachbeschädigung. Ab dem Februar 1934 kam sie zur Anwendung. Am 1. Juli 1934 wurde die Todesstrafe auch im ordentlichen Verfahren für die genannten Verbrechen sowie für Totschlag und Sprengstoffdelikte in Kraft gesetzt. Damit reagierte der Kanzler auf die zunehmende Zahl von Sprengstoffanschlägen. Auch der Besitz von Sprengstoff war ein Kapitalverbrechen. Am 24. Juli wurde im Wiener Landesgericht Josef Julius Gerl hingerichtet, kein Nationalsozialist, sondern ein Sozialdemokrat, der einen Sprengstoffanschlag auf die Wiener Donauuferbahn durchgeführt hatte.209 Tags darauf, am 25.  Juli, erreichte der Terror einen neuen und letzten Höhepunkt. Um die Mittagszeit dieses Tages fuhren von der Wiener Stiftskaserne 154 Angehörige der SS mit Bundesheerlastwagen und in Bundesheeruniformen los und kamen zur Zeit der Ablöse der Ehrenwache vor dem Bundeskanzleramt auf dem Wiener Ballhausplatz an.210 Die Aktion war monatelang überlegt und wochenlang vorbereitet worden. Hitler war informiert und hatte zugestimmt, verfolgte aber zunächst wohl nur das Ziel, in Österreich einen dem deutschen Regime freundlich gesonnenen Kanzler einzusetzen und die Regierungsbeteiligung von Nationalsozialisten zu erreichen. Dieses Vorgehen entsprach dem, was Hitler mit Mussolini bei einem Treffen am 14. Juni 1934 in der Villa Pisani in Stra besprochen hatte. Zumindest hatte Hitler Mussolini so verstanden, dass Italien einem Kanzler- und Regimewechsel in Österreich nicht im Weg stehen würde.211 Die Vorgeschichte des 25. Juli wurde aber nicht nur von der großen Politik begleitet, sondern von jeder Menge persönlicher Eitelkeiten, Intrigen, Aufdeckertum, Spitzeln, Informanten, Verrat und immer wieder Zufällen. Der Putsch war für den 24. geplant gewesen, da an diesem Tag die letzte Ministerratssitzung vor der Sommerpause stattfinden sollte. Am Tag davor trafen sich die »Köpfe« der Verschwörung, der Bayer Rudolf Weydenhammer, der Wiener Rechtsanwalt Otto Gustav Wächter, der mittlerweile die illegale NSDAP in Österreich leitete, und der ehemalige Unteroffizier des Bundesheers, Fridolin Glass, der die Aktion durchführen sollte. ­Außer

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den Dreien war noch eine Menge Leute mehr oder weniger gut informiert. Auch der deutsche Gesandte, Kurt Rieth, war in Kenntnis dessen, was da geplant war.212 Und selbstverständlich der als Nachfolger von Dollfuß vorgesehene Anton Rintelen, früherer Landeshauptmann der Steiermark und zweimaliger Bundesminister, nunmehr österreichischer Gesandter beim Vatikan. Er hatte sich bereitwillig zur Verfügung gestellt. Doch wie so oft erreichte der Zufall historische Dimensionen. Clausewitz nannte es eine Friktion, wenn die ausgeklügeltsten Planungen durch etwas Unvorhergesehenes zunichte gemacht wurden. Als die Aktion damit starten sollte, dass ein Trupp Bundespräsident Miklas in Velden am Wörthersee festsetzen sollte, während die Putschisten in Wien zur Tat schritten, erfuhr Rintelen, dass die vorgesehene Ministerratssitzung auf den folgenden Tag verschoben worden war. Also hieß es eilig umdisponieren. Die Putschisten, mit Masse Angehörige der illegalen SS-Standarte 89, fuhren erst am 25. Juli zu Mittag von der Stiftskaserne los. Sie wurden beobachtet. Meldungen jagten durch Wien, es würde sich etwas vorbereiten, und der Sturm des Kanzleramts sei geplant. Die Anrufe erreichten teils die Falschen, kamen zu spät oder wurden nicht ausreichend beachtet. Statt die Tore des Kanzleramts zu schließen, blieben diese offen, und es störte auch nicht, dass acht (oder mehr) Lastkraftwagen mit Soldaten, Polizisten und Zivilisten ins Kanzleramt einzufahren suchten. Die Putschisten stürmten das Gebäude, durchsuchten es und mussten feststellen, dass sie zu spät gekommen waren. Dollfuß, der aufgrund der auch ihm zu Ohren gekommenen Gerüchte einen Anschlag fürchtete, hatte die Sitzung des Ministerrats nach einer Viertelstunde unterbrochen  ; die meisten Minister hatten das Kanzleramt bereits verlassen. Im Gebäude waren der Bundeskanzler, der zum »Generalstaatskommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen in der Privatwirtschaft« degradierte Emil Fey, der Staatssekretär für das Sicherheitswesen Carl Karwinsky und einige Bedienstete zurückgeblieben. Schüsse und Schreie alarmierten den Kanzler. Er suchte über einen Notausgang in das mit dem Kanzleramt verbundene Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu entkommen. Ein Portier wollte aufsperren und war nicht schnell genug. Zehn mit Pistolen bewaffnete Männer gingen auf den Kanzler los. Zwei Schüsse fielen, der erste aus nächster Nähe. Und er war tödlich. Die Tötung des Bundeskanzlers mochte wohl nicht in der Absicht der Putschisten gelegen sein. Sie wollten den Kanzler festnehmen, scheuten sich aber auch nicht, ihn zu verwunden oder zu töten. Über den Rundfunk ließen die Putschisten den Sturz der Regierung und die Ernennung von Anton Rintelen zum Bundeskanzler bekannt geben. Es war verfrüht. Ein zweiter Trupp war wohl ins Rundfunkgebäude in der Johannesgasse im Wiener 1. Bezirk gefahren und sollte dafür sorgen, dass die Meldung von der Übernahme der Kanzlerschaft durch Rintelen rasch Verbreitung fand. Die Meldung wurde kurz hintereinander zweimal verlesen. Dann zerstörte der Schuss eines Polizisten die Senderöhre.

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Währenddessen ging das langsame Sterben des Kanzlers vor sich. Ärztliche Hilfe wurde ihm verweigert. Seine Bitte nach einem Priester ignoriert. Dollfuß starb. Verhandlungen über den Abzug der Putschisten wurden wohl geführt, endeten aber mit deren Festnahme. Und da es im Kanzleramt einen Toten gegeben hatte, wurden alle Zusagen über einen freien Abzug gegenstandslos. In Standgerichtsverfahren wurden dreizehn Männer, die als Anführer identifiziert wurden oder sich wie Otto Planetta zu den Schüssen auf den Kanzler bekannten, zum Tod verurteilt und hingerichtet.213 Außerhalb der Hauptstadt hatte die SA ihren Beitrag zum politischen Umsturz leisten wollen, damit der »Ruhm« nicht nur der SS zufiel. Die kurze Rundfunkdurchsage hatte genügt, um die Alarmierung durchzuführen. Was zu tun war, war klar. Hakenkreuzfahnen wurden gehisst. Auf Plakaten wurde nicht nur die Machtübernahme bekannt gegeben, sondern auch ein Beispiel für Selbstverleugnung oder aber schlicht für Desinformation geliefert, denn es wurde von einem Österreich gesprochen, das nach allen Seiten hin unabhängig sein müsste. Dazu sollte es auch eine Volksabstimmung geben. Von Anschluss war nicht die Rede.214 In den auf den Putschversuch in Wien folgenden Tagen entbrannten in einigen Bundesländern Kämpfe, über deren Beweggründe man noch immer rätselt. Wollte die SA das Ruder doch noch herumreißen  ? Der österreichische SA-Führer, Hermann Reschny, hatte im Juni Pläne zur Ermordung von Dollfuß ausarbeiten lassen und sah sich nun von der SS in den Hintergrund gedrängt.215 Sollte der SS mit dem bewaffneten Aufstand demonstriert werden, dass die SA erfolgreich putschen konnte  ? Machten sich regionale SA-Führer selbständig  ? Im Salzburgischen Lamprechtshausen kam es noch in der Nacht vom 27. zum 28.  Juli, nachdem abermals das Standrecht verkündet worden war, zu einer wilden Schießerei mit acht Toten.216 Im Pyhrngebiet wurde gekämpft, im Ennstal und ebenso kurze Zeit in Kärnten, wo der Versuch, Bundespräsident Miklas zu verhaften, fehlgeschlagen war. Einige nationalsozialistische Trupps konnten nach Jugoslawien ausweichen und wurden schließlich nach Bayern weitergeleitet, wo sie die Österreichische Legion verstärkten. Diese hatte sich auf einen Einmarsch vorbereitet gehabt. Einige Legionäre überschritten tatsächlich die Grenze zum Mühlviertel und wurden nach ein paar Überfällen und einer Schießerei bei Kollerschlag eiligst zurückbeordert. Es sollte ja keinen internationalen Zwischenfall geben und eine Art Krieg vom Zaun gebrochen werden. Womit die Putschisten wohl zum wenigsten gerechnet haben mochten, war die Tatsache, dass das Bundesheer keinerlei Anzeichen erkennen ließen, womöglich mit den Putschisten gemeinsame Sache machen zu wollen. Daran änderte auch nichts, dass eine nennenswerte Zahl von Heeresangehörigen illegale Nationalsozialisten waren. Wo Exekutivkräfte eingesetzt wurden, gingen sie kompromisslos gegen die nationalsozialistischen Trupps vor. Dass nicht alles glatt abgelaufen war und es auch bei der Polizei von NS-Sympathisanten wimmelte, konnte man erst daran ablesen, dass nachträglich

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gegen rund 200 Polizisten ermittelt wurde, der Leiter der Kriminalpolizei in der Wiener Bundespolizeidirektion, Otto Steinhäusl,217 einstmals wegen seiner Rolle bei der Aufklärung des Spionagefalls Oberst Redl hoch ausgezeichnet, entlassen und weitere hohe Polizeibeamte verhaftet wurden. In Schulen und Tanzsälen wurden Notarreste geschaffen, in die nach und nach Tausende eingeliefert wurden, die überführt oder verdächtigt wurden, am Aufstand der Nationalsozialisten teilgenommen zu haben. In Klagenfurt zählte man Mitte August rund 2.000 Gefangene, in Oberösterreich 1.300, in der Steiermark 1.200. Mittels Sondergerichtsbarkeit wurden sechs Militärgerichtshöfe geschaffen. Eine Zeitlang wurde in der Bundesregierung, die kurz unter dem Vorsitz Starhembergs und dann unter dem von Justizminister Kurt Schuschnigg tagte, erwogen, Milde walten zu lassen. Doch dann setzte sich die Meinung durch, dass man Härte zeigen sollte. Es gab Vermögensverfall und Zwangsarbeit. In den Anhaltelagern zählte man am 23. September 13.388 politische Häftlinge  ; etwa ein Drittel waren Teilnehmer des Aufstandsversuchs.218 Je nach politischer Gesinnung und Empfinden wurde der Kanzlermord betrauert, bejubelt oder ließ gleichgültig. Bald machte das Wort vom »Heldenkanzler« die Runde. Es war nicht schwer, ihm eine Märtyrerrolle zuzuweisen. Er »starb für Österreich«. Die Massen strömten zur Trauerkundgebung auf den Wiener Rathausplatz. Die Verabschiedung des Kanzlers und der Kondukt durch die Stadt sahen Hunderttausende auf den Straßen. Jenseits der politischen Elite und der Diplomatie war es vielleicht überraschend, dass ausgerechnet Karl Kraus in der »Fackel« jene apostrophierte, »die ihn [Dollfuß] noch im Tode zu schmähen« wagten.219 Und Hitler  ? Der war während einer Aufführung von Wagners »Rheingold« in Bayreuth über die Vorgänge in Wien informiert worden. Angesichts des gescheiterten Aufstands ging es nur noch um Schadensbegrenzung. Umso mehr, als Mussolini ganz anders reagierte, als es Hitler erwartet hatte. Der »Duce«, der am Abend des 25. Juli die Aufgabe hatte, der auf seine Einladung hin in Riccione urlaubenden Alwine Dollfuß den Tod ihres Mannes mitzuteilen, ließ zwei italienische Divisionen, die in Südtirol an Manövern teilnahmen, an die Kärntner und die Tiroler Grenze dirigieren und machte aus seiner Abscheu über das Geschehene kein Hehl. Hitler konnte nicht ausschließen, dass sich Italien und Frankreich zu einer gemeinsamen Aktion bereitfinden könnten, sollte die Österreichische Legion in Österreich einmarschieren und es zu einer militärischen Eskalation kommen. Er war über die Haltung Mussolinis zutiefst empört. Propagandaminister Goebbels notierte, Hitler habe mit Italien innerlich gebrochen. »Es ist aus mit Italien. Die alte Treulosigkeit«.220 Doch Hitler handelte rasch. Der deutsche Gesandte in Wien, Kurt Rieth, wurde noch in der Nach zum 26. Juli abberufen. Eine deutsche Mitwirkung an den Vorgängen wurde – selbstverständlich – geleugnet. Die Österreichische Legion musste ihre Waffen an die Reichswehr abliefern. Alle in irgendeiner Weise belastenden Dokumente mussten auf Weisung Hitlers vernichtet

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werden. Tatsächlich blieben nur Aussagen, Prozessakten und Memoiren übrig. Zurück blieb ein toter Kanzler, dessen Ermordung aber keine innenpolitische Krise nach sich zog, sondern nur den nächsten politischen Wandel einleitete und einen Wechsel der handelnden Personen mit sich brachte. Ein besseres Deutschland  ? Wie so häufig nach einem Ereignis begannen sich Fragen über das Geschehene und dessen Hintergründe aufzudrängen  : Wer hatte von den Putschvorbereitungen gewusst  ? War Planetta der einzige gewesen, der auf den Kanzler geschossen hatte  ? Welche Rolle spielte Anton Rintelen, der in einem Wiener Kaffeehaus saß und darauf wartete, als Bundeskanzler in das Palais Kaunitz auf dem Ballhausplatz einzuziehen  ? Warum begann der Aufstand in Lamprechtshausen erst am Abend des 27.  Juli, als eigentlich schon alles vorüber war, und immer wieder  : Wer hatte innerhalb der NS-Führung von den Vorbereitungen gewusst und welche Folgen hätte das alles haben sollen  ? Da der Aufstand niedergeschlagen worden war, ja sich eigentlich von selbst erledigte, Deutschland keine Anstalten zeigte, den Aufstand zu unterstützen, waren die außenpolitischen Folgen des 25. Juli 1934 überschaubar geblieben. Der Bundespräsident hatte, nachdem ihn die Nachricht vom Tod des Bundeskanzlers erreichte, Kurt Schuschnigg mit der Führung der Amtsgeschäfte betraut. Schuschnigg, der dem Kabinett seit 1932 als Justizminister angehörte und 1933 zusätzlich Unterrichtsminister geworden war, konnte Kontinuität deutlich machen. Was aber noch wichtiger war  : Er war Reichsführer der Ostmärkischen Sturmscharen, also kein Heimwehrfunktionär, und stand daher weder im »Lager« Starhembergs noch dem Feys. Um die Sache aber doch nicht ganz so einfach zu machen, blieb Starhemberg Vizekanzler und wurde gleichzeitig Bundesführer der Vaterländischen Front  ; Schuschnigg wurde sein Stellvertreter. Die beiden waren sich also wechselseitig übergeordnet. Doch das Bild von zwei Konsuln, das sich wohl aufdrängen mochte, trog. Schuschnigg bestimmte die Politik. Im Westen, bei Briten und Franzosen, überwog die Hoffnung, er würde den Kurs von Dollfuß fortsetzen, dem man deshalb nach und nach Sympathien entgegen gebracht hatte, weil er sich als Prellbock gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland erwiesen hatte. In Italien konnte Schuschnigg auf Unterstützung zählen, da er den italienischen Kurs seiner Vorgänger und vor allem Dollfuß’ beizubehalten versprach. Für die größeren wie für die kleineren europäischen Mächte war Österreich aber ohnedies und so, wie es Hitler sah, eine »innere Angelegenheit« Deutschlands. Daher zählte Hitler zweifellos mehr als Dollfuß und insbesondere Schuschnigg. Der hatte zusätzlich noch mit einer ganzen Reihe von Handicaps zu kämpfen  : Ihm fehlte die gewinnende Art des ermordeten Kanzlers, die über manches hatte hinwegsehen lassen. Schusch-

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nigg war steif, und das ließ ihn immer mehr in die Isolation abdriften. Er begegnete ausländischen Staatsmännern betont höflich und korrekt, doch ohne jede Wärme. Schuschnigg war Legitimist und exekutierte nur aus politischer Notwendigkeit, jedoch nicht aus Überzeugung die Habsburgergesetze von 1919. Damit sicherte er sich das tiefe Misstrauen der Nachfolgestaaten. Und auch innenpolitisch konnte er mit keinen besonderen Sympathien rechnen. Die Sozialdemokraten hatten nicht vergessen, dass er im Dezember 1933 die Todesstrafe wieder eingeführt hatte. Und er bestätigte die Verdikte. Justizminister Schuschnigg hatte von den zwanzig Todesurteilen des Februar 1934 neun vollstrecken lassen, darunter das Urteil gegen den schwer verwundeten Karl Münichreiter. Für die Sozialdemokraten war er daher nicht minder gebrandmarkt wie Engelbert Dollfuß. Die österreichischen Nationalsozialisten sahen in ihm ein Feindbild, weil er auch in ihrem Fall nicht zögerte, jene mit dem Tod bestrafen zu lassen, die sich schwerer Verbrechen, vor allem Tötungsdelikten, schuldig gemacht hatten. Auch nach dem Kanzlermord und den Kämpfen im Gefolge des Juliputsches hatte Schuschnigg keine Veranlassung gesehen, Milde walten zu lassen. Der neue Kanzler war daher von allem Anfang an kein Sympathieträger. Wie es um die außenpolitische Situation Österreichs bestellt war, erfuhr Schuschnigg erst nach und nach. Im August 1934, bei seinem Antrittsbesuch in Rom, musste er zur Kenntnis nehmen, dass Dollfuß mit Mussolini nicht nur Wirtschaftsvereinbarungen getroffen hatte und mit der Unterzeichnung der Römer Protokolle im März ein engeres Zusammengehen Österreichs mit Italien und Ungarn vereinbart hatte, sondern Italien auch militärisch einiges versprochen worden war, das mehr als problematisch war, etwa das Durchmarschrecht für italienische Truppen durch Österreich im Fall eines Kriegs gegen Jugoslawien. Italien sollte aber auch Truppen über Österreich hinweg nach Norden verschieben können, falls Italien Österreich gegen Deutschland militärisch unterstützen sollte. In dem Zusammenhang bekam auch der Weiterbau der halbfertigen Großglockner Hochalpenstraße eine zusätzliche Bedeutung, da damit nicht nur Arbeitsmöglichkeiten geschaffen wurden, sondern auch eine strategische Route entstand.221 Das Regime pumpte 14 % der gesamten Straßenbauausgaben in die Glockner-Straße. Über 3000 Arbeiter waren am Bau beteiligt. Mit Italien schien somit alles klar zu sein. Im Januar 1935 gaben Briten und Franzosen eine scharfe Erklärung zur Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit hinaus und vereinbarten ein paar Wochen später, sich im Fall einer Bedrohung der österreichischen Integrität zu konsultieren.222 Und noch einmal, im April 1935, bekundeten Briten und Franzosen in der Schlussresolution einer Konferenz in Stresa, dass sie entschlossen waren, den Schutz der österreichischen Unabhängigkeit zu gewährleisten.223 Das nationalsozialistische Deutschland zeigte sich unbeeindruckt. Schuschnigg warb beim Völkerbund in Genf um Garantien für die österreichische Unabhängigkeit. Er bekam sie nicht. Das Wort, das dann die Runde machte und auch in ein französisch-italienisches Abkommen ein-

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floss, war »Nichteinmischungspakt«.224 Jugoslawien, die Tschechoslowakei aber auch Ungarn und vollends Deutschland waren jedoch dagegen, Nichteinmischung vertraglich zuzugestehen. Woraus man den Schluss ziehen konnte, sie wollten sich einmischen oder sich zumindest diese Option offen halten. Also wurde zwar viel darüber gesprochen, doch nichts verbindlich zugesagt. Der Anschluss war zwar weiterhin verboten, aber die Unabhängigkeit Österreichs notfalls auch durch militärisch wirksame Garan­ tien abzusichern, lag nicht im Interesse der europäischen Staaten. Österreich sollte selbst dafür sorgen, dass es bei der Trennung von Deutschland blieb. Mussolini drängte Österreich zu einer beschleunigten Aufrüstung. Das würde dem Land nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch die Chance geben, zusammen mit Deutschland vorzugehen und bei dessen von Mussolini erwartetem Angriff auf die Tschechoslowakei dabei zu sein.225 International, so ließ Mussolini Schuschnigg auch wissen, würde das militärische Potential eines Staates nicht in Brigaden, sondern in Divisionen gemessen. Also sollte auch Österreich von seinen acht kleinen Brigaden zu den größeren Divisionen übergehen. Schuschnigg tat, wie ihm geraten wurde. Und Italien übernahm es abermals, die Aufrüstung Österreichs durch die Lieferung von Rüstungsgütern, vor allem aber durch die Übernahme von rund zwei Drittel der Kosten zu fördern. Um ein tatsächlich adäquates Heer mit einer einigermaßen modernen Bewaffnung zu haben, bedurfte es freilich der Aufhebung etlicher militärischer Bestimmungen des Vertrags von Saint-Germain. Das stieß auf den Widerstand der Kleinen Entente, deren Partner befürchteten, auch Ungarn könnte dann gleichziehen wollen. Schließlich kam der Anstoß von außen  : Hitler erklärte, sich nicht mehr an die Rüstungsbeschränkungen des Friedensvertrags von Versailles halten zu wollen. Aus der bis dahin betriebenen verdeckten wurde eine offene Aufrüstung. Im März 1936 ließ Hitler die Deutsche Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland einrücken. Frankreich nahm es hin. Am 1. April 1936 verkündete Schuschnigg die Allgemeine Bundesdienstpflicht. Von da an sollten Bundesbürger männlichen Geschlechts vom 18. bis zum 42. Lebensjahr zur Dienstleistung mit oder ohne Waffen herangezogen werden. Es wäre eine natürliche Pflicht der Bundesbürger, hieß es in dem Gesetz, als Gegenwert für die Leistungen des Staates einen einjährigen Dienst für öffentliche Zwecke zu leisten, »wenn die Allgemeinheit dieser Dienste bedarf«.226 Wieder waren es einige Staaten der Kleinen Entente, die gegen diese Maßnahme protestierten und sich in Wien dagegen »energisch« verwahrten. Die Großmächte aber akzeptierten den Schritt, den man wohl als unvermeidlich ansah und der ganz in das Konzept der Nichteinmischung passte. Ganz offensichtlich kam es auf die Sichtweisen an. Adolf Hitler ignorierte die Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles und trat selbstbewusst auf, während Österreich ein ums andere Mal an die Einhaltung der Bestimmungen von Saint-Germain gemahnt wurde. Trotz oder gerade wegen der Rivalitäten wurde Deutschland zum Vorbild für Österreich. In Deutschland hatte man offensichtlich ein Mittel gefunden, die Arbeitslosig-

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keit zu beseitigen  ; das Land prosperierte. Während man in Österreich nur langsam von der Maximalzahl von 560.000 Arbeitslosen wegkam. In Deutschland herrschte allem Anschein nach Ordnung, gab es klare politische und gesellschaftliche Strukturen, während auch der Ständestaat weiterhin von Separatinteressen und disparaten Gruppen zerrissen wurde. Zwar war dafür in erster Linie die NSDAP verantwortlich, doch das verhinderte nicht, dass Hitler und seine Partei immer mehr Anhänger gewannen. Und Österreich war drauf und dran, im Ausland Sympathien zu verspielen. Lediglich in einem Bereich konnte Schuschnigg punkten  : Er pries Österreich als »das bessere Deutschland« und bot jenen Zuflucht an, die aus politischen und vor allem rassischen Gründen das nationalsozialistische Deutschland verließen. Es war der kürzeste Weg, um in ein Land zu kommen, in dem sich die jüdische Intelligenz demonstrativ mit dem Staat identifizierte und den Nationalsozialismus ablehnte. Karl Kraus, Felix Salten, Franz Werfel, aber auch Ernst Gombrich, Karl Popper und Sigmund Freud, ursprünglich wohl Parteigänger oder zumindest Sympathisanten der Sozialdemokraten, bekannten sich zum Ständestaat und konnten selbst als Sinnbilder eines besseren Deutschland gelten.227 Österreich, so die Parole, »verkörpert das wahre Deutschtum«. Es sollte den Kampf gegen den Nationalsozialismus führen, »ohne dabei gesamtdeutsche Interessen zu verletzen«.228 Das brachte den Herolden dieses Balanceaktes zwar Anerkennung ein, doch auf Dauer ließen sich die österreichischen Probleme damit nicht lösen. Und bei genauerem Hinsehen musste man auch am »besseren Deutschland« einige Zweifel anmelden. Österreich war durchaus erfolgreich auf einen patriotischen Kurs eingeschworen worden. Stolz auf die Geschichte, auf die historische Rolle des Landes, auch und besonders die militärischen Erfolge und die zivilisatorischen Leistungen, hatte jenes schon immer falsche Bild vom »Staat, den keiner wollte« abgelöst. Jetzt ging es darum, die Vergangenheit zu instrumentalisieren. Schon in der Volksschule wurde Österreichertum vermittelt. »Im Schuljahr 1935/36« gab es eine Änderung »im Geschichtsunterricht, Sprachlehre und Turnen.  … Eine besondere Betonung erhielt der religiös-vaterländische Gedanke. Wo nur möglich, wurde in den einzelnen Gegenständen die vaterländische Erziehung vertieft. … Im Singen wurden alte Soldatenlieder mehr geübt. … Die Lehrerbücherei wurde durch zeitgemäßen Stoff ausgestattet. (Wehrgeographie von Österreich, Vormilitärische Jugenderziehung, Soldatenblatt).  … Die körperliche Ausbildung erhielt in der vormilitärischen Jugenderziehung eine besondere Note«,

hieß es in der Schulchronik der kleinen Weinviertler Gemeinde Rabensburg.229 In Tausenden anderen wurde wohl sehr ähnlich formuliert. Die Begleiterscheinungen waren freilich durchaus geeignet, Skepsis zu nähren.

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In Deutschland war das Hakenkreuz zum alles beherrschenden Symbol geworden. Der Ständestaat setzte ihm das Kruckenkreuz entgegen. Bei der Vaterländischen Front grüßte man mit »Front Heil«. Die Uniformierung war durchgängig geworden. Beamte trugen Uniformen, Heimatschützer, die mutierten Reste einstmaliger Wehrverbände und zahllose Organisationen hatten uniformähnliche Kleidungsstücke. Ohne solche vermisste man ein Erkennungszeichen und war regelrecht »nackt«. Selbiges war man auch, wenn man als Gymnasiast nicht das »Seid-einig«-Schülerabzeichen der Vaterländischen Front angesteckt hatte.230Ausgerechnet am 30. Januar, dem Tag der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, feierte man 1935 den »Tag des neuen Österreich« mit Fackelzügen und Marschmusik.231 Das Mutterschutzwerk und das Kinderferienwerk hatten große Ähnlichkeit mit nationalsozialistischen Einrichtungen. Das »Öster­ reichische Jungvolk«, dem 350.000 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren angehörten, ließ sich mit der Hitlerjugend vergleichen. Deutschland forcierte den Ausbau der Infrastruktur und baute Straßen. Österreich suchte gleichzuziehen, hatte dazu allerdings weniger Geldmittel zur Verfügung und blieb Schuldner. Dennoch wurden Großprojekte wie die Wiener Reichsbrücke und die Wiener Höhenstraße, Straßen über die Pack, Plöcken, Gerlos, Iselsberg und Hochtannberg begonnen, bei denen möglichst wenige Maschinen und umso mehr Menschen beschäftigt werden sollten. Mag sein, dass das zunächst noch »unproduktive Investitionen« waren,232 doch sie verschafften zumindest eine gewisse Erleichterung, sollten helfen, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die deutsche Propaganda zu unterlaufen. Deutschland hatte mit dem brutalen Vorgehen gegen Kommunisten und ideologische Gegner des Nationalsozialismus eine Art Schockstarre ausgelöst und mit der Schaffung von Konzentrationslagern einen Weg vorgezeichnet, dem Österreich zwar bei weitem nicht so brutal, jedoch willig folgte. Die österreichische Variante, die Anhaltelager Wöllersdorf und Kaisersteinbruch, konnte man zumindest als beständige Drohung sehen. Und die Maßnahmen der Regierung wurden immer autoritärer. Das Ende des Paramilitarismus bedeutete nicht das Ende der bewaffneten Verbände. Es waren nur einige verboten worden. Andere hatten zumindest zeitweilig noch ihre Vertreter in der Regierung sitzen. Die katholische Kirche hatte trotz ihres Rückzugs aus den politischen Vertretungen eine so beherrschende Stellung erlangt, ja eigentlich zugewiesen bekommen, dass die Zugehörigkeit zu ihr in vielen Fällen über die Möglichkeit einer Anstellung entschied, und wo das nicht der Fall war, sollte zumindest der Mitgliedsausweis der Vaterländischen Front den Nachweis eines bekennenden Österreichertums erbringen. In Deutschland bemühte man sich um Aufnahme in die NSDAP. In Österreich um jene in die VF. Abseits der Politik wurde man nicht müde, auf die Gemeinsamkeiten und die Überschneidungen österreichischer und deutscher Wissenschaftsströmungen hinzuweisen. Das Reichsarchiv in Berlin und das Kriegsarchiv in Wien arbeiteten bei der Abfassung

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der großangelegten Werke über den Ersten Weltkrieg eng zusammen. An den österreichischen Universitäten wurde die Aufarbeitung der Reichsgeschichte zentrales Anliegen. Heinrich Srbiks vierbändiges Werk »Deutsche Einheit« war beredter Ausdruck davon. Nationalökonomen und Naturwissenschaftler vertraten ähnliche Auffassungen und führten normale wissenschaftliche Dialoge. Besonders auffällig waren die identen Ansichten der Eugeniker. Gerade bei der Rassenlehre sah man sich zudem in einer Art weltweitem Verbund. Rassenhygiene wurde als etwas gesehen, das mithelfen sollte, ­einen »besseren« Menschen zu schaffen. Da schien es auch keine ideologischen Grenzen zu geben, denn bei der Rassenlehre trafen sich Sozialdemokraten mit liberalen Reformern, Konservativen und rechten Verfechtern eines autoritären Staats. Das Ziel war für alle gleich  ; die Wege dahin verschieden. Sozialdemokraten konzentrierten sich auf die Lebensbedingungen der vornehmlich städtischen Arbeiter und die Zukunft der Stadt. Konservative setzten Gesundheit mit dem Land, Boden und körperlicher Arbeit gleich. Der ehemalige sozialdemokratische Stadtrat von Wien, Julius Tandler, der Psychiater Julius Wagner-Jauregg und der Verhaltensforscher Konrad Lorenz entwickelten sich zu führenden Eugenikern. Sie sahen sich eines Sinns mit Alfred Ploetz, Theodore Roosevelt, George Bernard Shaw oder auch Winston S. Churchill. Geistesschwache und Verrückte wurden als Bedrohung für Wohlstand, Vitalität und Kraft einer Gesellschaft gesehen. Es waren also keine »Spinner«, die wie auch die Nationalsozialisten Eugenik als Mittel einer (un)natürlichen Auslese sahen, Lorenz war davon überzeugt, dass die »Domestizierung« des Menschen durch das moderne Leben zum »Rassenverfall führe und der wahren Evolution entgegen stehe.«233 Sozialer Wohnbau, Kleingärten und die Verlagerung der Bautätigkeit weg von den Zentren schienen probate Mittel zu sein, um dem Verfall entgegenzuwirken. Da konnten amerikanische aber auch britische Besiedelungsformen durchaus Vorbildcharakter haben. Landflucht zu verhindern, war ein Anliegen. In den Städten sollten neue Freibäder und Sportstadien gebaut werden. Fast schien es so, als würde der Ständestaat Anleihen bei der Sozialdemokratie machen. Der Weg zum neuen Menschen war vorgezeichnet. Man konnte ihn durch Anreize oder durch Zwang gangbar machen. Sicherlich gab es trotz einer ganzen Reihe von Anklängen auch vieles, das Österreich von Deutschland unterschied und eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und christlichem Ständestaat verbot. Eines aber war entschieden anders  : Deutschland erregte Furcht  ; Österreich erregte bestenfalls Mitleid. Es war abhängig und unter ständiger Beobachtung. Immer wieder konnte man das sehen. Und es drohte immer weiter in die Isolation abzugleiten. Als Italien im Oktober 1935 nicht ganz überraschend in Abessinien einen Krieg vom Zaun brach, der ihm die Herrschaft über das Land bringen sollte, wurde Österreichs einziger Protektor von der Völkerbundversammlung der Aggression bezichtigt

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und mit Sanktionen belegt. Lediglich Ungarn, das von Italien komplett abhängige Albanien und vor allem Österreich stimmten gegen die Verhängung von Sanktionen. Der österreichische Gesandte beim Völkerbund, Emmerich Pflügl, begründete das mit einer gewissen Hilflosigkeit, indem er auf die Rolle Italiens nach der Ermordung von Dollfuß hinwies  : Österreich könne es nicht vergessen, dass Italien »in einem kritischen Augenblick … durch sein Eintreten wirksam dazu beigetragen« hat, »Österreichs Integrität und Unabhängigkeit zu wahren«. Die Haltung Österreichs wurde nicht zuletzt von den großen Kolonialmächten, Großbritannien und Frankreich, als ungebührlich angesehen und sollte Konsequenzen haben. Italien verstieß nicht nur gegen Völkerbundsatzungen, sondern auch gegen die Genfer Konvention über das Verbot des Einsatzes von Giftgas. Es führte einen brutalen, völkermordähnlichen Krieg. Da die Westmächte aber nicht zu harsch gegen Italien vorgehen wollten, war es sehr viel einfacher, Italiens Vasallen, Österreich, Schwierigkeiten zu bereiten. Und gerade damals suchte Österreich bei den Briten um eine Stundung für die Rückzahlung von Krediten an, die nach dem Debakel der Creditanstalt gewährt worden waren. Großbritannien aber verlangte pünktliche Begleichung. Frankreich blockierte die Auszahlung der Lausanner Anleihe. Die Folge war die Verschärfung des Sparkurses. Schuschnigg musste außerdem zur Kenntnis nehmen, dass Mussolini den italienischen Kurs der österreichischen Regierung nicht honorierte, sondern den Sanktionen gegenüber seinem Land dadurch zu begegnen suchte, dass er sich Deutschland annäherte. Österreich hatte bei diesem Manöver keine Rolle zu spielen. Damit saß man wieder einmal zwischen den berühmten Stühlen. Ja, nicht einmal die Annäherung an die Kleine Entente wollte gelingen, obwohl die Tschechoslowakei auf Schuschniggs diesbezügliche Bemühungen positiv reagierte. Jugoslawien aber legte keinen Wert auf freundschaftliche Beziehungen und schaute nicht auf den »Sterbenden«, sondern auf den präsumtiven Erben. Alles auf eine Karte Schuschnigg bemühte sich, wenigstens in die Innenpolitik Ruhe hineinzubringen. Denn was nach außen als einheitlich und gefestigt erschien, war in Wirklichkeit ein von Machtkämpfen, Eitelkeit und Korruption beherrschter Klüngel. Die Fraktionen der Vaterländischen Front konkurrierten weiterhin. Sie buhlten um Einfluss und waren Sammelbecken für alle und jeden. Hauptsache war ja, dass man organisiert war. Der 1927 gegründete und noch immer bestehende »Freiheitsbund« war nach und nach Sammelbecken der verbotenen »Linken« und mehr noch der Nationalsozialisten geworden. Er stand in einem scharfen Gegensatz zum Heimatschutz und machte immer wieder deutlich, dass er den autoritären Kurs nur gezwungenermaßen mitmachte. Die

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1930 gegründeten Ostmärkischen Sturmscharen, des Kanzlers ureigenste Organisation, bezeichneten sich als »katholische kulturpolitische Erneuerungs- und Schutzbewegung« und wollten ebenfalls nichts mit dem Heimatschutz und vor allem nichts mit dessen außenpolitischen Sonderwegen gemein haben, die einmal nach Italien, dann nach Deutschland wiesen. Starhemberg wollte unverbrüchlich den italienischen Weg gehen, war allerdings auch einem legitimistischen Experiment nicht abhold  ; Emil Fey, obgleich eigentlich schon kalt gestellt, unterhielt permanent Kontakte zu nationalsozialistischen Kreisen und hatte sich auch am 25. Juli 1934 erst im letzten Moment auf die Seite der Regierung geschlagen. Er wartete immer noch auf seine Stunde. Die Christlich-deutschen Wehrturner, die Burgenländischen Landesschützen, die Grüne Wehr und andere kleine Wehrverbände spielten keine Rolle mehr. Einige, wie die Frontkämpfervereinigung, waren aufgelöst worden oder in anderen Organisationen aufgegangen. Die meisten waren »rechts«, und die es nicht waren, wurden durch Unterwanderung ins rechte Lager gezogen. Im Juni 1935 wurden alle großen Wehrverbände zu Schutzkorpsverbänden erklärt. Das war aber nicht nur ein Schritt zur Vereinheitlichung, sondern einer, der die Auflösung der Wehrverbände zum Ziel hatte. Der Staat sollte endlich das Machtmonopol zurückgewinnen, das er über viele Jahre an die Wehrverbände verloren hatte. Doch es schien alles andere denn einfach. Schließlich kam Schuschnigg ein Zufall zu Hilfe. Starhemberg ließ sich dazu hinreißen, Mussolini nach der Einnahme der abessinisch/ äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba Anfang Mai 1936 ein Glückwunschtelegramm zu schicken und darin die Westmächte zu attackieren – für Starhemberg, der für sich und seine Heimwehr in vier Jahren die beachtliche Summe von 3,5 Millionen Lire erhalten hatte234 und der Mussolini auch persönlich nahestand, offenbar eine Selbstverständlichkeit. Er bezeichnete sich in der Depesche nicht uneitel als »Führer des österreichischen Faschismus«.235 Das Telegramm wurde veröffentlicht. Die Gesandten Großbritanniens, Frankreichs und der Tschechoslowakei protestierten beim Kanzler. Schuschnigg reagierte prompt und löste Starhemberg als Vizekanzler und Frontführer der Vaterländischen Front ab, deren Führung er nun selbst übernahm. Bundeskanzler, Bundesführer der Vaterländischen Front, Verteidigungsminister und Außenminister  – alles Funktionen, die Schuschnigg fortan in seiner Person vereinigte, hätten eine ausreichende Machtfülle sein können, um den autoritären Kurs ohne besondere Rücksichtnahmen steuern zu können. Schuschnigg tat noch ein Übriges  : Er ordnete noch im Mai 1936 die Bildung einer uniformierten und nach militärischen Grundsätzen ausgerichteten Formation innerhalb der Vaterländischen Front an, die sogenannte Frontmiliz. Wieder schien der Kanzler bei der Ausweitung seiner Macht einen entscheidenden Schritt weitergekommen zu sein. Letztlich war er aber noch immer von Rücksichtnahmen abhängig, und es waren nicht zuletzt Männer der zweiten Reihe, die sich mit der Auflösung der politischen Parteien und Wehrverbände nicht zufrieden

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geben wollten und ihr christlichsoziales, auch großdeutsches aber nicht nationalsozialistisches Gedankengut nicht mit ihren Parteibüchern abgegeben hatten. Vor allem aber waren es die illegalen und dennoch omnipräsenten Nationalsozialisten, die dem Kanzler zu schaffen machten. Schuschnigg wollte auf sie zugehen. Von da an steuerte er statt eines italienischen einen deutschen Kurs. Die Annäherung Italiens an Deutschland als Folge des Abessinienkriegs hatte den Rückhalt für Österreich schwinden lassen. Darauf galt es zu reagieren. Der Nachfolger des Gesandten Rieth, der ehemalige deutsche Reichskanzler Franz von Papen, konnte auf die Avancen, die ihm Schuschnigg machte, umso leichter reagieren, als er Hitler als »Sonderbeauftragter« direkt unterstellt war und den Auftrag hatte, einen Ausgleich mit dem Ständestaat zustande zu bringen. Herr von Papen hatte Hitler geraten, die Anschlussfrage abkühlen zu lassen. »Österreich muss uninteressant werden. Denn wenn niemand mehr über Österreich spricht, weil diese Frage nachgerade langweilig zu werden beginnt, dann werden die Österreicher Zeit haben, sich mit ihren eigenen inneren Angelegenheiten zu beschäftigen … und mit Erstaunen feststellen, dass sie eine diktatorische Regierung besitzen, die alles in den Schatten stellt, was in den sogenannten faschistischen Ländern in dieser Hinsicht geschieht«.236

Hitler verlangte von Papen noch zwei Jahre, ehe er die Österreichfrage angehen wollte. Die unmittelbare Folge war die Einstellung der terroristischen Aktionen. Joseph Goebbels wies die deutsche Presse an, das Thema Österreich »weitgehend totzuschweigen«.237 Die Propaganda ging allerdings weiter. Schuschnigg und Papen verhandelten ein Jahr lang über ein Abkommen. Es gab jede Menge Querschüsse. Starhemberg opponierte  ; das Deutsche Reich verzögerte.238 Dann wurde weiter verhandelt. Schließlich einigten sich Papen und Schuschnigg auf ein »Normalisierungs- und Freundschaftsabkommen«, das am 11.  Juli 1936 unterschrieben wurde und die Lösung einer ganzen Reihe von Fragen bringen sollte. An erster Stelle wurde die Normalisierung der Beziehungen genannt. Die deutsche Reichsregierung anerkannte die volle Souveränität Österreichs. Die politischen Verhältnisse sollten innere Angelegenheiten sein, auf die von außen kein Einfluss genommen würde. Österreich würde seine Außenpolitik im Bewusstsein gestalten, ein deutscher Staat zu sein, wobei die Verträge mit Italien und Ungarn voll in Geltung blieben. Alles andere an diesem Abkommen waren rhetorische Floskeln. Doch das war nur der veröffentlichte Text. Weitere Teile des »Juliabkommens« sollten geheim bleiben und wurden als Gentlemen Agreement bezeichnet. Was in ihm stand, konnte man in der Folge aus einer ganzen Reihe von Einzelmaßnahmen ableiten  : Dass Schuschnigg im Wege einer Regierungsumbildung zwei neue Regierungsmitglieder ernannte, die als Garanten eines Deutschland genehmen Wegs galten, nämlich den Direktor des Kriegsarchivs,

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Edmund Glaise-Horstenau, der als Minister ohne Portefeuille in die Regierung eintrat, und den Stellvertretenden Kabinettsdirektor des Bundespräsidenten, Guido Schmidt, der Staatssekretär im Außenministerium wurde. Sehr bald wurde auch deutlich, dass den Nationalsozialisten ein gewisses Maß an politischen Freiheiten gegeben wurde  ; dass es eine Art Pressefrieden geben, und dass die Beschränkungen im Reiseverkehr, Stichwort 1000-Mark-Sperre, allmählich abgebaut werden sollten. Das Geheimabkommen hielt auch fest, dass es für die verurteilten Nationalsozialisten, die nicht wegen eines schweren Verbrechens, etwa eines Tötungsdelikts, in Gefängnissen oder Anhaltelagern einsaßen, eine Amnestie geben sollte. Sie galt vor allem für jene rund 500 von einstmals 5.000 Nationalsozialisten des Anhaltelagers Wöllersdorf. Dazu kam, dass es auch ohne Zoll- und Währungsunion für Deutschland jede Menge wirtschaftlicher Erleichterungen geben sollte. Und gerade in diesem Zusammenhang musste man den Eindruck gewinnen, dass Schuschnigg das Juliabkommen regelrecht erkauft hatte. Die weitgehend gleichgeschaltete Presse pries das Abkommen. Es schien ja tatsächlich eine Entspannung zu bringen. Der Regierungskurs hatte eine Bestätigung erfahren. Die Unabhängigkeit Österreichs schien gesichert, und es wurde auch als durchaus positiv gesehen, dass eine deutsch-österreichische Kommission die Erfüllung des Abkommens überwachen sollte.239 Die Gefahr des Terrors schien beseitigt zu sein. Doch die Zufriedenheit trog. In Österreich wie in Deutschland gab es Gegner des Abkommens, den Wiener Bürgermeister Richard Schmitz ebenso wie in Deutschland Joseph Goeb­ bels, den Reichsführer-SS Heinrich Himmler und den Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß.240 Auf Streuzetteln wurde Hitler von österreichischen Nationalsozialisten des »Verrats« bezichtigt. Doch alle mussten sich bescheiden. Die deutsche Presse bejubelte den Friedenswillen Hitlers. In Italien pries man »die Staatskunst des Duce«,241 der ja nun wirklich nicht viel zu dem Abkommen beigetragen hatte. Vielen österreichischen Nationalsozialisten ging das Abkommen aber nicht weit genug. Sie konnten sich freilich sagen, dass für sie die Zeit der Illegalität zu Ende ging und dass vor allem der Einfluss Deutschlands auf Österreich nicht geringer, sondern erheblich größer geworden war. Und das sollte über kurz oder lang zum Anschluss führen. Es schien ein geradliniger Weg zu sein. Schuschnigg nützte das Abkommen auch, um seine innenpolitischen Gegner ruhigzustellen, vorweg den »Heimwehrfürsten« Ernst Rüdiger Starhemberg. Der sah sich in einer Opferrolle und weigerte sich, das Angebot Schuschniggs zu akzeptieren und eine andere Aufgabe zu übernehmen. Der Kanzler machte daraufhin kurzen Prozess und löste am 9. Oktober 1936 den Heimatschutz auf. Durch das »Bundesgesetz zur Auflösung der freiwilligen Wehrverbände« wurden sämtliche Wehrverbände liquidiert. Die Schutzkorpsmänner konnten durch freiwillige Meldung in die Frontmiliz der Vaterländischen Front übernommen werden. Diese sollte im Bedarfsfall der Unterstützung des Bundesheeres und der Exekutive dienen. Damit schien nun tatsächlich das Ende

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der Parteiarmeen gekommen zu sein. 110.000 Mann des Freiwilligen Schutzkorps sollten das Bundesheer verstärken. Die Wehrhaftigkeit des Landes war zumindest auf dem Papier gewachsen. Italien wurde nach wie vor als Schutzmacht kalkuliert  ; das Verhältnis zur Tschechoslowakei konnte als gut bezeichnet werden  ; jenes zu Ungarn war sehr gut und führte sogar dazu, dass gemeinsame operative Absprachen getroffen wurden, falls eines der beiden Länder in einen militärischen Konflikt verwickelt werden sollte. Kurze Irritationen, als der ungarische Ministerpräsident Gyula Gömbös das Burgenland als eine der für Ungarn »ungelösten Fragen« bezeichnete,242 waren vergessen. Und die Verbesserung des Verhältnisses zu Deutschland sollte auch dem zweiten deutschen Staat, Österreich, eine friedliche Entwicklung sichern. Das hinderte freilich nicht, dass der österreichische Generalstabschef, Alfred Jansa, seiner Operationsabteilung die Weisung gab, alle möglichen Operationsfälle auszuarbeiten. Da gab es dann den Kriegsfall T + Ju (Tschechoslowakei und Jugoslawien), der einen Angriff auf Österreich zur Grundlage hatte, aber auch einen gemeinsamen Angriff mit I + U (Italien und Ungarn) gegen T + Ju. Am intensivsten wurde aber über einen Kriegsfall DR (Deutsches Reich) nachgedacht, der bezeichnender Weise als »Kriegsfall I« bezeichnet wurde. Das konnte man als »Sünde wider den Geist« sehen, doch Ähnliches war auch vor dem Ersten Weltkrieg zur Ausarbeitung gelangt und wurde als normale Generalstabsarbeit gesehen. Letztlich handelte es sich dabei um eine Katastrophenplanung.243 Und diesmal gab es keine Verbündeten. Großbritannien hatte Österreich schon mehr oder weniger abgeschrieben. In Frankreich wurde über Waffenlieferungen nachgedacht, doch auch das erhöhte die Sicherheit Österreichs nicht im Mindesten. Jugoslawien zeigte keine Sympathien und war primär an einem guten Verhältnis zu Deutschland interessiert. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass die Frage nach der Überlebensfähigkeit Österreichs in Kürze aufs Neue und mit erhöhter Dringlichkeit gestellt wurde. Schon bald sah sich Schuschnigg dem Vorwurf Hitlers ausgesetzt, das Juliabkommen nicht dem Buchstaben und dem Geist nach zu erfüllen. Die österreichische Außenpolitik unterschied sich vor allem in einem Punkt markant von der Deutschlands  : Österreich machte keine Anstalten, aus dem Völkerbund auszutreten, so wie das Deutschland getan hatte. Die Völkergemeinschaft gab zumindest ansatzweise noch so etwas wie ein Gefühl der kollektiven Sicherheit. Außerdem war nicht zu vergessen, dass der Völkerbund die Genfer wie die Lausanner Anleihe garantiert hatte. Schuschnigg wurde von Hitler vorgeworfen, mit Guido Schmidt nur einen Mann seines eigenen Vertrauens, jedoch keinen mit dem Nationalsozialismus tatsächlich sympathisierenden Politiker in die Regierung aufgenommen zu haben. Wo war der zweite Minister, den man Hitler im Gentlemen Agreement zugestanden hatte  ? Auch Mussolini drängte auf mehr Nationalsozialisten in der Regierung. Schuschnigg wollte das zugestehen, musste aber seine Bereitschaft, das zu tun, in der Zeitung lesen, ehe er entsprechende Schritte

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setzte. Er war erbost und beließ es bei dem Gedanken. Wohl aber glaubte er im Februar 1937 seine guten Absichten dadurch bekunden zu können, dass er in Abstimmung mit dem deutschen Reichsaußenminister Konstantin von Neurath in die Vaterländische Front ein »Volkspolitisches Referat« einbaute und es dem Wiener Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart übertrug. Der war ein gemäßigter Nationalsozialist und auch bei seinen Gesinnungsgenossen nicht unumstritten, da er zu wenig radikal war. Die Radikalen hielten es mit dem Führer der Wiener NSDAP, Josef Leopold. Schließlich war man ein Jahr nach dem Juliabkommen wieder dort angelangt, wo man auch vorher gestanden war  : Es herrschte Ratlosigkeit. Ein Kurswechsel besonderer Art wurde zwar überlegt, doch er wurde als nicht gangbarer Weg abgetan  : Die Rückkehr der Habsburger. Tatsächlich wurde Otto von Habsburg in seinen Kontakten mit Schuschnigg immer drängender und meinte, er wäre der Einzige, der in der Lage wäre, Hitler Paroli zu bieten. Die monarchistische Bewegung, die von der Rechtmäßigkeit des Herrschaftsanspruchs Ottos von Habsburg auch in einem kleinen Österreich überzeugt war, war in der Heimwehr und dann in der Vaterländischen Front prominent vertreten, und Otto konnte sich auch beim Kanzler einer gewissen Sympathie sicher sein. Otto hatte Schuschnigg am 14. August 1936 in Genf und am 7. Januar 1937 im Schweizer Einsiedeln getroffen. Schuschnigg konnte sich zugutehalten, dass er 1935 das Habsburgergesetz vom 3.  April 1919 abgeändert, die Landesverweisung aufgehoben und Vermögenschaften zurückgegeben hatte. Außerdem hob er immer wieder die Übereinstimmung von legitimistischen und ständestaatlichen Zielen hervor. Wie Dollfuß wollte auch Schuschnigg »den Revolutionsschutt von 1918« wegräumen und »an die schönsten Zeiten der österreichischen Geschichte« anknüpfen.244 Er spielte denn auch offen mit der legitimistischen Option und meinte gegenüber dem tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Milan Hodža  : Bevor Österreich seine Unabhängigkeit verlieren und als achter Gau dem Deutschen Reich eingegliedert werden sollte, würde die Wiener Regierung »lieber den Weg der Restauration beschreiten«. In dem Fall dachte Schuschnigg an ein »Landesfürstentum« der Habsburger.245 Doch er zuckte zurück. Der deutsche Reichsaußenminister Konstantin von Neurath hatte ihm im Februar 1937 unverblümt gesagt, dass das Deutsche Reich im Fall einer habsburgischen Restauration in Österreich militärisch eingreifen würde. Und dass für die Kleine Entente die Verhinderung einer habsburgischen Restauration Existenzgrundlage war, war ebenfalls bekannt. Schließlich war auch Italien auf die Linie von Deutschen, Tschechen, Rumänen und Jugoslawen eingeschwenkt.246 Es hätte daher eine komplette Realitätsverweigerung dargestellt, hätte Schuschnigg die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Nicht so Otto von Habsburg. Der zählte auf die Hilfe der Westmächte, die allerdings den Gedanken einer Unterstützung Ottos weit von sich wiesen. In den Überlegungen zur Lösung der Österreichfrage tauchte alles auf, das schon irgendwann einmal eine Rolle gespielt hatte, bis hin zu der absurden, von Rumänien ins

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Spiel gebrachten Überlegung, Österreich könnte sich der Sowjetunion annähern und eine sowjetische Garantie für sein staatliches Fortbestehen erhalten.247 Das Ausland schied aus, wurde aber immer abweisender und misstrauischer. Auch innenpolitisch gab es so gut wie keinen Lichtblick. Die Sozialdemokraten verlangten verständlicherweise Gegenleistungen, sollten sie sich bereitfinden, Schuschnigg Rückhalt zu bieten. Die Kreise um Josef Leopold arbeiteten auf einen neuerlichen Putsch hin. Um bei den Vorbereitungen nicht gestört zu werden, wurde den Gefolgsleuten des Landesführers Leopold der Kontakt mit von Papen und Seyß-Inquart verboten. Leopold wollte nicht mehr warten. Diesmal sollte  – wie es der Stellvertreter Leopolds, Leo Tavs, in einem Geheimpapier schrieb – ein Anschlag auf deutsche Diplomaten erfolgen und anschließend um eine deutsche militärische Intervention gebeten werden. Das Papier fiel bei einer Hausdurchsuchung in den Büros der Wiener NSDAP-Führung der Polizei in die Hände. Hitler war über die abstrusen Pläne wohl nicht informiert gewesen, aber er hatte sich schon längst für eine gewaltsame Lösung entschieden. Das Reichskriegsministerium hatte bereits am 24.  Juni 1937 dem Chef des Generalstabes, General Ludwig Beck, die Ausarbeitung einer Operationsstudie mit der Bezeichnung »Sonderfall Otto« aufgetragen. Damit sollte signalisiert werden, dass das deutsche Heer auf einen habsburgischen Restaurationsversuch in Österreich militärisch reagieren würde. Beck hatte sich zwar gegen eine solche Ausarbeitung ausgesprochen und machte dafür politische, aber auch kräftemäßige Überlegungen geltend, doch schließlich konnte er nicht anders, als den Fall zumindest durchzudenken. Konkreter wurde dann Hitler am 5. November 1937, als er in einer Geheimbesprechung mit dem Außen- und dem Reichskriegsminister sowie mit den Oberbefehlshabern der drei Wehrmachtsteile, Heer, Marine und Luftwaffe, Überlegungen anstellte, welche Schritte notwendig wären, um die »Sicherung und Erhaltung der deutschen Volksmasse« zu gewährleisten. Für Deutschland stelle sich die Frage, »wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei«.248 Die Ausführungen stellten nichts in den Raum, das vielleicht noch gewisse Rücksichtnahmen hätte erkennen lassen. Da hieß es nur, Österreich wie die Tschechoslowakei müssten vor einem Krieg mit Frankreich ausgeschaltet und dem Dritten Reich einverleibt werden. Das würde die Ernährungssituation des Reichs verbessern und Truppen bringen. Die Voraussetzung dazu sei unter anderem die Aussiedlung von einer Million Menschen aus Österreich (und zwei Millionen aus der Tschechoslowakei). Wie Italien auf die Besetzung Österreichs reagieren würde, sei noch unklar, doch solange der Duce am Leben sei, seien keine besonderen Probleme zu erwarten. Ab dem 5. November 1937 waren daher für Hitler nur mehr das Wann und das Wie offen, doch grundsätzlich war er zur Anwendung von Gewalt bereit.

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Berchtesgaden Bald machten Spekulationen die Runde, ein deutscher Einmarsch würde tatsächlich bevorstehen, oder aber es würde zu einem Aufstand kommen. Seit dem Spätherbst und Winter 1937 erwähnten der Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, der Reichsaußenminister Konstantin von Neurath und andere völlig ungeniert und unabhängig voneinander, dass es über kurz oder lang zum Anschluss Österreichs kommen würde. Hitler selbst wurde mit dem altbekannten Satz zitiert  : Österreich wäre eine »interne Angelegenheit Deutschlands«. Bei der Frage nach einer eventuellen Reaktion der Nachbarn hieß es nur  : Italien würde keinen Finger rühren.249 Französische Zeitungen berichteten, der deutsche Botschafter in Wien, Herr von Papen, würde abgelöst werden, um einen radikaleren Kurs steuern zu können. Das Gerücht hing damit zusammen, dass sich Hitler Anfang Februar 1938 handstreichartig zum Obersten Befehlshaber gemacht hatte und auch die Außenpolitik neu ausrichten wollte. Joachim von Ribbentrop wechselte von der Botschaft in London als Reichsaußenminister nach Berlin, und tatsächlich sollte Franz von Papen Wien verlassen. Er hatte sich mehr als zwei Jahre lang bemüht, dem Juliabkommen Leben einzuhauchen. Es war ihm nicht gelungen. Seine Ablösung konnte also durchaus so gesehen werden, dass Hitler den evolutionären Kurs verlassen und Österreich notfalls gewaltsam anschließen wollte. Aus Berlin kamen laufend Beschwerden, dass Österreich das Abkommen nicht erfülle. Beteuerungen, dass dem nicht so wäre, blieben wirkungslos. Im Wiener Außenministerium versuchte man dennoch die strittigen Punkte auf die so beliebte »dilatorische« Weise zu behandeln, d. h. auf die lange Bank zu schieben. Zur Lösung der Probleme trug das nicht bei. Anlässlich seiner bevorstehenden Wegversetzung informierte von Papen den Führer und Reichskanzler vom Wunsch des österreichischen Bundeskanzlers, mit Hitler zusammenzutreffen. Der stimmte zu. Nachher wurde wohl gestritten, von wem die Initiative ausgegangen war. Im Verlauf eines 1947 gegen den Staatssekretär im Außenministerium, Guido Schmidt, geführten Hochverratsprozesses wurde der Ablauf so dargestellt, dass Herr von Papen am 7. Januar Schmidt gegenüber gemeint habe, der Austausch von Memoranden wäre auch nach der Auffassung Hitlers nicht der Weg, um Differenzen zu beseitigen. Schuschnigg hätte diese Auffassung geteilt und wäre prinzipiell zu einem Treffen bereit gewesen.250 Am 8. Februar erhielt er die offizielle Einladung. Das Treffen auf dem Berghof bei Berchtesgaden wurde für den 12. Februar 1938 vereinbart. Schuschnigg wusste, dass er viel riskierte, hielt die Sache geheim, hätte sich aber gerne Rückendeckung verschafft. Er setzte dabei auf England und schilderte seine Situation und seine Sorgen dem österreichischen Botschafter in London, Sir George Franckenstein. Eine Kopie bekam der britische Botschafter in Österreich.251 Es war

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eine Art Hilferuf. London schwieg. Eine Woche später ließ Schuschnigg in London vorsichtig anfragen, ob er nicht noch rasch zu einem Vortrag nach England kommen könnte. Der britische Außenminister, Sir Anthony Eden, lehnte ab. Der Besuch in London könnte missverstanden werden, auch wenn es vorgeblich nur um einen Vortrag ginge.252 England wollte sich ja nicht exponieren. Doch natürlich wurde von den Briten rasch in Wien nachgefragt, ob das Treffen nicht ein großes Risiko berge. Guido Schmidt beruhigte. Schuschnigg, der vorgeblich nach Innsbruck reiste, fuhr in Begleitung Schmidts nach Berchtesgaden. Vorsichtshalber war die Salzburger Garnison den ganzen Tag über alarmiert.253 Der Bundeskanzler hatte sich vorgenommen, Hitler eine Liste von Vorschlägen zum weiteren Ausbau der Beziehungen und zu einer Art »erweitertem Juliabkommen« zu unterbreiten. Guido Schmidt und Seyß-Inquart hatten die Punktation ausgearbeitet. Und wie fast alles, das in den österreichischen Ministerien oder in den Dienststellen des Bundesheers gesagt oder geschrieben wurde, war es in Berlin schon längst bekannt, als Schuschnigg in Berchtesgaden ankam. Hitler begrüßte ihn im Beisein des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, des Befehlshabers des Luftwaffen-Gruppenkommandos III (München), Hugo Sperrle, sowie des Befehlshabers des Heeresgruppenkommandos IV (Leipzig), Walther von Reichenau. Schuschnigg war wohl informiert gewesen, dass sich einige deutsche Generäle »zufällig« am Berghof aufhalten würden, doch die Demonstration war auffällig. Hitler hielt sich mit den höflichen Vorbringungen seines österreichischen Gastes nicht weiter auf. Normale diplomatische Formen galten nicht. Er nutzte auch ein Schwächemoment Schuschniggs aus, der Kettenraucher war und dem Hitler das Rauchen nicht gestattete. Der Kanzler wurde immer nervöser. Die Anwesenheit der Militärs tat ein übriges, Schuschnigg unter Druck zu setzen.254 Hitler monologisierte, will dann den Vorschlag gemacht haben, sich in Österreich einer Volkswahl zu stellen, was Schuschnigg mit Hinweis auf die Maiverfassung von 1934 abtat. Schließlich gab es auch ein 12-minütiges Mittagessen, bei dem sich Hitler mit Spinat begnügte.255 Am Nachmittag ging es weiter. Schuschnigg machte Zugeständnisse, verwies aber gleich darauf, dass er noch die Zustimmung des Bundespräsidenten einholen müsste  – was eine Ausflucht war. Schließlich paraphierten Schuschnigg und Hitler das Abkommen. Der österreichische Kanzler tat damit weit mehr, als dass er nur eine Verwendungszusage gegeben hätte, über die erst Miklas und vielleicht auch die Bundesversammlung zu entscheiden hatten. Wieder einmal sicherte man sich Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zu – als ob Österreich jemals die Möglichkeit gehabt hätte, sich in die deutschen Angelegenheiten einzumischen. Des Weiteren sollte sich Österreich verpflichten, seine Außenpolitik nur noch im Einklang mit dem Deutschen Reich zu betreiben, Seyß-Inquart das Innen- und Sicherheitsministerium zu übertragen, den Mitgliedern der NSDAP volle Betätigungsfreiheit zu ermöglichen und die noch nicht amnestierten Mitglieder

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der Partei zu pardonieren. Entlassene Beamte und Offiziere, letztere wegen ihrer Zugehörigkeit zum NS-Soldatenring, sollten wieder eingestellt werden. Der Chef des Generalstabs, Alfred Jansa, der den Einsatz von Bundesheer und Frontmiliz im Fall eines Einmarsches deutscher Truppen geplant hatte, war zu entlassen. Statt ihm sollte ein NS-Sympathisant, General Franz Böhme, Generalstabschef werden. Und die wirtschaftliche Kooperation sollte noch weiter verstärkt werden. Hitlers Berater in Wirtschaftsfragen, Wilhelm Keppler, der seit 1937 bemüht war, den evolutionären Weg zum Anschluss zu beschleunigen, hatte Staatssekretär Schmidt während Schuschnigg mit Hitler sprach, ein Papier vorgelegt, das eine ungehemmte wirtschaftliche Durchdringung Österreichs in Aussicht nahm. Da ging es um die Einbeziehung Österreichs in den deutschen Vierjahresplan, eine Zoll- und Währungsunion und Handelsvorteile. Deutschen Firmen sollte Tür und Tor geöffnet werden. Guido Schmidt wollte sich dazu nicht äußern. Nur wenige Tage später kam der deutsche Gesandte Carl Clodius nach Wien und wollte die Sache im deutschen Sinn erledigt sehen. Er schied unzufrieden. Wirtschaftskreise waren alarmiert. Der Präsident der Österreichischen Nationalbank, Viktor Kienböck, registrierte, dass eine Spekulation gegen den Schilling einsetzte. Devisen wurden fast stündlich teurer. Kienböck rechnete mit einer Kapitalflucht. Und er resümierte in aller Düsternis  : »Wenn es keine Intervention von außen gibt, ist die österreichische Position unhaltbar.«256 Niemand zweifelte daran, dass Schuschnigg das Berchtesgadener Abkommen restlos erfüllen würde. Schon unmittelbar nach seiner Rückkehr begann er denn auch mit der Umsetzung. Seyß-Inquart wurde Innen- und Sicherheitsminister. Die Betätigungsfreiheit für Nationalsozialisten sowie die Amnestie wurden sofort verfügt und trieben Zigtausende zu Freudenkundgebungen auf die Straßen. Unzählige Menschen zogen mit Rufen »Heil-Hitler«, »Sieg Heil« und »Schuschnigg verrecke« durch die Städte.257 Schuschnigg hatte sich gewissermaßen zum Ausgleich für seine Zugeständnisse gegenüber den Nationalsozialisten auch entschlossen, die noch inhaftierten Sozialdemokraten und Kommunisten zu amnestieren. Doch er sah immer deutlicher, dass er drauf und dran war, Österreich zu verspielen, und dass sich auch die Hoffnung, zumindest etwas Zeit gewonnen zu haben, als trügerisch erweisen würde. Er tröstete sich damit, dass Seyß-Inquart praktizierender Katholik war und ihm durch die Beigabe eines Staatssekretärs, Michael Skubl, Grenzen gezogen würden. Andere waren da nicht so optimistisch und gaben Schuschnigg bestenfalls ein halbes Jahr Zeit, ehe er gezwungen sein würde, die Kanzlerschaft an Seyß-Inquart zu übergeben.258 Noch aber wollte Schuschnigg nicht aufgeben. Er trat am 24. Februar vor die Bundesversammlung im alten Reichsratssitzungssaal des Wiener Parlaments. Die Rede war als historisch angekündigt worden. Landesweit wurden Veranstaltungen abgesagt, die Universitäten schlossen um 18 Uhr, um möglichst Vielen die Möglichkeit zu geben,

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die Kanzlerworte zu hören. Schuschnigg trat als Frontführer vor die Versammlung und redete zwei Stunden  : »In entscheidender und ernster Stunde …«. Er berichtete in allgemein gehaltenen Worten über Berchtesgaden und verteidigte dessen Ergebnisse. Das Treffen auf Einladung des Führers und Reichskanzlers sei zu Recht als politische Sensation gewertet worden. Nunmehr würde ein fünfjähriger Bruderkampf zu Ende gehen. »Und nun soll Frieden sein«. Schuschnigg sprach aber nicht nur über das Treffen mit Hitler. Er schilderte ausführlich, wie sich Österreich in den vorangegangenen Jahren positiv entwickelt hätte, wie die Arbeitslosenzahlen um rund ein Drittel geringer geworden wären, welchen Erfolg die ermäßigten Rückfahrkarten bei den Bundesbahnen gehabt hatte, und wie in der nächsten Zeit im Straßenverkehr auf die Rechtsfahrordnung umgestellt werden sollte. An die innenpolitischen Gegner gewandt meinte der Kanzler, nun müsse endlich Schluss sein mit den unentwegten Forderungen, Resolutionen und Gruppendemonstrationen. Es gelte Einheit zu bekunden, eine Art deutsche Einheit, denn das Wort deutsch kam in den unterschiedlichsten Kombinationen an die hundert Mal in der Rede vor. Gegen Ende seiner Rede rief Schuschnigg noch Dollfuß und »alle Märtyrer dieses Landes« in den Zeugenstand. »Und weil wir entschlossen sind, darum steht der Sieg außer Zweifel. Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot  ! Österreich  !« Die Wiener Zeitung vermeldete anschließend Heilrufe, Fahnenschwingen und Hüteschwenken.259 Die Mitglieder der Bundesversammlung stimmten stehend die Bundeshymne und das Dollfuß-Lied an. Alle sollen mitgesungen haben  : »Ihr Jungen, schließt die Reihen gut./Ein Toter führt uns an. Er gab für Österreich sein Blut./Ein wahrer deutscher Mann …«. Hitler und die NS-Führung ließen sich nicht beeindrucken. Sie sahen ganz im Gegenteil in der Rede Schuschniggs ein Abrücken vom Berchtesgadener Abkommen und antworteten mit neuen Forderungen. Hermann Göring, der Beauftragte für den deutschen Vierjahresplan und preußischer Ministerpräsident, war es wohl, der die Forderung nach einer strengen Devisenbewirtschaftung in Österreich stellte, um einer Kapitalflucht entgegenzuwirken. Jüdische und politisch Andersdenkende würden trachten, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen, hieß es.260 Dem gelte es Einhalt zu gebieten. Tatsächlich wollte Göring wohl verhindern, dass etwas die ihm schon sicher scheinende reiche Beute minderte.261 Am 5. März forderte Seyß-Inquart mehr Einfluss für nationalsozialistische Funktionäre in den Bundesländern, die Landeshauptmannstelle in der Steiermark und mehrere Landeshauptmannstellvertreter. Wer geglaubt hatte, der Druck auf Österreich würde geringer werden, sah sich getäuscht. Versammlung folgte auf Versammlung. Wurde Hitler erwähnt, folgten Sieg-HeilRufe  ; wurde Schuschnigg erwähnt, gab es eisiges Schweigen, oder aber es wurde das Horst-Wessel-Lied gesungen. Nach einem Besuch Seyß-Inquarts in Graz, Anfang März, durfte auch das Deutschlandlied »Deutschland, Deutschland über alles  …« gesungen werden, sofern vorher eine Strophe der österreichischen Bundeshymne mit

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dem Text von Ottokar Kernstock gesungen wurde  :262 »Sei gesegnet ohne Ende, Heimaterde wunderhold …«. Die Melodien waren mittlerweile ident. Und Schuschniggs Optionen waren gleich null.

9. Das Scheitern

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9 8. August 1934: Trauerkundgebung der Vaterländischen Front für den am 25. Juli 1934 ermordeten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Die Veranstaltung wurde als «Heerschar der Trauer und der Treue« angekündigt. Sie sollte »die Einheit von Volk und Staat in Österreich« (Wiener Zeitung) demonstrieren. Es war die wahrscheinlich größte Massenkundgebung, die auf dem Wiener Heldenplatz je abgehalten wurde. (Foto: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien)

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ußenpolitisch war Österreich isoliert. Mussolini war auf die Linie Hitlers eingeschwenkt und glaubte, seine Großmachtträume mit deutscher Hilfe verwirklichen zu können. Hitler seinerseits machte deutlich, dass er an der Zugehörigkeit Südtirols zu Italien nicht rütteln wollte. Mussolini glaubte ihm. Frankreich, dessen Linkspolitiker den Ständestaat grundsätzlich ablehnten, reagierte nicht. Telegramme des im März 1938 scheidenden französischen Gesandten in Wien, Gabriel Puaux, blieben unbeantwortet. So auch dessen letztes Telegramm vom 7.  März. Frankreich wollte nur im Einklang mit Großbritannien vorgehen. In London aber sah man keinen Grund, sich für Österreich mit Deutschland anzulegen. Die Nachbarn im Norden, Osten und Süden wollten sich nicht exponieren und sorgten sich um ihre eigene Zukunft. Für einen innenpolitischen Befreiungsschlag war es zu spät, und Schuschnigg sandte auch bestenfalls halbherzige Signale in Richtung der nach wie vor verbotenen Sozialdemokratie. Dennoch verabschiedeten die illegalen Gewerkschaften eine Resolution, in der vom »leidenschaftlichen Willen …, für die Freiheit, Würde und Unabhängigkeit Österreichs einzutreten«, die Rede war.263 Doch Deklamatorisches hatte man schon zur Genüge gehört. Schließlich brachte Schuschnigg eine im Grunde genommen seit 1933 immer wiederkehrende Idee ins Spiel, nämlich die Abhaltung einer Volksbefragung. Nicht einer Volksabstimmung, denn die wäre bindend gewesen. Eine Volksbefragung ließ auch im Fall eines für die Regierung negativen Ausgangs noch einigen Spielraum und zumindest Interpretationsmöglichkeiten. Die Idee zur Volksbefragung will Schuschnigg am Sonntag, dem 6. März, gekommen sein. Tags darauf besprach er die Sache mit einigen Vertrauten. Einer von ihnen war der Generalsekretär der Vaterländischen Front und Minister ohne Portefeuille Guido Zernatto. Dessen Sekretärin, eine von Hunderten, wenn nicht Tausenden nationalsozialistischen Zuträgern, meldete unverzüglich nach Berlin, dass Schuschnigg beabsichtigte, schon am darauffolgenden Sonntag, dem 13. März, eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs abzuhalten. Die Volksbefragung Mussolini riet Schuschnigg dringend ab. Der Kanzler hatte ihn in der Hoffnung informiert, der »Duce« würde ihm eine Zusage geben, noch einmal als Protektor aufzutreten. Der Kanzler war enttäuscht, doch er wollte nicht mehr zurück. Schuschnigg ließ sich

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auch durch das chaotische Anlaufen der Vorbereitungen für die Volksbefragung nicht irritieren. Seyß-Inquart, der offiziell erst nach Mussolini, dem italienischen Botschafter in Wien, Pellegrino Chigi, und anderen informiert worden war, protestierte und hielt das Vorgehen des Kanzlers für illegal. Nur der Bundespräsident hätte das Recht, eine Volksbefragung anzuberaumen, meinte er. Schuschnigg aber stützte sich auf den Artikel 93 der Maiverfassung von 1934, wonach der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmte, und gab Absicht und Fragestellung am 9. März bekannt. Bei einem Amtswalterapell der Vaterländischen Front in Innsbruck verkündete er, worum es vier Tage später gehen sollte. Wieder holte er weit aus, sprach über die Jugend, sozialen Fortschritt, die Frage von gesetzlichen Feiertagen, um dann unter abermaliger Bezugnahme auf den »Heldenkanzler« die Punkte aufzuzählen, um die es gehen sollte  : »Was wir wollen  : Wir wollen ein freies und deutsches Österreich. Wir wollen ein christliches und einiges Österreich. Wir wollen Brot und Frieden im Lande und wir wollen die Gleichberechtigung aller, die zu Volk und Heimat stehen.«264

Diese drei Punkte fanden sich schließlich auf den eiligst gefertigten Zetteln für die erste Volksbefragung in der Geschichte Österreichs. Nichts war wirklich vorbereitet. Es gab keine Wählerlisten, ja zunächst nicht einmal Klarheit darüber, wer überhaupt an der Befragung teilnehmen durfte. Es gab auch ein begriffliches Wirrwarr, da auch in den öffentlichen Verlautbarungen von »Abstimmung«, »Abstimmungskommissionen«, »Stimmberechtigten« etc. die Rede war, was nicht so recht zu einer Befragung passen wollte. Aufgerufen waren alle Österreicher und Österreicherinnen, die am 13. März das 24. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Mitglieder der Vaterländischen Front sammelten Geld, um die Werbemaßnahmen zu finanzieren. Viereinhalb Millionen Schilling kamen zusammen. Vor allem Juden spendeten bereitwillig und trugen sich in Listen ein, die dann den Nationalsozialisten in die Hände fielen.265 Anna Mahler engagierte sich wie viele Intellektuelle und Künstler für Schuschniggs Kurs. Andere, die vielleicht ein entsprechendes Sensorium hatten oder aber wie Alwine Dollfuß, die Witwe des ermordeten Bundeskanzlers, skeptisch waren, verließen Österreich. Mussolini hatte sie gewarnt und legte ihr eine Woche vor der Volksbefragung nahe, Österreich zu verlassen.266 Schon aus dem politischen Abseits meldete sich der ehemalige Vizekanzler Emil Fey mit einem Aufruf an die Heimwehrangehörigen von ehedem. Sein Aufruf, bei der Volksbefragung mit »Ja« zu stimmen, gipfelte in dem Satz  : »Nur mein Wort gilt für Euch  !« Vielleicht wollte er nochmals in die Rolle des Retters des Vaterlands schlüpfen, so wie er das auch am 25. Juli 1934 getan hatte.

Die Volksbefragung

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Schuschnigg erhielt aus allen Bundesländern mit Ausnahme der Steiermark beruhigende Versicherungen, was den Ausgang der Befragung betraf. Man glaubte, mit der Textierung auch den Nationalsozialisten genügend weit entgegengekommen zu sein, sodass sie einen Zettel mit »Ja« in die eiligst gefertigten Behältnisse werfen konnten und sich nicht der »Nein«-Zettel oder eines leeren Zettels bedienen mussten. Schuschnigg rechnete auch mit den Stimmen der »Linken«, obwohl er sich bis zuletzt geweigert hatte, sie aus der Illegalität zu holen und ihre Forderungen nach Wiederzulassung als politische Gruppierung zu erfüllen. Doch gerade die Signale, die er von den Revolutionären Sozialisten erhielt, stimmten ihn zuversichtlich. Sie hatten aber wohl nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Seyß-Inquart drängte Schuschnigg, die Volksbefragung abzusagen. Der Kanzler blieb fest. Er rechnete mit einer sicheren Mehrheit. Einer Milchmädchenrechnung zufolge stand ein Drittel der Bevölkerung zur Regierung, ein Drittel war gegen die Regierung und würde wohl mit »Nein« stimmen, und ein Drittel war noch schwankend, würde sich aber mehrheitlich auf die Seite der Befürworter des Unabhängigkeitskurses schlagen. Während Schuschnigg Festigkeit zeigte, zögerte Seyß-Inquart. Die Landesleitung der NSDAP gab die Parole »Wahlenthaltung« aus.267 Am 10. März zeigte sich, dass sich etliche Angehörige der Landesleitung und auch einige der (illegalen) Gauleiter nicht daran halten wollten. Sie versetzten die illegalen Wehrformationen, SA und SS, in Bereitschaft. Am 11.  März war klar, dass die Nationalsozialisten die Volksbefragung verhindern wollten. Ihre Leitlinie, mit der sie sich über Seyß-Inquart hinwegsetzten, lautete  : Wir organisieren die Basis gegen die Führung. Im Lauf des Tages fiel ihnen ein Bundesland nach dem anderen zu. Da und dort drohte der Ausbruch von Gewalt, doch letztlich ging es überall ohne Blutvergießen ab. Die Stimmung nahm massenpsychotische Züge an. Es wurde demonstriert und geworben. Die Bundesregierung rief noch immer dazu auf, am 13. März mit »Ja« zu stimmen. Die Nationalsozialisten hatten aber mittlerweile ohnedies schon vollendete Tatsachen geschaffen. Schuschnigg hatte sich zunächst noch so weit Herr der Lage geglaubt, dass er eine vorsorgliche Mobilmachung des Bundesheers nicht in Erwägung zog. Sie schien ihm zu sehr Drohung zu sein. Außerdem benötigte der Kanzler einen Teil des Heeres schon seit Tagen zur Niederhaltung der nationalsozialistischen Unruhen und zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Volksbefragung. Erst am Nachmittag des 11. März wurde »Konsignierung« verfügt, und die Truppen durften ihre Kasernen nicht mehr verlassen. Von der Operationsabteilung des Verteidigungsministeriums erging der Befehl, für den nächsten Tag Waggons für den Transport von Einheiten des Bundesheers bereit zu stellen.268 Vielleicht hätte Schuschnigg anders gehandelt, wären von Hitler sofort Drohungen ausgestoßen worden. Doch der Führer und Reichskanzler befahl Schweigen. Von einem Tag auf den anderen war ihm ein Vorwand geliefert worden, seine am 5. November des

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Vorjahres entwickelten Gedankengänge für den »Fall Österreich« zu Ende zu denken. Für ihn hatte sich seit damals einiges verändert. Nicht aber durch die Begegnung in Berchtesgaden, sondern dadurch, dass er den Widerstand eines Teils der deutschen Heeresgeneralität, der ihm natürlich bekannt und auch im Fall der Vorbereitungen gegen Österreich begegnet war, ausgeschaltet hatte. Der Einmarsch Zu Mittag des 10.  März erging an den Chef des Generalstabes der Wehrmacht der Befehl, Pläne für einen Einmarsch in Österreich am 12. März vorzubereiten. Stichwort »Fall Otto«. Hitler zögerte allerdings noch mit dem Mobilmachungsbefehl und gab ihn erst auf Drängen Görings hinaus. Am Abend des 10. März liefen die deutschen militärischen Vorbereitungen voll an. Oberbefehlshaber und Kommandierende Generale wurden eiligst nach Berlin befohlen, der Chef der Abwehr, Admiral Canaris, hatte zu melden, ob irgendeine europäische Macht militärische Vorbereitungen träfe. Dabei galt das Hauptaugenmerk Frankreich. Canaris konnte Hitler beruhigen. Frankreich war mit sich selbst beschäftigt. Das Heeresgruppenkommando in Dresden stellte ein Armeeoberkommando auf, das die Nummer 8 erhielt. Die beiden süddeutschen Wehrkreise VII und XIII wurden dem neuen Oberkommando der 8. Armee unterstellt und hatten ihre Truppen mobilzumachen. SS-Verfügungstruppen, Ordnungspolizei und Luftwaffenverbände wurden alarmiert. Alles geschah getarnt unter dem Vorwand einer Parade in München, von Mobilmachungsübungen und ähnlichem. In Österreich aber begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Während sich die deutsche 8. Armee zum Einmarsch bereitstellte, zögerte man in Wien weiterhin, militärische Maßnahmen zu ergreifen. Theoretisch wäre ebenfalls eine Mobilmachung denkbar gewesen, doch der Kanzler hatte anders entschieden. Alles in allem verfügte das Bundesheer über weniger als 60.000 Mann, die nach Mobilmachung auf 125.000 Mann Kriegsstand gebracht werden konnten. Zeitbedarf  : Eine Woche.269 Zu den Kräften des Bundesheeres waren seit der am 1.  April 1936 erfolgten Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht noch jene der Frontmiliz zu zählen. Auf dem Papier waren das abermals über 100.000 Mann. Ein Teil dieser Leute, die mangelhaft bewaffnet waren und für ihre Waffen nur jeweils 10 Patronen besaßen, verfügte über Kriegserfahrung und sollte wohl – wie so oft in Österreich – durch Tapferkeit ausgleichen, was an Waffen fehlte. Bundesheer und Frontmiliz waren nicht aufeinander eingespielt, und das Heer sah in der Miliz auch keine vollwertige Ergänzung. Schuschnigg befahl die Einberufung der Reservisten des Jahrgangs 1915, eine an sich völlig sinnlose Maßnahme, da dadurch nur da und dort ein paar Soldaten zur Auffül-

Der Einmarsch

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lung der Verbände herangezogen werden konnten. Von den Mobilzumachenden folgten etwa 10.000 Mann dem Einberufungsbefehl und rückten in die Kasernen ein. Ein Teil von ihnen trug Hakenkreuzarmbinden. Die Demonstration war nur zu deutlich. Zu Mittag des 11. März rückten zwei Bataillone, also etwas mehr als 1.000 Mann, zur Verstärkung der Garnisonen in den oberösterreichischen Raum ab. Sie sollten die Grenzbeobachtung sicherstellen. Das war aber nicht mehr als eine Demonstration, denn es wurde ja nicht etwa der Jansa-Plan oder sonst irgendeine vorbereitete Planung in die Wirklichkeit umzusetzen gesucht. Der Generaltruppeninspektor, General Sigismund Schilhawsky, informierte den Bundeskanzler zur selben Zeit, dass der »Widerstand … unter diesen Umständen, wenn wir nicht auf eine sofortige Unterstützung von außen rechnen können, … aussichtslos und nicht zu vertreten« sei. Schuschnigg hatte verstanden. Er erklärte nun doch seine Bereitschaft, die Volksbefragung abzusagen und stellte auch seinen Rücktritt in Aussicht. Zeitgleich klammerten sich jene, die noch immer hofften, die Volksbefragung würde allen Pressionen zum Trotz durchgeführt werden, an die letzten Strohhalme der Hoffnung. In den Abendausgaben der jüdischen Zeitungen hieß es auf den Titelseiten unverändert  : »Wir bejahen Österreich  ! Alles an die Urnen«.270 Am Nachmittag erhöhte Deutschland den Druck. Göring verlangte den Rücktritt Schuschniggs binnen Stundenfrist und die Betrauung Seyß-Inquarts mit der Kanzlerschaft. Doch Bundespräsident Miklas weigerte sich, den Innenminister mit der Regierungsbildung zu betrauen. Um 20 Uhr gab Schuschnigg über Radio seinen Rücktritt bekannt. Zum Schluss hieß es  : »Gott schütze Österreich  !« Den Bundesheereinheiten wurde befohlen, keinen Widerstand zu leisten und sich nach Osten zurückzuziehen. Wenig später erhielten die Verbände der deutschen 8. Armee den Befehl, in Österreich einzumarschieren. Praktisch in Minutenabständen änderte sich die Situation. Nach dem Rücktritt Schuschniggs suchte der Bundespräsident nach Kandidaten für das Kanzleramt. Schließlich blieb ihm nichts anderes, als dem Druck Berlins nachzugeben und den Innen- und Sicherheitsminister mit der Bildung einer Bundesregierung zu betrauen. Seyß-Inquart, der von den Vorbereitungen zum Einmarsch deutscher Truppen wusste, hätte den gerne verhindert. Auch Hitler schien nicht wild entschlossen. Doch das Zögern Seyß-Inquarts, ein von ihm verlangtes Ersuchen um militärische Intervention zu stellen, wurde schließlich von Göring, ohne Hitler zu informieren, dadurch unterlaufen, dass ein Telegramm im Namen Seyß-Inquarts abgeschickt wurde, in dem um den Einmarsch deutscher Truppen gebeten wurde. Die 8. Armee setzte sich in Bewegung. Es gab keinen Widerstand. Der neue Bundeskanzler Seyß-Inquart sah sich nicht einmal mehr vor die Notwendigkeit gestellt, dem Bundesheer jeglichen Widerstand zu verbieten. Das hatte noch sein Amtsvorgänger gemacht. Ungeachtet des Wirrwarrs um einen militärischen Einmarsch stellte Seyß-Inquart seine Regierungsliste zusammen, wollte eine österreichische Bundesregierung bilden

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und fand damit die Billigung von Wilhelm Miklas, der die Liste der Minister und Staatssekretäre unterzeichnete. Er tat das noch ein weiteres Mal, als Seyß-Inquart die Regierung, die noch gar nicht wirklich existierte, umbildete und zwei Staatssekretäre austauschte. Wieder unterschrieb Miklas. Erst als ihm Seyß-Inquart am 13. März das »Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« zur Gegenzeichnung vorlegte, erklärte Miklas, er würde an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte gehindert sein und legte sein Amt nieder. Die Befugnisse des Bundespräsidenten gingen daraufhin auf den Bundeskanzler über, der das Anschlussgesetz unterschrieb. Als die deutschen Verbände am 12. März vorrückten, trafen sie nicht nur auf keinen Widerstand, sie mussten den Eindruck haben, in ein jubelndes Land einzurücken. Entlang der Straßen und vollends, als dann Adolf Hitler am 13. nach Österreich kam, hallte es von allen Ecken und Enden »Ein Volk, ein Reich, ein Führer  !« Der Blick auf die ungehindert vorrückenden Truppen verdeckt vieles, nicht zuletzt die handstreichartige Inbesitznahme Wiens, das durch eine Luftlandeoperation und durch die Sicherung aller neuralgischer Punkte und Objekte rund zehn Stunden vor dem Eintreffen deutscher Bodentruppen eingenommen wurde und bereits am frühen Morgen des 12. März fest in deutscher Hand war. In der diesbezüglichen Zeitungsmeldung hieß es dürr  : »Reichsführer-SS Himmler ist, im Flugzeug aus München kommend, heute gegen 5 Uhr in Wien eingetroffen. In seiner Begleitung befinden sich unter anderen der Chef der Schutzpolizei, SS-Gruppenführer Heydrich, der Chef der Ordnungspolizei, General Daluege, SS-Oberführer Jest, SS-Standartenführer Müller und Oberstleutnant der Schutzpolizei Meißner.« Auf Himmler und die SS folgten die Heeresverbände, und denen folgte Hitler. Da keiner der Nachbarn Österreichs auch nur eine einzige Geste machte, die auf militärische Vorbereitungen oder gar feindliche Absichten schließen ließ, die deutschen Truppen andererseits peinlich darauf bedacht waren, Abstand zu den Grenzen, insbesondere der Tschechoslowakei zu halten, da Italien nichts unternahm, um Österreich zu helfen, was Hitler Mussolini »niemals vergessen« wollte, war die Besetzung Österreichs am 12. März kein militärisches Problem mehr. »Wien, l3. März. Amtlich wird mitgeteilt  : Gestern um acht Uhr früh haben deutsche motorisierte Truppen die österreichische Grenze zu einem Freundschaftsbesuch überschritten.« Die nicht zuletzt für die internationale Presse gedachte Mitteilung beschrieb mit wenigen Worten und falsch das Geschehene. Ungarn sperrte seine Grenze für Flüchtlinge aus Österreich. Ähnlich reagierte die Tschechoslowakei. Reisende mit österreichischen Reisepässen wurden aus dem letzten nach Břeclav (Lundenburg) fahrenden Zug geholt und mussten nach Wien zurückkehren, »wo sie von einer Meute triumphierender SA-Männer festgenommen wurden.«271 Die Staaten der Kleinen Entente konnten sich sagen, dass kein Anlass gegeben war einzugreifen, denn ihr Bündnis

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gründete ja auf einer habsburgischen Restauration. Dass es Österreich nicht mehr gab, war für sie eine Tatsache. Sie hatten darauf gewartet. Ebenso der Rest der Welt. Nachruf auf einen Staat Keine Frage  : Es war ein fragiles Gebilde gewesen, das 1918 aus den Trümmern eines Großreichs entstanden war. Innerhalb von rund zwei Wochen sollte sich ein Konglomerat von historischen Kronländern, Herzogtümern und Grafschaften als Bundesstaat definieren und der bisherigen Reichshaupt- und Residenzstadt die Funktion der Bundeshauptstadt geben. Aus den Resten eines Kaiserreichs sollte eine demokratische Republik werden, und das alles gewissermaßen aus dem Stand, denn es war ja nicht im Untergrund, im Exil oder auf einem Reißbrett entstanden. Ein Experiment. Alles war ungewiss  : Die Grenzen des Staates, das Staatsvolk, die politischen Strukturen. Die allermeisten Menschen sahen sich als Opfer und nicht als verantwortlich für das Geschehene. Weniges gab Anlass zur Hoffnung, am ehesten noch der Umstand, dass es so etwas wie Selbstbestimmung geben sollte. Das erwies sich als Irrtum, wie so vieles auf Irrtümern gründete. Die Zukunft wurde von Verträgen bestimmt – wie das Allermeiste im Zusammenleben von Menschen auf Verträgen gründet. Der Vertrag von Saint-Germain war da wohl das wichtigste Vertragsinstrument, und jedes Mal, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen schien, wurde auf Saint-Germain und die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen gedrungen. Von Anfang an war Gewalt ein Element, mit dem Politik zu machen versucht wurde. Gewalt setzten jene ein, die ein Ziel erreichen, und ebenso jene, die etwas verhindern wollten. Staatsmacht wurde zu einem mehr als schillernden Begriff. Denn zunächst schien der Staat kaum Macht zu haben, die er nach innen und noch viel weniger nach außen einsetzen konnte. Es reichte gerade dazu, einen weiteren Umsturz zu verhindern. Nicht, dass Österreich sehr viel anders gewesen wäre als das europäische Umfeld. Überall gab es Spannungen, gewaltsame Auseinandersetzungen, Umstürze und Morde. Doch Österreich war fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Regierungen kamen  ; Regierungen gingen. Die Verkünder von »Heilslehren« mehrten sich, fanden Zustimmung und Ablehnung. Gemeinschaftliches wurde kleingeschrieben und auf die jeweils Eigenen projiziert. Die Jahre, in denen es eine einigermaßen ruhige Entwicklung gab, ließen sich dann an den Fingern einer Hand abzählen. Zeitgleich stieg die Gewaltbereitschaft kontinuierlich an, mündete in bewaffneten Aufständen und Kanzlermord. Und als man ans Zusammenzählen ging, ließ sich für die Jahre von 1918 bis 1938 feststellen, dass es 338 Anschläge gegeben hatte, und dass bei den diversen Gewaltakten und gewaltsamen Aktionen 836 Menschen getötet und rund 2.000 verletzt worden waren.272

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Auch der wirtschaftliche Aufschwung wollte nicht gelingen, wobei es ein Gemenge von Altlasten aus der Monarchie, Misswirtschaft und Korruption gab, die zum Zusammenbruch großer Kreditinstitute und Wirtschaftsunternehmungen führten. Misstrauen gegenüber den meisten Politikern aber auch die Eingriffe von außen, ideologische Verhärtungen und schließlich eine direkt gegen den Fortbestand eines unabhängigen Österreich gerichtete Politik des nationalsozialistischen Deutschland nahmen immer bedrohlichere Züge an. Man ließ es geschehen. Dabei war den Staaten, die dieses Österreich hatten werden lassen, vorweg Großbritannien und Frankreich, doch ebenso Italien durchaus bewusst, dass Österreich nicht mit ermunterndem Zuspruch geholfen war, sondern es effektive Hilfe brauchte. Auch da war natürlich zu fragen, wie die aussehen sollte. Der britische Botschafter in Wien, Sir Walford Selby, fragte es schon 1933 in einem Privatschreiben an den Staatssekretär im Kabinett von Ramsey MacDonald, Anthony Eden, in aller Direktheit  : »Was hat England getan, um Österreich wirtschaftlich zu helfen  ?«273 Nichts  ! Man hätte den bilateralen Handel intensivieren, Österreich etwas von seiner Schuldenlast nehmen können. Es ist nichts geschehen. Und der letzte britische Geschäftsträger an der Botschaft in Wien, William Henry Bradshaw Mack, ortete ein weiteres Versäumnis  : England hätte die im Januar 1938 begonnenen Gespräche mit Italien dazu nützen können, die Achse des Ersten Weltkriegs wiederherzustellen und Italien an den Londoner Vertrag von 1915 zu erinnern, dem es seine Großmachtstellung verdankte.274 Doch es war nicht geschehen. Die verheerenden innenpolitischen Zustände zu ändern, überschritt sicherlich die Möglichkeiten eines Jeden, der sich als Geburtshelfer eines 1918 geschaffenen Österreich wähnen mochte. Bis 1936 gab Italien einen gewissen Rückhalt, hatte dabei aber – was ihm nicht vorzuwerfen war – den eigenen Vorteil im Blick. Dann aber ging es relativ rasch dem Ende zu. Dollfuß hatte sich merklicher Sympathien erfreut, auch wenn sein Regime im Westen Europas keine Zustimmung fand. Schuschnigg konnte diesen Sympathiebonus nicht nutzen, verlor die Unterstützung Italiens, versuchte die deutsche Karte zu spielen und musste sich seine Ohnmacht eingestehen. Die anderen sahen zu und wussten sehr wohl, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein mitteleuropäisches Problem handelte. Österreich war 1938 als Staat gescheitert. Zwanzig Jahre zuvor war es schon Teil eines gescheiterten Staatswesens gewesen. Beides hinterließ Spuren, kratzte auch am Selbstvertrauen. Warum hatte es so kommen müssen  ? Lag es an den geographischen, an den machtpolitischen Voraussetzungen, die nicht beeinflussbar waren  ? Fatalisten mochten so denken. Lag es an den Menschen, an ihrer Mentalität, an einer oder gleich mehreren Politikerkasten  ? Waren entscheidende Weichenstellungen falsch gewesen  ? Gab es einen Punkt im historischen Ablauf, an dem man sagen konnte  : Hier war die Wende  ? Nachrufe haben immer davon auszugehen, dass man etwas Endgültiges, Irreversibles in Worte zu fassen versucht. Wenn es um den Nachruf auf einen Staat geht, gilt aber das Wort »de mortuis nil nisi bene« nicht. Da gilt Kritik. Jene, die sie seinerzeit

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geäußert haben, mussten sie wohl auch als Selbstkritik verstehen. Nichts dergleichen floss in die Nachrufe ein, die später zu hören waren. Da kam bestenfalls Bedauern zum Ausdruck. Die Kritik aber richtete sich gegen jene, die es so weit hatten kommen lassen. Im britischen Unterhaus fand Premierminister Sir Neville Chamberlain passende Worte und warnte gleichzeitig vor überhasteten Entschlüssen. Deutlicher noch Leopold Stennett Amery, der schon 1918 gewarnt hatte, dass der Zerfall ÖsterreichUngarns unabsehbare Folgen haben könnte. Winston Churchill nützte seinen Nachruf im britischen Abgeordnetenhaus am 14. März dazu, indirekt Kritik an Chamberlain zu üben und auf die Folgen des österreichischen Anschlusses für den gesamten Donauraum hinzuweisen. Er sprach von der bevorstehenden Unterdrückung der katholischen Bevölkerung und der Arbeiterklasse durch die Nationalsozialisten. Man könne darüber nicht mit der Feststellung »geschehen ist geschehen« hinweggehen.275 Das war ja nun sehr ehrenwert. Weit sensibler war wohl die Abschiedsdepesche des britischen Geschäftsträgers in Wien, William Mack, aus der vor allem Wehmut sprach  : »So endete Österreich – das Österreich des Vertrags von Saint-Germain, dessen Unabhängigkeit durch den Vertrag für unabänderlich erklärt wurde, es sei denn, der Völkerbund würde zustimmen. Was die Zukunft bringen wird, ist schwer vorauszusagen. Alt-Österreicher meinen, dass ihr Land ohnedies schon mit dem Ende der Feindseligkeiten 1918 aufgehört hat zu existieren. Für sie, die meisten von ihnen Legitimisten, birgt die Zukunft wenig Hoffnung. Die Arbeiter in den Städten und die Bauern auf dem Land werden zweifellos mehr Arbeitsmöglichkeiten finden, und die Arbeitslosigkeit wird wie in Deutschland größtenteils verschwinden. Die deutschen Verantwortlichen haben denn auch keine Zeit verstreichen lassen, um ihr größtmögliches Interesse am Wohlergehen der Arbeiter zu bekunden, und sie werden alles daransetzen, das zu erreichen.  … Die Juden werden wie in Deutschland unterdrückt werden und sie werden keine Möglichkeit mehr haben, am öffentlichen Leben mitzuwirken und kaum Möglichkeiten, sich wirtschaftlich über Wasser zu halten. Die Kirchenführer haben das Unvermeidliche akzeptiert und haben willentlich oder unwillentlich ihre Herden ermahnt, bei der (kommenden) Volksabstimmung ihre Zustimmung zu bekunden. Über die Begeisterung der Jugend für die Nazis gibt es keinen Zweifel, und viele Österreicher, vor allem die untere Mittelklasse, schaut hoffnungsvoll in die Zukunft auf Grund der weit größeren Möglichkeiten, Arbeit und Beschäftigung in einem größeren Deutschland zu finden, von dem Österreich nunmehr ein Teil ist. Wien macht bereits den Eindruck einer deutschen Stadt.« Der Enthusiasmus, mit dem Hitler begrüßt wurde, ist zwar bald abgeklungen, doch »für den Augenblick muss gesagt werden, dass die Spitze des Stephansturms über einer Stadt steht, die im Lauf einer einzigen Nacht germanisiert worden ist, und dass eine Stadt, die 1683 als Bollwerk der Zivilisation gegen die Türken fungierte, in das östliche Bollwerk eines Landes umgewandelt wurde, das von Menschen dominiert wird, deren kultureller und philosophischer Ausblick darin besteht, die meisten Prinzipien zu negieren, für die die Zivilisation steht«.276

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(Sieben Jahre später, 1945, sollte W.  H.  B. Mack Wien als britisches Mitglied der Militär­regierung für Österreich wiedersehen.) Das Gesetz vom 13.  März nannte den Vorgang des Anschlusses »Wiedervereinigung«. Das war natürlich Unsinn, denn das Österreich von 1938 war mit dem Deutschen Reich nie vereinigt gewesen. Sieben Jahre später wurde die Einverleibung Österreichs durch das Deutsche Reich als Okkupation bezeichnet. Und von da an führten die Anhänger der Annexions- wie der Okkupationstheorie in zahllosen Varianten ihre Argumente an, um das Geschehene mit einem völkerrechtlich zutreffenden Begriff zu versehen. Da kam und kommt denn auch alles vor  : das Anschlussstreben, die Zerrissenheit, das Evolutionäre wie das Reaktionäre und das Radikale, die mehr oder weniger gewaltlose Machtübernahme durch die Nationalsozialisten noch vor dem Einmarsch deutscher Truppen, das Ausbleiben eines militärischen Widerstands und der Jubel einerseits, sowie die Drohungen, der Zwang und der Einsatz einer kompletten deutschen Armee anderseits. Letztlich kann man jedem Aspekt etwas abgewinnen. Die sozialdemokratische Emigration versuchte es mit einem besonderen Kunstgriff  : Da das Wort »Anschluss« eine fixe Größe im Vokabular geworden war, das man sich auch von den Nationalsozialisten nicht nehmen lassen wollte, wurde der Vorgang der Einverleibung Österreichs als »Annexion« bezeichnet. Auch unter jenen, die den Nationalsozialismus ablehnten, gab es Anschlussbefürworter. Das Schicksal derer aber, die von allem Anfang an Leidtragende waren, wurde wohl wahrgenommen, jedoch meistens gedanklich auszuklammern gesucht. Es passte nicht ins Bild.

10. Die NS-Revolution

10 Die NS-Revolution

10 Noch in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 verschwanden die rot-weiß-roten Fahnen im öffentlichen Raum. Auch vor dem Parlamentsgebäude in Wien wehten Hakenkreuzfahnen. Das Gebäude wurde in der Folge vom »Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich«, Josef Bürckel, genutzt und wurde dann als Sitz der Gauleitung zum »Gauhaus« für den Reichsgau Groß-Wien. Am 10. September 1944 wurde das Parlamentsgebäude bei einem amerikanischen Bombenangriff schwer beschädigt. (Foto: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien)

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achdem Hitler noch am 10. und 11.  März die beruhigende Mitteilung erhalten hatte, dass sich im Ausland gegen den raschen und gewaltsamen Anschluss Öster­reichs kein nennenswerter Widerstand regen würde, konnten ihn allfällige spätere Reaktionen nicht mehr irritieren. Tatsächlich wurde von der britischen wie der französischen Regierung nur die Art und Weise des Anschlusses auf durchaus zurückhaltende Art kritisiert, nicht aber das Faktum an sich. In Moskau drückte der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Maksim Litvinov, die Missbilligung der sowjetischen Regierung mit der drastischen Formulierung »internationales Verbrechen« aus. Seine unverbindliche Aufforderung zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die »völkerrechtswidrige Aggression« Deutschlands blieb – nicht überraschend – ohne Reaktion. Lediglich in Genf, am Sitz des Völkerbunds, dem Deutschland seit dem Oktober 1933 nicht mehr angehörte, kam es zu einem formalen Protest. Den brachte aber nicht der österreichische Gesandte Pflügl ein. Der hatte am 12. März ein lapidares Telegramm an das Wiener Außenamt geschickt  : »Ersuche, meinen Rücktritt von meinem bisher zur Bundes-Regierung bestandenen Dienstverhältnis zur Kenntnis zu nehmen«. Wohl aber übergab der mexikanische Gesandte im Namen seiner Regierung am 19. März dem Generalsekretär des Völkerbunds, Joseph A. Avenol, eine Note, in der der »politische Tod« Österreichs als schwerer Verstoß gegen die Völkerbundsatzungen und gegen die »geheiligten Prinzipien des Völkerrechts« bezeichnet wurde. Ähnlich hatte die mexikanische Regierung auch auf Krisen in Abessinien, China und Spanien reagiert. Ein gemeinsames Vorgehen war unterblieben.277 Im österreichischen Fall sollte das nicht anders sein. Die mexikanische Note wurde noch dazu dadurch konterkariert, dass Mexiko zeitgleich mit Deutschland erfolgreich über Erdöllieferungen verhandelte und die Gespräche nicht durch eine allzu harsche Kritik im Völkerbund stören wollte.278 Herr Avenol hatte Österreich aber ohnedies schon aus der Mitgliederliste gestrichen.279 Man ging zur Tagesordnung über. Die Volksabstimmung

24 Stunden hatte man glauben können, Hitler würde Österreich im Rahmen des Deutschen Reichs einen Sonderstatus geben und einen schleifenden Übergang wollen, vergleichbar jenem Bayerns nach 1871. Er selbst hatte von fünfzig, ja achtzig Jahren gesprochen, die man Österreich Zeit geben sollte. Auch eine Personalunion war überlegt

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worden  : Hitler als Reichskanzler in Deutschland und Bundeskanzler in Österreich. Doch bereits am 13. März waren diese Überlegungen gegenstandslos geworden. Hitler entschloss sich für einen anderen Weg. Österreich wurde sofort und total eingegliedert. Damit wurde auch jenen, die von einem nationalsozialistischen Österreich geträumt hatten, eine Illusion genommen. Dass sie enttäuscht waren, interessierte aber nicht weiter. Jetzt herrschten die radikalen Angleicher und machten auch rasch deutlich, dass es nicht nur um den Anschluss, sondern auch um Rache ging. Die Zentren waren besetzt, potentielle Gegner des Regimes wurden innerhalb der ersten Stunden verhaftet. Wer konnte, suchte den Weg ins Ausland. Exponenten von Heimwehr und Ständestaat suchten den Tod. Der Staatssekretär für Landesverteidigung, General Wilhelm Zehner, wurde unter ungeklärten Umständen ermordet  ; Odo Neustädter-Stürmer, mehrfacher Minister und prominenter Heimwehrführer, der die Rache der Nationalsozialisten wegen seiner Rolle im Juliputsch 1934 fürchtete, verübte Selbstmord  ; der ehemalige Vizekanzler und Heimwehrführer Emil Fey stürzte sich aus dem Fenster. Der Kulturphilosoph Egon Friedell, der abgeholt werden sollte, um Straßen zu waschen, tat es ihm gleich.280 Es waren einige von 220 Selbstmorden. Schuschnigg wurde unter Hausarrest gestellt, kam dann ins Gefängnis und erfuhr schließlich eine eigentümliche Sonderbehandlung als KZ-Häftling mit Besuchsrecht seiner Frau. Bundespräsident Miklas aber wurde offenbar in Anerkennung seines Nachgebens nicht belangt. Er konnte in seiner Villa bleiben und behielt seinen Dienstwagen. Es waren nicht wenige, die das nicht verstehen konnten.281 Ein besonderes Anliegen der Angleicher war die Übernahme der Exekutive und deren Vereidigung auf Hitler und den NS-Staat. Sollte jemand diesbezüglich Sorge gehabt haben, es könnte Widerstand geben, konnte er beruhigt sein. Die Integration von Polizei, Gendarmerie und Bundesheer ging reibungslos vor sich. Nachdem Schuschnigg den Truppen den Befehl zum Einrücken gegeben hatte und der Bundespräsident als nomineller Oberbefehlshaber des Bundesheers offenbar auch keinen militärischen Einsatz wollte, fuhren und marschierten die Soldaten wieder in ihre Kasernen zurück. Die Staatsführung hatte ganz bewusst ihr einziges noch einigermaßen funktionierendes Machtinstrument nicht eingesetzt. Ein Teil der Soldaten und vor allem der Offiziere war wohl orientierungslos geworden, doch an ihrer Befehlstreue gab es keinen Zweifel. Deutscherseits ließ man dennoch keine Zeit verstreichen, um sich dieses Machtinstruments zu versichern. Anlässlich der Vereidigung des Bundesheers auf Adolf Hitler trat nur eine kleine Gruppe von hohen Offizieren nicht an. Vier von rund 2.000 Offizieren sowie 123 Unteroffiziere und Wehrmänner von 55.000 Soldaten verweigerten ausdrücklich den Eid.282 Die überwiegende Zahl nahm an der kollektiven Vereidigung teil. Sollte jemand den Eid nicht haben sprechen wollen und nur die Lippen bewegte, fiel das in der Menge nicht auf – und änderte nichts. Wie überhastet dabei vorgegangen wurde, zeigte sich

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schon wenig später, als man feststellte, dass jüdische Offiziere und Mannschaften sowie Gegner des Nationalsozialismus ohne weiteres mitvereidigt worden waren. Sie hatten vielleicht gehofft, auch in deutscher Uniform weiter dienen zu können. Es dauerte nicht lange, und sie wurden aufgrund der Überprüfung jedes Einzelnen entlassen. 440 Offiziere des Bundesheers mussten ausscheiden. Etliche wurden später verfolgt, kamen in Konzentrationslager und wurden umgebracht. Gewissermaßen im Gegenzug wurden 50 Offiziere, die in der Zeit des Ständestaats gemaßregelt worden waren, wieder eingestellt. Am Gesamteindruck ließ sich nicht mehr rütteln  : Das Bundesheer war Teil der Wehrmacht geworden und paradierte am 15. März vor seinem neuen Obersten Befehlshaber. Alles schien so selbstverständlich. Ähnlich verlief es bei Polizei und Gendarmerie. Machtpolitisch war Österreich vom ersten Tag an Bestandteil des Deutschen Reichs. Adolf Hitler kam in ein Land, das ihm wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen war. Als der Führer und Reichskanzler dann am 15. März von der Terrasse der Neuen Hofburg den »Eintritt« seiner »Heimat Österreich in das Deutsche Reich« verkündete und der »ältesten Ostmark des deutschen Volkes« ihre neue Mission als »jüngstes Bollwerk der deutschen Nation« bekannt gab, nahm der Jubel  – gelenkt oder nicht gelenkt – massenpsychotische Züge an.283 In Abwandlung eines von Joseph Roth 1925 auf den Moskauer Roten Platz geprägten Satzes hätte man auch formulieren können  : Und hinter dem Heldenplatz, »in der Straße, steht die Weltgeschichte mit verschleiertem Gesicht«.284 Dass bei der Trauerfeier der Vaterländischen Front für Engelbert Dollfuß am 8. August 1934 mehr Menschen auf dem Heldenplatz waren als am 15. März 1938 und die Fotos bearbeitet worden sind, ist mittlerweile evident. Am Umstand, dass Massen in die Wiener Innenstadt geströmt waren, um das Schauspiel mitzuerleben, besteht aber kein Zweifel. Es mischte sich aber auch Erleichterung in den Jubel, denn es war nicht zum Krieg gekommen. Schon tags darauf begannen die Vorbereitungen für eine Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Deutschland. Schuschnigg hatte sie nicht gewagt, da das Ergebnis ja bindend gewesen wäre und die Vorbereitungszeit dafür sicher nicht gereicht hätte  ; Hitler zögerte nicht, setzte sie für ganz Deutschland an, und der Parteiapparat der NSDAP begann damit, das Ergebnis sicherzustellen. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Eine möglichst hundertprozentige Zustimmung war das Ziel. Nicht der ja noch amtierende Bundeskanzler Seyß-Inqart sollte aber die Vorbereitungen treffen, sondern ein Mann, der aus dem Saarland einschlägige Erfahrungen mitbrachte, der dortige Gauleiter Josef Bürckel. Er erhielt noch am 13. März den Auftrag, die NSDAP in Österreich zu reorganisieren und die Volksabstimmung vorzubereiten. Und er leistete ganze Arbeit. Mit einem in Österreich nicht gekannten Aufwand wurde Propaganda betrieben. Es galt, die österreichischen Anschlussbestrebungen zu betonen, die Zeiten der Ablehnung seitens Deutschlands vergessen zu machen, und die gewisse Häme zu un-

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terdrücken, die deutscherseits gegenüber den rückständigen Ostmärkern, den »Kameraden Schnürschuh« des Ersten Weltkriegs immer wieder angeklungen war, wie umgekehrt nicht mehr von den slawischen Poruzzen gesprochen werden sollte, die noch zu einer Zeit in Sümpfen lebten, in der in Österreich bereits das Nibelungenlied entstanden war.285 Die politische Prominenz des nunmehr als »Altreich« bezeichneten Deutschland wurde für Großkundgebungen verpflichtet. Auch Hitler entzog sich nicht einer Rundreise, die von spontanem wie organisiertem Jubel begleitet war. Wo er hinkam oder auch nur sein Zug hielt, wurden Blumen gereicht, Gedichte aufgesagt und Wangen gestreichelt. Die Schülerinnen und Schüler bekamen dann als Aufsatzthema »Mein schönstes Erlebnis« und schrieben meist in der »deutschen« Kurrentschrift über das »freundlich gütige Gesicht« des Führers »Er streichelte mit seiner weichen gepflegten Hand meine Wange …. Diesen Augenblick werde ich in meinem Leben niemals vergessen können«, schrieb ein zehnjähriges Mädchen in Schwarzach im Pongau.286 Zehntausende taten es ihm gleich. Wo Hitler nicht durchkam, ließen sich die Verfasser von Orts- und Schulchroniken dennoch zu hymnischen Formulierungen hinreißen. Da hatte eben der »größte Sohn, den jemals österreichische Erde gebar«, seine Heimat betreten. Er schien eine Art Kaiser und Messias in einem zu sein. In Berlin versicherte der Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop dem britischen Botschafter, Deutschland würde sich in der Stunde seines Triumphs großzügig erweisen. Gleichzeit zog er über Schuschnigg her und bezichtigte ihn, Intrigen gesponnen zu haben.287 Botschafter Nevile Henderson befürchtete, man würde Schuschnigg vor Gericht stellen. Angesichts des Vorgehens gegen ständestaatliche Einrichtungen, führende Persönlichkeiten der Regierung Schuschnigg und der Auflösung missliebiger Organisationen hatte der britische Botschafter im Deutschen Reich allen Grund, argwöhnisch zu sein. Doch die Gerüchte, dass man Schuschnigg vor einen Sondergerichtshof stellen würde, bewahrheiteten sich nicht. Die Vaterländische Front wurde aufgelöst. 30 legitimistische Organisationen und Vereine wurden verboten und die Mitgliedschaft bei ihnen unter Strafandrohung gestellt. Pfarrer mussten ihre Pfarreien verlassen. Sogenannte Prominententransporte wurden zusammengestellt und in das Konzentrationslager Dachau geführt. Am 1. April 1938 ging der erste Transport ab, dem 151 Personen, Politiker, Gegner des nationalsozialistischen Regimes, Christlichsoziale, Monarchisten, Sozialdemokraten und Kommunisten angehörten. Mehr als ein Drittel von ihnen waren Juden. Wer das Risiko des Verhaftetwerdens nicht eingehen wollte und die Möglichkeit hatte, floh. Vor allem zwei Länder boten sich an  : Die Tschechoslowakei und die Schweiz. Letztere führte kurz darauf einen – wie sie es nannte – »Kampf gegen Überfremdung«. Nachdem die Schweiz 3.000 Menschen aufgenommen hatte, wurde am 28. März die Visumpflicht eingeführt. Von da an galt, was der Polizeichef im Eidgenössischen Justizdepartement knapp formulierte  : »Verlieren wir uns nicht in Sentimentalitäten«.288

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In Österreich setzten schlagartig Repressalien gegen Juden ein. Sie machten ungefähr 4  % der Bevölkerung aus. Ähnlich wie das im Ständestaat der Fall gewesen war, nur mit umgekehrten Vorzeichen, mussten sogenannte Reibtrupps die Parolen für Schuschniggs Volksbefragung und die Symbole des Ständestaats entfernen.289 Der Vergleich mit den »Putzscharen« früherer Jahre hinkte freilich. Die Bilder waren erschreckend, die Vielzahl beschmierter Fenster und Straßenfronten auffallend, und Rufe wie »Juda verrecke« und tagelange Plünderungen machten den Unterschied nur zu deutlich. Zeitgleich begann der Exodus und war von besonders abstoßenden antisemitischen Ausschreitungen begleitet. Die Juden sollten gedemütigt werden.290 Ein regelrechtes Werben setzte um das Votum prominenter Österreicher ein. Karl Renner war einer davon und durchaus damit einverstanden, dass sein »Ja« zum Anschluss in der Propaganda verwendet wurde. Allerdings wollten die NS-Machthaber nicht, dass er von sich aus einen Appell an wen immer richtete. Wohl aber sollte ein Interview mit ihm gemacht und publiziert werden.291 Renner stimmte zu. Trotz der radikal deutschnationalen Einstellung der NS-Führung riefen auch die slowenischen Organisationen in Kärnten dazu auf, am 10. April geschlossen mit Ja zu stimmen. Man wollte keinen Vorwand für Verfolgungsmaßnahmen liefern.292 Etwas schwieriger war es, ein zustimmendes Votum der katholischen Kirche zu erhalten, bis dann der KardinalErzbischof von Wien, Theodor Innitzer, in einem Schreiben an Josef Bürckel sein Ja zum Anschluss bekanntgab und die Zustimmung der katholischen Bischofskonferenz erhielt, dieses Ja zu publizieren und von den Kirchenkanzeln zu verkünden  : »Wir werden uns am Tag der Volksabstimmung als Deutsche zum Reich bekennen und erwarten auch von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volk schuldig sind«. Klar war, dass eine – wenn nicht »die« – Stütze des Ständestaats unter welchen Vorbehalten auch immer auf die Linie der Anschlussbefürworter eingeschwenkt war, wohlwissend, dass sie ihre staatstragende Rolle ausgespielt hatte. Innitzer musste sich für sein Ja in Rom rechtfertigen. Sein Schreiben an Bürckel war tatsächlich nicht vollständig publiziert worden, da es auch eine Schlusspassage enthielt, in der auf die Kirchengesetze und die katholische Lehre hingewiesen wurde.293 Radio Vatikan distanzierte sich förmlich vom Schreiben der österreichischen Bischöfe und betonte am 2.  April, dass die »Feierliche Erklärung« der österreichischen Bischöfe ohne Wissen des Heiligen Stuhls verfasst und abgeschickt worden war. Am 5. April kam Innitzer nach Rom und musste trachten einen Weg zu finden, bei dem weder der Vatikan noch er gegenüber der deutschen Reichsführung das Gesicht verloren.294 Während er noch auf der Rückfahrt nach Wien war, wurde im »Osservatore Romano« eine im Wesentlichen vom Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli formulierte und von Innitzer gebilligte Erklärung zur Erklärung publiziert.295 Auch die evangelische Kirche Österreichs zögerte nicht, ihr Ja zum Anschluss bekannt zu geben. Der evangelische Oberkirchenrat Robert Kauer begrüßte Hitler im Namen von 330.000 evangelischen Deutschen und schrieb ihm enthusiastisch  : »Nach

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Jahren der Unterdrückung, die die schrecklichsten Zeiten der Gegenreformation wieder aufleben ließen …, kamen Sie als Retter«.296 Mit der Eliminierung der politischen Führung und deren Ersetzung durch Personen, die dem NS-Regime ergeben waren, mit der schlagartigen Ausrichtung der Exekutive auf deutsche Kommandobehörden und den zumindest in Ansätzen bereits erkennbaren Unterdrückungsmaßnahmen war schon Wochen vor der für den 10.  April anberaumten Volksabstimmung in Österreich ein Vorgang eingeleitet worden, der als Gleichschaltung bezeichnet wurde, aber gleichzeitig etwas nachholte, das es in Österreich 1918 nicht gegeben hatte, nämlich eine revolutionäre Veränderung. Da ging es nicht nur darum, ein politisches System gegen ein anderes auszutauschen und ein paar Personen an der Spitze und aus der Verwaltung zu entfernen. Es ging um einen Elitentausch und einen gesellschaftlichen Umbruch. Die unmissverständliche Drohung, die von der einmarschierenden 8. Armee ausging, die Verhaftungen, ebenso wie die Gewalt und geduldete Willkür von NS-Formationen wie SA und SS gehörten dazu und rundeten das Bild einer brutalen revolutionären Veränderung ab. Gleichzeitig setzte die Desintegration ein, die alte, bestehende Bindungen zerstören sollte.297 »Volksgemeinschaft« war das Schlagwort, mit dem die Neukonstruktion der Gesellschaft verkündet wurde. Auch die Gedächtniskultur wurde in den Dienst des revolutionären Umbruchs gestellt, und es war wohl ein weithin sichtbares Zeichen, dass der Wiener Rathausplatz noch am 12. März in »Adolf-Hitler-Platz« umbenannt wurde. Tausende Straßen-und Platznamen sollten ebenfalls geändert werden. Dort, wo der Putschversuch am 25. Juli 1934 seinen Ausgang genommen hatte, wurde die Wiener Siebensterngasse in »Straße der Julikämpfer« umbenannt. Es dauerte auch nur ein paar Tage, ehe die Gruft in der Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche im Wiener 15. Bezirk gesperrt wurde. Für beide und vor allem für Dollfuß war kein Platz im kollektiven Gedächtnis des NS-Staates.298 Bezeichnend war freilich, dass dann die Überführung der Särge nicht bei Tag, sondern in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1939 erfolgte.299 Die formelle Besiegelung des revolutionären Vorgangs erfolgte am 10. April, als 99,75 % der Stimmberechtigten Österreichs dem Anschluss zustimmten. Im »Altreich« waren es etwas weniger, doch das fiel nicht ins Gewicht. Das Bundesverfassungsgesetz vom 13. März war jedenfalls eindrucksvoll bestätigt worden. Im Übrigen war es das dritte Mal seit dem Ende des Ersten Weltkriegs, dass es in einem Verfassungsgesetz hieß, Österreich wäre Teil des Deutschen Reichs. Jetzt, so meinte man, wäre das unumkehrbar. Land Österreich Noch während die Vorbereitungen zur Volksabstimmung liefen, zogen deutsche Wirtschaftsfachleute in die österreichischen Ministerien und Konzernführungen ein. Es galt

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eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Der Präsident der Reichsbank, Hjalmar Schacht, zeichnete kein sehr rosiges Bild von der »feindlichen Übernahme« Österreichs. Die Lasten im finanziellen Bereich wären größer als der Nutzen, meinte er, denn das Deutsche Reich hätte nunmehr auch die Auslandsschulden Österreichs zu übernehmen, und das waren, aufgrund der Völkerbundanleihen, eine ganze Menge. Letztlich verpflichtete sich die Reichsbank, den Zinsendienst zu leisten und die Schulden zu tilgen. Die Reichsbank löste allerdings auch bei der Bank von England die Auslandsguthaben der Österreichischen Nationalbank auf, was Finanzminister Sir John Simon einige kritische Fragen im britischen Unterhaus bescherte.300 Die Londoner Finanzleute waren aber zweifellos zufrieden, dass Deutschland versprach, ein ebenso vorbildlicher Schuldner zu sein, wie das Österreich gewesen war. Schacht hatte bei seinen lediglich die monetäre Seite streifenden Äußerungen aber wohl einiges bewusst unter den Tisch fallen lassen. Dass etwa die österreichische Nationalbank 230 Millionen Reichsmark abzuliefern hatte, dazu Verrechnungskredite von 75 Millionen, Gold im Wert von 148 Millionen und Zugriffsmöglichkeiten auf privat gebunkerte Gold- und Devisenbestände in der Höhe von 875 Millionen Reichsmark. Alles zusammen weit mehr, als die Reserven der Deutschen Reichsbank ausmachten.301 Die österreichischen Gold- und Devisenreserven wurden bereits am 17. März nach Berlin gebracht. Es gab noch anderes, das in Deutschland eine »Goldgräberstimmung« aufkommen ließ. Denn nicht nur der Staat, auch Private konnten regelrechte Beutezüge unternehmen und Firmen aufkaufen. Vor dem Anschluss beliefen sich die deutschen Beteiligungen an Industriebetrieben in Österreich auf 10 bis 12 % und bei den Kreditinstituten auf 8 %. Durch Aufkäufe aber sicherlich auch beträchtliche Investitionen wuchs dieser später als »Deutsches Eigentum« bezeichnete Komplex auf bis zu 57  % an.302 Der Anteil, den österreichische Firmen an der Wirtschaft des »Altreichs« erwerben konnten, war sehr viel bescheidener, doch auch wenn die österreichischen Betriebe mit wenigen Ausnahmen sehr viel kleiner waren als die deutschen Konzerne, boten sich auch für sie angesichts eines sich verzehnfachenden Marktes viele Möglichkeiten. Und dass sich die Rahmenbedingungen ändern würden, stand außer Zweifel. Ideologisch hatten viele österreichische Firmeninhaber und Konzernherren kein Problem mit der neuen Zeit. Führende Industrieunternehmen, darunter der größte österreichische Mischkonzern, die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft, die im Besitz der Vereinigten Stahlwerke Düsseldorf war, hatten schon vor Jahren begonnen, die NSDAP zu unterstützen. Ein Teil der Firmen wurde von illegalen Nationalsozialisten geführt und hatte bevorzugt Nationalsozialisten eingestellt.303 Nun konnte man das als Investition in die Zukunft sehen. Der Anschluss Österreichs fiel in die Halbzeit des vom preußischen Ministerpräsidenten, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Beauftragten für den Vierjahres-Plan, Hermann Göring, 1936 verabschiedeten Konzepts, die deutsche Wirtschaft innerhalb

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von vier Jahren in die Lage zu versetzen, auf dem Ernährungssektor autark zu werden und die Aufrüstung so zu beschleunigen, dass Deutschland zur Führung eines Angriffskriegs befähigt war. Dem lag die Überzeugung Hitlers zu Grunde, dass ein Krieg gegen die Sowjetunion unvermeidlich sei.304 Das Drängen Görings auf einen raschen Anschluss hatte daher von allem Anfang an zum Ziel, sich das österreichische Potential so rasch wie möglich zunutze zu machen, um die Vorgaben des Vierjahresplans zu erfüllen. Und Österreich hatte sehr viel zu bieten. Erze, vor allem Eisen und Magnesit sowie Erdöl. Dazu kamen der Holz- und Wasserreichtum und große Möglichkeiten zum Aufbau neuer Industrien sowie ein Potenzial von rund 400.000 Arbeitslosen und Ausgesteuerten, mit denen der Arbeitskräftemangel in Deutschland behoben werden konnte.305 100.000 Beschäftigungslose fanden im »Altreich« Arbeit. 300.000 kamen in Österreich selbst unter. Sie begannen an der Reichsautobahn München  – Wien im Abschnitt Salzburg zu bauen  ; sollten das Speicherkraftwerk Kaprun in Angriff nehmen und wurden nicht zuletzt an die Rüstungsindustrie vermittelt. Generell hatte es den Anschein, dass die Hoffnungen der Arbeiter, aber auch der Techniker, Angestellten, Kleingewerbetreibenden und aller möglichen Berufszweige auf eine positive Auswirkung des Anschlusses in Erfüllung gehen würden. In der Landwirtschaft schien es zunächst ähnlich positiv zu laufen. Schon in den zwanziger Jahren war die Verschuldung der Bauern gestiegen. Die Zwangsversteigerungen hatten von Jahr zu Jahr zugenommen. Zwischen 1933 und 1937 mussten 16,7 % der österreichischen landwirtschaftlichen Betriebe aufgeben.306 Allein in der Steiermark kamen in den dreißiger Jahren jährlich über 1.000 Bauernhöfe unter den Hammer.307 Die missliche Situation der Bauern machte es dem NS-Regime leicht, eine sofortige Trendwende zu verkünden. Schon am 5. Mai 1938 wurde die »Österreichische Entschuldungsverordnung« erlassen. Das Deutsche Reich übernahm einen Teil der Schulden der Bauern, erstreckte die Tilgungsraten auf bis zu 60 Jahre und veröffentlichte Aufbaupläne, die zum Ziel hatten, die bäuerlichen Betriebe zu erhalten und abzusichern, denn man brauchte sie ja dringendst, um die angestrebte Autarkie zu erreichen und den Vierjahresplan zu erfüllen.308 Zwei Wochen später trat das Reichsnährstandsgesetz in Kraft, das die Neuorganisation der Landwirtschaft und die Verwirklichung der agrarpolitischen Maßnahmen des NS-Staats sicherstellen sollte. Der Erfolg wollte sich freilich nicht im gewünschten Maß einstellen, denn die Landflucht nahm zu. Die Industrien hatten einen ungeheuren Bedarf und lockten mit Arbeitsplätzen. Bald war das Problem ein anderes  : Es gab mehr Arbeit als Menschen zur Verfügung standen. Der Erfolg des Maßnamenbündels war aber nicht nur am Verschwinden der Arbeitslosigkeit und den Entschuldungsaktionen für die Bauern zu messen. Der Erfolg bestand auch darin, dass die Nationalsozialisten in kürzester Zeit sowohl die

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sozialdemokratischen Arbeiter als auch die christlichsozialen Bauern gewannen. Ganz offensichtlich hatten sie mit ihren Methoden weit mehr Erfolg als die politischen Organisationen des »alten« Österreich. Noch etwas Weiteres ließ das Humanpotenzial schwinden  : Die Deutsche Wehrmacht, Parteiformationen und der Aufbau des Überwachungsstaats saugten die Menschen, vor allem die Männer regelrecht ab. Seit 1935 war wohl auch im Ständestaat die Wehrkraft des Landes auszuschöpfen begonnen worden. Die einschränkenden Bestimmungen des Friedensvertrags von Saint-Germain wurden nach und nach außer Kraft gesetzt, bis dann 1936 die Allgemeine Dienstpflicht eingeführt und eine offene Aufrüstung begonnen worden war. Die Siegerstaaten des Ersten Weltkriegs, die immer wieder Drohungen gegen Österreich ausgestoßen hatten, taten so, als würden sie die Aufrüstungsmaßnahmen nicht zur Kenntnis nehmen. Verglichen mit der Deutschen Wehrmacht war das Bundesheer aber ein militärisches Instrument im Taschenformat. Noch im Sommer 1938 wurde das anders. Mit der Übernahme der deutschen Musterungsnormen und durch eine viel konsequentere Einberufung wurden so viele Männer wehrpflichtig oder schlugen den Weg von Berufssoldaten ein, dass der österreichische Anteil an der Deutschen Wehrmacht bald 8 bis 10 % ausmachte.309 Offiziere, sofern sie übernommen wurden, Unteroffiziere und ein kleiner Teil der Mannschaften wurden wohl zunächst aus Gründen der Umschulung und dann zur raschen Integration auf alle Truppengattungen und Wehrkreise aufgeteilt. Eine nachträglich behauptete Absicht, die Österreicher möglichst stark aufzuteilen und mit Verbänden des »Altreichs« zu vermischen, weil den »Ostmärkern« durchgängig misstraut worden wäre, hat jedoch nie bestanden und ist ein reines Konstrukt.310 Es trifft auch nicht zu, dass es nicht so etwas wie »österreichische« Truppenkörper gegeben hätte, denn es fanden sich überproportional viele Soldaten aus Österreich bei der 2. und der 3. Gebirgs-Division sowie in einzelnen Heeresdivisionen, die sich vornehmlich aus jenen Gebieten ergänzten, die landläufig »Ostmark« genannt wurden, die 44., 45., 297. Infanterie-Division, die 2. und 4. Panzer-Division sowie die 4. leichte Division.311 Andere sollten dazu kommen. Die Verbände der Wehrmacht waren Regimentern der k. u. k. Armee nicht unähnlich, wo es ja auch keine rein-deutschen, rein-ungarischen oder rein-tschechischen Verbände gegeben hatte, sondern nur solche, bei denen eine Nationalität einen überwiegenden Anteil hatte. Bei den SS-Verfügungstruppen, den seit Ende 1939 Waffen-SS genannten Verbänden, konnte vor allem die 2. SS-Panzer-Division »Das Reich« auf einen hohen Österreicheranteil verweisen. Dem Dienst in der Wehrmacht und bei der SS wurde nicht nur aus rein militärischen Gründen ein großer Wert beigemessen, sondern weil er auch wie nichts anderes gleichmacherisch war. Natürlich unterschieden sich in der Wehrmacht die Laufbahnen von Maturanten und Akademikern von jenen der wehrpflichtigen Mannschaften mit niedrigerer Schulbildung, doch es gab keine Unterschiede in der Behandlung von

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Arbeitern und Bauern, Handwerkern, Gewerbetreibenden und Kaufleuten, aber auch keine Unterschiede zwischen ehemaligen Sozialdemokraten und ehemaligen Christlichsozialen.312 Bei der SS-Verfügungstruppe waren auch die Offiziersränge nicht an den Abschluss einer Mittelschule gebunden. Ein Unterschied aber trat bald zu Tage  : Wehrmachtsangehörige waren weit weniger der nationalsozialistischen Indoktrination ausgesetzt als die Zivilbevölkerung, und schließlich galt für Parteimitglieder und Parteianwärter der Grundsatz  : Für die Zeit des Diensts in der Wehrmacht ruhte die Parteimitgliedschaft. Das sollte anfänglich für den zweijährigen Wehrdienst gelten und verlängerte sich um die Kriegsjahre. Keine Abschirmung gab es gegenüber der Propaganda. Im Gegenteil  : Die Wehrmacht wurde ein ganz wesentlicher Teil derselben. Da war nicht die Rede von blindem Gehorsam und gnadenlosem Drill, und die Strapazen wurden eher als Herausforderung und Beweis von Männlichkeit gesehen, zumindest aber so dargestellt.313 Was für viele mehr zählte, waren neue Waffen, moderne Technologien, die Möglichkeiten des Fliegens mit modernen Maschinen, oder auch der Dienst in einer in Österreich nicht vorhanden gewesenen Waffengattungen wie der Kriegsmarine. Das konnte durchaus verführen. So gut wie jeden Tag gab es Meldungen, die das Ende von Enge und Alltagssorgen verkündeten und den Aufschwung propagierten  : »Planvolle Unterbringung der Arbeitslosen«, »Niederösterreich wird Reiseland«, »Der Großangriff gegen die Wirtschaftsnot eröffnet«, »Osterfreude für 15.000 Ausgesteuerte«, hieß es in Tagesabständen im »Kleinen Volksblatt«  ; »75.000 Ausgesteuerte erhalten wieder die Unterstützung« titelte die Kronen-Zeitung. Und anlässlich Hitlers Geburtstag hieß es ganz schlicht »Der Baumeister Großdeutschlands«.314 Josef Bürckel, der die Volksabstimmung zu administrieren gehabt hatte, wurde Reichskommissar für die Wiedervereinigung und sollte innerhalb eines Jahres eine komplette administrative und Rechtsangleichung durchführen. Rücksichtnahme kannte er zum wenigsten, allerdings machte ihm nicht vielleicht die Opposition jener zu schaffen, die das Verschwinden Österreichs nicht einfach hinnehmen wollten. Die waren ja großteils schon vor dem 10. April 1938 verhaftet, außer Landes oder zumindest mundtot gemacht worden. Wohl aber versuchte er, den wilden Arisierungen und kriminellen Geldbeschaffungsaktionen einen Riegel vorzuschieben und machte sich damit bei etlichen Parteigrößen unbeliebt. Im Übrigen lebte er aber beispielhaft vor, dass sich jene, die an die Parteispitze drängten und um Macht und Einfluss buhlten, gnadenlos bekämpften. Und das waren außer ihm nicht wenige. Allein in Wien standen bald rund 100.000 Personen im Dienst der NSDAP.315 Obwohl die Parteimitgliedschaft an jede Menge Bedingungen geknüpft war, stieg die Zahl derer, die zumindest Parteianwärter werden wollten, kontinuierlich an. Man trachtete, seine Solidarität und Zugehörigkeit zu bekunden. Opportunismus kam dazu, war aber sicherlich keine ausschließlich öster-

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reichische Eigenschaft. Auch ohne regelrechte Parteimitgliedschaft konnte man einer der vielen Gefolgschaften angehören. Oft wusste man gar nicht so recht, wie rasch und ohne eigenes Zutun man inkorporiert wurde. Das galt auch für die Frauen, von denen im Dezember 1938 auch schon weit mehr als 100.000 zum Mitgliederstand der NS-Frauenorganisationen zählten. Dazu kamen die weiblichen Jugendlichen, die vom Bund Deutscher Mädchen (BDM) – dem Gegenstück zur männlichen Hitlerjugend – erfasst wurden. Tendenz rapid steigend.316 Die Organisationsdichte übertraf jene des »Altreichs« bei weitem. Der Nutzen der Mitgliedschaft lag denn auch auf der Hand. Gehörte man »der Partei« oder einer der nationalsozialistischen Organisationen an, oder war zumindest anerkannter Teil der Volksgemeinschaft, hatte man Arbeit und kam in den Genuss zahlreicher Vergünstigungen. Eine der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft war freilich, dass man einen »Ariernachweis« erbrachte. Standesämter und Kirchen waren überfordert, denn natürlich sollte das alles sehr rasch gehen. Es gab auch eine größere Zahl von Enttäuschten, die sich aufgrund ihrer Illegalität eine besonders bevorzugte Behandlung erwartet hatte. Die 3.000 Angehörigen der Österreichischen Legion gehörten dazu. Ihnen war erst zwei Wochen nach dem deutschen Einmarsch das Betreten des Landes Österreich gestattet worden.317 Der NS-Staat förderte den sozialen Wohnbau, übernahm über weite Strecken die Kindererziehung, garantierte Urlaub und medizinische Versorgung und knüpfte bewusst (oder auch unbewusst) an die staatliche Wohlfahrtspolitik der österreichischen Sozialdemokraten an. Erfüllte man die geforderten Kriterien nicht, war man Außenseiter und bekam das zu spüren. Es gab Sanktionen wegen »Arbeitsuntreue«, Bruch von Arbeitsverträgen, Bummeln oder Arbeitsverweigerung. Die »Gauwalter« der Deutschen Arbeitsfront achteten darauf, dass jeder, aber auch wirklich jeder, am Aufbau des Großdeutschen Reiches mitwirkte. Der Überwachungsstaat wurde omnipräsent. Das Regime kontrollierte Eheschließung und Fortpflanzung und ging unerbittlich gegen jene vor, die den rassenideologischen Anforderungen nicht entsprachen.318 Es betrieb systematische Ausgrenzung bis hin zu Zwangssterilisierung und Tötung. Es galt, Menschen »schrankenlos verfügbar zu machen«.319 Schließlich forderte der Staat das Leben der Angehörigen der Volksgemeinschaft ein. Die Kehrseite der Medaille Es bedurfte wohl erst einer »Zeit danach«, um auch nur einigermaßen zu begreifen, wie sehr die Maßnahmen der neuen Staatsführung ineinander griffen. Da war zunächst der Elitentausch gewesen, verloren die Träger des ständestaatlichen Systems nicht nur ihre

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Funktion, sondern auch ihre Freiheit, wurden eliminiert und erst nach und nach wieder freigelassen. Zwar kam der Großteil der im März und April Verhafteten noch vor der Volksabstimmung wieder frei. Doch die Meisten verloren ihre Stellungen und wurden später häufig wieder verhaftet. Mit 1. Juni 1938 wurde das »Land Österreich« in zunächst acht (Partei-)Gaue gegliedert, die nur noch teilweise den alten Bundesländern entsprachen. Das Burgenland wurde am 15.  Oktober 1938 kurzerhand zwischen der Steiermark und Niederösterreich aufgeteilt, Wien bekam 97 Umlandgemeinden zugeschlagen, sodass es zum Gau »Groß-Wien« mutierte. Doch es verlor seine Stellung als Hauptstadt zum Ärger vieler und wurde auf den Rang einer großen Provinzstadt reduziert. Aus dem Parlament, dem alten Reichsratsgebäude, wurde ein »Gauhaus« als Sitz der Gauverwaltung. Das Ausseerland kam zu Oberösterreich. Vorarlberg wurde als Verwaltungsbezirk besonderer Art mit Tirol zusammengelegt, ungeachtet des in Tirol wie in Vorarlberg immer wieder zitierten Spruchs, dass man nicht zusammenlegen sollte, »was Gott getrennt hat«. Schließlich gab es nur noch sieben Reichsgaue. An der Spitze derselben übernahmen Gauleiter die wichtigste Funktion. Die Einheit von Partei und Staat war das Ziel. Da der Name Österreich verschwinden sollte, wurden die größten Parteigaue auch gleich in Niederdonau und Oberdonau umbenannt. Jegliches Österreichbewusstsein sollte konsequent getilgt und den Historikern überlassen werden. Am 14. April 1939 verschwand der Name Österreich vollends. Zumindest sah es das Ostmarkgesetz so vor, das an diesem Tag im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurde und am 1. Mai in Kraft trat.320 Damit wurde die Verwaltungsstruktur des Landes an die parteipolitische Struktur angeglichen. Die Gauleiter wurden auch Reichsstatthalter, meistens aber nur mit ihrer Parteifunktion genannt, was deutlich machte, dass tendenziell ein Übergewicht der Partei bestehen sollte.321 Was man in der Ostmark vorexerzierte, sollte auch Modell für das »Altreich« werden. Aus Bezirken wurden Kreise mit Landräten oder Oberbürgermeistern an der Spitze. Auch eine neue Gauhauptstadt wurde bestimmt  : Krems sollte die neue Gauhauptstadt von Niederdonau sein, auch wenn Wien Sitz der Gauleitung und der Verwaltung blieb. Bald unterschieden sich die Gaue der Ostmark in ihrem Behördenaufbau in nichts mehr von jenen des »Altreichs«. Einen Unterschied gab es freilich noch  : Die Reichsgaue der Ostmark waren zum Teil erheblich kleiner als jene des »Altreichs«. Damit wurden zumindest noch die historischen Einheiten gewahrt. Das irgendwann einmal anzustrebende Ziel war freilich, die Reichsgaue der Ostmark zusammenzulegen und größere Einheiten zu schaffen. Dazu ist es nie mehr gekommen. Vergrößerung war dennoch angesagt. Noch während die Maßnahmen zur Neuordnung abliefen, gab es eine Reihe weiterer einschneidender Ereignisse, die sich aus der Fortsetzung der expansiven Politik Hitlers ableiteten. Nach monatelangen Drohungen und Verhandlungen billigten England und Frankreich mit dem Münchner Abkommen die Abtrennung des sogenannten

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Sudetenlands von der Tschechoslowakei und dessen Angliederung an Großdeutschland. Die Tschechoslowakei sah weder eine politische noch eine militärische Möglichkeit, sich dem zu widersetzen. Als dann deutsche Truppen ab dem 1. Oktober in die mehrheitlich deutsch besiedelten Gebiete der Tschechoslowakei einmarschierten und bis zum 10.  Oktober auch die Gebiete Südböhmens und Südmährens besetzten, konnten sich Hitler und die Nationalsozialisten abermals der begeisterten Zustimmung eines Großteils der österreichischen Bevölkerung sicher sein. Die hatte die Rolle vieler Tschechen im Verlauf des Ersten Weltkriegs nicht vergessen, ebenso wenig wie das vergebliche Ringen um die Angliederung Südböhmens und Südmährens an Deutschösterreich 1918 und 1919. Die Zeitungen überschlugen sich  : »Unsere Truppen in Südmähren eingerückt«, »Fest der Freiheit im deutschen Znaim«, »Nikolsburg und Lundenburg ins Reich heimgeholt«, »Der Vormarsch von Bernhardsthal«, »Die deutschen Truppen überall am Ziel«.322 Auch Engerau, der südlich der Donau gelegene Teil Preßburgs, sollte zu Niederdonau kommen. In den annektierten Gebieten lebten rund 320.000 Menschen, darunter nur 21.000 Tschechen.323 Ein weiteres Mal schien der Friedensvertrag von Saint-Germain außer Kraft gesetzt worden zu sein. Für die Soldaten aus Österreich war der Einsatz bei der Besetzung Südböhmens und Südmährens keine Bewährungsprobe. Wohl aber empfanden sie das Berauschende des Jubels und erlagen ihm. Sie glaubten ebenso wie die Politiker der Westmächte der Versicherung Hitlers in seiner Rede im Berliner Sportpalast am 26. September, dass dies die letzte territoriale Revisionsforderung gewesen sei. Im Jubel über die Lösung der Sudetenfrage und die Vergrößerung der Gaue Oberdonau und Niederdonau ging ein Ereignis unter, das die unbarmherzige Seite des Regimes offenbarte und abermals deutlich machte, dass die NS-Führung keinen Augenblick zögerte, volle Härte zu zeigen, wenn sich irgendwo Widerstand regte. Am 7. Oktober fanden sich Tausende Jugendliche (man sprach von 15.000) anlässlich des Christkönigsfests im Wiener Stephansdom ein. Am Ende der Messe formulierte Kardinal Innitzer bedacht-unbedacht  : »Einer ist Euer Führer, Euer Führer ist Christus. Wenn ihr ihm die Treue haltet, werdet ihr niemals verloren gehen«.324 Das musste als Reaktion auf die vom Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 26. September ausgegebene Parole »Führer befiehl, wir folgen  !« verstanden werden. Die Katholische Jugend Wiens akklamierte lauthals den Kardinal. Tags darauf stürmten Angehörige der Hitlerjugend das Erzbischöfliche Palais und verwüsteten es. Die Worte des Kardinals waren aber nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie nicht einmal sieben Monate nach dem Anschluss fielen, sondern weil sie sich gegen den Führungsanspruch eines Regimes richteten, das sich nicht zuletzt seiner Jugendlichkeit und der besonderen Förderung der Jugend rühmte. Dem Kardinal machte natürlich die kirchenfeindliche Politik des Regimes zu schaffen, die in der Aufhebung des Konkordats von 1933, in der Verhaftung von Hunderten

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Priestern, der Schließung von rund 1.400 katholischen Privatschulen und Konvikten, und einer zunehmenden Zahl von Kirchenaustritten zum Ausdruck kam. Innitzer konnte wohl nicht anders, als das Regime herauszufordern. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. Bürckel tat noch ein Übriges und brandmarkte am 13. Oktober bei einer Massenveranstaltung von 200.000 Menschen die Kirche als »Träger des politischen Katholizismus« und bezichtigte sie des Verrats.325 Über den Aufstand der katholischen Jugend, die kurzfristige Verhaftung des Grazer Fürstbischofs Ferdinand Pawlikowski und die zunehmende Distanzierung der katholischen Kirche wurde freilich nicht berichtet. Wohl aber wurde gemeldet, dass die Arbeitslosigkeit um 500.000 Personen gesunken sei, und außerhalb von Wien bereits Arbeitskräftemangel herrsche. Um gegenzusteuern wurden tschechische, slowakische, italienische und jugoslawische Arbeiterinnen und Arbeiter als Freiwillige angeworben. Es war wohl nur ein Anfang, doch es war zweifellos ein Signal. Und es wurde berichtet. Das NS-Regime machte sich in perfekter Manier den menschlichen Hang zur selektiven Wahrnehmung zunutze. Die Durchschaubarkeit der Strategien war schon längst nicht mehr gegeben. Die vom Pressechef der Reichsregierung, Otto Dietrich, gesteuerten Medien waren darauf eingeschworen, die Entwicklung in allen Lebensbereichen als gewollt und zukunftsfähig darzustellen. Eine ähnliche Form der Darstellung war wohl auch vom Ständestaat versucht worden, doch es war ihm nie gelungen, die Gegner eines österreichischen Wegs zum Verstummen zu bringen. Die Nationalsozialisten hatte kein Problem mit der Bildung einer Einheitsmeinung. Über Rückschläge und Probleme wurde einfach nicht berichtet, und Meldungen aus dem Ausland wurde in einer ideologisch aufgeheizten Atmosphäre ohnedies nicht geglaubt und obendrein in einer dem Regime genehmen Art interpretiert und weitergegeben. Der Hang zur selektiven Wahrnehmung brachte es auch mit sich, dass über so gut wie alles hinweggesehen wurde, was nicht den eigenen Lebensbereich tangierte und demzufolge störte. Man begann die durchaus sichtbaren und nachvollziehbaren Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes vor sich selbst zu entschuldigen. Da mussten eben Späne fliegen, wenn gehobelt wurde, galt es, ein rückständiges Land an die Modernität Deutschlands anzugleichen. Schmarotzer hatten in der Volksgemeinschaft nichts verloren. Der Staat war alles, seine Führer wussten alles  ; der Einzelne war nichts – und wusste nichts. Die Wahrnehmungen wurden immer subjektiver und selektiver. Die Bereitschaft sich unterzuordnen, erleichterte den Machthabern vieles. Und sie hatten es in der Hand, Negatives überhaupt nicht zur Kenntnis der Reichsbürger und -bürgerinnen gelangen zu lassen. Was hätte man z. B. in Wien gesagt, wenn der Plan Heinrich Himmlers bekannt geworden wäre, die beschlagnahmten Kunstgegenstände, etwa die riesige Kunstsammlung von Alphonse de Rothschild, außer Landes zu bringen und in München und Berlin zu konzentrieren  ? Hitler verbot den Abtransport, obwohl oder gerade

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weil er mitbekommen hatte, dass Wien nicht so vollständig für den Anschluss gewesen war, wie die Bundesländer.326 Das Unrecht, das dabei begangen wurde, tangierte jedoch zum wenigsten. Die Museen rissen sich um die Zimelien der Sammlung. Der Jude Rothschild, das war das eine  ; seine Sammlung ein anderes. Der Reichskommissar für die Wiedervereinigung, Bürckel, teilte allerdings die Ansicht Himmlers, denn ihm ging es ja darum, das historische Österreich und sein kulturelles Erbe so weit wie möglich zum Verschwinden zu bringen. Immer wieder aber musste man sich sagen, dass der Anschluss an Deutschland gewollt worden war. So oder so. Dieses so oder so hatte anfänglich wohl auch für viele Juden gegolten. Den Nationalsozialismus hatten sie schon vor 1938 fürchten gelernt. Doch sie hofften. Noch in den Anschlusstagen waren sie oftmals Opfer privater Raubzüge geworden, gegen die sich dann sogar Bürckel ebenso wie die Wiener SA-Führung wandten und von »unverantwortlichen Elementen« sprachen, die die Zeit des »Umbruchs« nützten »um sich an fremdem Gut zu vergreifen«.327 Regelrecht alarmierend musste es sein, dass ungeachtet der Tatsache, dass die »Nürnberger Rassengesetze« in Österreich noch nicht galten, 210.000 Juden nicht an der Volksabstimmung teilnehmen durften. Sie waren ausgeschlossen und mussten ebenso wie 150.00 als Regimegegner eingestufte Österreicher die ihnen bereits zugegangenen Wahlkarten zurücksenden.328 Juden verloren ihre Stellung in der Gemeinschaft, wurden ausgestoßen und sofern sie nicht zu fliehen suchten, zur Emigration gedrängt. Hand in Hand damit wurde ihnen ihr Besitz genommen. Beim Vorgehen gegen die Juden mischten sich in verhängnisvoller Weise örtliche, lange gehegte Vorurteile mit ideologischen Momenten. 9,4 % der Wiener Bevölkerung waren jüdisch. Juden hatten in manchen Bereichen eine beherrschende Stellung erlangt. In Wien, dem nach Leipzig wichtigsten Verlagszentrum für deutschsprachige Literatur, gab es an die 200 von Juden geführte Verlagshäuser. Juden dominierten im Bankwesen, im Handel, Journalismus, Film, Presse, Medizin und Anwaltswesen. Das weckte schon in den zwanziger Jahren Neid, und es brauchte nicht viel, um den Neid in Hass umschlagen zu lassen. Intellektuelle Berufe waren wohl nichts, das den sozialen Unterschichten in die Augen stach. Es ging nicht darum, einem Arzt seinen Beruf zu neiden, wohl aber wurde ihm sein Wohlstand geneidet, und es schien so einfach, sich mit Hilfe »der Partei« des jüdischen Eigentums zu bemächtigen und etwa den von den Nationalsozialisten versprochenen Wohnraum für 100.000 Menschen zu gewinnen. »Alte Kämpfer« wollten für ihre illegale Tätigkeit belohnt werden. Mit dem ersten Dachau-Transport wurden 63 Juden verschickt. In der Jüdischen Kultusgemeinde fand man Spendenbelege über 800.000 Schilling, die für die Werbung zu Schuschniggs Volksbefragung ausgegeben worden waren. Der nach Wien abkommandierte Judenreferent der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), Adolf Eichmann, verlangte für die Volksabstimmung denselben Betrag. Im Mai wurden rund 2.000 Juden verhaftet. Das musste schon als regelrechte Drohung verstanden werden. Es folgten

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Schikanen, Berufsverbote für Journalisten, Schauspieler, Musiker und Rechtsanwälte. Schüler mussten ihre Klassen verlassen, Studenten wurden exmatrikuliert. An der Universität Wien wurde mehr als die Hälfte der Hochschullehrer entlassen.329 An die 25.000 Geschäfte und Betriebe, die im Besitz von Juden waren, erhielten kommissarische Leiter. Der vom Bundeskanzler zum Reichsstatthalter mutierte Arthur Seyß-Inquart spielte dabei eine wichtige Rolle und wurde immer mehr zum Erfüllungsgehilfen des NS-Staats.330 Der ungeregelten folgte die »geregelte Arisierung«. Ende Mai 1938 wurde die Geltung der Nürnberger Rassengesetze vom September 1935 auf Österreich ausgeweitet. Damit sollte die Willkür gesteuert werden und begann die »legale« Entrechtung der Juden. Die Wirtschaft sollte »entjudet«, lästige Konkurrenz ausgeschaltet, Juden von den Märkten entfernt und vom Getreide- und Viehhandel ausgeschlossen werden.331 Am probatesten schien es, den Druck so zu steigern, dass die Juden gar nicht anders konnten, als alles aufzugeben und das Großdeutsche Reich zu verlassen. Über Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt fand im französischen Kurort Évian vom 6. bis 15. Juli 1938 eine Konferenz statt, deren Ziel es war, den Juden die Auswanderung aus Deutschland zu ermöglichen und vor allem die Aufnahmebereitschaft von 32 Teilnehmerstaaten zu erkunden. Das Schicksal von 480.000 Menschen stand auf dem Spiel. Aus dem »Altreich« und aus der Ostmark kamen keine offiziellen Delegationen, wohl aber ermöglichte Seyß-Inquart einer Vertretung der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens die Reise nach Évian. Es ging dabei aber nicht nur um die legale Ausreise, sondern auch um die materiellen Rahmenbedingungen. Die NS-Führung war wohl an der Ausreise interessiert, nicht aber daran, dass die Juden ihr Vermögen und ihre Habschaften mitnahmen. Da sich von den teilnehmenden Staaten aber ohnedies nur die Dominikanische Republik verpflichten wollte, Juden aufzunehmen, endete die Konferenz von Évian mit einem Fiasko. Im »Völkischen Beobachter«, dem »Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands« konnte man lesen, Deutschland biete der Welt seine Juden an, aber keiner wolle sie haben.332 Schließlich wurde alles getan, um die Auswanderung der österreichischen Juden zu erzwingen. Die geforderte Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe und eine Passumlage wurden allerdings so bemessen, dass den Emigranten nichts mehr blieb. Ihre Bankkonten wurden gesperrt und damit praktisch ihre Barschaft beschlagnahmt. Auch das wurde alles wahrgenommen und gehörte dennoch in den Bereich des Selektiven. Eine Vielzahl an Gesetzen und Erlässen verschärfte die bereits ergangenen Maßnahmen. Mit Anfang 1939 hatten Juden zusätzlich die Vornamen Sara oder Israel zu führen. Ab dem 15.  November 1938 wurden jüdische Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen. Jüdischen Ärzten wurde die Approbation entzogen und sie durften nur noch jüdische Patienten behandeln. Auf den Parkbänken prangte die Aufschrift »Nur für Arier«.

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Konnte man bis November 1938 von indirekter Gewalt sprechen, so änderte sich das am späten Abend des 9. November mit der sogenannten Reichskristallnacht. Bei den vorgeblich als spontane Erregung über die Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris stattfindenden Exzessen wurden die jüdischen Synagogen und Bethäuser zerstört, Geschäfte geplündert, Wohnungen beschlagnahmt, Menschen verprügelt und etliche umgebracht. Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit wurde die Zahlung von einer Milliarde Reichsmark vorgeschrieben. Ein großer Teil davon musste in Österreich aufgebracht werden. Damit wurde vollends deutlich, dass vor allem der Antisemitismus neben einer rassenideologischen auch eine ausgeprägte ökonomische Komponente hatte.333 Schließlich wurde weiterhin alles getan, um die Juden des Großdeutschen Reichs zur Emigration zu zwingen. In Wien wurden nach und nach 70.000 von Juden bewohnte Wohnungen »arisiert« und damit der Wohnungsbedarf gedeckt.334 Die Nationalsozialisten eigneten sich im Zuge ihrer Arisierungspolitik in Wien zwischen 1938 und 1941 mehr Wohnungen an als im »Roten Wien« gebaut worden waren.335 Bis zum 14. Mai 1939 wanderten rund 100.000 österreichische Juden aus.336 Die meisten aus Wien. Dennoch rühmten sich auch kleine Orte wie Deutsch Wagram im Marchfeld, sie wären »judenfrei« geworden. Der Gauleiter von Salzburg meldete am 12. November 1938, sein Gau sei »restlos judenfrei«. Der Semmering war »judenfrei«. Eine Zeitlang war daran gedacht worden, Juden nach Madagaskar auszusiedeln. Das erwies sich als unmöglich. Doch dann boten sich Polen und das »Reichskommissariat Ostland« im Baltikum und Weißrussland als Gebiete für Zwangsumsiedlungen an. Ein nächstes Kapitel wurde aufgeschlagen, das dann beschönigend »Endlösung der Judenfrage« genannt wurde und Massenmord bedeutete. Volksgemeinschaft Was so euphorisch Anschluss genannt worden war, hatte sich mittlerweile zum Alltag der Volksgemeinschaft entwickelt. Menschen suchten die Normalität und fanden sie nicht. In unterschiedlicher zeitlicher Abfolge wurden sie zu Appellen, Vorträgen, Kundgebungen, Treuegelöbnissen, Schulungen und Kursen einberufen. Volksgenossen und -genossinnen wurden gleichermaßen angesprochen und zur Teilnahme verpflichtet. Was einstmals als Konkurrenzunternehmen für Einrichtungen des Ständestaats gegolten hatte, wie die »Völkische Nothilfe«, der »Freiwillige Arbeitsdienst« oder der »Deutsche Schulverein« war fortan allein bestimmend. Das Berufsleben war ebenso organisiert wie das Familienleben. Block- und Zellenwalter kontrollierten den Alltag und galten als Hoheitsträger. »Der Hoheitsträger muss sich um alles kümmern. Er muss alles erfahren. Er muss sich überall einschalten«, hieß es dann in einer Anweisung des Hauptschulungsamtes der NSDAP.337 Es gab Amtswalterinnen und Gaufrauen-

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schaftsleiterinnen, um sicherzustellen, dass die Frauen genauso organisiert waren wie die Männer.338 Den Frauen galt auch die Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter, das seit dem Dezember 1938 in Bronze für vier und fünf Kinder, in Silber für sechs und sieben und in Gold für acht und mehr Kinder verliehen wurde, wobei klar war, dass nur »deutschblütige und erbtüchtige« Mütter ausgezeichnet werden sollten. Das Leben schien aus Abkürzungen zu bestehen  : NSDAP, Pg (Parteigenosse), SA, SS, RSHA (Reichssicherheitshauptamt), HJ (Hitlerjugend), BDM (Bund Deutscher Mädchen), NSDStB (Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund), DAF (Deutsche Arbeitsfront), WHW (Winterhilfswerk), NSF (NS-Frauenschaft), DFW (Deutsches Frauenwerk), KdF (Kraft durch Freude) u. v. m. Das neue Vokabular wurde wie selbstverständlich vorausgesetzt und angewendet, und sofern das noch möglich war, wurde die Sprache immer gewaltsamer oder auch nur kryptischer. Es gab auch neue Feiertage. In den Schulen beging man am 30. Oktober den »Deutschen Spartag«, am 9. November den »Gedenktag der Gefallenen der Bewegung«, am 19. November den »Tag der deutschen Hausmusik«, am 21. Dezember »Wintersonnenwende und Deutsche Weihnachten«, am 30. Januar den »Tag der Machtergreifung«, am 13. März den »Gedenktag der Ostmark«, am 16.  März den »Heldengedenktag«  ….339 Und in den Kindergärten sagten die Kleinen inbrünstig Verse auf wie »Händchen fassen, Köpfchen senken und an Adolf Hitler denken«. Der liebe Gott musste dem Führer weichen, und der Nationalsozialismus wurde zur Ersatzreligion. Die Basis war ja auch schon längst gelegt worden, denn Nationalismus, Rassismus und der Wunsch nach einer zielstrebigen, entschlossenen Staatsführung waren nicht neu. Nur die Methode war eine andere geworden. Wie so vieles nicht neu, sondern nur anders geworden war. Auch der Ständestaat kannte seinen Personenkult. Jetzt waren eben Hitler und das Hakenkreuz omnipräsent, und man konnte sich weder dem Abbild des Führers, noch dem Glücksund Segenszeichen entziehen, als das das Hakenkreuz gedeutet wurde. Vom Neugeborenen bis zu den Sterbenden fand man sich in irgendeiner Schublade des NS-Staats. Alles schien ungemein effizient zu sein und obendrein rechtsstaatlich legitimiert. Man arbeitete für das eigene Wohlergehen ebenso wie für den Staat und die Volksgemeinschaft. Schmarotzertum gab es – scheint’s – nicht mehr. Nutznießer gab es zwar, doch das waren eben politisch Verfolgte der »Systemzeit«, die es zu entschädigen galt. Und wenn einem jemand nicht zu Gesicht stand, musste man ihn nur verdächtigen und anzeigen. Zweifel an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands waren nicht angebracht. Dass man die Errungenschaften der Volksgemeinschaft sichern musste, stand außer Zweifel. Schließlich sollte das Leben jedes Einzelnen auf die Erfordernisse eines Kriegs ausgerichtet werden. Schon im Frieden wurde eine Heimatfront geschaffen. Noch aber war die Faszination des wirtschaftlichen Aufbaus der Ostmark nicht geschwunden. Das Land erlebte einen Modernisierungsschub. Nicht nur der Osten des Landes, der Großraum Wien, sollte profitieren, sondern auch der Westen industri-

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ell aufholen. Von den 1938 rund 100.000 dienstverpflichteten Österreichern, die zum Arbeiten ins »Altreich« vermittelt worden waren, kamen die meisten in ihre Heimat zurück. Nur 15.000 blieben.340 Mittlerweile gab es auch in Österreich ausreichend Arbeit. Am 13. Mai 1938 hatte Hermann Göring den Spatenstich für die Hütte Linz der »Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring« vorgenommen. Es sollte der größte Mischkonzern in der Ostmark werden. Zu ihm gehörten weitere sechs Industriekomplexe, von Steyr-Daimler-Puch bis zur Donaudampfschifffahrtsgesellschaft DDSG. In Steyr wurde mit dem Aufbau eines Luftwaffenwerks begonnen, in St. Valentin entstanden die »Nibelungenwerke« als reiner Rüstungsbetrieb. In Oberdonau, das die meisten Neugründungen zu verzeichnen hatte, entstanden auch die »Stickstoffwerke Ostmark«, und in Ranshofen wurde mit dem Bau eines Aluminiumwerks begonnen. In Wiener Neustadt entstand ein Rüstungskomplex zur Produktion von Jagdflugzeugen. Bestehende Industriebetriebe wie die Böhler Werke in Kapfenberg, die Munitionsfabrik in Hirtenberg und vor allem auch die Fabriken und Fertigungsstätten in Wien wurden massiv auszubauen begonnen. Innerhalb kürzester Zeit wurden viele der wichtigsten Produktionsstätten der Industrie Lieferanten der Rüstungsindustrie. Allein in der Steiermark und dem industriell wenig entwickelten Kärnten zählte man dann 126 Firmen, die zu Rüstungsbetrieben erklärt wurden. Hunderttausende Männer und Frauen arbeiteten im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht.341 Kraftwerke wurden gebaut, die Elektrifizierung vorangetrieben und allenthalben modernisiert. Wieder hatte es den Anschein, es ginge stetig aufwärts. Dass fast alle Banken und Kreditinstitute und ein erheblicher Teil der Großbetriebe in deutschen Besitz übergingen oder zumindest eine deutsche Leitung erhielten, war die Kehrseite. Ähnliches war zwar schon angesichts der von Deutschland 1918 geschaffenen Obersten Kriegsleitung geplant gewesen. Wie sich überhaupt immer wieder die Frage stellte, inwieweit der Nationalsozialismus an zwanzig Jahre zuvor Begonnenes anknüpfte. Auch im Mai 1918 war an Gleichschaltung gedacht worden, und wurde keine Rücksicht mehr auf Gegebenheiten und Bedürfnisse Österreich-Ungarns genommen. Da war es nur um Effizienzsteigerung und einen Siegfrieden gegangen. Jetzt wurde das damals Angedachte realisiert. Arbeiter und Angestellte waren es zufrieden. Die Arbeiterschaft musste sich nicht um Beschäftigung sorgen, und auch wenn Einzelne aus welchen Gründen immer das Regime ablehnten  : Sie fügten sich. So wie es eine Arbeiterin in der Halleiner Zigarrenfabrik in Salzburg ausdrückte  : »Hauptsache, dass wir unsere Arbeit gehabt haben, haben wir uns gedacht. Bei den großen Umstellungen vom Staat hast du dir ja ohnehin nicht helfen können.«342 Viele gaben sich freilich nicht damit zufrieden, Arbeit zu haben und Umstellungen zu erleben. Sie wollten eine Rolle spielen, aktiv mitmachen, in der Partei und ihren Gliederungen etwas erreichen, das ihnen sonst verwehrt geblieben wäre. Rund 10 % der Erwachsenen strebten eine Mitgliedschaft in der NSDAP an. Man musste aber

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gar nicht Parteimitglied oder Angehöriger von SA oder SS sein, um dem NS-Staat Sympathie entgegenzubringen. Die Angliederung südböhmischer, südmährischer und slowakischer Gebiete wurde als Beseitigung eines Unrechts gesehen. Und ob damit schon das letzte Wort gesprochen war, musste sich weisen. Es war ja schon längst evident geworden, dass die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg keine Bedeutung mehr hatten. Das konnte man zu wiederholten Malen sehen, und dabei schien das zur Gauhauptstadt abgewertete Wien wieder etwas vom Glanz der alten Kaiserstadt zu bekommen. Zumindest wurde es mehrmals Schauplatz überregionaler politischer Entscheidungen. Nicht einmal einen Monat nach der Besetzung der tschechischen Gebiete konnte man in Wien wieder einmal Nazi-Prominenz schauen gehen. Mit dem »Wiener Schiedsspruch« vom 2.  November 1938 erhielt Ungarn weite Gebiete der südlichen Slowakei zugesprochen und kam damit seinem Ziel, eine Revision der Gebietsbestimmungen des Friedens von Trianon zu erreichen, um ein großes Stück näher. Die Tschechoslowakei und Ungarn hatten sich darauf verständigt, Deutschland und Italien die Regelung der Frage von Gebietsabtretungen zu übertragen. Der deutsche Reichs­ außenminister Joachim von Ribbentrop und der italienische Außenminister Conte Galeazzo Ciano zogen eine neue Grenze. Der Schiedsspruch wurde im Schloss Belvedere unterzeichnet. Das dabei von Ungarn wie von Deutschland verfolgte Ziel, die Tschechoslowakei ganz zu zerschlagen, war mit Händen zu greifen. Es dauerte denn auch nur bis zum 14. März 1939, ehe sich die Slowakei mit entsprechender deutscher Rückendeckung für unabhängig erklärte und tags darauf deutsche Truppen in die sogenannte Rest-Tschechei einmarschierten, die dann als Protektorat Böhmen und Mähren Großdeutschland angegliedert wurde. In London und Paris hatte man damit gerechnet und zeigte abermals keinerlei militärische Reaktion. Wieder, wie schon beim Einmarsch in Südböhmen und Südmähren, waren Verbände der in Österreich zur Aufstellung gelangten Heeresdivisionen am Einmarsch beteiligt. Mehr noch  : Für diesen »Fall Grün« waren jene Planungen nach Berlin zu übermitteln gewesen, die die Operationsabteilung des Bundesheers 1937 ausgearbeitet gehabt hatte, um in einer gemeinsamen Operation mit der Wehrmacht und ungarischen Truppen an die Besetzung der Tschechoslowakei zu gehen und mit diesem Zeichen der Kooperationsbereitschaft die Unabhängigkeit Österreichs zu wahren. 1939 konnte man das bestenfalls als Reminiszenz sehen. Nach einem Jahr Zugehörigkeit Österreichs zum Deutschen Reich war zu konstatieren, dass die nationalsozialistische Revolution das Land völlig verändert hatte. Über weite Strecken hatte ein Elitentausch stattgefunden. Die traditionellen Bindungen an Familie, Kirche und eine habsburgisch-österreichische Geschichte wurden so rasch wie möglich zu lockern gesucht. Die Einführung der obligatorischen Zivilehe an Stelle der ausschließlich kirchlichen Hochzeit war ein wesentlicher Beitrag dazu. Die Hitlerju-

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gend ersetzte die katholischen Jugendorganisationen. Die männlichen Jugendlichen lieferten sich Konkurrenzen im Kleinkaliberschießen, veranstalteten Geländespiele, marschierten, exerzierten und meldeten sich schließlich so früh wie möglich zum Dienst in der Deutschen Wehrmacht oder – die ganz Schneidigen – zur SS. Dass das der Kriegsvorbereitung diente, störte nicht. Das Leben jedes Einzelnen wurde durchorganisiert. Rund 221.000 Angehörige der Ostmark hatten bis zum März 1939 die Parteimitgliedschaft erlangt, dann wurde eine Aufnahmesperre wirksam.343 Nicht für lange. Seit dem Oktober 1938 waren die jungen Männer zwischen 17 bzw. 18 und 25 Jahren verpflichtet, einen sechsmonatigen Arbeitsdienst zu leisten. Der Reichsarbeitsdienst sollte auch diejenigen, denen körperliche Arbeit nicht vertraut war, zum Dienst an der Volksgemeinschaft zwingen. Der »Dienst mit dem Spaten« in »deutscher Erde« war die Parole. Analog gab es für die jungen Frauen, die nun Arbeitsmaiden hießen, den Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend. Für die jungen Männer war es der Auftakt zum Militärdienst  ; für die jungen Frauen der zur Mutterschaft. Sofern man ledig blieb und keine Kinder hatte, wurde der Arbeitsdienst 1941 um ein halbes Jahr verlängert und war als Kriegshilfsdienst zu leisten.344 Auf die meisten Angehörigen von wichtigen Berufsgruppen, vor allem jene, die eine gewisse Signalwirkung hatten, Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte, Techniker und Journalisten, wurde Druck ausgeübt, einer Gliederung der Partei beizutreten. Man konnte das zwar wie der spätere österreichische Bundespräsident Adolf Schärf dadurch zu hintertreiben suchen, dass man eine Beitrittserklärung zum NS-Rechtswahrerbund abgab, sie aber in das Kuvert zu stecken »vergaß«. Ob man damit bis an das Ende des Regimes durchkommen würde, war mehr als fraglich. Die überwiegende Zahl der Menschen glaubte sich ungefährdet und zeigte sich auch nicht irritiert, wenn sie zur Kenntnis nehmen musste, dass der NS-Staat mehr forderte als das Hierbleiben. Also fanden sich auch jene dazu bereit, mit den Wölfen zu heulen, die zumindest gezögert hatten. Wer weiter arbeiten und schöpferisch tätig sein wollte, musste sich entscheiden. Die Maler Max Weiler und Herbert Boeckl, oder auch der Bildhauer Gustinus Ambrosi waren leuchtende Beispiele dafür.345 Ihre Kunst war erst in dem Augenblick wieder gefragt, als sie »der Partei« beitraten. Hans Fronius wurde Kriegsmaler und ging an die Front. Heinrich Jungnickel zeichnete und malte nur noch Tiere und versuchte, am NS-Regime nicht anzustreifen. Franz Lehár und Hans Moser arrangierten sich mit dem Regime, um ihre jüdischen Frauen zu schützen, ähnlich wie das Richard Strauß in Deutschland seiner »jüdisch versippten« Familie wegen getan hatte. Edmund Eysler blieb, obwohl Jude, zunächst unbehelligt. Seine Operette »Die gold’ne Meisterin« zählte zu Hitlers Lieblingsoperetten. Das rettete Eysler das Leben, zumindest aber bewahrte es ihn davor, aus Österreich fliehen zu müssen. Eines war freilich unübersehbar und hätte eigentlich schockieren müssen  : Die Universitäten erlebten einen re-

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gelrechten Kahlschlag. An der größten Universität des Landes, der Universität Wien, verloren 252 Universitätslehrer innerhalb weniger Tage ihre Stellung. 518 sollten ihnen noch folgen.346 Die Jugendpsychologin Charlotte Bühler ebenso wie ihr Mann, der Philosoph Karl Bühler, die Romanistin Elise Richter, der Physiker Hans Thirring, der Chemiker Hans Mark und der Mediziner Karl Fellinger waren nur einige von ihnen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen Der Exodus von Künstlern und Kulturschaffenden, vor allem die Flucht und Vertreibung von Dichtern und Schriftstellern war nicht minder dramatisch und machte Österreich ärmer, ja arm. Wo waren sie geblieben, die Vertreter der als »entartet« bezeichneten Musik, denen ihre jüdische Herkunft oder ihre Modernität zum Verhängnis geworden war, Erich Wolfgang Korngold, Arnold Schönberg, Viktor Ullmann, Egon Wellesz und andere  ? Georg Trapp, der sich geweigert hatte, mit seiner Familie der NS-Führung als Aushängeschild zu dienen, wanderte nach den USA aus. Wo auch waren Maler wie Oskar Kokoschka, Albert Paris Gütersloh und Wilhelm Thöny, oder Architekten wie Clemens Holzmeister, ein Dutzend bedeutende Filmschaffende, beliebte Schauspieler und Sänger geblieben  ? Wer floh, riskierte in Armut zu enden. Wer blieb und keinen »Ariernachweis« erbringen konnte, riskierte sein Leben. Letztlich war jeder gefordert, über sein weiteres Schicksal zu entscheiden. Die drei bis zum Anschluss (noch) in Österreich lebenden und lehrenden Nobelpreisträger, der Atomphysiker Erwin Schrödinger, der Physiker Viktor Franz Hess und der Pharmakologe Otto Loewi erhielten Lehrverbote, wurden verfolgt und emigrierten. Sigmund Freud durfte ausreisen und starb im September 1939 in London. Auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein kehrte Österreich den Rücken und bewarb sich 1938 um die englische Staatsbürgerschaft. Othmar Spann, der Ideologe des Ständestaats, erhielt Lehrverbot und kam ins Konzentrationslager. In den Musiktheatern und Konzertsälen gingen plötzlich Emmerich Kálmán, Ralph Benatzky, Oskar Straus, Hermann Leopoldi und viele andere ab. Wer Freude am politischen Kabarett und geistvollen Witzen gehabt hatte, musste sich zunehmend mit Karikaturen und (schlechten) Zeichenwitzen begnügen. Bei den Literaten war der Verlust an herausragenden Menschen besonders auffällig. Neue Leitfiguren wie Erich Guido Kolbenheyer, Maria Grengg, Egmont Colerus, Fanny Wibmer-Pedit, Gertrud Fussenegger oder Bruno Brehm, die zu Fixsternen des NS-Regimes aufstiegen, waren wohl schon vorher bekannte Literaten gewesen und wurden wie Josef Weinheber gefeierte (Heimat)Dichter, während Stefan Zweig, dessen Bücher auf der »Liste der verbotenen Autoren« einen prominenten Platz einnahmen, Österreich definitiv verließ und über London schließlich nach Brasilien emigrierte. Franz Theodor Csokor glaubte sich in Polen sicher und floh dann nach Rumänien, Jugoslawien und schließlich nach Italien. Auch Carl Zuckmayer, der Deutschland schon vor 1938 verlassen musste, zog weiter. Adrienne Thomas floh über Frankreich nach Spanien und schließlich in die USA. Einen ähnlichen Weg

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nahm Friedrich Torberg. Franz Werfel fand zunächst in Frankreich und dann in Spanien Zuflucht. Mit einem Schlag verpönt war auch die sogenannte »Kaffeehaus-und Asphaltliteratur« eines Felix Salten, Peter Altenberg, Anton Kuh und Hans Weigel oder ein bekennendes Altösterreichertum, wie es Joseph Roth vorlebte. Daraus den Schluss ziehen zu wollen, dass nur noch das »poetische Mittelmaß triumphierte, die Stunde der Marktschreier, der verzückten Nazibarden schlug«,347 greift aber sicherlich zu kurz und lässt das literarische Schaffen eines Alexander Lernet-Holenia, Heimito von Doderer oder Friedrich Heer außer Acht. Die meisten »verzückten Nazibarden« mussten sich nach dem Krieg jedoch mit bescheidenen Plätzen im Literaturbetrieb begnügen, sahen sich zeitweilig ausgestoßen, zumindest aber nicht mehr wie vorher gefragt, nachdem es nicht mehr galt, die Menschen und vornehmlich die Jugend für den NS-Staat zu begeistern. Ab April 1939 waren alle männlichen und weiblichen Jugendlichen zum Dienst in der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädchen verpflichtet. Sie erhielten ihr eigenes Kulturprogramm, das nicht für Juden, Kommunisten, Freimaurer, Angehörige nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften, Pazifisten und Nonkonformisten gedacht war. Sie waren Bestandteile eines Feindbilds, das der Vorbereitung der nächsten expansiven Schritte des Großdeutschen Reichs diente. Und die sollten nicht lange auf sich warten lassen. Bis dann am 1. September 1939 der Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen stattfand, der den Beginn des Zweiten Weltkriegs markierte und abermals vieles anders werden ließ. Pflichtsoldaten Militärisch war Österreich ab dem März 1938 durchorganisiert worden. Der östliche Landesteil mit Wien, Niederdonau und Oberdonau bildete den Wehrkreis XVII  ; der Rest den Wehrkreis XVIII. Die Luftwaffe deckte mit dem Luftgau XVII den größten Teil des Landes ab. Nur die Gaue Tirol-Vorarlberg und Salzburg gehörten zum (Münchner) Luftgau VII. Auch die Kriegsmarine und die SS hatten ihre Anteile an der österreichischen Wehrkraft. Die Ergänzungsbehörden der Wehrmacht stellten für alle Wehrmachtsteile und die SS-Verfügungstruppen die Tauglichkeit der jungen Männer fest. Rund die Hälfte der hohen Offiziere war mittlerweile entlassen worden. Jüngere und rangniedere Offiziere waren an ihre Stelle getreten, galten als »bildungsfähig« und avancierten rasch.348 Die Ausbildung der Soldaten erfolgte kriegsnah. Schließlich sollte man die Ausbildner manchmal mehr fürchten lernen als den »Feind«. Neue Kasernen waren im Entstehen, vor allem auch solche für die SS-Verfügungstruppen in Wien, Graz und Klagenfurt. Auch die Vorstellung, dass es Krieg geben würde, schreckte in der Regel nicht ab. Man war gerüstet, materiell wie mental. Die Schilderung von Kampf-

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handlungen des Ersten Weltkriegs, einer Literatur, die von den Bauernkriegen über Türken und Franzosen bis zum jüngst vergangenen großen Krieg reichte, die Erfahrungen der Hitlerjugend und naive Wünsche mischten sich mit patriotischen Gefühlen und der Negation persönlicher Gefahr. Trotz der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs schien der Krieg noch immer das große Abenteuer zu sein. Und nur Schwächlinge blieben zu Haus, wenn der Führer rief. Außerdem hatte man so gut wie keine Wahl, es sei denn man entzog sich dem Dienst in der Wehrmacht und riskierte dabei sein Leben. Als am 28.  August 1939 Bezugscheine eingeführt wurden und damit die Bewirtschaftung von lebenswichtigen Gütern begann, mussten sich jene, die den Ersten Weltkrieg erlebt hatten, sagen  : Es ist wieder so weit. Vier Tage später bewahrheiteten sich die Vermutungen. Es war Krieg. Am 1. September 1939 fanden sich alle in der Ostmark zur Aufstellung gelangten Heeresdivisionen im Rahmen der 14. Armee und nahmen in der Folge am Feldzug gegen Polen teil. Das in Österreich gebildete Kommando der Luftflotte 4 unter dem Befehl von General Alexander Löhr befehligte die Luftwaffenverbände zur Unterstützung der Heeresgruppe Süd. Sie führten den ersten schweren Luftangriff auf Warschau durch. Die Reichssender und die Tageszeitungen überschlugen sich mit ihren Erfolgsmeldungen. Nicht die Toten und die Verwüstungen zählten, sondern die Meldungen über die Siege bis zur Niederwerfung der polnischen Wehrmacht. Sollte jemand erwartet haben, die Österreicher würden sich anders als die Soldaten anderer Teile des Reichs verhalten, weniger willig in den Krieg ziehen, weniger tapfer kämpfen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit desertieren, so sah er sich getäuscht. Die Österreicher setzten alles daran, sich zu fügen, nicht aufzufallen und, wenn es ging, durch besonderen Diensteifer und Tapferkeit allfällige Vorurteile zu zerstreuen. Jenen, die schon im Ersten Weltkrieg Soldaten gewesen waren, den »Weltkriegsdienern«, war in unverbindlicher Weise gesagt worden, sie würden in einem neuen Krieg nicht mehr eingezogen werden, doch auch diese älteren Jahrgänge wurden – sofern sie noch für den Kriegsdienst geeignet waren  – von der Mobilmachung erfasst. Sie sollten wohl auch die zunächst geringere Ausschöpfung der Wehrkraft ausgleichen und brachten etwas mit, das den meisten der 230.000 Österreicher, die 1939 eingezogen wurden,349 mangelte  : Kriegserfahrung. Die deutschen Erfolge im Polenfeldzug hatten zur Folge, dass auch die »Alten« ebenso wie die jüngeren noch nicht kriegsgedienten Jahrgänge zuversichtlich waren, in diesem Krieg siegreich zu bleiben und das Gefühl der Niederlage, das nach dem Ersten Weltkrieg geblieben war, verdrängen zu können. Zwei Tage nach dem Feldzugsbeginn in Polen erklärten Großbritannien und Frankreich dem Großdeutschen Reich den Krieg. Damit weitete sich das Geschehen zu einem großen europäischen Krieg aus und näherte sich dem Kriegsbild des Ersten Weltkriegs an. Doch mit einem Parallelgeschehen ließ sich schwer argumentieren. Es gehörte allerdings einige Gutgläubigkeit dazu, um die propagandistische Darstellung

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eines Deutschland aufgezwungenen Verteidigungskriegs zu akzeptieren. Der Krieg reichte jedoch aus, um die Einschränkungen und die Unterdrückungsmaßnahmen als Kriegsnotwendigkeiten hinzustellen. Die Gewichtungen verschoben sich. Denn waren es bis 1939 die Gleichschaltung und die Durchsetzung des Machtanspruchs der ­NSDAP gewesen, die als Argument für Zwangsmaßnahmen gebraucht wurden, so war es ab dem September 1939 der Krieg. Und der forderte das Leben Vieler. Er fand auch nicht irgendwo »da draußen« statt, sondern ebenso im Inneren des Reichs, wofür sich dann definitiv der Begriff »Heimatfront« einbürgerte. Auch die Worte »Kampf« und »Schlacht« fanden in den bis dahin noch vergleichsweise zivilen Bereichen ihre Entsprechung. Und es war schon 1939 die Feststellung zulässig, dass der Zweite Krieg dort anknüpfte, wo der Erste aufgehört hatte. 1939 war bereits ein Drittel der verheirateten Frauen und über die Hälfte der alleinstehenden Frauen im Alter zwischen 15 und 60 Jahren erwerbstätig.350 Und wie im Ersten Weltkrieg, nur in einem weit höheren Ausmaß, wurden sie in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Sie waren aber nicht nur ein Teil der Arbeitswelt, sondern auch der Rassenpolitik des NS-Systems geworden. Sie sollten dem Führer ein Kind nach dem anderen »schenken«, um jene rassenideologischen Forderungen und Phantastereien zu unterfüttern, die von einer neuen Herrenrasse kündeten und diese auch durch Tötung von sogenanntem unwertem Leben erreichen wollten. Der Nationalsozialismus setzte das um, was die Eugeniker jahrelang diskutiert hatten. Ab dem Sommer 1939 wurden idiotische und Kinder mit Missbildungen getötet. Die Klinik »Am Spiegelgrund« in Wien erlangte solcherart traurige Berühmtheit.351 Doch das war erst der Beginn der Tötungsaktionen. Nach dem Vorbild der Euthanasieanstalten Grafeneck und Brandenburg an der Havel wurde Schloss Hartheim östlich von Eferding zu einer von schließlich sechs Tötungsanstalten der sogenannten »Aktion T4« umgebaut. Es war das eine von schließlich vielen Formen des organisierten Mordes. Im Mai 1940 erreichte der erste Transport die Anstalt und machte den Auftakt zur Tötung von schließlich mehr als 25.000 Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen.352 Sie kamen aus psychiatrischen Anstalten und Behinderteneinrichtungen, aber auch aus den Konzentrationslagern Mauthausen, Gusen und Dachau. Es war dann vornehmlich die Intervention katholischer Stellen, die der massenhaften und kaum zu verschleiernden Tötung einen Riegel vorschob, ohne dass es freilich zu einem wirklichen Ende gekommen wäre. Aber es war wohl auch unüberhörbar, was der St. Pöltener Bischof Michael Memelauer zu Silvester 1941 predigte  : »Vor unserem Herrgott gibt es kein unwertes Leben …. Auch der Unglückliche, dessen Sinne verwirrt sind, auch das Kind, das als Krüppel auf die Welt kommt …, hat ein Recht auf Leben.«353 Anders als beim Euthanasieprogramm, gegen das sich die christlichen Kirchen wandten, gab es wegen der Judenverfolgung keinen öffentlichen Protest. Die meisten

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Menschen schienen wohl zu akzeptieren, dass die Juden nicht Teil der Volksgemeinschaft waren. Der Lagerkomplex Der Begriff »Lager« war allgegenwärtig. Man kannte sie noch, zumindest dem Namen nach, jene Lager, die während des Ersten Weltkriegs errichtet worden waren, um Flüchtlinge, Internierte und Kriegsgefangene aufzunehmen. Sie hatten 1918/19 zu existieren aufgehört und blieben vornehmlich in der örtlichen Überlieferung erhalten. 1933 hatte der Ständestaat Lager errichtet, um politische Gegner zu internieren. Die Sache war offenbar in der Luft gelegen und auch der österreichischen Sozialdemokratie nicht fremd gewesen, als es darum ging, den Bürgerkrieg vorauszudenken. Aber es bestand eben ein Unterschied zwischen dem Gedachten und dem Realen. Ebenso wie es einen erheblichen Unterschied zwischen jenen Konzentrationslagern (KZ) gab, die von den nationalsozialistischen Machthabern ab 1933 in Deutschland errichtet wurden und den Anhaltelagern Wöllersdorf und Kaisersteinbruch des Ständestaats. Dass man es ab 1938 in Österreich mit etwas anderem zu tun hatte, wurde schlagartig klar. Zunächst Dachau und dann Mauthausen zwangen zum Umdenken. Mauthausen ist schon längst zum Synonym für die Schreckensherrschaft des NSRegimes in Österreich geworden. Es ist aber kaum mehr nachvollziehbar, dass die Errichtung des Lagers außerhalb des idyllischen oberösterreichischen Orts nördlich der Donau bei Grein 1938 als Auszeichnung hingestellt wurde. Der Landeshauptmann und Gauleiter von Oberösterreich, August Eigruber, verkündete schon im März 1938 stolz, dass es eine besondere Ehre wäre, dass das Konzentrationslager »für die Volksverräter von ganz Österreich« nach Oberösterreich kommen würde.354 Dass es Mauthausen werden sollte, hing damit zusammen, dass die dortigen Granitsteinbrüche das Material für Repräsentativbauten, vornehmlich in Berlin, liefern sollten. Ein zweites ähnliches Lager war im nahe gelegenen Gusen geplant. Die Arbeit in den Steinbrüchen sollten Häftlinge verrichten. Sie hatten als erstes Baracken zu bauen. Der Lagerkomplex wuchs. Im November 1938 traf der erste Zug mit Häftlingen aus dem KZ Dachau in Mauthausen ein. Sie wussten nicht, dass sie eine Einstufung erfahren hatten, die ihre Überlebenschancen dramatisch reduzierte. Sie kamen in ein Lager, das gemäß einem Erlass des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, »… für schwerbelastete, unverbesserliche und auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte und asoziale, das heißt kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge« gedacht war.355 Für Letztere gab es auch Arbeitserziehungslager. Zu den politischen Häftlingen der ersten Monate kamen Kriminelle, Homosexuelle, Bibelforscher, »Asoziale« und

Der Lagerkomplex

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schließlich Tschechen. Die Zahl der Österreicher blieb gering,356 da sie vornehmlich nach Dachau, Theresienstadt, dann Buchenwald, Oranienbaum und schließlich in die KZs und Vernichtungslager in Polen und Weißrussland gebracht wurden. Zumindest anfänglich kamen auch verhältnismäßig wenige Juden nach Mauthausen. Und auch Roma und Sinti wurden nur in geringer Zahl dorthin gebracht, da für die 11.000 Angehörigen dieser Volksgruppe, die Großteils im Burgenland wohnten, 1940 in Lackenbach ein eigenes Lager entstand. Dort und in andern Lagern, ab 1942 im Vernichtungslager Chełmno nad Nerem (Kulmhof ) in Polen, wurden vielleicht zwei Drittel von ihnen umgebracht oder starben.357 Das KZ Mauthausen wurde mit anderen Insassen gefüllt. Es kamen Kriegsgefangene, obwohl es kein Kriegsgefangenenlager war. So wie sie eintrafen, wurden sie zur Erweiterung des Lagers und seiner Einrichtungen und für den Bau von Nebenlagern eingesetzt, wo sie dann in den dazu gehörenden Industriebetrieben für den Bau von Flugzeugen, Triebwerken, Waffensystemen aller Art, aber auch zur Errichtung von Verkehrsbauten wie dem Loibl Tunnel eingesetzt wurden. Bis zur totalen Erschöpfung. Dass sie nicht einfach getötet wurden, war Ergebnis einer ganz einfachen Feststellung  : Dem Großdeutschen Reich gingen 1942 die arbeitsfähigen Menschen aus. Also sollten den Konzentrationslagern immer größere Kontingente von Häftlingen zugewiesen werden, um die Einberufungen zur Wehrmacht auszugleichen und die KZ-Insassen, sofern sie arbeitsfähig waren, als Sklaven einzusetzen. Für sie galt, was der Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS, Oswald Pohl, am 30. April 1942 in einem Rundschreiben an die Lagerkommandanten so unmissverständlich zum Ausdruck brachte  : »Der Lagerkommandant allein ist verantwortlich für den Einsatz der Arbeitskräfte. Dieser Einsatz muss im wahrsten Sinne des Wortes ein erschöpfender sein.«358 Nach und nach entstanden Nebenlager, die größten in Gusen, Ebensee und Melk. 48 sollten es insgesamt werden.359 Ein Schutzhaftbefehl der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) genügte, um ohne Gerichtsverfahren in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden. Mauthausen wurde zu einer Drehscheibe des Todes. 1940 kamen Polen und Spanier, vornehmlich die Kinder von Sozialdemokraten und Kommunisten, die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Dann, 1941, kamen holländische Juden, Jugoslawen, sowjetische Kriegsgefangene, von denen es dann hieß, sie wären »durch Arbeit im Steinbruch zu Tode« zu befördern.360 Im Mai 1942 arbeiteten 3.844 Häftlinge in den Steinbrüchen. Ein Jahr später waren es um 1.000 mehr. 1942 füllte sich der Mauthausenkomplex weiter mit Belgiern und Franzosen, europäischen wie afrikanischen, weiteren niederländischen Juden, Serben, neuen sowjetischen Kriegsgefangenen und Menschen, die in »SV« (= Sicherheitsverwahrung) genommen wurden. Und so ging es weiter. Immer wieder wurden Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern übernommen, jeder bekam seine Nummer, bis dann in Mauthausen die letzte Häftlingsnummer mit 139.317 vergeben war.361 Es waren aber viel mehr gewesen, de-

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nen Mauthausen zum Schicksal wurde, denn sowjetische Kriegsgefangene bekamen keine eigenen Nummern, sondern wurden mit einer Nummer ihres Kriegsgefangenenstammlagers geführt. Für die sowjetischen Kriegsgefangenen galt auch, dass sie dann, wenn sie krank in Mauthausen eintrafen, noch vor der Registrierung getötet wurden. Sie wurden vergast. Erfasst wurden nur jene, die für die »Arbeit im Steinbruch fähig« erachtet wurden. Die Statistik, wonach von 194.200 Häftlingen in Mauthausen und seinen Nebenlagern rund 69.000 starben oder umgebracht wurden, sagt eigentlich alles aus. Sie täuscht aber insofern, als jene, die erst gegen Ende des Kriegs eingeliefert wurden, eine höhere Überlebenschance hatten als jene, die schon früher kamen. Kriegsgefangene hatten eine geringe Überlebenschance. Die meisten von ihnen waren Russen.362 Fast noch schwieriger als das Bemühen, genaue Zahlen für den KZ-Komplex der NS-Zeit in Österreich festzustellen, ist die Erhebung auch nur einigermaßen konkreter Zahlen für die Kriegsgefangenen. Vorbereitungen für die Unterbringung von Kriegsgefangenen waren in Deutschland seit 1937 getroffen worden. Im August 1939 war dann in Kaisersteinbruch das erste Durchgangslager auf österreichischem Boden eingerichtet worden, dem ab September Stammlager für Mannschaftspersonen und Offiziere folgten.363 Sie wurden aber kaum gebraucht, obwohl im Verlauf des Polenfeldzugs an die 400.000 polnische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Die wurden aber nicht nach den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung bzw. der Genfer Konvention über Kriegsgefangene behandelt, sondern mit einem juristischen Willkürakt ihres Status beraubt. Polen sei, so die Berliner Lesart, nach dem deutschen Sieg und der anschließenden Besetzung des Landes durch deutsche und sowjetische Truppen als Staat nicht mehr existent. Also wären die Kriegsgefangenen auch nicht mehr vom Völkerrecht geschützt. Etwa die Hälfte der Polen wurde aus der Gefangenschaft entlassen, 200.000 aber zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Ebenso geschah das mit weiteren 200.000 Polen, die als potentiell deutschfeindlich eingestuft wurden. 400.000 Zwangsarbeiter kamen somit auf das Gebiet des Großdeutschen Reichs und stellten ein erstes Kontingent an Arbeitssklaven. Nach und nach schwoll die Zahl der von Kriegsgefangenen in zivile Arbeitskräfte umgewandelten Polen auch in Österreich auf 87.000 an. Sie wurden hauptsächlich in der Industrie, bei Bauprojekten und in der Landwirtschaft eingesetzt.364 Die Ausweitung des Kriegs schwemmte dann neuerdings Massen in die Kriegsgefangenenlager. Es kamen Franzosen, Briten, Belgier und Holländer. Mit ihnen konnte man nicht so verfahren wie mit den Polen. Also wurden in Kaisersteinbruch, KremsGneixendorf, Döllersheim, St. Johann im Pongau sowie einem Dutzend anderer Orte in Österreich größere Stammlager für Soldaten und Unteroffiziere, sowie Offiziersund Durchgangslager geschaffen oder vorerst auch nur definiert. Wieder konnte man sich an den Ersten Weltkrieg erinnert sehen, wenn – wie damals – in Wagna bei Leib-

Die Entgrenzung

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nitz oder Wolfsberg Lager entstanden, die weit mehr Menschen beherbergten, als die Orte Einwohner hatten. Anders aber als während des Ersten Weltkriegs war der Zivilbevölkerung der Umgang mit Kriegsgefangenen bei Strafe verboten. Kriegsgefangene sollten freilich – wie ehedem – den Ausfall von Menschen ersetzen, die mittlerweile für den Krieg gebraucht wurden. Das war legitim. Doch dass in einem Lager wie St. Johann im Pogau, wo an die 30.000 Kriegsgefangene untergebracht wurden, täglich Dutzende durch Hunger und Erschießungen starben, machte jeden Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg unzulässig.365 Und immer noch stand man erst am Anfang. Die Entgrenzung Der Angriff der Deutschen Wehrmacht auf Norwegen und Dänemark am 9.  April 1940 und die am 10. Mai beginnende Offensive in Frankreich zeigten abermals, dass sich die Österreicher in der Wehrmacht in Nichts von ihren Kameraden unterschieden. Die Blitzsiege, die Vertreibung der Reste des französischen Heers und des britischen Expeditionskorps vom Festland und die anschließende Kapitulation Frankreichs übertrafen die Euphorie des Sieges über Polen bei weitem. Nichts schien der Wehrmacht widerstehen zu können, und es hätte wohl auch in Österreich seine Entsprechung gefunden, was Sebastian Haffner hypothetisch in den Raum stellte  : Wäre Adolf Hitler nach seinen augenscheinlichen politischen und ersten großen militärischen Erfolgen gestorben oder einem Attentat zum Opfer gefallen, wäre er zweifellos unter die großen Deutschen eingereiht und vielleicht als der Größte gesehen worden.366 Auch in der Ostmark sang man gerne »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt«. Da konnte sich auch der »Soldat im Donaugau« ebenso wie der »Soldat im Alpenland« als Sieger fühlen. Die beiden ersten Kriegsjahre zusammengenommen dienten bereits rund 550.000 Österreicher in der Wehrmacht. Nichts, aber auch wirklich nichts deutete darauf hin, dass die »Ostmärker« sich nicht ebenso wie andere für den »Existenzkampf Großdeutschlands« einsetzen würden. Österreichische Offiziere waren auch in hohe Kommandostellen eingerückt. Auffallen hätte eventuell können, dass sie im Oberkommando der Wehrmacht, in den Oberkommandos von Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe, eine äußerst geringe Rolle spielten. Da verließ sich Hitler doch lieber auf andere. Doch die Integration der Österreicher in der Wehrmacht war schon so weit fortgeschritten, dass es nur mehr gemeinsame Feinde gab, gemeinsam über die »Drückeberger« und ihr Leben in den rückwärtigen Frontgebieten hergezogen wurde und landsmannschaftliche Unterschiede so gut wie keine Rolle mehr spielten. Die Österreicher waren willige Soldaten geworden, nicht mehr und nicht weniger. Weit williger jedenfalls als die »Volksdeutschen« oder die in Elsass-Lothringen und Luxemburg rekrutierten Soldaten, über die angesichts ihres oft geringen Kampfwerts und ih-

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Die NS-Revolution

rer Desertionsneigung geringschätzig geurteilt und hergezogen wurde.367 So wie schon 1939 wurde nach wenigen Wochen, in denen die Hoffnung genährt worden war, der Krieg würde zu Ende sein, auch 1940 mit der Aufstellung neuer Divisionen begonnen. Um sie militärisch zu schulen, war um Allentsteig und Döllersheim im Waldviertel der größte Truppenübungsplatz des Deutschen Reichs geschaffen worden. Noch 1938 waren die Bewohner von 45 Ortsgemeinden und sieben Gutshöfen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert und umgesiedelt worden. Anschließend wurden die Dörfer und Höfe im Verlauf des Übungsbetriebs zerstört. Auch die Gebirgstruppen brauchten Übungsplätze ebenso wie die Fliegerabwehr, die bei Oggau am Neusiedlersee, nunmehr Niederdonau, einen Schießplatz erhielt. Der Geburtsjahrgang 1923 wurde einberufen. So gut wie alle leisteten der Stellungskundmachung Folge und legten schließlich den geforderten Eid auf den Führer ab  : »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.«

Es war kein Eid auf das Vaterland, sondern ein persönlicher Eid auf den Führer, der auf ein uneingeschränktes Treueverhältnis abzielte. Dass der Führer nicht wüsste, wie das Reich und vor allem der Krieg zu führen wären, ging wohl den wenigsten durch den Kopf. Und wie auch während des Ersten Weltkriegs gab es jede Menge Jugendliche, Hitlerjungen, die fürchteten, dass sie zu spät kommen würden, um noch selbst Anteil an den Erfolgen der Wehrmacht zu haben. Sie sollten sich gründlich täuschen.

11. Der Abnützungskrieg

11 Der Abnützungskrieg

11 Zu seinem 52. Geburtstag wurde Adolf Hitler noch während des Balkanfeldzugs 1941 ein merkwürdiges Geschenk gemacht: Er erhielt im Salonwagen des sogenannten »Amerika-Zugs« nahe Mönichkirchen, in dem vorübergehend das Führerhauptquartier eingerichtet worden war, eine in Sarajevo abmontierte Gedenktafel, die an die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinand, durch Gavrilo Princip, am 28. Juni 1914 erinnerte. Die Tafel wurde schließlich ins Zeughaus nach Berlin gebracht, wo sie im Verlauf eines Luftangriffs zerstört wurde. (Foto: Archiv des Autors)

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m 30.  August 1940 hatte man in Wien abermals Gelegenheit, Prominenz schauen zu gehen und die Auffahrt einer Wagenkolonne zum Oberen Belvedere zu verfolgen. Wie schon 1939 ging es um die Neuregelung der territorialen Verhältnisse in Ostmitteleuropa. Diesmal sollten die Grenzen Rumäniens verschoben werden. Zunächst hatte die Sowjetunion von Rumänien Bessarabien und die nördliche Bukowina gefordert und erhalten. Gewissermaßen im Windschatten Deutschlands war auch Stalin an die Vergrößerung der Sowjetunion gegangen. Nicht von ungefähr wurde er »Vošd«, Führer, genannt. Dank des Hitler-Stalin-Pakts vom Vorabend des Kriegs gegen Polen hatte Rumänien keine Unterstützung durch Deutschland zu erwarten gehabt. England und Frankreich hatten keine Möglichkeit einzugreifen. Damit nicht genug, forderte Bulgarien die südliche Dobrudscha. Und dann kam Ungarn. Es hatte die Abtretung Siebenbürgens an Rumänien ebenso wenig vergessen wie den Vorstoß rumänischer Truppen bis Budapest 1919. Hitler war abermals bereit, die ungarischen Forderungen zu unterstützen. Und so wie schon einmal wurden die neuen Grenzen in Wien gezogen. Am 30.  August 1940 konfrontierten die Außenminister Ribbentrop und sein italienischer Kollege, Graf Ciano, die rumänische Delegation mit dem Ergebnis ihrer Beratungen. Rumänien musste dem Schiedsspruch zustimmen und verlor ein Drittel Siebenbürgens und angrenzende Gebiete, erhielt dafür aber eine Schutzzusage Deutschlands. Und noch einmal sollte Wien Schauplatz werden. Am 25. März 1941 trat das Königreich Jugoslawien in Wien dem Dreimächtepakt Deutschlands mit Italien und Japan bei. Zwei Tage später wurde die Belgrader Regierung gestürzt. Und obwohl die neue Regierung sofort ihre Bereitschaft erklärte, die Bestimmungen des Dreimächtepakts zu erfüllen, entschied sich Hitler für einen raschen militärischen Schlag. Er tat das nicht zuletzt auch, um Italien vor dem Scheitern in einem vom Zaun gebrochenen Krieg gegen Griechenland zu bewahren. Hitler wollte nicht riskieren, dass während des schon fix geplanten Feldzugs gegen die Sowjetunion die Lage auf dem Balkan und in Griechenland außer Kontrolle geriet. Ungarn und Bulgarien wollten sich am Krieg beteiligen. Manches an diesem Vorgehen mochte logisch erscheinen, sofern der Krieg überhaupt seine Logik hatte. Es bedeutete aber eine abermalige Ausweitung des europäischen Kriegs und die Inkaufnahme von noch nicht absehbaren Folgen.

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Der Abnützungskrieg

Die Princip-Tafel Ende März und in den ersten Apriltragen 1941 marschierten die als 2. Armee bezeichneten deutschen Großverbände im kärntnerisch-steirischen Grenzraum und in Westungarn auf. Von Bulgarien aus sollte die deutsche 12. Armee angreifen. Seit dem Sommer 1940 war im Raum Wien eine große Versorgungsbasis geschaffen worden, die nun einen raschen Aufmarsch ermöglichte.368 Das Oberkommando der Wehrmacht bezog die Fahnenjunkerschule Wiener Neustadt, die ehemaligen Militärakademie. Das Oberkommando der 2. Armee kam nach St. Radegund bei Graz. Hitler verfolgte im »Führerzug« in der Nähe von Mönichkirchen den Verlauf des Feldzugs, der am 6. April mit einem schweren Bombardement der Luftflotte 4 auf Belgrad begann. Ähnlich, wie das schon bei der Tschechoslowakei der Fall gewesen war, zerfiel auch Jugoslawien nach wenigen Tagen. Am 17. April kapitulierten die Reste des serbischen Heers. Zwei Tage zuvor hatte sich Kroatien für unabhängig erklärt und gewissermaßen als Belohnung Slawonien, Syrmien (Srem), fast ganz Dalmatien, Bosnien und die Herzegowina zugeschlagen bekommen. Ungarn nahm sich das Übermurgebiet (Prekmurje), die Südbaranja und die Batschka. Bulgarien den Großteil von Mazedonien. Italien besetzte Montenegro. Italiener und Deutsche teilten sich ein verkleinertes Slowenien als Besatzungszone. Hitler wollte die Grenzen der alten Kronländer wiederherstellen. Das Mießtal, Oberkrain und die um einen Grenzstreifen im Süden erweiterte Untersteiermark wurden daher als »Besetzte Gebiete« den Reichsgauen Kärnten bzw. Steiermark zugeschlagen.369 Serbien aber, das nur noch als Rumpfstaat existierte, wurde unter deutsche Militärverwaltung gestellt. Aus Anlass des 20. Aprils 1940, Hitlers 53. Geburtstag, wurde ihm ein besonderes Geschenk gemacht  : Nach der Besetzung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo hatten Wehrmachtsoldaten nahe der Lateinerbrücke über die Miljačka eine Gedenktafel abmontiert, die an jenem Eckhaus angebracht war, vor dem am 28. Juni 1914 Gavrilo Princip den österreichischungarischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und dessen Frau ermordet hatte. Die Tafel wurde nach Mönichkirchen gebracht und Hitler im »Führerzug« zum Geschenk gemacht.370 Auch in diesem Fall war Symbolträchtigkeit gegeben  : Der gebürtige Österreicher Adolf Hitler hatte allem Anschein nach Sarajevo gerächt. Der Doppelmord, der als ursächlich für den Ersten Weltkrieg gesehen wurde, war gesühnt. Am 18.  Mai 1941 verkündete Deutschland das staatsrechtliche Ende des Königreichs Jugoslawien. Abermals, wenngleich mit erheblichen Abweichungen, schienen Konturen des alten Österreich wiederhergestellt zu sein. Dementsprechend wurden der Feldzug und vor allem dessen Ergebnisse bejubelt. Das ging umso leichter, als nur vergleichsweise wenige Truppen aus der Ostmark den Feldzug mitzumachen hatten und es daher nur einige Verlustmeldungen gegeben hatte.

Die Princip-Tafel

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Die 344.000 jugoslawischen Kriegsgefangenen wurden je nach ethnischer Zugehörigkeit behandelt. Die slowenischen, bosnisch-muslimischen, kroatischen, ungarischen und jugoslawien-deutschen Soldaten wurden freigelassen. Rund 180.000 Serben und Montenegriner wurden zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gebracht. Etwa ein Zehntel von ihnen dürfte in die Ostmark gekommen sein. Von Serbien und Mazedonien ging es weiter nach Griechenland. Wieder schien die Wehrmacht nichts aufhalten zu können. Jetzt wurden auch Truppen aus Österreich nachgeführt, vor allem Gebirgstruppen, und man meinte, nur noch lästige Besatzungsaufgaben wahrnehmen zu müssen. Noch während des Balkanfeldzugs war in den beiden ostmärkischen Wehrkreisen mit der Aufstellung von zwei neuen Divisionen begonnen worden, die in der Folge Besatzungsaufgaben in Serbien und Griechenland übernehmen sollten. Damit wurde erreicht, dass die Felddivisionen nach dem Ende der Feldzüge rasch herausgelöst und für den Krieg gegen die Sowjetunion bereitgestellt werden konnten. In Serbien und Griechenland aber kamen jene zum Einsatz, von denen gemeint wurde, sie würden ausreichen, um die besetzten Gebiete niederzuhalten und sie zudem für die deutsche Kriegswirtschaft ausbeuten zu können. Ein – wie sich rasch weisen sollte  – folgenschwerer Irrtum. Und eigentlich hätten die Erfahrungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg das Oberkommando der Wehrmacht vorwarnen müssen. Schon bald begann sich Widerstand zu regen und fingen Überfälle auf die Besatzungstruppen an, die deutlich werden ließen, dass der Balkan seine eigenen Regeln der Kriegführung hatte. Die Reaktion der Wehrmachtführung bestand in Unterdrückungsmaßnahmen, die darauf abzielten, einen Partisanenkrieg schon im Ansatz zu ersticken. Es sollte nicht gelingen. Bereits im Sommer 1941 formierte sich der Widerstand, wobei sich königstreue Partisanen und kommunistische Untergrundkämpfer um die Vorherrschaft im Kampf gegen die deutschen Besatzer stritten und eine Art zusätzliche Front eröffneten. Für die Besatzungsmacht eine scheinbar komfortable Situation, da man nach dem alten Grundsatz des »divide et impera« verfahren zu können glaubte. Ein weiterer Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte. Die beiden aus den Wehrkreisen der Ostmark zugeführten Divisionen, die 717. und 718. Infanterie-Division, wurden innerhalb kürzester Zeit in Massaker und Sühnemaßnahmen verwickelt. Es sollte die schlimmste Form des Partisanenkriegs werden, die irgendwo stattfand, die Sowjetunion, Frankreich und dann Italien eingeschlossen. Metzeleien, bei denen für einen verwundeten deutschen Soldaten 50 Zivilisten aus den besetzten Gebieten getötet wurden, und für einen getöteten deutschen Soldaten 100 umgebracht werden sollten, wurden oft nur als Vorwand genommen, um Grausamkeiten der Partisanen mit Massenmord zu ahnden.371 Der Einsatz der aus Österreich stammenden Soldaten und einer ganzen Reihe von hochrangigen Offizieren aber auch Verwaltungsbeamten, die dann an Verbrechen der Wehrmacht beteiligt waren, wurde durch die Erklärung zu verbrämen gesucht, dass

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Die Alpen- und Donaureichsgaue des Großdeutschen Reichs Ende April 1941

DEUTSCHLAND

Jungholz

Bregenz

Kl. Walsertal

Sa

Innsbruck Inn

Karte 2: Die Reichsgaue der »Ostmark« ab Ende April 1941

Der Abnützungskrieg

Lienz

SCHWEIZ Reichsgau Tirol-Vorarlberg Reichsgau Salzburg Reichsgau Kärnten Reichsgau Oberdonau Reichsgau Steiermark Reichsgau Niederdonau Reichsgau Groß-Wien Gauhauptstädte Gebietszuwächse Oktober 1938 Gebietszuwächse April 1941 Die Skizze basiert auf den heutigen Staatsgrenzen.

ITALIEN

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Die Princip-Tafel

TSCHECHIEN

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KROATIEN SLOWENIEN

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Der Abnützungskrieg

die Österreicher schon traditionell mit den Angehörigen slawischer Völker gut umzugehen wüssten und eine besondere Wesensverwandtschaft mit ihnen aufwiesen. Für viele der beteiligten Soldaten, denen a priori weder Unmenschlichkeit noch ein Hang zu Geiselerschießungen unterstellt werden konnte, artete diese Form des Kriegseinsatzes aber dahingehend aus, dass sie eine Art Kollektivschuld auf sich luden. Sie waren an einem Angriffskrieg beteiligt, wurden missbraucht und ließen sich missbrauchen. Und je länger der Krieg dauerte, umso zahlreicher wurden die Möglichkeiten, Unrecht zu begehen und unmenschlich zu handeln. Viele, die solcherart schuldig geworden sind, wurden nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen, zumindest aber im Zusammenhang mit den Repressionsmaßnahmen genannt. Sie suchten sich damit zu rechtfertigen, dass die Unterdrückungsmaßnahmen nur eine Reaktion auf die Partisanentätigkeit gewesen seien. Das reichte freilich nicht aus, um die Massaker zu rechtfertigen und die Verantwortung abzuschieben. Der ehemalige Minister des Ständestaats, Edmund Glaise-Horstenau, der als »Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien« für die Politik des »Ustascha-Staates« mitverantwortlich war, befürchtete die Auslieferung an Nachkriegs-Jugoslawien und beging im Juli 1946 Selbstmord. General Franz Böhme, der 1941 als »Bevollmächtigter Kommandierender General in Serbien« den Aufstand der Serben niederschlagen sollte, eine zweieinhalbmonatige Schreckensherrschaft errichtete und für Massaker in Kraljevo, Kragujevac und anderen Städten und Regionen verantwortlich war, bei denen die Tötungsrate von 1  : 50 bzw. 1  : 100 gnadenlos angewendet wurde, brachte sich im Mai 1947 um.372 Und der Oberbefehlshaber jener Luftflotte, die Belgrad bombardiert hatte, und der gegen Kriegsende als Oberbefehlshaber Südost die deutschen Truppen im Balkanraum befehligte, Generaloberst Alexander Löhr, wurde in Serbien zum Tod verurteilt und im Februar 1947 erschossen. Die schon erwähnten unmittelbaren Folgen für die Ostmark zeigten sich aber nicht nur im Einsatz von Österreichern während und im Gefolge des Jugoslawienfeldzugs sowie in dem unvermittelt einsetzenden Partisanenkrieg in den besetzten Gebieten, sondern auch in Kärnten und in der Steiermark. Es begann ein vielfaches und oft verwirrendes Zusammenspiel in diesem »Krieg ohne Fronten«, wobei die deutsche (und italienische) Besetzung Sloweniens, die Ablehnung des deutschen Regimes und der Zwang, auch als Slowene zur Deutschen Wehrmacht einrücken zu müssen, ursächlich für den Partisanenkrieg wurden. Für eine wachsende Zahl von Slowenen spielte auch der Krieg gegen die Sowjetunion eine Rolle, denn die Russen galten als slawisches Brudervolk, dem man Unterstützung angedeihen lassen wollte. Wahrscheinlich stachelte aber nichts den Widerstand der Slowenen mehr an als die Weisung Hitlers »Dieses Land ist wieder deutsch zu machen«.373 Rassisch und politisch unerwünschte Personen sollten nach Serbien und Kroatien umgesiedelt, und Teile der slowenischen Bevölkerung Kärntens in Lager nach Deutschland gebracht werden. Wer konnte floh. Ein Teil der jungen Männer, die vor allem der Einberufung zur Wehrmacht entgehen wollten,

Unternehmen »Barbarossa«

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verschwand in den unzugänglichen Gebieten der Karawanken oder in der italienischen Besatzungszone. Der noch in der Vorkriegszeit vorhandene Wille zur Zusammenarbeit und die besonderen Sympathien für Deutschland verwandelten sich in bodenlosen Hass. Und damit war der Nährboden für den Partisanenkrieg aufbereitet. Kommunisten und einige Vertreter bürgerlicher Parteien bildeten die »Befreiungsfront« (Osvobodilna Fronta). Die ersten Überfälle fanden statt. Wer mit den Deutschen zusammenarbeitete, riskierte liquidiert zu werden. Wer der Sympathie für die Partisanen verdächtigt wurde, wurde deportiert, inhaftiert oder umgebracht. Eine schier ausweglose Situation. Der Krieg hatte Österreich in seiner hässlichsten Form erreicht. Unternehmen »Barbarossa« Am 22.  Juni 1941 war es wie ein Schock. Im Morgengrauen des »längsten Tags« griffen drei Millionen Soldaten der Deutschen Wehrmacht die Sowjetunion an. Die Zeitungsschlagzeilen des Folgetags ließen die Wahrheit nicht erkennen  : »Aufruf des Führers an das deutsche Volk. Abrechnung mit den heimtückischen Verrätern im Osten – Fortgesetzte Erpressungen – hetzerische Wühlereien und Truppenkonzentrationen. Den Pakt schnöde gebrochen. Erste Kampfhandlungen an der Sowjetgrenze …« So verbreiteten die Zeitungen die vom Propagandaministerium in Berlin zur Weitergabe bestimmten Informationen, eigentlich Desinformationen, über den Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion.374 Für die Allermeisten kamen die Nachrichten aus heiterem Himmel. Die Tage und Wochen davor hatte die Luftschlacht um England die Meldungen beherrscht. Ein Sieg nach dem anderen war gemeldet worden. Und jetzt ging es plötzlich gegen die Sowjetunion. Man fragte nach dem Kriegsgrund. »In Polen war es die Verfolgung der Deutschen gewesen, die als Kriegsgrund genannt wurde, mit Frankreich lagen wir im Krieg (den ja Frankreich und Großbritannien erklärt hatten). Jugoslawien hatte sich eines Vertragsbruchs schuldig gemacht. Aber mit Russland lebten wir doch angeblich bis zur Stunde in tiefstem Frieden«, resümierte der Leutnant Christoph Allmayer-Beck.375 Und während noch die von der Sowjetunion vertraglich zugesicherten Lieferungen über die Reichsgrenze nach dem Westen rollten, griff die Wehrmacht an. Allerdings sechs Wochen später als von Hitler geplant. Und eigentlich hätte der 22. Juni als böses Omen gelten können, da auch Napoleon 1812 seinen Russlandfeldzug an diesem Tag begonnen hatte. Aber die ersten Erfolge schienen dergleichen historische Reminiszenzen Lügen zu strafen. Die meisten der in den Reichsgauen der Ostmark aufgestellten Felddivisionen, Luftwaffenverbände und SS-Verfügungstruppen waren Teil der in drei Heeresgruppen gegliederten Streitmacht, zu der dann noch Italiener, Ungarn, Rumänen, Slowaken und europäische Freiwillige stießen. Und wieder wurde Sieg um Sieg gemeldet. Ein

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neuer Blitzfeldzug schien mit der Niederwerfung der Roten Armee und der Besetzung riesiger sowjetischer Gebiete zu enden. Tatsächlich entwickelte sich der Feldzug schon 1941 zu dem, was die NS-Propaganda von allem Anfang an als Rechtfertigung hingestellt hatte  : Es wurde ein Existenzkampf. Als Begründung wurden nicht die Aussagen Hitlers in »Mein Kampf« zitiert, dass ein Krieg gegen Sowjetrussland unvermeidlich sei. Vielmehr hieß es, Deutschland wäre dem Angriff der Russen nur zuvorgekommen, eine Erklärung, die bis in die Gegenwart ihre Anhänger hat. Hatte anfänglich noch der Eindruck entstehen können, dass der Feldzug bereits 1941 mit der Niederwerfung Russlands enden würde, so begannen ab dem Herbst 1941 die Zweifel. Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg und die deutsche Kriegserklärung an die USA am 11. Dezember 1941 verstärkten diese Zweifel noch ganz erheblich. Aber die Gefangenenzahlen nach den großen Kesselschlachten in Russland schienen die Zweifler ins Unrecht zu setzen. Kein Wort darüber, dass der Feldzug ohne Kriegserklärung begonnen worden war, und dass wie schon im Fall Polens keine Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen galt. Ein ums andere Mal hörte man auch über den Reichssender Wien Franz Liszts »Les Préludes« als Auftakt zu einer Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht. »Wenn dann Siegesmeldungen waren  …, ich weiß noch, wie die Frau Z. immer die Fenster aufgemacht hat und das Radio laut eingestellt hat. … Ja, da war man direkt begeistert«, ließ sich auch mehr als sechzig Jahre nach dem Krieg eine Oberösterreicherin vernehmen.376 Dass immer mehr Menschen schwarzgekleidet auf den Straßen erschienen, wurde als Begleiterscheinung des Existenzkampfs gesehen. Wie in jedem Krieg starben Menschen, diesmal eben für »Führer, Volk und Vaterland« und für den Sieg der Deutschen Wehrmacht, meinten jene, die es nicht unmittelbar betraf, lakonisch. »Wie auf das gesamte deutsche Heer, so übte der Osten auch auf die ostmärkischen Divisionen seinen unheimlichen Sog aus«, schrieb Allmayer-Beck.377 Die zensurierte Feldpost korrespondierte mit den Meldungen der Reichssender und den Tag für Tag Jubelmeldungen verbreitenden Zeitungen. Man führte einen Feldzug gegen »bolschewistische Untermenschen«, den »Erbfeind«, und gefiel sich in abwertenden Bemerkungen, die mit der Realität immer weniger übereinstimmten. Vorgeblich ging es nach wie vor um die Eroberung von Lebensraum, wurde von der A-A-Linie gesprochen, die von Archangelsk nach Astrachan führen und westlich derer sich dann das Großdeutsche Reich ausbreiten sollte. Auch Nicht-Bauern begannen von Gütern zu träumen, für deren Bewirtschaftung die Unterworfenen herangezogen werden sollten. Umsiedler oder auch die Südtiroler Optanten, die sich aufgemacht hatten, um außerhalb Italiens eine neue Heimat, Grund und Boden zu finden, wurden mit dem Hinweis auf die zu erobernden Ostgebiete regelrecht angelockt. Den hoch ausgezeichneten Ritterkreuzträgern wurde die Überlassung von Rittergütern in Aussicht gestellt. Propaganda und Wunschdenken gingen eine unsägliche Symbiose ein.

Unternehmen »Barbarossa«

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Auch 1942 schien der Krieg im Osten gewinnbar, ebenso wie der Krieg in Nordafrika, das von einem italienischen immer mehr zu einem deutschen Kriegsschauplatz wurde. Die Luftschlacht um England war allerdings abgebrochen worden. Die Kriegsmarine, in der die aus der Ostmark stammenden Besatzungsmitglieder wohl nur bei der Donauflottille und einigen U-Booten einen größeren Anteil hatten, zögerte wie schon im Ersten Weltkrieg, ihre großen Einheiten einzusetzen und verlegte sich mehr und mehr auf den Unterwasserkrieg. Doch wo auch immer  : Die Österreicher waren »Soldaten wie andere auch«, Gleiche unter Gleichen. Sie zeigten sich weitestgehend immun gegen die sowjetische Propaganda, in der sie zum Überlaufen aufgefordert wurden. Versprechungen über gute Behandlung wurden nicht geglaubt. Ohne ins Detail gehen zu können, ist wohl auch anzunehmen, dass die Österreicher in der Wehrmacht einen achtprozentigen Anteil an Übergriffen, Plünderungen und dem hatten, was dann lange nach dem Zweiten Weltkrieg als »Verbrechen der Wehrmacht« für Empörung und Innehalten sorgte. Während des Polen- und während des Westfeldzugs hatten rigorose Strafbestimmungen im Fall von Plünderungen oder Brandschatzungen gegolten. Beim Feldzug gegen die Sowjetunion wurde von Hitler selbst das Zeichen zur Missachtung der Regeln des Kriegsvölkerrechts und der Humanität gegeben. Und dabei ging es nicht nur um politische Kommissare, denen der Status von Kombattanten verweigert wurde. Hinrichtungen und Morde waren alltäglich, und wenn dann Häuser, Dörfer und ganze Stadtteile in Flammen aufgingen, wurde das damit zu erklären gesucht, dass es ja Stalin gewesen war, der als erster den Befehl zur »verbrannten Erde« gegeben hatte. Vollends in Partisanenkriegsgebieten und im Fall militärischer Rückschläge schwand jegliche Rücksichtnahme.378 Und die Österreicher waren »Soldaten wie andere auch«. Nicht einmal Katastrophen wie die Einkesselung der deutschen 6. Armee Ende 1942, in der als Folge von Zufällen der Anteil der Österreicher höher war als an anderen Frontabschnitten, konnten einen dauerhaften Meinungsumschwung bewirken und das doch zumindest ansatzweise Gefühl, dass der Krieg nicht gewinnbar sei, verstärken. Der Inspekteur des Wehrersatzbezirks Wien berichtete jedenfalls auch noch im Juni 1943, dass die Wehrfreudigkeit der Rekruten des Jahrgangs 1926 eher gut, »wenn nicht sogar sehr gut« sei. Simulanten gebe es keine, und einige der Gemusterten hätten sogar versucht, ihre Krankheiten zu verheimlichen.379 1941 und 1942 waren weitere 100.000 Männer eingezogen worden, rund 40,5 % der männlichen Bevölkerung Vorkriegs-Österreichs war mittlerweile wehrpflichtig geworden.380 Zwar gab es immer wieder Fälle von Desertion und Wehrkraftzersetzung. Sie hatten seit dem Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion zugenommen, unterschieden sich jedoch prozentuell in nichts von den vergleichbaren Fällen, in denen Soldaten aus anderen Reichsgauen des Großdeutschen Reichs auffällig wurden. Auf Desertion, eines der größten Probleme der österreichisch-ungarischen Armee während des Ersten Weltkriegs, stand die

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Todesstrafe. Sie sollte unbarmherzig zur Anwendung kommen. Bis 1943 waren es aber nur einige Dutzend Soldaten der Ostmark, die wegen Desertion belangt und großteils hingerichtet wurden.381 Wesentlich mehr waren übergelaufen oder hatten sich kampflos ergeben. Doch auch sie waren bestenfalls kleine statistische Größen. Denn noch hielt der Glauben an eine baldige Beendigung des Kriegs, wenn nicht den »Endsieg«. Stalingrad hatte allerdings nachhaltige Auswirkungen auf die Moral der Zivilbevölkerung. Und die sollte weiteren Belastungen ausgesetzt sein, ja wurde zum eigentlichen Ziel der alliierten Kriegführung. In der Heimat erfuhr man wie an den Fronten die Schrecken eines totalen Kriegs. Das sogenannte Heimatkriegsgebiet Die ersten Vorboten dessen, dass Österreich für alliierte Flugzeuge erreichbar war, waren die Einflüge britischer Bomber, die in großer Höhe bis Wien kamen und bereits im Winter 1939/40 Flugblätter abwarfen. Man konnte das so sehen wie den Raid des Italieners Gabriele D’Annunzio nach Wien, der am 9. August 1918 aus sieben Doppeldeckern 50.000 Flugblätter abwerfen ließ und das als Demonstration verstehen wollte, dass die Reichshaupt- und Residenzstadt nicht mehr zu schützen war. Von 1940 an vermehrten sich die Einflüge der Briten. Im August 1940 stürzte ein Bomber in Vorarlberg ab. Doch das war natürlich noch nicht der strategische Luftkrieg, den die Alliierten genauso wie die Deutsche Luftwaffe führen wollten. Wohl aber wurde das Heimatkriegsgebiet, wie es seit August 1940 so unmissverständlich genannt wurde, aufgerüstet. Hatte bei den militärischen Baumaßnahmen anfänglich, 1938/39, noch der Ausbau von Flugplätzen Priorität gehabt, so verlagerte sich die Bautätigkeit seit Kriegsbeginn sehr rasch auf den passiven und aktiven Luftschutz. Für die gesamte Bevölkerung bestand Luftschutzpflicht.382 Die Ortschaften wurden je nach ihrer voraussichtlichen Gefährdung in Luftschutzorte I., II. und III. Ordnung eingeteilt. Ab Kriegsbeginn galten Vorschriften zur Verdunkelung. Dass am 6. April 1941 drei jugoslawische Maschinen in den Luftraum über der Steiermark eindrangen und ein paar Bomben abwarfen, die keinen nennenswerten Schaden anrichteten, war bestenfalls eine örtliche Sensation. Die Einflüge der Briten führten aber dazu, dass der Bau von Luftschutzkellern und Bunkeranlagen forciert und vor allem die Fliegerabwehr erheblich verstärkt wurden. Statt russischer Beutegeschütze kamen die deutschen Standardgeschütze zur Fliegerabwehr, 8,8 cm-Kanonen, überall dorthin, wo man von einer Gefährdung ausging. Mittlerweile ließ sich verfolgen, wie sich der Luftkrieg gegen die Städte des »Altreichs« entwickelte und britische Bomberverbände schon Ende Mai 1942 einen ersten Nachtangriff mit rund 1.000 Bombern flogen. Kurz danach begann die Verlegung von amerikanischen Bomberverbänden nach Großbritannien und Nordafrika.

Das sogenannte Heimatkriegsgebiet

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Bis zum August 1943 konnte man sich in Österreich der Illusion hingeben, die alliierten Luftflotten würden Österreich aussparen. Doch die Westmächte dachten nicht daran. Am 13. August 1943 erreichte ein Verband der amerikanischen 9. US-Air Force von Libyen kommend Wiener Neustadt, bombardierte die dort groß ausgebauten Flugzeugwerke und hinterließ ein erstes Mal eine Spur der Verwüstung.383 Und was vielleicht noch nachhaltiger wirken sollte  : Man kam sich ungeschützt vor. Der Krieg, der da irgendwo in Russland, Nordafrika oder anderswo in der Ferne geführt wurde, war plötzlich ganz nahe geworden. Damit erhielten auch die Propagandafloskeln eine andere Gewichtung. Da wurden die »Verbrechen« der anderen hervorgehoben, wurde von »Luftgangstern« und »Terror« geschrieben und gleichzeitig von Luftangriffen auf englische Städte berichtet und von »auslöschen«, »ausradieren« und »vergelten« geschrieben.384 Fallweise gab es auch einen merklichen Autoritätsverlust des nationalsozialistischen Regimes. Dieses wurde zunehmend nur mehr ertragen und verlor den Anschein der Unfehlbarkeit. Nach dem ersten Angriff aus Nordafrika folgten noch vier weitere amerikanische Angriffe auf Ziele in Österreich, die von den Basen in Libyen aus geflogen wurden. Am 1. Oktober wurde auch schon Feldkirch als Gelegenheitsziel nach einem amerikanischen Angriff auf Augsburg bombardiert. Man hatte nicht damit gerechnet. In ganz Vorarlberg gab es kein schweres Flakgeschütz.385 Mittlerweile hatten sich Amerikaner und Briten auch so weit nach Apulien vorgekämpft, dass sie im Raum Foggia mit dem Aufbau riesiger Flugfelder beginnen konnten. Von hier aus sollten sich die Anflugzeiten nach den nördlich davon liegenden Räumen erheblich verkürzen. Die amerikanische Luftwaffe begann mit dem Aufbau einer neuen Luftflotte, der 15. US-Air Force. Sie erhielt noch Verstärkung durch das 205. Bombergeschwader der britischen Royal Air Force. Zu den schließlich rund 1.300 viermotorigen Bombenflugzeugen kamen dann noch die 12. US-Air Force, die vor allem die Kämpfe der Bodentruppen unterstützen sollte, sowie Jagdverbände, die immer weiter nach Norden verlegt wurden, um den Bombern, so lange es ging, Begleitschutz zu geben. Die Bomberverbände flogen in unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung über die Adria und dann über Land nach Norden, verteilten sich meist auf verschiedene Zielgebiete, drehten ein und begannen mit den Bombenabwürfen auf ihre Primärziele. Konnten diese nicht wie gewünscht getroffen werden, wurden Ausweichziele angeflogen und schließlich vor dem Rückflug Bomben auf Gelegenheitsziele abgeworfen. Die hauptsächliche Bombenzuladung der amerikanischen Bomberverbände bestand aus Sprengbomben und – anders als bei den Briten, die Ziele im Westen Europas und im nördlichen Reichsgebiet angriffen – verhältnismäßig wenigen Brandbomben. Als die 15. US-Air Force im Januar 1944 ihren Grundauftrag erhielt, hieß es recht einfach, dass es gelte, die deutsche industrielle Basis zu zerstören und die Moral der Bevölkerung zu brechen.386 Letztere stand auf der Kippe. Und nur wer wegsah oder besonders naiv war, konnte die Zeichen an der Wand nicht sehen.

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Angefangen hatte es schon 1939. In den Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS konnte man von einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Altreichsdeutschen und Einheimischen lesen.387 Erste Zweifel am deutschen Weg wurden laut. Das konnte man als Raunzerei abtun und als typisch für die »Ostmärker«. Ein Vorfall wie der von Ernst Bruckmüller geschilderte im Deutschen Volkstheater in Wien, als sich 1940 bei einer Aufführung von »König Ottokars Glück und Ende« beim Monolog des Ottokar von Horneck »… da tritt der Österreicher hin vor jeden/denkt sich sein Teil und lässt die andern reden« spontaner Applaus erhob, ließ aber an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.388 Die Behörden waren alarmiert und hatten allen Grund dazu. Durchhalteparolen ersetzten die Siegesgewissheit. Partisanen Der Krieg war aber auch in einer anderen Form näher gekommen und verlieh dem Wort vom »Heimatkriegsgebiet« seine besondere Bedeutung. Was zunächst nach Entziehung ausgesehen hatte und dann als besondere Form grausamer Kriegführung in den besetzten Gebieten des ehemaligen Königreichs Jugoslawien wahrgenommen wurde, war zu einem Krieg auf österreichischem Boden geworden. Der Partisanenkrieg. Der Osvobodilna Fronta war es schon 1941 gelungen, den Aufstandswillen in Slowenien zu schüren und den Einflussbereich der Partisanen auszudehnen. Das konnten auch Geiselnahmen und Erschießungen, das Niederbrennen von Einzelgehöften und ganzer Dörfer sowie die Aussiedlung der slowenischen Bevölkerung nicht verhindern. Am Morgen des 14.  April 1942 war überfallsartig mit der Deportation von rund 1.000 Kärntner Slowenen begonnen worden. Die meisten kamen in Lager im »Altreich«. Die Kritik an dieser Maßnahme, die von bekannten Kärntner Persönlichkeiten, etwa dem Dichter Josef Friedrich Perkonig und dem Kapitelvikar der Diözese Gurk, Andreas Rohracher, kam, verlangsamte zwar die Fortsetzung der Aktion, brachte sie aber nicht zum Stillstand. Als besonders widersinnig wurde auch von Offizieren der Ergänzungsbehörden gesehen, dass slowenische Familien ausgesiedelt wurden, deren Angehörige bei der Deutschen Wehrmacht dienten. Aber auch ihr Protest konnte letztlich nichts bewirken.389 Die Umsiedlungsaktion verfolgte zweierlei Ziele  : Zum einen sollten die Slowenen aus Kärnten abgesiedelt und ihnen die Verbindung mit der südlich der Karawanken lebenden Volksgruppe unmöglich gemacht werden. Zum anderen aber sollten in den von den slowenischen Bauern freizumachenden Höfen Kanaltaler angesiedelt werden, die ebenso wie 75.000 Südtiroler für Deutschland optiert hatten und Italien verlassen sollten.

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Als Folge der auch in Kärnten zunehmenden Partisanentätigkeit wurden Dutzende, dann Hunderte Personen angeklagt, »terroristischen, kommunistisch eingestellten, bewaffneten Banden« Unterschlupf gewährt und sie aktiv unterstützt zu haben. Am 29. April 1943 wurden die ersten zwölf Personen aufgrund dieser Beschuldigung hingerichtet.390 Aber auch der Terror konnte die Entwicklung der Partisanentätigkeit nicht hindern. Kärnten war Kriegsgebiet geworden. Den aus Oberkrain, dem Mießtal, der Untersteiermark und Kärnten stammenden Partisanen schlossen sich Deserteure der Deutschen Wehrmacht und vor allem entkommene und aus der Zwangsarbeit geflohene sowjetische Kriegsgefangene an. Beim Aufeinandertreffen mit deutschen Sicherungskräften kämpften sie aus gutem Grund um ihr Leben. Sie operierten im unwegsamen Gebiet der Karawanken bis zur Drau und auf der Saualpe. Überfälle und Sabotageaktionen waren ihr Hauptziel. Polizei- und Landesschützeneinheiten richteten nur wenig aus. Die Partisanentätigkeit nahm zu, bis im Frühjahr 1944 das SS-Polizei-Regiment 13 nach Kärnten verlegt wurde, das Erfahrungen aus dem Partisanenkrieg in Weißrussland mitbrachte. Dem mit Kroaten, Polen, Ungarn und Ukrainern durchmischten SS-Verband von Hannoveranern, Braunschweigern und Magdeburgern gelang es, bei ihrem systematischen Vorgehen die Partisanen nachhaltig zu schwächen. Nichtsdestoweniger ging der Kleinkrieg weiter, bei dem die hauptsächlich Leidtragenden die Menschen im nach wie vor gemischtsprachigen Gebiet waren. Morde waren an der Tagesordnung. Zeitweilig war es den Partisanen möglich, ihre Aktionen bis in den Raum Wolfsberg im Osten und Arnoldstein im Westen auszudehnen. Dann beschloss der Führer der kommunistischen Partisanenbewegung in Jugoslawien, Josip Broz »Tito«, die Rücknahme und teilweise Auflösung der Partisanen in der sogenannten IV. Operationszone. Zeitgleich billigte die Wehrmacht den Partisanen Kombattantenstatus zu. Im Falle ihrer Gefangennahme sollten sie als Kriegsgefangene behandelt werden.391 Der Kampf flaute ab. Einzelaktionen fanden weiterhin statt. Ablehnung und Misstrauen blieben, ebenso wie die Frage, ob die Partisanen in erster Linie für Slowenien oder für Österreich kämpften. Unzweifelhaft war, dass sie trachteten, die deutsche Herrschaft zu erschüttern, und dass sie bei einer Aufzählung der Österreicher in den Streitkräften der Alliierten ihren Platz beanspruchten. Die Schattenarmee Anfänglich waren sie nichts anderes gewesen als Ausländer, jene Flüchtlinge nämlich, die Frankreich, England, eines der beiden Amerika, Kanada, China oder irgend ein anderes aufnahmebereites Land erreichten und sich in Sicherheit wähnten. Österreichische Juden stellten mit über 100.000 Flüchtlingen und Vertriebenen das bei weitem größte Kontingent der Heimatlosen. Am 3. September 1939, dem Tag der Kriegserklä-

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rung der Westalliierten an das Großdeutsche Reich, veränderte sich die Aufnahmebereitschaft in Frankreich und Großbritannien von Grund auf. Auch Flüchtlinge galten als feindliche Ausländer, und das unterschiedslos, ob sie aus politischen Gründen geflohen, Juden oder Nichtjuden waren. Sie waren aufgefordert worden, sich an Sammelpunkten einzufinden und wurden dann auf Internierungslager aufgeteilt. Von dieser Maßnahme waren in Frankreich rund 5.000 Österreicher betroffen, in Großbritannien sollen es weit über 30.000 gewesen sein.392 In beiden Fällen waren es wieder Juden, die mehrheitlich betroffen waren. Dass ausgerechnet sie interniert wurden, lag aber jenseits ihres Verständnisses. Dann bekamen Juden wie Nichtjuden die Möglichkeit, sich für den Militärdienst zu melden. In Frankreich sollen sich daraufhin 1.500 zur Fremdenlegion gemeldet haben  ; eine andere Möglichkeit gab es wohl nicht. Sie wurden nach Nordafrika gebracht. Die Briten versuchten es mit der Aufstellung von Pioniereinheiten, die aus Flüchtlingen gebildet wurden, zunächst noch in Frankreich, dann in England. In fünf von ihnen waren auch einige Hundert Österreicher. 1941 gab es die nächste Initiative. Wieder waren es ein paar Hundert Österreicher, die durch ihre Meldung zu den alliierten Streitkräften den Internierungslagern entgehen und obendrein einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung der von der Wehrmacht gehaltenen »Festung Europa« leisten wollten. Erst Anfang 1943 konnte man sich in Großbritannien dazu durchringen, Flüchtlinge aus den Feindstaaten zu allen Waffengattungen zuzulassen.393 Zeitgleich änderte sich auch das britische Verhalten den Flüchtlingen gegenüber grundlegend. Auch die Letzten wurden aus den Internierungslagern entlassen. Österreichische Exilorganisationen, vor allem das »Free Austrian Movement«, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, alle Exilorganisationen ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung zu vereinen, warben für die Meldung zum britischen Militär. Auch die britische Luftwaffe nahm Österreicher auf. Sie wollten es nur zur Bedingung machen, nicht gegen Ziele in Österreich eingesetzt zu werden. Das war leicht zuzugestehen, da die Masse der britischen Bomber Nachtangriffe gegen deutsche Städte flog. Österreicher meldeten sich auch zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten und wurden in die Partisanengebiete auf dem Balkan aber auch nach Österreich geflogen, um tätig zu werden. Ideologische Fragen waren nebensächlich  : Wer sich meldete und für geeignet befunden wurde, sollte eingesetzt werden, ob er Legitimist, Christlichsozialer, Sozialist oder Kommunist war. Rund 3.000 dürften es gewesen sein. Auch Frauen konnten sich zum Dienst in der britischen Armee melden und wurden dem Auxiliary Territorial Service und anderen Teilen der Armee zugewiesen. In der Sowjetunion wurde sehr wohl auf eine passende ideologische Einstellung geachtet. Weltanschauliche Buntheit war nicht gefragt. Um tätig werden zu können, musste man Kommunist sein. Und die Anzahl derer, die für geeignet angesehen wurden, für die Sowjetunion zu kämpfen, blieb überschaubar. Die österreichische Emigra­

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tion in der Sowjetunion hatte allerdings eine gewisse Tradition. Sie setzte sich aus den unterschiedlichsten Gruppen zusammen, war von Stalin dezimiert, ab dem Februar 1934 wieder aufgefüllt und neuerlich dezimiert worden. Wer konnte und wollte, meldete sich nach dem Juni 1941 zum Dienst in der Roten Armee. Andere wurden interniert und deportiert. Die »österreichischen« Rotarmisten dienten in normalen Heeresverbänden, im Nachrichtendienst, als Kundschafter und Partisanen.394 Eines durften freilich auch sie nicht  : Eine österreichische Einheit bilden. Proletarischer Internationalismus ersetzte nationale Gefühle. Schließlich bedienten sich die Sowjets einer kleinen Gruppe von Kommunisten, um den Partisanenkrieg in Jugoslawien und den Kampf der dortigen Volksbefreiungsarmee zu unterstützen. Den kommunistischen Emissären um Franz Honner und Siegfried (Friedl) Fürnberg gelang es nach und nach, fünf sogenannte »Österreichische Bataillone« aufzustellen, die aus Slowenien auf österreichisches Gebiet geführt werden sollten. Tatsächlich kam nur einer dieser Trupps im Februar 1945 zu einem verlustreichen Einsatz.395 Die meisten Angehörigen dieser Formationen sollten erst nach dem Krieg eine Rolle spielen. Damit erging es ihnen ähnlich wie jenen kriegsgefangenen Österreichern, die sich nach der Kapitulation der deutschen Heeresgruppe Afrika zum Dienst im Rahmen eines Österreichischen Bataillons bei den Franzosen meldeten. Französischerseits zeigte man zunächst nicht sehr viel Interesse an diesen Leuten und bot ihnen lediglich die Möglichkeit zum Dienst in der Fremdenlegion. Doch Ende 1944 kam es tatsächlich zur Aufstellung eines Österreichischen Bataillons. 280 Österreicher unterschrieben eine Erklärung, in der sie sich verpflichteten, mit der »Waffe in der Hand« für die Befreiung ihrer Heimat Österreich zu kämpfen. Für einen Kampfeinsatz war es aber zu spät. Das im Rahmen der französischen Armee aufgestellte Österreichische Bataillon kam erst nach Kriegsende nach Vorarlberg.396 In den USA lief es anfänglich wie in England und Kanada. Österreichische Emigranten, ob Juden oder Nichtjuden, wurden Ende 1941 als feindliche Ausländer interniert, dann nach Monaten und eingehender Überprüfung großteils wieder frei gelassen. 3.000 bis 4.500 Österreicher meldeten sich zum Dienst in der US Armee.397 Einige hundert arbeiteten für den Geheimdienst (Office of Strategic Services) und die Propagandabehörde OWI (Office of War Information). Nach drei Monaten Dienst erhielten die österreichischen Flüchtlinge in der Regel die amerikanische Staatsbürgerschaft – für viele vielleicht mit ein Grund, sich zu melden.398 Der Versuch Ottos von Habsburg, in den USA 1942 ein österreichisches Bataillon aufzustellen, endete aber im Streit der Exilorganisationen, in den sich tatkräftig auch das tschechische Exil einmischte. Die Sache wurde noch dadurch komplizierter, da sich der aus Österreich geflohene Minister ohne Portefeuille der Regierung Schuschnigg, Willibald Plöchl, als legitimiert sah, den »Free Austrian National Council« ins Leben zu rufen und ihn als Rechtsnachfolger der letzten österreichischen Regierung zu bezeichnen. Auch der Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi,

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bemühte sich ohne Erfolg um die Bildung einer österreichischen Exilregierung. Amerikanischerseits fanden die verschiedenen Initiativen nur sehr beiläufige Unterstützung, und der amerikanische Kriegsminister Henry L. Stimson distanzierte sich noch 1942 von der Idee der Aufstellung eines österreichischen Bataillons und verzichtete auch auf jegliche Rekrutierungshilfe. Das schon in Aufstellung befindliche Bataillon wurde im Mai 1943 wieder aufgelöst. Eine weitere Initiative war gescheitert. Und das war vielleicht gut so. Denn es war unübersehbar, dass sich die Vertreter der politischen Emigration nicht nur bemühten, Anerkennung zu finden, sondern auch eine Art Alleinvertretungsanspruch erhoben und die militärischen Verbände als Befreiungstruppen, wenn nicht als »Österreichische Armee« einsetzen wollten. Das wiederum hätte wohl dazu geführt, dass auch anderswo Ähnliches versucht worden wäre. Und das hätte Österreich womöglich zerrissen, noch ehe es rekonstruiert war. Rund 10.000 Österreicher, die im Verlauf des Kriegs im Rahmen alliierter Streitkräfte dienten, machten aber deutlich, dass sich mit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur der Dienst von Österreichern in der Deutschen Wehrmacht verband. Es sollte sich freilich als fast unmöglich erweisen, den Österreichern, die in alliierten Verbänden oder bei den jugoslawischen Partisanen dienten, nach dem Krieg vorbehaltlos Anerkennung zu verschaffen. Sie blieben, was man im Militärjargon eine »Schattenarmee« nennt. Der Vernichtungskrieg Es war 2004, als bei einer Vortragsveranstaltung der greise und schon fast blinde Arzt und Psychiater Viktor Frankl von einer Zuhörerin unvermittelt gefragt wurde  : »Warum hast Du überlebt  ?« Die Frage bezog sich auf die Konzentrationslager, in denen Frankl gewesen war – Theresienstadt, Buchenwald, Auschwitz und Dachau – und die er überlebt hatte. Er wusste keine Antwort, obwohl er jahrzehntelang darüber nachgedacht hatte. Er wusste nur eines  : Er lebte noch immer, während ein großer Teil seiner Leidensgenossen getötet worden war. Und er wusste auch, dass es dafür zum wenigsten eine rationale Erklärung gab. Angesichts des großen Sterbens, das er gesehen hatte, war es nicht weiter verwunderlich, dass sein Motto »Ja, zum Leben« wurde. Während der Krieg militärisch schon längst seinen Kulminationspunkt überschritten hatte, vollzog sich das Schicksal derer, gegen die sich der pathologische Hass des NS-Regimes richtete. Ab August 1941 war es arbeitsfähigen Juden verboten, aus dem Dritten Reich auszuwandern.399 Einen Monat später erfolgte die Bestimmung über die Kennzeichnung von Juden mit dem sogenannten Judenstern. Gleichzeitig wurde ihnen verboten, ihre Wohnbereiche zu verlassen. Als Nächstes wurde die Ghettoisierung zum Abschluss gebracht. Schließlich wurden jene Jüdinnen und Juden, die zur Deportation bestimmt waren, in vier Sammellagern im Wiener 2.Bezirk, in der Kleinen Sperlgasse,

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Castellezgasse und Malzgasse interniert. Im Oktober begann ihre Verschickung in jene Ostgebiete, die dem Großteil von ihnen zum Schicksal werden sollte. Von Wien wurden sie zunächst nach Theresienstadt nördlich von Prag, und vornehmlich nach Lagern in Polen und Weißrussland verschickt. Ab Februar 1942 galt, was auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 beschlossen wurde und die systematische Vernichtung von Juden zum Ziel hatte. Nicht mehr wie bis dahin sollten Menschen in Einzelaktionen umgebracht, sondern gezielt und massenhaft ermordet werden. Bürokraten des Todes leiteten die Verschickung in die Vernichtungslager ein und bedienten sich einer subtil-sadistischen Methode, da es den Judenräten überlassen wurde, die Listen der Abzutransportierenden und in die Vernichtungslager zu Verschickenden zu erstellen. Über Millionen Menschen wurde das Todesurteil gesprochen, unter ihnen rund 66.000 Österreicher, die Teil der Shoa, der gezielten Tötung wurden.400 Ihre Namen sind größtenteils bekannt, die Bahnhöfe, von denen sie abtransportiert wurden, der Wiener Aspangbahnhof oder der Bahnhof Strasshof an der Nordbahn, Gedächtnisorte besonderer Art.401 Auch die Namen der Verantwortlichen, der Lagerkommandanten und ihrer Helfer, sind bekannt. Die Frage nach der historischen Schuld ist damit aber nicht beantwortet und wird vielleicht nie zu beantworten sein. Ein seit Jahrzehnten erhobener Vorwurf lautet, Österreicher hätten gemessen an der Gesamtbevölkerung des Großdeutschen Reichs einen weit überproportionalen Anteil am Holocaust gehabt. Schon lange ist daher Täterforschung angesagt. Simon Wiesenthal stellte in den Raum, dass 40 % der Verbrechen während der NS-Herrschaft von Österreichern verübt worden seien.402 Auch andere Zahlen wurden genannt  : 20 %, oder auch nur 4,65 %.403 Je nachdem, welches KZ, welche Vernichtungsmaßnahme, vor allem aber welche Personengruppe untersucht wurde, gab es die unterschiedlichsten Angaben. Für alle Konzentrationslager zusammen wurde erst jüngst erhoben, dass von den SS-Wachmannschaften in den Jahren von 1940 bis 1945 zwischen 1,8 und 4,5 % Österreicher waren. Die meisten von ihnen wurden in Mauthausen und Sachsenhausen eingesetzt. In den Lagern Auschwitz I–III waren es 1,8–7,6%.404 Auffällig ist jedoch, dass viele Kommandanten von Konzentrationslagern Österreicher waren. Das erhöhte den Anteil dieser Personengruppe über den statistischen Anteil der Österreicher an der Bevölkerung Deutschlands von 8,8 % deutlich. Unbestritten ist aber auch, dass die meisten Zahlen erhebliche Unschärfen aufweisen. Die Unschärfen wurden noch dadurch vermehrt, dass der Begriff Österreicher immer wieder undifferenziert gebraucht wurde. Einmal waren es Altösterreicher, also Menschen, die auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie geboren wurden, dann wieder Menschen, die tatsächlich auf dem Gebiet der Republik Österreich zur Welt gekommen waren. Einmal rechnete man Südkärnten und die Südsteiermark ebenso wie Südböhmen und Südmähren dazu, dann wieder nicht. Einer der größten Verbrecher, Odilo Globocnik, wurde in Triest

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geboren. Seine Mutter stammte aus Oberkrain (Tržiž/Neumarkt)  ; der Vater aus Vršac (Werschetz) in der Vojvodina. Odilo Globocnik kam mit 15 Jahren nach Klagenfurt und galt fortan als Kärntner. Es wird wohl weiterhin manches zu erklären und vielleicht auch zu beschönigen gesucht werden. An den wesentlichen Fakten kommt man jedoch nicht vorbei. Und es ging nicht nur um die Wachmannschaften. So gibt es über das Schicksal derer, die in Mauthausen und seinen Nebenlagern inhaftiert waren, keinen Zweifel. Die Lager waren Teil der Tötungsindustrie und Schauplätze des Vernichtungskriegs. In den 48 Nebenlagern, die als »Arbeitslager der SS« bezeichnet wurden und unterschiedlich lange existierten, wurden jene Güter produziert, die es dem NS-Regime ermöglichen sollten, zumindest noch eine Zeitlang zu überleben. Die ersten großen Nebenlager von Mauthausen waren in Wiener Neustadt bei den dortigen Flugzeugwerken und in Wiener Neudorf bei den Flugmotorenwerken »Ostmark« entstanden. Es folgten Schwechat-Heidfeld, Redl-Zipf und Ebensee. Später kamen dann Lager in Melk, Wien-Floridsdorf, St. Valentin und in der Hinterbrühl bei Mödling dazu – um nur die wichtigsten zu nennen. In Melk, Ebensee, Gusen II, Peggau, Hinterbrühl, Schwechat und Leibnitz-Graz wurde in Stollenanlagen an sogenannten »Wunderwaffen« gearbeitet oder wurden besonders sensible Produkte hergestellt. Die sprunghafte Ausweitung des KZ-Komplexes erforderte natürlich immer mehr Wachpersonal. Die SS-Wachen reichten nicht aus, also wurden Wehrmachtsangehörige angefordert. Auch das Heer hatte zu wenige Männer. Da half die Luftwaffe aus. Bis Anfang 1945 wurden an die 20.000 Luftwaffensoldaten zur SS überstellt und als Wachmannschaften eingesetzt. Die allermeisten Nebenlager wurden für Männer geschaffen. Doch auch Frauen kamen in die Konzentrationslager. Ein Teil von ihnen wurde nach Mauthausen gebracht. Daneben entstanden in Amstetten, Hirtenberg, St. Lambrecht und Lenzing Frauenlager. Ende 1944 waren in den Außenlagern von Mauthausen rund 60.000 Menschen untergebracht, die Zwangsarbeit zu leisten hatten, sechsmal mehr, als im Stammlager in Mauthausen verblieben.405 Wer nicht zur Arbeit gezwungen war, sondern im Stammlager dahin vegetierte, war häufig Teil der verschiedensten Versuchsreihen  : Hormonversuche, Läuseversuche, Ernährungsversuche, Verträglichkeitsversuche, Impfversuche …. Die Häftlinge sollten auch völlig ungenießbare synthetische Lebensmittel wie die Mycel-Eiweiß-Wurst aus Abfällen der Faserfabrik in Lenzing testen. 25.000 Menschen sollen bei den an verschiedenen Orten durchgeführten medizinischen Versuchen ihr Leben verloren haben.406 Natürlich wusste man über die Existenz von Konzentrationslagern Bescheid, in deren engster Umgebung genauso wie in größerer Entfernung. Die Lager wurden von ganz normalen Gewerbebetrieben beliefert. Häftlinge rückten zur Arbeit aus. Die Tausenden, die auf Bahnhöfen um Essbares und Wasser bettelten, die über Straßen

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und durch Ortschaften getrieben, dann in den Lagern untergebracht und an Industriebetriebe vermietet wurden, um zu schuften, ließen sich nicht verstecken. Doch man beließ es bei der Erklärung, dass dort Kriminelle, Asoziale, Feinde des Regimes, Juden und Kriegsgefangene durch Arbeit zum Dienst am deutschen Volk gezwungen werden sollten. Man sprach von notwendiger Selektion und rechtfertigte auch die Behandlung der Kriegsgefangenen mit dem Deutschland aufgezwungenen Verteidigungskrieg.407 Wieder galt es, das Instrument der selektiven Wahrnehmung zur Anwendung zu bringen und das Unangenehme, Bedrückende auszublenden. So viel Leid gab es schon in diesem Krieg, so viele Sorgen. Warum sich auch damit noch belasten  ? Dass einer der Häftlinge von seinen Erlebnissen erzählen konnte, war spätestens seit dem 7. Mai 1944 auszuschließen, nachdem der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, den Befehl gegeben hatte  : »Für die Kriegsdauer verbiete ich aus Geheimhaltungsgründen jede Entlassung von Häftlingen aus dem Konzentrationslager Mauthausen.«408 Aber es gab immer mehr Menschen, die sich mit den einfachen Antworten nicht zufriedengaben. Sie suchten nach Bestätigungen für ihren Verdacht und riskierten dabei, selbst verdächtigt zu werden. Die Millionen Toten und Verwundeten der Wehrmacht verstörten genauso wie das Verschwinden von Menschen, die einem nahe standen oder die man zumindest gekannt hatte. Dafür gab es keine plausiblen Erklärungen. Verhaftungen nahmen zu. Es war denn auch sehr leicht, sich verdächtig zu machen oder wegen einer jener Formen von Widerstand belangt zu werden, die eigentlich jeder praktizieren konnte, dass man Zweifel am Wahrheitsgehalt von Meldungen äußerte, Kritik an lokalen wie an wirklichen NS-Größen übte oder auf die Informationen von »Feindsendern« verwies. Hörensagen ersetzte das Gewusste, doch es reichte aus, um von einem der zahllosen Denunzianten zur Anzeige gebracht zu werden. Andersdenkende und Skeptiker wurden zu Volksfeinden gestempelt. Anzeigen wegen »Wehrkraftzersetzung«, »hochverräterischer Propaganda« oder »volksschädigendem Verhalten« führten zu Gerichtsverfahren, Gefängnis und Konzentrationslager. Verstöße gegen eine der das Leben eines jeden Einzelnen einschränkenden Bestimmung wurden schwerstens und häufig mit der Todesstrafe geahndet. Der Oberösterreicher Franz Jägerstätter wurde wegen seiner Weigerung, Dienst in der Wehrmacht zu leisten, hingerichtet. An ihm wurde wohl auch ein Exempel statuiert, wie es jemandem ergehen konnte, der sich mit Berufung auf seinen katholischen Glauben verweigerte. Nicht viel anders erging es den Angehörigen von Glaubensgemeinschaften wie den Zeugen Jehovas und den Adventisten, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerten und in Konzentrationslager kamen oder in Strafbataillone mit geringen Überlebenschancen eingereiht wurden. Aber noch immer hielt das, was so positiv »Volksgemeinschaft« genannt wurde. Und es hielt, obwohl schon die meisten Menschen die direkten Auswirkungen des Kriegs und eine von Tag zu Tag zunehmende Gefahr spürten. Die Tage, an denen Luftwarnung gegeben wurde und die Sirenen heulten, wurden immer häufiger. Der Zerstörung

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der Luftwaffenindustrie und anderer Teile der Rüstungsindustrie folgten sogenannte Ölziele und Verkehrsziele, Bahnhöfe, Züge, Brücken und Straßen. Auch die Alliierten führten einen totalen Krieg. Allmählich aber wurde es für sie Zeit, sich über ihre Nachkriegsziele klar zu werden. Denn der Sieg über Deutschland war das eine. Was nachher kommen sollte, das andere. Und rund fünfeinhalb Jahre nach dem Anschluss sandten die Alliierten ein klares Signal in Richtung Österreich, dass es zu dem kommen sollte, was Friedrich Heer dann analog zum Umbruch des Jahres 1938 »Rückbruch« nennen sollte.

12. Zurück in die Zukunft

12 Zurück in die Zukunft

12 Angehörige des Reichsarbeitsdienstes RAD und der Hitlerjugend bei der Bedienung eines 8,8cm Fliegerabwehrgeschützes Flak 37 im Süden von Wien. Mit Mehrfachbatterien von bis zu 94 Geschützen unterschiedlicher Kaliber trachtete man im Luftgau XVII, die in 6.000 bis über 8.000 Meter Höhe fliegenden Bomber der amerikanischen 15. Air Force bei ihren Angriffen auf die Gauhauptstadt Wien zu treffen. Dazu setzte die 24. Flak-Division bis Jahresende 1944 mehr als 16.000 Menschen ein, darunter 4.000 jugendliche Luftwaffenhelfer und 3.500 Flakwaffenhelferinnen und RAD-Maiden. Angesichts der mit mehr als 700 viermotorigen Bombern angreifenden Verbände blieb die Wirkung der Flak bescheiden. (Foto: Rauchensteiner, 1945. Entscheidung für Österreich)

D

ie Sprache der NS-Propaganda war einförmig geworden. Meldungen über riesige Tonnagen alliierten Schiffsraums, die versenkt wurden, wechselten sich mit Meldungen über Schlachten ab, bei denen den Feinden ungeheure Verluste zugefügt worden seien. Kein Wort mehr davon, dass das nationalsozialistische Deutschland mit dem Angriff auf Polen den Krieg begonnen, dass es Belgien, die Niederlande, Dänemark, Norwegen, Jugoslawien, Griechenland angegriffen hatte und schließlich mit dem Überfall auf die Sowjetunion den entscheidenden Schritt zur Entfesselung eines totalen Kriegs getan hatte. Jetzt ging es darum, den »Volksgenossen« die Notwendigkeit eines Verteidigungskriegs immer von neuem einzuhämmern. »Kampf bis zur Rettung Europas vor dem Bolschewismus«, konnte man 1943 im »Kleinen Volksblatt« lesen. »Im Jänner 522.000 B[rutto]R[egister]T[onnen] von U-Booten und Flugzeugen versenkt«  ; »Sie starben, damit Deutschland lebe«  ; »Volk steh auf und Sturm brich los  !«  ; »Der Führer ehrt Wien und seine Söhne  : ›Reichsgrenadier-Division Hoch- und Deutschmeister‹. Namensverleihung an die 44. Infanterie-Division«. Dem ersten Luftangriff auf Wiener Neustadt wurde nur ein kleines Kästchen mit acht Zeilen gewidmet. »Feindeinflug im südöstlichen Teil der Alpen und Donaugaue«. Mehr war in den überregionalen Zeitungen nicht zu lesen. Wohl aber »Höhepunkt der Abwehrschlacht im Osten«  ; »Der Führer ruft die deutsche Jugend«  ; »Deutsche Wehrmacht, der letzte Schutz der Freiheit«.409 Man war abgestumpft. Stalingrad hatte gerade in den Alpen- und Donaureichsgauen ein Umdenken eingeleitet. Man musste sich ja nur die Vernichtung der deutschen 6. Armee, das Ende der Heeresgruppe Nordafrika, das Scheitern der deutschen Sommeroffensive 1943 (Unternehmen »Zitadelle«) und den ersten strategischen Luftkriegs auf ein österreichisches Ziel vergegenwärtigen, um sich über die Situation klar zu werden. Wie, so war zu fragen, sollte das enden  ? Im Herbst 1943 gaben die Alliierten erste Hinweise. Und für jene, die bereit waren, sich vom Gedanken eines immerwährenden Anschlusses zu lösen, gab es sogar einen konkreten Fingerzeig. Die Moskauer Deklaration Mitte Oktober 1943 trafen sich die Außenminister Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA in Moskau. Die Konferenz war monatelang vorbereitet worden. Es waren Noten getauscht, Absichten zu erkunden gesucht und auch manches aus der Schub-

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lade geholt worden, das dort schon seit Monaten, wenn nicht Jahren ruhte. Schon am 16.  Dezember 1941 hatte Stalin dem britischen Außenminister Anthony Eden in Moskau ein Memorandum übergeben, in dem die Forderung nach einem unabhängigen österreichischen Staat in den Vorkriegsgrenzen erwähnt wurde.410 1943 war auch eine Österreichsektion in der »antifaschistischen Schule für Kriegsgefangene in der Sowjetunion« gegründet worden. Britische Politiker, vor allem Winston Churchill, hatten Österreich unter den zu befreienden Ländern aufgezählt. Die Amerikaner taten es Sowjets und Briten gleich. 1943 aber sollte weit mehr getan werden. Im Gästehaus des Volkskommissariats für auswärtige Angelegenheiten in Moskau lag schließlich im Oktober ein Papier mit der Überschrift »Declaration on Austria« vor, das die Geschichte der alliierten Selbstfindung enthielt. Der Weg, den dabei die Briten zurückzulegen gehabt hatten, war besonders weit gewesen. Im März 1938 hatte der britische Unterstaatssekretär Sir Alexander Cadogan noch gemeint »Thanks goodness, Austria is out of the way«. Ein Problem weniger, wie er glaubte. Doch das hatte sich als Irrtum herausgestellt, und es waren nicht zuletzt die Briten, die ihren eigenen Fehler korrigieren wollten. So meinte im Oktober 1940 der Regierungsberater und Diplomat Robert Vansittart, dass Großbritannien jeglichen Grund hätte, Österreich wiederherzustellen. Man hatte ihm widersprochen und seine Äußerungen als Ausdruck seines fanatischen Deutschenhasses abgetan. Die Zeit sei vorbei, in der man kleine, unabhängige Staaten schuf, die wirtschaftlich nicht lebens- und überlebensfähig wären. Und im Übrigen sei die Sache schon deshalb obsolet, da Österreich fest in Nazi-Hand wäre. 70 % der Bevölkerung seien Nazis, hieß es. Zehn Monate später, im August 1941, lud die Frage nach der Zukunft Österreichs zu neuen Gedankenspielen ein. Mr. H. R. P. Laffan vom Foreign Research and Press Service, einer der Denkfabriken des britischen Kriegskabinetts, listete auf, was mit Österreich nach dem Krieg sein könnte  : Man könne es beim Anschluss an Deutschland belassen, ihm eine neue Unabhängigkeit geben, oder es in einer neuen Donauföderation aufgehen lassen. Als vierte Möglichkeit wurde dann auch noch die Aufteilung diskutiert, wobei der Westen zu Deutschland bzw. der Schweiz kommen und der Osten einer Donaukonföderation zugeschlagen werden könnte. Angesichts der Kriegslage eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Der britische Premierminister, Sir Winston Churchill, schlug einen propagandistischen Ton an, wenn er am 18. Februar 1942 in London meinte  : »Wir können auf dieser unserer Insel nie vergessen, dass Österreich das erste Opfer einer Aggression der Nazis war … und im Rahmen des Sieges der Alliierten wird auch eine freies Österreich seinen ehrenwerten Platz finden.«411 Egal wie das nun gemeint war  : Österreich war ein Thema  ! Und die Briten erlangten die Themenführerschaft. Es wurde weiter geschrieben und diskutiert. Mit Fortdauer des Kriegs und auch bedingt durch Sympathien für zumindest Teile der österreichischen Emigration hatte sich die Meinung gefestigt, man sollte Österreich wiederherstellen. Jetzt kam ein

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weiterer Brite, Geoffrey Harrison, ins Spiel, der im Februar 1942 damit begann, die Öster­reichfrage in immer neuen Denkschriften zu erörtern. Er konnte schließlich mit seinem Argument überzeugen, dass man die Österreichfrage unter einem positiven, zukunftsfähigen Aspekt sehen müsse und nicht nur an irgendwelchen Formulierungen basteln sollte, die als Aufruf zum Widerstand verstanden werden konnten und versteckte Drohungen enthielten. Harrison fasste die zunächst disparaten Gedanken zusammen, und es las sich schon recht gut, was da im Foreign Office formuliert worden war  : Österreich wäre das erste Land gewesen, das einer typischen Angriffshandlung Nazi-Deutschlands zum Opfer gefallen war. Nazi wurde dann, um es wohl noch deutlicher zu machen, durch Hitler ersetzt. Der Anschluss vom 15. März 1938, wurde für null und nichtig erklärt. Damit sollte nicht zuletzt die britische Politik einer Revision unterzogen werden. Dass man sich dabei im Datum irrte und statt dem 13. März den 15. nannte, war ein Lapsus. Es gab ja auch eine inflationäre Häufung von Daten. Österreich sollte jedenfalls als unabhängiger Staat wiedererstehen. Um dem Land dauerhaft Stabilität zu geben, sollte es die Möglichkeit erhalten, sich mit Nachbarstaaten (die nicht genannt wurden), die ähnliche Probleme wie Österreich haben würden, zusammenzuschließen. Ganz ohne Drohung sollte es aber auch nicht abgehen  : Das österreichische Volk, so die Briten, würde für seine Teilnahme am Krieg an der Seite (!) Hitler-Deutschlands eine Verantwortung tragen, der es nicht entgehen könne. Und man würde sehr wohl in Rechnung zu stellen haben, was Österreich selbst zu seiner Befreiung beitrage. Außenminister Eden veranlasste, dass das Papier breit gestreut in Begutachtung ging. Die Reaktion der sowjetischen Regierung, die den Entwurf einer Österreicherklärung am 24. August erhielt, war verhalten. Der britische Botschafter in Moskau informierte aber schon bald, dass sich die Russen an der Idee stießen, dass sich Österreich mit seinen Nachbarstaaten zusammenschließen könnte. Darüber würde jedenfalls noch zu reden sein. Amerikaner, Briten und Sowjets verständigten sich über ein Treffen auf hoher Ebene. Im Zuge der Vorbereitungen machten sich auch die Sowjets daran, ihre Ziele zu formulieren. Dazu wurde der sowjetische Botschafter in den USA und frühere Außenminister Maksim Litvinov nach Moskau berufen und zum Vorsitzenden einer Kommission gemacht, die nicht nur eine Tagesordnung auszuarbeiten, sondern auch gleich die Linien festzulegen hatte, entlang derer dann verhandelt werden sollte. Als es schließlich so weit war und sich am 18. Oktober eine amerikanische Delegation, Außenminister Cordell Hull an der Spitze, mit einer britischen Delegation unter Anthony Eden und den sowjetischen Verhandlern trafen, waren die Claims gewissermaßen abgesteckt. Österreich war ein Thema. Die Sowjets hatten sich im Rahmen der Litvinov-Kommission auf einige Grundsätze festgelegt, die insofern eine Gegenposition zu den britischen Vorschlägen darstellten, als der springende Punkt nicht die Wiederherstellung des Lan-

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des war, sondern die Frage einer Staatenunion. Das rührte nämlich an ein für die Sowjets wesentliches Thema  : Sie wollten sich nach dem erhofften Sieg über Deutschland einen Gürtel von Staaten vorlegen, in dem Moskau das Sagen hatte. Österreich gehörte nicht dazu. Also sollte es auch nicht mit einer neuen Tschechoslowakei, Ungarn oder irgendwelchen Balkanländern kombiniert werden. Litvinov führte auch den tschechoslowakischen Exilpräsidenten Edvard Beneš als Zeugen an, der für die Unabhängigkeit Österreichs plädierte. Und er hielt fest, dass man Österreich auch nicht einfach dem »Westen« überlassen sollte. Es sollte zwischen Ost und West zu liegen kommen. Ein machtpolitisches Neutrum also, ein zwar »lebensfähiger, aber kleiner Staat«.412 Keinen Einwand hatten die Sowjets gegen das bisschen Drohung am Ende der Erklärung. Das hatten die Briten zweifellos sehr gut formuliert. Die Außenminister mussten sich denn auch im Rahmen der Moskauer Konferenz nicht mehr groß mit der Österreicherklärung befassen. Die paar unterschiedlichen Auffassungen sollten in einem Ausschuss geklärt werden. Das geschah denn auch. Allerdings verlangten die Sowjets, dass es nicht heißen sollte, das österreichische Volk würde in die Pflicht zu nehmen sein, wie das die Briten formuliert hatten, sondern jener Staat Österreich, den es erst wieder zu errichten galt. Das mochte vielleicht widersinnig klingen, doch es ging ja darum, den zwischenstaatlichen Verkehr vorauszudenken und nicht den zwischenmenschlichen. Amerikanern und Briten gefiel das zwar nicht besonders, doch wegen solcher Lappalien wollte man das Dokument nicht in Frage stellen. Der Annex VI des Protokolls der Moskauer Außenministerkonferenz war geboren.413 Es war der 30. Oktober 1943. Tags darauf verabschiedeten sich die Gäste des sowjetischen Außenministers Molotov, nicht ohne sich vorher darauf verständigt zu haben, welche Ergebnisse der Zusammenkunft veröffentlicht werden sollten und was streng geheim zu bleiben hatte. Die Österreicherklärung war für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie war kein Geheimpapier und wurde denn auch schon am 3. November in der Wiener Ausgabe des NS-Zentralorgans »Völkischer Beobachter« ausgiebig gewürdigt. Linientreu, versteht sich  ! Da war von den »Halsabschneidern« die Rede, die in Moskau ausgerechnet jenen nicht lebensfähigen Staat wiederherstellen wollten, den das nationalsozialistische Deutschland vor einer Katastrophe gerettet hatte. Den »Spitzbuben« wäre es wohl auch nicht in den Sinn gekommen, dass man gegen den Willen der Ostmärker handelte. Doch die würden dem »Gesindel« schon die richtige Antwort geben und ihren Teil zum Endsieg beitragen. Die Moskauer Deklaration wurde solcherart sehr rasch publik. Und wer vielleicht nicht den »Völkischen Beobachter« oder eine andere gleichgeschaltete Zeitung las, erfuhr sicher gesprächsweise davon, dass Österreich nach Auffassung der Alliierten das erste Opfer Hitlers gewesen war, dass es aber als neuer alter Staat wiedererstehen und einer von den Alliierten garantierten Zukunft in Frieden und Wohlstand entgegen gehen sollte. Das mit dem eigenen Beitrag zur Befreiung war natürlich etwas, das zu überlegen war. Doch darüber wurde nicht geschrieben, und es bedurfte noch längere Zeit, bis

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die alliierte Propaganda auch diesen Kernsatz der Erklärung publik machte. Auch das sprach sich herum. Schon im November 1943 wurde die Deklaration instrumentalisiert, und im Dezember 1943, als die Ablösung des Wiener Gauleiters und Reichsstatthalters Baldur von Schirach bevorzustehen schien, der seit August 1940 wenig erfolgreich an die Tradition der alten Reichshaupt- und Residenzstadt anzuknüpfen gesucht hatte, war eines der Argumente für seine Belassung, dass man im Fall seiner Ablösung damit rechnen müsse, dass im Verlauf des angekündigten Nervenkriegs der Alliierten die Moskauer Erklärung »sicher altreichsfeindlichen Elementen in Wien« Auftrieb verleihen würde.414 Das war schon deshalb nicht aus der Luft gegriffen, da die Idee eines unabhängigen Österreich doch nicht so ganz verschwunden war, wie man 1938 meinen konnte. Eines ließ sich aber schon nach kurzer Zeit feststellen  : Die Moskauer Deklaration hatte so gut wie keine Auswirkungen auf das Verhalten der »ostmärkischen« Soldaten, bei denen vielleicht eine verstärkte Neigung zur Desertion zu erwarten gewesen wäre. Und das ungeachtet der Tatsache, dass die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug war und dass auch die Zeit schon längst vorbei war, in der man im Großdeutschen Reich fasziniert auf die gewaltigen Zahlen von Kriegsgefangenen geschaut hatte. Mittlerweile waren auch Hunderttausende Soldaten der Deutschen Wehrmacht gefangengenommen worden, um die man bangte und sich zurecht sorgte, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte, wie den alliierten Kriegsgefangenen in den deutschen Lagern. Der Faktor Mensch Auch in den Alpen- und Donaugauen des Deutschen Reichs hatte man sich schon längst daran gewöhnen müssen, eine Postkarte zu bekommen, auf der die Mitteilung stand, der oder jener, ein Angehöriger jedenfalls, wäre nach den Kämpfen bei so und so vermisst, wahrscheinlich in Kriegsgefangenschaft geraten. Das mochte zwar fürs erste als Bestätigung gelten, dass Menschen, um die man gebangt hatte, noch am Leben wären. Mehr wusste man nicht und konnte nur hoffen. Nach Stalingrad waren von den Wehrmeldeämtern besonders viele derartige Mitteilungen verschickt worden. Und häufig erwies sich die Hoffnung als verfrüht. Im Kessel und den angrenzenden Frontabschnitten waren über 300.000 Deutsche sowie Italiener, Rumänen und Freiwillige aus einem Dutzend europäischer Länder eingeschlossen worden. Rund 40.000 Soldaten kamen aus den Wehrkreisen XVII und XVIII. Tausende fielen bis zum Februar 1943 oder wurden noch bis zum letzten Moment verwundet ausgeflogen. 15.000 gerieten in Kriegsgefangenschaft. Die Soldaten der 44. und 297. Infanterie-Division sowie der 100. Jäger-Division waren darunter. Zu denen, die im Mittelabschnitt der russischen Front kämpften, fielen, in Gefangenschaft gerieten oder vermisst wurden, kamen jene, vornehmlich auch Gebirgstrup-

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pen, die in Finnland, im Norden Russlands und im Südabschnitt eingesetzt worden waren  ; kamen jene, die in Nordafrika gegen britische, kanadische, amerikanische und französische Truppen kämpften, und jene, die als Besatzungstruppen in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Griechenland, Serbien, ab dem Sommer 1943 in Italien und vor allem im Hinterland der Ostfront bei der Partisanenbekämpfung Verwendung fanden  ; ferner die Angehörigen der Fliegerverbände, der Flieger-Bodentruppen, der Kriegsmarine, der stetig im Aufbau begriffenen Fliegerabwehr und der Waffen-SS. Allmählich schien nur noch die Statistik ein verlässliches Auskunftsmittel zu sein, zumindest gab sie Aufschlüsse über Kriegsverlauf und Leid. Jenseits aller Statistik waren diejenigen angesiedelt, die am Krieg zerbrachen und den Schock des Kämpfens, Sterbens und des auch anderen zugefügten Leids nicht ertragen konnten. Ihre Zahl dürfte wohl weit geringer gewesen sein als die der sogenannten »Kriegszitterer« des Ersten Weltkriegs. Die Behandlungsmethoden ähnelten sich allerdings. Die psychisch Kranken wurden während und nach dem Krieg, nicht zuletzt in Österreich, mittels Elektro- oder Insulinschock zu behandeln gesucht. Meist blieben sie Zeit ihres Lebens menschliche Wracks.415 Allein vom Oktober 1942 bis zum Oktober 1943 waren schätzungsweise 13.000 »Ostmärker« gefallen, ihren Verwundungen oder Krankheiten erlegen.416 Im selben Zeitraum wurden rund 36.000 als vermisst gemeldet. Der Großteil von ihnen war in Russland oder in Nordafrika geblieben. Und es war kein Trost, dass auch die Verluste der Kriegsgegner unentwegt anstiegen. Die Kriegsgefangenenlager quollen über. Es war nicht bei den ersten Lagern geblieben. Schon längst waren neue dazu gekommen. Im Dezember 1941 zählte man in den Lagern Kaisersteinbruch, KremsGneixendorf, Pupping, Wolfsberg, Spittal/Drau, Markt Pongau, Marburg, Lienz und Wagna rund 100.000 französische Kriegsgefangene, 28.000 Serben, usw.417 Die Lagerinsassen wurden getrennt. Westliche und sowjetische Kriegsgefangene sollten nicht miteinander in Berührung kommen. Denn nicht nur in den Lagern, sondern auch bei den geforderten Arbeitseinsätzen sollte es Unterschiede geben. Sowjetische Kriegsgefangene wurden bei noch geringeren Tagesrationen als die westlichen Gefangenen und ohne jegliche Zubuße, wie sie den »Westlern« aus ihren Heimatländern und vom Roten Kreuz zugingen, zu schwersten Arbeiten eingesetzt. »Irgendwelche Rücksichtnahme wäre den Sowjet[ischen] Kr[iegs]Gef[angenen] gegenüber eine verwerfliche Schwäche. Gegen aktiven und passiven Widerstand ist schon beim ersten Anzeichen mit größter Schärfe vorzugehen und von der Waffe Gebrauch zu machen«, hieß es in einem Befehl des Wehrkreiskommandos XVII am 5. September 1941.418 Sicherlich stellte die Masse von gefangenen Rotarmisten nach den großen Kesselschlachten des Herbsts 1941 die Wehrmacht vor besondere Probleme. Doch wie mit den Russen umgegangen wurde, übertraf alle Vorstellungen. Bis zum 20.  Dezember 1941 zählte das Oberkommando der Wehrmacht 3,350.639 sowjetische Kriegsgefan-

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gene. 1942 und 1943 kamen weitere Millionen dazu. An die zwei Millionen Rotarmisten überlebten die ersten Monate der Gefangenschaft nicht. Auch in diesem Fall wurde sehr rasch deutlich, dass Menschenleben nichts galten. Aufgrund des »Kommissarbefehls« wurden die Angehörigen der sowjetischen politischen Verwaltung, die »Politkommissare«, erschossen, die Gefangenen verhungerten, wurden auch im Winter auf offenen Waggons transportiert, wurden durch Seuchen dezimiert und kamen nur noch mit Resten in den Kriegsgefangenenlagern an. Stalin leistete dieser Fortsetzung des Vernichtungskriegs insofern Vorschub, als er Angehörige der Roten Armee, die sich ergaben, zu Feiglingen erklärte und in ihnen Ausgestoßene sah, die sich jegliche Achtung und das Recht auf Rückkehr verwirkt hätten. »Einheiten und Truppenteile, die in einen Kessel des Feindes geraten sind, haben selbstlos bis zur letzten Möglichkeit zu kämpfen.« Wer es vorzieht, sich dem Feind gefangen zu geben, ist mit allen »Boden- und Luftmitteln zu vernichten. Den Familien der sich gefangen gebenden Soldaten aber ist die staatliche Unterstützung und Hilfe zu entziehen«, dekretierte der Generalissimus.419 Damit sollte erreicht werden, dass die Rotarmisten fanatisch und bis zur Selbstaufgabe kämpften. Als Kriegsgefangene hatten sie somit von niemandem besondere Rücksichtnahme zu gewärtigen. Ab 1943 wurden die russischen Gefangenen bevorzugt in den Wirtschaftsbetrieben der SS im Umfeld von Mauthausen und seinen Nebenlagern eingesetzt. Um zu überleben, meldeten sich Zehntausende als »Hilfswillige« und erklärten sich auch bereit, im Rahmen der »Russischen Befreiungsarmee« des Generals Vlassov gemeinsam mit der Deutschen Wehrmacht zu kämpfen. Die meisten gefangenen Rotarmisten verblieben aber in den Lagern und fristeten ihr Leben als Arbeitssklaven, die »verliehen« wurden. Rund 80 bis 90 % der Kriegsgefangenen schufteten für Großdeutschland. So wie die KZ-Insassen, die zu Arbeitseinsätzen abkommandiert wurden, durften sie bei Luftangriffen auch keine Schutzräume aufsuchen, sondern mussten an ihren Arbeitsplätzen bleiben. Bei den Toten des Luftkriegs wurden sie schließlich nicht einmal mitgezählt. Kindersoldaten Der Krieg dominierte weiterhin das Geschehen. Noch gab es so etwas wie die von der Deutschen Wehrmacht beherrschte »Festung Europa«. Dank der Eroberungspolitik der ersten Kriegsjahre ließen sich auch die Ressourcen der besetzten Länder zum Nutzen des Deutschen Reichs ausbeuten. Die Kriegsindustrie lief nach wie vor auf Hochtouren  ; der Ausstoß der Rüstungsbetriebe erreichte Mitte 1944 Höchstzahlen. Trotz des immer heftiger werdenden Luftkriegs war ein stetiger Anstieg beim Ausstoß der waffenproduzierenden Betriebe zu verzeichnen. Das Problem des NS-Staats waren nicht die Rohstoffe und Anlagen, wohl aber die Arbeitskräfte. Der Faktor Mensch

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wurde kriegsentscheidend. Trotz aller Bemühungen, den Arbeitseinsatz zu steigern, möglichst viele Frauen verpflichtend einzubinden, Pensionisten einzustellen und Arbeitsunwillige aufzuspüren, wurde der Engpass immer deutlicher. Zu den inländischen Arbeitern kamen ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene. Ihr Anteil stieg in den Alpen- und Donaureichsgauen von 10 % 1942 auf 36 % 1944, von 86.000 auf 260.000.420 Ihre Arbeitszeit betrug 72 Wochenstunden. Doch da der Krieg schon längst in Deutschland und den von ihm besetzten Gebieten angekommen war, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, wann weder die industrielle Basis noch die Menschen mehr ausreichen würden, um der Wehrmacht die Weiterführung eines Weltkriegs zu ermöglichen. Systematische Zerstörung aus der Luft war an der Tagesordnung. Zu der Absicht, die industrielle und Versorgungsbasis Deutschlands zu zerstören, gesellte sich die vor allem von der britischen Royal Air Force zur strategischen Leitlinie erhobene Absicht, die Herrschaft der Nationalsozialisten und die Moral der Bevölkerung dadurch zu erschüttern, dass mit der systematischen Zerstörung der Ballungsgebiete begonnen wurde. Die von den Briten häufig in der Nacht geflogenen Angriffe erschlossen freilich keine neue Dimension des Kriegs, denn auch die Deutsche Luftwaffe hatte sich die Zerstörung der Wohngebiete zum Ziel gesetzt. Das begann mit dem Angriff auf Wielun in Polen am 1. September 1939, setzte sich mit der Zerstörung von Warschau, des Zentrums von Rotterdam, und der Bombardierung städtischer Ballungszentren in England fort. Doch schon 1941 war die Luftherrschaft über dem Kontinent für die Deutsche Luftwaffe verlorengegangen, und die strategischen Luftflotten von Briten und Amerikanern begannen den Himmel bei Tag und bei Nacht zu beherrschen. Nach und nach bombten sich die Alliierten an die größeren Städte und Industrien heran. Der Umstand, dass die Angriffe gegen das »Altreich« früher eingesetzt hatten als jene gegen die Alpen- und Donaugaue, hatte dazu geführt, dass Verlagerungen in den österreichischen Raum vorgenommen wurden, die zwar das industrielle Potenzial steigerten, aber auch die Ziele vermehrten. Jetzt kamen Innsbruck, Klagenfurt, Steyr und ab dem März 1944 der Nahbereich von Wien dran. Kaum ein größerer Ort, keine nennenswerte Industrieanlage, keine Bahn- oder Straßenbrücke entging der Aufmerksamkeit der Planer des strategischen Luftkriegs. Wels, Pottendorf, Türnitz, Guntramsdorf, Villach, Salzburg, Amstetten, Melk, Donawitz, aber auch Reitern bei Gföhl. Niemand konnte sagen, dass er vor den Bomben der Bombenflugzeuge und den Bordwaffen der Begleitjäger sicher war. Das war letztlich auch eines der Ziele im Luftkrieg. Es galt nicht nur zu zerstören, sondern auch zu bedrohen. Niemand sollte sich mehr sicher fühlen können in den vom nationalsozialistischen Deutschland beherrschten Gebieten. Ab Februar 1943 wurden die Schüler der höheren Schulen, die 16 ½- bis 17-jährigen, als Luftwaffenhelfer herangezogen. Der von Propagandaminister Goebbels am 18. Februar 1943 verkündete »totale Krieg« machte es auch in den Alpen- und Donaugauen

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möglich, sie einzuziehen. 30.000 junge Menschen sollten etwas schützen, das letztlich nicht zu schützen war, und das trotz der in Graz und Linz ausgebauten Stollen und der für Wien in Entstehung begriffenen sechs Flaktürme sowie der Jagdabwehr. In den »luftgefährdeten« Räumen kam es zur Aufstellung von Großbatterien. So wurde die Fliegerabwehr im Raum Wien nach und nach auf über 1.400 großkalibrige Geschütze gesteigert. Flaksoldaten, jugendliche Flakhelfer und (meist sowjetische) »Hilfswillige« bedienten sie. Frauen wurden zum Dienst in Scheinwerferbatterien herangezogen und vermehrten auf diese Art die Zahl von Hunderttausenden für die Wehrmacht arbeitenden Frauen. Da die amerikanischen Bomberverbände in Höhen über 6.000 Meter auswichen, konnte ihnen das Feuer der älteren Flakgeschütze nicht mehr gefährlich werden. Dennoch erlitten auch die amerikanischen Bomberverbände anfänglich schwere Verluste und mussten beispielsweise beim Angriff auf die Kugellagerwerke in Steyr am 2. April 1944 den Verlust von 54 Bombern hinnehmen. Nach der Flugzeugindustrie nahm ab Mai 1944 die Erdölindustrie auf der Prioritätenliste der Alliierten Platz eins ein. Die deutsche Jagdabwehr wurde mehr und mehr zersplittert. Flugzeuge gab es dank weiterer Verlagerungen der Produktionsstätten zwar noch genug. Doch die Piloten gingen aus. Dennoch ließ die Führung des NS-Staates keine Bereitschaft erkennen, den Krieg zu beenden. Und sie musste lange Zeit keine Sorge haben, durch Widerstandsaktionen in ihrer Machtausübung ernsthaft gefährdet zu werden. In ihrem Lager war Österreich Anfänglich waren es auch in Österreich nur wenige gewesen, die zum aktiven Wider­ stand bereit waren. So, wie sie schon vor 1938 verschiedenen politischen Lagern angehört hatten und aus den unterschiedlichsten Motiven dem Nationalsozialismus und seinen Machthabern feindlich gesinnt waren, zeigten die Gegner des Regimes auch im Widerstand wenig Gemeinsamkeit. Es war eine nicht nur parteipolitische Fragmentierung, die dabei zum Ausdruck kam, sondern ebenso eine religiöse und bis tief in den Pazifismus reichende Differenzierung, die durch die verschiedensten österreich-patriotischen Aspekte vermehrt wurde.421 Jene, die sich Dollfuß, Schuschnigg und dem Ständestaat verbunden sahen, waren hier ebenso zu finden wie Legitimisten oder Kommunisten. Sofern sie nicht sofort verhaftet worden waren, untertauchten oder auch nur zuwarten wollten, wie sich die nationalsozialistische Herrschaft entwickeln würde, widersetzten sie sich zunehmend dem Werben um Akzeptanz oder zumindest Duldung. Bis dahin waren aber gar nicht so wenige regelrecht korrumpiert worden. Sie hatten sich beispielsweise an allen möglichen Formen der Arisierung beteiligt und waren solcherart zu Komplizen des Systems geworden. Die Arbeiterschaft war angesichts

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der Gegnerschaft zum Ständestaat und der vor dem März 1938 drückenden Arbeitslosigkeit in dem Augenblick leicht zu gewinnen gewesen, als die Beschäftigungspolitik der Nationalsozialsten zu greifen begann. Andere sahen das jahre- und jahrzehntelange Ziel des Anschlusses an Deutschland erreicht und glaubten vielleicht nicht an die Langlebigkeit des Regimes. Da galt der auch von Stalin überlieferte Ausspruch  : Die Hitler kommen und gehen. Das deutsche Volk bleibt. Von allem Anfang an war etwas Weiteres deutlich geworden  : Die Gegner des Regimes suchten sich nicht mit den schon länger im Widerstand befindlichen Gruppen im »Altreich« abzustimmen und Teil einer Art großdeutschen Widerstands zu werden, sondern bildeten einen spezifisch österreichischen Widerstand aus.422 Auf diesem Sektor gab es keinen Anschluss. Die meisten büßten ihre Widerständlichkeit mit ihrem Leben. Soweit sie sich in Gruppen zusammenfanden, liefen sie Gefahr, durch sogenannte V-Männer der Geheimen Staatspolizei infiltriert zu werden. Hochverratsprozesse waren die Folge. Die Gruppen zerfielen, so jene des sozialdemokratischen Widerstands, oder wurden dezimiert wie die Kommunisten. Einzelaktionen lösten den organisierten Widerstand ab. Doch man versuchte es immer wieder aufs Neue, so wie der Hauptschullehrer Johann Otto Haas, der nach seiner Entdeckung beschuldigt wurde, »Kopf der Revolutionären Sozialisten für das Großdeutsche Reich« zu sein.423 Er wurde am 30.  August 1944 in Wien gehenkt. Für Kommunisten, die sich gegen das NS-Regime wenden wollten, war der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 ein Ereignis gewesen, das ihrem Kampf jeglichen Sinn zu nehmen schien. Das änderte sich mit dem Beginn des Feldzugs gegen die Sowjetunion schlagartig. Die Folge war, dass 1941 allein von der Gestapo in Wien 1.507 österreichische Kommunisten wegen des Verdachts der unterschiedlichsten Widerstandshandlungen festgenommen wurden. Andere setzten ihre Tätigkeit im Untergrund fort. Zwischen 1938 und 1943 wurden rund 6.300 Personen festgenommen, die als Kommunisten einer gegen das Regime gerichteten Agitation bezichtigt wurden. Der Geheimen Staatspolizei gelang es, die meisten kommunistischen Zellen auszuheben. Zwischen 1938 und 1940 wurden auch die meisten konfessionellen und monarchistischen Widerstandsgruppen identifiziert und ihre Führer wie der Augustiner Chorherr Karl Roman Scholz, Jacob Kastelic, Jakob Lederer oder Karl Burian verhaftet und hingerichtet. Alles in allem wurden 724 österreichische Priester verhaftet, ein Teil von ihnen kam in Konzentrationslager, 15 wurden hingerichtet, etwa gleich viele starben an den Folgen der Haft.424 Der Pfarrer von Wien-Gersthof, Heinrich Maier, der zusammen mit Franz Josef Messner und anderen den Amerikanern Informationen über Rüstungsbetriebe zukommen ließ, war der Letzte, der im Wiener Landesgericht am 22. März 1945 geköpft wurde. Auch die Ordensschwester Maria Restituta Kafka, die ein in ihrem Ordensspital in Mödling kursierendes Gedicht verbreitet hatte, wurde wegen »Feindbegünstigung« verhaftet. »Erwacht Soldaten und seid bereit/Gedenkt Eures

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ersten Eids/Für das Land, in dem ihr gelebt und geboren/Für Österreich habet ihr alle geschworen/…. Wir nehmen die Waffen nur in die Hand/Zum Kampf fürs freie Vaterland/Gegen das braune Sklavenreich/Für ein glückliches Österreich«, hieß es in dem Gedicht.425 Schwester Restituta wurde 1943 im Wiener Landesgericht geköpft. Doch die Bereitschaft, gegen das nationalsozialistische Regime anzukämpfen und es zumindest im Weg von zivilem Ungehorsam und Sabotageaktionen zu schwächen, hielt durchgängig an. Drei »Österreichische Freiheitsbewegungen«, rund zwei Dutzend unterschiedliche Gruppen entwickelten eine zumindest zeitweilig gegen das Regime gerichtete Tätigkeit. Schließlich wurden 9.500 Österreicher wegen ihrer nachweislich gegen die nationalsozialistische Herrschaft und deren Methoden gerichteten Tätigkeit zum Tod verurteilt und hingerichtet. Mit der identen Begründung kamen rund 32.000 in Gefängnisse und Konzentrationslager.426 Angesichts des nicht enden wollenden Kriegs, verlagerte sich die Bereitschaft, gegen das Regime aufzutreten und ein »anderes Deutschland« sichtbar werden zu lassen, immer stärker auf das Militär. Nicht aber, weil sich vielleicht innerhalb der Deutschen Wehrmacht besonders viele Gegner gefunden hätten  ; wohl aber deshalb, weil nur noch die Gewalt und die Beseitigung Hitlers eine radikale Wende bewirken konnten. Damit wurde jene Wehrmacht, die wie nichts anderes zur Ausweitung der deutschen Herrschaft in Europa beigetragen hatte, zum wichtigsten Instrument des Widerstands.427 Es gab viele, die zu Opfern und Leidtragenden des Regimes wurden  ; es gab viele, die das Ende des Kriegs und des NS-Regimes herbeisehnten und auch solche, die diese Loslösung bis zur kompletten Absage an das Regime vorantrieben. Doch es gab nur wenige, die sich zum Handeln entschlossen. Es ging ja nicht nur darum, Hitler ermorden zu wollen – obwohl sich auch dazu ein Mann wie der aus Wien stammende Oberst i. G. Erwin Lahousen428 bereitfand – sondern die Herrschaft der Nationalsozialisten definitiv zu beenden. Die Losreißung Österreichs von Deutschland, gewissermaßen die Rückabwicklung des Anschlusses, war freilich bis 1944 zum wenigsten Ziel. Auch im Selbstverständnis der wichtigsten Akteure war vor dem 20.  Juli 1944 kein besonderer Österreichbezug gegeben.429 Erst nach dem Krieg wurde bekannt, dass es im Bereich des Amtes Ausland/Abwehr unter Admiral Canaris ein regelrechtes österreichisches Netzwerk gegeben hatte, bei dem Erwin Lahousen und der langjährige Nachrichtenmann Kurt Fechner sowie ein Dutzend Österreicher eine Rolle spielten. Sie hatten seit 1939 Kontakte zu den Alliierten aufgebaut und getrachtet, ein »anderes Deutschland« aber auch ein immer noch existierendes Österreich sichtbar werden zu lassen.430 Ethische Fragen und die im Krieg gemachten Erfahrungen spielten dabei eine besondere Rolle. In dem Augenblick, als klar wurde, dass nur eine gewaltsame Aktion den Sturz des Regimes herbeiführen könnte und dass nur das Militär in der Lage war, den Einfluss der NSDAP und ihrer militärischen Formationen auszuschalten, ging es darum,

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möglichst ranghohe Militärs zu finden, die zu einem Attentat und einer schlagartigen Machtübernahme bereit waren. Außer der schon relativ großen Gruppe von militärischen Oppositionskräften in Berlin existierten 1943 ähnliche Gruppen in Paris, in Brüssel und bei der Heeresgruppe Mitte, und nach und nach griff die Organisation auf die meisten Wehrkreise über – so auch auf Wien. Der Plan der Verschwörer war gleichermaßen einfach wie genial. In Fällen »dringender Gefahr, z. B. zum Schutz bedrohter Grenzen oder zur Bekämpfung von Aufstandsbewegungen in den neu zum Reich getretenen Gebieten«, sollten von den Stellvertretenden Generalkommandos einsatzfähige Verbände gebildet werden, die auf das Stichwort »Walküre« innerhalb von sechs Stunden verwendungsbereit sein sollten.431 Mit ihrer Hilfe wollten die Verschwörer nach der Macht im Staat greifen. Der Bearbeiter der »Walküre«-Planungen, denen Hitler ausdrücklich zugestimmt hatte, war der aus Wien stammende Oberstleutnant i. G. Robert Bernardis, der in Berlin im engsten Einvernehmen mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg handelte. Der Vertrauensmann in Wien war Hauptmann Carl Szokoll. Stichwort »Walküre« Am 20.  Juli 1944 war es soweit. Stauffenberg trug in seiner Aktentasche verborgen eine Bombe mit, die Hitler töten sollte. Er aktivierte den Zeitzünder der Bombe, verließ den Lageraum in der ostpreußischen »Wolfsschanze« und bekam nicht mehr mit, dass bei der Explosion des Sprengsatzes zwar vier Leute getötet wurden und andere unterschiedlich schwer verwundet waren, Hitler aber überlebt hatte. Die Meldung vom Attentat traf in Wien gegen 18 Uhr ein – fünf Stunden, nachdem die Bombe explodiert war. Der Generalstabschef des Wehrkreiskommandos, Oberst i. G. Heinrich Kodré, der nicht zu den Verschwörern gehörte, tat sofort alles, um die für den Fall »Walküre« vorgesehenen Maßnahmen sicherzustellen. »Überall hasteten ahnungslose Soldaten zu ihren Gewehren«, beschrieb Carl Szokoll die Situation, »rüsteten sich Einheiten und streckten, ohne es zu wissen, die Hand nach der Macht im Staat aus.«432 Währenddessen ging aus Berlin ein fingiertes Fernschreiben ein, in dem die Verhaftung der Parteispitze, der Spitzen der SS und der Sicherheitspolizei befohlen wurde. Sämtliche Konzentrationslager sollten besetzt und die Lagerleiter ebenfalls verhaftet werden. Sollte es seitens der Waffen-SS Widerstand geben, wären deren Kommandeure sofort durch Heeresoffiziere zu ersetzen. In der ersten Stunde gelang in Wien alles reibungslos. Die Garnison war alarmiert, die wichtigsten Gebäude besetzt und gesichert. Ab 20 Uhr trafen nach und nach die Repräsentanten der politischen und polizeilichen Gewalt im Wehrkreiskommando auf dem Stubenring ein. Viele waren äußerst misstrauisch. Doch die »Walküre«-Maßnah-

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men funktionierten weiterhin. Solange, bis ein Telefonat aus dem Führerhauptquartier das Scheitern des Attentats mitteilte. Anschließend begann die Rache des Regimes. Oberstleutnant Bernardis und die allermeisten, die sich bereitgefunden hatten, ihrem Gewissen zu folgen, den Tyrannenmord durchzuführen und die Gewaltherrschaft zu beseitigen, wurden hingerichtet. Von den Eingeweihten überlebte kaum jemand. Einer der wenigen war Carl Szokoll, der so unauffällig geblieben war, dass er sogar wenig später befördert wurde. Für ihn konnte es daher eine weitere Phase des militärischen Widerstands geben, die schließlich mit der Befreiung Österreichs endete. Die stand- und volksgerichtlichen Verfahren im Anschluss an das Attentat auf Hitler ließen sich zu einer Art Generalabrechnung mit potenziellen Gegnern des Nationalsozialismus instrumentalisieren. Es wurden in großem Stil Verhaftungen durchgeführt, was als staatsterroristische Maßnahme seinen Zweck nicht verfehlte. Und für Monate wurde das Widerstandspotential so gut wie ausgeschaltet. Doch man konnte letztlich nur ein blutiges Exempel statuieren, so wie das Hitler gefordert hatte. Treuekundgebungen wurden organisiert. Ihr Erfolg wurde von Joseph Goebbels als »unbewusste Volksabstimmung« zugunsten Hitlers gewertet. Man billige auch die noch »schärfere Totalisierung« des Kriegs, meinte Goebbels.433 Auch in Wien gab es am 21. Juli 1944 eine große Freudenkundgebung auf dem Schwarzenbergplatz, und man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass die meisten Teilnehmer freiwillig kamen. Wie am Tag der Verkündung des Anschlusses 1938 musste man sich aber auch fragen, wie viele zu Hause geblieben waren. Abseits der Kundgebungen hielt der Chef der deutschen Polizei und gebürtige Österreicher Ernst Kaltenbrunner die Stimmung fest, die er in Wien vorfand. Sie wäre »schlecht und die Haltung fast aller Schichten der Bevölkerung eines sofortigen Eingreifens bedürftig.« Es herrschten »Niedergeschlagenheit« und »Ratlosigkeit«.434 »Die defätistische Grundstimmung in Wien ist daher für alle Nachrichten aus dem Südosten, für jede Gräuelpropaganda, für gewisse ›Österreich-Tendenzen‹ und natürlich für jede kommunistische Propaganda sehr empfänglich«, schrieb Kaltenbrunner. Er glaubte, ein Austauschen von Leuten würde noch etwas bewirken. Dass sich hier bereits der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft abzeichnete, wollte er zum wenigsten wahrhaben. Erst relativ spät, im Winter 1944/45, fanden Vertreter verschiedener Widerstandsgruppen zusammen und überwanden den Schock des gescheiterten Hitler-Attentats. Sie fanden sich unter der Sigle O5, dem Synonym für Österreich, zusammen und begannen damit, die Nachkriegszeit vorauszudenken. Doch es waren keine politischen »Schwergewichte« dabei, sondern – wie es Fritz Molden dann ausdrückte – vor allem »Toren« und »Biedermänner«. Es schien wohl so zu sein, dass die Leidensfähigkeit weit größer war als der Mut zum Anderssein. Nur wenige, deren Namen dann bekannt wurden, machten da ei-

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nen Unterschied, wie z. B. der Standortarzt in Sluzk, südlich von Minsk, Erwin Leder, der Hunderten, wenn nicht Tausenden Juden und Kriegsgefangenen das Leben rettete (und überlebte),435 oder der Feldwebel Anton Schmid, der in Wilna (Vilnius) 1942 ähnliches tat (und hingerichtet wurde). Gegen Kriegsende häuften sich die Fälle, bei denen getrachtet wurde, Leid zu verringern und Zerstörungen zu vermeiden, so wie das Josef Gadolla tat, der die Zerstörung von Gotha verhinderte. Wenn die Zahlen stimmen, gab es aber lediglich 65 Fälle von Widerstandshandlungen gebürtiger Österreicher in den Reihen der Wehrmacht, die eindeutig auf etwas abzielten, das man aktiven Widerstand nennen konnte.436

13. Schutt und Asche

13 Schutt und Asche

13 Bei der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch amerikanische Truppen (5. Regiment 11. US-Panzer-Division) fanden die Soldaten nur mehr die letzten von mehr als 69.000 Toten Mauthausens und seiner 48 Nebenlager vor. Da sich die amerikanischen Truppen wieder zurückzogen, bewaffnete sich ein Teil der Lagermannschaft und wollte verhindern, dass es noch im Augenblick der Befreiung zu einem letzten Massaker kam. Das KZ Mauthausen war und ist ein Pfahl im Fleisch Österreichs. (Foto: Rauchensteiner, 1945. Entscheidung für Österreich)

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m Herbst 1944 begann entlang der ungarischen und slowakischen Grenze der Bau der sogenannten »Reichsschutzstellung«, des »Südostwalls«. Zu einem Zeitpunkt also, da die Truppen der Roten Armee noch im Osten Ungarns und in Mittelpolen standen. In Westeuropa kämpften sich Amerikaner, Briten, Kanadier und französische Truppen durch Frankreich, Belgien und die Niederlande nach Deutschland vor. In Italien hatten die Deutschen am 6. Juni Rom geräumt. Im August standen die Alliierten vor Bologna. Die sogenannte Casablanca- Formel von der Bedingungslosen Kapitulation ließ eigentlich nur mehr eine einzige Möglichkeit zur Beendigung des Kriegs zu  : Die Waffenstreckung des NS-Staats. Es deutete jedoch noch immer nichts darauf hin, dass die nationalsozialistische Führung den Krieg verloren geben könnte. Millionen Soldaten sollten ihr zumindest noch für einige Zeit die Herrschaftsausübung ermöglichen. Die NS-Führung kämpfte um ihr Überleben und ließ keinen Zweifel daran, dass sie weiterhin Unruhen im Inneren, einen Aufstand oder mangelnden Widerstandswillen gnadenlos unterdrücken würde. Und sie hatte die Möglichkeit dazu. Gegen Kriegsende verstärkte sich bei den Wehrmachtsangehörigen wohl die Desertionsneigung, und auch die Österreicher blieben da nicht zurück. Von einer Massenflucht konnte aber keine Rede sein.437 Die Begründung eines ehemaligen Schutzbündlers, weshalb er nicht zu den Amerikanern überlief, klang allerdings recht eigentümlich  : »Schließlich bin ich doch Deutscher, und ich kann doch nicht … Na schau, der Renner, der Renner war dafür … Zum Schluss muss ich noch auf die eigenen Leute schießen«.438 Die meisten folgten jedenfalls bis zur Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht ihren Kommandeuren, ihren Kameraden oder auch ihrem Eid. Warum das so war, wird auf sieben Gründe zurückgeführt  : Kameradschaft  ; die unterschiedlichsten Formen von Hoffnung  ; Angst vor der Rache der Feinde  ; Hass auf Feinde, die das Leben von Angehörigen ausgelöscht und den Krieg damit zu einer persönlichen Angelegenheit gemacht hatten  ; Sorge um die engere Heimat und ihr mögliches Nachkriegsschicksal  ; ein spezifisches soldatisches Ethos und wohl an letzter Stelle nationalsozialistische Indoktrination.439 Lange nach dem Krieg antworteten rund 40 % der ehemaligen Soldaten auf die Frage »Waren Sie gerne Soldat  ?« mit ja  ; 48,5 % mit nein. Die Meisten gaben an, um das eigene Überleben gekämpft zu haben  ; 12,8 % kämpften für das (deutsche) Vaterland, 10,8 % aus Pflicht und nur 1,6 % für Österreich.440 Dem Spektrum nachträglicher Befindlichkeit wäre wohl noch hinzuzufügen, dass Verweigerung und Fahnenflucht als Delikte galten, auf die die Todesstrafe stand. Desertion war daher zwischen Feigheit und Mut angesiedelt.441 Irgendwo in diesem Konglomerat aus Emp-

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findungen und Drohungen, wenngleich nicht vorrangig, fand auch jenes Wort »Pflicht« seinen Platz, das 1986/87 zu erregten Debatten Anlass geben sollte. Man sah sich in die Pflicht genommen, hatte auch – und das wog für viele schwer – einen Eid geschworen, meinte damit zwar nicht blinden Gehorsam, hatte aber kein Verständnis für jene, die dieser Pflicht nicht nachkamen oder auch für jene, die die Seiten wechselten und desertierten. Das hatte noch lange nichts mit Endzeitstimmung, Nibelungentreue oder der Gotenschlacht am Vesuv zu tun. Und es zeigte einen Gegensatz auf  : Den zwischen Front und Hinterland und ebenso zwischen den Angehörigen einer Schicksalsgemeinschaft und jenen, die nicht dazu gehörten. Es war auch viel Selbsttäuschung dabei und ein bewusstes Erblinden gegenüber jenen, die Opfer dieser Pflichterfüllung wurden. Nach dem Sturz der Regierung von Admiral Horthy in Ungarn und der Installierung eines neuen, dem Nationalsozialismus ähnlichen Regimes der »Pfeilkreuzler«, war ein frivoler Handel abgeschlossen worden  : Deutschland verpflichtete sich, Ungarn kriegswichtige Güter und vor allem Lastkraftwagen zu liefern, und erhielt im Gegenzug Hunderttausende ungarische Juden als Arbeitskräfte zugesagt. Ein Teil von ihnen sollte beim Bau der Reichsschutzstellung eingesetzt werden. Entlang der Reichsgrenze entstand ein Panzergraben und wurden Infanteriestellungen vorbereitet. Außer den Juden, doch ohne Zwang und ohne am Leben bedroht zu werden, gruben auch Tausende Hitlerjungen, Arbeiter ziviler Firmen und Angehörige des letzten militärischen Aufgebots, des Volkssturms am Südostwall. Bis zum Winter waren die meisten Stellungen gebaut  – unter welchen Opfern, wurde erst sehr viel später bekannt. Aufruf zum Mord Als die Gräben ausgehoben, Widerstandsnester geschaffen und Fallsperren betoniert worden waren, belagerten die Truppen der 2. Ukrainischen Front der Roten Armee Budapest. Zeitgleich setzten die Bomberverbände der 15. US-Air Force ihr Zerstörungswerk fort. Die Kerngebiete des Deutschen Reichs und mit ihnen die Alpen- und Donaureichsgaue, denen jetzt gerne die Bezeichnung »Festung« gegeben wurde, sollten »sturmreif« geschossen werden. Nach den Industriezielen, Öl- und Verkehrszielen wurde alles bombardiert, was dazu dienen konnte, den raschen Wiederaufbau zu verhindern und den Druck aufrechtzuerhalten. Es vermischten sich die Zielprioritäten. Jedes als einigermaßen lohnend erachtete Ziel wurde angegriffen. Dass die Amerikaner auch Kriegsgefangenenlager bombardierten und schließlich jedes Kriegsgefangenenlager auf österreichischem Boden mindestens einem Luftangriff ausgesetzt war und auch dort Tote und Verletzte des Luftkriegs zu verzeichnen waren, konnte sich niemand erklären. Im November 1944 wurden schließlich die Rot-Kreuz-Symbole von

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den Dächern entfernt. Doch die amerikanische Luftaufklärung hatte ohnedies schon die Standorte erkundet.442 Der Umstand, dass die Zerstörungen aus der Luft nicht nur hilflos machten und als »Gangstertum« gebrandmarkt wurden, ließ sich von der NS-Führung dazu nutzen, nochmals Hass zu wecken und die Bevölkerung in schon regelrecht krimineller Art zur Rache aufzurufen. Die Fliegerabwehr und der Einsatz der letzten Jagdfliegerverbände führten immer wieder dazu, dass amerikanische Bomber abgeschossen oder so schwer beschädigt wurden, dass sich die Besatzungen mit Fallschirmen zu retten suchten. Auf dem Boden angekommen, sollten sie den Status von Kriegsgefangenen haben. Doch eine geschockte und fanatisierte Bevölkerung, die dazu auch regelrecht aufgefordert wurde, suchte die Fliegerbesatzungen zu töten. Zuerst nach verheerenden Angriffen auf Großstädte im »Altreich«, dann in Ungarn und schließlich auch in Österreich. Der Gauleiter von Oberdonau, August Eigruber, formulierte die Intention knapp und unmissverständlich  : »Gegen die Lynchjustitz [sic] an abgesprungenen Feindfliegern seitens der Bevölkerung (besonders durch Angehörige der NSDAP) ist von der Gendarmerie nicht einzuschreiten.«443 Die Gauleiter der Steiermark, Siegfried Uiberreither, von Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer, Hugo Jury in Niederdonau und Friedrich Rainer in Kärnten taten es ihm gleich.444 Schließlich forderte Joseph Goebbels im Mai 1944 die Bevölkerung im ganzen Reich dazu auf, Rache zu nehmen. Das Kriegsvölkerrecht würde im Fall des Luftterrors nicht gelten, »Volksjustiz« sei gefordert, ließ er über alle Zeitungen verbreiten. Es war zwar kein direkter Aufruf zum Mord, doch die Eskalation war vorgegeben. Nach einem Angriff auf Wels war es am 24. Februar 1944 zu ersten Misshandlungen amerikanischer Bomberbesatzungen gekommen, die sich mit dem Fallschirm gerettet hatten.445 Am Tag, nachdem der Artikel Goebbels erschienen war, wurde in Wiener Neustadt der erste regelrechte Mord an einem Mitglied einer amerikanischen Bomberbesatzung verübt.446 Menschen begannen mit Eisenstangen, Holzlatten und Steinen auf teils verwundete Amerikaner einzuschlagen. In ländlichen Gebieten kamen Sensen und Heugabeln dazu. Die meisten Bomber stürzten ja außerhalb der Städte ab. Immer häufiger wurden die Besatzungen abgeschossener Bomber dann zurück in die Städte geführt, nicht aber, um ihnen die noch rauchenden Trümmer zu zeigen, sondern um sie der Wut der Bevölkerung auszusetzen. Am 25.  Juli 1944 wurden über Linz 16 amerikanische Bomber abgeschossen. 80 Besatzungsmitglieder retteten sich mit Fallschirmen. 13 Amerikaner dürften ermordet worden sein. Und so ging es weiter. Versuche, meist von Wehrmachtsangehörigen, die Flieger in Sicherheit zu bringen, gab es zwar immer wieder, doch sie fruchteten nichts. Männer, Frauen, Volkssturm, Polizisten, Wehrmachtsangehörige und Angehörige der Waffen-SS beteiligten sich gleichermaßen an der Jagd auf die einzigen Feinde, derer man im »Heimatkriegsgebiet« habhaft werden konnte. Und sie demonstrierten auf erschreckende Weise, dass es gar nicht schwer war, Menschen zu Mördern werden zu lassen.447

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Im Februar, März und April 1945 kam es zu einer letzten Steigerung der Gewalt. Am 12. März, dem Jahrestag des deutschen Einmarsches nach Österreich, flogen 747 viermotorige Bomber der 15. US-Air Force den schwersten Luftangriff auf Wien und trafen nicht nur ihr Primärziel, die Ölraffinerie in Floridsdorf, sondern vor allem auch Kulturbauten im innerstädtischen Bereich. Unter anderem brannte die Oper aus. Am 2. April erlebte Graz seinen schwersten Luftangriff. Und wieder erschlug und erschoss man amerikanische Flieger. Lange nach dem Krieg ließ sich auch über dieses Kapitel des Kriegs eine Art Bilanz ziehen  : Nach 556 Flugzeugabstürzen auf dem Gebiet des heutigen Österreich kam es zu 131 Gewalttaten gegenüber amerikanischen Bomberbesatzungen, bei denen zumindest 70 Menschen ihr Leben verloren.448 Die Aufrufe zum Mord hatten zweifellos Erfolg gehabt.449 Im März 1945 stellte man sich in Wien auf den Endkampf ein. Wer fliehen konnte, floh. Frauen und Kinder wurden aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Die meisten von ihnen, die nun Schutz in den westlichen und südlichen Regionen des Landes suchten, hatten zum wenigsten mitbekommen, dass sie nur Teil einer großen Fluchtbewegung waren. Seit dem Herbst 1944 waren immer häufiger Flüchtlingskolonnen unterwegs, die ein weiteres der unendlich vielen Kriegsschicksale verkörperten. Die deutschen Volksgruppen in Rumänien und Ungarn, letztlich Alt-Österreicher, flohen aus den von ihnen seit Jahrhunderten bewohnten Gebieten Südosteuropas. Sie fürchteten die Sowjets ebenso wie die Rache der Nicht-Deutschen, und dabei spielte es keine Rolle, ob sie sich persönlich etwas zu Schulden hatten kommen lassen oder nicht  : Sie sollten für die NS-Rassen-, Siedlungs- und Umsiedlungspolitik sowie den Krieg büßen. An die fünf Millionen Deutschsprechende setzten sich in Ost- und Südosteuropa in Bewegung. Am 5.  Oktober 1944 erhielten die Syrmiendeutschen den Evakuierungsbefehl und am 8. Oktober jene der Batschka. Etwa 70 % der sogenannten Donauschwaben zogen nach dem Norden und Westen. Anfang 1945 setzte die Flucht der Schlesier ein. Sofern die Flüchtlinge die Möglichkeit hatten, sich für ein Gebiet zu entscheiden, in dem sie hofften Schutz zu finden, wählten sie die Alpen- und Donaureichsgaue. Oft waren diese aber nur Durchzugsgebiet, und die Trecks rollten weiter. Mehr als eine halbe Million Menschen kam. Über 300.000 blieben.450 Unter jene, die sich da zu retten suchten und nach dem Westen strebten, mischten sich Kolonnen ungarischer Juden, die den Bau der Reichsschutzstellung überlebt hatten. Nun wurden sie nicht mehr gebraucht und nach dem Westen getrieben. In dieselbe Richtung führten auch die Evakuierungsmärsche, mit denen zigtausende KZHäftlinge der in Osteuropa gelegenen Lager, die Insassen von Kriegsgefangenenlagern, Arbeitslagern und Gefängnissen weggebracht werden sollten. Die Lager- und Wachmannschaften wollten möglichst wenige Zeugnisse ihrer unsäglichen Tätigkeit zurücklassen. Hungermärsche begannen. Für viele, vor allem Juden und KZ-Häftlinge,

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waren es Todesmärsche. Da kamen dann im Januar und Februar 1945 in Mauthausen an die 9.000 Häftlinge aus Auschwitz und weitere Tausende aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dora-Mittelbau und Groß-Rosen an.451 Weder unterwegs noch in den temporären Aufnahmegebieten war man bereit, sie vorbehaltlos als leidende Mitmenschen und Teile der Gesellschaft zu akzeptieren. Aber auch in Österreich begann man vorsorglich damit, Spuren zu beseitigen und Erinnerung zu tilgen, so auch in Hartheim. Im Dezember 1944 wurde die Tötung von Häftlingen und Kranken beendet. Anschließend wurde das Schloss seinem ursprünglichen Besitzer zurückgegeben. Mitleid wurde noch immer kleingeschrieben. In der Umgebung von Mauthausen hatten im Februar 1945 viele nicht gezögert, jene wieder einfangen zu helfen, die beim Versuch einer Gruppe von mehr als 400 todgeweihten sowjetischen Kriegsgefangenen auszubrechen nicht weit gekommen waren.452 Ebenso aber gab es andere, die Menschen oft jahrelang versteckten und für die das Sichtbarwerden des bis dahin irgendwo in der Ferne geübten Terrors ein Schock gewesen war. Er trug dazu bei, die Absage an das Regime und das Entsetzen zu verstärken. Oft waren es aber erst die nachfolgenden Generationen, die den Faden wieder aufnahmen und ihrem Grauen in Denkmälern Ausdruck verliehen. Im Februar und März dürften an die 30.000 ungarische Juden entkräftet und apathisch den Weg nach Westen genommen haben. Die Hauptroute führte über Graz, Eisenerz und Hieflau an die Donau. Ein Drittel der Häftlinge starb unterwegs oder wurde umgebracht.453 Der Rest erreichte Mauthausen. Für fanatisierte Nationalsozialisten und Herrschaftsträger, die sich wohl ausrechnen konnten, dass sie in Kürze zur Rechenschaft gezogen werden würden, fielen alle Hemmungen. Sie liefen Amok und bedienten sich aller verfügbaren Mittel, um Schrecken zu verbreiten, Rache zu üben und einer Nachkriegsgeneration die Lebensgrundlage zu nehmen. Hitler hatte mit dem sogenannten Nero-Befehl vom 19. März die letzten vielleicht noch vorhandenen Hemmungen schwinden lassen  : »Alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind zur Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.« Wer sich dem widersetzen wollte oder auch nur einen Vorwand lieferte, den Befehl zu umgehen, wurde erschossen oder gehängt. Mord war an der Tagesordnung. In der Strafanstalt Stein a. d. Donau ließ der Anstaltsleiter, Franz Kodré, ca. 1.800 Menschen frei, die dort wegen meist politischer Bagatelldelikte einsaßen. Der Kreisleiter von Krems mobilisierte SA, SS, Volkssturm und Wehrmachtsoldaten, um die Menschen wieder einzufangen. Ein Massaker war die Folge. Kodré und zwei andere wurden ohne auch nur nachzufragen erschossen. – Es war aber nur einer von vielen Fällen. Das Regime, das von allem Anfang an Gewalt gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hatte, zog eine letzte blutige Spur.

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Schutt und Asche

»In Budapest wird Wien verteidigt«, hatte es im Januar und Februar 1945 geheißen. Nach 51 Tagen war die Schlacht um Budapest vorbei und die Stadt von den Truppen der Roten Armee eingenommen worden. Die Plattenseeoffensive der Deutschen Wehrmacht war ein Fiasko. Dann begann die »Wiener Angriffsoperation der Roten Armee«. Die Verbände der Wehrmacht setzten ihren aussichtslos gewordenen Kampf in Westungarn fort und näherten sich immer mehr der Reichsgrenze und damit Österreich. Die Reste von vier deutschen Armeen der Heeresgruppe Süd mit immer noch 700.000 Soldaten zogen sich auf die Reichsschutzstellung zurück. Sie bot keinen Rückhalt. Am 29. März 1945 überschritten die Spitzen der Roten Armee die – wie sie es nannten – »große Linie«. Der sechswöchige Krieg in Österreich begann. Und mit ihm die Befreiung vom Nationalsozialismus und seinen Machthabern. Zeitgleich begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte Österreichs, nicht minder ein Experiment wie jene Periode, die 1918 begonnen hatte. Und doch ganz anders.

14. Der Walzer der Freiheit

14 Der Walzer der Freiheit

14 Straßenfest vor dem Parlamentsgebäude in Wien am 29. April 1945. Zwei Tage nach der Bildung der Provisorischen Staatsregierung und der Proklamation der Österreichischen Unabhängigkeit zogen die Mitglieder der Staatsregierung in das schwer beschädigte Parlamentsgebäude ein. Auf der Ringstraße spielte eine sowjetische Militärkapelle. Das Ganze hatte Volksfestcharakter. Russen und Österreicher tanzten. (Foto: Rauchensteiner, 1945. Entscheidung für Österreich)

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ie Zeit der alliierten Besetzung Österreichs gibt der Geschichte des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg ein eigentümliches Gewicht. Es ist so, als wäre diese Zweite Republik kopflastig. Die ersten zehn Jahre wiegen schwerer als die nachfolgenden Jahrzehnte. Streng genommen beginnt diese Besatzungszeit in jenen späten Vormittagsstunden des 29. März 1945, als die ersten Rotarmisten bei Klostermarienberg im Burgenland österreichischen Boden betraten.454 Das Ende des Zweiten Weltkriegs war mit Händen zu greifen. Zunächst war es nur der Raum Rechnitz im Burgenland, der von den Kämpfen erfasst wurde. Doch schon Stunden später weiteten sich diese aus. Fünf Armeen der 3. Ukrainischen Front trieben das vor sich her, was von der deutschen Heeresgruppe Süd, die dann Heeresgruppe »Ostmark« genannt wurde, übrig geblieben war. Wohl um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu steigern, wurde der Großverband einem gebürtigen Österreicher, dem Generaloberst Lothar Rendulic, unterstellt. Die Schlacht um Wien

Die sowjetischen Truppen hatten ein klares Ziel vor Augen  : Wien. Sie hätten zwar vielleicht lieber an der Schlacht um Berlin teilgenommen, doch der Ruhm, die »zweite Hauptstadt des Reichs«, Wien, eingenommen zu haben, musste reichen. Am 1. April begann der Kampf um Wiener Neustadt. Zeitgleich erzielten die Russen einen tiefen Einbruch im Raabtal. Sie schwenkten nach Norden zur Donau ein und begannen damit, Wien einzuschließen, jenes Wien, das nach Meinung des britischen Kriegsministers James Grigg für das Schicksal Österreichs sehr viel wichtiger war als das Schicksal Berlins für Deutschland. Die Stavka, das oberste sowjetische Kommando, ließ den nach Österreich vordringenden Truppen am 2. April einen Aufruf zugehen, der mittels Flugblättern und rasch gefertigten Plakaten die lauteren Absichten der Sowjets kundmachen sollten  : Die Rote Armee kämpft nicht gegen die Bevölkerung Österreichs, sondern gegen die deutschen Okkupanten. Die Österreicher sollten ihrer Arbeit nachgehen und die Rote Armee tunlichst unterstützen. Ziel der Roten Armee sei es, die deutsch-faschistischen Truppen zu vernichten und Österreich »von deutscher Abhängigkeit« zu befreien. Die Rote Armee stehe »fest auf dem Boden der Moskauer Deklaration« und wolle lediglich die Wiederherstellung Österreichs. Gewissermaßen für den internen Gebrauch wurde den Truppenkommandanten aufgetragen, ihren Sol-

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daten zu befehlen, die Bevölkerung zu schonen, »sich korrekt zu benehmen und die Österreicher nicht mit den deutschen Okkupanten zu verwechseln.«455 Das klang ja nun sehr positiv und war dazu gedacht, den Menschen in den von den Sowjets nach und nach freigekämpften und besetzten Gebieten die Angst vor den fremden Soldaten zu nehmen. Die Kenntnis des Wortlauts der Moskauer Deklaration wurde dabei vorausgesetzt. Trotz aller Bemühungen war der Bevölkerung, deren Lebensräume Schlachtfelder zu werden drohten, die Furcht vor den Russen aber nicht zu nehmen. Wer konnte, floh. Und das waren nicht nur Bürgermeister, Ortsgruppenleiter und Funktionäre der NSDAP, Landwacht und Lehrer, sondern auch junge Frauen und Mädchen. Wer in den Dörfern im frontnahen Bereich zurückblieb, vergrub seine Wertgegenstände und richtete sich darauf ein, in Kellern zu hausen. Die Geschäfte wurden ausverkauft. Man brauchte auch keine Lebensmittelkarten mehr. »Keine Post, keine Zeitung, kein Radio.« Wer kein Petroleum hatte, sichtete seinen Vorrat an Kerzen. Waren auch die nicht in ausreichender Zahl vorhanden, »müssen die Sterbekerzen herhalten und kleine Totenlichtlein«, notierte eine Lehrerin.456 Bald darauf schlugen die ersten Granaten ein. Ortschaften verwandelten sich in Trümmerhaufen. Während sich noch die Truppen der deutschen 6. Panzer-Armee anschickten, die Schlacht um Wien aufzunehmen, schlug nochmals die Stunde des Widerstands. Jetzt ging es nicht mehr um die Beseitigung Hitlers und um ein besseres Deutschland  ; jetzt ging es darum, einen proösterreichischen Widerstand zu leisten. Man zählte sich nicht mehr zu »den« Deutschen. Jenem Mann, der schon am 20. Juli 1944 in Wien die Hauptrolle gespielt hatte, dem mittlerweile zum Major beförderten Carl Szokoll, gelang es, mit dem Kommando der sowjetischen 9. Garde-Armee in Hochwolkersdorf Verbindung aufnehmen. Ein Vertrauter Szokolls, Ferdinand Käs, informierte die Russen über die Absicht, einen Aufstand in Wien zu beginnen. Ob sie ihm geglaubt haben oder nicht, lässt sich schwerlich feststellen. Doch der Emissär Szokolls wurde nach Wien zurückgeschickt und teilte mit, was sich die Russen erwarteten. Der Aufstandsplan wurde von einem Beteiligten, Karl Biedermann, an den Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS verraten. Die Forderungen der Russen überschritten aber ohnedies die Möglichkeiten der Widerstandsgruppe. Drei Offiziere, darunter der Verräter, wurden gehenkt, Szokoll selbst erreichte die russischen Linien. Die Schlacht ließ sich nicht vermeiden. Eines aber war gelungen  : Die 3. Ukrainische Front meldete dem Generalstab in Moskau, dass es einen Aufstandsversuch in Wien gegeben habe, an dem sich nicht nur 1.200 »österreichische Soldaten«, sondern auch 20.000 Wiener beteiligen wollten. »Der geplante Aufstand wurde nur durch den Verrat einiger weniger Personen verhindert.«457 Am 6. April begann die Schlacht um Wien. Die Russen kämpften sich vom Süden und Westen in die Stadt vor. Schließlich übersetzten sie bei Korneuburg die Donau und begann zusammen mit den im Marchfeld vordringenden sowjetischen Verbänden,

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die Stadt auch vom Osten einzuschließen. Die Divisionen des II. SS-Panzerkorps gaben einen Abschnitt nach dem anderen auf, überquerten den Donaukanal und konnten sich schließlich über die Floridsdorfer Brücke aus der Stadt zurückziehen und nach Norden absetzen. Zurückblieb eine nun nicht nur von den Bomben, sondern auch von den Kämpfen in der Stadt schwer gezeichnete Metropole. Plünderungen setzten ein. Der Stephansdom brannte. Acht Tage, bis zum 13. April, tobte die Schlacht um Wien. Dann wehte von den Ruinen des Regierungsviertels die rote Fahne der Sowjets. Sie beherrschte das Stadtbild aber nicht allein. Da und dort sah man auch schon rot-weiß-rote Fahnen. Die Russen ließen es geschehen, ja waren damit voll einverstanden. Die Wiener Angriffs-Operation hatte sie – nach eigenen Angaben – 18.000 Menschen gekostet. Seit sie ihre Offensive Richtung Österreich begonnen hatten, verzeichneten sie 35.000 Tote. Die Deutsche Wehrmacht soll bis zur Einnahme von Wien 19.000 Soldaten verloren haben. Im Mai verlieh die sowjetische Regierung den Teilnehmern der Schlacht eine Medaille »Für die Einnahme Wiens«, so wie dann auch für die Einnahme Berlins. Die Rotarmisten erhielten also keine Befreiungsmedaille wie im Fall Bukarests oder Budapests. Wien wurde konsequent-inkonsequent als Stadt des Großdeutschen Reichs gesehen und daher nicht befreit, sondern eingenommen.458 Es fiel nicht auf. Noch während die Wiener Angriffs-Operation ablief, wurde aber nicht nur nochmals versucht, Widerstand gegen »die« Deutschen zu leisten, sondern auch die entscheidende Weichenstellung zur politischen Wiedergeburt Österreichs vorzunehmen. Auf welcher Grundlage das sein würde, ließ sich freilich bestenfalls erahnen. Von der Moskauer Deklaration wusste man, doch was von den Alliierten im Verlauf der Jahre 1944 und 1945 beschlossen worden war, wusste niemand so genau. War die Moskauer Deklaration mehr als eine Absichtserklärung  ? Wie würde sie umgesetzt werden  ? Welchen Beitrag sollte und konnte Österreich selbst zu seiner Befreiung leisten, um jener Forderung gerecht zu werden, die am Schluss des Dokuments mit einem gewissen drohenden Unterton erhoben wurde  ? Es war nicht absehbar, ob sich die Grundannahme der Deklaration verwirklichen lassen würde, dass sich ein österreichischer Staat in den Dimensionen der Zwischenkriegszeit wiederherstellen ließ. Übereinstimmung herrschte bei den großen kriegführenden Nationen, die sich zur Nachkriegsplanung über Österreich zusammengefunden hatten, lediglich darin, dass das Land irgendwie geteilt und auf unbestimmte Zeit alliierter Kontrolle unterworfen werden sollte. Aber die Absicht, Österreich eine historische Chance zu geben, bestand zweifellos. Renner, wer sonst Sowjets, Briten und Amerikaner, zuletzt auch Franzosen, hatten die Zukunft Österreichs ohne dessen Zutun geplant. Seit dem Januar 1944 war im Rahmen der in Lon-

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don angesiedelten European Advisory Commission darüber gesprochen worden, wie Österreich nach seiner vollständigen Besetzung in Zonen geteilt werden sollte und wie die Kontrolle der Alliierten aussehen würde. Zunächst war von drei, dann doch von vier unterschiedlich großen Besatzungszonen die Rede gewesen. Wien stellte ein zusätzliches Problem dar. Generell aber waren der European Advisory Commission andere Fragen wichtiger als Österreich. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, hier wäre etwas bewusst auf die lange Bank geschoben worden. Eine Abstimmung der Vorgehensweise fehlte jedenfalls. Also war davon auszugehen, dass diejenigen, die als erste Österreich erreichten, ihre Pläne umsetzen würden. Und das waren die Sowjets. Die Russen hatten recht genaue Vorstellungen von dem, was ihre Besatzungszone bilden sollte, nämlich der an Ungarn und eine neue Tschechoslowakei grenzende östliche Landesteil sowie große Gebiete Wiens. Weit weniger konkret waren die sowjetischen Vorstellungen, wie man Österreich verwaltungsmäßig wieder in Betrieb nehmen sollte. Doch da half ihnen ihre schon bis dahin in Ostmitteleuropa geübte Praxis  : Sie wollten die Verantwortung über die Administration der freigekämpften Gebiete möglichst rasch auf örtliche Repräsentanten überwälzen. Dafür, dass die Dinge für sie nicht aus dem Ruder liefen, sollten einige aus dem Moskauer Exil und aus Jugoslawien heimkehrende Kommunisten sorgen, die man als wichtigsten Teil einer »Volksfront« in eine provisorische Regierung einbauen wollte. Falls sich in Österreich niemand finden sollte, der an die Spitze einer solchen Regierung treten konnte, wollten die Russen den kriegsgefangenen General Fritz Franek, einen hoch ausgezeichneten Offizier österreichischer Herkunft, der sich den Sowjets zur Verfügung gestellt hatte, als Chef einer Militärverwaltung einsetzen. Doch er wurde nicht gebraucht. Im Zuge ihres Vormarsches nach Wien begegneten sich unter nicht eindeutig zu klärenden Umständen in Gloggnitz nahe dem Semmering sowjetische Truppen und der Staatskanzler der Ersten Republik, Karl Renner, also jener Mann, der bereits 1918 einen eminenten Anteil an der Schaffung der Republik gehabt hatte.459 Er machte rasch deutlich, dass er durchaus eine seiner historischen Rolle 1918 vergleichbare Funktion übernehmen wollte. Zumindest wollte er sich auf das Experiment eines von ihm rasch »Zweite Republik« genannten Staatswesens einlassen. Vieles an diesem Neubeginn war merkwürdig und keinesfalls geradlinig. Österreich, das aus einem supranationalen Reich hervorgegangen war und sich Jahre hindurch mit Anschlussgedanken getragen hatte, wollte sich jetzt als Nationalstaat definieren. So wie das auch die Alliierten mit der Moskauer Deklaration getan hatten, sollte das Geschehen des Jahres 1938 als historischer Irrtum und aggressiver Akt abgetan werden. Renner selbst war Exponent und Beispiel für Vieles, von dem sich mittlerweile sagen ließ, dass es ein Fehler gewesen war und auf fundamentalen Irrtümern beruhte. Und seine Wandlungsfähigkeit mutete beispielhaft an. 1918 war er durchaus bereit gewesen, noch eine letzte kaiserliche Regierung zu bilden. Er war gegen eine Revolution und

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ein bolschewistisches Experiment gewesen, galt als »Rechter« unter den »Linken«, was ihm in der Sowjetunion die Bezeichnungen »Verräter am Sozialismus« und »Lakai der Bourgeoisie« eingetragen hatte. Renner war der Führer der österreichischen Delegation bei den Friedensvertragsverhandlungen in Saint-Germain gewesen, überließ in den zwanziger Jahren als Parlamentarier aber immer wieder Otto Bauer und Karl Seitz den Vortritt. Schließlich gab er im März 1933 durch seinen Rückzug aus dem Präsidium des Nationalrats den Anstoß zur Handlungsunfähigkeit desselben. 1938 hatte er überdeutlich sein Ja zum Anschluss bekannt gegeben. Und jetzt  ? Renner hatte zunächst keine Ahnung von den politischen Geschehnissen im Untergrund und von diversen Widerstandsaktionen. Er setzte voraus, dass es in Österreich einen Linksruck geben würde und schrieb diesbezüglich an Stalin. Er schilderte ihm die verheerende Situation Österreichs und schloss mit dem einfachen Satz  : »Dass die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist fraglos und bedarf keiner Betonung.«460 Er schrieb noch zwei weitere Male an Stalin und gratulierte ihm schließlich in den schmeichlerischsten Tönen zum Sieg über die Deutsche Wehrmacht. Renner war der Mann der Stunde. Und er bekam tatsächlich eine Chance. Noch ehe er daran gehen konnte, ein weiteres Mal in seinem Leben das Experiment einer staatlichen Neugründung zu versuchen, brachte er seine Überlegungen über die notwendigsten Schritte zu Papier. Da ging es um die Wiederherstellung der Demokratie, Grundfreiheiten, Wahlen, Sicherheit, Unterricht, Finanzen, Volkswirtschaft, aber auch um diejenigen, die am Neuaufbau keinen Anteil haben sollten  : »Alle Faschisten (Heimwehrer [sic  !]), klerikale, nationale Faschisten, die nicht bloß Nachläufer waren, sind für eine zehnjährige Bewährungsfrist von allen demokratischen Rechten ausgeschlossen, somit weder wahlberechtigt, noch wählbar noch ämterfähig … Die Hochschulen werden in den ersten Tagen gesperrt … die bisherigen studentischen Verbindungen sind aufzulösen … Körperpflege (Sport etc.) kann Gesichtspunkten der ›vormilitärischen Erziehung‹ Rechnung tragen.«461

Auch mit anderen Überlegungen signalisierte Renner einen sehr eigenwilligen und persönlichen Standpunkt, etwa mit der Forderung, der sozialdemokratischen Arbeiterschaft ihre verlorengegangenen Besitztümer möglichst rasch zurückzugeben, die jüdischen Vermögen aber einem Restitutionsfonds zu übertragen, um ein massenhaftes Zurückfluten der Vertriebenen, die ihre persönlichen Besitztümer zurückhaben wollten, zu verhindern.462 In seinen Aufzeichnungen verarbeitete Renner die Vergangenheit. Seine Gedanken waren aber nicht zukunftstauglich. Schon Tage später revidierte er das Gedachte. Die Realitäten waren andere. Renner nahm’s zur Kenntnis, und da er ein Polit-Profi war, wollte er auch nicht den Anschein erwecken, im Auftrag der Sowjets, sondern aus eigenem zu handeln. Die Russen waren einverstanden.

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Renner machte sich also daran, eine provisorische Regierung zu bilden, die aus ehemaligen Sozialdemokraten und Revolutionären Sozialisten, die sich in der Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) zusammengefunden hatten, sowie aus ehemaligen Christlichsozialen und anderen gemäßigten Rechten, die sich als Österreichische Volkspartei (ÖVP) neu formierten, sowie aus Kommunisten bestehen sollte. Er sah sich auch durchaus legitimiert, sie als Staatsregierung einer Zweiten Republik zu bezeichnen. Damit entsprach Renner den sowjetischen Vorstellungen, denen der Gedanke zur Bildung einer Volksfront-Regierung zugrunde lag. Es waren denn auch alle politischen Kräfte außer den Nationalsozialisten vertreten. Die Führung hatte eine bekannte Persönlichkeit, jedoch kein Kommunist. Zwei Schlüsselressorts, das Staatssekretariat für Inneres und jenes für Unterricht und Volkserziehung, sollten hingegen von den Kommunisten Franz Honner und Ernst Fischer besetzt werden. Der Anfang war dennoch vielversprechend, denn jedes der zu bildenden Staatssekretariate wurde dreifach besetzt, sodass jeder jeden kontrollieren konnte. Neun Staatssekretäre und sechzehn Unterstaatssekretäre, darunter die erste Frau, die einer österreichischen Regierung angehörte, Helene Postranecky (KPÖ), standen am Beginn. Einige Positionen blieben unbesetzt, um sie dann mit Vertretern aus den erst später dazu kommenden Teilen Österreichs auffüllen zu können. Ein politischer Beirat sollte darauf achten, dass der provisorische Staatskanzler nicht zu selbstherrlich würde – was bei Renner eine echte Gefahr war. Macht im klassischen Sinn hatte er jedoch keine. Tatsächlich reichte der Zuständigkeitsbereich der Provisorischen Staatsregierung zunächst kaum über Wien und einen Teil Ostösterreichs hinaus. Renner hatte aber auch in diesem räumlich begrenzten Teil Österreichs nur beschränkte Möglichkeiten eingeräumt bekommen. Parallel zu den Verhandlungen mit ihm hatten die Sowjets einen Bürgermeister für Wien gesucht und in dem früheren kaiserlichen Generalstabsoffizier und späteren General des Bundesheers Theodor Körner gefunden. Renner nahm’s zur Kenntnis. Auch außerhalb Wiens hatte er keinen Einfluss auf die Bestellung von Bürgermeistern nehmen können. Das alles erledigten die Sowjets und berücksichtigen dabei vorrangig Kommunisten, allerdings nur solche, die aus der Sowjetunion oder aus Jugoslawien kamen. Die »Westler« blieben unberücksichtigt.463 Hand in Hand mit der Bildung einer provisorischen Regierung wurden auch jene Kräfte des österreichischen Widerstands ausgeschaltet, die sich Renner und den Sowjets eventuell hätten entgegenstellen können. Das Kommando der 3. Ukrainischen Front erklärte die Widerstandsorganisation O5 kurzerhand für aufgelöst.464 Es war aber nicht die Provisorische Staatsregierung, die dann am 27. April 1945 das Gründungsdokument der Zweiten Republik, die Unabhängigkeitserklärung, verabschiedete, sondern es waren die drei von den Sowjets zugelassenen politischen Parteien. Die Parteien waren folglich früher da als der Staat. Und sie waren es, die in einer wohl in erster Linie von Renner formulierten Erklärung die Loslösung von Deutschland

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verkündeten. In der Präambel wurde der Weg beschrieben, den Österreich seit 1938 genommen hatte. Es war eine sehr eigenwillige und den historischen Tatsachen keinesfalls entsprechende Darstellung der Geschehnisse, die darin gipfelte, dass es hieß, Hitler und die Nationalsozialisten hätten »das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg« geführt, »den kein Österreicher jemals gewollt hat  … zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat …«. Renner machte sich die Opferthese der Moskauer Deklaration sang- und klanglos zu eigen, hätte aber gerne jenen Absatz weggelassen, in dem von der Verantwortung Österreichs für das Geschehene die Rede war. Die kommunistischen Mitglieder der Provisorischen Regierung beharrten jedoch darauf, dass auch diese Passage in der Österreichischen Unabhängigkeitserklärung aufschien. Damit fand die Ambivalenz eines von Briten bewusst allgemein gehaltenen Dokuments Eingang in die österreichische Nachkriegsgeschichte. Wohl niemandem fiel es dabei ein, die einzelnen Absätze der Erklärung zu hinterfragen, denn eines war klar  : Österreich musste sich von Deutschland lossagen und dies begründet tun, um seinen Bruch mit der Vergangenheit deutlich werden zu lassen. Also hieß es nach der langen Präambel, die als Mantelnote der Erklärung gelten konnte  : »Artikel I  : Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten. Artikel II  : Der im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungene Anschluss ist null und nichtig. Artikel III  : Zur Durchführung dieser Erklärung wird unter Teilnahme aller antifaschistischen Parteirichtungen eine Provisorische Staatsregierung eingesetzt und vorbehaltlich der Rechte der besetzenden Mächte mit der vollen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt betraut. Artikel IV  : Vom Tage der Kundmachung dieser Unabhängigkeitserklärung sind alle von Österreichern dem Deutschen Reiche und seiner Führung geleisteten militärischen, dienstlichen oder persönlichen Gelöbnisse nichtig und unverbindlich. Artikel V  : Von diesem Tage an stehen alle Österreicher wieder im staatsbürgerlichen Pflichtund Treueverhältnis zur Republik Österreich. In pflichtgemäßer Erwägung des Nachsatzes der erwähnten Moskauer Konferenz, der lautet  : ›Jedoch wird Österreich darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege auf seiten Hitlerdeutschlands Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann, und dass bei

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der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird‹, wird die einzusetzende Staatsregierung ohne Verzug die Maßregeln ergreifen, um jeden ihr möglichen Beitrag zu seiner Befreiung zu leisten, sieht sich jedoch genötigt, festzustellen, dass dieser Beitrag angesichts der Entkräftung unseres Volkes und Entgüterung unseres Landes zu ihrem Bedauern nur bescheiden sein kann. Wien, den 27. April 1945.«

Es war eine klare Absage an das Großdeutsche Reich und seine Führung. Ein neues Österreich wollte seine Menschen wieder für das als unabhängig erklärte Land, über dessen Grenzen man noch nicht Bescheid wusste, in die Pflicht nehmen. Es war genauso wie das Staatsgrundgesetz von 1918 mehr eine Absichtserklärung als die Feststellung von Tatsachen. Dass alle Österreicher ihrer Eide entbunden wurden, barg sogar eine regelrechte Gefahr, denn wenn sich jemand als Angehöriger der Wehrmacht mit Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung weigerte, den Krieg fortzuführen, riskierte er hingerichtet zu werden. Ganz zum Schluss folgte eine geradezu rührend-hilflose Entschuldigung, weshalb Österreich nur einen kleinen Beitrag zu seiner Befreiung leisten könnte. Doch die beiden ersten Artikel waren wichtig und deutlich  : Österreich sagte sich von Deutschland los und setzte damit eine unmissverständliche Handlung. In Umkehrung dessen, was zum Anschluss des Jahres 1938 gesagt und gefragt wurde, wäre vielleicht auch zu fragen, ob es eine dreifache Abkehr von der Bindung Österreichs an das Deutsche Reich gegeben hat.465 Die kriegsmäßige Besetzung des Landes konnte natürlich nicht mit dem »Blumenfeldzug« des Jahres 1938 verglichen werden, doch die Freude über das Ende des Kriegs und das Ende der zuletzt wohl mehrheitlich als Zwangsherrschaft empfundenen Tyrannei war tief empfunden. Auch zwischen Ende März und Mitte Mai 1945 standen – wie einstmals 1938 – Menschen an den Straßenrändern, zeigten ihre Freude und jubelten den alliierten Truppen als ihren Befreiern zu. Schließlich gab es auch so etwas wie die Negation des Anschlusses in Form der Bildung der Provisorischen Staatsregierung. Dass dem etwas anhaftete, das bestenfalls als Scheinlegalität bezeichnet werden konnte, war wohl unvermeidlich, denn Renner konnte sich nicht auf Wahlen oder einen auch nur ansatzweise demokratischen Vorgang berufen. Er handelte. Pro-österreichische Kräfte bildeten eine neue Elite und ließen keinen Zweifel daran, dass auch sie sich der Notwendigkeit zu handeln bewusst waren. Ob die Schuschnigg-Formel von 1937 – ein Drittel sei für und ein Drittel sei gegen die Nationalsozialisten und der Rest würde sich danach richten, »wie der Hase läuft«  – in Abwandlung auch für 1945 Geltung hatte, kann bestenfalls gemutmaßt werden. Ganz abwegig ist es nicht. Mit Bezug auf die für 1938 zutreffende Feststellung, es wäre eine Revolution gewesen, war das, was 1945 geschah, eine Konterrevolution.

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Auf jeden Fall konnte man hoffen, ein Staatswesen zu rekonstruieren, das als Kontrastprogramm zur von Konflikten und Gewalt beherrschten Ersten Republik gedacht war. Wie konsequent dabei vorgegangen wurde, mag zunächst dahingestellt bleiben. Und ob es gelingen würde, war die Frage. Es war Vieles, das da in Abständen von Tagen und Stunden entstand, und an das man sich erst gewöhnen musste. Denn »rückbrechen« konnte nicht jeder und nicht so ohne weiteres. Manches war wohl – wenngleich vergleichsweise kurz – diskutiert worden. Dabei hielt man sich meist an die Vorgaben von Karl Renner, so wie das auch 1918 der Fall gewesen war. Wie damals war alles provisorisch, gab es keine Ministerien, sondern Staatssekretariate, Ämter und Kanzleien. Interessant war auch, dass der Begriff »Zweite Republik« offenbar nicht hinterfragt wurde. Erst später, als Ordnung in die Abläufe und auch in die Terminologie gebracht wurde, fiel auf, dass man sich auch die Renner’sche Zählung der österreichischen Staatsformen zu Eigen gemacht hatte. War das richtig  ? Wenn es sich – so wie bereits 1945 empfohlen – beim Verschwinden Österreichs 1938 um eine Okkupation und nicht um eine Annexion gehandelt hat, dann galt es Kontinuität aufzuzeigen. 1946 erschien der erste »Österreichische Amtskalender«. Konsequent und der Okkupationstheorie folgend, wurde die Provisorische Staatsregierung als Regierung »Renner IV« bezeichnet. Die durchgängige Zählung unterstrich den Fortbestand des Staates. Doch wenn man das akzeptierte und auch noch die Überleitungsgesetze in Betracht zog, konnte man eigentlich nur zum Schluss kommen, dass die Erste Republik noch existierte. Vielleicht tut sie das heute noch, nur weiß man’s nicht.466 Das Gefühl für den Neubeginn und die staatsrechtliche Zählweise harmonieren ganz offensichtlich nicht. Bis heute hat sich denn auch an der Nennung der Regierung »Renner IV« ebenso wenig etwas geändert wie daran, dass als letzte österreichische Regierung vor dem Anschluss 1938 das Kabinett »Schuschnigg IV« angeführt wird. Die Zwei-Tage-Regierung Seyß-Inquart wird verschwiegen. Spät aber doch informierten die Sowjets ihre westlichen Verbündeten, dass Karl Renner beabsichtigte, eine österreichische Regierung zu bilden. Die Westmächte reagierten mit strikter Ablehnung. Vor allem alarmierte sie die Besetzung des Staatssekretariats für Inneres durch einen Kommunisten. Also protestierten Briten und Amerikaner auf das Schärfste. Daraufhin wurde die von den Sowjets gewollte und von ihnen eingesetzte österreichische Staatsregierung auch von ihnen nicht anerkannt. Es war somit ein denkbar holpriger Start ins neue Österreich. Zu guter Letzt ging auch das Original der Unabhängigkeitserklärung irgendwann einmal verloren. Renner und die Mitglieder seiner Regierung ließen sich durch die gewaltigen Probleme, denen sie begegneten, nicht irritieren. Nach ihrer Konstituierung zogen die Regierungsmitglieder mit dem Wiener Bürgermeister begleitet von Marschmusik und schließlich Walzerklängen vom Wiener Rathaus zu den Ruinen des Parlaments. Dort, auf der Rampe des ehemaligen Reichsratsgebäudes, kam es zu einer fast grotesken

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Begegnung. Unter anderen Geladenen erwartete Kardinal Theodor Innitzer den neuen provisorischen Staatskanzler Renner. Die zwei prominentesten Unterstützer des Anschlusses im Frühjahr 1938 trafen aufeinander, beide wohl schon längst durch NSHerrschaft und Krieg geläutert. Während das alles ablief, war der Krieg in Österreich weitergegangen. Und er war nicht nur von Kämpfen und Verwüstungen gekennzeichnet, sondern ebenso vom letzten Aufbäumen des NS-Regimes. Da wurde nochmals gnadenlos Abrechnung gehalten. Wo sich in den Reihen der Wehrmacht Auflösungserscheinungen zeigten und sich vor allem junge Soldaten zu verstecken suchten, traten Standgerichte zusammen, die in Eilverfahren Todesurteile aussprachen und gleich darauf vollstreckten. Was hier geschah, trug vielleicht mehr noch als jeglicher politischer Wandel oder auch das Auftauchen der ersten alliierten Soldaten dazu bei, einen radikalen Bruch zu vollziehen. »Solch Blut muss sich an denen rächen, die sich dieses Blut aufgeladen [haben] … Da waren Kreaturen ohne Hirn am Werk. Willige Werkzeuge, die alles glaubten und alles für Recht hielten, was man ihnen von oben einpaukte. Menschen ohne eigene Urteilsbildung. Menschen ohne eigenen gerechten Sinn. Gott bewahre uns vor solch einer Führung«, schrieb eine Weinviertler Hauptschullehrerin in ihr Tagebuch.467 Die Truppen der Westalliierten waren zum Zeitpunkt der Regierungsbildung und der Proklamation der österreichischen Unabhängigkeit noch außerhalb Österreichs gewesen. Die Spitzen der 1. französischen Armee ebenso wie jene der amerikanischen 7. und 3. Armee erreichten erst zwischen 28. April und 3. Mai die Grenzen Vorarlbergs, Tirols, Salzburgs und Oberösterreichs. Während sich im Osten Österreichs schon so etwas wie Normalität abzuzeichnen begann, drangen Amerikaner und Franzosen im Westen vor. Es waren keine großen Schlachten, die hier noch zu schlagen gewesen wären. Doch die Sorge, die Deutsche Wehrmacht könnte sich nochmals in den Alpen festsetzen und das realisieren, was sich letztlich als Propagandacoup erwies, nämlich die Bildung einer »Alpenfestung«, ließ sie zügig vorstoßen. Salzburg und Innsbruck wurden den Amerikanern kampflos übergeben. Bregenz wurde von Franzosen beschossen und bombardiert. Vielerorts zeigte sich, dass es Österreicher gab, die durchaus dem entsprechen wollten, was in der Moskauer Deklaration gefordert worden war, und die wie selbstverständlich an der Befreiung Österreichs mitwirkten. Auch Linz konnte den Amerikanern kampflos übergeben werden. Nahe Linz, in Mauthausen, gab es am 5. Mai einen besonderen Akt der Befreiung  : Die Überlebenden des Konzentrationslagers konnten sich endlich in Sicherheit fühlen. Sie berichteten nicht nur von den letzten Todesmärschen und Massakern sowie der letzten Hinrichtung in der Mauthausener Gaskammer am 28. April,468 sondern auch von dem unsäglichen Leid, das ihnen und ihren Schicksalsgenossen widerfahren war. Als letzte westalliierte Streitmacht drangen Verbände der britischen 8. Armee aus Italien kommend am 7. Mai nach Kärnten vor, besetzten tags darauf Klagenfurt und

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taten das in Konkurrenz zu jugoslawischen Verbänden, die darauf gewartet hatten, mit ihrem Vorstoß nach Kärnten Forderungen wieder aufleben zu lassen, die man aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kannte. Es ging um die Frage der staatlichen Zugehörigkeit der teilweise von Slowenen besiedelten Gebiete Südkärntens. Die beiden Nachkriegszeiten, jene des Ersten und die des Zweiten Weltkriegs, schienen sich die Hand zu reichen. Auch die Bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 7. und 8. Mai 1945 brachte die Kampfhandlungen in Österreich noch nicht vollständig zum Erliegen. Dabei war es vor allem der Südkärntner Raum, in dem es immer wieder zu Schießereien kam, da sich die Reste der von dem aus Österreich stammenden Generaloberst Alexander Löhr geführten deutschen Heeresgruppe »E« noch nach Norden durchlagen wollten. Nur wenigen gelang es. Wieder macht wohl am ehesten ein Blick auf die Zahlen Umfang und Größe des militärischen Geschehens deutlich. Im österreichischen Raum kapitulierten die Reste von vier deutschen Heeresgruppen mit zusammen einer Million Soldaten. Dazu kamen die Reste ungarischer, kroatischer und anderer mit dem Deutschen Reich verbündeter Staaten und Volksgruppen. Nach und nach streckten in Österreich rund 1,5 Millionen Soldaten die Waffen. Ähnlich hoch sind die Mannschaftsstärken der in Österreich einmarschierenden alliierten Armeen anzunehmen, wobei sich im Rahmen der Roten Armee auch rumänische und bulgarische Divisionen fanden, nicht zu vergessen die regulären und Partisanenverbände Jugoslawiens. Auf weniger als sieben Millionen Österreicher kamen mehr als drei Millionen Nicht-Öster­ reicher, die zwischen Ende März und Mitte Mai 1945 zumindest zeitweilig so etwas wie Lebensraum beanspruchten. Rund 4.000 österreichische Zivilisten verloren im Verlauf der Kämpfen von Ende März bis Mitte Mai 1945 ihr Leben. Sie waren jenen über 30.000 Toten zuzurechnen, die der Luftkrieg gefordert hatte.469 Noch war man weit davon entfernt, auch nur einigermaßen genaue Angaben über jene zu haben, die als Soldaten der Deutschen Wehrmacht ihr Leben verloren hatten bzw. als dauernd vermisst gelten mussten. Schließlich kam man auf 247.000 Österreicher.470 An die 600.000 Österreicher gerieten in Kriegsgefangenschaft. 370.000 Kriegerwitwen und -waisen waren auf Hilfe angewiesen. Die Bilanz des großen Sterbens, in der alle Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich und des Kriegs aufscheinen, konnte schrecklicher nicht sein. Sie muss mit mehr als 400.000 Menschen beziffert werden. Blick nach vorn Nach der Bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht konnten die Alliierten damit beginnen, jenes Land, das – wie es in der Moskauer Deklaration hieß –

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erstes Opfer einer typischen Hitlerischen Aggression geworden war, ihren Vorstellungen gemäß zu gestalten und vom Nationalsozialismus zu befreien. Es war das letzte der befreiten Länder Europas. Das Wort Befreiung wollte aber noch Vielen in Österreich nicht über die Lippen kommen. Man blieb unverbindlich und sprach lieber vom Ende des Zweiten Weltkriegs, das man wohl herbeigewünscht, sich aber vielleicht als einen weitgehend schmerzfreien Vorgang vorgestellt hatte. Auf jeden Fall galt es, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen und notfalls kollektiv zu verdrängen. Man gierte aber nach Informationen und musste zur Kenntnis nehmen, dass Sowjets, Amerikaner, Briten und Franzosen die besetzten Gebiete so sehr abschotteten, dass Nachrichten nur schwer zu bekommen waren. Die Sowjets waren die Ersten, die eine Zeitung herausgaben, mit der man innerhalb der von den sowjetischen Truppen besetzten Gebiete auch überregionale Nachrichten zu lesen bekam. Dann, ab dem 23. April, gab es die erste von Österreichern für Österreicher gemachte Zeitung  : »Neues Österreich«. Und damit begann etwas, das noch immer keinen Abschluss gefunden hat  : Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, mit der Rolle der Mächtigen, dem Anteil und der Rolle von Österreichern in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, der systematischen Vernichtung von Millionen Menschen, mit dem Krieg und den Kriegsverbrechen. Die bohrenden Fragen nach der Schuld wurden zu beherrschenden Themen, ebenso wie die nach der persönlichen Verantwortung. So, wie der Krieg seine Normalität gehabt hatte, begann auch die Suche nach der Normalität der Nachkriegszeit. Und man wusste sich in Österreich wie nie zuvor beobachtet. Mehr noch  : Aus dem totalen Krieg war eine totale Kontrolle geworden. Das Land war zerrissen. Nicht einmal in den Befehlsbereichen der vier besetzenden Mächte konnte man von Einheitlichkeit sprechen. Da gab es die schwer umkämpften Gebiete im Osten, vor allem Wien, die Gebiete mit geringeren Schäden und Opfern, und andere, die von den Kämpfen der alliierten Bodentruppen so gut wie nicht oder überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch der Luftkrieg hatte sehr unterschiedliche Spuren der Zerstörung hinterlassen. Wiener Neustadt, Villach und Klagenfurt standen an der Spitze jener Städte, die bis zu 88 % ihres Bestandes an Gebäuden und Wohnungen als zerstört oder beschädigt meldeten. In absoluten Zahlen der Zerstörungen lagen Wien, Wiener Neustadt und Graz vorne. Krieg und Kriegsende hatten Völkerwanderungen ausgelöst. Auch davon waren bei weitem nicht alle Teile des Landes gleichermaßen betroffen. Mehr und mehr wurde aber auch deutlich, dass es einen großen Unterschied ausmachte, ob man von Sowjets, Franzosen, Amerikanern oder Briten besetzt worden war. Zunächst ähnelte Österreich einem Durchhaus, das von alliierten Armeen beherrscht wurde. Und so wie sie kamen, trachteten die Alliierten danach, ihre Vorstellungen vom Wiederaufbau eines demokratischen Staatswesens in die Tat umzusetzen. Sie taten es in Konkurrenz zueinander, wobei sich eine machtpolitische und ideologische Konfron-

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tation abzuzeichnen begann. Und es war eine sowjetische Stimme, die die Situation auf den Punkt brachte  : Österreich ist ein Land, »wo man fast in der Situation eines Laboratoriums den Prozess des Kampfes zweier Systeme beobachten kann, des sowjetischen und des kapitalistischen«.471 Aus der von Karl Kraus so genannten »Versuchsstation des Weltuntergangs« war ein Laboratorium für zwei Gesellschaftssysteme geworden. Wenn man vom »Sonderfall« Wien einmal absah, war auch in Niederösterreich ab Mitte April 1945 schon so etwas wie ein Hauch von Zukunft spürbar geworden. Der aus dem Moskauer Exil eingeflogene Johann Koplenig, der als Staatsekretär für Inneres in die Provisorische Staatsregierung Renners eintreten sollte, war im Niederösterreichischen Landhaus in der Wiener Herrengasse auf den langjährigen KZ-Häftling Leopold Figl gestoßen und hatte den gegenüber dem Wiener Stadtkommandanten als möglichen Chef einer Verwaltung für Niederösterreich genannt. General Alexej Blagodatov wie auch Figl akzeptierten. Doch wie sah es in diesem Niederösterreich aus  ? Südlich und nördlich der Donau waren jeweils andere sowjetische Befehlsbereiche  ; eine Kommunikation zunächst unmöglich. Teile des vom Reichsgau Niederdonau wieder zu Niederösterreich gewordenen Bundeslands waren verwüstet. Hunderttausende Soldaten, nicht nur Rotarmisten, überzogen das Land, zu dem anfänglich noch der Norden des 1938 aufgelösten Burgenlands gehörte. Die südmährischen, südböhmischen und slowakischen Gebiete waren formlos wieder in die Tschechoslowakei rückgegliedert worden. Bald darauf sollte die Flucht der deutschsprachigen Bevölkerung einsetzen. Und wer nicht floh, wurde vertrieben. Am 11. Mai wurde Niederösterreich von den Sowjets offiziell der österreichischen Zivilverwaltung übergeben. Gewalt war alltäglich. Eine Hungerkatastrophe bahnte sich an. Letztlich konnten nur die Russen helfen. Auch die Steiermark war zu rund zwei Dritteln von der Roten Armee besetzt worden. Die Bilder glichen jenen aus Niederösterreich. Wie dort wurde auch in Graz alles getan, um das Überleben der Bevölkerung sicherzustellen. Noch während des Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Herrschaft hatten sich Leute gefunden, die einen politischen Neubeginn versuchen wollten, an ihrer Spitze als provisorischer Landeshauptmann Reinhard Machold. Allerdings lösten die Sowjets dann den provisorischen Landesausschuss wieder auf, um ihn gleich darauf mit Beteiligung der Kommunisten wieder amtieren zu lassen. In Kärnten, das zur britischen Besatzungszone gehören sollte, waren zeitgleich mit den Truppen der britischen 8. Armee auch jugoslawische Verbände einmarschiert und verlangten, an der Besetzung beteiligt zu werden. Damit verbanden sie Forderungen, die schon aus der Zeit des Kärntner Abwehrkampfs 1918–1920 bekannt waren. Das teilweise von Slowenen bewohnte Gebiet Südkärntens sollte abgetrennt werden und zu Jugoslawien kommen. Hier braute sich ein langwährender Konflikt zusammen. Der rasch gebildete Provisorische Kärntner Vollzugsausschuss unter Hans Piesch suchte

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daher vom ersten Tag an britische Unterstützung. Hier ging es nicht nur um die Befreiung von der NS-Diktatur, sondern um die Abwehr der Südslawen und den Erhalt der Einheit Kärntens. Kein leichtes Erbe. Auch die Briten taten sich schwer. Sie sahen sich durch die nach Kärnten vorgedrungenen jugoslawischen Verbände in Frage gestellt und drohten schließlich unverhohlen mit Krieg. Dank einer Intervention der Sowjets zogen die Jugoslawen ab. Die britische Gegenleistung bestand darin, dass sie die in Kärnten und Osttirol befindlichen Kosaken an die Sowjets auslieferten.472 Sofern diese auf deutscher Seite gekämpft hatten, erwartete sie häufig der Tod. Jugoslawien, wiederum, wurde seine Forderung nach Auslieferung der nach Kärnten gekommenen kroatischen, serbischen und slowenischen Kollaborateure und Flüchtlinge erfüllt. Es war ein gnadenloser Menschenhandel, der in vielen Teilen des neuen Jugoslawien Hand in Hand mit einem Terrorregime und Massenmorden ging.473 In Vorarlberg, das bei den Kampfhandlungen Ende April und Anfang Mai wohl gelitten hatte, aber doch einigermaßen glimpflich davon gekommen war, fand man vergleichsweise rasch zu einem Arrangement mit den Franzosen. Ulrich Ilg wurde Präsident des Landesausschusses. Sein vorrangiges Ziel war die Verselbständigung Vorarlbergs und die Trennung von Tirol. Für die Franzosen eine Selbstverständlichkeit. Nicht ganz so leicht hatte man es in Tirol, Salzburg und Oberösterreich mit der Einrichtung regionaler Verwaltungen. Alle drei Bundesländer fielen zunächst in den Vormarschbereich amerikanischer Großverbände. Die auf Besatzungsaufgaben zum wenigsten vorbereiteten Kommandanten akzeptierten aber im Großen und Ganzen jene Personen und Gruppen, die sich anboten, neue politische Strukturen zu schaffen und dafür auch die nötige Legitimation mitbrachten, worauf gerade die Amerikaner großen Wert legten. Sie selbst hatten freilich das Problem, dass immer wieder die falschen Truppen am falschen Ort waren und es daher eine Zeitlang dauerte, bis sich einigermaßen normale Abläufe ergaben. Letztlich akzeptierten die Amerikaner die personelle Neuordnung und bestätigten in Innsbruck einen Exekutivausschuss unter der Leitung von Karl Gruber, in Salzburg Adolf Schemel als Chef einer provisorischen Landesregierung und in Oberösterreich Adolf Eigl. Interessanterweise bewiesen die Sowjets, die nicht nach den Anleitungen eines Besatzungshandbuchs vorgegangen waren, letztlich eine glücklichere Hand bei der Auswahl jener Personen, die für ein neues Österreich tätig werden sollten, als die Westmächte. Der Osten des Landes hatte folglich zwar die durch den Krieg verursachten weit größeren Probleme, wurde aber fast automatisch Kristallisationspunkt bei der Rekonstruktion des Staates. Da es bei Kriegsende noch kein gültiges Abkommen über die Aufteilung Österreichs in Besatzungszonen gab, brauchte es schließlich noch bis Anfang Juli 1945, ehe es dann die nötigen Vereinbarungen gab, die sowohl die Einteilung Österreichs in Besatzungszonen wie auch die Modalitäten der alliierten Kontrolle festschrieben. Schließlich

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wurde das »Experiment Österreich« mit dem Kontrollabkommen vom 4. Juli und dem Zonenabkommen vom 9. Juli auf eine einigermaßen sichere Grundlage gestellt. Kernpunkt der Abkommen war die Absicht, das Land in Einflussbereiche zu teilen und die Kontrolle gemeinsam auszuüben. Dafür sollte eine Alliierte Kommission gebildet werden. Der Vorsitz sollte monatlich wechseln. Und was die Besatzungszonen anging, wurde bestimmt, dass die Sowjets das Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich nördlich der Donau (Mühlviertel), die Amerikaner Oberösterreich südlich der Donau und Salzburg, die Franzosen Tirol und Vorarlberg und die Briten die Steiermark und Kärnten einschließlich Osttirol besetzt halten und kontrollieren sollten. Geringfügige Abweichungen von den Landesgrenzen waren meist den Verkehrsverbindungen geschuldet. Die Aufteilung Wiens hatte bis zuletzt für Diskussionen und Spannungen gesorgt, da ja evident war, dass die österreichische Hauptstadt weit innerhalb der sowjetischen Zone lag. Anders aber als Berlin, das eine ähnliche Lage in der Besatzungsgeographie aufwies, sollte Wien nicht vier-, sondern de facto fünfgeteilt werden. Der l. Bezirk, in dem sich so gut wie alle österreichischen Ministerien und wichtigen Verwaltungseinrichtungen sowie die Universität befanden, sollte nicht einer der Besatzungsmächte dauerhaft zufallen, sondern »Internationale Zone« werden. Auch da sollte ein monatlicher Wechsel der kontrollierenden Besatzungsmacht eine Art Gleichheit schaffen. Zudem ging es um die Frage, innerhalb welcher Grenzen die Stadt geteilt werden sollte, welche Flugplätze welcher Besatzungsmacht und welche Bahnlinien und Straßen den westlichen Besatzungsmächten quer durch die sowjetische Zone zur Verfügung stehen sollten. Noch, freilich, fehlte den Alliierten eine genauere Kenntnis der Verhältnisse und der Probleme, denen sie sich genauso wie Österreich gegenüber sehen sollten. Es wäre jedoch unbillig, die Alliierten primär als Hemmnis einer rascheren und radikaleren Entwicklung zu sehen. Sie hatten angesichts der enormen Probleme des Jahres 1945, die nicht nur durch Fragen des politischen Wiederbeginns gekennzeichnet waren, sondern in erster Linie durch die fundamentale Not in einem durch den Nationalsozialismus entarteten und durch den Krieg verwüsteten Land die Funktion von Schutzmächten erhalten, die verhinderten, dass Österreich – was durchaus der Fall hätte sein können – regelrecht implodierte und damit jener Auflösung entgegenging, die alles hätte anders werden lassen. In Wien, das vom Reichsgau wieder zur Bundeshauptstadt mutiert war, harrten nach dem Ende der Schlacht Tausende Tote der Bestattung, waren über 80.000 Wohnungen ganz oder teilweise zerstört, gab es 35.000 Obdachlose und waren Gas, Wasser und elektrischer Strom, wenn überhaupt, so nur stundenweise vorhanden. Es gab kaum Verkehrsmittel, dafür Hunger, beginnende Seuchen und wenig Arbeitsmöglichkeiten außer bei der Schuttbeseitigung.474 Es gab keinen Treibstoff und insgesamt nur 40 Lastwagen, um rund 1,5 Millionen Menschen mit lebensnotwendigen Dingen zu

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WIEN Klosterneuburg

Langenzersdorf Süssenbrunn

Groß-Enzersdorf

Schwechat Mödling

Himberg Laxenburg

Grenze des Reichsgaues Groß-Wien (nach 15.10.1938) Grenze Bundesland Wien (31.12.1937) Bezirksgrenzen Internationale Zone

Fischamend

Schwadorf Ebergassing

S Bregenz

Sa

Innsbruck Inn

Karte 3: Die Besatzungs­ zonen der Alliierten vom 9. Juli 1945 bis 27. Juli 1955 und die ­Besatzungszonen der Alliierten in Wien vom 9. Juli 1945 bis 27. Juli 1955

Der Walzer der Freiheit

Lienz

Sowjetische Besatzungszone Britische Besatzungszone Amerikanische Besatzungszone Französische Besatzungszone

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Blick nach vorn

Österreich geteilt durch vier

Alliierte Besatzungszonen 1945-1955

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Donau

Linz

Inn

WIEN St. Pölten

Eisenstadt

Salzburg

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Graz

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Klagenfurt

Mu

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Der Walzer der Freiheit

versorgen. Es war zu massenhaften Vergewaltigungen gekommen. Dann war von den ­Sowjets demontiert und waren ganze Fabrikanlagen nach Russland abtransportiert worden. Der Gesamtwert der solcherart zur Kriegsentschädigung und zum Wiederaufbau der Sowjetunion herangezogenen Anlagen wurde auf 200 bis 500 Millionen Dollar geschätzt.475 Doch nicht nur die Russen demontierten. Ähnlich handelten die Franzosen. Die Wirtschaft war zusammengebrochen. Das Land war ausgeplündert. Der Versuch, die Währung zu stabilisieren, scheiterte daran, dass aus der Tschechoslowakei und Ungarn riesige Mengen an Reichsmark nach Österreich gebracht wurden, für die es keine Deckung gab, die aber noch immer nach dem Nennwert Geltung haben sollten. Wie von den Sowjets in Wien, in dem rekonstruierten Burgenland und in Niederösterreich, mussten von der amerikanischen Militärverwaltung in Salzburg und Oberösterreich, von den Franzosen in Vorarlberg und Tirol und von den Briten in Kärnten und der Steiermark Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Menschen nicht verhungerten. Es wurde Jagd auf prominente Nazis gemacht, die sich irgendwo versteckt hatten. Die Masse der Soldaten der Wehrmacht war in Kriegsgefangenschaft geraten. Hunderttausende waren auf Lager in der ganzen Welt verstreut  ; rund 100.000 noch in Österreich entlassen worden. Von Normalität war man noch in jedem Bundesland meilenwert entfernt. Und außerhalb Wiens schaute man mit einigem Misstrauen, was sich im Dunstkreis der Sowjets und der Roten Armee abspielte. Verkörperte die Staatsregierung Karl Renners wirklich jenen Neubeginn, der irgendwo zwischen Sehnsucht und Zwang angesiedelt war  ? Die Teile und das Ganze Während sich die Westalliierten erst in ihren Besatzungszonen einzurichten begannen, arbeitete die Provisorische Staatsregierung mit sowjetischer Hilfe konsequent an den Grundlagen der neuen Staatlichkeit. Ein Verbotsgesetz vom 8. Mai zog einen Schlussstrich unter das Kapitel NSDAP, ordnete die Registrierung aller Nationalsozialisten und ehemaligen Illegalen an und ermöglichte die Einrichtung von Volksgerichten. Strafen hatten jene zu gewärtigen, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände angehört hatten. Um sich selbst und dem neuen Staatswesen eine rechtliche Grundlage zu geben, wurden Überleitungsgesetze verabschiedet. Damit wurde auch eine Brücke von der Ersten Republik in die Nachkriegszeit geschlagen und gleichzeitig der Ständestaat und die NS-Zeit ausgeklammert. Mit dem Verfassungs-Überleitungsgesetz und der »Vorläufigen Verfassung«, einem Gesetz, das die Verfassungsmäßigkeit der Provisorischen Staatsregierung sicherstellen sollte, waren die Wege der Gesetzgebung geebnet worden. Die beiden am 13. Mai beschlossenen Gesetze wurden auf 1. Mai rückdatiert und traten sofort in

Die Teile und das Ganze

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Kraft. Fünf Wochen später folgte ein weiteres Sondergesetz, das Kriegsverbrechergesetz. Bei der raschen Abfolge gesetzgeberischer Maßnahmen konnte man sich wieder an den Beginn der Ersten Republik erinnert sehen, und das war auch nicht weiter verwunderlich, denn gerade Karl Renner hatte mit Republikgründungen eine unvergleichliche Erfahrung. Mit der Vorläufigen Verfassung sicherte sich die Staatsregierung ihre beachtliche Machtfülle ab  : Sie hatte die Kompetenzen von Nationalrat, Bundesrat, Landtagen und Volksabstimmungen. Zusätzlich übte ein dreigliedriger Kabinettsrat die Funktion des Bundespräsidenten aus. Die Regierung kontrollierte sich selbst. Nur der Begriff »Macht« wollte nicht so recht passen, obwohl auch ein werdendes Staatswesen nur dann eine Chance hatte, wenn es ein Mindestmaß an Gewalt besaß. Diese galt es nach innen wie nach außen einzusetzen. Die Kommunisten versuchten zwar zunächst, eine Art Oppositionsrolle innerhalb der Provisorischen Staatsregierung zu spielen, nach einem entsprechenden »Verweis« durch den sowjetischen Armeegeneral und Volkskommissar Vsevolod Merkulov verzichteten sie aber darauf, die Einstimmigkeit der Beschlüsse in Frage zu stellen.476 Das unterstrich ein weiteres Mal, dass es zumindest während der ersten Monate der alliierten Besetzung die Sowjets in der Hand hatten, das Experiment Österreich glücken oder scheitern zu lassen. Mit dem Rechts-Überleitungsgesetz vom 13. Mai wurde ein Teil der nationalsozia­ listischen Gesetzgebung außer Kraft gesetzt.477 Und schließlich wurde mit dem Beamten-­ Ü berleitungsgesetz die Möglichkeit geschaffen, die nationalsozialistische Beamtenschaft zu eliminieren. Am 10. Mai wurden für 6.000 unter deutscher Leitung gestandene Unternehmungen und Betriebe öffentliche Verwalter eingesetzt,478 und das war erst der Anfang. Trotz einer gewissen Linkslastigkeit und eines bisweilen schrillen verbalen Radikalismus zeigte die Provisorische Staatsregierung starke Anzeichen von Restauration, ja Reaktion. Es war, als hätte jemand das Kommando »Zurück in die Zukunft  !« ausgegeben. Da brauchte es ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Regierung, die zumindest so viel Macht hatte, dass sie im Rahmen der ihr von den Besatzungsmächten eingeräumten Möglichkeiten ein demokratisches Staatswesen einrichtete. Für Renner war auch – wie nach dem Ersten Weltkrieg – das Vorhandensein von eigenen Streitkräften eine Selbstverständlichkeit, denn Wildwuchs wie paramilitärische Formationen sollte es nicht mehr geben. Daher richtete er im Rahmen seiner Staatskanzlei auch ein Heeresamt ein, das nicht nur die materielle und personelle Demobilisierung der Deutschen Wehrmacht durchzuführen hatte, sondern auch mit Heimkehrerdienststellen, Bahnhofs- und Gebäudewachen eine – wenngleich bescheidene – militärische Tätigkeit entfaltete.479 Nach monatelangen Verhandlungen und einigem Gezerre zogen am 1. September amerikanische, britische und französische Truppen in Wien ein. Jetzt erst war die Besetzung Österreichs restlos und in der vereinbarten Form durchgeführt. Und nach der Ankunft der westlichen Oberbefehlshaber war zumindest das äußere Erscheinungsbild

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Der Walzer der Freiheit

der Alliierten so, wie es das Kontroll- und das Zonenabkommen für Österreich vorgesehen hatten. Am 11. September 1945, 14 Uhr Moskauer Zeit (12 Uhr MEZ), trat der Alliierte Rat für Österreich im russischen Hauptquartier im Hotel »Imperial« zu seiner ersten Sitzung zusammen.480 Und sollte jemand daran gezweifelt haben, dann war es jetzt klar  : Der von den Oberkommandierenden der vier Besatzungsmächte gebildete Alliierte Rat stellte die oberste Autorität in Österreich dar. Mit Hilfe der Wiener Interalliierten Kommandantur und 15 »Divisionen« (Abteilungen) der Alliierten Kommission sollten Legislative und Exekutive gesteuert werden. Das wurde der Provisorischen Staatsregierung mitgeteilt. Der Kabinettsrat gelobte, alle Anordnungen der obersten alliierten Autorität »getreulich zu erfüllen« und bekundete den »tiefsten Dank des österreichischen Volkes«.481 In den Bundesländern hatten Militärkommandanten den Willen des Alliierten Rats durchzusetzen. Der Spielraum für Österreich wurde merklich eingeengt. Es gab aber auch Lichtblicke  : Über amerikanischen Vorschlag wurde Österreich in das Notprogramm der Vereinten Nationen, UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), aufgenommen, und die Briten, die Renner mit besonderer Skepsis begegnet waren, willigten in die Abhaltung von Länderkonferenzen, mit denen Renner seine Regierung erweitern und Wahlen vorbereiten wollte. Wieder war die Analogie zur ersten Nachkriegszeit augenfällig. Auch anderweitig konnte man sich an den Beginn der Ersten Republik erinnert sehen  : Österreich wurde Hilfe zuteil, die es für Deutschland nicht gab. Und Österreich konnte seinen staatlichen Wiederaufbau beginnen und das Zusammenwachsen des geteilten Landes vorantreiben, ohne dass dies – wie in Deutschland – eine der Besatzungsmächte nachhaltig behinderte hätte. Mit seinem Drängen nach der Abhaltung von Länderkonferenzen wollte Renner auch jenen Landespolitikern in Tirol und vor allem Salzburg den Wind aus den Segeln nehmen, die recht offen darüber gesprochen hatten, eine westliche Gegenregierung zu bilden. Es waren also nicht etwa die Alliierten, die auf eine Teilung Österreichs hinarbeiteten  ; die Initiativen dazu gingen von Österreichern aus  ! Die Länderkonferenzen sollten aber auch den Weg zu möglichst frühen Wahlen ebnen. Denn noch war alles in Österreich provisorisch. Die Provisorische Staatsregierung hatte sich auch mit territorialen Fragen herumzuschlagen, In Salzburg wünschte man sich das Berchtesgadener Land und den an den Salzburger Flachgau anschließenden Rupertiwinkel. Das 1938 zum Gau Schwaben geschlagene Kleine Walsertal und die für sieben Jahre oberbayerische Gemeinde Jungholz waren schon wieder bei Österreich (und schwer erreichbar)  ; im Burgenland träumte man von der Angliederung Ödenburg/Soprons, und nicht nur in Tirol meinte man die Stunde gekommen, von Italien Südtirol zu verlangen. Doch es gab auch Wünsche der anderen, denn Jugoslawien forderte die Abtrennung der südlichen Landesteile von Kärnten mit seiner teilweise slowenischen Bevölkerung, und die Tschechoslowa-

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kei wollte die österreichische Nordgrenze zu ihren Gunsten verschieben. In einem für Renner erarbeiteten Gutachten wurde schließlich allen Forderungen, den eigenen wie denen der anderen, eine Absage erteilt  : »Die Erhebung solcher Forderungen in der Öffentlichkeit erschüttert die moralischen Grundlagen unseres Staatswesens und seiner Politik.« Österreich müsse dafür eintreten, dass die Staatsgrenzen des Jahres 1919 in Mitteleuropa grundsätzlich unveränderlich seien. »Wenn wir selbst sozusagen aus heiterem Himmel Teile von Bayern, Ungarn u. dgl. beanspruchen, mit welchem Recht wollen wir dann Ansprüchen Jugoslawiens auf Kärnten, allenfalls der Tschechoslowakei auf das nordöstliche Niederösterreich mit dem wertvollen Erdölgebiet oder auf das oberösterreichische Mühlviertel entgegentreten  ?« Südtirol wäre freilich ein eigenes Problem. Damit war eine klare Linie vorgegeben worden. Wie von Renner erhofft, brachte die am 24.  September beginnende erste Länderkonferenz eine Art Kompromiss zustande. Politiker aus den westlichen Besatzungszonen konnten auf die für sie freigehaltenen Positionen in der Provisorischen Staatsregierung einrücken. Der Chef der provisorischen Landesverwaltung von Tirol, Karl Gruber, erhielt die Agenden des Außenministeriums übertragen. Besonders wichtig war aber, dass man sich über Termin und Modalitäten von Wahlen verständigte. Das war nicht nur etwas, das Renner als Erfolg werten konnte, sondern auch den Besatzungsmächten Respekt abnötigte. Sie zeigten denn auch unterschiedliche Formen der Zufriedenheit. Am Samstag, dem 20. Oktober, Mittag, wurde der Wiener Schwarzenbergplatz abgesperrt. Die Alliierte Kommission bezog ihr gemeinsames Quartier, das Haus der Industrie. Bis dahin hatten die Besatzungsmächte in ihren jeweiligen Hauptquartieren getagt. Für die erste Sitzung im neuen Haus hatten sie sich etwas Besonderes vorgenommen. Unter dem Tagesordnungspunkt »Any other business« war der Besuch des Provisorischen Staatskanzlers Karl Renner vorgesehen. Der turnusmäßige Vorsitzende, der britische General Richard L. McCreery, empfing ihn, »geleitete ihn«, wie es dann in der Zeitung »Neues Österreich« hieß, zu den drei anderen Militärkommissaren, wo ihm die Mitteilung über die Zustimmung zur Ausweitung der Kompetenzen seiner Regierung auf ganz Österreich und damit eine de facto Anerkennung gemacht wurde. Renner versicherte die Alliierten seiner Dankbarkeit und versprach, mit ihnen engstens zusammenzuarbeiten. Dann durfte der Provisorische Staatskanzler in der Mitte der Militärkommissare für ein erstes gemeinsames Foto Platz nehmen. Der Weg war für die nächsten Wochen und Monate vorgezeichnet, mit den Alliierten abgesprochen und löste auch bei den Besatzungsmächten eine gewisse Nervosität aus. Die bevorstehenden Wahlen mussten auch für sie zum Test werden, inwieweit ihre letztlich primär auf Gewalt aufbauenden Maßnahmen akzeptiert wurden. Seit dem Sommer war ja schon deutlich geworden, dass die Bemühungen, in den Besatzungszonen auch so etwas wie Klein-Russland, Klein-Frankreich, Klein-Amerika und KleinEngland einzurichten, nicht nur Zustimmung, sondern auch unterschiedlich große

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Ablehnung erfahren hatten. Sinnvolles und Notwendiges war akzeptiert worden, das Beseitigen der Schuttberge, das Instandsetzen von Straßen, Brücken und der Versorgungsstränge. Wenn aber beispielsweise von den Sowjets Tag für Tag die Beistellung von Arbeitskräften verlangt wurde, um Feldwege zu kehren, Willkür und Misshandlungen an der Tagesordnung waren, ließ das die Bereitschaft, in ihnen mehr als eine Besatzungsmacht zu sehen, rapide schwinden. Seit August 1945 wurde daher auch von den Russen vermehrt Sympathiewerbung betrieben, wurde Willkür bestraft und wurden die Versorgungsmengen zu steigern gesucht. Es gelang nicht wirklich. Wohl aber mehrten sich seit Juli die Bemühungen der von den Alliierten zugelassenen Parteien, Anhänger zu gewinnen. Wählerversammlungen, die sich im September und Oktober häuften, konnten als Stimmungsbarometer gelten. Der 25. November sollte dann Aufschluss über die innenpolitischen Verhältnisse geben. Für diesen Tag waren Nationalrats- und Landtagswahlen sowie in einigen S ­ tädten Gemeinderatswahlen anberaumt. Die Wahl der meisten Gemeindevertretungen musste aber noch warten. Nationalsozialisten aber auch Exponenten des Ständestaats waren von den Wahlen ausgeschlossen. Das war zwar nicht ohne Kontroversen abgegangen, wobei alle drei Regierungsparteien mit der Möglichkeit kokettierten, ihr Stimmenpotential mit Hilfe der ehemaligen Nationalsozialisten vermehren zu können.482 Schließlich sprachen sich aber doch alle für einen Wahlausschluss aus. Damit sollte den Alliierten jeder Grund genommen werden, die Rechtmäßigkeit dieser ersten demokratischen Wahlen seit fast 14 Jahren in Frage zu stellen. Nicht zu beeinflussen war, dass sich die Bereitschaft, an Wahlen für ein nunmehr wieder demokratisches Staatswesen teilzunehmen, in Grenzen hielt. Politik war zu etwas geworden, das man ertragen musste. Was weit mehr zählte, war ein einigermaßen funktionierendes familiäres Umfeld. 63 % der Wähler, rund 2,2 Millionen, waren Frauen, in Wien sogar 68 %  ; 1,2 Millionen waren Männer. Trotz der Entlassungen durch die Alliierten waren im November 1945 noch eine halbe Million Österreicher in Kriegsgefangenschaft, konnten daher an der Entscheidung nicht teilnehmen.483 Prognosen über den Wahlausgang grenzten an Sterndeuterei. Vielleicht konnten die Wahlen in Ungarn am 4. November als Richtschnur herhalten, bei denen die mit der ÖVP vergleichbare Kleinlandwirte Partei rund 57 % der Stimmen erhielt. Tatsächlich erreichte die Volkspartei am 25. November die absolute Mandatsmehrheit im Nationalrat und stellte dann in sieben der neun Bundesländer den Landeshauptmann  ; die Kommunisten waren entgegen den allermeisten Prognosen mit 5,42 % der Stimmen weit abgeschlagen. Wieder einmal brach eine Zeit »danach« an.

15. Gestrenge Herren

15 Gestrenge Herren

15 Es dauerte vier Monate, bis sich Amerikaner, Briten, Franzosen und Sowjets in Österreich eingerichtet hatten. Wie lange die Besetzung dauern würde, war nicht absehbar. Die westlichen Besatzungsmächte brauchten auch Wochen und Monate, bis sie sich mit der Tatsache abfanden, dass es in Österreich seit dem 27. April 1945 eine Provisorische Staatsregierung gab. Endlich, am 11. September 1945, bezogen die Alliierten ein gemeinsames Hauptquartier im Haus der Industrie in Wien. Am Ende einer gemeinsamen Sitzung war auch der Provisorische Staatskanzler Karl Renner eingeladen, mit den Alliierten offiziell Verbindung aufzunehmen. Anschließend wurde fotografiert: Von links nach rechts: Der sowjetische Marschall Ivan Konev, Karl Renner und der britische Generalleutnant Sir Richard L. McCreery. (Foto: Rauchensteiner, 1945. Entscheidung für Österreich)

I

m Verlauf des Jahres 1945 war es noch durchaus nicht klar geworden, wie es mit Österreich weitergehen würde, und auch die ersten Nationalratswahlen konnten lediglich als Zeichen verstanden werden, dass sich eine Einheitlichkeit des Denkens und Handelns herauszubilden begonnen hatte, von der man zunächst nur hoffen konnte, dass sie den österreichischen Wiederbeginn besiegeln würde. Es musste aber jedem politisch Denkenden und Handelnden klar sein, dass es unendlich schwer sein würde, die positiven Erinnerungen an den Nationalsozialismus zu tilgen und die lähmende politische Apathie zu überwinden. Die Zukunft war ungewiss. Österreich wurde durch militärische Gewalt am Leben erhalten. Die Not regiert

Der Hunger zehrte die Menschen aus. »Das ganze Volk war im strengsten Sinne … kriminell geworden, um überleben zu können«, beschrieb Thomas Bernhard die ohne­dies »paradiesischen« Zustände in Salzburg.484 Für die Stationierung der Besatzungstruppen war mehr zu zahlen als der übrige Staatshaushalt ausmachte. Auf 15 Österreicher kam in der sowjetischen Zone ein russischer Soldat.485 Renner meinte denn auch durchaus provokant in einem Brief an den Alliierten Rat, dass die hohen Militärpräsenzen nichts mit Kontroll- und Sicherheitsaufgaben zu tun hätten, sondern ausschließlich der Schaffung eines militärischen Gleichgewichts dienten.486 Der Jahresabschluss für 1945 zeigte allein in der sowjetischen Zone einen Abgang von 143 Millionen Schilling, wobei der größte Brocken, nämlich 120 Millionen, auf die Bundesbahnen entfiel. Sie hatten verschwindend geringe Einnahmen erzielt und mussten für die Sowjets alle Transporte gratis durchführen.487 Doch das war nur ein Grund zur Klage. Anderes, vor allem die Vergewaltigungen, Plünderungen, Morde und Demontagen hatten die Russen mehr und mehr verhasst gemacht. Fast nirgendwo gab es so wenig zu essen wie unter »den Russen«. Bei den Wahlen hatten sie und die von ihnen unterstützten Kommunisten die Rechnung serviert bekommen. Die Antwort darauf war eine Art »Liebesentzug«. Die Sowjets verstärkten den Druck, suchten sich mit den westlichen Alliierten zu solidarisieren und die Kontrolle über das politische Geschehen und die täglichen Abläufe zu verstärken. Zudem forderten sie immer mehr Betriebe und Leistungen und beriefen sich darauf, dass ihnen auf der Potsdamer Konferenz der »großen Drei« im August 1945 das gesamte sogenannte Deutsche Eigentum ihrer Zone zugesprochen

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Gestrenge Herren

worden war. Im Gegensatz zu den ersten Monaten der Besetzung ließen es die Sowjets an freundlichen Gesten fehlen. Erster Bundeskanzler der zweiten Nachkriegszeit wurde Leopold Figl. Seine Legitimation waren nicht zuletzt vier Jahre Haft in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen. Er wollte die Politik der Provisorischen Staatsregierung fortsetzen. Bei ÖVP und SPÖ herrschte auch Einigkeit darüber, dass die Kommunisten ungeachtet ihres schlechten Abschneidens bei den Wahlen eingeladen werden sollten, sich an der Regierung zu beteiligen. Eine Konzentrationsregierung war auch die für die Alliierten probateste Lösung. Ein Teil der Regierungsmitglieder konnte auf Jahre der Verfolgung hinweisen. Wieder wurde der »Rückbruch« deutlich. Ob das als Legitimation ausreichen würde, musste sich aber noch weisen. Die Alliierten waren jedenfalls von der Zusammensetzung der ersten gewählten Bundesregierung nicht beeindruckt. Sie hatten sich freilich zunächst auch über ihre eigene Rolle klar zu werden. Und da gab es einige bemerkenswerte Verschiebungen. Vor den Wahlen waren es die Briten gewesen, die eine in ihren Augen zu freie Entfaltung der Österreicher behinderten. Nach den Wahlen waren es die Sowjets. In der Sitzung des Alliierten Rates am 30. November 1945 wurde die österreichische Regierung – noch war Renner im Amt – dahingehend belehrt, dass die am 20. Oktober ausgesprochene De-facto-Anerkennung der Staatsregierung keinesfalls als Einschränkung der alliierten Kontrollmacht über sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens ausgelegt werden dürfe.488 Kurz darauf begann der Alliierte Rat seine im Kontrollabkommen festgeschriebene Macht voll auszuspielen. Das Währungsgesetz, mit dem am 30. November die Schillingwährung eingeführt wurde, musste unter Druck der Alliierten angenommen werden. Nicht, weil man etwas gegen die neue-alte Währung gehabt hätte, sondern weil damit nur ein Teil der Geldflut abgeschöpft werden konnte und vor allem auch 2,6 Milliarden Alliierte Militärschilling in Umlauf blieben, die die Wirkung der Währungsreform teilweise verpuffen ließen.489 Die Militärkommissare beeinspruchten die Zusammensetzung der Regierung Figl und bissen sich an den Namen von vier Regierungsmitgliedern fest. Vor allem war es Julius Raab, dem die Sowjets misstrauten und ihn schlicht als »Feind der Sowjetunion« einstuften.490 Er musste aus der Regierungsliste gestrichen werden. In der Regierungserklärung durfte die Passage nicht vorkommen, in der von Österreich als »Brücke« zwischen Ost und West gesprochen wurde. So etwas brauchte es offensichtlich nicht. Figl improvisierte und hielt sich nicht an den vorzensurierten Text. Man war schließlich in Österreich. Die Fachleute der Alliierten knieten sich immer tiefer in die für sie sicherlich nicht leicht verständlichen Abläufe der österreichischen Administrationszweige hinein, machten Vorschläge und Ausarbeitungen, verlangten umfangreiche Unterlagen und Berichte, die eine enorme Arbeitsleistung der österreichischen Stellen voraussetzten und sie häufig überforderten. Ganz offensichtlich stellten sich die »Großen Vier« auf

Die Not regiert

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eine längere Anwesenheit ein und demonstrierten bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre umfassenden Machtbefugnisse und Möglichkeiten. Briten und Amerikaner sahen sich gemahnt, das zu verinnerlichen, was ihnen mit dem »Austria. Military Government Handbook« an die Hand gegeben worden war. Und hier hieß es unmissverständlich  : Der Friedensvertrag von Saint-Germain hätte Österreich als ein nicht-funktionierendes Staatswesen geschaffen, das »eine fruchtbare Brutstätte für das Nazi Großdeutschtum« geworden ist. Und so lange nicht auch der Frieden gewonnen sei, wären »die Früchte des militärischen Siegs verloren und alle Opfer umsonst« gewesen.491 Vor allem gelte es, alle Nationalsozialisten zur Verantwortung zu ziehen. Karl Renner schaltete sich nochmals ein. Er war am 20. Dezember 1945 zum Bundespräsidenten gewählt worden. Nicht durch eine Volkswahl, sondern durch die Bundesversammlung von National- und Bundesrat. Doch er wollte seine Rolle in der Politik sicherlich nicht auf repräsentative Aufgaben reduziert sehen, noch dazu, da auch er zur Kenntnis nehmen musste, dass die Alliierten über dem Bundespräsidenten standen. Also drängte Renner auf ein Ende der Besetzung. Und sollte das auf Schwierigkeiten stoßen, wäre darüber nachzudenken, ob man Österreich nicht zum Mandatsgebiet der Vereinten Nationen machen könnte.492 Im Kanzleramt meinte man noch einen anderen Ausweg aus dem Besatzungsdilemma gefunden zu haben  : Österreich, das nicht Mitglied der Vereinten Nationen werden durfte, könnte seine Mitgliedschaft beim Völkerbund wieder aufleben lassen. Eigentlich war es ein Kuriosum, dass es den Völkerbund noch gab, da ja seit dem Juni 1945 die UNO existierte. Ein Versuch sollte jedenfalls gemacht werden. Man informierte den Generalsekretär des Völkerbunds, dass Österreich beabsichtige, seine Mitgliedschaft wieder aufleben zu lassen. Die Antwort aus Genf war ernüchternd  : Österreich dürfe nur als Beobachter bei der Auflösung der bestenfalls noch formal bestehenden Staatengemeinschaft dabei sein.493 Für die Besatzungsmächte war aber weder ein UNO-Mandat noch eine Völkerbundmitgliedschaft etwas, das ihre De-facto-Herrschaft über Österreich in Frage stellen konnte. Tatsächlich schlugen sie sich mit anderen Problemen herum. Zunächst galt es nämlich, Österreichs Überlebensfähigkeit zu sichern, ehe man sich mit völkerrechtlich sicherlich interessanten, im Frühjahr 1946 für die Besatzungsmächte aber ziemlich nebensächlichen Fragen herumschlagen konnte. Angesichts einer sich abzeichnenden humanitären Katastrophe musste jegliche Kritik an den Besatzern verstummen, und war auch Renners Rolle auf Bitten und Danken reduziert. Trotz aller Zusagen und ehrlichen Bemühungen sanken die täglichen Rationen immer mehr ab. Sie blieben in einem großen Teil Österreichs, vor allem in den östlichen Landesteilen, deutlich unter 800 bis 1.000 Kalorien. Wie schon im Winter 1918/19 hungerten die Menschen. Im Gegensatz zu damals sollten sie aber nicht nur ein kaputtes Staatswesen, sondern ein zerstörtes Land wieder aufbauen. In Österreich waren nach wie vor an die 100.000 Gebäude zerstört oder beschädigt. Unzählige Brücken,

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Gas-, Wasser- und Stromleitungen waren kaputt, 2.500 Kilometer Eisenbahn nicht befahrbar.494 In Wien gab es nur mehr eine Brücke über die Donau und eine über den Donaukanal. Für einen Wiederaufbau fehlten Maschinen und Baumaterialien. Doch es gab auch einen positiven Unterschied  : Die Besatzungsmächte sahen sich verantwortlich, eine Hungerkatastrophe zu vermeiden. Sie mussten die Zeit bis zum Anlaufen der Lebensmittelhilfe der UNO im März 1946 überbrücken, den Ausbruch von Epidemien verhinderten und mit Hilfe von noch immer mehr als 220.000 Soldaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sorgen. Das Sicherheitsproblem war noch dadurch verschärft worden – und verschärfte sich weiterhin –, dass aufgrund der Fluchtbewegungen zu Ende des Kriegs 220.000 Menschen in Österreich gestrandet waren. Man konnte sie nicht einfach ausweisen oder ihnen die Lebensmittelkarten verweigern, wie den sogenannten (Alt)Reichsdeutschen, die einfach abgeschoben wurden. 28.000 Südtiroler und Kanaltaler Umsiedler, »Optanten«, beschlossen, in Österreich zu bleiben. Flucht und Vertreibung gingen weiter. Aus dem Sudetenland, Südböhmen und Südmähren kamen 151.000 Menschen. Sie waren in teils pogromartigen Aktionen vertrieben und über die österreichische Grenze gejagt worden. Die Alliierten hatten den ost- und südosteuropäischen Staaten für die Vertreibung der Deutschen und Altösterreicher einen Freibrief ausgestellt. Die bleiben wollten und konnten, mussten vielfach diskriminierende Maßnahmen erdulden, durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen, mussten weiße Armbinden tragen, verloren, was sie besessen hatten, und wandten sich meist etwas später zur Flucht.495 Aus Jugoslawien und Rumänien kamen 190.000, aus Ungarn 15.000 Menschen. Dabei mussten sie noch froh sein, »nur« vertrieben worden zu sein. Zigtausende waren den Sowjets übergeben worden und kamen als Sklavenarbeiter in die Sowjetunion, um dort die Kriegsschäden beseitigen zu helfen. In Jugoslawien wurden auch Tausende an zumindest 15 Orten zusammengetrieben und umgebracht.496 Schließlich wurden in der Flüchtlingsstatistik noch 170.000 Juden angeführt, die zumindest temporär in Österreich und vornehmlich in der amerikanischen und der französischen Zone untergebracht wurden. Nur ein Teil von ihnen war tatsächlich geflohen  ; die meisten waren vertrieben worden. Zu guter Letzt zählte man in Österreich Angehörige von 34 Nationen und schätzte sie auf eine halbe Million Flüchtlinge und Vertriebene, die meist in Lagern untergebracht wurden.497 Sofern sie keine Deutschen im weitesten Sinn waren, war ihre Bereitschaft, in Österreich eine dauerhafte neue Heimat zu finden, zum wenigsten gegeben. Das galt vor allem für Juden. Es gab aber auch keine Bereitschaft, sie zu integrie­ren, und man war zutiefst froh, dass dann die Amerikaner für Unterbringung und Weitertransport sorgten. Die Vertreibung der Deutschen wurde von den Sowjets und den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas als Sühnemaßnahme dargestellt und sollte zudem der Entnazifizierung dienen. In Österreich empfand man sie als Störfaktoren

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bei der Suche nach einem neuen, eigenen Nationalismus. Zudem verschärften sie das Versorgungsproblem. Die Folge war, dass sich auch in Österreich eine schon während des Kriegs latente antideutsche Stimmung verstärkte. In Deutschland wurde zeitgleich eine antiösterreichische Stimmung gepflegt und angeprangert, dass sich Österreich so mir nichts, dir nichts aus der gemeinsamen Geschichte verabschiedet hatte und sich auf seine Opferrolle berief. Einer der bedeutendsten deutschen Historiker, Gerhard Ritter, formulierte dann kurz und klar  : Der Nationalsozialismus war eine bayerischösterreichische Entartung des deutschen Nationalismus. Und in München reimte der meist nur als Autor von Jugendbüchern bekannte Schriftsteller Erich Kästner für ein Kabarett den bitterbösen Text  : »Wir sind die Ostmärker, pardon, die Österreicher / Meine Verehrung Herr Baron  ! / Wir schicken’s heim jetzt die deutschen Landstreicher. / Wir sind a siegreiche Nation. Sie dürfen nit glauben, was S’ in der Zeitung lesen … / Die blaue Donau ist niemals braun gewesen …. Die Nibelungentreue ist ein verflixtes Erbe/Küss d’Hand und s’Herz mein schönes Kind  ! / Wir sind ein Bergvolk mit viel Hotelgewerbe. / In unseren Alpen da gibt’s koa Sünd.«

Der Ministerrat in Wien beschäftigte sich mit einer neuen Bundeshymne und hätte gerne die alte Melodie des »Gott erhalte« verwendet. Doch da diese als von den Nationalsozialisten verwendetes »Deutschlandlied« noch in den Ohren nachklang, sollte eine andere Melodie gesucht werden. Der Text war Gegenstand eines Preisausschreibens. Österreichische Geschichte war hoch im Kurs. Maria Theresia ersetzte wieder Friedrich II.; Radetzky und Prinz Eugen kamen zu neuen Ehren. Die »Rede über Österreich« von Anton Wildgans wurde zu einem der wichtigsten Lesestücke in den neuen Schulbüchern. Passagen über die Zugehörigkeit Österreichs zum Deutschtum wurden allerdings ausgelassen. Sie waren 1929 aktuell gewesen  ; nach 1945 nicht mehr. Auf Initiative des Staatssekretärs für Volksaufklärung und Unterricht, Ernst Fischer, wurde im September 1945 in den Zeugnisformularen der Schulen das Fach Deutsch bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert in »Unterrichtssprache« umbenannt.498 Und weil es sich gerade so wunderbar anbot, wurde 1946 das Jubiläum 950 Jahre Österreich gefeiert. Zum Auftakt übergaben der amerikanische Militärkommissar, General Mark W. Clark, Bundeskanzler Figl die in Nürnberg geborgenen Reichskleinodien, ohne sich groß um die Ansprüche Aachens und Nürnbergs zu kümmern.499 Die Insignien des Römisch-deutschen Reichs sollten auf immer in der Wiener Schatzkammer bleiben.

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Re-Austrifizierung Der Prozess der Re-Austrifizierung und die Abrechnung mit der NS-Vergangenheit gingen den Alliierten aber letztlich zu langsam. Und das, obwohl sicherlich alles getan wurde, um Sühnemaßnahmen zu verhängen und Kriegsverbrecher dingfest zu machen und vor Gericht zu stellen. Die Zeitungen veröffentlichten Kriegsverbrecherlisten. Alliierte und österreichische Gerichte begannen mit der Aburteilung. In Wien, Graz und Linz wurden Volksgerichtshöfe eingerichtet, die in kurzer Zeit 137.000 Verfahren abwickeln sollten. Sie verhängten 43 Todesurteile, von denen dann 30 vollstreckt wurden, und Tausende Jahre Gefängnis. Die Alliierten bildeten auch eigene Gerichtshöfe, wobei sich die Briten als die wahrscheinlich strengste Besatzungsmacht entpuppten. Sie klagten über 30.000 in der britischen Zone lebende Menschen an, von denen ein erheblicher Teil verurteilt wurde. 53 Verfahren endeten mit Todesstrafen. Die letzte Hinrichtung fand im Februar 1955 statt.500 Nichtsdestoweniger wurde immer wieder der Vorwurf laut, dass sich die Entnazifizierung auf die »kleinen« Nazis, auf die Mitläufer beschränkte, während die größeren und wichtigeren Belasteten ihre Unentbehrlichkeit so glaubhaft machen konnten, sodass sie unbehelligt blieben. 537.000 Mitgliedern der NSDAP war als erste Sühnemaßnahme das Wahlrecht entzogen worden. Was aber, wenn jemand nicht bei »der Partei« gewesen war oder mit der sprichwörtlichen rauchenden Pistole angetroffen wurde  ? Was geschah mit den Schreibtischtätern  ? Sie blieben häufig ungeschoren. Was geschah mit jenen »Ariseuren«, die jüdisches Eigentum erworben hatten, aber kein Parteibuch besaßen  ? Machte sie das schon – wie viele von sich behaupteten – zu Gegnern des Nationalsozialismus  ? Doch es war schwer, sie zu belangen, da sie eifrig bemüht waren, ihre Unschuld und menschenfreundliche Haltung zu beweisen und sich auch nicht genierten, von denen, die sie verfolgt oder beraubt hatten, »Kassiber« zu erbitten, in denen ihnen Wohlverhalten und wenn möglich die Rettung von Menschenleben attestiert wurde. Viele bekamen die gewünschten Zettel. Bei den Angehörigen des Widerstands machte sich regelrechte Frustration breit. Sie hatten den Eindruck, dass Menschen, die an den unterschiedlichsten Formen von Verfolgung beteiligt gewesen waren, ohne weiteres im Staatsdienst verbleiben konnten, während sie selbst nicht nur um ihre Anerkennung, sondern oft auch um ihre Existenz ringen mussten. Die Regierung setzte auf Wiederaufbau und Verdrängen, tat aber auch einiges, um Emigranten an der Rückkehr zu hindern, da sie manchen Neo-Politikern ihre Position streitig machen, den politischen Aufbau stören und jedenfalls Ansprüche stellen konnten. Das galt es zu unterbinden. So sollten nicht nur Forderungen nach Wiedergutmachung für rassisch Verfolgte auf die lange Bank geschoben werden, sondern auch die Rückkehr von Exponenten der Ersten Republik verhindert werden, wie das z. B. im Fall von Julius Deutsch und Friedrich Adler der Fall war. Darin waren sich

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der Vorsitzende der SPÖ, Vizekanzler Adolf Schärf, und Innenminister Oskar Helmer einig. Alle ehemaligen Nationalsozialisten wurden seit dem Mai 1945 aufgefordert, sich freiwillig registrieren zu lassen. Dann folgte die Registrierung »von Amts wegen«. Um ja nicht säumig zu werden und den Alliierten auch keinen Grund zu liefern, ihre Hilfe zu verzögern oder gar einzustellen, und die Kontrollmaßnahmen zu verschärfen, wurde ein eigenes Ministerkomitee eingesetzt, das die Entnazifizierung der Ministerien beschleunigt durchführen sollte. Es war aber genauso bemerkenswert, dass sich schon am 28.  November 1945 die österreichischen Bischöfe an die Alliierte Kommission wandten und um Gnade für jene inhaftierten ehemaligen Nationalsozialisten baten, die während der NS-Zeit nachweislich Gutes getan hatten.501 Im Zuge der Verschärfung der Kontrollmaßnahmen ging es aber nicht um Begnadigung, sondern um Bestrafung. Briten und Amerikaner steckten Tausende in Anhaltelager. Wolfsberg und Glasenbach wurden zu Synonymen für diese Maßnahme. Es störte wohl auch nicht, dass das Wort »Denazification« mit »Entnazifizierung« übersetzt wurde und damit fatal dem Nazi-Jargon von »Entjudung« ähnelte. Dabei wurde auch gleich das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Vorübergehend festgenommen wurden unter anderen auch der erste provisorische Landeshauptmann der Steiermark, Reinhard Machold, sowie der Sicherheitsdirektor der Steiermark, Alois Rosenwirth, die beschuldigt wurden, im Auftrag Renners am Aufbau einer österreichischen Armee gearbeitet zu haben. Die Regierung Figl wurde ermahnt, Zeitungen wurden gerügt und Binnengrenzen wie Verkehrswege wurden minutiös überwacht. Die Sowjets wollten von Figl eine Erklärung über die Entnazifizierung des Wirtschaftslebens. Sie verlangten die sofortige Entlassung aller ehemaligen Nationalsozialisten und ließen sich auch nicht beeindrucken, wenn damit argumentiert wurde, dass infolge der geforderten Entlassung aller Lokomotivführer, die einmal Parteimitglieder gewesen waren, nicht einmal mehr die notwendigsten Lebensmitteltransporte durchgeführt werden könnten.502 Da die meisten Lehrerinnen und Lehrer bei »der Partei« gewesen waren, war ihre Entlassung gleichbedeutend mit dem Zusammenbrechen des Schulbetriebs. Man behalf sich mit der Einstellung schon längst pensionierter Lehrkräfte. Was im öffentlichen Dienst möglich war, unterschied sich natürlich von der Privatwirtschaft, wo zwar Berufsverbote verhängt werden konnten, aber keine Entlassungen möglich waren. Tatsächlich war im Wirtschaftsleben ebenso wie im Bereich der Landwirtschaft von Entnazifizierung noch sehr wenig zu spüren. Während sich Österreich Hoffnungen machte, die Besetzung des Landes würde in absehbarer Zeit zu Ende sein, dachten die Alliierten überhaupt nicht daran. Sie wollte das Land so lange besetzt halten, bis sich die politische Situation in Europa geklärt hatte. Und entgegen allen Beteuerungen und allen positiven Signalen waren sie noch keineswegs davon überzeug, dass Österreichs Lebensfähigkeit gesichert wäre und es

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seinen Weg gehen könnte. Da war – so wie es im amerikanischen Besatzungshandbuch klar zum Ausdruck gekommen war – die Erste Republik ein durchaus alarmierendes Beispiel. Österreich sollte überlebensfähig gemacht werden und auch angrenzenden Staaten Stabilität geben. Zudem waren die Besatzungsmächte auch von ihren jeweiligen gesellschaftlichen Systemen überzeugt und wollten sie zumindest in ihren Zonen praktizieren. Was das »Aufräumen« anging, waren sich Amerikaner, Sowjets und österreichische Kommunisten eines Sinns und bildeten eine merkwürdige Koalition. Der Entnazifizierung folgte die Umerziehung. Dabei waren die amerikanischen Besatzungsorgane führend  – und erfolgreich. Briten und Franzosen entwickelten weit weniger Eifer. Für die Sowjets galt überhaupt anderes. Sie rechneten zum damaligen Zeitpunkt offenbar mit einer länger andauernden Besetzung und wollten aktuell Nutzen ziehen. Der Regierung Figl wurde unterstellt, sie hätte zum Ziel, »die Demokratisierung des Landes zu verhindern«, und würde absichtlich versuchen, »eine katastrophale Lage im Land herbeizuführen und diese gegen die alliierte Besatzung und in erster Linie gegen die Rote Armee zu instrumentalisieren.«503 Das waren natürlich Formulierungen, die mit der Realität nichts zu tun hatten und nur dazu dienen sollten, die Fortdauer der Besetzung zu rechtfertigen. Aber auch die Sowjets verschlossen sich nicht der Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen der Besetzung zu ändern und mit den anderen Besatzungsmächten und ohne Wissen der österreichischen Regierung an einer Revision des Besatzungsstatuts zu arbeiten. Dass man etwas tun musste und dass das bisherige Kontrollabkommen kein geeignetes Instrument war, um weiter zu kommen, war ein offenes Geheimnis und wurde auch innerhalb der Alliierten Kommission so gesehen. Wieder waren es die Briten, die sich als Erste daran machten, eine solide Verhandlungsbasis zu schaffen. Wenig später arbeiteten auch Franzosen und Sowjets Entwürfe für ein weiteres Kontrollabkommen aus und tauschten ihre diesbezüglichen Entwürfe aus. Alle drei Entwürfe wurden am 24. Dezember an den Leiter der 3. Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums, Andrej A. Smirnov, zur Stellungnahme geschickt. Bei dieser Gelegenheit versuchte Michail E. Koptelov, der Stellvertretende politische Berater des sowjetischen Militärkommissars in Österreich, Marschall Konev, eine ganze Latte von Verzerrungen zurechtzubiegen, die in den Berichten nach Moskau und nicht zuletzt in den Schreiben der österreichischen Genossen enthalten gewesen waren.504 Da es aber nicht nur darum ging, die Österreichpolitik positiver zu gestalten als in der unmittelbar zurückliegenden Vergangenheit, sondern sich die Alliierten letztlich auch ihre eigene Dienstanweisung zu schreiben hatten, war jegliche Sorgfalt angebracht. Am 28. Juni 1946 lag dem Alliierten Rat ein neues, das 2. Kontrollabkommen, zur Beschlussfassung vor. Und es bedeutete einen Quantensprung. Der Alliierte Rat blieb in seiner Struktur erhalten. Er wurde allerdings begrifflich aufgewertet, und die Militärkommissare erhielten nunmehr den Titel von Hochkommissaren, also etwas,

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das der britischen Kolonialsprache entnommen war. Die alliierte Kontrolle wurde etwas eingeschränkt. Die wirklich substantielle Änderung war aber im Artikel 6 enthalten. Die Alliierten wollten die österreichische Gesetzgebung weitgehend freigeben. Nur Verfassungsgesetze sollten von der vorherigen Zustimmung des Alliierten Rates abhängig sein. Die Laufzeit des Abkommens wurde mit sechs Monaten befristet. Es hätte also nur bis zum Jahresende 1946 gelten sollen. Stattdessen galt das Abkommen bis zum 27. Juli 1955, dem Tag, an dem die letzte Ratifikationsurkunde des Staatsvertrags hinterlegt wurde und die Alliierte Kommission für Österreich ihre Auflösung beschloss. Hand in Hand mit der Ausarbeitung eines neuen Kontrollabkommens bereiteten die Sowjets die Beschlagnahme aller Betriebe und Vermögenschaften vor, die deutschen physischen oder juristischen Personen gehörten und auf die der Begriff »Deutsches Eigentum« angewendet wurde. Sie sollten zum Nutzen der Sowjetunion ausgebeutet werden. Ein diesbezüglicher Befehl des neuen sowjetischen Militär- bzw. Hochkommissars, General Vladimir V. Kurasov, wurde auf den 27. Juni vordatiert und erhielt die Nummer 17. In Österreich wurde das als schwerer Schlag empfunden, während die Lockerung des Besatzungsregimes kaum Beachtung fand. Man versuchte, die Beschlagnahmung durch die rasche Verstaatlichung eines Teils der Grundstoffindustrie zu umgehen. An sich hätte das durchaus den sowjetischen Forderungen entsprochen, den Weg zu einer »sozialistischen« Gesellschaft durch konsequente Verstaatlichungsmaßnahmen zu beschleunigen.505 Da die österreichischen Schritte aber gegen die sowjetischen Interessen gerichtet waren, gab es ein klares »njet«. Und auch als die drei westlichen Alliierten in einer konzertierten Aktion die in ihren Zonen angesiedelten Komplexe »Deutschen Eigentums« treuhändisch Österreich übergaben, zögerten die Sowjets nicht, eine einseitige Maßnahme zu setzen. Der »Befehl Nr. 17« blieb innerhalb der sowjetischen Besatzungszone in Kraft. Die politische Teilung Österreichs war vermieden worden  ; die wirtschaftliche Teilung schien unvermeidlich. Die Leitung des genannten Wirtschaftskomplexes wurde der Verwaltung für Sowjeteigentum im östlichen Österreich (Upravlenije Sovetskim Imuščestvom v Avstrii = USIA) übergeben. Rund 280 Industriebetriebe mit mehr als 50.000 Arbeitern waren davon betroffen, ferner die DonauDampfschifffahrtsgesellschaft DDSG, das im Bau befindliche Donaukraftwerk YbbsPersenbeug, Autobahnbaustellen der Westautobahn, der Großteil der Erdölindustrie und 157.000 Hektar Boden. Am 21. Juli kamen durch eine ergänzende Verfügung noch Konzessionen, Patente und Handelsmarken, Konten und Wertgegenstände hinzu.506 Im Burgenland beschlagnahmten die Sowjets einen Großteil der Esterhazy’schen Liegenschaften, rund 50.000 Hektar Land. In Ungarn, wo das ebenso geschah, lief die Enteignung des fürstlich Esterházy’schen Vermögens unter dem Titel »Feind des ungarischen Volkes«  ; in Österreich unter dem Titel »Kollaboration und Nazi-Verbindungen«. Auch

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in diesem Fall ging es nicht um Umverteilung und ein Geschenk an die Kleinbauern, sondern um sowjetische Interessen und stille Reparationen. Die Amerikaner sahen daraufhin nur mehr eine 50  : 50-Chance, Österreich für den Westen zu retten. Was hier geschah, lief darauf hinaus, den Sowjets Ersatz für die auf der Potsdamer Konferenz im Fall Österreichs nicht zugestandenen Reparationen zu verschaffen. Die Zeit der Demontagen war vorbei. Mit ihrer ständig wiederholten Beteuerung, die Einheitlichkeit Österreichs nicht in Frage stellen zu wollen, blieben die Russen aber ganz auf der seit dem April 1945 eingeschlagenen Linie. Maßnahmen, wie sie in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands gesetzt wurden, unterblieben. Die Teilung in Besatzungszonen war mittlerweile ein eher technisches Problem geworden. Die Sowjets hatten der politischen Vereinheitlichung der österreichischen Zonen keinen Widerstand entgegengesetzt. Ganz im Gegenteil  : Sie hatten sie bis zu den Wahlen gefördert. Daher unterblieben auch Anstrengungen, in der sowjetischen Besatzungszone durchgängig ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Modell kommunistischen Zuschnitts zu verwirklichen. Ganz im Gegenteil war es ja Österreich selbst, das mit der Verstaatlichung von großen Betrieben Schritte setzte, die denen der östlichen Planwirtschaft nicht unähnlich waren. Das konnte in den angrenzenden Staaten Ostmitteleuropas durchaus als Modell verstanden werden. Also hieß es, die ostmitteleuropäischen Staaten abzuschirmen, um dort das sowjetische Modell zu etablieren. Und was Österreich anlangte, sollte aus der Besetzung des Ostteils des Landes möglichst großer Nutzen gezogen werden. Das Wort vom »Eisernen Vorhang« machte die Runde. Das der Theatersprache entlehnte Wort, das auch von Joseph Goebbels gebraucht worden war, schien perfekt auf die österreichische Situation zu passen. Und als am 5. März 1946 der britische Ex-Premier Winston Churchill mit einer Rede an der Universität in Fulton, Missouri, den Begriff Allgemeingut werden ließ und dabei auch Wien als hinter dem Vorhang liegend nannte, weckte er damit keinen Widerspruch. Statt einen ohnedies aussichtslosen Konfrontationskurs zu steuern, tat man in Öster­ reich aber das einzig Richtige  : Man kam den Russen so weit wie möglich entgegen und suchte wenig Angriffsflächen zu bieten. Dabei rückte die Entnazifizierung weit in den Vordergrund. Die Entnazifizierung rangierte aber auch bei den Westmächten ganz weit oben. Also setzte man alles daran, um die Abrechnung mit der NS-Vergangenheit augenfällig werden zu lassen, Denn – so meinte auch der politische Berater des amerikanischen Hochkommissars, John Erhardt – Österreich biete den Russen mit einer nicht rigoros durchgeführten Entnazifizierung zu viele Angriffsflächen.507 Der ersten Kriegsverbrecherliste vom Dezember 1945 waren weitere gefolgt. Mittlerweile waren sechs Volksgerichtshöfe eingerichtet worden, um die schwersten Fälle zu verhandeln. Jede einzelne Gruppe von Belasteten hatte Bußen auf sich zu nehmen, was von einer Strafsteuer über Berufsverbote bis zu Sühnefolgen wie Zwangsarbeit und vermehrtem Verfolgungsdruck der Volksgerichte reichen konnte. 7,5 % der Berufstätigen wurden

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entlassen oder hatten Berufsverbot. Zu ihnen zählten 2.982 Richter und Staatsanwälte, die als besonders belastet galten. Nur um das Gerichtswesen nicht vollständig zusammenbrechen zu lassen, musste man Hunderte im Dienst belassen.508 Im Juli 1946 berichtete Bundeskanzler Figl dem Alliierten Rat, »dass die österreichische Verwaltung nun frei von nationalsozialistischem Geist« sei. Von 299.420 öffentlich Bediensteten waren 70.818 aus dem Dienst entfernt worden.509 Doch von einer vollständigen Entnazifizierung war man tatsächlich noch weit entfernt, und was die Wiedergutmachung anlangte, stand man erst am Anfang. Also wurde die Arbeit an einem Entnazifizierungsgesetz beschleunigt und der österreichische Entwurf im Juli 1946 dem Alliierten Rat zugeleitet. Das Gesetz sollte erst dann in Kraft treten, wenn es die Alliierten gebilligt hatten. Tatsächlich verlangten die Besatzungsmächte nach fast fünfmonatigen Beratungen erhebliche Verschärfungen. Dem wurde entsprochen. Der Nationalrat verabschiedete das Gesetz am 6. Februar 1947. Kritik kam von allen Seiten. Den einen war es zu mild, den anderen zu streng. In der amerikanischen Besatzungszone in Wien und in Oberösterreich waren 25 % der Bevölkerung für eine Generalamnestie gewesen  ; in Salzburg waren es 33 %.510 Am selben Tag, an dem sich der Alliierte Rat über das Nationalsozialistengesetz einigte, ließ der stellvertretende sowjetische Hochkommissar, Generaloberst Aleksej Želtov, mit der Mitteilung aufhorchen, er rechne mit dem Ende der Besetzung Österreichs im Herbst 1947. Želtov war zu dieser Äußerung zwar nicht autorisiert gewesen und sollte deswegen sogar abberufen werden.511 Doch die Äußerung war einmal gemacht worden – und Želtov blieb. Vielleicht war er schon leicht »austrifiziert«. Hintergrund für seine Äußerung war der Umstand, dass Verhandlungen über einen österreichischen Staatsvertrag bevorstanden. Legte man die Erfahrungen mit dem Friedensvertrag von Saint-Germain auf das neue Vertragswerk um, konnte man tatsächlich davon ausgehen, dass die Verhandlungen in drei bis vier Monaten abgeschlossen sein würden. Weit gefehlt  ! Das Schlüsselgebiet Im Januar 1947 begannen Vorgespräche über einen österreichischen Staatsvertrag. Man war darauf vorbereitet. Außenminister Karl Gruber hatte schon am 2.  Februar 1946 dem politischen Berater der Briten in Österreich, William Henry  B. Mack, jenem Mann, der 1938 einen so berührenden Nachruf auf Österreich geschrieben hatte, einen Beamtenentwurf für einen »Vertrag zur Wiederherstellung der Rechtsstellung Österreichs« übergeben. Darin wurde so, wie das seinerzeit Karl Renner in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung versucht hatte, eine verkürzte Formulierung der Moskauer Deklaration verwendet und kein Wort von Mitverantwortung gesagt. Wohl

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aber wurde konsequent aufgelistet, was alles geschehen sollte, um das erste Opfer der typischen Angriffspolitik Hitlers wieder als vollberechtigtes Mitglied in die Staatengemeinschaft zurückzuführen und es für die erlittene Unbill zu entschädigen. Schließlich wurde vorgeschlagen, von Deutschland eine Wiedergutmachung in Höhe von mehr als 34 Milliarden Schilling zu verlangen.512 – So kam man nicht weiter. Wieder schaltete sich Bundespräsident Renner ein und brachte seine eigene Erfahrung und Saint-Germain ins Spiel. So wie damals sollte man sich vorbereiten, meinte das Staatsoberhaupt. Doch die Situation war eine völlig andere und ähnelte in der Vorbereitungsphase nur insofern der Pariser Friedenskonferenz von 1919, als man sich in Wien einer ganzen Reihe von Illusionen hingab. Außenminister Gruber hatte weiter Vorschläge gesammelt, worüber mit den Alliierten verhandelt werden sollte. Prompt bekam er von Ministerien und Bundesländern einen Wunsch- und Maßnahmenkatalog übermittelt, der nach wie vor Wiedergutmachungsforderungen gegenüber Deutschland enthielt, ebenso aber Wünsche nach einer Grenzberichtigungen im Raum Gmünd und freien Zugang zur Adria.513 Nur die Forderung nach Angliederung Südtirols schien nicht mehr auf und war mittlerweile schon obsolet geworden. Franzosen und Sowjets hatten wohl für den Anschluss Südtirols an Österreich plädiert, und auch die Briten hatten das bis Februar 1946 getan. Erst am 4. März 1946 beendete der britische Außenminister Ernest Bevin die Debatte mit der einfachen Feststellung  : Die Österreicher hätten zwar die besseren Argumente als die Italiener, doch ein Verlust Südtirols könnte zur Folge haben, dass Italien kommunistisch würde. Damit hatte sich Bevin die Argumentation der USA zu eigen gemacht. Vornehmlich auf Druck von Briten und Amerikanern hatte sich dann Gruber mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi am 5. September 1946 über ein Abkommen geeinigt, das für Südtirol an Stelle einer Angliederung an Österreich eine Autonomieregelung vorsah. Österreich bekam so etwas wie eine Schutzmachtfunktion zugestanden. Und Italien wollte sich großzügig zeigen. Es erklärte sich auch bereit, Tausende Südtiroler, die als Optanten weggezogen waren, heimkehren zu lassen. Diese Frage sollte folglich nicht mehr Gegenstand von Verhandlungen mit den Alliierten sein. Bundeskanzler, Außenminister, Ländervertreter und Fachleute kamen nach London, um über die Regelung aller Fragen zu sprechen, die Vorbedingung für einen Abzug der Alliierten sein sollte. Wie 1919 wurde das zu erarbeitende Vertragswerk »Staatsvertrag« genannt. Statt aber zu regelrechten Verhandlungen beigezogen zu werden, wurden die Österreicher einem Hearing unterworfen. Ausgehend von der »Mitschuldklausel« der Moskauer Deklaration wurde von den Sowjets die Frage aufgeworfen, ob Österreich tatsächlich jenen Beitrag zu seiner Befreiung geleistet hatte, der dann bei der Endabrechnung berücksichtigt werden konnte. Dabei ging es nicht um die Opfer, sondern um die »Täter«. Wie viele Österreicher hatten in der Deutschen Wehrmacht gedient, wie groß war der Anteil der in Österreich angesiedelten Betriebe an den deutschen

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Kriegsanstrengungen gewesen, welche Partisanenaktionen hatten stattgefunden, welche Sabotageakte wurden gesetzt, kurz, welchen aktiven Beitrag zur Niederwerfung des nationalsozialistischen Regimes und der Deutschen Wehrmacht hatte Österreich erbracht  ? Die Sowjets waren bestens informiert und hatten sich auch von der KPÖ genaue Zahlen liefern lassen. Die Quintessenz der Befragung war denn auch, dass sich Österreich dessen bewusst sein sollte, dass es eine Verantwortung zu tragen hätte. Noch dazu würde in dem Land nichts getan worden sein, um mit dem Nationalsozialismus aufzuräumen. Die sowjetische Regierungszeitung »Izvestija« bezeichnete Österreich denn auch schlicht als »Augiasstall des Faschismus«.514 Es war aber nicht nur die sowjetische Delegation, die den Österreichern manch unangenehme Stunde bescherte. Ziemlich unerwartet musste man zur Kenntnis nehmen, dass auch Vertreter einer ganzen Reihe von Staaten eingeladen worden waren, ihre Haltung gegenüber Österreich klarzulegen und gegebenenfalls Ansprüche anzumelden. Eine jugoslawische Delegation schockierte denn auch mit der Forderung nach der Abtretung der südlichen Landesteile Kärntens und kleinerer steirischer Gebiete. Dabei war wohl nur der Umfang der jugoslawischen Forderungen überraschend, nicht aber die Tatsache an sich. Die war ja wohl schon seit dem Mai 1945 klar gewesen. Jetzt lag das Geforderte auf dem Tisch. Es ging um 2.470 Quadratkilometer mit zirka 180.000 Menschen in Kärnten, zuzüglich 130 Quadratkilometer mit 10.000 Menschen in der Steiermark.515 Hinzu kamen noch Forderungen nach Reparationen in der Höhe von 150 Millionen Dollar und der Wunsch nach einem Sonderstatut für die burgenländischen Kroaten. Die Briten hatten zwar im Mai 1945 die jugoslawischen Truppen aus Kärnten hinausdrängen können, waren sich aber über die Zukunft des südlichen Landesteils offenbar selbst noch nicht ganz im Klaren. Daher wurde auch entlang von Gail und Drau eine Art Demarkationslinie gezogen, an der die Briten die Passanten kontrollierten. Die Frage der Zugehörigkeit Südkärntens und ebenso das Schicksal der dagebliebenen wie der rückgeführten Kärntner Slowenen verdiente aber zweifellos besondere Aufmerksamkeit. Als Ergebnis dieser Londoner Beratungen im Januar und Februar 1947516 erstellten die Alliierten unter Federführung der Briten die Grobgliederung eines Österreichvertrags (»Vertrag zur Wiedererrichtung eines unabhängigen und demokratischen Österreich«). Sie hielten sich mit so feinen Unterscheidungen wie Friedens- oder Staatsvertrag gar nicht auf. Bei der Hälfte der Bestimmungen waren sich aber auch die Alliierten noch uneins. Am 10.  März 1947 begannen in Moskau Beratungen der Außenminister. Österreichs Außenminister Gruber war wohl in die sowjetische Hauptstadt gekommen, doch nicht als Teilnehmer, sondern als eine Art Beobachter. Gruber hätte es gerne gesehen, wenn die Außenminister der Westmächte dem sowjetischen Vorsitzenden,

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Außenminister Vjačeslav Molotov, mehr entgegengekommen wären, doch letztlich musste er sich bescheiden, was ihm im Fall der von den Sowjets unterstützten, von den Westmächten aber zurückgewiesenen jugoslawischen Gebietsforderungen nicht schwer fiel. Den Westalliierten widerstrebte es auch, den Österreichvertrag um den Preis der totalen Überlassung des Deutschen Eigentums an die Sowjetunion zu erkaufen. Das hätte einerseits westliche Firmeninteressen geschädigt und zum anderen, nach Ansicht der Angloamerikaner, nur zu leicht ein mächtiges Vehikel zur politischen Steuerung werden können. Und dagegen trat vor allem der neue amerikanische Außenminister, George C. Marshall, auf. Aber auch dem britischen Außenminister Ernest Bevin und dem französischen Außenminister Georges Bidault war es nicht darum gegangen, eine Einigung um jeden Preis zu erzielen. Sie sahen im Abbruch der Verhandlungen ein »erfolgreiches Scheitern«.517 Österreich wurde Teil der Eindämmungspolitik. Noch während der Moskauer Außenministerkonferenz war es in mehreren niederösterreichischen Städten zu Massendemonstrationen gekommen, bei denen Parolen auf Transparenten mitgeführt wurden und skandiert wurde  : »Weg mit der Hungerregierung Figl  !« »Wir fordern Neuwahlen  !« und »Wir haben Hunger  !«.518 Es wurden Hofbegehungen verlangt, um bei den Bauern zurückgehaltene Nahrungsmittelmengen aufzustöbern. Weitere Demonstrationen folgten. Natürlich war das »Begleitmusik« zur ersten Runde der Staatsvertragsverhandlungen. Doch sie hatte einen konkreten Hintergrund. Die österreichische Ernährungssituation wurde mit der (west)deutschen verglichen und festgestellt, dass es mittlerweile Österreich im Durchschnitt schlechter ging. Dabei litten Österreicher wie Deutsche gleichermaßen an den Kriegsfolgen, am Mangel an Arbeitskräften und war absehbar, dass die Ernte nur rund die Hälfte der erforderlichen Mengen erbringen würde.519 Es fehlte aber nicht nur an Nahrungsmitteln. Im Winter hatte eine Kohlen- und Rohstoffkrise zur Folge gehabt, dass viele Betriebe ihre Produktion einstellen mussten. Der einzige 1946 angeblasene Hochofen musste wieder gelöscht werden. Da Österreich nichts zu bieten hatte, kam auch der Tauschverkehr zum Erliegen. Weder aus dem Ruhrgebiet, noch aus der Tschechoslowakei oder Polen war Kohle zu bekommen. Die Kommunisten variierten ihre Vorwürfe an die Regierung und vermuteten hinter den zahlreichen Krisen die Absicht, Österreich besonders arm dastehen zu lassen, damit es bei der Regelung der materiellen Bestimmungen des Staatsvertrags »billiger« davonkäme.520 Was immer man von dergleichen Anschuldigungen hielt  : Klar war, dass man in Österreich auf eine Katastrophe zusteuerte. Die SPÖ geriet unter starken Druck ihres eigenen linken Flügels, der einen Schwenk der Politik in Richtung Sowjetunion befürwortete.521 Daraufhin begann sich Vizekanzler Schärf bei den Amerikanern rückzuversichern und signalisierte damit, dass die Mehrheit der Sozialisten nicht die Politik ihres linken Flügels um den Zentralsekretär Erwin Scharf und die Abgeordnete Hilde Krones mitmachen wollte.522

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Die nächste Etappe der innenpolitischen Verwerfungen wurde bei einer am 5. Mai von Kommunisten geführten Demonstration vor dem Bundeskanzleramt deutlich. Bei ihr waren dieselben Parolen zu sehen, die schon im März gezeigt worden waren. Über ein Baugerüst drangen Demonstranten in das Innere des Bundeskanzleramts ein. Das Gespenst des 25. Juli 1934 ging um. Leopold Figl forderte beim Wiener Polizeipräsidenten, Arthur Klauser, Unterstützung an. Der konnte nicht helfen und verständigte die Wiener Interalliierte Kommandantur. Die aber wollte sich nicht in die Auseinandersetzungen hineinziehen lassen. Die »Vier im Jeep« blieben wohlweislich fern. Die Lage beruhigte sich. Doch es gärte weiter, und während in der ÖVP wie in der SPÖ Spaltungstendenzen sichtbar wurden, schickten sich die Kommunisten an, die Spaltung voranzutreiben und auszunützen. Ernst Fischer, der ehemalige Staatssekretär für Unterricht und Volkserziehung und intellektuelles Aushängeschild der KPÖ, begann mit Politikern der beiden großen Parteien, vor allem mit Bundeskanzler Figl Gespräche über eine stärkere Beteiligung der Kommunisten an der Regierung zu führen. Schließlich stand auch ein Rücktritt Figls im Raum. Der Versuch, die Koalition von ÖVP und SPÖ zu sprengen, misslang jedoch. Der Kanzler wurde nicht zuletzt von der SPÖ gehalten, deren Parteivorsitzender und Vizekanzler Adolf Schärf ein klares Bekenntnis zur Zusammenarbeit abgab. Es hatte also nicht einmal drei Monate gebraucht, um Österreichs Hoffnungen auf ein Ende der alliierten Besetzung zunichte zu machen und obendrein eine schwere innenpolitische Krise herauf zu beschwören. Von stabilen Verhältnissen konnte keine Rede sein. Jetzt waren aber auch die Besatzungsmächte gefordert, und es bedurfte etlicher strategischer Entscheidungen. Da mittlerweile die USA die Briten als Wortführer der westlichen Politik abgelöst hatten, lag es nahe, die Beurteilung der Situation dem höchsten militärischen Gremium der USA, den Vereinigten Stabschefs ( JCS), zu übertragen. Die Stabschefs taten wie gefordert und formulierten die von den USA in Österreich zu verfolgenden Ziele auf eine unmissverständliche Weise.523 Sie bezeichneten das Land als von höchstem politischem und militärischem Interesse. Die USA, so hieß es, »könnten es sich nicht erlauben, dieses Schlüsselgebiet unter ausschließlichen sowjetischen Einfluss fallen zu lassen.« Denn würde das geschehen, käme es »nicht nur zu einer Konsolidierung der sowjetischen Herrschaft im Donauraum und auf dem Balkan, sondern auch zu einer Schwächung der [amerikanischen] Stellung in Italien, Deutschland und der Tschechoslowakei [!].« Die Regierung der USA sollte daher fortfahren, jede österreichische Regierung zu unterstützen, die eine unabhängige und neutrale Ausrichtung des Landes voraussehen lasse. Eine Möglichkeit dazu sah der politische Berater des amerikanischen Hochkommissars, John Erhardt, darin, von Österreich keine Besatzungskosten mehr zu fordern. Er wies zwar darauf hin, dass man dabei nicht nur die Sowjets im Auge behalten sollte, sondern auch Briten und Franzosen. Es wäre aber unabdingbar, Österreich nach dem Scheitern der Staatsvertragsver-

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handlungen ein positives Signal zu geben.524 Am 28. Mai gab das State Department grünes Licht und autorisierte den amerikanischen Hochkommissar, General Geoffrey Keyes, künftig auf Besatzungsgelder aus dem österreichischen Budget zu verzichten und die von Österreich zu erbringenden Leistungen für die Stationierung von USTruppen bezahlen zu lassen. Es sollten auch sämtliche zwischen 1945 und dem 30. Juni 1947 geleisteten Zahlungen refundiert werden, insgesamt rund 308 Millionen Schilling. Zeitgleich bewilligte der amerikanische Kongress am 7. Mai 1947 ein Auslandshilfeprogramm in Höhe von 350 Millionen Dollar. Österreich sollte davon 85 Millionen bekommen. Am Beginn der Planung für diese Kongresshilfe war daran gedacht gewesen, die Hilfe China, Italien, Griechenland, Polen, Ungarn und Österreich zukommen zu lassen. Nach einer stufenweisen Anpassung der Planung und unter Einrechnung der politischen Veränderungen in diesen Ländern bekamen einige mehr, andere – wie Ungarn und Polen – nichts. Amerikaner und Briten nannten aber auch konkrete Bedingungen für weitere Hilfsmaßnahmen und forderten eine Währungsreform. Eine stabile Währung sollte auch die Bedingung für Österreichs Teilnahme am nächsten großen Hilfsprogramm sein, dem Marshallplan.525 Am 5. Juni 1947 umriss der amerikanische Außenminister George C. Marshall seine Vorstellungen, wie den vom Weltkrieg gezeichneten Ländern die wirtschaftliche Erholung gelingen sollte. Sein Angebot ging dahin, dass die USA und andere Geberländer ein Europäisches Wiederaufbauprogramm auf die Beine stellen wollten, von dem alle europäischen Länder mit Ausnahme des halb-diktatorisch regierten Spanien, also auch die neutralen Länder Schweiz und Schweden profitieren sollten. Der sogenannte Marshallplan sollte auch der Sowjetunion und den Staaten ihres Einflussbereichs zugutekommen. Doch Moskau lehnte – nicht ganz überraschend – den geforderten Kontrollmechanismus ab und zwang auch die Staaten Ostmitteleuropas zum Verzicht. Es verblieben sechzehn Empfängerländer. Österreich war eines von ihnen  – und sollte überproportional profitieren. Immer vorausgesetzt, es stimmte dem Angebot, sich helfen zu lassen, zu. Der diesbezügliche Ministerratsbeschluss kam am 28. Juni 1947 zustande  ; auch der einzige kommunistische Minister in der Regierung, Energieminister Karl Altmann, stimmte für den Marshallplan.526 Erst im Zusammenhang mit den von den USA geforderten währungspolitischen Maßnahmen meinte Altmann, den Kurs der Regierung nicht mehr mittragen zu können und schied am 20.  November 1947 aus der Regierung aus.527 Sollten Altmann und die KPÖ gehofft haben, der Rücktritt des kommunistischen Ministers würde eine Regierungskrise auslösen und zu Neuwahlen führen, hatten sie sich getäuscht. Von nun an war die Regierung auf die eigentliche Große Koalition reduziert. Das konnte man als bedauerliches Ende des ersten großen Nachkriegskompromisses sehen, oder aber positiv, da notwendige Einigungen voraussichtlich schneller zu erreichen sein

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würden. Zudem hatte es den durchaus berechtigten Verdacht gegeben, der kommunistische Minister würde Interna der Regierungsarbeit den Sowjets weitererzählen. Jetzt war man unter sich. Das Risiko des Ausscheidens von Minister Altmann bestand aber darin, dass die Sowjets ihre Interessen in Österreich nicht mehr ausreichend berücksichtigt sahen und womöglich auf einen Bruch der alliierten Vereinbarungen hinarbeiteten. 1948 sollte ein Epochenjahr werden. Teilungsgerüchte Die Neujahrsansprachen waren gehalten, die (wenigen) Empfänge gegeben. Es lag keine regelrechte Unruhe in der Luft, wohl aber waren Gereiztheit und Anspannung zu spüren. Das politische Umfeld veränderte sich in teilweise dramatischer Weise. In Ungarn hatten die Kommunisten die Macht übernommen hatten. Im September 1947 schlossen sich die kommunistischen Parteien des sowjetischen Blocks mit denen Italiens und Frankreichs zum Kommunistischen Informationsbüro (Kominform) zusammen. Die österreichischen Kommunisten suchten eine gemeinsame Antwort auf die amerikanische Eindämmungspolitik und vor allem auf den Marshallplan. Der war wohl paktiert und sollte auch in der sowjetischen Besatzungszone Wirkung zeigen. Noch aber lebte man von der Hand in den Mund. Die Not grassierte, vor allem im Osten des Landes. Nichts deutete darauf hin, dass es zu einer raschen Beendigung der alliierten Besetzung kommen könnte. Zu regelrechter Gereiztheit trug auch bei, dass 1948 die Bestrafungsmaßnahmen bei 530.535 ehemaligen Nationalsozialisten voll zum Tragen kommen sollten und man sich aus der so bequemen Opferrolle gedrängt sah. Die ohnedies nur ansatzweise vorhanden gewesene Zuversicht war geschwunden. Pessimismus breitete sich aus. Dabei hätte es durchaus Grund zur Freude gegeben. Die Sowjetunion hatte mit dem Heimtransport der Österreicher unter den Kriegsgefangenen der Deutschen Wehrmacht begonnen. 53.000 von ursprünglich 134.000 Männern528 waren heimgekehrt. Noch einmal so viele warteten freilich auf ihre Rückkehr. Doch auch den meisten von ihnen war die Heimkehr in Aussicht gestellt worden. Mit dem Anlaufen des Marshallplans sollte endlich auch der Wiederaufbau sehr viel effektiver begonnen werden, als es bis dahin der Fall war. Die Funktionsmechanismen des offiziell »European Recovery Program« (ERP) genannten Projekts waren recht simpel  : Geberländer, vor allem die USA, lieferten Waren, die in den Empfängerländern verkauft wurden. Die Erträge wurden dazu verwendet, Kredite zu besonders günstigen Bedingungen zu vergeben. Mit der Rückzahlung dieser ERP-Kredite (Counterpart-Mittel) füllten sich die Konten wieder auf. Amerikanische Kontrollorgane sollten Missbrauch und Unterschlagungen verhindern. Gewisse »Schwundmengen« waren einkalkuliert.

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Die Sowjets hatten die Teilnahme Österreichs am ERP-Programm nicht wie im Fall ihrer Satelliten untersagt. Sie waren nicht begeistert und ließen es nicht an Ermahnungen fehlen, doch sie taten nichts. Die Regierung war sich freilich bewusst, dass Österreich auch bei der Annahme amerikanischer Hilfe vorsichtig bleiben musste, denn die Russen hatten es in der Hand, die Staatsvertragsverhandlungen abzubrechen, ehe sie noch richtig begonnen hatten. Andererseits waren die Amerikaner die Einzigen, die effektiv Hilfe geben konnten, auch wenn sie sich mit ihren Hilfsprogrammen einen beträchtlichen Einfluss auf die Volkswirtschaften der Empfängerländer sicherten. Daher hatte es auch in der Instruktion für die österreichische Delegation bei der Marshallplankonferenz in Paris im Juli 1947 geheißen  : »… in kritischen Situationen sich der Stimme enthalten. Auf sanften Pfoten gehen, sich bewusst sein, dass das ganze ohnedies für uns mit großem Risiko verbunden ist, aber sich bietende Chancen ergreifen«.529 Das wurde getreulich befolgt. Die Sowjets antworteten auch nicht mit einem eigenen Wirtschaftsprogramm, sondern mit verstärkter Propaganda. Letztlich mussten auch sie zufrieden sein, dass sich Österreich mit amerikanischer Hilfe wirtschaftlich rasch erholte. Denn die Sowjetunion wollte sich das Ende der Besetzung Österreichs ja teuer bezahlen lassen. Da sich die Russen im April 1947 nicht nur bereit erklärt hatten, über den Staatsvertrag weiter zu verhandeln und auch einem vom stellvertretenden französischen Hochkommissar, General Paul Cherrière, unterbreiteten Vorschlag zugestimmt hatten, sich das Deutsche Eigentum finanziell ablösen zu lassen, lag einmal ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch. Und auch eine Summe war genannt worden  : 200 Millionen Dollar. Österreich bot 100 Millionen. Man konnte sich in bewährter Manier in der Mitte treffen. Eine Lösung zeichnete sich ab, und damit das Ende der Besetzung. Anfang 1948 spulte der amerikanische Hochkommissar, General Keyes, die Tagesordnung bei den Sitzungen des Alliierten Rats wie gewohnt ab. Dann, im Februar, übernahm der britische Hochkommissar, Generalleutnant Sir Alexander Galloway, den Vorsitz. Alles schien Routine zu sein, obwohl die Gerüchteküche brodelte und auch die Wahrnehmungen der Alliierten nicht unterschiedlicher hätten sein können. Seit Jahresbeginn wurde über die Möglichkeit gesprochen, Österreich könnte eine Teilung drohen. Vor- und Nachteile einer Teilung wurden abzuwägen gesucht und lediglich am Rande auch gefragt, warum Österreich plötzlich Gefahr laufen sollte zu zerfallen. Interessanterweise zeigten sich vor allem die Sowjets besorgt. Der einflussreiche Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Andrej A. Ždanov, zitierte daraufhin die Spitze der österreichischen Kommunisten, den Vorsitzenden Johann Koplenig und den Zentralsekretär Friedl Fürnberg, nach Moskau und verlangte von ihnen, den Teilungsgerüchten entgegenzutreten. Der Kampf der KPÖ sollte auf die Unabhängigkeit und Souveränität Österreichs gerichtet sein sowie auf »die Entfesselung der inneren nationaldemokratischen Kräfte«. Alles andere

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würde in einer »Sackgasse« und in »Perspektivlosigkeit« münden. Außerdem würde das Bestreben der Sowjetunion dahin gerichtet sein, ihre Truppen zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus Österreich abzuziehen. Ždanov bekräftigte noch, dass die Sowjetunion entschlossen sei, den österreichischen Staatsvertrag so rasch wie möglich und zu den für die Sowjetunion besten Bedingungen abzuschließen.530 Damit mussten sich die österreichischen Kommunisten wohl bescheiden, auch wenn sie mit der von Ždanov vorgegebenen Richtung nicht einverstanden waren. Sie gehorchten. Aber natürlich hätte eine Teilung Österreichs fast automatisch eine kommunistische Vorherrschaft im Ostteil des Landes nach sich gezogen. Da dachten die österreichischen Kommunisten nicht unähnlich einigen westösterreichischen Landespolitikern, vor allem dem Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl, die sich durchaus eine Teilung vorstellen konnten. Rehrl, der sich in dem von ihm regierten Bundesland keiner besonderen Sympathien erfreute, glaubte vielleicht, Salzburg als Hauptstadt Westösterreichs anbieten zu können und damit einen persönlichen Prestigegewinn zu erzielen. Er nährte die Teilungsgerüchte. Seine wie die Gedankengänge der kommunistischen Führung wurden aber erst vor dem Hintergrund einer sich weiter dramatisch verändernden Situation in anderen europäischen Ländern verständlich. Im Februar 1948 kam es in der Tschechoslowakei zu einem Staatsstreich. Ein erstes Anzeichen hatte es schon gegeben, als die slowakischen Kommunisten im Herbst den »Rat der Beauftragten« in Bratislava übernahmen. Tausende Gegner des neuen Regimes versuchten nach Österreich zu fliehen. Dann, Monate später, hatte Staatspräsident Edvard Beneš nach heftigen Demonstrationen und der Drohung mit einem Einmarsch sowjetischer Truppen der Bildung einer von Kommunisten geführten Regierung zugestimmt. Damit war nach Ungarn, das seit September 1947 von Kommunisten dominiert wurde, ein zweiter Anrainerstaat Österreichs fest im sowjetischen Machtbereich verankert worden. Im April 1948 erfuhren die Teilungsgerüchte noch eine Steigerung. Nach dem Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands zur »Trizone« und einer Währungsreform, die auch in Deutschland Voraussetzung für Marshallplanhilfe sein sollte, antworteten die Sowjets mit der Abschottung ihrer Besatzungszone im Osten Deutschlands und blockierten die Zufahrten nach Berlin. Flugs machte das Gerücht die Runde, es würde auch eine Wien-Blockade bevorstehen.531 Die westlichen Alliierten bereiteten sich darauf vor. Die Franzosen planten die Evakuierung der wichtigsten österreichischen Persönlichkeiten  ; die Briten legten in der Nähe von Schönbrunn einen Feldflugplatz an und befüllten die Depots in ihrer Zone in Wien mit Getreidevorräten  ; die Amerikaner schufen nahe dem Donaukanal einen weiteren Feldflugplatz und bereiteten sich auf eine Zernierung der Stadt vor. Doch niemandem konnte ein plausibler Grund einfallen, warum sich Österreich zurückentwickeln und den Vorsprung an Staatlichkeit einbüßen sollte, den es seit 1945

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gewonnen hatte. Es blieb denn auch beim Gerücht – und bei den vorbereiteten Gegenmaßnahmen. Tatsächlich gab es bei den Staatsvertragsverhandlungen einen nennenswerten Fortschritt. Das Prinzip der finanziellen Ablöse des Deutschen Eigentums und auch die Ablösesumme von 150 Millionen Dollar fanden Zustimmung, und auch anderes konnte abgehakt werden. Allerdings – und sehr zur Erleichterung von Amerikanern, Briten und Franzosen – wollten die Sowjets von ihrer Unterstützung für die Gebietsforderungen Jugoslawiens nicht abrücken, und das, obwohl es mittlerweile zum Bruch zwischen Stalin und dem jugoslawischen Staatschef Marschall Tito gekommen war. Daraufhin gab es bei der jährlichen Außenministerkonferenz wieder keine Einigung über den Österreichvertrag. Im Juni 1948 lud der sowjetische Hochkommissar, General Kurasov, seinen amerikanischen Kollegen, General Keyes, zu einem Gespräch unter vier Augen ein und plädierte dafür, die Spannungen zu reduzieren.532 Im Alliierten Rat sprach man wieder über Entnazifizierung, Besatzungskosten, Erleichterungen für den Post- und Telegrafenverkehr, die Ausweisung von Kriegsverbrechern, Zensurmaßnahmen und antisowjetischer Propaganda, also gewissermaßen von Alltäglichem.533 Mehr noch  : Die Sowjets machten Konzessionen, brachten von sich aus im Alliierten Rat einen Initiativantrag ein, der eine Amnestie für 487.000 minderbelastete Nationalsozialisten vorsah, und gaben ihr Einverständnis zu erkennen, dass Österreich in absehbarer Zeit seine Wiederbewaffnung in die Wege leitete. Zumindest nachträglich konnte man das Gefühl bekommen, der sogenannte Kalte Krieg würde anderswo geführt werden und Österreich das berühmte Auge im Hurrikan sein – was bis zu einem gewissen Grad der Fall war. Österreich war Opfer und gleichzeitig Nutznießer des Kalten Kriegs und der von ihm ausgehenden »brutalen Form der Stabilität«.534 Da es Österreich 1948 möglich war, dem Marshallplan beizutreten und die amerikanische Hilfe für einen raschen Wiederaufbau zu verwenden, kam es auch zu einer Art Entkoppelung in Mitteleuropa, da Österreich gegenüber jenen Ländern, die von der Sowjetunion daran gehindert worden waren, dem Marshallplan beizutreten, wirtschaftlich einen zunehmend großen Vorsprung erlangte. Allerdings gab es auch innerhalb Österreichs ein West-Ost-Gefälle, denn in Ostösterreich, in der sowjetischen Besatzungszone, erreichte die Marshallplanhilfe nur jene Betriebe, die nicht von den Sowjets unter dem Titel »Deutsches Eigentum« beschlagnahmt worden waren. Diese wirtschaftlichen Enklaven bekamen keine amerikanische Investitionshilfe und schlitterten in die Krise. Am Schluss standen wieder recht einfach zu lesende statistische Daten  : Österreich erhielt von allen Empfängerländern der ERP-Hilfe pro Kopf der Bevölkerung nach Norwegen am meisten, und das geschenkt. Die deutschen Westzonen erhielt ein Zehntel dessen, was Österreich bekam. Die Unterschiede innerhalb Österreichs waren nicht

Die »vierte Partei«

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minder auffällig  : Oberösterreich und Salzburg bekamen 44 % der ERP-Kredite  ; Wien, Niederösterreich und das Burgenland 16,5 %.535 Der Marshallplan trug daher ganz wesentlich dazu bei, dass man vom »goldenen Westen« sprach und damit nicht Kalifornien meinte. Die »vierte Partei« Die Russen waren es, die als Erste im Alliierten Rat für eine Amnestierung der »Minderbelasteten« eingetreten waren. Das mochte merkwürdig erscheinen, hatte aber auch seine innere Logik. Seit 1945 waren immer wieder Gruppierungen aufgetreten, die mit dem Kurs der Regierung unzufrieden waren. Doch sie hatten keine Chance, als Parteien zugelassen zu werden.536 Dank der von allen vier Besatzungsmächten nach und nach signalisierten Zustimmung zur Zulassung neuer Parteien, schien ein Damm zu brechen. ÖVP und SPÖ verabschiedeten ein Gesetz, wonach politische Gruppen bei der Vorlage von hundert Unterschriften von Wahlberechtigten als wahlwerbend zugelassen werden sollten. Dieses Gesetz hatte ausnahmsweise eine Verfassungsklausel, um schon von weitem deutlich zu machen, dass man an einer einstimmigen Entschließung des Alliierten Rates interessiert war. Kurz darauf erfolgten schon die ersten Anmeldungen für Parteigründungen. Die Besatzungsmächte waren uneins. Die Amerikaner waren gegen die Zulassung neuer Parteien  ; die Briten ließen sich von dem Argument der österreichischen Sozialisten überzeugen, dass die Parteienlandschaft unausgeglichen sei. Es gäbe wohl zwei Linksparteien, doch nur eine »rechte« Partei. Das Argument war zwar leicht zu durchschauen, da eine weitere Partei im rechten Spektrum auf Kosten der ÖVP gehen musste. Doch so einfach war es wiederum auch nicht, denn die Rückkehr der meisten Kriegsgefangenen und die Wiederzulassung von 487.000 amnestierten Nationalsozialisten schloss doch einige Unwägbarkeiten ein. Die Sozialisten konnten sich aber jedenfalls zugutehalten, dass sie die Reintegration der ehemaligen Nationalsozialisten förderten. Für die Franzosen war die Zulassung weiterer Parteien kein großer Diskussionspunkt. Zur Verwirrung trug jedoch bei, dass sich die Russen als vehemente Befürworter einer neuen (Rechts)Partei entpuppten. Auch der neue sowjetische Hochkommissar, Generalleutnant Vadim P. Sviridov, trat nicht nur für die Amnestierung von Nationalsozialisten ein, sondern auch für die Zulassung von Kleinparteien. Gleichzeitig behielten die Sowjets ihre Praxis bei, immer wieder auf die zu geringe Entnazifizierung und auf das angebliche Wiederaufleben des Nationalsozialismus in Österreich hinzuweisen. Das war eine Art Doppelstrategie, die letztlich auf die Schwächung der Parteien der Großen Koalition hinauslief. Ob die Rechnung aufgehen würde, war fraglich.

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Das Hauptinteresse in diesem Poker konzentrierte sich auf eine Gruppe in Salzburg, die von Herbert Kraus und Viktor Reimann geführt wurde. Kraus, seiner eigenen Überzeugung nach lupenreiner Monarchist,537 stellte am 4. Februar 1949 die Gruppierung »Verband der Unabhängigen« (VdU) vor. Sie wollte das liberale und (gemäßigt) deutschnationale Erbe antreten und vor allem eines  : Die große Gruppe der sogenannten »minderbelasteten« Nationalsozialisten entkriminalisieren. Der Verband fand prominente Unterstützer, unter anderem den Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher, also jenen Kirchenfürsten, der gegen die Euthanasie und gegen die Aussiedlung der Kärntner Slowenen aufgetreten war. Das machte ihn fast unangreifbar. Doch ebenso hatte der Salzburger Erzbischof vielen ehemaligen Nationalsozialisten das Gefühl gegeben, zu Unrecht verfolgt zu werden und Opfer des neuen Staats zu sein. Als schon alles neu geordnet schien, sorgte plötzlich der Präsident der Bundeswirtschaftskammer, Julius Raab, für Verwirrung. Er brachte einen der prominentesten Unterstützer des Verbands der Unabhängigen, den Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, Gustav Canaval, dazu, gegen die Neugründung zu schreiben. Canaval machte sich die Argumentation Raabs zu eigen, wonach eine vierte Partei »mit der Schwächung der bestehenden staatstragenden Gruppen verbunden« wäre, und man auch nicht vergessen dürfe, dass die Kommunisten nur darauf lauerten, die Macht im Staat zu übernehmen. Canaval konnte das Antreten des VdU bei der nächsten Nationalratswahl aber nicht mehr verhindern. Der Alliierte Rat teilte Bundeskanzler Figl die Zustimmung zum Wahlgesetz mit. Es durfte also auch weitere Parteien und solche des »rechten« Lagers geben. Mittlerweile begingen die Alliierten die 100. Sitzung des Alliierten Rats. Der britische Hochkommissar, General Sir John Winterton, der im Juni den Vorsitz ausübte, meinte zwar, man hätte durchaus keinen Anlass, etwas zu feiern. Er stellte aber unter Zustimmung der anderen Hochkommissare fest, dass gute Arbeit geleistet worden war. An diesem 10. Juni standen die Tagesordnungspunkte 1024 bis 1031 der seit 1945 fortlaufenden Zählung zur Debatte. In der Regel war in Abständen von zwei Wochen verhandelt worden. Dazu kamen noch einige Sondersitzungen, die gezählt, und einige Sitzungen hinter verschlossener Tür, die nicht gezählt worden waren und in denen es meist um die Besatzungskosten gegangen war. Das Exekutivkomitee war noch eifriger gewesen. Es hielt am 2. Juni 1949 sein 139. Treffen ab und hatte einschließlich dieser Sitzung 1.793 Tagesordnungspunkte erledigt. Man konnte also nicht sagen, dass es sich die alliierten Gremien leicht gemacht hätten. Doch ebenso ließ sich sagen, dass sich die Alliierte Kommission für Österreich überlebt hatte. Die Besatzungsmächte waren jede aus einem anderen Grund mit dem Erreichten unzufrieden. Und sie fühlten sich überfordert. Das ließ sich an Details ablesen. Man konnte einfach nicht alles überwachen und erhielt mit einem gewaltigen Aufwand Kontrollorgane am Leben, die schon längst unnötig geworden waren. Die Amerika-

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ner hatten schon im Oktober 1947 resignierend aufgelistet, dass innerhalb von zwei Wochen 858.887 Briefe geöffnet, 27.365 Telefongespräche abgehört und 10.000 geheimdienstliche Berichte analysiert worden waren. Die daraus gewonnen Erkenntnisse wären letztlich bedeutungslos gewesen.538 Wozu also das Ganze  ? Gleichzeitig hielten alle Besatzungsmächte an ihrer schon Jahre zuvor fixierten Grundeinstellung fest  : Man wollte Österreich nicht den anderen überlassen. Das war nicht zuletzt eine Sorge der Amerikaner, die nur schwer von ihrer bereits 1946 getroffenen pessimistischen Annahme abrückten, dass es die Sowjets in der Hand hätten, Österreich, Deutschland und Italien innerhalb von sechs Monaten militärisch zu überrennen. Also brauchte es eine staatsvertragliche Regelung, die alle Eventualitäten ausschloss. Zumindest auf absehbare Zeit. Im Frühjahr 1949 einigten sich die alliierten Außenminister darauf, bis zum 1. September des Jahres einen unterschriftsreifen Österreichvertrag vorliegen zu haben. Die Politiker der Regierungsparteien schienen darüber aber nicht recht froh zu werden, denn die Belastungen, die langfristig übernommen werden sollten, um die sowjetischen Wünsche zu befriedigen, waren erheblich. Auch sicherheitspolitische Bedenken gab es. Doch sie wurden meist mit dem Hinweis abgetan, dass sich ein von Besatzungstruppen geräumtes Österreich über kurz oder lang der im April 1949 gegründeten NATO anschließen würde. Und die materiellen Leistungen wollte man nicht zuletzt mit amerikanischer Hilfe erbringen. Hauptsache die Besetzung Österreichs endete. Mit Blick auf die Zeit »danach« sah man daher mit besonderem Interesse auf die Entwicklung der österreichischen Innenpolitik. Die Zulassung von acht neuen Parteien und vor allem das Antreten des Verbands der Unabhängigen, die im Oktober 1949 als »Wahlverband der Unabhängigen« (WdU) bei den Nationalratswahlen antraten, sollte die Große Koalition in Frage stellen. Tatsächlich zeigte sich dann, dass die »Vierte Partei« den beiden Parteien der Großen Koalition Hunderttausende Stimmen und 14 Mandate wegnahm. Theoretisch hätten ÖVP wie SPÖ eine Kleine Koalition bilden können. Doch es dachte wohl niemand daran, die gewisse Sicherheit aufzugeben und den Alliierten womöglich geschwächt gegenüber zu treten. ÖVP und SPÖ hatten sich schon vor den Wahlen mehr oder weniger verbindlich darauf geeinigt, bis zum Ende der Besetzung beisammen zu bleiben. Der große Streik Entgegen dem, was sich die Außenminister der Besatzungsmächte zugesichert hatten, lag am 1. September 1949 kein unterschriftsreifer Staatsvertrag vor. Im Alliierten Rat gab es auch nichts, was als Abschiedsstimmung hätte gewertet werden können. Und tatsächlich verstrich Monat für Monat, bis man sich schließlich Anfang 1950 sagen

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musste, dass die Bemühungen um ein Zustandekommen des Vertrags abermals gescheitert waren. Es war denn auch nur ein schwacher Trost, dass die Westmächte an die Stelle der militärischen Hochkommissare Diplomaten setzen wollten. Die Sowjets hatten keinen Einwand dagegen, beließen es aber bei den militärischen Repräsentanten. Dennoch ging eine Ära zu Ende. Die Gründe für das jähe Aus für die Staatsvertragsverhandlungen waren wohl vielfältig. In erster Linie waren es aber Verschiebungen im globalen Machtgefüge, die sich auch auf Österreich auswirkten. Deutschland war  – wie es schien  – endgültig zerbrochen. Im Westen gab es seit dem 24. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland (BRD)  ; im Osten seit dem 7. Oktober die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Die sowjetischen Bemühungen, die Einheit Deutschlands zu erreichen, waren gescheitert. Der Bruch Stalins mit Tito ließ die Sowjets zögern, ihre Truppen aus Ungarn abzuziehen, was sie nach Gültigwerden des Österreichvertrags eigentlich tun mussten. Die Russen verzögerten, verhandelten über Nebensächlichkeiten, gingen ans »Erbsen­ zählen« und gebrauchten schließlich nur mehr Vorwände, vor allem die Zunahme neonazistischer Äußerungen und Publikationen in Österreich, um nicht abschließen zu müssen. Dazu kamen Veränderungen ganz anderer Art. In der Sowjetunion wuchs die Kriegshysterie. Am 12.  Januar 1950 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjets die Wiedereinführung der 1947 abgeschafften Todesstrafe. Antisowjetische Spionage, Terror und Landesverrat sollten mit Tod durch Erschießen geahndet werden. In der Folge wurden auch in Österreich mindestens 90 Männer und Frauen von einem Militärgericht in Baden bei Wien verurteilt, nach Moskau gebracht und hingerichtet.539 Die Spionenfurcht grassierte. Und die Nervosität stieg. Im Juni 1950 überfielen nordkoreanische Streitkräfte den Süden. Der Koreakrieg nahm seinen Anfang, von dem der Harvard Student Henry Kissinger wie so viele glaubte, es wäre ein Ablenkungsangriff der Kommunisten. Der eigentliche große Krieg würde in Europa stattfinden. Plötzlich grassierte die Angst vor einem Weltkrieg, in den die Sowjetunion ebenso wie die USA und vor allem das 1949 kommunistisch gewordene China involviert sein würden. In Vietnam war Frankreich in einen blutigen Guerillakrieg verwickelt, der eine halbe Million französische Soldaten band. Großbritannien zog sich mehr und mehr auf das britische Mutterland zurück und durchlebte schwerste innenpolitische Krisen. Europa war geteilt  ; die Welt war geteilt. Und Österreich  ? Es war Teil der Teilung, und man musste sich wie schon 1948 fragen, warum es von Kriegen und Spannungen nicht unmittelbarer betroffen sein sollte. Österreich machte Konzessionen. Den Sowjets wurde eine weitestgehende Erfüllung ihrer materiellen Forderungen zugesagt, und als sie auch ihre Lebensmittellieferungen nach Österreich von Mai bis September 1945 mit vier Millionen Dollar in Rechnung stellten, wurde zwar gemurrt, doch gleichermaßen Zahlungsbereitschaft signalisiert. Man wollte die Russen draußen haben. Die USA gingen einen anderen

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Weg, doch auch ihnen wurden Konzessionen gemacht. Die Westorientierung schien zudem unproblematisch. Wer liebte nicht amerikanische Rhythmen, las nicht moderne amerikanische Literatur oder versuchte ein Stipendium für die USA zu bekommen  ? Wer sah in den amerikanischen Besatzungstruppen nicht eine Art Sicherheitsfaktor und auch so etwas wie zahlende Gäste  ? Weit weniger selbstverständlich war die Erfüllung einer Forderung, die seitens der USA Hand in Hand mit der Vorbereitung eines möglichen Truppenabzugs aus Österreich ging. Die USA wollten kein wehrloses Land zurücklassen, d. h. kein Land, das nicht in der Lage war, wenigstens einigermaßen überzeugende Anstrengungen zur Selbstverteidigung zu unternehmen. Gegner einer Wiederbewaffnung, wie dann der an die Terminologie der deutsche Bundesrepublik angelehnte Begriff lautete, gab es. Sie waren aber weniger auf der äußersten Linken zu finden, die ihre eigenen Vorstellungen von militärischer Sicherheit hatte. Gegner waren vor allem jene, die den Kostenfaktor ins Treffen führten und militärische Aufwendungen für hinausgeworfenes Geld hielten. Doch dass man Konzessionen machen musste, war auch den Gegnern der Wiederbewaffnung klar. Amerikanische Stellen begannen die Spitze der Großen Koalition auf eine Katastrophenplanung einzuschwören. Sollte es zum europäischen Krieg kommen, dann war daran gedacht, möglichst viele kriegsgediente männliche Österreicher außer Landes zu bringen und zur militärischen Komponente einer Österreichischen Exilregierung werden zu lassen. 200.000 Mann sollten in Italien oder – wie es dann später hieß – eventuell in Nordafrika zu einer österreichischen Armee formiert werden, mit der notfalls an die Wiedereroberung Österreichs gegangen werden konnte. Innenminister Oskar Helmer sprach im September 1950 sogar davon, dass man auch die 300.000 Flüchtlinge in Österreich nicht außer Acht lassen sollte, die ein beträchtliches Potential darstellten, das vielleicht militärisch genutzt werden könnte.540 Da die Spitze der Koalition (mehr als eine Handvoll Leute dürfte davon nicht gewusst haben) zustimmte, begann dann im Oktober 1951 in Absprache mit dem Befehlshaber der US-Truppen in Österreich, General Stafford Leroy Irwin, die Erfassung des sogenannten »Aufgebots«. In jedem Bundesland der westlichen Besatzungszonen sollten getarnte Wehrmeldeämter eingerichtet werden, um einmal vier Geburtsjahrgänge zu erfassen. Ob das auch in der sowjetischen Zone gehen würde, war noch nicht klar. Doch die Katastrophenplanung nahm ihren Anfang. Unter den geschilderten Voraussetzungen, dem Krieg in Korea, einer auf Österreich überspringenden Kriegshysterie und angesichts zunehmender sozialpolitischer Spannungen brauchte es nicht viel, um als Gefahr im Verzug gesehen zu werden. Jene, die an die Wiederholbarkeit historischer Vorgänge glaubten, malten die Zukunft in den düstersten Farben. Wie nach dem Ersten Weltkrieg in den Jahren zwischen 1924 und 1929 war auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung erfolgt. Die Industrieproduktion stieg in Westeuropa um 12 %. 1949 sackte sie auf 5 %

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ab.541 Das Gespenst der Arbeitslosigkeit ging um. In Westdeutschland fürchtete man Lebensmittelknappheit. Würde es so werden wie Ende der zwanziger Jahre  ? Als Auswirkung des Koreakriegs schnellten auch in Österreich die Rohstoffpreise und jene für landwirtschaftliche Produkte in die Höhe. Gleichzeitig gaben die USA das allmähliche Auslaufen des ERP-Programms bekannt. Die Lieferungen amerikanischer Güter wurden deutlich reduziert. Da mit Hilfe der Counterpartmittel auch eine Preisstützung bei Nahrungsmitteln vorgenommen worden war, die nun in Wegfall kommen sollte, versuchte man in Wien die Auswirkungen durch ein Lohn- und Preisabkommen abzufangen. Dreimal waren bereits derartige sozialpartnerschaftliche Abkommen geschlossen worden. Doch diesmal wollte es nicht gelingen. Der Gewerkschaftsbund kündigte für den 26. September 1950 Streiks an.542 Alle Fraktionen, Sozialisten, Christliche Gewerkschafter, Kommunisten und der Verband der Unabhängigen wollten sich beteiligen. Schon am Vorabend der Beschlussfassung des 4. Lohn- und Preisabkommens im Ministerrat begannen die Ausstände. Die eisenverarbeitenden Betriebe in der Steiermark und in Oberösterreich wurden bestreikt. Tags darauf wurden Wien und die Industriebetriebe in Niederösterreich vom Streik erfasst. Auch die USIA Betriebe beteiligten sich. Am Morgen des 26. September zogen aus allen Richtungen Arbeiter aus den Außenbezirken gegen die Wiener Innenstadt. Schätzungen sprachen von zirka 30.000 Demonstranten. Die Polizei war angewiesen worden, nur dort einzugreifen, wo sich die Demonstranten dem Regierungsviertel nähern wollten. Tatsächlich begannen die Streikenden damit, sich über die Herrengasse Zugang zum Ballhausplatz zu verschaffen. Wieder war eine vage Ähnlichkeit mit dem 25. Juli 1934 gegeben. Die Ministerratssitzung war vorverlegt worden, sodass nur mehr Bundeskanzler Figl im Kanzleramt war. Der Polizeischutz schien nicht auszureichen. Figl ließ nach der amerikanischen Militärpolizei telefonieren. Auch Außen- und Innenminister riefen nach westlichen Einsatzkräften. Die wollten sich wie schon 1947 unbedingt heraushalten. Figl weigerte sich, eine Delegation der Streikenden zu empfangen. Jetzt wären wohl nur ein Sturm auf das Kanzleramt und eine weitere Eskalation der Gewalt möglich gewesen, doch niemand wollte diesen Schritt wirklich setzen. Deeskalation war angesagt. Die nachträgliche Feststellung des britischen Hochkommissars, Lord Harold Caccia, die österreichische Regierung wäre »beim Mittagsschläfchen erwischt worden«,543 ging aber weit an der Realität vorbei. Tatsächlich konnte man noch lange nicht davon ausgehen, dass das Schlimmste überstanden war. Die Radikalen und vor allem die Kommunisten stellten einen Katalog mit weit überzogenen Forderungen auf. Auf sowjetischen Wunsch, so berichtete der Zentralsekretär der KPÖ, Fürnberg, am Abend des 26. September dem Politbüro, solle der Streik aber unterbrochen werden. Denn »in dieser gefährlichen internationalen Situation« sei es »verantwortungslos, die sowjetischen Genossen in zusätzliche Schwierigkeiten zu bringen«.544 Die Unterbrechung der Kampfmaßnahmen gab der Regierung

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und den nichtkommunistischen Gewerkschaften Zeit. Und die Einsicht, dass sich die kommunistischen Gewerkschafter und die KPÖ an die Spitze einer sozialen Bewegung setzten und diese für ihre Zwecke ausnützen wollten, führte dazu, dass sich die anderen Gewerkschaften nach und nach abkoppelten. Sollte es tatsächlich zu einer neuerlichen Streikwelle und gewaltsamen Ausschreitungen kommen, wollte man nicht mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen. Bei der Exekutive wurde das Stichwort »Konzert« ausgegeben, auf das hin die neuralgischen Punkte besetzt und geschützt werden sollten.545 Aufrufe wurden erlassen, in denen die Regierung dazu aufforderte, den Streikparolen nicht zu folgen. Da beim Streik am 26. September verschiedentlich bewaffnete Angehörige des USIA-Werkschutzes gesehen worden waren, mobilisierten einige nicht-kommunistische Gewerkschaften ihre »Technischen Nothilfen«, die gesonnen waren, sich notfalls genauso gewaltsam zu verhalten wie die Kommunisten.546 Nicht von ungefähr hatte schon zwei Jahre zuvor einer der politischen Berater des amerikanischen Hochkommissars, Martin F. Herz, auf die »Schutzbund«-Qualitäten der gewerkschaftlichen Trupps und auf durchaus militante Führer wie Franz Olah hingewiesen.547 Aus einem von den Kommunisten geschürten Arbeitskampf sollten jedenfalls kein Putsch und schon überhaupt keine Revolution werden, auch wenn vielleicht dem einen oder anderen eine österreichische »Oktoberrevolution« vorgeschwebt haben mag.548 Nach einem letzten Aufruf der Bundesregierung befahl Innenminister Helmer für die gesamte Exekutive ab dem 3. Oktober, 12 Uhr, Permanenzdienst. Dann brach der Morgen des 4. Oktober an. Das »Konzert« begann. Kommunistischen Streiktrupps traten in Wien in Aktion. Deren drastischstes Kampfmittel war das Zuschütten von Straßenbahnschienen oder das Ausgießen von Weichen mit Beton. Wo Gewalt ins Spiel kam, setzten die »Technischen Nothilfen« Gegengewalt ein. Auch in Wiener Neustadt und Umgebung regierte die Gewalt. Die USIA-Arbeiter, die aus den nahe gelegenen Industriestandorten Zuzug erhielten, legten Betriebe still, besetzten öffentliche Gebäude und stürmten schließlich das Postund Telegrafenamt. Der sowjetische Stadtkommandant von Wiener Neustadt verhinderte den Einsatz von Polizeikräften aus Wien. Auch an anderen Industriestandorten der sowjetischen Besatzungszone kam es zu Arbeitsausständen und Gewalttätigkeiten. Doch der Streik brach noch am selben Tag zusammen. Seither rätselt man, ob es sich um einen bloßen Streik, einen gewaltsamen Aufstand oder einen Putschversuch gehandelt hat. Die Putsch-Metapher fand am weitesten Verbreitung.549 Die Sowjets waren in einer schwierigen Situation gewesen. Unterstützten sie die Kommunisten, dann forderten sie damit die offene Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte für alle Nichtkommunisten heraus. Und die Russen wollten Ruhe. Sie wollten sie um fast jeden Preis. Daher verhinderten sie auch das Verschieben von Polizeikräften und behinderten da und dort die Gegenmaßnahmen. Damit wahrten sie zumindest ihr Gesicht. Intern ähnelte der ausführliche Bericht des Leiters der Pro-

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pagandaabteilung des sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich, Oberstleutnant Kuranov, über die zweite Phase des Streiks freilich einer Rechtfertigungsschrift, die in dem Satz gipfelte  : Die Führung der KPÖ habe nach Beendigung des Streiks beschlossen, »die notwendigen Lehren aus den Streikkämpfen des September/Oktober 1950 zu ziehen.« Schuld am Scheitern waren – wie nicht anders zu erwarten – die nicht-kommunistischen Arbeiter, die Regierungsparteien und die Polizei.550 Der sowjetische Hochkommissar General Sviridov, dem ein entscheidender Einfluss auf die kommunistische Machtübernahme in Ungarn 1947 angelastet wurde, war Österreich in den kritischen Wochen fast demonstrativ ferngeblieben. Und schon im November bot der Alliierte Rat das übliche Bild. Man sprach über die österreichischen Gesetze, über Entnazifizierung, technische Belange und Abkommen. Anfang 1951 meinten die Sowjets, Bundespräsident Renner bei einem Verstoß gegen das Zweite Kontrollabkommen ertappt zu haben. Der Bundespräsident hatte sechs ehemalige Nationalsozialisten, die zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren, auf Vorschlag des Justizministers und aus nachvollziehbaren humanitären Gründen begnadigt. General Sviridov sah darin einen Verstoß. Die westlichen Hochkommissare stimmten dagegen. Doch die wichtigste handelnde Person, Bundespräsident Renner, war am 31. Dezember 1950 gestorben. Noch wenige Tage vor seinem Tod war eine Radioansprache von ihm aufgezeichnet worden, die man durchaus als sein Vermächtnis ansehen konnte. Adressaten waren Österreicher wie Alliierte  : »… Jeder Österreicher empfindet  : Lasst uns allein, wir sind imstande, unsere Angelegenheiten selbst zu regeln, wir werden fertig mit all den Problemen des Nazismus, der Kriegsschäden, unserer inneren demokratischen Ordnung, unseres absoluten Selbständigkeitswillens, unserer Ablehnung jeglichen Anschlusses, ob nach Westen oder Osten, nach Norden oder Süden. Wir wollen allein sein, also lasst uns allein  !«551

Neuansatz Die Parteien der Großen Koalition hätten die Wahl eines neuen Bundespräsidenten gerne abermals, wie schon 1945, in die Bundesversammlung verlegt, und sie hatten auch schon einen Kandidaten in petto, der gemeinsam gekürt werden sollte, nämlich Leopold Figl.552 Der ließ erkennen, dass er geneigt war, sich als gemeinsamer Kandidat der Wahl zu stellen. Sollte es allerdings zu einer Volkswahl kommen, wollte Figl nicht kandidieren. Schon am 12. Januar lag dem Nationalrat ein gemeinsamer Antrag von ÖVP und SPÖ zur Wahl in der Bundesversammlung vor und erhielt die Zustimmung des Plenums. Der Alliierte Rat war sich uneins, folglich sollte das Gesetz in Kraft

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treten. Wäre da nicht die parteiunabhängige Presse gewesen. Sie war es, die mit Verfassungsbruch argumentierte, die Vorgangsweise als zutiefst undemokratisch darstellte und mit aller Macht für die Volkswahl des Bundespräsidenten eintrat. Regierung und Parlament gaben dem Druck der Medien nach. Schließlich gab es erstmals in der Geschichte der Republik seit 1918 tatsächlich die Volkswahl eines Bundespräsidenten, aus der der bisherige Wiener Bürgermeister, Theodor Körner, als Sieger hervorging. Die ÖVP, die den oberösterreichischen Landeshauptmann Heinrich Gleißner als Kandidaten aufgestellt hatte, war wohl zu siegessicher gewesen. Die Schuld an der Niederlage wurde dem Bundeskanzler angelastet. Die Kritik an Leopold Figl wuchs. Und er bekam einen Stellvertreter  : Julius Raab. Die ÖVP nominierte mit Reinhard Kamitz auch einen neuen Finanzminister, der Österreich auf einen Weg bringen sollte, wie ihn Westdeutschland schon seit 1947 mit sichtbarem Erfolg beschritt. Das vorrangige Ziel des neuen Finanzministers war der Kampf gegen die Stagnation. Und selbstverständlich wollte er die Inflation dämpfen, die 1951 27,8 % und 1952 17 % erreicht hatte. Um nachhaltig gegensteuern zu können und eine regelrechte Trendwende zu schaffen, mussten sich aber auch die Rahmenbedingungen ändern. Von den Alliierten war vorderhand nicht viel zu erwarten. Deren Gesprächsstoff hatte sich erschöpft. Es gab keine neuen Anläufe für den Staatsvertrag, und die Alliierte Kommission hatte keine wirkliche Lösungskompetenz. Immer öfter bekam man den Eindruck, die Alliierten würden sich mehr und mehr zu Pflichtübungen zusammenfinden und nicht zu substanziellen Beratungen. Man sprach zum hundertsten Mal über die Schreibweise von Tages- und Wochenzeitungen, über Polizei und Gendarmerie, über Besatzungskosten, angebliche Verstöße hier und da, und schließlich erwies sich die Frage der geheimen Wiederaufrüstung Österreichs als eine Art Dauerbrenner. Dergleichen Geplänkel konnte man als nebensächlich abtun. Es waren aber nicht nur die Sowjets, die man als Blockierer wahrnahm. Auch das Verhältnis zu den Amerikanern war nicht frei von Spannungen. Zu deren Forderung nach Wiederbewaffnung waren Einwände gegen die vorzeitige Amnestierung von Kriegsverbrechern gekommen. Und schließlich machten die Amerikaner ihre Unzufriedenheit mit den Entschädigungsmaßnahmen für jüdische NS-Opfer deutlich.553 Mit Versprechungen allein wollten sich die amerikanischen Vertreter nicht zufrieden geben. Sie machten Druck oder aber – wie im Fall der Wiederbewaffnung – ergriffen selbst die Initiative. Die Registrierung für das »Aufgebot« war angelaufen. Als nächstes sollten Alarmformationen bei der Gendarmerie der drei westlichen Besatzungszonen gebildet werden. Bei einer Übung in Stadl-Paura in Oberösterreich 1951 zeigte sich aber, dass dieser Weg nicht zum Ziel führte. Also wurde daran gedacht, Kriegsteilnehmer für den Eintritt in eine neue, dann B-Gendarmerie genannte Formation zu gewinnen. Als regelrechte Katastrophenplanung begannen Amerikaner und Briten zudem und ohne Wissen österreichischer Stellen mit der Anlage von Waffendepots, um im

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Fall der Fälle einen Guerillakrieg im Rücken eines etwaigen Feindes führen zu können. Schließlich wurden im Voralpengebiet 33 britische und 79 amerikanische Waffenverstecke angelegt, mit deren Inhalt rund 2.000 Mann bewaffnet und ausgerüstet werden konnten.554 Die britischen Depots wurden zwischen 1959 und 1965 geräumt. Die Bekanntgabe der weiterhin geheim gehaltenen amerikanischen Lager und ihrer genauen Positionen sorgte dann 1996 für erhebliches Aufsehen. 64 Lager waren noch intakt. Das Kriegsmaterial, das sich in ihnen fand, ging aufgrund eines Anspruchsverzichts der Amerikaner in österreichisches Eigentum über  : Karabiner, Pistolen, Munition, Sprengstoff, Opiate und Werkzeug. »Aufgebot« und Waffendepots waren Ausdruck einer Katastrophenplanung. Österreich war damit in ganz anderer Weise als bis dahin Schauplatz geworden. Abermals konnte man den Eindruck gewinnen, das Land würde von einer inneren Unruhe erfasst worden sein. Wie sollte es weiter gehen  ? Die Aufbruchsstimmung der vierziger Jahre war endgültig versiegt. Die existentielle Not war gebannt. 1952 endete die Bewirtschaftung von Lebensmitteln und Sachgütern. Die letzten Bezugsscheine wurden ausgegeben. Was 1945 als historischer Kompromiss gegolten hatte, war zunehmend in die Kritik geraten. Die Parteien der Großen Koalition blockierten sich gegenseitig. Die abschätzig »KZ-Generation« genannte erste Generation von Nachkriegspolitikern wurde von einer jüngeren Generation immer häufiger in Frage gestellt. Der waren Konzentrationslager als Legitimation zu wenig. Ein amerikanischer Politikberater, Johannes Imhof, nannte die Große Koalition schlicht eine »unnatürliche Allianz« und mutmaßte, dass lediglich die Anwesenheit sowjetischer Truppen ÖVP und SPÖ weiterhin zur Zusammenarbeit zwang. Das am häufigsten von der ÖVP gebrauchte Wort sei »Reform«. Dahinter verberge sich aber lediglich der Wunsch nach mehr Einfluss.555 Neue Leute kamen, Regierungsmitglieder schieden aus. Die Probleme blieben. Die Wähler würden in den Großparteien lediglich »Organisationen zur wirtschaftlichen Absicherung sehen, urteilte der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker an der Universität Chicago, Hans Morgenthau.556 Einzelne Leute legten ein »quasifeudales« Verhalten an den Tag. Es gebe Apathie und Korruption, vor allem auf Gemeinde- und Landesebene. Die Demokratie sei weiterhin schwach. Die scharfe Verurteilung des österreichischen Wegs war wohl nicht aus der Luft gegriffen, das Unbehagen über die Stagnation spürbar und an vielen Beispielen festzumachen. Die schon in der Zwischenkriegszeit festzustellende »Versäulung« hatte neue Formen angenommen, hatte zu Missbrauch geführt und hemmte mittlerweile schon regelrecht den Fortschritt. Und es sollte gegengesteuert werden. Finanzminister Kamitz wollte das wirtschaftliche Steuer herumreißen. Er sprach einem Wirtschaftsliberalismus das Wort, wollte die Wirtschaft steuerlich entlasten, die Verbrauchssteuern erhöhen und notfalls auch eine höhere Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen. Damit heizte er die Spannungen zwischen den Koalitionspartnern an. Im Oktober 1952 stand fest,

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dass es vorgezogene Nationalratswahlen geben würde. Und am Abend des 22. Februar 1953 wusste man, dass die SPÖ die ÖVP stimmenmäßig überholt hatte, und nur die Wahlarithmetik der ÖVP den Vorsprung von einem Mandat sicherte. Es begannen nicht enden wollende Regierungsverhandlungen. Abermals sollte die ÖVP mit Leopold Figl den Kanzler stellen. Abermals sollte eine Große Koalition gebildet werden. Das hatte man Briten und Amerikanern bei mehreren Gelegenheiten zugesichert. Doch jetzt begann das Taktieren, und einer zog die Fäden  : Julius Raab. Trotz einer ganz klaren Absage von Bundespräsident Körner musste Figl im Auftrag Raabs der SPÖ vorschlagen, eine Art Dreierkoalition mit dem VdU zu bilden. Raab schwebte eine lose Verbindung, »nicht Anschluss, sondern Zusammenarbeit« von ÖVP und VdU vor, ein stilles Übereinkommen, für das er das Handelsministerium zu opfern bereit war.557 Dabei musste ihm klar sein, dass das nicht leicht sein würde. Vom VdU notierte er in sein Tagebuch  : »Sie haben lauter Naziforderungen.« und zu Körner schrieb er  : »Es ist aber nichts mit dem alten Herrn zu machen.« Die Sozialisten waren keinesfalls zu einer Dreierkoalition bereit. Kleine Koalitionen wurden ins Spiel gebracht. Eine Minderheitsregierung. Es zeichnete sich weiterhin keine Lösung ab. Einen Monat nach seiner Betrauung musste Figl sein Scheitern eingestehen. Nicht freiwillig. Statt ihm wurde Raab betraut. Und ihm gelang innerhalb weniger Tage die Bildung einer Regierung, der vierten der Zweiten Republik. Raab hatte dem eigentlichen Wahlsieger, der SPÖ, zwei zusätzliche Staatssekretärsposten zugestanden, darunter einen im Außenministerium, den ein Mann erhalten sollte, der in den vorangegangenen Monaten zum wichtigsten Berater Theodor Körners geworden war  : Bruno Kreisky. Abermals wurde ein Koalitionspakt geschlossen. Mehr noch aber als darin kam in der Regierungserklärung des neuen Kanzlers zum Ausdruck, dass er alternative Wege beschreiten und vor allem die Wirtschaft beleben wollte. Die staatlichen Ausgaben sollten drastisch gesenkt und der Außenhandel nachhaltig gefördert werden. Handelsdelegierte sollten zusätzliche Möglichkeiten schaffen. Die Besatzungsmächte hatten zumindest keinen Einwand. Sie blieben vorsichtig abwartend. Raab hatte eine Heimwehrvergangenheit, war nie im KZ gewesen, war von den Russen ein »Feind der Sowjetunion« genannt worden und erfreute sich auch noch nach seiner Ernennung bei keiner der Besatzungsmächte nennenswerter Sympathien. Er bekam jedoch unvermutet eine Chance und nützte sie. Am 5. März starb der sowjetische Diktator Josef Stalin, und die Sowjetunion steuerte auf eine nicht nur personelle Erneuerung zu. Raab setzte erste Zeichen einer Annäherung. Die Sowjets zeigten schon im April 1953 Entgegenkommen, und sie hatten viele Möglichkeiten, sich von einer freundlichen Seite zu zeigen. Zudem wollten sie mit ihrer betont positiven Haltung »ein zu ausgeprägtes Interesse Österreichs an der Integration Europas … bzw. was noch schlimmer wäre, enge politische oder wirtschaftliche Bindungen an Deutschland verhindern.«558 Also sollte mit den Westalliierten gleich-

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gezogen werden. Die Rote Armee hatte mit rund 50.000 Mann weit mehr Truppen in Österreich stationiert als die übrigen Besatzungsmächte zusammen. Dementsprechend hoch waren die Zahlungen, die Österreich aus dem Titel Besatzungskosten zu leisten hatte. Es war zweieinhalbmal so viel wie für die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen budgetiert wurde. Die Kontrollmaßnahmen an der sowjetischen Zonengrenze waren aufwändig und immer wieder schikanös. Zeitungen, Druckwerke, Briefe, Telegramme und Telefonate wurden zensuriert, und die Sowjets hatten  – im Gegensatz zu den Westmächten – davon nicht abweichen wollen. 750 Personen waren allein in der alliierten Zensurabteilung beschäftigt. Die Russen unterhielten in ihrer Zone noch zusätzlich 170 Zensoren. Die USIA-Betriebe zahlten keine Steuern. Immer wieder kamen Verhaftungen vor und herrschte Willkür. Da gab es tatsächlich ein weites Feld für Verbesserungen. Und über allem stand die Frage, warum das überhaupt noch nötig war und die Staatsvertragsverhandlungen nicht zum Abschluss gebracht wurden. Aber es rührte sich etwas im sowjetischen Imperium. Innerhalb weniger Wochen beendeten die Russen die Kontrollen an ihren Zonengrenzen, stimmten im Alliierten Rat für Erleichterungen und verzichteten schließlich auf die Bezahlung von Besatzungskosten. Jetzt waren es nur mehr Briten und Franzosen, die Besatzungskosten einforderten. Der militärische Hochkommissar wurde wie von den Westmächten durch einen zivilen im Botschafterrang ersetzt. Die Sowjets stimmten wie die Westmächte der Aufhebung der Visumpflicht bei Reisen in die Bundesrepublik Deutschland zu. Ab 1. September 1953 gab es keine alliierte Zensur mehr, und schließlich wurde der Ausbau des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug ermöglicht, das die Russen bis dahin als Deutsches Eigentum beschlagnahmt gehabt hatten. Raab ersetzte den mitunter lärmenden Antisowjetismus durch stille Diplomatie. Der ihm eigene Pragmatismus ließ ihn auch schon nach wenigen Monaten das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland überdenken. Für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen war wohl nach wie vor der Alliierte Rat zuständig. Doch eine deutsche Wirtschaftsvertretung ließ sich einrichten. Das schien umso wichtiger, als Österreich selbst schon seit drei Jahren mit Josef Schöner einen Generalkonsul in Bonn hatte. Was man nicht wusste, war freilich, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland bis dahin nicht vielleicht am Unwillen der Deutschen oder am befürchteten Einspruch der Sowjets, sondern an Einwänden der Amerikaner gescheitert war.559 Doch im November 1953 erreichte den Leiter der »Deutschen Delegation des Gemischten Regierungsausschusses«, Hermann Müller-Graaf, in Bonn die Weisung, sich nach Wien zu begeben, um im Rahmen des deutschösterreichischen Handelsabkommens Kontakt mit österreichischen Stellen aufzunehmen. Er sollte aber unbedingt den Anschein einer amtlichen Vertretung vermeiden, keine Antrittsbesuche machen und sich gesellschaftlich zurückhalten.560 Auch in diesem Fall war ein Anfang gemacht und Raabs Ziel erreicht.

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Schließlich ließ der Kanzler Möglichkeiten sondieren, die Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag wiederzubeleben. Und er brachte nicht ganz überraschend die Neutralität ins Spiel. Allerdings – und auch das konnte man als Wink nach Moskau verstehen – wollte er die neue außenpolitische Linie nicht mit dem bisherigen als amerikalastig geltenden Außenminister Karl Gruber verfolgen, sondern übertrug das Außenamt dem früheren Bundeskanzler Leopold Figl. Der war Garant dafür, dass Raab seine eigenen außenpolitischen Vorstellungen umsetzen konnte. Mit den Sondierungen in Sachen Neutralität näherte sich Raab Überlegungen an, die in der Sowjetunion seit 1943 immer wieder angestellt worden waren. Seit 1952 waren sie auch fixer Bestandteil in der sowjetischen Propaganda. Um in dieser Frage weiterzukommen, brauchte es aber selbstverständlich auch die westlichen Alliierten. Zunächst wollte Raab jedoch auf Wünsche und Vorbehalte der Russen in besonderer Weise eingehen.

16. Ein strahlender Frühlingstag

16 Ein strahlender Frühlingstag

16 Der österreichische Außenminister Leopold Figl vor dem Staatsvertragsgemälde von Robert Fuchs. Da das von Sergius Pauser entworfene erste offizielle Gemälde von der Vertragsunterzeichnung nicht den Vorstellungen des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab entsprach, wurde Robert Fuchs beauftragt, ein weiteres Gemälde anzufertigen, auf dem die Gesichtszüge der bei der Vertragsunterzeichnung anwesenden Personen deutlich erkennbar waren. Ein Gruppenbild ohne Frauen. (Foto: Leopold-Figl-Museum, Rust)

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ie Wünsche für das neue Jahr, 1954, ähnelten denen der Vorjahre. Glück, Gesundheit, Wohlergehen. Für Letzteres konnte man auch schon selbst sorgen. Auch aus den Neujahrsansprachen der Politiker war nichts herauszuhören, das sich sehr von dem unterschied, was in den Jahren zuvor gesagt worden war. Zum ersten Mal konnte man aber hören und lesen, was Julius Raab aus Anlass des Jahreswechsels an Wünschen, Hoffnungen und an Reminiszenzen an Jüngstvergangenes von sich zu geben hatte. Manches war anders geworden. Das war die Quintessenz. Für jene, die in einer der westlichen Zonen lebten, war der Unterschied zu 1952 wohl weniger spürbar als für die Menschen in der »Russenzone«, und man musste schon die langen Zugreisen nach dem Osten auf sich nehmen, um den Wegfall der Zonengrenze festzustellen und auch als »Westler« die Änderungen am Besatzungsregime zu erkennen. Bundespräsident und Kanzler hatten bei ihren Ansprachen aber auch noch etwas anderes mitzugeben versucht, nämlich Hoffnung. Das war nur insofern gefährlich, als sich schon so viele Hoffnungen zerschlagen hatten und man regelrecht zögern musste, neuerlich Hoffnung zu nähren. Doch was denn sollten Theodor Körner und Julius Raab am Beginn eines Jahres sagen, wenn nicht, dass es vielleicht eine weitere und diesmal entscheidende Wende geben könnte  ? Grund für Optimismus war durchaus gegeben  : In Berlin sollte wieder eine Außenministerkonferenz der Alliierten abgehalten werden. Man traf sich in einer Stadt, die wie keine andere vom Kalten Krieg geprägt war. Gong zur letzten Runde

Nach drei Jahren, in denen der Österreichvertrag nicht auf der Agenda gestanden war, wollten sich die Alliierten wieder mit Österreich befassen. Erstmals waren auch österreichische Vertreter zu den Verhandlungen eingeladen. In der Bundesrepublik Deutschland war man irritiert. Schon wieder war Österreich zu einem Alleingang aufgebrochen und zeigte durchaus Neigung, den Abzug der Besatzungsmächte notfalls auch auf Kosten Deutschlands zu erreichen. Es wollte »Sonderfall« bleiben, und sich – wie es ein westdeutscher Politiker unumwunden zum Ausdruck brachte – »statt seine Mithaftung anzuerkennen, als überfallenes Kind hätscheln lassen«.561 Bundeskanzler Adenauer zeigte unverhohlen Ablehnung, ja Geringschätzung. Ihm ging es um die Westintegration der Bundesrepublik und nicht etwa darum, dem österreichischen Weg zu folgen und vielleicht die Vereinigung des geteilten Deutschland und den Abzug der

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Besatzungsmächte um den Preis der Neutralisierung Deutschlands zu erkaufen. Adenauer wollte die österreichischen Bemühungen um ein Nachgeben der Sowjets dadurch unterlaufen, dass er für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) warb. Das sollte Österreich seine Neutralisierungsflausen austreiben. Adenauer entwickelte dabei eine regelrechte Neutralitätsphobie und wollte sich nicht einmal mit Raab treffen. Deutschland wollte Besatzungstruppen im Land haben und Österreich wollte sie draußen haben.562 Für die Österreicher gerieten die Verhandlungen zum Balanceakt. Man redete um den heißen Brei herum, sprach von Bündnisfreiheit, wollte nicht nur den Sowjets, sondern auch den Amerikanern entgegenkommen, die von einer österreichischen Neutralität wenig zu halten schienen.563 Dann kamen Hinweise auf die Schweizer Neutralität. Der Durchbruch schien schon fast geschafft, als der sowjetische Außenminister Molotov das leicht zu durchschauende Angebot machte, die Besetzung Österreichs zwar zu beenden und den Österreichvertrag zu finalisieren. Bis zur Unterzeichnung eines deutschen Friedensvertrags sollten aber symbolische Truppenkontingente der Alliierten in Österreich verbleiben. Aus nachträglicher Sicht hätte das bedeutet, dass Trupps von nicht bestimmter Größe vielleicht bis zum »Zwei-plus-Vier-Vertrag« 1990 in Öster­ reich verblieben wären.  – Die Verhandlungen in Berlin scheiterten. Adenauer war’s zufrieden. Ihm war wichtig, dass auch eine Übereinkunft über Deutschland gescheitert war und er seinen Kurs einer vollen Integration Westdeutschlands in die westlichen Gemeinschaften und vor allem in die NATO fortsetzen konnte. In Österreich war die Enttäuschung groß und machte sich in jeder Menge antisowjetischer Äußerungen Luft. Dabei wurde die Stimmung in der russischen Besatzungszone regelrecht aggressiv, was letztlich kein Wunder war. In Vorarlberg gab es keine französischen Soldaten mehr  ; in Niederösterreich waren noch immer 25.000 Rotarmisten stationiert. Die Regierung gab Weisung, die öffentlichen Gebäude Wiens am 13. Apri11954 nicht mehr zu beflaggen. Der Jahrestag der Einnahme der Stadt durch die Sowjets 1945 war acht Jahre hindurch mit unterschiedlichem Gepränge begangen worden. Nun aber hieß es in der amtlichen Aussendung, läge kein Grund vor, mehr zu tun, als der Opfer der Schlacht um Wien zu gedenken.564 Die Sowjets antworteten prompt. Die KPÖ wurde angewiesen, ihre jahrelange Sympathiewerbung in Sachen Neutralität von einem Tag auf den anderen zu beenden.565 Und der mittlerweile auch »zivilisierte« sowjetische Hochkommissar und Botschafter, Ivan Il’ičev, nützte die 218. Sitzung des Alliierten Rats, um über Österreich herzuziehen  : Die österreichische Regierung dulde und unterstütze faschistische und militaristische Organisationen, die eine intensive Anschlusspropaganda betrieben. Damit sei klar erwiesen, wer die Schuld am Scheitern der Staatsvertragsverhandlungen hätte. Der sowjetische Außenminister hätte nicht von ungefähr in Berlin auf die Anschlussgefahr hingewiesen. Nun lägen die Beweise offen, und Österreich hätte sich die Folgen seiner antisowjetischen Politik selbst zuzuschreiben.566

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Die »Eiszeit« hielt einige Monate an, und die Russen wurden auch nicht müde darauf hinzuweisen, dass Österreich einen europäischen Kurs steuerte, in den Europarat drängte, im Nationalrat statt eines Außenpolitischen Ausschusses einen Europaausschuss bestellt hatte und ganz offensichtlich durch die Hintertür den Anschluss an Deutschland suchte. Man hätte hinzufügen können, dass es der sozialistische Parteivorstand auch Regierungsmitgliedern untersagen wollte, in die Sowjetunion zu reisen, doch davon wussten die Russen offenbar nichts. Es war aber klar, dass die nur mehr als Verhinderer gesehenen Sowjets weiter an Sympathie verloren und es einen verstärkten Zuzug nach Westösterreich gab. Salzburg hatte beispielsweise mit einer Bevölkerungszunahme von 31,9 % im Zeitraum von 1945 bis 1954 den relativ größten Bevölkerungszuwachs aller Bundesländer, während Wien und Ostösterreich auch in absoluten Zahlen eine Abnahme zu verzeichnen hatten.567 Im Westen gab es Prosperität, waren moderne Industrien aufgebaut und Arbeitsmöglichkeiten geschaffen worden  ; der ­Osten des Landes hinkte nach. Das Bild, das sich darbot, ähnelte durchaus dem, das die zur Deutschen Demokratischen Republik gewordene sowjetische Besatzungszone in Deutschland vermittelte. Und doch verbot sich jegliche Gleichsetzung, denn Österreich war trotz Teilung ein Einheitsstaat und kämpfte zäh und verbissen darum, seine volle Souveränität zu erhalten. Deutschland war kein Vorbild für Österreich  ! (Und Österreich kein Vorbild für Deutschland.) Allmählich stellte sich wieder eine Art Normalität des Besatzungsalltags ein. Raab vermied es weiterhin, den »russischen Bären«, wie er es ausdrückte, »in den Schwanzstummel zu zwicken«. Im Gegenteil  : Er bedankte sich mehrfach dafür, dass sowjetische Soldaten im Juli und August 1954 bei der Bewältigung einer Hochwasserkatastrophe im Donautal halfen. Fast zeitgleich kam Bewegung in die internationale Politik. Die Einigung des westlichen Europa machte mit der Bildung der Westeuropäischen Union, einem militärischen Beistandspakt, im Oktober 1954 einen wichtigen Fortschritt. Die Bundesrepublik Deutschland war auf dem Sprung, Mitglied der NATO zu werden. Die Russen scheiterten mit ihrem Vorschlag einer Europäischen Sicherheitskonferenz und drohten, auch die Einigung des Ostens fortzusetzen und militärisch mit der NATO gleichzuziehen. Wo aber gehörte Österreich hin  ? Die Sowjets aktualisierten Überlegungen, die schon in der Litvinov-Kommission 1943 angestellt worden waren  : Österreich würde außerhalb ihres unmittelbaren Interessensgebiets liegen, sollte aber auch nicht einfach dem Westen überlassen werden. Das musste irgendwann einmal nicht nur gesagt, sondern auch vertraglich festgelegt werden. Im Januar 1955 machten die Sowjets dem Westen nochmals ein Angebot  : Im Falle des Verzichts auf einen NATO Beitritt der Bundesrepublik Deutschland könnte die Sowjetunion gesamtdeutschen Wahlen unter internationaler Kontrolle und der Wiedervereinigung Deutschlands zustimmen. Was andernfalls passieren würde, las sich in der für Österreich wichtigen Passage so  : Nach der Unterzeichnung der Pariser Ver-

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träge gäbe es keine Verhandlungen mehr über den österreichischen Staatsvertrag. Die Sowjets müssten zum Schutz gegen einen Anschluss an das militante Westdeutschland in Österreich bleiben. Die Erklärung wog deshalb schwerer, da in der Bundesrepublik gerade darüber gestritten wurde, ob das Anschlussgesetz vom 13.  März 1938 nicht noch immer seine Gültigkeit hätte. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen der Sowjets. Das deutsch-österreichische Verhältnis wurde noch gespannter als es das ohnedies schon war.568 Der österreichische Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff, resignierte. Wieder, wie schon so oft, schien man in einer Sackgasse zu sein. Das Gefühl der Vergeblichkeit brachte es wohl auch mit sich, dass Österreich einer Rede Molotovs am 8. Februar 1955, in der zu bilateralen Verhandlungen eingeladen wurde, keine Bedeutung beimaß. Erst auf Nachfragen der Russen wurde sondiert. Vielleicht zeigte sich doch die Gunst des Augenblicks. In Wien war man zu Verhandlungen bereit. Die Westalliierten waren skeptisch. Und in London formulierte es ausgerechnet jener Mann, der die Moskauer Deklaration von 1943 maßgeblich entworfen hatte, Geoffrey Harrison, drastisch wie selten  : »Die Österreicher scheinen entschlossen zu sein, wie die Gadarenischen Säue ins Verhängnis zu laufen  :« Der Teufel sei in sie gefahren. Das hieß wohl im Klartext  : Es könnten westliche Interessen geschädigt werden. Folglich hieß es vorsichtig sein und zu taktieren. Die Regierung wollte auf das sowjetische Angebot direkter Verhandlungen eingehen und durfte gleichzeitig Amerikaner, Briten und Franzosen nicht verprellen. Ganz offensichtlich sollte es darum gehen, die Bündnisfreiheit Österreichs genau zu definieren. Schon im Vorfeld der Moskaureise einer österreichischen Regierungsdelegation kristallisierte sich die immerwährende Neutralität nach dem Muster der Schweiz als die passendste völkerrechtliche Norm heraus. Die schweizerische Neutralität wurde als eine Art Mythos gehandelt, und das ausgerechnet zu einer Zeit, da in der Schweiz nicht nur darüber nachgedacht wurde, ob man sich nicht atomar bewaffnen, sondern eventuell auch die Neutralität preisgeben sollte. Der Waffenchef der Schweizer Infanterie, Oberstdivisionär Max Waibel, hielt es mit klaren Worten fest  : »Vom rein militärischen Standpunkt aus muss … die Zweckmäßigkeit der Neutralität im Frieden verneint werden, weil sie zur militärischen Isolation führt.« Und politisch sei ein Festhalten an der Neutralität »wenig angebracht«.569 Zur selben Zeit also, da man in der Schweiz die immerwährende Neutralität zur Disposition stellte, wollte Österreich neutral werden wie die Schweiz. Schluss mit Jubel Bundeskanzler Raab, Vizekanzler Schärf, Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky flogen am 11.  April 1955 nach Moskau. Zwei Tage später stand das im sogenannten Moskauer Memorandum festgelegte Ergebnis fest  : Die Staatsvertragsver-

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handlungen sollten zu Ende gebracht und Österreich neutral wie die Schweiz werden. Letzteres aber nicht infolge einer staatsvertraglichen Bestimmung, sondern als erster Akt nach dem Abzug der Alliierten und Wiedererlangung der vollen Souveränität. Der Westen war nicht glücklich, und der britische Botschafter und Hochkommissar in Wien, Geoffrey Wallinger, meinte, es wäre genau das eingetreten, was zu befürchten war  : Österreich habe sich über den Tisch ziehen lassen, und die Einigung mit den ­Sowjets würde mit dem Münchner Abkommen von 1938 vergleichbar sein. In Westösterreich gab es erklärte Gegner der Neutralität. Für den ÖVP-Nationalratsabgeordneten Lujo Tončić-Sorinj war es ein »Opfer«, das eben gebracht werden müsste, und auch bei den Sozialisten war die Meinung gespalten, mehrheitlich jedoch gegen die Neutralität gewesen. Allianzfreiheit wäre noch hingenommen worden, doch die Neutralität des Landes und nicht vielleicht eine staatsvertragliche Bestimmung würde verhindern, dass Österreich an der europäischen Einigung teilnahm. Schärf und Kreisky hätten daher auf Neutralitätsforderungen der Sowjets nicht eingehen sollen. Sie taten es dennoch. Und natürlich ließ sich eine Gegenrechnung aufmachen  : Für das österreichische Zugeständnis, nach Abschluss des Staatsvertrages nicht der NATO beitreten zu wollen und womöglich einen anti-sowjetischen Kurs zu steuern, sondern neutral wie die Schweiz zu werden, willigten die Sowjets in den Abschluss des Staatsvertrags und die Revision einer ganzen Reihe von staatsvertraglichen Bestimmungen ein. Sie wollten sich auch mit geringeren materiellen Leistungen zufriedengeben, die zahlenmäßigen Beschränkungen für das österreichische Heer fallen lassen und einen kompletten Truppenabzug innerhalb kurzer Zeit und nicht erst nach einem deutschen Friedensvertrag vornehmen. Das alles sollte schließlich im Rahmen eines außertourlichen Außenministertreffens in Wien paktiert werden. Die Botschafter-Hochkommissare und ein Stab des österreichischen Außenministeriums gingen den Vertragsentwurf Punkt für Punkt durch. Bestimmungen wurden gestrichen, andere abgeändert. Es war ein völlig anderes Bild als seinerzeit in SaintGermain. Am 14. Mai 1955 tagten dann die Außenminister. Sie hatten sich für einen Wochenendtermin in Wien freimachen können. Die drei westlichen Außenminister, John Foster Dulles, Harold Macmillan und Antoine Pinay, kamen direkt von der Frühjahrstagung der NATO aus Paris. Molotov kam aus Warschau, wo am 14.  Mai der Warschauer-Pakt-Vertrag unterzeichnet worden war. Alle vier Außenminister der Noch-Besatzungsmächte bekundeten ihr Einverständnis mit dem ausgehandelten Text. Schließlich thematisierte Leopold Figl noch etwas, das seit der Berliner Außenministerkonferenz 1954 angeklungen war  : Aus der Präambel des Österreichvertrags sollte jener Passus der Moskauer Deklaration gestrichen werden, in dem von der österreichischen Mitverantwortung am Krieg und der NS-Herrschaft die Rede war. Die Außenminister der Besatzungsmächte stimmten zu. Am Nachmittag des 14. Mai wurden die Reinschriften angefertigt. Die drei westlichen Außenminister

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stellten ihre Staatssiegel zur Verfügung, damit das Original des Vertrags schon vorweg gesiegelt werden konnte und nur mehr die Unterschriften anzubringen waren. Molotov wollte sein Siegel nicht aus der Hand geben. Dass sich die meist jungen Bediensteten des Außenministeriums den Spaß erlaubten, auch das Korrekturexemplar zu siegeln, bekam man nicht mit. Schließlich wurde ein Exemplar der Reinschrift des Vertrags in die Parteizentralen von ÖVP und SPÖ gebracht, dort gebilligt und von Leopold Figl, Julius Raab und Adolf Schärf unterschrieben. Dieses Exemplar wurde vergessen und verblieb bei einem Taxifahrer. Doch natürlich war es nicht das offizielle Dokument, das dann nach Moskau gebracht werden sollte. Für die Nachwelt blieb daher nur die Unterschriftszeremonie im Marmorsaal des Oberen Belvedere und der Schlusssatz Leopold Figls »Österreich ist frei  !« als krönender Abschluss einer zehnjährigen Geschichte im Gedächtnis. Es war ein strahlender Frühlingstag. Mit der Unterzeichnung des Vertrags am 15.  Mai 1955 wurde eine Art Operationskalender wirksam, wo immer das eine das andere nach sich zog. Zunächst einmal begann die Ratifikationsdebatte, die nicht nur in Österreich, sondern auch bei den anderen Signatarstaaten in deren Parlamenten durchzuführen war, bis schließlich am 27. Juli das letzte Exemplar der Ratifikationsurkunde im sowjetischen Außenministerium hinterlegt werden konnte. Es ging viel schneller als seinerzeit nach Saint-Germain. Am selben Tag trat der Alliierte Rat in Wien zu seiner 249. Sitzung zusammen. Einziger Tagesordnungspunkt war der Beschluss über die Aufhebung des Zweiten Kontrollabkommens vom Jahr 1946. Zeitgleich begann dann die im Vertrag festgeschriebene 90-Tage-Frist zu laufen, die für den Abzug der Besatzungstruppen aus Österreich vorgesehen war. Theoretisch hätten die Besatzungsmächte ihre Truppen auch noch etwas länger in Österreich belassen können, denn im Vertrag hieß es ausdrücklich, dass der Abzug der Truppen spätestens bis 31. Dezember 1955 erfolgen sollte. Doch es war klar, dass sich alle an die 90-Tage-Frist halten wollten, vor allem die Sowjets, die schließlich als Erste ihren Truppenabzug bewerkstelligten. Mit 308 Eisenbahnzügen und auf sechs Lastkähnen wurden zwischen 4. August und 19. September 39.512 Armeeangehörige und weitere rund 10.000 Personen in Marsch gesetzt. Das Oberkommando der Gruppe »Mitte« meldete am 24.  September »streng geheim« dem Chef des Generalstabs den Abschluss der Räumungsbewegung mit dem obligaten positiven Schlusssatz  : »Unsere Truppen verließen Österreich mit dem Gefühl, ihre Pflicht erfüllt zu haben und kehrten mit großem politischen Elan in ihre geliebte Heimat zurück.«570 Während sich die Truppen der Besatzungsmächte anschickten, Österreich zu verlassen, bereitete Österreich sein Neutralitätsgesetz vor, das als eigenes Bundesverfassungsgesetz und souveräner Akt verabschiedet werden sollte. Was der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags folgte, waren aber nicht nur die Ratifikationsdebatten, der Abzug der alliierten Truppen und die Neutralität, waren der Jubel und eine gewisse Fassungslosigkeit, was sich alles im Zeitraum von

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wenigen Monaten veränderte und Österreich regelrecht in seine Zukunft schleuderte. Gleichermaßen gehörte zu diesem Ablauf, dass sich die Nachbarn und die Welt an die neue Situation zu gewöhnen hatten und sich dabei wahrscheinlich ebenso wie Österreich erst der Tragweite einzelner Bestimmungen bewusst wurden. Die Feststellung, dass Österreich ein souveräner Staat sei, mit einem genau definierten Territorium, nämlich jenem, das bis 1937 als Österreich gegolten hatte, schien eine Selbstverständlichkeit zu sein. Dennoch  : Erst jetzt gab es jene vertragliche Sicherheit, die sämtlichen Gebietswünschen, seien sie österreichischerseits einmal geäußert worden, sei es, dass es Gebietswünsche der Nachbarn waren, jegliche Aktualität nahm. Die Achtung der Menschenrechte wurde ebenso als selbstverständliche Verpflichtung festgeschrieben, wie der Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheit und die Möglichkeit zu deren kultureller Entfaltung. Besonders auffällig waren die militärischen und die Luftfahrtbestimmungen. Neben Beschränkungen gab es aber auch ein Zugeständnis, das nicht zuletzt der Neutralität des Landes geschuldet war  : Österreich konnte ein Heer auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht und ohne zahlenmäßige Beschränkung aufstellen, sodass auch die Kompatibilität zwischen dem Staatsvertrag einerseits und dem Neutralitätsgesetz andererseits gegeben war, in dem sich Österreich dem Schweizer Vorbild entsprechend verpflichten wollte, seine Souveränität und territoriale Integrität notfalls unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden militärischen Mittel zu verteidigen. Österreich verpflichtete sich auch, jene zu entschädigen, denen vornehmlich aus rassischen Gründen seit 1938 ihr Eigentum entzogen und ihr Kunstbesitz geraubt worden war, sofern das nicht bereits geschehen war. Der am längsten verhandelte und schließlich lediglich als eine Art Kostenfaktor des Staatsvertrags in Rechnung zu stellende Abschnitt behandelte das sogenannte Deutsche Eigentum bzw. Forderungen der Sowjetunion, wie ihr die Herausgabe dieses Eigentums abgegolten werden sollte. Merkwürdigerweise stellte sich dann heraus, dass gerade diese komplizierte Materie, um die jahrelang gerungen und zeitweilig regelrecht gefeilscht worden war, schließlich nur eine temporäre Belastung darstellte. Denn die Zahlung der Ablöse im Umfang von 152 Millionen Dollar konnte auch in Form von Warenlieferungen erfolgen, und die der Sowjetunion vertraglich zu liefernden 10 Millionen Tonnen Erdöl wurden schließlich 1958 auf rund 6,5 Millionen reduziert. Alles das war leistbar. Der Staatsvertrag hatte aber auch jede Menge Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis zu den Nachbarn Österreichs, wobei es wahrscheinlich für viele unerwartet kam, dass die Bundesrepublik Deutschland das Gefühl hatte, von Österreich nicht nur im Stich gelassen worden zu sein, sondern mehr noch, dass der Vertrag auf Kosten Deutschlands geschlossen worden wäre. Dabei ging es zum wenigsten um die Fragen eines möglichen Anschlusses, denn dergleichen spielte auch in Deutschland so gut wie keine Rolle mehr. Auch die Frage, ob Österreichs Neutralität womöglich ein

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Modellfall für Deutschland sein könnte, um die Wiedervereinigung zu erlangen, erwies sich als Schimäre.571 Wohl aber machte Bundeskanzler Adenauer deutlich, dass man in Deutschland das Gefühl hatte, Österreich würde seinen Besatzungsmächten jegliche materielle Forderung erfüllen wollen und hätte dabei übersehen, dass der Begriff »Deutsches Eigentum« nicht nur ein verbales Konstrukt war. Auch der britische Botschafter in Wien, Geoffrey Wallinger, hatte eine ähnliche Sicht der Dinge. Den Staatsvertrag habe wohl niemand wirklich gelesen, meinte er, bis auf die Deutschen, die dann herausfanden, dass die Besatzungsmächte und Österreich die Rechnung auf Kosten der Deutschen gemacht hätten.572 Die Österreicher aber wären glücklich, neutral zu sein wie die prosperierenden Länder Schweiz und Schweden. Dabei seien sich diese Österreicher durchaus im Unklaren darüber, was Neutralität wirklich bedeute. Sie wollten schließlich noch ihre Grenzen garantiert haben und sähen darin nichts anderes als einen gerechten Ausgleich für vergangene Leiden. Solcherart würden sie sich auch für alle Zukunft in ein Himmelbett legen wollen. Aber natürlich hatte man den Staatsvertrag Wort für Wort gelesen. Zudem hatten sich die westlichen Botschafter dafür stark gemacht, dass nicht nur die Sowjets ihre materiellen Forderungen erfüllt bekamen, sondern auch westliche Konzerne, deren Kapital im »Deutschen Eigentum« steckte. Mit den »Wiener Memoranden« wurde ihnen  – sehr zur Überraschung der Sowjets  – am 10.  Mai Entschädigung zugesagt. Ohne diesbezügliche Zugeständnisse hätten die Westmächte womöglich noch im letzten Moment die Vertragsunterfertigung verhindert. Die Gesamtkosten des Staatsvertrags erhöhten sich somit und wurden dann mit 7,8 Milliarden Schilling errechnet.573 Doch die deutschen Forderungen blieben tatsächlich auf der Strecke. Und das umso mehr, als den Sowjets von der österreichischen Delegation in Moskau zugesichert worden war, die von den Russen zurückzugebenden Betriebe würden verstaatlicht werden. Auch Amerikaner, Briten und Franzosen stimmten der Verstaatlichung des Deutschen Eigentums in den von ihnen zu räumenden Zonen zu. Konrad Adenauer war hell empört. Da er genau wusste, dass die Westmächte damit einverstanden waren, dass die deutschen Vorbesitzer leer ausgingen, ließ er Amerikanern, Briten und Franzosen offizielle Protestnoten überreichen.574 Er bezeichnete das Vorgehen Wiens als »österreichische Schweinerei«, und die deutsche Bundesregierung unterbrach am 14.  Mai 1955 ihre ohnedies auf der niedrigsten Stufe angesiedelten diplomatischen Beziehungen.575 Hermann Müller-Graaf wurde nach Bonn zurückbeordert und hatte die schwierige Aufgabe, dort den Zorn zu dämpfen. Raab bat ihn ausdrücklich, Konrad Adenauer das Unausweichliche der österreichischen Vorgehensweise zu erläutern und um Verständnis für die österreichische Entscheidung zu ersuchen. Eines konnte aber in Bonn niemand billigen, dass sich Österreich unter Berufung auf die Okkupationstheorie wie schon 1946/47 auf den Standpunkt stellte, die durch die »Okkupation« verursachten Schäden wären weit höher gewesen als die Österreich

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zufallenden deutschen Vermögenswerte. Auch Müller-Graaf konnte das nicht verstehen und schrieb an den Bundesminister des Auswärtigen, Heinrich von Brentano, nach Bonn  : »angesichts der besonders wilden uns einstmals ›okkupierenden‹ österreichischen Nazis« wäre die österreichische Haltung »unerhört«.576 Das konnte man als schon fast sachliche Modifikation der bekannten Äußerung von Konrad Adenauer verstehen, man würde österreichische Forderungen gegenüber Deutschland damit beantworten, dass man der Alpenrepublik die Gebeine Adolf Hitlers restituiere.577 Es dauerte Wochen und Monate, ehe wieder so etwas wie eine Normalisierung Platz greifen konnte. Einen Monat nach seiner erzwungenen Abreise aus Wien urgierte MüllerGraaf, dass seine Rückkehr so schnell wie möglich erfolgen sollte. Niemand würde den Abbruch der Beziehungen wirklich verstehen, und die Fortsetzung dieses eigentümlichen Zustands würde nur antideutschen Ressentiments in Österreich Aufwind geben. Es wäre Zeit, zur Normalität zurückzukehren und auch dagegen anzukämpfen, dass Deutschland – wie im Juni 1955 in der österreichischen Tagespresse geschehen – als »der fremde Nachbar« bezeichnet wurde.578 Andere Nachbarn hatten keineswegs mit vergleichbaren Problemen zu kämpfen, doch für alle war die Situation insofern anders und neu, als immer auch in Rechnung gestellt worden war, dass Amerikaner in Salzburg, Briten in Kärnten aber auch Sowjets in Ostösterreich gewesen waren. Und nun, und eigentlich erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, standen sich die Nachbarn unmittelbar und ohne »große Brüder« gegenüber. In der Schweiz wurde Österreich als militärisches Vakuum gesehen und unverhohlen formuliert  : Die Festung Sargans westlich von Rhein und Liechtenstein sei eine Festung an der sowjetischen Grenze geworden. Italien ließ sich den Wegfall des amerikanisch/ britischen Schutzschilds in Österreich dadurch kompensieren, dass es die Stationierung von Atomwaffen forderte – und zugesagt bekam. Die Bundesrepublik Deutschland erhielt nicht nur ein weiteres Stück Souveränität zurück, sondern wurde Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses. Der sowjetabhängige Osten aber bekam mit dem Warschauer Pakt eine der NATO vergleichbare militärische Struktur. Somit beendete der österreichische Staatsvertrag zwar formell etwas, das Vergangenheit war, ebenso aber öffnete er den Weg in eine Zukunft, die erst gestaltet werden musste. Die Mühen der Ebene Nach dem »strahlenden Frühlingstag«, als der der Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrags in die Überlieferung eingegangen ist, ging es darum, eine Art Bestandsaufnahme vorzunehmen. Ost- und Westösterreich, die seit 1918 immer wieder Probleme gehabt hatten zueinanderzufinden, waren sich trotz der schon 1945 geschaffenen staatlichen Einheit nicht wirklich näher gekommen. Bezeichnend vielleicht das Telegramm

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aus Salzburg, das noch in die Staatsvertragsfeiern platzte und in dem die Bundesregierung allen Ernstes gefragt wurde, wer »in Hinkunft den Einwohnern dieses Bundeslandes den Verlust der Einnahmen« ersetzten sollte, die nach dem Abzug der Amerikaner wegfallen würden.579 In der bis dahin sowjetischen Besatzungszone konnte das nur auf Unverständnis stoßen. In Ostösterreich hatte man einen enormen Nachholbedarf. Da war eine Umverteilung besonderer Art gefragt, die man im Osten erhoffte und im Westen fürchtete. Fraglos hatte jedes Bundesland und hatte jede Region ihre eigenen Probleme und musste sich auf die neue Situation einzustellen suchen, doch Egoismus konnte der Vereinheitlichung nur hinderlich sein. Der Wiederaufbau war noch lange nicht abgeschlossen. Es gab nach wie vor Kriegsschäden. Es galt, die letzten Kriegsgefangenen zu begrüßen und sie zu integrieren, und natürlich boten die abziehenden Alliierten mit ihren letzten Paraden nicht nur mehr oder weniger großartige Schauspiele, sondern hinterließen auch etliche Probleme. Für die Legislative waren es hektische Zeiten. Während die Alliierten zusammenpackten, ging für den österreichischen Nationalrat die Arbeit erst so richtig los. Es musste Ordnung in die Gesetzgebung gebracht werden, denn da bewusst zehn Jahre hindurch nur wenige Verfassungsgesetze verabschiedet worden waren, galten noch Gesetze aus der Zeit der Monarchie, z. B. die aus Notverordnungen hervorgegangenen Gesetze zur Wirtschaftslenkung während des Ersten Weltkriegs. Dazu kamen andere Gesetze aus der laufenden Arbeit, darunter eine so komplexe Materie wie das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz. Und natürlich konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf das Bundesverfassungs-Gesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs, das schließlich am 26.  Oktober 1955 mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen wurde. Nur die Abgeordneten des VdU und ein »wilder« Abgeordneter stimmten dagegen. Für die »Unabhängigen« war Vieles am österreichischen Weg falsch. Sie hatten 1954 in ihr Programm geschrieben  : »Österreich ist ein deutscher Staat. Seine Politik muss dem gesamten deutschen Volk dienen und darf nie gegen einen anderen deutschen Staat gerichtet sein.« Das war schlichtweg ein Anachronismus, und als ein VdU-Abgeordneter noch radikalere Töne anschlug, belegte ihn ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland mit einem Einreiseverbot.580 Deutschland anerkannte die Neutralität Österreichs am 7. Dezember mit einer Verbalnote, die den gleichen Wortlaut aufwies wie die Anerkennungsschreiben von Briten und Franzosen.581 Eines blieb Österreich erspart, nämlich Neuwahlen, wie sie im Bundesparteivorstand der ÖVP kurze Zeit ventiliert wurden. Raab war strikt dagegen, und das aus guten Gründen  : Ein Wahlkampf in einem ohnedies schon hektischen Jahr wäre wohl kaum mehr möglich gewesen. Die Chance der ÖVP, die absolute Mehrheit zu erlangen, bestand zweifellos, wäre aber auf eine Demütigung der SPÖ hinausgelaufen. Und das trotz des Umstands, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Großen Koalition geblieben wäre. Raab und Schärf hatten das Amerikanern wie Briten zugesichert.

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Obwohl es nicht zu planen gewesen war, wurde das »Staatsvertragsjahr« auch von kulturellen Großereignissen umrahmt, die die Aufmerksamkeit abermals, wenngleich in ganz anderer Weise auf Österreich lenkten. Am 14.  Oktober wurde das 1945 schwer beschädigte Burgtheater mit Grillparzers »König Ottokars Glück und Ende« wieder eröffnet. Das Stück war natürlich mit Vorbedacht ausgewählt worden  : Ein österreichischer Dichter, ein österreichisches Thema und als eine Art Höhepunkt das »Lobgedicht auf Österreich«, das man auch während der NS-Zeit mit Applaus quittiert hatte  : »… Es ist ein gutes Land …. Schaut rings umher, wohin der Blick sich wendet. Wo habt ihr dessengleichen schon gesehen  ?« Ursprünglich war für die Wiederöffnung wohl an Goethes »Egmont« gedacht gewesen, doch das war eben kein österreichisches Stück. Also ließ man die letzte Zeile des Lobgedichts »Habsburg für immer  !« weg und spielte Grillparzer. Drei Wochen später, am 5.  November, erfolgte die Wiedereröffnung der am 12. März 1945 zerstörten Wiener Staatsoper. Auch in diesem Fall war sorgsam ausgewählt worden. Es sollte Beethovens »Fidelio« sein. Nicht, weil man damit Ludwig van Beethoven endgültig zum Österreicher machen wollte, sondern des dritten Akts und des Schlusschors wegen  : »Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde …«. Man konnte in Patriotismus schwelgen, und das »annus mirabilis« konnte ausklingen. Auch ohne vorgezogene Nationalratswahlen konnte man von den letzten Monaten des Jahres 1955 von einer »erfüllten Zeit« sprechen. Es galt nicht nur nachzuziehen und den West-Ost-Ausgleich bei den binnenstaatlichen Strukturen zu meistern. Ebenso wichtig war es, die internationale Positionierung voranzutreiben. Jahrelang war die Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen angestrebt worden, aber nicht zu erreichen gewesen. Im September 1947 war Österreich Beobachterstatuts gewährt worden. Nunmehr, am 14.  Dezember 1955, wurde Österreich als 70. Staat in die Weltorganisation aufgenommen. Das ließ sich der Erfolgsbilanz des Jahres 1955 hinzufügen. Anderes bereitete aber regelrecht Kopfzerbrechen. Das Ende der alliierten Besetzung verursachte unerwartete Turbulenzen. Unsicherheit griff um sich. Das aber nicht in einem militärischen Sinn, sondern als Folge dessen, dass ohne jeden erkennbaren Grund der historische Kompromiss der beiden großen politischen Lager in Frage gestellt wurde. Die Folge war, dass der Kauf von Revolvern und Pistolen sprunghaft anstieg.582 Waren es nur die Alliierten gewesen, die Österreich ruhig halten konnten  ? War es so schlecht bestellt um den inneren Frieden  ? Dutzende Berufsgruppen drohten mit Streiks. Es gab eine regelrecht Streikhysterie. Zuletzt ging es aber nur mehr um Banales. Staatsvertrag, Neutralität, der UNO-Beitritt waren abgehakt. Ob Österreich entgegen den Wünschen Raabs dem Europarat als Vollmitglied beitreten sollte oder nicht, war bereits ein Nischenthema. Wohl aber ließen die Erhöhung der Straßenbahntarife in Wien und der Milchpreis die Wogen hochgehen. Es gab aber auch merkliche Verschiebungen im Parteienspektrum. Der VdU, der 1949 einen unerwartet großen Erfolg gehabt hatte und seine Stellung auch 1952/53

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behaupten, ja sogar noch etwas ausbauen konnte, war in die Krise geraten. Fast hatte es den Anschein, dass ihm mit dem Abzug der Alliierten die »Geschäftsgrundlage« abhandengekommen wäre. Gleichermaßen zum Niedergang hatte beigetragen, dass Finanzminister Kamitz eine wirtschaftspolitische Ausrichtung vorgenommen hatte, die es dem VdU schwer machte, Opposition zu betreiben. Österreich hatte nicht nur aufgeholt, sondern war auch voll in eine neue Konsumwelt eingetaucht. Lange Entbehrtes war wieder verfügbar und leistbar. Die Regierungsparteien konnten sich eine Art wirtschaftspolitischen Quantensprung zugutehalten. Und letztlich hatten sie ihre Bemühungen, die ehemaligen Nationalsozialisten an sich zu binden und die »Nationalen« aufzuspalten, erfolgreich fortgesetzt. Angesichts der Möglichkeit, der VdU könnte sich völlig auflösen, war es diesmal Raab, der sich für den Fortbestand einer weiteren Rechtspartei stark machte. Sie blieb denn auch erhalten und firmierte fortan als Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Am 13. Mai 1956 wurde gewählt. Der Ausgang der Wahlen konnte nicht wirklich überraschen. Die ÖVP kam mit 84 Mandaten knapp an die absolute Mehrheit heran, die Sozialisten blieben mit 73 Mandaten gleich. Die FPÖ konnte von 14 VdU-Mandaten nur sechs retten. Die Kommunisten, einstmals unter den Gründungsvätern der Zweiten Republik zu finden, dann zeitweilig Schreckgespenst und verlängerter Arm der Sowjets, wurden marginalisiert und stellten im neuen Nationalrat gerade noch drei Mandatare. Da folglich die Machtverhältnisse neu geordnet waren, am Fortbestand der Großen Koalition kein Zweifel mehr bestehen und auch der politische Alltag wieder Einzug halten konnte, ging es darum, eine regelrechte Neuausrichtung vorzunehmen. Auffallend war dabei, dass die außenpolitischen Agenden eine Vierfachbesetzung erhielten. Da war einmal der Bundeskanzler, der sich zumindest als außenpolitischer Impulsgeber verstand. Des weiteren Außenminister Figl. Doch statt wie seit 1953 einen hatte er nunmehr zwei Staatssekretäre an seiner Seite, Bruno Kreisky und Franz Gschnitzer. Angesichts dieser ungewöhnlichen Konstellation verwunderte es wohl nicht, dass Raab in seine Regierungserklärung eine Passage einbaute, die aufhorchen ließ  : Der Kanzler erwähnte, dass ein Schatten auf die bilateralen Beziehungen zu Italien falle, denn Italien hätte eine ganze Reihe von Bestimmungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens von 1946 nicht erfüllt. Die italienische Reaktion kam prompt. Innenminister Fernando Tambroni ließ in Rom verlauten, bei Südtirol würde es sich um eine rein interne Angelegenheit Italiens handeln, die Österreich nichts angehe. In Wien sah man das anders, und das war den Italienern ebenso bekannt wie den Staatsvertragssignataren. Noch war freilich niemand alarmiert. Die Sache war aber zumindest einmal angesprochen worden. Durchaus alarmiert waren Amerikaner, Briten und Franzosen aber wegen einer anderen Anmerkung, die allerdings von den Sowjets gemacht wurde. Am Jahrestag jenes Memorandums, das am Schluss der bilateralen Verhandlungen in Moskau im April 1955

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gestanden war, erinnerte die sowjetische Regierungszeitung »Izvestija« am 15.  April 1956 daran, was da in einem Halbsatz nachzulesen war  : Österreich würde sich darum bemühen, die erst zu erklärende Neutralität von den Besatzungsmächten garantieren zu lassen. Die Sache wurde von Moskau nicht weiter thematisiert, doch dass sich hier ein Problem ergeben konnte, war auch den Westmächten schon lange klar. In internen Beratungen war seit dem Frühjahr 1955 darüber gesprochen worden. Amerikaner und Briten waren strikt gegen eine Garantie und hofften, Österreich könnte den Sowjets die Sache notfalls ausreden. Wie man dann sah, hatten die Russen nicht darauf vergessen. In Österreich waren die Meinungen gespalten. Es war aber keinesfalls so, dass es einhellige Ablehnung gegeben hätte. Vor allem einer konnte der Garantie durchaus etwas abgewinnen  : Julius Raab. Ebenso aber der Staatssekretär im Außenministerium Bruno Kreisky. Um wenigstens nicht von einer einseitigen Garantiezusage der Sowjets überrascht zu werden, arbeiteten die Botschafter der drei westlichen Staaten eine Formel aus, die eine »harmlose« Garantie enthielt und dann greifen sollte, falls die Sowjets nicht stillhielten.583 Demnach wäre in einem Bedrohungsfall der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu befassen gewesen. Das hätte wohl kaum etwas bewirkt, doch die Angelegenheit konnte zumindest einmal abgehakt werden. Es war aber nicht Moskau, das dann in der Garantiefrage nachstieß, sondern Österreich. Die Ablehnung konnte nicht deutlicher ausfallen. Und der britische Botschafter machte aus seinem Unmut kein Hehl  : »Großbritannien sollte wohl ein militärisches Vakuum garantieren.« Eine Garantie käme nicht in Frage. Österreich führe sich »kindisch« auf und plane wohl nur einen symbolischen Widerstand.584 Damit mussten sich der Kanzler, Außenminister Figl und Bruno Kreisky bescheiden. Und Österreich lernte mit einer letztlich dann doch anderen als der Schweizerischen Neutralität zu leben. Dass sich Österreich gegen einen Angriff nicht dauerhaft zur Wehr setzen konnte, war eine nicht wegzuleugnende Tatsache. Zwar war 1956 mit dem Aufbau des Bundesheers begonnen worden, doch mit dem ersten Jahrgang von Präsenzdienern, die aufgrund des am 7. September 1955 in Kraft getretenen Wehrgesetzes einrücken sollten, war erst im Oktober 1956 zu rechnen. Der erste Verteidigungsminister der Zweiten Republik, Ferdinand Graf, versuchte das offensichtliche militärische Unvermögen seines Heeres dadurch zu umgehen, dass er Kontakt zum italienischen Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani suchte – und fand. Taviani, der als »austrophil« galt und schon 1953 gemeint hatte, es wäre für den Süden Italiens eine Katastrophe gewesen, dass die österreichische Herrschaft nach dem Polnischen Erbfolgekrieg 1738 geendet habe,585 sagte Ferdinand Graf militärische Unterstützung zu. Wenn es schon keine Garantie der Neutralität und keine handfesten Zusagen von Amerikanern, Briten und Franzosen gab, Österreich bei der Verteidigung seiner territorialen Integrität zu helfen, dann wollte eben Italien das Seine tun und sich – was aber Spekulation bleiben muss – Österreich verpflichten, so dass es vielleicht nicht auf Einhaltung des Gruber-

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De Gasperi-Abkommens bestand. Es schien aber auch eine verlockende Idee zu sein, an die Achse Rom-Wien-Budapest der Mussolini-Jahre anzuknüpfen. Graf wie Taviani wurden jedoch von ihren Regierungschefs und wohl auch von den Amerikanern »eingebremst«.586 Einige Monate später hatte es den Anschein, als wären die Gespräche zu früh abgebrochen worden. Plötzlich gab es so etwas wie Gefahr im Verzug.

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17 Sammlungsaktion für ungarische Flüchtlinge, November/Dezember 1956. Staatliche Stellen, karitative Einrichtungen und rasch gebildete private Organisationen halfen zusammen, um den Ansturm an Flüchtlingen zu bewältigen. Gegen Jahresende zählte man in Österreich etwa 145.000 Flüchtlinge, von denen noch 70.000 versorgt werden mussten. Von den schließlich rund 200.000 Flüchtlingen, die nach Österreich kamen, blieben aber nur 20.000 im Land. (Foto: Rauchensteiner, Spätherbst 1956)

A

m 23.  Oktober 1956 weiteten sich Demonstrationen in Budapest zu einem Volksaufstand aus. Man hatte wohl nicht nur in Österreich zu wenig darauf geachtet, dass sich da etwas vorbereitete. Unruhen in Polen hätten eigentlich ein Signal sein können. Vielleicht war man auch zu sehr mit sich beschäftigt gewesen, um die Vorgänge in der unmittelbaren Nachbarschaft zu verfolgen. Weder der österreichische Gesandte in Budapest, Walther Peinsipp, noch die Medienvertreter hatten sich vorstellen können, dass aus dem gelegentlichen Aufbegehren mehr werden könnte. Und dann passierte es eben. Erst nachträglich ließen sich einige Indizien beischaffen. Ende September 1956 hatte der ehemalige ungarische Ministerpräsident Ferenc Nagy bei der österreichischen Botschaft in Washington ein Visum für mehrere Einreisen nach Österreich beantragt. Bei seinem für Oktober/November geplanten Besuch wollte der 1947 zur Emigration gezwungene ehemalige Regierungschef Ungarns Freunde treffen. Hatte Nagy gewusst, dass sich etwas vorbereitete  ? Aber es gab auch andere Indizien dafür, dass sich einiges regte. In Österreich gab es noch immer 158.000 Flüchtlinge, die Krieg und Nachkriegszeit ins Land gespült hatten, darunter Zehntausende Ungarn. Sie suchten vermehrt Kontakte zu ihren Landsleuten. Als sich dann eine Schar von Unzufriedenen am 23. Oktober beim Denkmal des ungarischen Dichters Sándor Petöfi versammelte und einen Demonstrationszug formierte, skandierten die vornehmlich jungen Leute Parolen, die auf eine grundlegende Änderung abzielten. Sie wollten andere Leute an der Spitze, mehr Freiheiten, einen höheren Lebensstandard und weniger Russen. Und wie in Ungarn üblich, begann es mit Gesang. Dann wurden feurige Reden gehalten, das Stalindenkmal in Budapest gestürzt und bald auch geschossen. Stunden später gab es einen landesweiten Aufstand. Die Erregung griff um sich. Ein Mythos entsteht Am Tag nach dem Aufflammen des Aufstands sondierte man in Wien die Lage. Die Spitzen der Bundesregierung, Bundeskanzler und Außenminister, waren im Ausland oder wie der Vizekanzler und der Staatssekretär im Außenministerium kurz vor dem Abflug. Also wurden Innenminister Oskar Helmer und Verteidigungsminister Ferdinand Graf tätig. Sie ordneten eine verstärkte Grenzüberwachung an. Raab machte die Alarmierungen tags darauf rückgängig. Doch dann passierte es ein zweites Mal  : Die

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in Ungarn stationierten Verbände des sowjetischen »Sonderkorps« wurden zu Hilfe gerufen, um die Unruhen zu unterdrücken. Das Standrecht wurde verkündet. Weder die ungarische Regierung noch die Aufständischen und schon gar nicht die Sowjets waren Herren der Lage. Für Österreich hatte das zur Folge, dass 24 Stunden nach der Aufhebung der Alarmierungen umfangreiche Maßnahmen zur Grenzsicherung angeordnet wurden. Klar waren die Ziele, die damit verfolgt wurden  : Man wollte der eigenen Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit geben und einen kompletten Grenzschutz einrichten, um nicht zuletzt für eine Massenflucht aus Ungarn gerüstet zu sein. Angesichts der Vorgänge in Ungarn und der unklaren Situation an der Grenze wurde am Jahrestag der österreichischen Neutralitätserklärung eine Sperrzone entlang der burgenländischen Grenze eingerichtet und der Einsatz des Bundesheers verfügt. Wieder zwei Tage später, am Sonntag, dem 28.  Oktober, beschloss ein Sonderministerrat die Ausweitung der getroffenen Maßnahmen. Außerdem wurde an die Regierung der Sowjetunion eine Note gerichtet, in der die Betroffenheit über die Vorgänge in Ungarn zum Ausdruck gebracht wurde. Hier hieß es  : »Die österreichische Bundesregierung [ursprünglich sollte es heißen  : Das österreichische Volk] verfolgt mit schmerzlicher Anteilnahme das nun fünf Tage andauernde blutige und verlustreiche Geschehen im benachbarten Ungarn. Sie ersucht die Regierung der UdSSR mitzuwirken, dass die militärischen Kampfhandlungen abgebrochen werden und das Blutvergießen aufhört.« Dann wurde noch über den Schießbefehl gesprochen, den das Bundesheer bekommen hatte und der auch gegen sowjetische Soldaten gelten sollte. Auf jeden Fall war es notwendig, Entschlossenheit zu zeigen, um nicht den Eindruck einer Neutralität mit Augenzwinkern zu erwecken. Und es war höchste Zeit, das klar zu machen  ! Die sowjetische Gegenstrategie bestand darin, mit Hilfe der östlichen Medien die moralische Position Österreichs zu erschüttern. Hilfslieferungen von Lebensmitteln und Medikamenten, so hieß es, seien dazu verwendet worden, um Waffen und Munition nach Ungarn zu schmuggeln. Tausende von militanten Horthy-Anhängern und Emigranten wären über Österreich nach Ungarn gekommen, um die »Gegenrevolution« zu schüren. In Salzburg, Linz und Graz gäbe es illegale Ausbildungszentren der Amerikaner, in denen Leute für ihren Einsatz in Ungarn vorbereitet würden. Schließlich hieß es, dass ohnedies schon amerikanische Truppen in Österreich und unmittelbar an der ungarischen Grenze stünden. Mit dergleichen Verdächtigungen sollte von den Vorgängen in Ungarn abgelenkt und Österreich eingeschüchtert werden. Am letzten Oktobertag beschloss die Kremlführung, in Ungarn militärisch zu intervenieren und den Aufstand niederzuschlagen. Währenddessen sah man weltweit gebannt auf den Nahen Osten, wo am 29. Oktober Israel Krieg gegen Ägypten begonnen hatte und zwei Tage später Briten und Franzosen am Suezkanal intervenierten. Die Vorgänge in Ungarn schienen stündlich an Be-

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deutung zu verlieren. Angesichts des beginnenden Vormarsches sowjetischer Truppen setzte der ungarische Ministerpräsident Imre Nagy einen Verzweiflungsakt  : Er erklärte am 4. November den Austritt seines Landes aus dem Warschauer Pakt und die Neutralität Ungarns nach dem Vorbild Österreichs. Damit ließen sich weder die Sowjets stoppen noch die Ungarn davon abhalten, den Aufstand als verloren anzusehen. Doch wer konnte, wandte sich zur Flucht. Im Zuge einer gezielten Desinformation hieß es, sowjetische Verbände würden sich nicht damit begnügen wollen, den Volksaufstand in Ungarn niederzuschlagen, sondern auch in Österreich einmarschieren. 18 Jahre später gab der in den Westen geflohene tschechoslowakische General Jan Šejna an, der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Žukov habe von Ministerpräsident Chruščev die Wiederbesetzung Österreichs verlangt – was abgelehnt wurde.587 Da Žukov 1955 ein erklärter Gegner des Abschlusses des Staatsvertrags und des damit verbundenen Abzugs der sowjetischen Besatzungstruppen gewesen war, musste das Gerücht nicht ganz aus der Luft gegriffen sein. Auch in der Tschechoslowakei und in Ostdeutschland soll die Wiederbesetzung Österreichs gefordert worden sein.588 Aber bekanntlich passierte nichts. Ab Mitte November beschäftigten Österreich dann nicht so sehr der Krieg der Worte, sondern Flüchtlingsfragen und die Hilfslieferungen für Ungarn. Zuerst kamen Hunderte, dann Tausende über die Grenze. Anfang November waren es schon 86.000 Menschen. Andere drängten nach. Die Gesamtzahl stieg auf über 143.000. Schließlich wurden rund 200.000 gezählt. Nicht alle hatten Ungarn definitiv den Rücken gekehrt, denn anfänglich waren jene nach Österreich geflohen, die Angst vor den Aufständischen hatten. Klar, dass sie nach der neuerlichen Festigung des kommunistischen Regimes wieder zurückkehrten. Wer bewaffnet über die Grenze kam, wurde interniert. Die Kasernen des Bundesheers, die zur Unterbringung der eigenen Soldaten gedacht waren, dienten als Flüchtlingslager. Unmut kam auf, vor allem auch, da sich die meisten europäischen Länder und die USA nicht bereit zeigten, größere Flüchtlingskontingente aufzunehmen. Man pickte sich nur Einzelne heraus. Als sich nach einem Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon in Österreich die USA bereit erklärten, ihre Einwanderungsquote für Ungarn zu erhöhen, entspannte sich die Lage etwas. Doch es blieb dabei, dass Österreich 1956 und 1957 definitiv mehr ungarischen Flüchtlingen eine neue Heimat bot, als irgendein anderes Land der Erde.589 Damit war ein Mythos geboren. Am 23. November kam es zu einer flagranten Grenzverletzung durch sowjetische Soldaten. Sie verfolgten bei Rechnitz ungarische Flüchtlinge und kamen weit nach Österreich. Dabei wurde ein russischer Soldat erschossen. Daraufhin wurde in den Ostblockmedien Österreich des Bruchs der Neutralität beschuldigt. Unbeschadet dessen und eigentlich überraschend schickte die neue ungarische Staatsführung des János Kádár am 23. November an die österreichische Regierung einen offiziellen Dank »für

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die hohe karitative Tätigkeit, mit der sie durch die Verteilung der Hilfssendungen des Österreichischen Roten Kreuzes in den schwersten Tagen den verwundeten Ungarn und den bedürftigen Kindern zu Hilfe eilte …« An der Grenze ging wieder der Eiserne Vorhang nieder. Das Ende der Fünfziger Es wäre zumindest einer Überlegung wert, ob die Zeit der alliierten Besetzung Österreichs nicht mit dem Staatsvertrag und dem Abzug der Alliierten, sondern erst 1956 ihren historischen Abschluss gefunden hat, wie ja in der Regel historische Perioden erst mit der darauffolgenden Epoche ihren Abschluss finden. Österreich machte seine ersten größeren Schritte auf dem internationalen Parkett und begann damit etwas nachzuholen, das bis zum Abschluss des Staatsvertrags nicht möglich gewesen war. »Österreich beginnt sich als Drehscheibe Europas zu sehen, als ein Mediator zwischen Ost und West«, hielt die britische Botschaft im Jahresrückblick aus Wien für 1956 fest.590 Julius Raab reiste nach Bonn, absolvierte dort den ersten Staatsbesuch der Nachkriegszeit und trachtete, das österreichisch-deutsche Verhältnis nach den Turbulenzen des Frühjahrs 1955 wieder in Ordnung zu bringen. Es gelang im Großen und Ganzen, und beide Seiten waren sich dessen bewusst, dass das der erste Besuch eines österreichischen Regierungschefs in Deutschland seit dem Treffen von Hitler und Schuschnigg in Berchtesgaden war. Im darauffolgenden Jahr sollte Adenauer nach Wien kommen. Außenminister Figl reiste nach Straßburg und hielt die erste Rede eines österreichischen Außenministers vor dem Europarat, in den Österreich am 16.  April 1956 als 15. Mitgliedsstaat aufgenommen worden war. Er konnte das ohne weiteres tun, da der Europarat keine militärischen Ambitionen mehr entwickelte. Dementsprechend legte der Minister ein klares Bekenntnis Österreichs zur europäischen Idee ab. Schärf und Kreisky nahmen an der Sitzung der Sozialistischen Internationale teil. Durch die Aufnahme Österreichs in die UNO war auch eine enorme Erweiterung des außenpolitischen Spielraums möglich geworden. Doch ebenso schienen sich Denkmuster und Verfahrensweisen der Besatzungszeit erst allmählich zu ändern. Und zweifellos musste sich Österreich erst seinen Platz in der Staatengemeinschaft sichern. 1955 war Österreich auf die Sowjets zugegangen. Das Verhalten während der Ungarischen Revolution kam dann einem Abrücken von der Sowjetunion gleich, wurde aber schon bald wieder zu korrigieren gesucht. Im Westen sah man Österreich nichtsdestoweniger als östlichen Außenposten der westlichen Demokratien. In den Augen der Briten war der Beitritt zum Europarat sogar ein unmissverständlicher Schritt in Richtung Westen. Es gab aber auch anders zu deutende Zeichen, und im April 1957 gab es wieder Gelegenheit, die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich

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zu preisen, als der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Anastas Mikojan zu Besuch in Wien war. Er fand freundliche Worte und konnte das umso leichter tun, als Österreich seine Bemühungen um einen Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) nicht weiter verfolgte.591 Letztlich war es wohl so, dass Österreich für den Westen wie für den kommunistischen Osten Gestalt annahm und Zuordnungen erfuhr. Vielleicht kam das von den Briten gebrauchte Bild von der Drehscheibe der Wahrheit am nächsten. Entgegen ersten Befürchtungen hatte sich Österreich also doch nicht in ein neutrales »Himmelbett« gelegt. Seine Rolle im Gefolge des Volksaufstands in Ungarn hatte zu einem Meinungsumschwung geführt. In London war man angenehm überrascht.592 Im Übrigen waren die ehemaligen Besatzungsmächte ebenso wie wohl die meisten Nachbarn zufrieden, dass Österreich kalkulierbar geworden war. Das innenpolitische Grundmuster hatte sich nicht verändert. Nach dem Tod von Theodor Körner hatte sich Adolf Schärf etwas widerstrebend der Wahl zum Bundespräsidenten gestellt und war gewählt worden. Seine Wahl wurde so interpretiert, dass das Amt eines aus der Sozialistischen Partei hervorgegangenen Bundespräsidenten als Gegengewicht zum ÖVPBundeskanzler zu werten wäre. Dem neuen Vizekanzler, Bruno Pittermann, wurde von den westlichen Beobachtern hoch angerechnet, dass er eine Verständigung mit der katholischen Kirche suchte und die gelegentlich kulturkämpferischen Attitüden seiner Partei unterband, wie sich die österreichischen Sozialisten überhaupt mehr in Richtung der Sozialdemokratie der nordischen Staaten entwickelten. Österreich stimmte in der UNO für einen westlichen Abrüstungsvorschlag, löste zur Zufriedenheit der Westmächte und zum Ärger der Sowjets das Büro des Weltfriedensrats in Wien auf, ließ aber wenig später den letztlich nur umbenannten Verein mit der Bezeichnung »Internationales Institut für den Frieden« wieder zu. Am Beliebtheitsgrad Österreichs schien sich rein äußerlich nichts zu ändern. Der Staatsvertrag und die Zeit danach waren aber auch für die Großmächte eine Zäsur, da man sich weit weniger als vorher mit Österreich zu beschäftigen hatte. Ein neuer britischer Botschafter in Wien, Sir James Bowker, schrieb denn auch an das Londoner Foreign Office, Österreich würde nur deshalb noch einiges Gewicht haben, weil es am Eisernen Vorhang liege und wie eine Speerspitze in den Sowjetblock hineinragte. Ansonsten wäre es unauffällig, nett und vornehmlich für Touristen, Musikliebhaber und Freunde des mitteleuropäischen Barock von Interesse.593 Tatsächlich setzte 1956 ein Prozess der Normalisierung ein, der unabhängig von gelegentlichem Lob oder Tadel aus Washington, London, Paris und Moskau ablief. Mit der Bundesrepublik Deutschland ging es wieder aufwärts. Der Ton war freundlicher geworden. Der Gegenbesuch von Bundeskanzler Adenauer in Wien war von einem Einlenken Österreichs in der Frage deutscher Vermögenswerte gekennzeichnet. Über die Entschädigung für Inhaber kleiner Vermögenswerte sollte verhandelt werden.

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Ungarn hatte den Schock von 1956 dadurch zu kompensieren gesucht, dass es wieder total abweisend geworden war. Das Verhältnis zur Tschechoslowakei war nur als nasskalt zu bezeichnen. Die Ankündigung, dass 1959 in Wien ein »Sudetendeutscher Tag« abgehalten werden würde, sorgte für weitere Verstimmung. Jugoslawien hatte 1957 die österreichischen Vermögen beschlagnahmt und zeigte sich mit der Erfüllung der staatsvertraglichen Bestimmungen gemäß Artikel 7 unzufrieden. Raab sagte einen für 1957 geplant gewesenen Besuch in Belgrad ab. Und Italien war darüber erzürnt, dass Österreich auf Erfüllung des Gruber-De Gasperi-Abkommens pochte und zunehmend harsch auf die italienische Verzögerungstaktik reagierte. Es gab also noch viel zu tun. Und Außenpolitik war zweifellos weiterhin ein großes und wichtiges Thema. Aber es gab auch noch Anderes. Unter der glatten Oberfläche und jenseits touristischer Attraktionen, der Wiener Staatsoper und den barocken Kunstschätzen begann es zu brodeln. Der Wertekonservatismus hatte zwar für Ruhigstellung gesorgt und es verhindert, dass man in Österreich bei dem seit 1945 laufenden Akt der Selbstfindung unliebsame Überraschungen erlebte. Doch dass sich etwas anbahnte, war nicht zuletzt im Bereich der Jugendkultur zu merken. Und ob die Bemühungen des staatlichen Gegensteuerns erfolgreich sein würden, konnte durchaus bezweifelt werden. Vielleicht war der beredtste Ausdruck dessen, dass von Seiten der Staatsführung getrachtet wurde, Ruhe als die erste Bürgerpflicht zu preisen und vor allem die Jugend zu disziplinieren, dass der Nationalrat 1957 ein Jugendschutzgesetz verabschiedete, das zum Ziel hatte, die »Unmoral« von Jugendlichen schon im Keim zu ersticken. Die Jugend sollte nicht nur vor den Gefahren der Straße bewahrt werden, es sollte auch der »wahllose Besuch von Restaurants und Veranstaltungen, der Konsum von Alkohol und Nikotin« verboten werden.594 Konzerte des amerikanischen Rocksängers Elvis Presley galten als regelrecht gefährlich, da sie die Zuhörer in Ekstase versetzen. Wieder einmal galt Ordnung und Unterordnung als selbstverständlich. Zwischen der Kriegs- und der ersten Nachkriegsgeneration tat sich eine Kluft auf. Letztere zeigte sich mit der Selbstzufriedenheit derer, die so deutlich machten, dass sie es geschafft hatten, keinesfalls einverstanden. War es wirklich damit getan, dass man die Vergangenheit ruhend gestellt hatte  ? Eine zu eingehende Erörterung oder gar eine regelrechte Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus wurde als nicht opportun abgetan. Dass sie schrecklich gewesen war, und dass der Krieg viele Opfer gefordert hatte, sollte doch ausreichen. Das ging so weit, dass in einer Geschichte Österreichs auch noch 1970 die kühne Formulierung aufscheinen konnte  : »Der Zweite Weltkrieg gehört zur Weltgeschichte, nicht aber zur eigentlich österreichischen Überlieferung …«.595 Es war nicht versucht worden, die Emigranten des Jahres 1938 zurückzuholen. Sie konnten ja Forderungen stellen, die zu erfüllen die Behaglichkeit womöglich gestört hätte. Ein Drittel derer, die unter die Rubrik »Vertriebene Intelligenz« fielen,

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war zurückgekehrt und hatte das wissenschaftliche und kulturelle Potential wieder aufgefüllt.596 Anders ausgedrückt  : Zwei Drittel waren nicht zurückgekommen. Eine große Lücke blieb. Doch wenn es darum ging, mehr zu tun, schob einer die Schuld auf den anderen. Auf Dauer ließ sich freilich nichts verdrängen, und man musste eigentlich nur auf die Bestimmungen des Staatsvertrags schauen, um zu wissen, dass da noch viel zu tun war. Aber wer schaute schon auf den Staatsvertrag  ? Er blieb ein mehr oder weniger ungelesenes Dokument. Und gerade für eine nachwachsende, lebenshungrige Generation stand ganz anderes im Vordergrund. Der Schriftsteller Hans Veigl zählte auf, was wichtig geworden war  : Stille Behaglichkeit, Dampfkochtopf, Waschmaschine, Autos, Nylonstrümpfe und Novopanplatten, Illustrierte und Schlager. Man jubelte  – noch meist vor den Radios – über die Siege der Skiasse Anderl Molterer oder Toni Sailer, fuhr im Urlaub an die obere Adria oder nach Dalmatien, tanzte Rock ’n’ Roll …. Konsum und Lebensfreude dominierten. Und nur gewissermaßen als Erinnerung erwähnte Veigl den »einigenden Willen«, auf dem diese Republik errichtet worden war, Konsens, Großer Koalition, »Aufbauleistung als Erfolgsstory«.597 Es gab keine Sorgen um Arbeitsplätze, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) zielte darauf ab, jedem in Österreich Lebenden eine medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Altersversorgung war gesichert. Zukunftsängste waren kleingeschrieben. Das »Unbehagen im Parteienstaat« Am 4. Januar 1957 und nur wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit starb Theodor Körner. Er war seit Bestehen der Republik der erste in einer Volkswahl gewählte Bundespräsident gewesen. Sein Tod leitete, ohne dass das schon sehr früh absehbar gewesen wäre, eine lange Phase der Veränderung ein. Nach einigem Vorwahlgeplänkel, bei dem abermals darüber diskutiert wurde, ob man die Volkswahl nicht doch wieder abschaffen sollte, stellte die SPÖ Vizekanzler Adolf Schärf als Kandidaten auf. ÖVP und FPÖ einigten sich auf den Mediziner Dr. Wolfgang Denk, nachdem es Raab abgelehnt hatte, auf das – wie er es sah – Altenteil abgeschoben zu werden und selbst zu kandidieren. Schärf wurde gewählt und der bisherige Klubobmann der SPÖ im Nationalrat, Bruno Pittermann, folgte ihm als Vizekanzler nach. Für Raab eine herbe Enttäuschung. Monate später erlitt er einen Schlaganfall. Er erholte sich langsam. Und gerade in dieser Zeit nahm etwas Gestalt an, das Raab und der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Johann Böhm, schon seit einiger Zeit ins Auge gefasst hatten  : Man wollte den Interessenausgleich institutionalisieren. Gerade die Streiks und sozialen Unruhen des ausgehenden Jahres 1955 und Anfang 1956 waren geeignet gewesen, etwas wiederzubeleben, das Jahre hindurch größere Konflikte verhütet hatte

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(sieht man einmal vom Herbst 1950 ab), nämlich die Lohn- und Preisabkommen. Nun wurde das insofern zum Regelwerk gemacht, als es zur Schaffung der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen kam. Sie sollte aus Vertretern der Bundesregierung und Interessenvertretungen gebildet werden und schlichtend eingreifen, wenn größere Lohnkonflikte drohten. Damit wurde aber nicht nur etwas verfestigt, das einen Interessenausgleich sicherstellen sollte. Vielmehr war es der vielleicht deutlichste Ausdruck dessen, was sich schon längst als österreichische Form einer Konsensdemokratie herauszubilden begonnen hatte. Man konnte das als konfliktscheu sehen oder auch als ein Instrument, das die Regierung entlasten sollte. Tatsächlich schien es zu funktionieren. Raab hatte aber noch ein anderes Ziel vor Augen. Er wollte weiterhin gestalten und traute sich auch nach seiner Erkrankung zu, weit besser als andere, Gesprächsmöglichkeiten im Osten wie im Westen nützen zu können. Dabei zielte er auf eine Art Verlängerung der Staatsvertragsverhandlungen ab. Für ihn war die »Zeit danach« offenbar noch lange nicht zu Ende. Plötzlich aber machte ein Zwischenfall zu schaffen, mit dem wohl niemand gerechnet hatte. Eine amerikanische Militärintervention im Libanon machte einen raschen Transport von Truppen in das Krisengebiet notwendig. Die benötigten Flugzeuge und Soldaten waren in Bayern vorhanden. Ein Ansuchen um Überfluggenehmigung mit Angabe der tatsächlichen Stärke der Truppen sollte vermieden werden. Also suchten die Amerikaner in Wien nur um Überfluggenehmigung für eine humanitäre Aktion an und begannen am 16. Juli 1958 mit dem Lufttransport. Rund 100 Transportmaschinen, begleitet von Jagdflugzeugen, flogen über Österreich hinweg in den Libanon. Österreich fühlte sich hintergangen und zog seine Genehmigung für humanitäre Überflüge zurück. Dann, am 18. Juli, wurde die Sperre des Luftraums bekannt gegeben. Österreich schickte eine Rotte seiner wenigen (alten und inferior bewaffneten) »Vampire« Düsentrainer nach Innsbruck und gab ihnen mit auf den Weg, dass sie nicht zu nahe an amerikanische Maschinen heranfliegen sollten. In den USA tat man indigniert, wusste aber auf die Frage, wie sich die USA verhalten würden, wenn sowjetische Maschinen kreuz- und quer über Österreich fliegen würden, verständlicherweise keine Antwort. Mit österreichischer Dankbarkeit und Wegschauen war jedenfalls nichts getan. Noch dazu, da Österreich allen Grund hatte, nicht als amerikahörig dazustehen. Prompt richtete die Sowjetunion eine Note an die USA, in der nachdrücklich die Verletzung von Staatsvertrag und Neutralität Österreichs verurteilt wurde.598 Und genau an dem Tag, an dem die Note in Washington überreicht wurde, flog eine österreichische Regierungsdelegation in nahezu identer Zusammensetzung wie 1955 nach Moskau. Nur flog diesmal statt Adolf Schärf Bruno Pittermann mit. Es war der erste Besuch einer hochrangigen Delegation aus dem Westen seit der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstands. Entlang der Straßen ins Zentrum Moskaus hingen Transparente, auf denen man lesen konnte  : »Lang lebe die österreichisch-sowjetische Freundschaft.« Die

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Österreicher wurden wie Vertreter einer Weltmacht begrüßt.599 Zu guter Letzt zeigten sich die Sowjets großzügig und reduzierten die staatsvertraglichen Erdöllieferungen von 10 Millionen Tonnen auf 6,5 Millionen. Als die Österreicher schon wieder zu Hause waren, antworteten die USA Moskau auf die Note vom 18.  Juli mit der Feststellung, die Überflüge wären mit Österreich abgeklärt gewesen und seien in vollem Einvernehmen mit den österreichischen Wünschen erfolgt.600 Das war nun bestenfalls eine Notlüge. Österreich hob die Sperre seines Luftraums für Kranken- und Verwundetentransporte sowie für Staatsgäste erst am 20. August wieder auf. Damit war ein erster Schritt zur Normalisierung gesetzt worden. Nicht allerdings im Verhältnis zu den USA. Raab und seine Begleitung hatten es in Moskau vermieden, die Sowjets auf eine Änderung der militärischen Bestimmungen des Staatsvertrags anzusprechen und den Wunsch nach Anschaffung von Raketen für das Bundesheer zu äußern. Das Thema wurde auch zur Enttäuschung der Westmächte nicht aufs Tapet gebracht. Stattdessen war von Raab gesagt worden, man wisse sehr wohl, dass Österreich den Abschluss des Staatsvertrags in erster Linie der Sowjetunion zu verdanken habe. Der britische Botschafter in Wien kommentierte das dahingehend, die Österreicher hätten in Moskau nichts anderes getan, als »liebenswürdige Saufkumpane« abzugeben.601 In Washington aber war man schwer irritiert, und es konnte fast nicht ausbleiben, dass die USA ihrer Verärgerung auch Ausdruck verliehen. Österreich war auffallend häufig von den Sowjets zum Adressaten von Botschaften auserkoren worden, die dem Westen übermittelt werden sollten Und sowohl der sowjetische Staatspräsident Nikolai A. Bulganin wie Ministerpräsident Chruščev hatten immer wieder die Neutralität des Landes ins Spiel gebracht. Da ging es um einen Nicht-Angriffspakt der beiden Militärblöcke, ein Treffen der führenden Weltmächte, um den Kalten Krieg zu beenden, ein Verbot weiterer Atomwaffentests sowie die deutsche Frage, bei denen Österreich seine guten Dienste anbieten sollte.602 Die Antworten aus Wien waren unverbindlich geblieben, doch für die USA hieß es offenbar  : Wehret den Anfängen. Österreich sollte sich nicht erdreisten, einen Keil in die westliche Allianz treiben zu wollen. Also wurde Wien in die Defensive gedrängt und ihm eine Liste seiner Versäumnisse vorgehalten. Österreich war bei der Erfüllung staatsvertraglicher Verpflichtungen aber auch eines wichtigen Nebenabkommens, des Wiener Memorandums vom 10. Mai 1955, säumig geworden. Amerikanischen und britischen Erdölkonzernen, die durch die Übertragung der von den Sowjets freigegebenen Förderanlagen und Raffinerien an die Verstaatlichte Industrie um ihre vor 1938 innegehabten Vermögenschaften gebracht worden waren, sollten ja entschädigt werden. Art und Umfang der Entschädigungen waren aber trotz zweijähriger Verhandlungen noch immer offen. Es ging um einen Beitrag von rund 400 Millionen Schilling.603 Und im Artikel 26 des Staatsvertrags war die Entschädigung von Menschen festgeschrieben worden, die von

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den Nationalsozialisten enteignet und verfolgt worden waren. Auch in diesem Fall war Österreich säumig geworden, und es nützte nichts, auf innenpolitische Probleme hinzuweisen. Raab hatte vorgeschlagen, eine pauschale Entschädigungssumme von fünf Millionen Dollar zu zahlen und gemeint, sich darüber mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, auch schon geeinigt zu haben. Doch es war nichts gezahlt worden. Als Außenminister Figl Ende September 1958 nach Washington reiste, bekam er den ganzen Unmut der amerikanischen Administration zu spüren. Dass sie unter dem Druck jüdischer Organisationen wie der Erdölkonzerne stand, war klar. Doch die österreichischen Reaktionen auf die Überflüge im Juli und die Worte Raabs bei seinem Abschied aus Moskau hatten atmosphärisch einiges zum Schlechten verändert. Die Österreicher seien wohl bereit gewesen, den Russen alle Forderungen zu erfüllen, doch die Forderungen und Wünsche der Westmächte wären immer wieder abgetan worden, lauteten knapp formuliert die Vorwürfe. Kurz darauf machten die Amerikaner Ernst  : Sie sperrten die Auszahlung von ERP-Mitteln, ließen die österreichischen Kreditwünsche bei der amerikanischen Export-Import-Bank unerledigt, lieferten keine bereits zugesagten und vom Bundesheer benötigten Rüstungsgüter und demonstrierten damit ihre Möglichkeiten, Druck auszuüben.604 Man drehte Österreich den Geldhahn zu. Raab sah die Schuld für die Probleme beim Koalitionspartner. Plötzlich zeigte sich die Große Koalition als gar nicht so gute Regierungsform, da man sich in wichtigen Fragen gegenseitig blockierte. Es war auch unübersehbar, dass einige vornehmlich jüngere Politiker die Ablöse der »alten Garde« forcieren wollten. Raab wurde ein mitunter autoritärer Führungsstil vorgeworfen. Er hatte gar kein Hehl daraus gemacht, dass er den Aufholprozess der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zulasten der westlichen und südlichen Bundesländer vornehmen wollte. Die ihm angelastete Verknappung der Kreditmittel hatte eine zusätzliche Verschärfung gebracht und zur Zurückstellung von bereits geplanten Projekten geführt. An Figl wurde kritisiert, dass er im Windschatten des Kanzlers segelte, doch weder bei den Vermögensverhandlungen mit Jugoslawien noch bei der Erfüllung des Artikels 7 des Staatsvertrags etwas weiterbrachte. Vollends das Negieren des Südtirol-Problems sei fast unverzeihlich. Dann ging es um die Verstaatlichte Industrie, die Ausgabe von Volksaktien, mehr oder weniger Föderalismus und andere Details der Regierungsarbeit. Es ging nichts weiter.605 »Das Unbehagen im Parteienstaat« wurde artikuliert,606 die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll wäre, die Große Koalition fortzusetzen, so wie das Bruno Kreisky wollte, oder ob nicht doch auch andere Kombinationen denkbar wären. 25 Jahre nach dem Bürgerkrieg des Jahres 1934 ließ sich natürlich ausführlich der Weg der Ersten Republik rekapitulieren. Dass sich das europäische Umfeld grundlegend geändert hatte und sich auch in Österreich vieles, wenngleich nicht alles gewandelt hatte, ließ Parallelen fragwürdig erscheinen. Es heizte aber die Diskussion an. Wieder einmal schien der einfachste Weg

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der zu sein, die Legislaturperiode zu beenden und Neuwahlen für den Mai 1959 zu vereinbaren. Es wiederholte sich, was man schon von den Wahlen 1953 kannte  : Die SPÖ überholte die ÖVP stimmen-, wenngleich nicht mandatsmäßig. Da die Bildung einer neuen Koalitionsregierung nicht gelingen wollte, schaltete sich wie schon vor ihm Theodor Körner nun Adolf Schärf ein. Er betraute Raab ein weiteres Mal mit der Regierungsbildung und wirkte auch auf die SPÖ ein, einige Forderungen zurückzunehmen. Raab blieb Bundeskanzler. Der eigentliche Sieger der Regierungsverhandlungen war aber Bruno Kreisky, der Figl als Außenminister ablöste. Die Frage war nur  : Was würde die neue Regierung können, was die alte nicht gekonnt hatte  ? Strukturelle Probleme ließen sich durch die Fortsetzung des alten Kurses nicht lösen. Im Osten des Landes gab es trotz aller Bemühungen Stagnation und Abwanderung. Die Bauern wurden immer weniger. Industrien, die schon während der Besatzungszeit vermehrt im Westen angesiedelt worden waren, setzten diesen Trend fort. Die Bundesländer drifteten mehr auseinander als während der Besatzungszeit und fühlten sich zunehmend wichtig. Sie waren früher da gewesen als der Gesamtstaat. Die Landeshauptleute pochten auf ihre lokale Macht und ihre Möglichkeiten und trumpften regelrecht auf. Das war vor allem ein Problem der ÖVP, die von den Landeshauptleuten der eigenen Partei in die Pflicht genommen wurde. Salzburg, Tirol und Steiermark taten sich mit Kritik hervor und nützten die augenscheinliche Schwäche der Bundespolitik und der Bundespartei weidlich aus. Die Länder gaben Impulse, trugen aber anderseits zur Verhärtung bei. Tatsächlich blieben Bund wie Länder immer wieder etwas schuldig und gaben Anlass zu Klagen und Vorwürfen. Nicht zu vergessen die Parteien  ! Macht und politischer Einfluss ließ sich in Zahlen ausdrücken. Die beiden großen Parteien hatten jeweils um die 700.000 Mitglieder. Eine vergleichbare Organisationsdichte war bestenfalls in Diktaturen und Halbdiktaturen anzutreffen. Sogar die NSDAP hatte weniger Mitglieder als eine der beiden Großparteien gehabt. Die enorme Zahl an Parteimitgliedern war ein Erbe der Besatzungszeit, als die Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei als Läuterungsprozess gegolten hatte. Wie ehedem wurden Parteimitgliedschaften ins Treffen geführt, wenn es um Wohnungen, Anstellungen, Vorrückungen, Positionen oder Wohltaten welcher Art auch immer ging. Davon wurde denn auch ungeniert Gebrauch gemacht, nicht zuletzt im Bereich der verstaatlichten und staatsnahen Betriebe. Das Parteibuch entschied zwar nicht Alles, doch Vieles. Und besonders Geübte konnten auf zwei oder drei Parteibücher verweisen. Die Anpassungsfähigen verwechselten Vorteil mit Charakter. Neu war das also nicht. Und auch das Bemühen der politischen Parteien, für möglichst viele Lebensbereiche Angebote parat zu haben, hatte es schon gegeben. Auch die Erste Republik und der Ständestaat hatten das gekannt. Was sich geändert hatte, war nur der gewisse Druck, mit dem seinerzeit verhindert werden sollte, dass man einer Partei auch wieder abtrünnig wurde. Als Angehöriger einer bestimmten sozialen Schicht oder auch einer Berufs-

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sparte gehörte man aber nach wie vor nicht nur einer Partei an, sondern wohnte auch in einem bestimmten Bezirk oder einer Region, pflegte Umgang unter Gesinnungsfreunden, nahm an Aufmärschen teil und verbrachte die Freizeit mit Seinesgleichen. Auch Künstler und die Kunst waren nie frei von Opportunismus. Existenznot verlangte Anpassungsfähigkeit, zuerst an die Republik, dann an den Ständestaat und schließlich an den Nationalsozialismus. In der Zweiten Republik verschwanden die extremen Formen von Versäulung erst allmählich, doch Opportunismus blieb. Die Parteien wussten es, und sie rechneten damit. Das Jahrzehnt der Unzufriedenen Mit den sechziger Jahren brach ein Jahrzehnt der Unzufriedenen an. Als einer der ersten musste das Raab erfahren. Er verzichtete 1960 notgedrungen auf den Parteivorsitz der ÖVP, wählte sich aber seinen Nachfolger, den Steirer Alfons Gorbach selbst aus. Nicht einmal ein Jahr später sollte er ihm als Bundeskanzler nachfolgen. Gorbach sah sich als Sachwalter Raabs und führte keine »Palastrevolution« durch. Doch die Zeitbombe tickte, denn eine Gruppe von ÖVP-Politikern unter der Führung des Salzburger Landeshauptmanns Josef Klaus, genannt »die Reformer«, wollte den behäbig gewordenen Trott der Politik nicht mehr mitmachen. Auch bei der SPÖ versuchte man es mit neuen, unverbrauchten Personen. An der Männerriege der Bundesregierung änderte sich nichts. Doch es war wohl der gewisse Druck von unten und einer zum wenigsten von der Besatzungszeit geprägten Jugend, der beschleunigend wirkte. Europa, dem Julius Raab noch mit einer gewissen Skepsis gegenüberstand, wurde zum Ziel. Und das war mehr, als dass man einer Vision nachgerannt wäre. Seit 1. Januar 1958 gab es die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs. 1959 beschlossen sieben Staaten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht an der Bildung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatten teilnehmen können, eine kleine Europäische Freihandelszone, die EFTA, zu bilden. Für den Zusammenschluss war wohl in erster Linie ein französisch-britischer Gegensatz ausschlaggebend gewesen, der die Teilnahme Großbritanniens an der EWG verhinderte. Eine Sondierung in Moskau hatte aber auch gezeigt, dass die Sowjetunion in einem EWG-Beitritt Österreichs eine Verletzung staatsvertraglicher Verpflichtungen sowie der Neutralität sehen wollte und ihn daher zu verhindern wusste. Das war auch Bundespräsident Schärf bei einem Besuch in Moskau im Oktober 1959 gesagt worden.607 Für Österreich war die EFTAMitgliedschaft daher die einzige Möglichkeit, einer drohenden wirtschaftspolitischen Isolierung zu entgehen. Letztlich musste man damit zufrieden sein. Und Raab dachte auch nicht im Mindesten daran, gegen die Sowjets aufzutreten. Andere in seiner Partei und vor allem bei den Sozialisten waren wohl bereit gewesen, einen EWG-Beitritt

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zu versuchen. Doch das wäre zu einem unsinnigen Gewaltakt geworden. Der EFTAVertrag wurde am 4. Januar 1960 unterzeichnet. Auch in Sachen Südtirol konnte man von kleinen Schritten sprechen. Alle politischen Parteien Österreichs hatten Südtirol auf ihre Fahnen geschrieben. »Keine will sich Lauheit vorwerfen lassen«, urteilte der deutsche Botschafter, Müller-Graaf. Die Kommunisten wurden regelrecht lärmend und wollten damit zumindest Aufmerksamkeit erregen.608 Bis 1959 war es eher beim Abtasten geblieben. Italien wollte keine Verhandlungen, sondern nur Sondierungsgespräche. Leopold Figl hatte zuletzt alles andere als glücklich agiert und war mit seinem Versuch, die Sache vor den Europarat zu bringen, gescheitert. In Tirol war der Minister daraufhin scharf kritisiert worden. Sein Nachfolger, Kreisky, wollte zunächst Geheimgespräche, entschied sich aber dann anders. Er wollte die Frage internationalisieren und wählte dazu die UNO-Vollversammlung. Sein taktisches Kalkül, sich der Unterstützung kleiner und mittlerer Staaten zu versichern, ging auf. Die Vollversammlung beschloss, Italien und Österreich zu bilateralen Verhandlungen aufzufordern. Nunmehr konnte man in Italien nicht mehr damit argumentieren, dass es sich bei der Südtirol-Frage um ein internes Problem handle. Die Angelegenheit war deshalb nicht undelikat, da sich zeitgleich Jugoslawien verstärkt für die Rechte der Slowenen in Kärnten einzusetzen begann und nicht auszuschließen war, dass auch Jugoslawien die Frage bei der UNO anhängig machen wollte. Dabei ging es in erster Linie um Schulfragen. Die Internationalisierung konnte vermieden werden. Von einem Erfolg der Bemühungen, eine auch Jugoslawien vor allem aber die Kärntner Slowenen zufriedenstellende Erfüllung staatsvertraglicher Verpflichtungen zu erzielen, konnte aber noch lange nicht ausgegangen werden. Vor allem spießte es sich in der Frage nach der Stärke und regionalen Verteilung der slowenischen Volksgruppe. Österreich wollte seine Maßnahmen von einer Minderheitenfeststellung abhängig machen. Die Slowenenvertreter lehnten jegliche Zählung ab. Ende 1959 war die Phase der Abkühlung des Verhältnisses zu den USA zu Ende gegangen. Ein vermögensrechtliches Abkommen beendete den Streit um das Wiener Memorandum. Die Forderungen westlicher Ölfirmen wurden befriedigt. Ebenso konnten mit der Schaffung eines Abgeltungsfonds, der mit sechs Millionen Dollar ausgestattet wurde, jüdische Forderungen als erfüllt angesehen werden. Zumindest versprachen die USA, die Unterstützung der jüdischen Forderungen fallen zu lassen. Wenig später sollte sich zeigen, dass der Abgeltungsfonds viel zu gering ausgestattet worden war und dass damit bei weitem nicht alle materiellen Verluste abzugelten waren, die abzugelten Österreich versprochen hatte.609 Es war wohl nur ein nächster Schritt getan worden. Doch die USA hatten plötzlich wieder ihre Sympathien für Öster­ reich entdeckt. Der Nationale Sicherheitsrat der USA hielt fest  : »Österreich … ist ein Symbol des Widerstands gegenüber der Sowjetunion. Österreich ist strategisch bedeutsam … Eine Schwächung der österreichischen Stabilität und prowestlichen Aus-

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richtung würde einen schweren Rückschlag für die Vereinigten Staaten bedeuten.«610 Dieser Beurteilung lag also ein klares Kalkül zugrunde, da man in den USA das Gefühl haben musste, die Sowjetunion würde Österreich regelrecht umarmen. Von Ende Juni bis 8. Juli 1960 war der sowjetische Ministerpräsident Chruščev für zehn Tage nach Österreich gekommen, war durch sechs Bundesländer gereist und hatte sich akklamieren lassen. Der westdeutsche Botschafter hatte zwar ebenso wie andere ausländische Beobachter einen eher lauen Empfang in Wien mitbekommen,611 doch die Stimmung besserte sich, und Chruščev meinte im Nachhinein, die gewisse Distanziertheit wäre auf den Einfluss der katholischen Kirche und auf die ideologische Gegnerschaft der Sozialisten zurückzuführen gewesen.612 Auf dem Bauernhof Leopold Figls wetteten der sowjetische Ministerpräsident und der ehemalige Außenminister um ein Schwein, dass der Ertrag des österreichischen Mais höher wäre als der aus sowjetischem Anbau. Chruščev hielt dagegen – und verlor (was dann diskret verschwiegen wurde).613 Er zeigte sich auch großzügig und reduzierte die österreichischen Ablöselieferungen aus dem Staatsvertrag abermals um 500.000 Tonnen Rohöl. Für Unmut sorgte, dass Chruščev bei mehreren Pressekonferenzen über die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Italien herzog. In Mauthausen nannte er Adenauer eine »Reinkarnation Hitlers«.614 Das wurde als Verletzung des Gastrechts gesehen und auch von Raab, der den sowjetischen Staatsgast auf der ganzen Reise begleitete, spät aber doch zurückgewiesen. Die Bundesrepublik Deutschland sah sich sogar zu einem offiziellen Protest genötigt. Noch mehr zu schaffen machte den österreichischen Gastgebern aber, dass der sowjetische Ministerpräsident davon gesprochen hatte, dass die Sowjetunion bereit wäre, die österreichische Neutralität zu verteidigen. Diese Formulierung musste auf Österreich wie auf die Westmächte regelrecht alarmierend wirken. Kein Wunder also, dass Washington dagegenhalten wollte und zumindest den Abkühlungsprozess zu stoppen suchte, der unübersehbar geworden war. Österreich war aber für die Amerikaner wie für die Briten kein Sonderfall mehr, sondern ein Staat der minder wichtig geworden war.615 Plötzlich aber erhielt Österreich genau jene Rolle zugewiesen, die es immer spielen wollte  : Es bekam eine Brückenfunktion. Es war eine »neutrale Friedenszone«,616 die man wunderbar als Begegnungsort anbieten konnte. Schon 1953 hatte sich Österreich um ein Gipfeltreffen bemüht. 1954 bot Leopold Figl Wien an, sollte es zu der von der Sowjetunion gewünschten Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa kommen. Dann hatte es die Staatsvertragsunterzeichnung 1955 gegeben. Gleich darauf war Wien gegenüber Genf ins Hintertreffen geraten und konnte das für Juli 1955 geplante Treffen der Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA wegen eines amerikanischen Einspruchs nicht abhalten.617 Jetzt aber sollte es funktionieren. Amerikaner und Sowjets einigten sich darauf, ein Treffen des amerikanischen Präsidenten Kennedy und des sowjetischen Partei- und

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Regierungschefs Chruščev in Wien abzuhalten. Der Vorschlag zum Treffen in Wien war nicht von Österreich ausgegangen, doch Österreich nutzte die Chance, seine Drehscheiben- oder auch Brückenfunktion deutlich zu machen. Auf jeden Fall hatten Amerikaner und Sowjets gleichgezogen und deutlich gemacht, dass sie das Feld nicht dem anderen überlassen wollten. Die Bilder vom Gipfeltreffen in Wien gingen um die Welt. Dass es bei dem Treffen am 4. Juni 1961 um Deutschland ging, wurde bekannt. Dass Chruščevs Ankündigung, einen Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen und das Berlin-Abkommen mit den ehemaligen Verbündeten aufzukündigen, kurz darauf eine Massenflucht aus der DDR auslöste, die von der DDR-Führung mit dem Bau der Berliner Mauer und einer hermetischen Abriegelung des Ostens beantwortet wurde, konnte man bereits am 13. August sehen. Und dass Chruščev Kennedy als politisches Leichtgewicht einschätzte und im Jahr darauf die Stationierung von Raketen auf Kuba versuchte, war eine weitere Folge des Wiener Treffens. Die Welt geriet an den Rand eines Atomkriegs. Dabei hatte alles so friedlich ausgesehen – damals in Wien. Die Militärs in Ost und West waren alarmiert. Und Österreich zog mit. Doch die Agonie der Großen Koalition zeigte sich kaum irgendwo deutlicher als in der Frage der Verteidigungsfähigkeit des Landes. Für die militärischen Konzeptionen Österreichs war der Warschauer Pakt das Maß aller Dinge. Der Bau der Berliner Mauer und die damit einhergehende Kriegspsychose schienen die latente Annahme einer Bedrohung aus dem Osten zu unterstreichen. Der Verteidigungsminister des Kabinetts Gorbach, Karl Schleinzer, wollte sich nicht damit begnügen, eine erste Heeresreform durchzuführen und den organisatorischen Rahmen des Heeres zumindest einigermaßen an die Realitäten anzupassen. Er ergriff auch die Initiative, um einen Ministerratsbeschluss mit Aufträgen an die militärische Landesverteidigung zustande zu bringen. Der Minister und sein Staatssekretär, Otto Rösch, hatten aber durchaus divergierende Ansichten. Rösch wollte den Verteidigungsfall nicht in den Vordergrund gerückt sehen, sondern zunächst den Krisen- und den Neutralitätsfall behandelt wissen. Gleichzeitig forderte er, dass das Bundesheer in jedem Fall »zumindest an der Grenze« mit der Verteidigung beginnen müsse. Das lief auf die Quadratur des Kreises hinaus, doch mehr ließ sich in der Koalition nicht erreichen. Das Bundesheer sollte seine Planungen auf den Schutz der grenznahen Regionen abstimmen. Was auch immer daraus zu folgern war  : Dass es nur um eine symbolische Verteidigung ging, dass ein regelrechter Kriegsfall nicht vorgesehen war oder dass primär in die politische Option investiert werden sollte. Wie üblich in dieser Zeit wurde den operativen Annahmen auch der Einsatz von Atomwaffen zugrunde gelegt. Das war insofern realistisch, als zur selben Zeit die NATO und vor allem Italien voll auf die atomare Komponente setzten618 und im Rahmen des Warschauer Pakts für einen Vormarsch Richtung Italien und Deutschland ebenso der Einsatz von Atomwaffen gegen österreichische Ziele wie selbstverständlich eingeplant wurde. In einer Übungsannahme der Ungarischen Volksarmee konnte man dann le-

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sen, dass an die Zerstörung von Wien mittels zweier 500-Kilotonnen-Atombomben gedacht war.619 Man dachte das Undenkbare. Ein atomares Inferno hätte Österreich ausgelöscht. Bei allen Überlegungen, wie im Fall eines Angriffs aus dem Osten zu verfahren sei, kam natürlich Wien eine besondere Rolle zu. Da die österreichische Hauptstadt wenig mehr als 40 Kilometer von der ungarischen bzw. tschechoslowakischen Grenze entfernt lag, und sich die wichtigsten staatlichen Einrichtungen in Wien befanden, musste man sich mit dem Hauptstadtproblem beschäftigen. Es wurde die rasche Räumung Wiens überlegt, gleichzeitig aber befürchtet, dass ein Massenexodus aus der Stadt jegliche Verteidigungsanstrengung auch außerhalb derselben schwerstens behindern müsste. Daraufhin wurde durchaus ernst gemeint die Verlegung der österreichischen Hauptstadt überlegt. »Seiner geographischen Lage nach entspräche Bregenz als Bundeshauptstadt einer betonten Westorientierung der Republik Österreich  ; Wien – wäre es wirklich die frei gewählte [Hauptstadt] und nicht eine unüberprüft von der Monarchie übernommene – einer ebenso ausgeprägten Ostorientierung«, hieß es in einer Studie.620 Als Beispiele, wie eine Hauptstadt lokalisiert sein sollte, wurden Bern und Ankara genannt. Die Anregung blieb ohne Konsequenzen. Das hatte jedoch nicht zu bedeuten, dass damit das Problem kleiner geworden wäre. Und die dann sehr viel später bekannt gewordenen Planungen des sowjetischen Generalstabs und ungarischer Stäbe bestätigten nur die Szenarien, die auch den operativen Planungen des Bundesheers zugrunde lagen. Die Agonie Während sich die hohen Militärs mit der Notfallplanung abmühten, ging in Öster­ reich – wie man meinen konnte – alles seinen gewohnten Gang. Doch nach einer kurzen Beschleunigung der politischen Abläufe zwischen dem Sommer 1959 und dem Frühjahr 1961 setzte neuerlich Lähmung ein. Proporz und Junktim dominierten. Und es wurde eifersüchtig darüber gewacht, dass sich niemand einen Vorteil aneignete, der womöglich nicht vereinbart war. Die Junktimierung von Fragen artete in etwas aus, das sehr altösterreichisch »Packelei« genannt wurde  : Tausche Aktienübertragungen im Erdölbereich gegen gleitende Zollsätze für Eierimporte,621 und Ähnliches. Das ging nicht zuletzt auf Kosten des Staatshaushalts. Der von Salzburg nach Wien gewechselte neue Finanzminister im Kabinett Gorbach, Josef Klaus, ließ es auf eine Zerreißprobe ankommen. Mit Budgetkürzungen, Umschichtungen und einem radikalen Sparkurs wollte er den Staatshaushalt ordnen. Dabei fand er zwar in der Bevölkerung viel Zustimmung, ebenso wie mit seiner Forderung nach einer »Versachlichung« der Politik. Doch innerhalb der Regierung stieß er auf teils erbitterten Widerstand. Und das nicht

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nur von Seiten der SPÖ, wo der Präsident des Gewerkschaftsbundes und Zweite Nationalratspräsident, Franz Olah, aus Protest, von seiner parlamentarischen Funktion zurücktrat, sondern fast mehr noch in seiner eigenen Partei. Unterrichtsminister Drimmel wollte demissionieren. Gorbach konnte das verhindern, musste sich aber immer häufiger gegen die innerparteiliche Opposition zu behaupten suchen. Unversehens sah er sich auch einer »Nebenregierung« gegenüber, denn Raab, der noch immer Präsident der Bundeswirtschaftskammer war, und Olah einigten sich über die Köpfe von Regierung und Parteien hinweg auf den Ausbau der Paritätischen Kommission, die künftig Lenkungsmaßnahmen beraten, sie vorentscheiden und der Regierung vorschlagen sollte. Die Große Koalition erhielt damit eine weitere und von Nationalratswahlen unabhängige Säule, so als ob die Zweisamkeit dadurch verewigt werden sollte. Raab ging es darum, sein politisches Erbe sicherzustellen. Da wollte er nichts auslassen und schuf auch noch in der Zeit seines Abgangs Instrumentarien, die darauf abzielten, eine Art Automatik zu schaffen. 1961 übergaben die USA die Restagenden des Marshallplans an Österreich. Raab legte die verfügbaren und sich nur langsam verbrauchenden Mittel in einem ERPFonds an und stellte sicher, dass der Mechanismus der Kreditvergabe und Rückzahlung beibehalten werden konnte.622 Doch alle Bemühungen, Kontinuität und business as usual augenfällig werden zu lassen, konnten Zufälle und Unvorhergesehenes nicht verhindern. Wenige Tage nach dem Ende des Gipfeltreffens von Kennedy und Chruščev führte nicht einer der gängigen Streitpunkte zum Eklat im Ministerrat, sondern ein durchaus abseitiges Thema. Der Sohn des letzten österreichischen Kaisers, Otto von Habsburg, hatte die seit 1919 von den Mitgliedern seiner Familie geforderte Verzichtsund Loyalitätserklärung abgegeben. Damit hoffte er alle Hindernisse zu beseitigen, die bis dahin seine Einreise aus Bayern nach Österreich verhindert hatten. Der Wortlaut der Verzichtserklärung glich dem, wie er schon von zahlreichen Mitgliedern der Familie Habsburg-Lothringen abgegeben worden war. Otto von Habsburg hatte auch mehrfach Signale bekommen, u. a. von Innenminister Helmer und Außenminister Kreisky, die eine problemlose Erledigung erwarten ließen.623 Der Ministerrat konnte sich über die Gültigkeit der Erklärung aber nicht einigen. Die SPÖ-Minister stimmten dagegen, und der Staatssekretär im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, Eduard Weikhart, scheute sich nicht, öffentlich zu erklären  : »Sollte Otto Habsburg es wagen, in unser Land zu kommen und damit neues Unglück über uns zu bringen, wird ihm jener Empfang bereitet werden, den man einem unerwünschten Eindringling bereiten muss.«624 Otto von Habsburg ging keine Erledigung zu. Daraufhin ließ er der Republik eine Verfassungsklage zustellen. Nun waren die Höchstgerichte am Zug und es hieß warten. Im Frühjahr 1962 war wieder einmal zu konstatieren, dass nichts weiterging. Also sollte gewählt werden. Der Termin wurde möglichst weit hinausgeschoben, um eine zumindest dreijährige Legislaturperiode zustande zu bringen, also wurde erst am

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18. November 1962 gewählt. Das Ergebnis war im Wesentlichen wie gehabt. Anschließend begannen vier Monate dauernde Regierungsverhandlungen. Wieder wäre es ÖVP und SPÖ möglich gewesen, eine Kleine Koalition zu bilden. Eine derartige Möglichkeit wurde aber nur als taktisches Moment ins Spiel gebracht. Eine mandatsmäßig gestärkte ÖVP wollte es abermals mit der SPÖ versuchen. In der Folge wurde vor allem um das Außenministerium gepokert, nicht so sehr, um die ÖVP zu stärken, sondern um die SPÖ zu schwächen. Zu guter Letzt behielt Kreisky dieses Ressort, dem nur die Außenhandelskompetenzen genommen wurden. Es sollte das Handelsministerium sein, und nicht das Außenministerium, das dann die in Aussicht genommenen Verhandlungen mit der EWG über ein Assoziierungsabkommen zu führen hatte. Österreich wollte eine ausschließlich wirtschaftliche Vereinbarung. Die Sowjets reagierten dennoch prompt  : Wieder wurde eine Assoziierung mit der EWG, auch wenn sie gemeinsam mit Schweden und der Schweiz angestrebt wurde, als unvereinbar mit Staatsvertrag und Neutralität bezeichnet. Und es war klar  : Die Sowjets meinten es ernst  ! Sie legten noch nach. Moskau würde sich »für den Fall der Verletzung des Staatsvertrages durch Österreich nicht mehr an die Verpflichtungen des Staatsvertrages gebunden« fühlen, hieß es.625 Österreich war in einer Zwickmühle. Die Jahre des »Wirtschaftswunders« waren 1962 mit einer Rezession zu Ende gegangen. Die Investitionen stagnierten. Eine steigende Inflation gab Anlass zu Sorge. Die Auswirkungen des wirtschaftlichen Zusammenschlusses im Rahmen der EFTA drohten zu verpuffen. Und da Großbritannien die EFTA verlassen wollte, war auch für Österreich der Augenblick gekommen, sich neu zu orientieren. Die Aufmerksamkeit galt aber wie so oft nicht den Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Politik, sondern den personellen Weichenstellungen. Da war z. B. Franz Olah, der für und mit Kreisky um das Außenministerium gekämpft hatte. Er wurde Innenminister. Es war aber nicht die Ressortverteilung, die dann für die Fortsetzung der Partnerschaft maßgeblich wurde, sondern der Koalitionspakt. Der drückte wie nichts anderes das Misstrauen aus, das die neuen/alten Partner beherrschte und deutlich machte, dass man keine vertrauensvolle Zusammenarbeit begann, sondern die lächerlichsten Kleinigkeiten festschreiben wollte. Da ging es nicht mehr um die großen Ziele der Politik, sondern um Bedingungen für die Fortsetzung einer Partnerschaft, an die die wenigsten glaubten. Die Großkoalitionäre waren’s dennoch zufrieden. Andere, vor allem die Gruppe der »Reformer« in der ÖVP, nicht. Und es konnte sie auch nicht zufriedenstellen, dass ein koalitionsfreier Raum vereinbart wurde. Josef Klaus zog sich aus der Politik zurück und wollte nur mehr Rechtsanwalt in Salzburg sein. Und abermals wurde die Regierung der beiden Großparteien von einer schon bekannten Nebensächlichkeit buchstäblich am falschen Fuß erwischt. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich für die Klage Ottos von Habsburg wegen des Einreiseverbots

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für unzuständig erklärt. Der Verwaltungsgerichtshof fühlte sich zuständig und entschied am 24. Mai 1963, dass dem Habsburggesetz von 1919 Genüge getan sei, Otto von Habsburg also einreisen könnte. Die SPÖ machte die Sache zu einer Kraftprobe mit der ÖVP, stimmte im Nationalrat zweimal zusammen mit der FPÖ dagegen, dass ein Höchstgericht das Parlament aushebelte. Die turbulente Sitzung ging als »Junischlacht« in die Geschichte des Nationalrats ein.626 Innenminister Olah machte die Sache vollends zur Farce, als er mit dem Einsatz von Exekutivkräften drohte, falls der Habsburger ja versuchen sollte einzureisen. Abgesehen davon, dass sich hier eine der Republik eigentlich unwürdige Komödie abspielte, gab es noch einen Hauptbetroffenen, nämlich den Bundeskanzler. Man hatte ihn regelrecht beiseitegeschoben. Im September 1963 wurde Gorbach als Bundesparteiobmann abgewählt. Klaus trat an seine Stelle. Der erste Schritt zur Ablöse des Bundeskanzlers war getan. Der zweite Schritt war nur eine Frage der Zeit. Am 8. Januar 1964 starb Julius Raab. Er war ein Jahr zuvor noch als ÖVP-Kandidat für die Bundespräsidentschaft aufgestellt worden und hatte einen aussichtlosen Wahlkampf gegen den amtierenden Bundespräsidenten Adolf Schärf haushoch verloren. Mit Raab verlor Alfons Gorbach ein weiteres Mal seinen Rückhalt. Am 25. Februar 1964 demissionierte der Bundeskanzler, wenige Tage nachdem er sich mit Bruno Pittermann demonstrativ auf dem Wiener Zentralfriedhof im Gedenken an die Opfer des Aufstands im Februar 1934 zu einem symbolischen Händedruck getroffen hatte. Jetzt schlug die Stunde des Josef Klaus. Er wurde Bundeskanzler und bildete sein erstes Kabinett. Das Koalitionsabkommen blieb im Wesentlichen in Kraft, doch für Klaus stand vom ersten Tag an fest, dass es nur ein Vertrag auf Zeit sein würde. Was ihm half, die Abläufe zu beschleunigen, war aber nicht die Stärke seiner Partei, sondern die Selbstdemontage der SPÖ. Es waren vier Anlassfälle, die zur nachhaltigen Schwächung der SPÖ beitrugen. Da war einmal der »Fall« Olah. Der Innenminister, der sein Ressort mit einer erstaunlichen Rücksichtslosigkeit und autoritär zu führen begonnen hatte, zeigte durchaus Ambition, Bruno Pittermann als Parteivorsitzenden und Vizekanzler abzulösen. Allerdings wurde ihm zum Verhängnis, dass er 1962 mit Gewerkschaftsgeldern der FPÖ die Führung eines aufwändigen Wahlkampfs ermöglicht hatte. Das Ziel war klar gewesen  : Olah wollte sich einen Partner für eine Kleine Koalition in petto halten. Damit nicht genug, hatte Olah auch Gewerkschaftsgelder zur Gründung einer neuen Zeitung, der »Neuen Kronen Zeitung«, verwendet. Bei der Aufarbeitung des Falls scheute sich Olah auch nicht, den Konflikt mit dem aus seiner eigenen Partei kommenden Justizminister Christian Broda offen auszutragen. Der Parteiausschluss Olahs, seine Ablöse als Innenminister, Gerichtsverfahren, Verurteilung und Gefängnis waren die Folgen. Der Schaden für die SPÖ in dieser offenen Auseinandersetzung war immens, denn Olah war seit seinem Eingreifen in die von Kommunisten geführte Streikbewegung im Oktober 1950 sehr populär.

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Ein weiterer »Betriebsunfall« kostete die SPÖ ebenso Stimmen. Verkehrsminister Otto Probst sah es als seine Ressortzuständigkeit an, die Taufe eines neuen Bodenseeschiffes auf den Namen »Dr. Karl Renner« zu verfügen. Die Vorarlberger Landesregierung hatte jedoch den einstimmigen Beschluss gefasst, das Schiff »Vorarlberg« zu nennen. Die Schiffstaufe in Fußach am Bodensee am 21. November 1964 wurde zum Debakel. 30.000 Demonstranten ließen sich von der Exekutive nicht abhalten. Die aus Wien angereisten Ehrengäste sahen sich bedrängt. Der Landesgendarmeriekommandant, der sich nicht mehr aussah, forderte Assistenz des Bundesheers an. Es wäre die erste innenpolitische Assistenz des Heers geworden. Sie wurde vom Generaltruppeninspektor Erwin Fussenegger untersagt. Der Tag endete friedlich. Doch Otto Probst war zur Unperson geworden. Schließlich reagierte die SPÖ auch in einem weiteren Fall falsch. Die Journalisten unabhängiger Zeitungen, voran der Chefredakteur des »Kurier«, Hugo Portisch, waren über das zum Parteirundfunk degradierte Radio und Fernsehen so empört, dass sie zu einem in Österreich noch nie gebrauchten Instrument greifen wollten und ein Volksbegehren einleiteten. Es sollte das erste Volksbegehren in der Geschichte der Republik werden, denn das Volksbegehren Kurt Schuschniggs war ja am 11. März 1938 abgesagt worden. In der SPÖ sah man in einem erfolgreichen Volksbegehren den drohenden Verlust von Einflussmöglichkeiten bei der Meinungsbildung und argumentierte gegen das Plebiszit, das jedoch mit weit mehr als 800.000 Unterschriften ein überdeutliches Zeichen setzte. Die ÖVP hatte zwar nicht sehr viel Freude mit dem Vorgehen der Journalisten, doch sie nahm’s hin. Nach Habsburg, Olah, »Vorarlberg« und Rundfunk war davon auszugehen, dass die SPÖ deutlich geschwächt war. Im Übrigen aber hatte sich nichts geändert, außer dass sich das Unbehagen über die Arbeitsweise und den Reformunwillen der Großen Koalition in immer drastischeren Worten Luft machte. Österreich war innerhalb der zehn Jahre seit dem Abschluss des Staatsvertrags erstarrt und insofern schon fast undemokratisch geworden, als Macht und Einfluss zwischen den beiden Großparteien komplett aufgeteilt waren. ÖVP und SPÖ wachten mit Argusaugen darüber, dass sich keiner einen Vorteil verschaffte, oder wenn, dass es dafür eine Kompensation gab. Dabei verloren jene, die dieses System pflegten und gleichzeitig in ihm gefangen waren, aus den Augen, dass sie drauf und dran waren, den Aufbruch in eine neue Zeit zu verschlafen. »Das Kabinett Klaus/Pittermann bildet die unfruchtbarste Regierung der Zweiten Republik. Fast alle wichtigen Aufgaben … blieben im Streit der Koalitionsparteien stecken«, schrieb der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Josef Löns, an das Auswärtige Amt in Bonn. Und es schien immer und ewig so weiterzugehen. Daher dachte sich wohl auch kaum jemand viel dabei, als Josef Klaus auf die Weigerung der Sozialisten, seinen Einsparungsplänen zuzustimmen, Neuwahlen forderte. Sie sollten am 6. März 1966 stattfinden.

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Der britische Botschafter in Österreich, Sir John Arthur Pilcher, fand den Wahlkampf noch Anfang des Jahres 1966 langweilig.627 Letztlich wäre er auch fast sinnlos, meinte er, denn das Ende der Zusammenarbeit wären ja nicht die Folge eines grundlegenden Konflikts oder ein ernsthaftes Zerwürfnis gewesen. Man hatte sich über das Budget für 1966 gestritten, gut. Doch letztlich wären Klaus und Pittermann eigentlich nur der Zusammenarbeit müde geworden. Nichts ginge mehr. ÖVP wie SPÖ erschöpften sich in Althergebrachtem. Die einzige unerwartete Wendung hätten die Kommunisten in die Auseinandersetzung gebracht, hielt Sir John für das britische Außenministerium fest, als ihr Parteivorsitzender, Franz Muhri, bekannt gab, die KPÖ würde nur mehr in drei Wiener Arbeiterbezirken kandidieren wollen, in denen man sich ein Grundmandat erhoffte. Darüber hinaus sollte kein Geld für einen aussichtslosen Wahlkampf ausgegeben werden. Stattdessen sollten die Genossen SPÖ wählen. Die ÖVP warnte prompt mit der Gefahr einer Volksfront – die es nicht gab. Die SPÖ, wiederum, wehrte sich nicht gegen die kommunistische Anbiederung und beschwor das Habsburggespenst. Sie stellte in den Raum, die ÖVP würde Otto von Habsburg die Einreise erlauben, und das würde bürgerkriegsähnliche Zustände schaffen. Tiefer ging’s nicht mehr, meinte Seine Exzellenz, der britische Botschafter. Da man aber wohl davon ausgehen müsste, dass beide Parteien abermals eine Koalitionsregierung bilden würden, lieferten sie sich keine grundsätzliche Debatte oder würden einen aggressiven Wahlkampf führen. Nichtsdestoweniger  : Es wäre wohl das erste Mal seit dem Krieg, dass die Parteien nicht vorweg ihre Absicht bekundeten, abermals zusammen zu gehen. Dann aber würde es sein wie gehabt. Sir John aber auch viele andere sollten sich irren  !

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18 Josef Klaus auf dem Balkon des Palais Todesco in der Wiener Kärntnerstraße gegenüber der Staatsoper am 6. März 1966. Mit dem Wahlsieg der ÖVP, der Klaus die Bildung einer Alleinregierung ermöglichte, endete eine zwanzigjährige Periode, in der in Österreich mit einer großen Koalition regiert worden war. Klaus bekam vier Jahre Zeit, um ein Reformprogramm zu verwirklichen. (Foto: Portisch, Österreich II, Bd. 3)

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s war sicherlich kein Erdbeben, aber doch ein Ruck, der am 6. März 1966 durch Österreich ging. Viele konnten es zunächst kaum glauben, dass die ÖVP die absolute Mehrheit bei den Nationalratswahlen errungen hatte. Vor der Wahl hatte nur der Generalsekretär der Partei, Hermann Withalm, diese Möglichkeit in den Raum gestellt. Doch ein Generalsekretär war wohl zu Optimismus verpflichtet gewesen. Am Abend des Wahltags konnte man jedenfalls Menschen jubeln und andere trauern und in sich gekehrt sehen. Die Meinungsforschungsinstitute hatten ein ganz anderes Ergebnis vorausgesagt und mussten sich ihre noch zu wenig ausgereiften demoskopischen Methoden eingestehen. Dann, freilich, ließ sich feststellen, dass vor allem Franz Olah die SPÖ ein besseres Abschneiden gekostet hatte. Bei den Nachwahlanalysen wurde zudem festgestellt, dass die SPÖ die Anbiederungsversuche der Kommunisten nicht zurückgewiesen, sondern als Möglichkeit der Stimmenoptimierung gesehen hatte. Doch man sollte wohl auch nicht übersehen, dass die Volkspartei einen Modernisierungsschub erfahren hatte, der vor allem auf Josef Klaus zurückzuführen war. Daneben sah die SPÖ eben »alt« aus. Nicht zu vergessen  : die Zeitungen hatten gegen die Große Koalition so sehr Stimmung gemacht, dass ein Beibehalten der Regierungsform eine Art kommunikationspolitischer Selbstmord gewesen wäre. Noch war jedoch nicht klar, wie weit die Wende gehen würde und ob es tatsächlich zum Bruch mit allem lieb Gewordenen und einer schon 20-jährigen Tradition der österreichischen Politik kommen würde. Der Vorsitzende der SPÖ, Bruno Pittermann, der sich wohl selbst Mitschuld an der Niederlage seiner Partei geben musste, ortete in seiner Partei eine 50  :50-Stimmung hinsichtlich der Fortsetzung der Koalition. Die Älteren und die jungen Parteimitglieder wären dafür, in Opposition zu gehen und zu kämpfen. Die mittlere Generation war für die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der ÖVP.628 Das Bild mochte so zwar nicht ganz stimmen, doch dass es ein Für und Wider gab, war klar. Auch der noch amtierende Bundeskanzler Klaus konnte die Konsequenzen des ÖVP-Siegs noch nicht zur Gänze abschätzen. Aber es war schließlich nur eine Angelegenheit weniger Tage und Wochen, ehe die Volkspartei ihre absolute Mehrheit ausspielte und für die Bildung einer Koalitionsregierung Forderungen stellte, die seitens der SPÖ nicht zu erfüllen waren. Das heißt  : Sie wären vielleicht zu erfüllen gewesen, doch man wollte ganz einfach nicht. In der ÖVP aber wurde argumentiert, etwas anderes als die Übernahme der vollen Regierungsverantwortung wäre ein Verrat an den Wählern. Gleichzeitig wurde Sorge artikuliert. Für die Sozialisten bedeutete der Gang in die Opposition den Abschied von einigen Zentren der Macht. Das hieß auch ganz banal,

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dass man die eigene Klientel nicht mehr »bedienen« konnte, auch jenen Informationsvorsprung verlor, den man als Regierungspartei automatisch hatte. Das ging Hand in Hand mit der Sorge, ob es in kurzer Zeit möglich sein würde, wieder an die Schalthebel der Macht zurückzukehren. Würden von einer ÖVP-Regierung sozialstaatliche Ziele aufgegeben werden, würde es bei der Vollbeschäftigung bleiben, würden die Kontrollmechanismen funktionieren  ? Würde es wieder gewaltsam werden in einem an sich friedlichen Österreich  ? Am 14. März begannen die Regierungsverhandlungen. Etwas mehr als einen Monat später waren sie beendet – und gescheitert. Sozialistische Politiker hatten immer wieder Informationen über den Fortgang der Verhandlungen durchsickern lassen und sich vor allem an die britische Labourregierung gewandt. Doch auch die britische Schwesterpartei konnte keine brauchbaren Ratschläge geben. Auf einem Parteitag der Sozialisten am 15. April wurde als Forderung aufgestellt, dass die ÖVP zusichern müsse, die Koalition zumindest 18 Monate beibehalten zu wollen  ; Polizei und Bundesheer sollten nicht in einem Ressort vereinigt werden, und es dürfe keine Budgetkürzungen geben. Die ÖVP dachte nicht daran, auf diese Forderungen einzugehen. Dann wollte man es eben allein machen. Bei der SPÖ plädierte schließlich ein Einziger für ein Eingehen auf die Forderungen der Volkspartei  : Bruno Kreisky. Alleinregieren Der neue/alte Kanzler wusste natürlich um die anstehenden Probleme und suchte schon in der Regierungserklärung zu beruhigen. Denn auch für die ÖVP gab es nicht zu beantwortende Fragen  : Würden die Sozialisten den Wechsel hinnehmen, würde es zu Streiks und womöglich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen  ? Würde die Sozialpartnerschaft halten  ? Klaus wusste, dass man nicht zuletzt im Ausland gespannt war, wie er den weiteren österreichischen Weg beschreiben würde. Er hatte sich viel vorgenommen  : Ein Ende des Proporzes, Objektivität bei Postenbesetzungen, eine Rundfunkreform, den Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit der EWG, die Lösung der Südtirol-Frage, wirtschaftspolitische und strukturelle Reformen, die Reorganisation der Verstaatlichten Industrie und vieles andere mehr. Sein idealistischer Ansatz war von ihm 1965 im Rahmen eines Vortrags, von dem er nachträglich einbekannte, es wäre einer der wenigen »selbstgeschneiderten« Vorträge seiner politischen Laufbahn gewesen, klar formuliert worden  : »Der Mensch  – Maß und Mittelpunkt der Politik«.629 Da ging es um Würde und Recht, freiheitliche Ordnung, pluralistische Gesellschaft, Prozesse der Konzentration und Integration und das Ankämpfen gegen Entpersönlichung und Nivellierung. Als philosophischer Ansatz mochte das durchaus Geltung haben. Über Einladung des Kanzlers waren aktuelle Fragen der Politik,

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die Folgen einer sich anbahnenden technischen Revolution, der soziale Wandel von in- und ausländischen Wissenschaftlern im Rahmen einer »Aktion 20« genannten Denkfabrik erörtert und in Grundsatzpapieren festgeschrieben worden. Darauf ließ sich aufbauen. Doch Klaus wusste mittlerweile selbst nur zu gut, dass die »Mühen der Ebene« durchaus geeignet waren, intellektuelle Spitzen abzutragen. Vielleicht war der Kanzler aber zu optimistisch, was seine eigene Akzeptanz anlangte. Er bewegte sich auf sehr dünnem Eis, denn er hatte nicht nur mit einer Opposition zu rechnen, die um ihre Bedeutung als Regierungspartei trauerte, sondern auch mit einigem innerparteilichen Widerstand. Er sollte ihn rasch zu spüren bekommen. Klaus beließ es dabei, die meisten der noch aus der Zeit der Großen Koalition stammenden Minister weitermachen zu lassen und ersetzte nur den Wegfall der SPÖ-Minister. Er verzichtete darauf, sich seine eigene und auf ihn eingeschworene Riege zu bilden. Und gerade einige der älteren und durchaus erfahrenen Kollegen, voran der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie Fritz Bock, zeigten offen Antipathie. Bock war Vertreter eines wirtschaftsliberalen Flügels und plädierte nachdrücklich für einen »Alleingang« nach Brüssel, was Klaus aus außenpolitischen Gründen für wenig aussichtsreich hielt. Es sollte nicht der einzige Konflikt bleiben. Noch mehr konnte überraschen, dass Klaus bei seinem Regierungsprogramm auf das zurückgriff, was er auch der SPÖ als Programm vorgeschlagen hatte, sollte es doch zu einer Koalition kommen. Falls der neue/alte Kanzler allerdings gemeint haben sollte, das würde als Zeichen der Kontinuität verstanden werden und nicht zuletzt der SPÖ signalisieren, dass man nicht über sie drüberfahren wollte, so täuschte er sich. Keine Sorgen musste sich der Kanzler darüber machen, dass ihn das Ausland akzeptieren würde, denn zum einen war man weltweit mit eigenen Problemen beschäftigt, und andererseits war das, was in Österreich geschehen war, ja keine Revolution und machte das Land nur westlichen Demokratien vergleichbarer, ohne vom Sowjetblock als Abkehr vom bisherigen außenpolitischen Weg verstanden zu werden. Am Abend des 18. April stellte Klaus Bundespräsident Jonas sein Kabinett vor. Das mochte zwar ein Formalakt sein, ließ aber eine weitere Facette der Persönlichkeit von Josef Klaus deutlich werden  : Er zeigte nicht nur, sondern hatte tatsächlich Respekt vor dem Staatsoberhaupt. Der Bundespräsident gehörte zu einer Hierarchie, die beim lieben Gott anfing und sich ein wenig wie »zu Kaisers Zeiten« über den Bundespräsidenten nach unten fortsetzte. Erst später schlich sich Kritik ein, wenn man Franz Jonas, der trotz seines hohen Amts Mitglied der SPÖ geblieben war, die Verfolgung sozialistischer Ziele vorwarf oder auch Unausgewogenheit bei Verlautbarungen der Präsidentschaftskanzlei. Klaus beließ es aber durchgängig bei einem respektvollen Umgang mit dem Staatsoberhaupt. Vielleicht hätte er sich mehr Unterstützung durch Jonas erwartet. Doch letztlich wäre das ohne nachhaltigen Einfluss auf seine Arbeit geblieben.

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So vieles sollte schnell, manches fast gleichzeitig erledigt werden. Klaus forderte vielleicht einigen Regierungsmitgliedern zu viel ab, und – was ebenso rasch bemerkt wurde – er machte deutlich, dass er alles kontrollieren, in alles Einblick nehmen und es notfalls in seinem Sinn entscheiden wollte. Auch sein Arbeitsstil machte zu schaffen. Ganztägige Ministerklausuren, die Forderung nach möglichst rascher Behandlung von Materien, die zweifellos kompliziert genug waren, um nicht ohne Einbindung der Parlamentarier aber auch der Sozialpartner einer Erledigung zugeführt zu werden, schufen immer wieder Probleme. Der Kanzler irritierte wohl auch dadurch, dass er immer wieder in seine Notizhefte schaute, Gedanken, oft auch nur Gedankensplitter, Zitate vorlas, mit denen weder die Sozialministerin Grete Rehor, die erste Ministerin in Österreich, noch ihre männlichen Ministerkollegen viel anzufangen wussten. Die Regierung machte sich ans Werk und begann ihre Vorhaben abzuarbeiten. Schon bei den Ministerratsvorbesprechungen, ebenso aber bei den Ministerratssitzungen traten unterschiedliche Auffassungen, mitunter auch nur taktische Fragen in den Vordergrund, gab es heftige Wortmeldungen, Streit und alles andere denn die anzustreben gewesene Harmonie, die der Kanzler voraussetzte, die er aber selbst nicht zu schaffen in der Lage war. Die Landeshauptleute der ÖVP-geführten Bundesländer, die sogenannten Parteigranden, vor allem die Führer der ÖVP-Bünde machten dem Kanzler das Regieren alles andere denn leicht. Er selbst gehörte keinem der Bünde an, und musste erst mühsam ein Netzwerk aufbauen. Die mangelnde Harmonie blieb natürlich nicht verborgen. Dennoch  : Klaus beeindruckte und ließ beispielsweise den deutschen Botschafter Josef Löns fast enthusiastisch berichten  : Schon in den ersten drei Monaten hätte die Regierung enorm viel erreicht. Mehr als vierzig Gesetzesvorlagen seien dem Nationalrat zugegangen, darunter ein Wachstumsgesetz, Hochschul- und Studiengesetze und eine Lohn- und Einkommenssteuerreform. In Linz entstand eine neue Hochschule. Preiserhöhungen zur Forcierung des Straßenbaus und höhere Bahnpreise wären unvermeidlich gewesen. Die Regierung lege ein ungeheures Tempo an den Tag. Die oppositionellen Sozialisten aber hätten sich mit ihrer neuen Rolle noch nicht abgefunden. Die Gewerkschaften würden stillhalten, denn rund eine Million Menschen hätten aufgrund der steuer- und einkommenspolitischen Maßnahmen der Regierung höhere Löhne und Gehälter bekommen.630 Die Liste der Vorhaben hätte sich wohl noch verlängern, und zumindest um eine Episode bereichern lassen  : Klaus erledigte auch das leidige Thema der Einreise des Kaisersohns Otto von Habsburg, indem er ihm einen Pass aushändigen ließ, in dem nicht mehr stand  : »Gültig für alle Länder der Erde ausgenommen Ein- und Durchreise durch Österreich«. Der Habsburger machte von dem Pass bald Gebrauch. Die Medien begleiteten klarerweise die erste Alleinregierung der Zweiten Republik, neugierig und mit Argusaugen – je nach Blattlinie. Und der mittels des Rundfunkgesetzes vom Juli 1966 regelrecht entfesselte Österreichische Rundfunk begann eine im-

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mer wichtigere Rolle zu spielen und stürzte sich auf die Möglichkeit einer weitgehend freien Berichterstattung. Bald setzte Kritik ein. Klaus selbst zeigte sich schweigsam. Er hatte eine »lähmende Scheu vor dem Interviewer, vor dem Mikrophon und der Fernsehkamera«. Und im Fernsehen wirkte er häufig »abwehrend und leicht beleidigt«, lautete schon bald das Urteil.631 Die anderen und wir Während sich innenpolitisch schon bald Reibungsverluste zeigten, schienen die Außenbeziehungen weitgehend problemlos zu sein. Wie auch für die vorherigen Regierungen galt das Hauptinteresse dem Verhältnis zu den Staatsvertragssignataren. Im Fall der Sowjetunion setzte Klaus alles daran, die Regierung in Moskau über die österreichischen Bemühungen zur Annäherung an die EWG zu beruhigen. Der sowjetische Ministerpräsident Chruščev hatte schon Gorbach den Vorwurf gemacht, er würde, »was sein [Chruščevs] Freund, der ›kleine Kapitalist‹ [ Julius Raab] gebaut habe«, wieder zerstören wollen. Gorbach hatte natürlich widersprochen. Doch für die Russen war das Thema damit nicht vom Tisch gewesen und kehrte in unregelmäßigen Abständen wieder. »Das wäre eine Art von Anschluss und damit eine direkte Verletzung des Staatsvertrages«, hatte Chruščev Gorbach wissen lassen. »Wenn Sie eine andere Position einnehmen, haben Sie die Politik der Neutralität verlassen.«632 Der westdeutsche »Imperialismus« und die Gefahr eines erstarkenden Neonazismus in Österreich waren bis in die achtziger Jahre Begleitmusik der bilateralen Beziehungen. Offensichtlich waren die Sowjets auch nicht zu beeindrucken gewesen, dass es gerade Josef Klaus war, der den Tag der Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes, den 26. Oktober, zum Nationalfeiertag erklären ließ und damit ein Signal gegeben hatte  : Der Tag war wichtig und sollte im kollektiven Gedächtnis Österreichs ein Hauptbestandteil sein. Klaus ließ die Sowjets wissen, dass er ein Abkommen mit Brüssel nicht um den Preis einer Verletzung der staatsvertraglichen und Neutralitätsverpflichtungen Österreichs betreiben werde und gipfelte schließlich in der vom »Spiegel« 1967 prominent gebrachten Formulierung  : »Notfalls arm, aber neutral«.633 Eine Steigerung der ohnedies intensiven Besuchsdiplomatie sollte die seit Raab auch schon fast als »besondere« Beziehung geltende Verbindung zur Sowjetunion noch unterstreichen. Wieder waren es einwöchige Besuche, so wie das auch 1960 und 1961 der Fall gewesen war, die diese Besonderheit unterstrichen und den Eindruck erweckten, die sowjetische Staatsspitze würde sich in Österreich ebenso gerne aufhalten wie auf der Krim. Der sowjetische Staatspräsident, Nikolaj Podgorny, kam im November 1966 für eine Woche nach Österreich  ; es folgten wechselseitige Besuche auf Ministerebene, bis dann Josef Klaus Mitte März 1967 für eine Woche in die Sowjetunion reiste. Auf wirtschaftlichem Ge-

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biet war man sich in einem Punkt schnell einig  : Österreich bekam sowjetisches Erdgas und lieferte seinerseits Industrieanlagen. Kein Entgegenkommen zeigten die Sowjets in der Frage eines Beitritts Österreichs zur EWG. Da hieß es Hoffnungen zurückstellen. Russland interpretierte den Artikel 4 des Staatsvertrags weiterhin so, dass ein Beitritt zur EWG eine enge wirtschaftliche Verbindung mit West-Deutschland zur Folge haben würde, und das wäre nicht vertragskonform. Deutschland würde Österreich wirtschaftlich bald dominieren und den Donauraum bis an die Grenze der Sowjetunion »penetrieren«. Das würde das gesamte mühsam hergestellte Gleichgewicht in Mitteleuropa zerstören.634 Auch auf einem anderen Gebiet fand der Kanzler zwar interessierte Zuhörer doch kein Entgegenkommen der Sowjets. Er betonte den unverbrüchlichen Willen Österreichs, seine Neutralität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, forderte jedoch auch, dass der Staatsvertrag dahingehend abgeändert oder zumindest interpretiert werden sollte, dass dem Bundesheer die Beschaffung von Luftabwehrraketen zu defensiven Zwecken ermöglicht würde. Auch an diesem Punkt endete das Entgegenkommen der Sowjets. Und auch das war vorauszusehen gewesen. Man blieb sich dennoch gewogen. Ähnlich problemlos waren die Beziehungen zu den USA. Österreichischerseits bestand jeglicher Grund, den Amerikanern für die Wiederaufbauhilfe zu danken. Und Außenminister Tončić-Sorinj tat das nicht nur in Worten sondern auch dadurch, dass er medienwirksam einen riesigen Kristallluster für die Metropolitan Opera übergab. Ein Gespräch über militärische Themen erübrigte sich wohl, da die USA nie daraus ein Hehl gemacht hatten, dass ihnen eine modernere Bewaffnung des Bundesheers ein besonderes Anliegen war. Das galt es bestenfalls zu unterstreichen. Für Tončić war es jedenfalls kein Thema. Das ging wohl mehr Verteidigungsminister Georg Prader an. Um aber die Ausgewogenheit der Beziehungen zu demonstrieren, besuchte Klaus an der Spitze einer Regierungsdelegation zu Ostern 1968 die USA, ähnlich lang wie ein Jahr zuvor die Sowjetunion. Während aber die Gespräche mit den Russen substantiell waren, es um Neutralität und EWG ging, blieben die Gespräche in den USA und ein Treffen mit Präsident Lyndon B. Johnson auffallend inhaltsleer. Klaus meinte, man sei gekommen, »um zu danken« und hätte keine Wünsche, geschweige denn irgendwelche Forderungen zu stellen.635 Doch natürlich ließ sich atmosphärisch manches tun, und erfuhr beispielsweise die Ankündigung des Kanzlers, man sei dabei, im Wohnhaus von Sigmund Freud in der Wiener Berggasse ein Sigmund-Freud-Institut einzurichten, außerordentlich freundliche Kommentare.636 Nicht thematisiert wurde etwas, das nur wenige Jahre später sehr wohl in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Österreich hatte 1965 eingewilligt, in Schloss Schönau an der Triesting ein Transitlager für die aus der Sowjetunion ausreisenden Juden einzurichten. Die Auswanderungswilligen bekamen österreichische Transitvisa, wurden mit dem Zug nach Österreich gebracht

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und von der Jewish Agency, die das Transitlager in Schönau gemietet hatte, nach Israel weitergeleitet. Nicht alle Ankommenden wollten das, da es ihnen vor allem darum ging, aus der Sowjetunion ausreisen zu können, und viele wollten in die USA gebracht werden. Österreich hatte keinen Grund, sich in die Debatte um den Weitertransport der Juden einzumischen, daher hütete sich Klaus auch, diese Sache zu thematisieren. Die stille Diplomatie funktionierte ohnedies, und das im Fall Israels ebenso wie im Fall der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Wollte man jedoch einen Vergleich anstellen, wie sich die Führungsmächte von Ost und West Österreich gegenüber verhielten, so blieb der Eindruck, dass die Sowjets jenseits des Protokollarischen viel Freundlichkeit an den Tag legten, auch dann, wenn es um Substantielles ging und man sich nicht einig war, während die Amerikaner immer mehr zu einem Ton der puren Geschäftsmäßigkeit überwechselten. Doch ebenso war festzuhalten, dass es für österreichische Politiker offenbar keine Schwierigkeit bedeutete, Termine bei den Führern der Großmächte zu bekommen und mit ihnen zu einem Gedankenaustausch zusammenzutreffen. Nicht sehr viel anders war es in Großbritannien. Der noch amtierende Vizekanzler Bruno Pittermann war unmittelbar vor dem Gang der SPÖ in die Opposition in London gewesen. Die ÖVP schickte ihren Generalsekretär Hermann Withalm im Juli 1966 nach London, nicht aber, um sich mit den Konservativen abzustimmen, sondern um herauszufinden, welche Rechte die Opposition im britischen Unterhaus spielte. Er bekam, was er wollte.637 Die britisch-österreichischen Beziehungen steuerten in der Regierungszeit von Josef Klaus sogar einem Höhepunkt zu, der für die Geschichte der bilateralen Beziehungen einzigartig bleiben sollte  : Bundespräsident Jonas besuchte im Mai 1966 auf Einladung von Königin Elizabeth II. England und lud zu einem Gegenbesuch ein, den die Königin 1969 absolvierte. Jenseits der Freundlichkeiten der Besuchsdiplomatie und der gängigen bilateralen Kontakte gab es sicherlich ein Thema, das Briten wie Österreicher beschäftige. Beide EFTA-Mitglieder suchten einen Weg der Annäherung an die EWG. Und beide mussten sich dessen bewusst sein, dass sie aus unterschiedlichen Gründen auf den Widerstand des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle stießen. Dabei machten sich die Briten den Widerstand der Franzosen insofern zunutze, als sie deutlich machten, dass sie genauso, wie man das in Frankreich tat, einer Verstärkung des »deutschen« Blocks in der EWG nichts abgewinnen konnten. Damit war Österreich gemeint, das taxfrei dem »deutschen Block« zugezählt wurde. Doch solange man sich hinter den Franzosen verstecken konnte, musste man in London nicht selbst Farbe bekennen. Klaus machte zu Jahresende 1966 einen kurzen Besuch in England. Man hatte sich nicht viel zu sagen. Auf jeden Fall blieb unerwähnt, dass britische Politiker und Diplomaten bei der Ausarbeitung der wichtigsten Dokumente zur Gestaltung der Nachkriegszeit Österreichs eine entscheidende Rolle gespielt hatten. Doch vielleicht wusste

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das zum damaligen Zeitpunkt niemand mehr. Dass die britischen Diplomaten in Wien auch vermehrt und in kurzen Abständen Berichte über die Entwicklung der innenpolitischen Lage in Österreich nach London schickten und jedenfalls bestens informiert waren, ließ sich jedoch daraus schließen, dass man im Foreign Office auf alle Fragen ausgezeichnet vorbereitet war. Und dennoch  : Den Wandel vom Einst zum Jetzt konnte man am ehesten daran ablesen, wie enorm umfangreich die Berichte der britischen Botschafter in den dreißiger Jahren und vor allem in der Besatzungszeit gewesen waren, und wie schmal die »annual reviews« jetzt ausfielen. Sie machten nicht einmal mehr ein Zehntel von ehedem aus. Und das sagte nicht nur etwas über die abnehmende Intensität der Beziehungen aus, sondern auch darüber, wie sehr Österreich vor allem auch seit dem Ende der Besatzungszeit an Bedeutung für die Briten verloren hatte. Gelegentlich kauften die Österreicher etwas oder interessierten sich zumindest für britische Produkte, z. B. militärische wie zivile Flugzeuge. Doch auch auf diesem Sektor ließ sich Ende der sechziger Jahre recht wenig berichten. Und sollte man sich von Großbritannien eine Unterstützung des österreichischen Standpunkts in der SüdtirolFrage erhofft haben, sah man sich enttäuscht. England war es ja gewesen, das 1915 mit dem Londoner Vertrag den Italienern die Brennergrenze versprochen hatte, damit die »germanischen Horden« – wie es in der britischen Diktion durchgängig hieß638 – nicht wieder vom Norden einfallen konnten. Und daran sollte sich selbstverständlich nichts ändern. Ähnlich wie mit Großbritannien musste man sich auch über das österreichischfranzösische Verhältnis kein großes Kopfzerbrechen machen. Im kulturellen Bereich, im bilateralen Alltag war alles in Ordnung, und Frankreich signalisierte dementsprechend Freundlichkeiten. Eine Förderung der österreichischen Bemühungen um eine Annäherung an die EWG war von Frankreich nicht zu erwarten. Das mochte damit zusammenhängen, dass Präsident de Gaulle um das strikte Nein der Sowjets wusste. Klaus hatte sich wohl vorgestellt, das sowjetische Nein in Sachen EWG-Annäherung würde kein endgültiges sein. Schließlich wurde auch der nächste französische Staatspräsident, Georges Pompidou, gebeten, als Fürsprecher in Moskau aufzutreten. Auch er blieb erfolglos. Mag sein, dass ihn wie dann seinen Nach-Nachfolger François Mitterand die Sorge vor einer Verstärkung des »deutschen Blocks« nicht allzu sehr beflügelt hat. London »versteckte« sich hinter Paris  ; Paris »versteckte« sich hinter Moskau. Gemeinsam war den Dreien die Furcht vor einem immer stärker werdenden Deutschland, und das kleine Österreich bekam es zu spüren. Die außenpolitischen Aktivitäten der Regierung beschränkten sich aber nicht auf die Staatsvertragssignatare. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, war dem Kanzler die Intensivierung der Kontakte zu Jugoslawien, Ungarn und anderen Staaten des sogenannten Ostblocks. Letzteres war ihm ein besonderes Anliegen, ja mehr noch  : eine historische Mission.639 Bei einer Rede vor dem Europarat, 1965, begann er mit

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der Feststellung  : »Civis Europeus sum«  – ich bin ein europäischer Bürger. Und als er das gern gebrauchte Bild vom Haus Europa verwendete, merkte er an, man sollte nicht darauf vergessen, dass dieses Haus auch einen Ostflügel hätte.640 Und gerade das wurde von den »Westlern«, von beiden Oppositionsparteien, besonders der SPÖ, aber auch von Teilen seiner eigenen Partei heftig kritisiert. Man warf ihm »Ostanfälligkeit« vor, »Anbiederungsversuche an die Moskauer Satelliten«, »Dilettantismus« und »missionarischen Eifer«.641 Eifer allein genügte freilich nicht, denn es gab einige Grundsatzfragen, in denen sich die Positionen kaum annähern ließen. Eines verdiente aber hervorgehoben zu werden  : Österreich bemühte sich auch im Urteil des Westens sehr, sein Image als Brückenbauer zwischen Ost und West zu pflegen und auszubauen.642 Die Verbesserung der Beziehungen gelang vielleicht im Fall Ungarns am besten. 100 Jahre nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867, mit dem ÖsterreichUngarn entstanden war, konnte man in Budapest anlässlich eines mehrtägigen Besuchs des Bundeskanzlers an die Gemeinsamkeit von ehedem anknüpfen. Und das war weit mehr als nur die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen. Mit Jugoslawien ging es schon regelrecht herzlich zu, wobei es Tito wie Klaus ein Leichtes war, die Frage der Slowenen in Kärnten auszublenden. Tito interessierte sich nicht dafür.643 Im Fall einer Normalisierung des Verhältnisses zur Tschechoslowakei waren es nach wie vor vermögensrechtliche Fragen, die als Störfaktor wirkten, auch wenn man bei den Verhandlungen über einen Vermögensvertrag weiter kam. Außerdem machte Österreich eine ganze Reihe von Vorkommnissen an der tschechischen Grenze zu schaffen, denn vor allem im Sommer 1967 eröffneten tschechische Grenzer immer wieder das Feuer auf Menschen, die zu fliehen suchten. Die Schüsse fielen auf österreichischen Boden und führten zu formellen Protesten. Erst in der zweiten Jahreshälfte entspannte sich die Situation. Nichtsdestoweniger blieb das Verhältnis zur Tschechoslowakei schwierig, und es war nicht weiter verwunderlich, dass man in Österreich mit Interesse und einer gewissen Aufgewühltheit verfolgte, wie sich in Prag die Reformkommunisten unter Alexander Dubček daran machten, die inneren Verhältnisse des Landes ebenso wie dessen Außenbeziehungen zu verändern. Dabei kamen Hoffnung wie Furcht auf. Letztere floss schließlich auch in die militärischen Planungen des österreichischen Bundesheers ein. Im Verteidigungsministerium war man gleich nach Bildung der Alleinregierung daran gegangen, die militärische Katastrophenplanung auf neue Beine zu stellen. Der Wegfall der Großen Koalition und die Alleinregierung der ÖVP hatte die Rücksichtnahmen auf den Koalitionspartner insofern schwinden lassen, als jetzt nicht nur der Krisen- und Neutralitätsfall, sondern auch der Verteidigungsfall ausgearbeitet wurden. Solcherart entstanden neun umfangreiche Studien (nach der Kennzeichnung »Farbenfälle« genannt) und daraus resultierende Weisungen, die alle denkbaren Aspekte bis hin zu den Transportfragen einschlossen. Zu Papier bringen ließ sich manches, auch

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ein kombinierter Angriff von Warschauer-Pakt-Staaten unter Einsatz von Atomwaffen. Dass es sich im Fall der Fälle um das klassische Beispiel eines »asymmetrischen Kriegs« gehandelt hätte, wusste jeder, der an solchen Papieren arbeitete. Nur der Begriff war noch nicht geboren. Letztlich lief alles auf Katastrophenplanung hinaus. Theoretische Verwundbarkeit war aber eine Erfahrung, die nicht neu war und die man mit zumindest der halben Welt teilte. Im österreichischen Fall sollte Nachbarschaftspolitik militärische Anstrengungen kompensieren. Wenn das gelang, war die außenpolitische Welt des Josef Klaus in Ordnung. Tatsächlich zeigten sich auf diesem Politikfeld zwei Jahre hindurch keine Krisensymptome. Von der Innenpolitik konnte man das nicht im gleichen Maß behaupten. »Macht und Ohnmacht in Österreich« Bruno Pittermann, Präsident der Sozialistischen Internationale und wie der britische Botschafter in Wien, Sir Anthony Rumbold, notierte, einer der letzten Vertreter des Austro-Marxismus, gebar 1969 ein neues Schlagwort  : »Austro-Provinzialismus«.644 Er wollte es zwar nur auf die ÖVP angewendet wissen, doch es beschlagwortete eine ganze Nation. Jahrzehnte später belegte Alexander Van der Bellen die Jahre der ÖVP-Alleinregierung mit dem Epitheton »konservative Verprovinzialisierung«.645 Pittermann selbst war mittlerweile im politischen Ausgedinge, und die SPÖ hatte eine neue Leitfigur in der Person von Bruno Kreisky erhalten, der auch aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur ein regelrechtes Kontrastprogramm zu Klaus darstellte. Klaus kam aus einem bäuerlichen Milieu, war stark katholisch geprägt, zeigte keine Affinität zu den Nationalsozialisten, war zur Deutschen Wehrmacht eingezogen worden und hatte überlebt. Nach dem Krieg begann er eine Laufbahn als Rechtsanwalt, folgte dann dem Ruf in die Politik, war 1949 Landeshauptmann von Salzburg geworden, dann in die Bundespolitik gewechselt, sah aber seine politische Karriere letztlich immer nur als temporär an. Von seinem Wesen her blieb er bürgerlich, korrekt bis zur Kleinlichkeit.646 Er machte auch kein Hehl daraus, dass er der katholischen Hochschulverbindung »Norica« angehörte und jede Menge Kontakte zu christlichsozialen aber auch monarchistischen Kreisen im Ausland unterhielt.647 Klaus hatte Sendungsbewusstsein und trat, wie es der von ihm bestellte Generalintendant des nun ORF genannten Rundfunks und Fernsehens, Gerd Bacher, Jahrzehnte später formulierte, ebenso wie Bruno Kreisky »mit einem Reformanspruch an, dem sich die gesamte politische Arbeit zu unterstellen« hatte.648 Er hatte ein ausgeprägtes Verfassungs- und Rechtsstaatsbewusstsein. Auch dem hatte sich die Politik unterzuordnen. Klaus war empfindlich, zog sich, wenn er sich unfair behandelt fühlte, in sich zurück. Und war – was man zunächst nicht vermutet hatte – entscheidungsschwach.649

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Bruno Kreisky kam aus einer mittelständischen, eigentlich großbürgerlichen jüdischen Familie, war Agnostiker, hatte sich schon sehr früh politisch engagiert und war ein erklärter Gegner des Ständestaats. 1938 gelang ihm nach kurzer Haft mit einiger Mühe die Ausreise aus Österreich in ein schwedisches Exil. Er engagierte sich für ein neues Österreich und wurde nach seiner Rückkehr Kabinettsvizedirektor von Bundespräsident Theodor Körner. Schließlich löste er Bruno Pittermann als Parteivorsitzenden der SPÖ ab. Allerdings blieb ihm, dem gebürtigen Wiener, ein Wiener Nationalratsmandat verwehrt. Er kandidierte auf der niederösterreichischen Liste. Politik war für Kreisky die Kunst des Möglichen. Unterordnung war das Seine nicht. Dass es auch in der SPÖ zu einer personellen Erneuerung hatte kommen müssen, war nach dem Wahldebakel 1966 klar gewesen. Bruno Pittermann war – würde man in der Boxersprache sagen – angezählt. Dessen persönlicher Gegner, Franz Olah, saß als Nationalratsabgeordneter der von ihm gegründeten Demokratisch Fortschrittlichen Partei (DFP) im Parlament. Die SPÖ aber konnte gar nicht anders, als schnellstmöglich die Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden zu beginnen. Favorisiert wurde der letzte Innenminister der Großen Koalition, Hans Czettel. Doch es gab einen Mitbewerber, nämlich den letzten Außenminister der Koalition, Bruno Kreisky. Vielleicht kokettierte er nur mit einer Abstimmungsniederlage, wenn er noch auf der Fahrt zum Parteikongress der SPÖ in St. Pölten meinte, er schließe aus, dass er, der Jude, gewählt werden würde. Doch das Gegenteil war der Fall  : Kreisky erhielt eine überzeugende Zweidrittelmehrheit. Ganz offensichtlich wollte er sich nicht damit begnügen, nur einfach Opposition zu betreiben  ; da brauchte es mehr. Kreisky, der ja kein Neuling in der Politik war und auch die Interna der Entscheidungsfindung in der Politik kannte, begann damit, konsequent Gegenpositionen zu beziehen. Von Anfang an funktionierte auch das parlamentarische Wechselspiel nach westlich-demokratischen Spielregeln, und ließ sich mit dem Gegensatzpaar Josef Klaus und Bruno Kreisky auch regelrecht personifizieren. Spätestens nach einem Jahr Alleinregierung musste sich Josef Klaus eingestehen, dass die Schwierigkeiten überhandnahmen und ihm aus seiner eigenen Partei ein immer schärferer Wind entgegen blies. Nicht von ungefähr gab er seinen Erinnerungen den beziehungsvollen Titel »Macht und Ohnmacht in Österreich«. »Es war kein brillantes Jahr für Österreich« resümierte der britische Botschafter das Geschehene in seinem Bericht über das Jahr 1967 und widersprach damit indirekt seinem deutschen Amtskollegen Löns.650 Die Alleinregierung hätte nichts erreicht, was sie als Nutznießer der neuen Regierungsform erscheinen ließ. Man habe zwar keine regelrechten Fehler gemacht, doch auch nichts weitergebracht. Der Regierungschef sei wohl ein ehrenwerter Mann, ihm fehlte aber die nötige Durchsetzungskraft, und seine Kollegen seien durchschnittlich und eigentlich ungeeignet, um einen modernen Industriestaat zu regieren. Der einzige Politiker von internationalem Format wäre der Oppositions-

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führer, Dr. Kreisky. Klaus aber hätte das Problem, dass er jedes Mal eingebremst würde, wenn er etwas reformieren wollte. Er scheiterte schon wenige Monate nach Bildung der Alleinregierung an seinem Generalsekretär und den regionalen Parteiführern. Die lethargische Art, in der die Regierung Reformen anging, hätte sich in herben Verlusten bei den Wahlen im Herbst 1967 niedergeschlagen. Und wie es weitergehen sollte, wäre unklar. Es gäbe keine Perspektive. Was der Brite da nach London meldete, war nicht aus der Luft gegriffen. Doch er sah nur die Folgen eines ihm wohl noch nicht ganz geläufigen politischen Systems, da er erst 1967 auf den Posten in Wien gekommen war. Der Kanzler hatte aber tatsächlich mehr als ein Problem. Die Begehrlichkeiten der meisten Ressortminister wurden vom Bundeskanzler regelmäßig abgeblockt. Immer wieder führte er ins Treffen, dass man eben haushalten müsse. Schuldenmachen war dem aus einfachen Verhältnissen kommenden und lediglich mit dem eigenen Geld zu wirtschaften gewohnten Bauernsohn Josef Klaus ein Gräuel. Da aber zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung und zur Sicherung des Investitionen ein zusätzlicher Finanzbedarf gegeben war, der die Finanzschuld des Bundes auf 30 Milliarden Schilling ansteigen lassen sollte, erklärte Finanzminister Wolfgang Schmitz, es müssten Mindereinnahmen ebenso wie zusätzliche Mittel durch sicherlich unpopuläre Maßnahmen kompensiert werden. Beides rührte an Tabus. Und selbstverständlich bot die Regierung mit ihrer Steuer- und Finanzpolitik der Opposition ein großartiges Angriffsziel. Wahlniederlagen konnten nicht ausbleiben. Schließlich war der Stimmenverlust der ÖVP von 3,6 % bei den Landtagswahlen in Oberösterreich im Oktober 1967 ausreichend, um nicht nur die Forderung nach einer Regierungsumbildung aufkommen, sondern auch Stimmen laut werden zu lassen, der Kanzler solle das Feld räumen. Die Führer aller drei ÖVP-Bünde, des Arbeiter- und Angestelltenbundes, Alfred Maleta, des Wirtschaftsbundes, Rudolf Sallinger, und des Bauernbundes, Josef Wallner, drängten auf die Ablöse von Klaus. Der aber dachte noch nicht daran, klein beizugeben und empfand die Kritik nicht so sehr als Zweifel an seiner eigenen Führungsfähigkeit, sondern als Beweis dafür, dass einige Mitglieder seines Regierungsteams nicht das brachten, was von ihnen billigerweise zu erwarten gewesen war. Infolgedessen plante Klaus für 1968 eine größere Regierungsumbildung, bei der buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleiben sollte. Er holte den Generalsekretär Hermann Withalm als Vizekanzler in die Regierung, beendete das unerfreuliche Zusammenwirken mit dem bisherigen Vizekanzler und Handelsminister Fritz Bock und holte sich stattdessen den »Wirtschaftskämmerer« Otto Mitterer. Wolfgang Schmitz wurde als Finanzminister durch Stephan Koren ersetzt. Der europhile Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, Lujo Tončić-Sorinj, der nach und nach immer mehr Agenden verloren hatte, musste dem weit angepassteren Kurt Waldheim Platz machen. Schließlich sollte ein neuer Staatssekretär, Karl Pisa, die Informationstätigkeit neu gestalten. Lieber hätte Klaus

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den Chefredakteur der Zeitung »Kurier«, Hugo Portisch, gehabt, doch der hatte sich verweigert.651 Klaus wollte ein Kabinett der »Einigkeit und Stärke« unter seiner Führung vereinen und wurde auch nicht müde, die Erfolge der ersten beiden Jahre seiner Kanzlerschaft darzulegen. Wer außer die von ihm geführte Regierung hätte es in zwei Jahren geschafft, eine Reform des Wohnungsmarkts, eine Reorganisation der Verwaltung in der Verstaatlichten Industrie, die versprochene Rundfunkreform, eine Reform der Lohnund Einkommenssteuer, eine Steigerung bei der Forschungsförderung und eine Studienreform durchzuführen  ? Die Antwort sollte sich gewissermaßen von selbst ergeben. Doch es waren teilweise nur Reformschrittchen gewesen und keine tiefgreifenden Änderungen. Schließlich wurde auch weit mehr wahrgenommen, was der neue Finanzminister am 2. Februar 1968 mit seinem » Paukenschlag zur Budgetpolitik«, dem Koren-Plan, verkündete.652 Unmut regte sich. Was Klaus und Stephan Koren mit ihren Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung taten, war zwar sicherlich redlich und wurde im Nachhinein auch gelobt, doch es trug nicht dazu bei, die Regierung populärer zu machen. Es ging darum, ein prognostiziertes Budgetdefizit zwar nicht zum Verschwinden zu bringen, wohl aber auf die Hälfte des zunächst drohenden Minus zu reduzieren. Koren warnte vor der Gefahr, die Stabilität des Schillings aufzugeben, kündigte Steuererhöhungen und Budgeteinsparungen an. Als besonders belastend wurde ein auf zwei Jahre befristeter zehnprozentiger Zuschlag auf die Auto- und Alkoholsteuer empfunden. Kurz darauf leitete Koren eine Weichwährungspolitik ein und gab die Bindung des Schilling an die aufgewertete Deutsche Mark auf. Österreichische Waren sollten sich auf den Weltmärkten so besser behaupten können. Alle diese Reformschritte der ersten Wochen des neuen Jahres, 1968, wurde mit einem Lieblingswort des Kanzlers verbrämt, nämlich »Politik der Sachlichkeit«. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte man in der Öffentlichkeit, reagierten unabhängige Zeitungen und vor allem die Opposition mit heftiger Ablehnung. Klaus war empfindlich genug, um nun doch in den Raum zu stellen, auch er könnte gehen und würde zu einer »Hofübergabe« bereit sein. Vielleicht war er überinterpretiert worden, doch die Andeutung, der Kanzler würde seinen Verbleib in der Politik zur Disposition stellen, ließ nicht nur die Spekulationen blühen, sondern war auch Wasser auf die Mühlen der – wie es so schön heißt – politischen Mitbewerber. Und vor allem die SPÖ spielte ihre Trümpfe aus. Kreisky hatte natürlich genauso wie Klaus eine ganze Reihe von Themen, die ihm am Herzen lagen. Und er setzte sich völlig ungeniert auf jene Themenfelder die auch Klaus ausgemacht hatte. Bei innenpolitischen Vorgängen und vor allem den gesellschaftspolitischen Anliegen war das unproblematisch. Außenpolitisch musste sich Kreisky damit zufrieden geben, die Vorhaben der Regierung zu kommentieren.

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Südtirol Klaus und Kreisky hatten in Sachen Südtirol bis 1966 an einem Strang gezogen. Der Kanzler hatte seinem Außenminister dabei weitgehend freie Hand gelassen, und Anfang 1965 hatte es den Anschein, als wäre eine Lösung mit Händen zu greifen. Der italienische und der österreichische Außenminister, Saragat und Kreisky, hatten sich über Fragen der Südtiroler Autonomie und der internationalen Verankerung eines Südtirol-Pakets – wie sie meinten – schon weitgehend geeinigt, als die kalte Dusche kam  : Vertreter Südtirols wie Nordtirols lehnten das Ergebnis des vertraulich erzielten Kompromisses ab. Klaus, vor allem aber Minister Tončić-Sorinj nahmen nach dem Regierungswechsel den Faden wieder auf. Abermals sollten es geheime, zumindest aber nicht-öffentliche Gespräche sein, doch noch vor ihrem Beginn explodierte eine Bombe am Pfitscher Joch im hinteren Zillertal und tötete einen italienischen Zöllner. Die Gespräche fanden dennoch ihre Fortsetzung, brachten aber keine substantiellen Fortschritte. Im August 1966 fanden abermals Sprengstoffanschläge statt. Die Südtirol-Verhandlungen gingen aber immer noch weiter, und schließlich fand die Einigung auch die Zustimmung der Südtiroler Volkspartei, vorbehaltlich einer besseren internationalen Verankerung der angepeilten Lösung. Aber der Terror steigerte sich, und die Gegner des Kompromisses traten öffentlich auf. In Wien flog das »Alitalia«Stadtbüro in die Luft. Klaus und Tončić verurteilten die Gewalt schärfstens. Gegen den Drahtzieher der Anschläge, Norbert Burger, und 14 Südtirol-Aktivisten wurde ein Prozess geführt. Da dieser mit Freisprüchen endete und Burger gar kein Hehl aus seiner Absicht machte, weiter Gewalt anzuwenden, schließlich im Juni 1967 bei einem Bombenanschlag auf einen Hochspannungsmast auf der Porzescharte in der Nähe von Obertilliach vier Italiener ums Leben kamen,653 herrschte in Italien helle Empörung. Die Regierung in Rom reagierte damit, dass sie die Fortsetzung der Integrationsbemühungen Österreichs mit einem Veto blockierte und die Verhandlungen um einen Assoziierungsvertrag mit der EWG unterband. Kurzfristig wurde an der österreichischen Grenze auch die Visumpflicht wieder eingeführt. Die Regierung stand vor einem Scherbenhaufen. Nicht nur die Südtirol-Verhandlungen hatten – zumindest vorübergehend – im Nichts geendet  ; auch die Annäherung an die EWG war vorderhand gescheitert. In einem Europa, das sich zunehmend als Friedensordnung verstand, fiel Österreich aus dem Rahmen, da man die Anwendung von Gewalt als Mittel der Politik ganz offensichtlich in einigen Kreisen nicht ausschloss. Klaus aber blieb bei seiner Linie und lehnte Gewalt strikt ab. Tončić wurde heftig attackiert und beschwerte sich nachträglich, dass ihn der Bundeskanzler zu wenig unterstützt und in Schutz genommen hätte. Denn natürlich war die Südtirol-Frage auch ein Kanzlerthema. Um gegenzusteuern, beschloss die Regierung einen Assistenzeinsatz von Kräften des Bundesheers an der italienisch-österreichischen Grenze, nicht zur Freude des General-

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truppeninspektors, Erwin Fussenegger, der den ausreichenden Schutz der Grenzen der Republik als Aufgabe von Gendarmerie und Zollwache sah. Und zudem vertrat er die nicht ganz unsinnige Auffassung, das Heer solle nicht wie in der Ersten Republik zu politischen Assistenzen eingesetzt werden. Letztlich aber war es unabdingbar, dass Italien signalisiert wurde, Österreich würde alles tun, um den Terrorismus zu bekämpfen. Die Einstellung dazu war allerdings gespalten. Befürworter der terroristischen Aktionen sahen darin ein durchaus wirksames Mittel, um Italien nicht nur zur Erfüllung des Gruber-De Gasperi-Abkommens zu zwingen, sondern auch der Weiterentwicklung des Völkerrechts Rechnung zu tragen. Auch Bruno Kreisky war nicht abgeneigt, Terror ohne Blutvergießen als legitimes Mittel in der Südtirol-Frage zu sehen. Aber es ließ sich auch gegenteilig argumentieren, dass damit ein schon früher möglicher Ausgleich verzögert und die Beziehungen Österreichs zu Italien nachhaltig gestört worden wären. Klaus vertrat diese Ansicht. Doch er musste handeln. Bis Ende Oktober 1967 wurden drei Bataillone des Bundesheers an der italienischen Grenze eingesetzt. Dann wurde die Grenzsicherung wieder Angelegenheit von Gendarmerie und Zollwache. Eines war jedoch deutlich geworden  : Der Terror, wie er zwischen 1960 und 1967 immer wieder aufflackerte, ebenso freilich der italienische Gegenterror, die Sprengung des AndreasHofer-Denkmals in Innsbruck und Anschläge im Raum Ebensee, führten dazu, die Anstrengungen um eine Lösung zu verstärken.654 Tončić konnte die Verhandlungen mit Italien im Spätherbst 1967 wieder aufnehmen und legte schließlich einen Fahrplan bis zur Streitbeendigungserklärung vor, der von den Südtirolern wie von der Regierung in Rom akzeptiert wurde. Der erfolgreiche Abschluss der Südtirol-Verhandlungen war zweifellos als Erfolg der österreichischen Außenpolitik und Ausdruck einer auf Ausgleich bedachten Gesinnung zu sehen. Zehn Jahre später bot Österreich das Modell Südtirol sogar als Lösungsansatz für den Nahostkonflikt an. Den Abschluss der Verhandlungen und die parlamentarische Behandlung der Einigung musste Tončić seinem Nachfolger, dem Botschafter Österreichs bei der UNO, Kurt Waldheim, überlassen, der mit der Regierungsumbildung 1968 als Außenminister nach Wien wechselte. Er kam in ein Land, in dem es brodelte. Das Aufbegehren einer vornehmlich jungen Generation hatte zwar nicht in Österreich seinen Ursprung, sondern in Vietnam, den USA und vor allem in Frankreich. Doch die Studentenproteste, die eine Art weltweites Phänomen geworden waren, griffen auch auf Österreich über. Zunächst schaute man noch entsetzt bis fasziniert auf Frankreich, wo die Regierung von Charles de Gaulle fast gestürzt worden wäre und vor allem nach Deutschland. Dort mündete der Aktionismus der »schicken Demos« in gewaltsamen Aktionen, bei denen man auch den österreichischen Lyriker Erich Fried mit Motorradhelm und geballter Faust neben Gaston Salvatore und Rudi Dutschke marschieren sehen konnte, umrahmt von kommunistischen Transparenten.655 Allmählich wandelte sich auch in Österreich das Bild. Vor allem in Wien musste man den

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Eindruck bekommen, ein Ableger der westdeutschen anarchistischen Bewegung hätte doch auch Österreich erreicht. Zunächst ging es um die Studienbedingungen. Schon am 24.  Oktober 1967 zogen 4.000 Studenten mit den Professoren über die Wiener Ringstraße und demonstrierten gegen die Misere an den Universitäten. Wenig später mischten sich ganz andere Themen in die Demonstrationen. Man demonstrierte gegen den Schah von Persien, Reza Pahlevi, fand sich vor der Staatsoper ein, um den Opernball zu stören. Dann ging es um die Pressefreiheit und den Umgang mit der Sexualität. Anlass war das für drei Monate verhängte Verkaufsverbot für das auch in Österreich viel gelesene Magazin »Der Spiegel«. Zwei Fotos im Inneren, die zwei barbusige Mädchen zeigten, und nicht vielleicht die Schilderung einer »perversen Orgie« wie sie an der Universität Wien vorkam, hatten das Einschreiten des Staatsanwalts zur Folge gehabt.656 Der Vertrieb des Magazins wurde mit der Begründung untersagt, das Druckwerk sei geeignet, »die sittliche, geistige und gesundheitliche Entwicklung Jugendlicher, insbesondere durch Reizung der Lüsternheit und Irreleitung des Geschlechtstriebes schädlich zu beeinflussen.« Das war Wasser auf die Mühlen einer Generation, die aufbegehrte. Jugendliche machten deutlich, dass die Zeit des Wiederaufbaus zu Ende ging, auch die Zeit des »großen Fressens« vorbei war, und man »die Freuden der Konsumkultur bereits als schal« empfand. Eine neue Linke verachtete das Establishment.657 Sie stellte den traditionellen Marxismus ebenso in Frage wie die als traditionell angesehenen Werte oder auch Begriffe wie Heimat, Vaterland, Ehre, Treue. Es rebellierten jene, die dann »68er Generation« genannt wurden, gegen die engen Moralvorstellungen und warfen der älteren Generation vor, den Kontakt zur Jugend verloren zu haben. Die päpstliche Enzyklika »Humanae vitae« vom Juli 1968 über die Empfängnisverhütung schien ebenso nicht in die Zeit zu passen wie das Verkaufsverbot für den »Spiegel«. Obwohl es ein ums andere Mal um den Krieg (in Vietnam) ging, war von Pazifismus letztlich nichts zu spüren. Militanz war gefragt. Auch denkbar konservative Studenten und Jugendliche zogen skandierend durch die Straßen und riefen den Namen des nordvietnamesischen Kommunistenführers »Ho, Ho Chi Minh«, meinten aber damit zum wenigsten den nordvietnamesischen Regierungschef, der sein Land zunächst in den Krieg gegen Frankreich und dann gegen die USA geführt hatte, sondern ganz allgemein das westlich-kapitalistische System, das bekämpft werden sollte. In Österreich litt man zwar zunehmend unter einer Abwanderung der jungen Intelligenz, die vor allem von den USA regelrecht abgesaugt wurde.658 Doch der amerikanische Traum der vierziger und fünfziger Jahre war ausgeträumt. Und es gab so Vieles, das des Kritisieren wert war. Auch in Österreich war die Generationsablöse voll in Gang gekommen und sahen sich die Angehörigen der Kriegsgeneration des Zweiten Weltkriegs in Frage gestellt. Sie galten nicht zuletzt als kalte Krieger, auf jeden Fall als Angehörige einer Genera-

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tion, die ihre Wertvorstellungen als absolut ansah und dabei ihre Rolle nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und ihre Beteiligung am Zweiten Weltkrieg überging. Die Frage nach dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verband sich mit anderen Fragen, auch jenen nach modernen Formen des Widerstands, mit der Ostermarschbewegung der Atomwaffengegner und vor allem mit den Demonstrationen gegen das amerikanische Engagement in Vietnam. Da war von Konsumterror die Rede, wurde in Anlehnung an die »Frankfurter Schule« Theodor W. Adorno zitiert und Herbert Marcuse gelesen, wurde über die »Manipulation des Menschen im Spätkapitalismus«, und »die Entfremdung des Individuums« diskutiert. So Vieles entsprach nicht mehr den Vorstellungen, wurde vor allem auch einer Materialismuskritik nicht mehr gerecht, die dort einsetzte, wo gerade die Generation des Wiederaufbaus gemeint hatte, eine herzeigbare, dauerhafte Leistung erbracht zu haben. Sie galt nicht mehr. Der Konsumrausch, die sprunghaft steigende Motorisierung, die gesellschaftlichen Zwänge führten dazu, dass die Kritik immer lauter wurde und man sich sehr wohl auch mit historischen Fragen zu beschäftigen begann. Friedrich Torbergs »Hier bin ich, mein Vater«, Ernst Lothars »Der Engel mit der Posaune« und andere, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hatten, hatten zwar erschüttert, doch keine Antworten auf die Frage des Warum gegeben. Eine Generation junger Schriftsteller und Dichter trug dazu bei, ein anderes Weltbild entstehen zu lassen, egal ob das Thomas Bernhard, Peter Handke, Barbara Frischmuth, Ilse Aichinger, Wolfgang Bauer oder Peter Turrini waren, die den deutschen Buchmarkt zeitweise regelrecht beherrschten  : Sie alle brachten zum Ausdruck, dass es an der Zeit war, in neuen Dimensionen zu denken und diese auch in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einfließen zu lassen. Gerade letztere sollte dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Josef Klaus hätte wohl für einige der eingeforderten Leitsätze politischen Handelns, für die Erkenntnisse der Naturwissenschaft, vornehmlich der Kybernetik, oder auch für neue philosophische Denkansätze der ideale Regierungschef sein können. Er beschäftigte sich intensiv mit Philosophie, mit der Berechenbarkeit der Zukunft, Kernforschung, Weltraumfahrt und empirischer Sozialforschung. Er nahm interessiert Anteil an der Gründung des Club of Rome und diskutierte Grenzen des Wachstums, auch wenn das kein Thema war, das »massentauglich« gewesen wäre. Es war seine Privatsache und eine Möglichkeit, den Horizont zu erweitern. Klaus nahm sich auch Zeit um nachzudenken. Schon wenige Tage nach seinem Wahlerfolg im März 1966 hatte er sich für drei Tage zurückgezogen und wollte mit sich selbst ins Reine kommen.659 Aber er konnte nicht deutlich machen, dass er an den Strömungen seiner Zeit intensiv Anteil nahm und vor allem, dass er bereit gewesen wäre, den Aufbruch in eine neue Zeit vorbehaltlos mitzumachen. Vielleicht hätte Josef Klaus dennoch eine breitere Akzeptanz erfahren, wäre ihm nicht mangelnde Lösungskompetenz und auch einiges zum Vorwurf gemacht worden,

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das weit mehr im Bereich von Charaktereigenschaften als im politischen Kalkül angesiedelt war. Klaus machte zu schaffen, dass er im Fall von Untreue und Korruption ohne Ansehen der Person vorging und auch vor prominenten Mitgliedern seiner eigenen Partei nicht Halt machte. Schon im Oktober 1966 ließ er 21 Manager von Firmen und einige hohe Beamte verhaften, die sich beim Bau der Westautobahn bereichert hatten, darunter einen Sektionschef des Handelsministeriums. Ruchbar geworden war der Skandal, da in dem strengen Winter 1965/66 auf der Westautobahn ganze Straßenstücke Frostaufbrüche zeigten. Unter der Betonoberfläche war unsolide gebaut, dafür aber viel Geld kassiert worden. Die Verhaftungen gingen weiter. Öffentlich Bedienstete in Bund, Ländern und Gemeinden hatten Geld genommen und an Preisabsprachen und der Manipulation von Angeboten mitgewirkt. Der Bundeskanzler berichtete im Plenum des Nationalrats, dass laut Bericht der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen rund 100 Baufirmen ermittelt würde. Es hatte 63 Hausdurchsuchungen gegeben. Der Kreis der Verdächtigen wäre so groß, dass es gar nicht möglich wäre, gegen alle gleichzeitig zu ermitteln. Eine Frage wurde zwar nicht im Nationalrat, aber hinter gar nicht vorgehaltener Hand gestellt  : Warum war der Skandal just 1966 ruchbar geworden  ? Warum hatte Klaus die Sache nicht diskret erledigt, sondern die Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung beauftragt  ? Die Bürger hätten geschwiegen, meldete die deutsche Botschaft nach Bonn, was wohl an der Mentalität der Österreicher liege. Wien ist keine Stadt, »in der die Plebejer den Aufstand proben – ebensowenig das Land«.660 Klar war, dass das Image der Regierung schwer gelitten hatte. Da der Straßenbau in der fraglichen Zeit zum Handels- und Wiederaufbauministerium von Fritz Bock ressortierte, stellte sich wie selbstverständlich die Frage nach der Ministerverantwortlichkeit. Die Aversion des Kanzlers gegenüber seinem Vizekanzler erhielt einen mächtigen Schub. Doch Klaus reagierte vorderhand nur derart, dass er Bock die Straßenbauagenden entzog und mit Vinzenz Kotzina einen eigenen Minister für Bauten und Technik installierte. Klaus hätte sich vielleicht erwarten können, dass man ihm sein Vorgehen gegen Korruption ohne Rücksichtnahme auf die Personen gutschreiben würde. Doch der Saubermanneffekt trat nicht ein. Die Industrie, von deren Wohlwollen und finanziellen Zuwendungen nicht zuletzt auch die ÖVP abhängig war, ahndete das Vorgehen gegen ihre Klientel mit einer Reduktion der Geldströme. Im Dezember desselben Jahres wurde der Generaldirektor des niederösterreichischen Energiekonzerns NEWAG und NIOGAS und stellvertretende Landeshauptmann von Niederösterreich, Viktor Müllner, verhaftet. Ihm wurde vom Rechnungshof schwere Korruption vorgeworfen. Der zweite Korruptionsskandal, der die ÖVP und ihren Kanzler erschütterte. Klaus konnte gar nicht anders, als volle Aufklärung zu verlangen, auch wenn dabei ein ganzes Netzwerk aufflog, das in einem der großen ÖVP-Biotope entstanden war. Auch diesmal wollten es ihm weder seine Partei noch das Wahlvolk lohnen.

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Die größte Herausforderung für den Kanzler sollte sich freilich 1968 nicht im Bereich der Innenpolitik, sondern im Zusammenhang mit der Intervention von Truppen des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei ergeben. Das war insofern auch ein Wendepunkt, als es die von Josef Klaus behutsam aufgebauten Kontakte zu den Ländern in der sowjetischen Einflusssphäre zunichtemachte. Die Tschechenkrise Während die Studentenunruhen in Paris und der Krieg in Vietnam in Österreich zwar eine gewisse Erregung hervorriefen und auch ein paar Nachahmer anregten, die dann von einer »Viertelstunde im Mai« sprachen, also eine sehr kurz bemessene Zeit, in der man auch in Österreich denken konnte, man würde eine radikale Veränderung der politischen und sozialen Verhältnisse erreichen, ging das, was beim nördlichen Nachbarn geschah, unter die Haut. Da war eine ganz andere Erregung zu spüren. Und vielleicht ist in der Betroffenheit über die Vorgänge beim nördlichen Nachbarn auch eine Erklärung dafür zu sehen, warum Österreichs »68er« zum wenigsten als »Revoluzzer« gegolten haben und auf dem Pfad der politischen Tugend blieben. Das hatte nichts mit Zustimmung zu den politischen Verhältnissen zu tun, sondern schlichtweg mit einer gewissen Sorge, dass Vorgänge in der Tschechoslowakei auch Auswirkungen auf Österreich haben könnten. Was, wenn die Sowjets wie 1956 in Ungarn eine ihnen genehme Ordnung mit den Mitteln einer militärischen Intervention wieder herstellen würden  ? Was weiter, wenn die Russen einen Vorwand suchten, um auch in Österreich einzumarschieren  ? Es sprach zwar nie und nimmer etwas dafür, doch wer wollte sich schon dem Vorwurf aussetzen, sich nicht ausreichend gesorgt zu haben  ? Trotz Neutralität und Entspannung saß den Österreichern die Ungarische Revolution von 1956 in den Knochen. Zwar war nichts passiert, aber man wusste eigentlich nicht, warum nichts passiert war und ob nicht vielleicht ein nächstes Mal etwas passieren würde. Für die militärischen Stellen gaben etwaige Angriffshandlungen des Warschauer Pakts das Szenario für die meisten operativen Planungen ab. Was gab es da doch für böse Vorahnungen  ! Eigentümlicherweise spielte dabei aber die Tschechoslowakei lange Zeit hindurch eine geringe Rolle. Ungarn wurde als die Speerspitze des Warschauer Pakts gesehen, während es vom nördlichen Nachbarn hieß  : »Eine Aggression durch die ČSSR allein wird für wenig wahrscheinlich, aber immerhin für möglich gehalten …«. Dann gingen weitere Jahre ins Land. Und wieder wurden die Tschechen als zwar unfreundliche aber harmlosere Nachbarn als die Ungarn eingeschätzt. Der Grund dafür war klar  : In Ungarn war eine sowjetische Armee stationiert, während es in der Tschechoslowakei keine sowjetischen Truppen gab. Erste Anzeichen dafür, dass die Sowjets den

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Tschechen misstrauten und in der Tschechoslowakei Truppen stationieren wollten, gab es nach dem Manöver »Vltava« 1966. Doch eigentlich lieferten die Tschechen den Sowjets keinen Vorwand. Sie machten nie gezielte Anstalten, ihre Rolle im Rahmen des östlichen Militärbündnisses in Frage zu stellen. Sie erduldeten ein großes Manöver und eine Stabsrahmenübung nach der anderen, wohl wissend, dass sie selbst die gegnerische Partei waren. Die politische Führung bekannte sich unbeirrt zum Kommunismus und begann nichtsdestoweniger das politische System umzukrempeln. Der sowjetische Staats- und Parteichef, Leonid Brežnev, misstraute allen Versicherungen fortdauernder Treue zum Sowjetblock, wie sie der tschechoslowakische Partei- und Regierungschef Dubček zu wiederholten Malen abgab. Brežnev selbst sah sich wachsendem Druck der sowjetischen Militärführung ausgesetzt. Dubček versprach, Reformen wieder zurückzunehmen, doch es geschah nichts. Und nach dem Motto »wehret den Anfängen« schlugen die Russen zu. Sie machten nicht einmal den Versuch, etwas beschönigen zu wollen. Am 21. August 1968 marschierten Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein. Die Begründung ähnelte vergleichbaren Vorgängen, nicht zuletzt auch dem deutschen Einmarsch nach Österreich. Man sei lediglich einem Hilfeersuchen gefolgt, hieß es, um dem Brudervolk der Tschechen und Slowaken beizustehen. Unter den einmarschierenden Truppenkontingenten wurden auch Verbände der Nationalen Volksarmee der DDR genannt, bis dann 1990 wohl auch zur Verblüffung der Tschechoslowaken und selbst der Ostdeutschen klarzustellen war, dass dies eine gezielte Desinformation gewesen war und keine ostdeutschen Einheiten am Einmarsch in die ČSSR beteiligt gewesen waren. In Österreich war man auf den Fall eines Einmarsches von Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR vorbereitet gewesen. Schon im Frühjahr und Sommer 1968 wuchs die Sorge, dass sich Ereignisse, wie man sie von Ungarn 1956 kannte, in der Tschechoslowakei wiederholen könnten. Das führte schließlich dazu, dass der Generaltruppeninspektor des Bundesheers, Erwin Fussenegger, einen Befehl vorbereiten ließ, der den Einsatz des Heeres zur Sicherung der Grenze gegenüber der Tschechoslowakei zum Inhalt hatte. Der unter dem Stichwort »Urgestein« auszulösende Sicherungseinsatz sollte dazu dienen, die »Nordgrenze mit Schwergewicht an den Grenzübergangsstellen« zu sichern …, »die Grenzübergänge zu besetzen und das Zwischengelände durch Patrouillentätigkeit zu überwachen.« Sollten Schwierigkeiten bei der Sicherung auftreten, war beabsichtigt, »durch ein Hinzufügen weiterer Verbände eine Verdichtung der Grenzüberwachung vorzunehmen.« Als es dann tatsächlich zum Einmarsch kam, war der Befehl nutzlos, denn die österreichische Bundesregierung verlangte einen ganz anderen Sicherungseinsatz als den gedachten. Der Bundeskanzler war am 21. August in seinem Haus in Wolfpassing nahe Tulln und wurde kurz nach vier Uhr von seinem Sekretär, Thomas Klestil, nach Wien geholt. Verteidigungsminister Prader hatte kein Telefon und musste von seinem Häuschen am Erlaufsee von einem Gendarmeriebeamten nach Lunz am See gebracht werden, um

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dort telefonieren zu können. Um 6 Uhr begannen hektische Beratungen. Vier Mitglieder des SPÖ-Parteipräsidiums ersuchten noch am Vormittag, den Landesverteidigungsrat einzuberufen. Das Bundesheer war wohl alarmiert worden, hatte aber noch keinen Marschbefehl bekommen. Ein Flüchtlingsstrom wurde erwartet. Am frühen Nachmittag, also erst nach einer beträchtlichen Reaktionszeit, wurden im Rahmen einer außerordentlichen Ministerratssitzung die zu treffenden Maßnahmen besprochen und sollte über das weitere Vorgehen entschieden werden. Verteidigungsminister Prader wollte einen Einsatz des Bundesheers »zum Schutz der Grenzen der Republik«. Daraus wurde nichts. Außenminister Waldheim riet von schärferen Maßnahmen ab und meinte  : »Es wäre gefährlich für uns als kleines Land, wenn wir einen provokatorischen Ton in unsere Erklärung aufnehmen  …. Militärisch gesehen ist es meiner Meinung nach am besten, nicht zu auffällig zu arbeiten, keine größeren Truppenbewegungen in Grenznähe, denn das würde von Moskau als zu drastisch angesehen werden.«661 Der Kanzler entschied, dass es keine Notwendigkeit für einen Grenzsicherungseinsatz des Bundesheers gebe. Also wurden lediglich etliche Großverbände alarmiert und einige Einheiten »zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau« in das Wein-, Wald- und Mühlviertel verschoben. Da sich offenbar auch Verteidigungsminister Prader über die militärische Fragwürdigkeit dieser Maßnahme nicht im Klaren war, blieb es dabei. Die Quintessenz dieses »langen Tages Reise in die Nacht« war, dass militärisch nur sehr schwach reagiert wurde und sich alles darauf konzentrierte, humanitäre Hilfe sicherzustellen und die eigene Bevölkerung zu beruhigen.662 Politiker, hohe Militärs und Beamte suchten so schnell wie möglich aus ihren Urlaubsorten zurückzukommen. Auch der österreichische Gesandte in der Tschechoslowakei, Rudolf Kirchschläger, kam aus Jugoslawien, holte sich bei Minister Waldheim letzte Instruktionen und fuhr nach Prag. Dort erhielt er tags darauf eine Weisung von Innenminister Soronics, die Ausstellung von Visa für Tschechen einzustellen, da das Gerücht umging, Visaformulare wären massenhaft in die Hände der Sowjets gefallen und würden dazu genutzt werden, Geheimdienstleute nach Österreich zu schleusen. Kirchschläger erhob Einwände, informierte den Außenminister und wurde ermächtigt, wieder Visa auszustellen.663 Es war ein Sturm im Wasserglas gewesen. In Wien war man auch am 22. August noch dabei, sich über eine angemessene Reaktion auf den Einmarsch in die Tschechoslowakei zu verständigen. Am sinnvollsten schien es wohl, den »Vorakt« von 1956 zu Rate zu ziehen, konkret die Note, die damals an die Sowjetunion gerichtet worden war und in der dazu aufgerufen wurde, Blutvergießen zu vermeiden. In dem vom Ministerrat beschlossenen Text fehlten diesmal allerdings schärfere Formulierungen und man blieb recht unverbindlich.664 Klaus informierte Kreisky, der auch erst aus dem Urlaub gekommen war und nachträglich sowohl die Einbindung der Opposition in das Krisenmanagement wie auch die Maßnahmen des Bundesheers einer harschen Kritik unterzog. Fünf Jahre später,

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anlässlich eines Überfalls von Palästinensern auf jüdische Auswanderer in Marchegg, las sich’s dann seitenverkehrt und kritisierte die ÖVP Kreisky, weil sie nicht in die Entscheidungen eingebunden wurde. Dazu meinte Kreisky, dass in Österreich niemand außer der Regierung regiere und man nur miteinander reden könne, wenn man Zeit dazu habe und zu erwarten sei, »dass ein nützlicher Beitrag geleistet wird.«665 Klaus »vergaß« die Opposition aber auch in dem Augenblick, als es darum ging, die staatliche Handlungsfähigkeit für den Fall einer handstreichartigen Besetzung Wiens sicherzustellen. Denn als sich im Verlauf der Invasion des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei eine Situation ergab, in der bei den Entscheidungsträgern die Sorge die Oberhand gewann, Österreich, zumindest der Osten des Landes, könnten gefährdet sein, entschied der Bundeskanzler, dass einige Mitglieder der Bundesregierung, vor allem auch der Vizekanzler, außerhalb Wiens verbleiben sollten, um notfalls und ohne regelrechte Evakuierung der Bundesregierung aus Wien die staatliche Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Die Opposition musste für sich selbst entscheiden. Und der Bundespräsident war ohnedies in seiner Sommerresidenz in Mürzsteg. Die Angst war deshalb aufgekommen, weil ein tschechischer Geheimdienstoffizier den Absprung in den Westen mit einer massiven Desinformation verbunden hatte. Er gab zum Besten, dass er ganz genau wüsste, die Sowjets würden am Wochenende zwischen dem 7. und 9. September 1968 in Österreich einmarschieren. Die Nachricht wurde wohl von westlichen Geheimdiensten gezielt in Österreich lanciert und war der Grund für die größte Alarmierung, die das Bundesheer erlebt hat. Manch einer hätte damals wohl keinen Schilling darauf verwettet, dass Österreich ungeschoren davon kommen würde. Nachher war man klüger. Ein gewissermaßen letztes Problem hatte sich zudem ergeben. Die am besten ausgebildeten Wehrpflichtigen sollten am 12. September abrüsten. Minister Prader brachte das Problem im Ministerrat zur Sprache und beantragte die Aufschiebung des Abrüstungstermins um 14 Tage. Der Unterrichtsminister, Theodor Piffl-Perčević, und der Informationsstaatssekretär Karl Pisa plädierten für einen Aufschub von vier Wochen. Außenminister Waldheim widersprach auch diesmal  : »Ich halte eine solche Maßnahme außenpolitisch für nicht erforderlich. Wenn man das tut, dann nur mit der Begründung, dass das Bundesheer in einer Krisensituation nicht operationsfähig wäre.«666 Da aber auch Bruno Kreisky einer einmaligen Verlängerung zustimmte, wurde der Abrüstungstermin auf Ende Oktober verschoben. Der Vergleich der Jahre 1956 und 1968 fällt klar zu Gunsten des Ersteren aus – was eigentlich absurd ist. 1956 war Österreich noch mehr oder weniger ungeschützt  ; 1968 konnte man sich doch auf ein gewisses militärisches Potential berufen. 1956 war in der Tradition der Besatzungszeit gehandelt und neutralitätspolitisch dilettiert worden  ; 1968 gab es ein gesichertes Wissen über die Möglichkeiten und Handlungsspielräume der immerwährenden Neutralität. 1956 musste angesichts des einsetzenden Flüchtlingsstroms improvisiert werden  ; 1968 war man auf einen Massenansturm von Flücht-

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lingen vorbereitet  – doch sie kamen nicht. Wohl gab es eine erkleckliche Zahl von Tschechen und Slowaken, die noch vor dem 21. August 1968 legal ausgereist waren, da sie Pässe und österreichische Visa bekommen hatten. Rund 60.000 waren irgendwohin nach dem Süden auf Urlaub gefahren. Als sie von den Ereignissen in ihrer Heimat erfuhren, wollten die meisten abwarten, wie sich die Lage entwickeln würde. Da Ungarn den Tschechoslowaken die Durchreise in die Heimat verweigerte, sammelten sich die allermeisten in Österreich. Doch sie flohen nicht, wollten sich auch nicht als Flüchtlinge registrieren lassen und um Asyl ansuchen. Sie fanden Großteils bei Verwandten und Freunden Unterschlupf, und nur ein kleiner Teil der schließlich 93.635 Tschechoslowaken, die nach Österreich kamen, entschloss sich dann definitiv zu bleiben. Es waren 1.547 Personen.667 Die Quartiere, die man vorsorglich für Flüchtlinge geschaffen hatte, blieben leer. Die politischen Nachbeben konnten trotz des für Österreich glimpflichen Ausgangs der Tschechen-Krise dennoch nicht ausbleiben. Die Mitglieder der Regierung Klaus betonten ein ums andere Mal, alles richtig und zur rechten Zeit getan zu haben. Man sei ruhig und konsequent geblieben. Der Einsatz des Bundesheers sei bestens gelaufen  ; mehr wäre nie zu verlangen gewesen. Und Krieg hätte es keinen gegeben. Demgegenüber meinten die SPÖ und Bruno Kreisky dem Bundesheer vorwerfen zu müssen, dass es ein einziges Konzept verfolgt hätte, nämlich im Fall der Fälle Ostösterreich so rasch wie möglich zu räumen und den Rückzug nach dem Westen anzutreten, um dort Anlehnung an die NATO zu finden. Der Vorwurf war unbillig, doch Kreisky konnte natürlich nicht wissen, welche Maßnahmen Regierung und Bundesheer bei Auslösung eines der »Farbenfälle« getroffen hätten. Niemand konnte das. Obwohl tatsächlich nichts passiert war und auch das österreichisch-sowjetische Verhältnis keine nachhaltige Trübung erfuhr, blieb dennoch mehr als ein schaler Nachgeschmack. Für Österreich war das zumindest theoretische Bedrohungspotential größer geworden, denn die Sowjets hatten mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei ihren Abzug aus Österreich 1955 mehr als ausgeglichen. Schließlich beliefen sich die in der ČSSR stationierten sowjetischen Truppen auf 75.000 Soldaten mit 1.220 Panzern, 2.500 Kampffahrzeugen, 76 Flugzeugen und 146 Hubschraubern. Später kam noch eine Brigade dazu, die zum Einsatz von Atomwaffen befähigt war.668 Auch wenn sich daraus keine unmittelbare Gefährdung Österreichs ableiten ließ, da die Truppen der Gruppe »Mitte« wohl in erster Linie die Bundesrepublik Deutschland und die NATO beunruhigen mussten, konnte man nicht nur einfach zur Tagesordnung übergehen. Nicht zuletzt musste es zu denken geben, dass die amerikanische Regierung anders als 1956 zunächst keine Erklärung abgeben wollte, dass eine Verletzung der österreichischen Souveränität und territorialen Integrität die USA auf den Plan rufen würde. Österreich sollte ganz offensichtlich selbst mit der »krisenhaften Situation« fertig werden. Erst zwei Monate nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen ließ der

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amerikanische Außenminister Dean Rusk erkennen, dass sich die USA gefordert sehen könnten, falls nämlich sowjetische Truppen über Österreich hinweg nach Jugoslawien vorstoßen sollten. Als Dean Rusk bei einer NATO-Tagung in Brüssel Mitte November 1968 die Bereitschaft der USA hervorhob, Österreich notfalls unterstützen zu wollen, zwang das allerdings die österreichische Regierung zu einer Reaktion. So wohlgemeint die Äußerungen des Secretary of State auch gewesen sein mochten, ließ Außenminister Waldheim wissen, müsse Österreich doch darauf bestehen, keine einseitigen Hilfszusagen zu bekommen.669 Bilanz der Sachlichkeit Das Gefühl, ohne Hilfe von außen auskommen zu müssen, konnte aber durchaus irritieren. Bruno Kreisky, der sich jahrelang und in mehreren Seminaren als Außenminister vor 1966 mit Fragen der Landesverteidigung beschäftigt hatte, zog aus der TschechenKrise, die er als Krise der österreichischen Landesverteidigung sah, die Konsequenz  : Er wollte eine Reform des Bundesheers an Haupt und Gliedern und ließ sich vom früheren Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Otto Rösch, dessen Konzept zur Umwandlung des Bundesheers in eine Milizarmee und zur Verkürzung der Wehrdienstzeit vorlegen. Im Wahlkampf 1970 wurde daraus die Parole »6 Monate sind genug«. Klaus merkte es wohl, dass er drauf und dran war, die ihm ohnedies kaum einmal sichere Unterstützung in seiner Partei und in der Bevölkerung zu verlieren. Die bevorstehenden Nationalratswahlen beschäftigen ihn daher ganz außerordentlich. Schon am 22.  August 1968 schienen ihm Fragen des künftigen Budgets wichtiger als die Vorgänge in der Nachbarschaft. Immer wieder trug er in seine berühmt-berüchtigten Notizhefte ein, was ihm als bedenkenswert aber auch zukunftsfähig schien, vorranging die wissenschaftliche Forschung, Innovation, Verwaltungsreform, Freiheit und Demokratie. Die Positivaliste musste eigentlich imponieren und wurde auch von den ausländischen Vertretern in Wien gewürdigt  : 1969 stieg die Wirtschaftsleistung des Landes zwischen 5,5 % und 6 %. Allein die Industrieproduktion hatte eine Steigerung von 11 % erfahren. Die Exporte nahmen um 15 % zu, die Löhne wuchsen schneller an als die Preise, und die Pensionen waren um 5 % angehoben worden. Im Jahrzehnt zwischen 1960 und 1970, im weitesten Sinn die »Klaus-Jahre«, hatte die Politik Rahmenbedingungen geschaffen, die das Leben in Österreich durchaus attraktiv machten. Wachsender Wohlstand ließ sich beispielsweise an der Zunahme der Autos messen. Ihre Zahl war von rund 400.000 auf 900.000 geklettert. Es waren Autobahnen und Straßen gebaut worden. 1967 galt die Westautobahn als fertig. In der Steiermark und in Kärnten wurden die ersten Teile der Südautobahn vollendet. Die Gespräche mit der EWG waren zumindest ansatzweise vorangekommen. Eine ganze Reihe jüngerer

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Politiker hatte die erste Nachkriegs-Politikergeneration abzulösen begonnen, und von einem Mann wie dem erst 35-jährigen Alois Mock hieß es, es wäre zu erwarten, dass er einmal Bundeskanzler werden könnte. Außenminister Waldheim hatte nicht nur die Südtirol-Verhandlungen zu einem guten Ende gebracht, sondern auch sehr diskret das Anliegen des Warschauer Pakts nach Abhaltung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa transportiert. Im Übrigen brachte sich Waldheim als möglicher Nachfolger für den UNO-Generalsekretär U Thant in Position. Für April 1970 waren Gespräche von Amerikanern und Sowjets über den Abbau strategischer Waffen in Wien vereinbart worden. Das Image des Landes konnte nicht besser sein. Klaus notierte aber nicht nur die Erfolge, sondern auch die unerledigten Dinge  : Eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahren, Abgeordnete auf Zeit und die Briefwahl.670 Die Strafrechtsreform war auf der Strecke geblieben, die Studien- und die Universitätsreform ein Torso, das Bundesheer eine Problemzone. Klaus ließ eine Broschüre drucken, die unter dem Titel »Erfolg für Österreich« die Erfüllung der Punkte seiner Regierungserklärung nachweisen sollte.671 Tatsächlich war vieles geschehen, hatte es eine Verjüngung nicht zuletzt in der Kanzlerpartei gegeben, waren Maßnahmen zur Verwaltungsreform gesetzt worden und hatte es einen Modernisierungsschub gegeben. 1970 gab es in Österreich rund 500 EDV-Anlagen, was als bemerkenswert angesehen wurde. In Seibersdorf, südlich von Wien, entstand um den 1960 in Betrieb gegangenen Forschungsreaktor ein regelrechtes Atomforschungsinstitut. Im Wiener Prater und in Graz wurde von den Universitäten Atomforschung betrieben.672 Um den Strombedarf langfristig zu decken, waren zwei Atomkraftwerke geplant. Der Bau des einen im niederösterreichischen Zwentendorf wurde vom Ministerrat am 11. November 1969 genehmigt. 1967 war auch die Entscheidung gefallen, die beiden in Wien ansässigen UNO-Organisationen, die Atomenergieorganisation (IAEO) und die Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), im Wiener Donaupark in einem neu zu errichtenden Komplex unterzubringen. Was aber von der Opposition weit stärker als das Erreichte thematisiert wurde, war das Scheitern der Regierung beim Versuch, die gesellschaftlichen Strukturen aufzubrechen. 1964 hatte die ÖVP das Volksbegehren als Mittel der Politik kennengelernt und es sich zunutze gemacht. 1969 war es die SPÖ, die ein Volksbegehren zur Verkürzung der Arbeitszeit und Einführung einer 40-Stunden-Woche eingeleitet hatte. 890.000 Wahlberechtigte hatten unterschrieben. Die ÖVP argumentierte gegen die Verkürzung und war unterlegen. Eine 42-Stunden-Woche wurde beschlossen. Die SPÖ hatte eine Art Themenführerschaft erlangt. Die Sondersteuern, mit denen Klaus das Budget sanieren wollte, wurden als Raub am Mittelstand gesehen. Skandale hatten die ÖVP erschüttert. Und die Regierung zeigte immer wieder Uneinigkeit. Das war das Problem  ! Noch während der Wahlkampf für die nächsten Nationalratswahlen lief, breitete sich in der Kanzlerpartei das Gefühl aus abgeschlagen zu sein. Man rechnete mit dem

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Verlust der absoluten Mehrheit, war jedoch zuversichtlich, eine relative zu schaffen. Kaum jemand zweifelte daran, auch der kritische britische Botschafter nicht.673 Doch die SPÖ des Jahres 1970 war nicht mehr mit der des Jahres 1966 zu vergleichen. Wie seinerzeit Klaus hatte sich Bruno Kreisky ein Beratergremium geschaffen, das plakativ als die besten 1.400 Köpfe bezeichnet wurde, und das zu allen irgendwie relevanten Fragen Antworten finden und Lösungsvorschläge machen sollte. Vielleicht interessierten die Details der Ergebnisse weniger als der Umstand, dass abermals Bewegung in die Politik kommen sollte. Kreisky selbst vermittelte das Bild eines »Managers einer modernen Gesellschaft«.674 Er verstand es auch, durchaus effektvoll Standpunkte klar zu machen und Akzente zu setzen. Kreisky wollte auch nicht in den Fehler Pittermanns verfallen. Folglich schloss er jegliches Zusammengehen mit Kommunisten aus. Weit mehr Zugkraft entwickelte freilich die Ankündigung, im Fall eines Wahlsiegs der Sozialisten den Wehrdienst für die im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht einrückenden jungen Männer, immerhin jährlich rund 40.000, von neun auf sechs Monate zu verkürzen. Und die Parole »Sechs Monate sind genug« war schließlich so zugkräftig, dass die ÖVP wenige Wochen vor der Wahl halbherzig nachzog. Doch es war nicht glaubwürdig. Die männliche Jugend, die Erstwähler, sahen sich von der SPÖ mehr angesprochen. Daran änderte auch nichts, dass bei der ersten Fernsehkonfrontation der Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ Josef Klaus wie ein Sieger nach Punkten wirkte. Bei den Nationalratswahlen am 1. März 1970 erreichte die SPÖ die relative Mehrheit. Es war nicht ein einzelner Faktor, der ihr zu diesem Sieg verholfen hatte. Es war Vieles. Theoretisch hätten ÖVP und FPÖ, die beiden Verlierer, eine Kleine Koalition bilden können. Für Klaus kam das nicht in Frage. Er hatte schon vor der Wahl verkündet, in keine Koalitionsregierung eintreten zu wollen. Dabei hatte er wohl nur an die Neuauflage einer Großen Koalition gedacht. Eine Kleine Koalition war ein Experiment, das er erst recht nicht machen wollte. Und eine Minderheitsregierung schien ihm absurd. »Er war kein politischer Spieler.«675 Stattdessen fasste er noch am Wahlabend den Entschluss, sich aus der Politik zurückzuziehen. Er schloss seine seit 1949 geführten Aufzeichnungen, insgesamt rund 7.000 Seiten, mit dem für ihn charakteristischen Schlusssatz »Deo Solis sit Gloria«. Die bisherige Kanzlerpartei war führerlos. Und Kreisky ließ ihr auch keine Chance. Noch in der Wahlnacht rief er den Parteiobmann der FPÖ, Friedrich Peter, an und sagte dem eine Wahlrechtsreform zu. Er forderte keine Gegenleistung, doch es war wohl klar, dass Kreisky die Bildung einer Minderheitsregierung beabsichtigte, für die er die Unterstützung der FPÖ erwartete. Peter hatte verstanden.

19. Die Gegenerzählung

19 Die Gegenerzählung

19 Bruno Kreisky und Mitglieder der SPÖ-Minderheitsregierung auf dem Weg vom Bundeskanzleramt zur Angelobung in der Präsidentschaftskanzlei am 21. April 1970. Kreisky hatte sich noch am Wahlabend des 1. März die Unterstützung einer Minderheitsregierung durch die Freiheitliche Partei sichern können und begann unmittelbar nach der Angelobung seiner Regierung mit der Umsetzung seiner ersten Wahlziele, einer Wahlrechtsreform und der Reform des Bundesheers. Andere Maßnahmen sollten folgen. (Foto: IMAGNO/Votava )

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unächst begann alles in mehr oder weniger gewohnter Weise. Vertreter der beiden Großparteien, die immer noch rund 90 % der Wähler abbildeten, trafen sich zu Verhandlungen, um allerdings schon nach wenigen Tagen feststellen zu müssen, dass die jeweiligen Standpunkte zu weit auseinander lagen. Die SPÖ wollte ihr Programm 1  : 1 verwirklichen  ; die ÖVP beabsichtigte ebenso ihre Forderungen durchsetzen. Wie 1962/63 wurde um die Machtverteilung gerungen. Wie 1966, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen, bezeichnete die ÖVP das SPÖ-Angebot als indiskutabel. Am 20.  April scheiterten die Verhandlungen, versicherte sich Kreisky nochmals der zeitlich begrenzten Unterstützung einer Minderheitsregierung durch die FPÖ und wurde schließlich vom Bundespräsidenten mit deren Bildung betraut. Lasst Kreisky und sein Team arbeiten

Während des Wahlkampfs war Josef Klaus als »echter Österreicher« plakatiert worden, eine Aussage, die eine durchaus antisemitische und gegen Bruno Kreisky gerichtete Tendenz zu enthalten schien. Und jetzt war dieser Bruno Kreisky Regierungschef geworden. Kanzler, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, hatte Österreich schon zwei gehabt  : Figl und Gorbach. Nunmehr wurde erstmals in der Geschichte der Republiken ein Jude und Agnostiker Bundeskanzler. Doch dieser Umstand wurde vom Ausland wohl mehr beachtet, als dass er in Österreich als Sensation gewertet worden wäre. Kreiskys Kanzlerschaft sollte jedenfalls an den Ergebnissen und nicht an den Vorurteilen gemessen werden. Merkwürdigerweise wurde Kreisky dann als erster sozialistischer Regierungschef der Zweiten Republik bezeichnet,676 was unsinnig war, da man die Provisorische Staatsregierung Karl Renners dabei nicht berücksichtigte. Doch das Ausblenden Renners kam vielleicht nicht von ungefähr  : Dem Anschlussbefürworter Renner brachte der Anschlussgegner Kreisky keine Sympathien entgegen. Im Übrigen suchte und fand er unzählige Gelegenheiten, um immer wieder auf einen Weg zu verweisen, den er, Kreisky, selbst gegangen war. Die Wurzel allen österreichischen Übels lag seiner Ansicht nach in der Zwischenkriegszeit, vor allem im Ständestaat. Tiefpunkt war klarerweise der mehr oder weniger durchgängig als Bürgerkrieg bezeichnete bewaffnete Aufstand im Februar 1934, eine traumatische Erfahrung, die Kreisky viel mehr geprägt hatte als Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. »Er verabscheute die Christlichsozialen mehr als die Nazis«, schrieb dann

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Helene Maimann.677 Dementsprechend setze er bei der mit Vehemenz betriebenen Vergangenheitspolitik Schwerpunkte. Sie korrespondierte mit der Öffnung der Archive, für die damals noch eine zumindest fünfzigjährige Sperre galt. Widerstand gegen das NS-Regime und Verfolgung waren Themen, die bei Kreisky nur sporadisch in den Vordergrund rückten. Mit der ihm eigenen Historisierung der Jahre von 1938 bis 1945 bot er aber zumindest keine Angriffsflächen für ehemalige Parteimitglieder der NSDAP und rechter Gruppierungen, von denen wohl anzunehmen war, dass sie sich andernfalls genussvoll auf den Kanzler eingeschossen hätten. Ein nicht vorherzusehender Nebeneffekt war jedoch, dass sich damit ein Rückstau bei der Erforschung der NS-Zeit ergab, man sich mit der auch von Kreisky vertretenen Ansicht von Österreich als erstem Opfer nationalsozialistischer Aggression weiter ganz zufrieden gab und damit eine indirekte Vorleistung für das erbrachte, was dann Mitte der achtziger Jahre unter dem Stichwort »Waldheim« als unbewältigte Vergangenheit aufbrach. Kreiskys Bemühen, keine Berührungsängste gegenüber Nationalsozialisten und Wehrmachtsangehörigen zu zeigen, wurde schon bei der stillen Übereinkunft mit Friedrich Peter deutlich. Der war – was Kreisky zum damaligen Zeitpunkt vielleicht nicht wusste  – Offizier bei der Waffen-SS gewesen und hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, NS-Zeit und Krieg nicht nur persönlich zu überwinden, sondern auch seine Partei, die noch immer relativ starke Affinitäten an die NS-Zeit zeigte, aus dem rechten Eck herauszuführen. Peter wollte sie als normale liberale und vor allem auch koalitionsfähige Partei präsentieren. Das nächste Mal, dass Kreisky keine Berührungsängste mit der NS-Zeit zeigte, war die Bestellung seines ersten Landwirtschaftsministers, Johann Öllinger. Auch er war Offizier der Waffen-SS gewesen. Das aber ging auch der eigenen Partei und vor allem den Medien zu weit. Öllinger musste nach zwei Wochen resignieren. Im April/Mai 1970 analysierte man in allen europäischen und vielen außereuropäischen Staaten die neue Situation. In London, etwa, schätzte man die Chancen Kreiskys als relativ gut ein. Dem britischen Botschafter in Wien fiel auf, dass Kreisky seine Regierung am symbolträchtigen 27. April 1970, dem 25. Jahrestag der Bildung der ersten österreichischen Nachkriegsregierung, dem Parlament vorgestellt hatte. Darauf wäre auch die Eile zurückzuführen gewesen, mit der die Regierungsbildung dann zum Abschluss gebracht worden war, meinte Botschafter Wilkinson. Vom ersten Tag an war zu registrieren, dass Kreisky die Mitglieder seiner Regierung am kurzen Zügel führte. Er sprach über alles und jedes und entwickelte dabei eine Souveränität, die ihn über Sachfragen und Kollegen drüberfahren ließ. Das konnte man auch als Arroganz sehen.678 Außenpolitisch erwartete man keine besonderen Neuerungen, wohl aber eine Vertiefung und eine neue Qualität der bilateralen Kontakte. Dafür sprächen auch die engen Beziehungen Kreiskys zur Labour Party, meinte man in London. Klaus hatte einen Deutschlandkurs gesteuert. Er war in betont konservativen Kreisen gut vernetzt und

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pflegte zu ihnen intensive Kontakte. Unter Kreisky sollte das anders werden. In der Bundesrepublik Deutschland sah man das auch mit einiger Sorge. Denn was hatte das zu bedeuten, wenn Kreiskys Außenminister Rudolf Kirchschläger die Anerkennung der DDR in den Raum stellte und auch Beziehungen zur Volksrepublik China nicht ausschloss  ? Da zeichnete sich ohne Zweifel ein neuer außenpolitischer Kurs ab.679 Der Neue, der noch nicht »der Alte« war, stürzte sich regelrecht in das Regierungsgeschäft. Zweifellos hatte Kreisky in der Zeit als Oppositionsführer innenpolitisches Profil gewonnen. Er wusste, dass ihm als Führer einer Minderheitsregierung nicht sehr viel Zeit gegeben war. Ein vom ersten Tag an als Motto verwendetes Anliegen des Kanzlers war die »Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche«. Er wollte den Alltag verändern, also galt es zunächst innenpolitische Ziele anzusteuern. Dass ihm auch außenpolitisch stürmische Zeiten bevorstanden, lag noch im Schoß der Geschichte. Zwei Themen standen im Vordergrund  : Die der FPÖ versprochene Wahlrechtsreform sowie die Verkürzung der Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate. Bei ersterem ließ sich der Widerstand der ÖVP umgehen, denn für eine kleine Wahlrechtsreform, mit der die Zahl der Abgeordneten im Nationalrat auf 183 hinaufgesetzt und die Wahlkreise mit den neun Bundesländern zur Deckung gebracht werden sollten, ließ sich mit Hilfe der FPÖ durchziehen. Bei der Heeresreform ging es um anderes. Und es ging um mehr, nämlich darum, die immer wieder thematisierte Verwundbarkeit von Staat und Gesellschaft zu reduzieren und letztlich das Bundesheer neu aufzustellen. Als Schlagwort war die Sache mit den sechs Monaten perfekt. Dahinter stand sehr wohl mehr, und das hatte der »Vater des Gedankens«, Otto Rösch, auch schon Anfang der sechziger Jahre zu Papier gebracht. Damals war es nicht einmal ein kleiner Aufreger gewesen. 1970 musste sich zeigen, was dahinter stand. Die Sache sah zunächst ganz einfach aus  : Die Präsenzdienstzeit sollte auf sechs Monate verkürzt werden. Dazu würden dann noch ein paar Wochen Wiederholungsübungen kommen, und damit man sofort einsetzbare und ausreichend ausgebildete Soldaten hatte, sollte es eine Bereitschaftstruppe geben, die sich aus Freiwilligen rekrutierte. Die Berufsmilitärs, vor allem die hohen Offiziere opponierten. Das wäre alles zu unausgegoren. Da der Großteil von ihnen der ÖVP zuzuzählen war, war es leicht, sie als Parteisoldaten abzutun. Doch das war wohl zu einfach. Mit einem hatte freilich kaum jemand gerechnet  : Kreisky nahm einen der angesehensten Brigadiere des Heeres, Johann Freihsler, als Verteidigungsminister in sein Kabinett auf und übertrug ihm die Heeresreform. Schon nach wenigen Wochen wurde eine Bundesheerreformkommission eingesetzt, der außer den Militärs eine Reihe von zivilen Organisationen, v. a. auch Jugendvertreter angehörten. An der Vorgabe der sechs Monate änderte sich nichts. Die Arbeit war intensiv, denn es ging ja zweifellos um viel. Es ging darum, ob ein auf sich allein gestelltes Österreich in der Lage sein würde, seine Neutralität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, und das glaubhaft und effektiv. Es ging also ans Grundsätzliche.

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Kreisky schaltete sich immer wieder ein. Er bezog sich auf einen der »Helden« seiner Jugend, den im Juli 1914 in Paris ermordeten französischen Sozialistenführer Jean Jaurès und dessen Ideen eines Milizheers, das – bis an die Zähne bewaffnet – ausschließlich defensiv agieren sollte.680 Hohe Offiziere begannen daraufhin in aller Eile Jaurès zu lesen. Die Reform sollte bis Jahresende 1970 stehen und die Verkürzung der Wehrdienstzeit mit 1. Januar 1971 wirksam werden. Der Minister-General Freihsler drohte zerrissen zu werden  : Als Offizier sah er das Unfertige und regelrecht Dilettantische der Konzepte  ; als Minister sollte er den Willen des Regierungschefs umsetzen. Dem war er physisch und psychisch nicht gewachsen, erkrankte und wurde vom Kanzler vertreten. Der fegte den Widerstand der militärischen Führung vom Tisch  : Generäle seien letztlich nichts anderes als uniformierte Beamte der beiden höchsten Dienstklassen, wären also weisungsgebunden. Die solcherart Abgekanzelten konnten sich auf Dauer nicht verweigern. Die Standpunkte näherten sich an. Eine Reform des Bundesheers an Haupt und Gliedern nahm Gestalt an, auch wenn absehbar war, dass das Heer völlig neu aufgebaut werden musste und eine jahrelange Schwächung erfahren würde. Kreisky blieb unbeirrt. Um die Kritiker zum Verstummen zu bringen und die Sinnhaftigkeit des eingeschlagenen Wegs zu unterstreichen, wurde zunächst »moral rearmament« betrieben  : Und den Militärs erschloss sich erst mit einiger Verzögerung eine Binsenweisheit, die nicht zuletzt als Schlüssel zum politischen Erfolg gelten kann  : Man erwartet nicht den Beweis, was alles nicht möglich ist, sondern will wissen, was möglich ist und wie es geht. Gerade angesichts des eigenen militärischen Unvermögens galt es an der Schwelle der siebziger Jahre, auch in Sachen Landesverteidigung das Prinzip Hoffnung zu nähren. Tatsächlich ging die Diskussion in der (ersten) Bundesheerreformkommission über den Dienstzeitkomplex weit hinaus, und insofern kann man der ablehnenden Reaktion der militärischen Fachleute auf den so genannten Rösch-Plan zur Verkürzung der Dienstzeit eine positive Wirkung nicht absprechen. Die Begleitumstände waren freilich irritierend. Kreisky unterbrach die bis dahin mit unterschiedlicher Intensität gepflegten Kontakte zur westdeutschen Bundeswehr und zur Schweiz. Im einen Fall war es die Mitgliedschaft der BRD in der NATO, die ihn störte, und im anderen Fall das Abseitsstehen der Schweiz in Fragen der internationalen Sicherheit und dem, was Kreisky dann als aktive Neutralitätspolitik bezeichnete. Damit sollte wohl auch signalisiert werden, dass sich Österreich daran machte, einen Weg zu gehen, der militärisch auf Äquidistanz hinauslief. Schon wenige Wochen nach Beginn der Heeresreform wurden die operativen Planungen gemäß den Farbenfällen eingestellt. Am 25.  Juni 1970 hieß es in einer »streng-geheim« Weisung  : »Die derzeit in Angriff genommene Bundesheerreform kann zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen«, die eine Weiterführung der bisherigen operativen Planungen wenig sinnvoll erscheinen lässt. »Daher wird die Neubearbeitung mit dem Neutralitätsfall Nord-Süd, Sicherungseinsatz, eingestellt.«681 Doch wie sollte es weitergehen  ?

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Die Ablehnungsfront der Offiziere begann bald wegzubröckeln, zum einen weil sie sich mit den politischen Vorgaben abfanden und dann auch deshalb, da der Kommandant der Landesverteidigungsakademie, Generalmajor Emil Spannocchi, sehr wohl glaubhaft machen konnte, dass er selbst umzudenken begonnen hatte und nichts von einer Fortsetzung des bisherigen Wegs hielt. Er verschrieb sich zur Gänze einem neuen Konzept. Verteidigungsminister Freihsler erklärte Anfang Februar 1971seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. Und Kreisky bestellte den nächsten General, Karl Lütgendorf, zum Minister. Der Kanzler hätte zwar lieber den aus rassischen Gründen in der NS-Zeit verfolgten Hubert Wingelbauer gehabt, doch der hatte das Ministeramt abgelehnt. Lütgendorf aber ging ungestüm und mit einer gewissen Naivität daran, die Heeresreform für die Beschlussfassung im Parlament voranzutreiben. Kritik aus Heereskreisen wurde mit einem »Maulkorberlass« beantwortet. Daraufhin wandten sich 1.700 Offiziere, rund zwei Drittel aller aktiven Offiziere, direkt an den Kanzler und verpackten ihre Sorge um die Zukunft des Heers in einem regelrechten »Absagebrief«. Einer der Kernsätze lautete  : »Die vorgesehene Gesamtdienstzeit von sechs Monaten und weniger als 75 Tagen Wiederholungsübungen reicht nicht aus, um den Einsatz öster­reichischer Staatsbürger zur militärischen Landesverteidigung zu verantworten und das Reserveheer im erforderlichen Umfang erhalten zu können.«682 Auch das nützte nichts. Wohl aber irritierte nachhaltig, dass der westdeutsche Bundesminister der Verteidigung, Helmut Schmidt, am 5. März 1971 ein Interview gab, in dem er gar nicht so versteckt Kritik an der Wehrdienstzeitverkürzung in Österreich anklingen ließ und auch die zu erwartenden hohen Kosten für eine Bereitschaftstruppe von 15.000 Mann ansprach. Kreisky kam das extrem ungelegen, und zwar nicht nur wegen des von ihm bereits vorausgesehenen nächsten Wahlkampfs, sondern auch deshalb, da er eine Reaktion Moskaus befürchtete.683 Es kam ja nicht alle Tage vor, dass sich ein westdeutscher (sozialdemokratischer) Verteidigungsminister in ureigenste österreichische Belange einmischte. Die FPÖ, die in Heeresangelegenheiten den ÖVP-Argumenten weit näher stand als jenen der SPÖ, sprang über ihren Schatten und verhalf dem Wehrgesetz, mit dem auch ein Wehrersatzdienst einherging, zum Beschluss. Jahre später, 1977, lenkte Kreisky dann doch ein, ließ eine Wehrgesetznovelle beschließen und damit die Bereitschaftstruppe von einer Schimäre zu einigermaßen darstellbaren 15.000 Mann werden. Die FPÖ wollte Kreiskys Minderheitsregierung so lange wie möglich unterstützen. Es war ja das erste Mal, dass die Freiheitlichen aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit heraustraten. Kreisky aber spekulierte bereits auf das Ende der Zusammenarbeit. Er hatte weithin sichtbar bewiesen, dass er sich durchzusetzen verstand, innerparteilich kaum Anfechtungen zu befürchten hatte und auch »heiße Eisen« angriff. Es störte ihn

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auch nicht, dass gegen Minister Lütgendorf demonstriert wurde und dass es in der Bauernschaft rumorte. Den »schwarzen Peter« der Neinsager hatte er geschickt der ÖVP zugespielt. Und die Konsequenz, mit der er seinen Weg ging, imponierte durchaus. Als er nach eineinhalbjähriger Minderheitsregierung neuerdings Nationalratswahlen ansetzte, die ihm die Fortführung seines Kurses ermöglichen sollten, riskierte er nicht viel. Die Wehrdienstzeitverkürzung war Realität geworden, Schülerfreifahrten und gratis Schulbücher zielten auf ärmere Bevölkerungsschichten ab, kamen aber letztlich allen Familien mit Kindern zugute. Die ÖVP bot ein Bild der Desorientierung und des Kampfs jeder gegen jeden. Die FPÖ war auch für baldige Neuwahlen, da sie sich Hoffnung machte, im Fall einer bloß relativen Mehrheit der SPÖ in eine Kleine Koalition eintreten zu können. Die Wiederwahl von Franz Jonas als Bundespräsident im April 1971 bestärkte Kreisky noch darin, dass er in einem Popularitätshoch war. Die ÖVP hatte mit Kurt Waldheim einen wohl auch weniger attraktiven Kandidaten als den amtierenden Bundespräsidenten aufgestellt. Dennoch tat man seitens der SPÖ alles, um den letzten Außenminister der ÖVP-Alleinregierung nicht als jemanden dastehen zu lassen, der außenpolitisch erfolgreich gewesen war. Unter der Hand wurden Gerüchte über die Kriegsvergangenheit Waldheims in Umlauf gebracht, ohne dass sich freilich jemand dafür noch nennenswert interessiert hätte. Am 10. Oktober 1971 erreichte die SPÖ bei den Nationalratswahlen die absolute Mehrheit. Ungeachtet dessen, dass es im Vorfeld der Wahl jede Mange taktische Winkelzüge gegeben hatte, war es absehbar gewesen, dass es zu diesem Ergebnis kommen musste. Einem Kreisky, der die Innenpolitik seit 1970 dominierte, seiner Partei das Bild einer linksliberalen, weltoffenen Partei gegeben und deutlich gemacht hatte, dass er nicht nur willens, sondern auch fähig war, Strukturen aufzubrechen und etwas weiterzubringen, stand eine ÖVP-Führung gegenüber, die mit Karl Schleinzer nach einem nur einjährigen Interregnum von Hermann Withalm zwar wieder einen anerkannten Obmann hatte, letztlich aber immer noch nicht geschlossen auftrat und immer nachhinkte. ÖVP und FPÖ mussten sich mit der Oppositionsrolle zufriedengeben. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte dem Wahlslogan der SPÖ »Lasst Kreisky und sein Team arbeiten« zugestimmt und wollte – so wie es Kreisky formulierte – »ein Stück Weges« mit ihm und der SPÖ gehen. Die Regierungsbildung brachte zwar einige Überraschungen und zeigte Keisky auch, dass er ebenso wie die ÖVP gut beraten war, wenn er Vertreter der westlichen Bundesländer in sein Kabinett aufnahm. Eines gelang ihm freilich nicht, nämlich die Hineinnahme von Vertretern der ÖVP-Bünde. Die Absicht war denn auch recht durchsichtig. Kreisky wollte die ÖVP aufbrechen und sein Dictum vom Weg, den es gemeinsam zu gehen galt, auch auf politische Gegner angewendet wissen. Was er konnte, war, dass er durch eine geschickte Personalpolitik die Flügel innerhalb seiner Partei zufriedenstellte und sich mit der Betrauung des Präsidenten des Gewerkschaftsbunds, Anton

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Benya, zum Ersten Präsidenten des Nationalrats auch die Unterstützung der Gewerkschaft sicherte. Jetzt konnte man wieder daran gehen, Politik mit Inhalten zu machen. Dass Kreisky dabei das ihm besonders lieb gewordene Gebiet, die Außenpolitik, trotz der Wiederbestellung von Rudolf Kirschschläger, als seine Domäne betrachtete, konnte dabei nicht überraschen. Die Funktionäre seiner Partei hätten ihn wohl lieber auf innen- und regionalpolitische Fragen festgenagelt. Außenpolitik wurde als das »Hobby« des Kanzlers gesehen.684 Aber warum sollte nicht auch ein Bundeskanzler ein Steckenpferd reiten  ? So wie er schon 1959 einen eigenständigen Akzent setzen und nicht nur darauf warten wollte, dass andere etwas taten, auf das man reagieren musste, gab Kreisky auch 1971 ein Thema vor  : Sicherheit. Die Sowjetunion hatte schon Mitte der fünfziger Jahre von einer europäischen Sicherheitskonferenz zu sprechen begonnen. Kreisky griff das auf. Vor allem im Westen war man überrascht. Österreichs Herantreten an die Regierungen europäischer Staaten und der USA und die Übersendung eines Memorandums zur Europäischen Sicherheit wurden schlichtweg als »naiv« bezeichnet. Aber vielleicht hatte man da etwas falsch verstanden. Zumindest darüber reden sollte man doch können. Also gab es einmal einen ersten Versuch. Außenminister Kirchschläger kam im Dezember 1971 nach London und sollte dort anlässlich des Jahresdinners der britisch-österreichischen Gesellschaft mit seinem Londoner Gegenüber, Sir Alec Douglas-Home, zusammentreffen. Kirschschläger war gefragt worden, worüber er in London eigentlich sprechen möchte. Er meinte darauf, es wäre ihm zunächst wichtig, nach vielen Ostkontakten auch die Freunde im Westen zu besuchen. Er wollte auch über die schon längere Zeit anhängigen Fragen einer Assoziation Österreichs mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sprechen. Ein besonders wichtiges Thema wäre auch die Kandidatur von Kurt Waldheim als UNO-Generalsekretär. Und natürlich ginge es um Sicherheit. Noch blieb es beim Abtasten. Nur im Fall der Unterstützung Kurt Waldheims wurde man konkret. Und es sah gut aus. So wie das auch bei einem Besuch Kirchschlägers in Paris der Fall gewesen war. Waldheim wurde am 22. Dezember 1971 von der UNO-Generalversammlung einstimmig gewählt. Das konnte man durchaus als großen außenpolitischen Erfolg werten. Doch Österreichs Kanzler wollte mehr. Und im Jahr darauf fügte sich den ersten Beurteilungen seiner Außenpolitik und dem Wort »naiv« eine weitere Formulierung hinzu  : Kreisky, so hieß es in einer Beurteilung des britischen Außenministeriums, sei »nicht kalkulierbar«. Er würde damit beginnen, eine risikofreudigere Außenpolitik zu betreiben. Der Spielraum sei zwar eng und »lässt nicht sehr viel Platz für Extravaganzen«, aber es könnte die Briten unvorbereitet treffen. Einiges hatte sie schon hellhörig werden lassen. Ende Dezember 1971 hatte Österreich diplomatische Beziehungen mit der Deutschen Demokratischen Republik aufgenommen. Das Wort Anerkennung war geschickt vermieden worden, doch es lief

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auf das Gleiche hinaus.685 Österreich hatte es nicht dabei belassen, sich in Fragen der europäischen Sicherheit zu Wort zu melden, sondern sich für eine mittlerweile schon ganz konkret gewordene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit stark gemacht. Sie sollte in Helsinki stattfinden. Die westlichen Staaten wollten zwar teilnehmen, doch sie sahen darin wenig Sinn und konnten daher auch das Engagement Österreichs nicht verstehen. Österreich hatte aber noch ein Weiteres getan, indem es schon im Juli 1970 ein Memorandum in Umlauf gebracht hatte, mit dem zu einer Konferenz über den Abbau konventioneller Streitkräfte nach Wien eingeladen wurde. Die NATO, der die massive Überlegenheit der Sowjetunion auf dem konventionellen Waffensektor zu schaffen machte, konnte gar nicht anders, als Zustimmung zu signalisieren. Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Brežnev zog 1971 nach. Wien bot sich an. Die Sicherheitskonferenz und die Konferenz zum Abbau konventioneller Waffen (Mutual and Balanced Force Reductions, MBFR) waren ein Ganzes. Die Initiativen lagen aber plötzlich nicht mehr bei den Großmächten, sondern bei den naiven, nicht kalkulierbaren Kleinstaaten – wie Österreich. Allmählich begann man sich auch außerhalb von Österreich intensiver mit Kreisky zu beschäftigen. Er schien omnipräsent und ließ gar keinen Zweifel daran, dass er gesonnen war, in außenpolitischen Fragen gehört zu werden. Vom 22.  Februar bis 2. März 1972 brach er zu einer großen Europatour auf und wollte die österreichischen Bemühungen um ein Arrangement mit der EWG vorantreiben. Er bereiste alle Staaten der Wirtschaftsgemeinschaft, legte dar, erzählte, hörte fallweise auch zu und wollte einfach etwas weiterbringen. Trotz der Reserviertheit, auf die er vor allem in Frankreich stieß, hoffte der Kanzler, im Juni oder Juli 1972 einen ersten Entwurf für einen Assoziierungsvertrag zu bekommen.686 Tatsächlich war ein Interimsabkommen schon im März fertiggestellt. »Ich bin der Meinung« In Österreich wurde vielleicht registriert, dass sich sicherheitspolitisch etwas tat, das über die Wehrdienstzeitverkürzung hinausging. Doch es war wohl nicht verwunderlich, dass die Akzente der SPÖ-Alleinregierung auf anderen Gebieten weit mehr Beachtung fanden. Der Kanzler hatte sich ja auch der Gesellschaftspolitik und vor allem der sozialen Fürsorge verschrieben. Ein passables Wirtschaftswachstum und die Bereitschaft, den Schuldenstand Österreichs zu erhöhen, ermöglichte die Finanzierung von Schülerfreifahrten, Gratis-Schulbüchern, dann die Streichung der Studiengebühren, Pensionsanhebungen und höhere Familienbeihilfen. Dass das alles Geld, viel Geld kostete, war klar. Finanzminister Hannes Androsch sollte es durch eine Steuerreform und budgetäre Umschichtungen beschaffen. Der Rest musste geborgt werden.

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Doch zweifellos war Kreisky auch gewillt, schon längst diskutierte Fragen zu lösen und scheute auch nicht davor zurück, kontroversielle Themen anzugehen. Die absolute Mehrheit gab ihm dazu die Möglichkeit, und er wollte sie nutzen. Im Gegensatz zu Josef Klaus ließ er den von ihm mehr oder weniger handverlesenen Ministern dabei freie Hand, ohne freilich den mindesten Zweifel daran zu lassen, dass er der Primus inter pares war. Natürlich rumorte es gelegentlich, doch da die Medienlandschaft ebenso wie die Regierung einen leichten, wenngleich deutlichen Linksruck gemacht hatte, konnte sich Kreisky einer weitgehend ungebrochenen Sympathie erfreuen. Dazu kam sein ihm eigener Stil, indem er nach den Ministerratssitzungen ein Pressefoyer arrangierte, Rede und Antwort stand, auf die Journalisten zuging und ihnen durchaus das Gefühl gab, einflussreich zu sein. Gelegentliche Bonmots machten die Runde, wurden belächelt, schadeten aber nicht. Die getragene Sprechweise des Kanzlers wurde ironisiert (und nachgemacht) und seine häufig verwendete Phrase »Ich bin der Meinung …« wurde zu einer Art Markenzeichen. Am deutlichsten wurde der Anbruch einer neuen Zeit wahrscheinlich im Bereich der Kodifizierung von Rechtsmaterien. Und er war der Meinung, dass es gerade bei den strittigen Materien durchaus möglich sein sollte, sozialistisches Gedankengut einzubringen. In Ansätzen waren schon von der Minderheitsregierung die Weichen gestellt worden. Demokratisierung war das Schlagwort. Die Hochschulen sollten auf die vor allem an deutschen Universitäten praktizierten Formen der Mitbestimmung von Studierenden und akademischem Mittelbau umgestellt werden. Die Professoren übten Widerstand. Schon im Januar 1971 ging ihnen ein Diskussionsentwurf zu. In den universitären Gremien sollte nach den Vorstellungen der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg künftig Drittelparität herrschen. Firnberg erinnerte sich dabei nicht zuletzt an ihre eigene Zeit als Universitätsassistentin, als sie in mehr oder weniger vollständiger Abhängigkeit von ihrem Institutsvorstand und Ordinarius gewesen war. Nun sollte die mitunter als Allmacht der Ordinarien verstandene Stellung der Universitätsprofessoren erheblich an Bedeutung verlieren. Bildung, so meinte die Ministerin, würde von »bürgerlichen Schichten« als Waffe verstanden werden, um sich Machtpositionen zu sichern. Dem sollte dadurch entgegengewirkt werden, dass der Zugang zu den Universitäten erleichtert und die Studierenden ebenso wie der Mittelbau in ihren jeweiligen Gremien in organisatorischen Fragen und beim Lehrangebot mitentscheiden sollten. Jenseits der mitunter klassenkämpferischen Note in der nicht gerade öffentlichkeitswirksamen Diskussion ging das eigentliche Anliegen, den Zugang zu den Universitäten zu erleichtern und für bildungsferne Schichten attraktiver zu machen, häufig unter. Dafür hätte vielleicht auch eine Ausweitung der Stipendien gereicht. Doch von Demokratie war an den Hohen Schulen sicherlich herzlich wenig zu spüren. Der Vorwurf der mit der Studienreform einhergehenden Verpolitisierung der Universitäten war jedoch nicht von der Hand zu weisen. Noch dazu, da sich das Wissenschafts-

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ministerium verstärkt in die Personalentscheidungen und vor allem in die Berufung von Professoren einmischen konnte. Die neuen Gremien verlangten mitunter endlose Sitzungen, die eine zusätzliche Belastung vor allem für die Lehrenden nach sich zog. Im Gegenzug wurde das akademische Lehrpersonal erheblich vermehrt. Das sowie der verstärkte Zustrom zu den Universitäten hatten zur Folge, dass die Universitäten aus allen Nähten platzten. Dem ließ sich nur durch den Ausbau der Hohen Schulen und schließlich durch die Errichtung einer weiteren Universität im Süden des Landes, in Klagenfurt, begegnen. Ebenso aber brauchten und erhielten die Universitäten mehr finanzielle Mittel. Das sollte zumindest einen Teil der Kritiker ruhigstellen. Ähnlich wie das bei den Universitäten der Fall war, konstatierten Kreisky und die Seinen beim Österreichischen Rundfunk eine »bürgerliche Hegemonie«,687 die es zu brechen galt. Im Gegensatz zu der Frage eines neuen Universitätsorganisationsgesetzes, bei dem schon das Bandwurmwort eine Abhaltewirkung erzielte, waren Hörfunk und Fernsehen spätestens seit dem Rundfunkvolksbegehren Bereiche, die sich eines breiten Interesses sicher sein konnten. Der Wunsch nach Änderung der gesetzlichen Grundlage wurde schon 1970 und 1971 laut. Vier Jahre nach der Rundfunkreform, mit der eine weitgehende Unabhängigkeit von Hörfunk und Fernsehen erreicht wurde, war es aber verhältnismäßig schwer zu argumentieren, dass der Einfluss der Parteien, vor allem auch der Regierungspartei, auf den ORF wieder verstärkt werden sollte. Der Generalintendant des ORF, Gerd Bacher, widersetzte sich den vor allem von Gewerkschaftsvertretern vorgebrachten Wünschen eloquent und mit Vehemenz. Da sich angesichts der Oktoberwahlen 1971 eine Änderung nicht mehr ausging, wurde das Thema vertagt. Ziel der SPÖ war es jedoch, die rechtliche Grundlage dahingehend zu verändern, dass aus einer »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« eine »Anstalt öffentlichen Rechts« mit einem Aufsichtsrat werden sollte, in den dann die Parteien entsprechend den Mehrheitsverhältnissen ihre Vertreter entsenden konnten. Was nach Juristenlatein klang, lief darauf hinaus, sich einen möglichst großen Einfluss auf die – wie es Bacher nannte – »größte Orgel des Landes« zu sichern. Doch es gab noch anderes und letztlich Naheliegenderes, bei dem Kreisky und die SPÖ ihre Handschrift und ihren Veränderungswillen beweisen konnten. Noch in Zeiten der Minderheitsregierung war eine kleine Strafrechtsreform durchgeführt worden, die die Entkriminalisierung von Homosexualität, Ehestörung und Ehebruch zum Ziel hatte. Das war somit erledigt. Nach der Kleinen sollte es nunmehr auch eine Große Strafrechtsreform geben. Kernpunkt war die Abtreibungsfrage. Und dabei schwand etwas, das gerade Kreisky still vorausgesetzt hatte  : Die – wenn schon nicht Unterstützung, so doch Duldung – durch die katholische Kirche. Jene Kirche, die 1945 ihren Rückzug aus dem parteipolitischen Geschehen bekräftigt hatte, kehrte in einer natürlich zutiefst ethischen und nicht nur politischen Frage mit Vehemenz in die Politik zurück. Justizminister Christian Broda hatte gehofft, eine Änderung des § 144 des

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Strafgesetzbuchs, in dem das Verbot der Abtreibung enthalten war, einvernehmlich mit den Stimmen aller Parlamentsparteien erreichen zu können. Jahrzehntelang war darüber debattiert worden. Es hatte Minderung und Verschärfung der Strafandrohung gegeben, einmal war Abtreibung ein Vergehen, dann ein Verbrechen. Broda wollte mit einer »Indikationenlösung« die Straffreiheit in besonders berücksichtigungswerten Fällen erreichen, wenn Frauen soziale, ethische oder eugenische Gründe, also eine nachweisliche Schädigung des biologischen Erbguts, angeben konnten. Vielleicht hatte er politischen Widerstand erwartet, doch der kam zunächst nicht. Wohl aber gab es einen Aufschrei katholischer, zunächst noch nicht-kirchlicher Kreise. Die »Aktion Leben« formierte sich. War das, was Broda in seinem Entwurf zur Neufassung des Strafrechts vorschlug, ein Rückfall in nationalsozialistische Zeiten  ? Ging es darum, »unwertes« Leben zu vernichten  ? Wo waren die Grenzen  ? Sollte irgendwann einmal auch die Tötung geistig oder körperlich behinderter Menschen ermöglicht werden  ? War der Schwangerschaftsabbruch als erster Schritt zur legalen Euthanasie zu sehen  ?688 Geburtenkontrolle war sicherlich etwas anderes, doch plötzlich gab es Anklänge an Tötungsanstalten wie Hartheim oder den Wiener Spiegelgrund. Da nützten auch keine Hinweise, dass die meisten skandinavischen Länder und Großbritannien die Abtreibung schon längst legalisiert hatten. Es war ein ethisches Problem geblieben. Der Widerstand vor allem katholischer Kreise rief als Gegenaktion ein Aktionskomitee von Frauen auf den Plan, die wenn schon nicht die Streichung des § 144 so doch die generelle Straffreiheit von Abtreibung bis zum dritten Monat einer Schwangerschaft forderten. Die politischen Parteien mischten sich ein. Es sah ganz so aus, als ob sich eine Konfrontation entwickeln würde, in der sich ÖVP und SPÖ gegenüberstanden. Broda war jedenfalls enttäuscht, dass sein Vorschlag einer Indikationenlösung auf zunehmenden Widerstand stieß. Und er schwenkte auf die Linie der Befürworter einer Fristenlösung um. Abtreibung sollte bis zum dritten Monat nach der Zeugung straffrei sein. Die Fronten gingen quer durch die Parteien. Und dass sich die katholische Kirche letztlich gegen die Fristenlösung aussprach, war zu erwarten gewesen. Es konnte auch fast nicht ausbleiben, dass die Argumente in Predigten einflossen und schließlich in der Frage gipfelten, ob eine Partei, die nicht gewolltes Leben der Vernichtung preiszugeben bereit war, für Katholiken noch wählbar wäre. Da aber weder die katholische Kirche noch die ÖVP die immer erregtere Debatte über die Abtreibung als etwas verstehen wollten, das wieder als Verschränkung einer in ihren Wurzeln christlichen Partei mit der katholischen Kirche interpretiert werden konnte, verfolgten zwar beide in der Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch idente Ziele, blieben aber auf Distanz. Kreisky, der gerne vermittelt hätte und ganz sicher keinen Konflikt mit der katholischen Kirche und vor allem nicht mit Kardinal Franz König wollte, wurde mehr oder weniger gezwungen, der Linie seiner Partei zu folgen. Zeitweilig schien es, dass

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die Standpunkte der Befürworter und der Gegner nicht so weit auseinander liegen würden. Die ÖVP suchte einen Kompromiss, wohl wissend, dass sie das Fenster, das von den Sozialisten in der Abtreibungsfrage aufgestoßen worden war, nicht einfach schließen konnte. Die Volkspartei wurde aber wohl selbst von der außerordentlichen Reaktion der Gegner überrascht. Bei den parlamentarischen Debatten konnte man schließlich den Eindruck gewinnen, dass man Sternstunden des Parlamentarismus erlebte. Die ÖVP schlitterte aber immer mehr in ein Dilemma hinein, denn nun lehnte die katholische (Amts)Kirche auch eine Indikationenlösung ab. Am 29. November 1973, nach rund zweijähriger Behandlung und dreitägiger Debatte, wurde im Nationalrat abgestimmt. Das neue Strafrecht und mit ihm auch die Neuregelung des »Abtreibungsparagraphen« wurde mit 93 gegen 88 Stimmen angenommen. Wer freilich geglaubt hatte, damit wäre die Sache entschieden, irrte. Die Salzburger Landesregierung brachte eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Der Bundesrat lehnte mit einer Stimme Mehrheit die Fristenlösung ab. Bei der neuerlichen Behandlung im Nationalrat gab es einen Beharrungsbeschluss. Ende Januar 1974 schaltete sich die katholische Bischofskonferenz ein und erklärte, ein von der »Aktion Leben« angestrebtes Volksbegehren unterstützen zu wollen. Kardinal König hatte lange gezögert. Doch dann meinte er  : »Man wird nach diesem Volksbegehren wenigstens nicht sagen können, die Katholiken hätten sich nicht bis zum Letzten bemüht.«689 Die Formulierung konnte auch als kleine Spitze gegen die Evangelischen Kirchen verstanden werden, denn seitens der Sozialisten wurde immer wieder die Meinung des protestantischen Theologen und Universitätsprofessor Wilhelm Dantine zitiert, der sich klar für die Fristenlösung ausgesprochen hatte.690 Der Verfassungsgerichtshof wies die Klage der Salzburger Landesregierung ab. Das Volksbegehren wurde erst 1976 durchgeführt, erbrachte rund 800.000 Unterschriften. Wie gesetzlich vorgesehen, wurde die Sache abermals im Nationalrat behandelt. An der bereits getroffenen Entscheidung änderte sich nichts. Wohl aber konnte es als kalte Dusche für die Gegner der Fristenlösung gesehen werden, dass die Mehrheit der Bevölkerung meinte, die katholische Kirche sollte sich in Fragen wie Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch nicht einmischen. Die Strafrechtsreform war solcherart zu einem Dauerbrenner der österreichischen Innenpolitik geworden und beschäftigte Gesetzgebung und Wahlvolk von 1971 bis 1976. – Aber es gab ja auch noch anderes. Kärnten Eher überraschend stürzte sich Kreisky auch auf ein Thema, das weder besonders vordringlich, noch besonders aufregend schien, nämlich die Frage der Minderheitenrechte

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in Kärnten. Und wieder fing alles recht harmlos an. Dass es in Kärnten eine slowenischsprachige Minderheit gab, stand außer Zweifel. Dass sie im Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags recht prominent vorkam, ebenso. Demnach hatten »österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheit in Kärnten, Burgenland und Steiermark Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen«, auf Verwendung ihrer Muttersprache als »Amtssprache« in den gemischtsprachigen Gebieten und ebenso hatten sie Anspruch auf die Anbringung von »Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur« neben den deutschen Bezeichnungen. Einiges war seit 1955 geschehen. Die Anbringung von zweisprachigen Ortstafeln, wie dann die etwas vereinfachte Darstellung des Problems lautete, war unterblieben. Es ging um 205 Ortschaften. Der Kärntner Josef Klaus hatte jedenfalls nicht an das Problem rühren wollen  ; der Wiener Bruno Kreisky sah darin einen Punkt des Staatsvertrags, der noch nicht erledigt war. (Es gab auch noch andere, die ihm aber offenbar minder wichtig waren.) Der Kärntner Landeshauptmann, Hans Sima, war es wohl gewesen, der Kreisky dazu brachte, in der Frage ein Problem zu orten. Während der Feiern zum 50. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung, am 10. Oktober 1970, und gleich darauf am österreichischen Nationalfeiertag waren Flugblätter aufgetaucht, in denen es hieß, mit Aufrufen zur Toleranz und mit schönen Worten sei es nicht getan. Man müsse andere Methoden anwenden. Der Landeshauptmann hatte daraufhin dem Kanzler geschrieben, dass mit einer »Verschärfung der Situation gerechnet werden« müsse.691 Tatsächlich wurde nicht nur gedroht, sondern gab es die ersten Schmieraktionen. Unter anderem ergänzten im Oktober und Dezember 1970 slowenische Studenten im zweisprachigen Gebiet deutsche Ortsnamen auf den Ortstafeln mit slowenischen Ortsbezeichnungen. Ein Student wurde vor Gericht gestellt – aber nicht verurteilt. Im Frühjahr und Sommer 1971 gab es die nächsten, nunmehr schon ausgedehnten Schmieraktionen. Jetzt wurden aber nicht nur Ortstafeln beschmiert, sondern auch Partisanendenkmäler und Denkmäler für die 1941/42 zwangsausgesiedelten slowenischen Familien. Es folgten Sprengstoffanschläge, bei denen die Urheberschaft bis heute umstritten ist. Sicher war eines  : Die Auseinandersetzung hatte eine neue Qualität bekommen. Und Deutschkärntner wie Slowenen konnten sich gegenseitig beschuldigen und der bösesten Absichten zeihen. Was dem einen großslowenisches Partisanentum war, war dem anderen »Nazigesindel«. Die Eskalation schien unvermeidlich. Und der Kanzler wollte nicht einfach zuwarten. Noch dazu gab es ja eine Art Parallelhandlung, nämlich die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Dort waren Österreich und Jugoslawien prominente Vertreter der N+N-Gruppe, also der neutralen und bündnisfreien Staaten. Wien und Belgrad hatten daher nicht das geringste Interesse an einer Konfrontation. In Belgrad floss aber auch anderes in die Überlegungen ein  : Staatspräsident Tito war gesundheitlich angeschlagen. Was würde sein, wenn er starb  ? Die Nationalitäten Jugo-

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slawiens rührten sich. Vor allem in Kroatien zeigte sich regelrechter und organisierter Widerstand gegen die Zentralregierung und das Regime. Die Bewegung des sogenannten »Kroatischen Frühlings« konnte zwar niedergeschlagen werden  ; die Anführer wurden vor Gericht gestellt und erhielten schwere Strafen. Was aber, wenn auch Slowenien den Aufstand plante und der Funken von Kärnten auf die nördlichste jugoslawische Teilrepublik übersprang  ? Immer wieder machten Überlegungen die Runde, die Sowjet­ union könnte Unruhen in Jugoslawien zum Anlass für eine militärische Intervention nehmen. Belgrad wie Wien taten daher alles, um die Unruhen im Kein zu ersticken. Kreisky handelte rasch – vielleicht zu rasch – und entschlossen. Dem Verfassungsausschuss des Nationalrats ging der Entwurf eines Ortstafelgesetzes zu. Für die Begutachtung standen den Abgeordneten nicht einmal drei Wochen zur Verfügung. ÖVP und SPÖ beanstandeten, dass es für eine Beurteilung keine ausreichenden Grundlagen gab und forderten eine Minderheitenfeststellung. Kreisky sah sie für unnötig an. Das Gesetz wurde am 6. Juli 1972 mit den Stimmen der Regierungspartei beschlossen. In allen Gemeinden, in denen es einen slowenischen Bevölkerungsanteil von mehr als 20 % gab, sollten zweisprachige Ortstafeln angebracht werden. Im Herbst begann deren Aufstellung. Am 4. Oktober 1972 wurden in St. Kanzian am Klopeinersee (Škocjan v Podjuni) und in Obersammelsdorf (Zvrhnje Žamanje) die Tafeln von Demonstranten abmontiert. Wiederaufgestellt wurden sie tags darauf abermals abmontiert. Das konnte man als zivilen Ungehorsam oder auch als Rechtsbruch sehen. Prompt reagierte die Regierung in Belgrad, die sich bis dahin zu dem Ortstafelproblem nicht geäußert hatte, und sah in dem Vorgang eine schwere Belastung der bilateralen Beziehungen. Belgrad hatte aber wohl weniger die Situation in Kärnten als die Lage im eigenen Land vor Augen.692 Doch die Angelegenheit steuerte erst ihrem Höhepunkt zu. In den Nächten vor dem Landesfeiertag 1972, dem 52. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung von 1920, wurden die meisten Ortstafeln abmontiert und demonstrativ vor den Gemeindeämtern und der Landesregierung in Klagenfurt deponiert. Der Landeshauptmann wurde vor laufenden Fernsehkameras beschimpft. Kärnten galt plötzlich als Land, in dem noch immer die alten, aber auch Neo-Nazis das Sagen hatten. Die slowenischen Organisationen reagierten mit der Forderung, zwei als minderheitenfeindlich bezeichnete Organisationen zu verbieten. Auch die Möglichkeit, die Frage zu internationalisieren, stand im Raum. Was, wenn Belgrad  – so wie Kreisky seinerzeit das SüdtirolProblem – die Forderung nach Einhaltung staatsvertraglicher Verpflichtungen durch Österreich vor die Vereinten Nationen brachte  ? Kreisky beharrte auf der Einhaltung des Ortstafelgesetzes, stellte sich aber für eine Informationsveranstaltung in Klagenfurt zur Verfügung. Gewissermaßen als Auftakt sprengten Unbekannte in Horzach (Horce) bei St. Kanzian einen Hochspannungsmast. Kreisky sollte wohl an die Porzescharte erinnert werden. Am 28. Oktober 1972 wurde er in Klagenfurt mit einem Pfeifkonzert und Beschimpfungen empfangen. Kreisky redete drei Stunden, warb um Verständnis

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und versuchte den Kritikern, darunter vielen aus seiner eigenen Partei, goldene Brücke zu bauen. Der Tumult hielt an. Man riet dem Kanzler, den Saal durch einen Hinterausgang zu verlassen. Er weigerte sich  : Ein Kanzler der Republik Österreich verlässt eine Veranstaltung nicht durch die Hintertür. Draußen wurde er wüst beschimpft. Möglicherweise sind seine Sympathien für Kärnten an diesem Tag geringer geworden. Jahre später, als ruchbar wurde, dass er sich ein Haus auf Mallorca gekauft hatte, meinte er jedenfalls, einen Urlaub in Kärnten könnte er sich nicht leisten. Dass es dabei nicht nur ums liebe Geld ging, konnte man sich dazu denken. In der Folge griff Kreisky zu einem Mittel, das er immer wieder einsetzte, wenn sich ein nennenswertes Problem auftat  : Er berief eine Expertengruppe ein, die das Problem studieren und Lösungsvorschläge erarbeiten sollte. Mit dieser Minderheitenkommission hoffte er, sowohl die Kärntener Slowenenverbände als auch Jugoslawien ruhigstellen zu können. Erstere weigerten sich mitzuarbeiten und wehrten sich weiterhin vehement gegen eine zahlenmäßige Feststellung, wo wie viele Slowenen und Gemischtsprachige, gemeinhin als »Windische« bezeichnet, lebten. Belgrad aber hatte Anfang September 1972 eine diplomatische Note nach Wien geschickt, in der die Rechte der »jugoslawischen Minderheit« eingefordert wurden, widrigenfalls geeignete Schritte angedroht wurden. Im Wiener Außenamt blieb man gelassen.693 Wohl aber begannen sich die Briten stärker für die Sache zu interessieren. Kärnten hatte zu ihrer Besatzungszone gehört, und als Staatsvertragssignatar waren sie zur Einhaltung der Bestimmungen verpflichtet. Der britische Botschafter in Wien, Sir Denis Laskey, berichtete an das Foreign Office, dass Jugoslawien das einzige Nachbarland Österreichs sei, mit dem es Probleme gebe, da die Belgrader Regierung Österreich vorwerfe, seinen staatsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Slowenen nicht nachgekommen zu sein. »Aber«, so der britische Botschafter, »es kann wirklich nicht behauptet werden, dass die Slowenen in einem Zustand des Elends und der Unterdrückung lebten.« Daher sei die Heftigkeit der jugoslawischen Attacken »gänzlich unangemessen«. Vielleicht kam einem britischen Diplomaten Nordirland in den Sinn, wenn er auch gegenüber seinem Ministerium in London die zunehmende Gewalt in Kärnten herunterspielte. Doch so harmlos war die Sache gewiss nicht. Die Enthüllung eines Partisanendenkmals in Robesch (Robež) Anfang September 1973 und eines Denkmals für die Abwehrkämpfer an der Gurkerbrücke östlich von Klagenfurt einen Monat später luden regelrecht zu Aktionen ein. Zwei Wochen nach der Denkmalenthüllung in Robesch flog das Monument auch schon in die Luft. Die Täter wurden exemplarisch bestraft. Die Sache war aber noch lange nicht ausgestanden, und auch die Minderheitenkommission war sich nicht immer einig und hatte vor allem keine Patentlösungen parat. Es ging um die Frage, auf welche Bezirke und Gemeinden ein bald so bezeichnetes Volksgruppengesetz angewendet werden sollte und wie groß eine Minderheit sein musste, um das Recht auf zweisprachige topographische Aufschriften und besondere

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Förderungsmaßnahmen zu haben. Die Empfehlungen schwankten zwischen einem Bevölkerungsanteil von 5 % und 30 %.694 Kreisky war für eine großzügige Lösung. Doch um eines schien man nicht herumzukommen, einer Feststellung, wo und wie viele Menschen sich zu einer Minderheit bekannten. Der Streit hielt an, Zwischenfälle blieben nicht aus, die Zeit verging. Ende Oktober 1974 zog Innenminister Otto Rösch eine Art Zwischenbilanz  : Bis zu diesem Zeitpunkt habe es 50 Anzeigen gegen bekannte Täter gegeben, 250 Verwaltungsstrafverfahren wären eingeleitet worden. Der Verdacht, dass ein Teil der Schmierereien und Anschläge auf slowenische Erinnerungsorte von Slowenen selbst ausgeführt worden war, die damit eine Eskalation beabsichtigten, erhärtete sich.695 Da die Regierung aber keine Eskalation wollte, wurden die Verfahren niedergeschlagen. Österreich schlug Jugoslawien bilaterale Verhandlungen vor. Damit wurde guter Willen demonstriert. Anfang März 1975 lud Kreisky die Slowenenvertreter in das Kanzleramt ein, um mit ihnen über eine Volkszählung besonderer Art, also eine Minderheitenfeststellung, zu reden. Die Slowenen weigerten sich kategorisch. Wohl aber boten sie an, mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten, wenn sie auf die Minderheitenfeststellung verzichten würde. Zwei Monate danach, Ende Mai, kündigte Kreisky eine »Volkszählung besonderer Art« als Orientierungshilfe an. Damit setzte sich Wien auch über eine weitere Protestnote Jugoslawiens hinweg, bestritt keineswegs die Verpflichtungen aus Artikel 7 des Staatsvertrags, stellte aber ebenso unmissverständlich klar, dass jeder Staat das Recht habe, sich notwendige statistische Daten zu beschaffen, noch dazu in geheimer und in demokratischen Staaten üblicher Weise. (Das war ein leicht verständlicher Seitenhieb.) Diese Volkszählung sollte die Grundlagen für ein Volksgruppengesetz liefern, das allerdings erst für das darauffolgende Jahr zu erwarten war. Jugoslawien protestierte abermals. Und damit schien sich für die Briten etwas zu bewahrheiten, das man schon nach dem letzten Jahresbericht Botschafter Laskeys heraufdämmern gesehen hatte  : Sollte Jugoslawien unter Bezugnahme auf den Staatsvertrag bei der Londoner Regierung intervenieren, musste man Stellung beziehen. Und genau das wollte eigentlich niemand. (»Kreisky spielt auf Zeit.« – hieß es.) Allerdings waren die Briten seit 1973 darauf vorbereitet, in den Streit hineingezogen zu werden und hatten über die Genesis des Volksgruppenkonflikts in Kärnten ein ordentliches Dossier angefertigt. Im Foreign Office meinte man freilich, dass Jugoslawien nur deshalb so aufgeregt tat, weil es sich darüber ärgerte, dass Wien in Sachen Desinformation über die interne Situation Jugoslawiens und vor allem bei den Spekulationen über die Zeit nach dem Tod Titos die erst Geige spielte. Die »Volkszählung besonderer Art« wurde durchgeführt. Slowenenverbände hatten wohl zum Boykott aufgerufen. Kreisky war dennoch zufrieden. Der Verabschiedung eines Volksgruppengesetzes stand nichts mehr im Weg. Und dennoch war man erst an einer weiteren Station in einer unendlich scheinenden Geschichte angelangt. Und die zweisprachigen Ortstafeln ließen auf sich warten.

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Die Erregung wegen des Minderheitenkonflikts in Kärnten ließ immer wieder Vergleiche mit Südtirol aufkommen. Auch von Terrorismus war die Rede. Noch aber war man in Österreich damit zum wenigsten in Berührung gekommen. Auch das sollte sich ändern und brachte Österreich recht unversehens mit Konflikten in Verbindung, die ganz woanders ihre Wurzeln hatten. Insofern stimmte denn auch nicht, was der britische Botschafter in Wien 1974 nach London berichtete  : »Österreich ist eine Oase der Ruhe.« Er fand, dass man in Österreich definitiv Abschied von der Habsburgermonarchie genommen hatte – auch wenn man sich nach wie vor im Glanz des imperialen Wien sonnte. Einem Wien, das der Brite allerdings »grau und sterbend« fand. Österreich hätte es geschafft, den meisten Schwierigkeiten auszuweichen, die so vielen Industriestaaten zu schaffen machten. Österreich hätte auch den Ölschock zwar nicht ganz unbeschadet, aber im Wesentlichen doch ganz gut überstanden. Mehreres wäre für diesen bemerkenswerten Erfolg ausschlaggebend gewesen  : Auf dem Energiesektor produzierte Österreich rund ein Fünftel seines Rohölbedarfs selbst und mehr als die Hälfte seines Gasbedarfs. Mehr als zwei Drittel der Elektrizität stammte aus heimischer Wasserkraft. Beträchtliche Mengen der notwendigen Öl- und Gasimporte kamen aus der Sowjetunion, und wenn auch deren Preise stark gestiegen waren, so wäre Österreich doch weit weniger von der OPEC abhängig als andere Länder. Für die Prosperität machte Laskey die Sozialpartnerschaft verantwortlich. Disziplin in Lohnund Preisfragen hätten zu einem großen Exporterfolg beigetragen. Die Wachstumsrate sollte auch 1975 3,5 % bis 4 % betragen. Gemessen an den wirtschaftlichen Fragen, so meinte der Botschafter Ihrer Majestät, fielen die politischen Dinge ab. »Die sozialistische Regierung unter Dr. Kreisky setzt ihre Arbeit mit augenscheinlicher Selbstsicherheit fort, und ihre Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft waren erfolgreicher als noch ein Jahr zuvor angenommen. Nichtsdestoweniger hat die Popularität des Kanzlers und seiner Partei gelitten.« Die Konzerne bauten Personal ab. Die Beschäftigung von Ausländern in der Industrie und am Bau war stark rückläufig.696 Das konnte man als eine geschickte Maßnahme sehen, die Rezession aufzufangen. Letztlich aber war es Ausdruck schwindender Prosperität. Es gäbe Gerüchte, die Nationalratswahlen, die erst im Oktober sein sollten, würden in das Frühjahr oder den Sommer 1975 vorgezogen werden. Die ÖVP drängte darauf und sah sich im Aufwind. »Auf dem Gebiet der internationalen Politik hat Österreich seinen Kurs beibehalten, allen Freund sein zu wollen«, gab der britische Botschafter seine Sicht der Dinge nach London weiter. »Die Beziehungen zum Westen sind hervorragend. Im arabisch-israelischen Konflikt hat Österreich getrachtet neutral zu sein, doch das Gewicht hat sich zu Gunsten der Araber und des Iran verschoben.« Was Sir Denis meinte, war klar. Doch das mit der arabischen Freundschaft konnte man nicht einfach im Raum stehen lassen.

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Schon Anfang Mai 1972 hatten vier Luftpiraten der militanten Palästinenserorganisation »Schwarzer September« eine Maschine auf dem Flug von Wien nach Tel Aviv in ihre Gewalt gebracht. Sie wollten die Freilassung inhaftierter Kampfgenossen erzwingen und den Transit russischer Juden über Österreich nach Israel unterbinden. Zu diesem Zeitpunkt war das 1965 errichtete Transitlager in Schönau an der Triesting bereits recht bekannt. Israelische Spitzenpolitiker besuchten es. Über 160.000 Emigranten hatten es passiert. Im Februar 1971 hatte es erste Warnungen wegen möglicher Flugzeugentführungen gegeben, mit denen Österreich gezwungen werden sollte, seine Hilfe für russische Juden einzustellen. Kreisky war das ungenierte Agieren jüdischer Organisationen zwar ein Dorn im Auge, doch er schritt nicht ein. Und Außenminister Kirchschläger hatte beruhigt  : Österreich sei neutral und außerdem nicht anti-arabisch. Doch auch bei der österreichischen Staatspolizei waren Warnungen eingegangen und war vor einer Absplitterung, der »Volksfront für die Befreiung Palästinas«, gewarnt worden.697 Nichts war geschehen. Im September 1972 warnte die israelische Botschaft in Wien das Innenministerium vor einem möglichen Anschlag auf das Lager. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft. Anfang 1973 gab es die ersten Drohungen an die österreichische Adresse. Sechs Verdächtige wurden verhaftet. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden weiter verstärkt. Dennoch  : Am 28. September überfielen zwei Männer einer palästinensischen Terrororganisation bei Marchegg einen aus der Tschechoslowakei kommenden Zug, nahmen drei russische Juden und einen österreichischen Beamten als Geisel und wollten damit Gesinnungsgenossen, die in israelischen Gefängnissen einsaßen, freipressen.698 Diplomaten arabischer Staaten schalteten sich ein. Als Lösung wurde die Schließung des Durchgangslagers in Schönau ausgehandelt. Von wem der Vorschlag dazu ausgegangen war, blieb strittig. Kreisky reklamierte diesen Schritt jedenfalls für sich. Die Palästinenser wurden ausgeflogen, die Geiseln freigelassen. Die nachgiebige Haltung Kreiskys wurde in Österreich scharf kritisiert. In Israel aber herrschte wegen der Entscheidung des Kanzlers helle Empörung. Die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir kam nur Tage später nach Wien und hatte eine frostige Unterredung mit dem Bundeskanzler. Kreisky blieb bei seinem Entschluss. Schönau blieb zu. Stattdessen wurde ein neues Transitlager in Wöllersdorf eingerichtet, das vom Roten Kreuz und nicht von der Jewish Agency betrieben wurde. Dass in Wöllersdorf einmal ein Anhaltelager des Ständestaats existiert hatte, störte niemanden. Für den Transit sowjetischer Juden hatte sich de facto nichts geändert. Doch das israelischösterreichische Verhältnis blieb angespannt. Die Vorgänge um Marchegg und Schönau zogen durch eine Woche nicht nur in Österreich die Aufmerksamkeit auf sich und konnten nachträglich fast wie ein perfektes Ablenkungsmanöver gesehen werden, denn am 6. Oktober 1973, am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur, griffen ägyptische, syrische und mit ihnen verbündete

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Truppen überraschend Israel an. Alles hatte nach Österreich geschaut und nicht auf den Suezkanal und den Golan geachtet. Jahre später fasste ein als »Carlos« bekannt gewordener Terrorist die Sache aus seiner Sicht zusammen  : »Gold Meir geriet genau zum richtigen Zeitpunkt in Rage …. Sie müssen sich vorstellen  : Die Araber stehen kurz davor, den Oktoberkrieg gegen Israel zu beginnen und bringen die Ministerpräsidentin dazu, nach Österreich zu fliegen und Kreisky eine Szene zu machen. Ein paar Tage vor dem Krieg schaffen es zwei syrische Palästinenser mit links, die ganze israelische Nation abzulenken.«699 Unbeschadet dessen ließ sich festhalten, dass spätestens jetzt der Nahostkonflikt Österreich erreicht hatte. Und als im Gefolge des Nahostkriegs die großen Ölproduzenten des Nahen und Mittleren Ostens ein Embargo verhängten und die Ölexporte drosselten, war Österreich davon ebenso betroffen wie andere europäische Staaten. Für Kreisky war das allerdings kein Grund, seine Nahostpolitik zu ändern. Ganz im Gegenteil sollte nach Lösungen gesucht werden, und gerade Kreisky wollte seinen Teil dazu beitragen. Nicht aber, wie man vielleicht hätte vermuten wollen, indem er als österreichischer Jude eine stärkere Hinwendung zu Israel vornahm, sondern weit mehr indem er Verständnis, ja Sympathie für die arabischen Staaten erkennen ließ. Dabei war er sich über die kritische Haltung des Westens durchaus im Klaren. In den Niederlanden, den USA, Großbritannien und Frankreich wurde ein ums andere Mal »Befremden über das Verhalten« Österreichs geäußert. Die Schließung des Transitlagers in Schönau wurde als Bruch mit der humanitären Nachkriegshaltung Österreichs und als Rückfall in eine antisemitische Tradition gewertet. Vielleicht hat gerade diese Kritik Kreisky dazu gebracht, sich mehr und mehr für die Sache der Palästinenser zu engagieren. Zunächst bemühte er die Statistik  : Jahr für Jahr waren osteuropäische Juden in großer Zahl nach Österreich gekommen und weiter gewandert. Seit 1960 wären es 164.000 gewesen, schrieb er an den deutschen Bundeskanzler Willy Brandt. Allein aus der Sowjetunion wären 74.000 gekommen.700 So gesehen schien der Fall MarcheggSchönau lediglich ein Störfall zu sein. Warum teilten sich andere Länder nicht mit Österreich in der Mühe, die Emigranten aus der Sowjetunion aufzunehmen  ? »Wir können die Bürde nicht allein tragen«, meinte der Kanzler.701 1974 kamen rund 20.000 Emigranten in Wöllersdorf an. Die internationale Wahrnehmung schaltete wieder auf »freundlich« um. Kreisky aber blieb dem eingeschlagenen Weg treu. Nach dem Tod von Franz Jonas war Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten gewählt worden. Der schon seit längerem Parteilose, den Kreisky seit den fünfziger Jahren kannte und schätzte, war von ihm zum Außenminister gemacht worden. Er hatte loyal die außenpolitischen Vorgaben des Kanzlers, die das Außenministerium zu einem »Exekutivorgan des Bundeskanzleramts« werden ließen, umgesetzt.702 Sein Bekanntheitsgrad war überschaubar und wohl kaum größer als der seines Kontrahenten, des Innsbrucker Bürgermeisters Alois Lugger, der mit zwei Olympischen Winterspielen

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in Tirol zu punkten suchte. Doch für Kirchschläger warb Bruno Kreisky, und das, obwohl Kirchschläger gar kein Hehl daraus machte, Offizier der Deutschen Wehrmacht gewesen zu sein und noch Anfang April 1945 im Raum Wiener Neustadt gekämpft zu haben. Auch Lugger war Reserveoffizier gewesen und hatte bei der Fliegerabwehr gedient. Im Fall Kirchschlägers wurde dessen Kriegsvergangenheit thematisiert  ; bei Lugger spielte sie keine Rolle. Mit Kirchschläger wurde jedenfalls erstmals ein ehemaliger Offizier der Deutschen Wehrmacht österreichischer Bundespräsident. Renner hatte 1938 für den »Anschluss« geworben  ; Körner war ein unauffälliger aber konsequenter Gegner des NS-Regimes gewesen  ; Adolf Schärf konnte sich einer Mitgliedschaft im NS-Rechtswahrerbund trickreich entziehen und blieb während des Kriegs als Rechtsanwalt unbehelligt  ; Franz Jonas, der bei der Floridsdorfer Lokomotivenfabrik gearbeitet hatte, war »u. k.« (»unabkömmlich«) gestellt worden und musste nicht einrücken. Kreisky thematisierte weder das eine noch das andere. Auf Kirchschläger folgte Erich Bielka und dem schon 1976 Willibald Pahr als Außen­minister. Beide waren keine Sozialisten, verkörperten aber so etwas wie Überparteilichkeit und akzeptierten, dass Kreisky weiterhin die außenpolitischen Akzente setzte. Man sprach von Entspannung, und hatte dann mit der Schlussakte von Helsinki 1975 tatsächlich auch für Europa ein höheres Maß an Sicherheit geschaffen. Dass die Wirkung des Entspannungsprozesses und die damit einhergehende Öffnung und die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte in den von der Sowjetunion abhängigen Ländern einen regelrechten Prozess in Gang setzen würden, konnte man dabei zwar hoffen aber nicht wissen. Österreich war jedenfalls Nutznießer, denn gewissermaßen im Schatten der Entspannungspolitik kam 1972 ein Assoziationsabkommen mit der EWG zustande. Auch wenn das nur ein Zwischenziel sein konnte, musste man zufrieden sein. Die Sowjetunion hatte jedenfalls gegen diese Form der Annäherung keine Einwände erhoben, auch wenn sie eine regelrechte Mitgliedschaft Österreichs als nicht staatsvertragskonform abgelehnt hatte. Polarka Das Ankoppeln an Europa war zwar ein Vorgang, der vornehmlich der Absicherung der wirtschaftlichen Entwicklung galt. Ebenso freilich konnte man das als etwas sehen, bei dem es auch um die äußere Sicherheit Österreichs ging. Kreisky wurde zwar nicht müde zu betonen, dass die beste Sicherheitspolitik eine gute Außenpolitik sei, doch natürlich konnte auch er die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die Stabilität und letztlich auch ökonomische Widerstandsfähigkeit eines Landes international nach wie vor in Divisionen, Panzern und Flugzeugen gemessen wurden. Insofern hatte sich seit der Bemerkung Mussolinis gegenüber Schuschnigg 1936 nichts geändert. Öster-

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reich holte zwar auf, doch es stand noch immer vor einem Scherbenhaufen der Landesverteidigung. Nach dem »Aufstand« der Offiziere hatten sich die Meisten gefügt und hatten wohl auch gelernt, mit der gewissen Häme umzugehen, mit der im Inland wie im Ausland über das fast wehrlose Österreich gesprochen und geschrieben wurde. »Angesichts des Fehlens einer glaubhaften Landesverteidigung, der auch aus geographischen und finanziellen Gründen enge Grenzen gezogen sind, hat man sich ganz auf die Politik verlegt«, meinte der britische Botschafter Laskey. Österreich sei stolz auf seine Rolle in der UNO, vor allem auf Generalsekretär Waldheim sowie die Beteiligung an den UNOMissionen auf Zypern und im Nahen Osten. Da konnte auch die Schweiz nicht mithalten. Doch im Fall der Fälle bliebe nur die Hoffnung auf die NATO. Und NATOHilfe müsste spätestens nach drei oder vier Tagen kommen, denn  – so konnte man folgern – dann wären die Warschauer-Pakt-Truppen durch Österreich durch. Dieser pessimistischen Annahme setzte ganz im Sinne Kreiskys 1972 der erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg zum Armeekommandanten ernannte General Emil Spannocchi sein eigenes Konzept entgegen. Er beschäftigte sich – ohne die dann von Herfried Münkler gebrauchte Begrifflichkeit verwenden zu können – mit dem »asymmetrischen« Krieg,703 wobei auf den österreichischen Fall bezogen alle Formen von Asymmetrie passten. Denn Österreichs Landesverteidigung verkörperte ein krasses Missverhältnis bei den einzusetzenden Kräften, war auf vielen Waffensektoren inferior ausgerüstet und wies auch auf dem Gebiet der Zivilverteidigung eklatante Mängel auf. Während man sich in Wien noch um die Interpretation der staatsvertraglichen Bestimmung hinsichtlich der Verbote von »Spezialwaffen« bemühte, waren in den Arsenalen der anderen bereits Technologien der übernächsten Generation gelagert. Spannocchi sah in einem Verteidigungsfall keine Möglichkeit zur geordneten Zurücknahme kämpfender Truppen und zu großen Bewegungen angesichts einer massiven Überlegenheit an mechanisierten Kräften und einer von vornherein anzunehmenden absoluten Luftüberlegenheit eines jeden Gegners. Also wollte er dem hinhaltenden Kampf keinen Platz mehr einräumen, vor allem die Landwehr dazu verwenden, in vorher bestimmten Räumen und unter Abstützung auf eine Vielzahl von »Festen Anlagen« einen Aggressor zu einem langsamen Vorgehen zu zwingen, ihm, wo es ging, Abbruch zu tun und ihn schließlich zum Angriff auf stark verteidigte Schlüsselzonen zu nötigen. Es ging also nicht um Partisanenkrieg, sondern sehr wohl um den Einsatz regulärer Kräfte. Jenseits jeglicher Operation sollte es das Ziel aller politischen und militärischen Anstrengungen, also der Gesamtstrategie sein, einen Konflikt so auszudehnen, dass dem angegriffenen Staat irgendeine Form von Hilfe zuteilwerden konnte. – Soweit die Theorie. Doch dafür brauchte es Soldaten, Kräfte, die vornehmlich infanteristisch und im Kleinkrieg einsetzbar waren, und zwar dreimal so viel Soldaten, wie bis dahin in der militärischen Organisation Platz gefunden hatten. Siebenmal so viel wäre noch besser

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gewesen. Doch zunächst schien das Konzept aufzugehen. Das Reserveheer der von 1956 bis 1970 Ausgebildeten wurde mehr oder weniger abgeschrieben. Ein neues Reserveheer musste erst aufgebaut werden. Die Sorge, dass das militärische (Fast)Vakuum in Österreich ein hohes Risiko barg, ging um.704 Plötzlich hatte es auch den Anschein, als wäre Österreich ein paar Jahre zuvor gerade noch einmal davon gekommen. Der im Februar 1968 aus der Tschechoslowakei geflohene Erste Parteisekretär im tschechoslowakischen Verteidigungsministeriums, General Jan Šejna, sorgte für erhebliches Aufsehen, als er im Februar 1974 behauptete, die Sowjets hätten schon einen konkreten Operationsfall »Polarka« ausgearbeitet gehabt, um Jugoslawien in die sozialistische Staatengemeinschaft »zu zwingen«. Das für Österreich Alarmierende an dieser Darstellung war, dass Šejna behauptete, die Operation hätte über österreichisches Gebiet geführt werden sollen. Dank der medialen Aufmerksamkeit, die dem tschechoslowakischen Parteisoldaten zuteil wurde, avancierte seine Geschichte zum »Fall« schlechthin. Denn während die diesbezüglichen Planungen des Bundesheers unter dem Verschlussvermerk »strenggeheim« gelaufen waren, schienen nun alle Befürchtungen ihre Bestätigung zu finden. Die Medien hatten ihre Sensation. »Polarka« wurde als Bestätigung für alles genommen, was immer schon vermutet worden war.705 Anlass für eine Operation von Warschauer-Pakt-Truppen durch Österreich sollten Wirren in Jugoslawien nach dem Tod Titos oder Nationalitätenkonflikte sein, die als Vorwand für eine Intervention genommen werden konnten. Tschechische und ungarische Truppen sollten den Planungen von »Polarka« zufolge Ost- und Teile Südösterreichs besetzen. Anschließend würden dann sowjetische Truppen der Transkarpatischen Front nachziehen und das südliche Österreich bis in den Raum Villach okkupieren. Der Flugplatz Graz-Thalerhof war als Drehkreuz und Kommandozentrale gedacht. »Polarka« sei schon in der Mitte der sechziger Jahre in Übungen erprobt worden, erläuterte Šejna. Tschechoslowakische Offiziere hätten bei der Anreise zu Fußballspielen in Wien die Routen ihrer Verbände erkundet, und schließlich hätte das Manöver »Vltava« (Moldau) 1965 »Polarka« zur Grundlage gehabt. Nun war das an sich nichts Neues, denn es war schon längst überlegt worden und bildete für zumindest vier Operationsfälle des Bundesheers den gedanklichen Hintergrund. Die Interpretation dessen, was da von Šejna nicht nur erzählt und zu belegen gesucht wurde, sondern regelrecht in Szene gesetzt worden war, sollte sich aber nicht darauf beschränken, sich nur mit dem Inhalt des »Falls« zu beschäftigen. Fast interessanter war doch der Zeitpunkt, zu dem »Polarka« medial aufbereitet wurde und die Art, wie das geschah. Zunächst einmal ließ sich der Warschauer Pakt an den Pranger stellen. Der NATO konnte das nur recht sein, denn es schien das zu bestätigen, was sich auch aus einer Vielzahl anderer Beobachtungen ableiten ließ. »Polarka« betraf streng genommen nicht das westliche Bündnis, sondern das blockfreie Jugoslawien und das

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immerwährend neutrale Österreich. Letzterem wurde seine Verwundbarkeit gerade in einem Augenblick vor Augen geführt, als es in besonderer Weise militärische Schwäche demonstrierte und sich obendrein mit seinen Reformmaßnahmen viel Zeit ließ. Das war dem westlichen Bündnis mehr als ein Dorn im Auge. Regelrechte Kritik zu üben, war wohl nicht empfehlenswert. Sorge war freilich schon vielfach geäußert worden. Wie aber, wenn man jemanden zu Wort kommen ließ, der es eigentlich wissen musste, nämlich den tschechoslowakischen General Šejna, der sich in den Westen abgesetzt hatte  ? Was, wenn er die Möglichkeit bekam, nicht nur die westlichen Geheimdienste zu bedienen, sondern auch ein Interview für das auflagenstärkste österreichische Magazin geben konnte  ? Während der Ungarischen Revolution 1956 hatte es westliche Desinformation gegeben  ; 1968, nach dem Absprung des tschechoslowakischen Geheimdienstmannes Ladislav Bittmann war desinformiert worden  ; und »Polarka« passte durchaus in das Muster. »Polarka« war ein Bluff. Was dahinter stand, war die Sorge. Trotz seiner Neutralität sollte sich Österreich als Teil einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur verstehen. Minister und Generäle, vor allem aber der Bundeskanzler, bekannten sich dazu. »Polarka« saß ihnen in den Knochen. Die UNO in Wien Für Kreiskys sicherheitspolitische Maßnahmen gab es noch ein weiteres Ziel. Österreich sollte dritter Amtssitz der UNO werden, d. h. es war es eigentlich schon. Doch man wollte die nach Wien übersiedelten beiden UNO-Organisationen, die Atomenergiebehörde und die Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) besser unterbringen und womöglich zusätzliche Einrichtungen der Vereinten Nationen nach Wien bringen. Der Bau einer UNO-City im Wiener Donaupark war schon unter der Regierung Klaus geplant worden. Seit 1972 wurde er realisiert. Wien sollte noch zusätzlich ein Konferenzzentrum erhalten, um auch große Kongresse und wichtige Begegnungen beherbergen zu können. Ein Großteil der Verhandlungen von Amerikanern und Sowjets über den Abbau von strategischen Waffen wurde bereits in Wien geführt, ehe das SALT I-Abkommen 1972 in Moskau unterzeichnet werden konnte. Die Fortsetzung der Gespräche über ein weiteres Abkommen war in Genf geplant. Die Finalisierung sollte abermals in Wien stattfinden. Österreichs Kanzler hatte aber noch anderes zu bieten. Und dabei ging es nicht um eine Baumaßnahme und die Beherbergung einer wichtigen Konferenz. Im April 1973 hatte Rudolf Kirchschläger bei einem Besuch in London einen konkreteren Vorschlag zur Lösung des Nahostkonflikts gemacht. Und mit dieser Ankündigung nahm etwas seinen Anfang, das dann als »Österreichische Nahostinitiative« wahrscheinlich nicht

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nur die Briten zu nerven begann. Kirchschläger meinte, es würde sich doch ein Vorgehen wie in der Südtirol-Frage anbieten. Man sollte einmal einen »Operationskalender« erarbeiten und den dann abzuarbeiten beginnen. (25 Jahre später sollte so etwas »road map« heißen.) Schon im Folgemonat Mai wurde Kirchschläger konkreter. Wie wäre es, wenn der UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim vom Sicherheitsrat aufgefordert würde, seinen Nahostbeauftragten, Botschafter Jarring, mit der Ausarbeitung eines solchen Operationskalenders zu beauftragen, und alle drei bis sechs Monate ein Fortschrittsbericht eingefordert würde  ? Wenn der Operationskalender einmal vorliege, müsste man mit den harmloseren Dingen beginnen, diese außer Streit stellen, und jede Seite würde wohl zu kleineren Konzessionen bereit sein. Solcherart würde auch keine Notwendigkeit für formelle Verhandlungen bestehen, und keine Seite müsste weithin sichtbar Positionen aufgeben. Allmählich sollten vertrauensbildende Maßnahmen auch dazu führen, dass man in konstruktive Gespräche eintrete, bis eine gerechte und haltbare Lösung auf Basis der UNO-Resolution 242 aus 1967 gefunden würde. Im Londoner Foreign Office wusste man offenbar nicht recht, wie man reagieren sollte. Doch da gab der israelische Botschafter gleich darauf den Ton an  : Inakzeptabel. Israel wollte direkte Verhandlungen und davon keinesfalls abrücken. Und damit ja alles klar war  : Der Plan sei wohl denkbar »amateurhaft« und für Israel keinesfalls akzeptabel. Der zuständige britische Beamte setzte daher bei seiner Einsichtsbemerkung auch recht ungeniert fort  : »Meine persönliche Meinung ist die, dass der Plan das Ergebnis sehr naiver Überlegungen ist und wohl zum wenigsten zum Ausgangspunkt für Weiteres genommen werden kann.« Außenminister Douglas-Home antwortete denn auch seinem österreichischen Kollegen artig ablehnend  : der Vorschlag sei interessant. Angesichts der von Israel und Ägypten an den Tag gelegten Haltung sei er, Douglas-Home, aber alles andere als optimistisch. Doch vielleicht wolle ihm sein österreichischer Kollege mitteilen, welche ersten Schritte er gerne setzen würde und wie erste Konzessionen aussehen könnten. Die britische Reaktion fiel vielleicht auch deshalb nicht ganz so schroff aus, weil mittlerweile klar war, dass Generalsekretär Waldheim der österreichischen Initiative sehr wohl etwas abgewinnen konnte und sie auf ihre Realisierbarkeit untersuchen ließ. – London wollte also einmal zuwarten. Sollte die Sache aber im Sand verlaufen, würde man an der Themse »auch keine Tränen vergießen«. Schon Monate später, im Oktober 1973, konnte sich Kreisky in seinem Engagement nur bestätigt sehen. Der Yom-Kippur-Krieg zeigte ein weiteres Mal, wie gefährlich die Situation im Nahen Osten war und wie sehr man weiterhin auf Krieg und nicht auf Verhandlungen setzte. Der Kanzler hatte wohl das Gefühl, dass man mit der traditionellen Diplomatie nicht weiter kam. Als eine Art Sofortmaßnahme stimmte er im Oktober 1973 dem Ersuchen von UNO-Generalsekretär Waldheim zu, Friedenstruppen

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in den Nahen Osten zu entsenden. Das Zusammenspiel von Waldheim und Kreisky klappte problemlos. Die UNO ersuchte Irland, Finnland, Schweden und Österreich um die Entsendung von Soldaten, um nach dem Waffenstillstand am 24. Oktober an der ägyptischen und an der syrischen Front eine Truppenentflechtung vorzunehmen. Da Österreich ohnedies Friedenstruppen auf Zypern stationiert hatte, wurde ein Teil von ihnen in Marsch gesetzt und begann am 27. Oktober mit seinem Einsatz in Ägypten. Acht Monate später, im Juni 1974, wurde das österreichische Bataillon an die israelisch-syrische Grenze verlegt und bezog schließlich auf der höchsten Erhebung, dem Mt. Hermon, eine Stellung, die von den Österreichern aus letztlich nichtigem Grund erst am 12. Juni 2013 geräumt wurde. Für Kreisky aber waren die österreichischen UNO-Kontingente Teil seiner außenpolitischen Aktivitäten. 1974 begann er im Rahmen der Sozialistischen Internationale mit Sondierungen, die 1976 zum Abschluss kamen. Dabei handelte er im Einklang mit dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt und dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme. Terrorakte in Österreich und Deutschland, vor allem der Überfall eines Kommandos der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO des Jassir Arafat auf die israelische Olympiamannschaft in München, die Ölkrise im Gefolge des Nahostkriegs 1973 und die unverändert explosive Lage im Nahen Osten zwangen wohl nicht nur ihn, über Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts nachzudenken. Neu war freilich abermals, dass die Initiative nicht von den Großmächten, sondern von einer Vernetzung sozialdemokratischer Parteien und ihren politischen Exponenten ausging. Dementsprechend abschätzig wurde dieses Vorgehen gewertet. Denn Kreisky & Co waren bei ihren Kontakten mit den arabischen Staatsführern nicht an die mitunter mühsamen und verschlungenen Wege der Außenpolitik gebunden, sondern trachteten primär Vertrauen aufzubauen. Natürlich hätten sie gerne auch regelrechte »Schwergewichte« in ihre Missionen eingebaut, vor allem den britischen Premierminister Harold Wilson. Doch der ließ sich einmal sogar regelrecht verleugnen, als ihn Kreisky telefonisch zu erreichen suchte. Großbritannien setzte eben nicht auf die Araber, sondern auf Israel. Einen Operationskalender gab es weiterhin nicht. Aber der UNO-Generalsekretär hatte der Palästinenserorganisation des Jassir Arafat Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen eingeräumt. Und das war immerhin etwas, wo Naivität und Amateurhaftigkeit mehr erreicht hatten, als man sich im Londoner Foreign Office wohl gewünscht und jedenfalls erwartet hatte. 1973/74 war Österreich nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Aus einem »Hinterbänkler« der Weltorganisation war seit der Wahl Kurt Waldheims zum UNO-Generalsekretär ein »big player« geworden. Der nach etlichen Querelen begonnene Bau des nach New York und Genf dritten Amtssitzes der Vereinten Nationen in Wien passte somit perfekt in ein langfristiges Konzept ebenso wie in die beschleunigte Realisierung anderer Vorhaben, die dem entsprechen sollten, was

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Kreisky als aktive Neutralitätspolitik verstand. Briten und Amerikaner blieben auf Distanz. Im Fall der Briten konnte man zeitweilig schon von einem regelrecht gestörten Verhältnis sprechen. Ja, es wollte nicht einmal die Besuchsdiplomatie recht in Gang kommen. Wenn Kreisky von einer UNO-Generalversammlung aus New York kommend in London zwischenlandete, wurde das zwar dem Foreign Office mitgeteilt, doch Gespräche sollte es keine geben. Der Kanzler sei nach einem siebenstündigen Nachtflug müde und würde nur auf seinen Anschlussflug warten, hieß es. Das letzte Mal, dass ein britischer Außenminister zu einem Arbeitsbesuch in Wien gewesen war, lag schon fünfzehn Jahre zurück. In London war man sich dessen bewusst. Doch die einzige Gelegenheit, die dann ernsthafter diskutiert wurde, war die Teilnahme von Außenminister Lord Callaghan an den Staatsvertragsfeiern im Mai 1975. Der Chef des Londoner Außenamts wollte es verständlicherweise davon abhängig machen, ob auch die Außenminister der USA und der Sowjetunion, Kissinger und Gromyko, kamen. Kissinger winkte ab. Damit war die Sache auch schon entschieden. Und schließlich wurde der Kompromiss gewählt, dass zwar Vertreter der Staatsvertragssignatare im Ministerrang kommen sollten, mehr aber nicht. Für Kreisky waren die Feiern zum 20. Jahrestag des Staatsvertrags von 1955 dennoch eine willkommene Gelegenheit, seine eigene Rolle darzustellen – die unbestritten war. Mittlerweile war er freilich bereits der letzte österreichische Hauptakteur, denn Raab, Figl und Schärf waren tot. Doch angesichts des geringen Interesses, das die Außenminister der ehemaligen Besatzungsmächte ihrem Treuhandobjekt gegenüber zeigten, empfahl es sich wohl, die Feierstunde eher bescheiden zu halten. Oppositionelle Rezepte Schon Anfang 1975 begann ein innenpolitisches Rumoren. Die ÖVP drängte auf Neuwahlen. Der ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Schleinzer war zuversichtlich, die absolute Mehrheit der Sozialisten brechen zu können. Er war für eine Große Koalition. Kreisky war dagegen. Der sprach abermals von einer Minderheitsregierung wie 1970 oder vom Gang in die Opposition. Natürlich wurde auch über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Regierung mit den »Freiheitlichen« gesprochen. Es glaubte aber niemand wirklich daran. Keine Frage  : Kreisky wollte Kanzler bleiben. Denn andernfalls hätte er sich ja bereits ein Jahr vorher nicht so vehement gegen die ohnedies nicht sehr nachhaltigen Versuche gewehrt, ihn aus dem »operativen Geschäft« in den »Aufsichtsrat« zu verbannen. Finanzminister Hannes Androsch und der Wiener Bürgermeister Leopold Gratz hatten nach dem Tod von Franz Jonas 1974 Kreisky nahezulegen versucht, als Bundespräsident zu kandidieren. Sie wollten ihn damit offenbar in eine mehr reprä-

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sentative Rolle abdrängen. Und sie argumentierten damit, dass es bei den nächsten Wahlen ohnedies nicht mehr gelingen würde, die absolute Mehrheit zu erringen. Also sollte es vielleicht eine Kleine Koalition mit Androsch als Kanzler und Friedrich Peter als Vize geben. Doch Kreisky ließ sich nicht abdrängen. Er erklärte unumwunden, Kanzler bleiben zu wollen. Aber er hatte begriffen  : Androsch wollte an die Macht. Damit wäre der Bruch an sich gegeben gewesen. Doch Kreisky entließ seinen Finanzminister nicht, obwohl die beiden seit Anfang 1975 eigentlich nicht mehr miteinander »konnten«. Kreisky hatte damit begonnen, größere Defizite zu machen, um seine Reformen aber auch die Vollbeschäftigung finanzieren zu können. Androsch gab ihm das Geld. Das ließ das Budgetdefizit von 1,3% auf 4 % hinaufschnellen. Für Denis Laskey, den britischen Botschafter, eine offenbar vernünftige Maßnahme. Kreisky aber begann unbeirrt an jener Formulierung zu basteln, die auch den Briten auffiel. 1975 meinte der Kanzler  : »Mir sind ein paar Millionen Schilling Schulden lieber als ein paar tausend Arbeitslose.« Bald passte nur mehr die Variation über das Thema  : »dass mir ein paar Milliarden Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mir bereiten würden.«706 Bei aller Kritik an diesem Credo war unbestreitbar, dass die SPÖ im ökonomischen Bereich bewiesen hatte, dass sie regieren konnte, dabei nicht von ihrer Tradition als Arbeiterpartei abrückte, den Wohlstand mehrte und nicht gewillt war, an einem der Grundpfeiler des sozialen Friedens, der Sozialpartnerschaft, zu rütteln.707 Es war Zeit, eine Art Bilanz zu ziehen. Kreisky hatte regelrecht ungestüm begonnen. In den Oppositionsjahren hatte er sich vorbereiten und Themen zurechtlegen können. Dann war es darum gegangen, die Maßnahmen umzusetzen. Die vier Jahre von 1971 bis 1975 hatten zwar gereicht, um die Große Strafrechtsreform, ein Familienpaket, die Hochschulreform und auch eine Lösung für das Minderheitenproblem in Kärnten auf den Weg zu bringen. Die Reform der Rundfunkreform war 1974 erfolgt und hatte der SPÖ den gewünschten Aufsichtsrat und einen neuen Generalintendanten, Otto Oberhammer, gebracht. Doch Vieles war noch unerledigt. Außenpolitisch hatte Kreisky vor allem im Rahmen der Sicherheitspolitik Akzente gesetzt und zumindest Möglichkeiten aufgezeigt. Kreisky hatte es auch verstanden, Österreich aus den erregten Debatten um den Vietnam-Krieg herauszuhalten. Und das war alles andere als leicht gewesen, denn die Sympathien gerade der Jugend in der Kanzlerpartei waren weit mehr auf Seiten Nordvietnams als auf jener der USA gelegen. Doch die prowestliche Haltung der Regierung war über jeden Zweifel erhaben geblieben. Die innenpolitischen Querelen hatten sich in Grenzen gehalten. Dabei war Kreisky sicherlich die anfängliche Zerfahrenheit der ÖVP zugutegekommen. Deren Obmannsuche, persönliche Differenzen innerhalb der Bünde, aber auch innerhalb der zunächst acht, dann sieben von der ÖVP geführten Bundesländer mit der Bundespartei ließen die SPÖ als vergleichsweise straff geführt erscheinen. Die Vergaben von Posten, über die nicht zuletzt der Kanzler entschied, muss-

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ten wie Wohltaten erscheinen. Das Bild vom »Sonnenkönig«, der für alles und jedes zuständig war, kam nicht von ungefähr. Aber auch ein gefestigter Bundeskanzler hatte allen Grund, sich auf die im Herbst 1975 stattfindenden Wahlen vorzubereiten. Noch in der Aufwärmphase für den Wahlkampf kam Karl Schleinzer am 19. Juli 1975 bei einem Autounfall ums Leben. Eine ganze Reihe christlichsozialer oder Schleinzer nahestehender Politiker, wie z. B. der Ministerpräsident von RheinlandPfalz, Helmut Kohl, kamen zum Begräbnis. Die Parteiführerin der britischen Konservativen, Margret Thatcher, schickte ein Beileidstelegramm. Schon wenige Tage später begann die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Drei Kandidaten schien es zu geben  : Stephan Koren, Alois Mock und Josef Taus. Von Koren wusste der britische Botschafter zu berichten, dass er keinen Generationswechsel deutlich machen würde. Außerdem sei er nicht sehr beliebt und wirke im Fernsehen »sauer«. Mock wäre beliebt, allerdings nicht bei der ganzen ÖVP  ; einem Teil sei er zu »links«, und intellektuell würde Kreisky mit ihm leichtes Spiel haben. Taus wäre unbekannt, hätte aber große Erfahrung in allen wirtschaftlichen Belangen. Ob er freilich Kreisky in sozialen Fragen, solchen der Landesverteidigung und Außenpolitik Paroli bieten könne, sei mehr als fraglich. Sehr wahrscheinlich könnte er dem Kanzler einiges von seinem Glanz als Sonnenkönig nehmen, hieß es. Am 25. Juli wurde Taus gewählt und war damit Bundesparteiobmann und Kanzlerkandidat. Neuer Generalsekretär wurde Erhard Busek. Angesichts der verhältnismäßigen Jugend fand er für das neue Spitzenduo schnell die Bezeichnung »Schnullerbrigade«. Taus und Busek mussten sich Hals über Kopf in den Wahlkampf stürzen. Sie bekamen wohl programmatische Aussagen wie »Lebensqualität« und »Soziale Marktwirtschaft« mit auf den Weg, doch ließ sich schwer gegen eine allgemeine Zufriedenheit ankämpfen, die der 1975 in Wien als Gastprofessor lehrende deutsche Rechtssoziologe Helmut Schelsky auf die Formel brachte, dass die »Mentalität der Sozialbetreuung« zu einem regelrechten Glaubensbekenntnis geworden sei.708 In Österreich war man mit sich und der Welt zufrieden. Den ausländischen Beobachtern gab der Wahlkampf weiterhin viel Stoff zur Berichterstattung. Von Taus hieß es, dass er es tatsächlich für kurze Zeit geschafft hätte, der populärste Politiker in Österreich zu werden. Doch dann wäre die Affäre Leopold Helbich gekommen, als der ÖVP-Nationalratsabgeordnete einen Journalisten zu bestechen versuchte. Danach wäre die ÖVP unter Druck geraten. Noch mehr hätte dann ein schlechter Fernsehauftritt von Taus in der Konfrontation mit Kreisky und Peter die »Bürgerlichen« Terrain gekostet. Dennoch rechnete man nicht mit einer absoluten Mehrheit für die SPÖ. Doch die Meinungsforscher irrten abermals. Kreisky und die SPÖ erreichten wiederum die absolute Stimmen- und Mandatsmehrheit. Frauen und Pensionisten hatten einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg.709 Knapp vor den Wahlen am 5. Oktober hatte es freilich eine Intervention ganz besonderer Art gegeben. Da Kreisky nicht ausschloss, er würde eventuell doch auch mit

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der FPÖ eine Kleine Koalition bilden müssen, rückte abermals deren Parteiobmann, Friedrich Peter, ins Blickfeld. Der war bei der SS gewesen, und zwar bei der 1. SSInfanteriebrigade (mot), der Judenmorde und Geiselerschießungen vorgeworfen und nachgewiesen wurden. Dass Peter bei diesem Truppenkörper gewesen war, wusste man schon seit 1964, als die Sowjets die diesbezüglichen Akten den Tschechen zugespielt hatten, die sie dann an Österreich weitergaben.710 Im Jahr darauf war das Tagebuch der Brigade publiziert worden. Der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, machte aus dem schon längst Bekannten einen Skandal. Er hatte schon 1966 Josef Klaus ein Memorandum zukommen lassen, in dem er die Verfahrenspraxis der Geschworenengerichte in Prozessen gegen Leute kritisierte, die wegen NS-Verbrechen angeklagt waren.711 In diesem »Schuld und Sühne-Memorandum« nannte er eine Zahl von 1.100 Personen, gegen die ermittelt würde, stellte in den Raum, Österreich hätte einen überproportionalen Anteil an Tätern gehabt und würde durch skandalöse Freisprüche weder seinen moralischen noch seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Klaus hatte erwidert, es würde alles Notwendige getan. 1971, als die Möglichkeit im Raum stand, Friedrich Peter könnte Vizekanzler werden, machte Wiesenthal abermals einen Vorstoß und stellte fest, dass sich an der österreichischen Verfahrenspraxis nichts geändert hätte. 1975 sollte wie zehn Jahre zuvor in der Bundesrepublik Deutschland die Verfolgung von NS-Verbrechen eingestellt werden, und Wiesenthal schloss nicht aus, dass Friedrich Peter Vizekanzler werden könnte, also ein Angehöriger der Waffen-SS, dessen Verband nachweislich in Morde verwickelt gewesen war. Also machte Wiesenthal einen dritten Vorstoß. Wenige Tage vor den Nationalratswahlen schrieb er an Bundespräsident Kirchschläger und meinte, es wäre absolut inakzeptabel, wenn Friedrich Peter Vizekanzler in einer Kleinen Koalition würde. Es kam nicht dazu, doch Kreisky grollte. Er meinte, die Angriffe wären ausschließlich gegen ihn gerichtet gewesen und wollte seine parlamentarische Immunität aufgehoben wissen, um gegen Wiesenthal vor Gericht zu ziehen.712 Nachdem der Nationalrat die Immunität des Kanzlers nicht aufhob, begann Kreisky seinerseits mit einer Skandalisierung ganz anderer Art  : Wiesenthal wurde der Kollaboration mit den Nationalsozialisten bezichtigt. Er wollte Kreisky verklagen. Ausländische Beobachter wie Botschafter Laskey wussten nicht, was sie von der Sache halten sollten. Laskey suchte Rat beim Zeitungsherausgeber und ehemaligen Widerstandskämpfer Fritz Molden, der ihm versicherte, Kreisky hätte nicht den Funken eines Beweises für eine Kollaboration Wiesenthals mit den Nazis in Händen. Was aber die Briten noch mehr verwunderte, war das Schweigen der SPÖ. Man hatte sich Kritik erwartet. Doch wie dann der Dritte Botschaftssekretär David Lyskom resümierte  : Der einzige SPÖPolitiker, der sich dazu öffentlich geäußert habe, sei der Dritte Nationalratspräsident Otto Probst gewesen. Aber auch er übte keine Kritik, ebenso wenig wie Justizminister Broda oder der neue Klubobmann der SPÖ im Parlament, Heinz Fischer  : Sie wollten

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ganz offensichtlich Kreisky nicht öffentlich kritisieren. Ob die »Kreisky-WiesenthalAffäre« Auswirkungen auf das internationale Ansehen Österreichs haben würde, war umstritten. Der spätere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte im Rückblick nüchtern  : »Konflikt mit Wiesenthal  ? Ist mir gar nicht geläufig. Wann war diese Auseinandersetzung  ?«713 Seinerzeit, 1975, gingen die Wogen jedoch hoch. Die landesweite Parteinahme für Kreisky war auffallend, ließ sich aber nicht auf die einfache Formel vom latenten Antisemitismus reduzieren. Letztlich wäre das auch unsinnig gewesen. Kreisky stellte in den Raum, Wiesenthal hätte sich dem NS-Regime auf eine nicht nachzuvollziehende Weise zur Verfügung gestellt. Am Rande wurde auch die Rolle Wiesenthals bei der Identifizierung des Aufenthaltsorts von Adolf Eichmann in Zweifel gezogen und damit die Bezeichnung Wiesenthals als »Eichmannjäger« in Frage gestellt. Kurzum  : Untergriffe und Fragezeichen beherrschten die Szene, und man musste sich fragen  : warum  ? Da ging es schon längst nicht mehr um Friedrich Peter, sondern letztlich nur mehr um die Verärgerung Kreiskys, bis sich der Kanzler bereitfand, einen von ihm angekündigten parlamentarischen Untersuchungsausschuss abzusagen und Wiesenthal seine Klage zurückzog. Jetzt ging es wieder um Sachpolitik. Und wieder, wie schon 1973, kam Österreich unvermutet ins Fadenkreuz des Terrors. Am 21. Dezember 1975 stürmten sechs nicht der PLO angehörende Terroristen die in Wien ansässige Zentrale der Organisation erdölexportierenden Länder (OPEC), die zu ihrer Jahreskonferenz eingeladen hatte. Rund siebzig Personen, darunter mehrere Minister, wurden als Geiseln genommen, drei Personen wurden bei Schusswechseln getötet, darunter ein österreichischer Sicherheitsbeamter. Was die Terroristen unter Führung des »Carlos« genannten Ilich Rámirez Sánchez wollten, wurde eigentlich nie klar. Der einzige Deutsche des Terrorkommandos meinte sehr viel später, man habe auf die Not der Palästinenser und den unsäglichen Reichtum der Ölländer hinweisen wollen. Für Kreisky war das Ganze insofern ein Rückschlag, als er seine Bemühungen um eine Aufwertung der Palästinenser nicht honoriert sah. Wohl aber musste er zur Kenntnis nehmen, dass Palästinenser nicht Palästinenser war und Arafat nicht der unumstrittene Führer antiisraelischer Organisationen. Konsequenterweise wollte Kreisky keine Gewalt angewendet wissen, so wie er das auch nach dem Überfall von Marchegg getan hatte. Kritik war ihm sicher. Und die »Politik des Wegschauens« wurde vor allem von westlichen Staaten einer scharfen Kritik unterzogen.714 Die Terroristen durften mit den Geiseln ausreisen und ließen ihre Gefangenen nach und nach frei. Kreisky sah sich massiven Vorwürfen ausgesetzt. Vor allem aus Israel bekam er zu hören, dass man gegenüber Geiselnehmern und Terroristen nicht nachgeben dürfe, da das nur als Einladung zu weiteren Anschlägen verstanden würde. Auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte, die Freilassung wäre auf jeden Fall ein Fehler gewesen, auch wenn Kreisky sein Ziel, weiteres Blutvergießen zu verhindern, erreicht hatte.715

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Was mehrheitlich erwartet worden war, konnte im Oktober 1975 beginnen  : Kreisky bildete seine dritte Regierung. Überlegungen, es würde zu einer neuerlichen Großen Koalition oder einer Konzentrationsregierung unter Einbeziehung der »Freiheitlichen« kommen, waren vom Tisch. Angesichts der absoluten Mehrheit verschwendete Kreisky keinen Gedanken darauf. Und er hatte die Möglichkeit, das fortzusetzen und etliches auch zu Ende zu bringen, das noch der Erledigung harrte. Doch es zeigte sich bald ein Unterschied  : Kreisky konnte nicht so wie 1970 und 1971 jede Menge Themen vorgeben. Nun waren es zunehmend andere, die ihm die Themen vorgaben. Die von Taus geführte ÖVP bekam eine Ideologiedebatte verordnet. Anfang 1976 tat es ihr die SPÖ gleich. Eine Zeit der Re-Ideologisierung schien angebrochen. Von Auswirkungen auf die Tagespolitik konnte man aber noch keinesfalls sprechen. Es sei denn, man wertete den Umstand, dass der neue Klubobmann der ÖVP, Alois Mock, als Vertreter einer kleinen Gruppe von konservativen Spitzenpolitikern »Christen in Verantwortung« früher vom amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter nach Washington eingeladen wurde als Bruno Kreisky. Der aber konnte sich weiterhin nationaler wie internationaler Zustimmung erfreuen. Ein neuer britischer Botschafter in Wien, Hugh Trevors Morgan, konnte sich denn auch nicht genug tun, die allgemeine Zufriedenheit in Österreich hervorzuheben. Er tat das mit einigem Witz und schrieb Anfang Juli 1976 in seinem Halbjahresbericht an das Londoner Foreign Office  : »In Österreich herrscht Ferienstimmung. Abgesehen davon ist es ab Freitag Mittag ohnedies unmöglich, jemanden an seinem Schreibtisch vorzufinden.«716 Mag sein, dass dem Vertreter eines zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich alles andere denn prosperierenden Land wie England der geringe Arbeitseifer merkwürdig vorkommen wollte oder aber Neid zu wecken verstand. Die Phäaken an der Donau hatten von Selbstgenügsamkeit zu Selbstgefälligkeit gewechselt und waren froh, dass alles so lief, wie es lief. Also ließen sie sich auch nicht durch die Politik ablenken und konzentrierten sich darauf, »Würste zu mampfen und Wein zu saufen« (munching its Würst and sipping its wine), wie der Botschafter so wortmalerisch schrieb. Eine Million Österreicher konsumierte exzessiv alkoholische Getränke. Ein Drittel der männlichen und weiblichen Österreicher rauchte und erreichte dabei auf das Jahr gerechnet einen theoretischen Tagesverbrauch von rund 20 Zigaretten. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung war übergewichtig. Der Fleischverbrauch stieg sprunghaft an.717 Österreich ging es gut. Es hatte den »Ölschock« überwunden, hatte über die Empfehlung des Kanzlers, sich als Maßnahme zum Stromsparen nass zu rasieren, ausgiebig gelacht, hatte einen autofreien Tag in der Woche akzeptiert und war jetzt wieder auf der Überholspur.718 Die Regierung hatte Österreich mit Hilfe von Inflation und steigenden Budgetdefiziten durch die Rezession gesteuert. Ab 1976 ging es wieder bergauf. Die

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Zahlen schienen für sich zu sprechen  : Wachstumsprognose 4 %, Arbeitslosigkeit 2,1 %. Wer konnte da dagegen halten  ? Allerdings waren die Lebenshaltungskosten auf das Niveau der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gestiegen, ohne dass freilich die Einkommen dieselbe Höhe erlangt hätten. Und Dinge wie deficit-spending oder Austro-Keynesianismus wurden zwar von der ausländischen Presse kritisch gesehen, doch in der Selbstbeurteilung ging das unter. Selbstbewusstsein war angesagt. Dazu hatte nicht zuletzt die etwas gönnerhafte Art beigetragen, die man gerade im Verhalten westdeutscher Gäste zu erkennen glaubte. »Nichtachtung, vorwiegend in der Form der Nichtbeachtung« war lange Zeit das Problem gewesen. Eigentümlicher mutete der Umstand an, dass sich gerade Kreisky nie ganz von der Sorge freimachen konnte, Deutschland würde nicht irgendwann wieder einmal Anschlusstendenzen zeigen.719 Er legte denn auch der Bundesrepublik gegenüber eine merkwürdige Reserviertheit an den Tag. Ganz anders als das bei Raab, Figl und Klaus der Fall gewesen war. Das konnte man als Folge der Aufnahme engerer Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik sehen. Aber auch das tat der Popularität des Kanzlers keinen Abbruch. Kreisky stand unangefochten an der Spitze des politischen Österreich und war auch sonst omnipräsent. Die Opposition, angeführt von Josef Taus, war mehr oder weniger hilflos. »So lange ›König Kreisky‹ da ist und es keine äußeren Krisen gibt«, hätten die Oppositionsparteien keine Chance, meinte der britische Botschafter. Kreisky setzte nach wie vor auf die aktive Neutralitätspolitik und nicht auf die militärische Landesverteidigung. Und die UNO-City war ihm wichtiger als militärische Rüstungsgüter. Er spreche von militärischem Gleichgewicht, obwohl Österreich in Sachen Militär und militärische Stabilität selbst so gut wie keinen Beitrag leiste, meinten die Briten. Erst im Vergleich mit der »Zeit danach« sollte sich zeigen, dass der Budgetanteil für das Bundesheer nicht nur stetig größer wurde, sondern auch mit rund 1,3 % des BIP der höchste in der Zweiten Republik wurde. Dass auch das im europäischen Vergleich sehr niedrig war, wussten die Insider, und dass damit noch immer nicht viel zu erreichen war, die ausländischen Beobachter. Ein gewisser Verzögerungseffekt wurde dem Bundesheer im Fall eines Angriffs von außen zugebilligt, doch die Waffen waren veraltet und die Munitionsvorräte verschwindend gering. Was jedoch anerkannt wurde, war der Geist, der das Heer erfüllte und sich vor allem in der Jugend bemerkbar machte.720 Kreisky hatte sich ganz klar gegen die Anschaffung neuer Abfangjäger ausgesprochen, wobei die offizielle Begründung die war, dass man keine modernen Flugzeuge brauche, wenn diese dann wegen der staatsvertraglichen Bestimmungen ohnedies nicht mit Raketen bestückt werden könnten. Die Briten stimmten einem Schweizer Urteil zu  : Militärisch ist Österreich (nach wie vor) ein Vakuum. Aber es gab auch noch anderes, das jenen auffiel, die Österreich unter Beobachtung hielten. Da war einmal die Frage der Errichtung und Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. Es war wohl 1969 geplant und im April 1972 zu bauen begon-

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nen worden, doch eine kleine Anti-Atombewegung bekam immer mehr Zulauf. Die Technologie würde zu viele Risiken bergen, hieß es. Allmählich nahmen Pro und Kontra zu, auch wenn dem noch die Heftigkeit mangelte, die man bereits aus anderen Staaten kannte. Doch warum sollte es in Österreich anders laufen als in jenen Ländern, in denen die Kernenergie spaltete  ? Dass sich in der Anti-Atombewegung die unterschiedlichsten Gruppen und Gruppierungen zusammenfanden, nicht zuletzt die Friedensbewegten, die Umweltaktivisten und eine neue Linke, sollte wohl auch einem österreichischen Kanzler nicht entgangen sein, meine Hugh Trevors Morgan. Es war aber nicht nur die Zukunft, der man Aufmerksamkeit widmete. Dasselbe geschah mit der Vergangenheit. Auch Kreisky war es nicht gelungen, die Meinung des Auslands und vor allem in Deutschland zu korrigieren, Österreich hätte sich nicht nur von der gemeinsamen Vergangenheit abgemeldet, sondern sich regelrecht durchgeschwindelt. Zur Bestätigung dessen erzählte der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt immer wieder, den Österreichern wäre es gelungen, Beethoven zum Österreicher und Hitler zum Deutschen zu machen. Und Brandts Nachfolger, Helmut Schmidt, formulierte es noch drastischer  : Kreisky »hat dazu beigetragen, dass Österreich sich durchgemogelt hat. Auch im Bewusstsein der österreichischen Gesellschaft. Die hat sich durchgemogelt. Sie hat sich durchgemogelt nicht nur in Beziehung auf die Nazis, sondern auch im Bezug auf den Austrofaschismus. Den hat es, wenn ich heute nach Wien komme, im Bewusstsein der heute lebenden Österreicher gar nicht gegeben. Und die Begeisterung für Adolf Hitler auch nicht. Die kommt nicht vor.«721

Auch Einseitigkeit im Urteil und eine gewisse Vergesslichkeit eingerechnet wird zu konstatieren sein, dass der Blick von außen und die Selbstwahrnehmung differierten. Kreisky hätte eine derartige Außensicht wohl zum wenigsten irritiert. Er hatte denn auch mit anderem, weit Banalerem zu kämpfen  : Ihm machten immer wieder Personalfragen zu schaffen. Er hatte keinen logischen Nachfolger. Daher war auch nicht davon auszugehen, dass er seine in den Raum gestellte Überlegung, sein Amt noch vor den Wahlen 1979 abzugeben, Wirklichkeit werden lassen würde. Schwierig war auch die Nachbesetzung des Außenamts. Denn was Kreisky suchte, war ein Posteninhaber – nicht mehr. Interessanterweise gingen die Briten davon aus, dass Kreisky deshalb eine Zeitlang zuwartete, ehe er 1976 Erich Bielka nachbesetzte, da er für den Fall, dass Kurt Waldheim als UN-Generalsekretär nicht wiedergewählt werden würde, ihm das Amt anbieten wollte. Die westlichen Sicherheitsratsmitglieder befürworteten zwar vehement Waldheims Wiederwahl, hatten jedoch Sorge, ob sich die Sowjetunion zur Wiederbestellung verstehen würde. Doch Waldheims Wahl für eine weitere Amtszeit war letztlich unumstritten, und Kreisky fand in Willibald Pahr einen anderen Mann als Außenminister, komfortabler jedenfalls als der UN-Generalsekretär. Kreisky setzte

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aber weiterhin auf Waldheim, mit dem er sich, nicht zuletzt was die Einschätzung des Palästinenserproblems anging, völlig eins war. Waldheim hatte ja als UN-General­ sekretär das Seine dazu beigetragen, die Palästinenser aus dem Abseits zu holen und ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu bringen. Kreisky hatte auch aus seinen drei Besuchen im Rahmen der Sozialistischen Internationale die Lehre gezogen, dass etwas geschehen müsse und zwar rasch und unter Einbindung des Palästinenserführers Jassir Arafat. Er war davon überzeugt, dass die Palästinenser für eine Friedensregelung bereit wären, und zwar auf Grundlage der Schaffung eines Palästinenserstaats. Der sollte vom Westjordanland bis zum Gaza-Streifen reichen, wobei diese beiden Territorien durch einen Korridor verbunden sein sollten. Die Extremisten außerhalb der PLO waren jedoch eine alles andere denn friedensbereite und völlig unberechenbare Gruppe. Das wusste auch Kreisky. Die Palästinenser seien aber auch deshalb so aggressiv, zitierte der britische Botschafter den österreichischen Kanzler, da man ihnen täglich vor Augen führte, wie die arabischen Staaten im Luxus schwammen und im Öl badeten, während sie »den Dreck abbekämen«. Die Kreisky’schen Bemühungen um einen Fortschritt im Nahen Osten wurden weiterhin abschätzig beurteilt  ; die Bemühungen um eine noch stärkere Anbindung Österreichs an die EWG damit kommentiert, dass man in Wien doch die »Pravda« lesen sollte, um zu erfahren, was die Sowjets davon hielten  ; die Auffassung, der KSZE Prozess würde Österreichs Spielraum in den internationalen Beziehungen erweitert haben, traf auf erhebliche Skepsis. Das lief auf Besserwisserei hinaus, meinte man in London. Mehr noch  : An der Themse war man schlichtweg entsetzt. Und in diesem Punkt gab es einen Gleichklang mit der ÖVP. Von »Kronprinzen« und »Erbhofbauern« Jahrelang hatten sich die Koalitions- und dann Regierungsparteien einer gemeinsamen Außenpolitik verpflichtet gesehen. Jetzt war das anders geworden. Das westliche Ausland wie die ÖVP kritisierten, dass Österreich ins arabische Lager abgeschwenkt sei, statt im Nahostkonflikt weiter auf Äquidistanz zu setzen. Schließlich würde Kreisky die Beziehungen zu den traditionellen Freunden im Westen, den USA, Großbritannien und Frankreich, vernachlässigen. Zwar richteten sich die Vorwürfe der ÖVP in erster Linie an den dritten Außenminister Kreiskys, Willibald Pahr, doch war klar, dass für die Linie der Außenpolitik der Kanzler selbst verantwortlich war. Unmissverständlich mahnte Kreisky das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ein und führte terroristische Anschläge in Israel darauf zurück, dass den Arabern dieses Recht vorenthalten würde. Er sah auch keinen Grund, das Büro der PLO in Wien zu schließen.722 Der israelische Botschafter verließ Wien. Kreisky zeigte sich unbeeindruckt. Als der

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österreichische Außenminister dann noch mit einer gegenüber den USA gemachten Äußerung zitiert wurde, dass Amerika die Realisierung eines Projekts zum Bau von Neutronenbomben aufgeben sollte, fühlte sich der Minister zwar falsch zitiert, doch der Schaden war bereits angerichtet. Vor allem der Klubobmann der ÖVP im Nationalrat, Alois Mock, warf der SPÖ und Kreisky vor, den Weg einer gemeinsamen Außenpolitik verlassen zu haben. Kreisky würde das gute Verhältnis zu den Staatsvertragssignataren nicht ausreichend pflegen, ebenso wenig wie die Nachbarschaftspolitik und den Kontakt zu den Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Der Vollständigkeit halber mahnte die ÖVP auch die Verstärkung der »Entwicklungszusammenarbeit« an. Österreich hätte das Ziel der OECD mitbeschlossen, wonach die Entwicklungshilfe auf 0,7 % des BIP angehoben werden sollte. Tatsächlich rangierte Österreich an vorletzter Stelle und wendete schließlich nur mehr 0,17 % auf.723 Da halfen auch Rechenkünste nichts. Auch anderes war geeignet, nicht unter die Rubrik Erfolgsgeschichte eingereiht zu werden. Der häufig als »Medienkanzler« apostrophierte Regierungschef konnte sich zwar nach wie vor der vollen Aufmerksamkeit der Journalisten sicher sein. Ebenso aber musste er zur Kenntnis nehmen, dass sich die aufblühenden Medien auch gegen ihn wenden konnten und geradezu gierig darauf waren, Informationen nachzugehen und sie aufzubereiten. Und da gab es letztlich keine Tabus. Denn es war eben nicht mehr so wie seinerzeit, dass Skandale und Korruption nur die Anderen zu betreffen schienen. Auch die Kanzlerpartei war nicht davor gefeit. Klaus hatte das zur Kenntnis nehmen müssen. Jetzt war Kreisky dran. In seiner dritten Amtszeit wurde der Kanzler von der Geschichte eingeholt, musste sich mit Zwist in seiner Regierungsmannschaft, mit Skandalen und Niederlagen herumschlagen, die ihm zweifellos zu schaffen machten. Dazu kamen gesundheitliche Probleme. Es fing damit an, dass das Volksbegehren zur Fristenlösung ein respektables Ergebnis von über 800.000 Unterschriften erbrachte. Die verpflichtende parlamentarische Behandlung der »Causa« im Nationalrat änderte zwar nichts an der getroffenen Entscheidung oder an der Großen Strafrechtsreform. Doch die Ablehnung war stärker ausgefallen als erwartet. Die Volkszählung besonderer Art zur Minderheitenfeststellung, die wegen des Ortstafelkonflikts in Kärnten anberaumt worden war, war nur bedingt brauchbar, führte wohl zur Einsetzung von Volksgruppenbeiräten und zu einem allmählichen Einlenken der Kärntner Slowenen sowie der Normalisierung des Verhältnisses zu Jugoslawien. Doch der eigentliche Streitpunkt, die Aufstellung von Ortstafeln, konnte nicht als erledigt gelten. Lediglich in der Hälfte der ursprünglich vorgesehenen Ortschaften ließen sich die Tafeln anbringen. 1977 zeigte sich eine der Schwächen der Heeresreform überdeutlich  : Die Bereitschaftstruppe blieb weit hinter den erwarteten 15.000 Mann zurück. Daraufhin mussten verpflichtende Wiederholungsübungen gesetzlich beschlossen werden. Die ÖVP

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sah sich mit ihren schon 1970 vorgebrachten Einwänden gegen das Wehrgesetz bestätigt. Die große Oppositionspartei griff aber vorrangig ein anderes Thema auf, nämlich die Staatsverschuldung. 1970 hatte Kreisky der ÖVP exorbitante Schulden vorgeworfen. Mittlerweile wuchsen die Schulden der öffentlichen Hand stetig an. Aber da galt wieder, dass dem Kanzler höhere Schulden lieber waren als eine steigende Arbeitslosenzahl. Der Kanzler wischte Bedenken, irgendwann würde man hohe Schulden und eine hohe Arbeitslosigkeit haben, vom Tisch. Aber er wusste wohl, dass das mit dem »Stück Wegs«, das man gemeinsam gehen sollte, ein Pakt auf Zeit war. Und die Probleme häuften sich. Der Neubau des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) in Wien verschlang nicht nur weit mehr Mittel als veranschlagt, er war auch zu einem regelrechten Sittenbild geworden. Aufklärung war angesagt. Die Medien stürzten sich auf den Fall. Man fühlte sich an die Korruptionsfälle der Ersten Republik erinnert, nur betraf es jetzt die Sozialisten. Die personelle Besetzung einiger Landesorganisationen gab immer wieder Anlass zu Kritik. Wieder war es ein Volksbegehren, das gegen die SPÖ ausging und schließlich einen Rücktritt nach sich zog  : Der Wiener Bürgermeister Felix Slavik musste gehen und machte einem der immer wieder als »Kronprinzen« genannten Männer aus der Umgebung Kreiskys, dem Unterrichtsminister Leopold Gratz Platz. 1976 stürzte die größte Wiener Donaubrücke, die Reichsbrücke, wegen nicht festgestellter Baumängel ein. Der Baustadtrat musste den Hut nehmen. Die politische Klasse des sozialistisch dominierten Wien war selbstgefällig und bequem geworden. Kreisky wusste das. Auch die ÖVP erkannte, dass die vom britischen Botschafter als »grau und sterbend« beschriebene österreichische Hauptstadt durchaus Möglichkeiten bot, sich selbst neu und besser zu positionieren. Der bisherige Generalsekretär der ÖVP, Erhard Busek, wurde Wiener Vizebürgermeister. Und mischte die Stadt regelrecht auf. Die Opposition schien also Boden gut zu machen, und in Kreiskys eigner Partei kriselte es. Das Verhältnis von Kreisky zu seinem Finanzminister und fallweise als Nachfolger genannten Hannes Androsch verschlechterte sich unaufhaltsam. Sachlich ging es um Fragen der Budget- und Währungspolitik oder auch die Einführung einer Autosondersteuer. Kreisky wollte 1977 die abermalige Bindung des Schilling an die D-Mark aufgeben. Androsch hielt unverbrüchlich an einer Hartwährungspolitik fest und war dagegen. Androsch plädierte für eine Reduktion der Sozialleistungen. Für Kreisky war das indiskutabel.724 Die atmosphärischen Störungen waren aber sehr viel gravierender als Auseinandersetzungen um Sachfragen. Dabei ging es um die von Androsch bis zu seiner Ministerschaft geführte Steuerberatungskanzlei »Consultatio« und gehäufte Auftragsvergaben an Firmen und Personen, die dem mittlerweile auch Vizekanzler gewordenen Androsch nahestanden. Der Vorwurf der Korruption, zumindest aber der unstatthaften Begünstigung lag in der Luft. Und je mehr der Vizekanzler darüber hinwegzugehen trachtete und auch die unterschiedlichen Lebensstile ins Treffen führte, umso mehr sah man dem Kanzler seine Verärgerung an.

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Noch, freilich, wollte er seiner Missbilligung nicht allzu sehr Ausdruck verleihen. Doch von Kreisky waren gelegentlich Kommentare zu hören, »die für Androsch im Grunde gefährlicher waren als die Angriffe der ÖVP«.725 In der Wiener Café-Konditorei »Demel« hatte sich ein SPÖ-Netzwerk gebildet, dem dann alles Mögliche bis hin zu kriminellen Machenschaften vorgeworfen wurde, auch wenn Letzteres vor allem den Inhaber des »Demel«, Udo Proksch, betraf. Ihm wurde Jahre später der Mord an sechs Menschen im Zusammenhang mit der Versenkung des Frachters »Lucona« nachgewiesen. Viele aus der Kanzlerpartei waren seine Freunde gewesen. Wer alles in die Affäre involviert war, welche Rolle Verteidigungsminister Lütgendorf spielte, der 1981 »unter ungeklärten Umständen« den Tod fand, ließ sich nie ganz klären. Jahre »nach Kreisky«, 1988/89, wurde jedenfalls im Zusammenhang mit dem Untergang der »Lucona« gegen 16 Personen ermittelt und traten der Wiener Bürgermeister Leopold Gratz sowie Innenminister Karl Blecha zurück. Alles hatte im Umfeld des »Club 45« im »Demel« begonnen. Das größte Problem für Kreisky tat sich aber im Zusammenhang mit dem Bau des Atomkraftwerks im niederösterreichischen Zwentendorf auf. Es gab eine Kostenexplosion. Weit folgenschwerer war aber, dass sich aus einer kleinen Gruppe von Atomkraftwerksgegnern, die ihre Informationen vornehmlich aus Deutschland bezogen, eine respektable Bewegung herausgebildet hatte, die ÖVP die Frage der Inbetriebnahme des AKW als Sache der Regierung bezeichnete und Kreisky schließlich selbst schwankend wurde. Nach einer Operation und noch während seines Krankenhausaufenthalts kündigte er an, die Frage der Inbetriebnahme zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen. Er selbst betonte zwar, dass er eine Nicht-Inbetriebnahme für falsch hielt und man ein paar Milliarden Schilling – 13 sollten es insgesamt werden – zum Fenster hinauswerfen würde. Das könnte doch niemand verstehen.726 Am 5. November 1978 sollte es die Volksabstimmung geben – die erste nach der Abstimmung über die Zugehörigkeit Österreichs zum Deutschen Reich 1938. ÖVP und SPÖ wollten keine Empfehlung abgeben. Taus gab freilich bekannt, wegen Sicherheitsbedenken mit »nein« stimmen zu wollen, Kreisky mit »ja«. Die Stimmung heizte sich auf. Befürworter und Gegner waren in allen politischen Lagern zu finden und wussten sich zu artikulieren. Pro-Zwentendorfplakate wurden von der Sozialistischen Jugend überklebt. Die Gewerkschaften warben um Zustimmung.727 Jedes Argument war zu hören. Die meisten kannte man schon aus Deutschland. Die Abstimmung ging mit 50,5 % Nein-Stimmen knapp gegen die Inbetriebnahme aus. An sich wäre das nicht als Debakel zu werten gewesen, doch Kreisky hatte seinen Verbleib an der Spitze der Bundesregierung sehr deutlich an ein Ja zur Nutzung der Atomkraft gekoppelt. Und er musste eine Niederlage einstecken, die er durchaus persönlich nahm, auch wenn er im Vorfeld der Abstimmung gemeint hatte, er würde sich bei einem Nein »auch nicht erschießen«. Aber er handelte rasch. Schon drei Tage nach

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der Abstimmung brachte die SPÖ im Nationalrat ein »Atomsperrgesetz« ein. Das Gesetz wurde einstimmig angenommen. Niemand, keine Partei, hatte sich gegen das Ergebnis der Volksabstimmung stellen wollen. Kreisky aber, der das Projekt Zwentendorf forciert und sein politisches Schicksal vom Ergebnis der Abstimmung hatte abhängig machen wollen, dachte gar nicht daran zurückzutreten und ging aus einer persönlichen Niederlage insofern als Sieger hervor, als er sein Nein vorweg als seine persönliche Meinung hingestellt und eine demokratische Entscheidung akzeptiert hatte. Und das zählte offensichtlich. Und der kluge Taktiker entschloss sich zum Handeln und wollte es noch einmal versuchen. Doch er hatte Sorge, dass ihm die Wählergunst abhandenkommen könnte. Das Ergebnis der Volksabstimmung sowie schlechte Ergebnisse bei Landtagswahlen waren ihm ein Alarmzeichen. In der SPÖ begann man davon zu sprechen, dass die Nationalratswahlen um ein halbes Jahr auf den 6. Mai 1979 vorgezogen werden könnten. Die ÖVP war einverstanden. Diesmal sollte es gelingen, die absolute Mehrheit der Sozialisten zu brechen. Wieder wurden Spekulationen über die Bildung einer Kleinen Koalition in den Raum gestellt, und machten Meldungen über Absprachen zwischen dem ÖVP-Obmann Josef Taus und dem neuen Obmann der FPÖ, Alexander Götz, die Runde. Dann kristallisierten sich die großen Themen heraus. Die waren aber nicht Atom (das war abgehandelt) oder gar die Außenwirkung der österreichischen Politik, sondern Arbeitsplatzsicherung, Inflationsbekämpfung und Steuerpolitik.728 Die ewige Trias. Am 6.  Mai 1979 wurden die Prognosen abermals Lügen gestraft. Kreisky verhalf der SPÖ zu ihrem größten Wahlsieg in der Geschichte Österreichs. Taus war abermals geschlagen. Wie immer wurde über die Gründe für den Wahlausgang gerätselt, gab es Erklärungen oder zumindest Vermutungen. Wiederholt waren Zitate zu hören, wie  : »Eigentlich mag ich die Juden ja nicht, aber den Kreisky wähle ich.« Der Kanzler, der seinen Verbleib wie schon bei der Zwentendorf-Abstimmung vom Ausgang der Wahl abhängig gemacht hatte, hatte nun keinen Grund, das Mandat zur Regierungsbildung nicht anzunehmen. Doch er ging stürmischen Zeiten entgegen. Es war aber nicht die ÖVP, die sich im Sommer 1979 nach dem Rücktritt von Josef Taus abermals einen neuen Bundesparteiobmann suchen musste und ihn in Alois Mock fand, die ihm Sorgen bereitete, sondern der Filz in der eigenen Partei Und es bestätigte sich, dass sich im Schatten des »Sonnenkönigs« eine Art Subkultur herausgebildet hatte, die dem neuen alten Kanzler schwer zu schaffen machte. Über manches war schon länger gemunkelt worden, anderes brach plötzlich auf. Neues kam hinzu. Und plötzlich erschien Österreich als die »Skandalrepublik« schlechthin. Im April 1980 war es evident, dass es beim Neubau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien nicht nur bei den Abläufen chaotisch zuging und die Bauaufsicht mangelte. Schwerwiegender waren die Fälle von illegaler Auftragsvergabe, Schmiergeldzahlungen auf ausländische Konten und Verlusten von Steuergeldern in Milliardenhöhe.

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Parlamentarische Untersuchungen und Gerichtsverfahren waren die Folge. Im Sommer 1980 brach der schon lange schwelende Konflikt zwischen Bundeskanzler und Vizekanzler auf. Da ging es um undurchsichtige Firmenkonstruktionen Androschs, Geldtransfers auf anonyme Konten, Unregelmäßigkeiten und Sachverhalte, die gerade einem Finanzminister schlecht anstanden. Beim sogenannten AKH-Skandal verständigten sich ÖVP und SPÖ darauf, dass es eine lückenlose Untersuchung geben sollte  ; bei den Vorwürfen gegen den Finanzminister war der Gleichklang nur scheinbar, denn zum Entsetzen seiner Partei distanzierte sich Kreisky bei einer Sondersitzung des Nationalrats sichtbar von Hannes Androsch, sodass dem schließlich nur mehr der Rücktritt blieb. Zu guter Letzt reihte sich noch ein weiterer Skandal in eine immer länger werdende Liste ein, der diesmal die ÖVP betraf. Da ging es um 10 Millionen Schilling, die auf dubiose, wenngleich dann durchaus nachvollziehbare Art »schwarz« in die Parteikasse geflossen waren. Das Aufrechnen wollte nicht gelingen. Jenseits der strafrechtlichen Tatbestände war festzuhalten, dass der Bundeskanzler für etliche Zeit das Gesetz des Handelns eingebüßt hatte, und dass schließlich Politik generell als ein dubioses, schmutziges Geschäft galt. Da flossen Milliarden  ; dutzende Personen waren involviert  ; da konnte man sich jede Menge persönliche Vorteile verschaffen und mit Hilfe eines politischen Amts, das zu besonderer Lauterkeit verpflichtete, Vermögen mehren. Auch die FPÖ konnte sich nur mit Mühe als Partei der Saubermänner präsentieren, denn ihre Zustimmung, dem Vizekanzler und Finanzminister nach dessen Ausscheiden aus der Regierung eine Anschlussverwendung als Generaldirektor der größten österreichischen Bank, der Creditanstalt, zu ermöglichen, war Ergebnis eines politischen »Kuhhandels«. War zu fragen  : Ging es in der Politik generell so zu  ? Hatte Kreisky den Überblick verloren, nicht mitbekommen, was da so alles lief  ? Hatte er die Zügel nicht mehr in der Hand  ? Der Kanzler antwortete mit einem Zehn-Punkte-Programm, in dem Sauberkeit im öffentlichen Leben und eine rigorose Trennung von Politik und Geschäft gefordert wurde. Das war eine Art Befreiungsschlag. Aber natürlich und über die Anlassfälle hinaus musste man sich fragen, ob eine Regierung und ein Kanzler, denen so viel Macht gegeben worden war, sich nicht doch auch des Machtmissbrauchs schuldig machen konnten. Vor 1966 war der Großen Koalition zurecht vorgeworfen worden, dass sich die Regierungsparteien nicht nur den Einfluss teilten, sondern aus der Zweisamkeit auch materiellen Nutzen zogen, Posten zuschoben und immer wieder in Skandale und Skandälchen verwickelt waren. Jetzt musste man sich fragen, ob sich die Koalitionsparteien nicht doch auch gegenseitig kontrolliert und damit Schaden vom Staat und seinen Bürgern abgehalten hatten. Kreisky war in die Jahre gekommen. Auch er konnte auf ein langes »Stück des Weges« zurückblicken, mit allen seinen Höhen und Tiefen. 1980 sollte er für einige Stun-

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den auch so etwas wie einen persönlichen Triumph erleben. Was 1975 nicht gelungen war, gelang 1980 fast mühelos  : In Österreich konnte man das 25-Jahr-Jubiläum des Abschlusses des Staatsvertrags feiern. Und (fast) alle kamen  : Die amtierenden Außenminister der ehemaligen Besatzungsmächte und einer der beiden noch lebenden Außenminister von ehedem, der Brite Harold Macmillan. (Vjačeslav Molotov war die Teilnahme von seiner Regierung wie schon 1975 nicht ermöglicht worden.) Aus den USA kam Außenminister Edmund Muskie, aus Frankreich Jean François-Poncet und aus der Sowjetunion Andrej Gromyko. Kreisky konnte sich im Lichte der Medien und des Respekts der Gäste sonnen. Er vermittelte – wie das der britische Botschafter, Donald Gordon, so bildhaft nach London berichtete – den Eindruck, dass er bzw. Österreich ohne weiteres etliche Weltprobleme lösen könnten.729 In Wien gab man sich buchstäblich die Schnalle in die Hand. Natürlich wurden die Begegnungen auch genützt, um bilaterale wie Weltprobleme zu erörtern. Und Kreisky war ein idealer Gesprächspartner dafür, auch wenn beispielsweise die Briten meinten, seine Ansichten hätten mitunter »idiosynkratische« Züge, wären also voll der Eigentümlichkeiten.730 Der »Alte« Nach dem Fest wurden Kreisky wie Österreich wieder vom Alltag eingeholt. Der Kanzler lag wohl auch noch Anfang der achtziger Jahre bei den Meinungsumfragen unangefochten an der Spitze, doch die ÖVP hatte mit Alois Mock einen jungen, sympathisch und dynamisch wirkenden Obmann, den vierten innerhalb von zehn Jahren. Und natürlich nützte man nicht nur die Skandale, um gegen die Regierung herzuziehen, sondern auch politische Entscheidungen, die wohl schon vor längerem getroffen worden waren, aber erst jetzt zu Buche schlugen. Die Fördermaßnahmen für Familien und Jugendliche, das Vollbeschäftigungsprogramm und die Hartwährungspolitik verursachten Budgetdefizite, wie es sie in der Zweiten Republik noch nie gegeben hatte. Die Geldmengen zeigten eine stark steigende Tendenz. Die Gewerkschaft war damit einverstanden  – und das war die Hauptsache.731 Die Verstaatlichte Industrie steckte in der Krise. Sie war nicht das scheinbar »unsinkbare Schiff mit quasi pragmatisierten Arbeitsplätzen«, als das sie gerne gesehen wurde.732 Eine abermalige Verknappung der Erdölliefermengen seitens der OPEC-Staaten, Teuerung und schwindende Nachfragen bereiteten Österreich zunehmend Probleme. Die Arbeitslosenrate stieg Jahr für Jahr an. Wo waren die Zeiten, als Kreisky noch Josef Klaus vorwerfen konnte, Verschwendung zu betreiben und das Budgetdefizit unverantwortlich auf drei Milliarden Schilling anwachsen zu lassen. Jetzt war das Budgetdefizit annähernd zehnmal so hoch und der sogenannte »Austro-Keynesianismus« war gescheitert. Die düstere Prognose, man würde als Ergebnis der Kreisky’schen Beschäftigungspolitik am Ende hohe Ar-

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beitslosenzahlen und ebensolche Budgetdefizite haben, schien Wirklichkeit geworden. Doch wollte man das wirklich wahrhaben  ? Der Journalist Alexander Vodopivec schrieb vom »Ende der Illusionsgesellschaft«. Der Historiker Ernst Hanisch meinte hingegen im Nachvollzug, »im Alltag verhielten sich die Menschen, als ob es immer so weiterginge.«733 In anderen Staaten Europas machte sich der Zwang zur Neuorientierung bemerkbar. Doch in Österreich pflegte man immer noch Realitätsverweigerung. Es wollte nur nicht mehr so recht gelingen. Man bäumte sich dagegen auf, dass allem Anschein nach die Zeit des Aufschwungs aber auch die der großen Zuwendungen vorbei war und suchte das Erreichte zu bewahren. Notfalls suchte man Trost beim Ausland. Aber auch die positivsten Botschafterberichte konnten den Eindruck nicht verwischen, dass Österreich nicht um seiner selbst willen internationale Aufmerksamkeit erregte.734 Natürlich war der Tross der Berichterstatter im Juni 1979 nach Wien gekommen, als sich der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Brežnev und der amerikanische Präsident Jimmy Carter zur Unterzeichnung des SALT II-Vertrags trafen und eine weitere Beschränkung der strategischen Nuklearwaffen vereinbarten. Dann aber war wieder anderes wichtiger. Doch gerade Kreisky tat alles, um sein als persönliches Hobby abgetanes Bemühen, Österreich als ehrlichen Makler zu positionieren, zu pflegen. Österreich engagierte sich im Ost-West- genauso wie im Nord-Süd-Dialog. Wichtig war auch, dass es als ein Schaufenster des Westens für die Staaten Ostmitteleuropas so wunderbar einsehbar war. Und die Botschaft, die dabei ausgestrahlt wurde, besagte, dass der Kommunismus nicht funktioniert. Auch die Neutralität stellte einen Wert an sich dar. Sie sicherte dem Land eine Stellung, die man nicht mehr damit umschreiben musste, dass man ausgeschlossen war, weder zur NATO, noch zum Warschauer Pakt aber auch nicht zur EWG oder zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW bzw. COMECON) der sowjetabhängigen Staaten gehörte. Das Selbstwertgefühl war so gesehen ungebrochen. Wertewandel, Umweltbewusstsein und die zentrale Aussage des Club of Rome von den »Grenzen des Wachstums« wurden zwar zitiert, doch zum wenigsten als österreichisches Problem gesehen. Und es konnte nicht ausbleiben, dass man auch in Österreich auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde. Kreisky, der noch immer ein Charisma hatte, das ihn davor bewahrte, den so lange sicheren Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren, musste zur Kenntnis nehmen, dass die vermehrten Sozialausgaben einer Gegenfinanzierung bedurften. Der Nachfolger von Hannes Androsch als Finanzminister, der frühere Gesundheitsminister Herbert Salcher, hatte die undankbare Aufgabe, den Anbruch einer neuen Zeit in der Weise begreiflich zu machen, dass er Maßnahmen ankündigte, die in Kreiskys Feriendomizil auf der Insel Mallorca fixiert worden waren. Das »Mallorca Paket« des Jahres 1982 hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit den Sondersteuern, die Josef Klaus fünfzehn Jahre vorher

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eingeführt hatte und die ihn schlagartig viele Sympathien kosteten. Kreisky sollte es ähnlich gehen. Der Versuch, das Steuer herumzureißen, war zwar in jeder Weise gerechtfertigt, denn das Budgetdefizit explodierte regelrecht. Doch die dann eingeführte Sondersteuer auf Sparguthaben, aus denen die Kapitalertragssteuer werden sollte, die Erhöhung der schon 1977 eingeführten Steuer auf »Luxusgüter« und jede Menge Gebührenerhöhungen wurden als Griff in die Geldtaschen verstanden. Zu mehr war Kreisky aber ohnedies nicht – oder nicht mehr – bereit. Androsch kritisierte den Kurs der Regierung unverhohlen und scharf. Der Kreisky der achtziger Jahre wirkte müde, verbraucht, kämpfte mit einer Augenerkrankung und Diabetes, wurde zum Dialysepatienten und war nach dreißig Jahren in der Politik egozentrisch und intolerant. Der alternde Staatsmann hatte aber nach wie vor zu allem etwas zu sagen und wurde gehört  : Weltwirtschaft  : Sie steckte in der Krise, meinte der Kanzler, doch Österreich hielt sich gut. Die Arbeitslosenzahlen wären ermutigend  ; Mittlerer Osten  : Die Lage ist katastrophal. Die Welt steht »am Rande des Abgrunds«. Die Chance auf Verhandlungen wäre dahin. Die gemäßigten arabischen Staaten müssten nach der israelischen Invasion im Libanon ihre Zurückhaltung aufgeben  ; die USA neigten im Nahen Osten wie überall zur Vereinfachung und würden die wahren Probleme nicht erkennen  ; Kreisky selbst trachtete immer wieder zu vermitteln und erreichte zumindest, dass in Wien Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch zwischen Israel und der PLO stattfanden. Er hob auch hervor, dass er der einzige westliche Staatsmann sei, der gute Beziehungen zu Libyens al Gaddafi unterhielt. Der Libyer war im März 1982 vier Tage in Wien gewesen und hatte damit gegen seine zunehmende Isolierung ankämpfen können. In den USA war man irritiert.735 Die Aufnahmen, wie der Revolutionsführer Kreisky einen Bruderkuss gab, bewogen den berühmten, in Wien aufgewachsenen Filmregisseur Fred Zinnemann Kreisky ein Ehrenzeichen für Verdienst um die Republik Österreich zurückzuschicken. Kreisky nahm’s hin. Arafat kam zu Kreisky nach Mallorca. König Hussein von Jordanien erholte sich mit seiner Familie in einer Villa in Wien. Was wollte man mehr  ? Die Situation in Osteuropa sei sehr beunruhigend, wurde Kreisky zitiert. Sollten sich die Auseinandersetzungen in Polen noch steigern, würden die Sowjets selbstverständlich intervenieren. Dann wäre nicht einmal eine neuerliche Teilung Polens auszuschließen  ; die amerikanische und britische Haltung, die darauf abziele, Polen in die Knie zu zwingen, sei »reine Dummheit«.736 In der Sowjetunion ist Juri Andropov nun logischer Nachfolger von Leonid Brežnev. Konstantin Černenko wäre kein überzeugender Kandidat gewesen. Kreisky überraschte auch damit, dass er Kontakte zu Fidel Castro in Kuba knüpfte und sich reelle Chancen ausrechnete, die Gruppe der Neutralen und Blockfreien als Vermittler einzusetzen, um die Sowjets zum Abzug aus Afghanistan zu bewegen.737 Mit Castro will er auch schon 1962 indirekt in Kontakt gestanden sein, als er den sowjetischen Vorschlag zur Lösung der Kubakrise, nämlich den Ab-

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tausch der Stationierung von amerikanischen Pershing-Raketen in der Türkei gegen den Abzug der sowjetischen Raketen aus Kuba nach Washington weiterleitete – und damit tatsächlich einen gangbaren Weg zur Lösung der Kubakrise aufzeigte.738 Mit der britischen Falkland-Politik war Kreisky nicht einverstanden, jedoch froh, dass die Sache zu einem guten Ende gekommen war. Die britische Regierung hätte jedenfalls Führungsstärke bewiesen, etwas, das Kreisky im Fall anderer westlicher Führer (gemeint v. a. Ronald Reagan) vermisste.739 Zum Verdikt über die amerikanische Politik trug freilich nicht nur bei, dass sich die Reagan-Administration zunehmend über Kreiskys Nahostpolitik und insbesondere seine Freundschaft mit dem libyschen Staatschef Gaddafi irritiert zeigte, sondern auch drohende Töne wegen österreichischer Exporte von Hochtechnologie an Länder des Warschauer Pakts anschlug.740 Als Empfängerland der Marschall-Plan-Hilfe war Österreich verpflichtet worden, sich an Embargobestimmungen eines in Paris etablierten, COCOM genannten Büros zu halten. Anfang der 1980-er Jahre wanderten plötzlich auch Erdgasröhren auf diese Liste. Österreich lieferte diese in großem Stil in den Ostblock. Falls sich ein Land nicht dazu verstehen wollte, sich an die Embargobestimmungen zu halten, drohten die USA, auch den »Übeltäter« nicht mehr mit Hochtechnologie zu beliefern.741 Österreichische Firmen lieferten Computer für den Budapester Flughafen, Schmiedemaschinen mit österreichischem Know-how und anderes, von dem es in Paris hieß, es würde sich auf Embargolisten finden.742 Kreisky meinte zwar, es würde sich um Missverständnisse handeln und wollte jedenfalls bei seinem für 3. Februar 1983 in Aussicht genommenen Besuch bei Präsident Reagan darüber sprechen. Doch da man schon dabei war, legte die Regierung in Washington noch ein wenig nach  : In den USA wurde mit zunehmender Missbilligung auf die österreichische Flüchtlingspolitik geschaut. Österreich hatte sich so wie schon 1956 und 1968 im Fall Ungarns und der Tschechoslowakei auch im Fall der von General Wojciech Jaruzelski in Polen 1981 eingeführten Militärregierung gefordert gesehen und auf die Wünsche von Polen um Asylgewährung positiv reagiert. Auch die Vereinigten Staaten waren zwar bereit gewesen, polnische Asylanten zu übernehmen, wurden aber nicht zuletzt von Österreich dafür kritisiert, dass sie nicht mehr aufnahmen und daher 19.000 polnische Flüchtlinge in Österreich festsaßen.743 Österreich nahm auch bereitwillig Flüchtlinge aus anderen Ländern auf und schaltete nach Ansicht der Amerikaner von einer liberalen auf eine Einladungspolitik um. Das sollte so rasch wie möglich beendet werden, andernfalls sich die USA auf den Standpunkt stellen wollten, keine Ostflüchtlinge aus Österreich mehr zu übernehmen. Das Versagen der kommunistischen Wirtschaftspolitik sei kein Grund, Asyl zu beantragen.744 Da wurde eine Rute ins Fenster gestellt. Auch den Diplomaten und ausländischen Besuchern fiel Kreiskys nachlassende Spannkraft auf. Und logischen Nachfolger gab es eigentlich keinen mehr – sieht man

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vom Unterrichtsminister und Vizekanzler Fred Sinowatz ab, der aber im Schatten Kreiskys blieb. In einer Fernsehdiskussion mit Alois Mock über die Durchführung eines Volksbegehrens zum Bau eines Konferenzzentrums neben der UNO-City, das die ÖVP ablehnte, konnte Kreisky nicht mehr überzeugen. Das Volksbegehren im Mai 1982 konnte und musste als Ablehnung des vom Kanzler betriebenen Vorhabens gewertet werden. 1.361.562 Menschen stimmten für das »Konferenzzentrum-Einsparungsgesetz«, lehnten also den Bau ab. Es sollte das erfolgreichste Volksbegehren der Zweiten Republik werden. Kreisky und der SPÖ blieb nur mehr, den Bau mittels des Einsatzes der parlamentarischen Mehrheit zu erzwingen, wollte man sich nicht das Scheitern eingestehen. Wieder bot sich eine Parallele an  : 1969 hatte die SPÖ mit einem Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Arbeitswoche die ÖVP vor sich hergetrieben. Jetzt war es umgekehrt. Und die ÖVP resümierte  : Kreisky würde für eine persönliche Marotte Österreichs Stellung in der westlichen Welt mutwillig aufs Spiel setzen. Was waren das schon für merkwürdige Freunde  : Castro und Gaddafi statt Reagan und Thatcher, Neutralisten statt Neutrale und anti-israelische Sentiments statt Verständnis für Israels Politik  ?745 Kreisky machte sein Antreten bei den Nationalratswahlen 1983 vom Rat seiner Ärzte abhängig. Sie sollten entscheiden. Bald sickerte durch, dass sie sich aber nicht ihrer Diagnose, sondern dem Wunsch des Kanzlers gebeugt hatten.746 Er wollte es noch einmal probieren. Bei den Nationalratswahlen des Jahres 1983 büßte die SPÖ die absolute Mehrheit ein. Alle möglichen Gründe wurden genannt, um den Misserfolg zu erklären, die Rückschläge der jüngsten Zeit, die Krankheit des Kanzlers und der schon etwas zurückliegende Konflikt mit Androsch, der der Kanzlerpartei schwer zugesetzt hatte. Nach 13 Jahren Regierungsverantwortung sei ein Wechsel nur logisch gewesen, hieß es. Bismarck und Churchill wurde in den Zeugenstand gerufen, naheliegender de Gaulle.747 Allen seien ihre Grenzen aufgezeigt worden. Dankbarkeit ist denn auch kein Kriterium der Politik. Sicher hatte Kreisky gehofft, noch einmal die absolute Mehrheit zu schaffen. Doch es war nur eine relative Mehrheit geworden. Wieder stellte sich die Koalitionsfrage. Kreisky hatte schon vor der Wahl ausgeschlossen, Regierungschef einer Großen Koalition zu werden. Es wäre ihm zu mühsam, meinte er und schlug das Angebot der ÖVP aus.748 Über eine Kleine Koalition hatte sich Kreisky ausgeschwiegen, doch wie sich dann zeigte, reichte seine Spannkraft auch dazu nicht mehr aus. Und er hatte wohl auch die Lust am Regieren verloren. Eine Minderheitsregierung kam nicht mehr in Frage. Die FPÖ forderte mehr. Und von dauerhaft konnte bei einer Minderheitsregierung auch nicht ausgegangen werden. Stattdessen wollte die SPÖ den – wie man wohl meinte – einfacheren Weg gehen, einen beherrschbaren kleineren Partner in die Regierung hereinnehmen und ein Kabinett unter Fred Sinowatz und der FPÖ des Norbert Steger bilden. Von der Wahlarithmetik her kein Problem. Aus der sozialdemokratischen Sicht späterer Jahre  : ein Sündenfall.

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20 Demonstration gegen den Bau eines Donaukraftwerks in der Hainburger Au bei Stopfenreuth, 19. Dezember 1984. Nach monatelangen Diskussionen und Demonstrationen für und wider den Bau eines Donaukraftwerks nahe der slowakischen Grenze und der Besetzung der Au durch mehrere hundert Personen eskalierte der Konflikt. Schließlich führte der Beginn der Schlägerungsarbeiten in der Au zu Auseinandersetzungen von Umweltaktivisten und der Exekutive. Der Entschluss von Bundeskanzler Fred Sinowatz, eine Art Weihnachtsfrieden zu vereinbaren, führte zur Deeskalation und schließlich zum Verzicht auf den Ausbau des Kraftwerks. (Foto: IMAGNO/Votava)

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unächst galt es, über die diversen Schatten zu springen. Die FPÖ war nicht »links«. Doch die Freiheitlichen waren von der ÖVP schon mehrfach vor den Kopf gestoßen worden und hatten anderseits mit der SPÖ, genauer gesagt mit einer ganzen Reihe von SPÖ-Politikern, gute Erfahrungen gemacht. Da wäre vorweg Franz Olah zu nennen gewesen, vor allem aber Bruno Kreisky. Und das wog schwerer als der gegenüber den Freiheitlichen erhobene Vorwurf, in ihren Reihen wären noch immer die »Ehemaligen«, die alten Nazis, stark vertreten. Was das anlangte, konnte die SPÖ durchaus mithalten, auch wenn sie den Deutschnationalismus abgestreift hatte. In der FPÖ dominierten aber zweifellos die liberalen Kräfte um Norbert Steger, und der gegenüber Friedrich Peter zu wiederholten Malen erhobene Vorwurf, er wäre bei der SS gewesen, ging ins Leere, nachdem Peter schon 1978 auf die Parteiobmannschaft, und nunmehr auch auf die Stellung als Dritter Nationalratspräsident verzichtete. Damit war für Fred Sinowatz und die SPÖ endgültig klar, dass man nach 13 Jahren Regierungsverantwortung keinen Abschied von der Macht nehmen musste und eine Kleine Koalition bilden konnte. Ja, nicht einmal von den bis 1983 geltenden Prinzipien musste man Abschied nehmen und strich weiterhin Fortschrittsgläubigkeit, Machbarkeit und Wohlfahrt als ideologisch unterfütterte Ziele heraus. Es war aber nicht Fred Sinowatz, der darüber befinden sollte, wie es in die Zeit nach Kreisky weitergehen sollte  ; das entschied der scheidende Kanzler selbst, dem – wie aus ÖVP-Kreisen verlautete – »die Wut über den glanzlosen Abschied« anzumerken war.749 Er war von Bundespräsident Kirchschläger mit der Fortführung der Geschäfte betraut worden und formte die Kleine Koalition.750 Entscheidend war in erster Linie, dass man die Volkspartei weiterhin von wichtigen Schalthebeln der Macht fernhielt. Als es dann um die Entscheidung in den Parteigremien ging, stimmte die FPÖ geschlossen für eine Koalition mit der SPÖ  ; in der SPÖ votierte der Journalist Günther Nenning für den Gang in die Opposition. Für eine Wiederauflage einer großen Koalition stimmte niemand. Die Hainburger Au Auch diesmal begannen am Tag danach die Mühen der Ebene. Zunächst lief alles darauf hinaus, die Politik der Kreisky-Jahre fortzusetzen, und man konnte sich an eine ganze Latte von Vorbildern gemahnt sehen, etwa den Grafen Gyulay, der nach der Ablöse Radetzkys als Kommandant der II. Armee in Italien sinngemäß gemeint

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hatte  : Was der Alte geschafft hat, das schaffe ich noch lange. Bevor es in die »Ebene« ging, fiel aber noch ein nicht alltäglicher Glanz auf den neuen Kanzler und Österreich  : Zum ersten Mal seit 1782, als Papst Pius VI. nach Österreich kam, besuchte ein Papst, Johannes Paul II., Wien. Am 10.  September 1983 modifizierte er im Rahmen einer Messe auf dem Heldenplatz das auf Österreich gemünzte Wort von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1971 von der »Isola felice«, ein Wort, das dann unter Kreisky mit »Insel der Seligen« übersetzt und regelrecht volkstümlich geworden war. Johannes Paul II. nannte Österreich »Spiegel und Modell«, eine Wortprägung, die schon näher der Wirklichkeit war. Johannes Paul las die Messe unterhalb der Terrasse der Wiener Hofburg, da sich der Ministerrat darauf verständigt hatte, dass der immer noch »Hitler-Balkon« genannte Vorbau nicht betreten werden sollte. Kaum war der Papst abgereist, forderte der politische Alltag tatsächlich seine Rechte. Und bald auch seine Opfer. Sollte Fred Sinowatz. gemeint haben, es gäbe wie in den ersten Kreisky-Jahren manches zu verteilen, so sah er sich getäuscht.751 Die Zeit, in der noch relativ großzügig Pfründen zu vergeben waren, war vorbei. Vor allem hatte sich mit der FPÖ ein weiterer Mitbewerber eingestellt, der wichtige Positionen im öffentlichen Dienst, bei den staatlichen Unternehmen und bei den nach wie vor im Einflussbereich von ÖVP und SPÖ stehenden Banken einforderte.752 Die vier großen Institutionen der Sozialpartnerschaft schienen jedoch erratische Blöcke zu sein. Der Wunsch, ganz normale Arbeit zu leisten, wurde schon nach Monaten dadurch konterkariert, dass innerhalb der SPÖ wie der FPÖ personelle Konflikte aufbrachen, die weit mehr Aufmerksamkeit erregten als die Regierungsarbeit. Den FPÖ-Bundesparteiobmann Steger beschäftigte der »Fall« Jörg Haider, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, Steger in Frage zu stellen. Alle wurden in den »Zeugenstand« gerufen, auch Kreisky, der Haider einen »jungen Nazi« genannt hatte, von ihm verklagt worden war und den Presseprozess verloren hatte. Doch der »junge Nazi« blieb haften.753 Sinowatz hatte andere Probleme. Er mühte sich mit Ministerkollegen ab, die von Kreisky ausgewählt worden waren, dem neuen Kanzler aber zunehmend zu schaffen machten. Kreiskys Mann im Finanzministerium war Herbert Salcher. Der Kanzler und er signalisierten sich immer wieder Dissens. Sinowatz wollte statt ihm Franz Vranitzky haben, der jedoch dem »Androsch-Lager« zugezählt wurde. Plötzlich war man in den Untiefen persönlicher Animositäten, bei Anzeigen und Sachverhaltsdarstellungen für die Staatsanwaltschaft gelandet. Der Konflikt in der FPÖ konnte vorderhand kleingehalten werden. Sinowatz aber ließ es zum innerparteilichen Bruch kommen, bildete im September 1984 seine Regierung um, besetzte fünf Ministerien neu, darunter das Finanzministerium, in das er Franz Vranitzky holte, sowie das Außenministerium, das der bisherige Wiener Bürgermeister Leopold Gratz führen sollte. Kreisky war damit nicht einverstanden und zog sich zurück. Von da war es nur mehr ein kleiner Schritt, um dann 1986 den Ehrenvor-

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sitz seiner Partei zurückzulegen und den Weg, den die SPÖ seit 1983 genommen hatte, als »größte Enttäuschung meines Lebens« zu bezeichnen.754 Natürlich hatten sich die Koalitionspartner einiges vorgenommen. Wie das im Regierungsprogramm zum Ausdruck gebracht wurde, ähnelte freilich fatal den altbekannten Worthülsen. Da galt es, »die Verstaatlichte Industrie weiter zu fördern« und deren »Beschäftigungsniveau  … zu erhalten« und ging es darum »ein investitionsfreudiges Klima« zu schaffen, sowie die »Wettbewerbsfähigkeit der Klein- und Mittelbetriebe« zu fördern. Konkret wurde ein Ziel im Regierungsprogramm genannt  : »Es besteht Übereinstimmung, das Donaukraftwerk im Raume von Hainburg zu bauen«.755 Und genau das sollte nicht geschehen und für einige zum Fiasko werden. Der Ausbau der Donau bei Hainburg war ein Projekt, das bereits 1952 geplant worden war. Mittlerweile war viel Wasser die Donau hinunter geronnen. Josef Klaus hatte das Vorhaben auf seiner Agenda. 1983 trat der Ausbau spät aber doch in ein konkretes Stadium. Es folgte die politische Absegnung, doch noch im selben Jahr begannen sich Umweltorganisationen gegen den Bau stark zu machen. Der Erfolg der Volksabstimmung über Zwentendorf hatte der Ökologiebewegung einen ungeheuren Auftrieb verliehen. Das Argument, es gelte eine einzigartige Aulandschaft zu erhalten, fand weit über die Parteigrenzen hinweg Befürworter. ÖVP und SPÖ waren gespalten. Gewerkschaft und Wirtschaft waren dafür  ; andere Gruppen dagegen. Eine Machtprobe zeichnete sich ab. Nach der Besetzung der Au durch Kraftwerksgegner und dem gewaltsamen Versuch, die Baustelle einzurichten und im vorgesehenen Kraftwerksareal die Bäume zu fällen, eskalierte der Konflikt. Sinowatz ließ das Vorhaben knapp vor Weihnachten abbrechen. Nach dem Weihnachtsfrieden kam für das Kraftwerk ein endgültiges Aus. Der Gewerkschaftsbund, vornehmlich die Bau- und Holzarbeitergewerkschaft, verstanden den Kanzler nicht mehr und zürnten. Wie wollte man Vollbeschäftigung sichern und die Wirtschaft ankurbeln, wenn das nächste Milliardenprojekt scheiterte  ? Es war eine Entscheidung des Kanzlers bzw. der SPÖ gewesen, nicht eine solche der Regierung. Die FPÖ hatte sich »tot« gestellt.756 Teile der ÖVP aber hatten sich mit der Ökologiebewegung solidarisiert. Weder die Sozialisten noch die Volkspartei stellten mehr jene monolithischen Blöcke dar, die fast unbeschränkten Einfluss hatten, wie man das noch bis 1966 bzw. 1983 hatte glauben wollen. Schon 1968 war deutlich geworden, dass soziale Bewegungen und dass insbesondere die Friedensbewegung auch auf Österreich ausstrahlten. Mit Zwentendorf und vollends mit Hainburg wurden dann Akzente gesetzt, die beispielhaft geworden sind. Wo sonst auf der Welt wurde ein schon fertiges Atomkraftwerk nicht in Betrieb genommen  ? Wo sonst ein anderes Großprojekt zur Energiegewinnung gestoppt  ? Das Beispiel machte Schule, hatte aber wohl auch zur Folge, dass die Fortschrittsgläubigen dieser Welt in den Österreichern Hinterwäldler sehen mussten.

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Kaum war die Erregung über Hainburg abgeklungen, ließ ein anderes Ereignis, ein »Fall«, wie viele meinten, die Wogen hochgehen. Im Januar 1985 wurde ein ehemaliger SS-Angehöriger, Walter Reder, aus italienischer Haft freigelassen. Reder, in Schlesien geboren und in Österreich aufgewachsen, illegaler Nationalsozialist, war nach dem Juliputsch 1934 nach Deutschland geflohen und ausgebürgert worden. Als Angehöriger der Waffen-SS nahm er an einer der schmutzigsten Formen des Kriegs, Massenhinrichtungen und Geiselerschießungen im Raum Bologna, vor allem im Dorf Marzabotto, teil. Nach einem sicherlich problematischen Prozess wurde Reder zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach dem österreichischen Staatsvertrag bemühte er sich um die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die ihm dank der Intervention von Innenminister Helmer auch zuerkannt wurde. Er galt fortan als »der letzte österreichische Kriegsgefangene«. Anfang der sechziger Jahre stellte das von Bruno Kreisky geführte Außenministerium schließlich fest, dass Reder der Status und die Behandlung eines Kriegsgefangenen im Sinn der Genfer Kriegsgefangenen-Konvention zukomme.757 Im April 1972 hatte Kreisky bei einem Staatsbesuch in Rom beim italienischen Staatspräsidenten Giovanni Leone interveniert, sich aber mit einer vagen Antwort zufriedengeben müssen.758 Vor allem die italienische Linke wollte den »Mythos der Resistenz« aufrechterhalten, meinte man in der österreichischen Botschaft in Rom. Doch die Interventionen waren weitergegangen. Britische Unterhausabgeordnete, Zeitungen in Österreich und Deutschland, österreichische Bundespräsidenten, Kardinäle und unzählige Privatpersonen intervenierten für Reder. Am 25. Januar 1985 wurde er freigelassen und am Flugplatz Graz-Thalerhof von Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager abgeholt. Der war einer von drei FPÖ-Ministern. Da Reder wegen Massenmordes verurteilt worden war, man wohl auch über seine prominenten Fürsprecher nichts wusste  – oder zumindest so tat  –, brach ein Sturm der Entrüstung los. Wäre der sicherlich nicht gut beratene Minister sofort zurückgetreten, hätte das Österreich viel erspart. So aber blieb ein Odium zurück und wurde aufzulisten begonnen  : Kreisky hatte mit seinem Eintreten für die PLO westliche Staaten und vor allem Israel herausgefordert. Ihm, dem österreichischen Juden, wurde ein »Hass« auf Israel attestiert. Er hatte keine klare Abgrenzung zur Deutschen Wehrmacht und nicht einmal zur SS vorgenommen und sogar einen ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS in sein Kabinett aufgenommen. Bei der Freilassung der Terroristen von Bad Schönau hatte er Nachgiebigkeit gezeigt. Das war offenbar einem bestimmten Muster gefolgt. Und nun tat ausgerechnet ein von Kreisky geduldeter Minister etwas, das als Verharmlosung von NS-Verbrechen gewertet wurde. Prompt sagte das Exekutivkomitee des Jüdischen Weltkongresses eine Ende Januar in Wien geplante Tagung ab.759 Der SPÖVerkehrsminister Ferdinand Lacina wollte nicht mehr gemeinsam mit Frischenschlager auf der Regierungsbank sitzen. Die ÖVP brachte einen Misstrauensantrag gegen den Verteidigungsminister ein. Daraufhin blieb der SPÖ nichts anderes übrig, als für

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Frischenschlager Partei zu ergreifen und seine öffentliche Entschuldigung, einer »Fehleinschätzung« erlegen zu sein, zu akzeptieren. Kaum war die Reder-Frischenschlager-Affäre aus den Schlagzeilen verschwunden, geriet die SPÖ in eine ganz andere Bedrängnis, denn ihr unverbrüchliches Eintreten für die Verstaatlichte Industrie und die immer wieder genannten Arbeiter vor den Hochöfen, drohte zum Fiasko zu werden. Vranitzky hatte schon 1984/85 vorgeschlagen, sich über die »Verstaatlichte« Gedanken zu machen.760 Die notwendigen Zuschüsse waren fast durchgängig höher als die Gewinne. Jahrelang hatte man sich über Großaufträge der DDR gefreut, hatte in Eisenhüttenstadt nahe der polnischen Grenze ein Konverterstahlwerk um 12 Milliarden Schilling hingestellt und damit den Beschäftigtenstand der VOEST hochgehalten. Doch gerade die Geschäfte mit der DDR waren defizitär. Und was noch schlimmer war  : 1985 brachen die Geschäfte mit der Deutschen Demokratischen Republik weg.761 Die Jahresverluste der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke, der VOEST, waren so hoch wie das Grundkapital. Alles Mögliche wurde genannt, um als Begründung für das Desaster herzuhalten  : Eine internationale Stahlkrise, hohe Verluste eines von der VOEST errichteten Stahlwerks in den USA und schließlich Spekulationsverluste.762 In Summe blieb sich’s gleich, und der Generaldirektor des Konzerns ließ es bei der Ankündigung des Debakels an Dramatik nicht fehlen  : »Wir sind pleite  ! – Verstehen Sie doch – Wir sind pleite  !«763 Also galt es, die Verstaatlichte Industrie, den Stolz der fünfziger und sechziger Jahre zu retten. Die Zulieferbetriebe eingerechnet ging es um Arbeitsplätze für 100.000 Arbeiter. Ein Flaggschiff und eines der Identitätsmerkmale Österreichs drohte kaputtzugehen. 71 Milliarden Schilling, ein fast unvorstellbar hoher Betrag, musste aufgebracht werden, um wenigstens Teile des Konzerns zu retten.764 Für die oppositionelle ÖVP sicherlich kein Grund zu triumphieren. Doch es war klar  : Die Kleine Koalition steckte in der Krise. Und die Misere wollte kein Ende nehmen. Der Regierung Sinowatz/Steger fiel als Nächstes der Export von Waffen an kriegführende Staaten auf den Kopf. Am 12. Juli 1985 starb der österreichische Botschafter in Athen, Herbert Amry. Er hatte zehn Tage zuvor dem Außenministerium seinen Verdacht gemeldet, dass über Athen ein illegaler Waffenexport abgewickelt werden sollte. Amrys Tod konnte nicht aufgeklärt werden, doch Journalisten der Zeitschriften »profil« und »basta« konnten den Verdacht erhärten  : Zwischen 1981 und 1983 waren 200 »Noricum«-Geschütze (GHN-45) aus Liezen über Jordanien in den Irak gegangen. Später wurde bekannt, dass auch der Iran beliefert worden war. Da sich beide Staaten seit 1980 im Krieg befanden, war das als klarer Verstoß gegen eine ganze Reihe gesetzlicher Bestimmungen, und als Neutralitätsgefährdung, zu werten, für die sich dann Politiker und Manager gerichtlich zu verantworten hatten. Noch war das Ausmaß der Exporte von Kanonen, die Österreich selbst wegen der geltenden staatsvertraglichen Bestimmungen nicht besitzen durfte,

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unklar. Doch selbstverständlich wurde gefragt, welche Rolle der Bundeskanzler und der für die Ausfuhrgenehmigungen zuständige Innenminister gespielt hatten.765 Plötzlich schien auch das nicht mehr zu halten, was man als Ergebnis der Kreisky’schen Bemühungen um eine besondere Beziehung zu den arabischen Staaten ansah und wovon man hoffte, dass es Österreich vor terroristischen Aktionen schützen würde. Weit gefehlt. Schon 1981 hatte der nahöstliche Terrorismus ein deutliches Zeichen gesetzt. Am 1. Mai war der Wiener Stadtrat Heinz Nittel vor seinem Haus erschossen worden. Die Nachricht von dem Mord führte zur Absage des traditionellen Maiaufmarsches der SPÖ und wurde zunächst als Rückfall in die Bürgerkriegsjahre der Zwischenkriegszeit gesehen. Kreisky hatte das Attentat anfänglich mit der Wiener Unterwelt in Verbindung bringen wollen. Und obwohl in Damaskus schon zwei Tage nach dem Mord an Nittel Flugblätter auftauchten, in denen sich eine Splittergruppe der Fatah des Mordes an dem »zionistischen Agenten« Nittel rühmte, blieb die Skepsis. Es wollte nicht in das Bild passen, das man sich gerade in Österreich von Kreiskys Nahostpolitik gemacht hatte. Bis dann am 29. August 1981 Mitglieder derselben Terrorzelle nahe der Wiener Synagoge in der Seitenstettengasse ein nächstes folgenschweres Attentat mit zwei Toten und 21 Verletzten ausführten, wobei zwei der Täter gefasst wurden. Spätestens jetzt war klar, dass Österreich im Fadenkreuz des nahöstlichen Terrors war. Im Dezember 1982 hatte Kreisky eine schriftliche Warnung der bis dahin in Österreich kaum bekannten Abu Nidal-Gruppe erreicht, in der es hieß, Österreich sei zum Operationsgebiet der Zionisten geworden, hätte sich den notorischen Verrätern der arabischen Sache, der Fatah des Jassir Arafat geöffnet, und wenn Österreich nicht auf seinen alten neutralen Kurs zurückkehre, würde Schlimmes passieren.766 Schließlich gab es drei Jahre später einen dritten schweren Anschlag. Am 27.  Dezember 1985, mitten in der Weihnachtszeit, stürmten Angehörige der Abu Nidal-Gruppe den Schalter der israelischen Fluglinie El Al in Wien-Schwechat, töteten drei Menschen und verletzten mehr als 40 teilweise schwer.767 Das Attentat erfolgte gerade zu der Zeit, als es zu einem Gefangenenaustausch von einem Israeli gegen 150 Palästinenser kommen sollte. Der Anschlag war regelrecht angekündigt und letztlich seit 1982 erwartet worden  :768 Sollten der Mörder von Heinz Nittel und Synagogen-Attentäter, Bahij Younis, sowie zwei weitere Mitglieder der Abu Nidal-Gruppe nicht freigelassen werden, würden weitere Attentate erfolgen, hatte es geheißen. Abgesandte von Abu Nidal suchten zu verhandeln. Ergebnislos. Kreisky schaltete sich ein. Der österreichische Botschafter in Paris, Georg Lennkh, flog nach Libyen und traf Gaddafi – wie fast üblich – in einem Beduinenzelt. Abu Nidal war Gaddafis Geschöpf. Kreisky ließ ausrichten, er würde sich im Fall eines neuerlichen Attentats »in einer sehr schwierigen Situation« befinden »und wohl kaum noch glaubwürdig für die Sache der Palästinenser eintreten können.«769 Auch Bundeskanzler Sinowatz würde um Intervention bitten. Doch offenbar war Gaddafis Einfluss zu gering gewesen oder er war zu

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spät gekommen. Er bedauerte jedenfalls nachträglich, dass es ihm nicht gelungen war, das Attentat zu verhindern. Da man natürlich nicht wusste, welches Ziel sich die Terroristen aussuchen würden, wurden die Sicherheitsvorkehrungen allgemein verstärkt. Schwechat war besonders geschützt worden. Doch es hatte nicht ausgereicht. Nachdem drei der vier Terroristen verhaftet werden konnten, erhöhte sich die Zahl der in Österreich zu teils lebenslangen Strafen verurteilten Palästinenser auf sechs. Und man musste zur Kenntnis nehmen, dass sich ganz offenbar zu der Tatsache, dass die Emigration russischer Juden weiterhin über Österreich lief und damit ein Gefährdungspotential gegeben war  ; dass die OPEC ihren Sitz in Wien hatte und man daher zumindest von einer fallweisen Gefährdung ausgehen musste, ein neues Element hinzugesellt hatte  : Auch die besten Kontakte zu den Regierungen arabischer Staaten und das Bemühen, das Bruno Kreisky und bis 1980 der UN-Generalsekretär Kurt Waldheim an den Tag legten, den Palästinensern internationale Anerkennung zu verschaffen, konnten nicht verhindern, dass Unzufriedene zum Mittel des Terrors griffen, um auf sich aufmerksam zu machen und die österreichisch-israelischen Beziehungen zu stören. Wien beherbergte nach London und Paris die größte arabische Gemeinde in Europa. War man zu sorglos gewesen und hatte tatsächlich glauben können, dass Österreich eine »Insel der Seligen« sei  ? Gab es tatsächlich eine Verbindung von neonazistischen Gruppen in Österreich und arabischen Terroristen, wie man das seit dem Sommer 1982 vermutete  ?770 War Kreisky zuzustimmen, wenn er meinte  : »Die Bekämpfung des Terrors durch absolute Verweigerung der Forderungen der Terroristen hat in den seltensten Fällen zur Kapitulation der Terroristen geführt«  ?771 War verhandeln tatsächlich der bessere Weg  ? In Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien und den USA war man ursprünglich wohl auch der Meinung gewesen, hatte aber dann auf die harte Linie umgestellt. Die Wiener Attentate waren jedenfalls wie ein Schock auf Raten. Doch wie bei vergleichbaren Ereignissen hielt der Schock nie lang an. Und schon bald galt das Interesse wieder vornehmlich der Innenpolitik. Verständlich auch, denn für die SPÖ ergab sich erstmals seit 1970 ein Rückstand in der Wählergunst. Der Abwärtstrend, der – und das sollte man nicht außer Acht lassen – ja schon 1983 unter Kreisky begonnen hatte, setzte sich fort, und wären noch 1985 Nationalratswahlen gewesen, hätte sehr wahrscheinlich die Volkspartei gewonnen. Auch sonst sah sich die ÖVP im Aufwind, denn für die im Frühjahr 1986 stattfindenden Bundespräsidentenwahlen hatte sie vor, einen Kandidaten aufzustellen, an dessen Sieg kaum zu zweifeln war  : Kurt Waldheim. Der frühere Botschafter bei der UNO, dann Außenminister, schließlich durch zehn Jahre Generalsekretär der Vereinten Nationen, war von Fred Sinowatz kurze Zeit als gemeinsamer Kandidat von SPÖ und ÖVP überlegt worden, doch dann trat Waldheim ausschließlich für die ÖVP gegen den zwar angesehenen, international aber zweifellos kaum bekannten Gesundheitsminister der Regierung Sinowatz/Steger, Kurt Steyrer, an. Die Kandidatin der Grünen Alternative, Freda Meissner-Blau,

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galt noch als politisches Leichtgewicht. Die Siegeszuversicht der ÖVP blieb, doch der Wahlkampf verlief alles andere als normal. Und er begann ein gutes Jahr vorher. Kurt Waldheim und die Watchlist Es begann damit, dass gemunkelt wurde, Waldheim wäre nicht nur einfacher Offizier der Deutschen Wehrmacht gewesen, sondern hätte ein nicht näher gekanntes Nahverhältnis zum NS-Regime gehabt. Dann erinnerte man sich  : Schon 1971, als Waldheim das erste Mal zu einer Bundespräsidentenwahl angetreten war, wurden Dokumente aus der Kriegszeit unter der Hand weiter gegeben, und war ein Foto herumgezeigt worden, das den ja auffallend hochgewachsenen, hageren Offizier als Dolmetsch bei einem Treffen italienischer und deutscher Offiziere auf dem Flugplatz von Podgorica in Montenegro zeigte. Waldheim fungierte damals als Verbinungsoffizier zu den Italienern und gehörte anschließend zum Stab der Heeresgruppe E, deren Oberbefehlshaber Generaloberst Alexander Löhr war. Löhr wurde Anfang 1985 in der Landesverteidigungsakademie in der Wiener Stiftskaserne als »Schöpfer der österreichischen Luftwaffe« mit einer Gedenktafel geehrt. Da Löhr für den Luftangriff auf Belgrad 1941 verantwortlich gemacht wurde und 1947 von einem jugoslawischen Militärtribunal als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet worden war, wurde die Anbringung dieser von einem privaten Klub gespendeten Tafel skandalisiert. Sie musste entfernt werden. Wieder, wenngleich auf einem Umweg, war Waldheim ins Gerede gekommen. Immer mehr Stellen interessierten sich für ihn. Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv wurden ausländischen Medien zugespielt, um ihn zu diskreditieren, bis schließlich ab März 1986 in Tagesabständen in Zeitungen und Zeitschriften über ihn geschrieben wurde. Da sich Waldheim verschwiegen gab, seine autobiographischen Aufzeichnungen über den Krieg hinwegglitten, er sich an manches auch nicht erinnern konnte, wurde gefragt  : Was verschweigt er, warum hat er seine Erinnerungslücken nicht schon früher geschlossen  ; sollte er seine Kandidatur zurückziehen  ? Er tat es nicht und wurde am 8. Juni 1986 zum Bundespräsidenten gewählt. Von einem Tag auf den anderen stand wieder einmal ganz Österreich unter Beobachtung. Denn die Österreicher waren es gewesen, die ihn gewählt hatten. Wer geglaubt hatte, nach der Bundespräsidentenwahl würde die Erregung allmählich abklingen, sah sich getäuscht. Die Erregung hielt an, allerdings gab es einen Wechsel bei den handelnden Personen. Fred Sinowatz drückte kein schlechtes Gewissen, als er noch vor der Bundespräsidentenwahl vertrauliche Gespräche mit seinem Finanzminister, Franz Vranitzky, aufnahm und ihm sein Amt antrug. Vranitzky stimmte schließlich zu. Der Wahlsieg Waldheims gab den Ausschlag  : Sinowatz demissionierte am Tag danach. Seinen Vorgänger, Kreisky, hatte Sinowatz erst knapp vor seiner Demission in Kenntnis

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gesetzt und ihn wissen lassen, dass Franz Vranitzky neuer Regierungschef werden sollte. Er wusste natürlich, dass der »Neue« nicht Kreiskys Wahl war. Kreisky grollte. Vranitzky hätte sich gewiss einen anderen Anfang gewünscht. Noch dazu wusste er, dass er auch von seiner eigenen Partei nicht nur Zustimmung zu erwarten hatte. Er war eine Art Quereinsteiger, hatte also nicht eine der üblichen Parteikarrieren hinter sich, war Technokrat, Banker, also alles, was sich nicht in ein traditionelles sozialistisches Bild einfügte.772 Zudem war er wie viele in Wirtschaft und Hochfinanz Großkoalitionär. Anfänglich aber schien die Regierungsarbeit ihre Fortsetzung zu finden. Vranitzky akzeptierte die vom Ehrenvorsitzenden der SPÖ, Bruno Kreisky, gewünschte und von Sinowatz eingegangene Partnerschaft mit den Freiheitlichen. Es wurde auch gemunkelt, er wäre sogar bereit gewesen, den Obmann der Kärntner FPÖ, Jörg Haider, an Stelle von Norbert Steger zum Handelsminister zu machen.773 Doch am 13. September 1986 war dann alles anders. Haider wurde an Stelle Stegers zum Bundesparteiobmann der FPÖ gewählt. Seine Wahl war von rechtsextremen Ausfällen und einer »Sieg-HeilStimmung« geprägt.774 Schon tags darauf teilte Vranitzky seine Absicht mit, die Kleine Koalition aufzukündigen und Neuwahlen anzusetzen. Sie fanden im November 1986 statt. Die ÖVP rechnete sich gute Chancen aus, stimmen- und mandatsstärkste Partei zu werden. Damit wäre die behutsame und langfristige Strategie von Alois Mock aufgegangen. Vranitzky machte diese Hoffnung zunichte. Die SPÖ blieb vorne. Die einen meinten, mit der Wahl Kurt Waldheims hätte die ÖVP ihren Sieg bereits »konsumiert« gehabt  ; andere wollten in der deutlichen Absage an die von Haider geführten Freiheitlichen eine Art Befreiungsschlag sehen, mit dem die SPÖ aus ihrem Tief in der Wählergunst herauskam. Schließlich verloren ÖVP und SPÖ gegenüber den Freiheitlichen, die ihren Stimmenanteil verdoppeln konnten. Die Absage Vranitzkys an die FPÖ war so klar gewesen, dass sich eine Kleine Koalition verbot. Die sehr viel grundsätzlichere Entscheidung war daher die der ÖVP, die wohl auch vor einer Zusammenarbeit mit Jörg Haiders FPÖ zurückschreckte, auf die Wünsche der Wirtschaft hörte und vielleicht auch die Nachwehen der Wahl Kurt Waldheims gerne Franz Vranitzky überlassen wollte. Die Meinungen über die Sinnhaftigkeit einer Großen Koalition waren geteilt. In der Wirtschaft überwog die Zustimmung. Die Große Koalition schien Stabilität zu signalisieren, und man hoffte, an die Zeiten des Aufschwungs anknüpfen zu können. Die gegenteilige Meinung vertraten diejenigen, denen die Pattsituation der frühen sechziger Jahre erinnerlich war und die einen neuerlichen Reformstau, endlose Querelen und »Packelei« befürchteten. Doch die Ordnung von ehedem schien wiederhergestellt zu sein. Im Januar 1987 erfuhr die Große Koalition eine Neuauflage. Und »Die Zwei« gingen zum elften Mal in der Geschichte der Zweiten Republik daran, die Geschicke des Staates zu lenken. Aufgaben gab es genug. Von Vranitzky wurde zumindest erwartet, dass er unverkrampft und dy-

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namisch an die Dinge herangehen würde. Allerdings überließ der noch designierte Bundeskanzler das Außenministerium der ÖVP, genauer gesagt  : Alois Mock. Die Entscheidung, einem der konsequentesten Kritiker seiner Außenpolitik das Außenamt zu überlassen, war für Bruno Kreisky der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er hatte schon am 9. Juni 1986 Fred Sinowatz verständigt, dass er seine bereits längere Zeit gehegte Absicht verwirklichen und auf den Ehrenvorsitz der SPÖ verzichten wollte. Am 15. Januar 1987 machte er diesen Entschluss öffentlich. Er schob allerdings Adolf Schärf vor und meinte, die Übernahme des Außenamts durch Alois Mock würde einen Bruch mit der Politik des seinerzeitigen Vizekanzlers und Bundespräsidenten darstellen. In Wirklichkeit ging es aber um ihn selbst und das, was er ein halbes Jahr zuvor nur für das Parteiarchiv geschrieben hatte. Kreisky rechnete mit seiner Partei ab und nannte jene Personen, die ihm den Ehrenvorsitz verleidet hatten, vorneweg Hannes Androsch, und nicht minder deutlich Fred Sinowatz, Leopold Gratz und Helmut Zilk. An Letzterem fand er besonders tadelnswert, dass er ungeniert Fernsehen und »KronenZeitung« zum eigenen Vorteil eingesetzt hatte. Und von Vranitzky erwartete er nicht, dass er gegen Mock bestehen könnte. Da wurde richtig Schmutzwäsche gewaschen.775 Der neue Bundeskanzler bedauerte zwar den Schritt seines Vor-Vorgängers, doch er musste ihn hinnehmen, wollte er die neue Große Koalition zustande bringen. Dass es seinen Anfang erleichterte, konnte aber niemand behaupten. Angesichts einer wachsenden Verschuldung Österreichs schien Vranitzkys Ankündigung »Der Staat ist kein Selbstbedienungsladen«776 mehr als plausibel. Es gab nichts mehr zu verteilen, daher schien auch ein früherer Banker und Finanzminister eine gute Wahl zu sein. Wer freilich geglaubt hatte, die neue Große Koalition würde sich mit ganzer Kraft auf die Lösung der anstehenden Probleme werfen können, sah sich getäuscht. Zunächst dominierte der »Fall« Waldheim und zog die Aufmerksamkeit eines Großteils der Welt auf sich. Im März 1986 hatten sich die Medien auf den früheren UN-Generalsekretär Waldheim eingeschossen. Zeitungen und Zeitschriften begannen, sich mit Meldungen und »Enthüllungen« zu überbieten, bis schließlich das Massenblatt »New York Post« am 26. März titelte  : »Papers show Waldheim was SS Butcher«.777 Das war nun eine glatte Lüge. Doch statt die Zeitung zu verklagen, wurde lediglich dementiert. Vorbehalte und alte Feindschaften lebten wieder auf. Wer hatte Jassir Arafat den Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen ermöglicht  ? Waldheim  ! Wer hatte die USA wegen des Bombardements nordvietnamesischer Staudämme scharf kritisiert  ? Waldheim  ! Jetzt wollte man sich einmal mit Kurt Waldheim beschäftigen, jenem Mann, der sich um ein für die meisten wohl wenig bedeutsames Amt bewarb. Da sich ein Teil der zunächst nicht belegbaren Vermutungen über Waldheims Kriegsjahre später bestätigte und Waldheim immer wieder Erinnerungslücken geltend machte, spornte das den investigativen Journalismus von Neuem an. Schließlich wurde Waldheims Aussage »Ich habe im Krieg nichts anderes getan als Hunderttausende Österreich auch, nämlich

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meine Pflicht als Soldat erfüllt.« als regelrechte Provokation gesehen. Mehr und mehr wuchs damit der »Fall« Waldheim über sich hinaus und wurde zu einer Abrechnung mit der österreichischen Kriegs- und Nachkriegszeit. Da wurde nicht mehr nach dem Anteil Österreichs am deutschen Widerstand gefragt, sondern wurde die Formulierung der Moskauer Deklaration, wonach Österreich das erste Opfer der NS-Expansionspolitik gewesen war, als Lebenslüge abgetan. Tatsächlich hätten Österreicher erheblichen Anteil an der Kriegführung Großdeutschlands gehabt und vor allem einen beträchtlichen Anteil an der Vernichtungspolitik des Regimes. Nicht die Opfer stünden daher im Vordergrund, sondern die Täter, hieß es. Man konnte sich durchaus in die erste Phase der Staatsvertragsverhandlungen zurückversetzt glauben, als der sowjetische Vertreter in der Staatsvertragskommission, Fedor T. Gusev, 1947 immer bohrender geworden war und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber den Anteil Österreichs an der Kriegführung vorgehalten hatte. Unbeschadet dessen hatte für Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Minister sowie einen erheblichen Teil der Zivilgesellschaft Jahrzehnte hindurch das Wort von der »Pflichterfüllung« zumindest sinngemäß gegolten. Und erst vierzig Jahre später wurden die einfachen Antworten nicht mehr akzeptiert. Es war zwar schon längst differenziert worden, doch wen interessierte das  ? Es dauerte nicht lange, und Waldheim wurde zum Synonym für Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. Daher mutierte das Vorgehen gegen Waldheim schnell zur Abrechnung mit der österreichischen Nachkriegszeit. »Es ist ihnen zu lange zu gut gegangen.« (»they had it too long too good«) war dann die einfache Formel, die man in den USA gebrauchte, und den »Fall« Waldheim als willkommene Gelegenheit sah, den aufgestauten Unmut über Österreich abzureagieren.778 Das setzte sich in Österreich fort, und vierzig Jahre nach dem Krieg begann eine nachgeborene Generation bohrende Fragen zu stellen. »Ich habe ihn nicht gewählt.« war der Wahlspruch derer, die sich von Waldheim distanzieren wollten. Doch kaum jemand konnte sich ganz den pauschalen Verurteilungen entziehen, die Österreich als Nazi-Land und die Österreicher als Antisemiten brandmarkten. Nicht einmal der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien gelang es, die Verallgemeinerungen zu verhindern oder sie zumindest zu minimieren.779 Die Affäre Waldheim erfuhr am 27. April 1987, ausgerechnet am Jahrestag der österreichischen Unabhängigkeitserklärung, eine neue dramatische Steigerung, als das amerikanische Justizministerium auf Antrag des World Jewish Congress Waldheim auf die Liste der mutmaßlichen Kriegsverbrecher, die »Watchlist«, setzte. Es war eine Vorverurteilung. In Österreich war man von dem Schritt wohl vorher informiert worden. Für den Fall, dass Kanzler oder Regierung dafür haften wollten, dass sich Waldheim nichts zu Schulden hatte kommen lassen, wäre die Maßnahme der amerikanischen Regierung ausgesetzt worden. Doch niemand wollte die Haftung übernehmen. Stattdessen wurde eine Historikerkommission eingesetzt, die vornehmlich aus den Präsidenten und Mit-

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gliedern einer UNESCO-Subkommission, der Internationalen Kommission für Militärgeschichte, bestand. Die Historiker sollten prüfen. Vom Zusammentreten der Kommission bis zur Abgabe des Schlussberichts vergingen 160 Tage. Am 8. Februar 1988 wurde der Bericht der Bundesregierung übergeben. Schlagartig setzten Deutung und Umdeutung ein. Die einen lasen heraus, dass die Kommission Waldheim für schuldig erklärt habe, die anderen, dass er absolut unschuldig sei. Erst nachträglich wurde bekannt, dass die Historiker nicht nur einem gewaltigen Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt gewesen waren, dass immer wieder versucht wurde, ihnen gefälschte Dokumente unterzujubeln und zum Schluss auch hohe Bestechungssummen ins Spiel gebracht wurden.780 Der Bericht war ein Verdikt. Es dauerte Tage, bis der ärgste Wirbel vorbei war, bis der Bericht auch wirklich gelesen und analysiert war. Eines war zwar sehr rasch evident geworden, nämlich die Tatsache, dass die Frage, ob Kurt Waldheim Kriegsverbrechen zum Vorwurf gemacht werden konnten, glatt verneint worden war. Doch es gab auch Formulierungen, die ihn anklagten und von der Quintessenz getragen wurden  : Mitwissen sei Mitschuld. Galt das für eine ganze Generation  ? Die Folge des Berichts war eine Art Ächtung des österreichischen Bundespräsidenten durch die westliche Staatengemeinschaft. Nicht freilich durch die arabische Welt, aber auch nicht seitens der Sowjetunion und den Staaten im sowjetischen Einflussbereich. Dorthin aber wollte Waldheim keine Staatsbesuche machen. Erst mit dem Ende der Debatte um die Kriegsvergangenheit Kurt Waldheims stellte sich wieder so etwas wie Normalität ein. Die Isolation des Bundespräsidenten brachte eine Verlagerung der Aufgaben insofern mit sich, als Kanzler und Außenminister die Vertretung Österreichs gegenüber dem Ausland mehr oder weniger im Alleingang zu bewältigen hatten. Beide hatten mit Handicaps zu kämpfen. Schon während des Wahlkampfs 1986 war bei Alois Mock eine Parkinson-Erkrankung diagnostiziert worden, die ihn körperlich zunehmend behinderte. Doch der politische Alltag kannte keine Rücksichtnahme. Der Kanzler wiederum sah wohl weniger sich als seine Partei in einem Popularitätstief. Vrantizky musste zur Kenntnis nehmen, dass ihm die eigene Partei abhandenkam. Er wurde immer wieder mit Kreisky verglichen und musste sich sagen lassen, er wäre weniger inspirierend, hätte keine Visionen, wäre wohl auch ungeeignet, den Österreichern die Welt zu erklären. Die Mitgliederzahlen der Kanzlerpartei gingen stetig zurück.781 SPÖ-Mitglieder wanderten zu Haiders Freiheitlichen und zu den »Grünen« ab, die sich nicht nur als Umweltpartei, sondern auch als linke Alternative zeigten. Beide zogen vermehrt Jugendliche an, die sich von den von Haider so genannten »Altparteien« distanzieren wollten. Während sich Vranitzky wie Mock den so unterschiedlichen Herausforderungen zu stellen hatten, sahen sie sich unvermutet Herausforderungen gegenüber, die nach alliierter Besetzung und Staatsvertrag wohl den größten Einschnitt im historischen Ablauf der Nachkriegszeit bedeuteten.

21. Die Implosion im Osten

21 Die Implosion im Osten

21 Jubel über die gelungene Flucht. DDR Bürger nach dem Paneuropäischen Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze am 19. August 1989. Die Ankündigung eines Festes an der Grenze zwischen St. Margarethen im Burgenland und Sopronköhida in Ungarn am Geburtstag des letzten österreichischen Kaisers und Königs von Ungarn, Karl I. (Károly IV.), nützten mehr als 700 Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zur Flucht. Sie leiteten damit nicht nur eine größere Fluchtbewegung ein, sondern signalisierten auch das Ende der kommunistischen Regime in Ostmitteleuropa. (Foto: APA picturedesk)

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aren es Friedrich Engels, Thomas Mann oder Hugo von Hofmannstahl,782 die den Begriff »Konservative Revolution« in Schrifttum und Diskussion warfen  ? Armin Mohler hat ihn 1950 jedenfalls aktualisiert. Allen oder zumindest den meisten Definitionen war gemeinsam, dass damit »rechte« Strömungen und Bewegungen gemeint waren, und ihre Akteure als antiliberal, antidemokratisch und antiegalitär eingestuft wurden. 1989 hätten sich wohl die meisten Bannerträger von grundlegenden Veränderungen in den ostmitteleuropäischen, kommunistisch regierten Staaten im Einflussbereich der Sowjetunion mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, Akteure einer konservativen Revolution genannt zu werden. Nachträglich konnte man das in ihnen aber durchaus sehen. Zunächst, freilich, wurden sie handelnde Personen im Rahmen eines Vorgangs, der das Jahr 1989 nach 1914 und 1939 zum dritten Epochenjahr des 20. Jahrhunderts werden ließ. Hoffnung auf den ewigen Frieden In Österreich wie in den meisten Ländern der Welt war Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts Staunen im Hinblick darauf angesagt, wie sich in der Sowjetunion Veränderungen anbahnten. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail S. Gorbačëv leitete eine vollkommene Abkehr von der zumindest seit 1968 geltenden Brežnev-Doktrin ein und riss die Staaten des kommunistischen Staatengürtels im Vorfeld der Sowjetunion mit. Die sowjetische Staatenwelt drohte in der Folge an etwas zu zerbrechen, das dazu gedacht gewesen war, ihr System zu erhalten, nämlich an den Ergebnissen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der »Helsinki Schlussakte«. Aber es war sicherlich mehr als die langsam auch im »Ostblock« wirksam werdende Informationsfreiheit, die dann zur Implosion führte. Die USA unter Präsident Ronald Reagan hatten alles darangesetzt, die Sowjetunion »niederzurüsten« und waren damit erfolgreich. Das nur mehr mit Mühe aufrechtzuerhalten gewesene politische System und der Wirtschaftsraum des Ostblocks mit seinen schwerfälligen Steuerungsmechanismen und seiner gleichmacherischen Gesellschaftsordnungen waren am Zusammenbrechen und wären nur mehr mittels eines massiven Einsatzes militärischer Gewalt zu erhalten gewesen. Gorbačëv wollte diese Gewalt nicht einsetzen. Eine Kettenreaktion war die Folge.783

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In Polen bereitete die Gewerkschaftsbewegung Solidarność den Weg  ; in Ungarn waren es der einsetzende Wirtschaftsliberalismus und die Erinnerung an 1956  ; in der Tschechoslowakei knüpfte man an 1968 an  ; und in der DDR waren es das Aufbäumen gegen die deutsche Teilung und der als durchaus nationalistisch zu verstehende Wunsch nach einem Zusammengehen mit der Bundesrepublik Deutschland, die die Veränderungen einleiteten. Österreich war für alle ostmitteleuropäischen Staaten das schon traditionelle Tor zum Westen. Für Ungarn, Tschechen und Polen in besonderer Weise. Auch die DDR hatte dieses »Tor« genützt. 1989 bot sich das neutrale Österreich abermals an, so wie schon 1956, 1968 und 1981. Es sollte das letzte Mal sein. Ungarn war dann das erste Land, das nicht nur die Reform seines politischen Systems anging, sondern auch ein sichtbares Zeichen setzte, dass es seine ohnedies schon brüchig gewordene Isolation aufgeben wollte. Ministerpräsident Miklós Németh absolvierte seine erste Auslandsreise nicht wie es die »Tradition« verlangte nach Moskau, sondern nach Österreich. Er traf sich mit Bundeskanzler Vranitzky in Rust und informierte ihn darüber, dass die Grenzsicherungen abgebaut werden sollten. An der rumänischen Grenze war der Abbau bereits voll im Gang. Am 2. Mai 1989 wurde auch mit dem Abbau entlang der österreichischen Grenze begonnen. Schließlich durchtrennten am 27.  Juni der österreichische und der ungarische Außenminister, Alois Mock und Gyula Horn, medienwirksam das letzte Stück Stacheldraht. Sechs Wochen später nützten rund 700 DDR-Bürger ein in Erinnerung an den Geburtstag des letzten österreichischen Kaisers Karl am 19. August 1989 abgehaltenes Pan-Europäisches Picknick direkt an der österreichische-ungarischen Grenze zur Flucht. Niemand hat geschossen. Fünf Tage später brachte eine Maschine der »Swiss Air« 108 Bürger der DDR nach Wien-Schwechat. Sie wurden mit Bussen an die deutsche Grenze bei Passau gebracht. Noch im Bus begannen sie zu singen  : »Deutschland, Deutschland über alles«.784 Am 11. September öffnete Ungarn definitiv seine Grenzen, um DDR-Bürgern die Ausreise zu ermöglichen. In Österreich wusste man nicht so recht, wie man sich verhalten sollte. Dass die Sympathien klar auf Seite derer lagen, die das alte Regime abschütteln oder auch fliehen wollten, war klar. Um aber keinen Verstoß gegen neutralitätsrechtliche Verpflichtungen zu begehen und die Flüchtlinge mit der staatseigenen Bundesbahn zu transportieren, wurden schon die am 19. August flüchtenden DDR-Bürger mit Bussen an die Grenze der Bundesrepublik gebracht. Dasselbe Verfahren wählte man dann bei der Massenausreise von Ostdeutschen im September. Als man ans Zählen ging, ließ sich eine ungefähre Zahl von 50.000 Menschen erheben, die auf die unterschiedlichste Art über Österreich den Weg in die BRD fanden.785 Um sich nicht womöglich rechtfertigen zu müssen, sagte Bundeskanzler Vranitzky einen für 25. September in Ostberlin geplanten Besuch zunächst ab.786 Zwei Monate später reiste der Kanzler dann doch nach Berlin. Dazu hatte wohl die Einschätzung österreichischer Diplomaten beige-

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tragen, die ein baldiges Ende der DDR für unwahrscheinlich hielten.787 Mit dieser Auffassung standen sie nicht alleine da. Vranitzky signalisierte Nichteinmischung. Für Ostdeutschland waren dieser Besuch sowie ein kurz darauf angesetzter Gegenbesuch des ostdeutschen Ministerpräsidenten Hans Modrow in Wien aber insofern ein wichtiges Signal, als sie hofften, ihr Regime mit österreichischer Hilfe doch noch an der Macht halten zu können. Für die »Berliner Zeitung« war denn auch Österreich ein »Freund in schweren Zeiten«.788 Modrow konnte sich auch gut vorstellen, dass die DDR oder besser noch ganz Deutschland wie Österreich immerwährend neutral werden könnte. Außenminister Mock bezeichnete die Idee als »irreal«. Er sollte Recht behalten, und bei der deutschen Vereinigung ging es nicht mehr um das Ob, sondern nur mehr um das Wann – allen Unkenrufen und dem Gemurmel von einem »Vierten Reich« zum Trotz. Fast zeitgleich wie in Ungarn wurden auch in Polen die entscheidenden Schritte zur Beendigung der kommunistischen Herrschaft gesetzt. Am 24. August 1989 wurde einer der führenden Oppositionspolitiker, Tadeusz Mazowiecki, zum ersten nichtkommunistischen Regierungschef gewählt. Schließlich leiteten ab dem 4. September die Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen großen Städten der DDR auch in Ostdeutschland die Wende ein. Nicht zuletzt die Bilder von den Vorgängen an der österreichisch-ungarischen Grenze hatten die Menschen in der DDR aufgewühlt. Mit Sprechchören »Wir sind das Volk« und »Deutschland einig Vaterland« wurden unüberhörbare Zeichen des Protests und des Ziels der Demonstrationen gesetzt. Am 9. November wurde die Grenze zur BRD geöffnet. Acht Tage später eskalierte auch die Protestbewegung in der Tschechoslowakei. Die tschechischen Kommunisten wollten sich an der Macht erhalten. Kurze Zeit drohte der Einsatz von Gewalt. Dann wurde auch hier ein gewaltfreier Übergang gefunden, und der Sprecher des Bürgerforums, Václáv Havel, zum Staatspräsidenten gewählt. Rumänien war schließlich das einzige Land, bei dem der Übergang von der kommunistischen Herrschaft zu halb-demokratischen Verhältnissen gewaltsam erfolgte. Über 1.000 Menschen ließen ihr Leben. Der Langzeit-Diktator Nicolae Ceauşescu und seine Frau wurden am 25. Dezember 1989 umgebracht. In Österreich verfolgte man die Entwicklung teilweise hautnah, erlebte im Dezember 1989, als für 24 Stunden die Grenzen zur Tschechoslowakei frei passierbar waren, wie sich Hunderte Busse nach Ostösterreich wälzten und durch Wien fuhren. Verbrüderungsszenen waren ebenso zu sehen wie fallweise Ablehnung. Doch die Freude dominierte, und die Aussicht, dass das blutige 20. Jahrhundert friedlich zu Ende gehen würde, beflügelte jedenfalls. Tatsächlich schien der Kalte Krieg ein für alle Mal vorbei, ohne dass abzuschätzen war, was nachkommen und wie es weitergehen würde. Doch dass sich mit dem heraufdämmernden Ende von Warschauer Pakt, COMECON und einem sowjetischen Glacis ostmitteleuropäischer Staaten etwas ergeben könnte, das

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nicht nur für Österreich eine Zäsur bedeuten würde, konnte man zumindest ahnen. Grenzen wurden durchlässig, die Kontrollen verkamen zur Formsache. Hinweise darauf, dass die Entfernung von Wien nach Krakau geringer war als jene nach Innsbruck, Bregenz etwa so weit entfernt war wie Przemyśl an der polnisch-ukrainischen Grenze, drangen erst allmählich ins Bewusstsein. Bis dahin hatte man nur gewusst, dass die Entfernung von Bregenz nach Paris geringer war als die Distanz nach Wien. Nachbarschaft  – das musste als nächstes gelernt werden  – verlangte auch Rücksichtnahme. Und an der mangelte es zumindest anfänglich, nicht zuletzt in Österreich. Weitgehend unbeachtet blieb, dass die durch die Auseinandersetzung um Kurt Waldheim in Österreich enorm gesteigerte Beschäftigung mit der jüngeren und jüngsten Vergangenheit, vor allem mit der NS-Zeit, in den Staaten Ostmitteleuropas durchaus Entsprechung fand. In Polen begann man damit, sich eingehender mit der Teilnahme von Polen an der Judenverfolgung zu beschäftigen.789 In der Tschechoslowakei rührte das Aufwerfen der Frage über die Rechtmäßigkeit der Beneš-Dekrete, mit denen die kollektive und entschädigungslose Vertreibung der Deutschsprachigen 1945/46 gerechtfertigt wurde, an das Selbstverständnis und hatte harsche Reaktionen auch gegenüber Österreich zur Folge.790 In Ungarn wurde die Beteiligung des Ministerpräsidenten der Revolution von 1956, Imre Nagy, an der Erschießung der Zarenfamilie in Jekaterinburg 1918 empört zurückgewiesen.791 Doch sicherlich musste man den »Reformstaaten« Zeit geben, ihre weiter zurückliegende Vergangenheit aufzuarbeiten, da sie noch vollauf mit ihrer allerjüngsten Geschichte beschäftigt waren. Letztlich verband sie auch das mit Österreich und trennte sie gleichermaßen  : Alle hatten ihre Traumata. Vorderhand ging es aber darum, mit den Änderungen der jeweiligen Revolutionen klar zu kommen. Das konnte seine positiven aber auch regelrecht unsympathischen Züge haben. Bei vielen Österreichern, vornehmlich im Osten, wurde eine neue Art von Geschäftssinn geweckt. Man fuhr nach Ungarn und in die Tschechoslowakei, um einzukaufen oder zum Friseur zu gehen. In den kleinsten niederösterreichischen und burgenländischen Orten stapelten sich Fernsehapparate, Waschmaschinen und technische Geräte jeglicher Art in der Hoffnung auf Käufer »von drüben«. Das bedeutete freilich nicht, dass auch Vorurteile abgebaut wurden. Ganz im Gegenteil  : Die Furcht vor Kriminellen, die die Möglichkeit zum unproblematischen Grenzübertritt nutzen könnten, nahm sprunghaft zu. In Hohenau a. d. March, beispielsweise, verhinderte die Bevölkerung den Bau einer Notbrücke, der dazu dienen sollte, den kleinen Grenzverkehr in Gang zu setzen. Bevorstehende Landtagswahlen im Burgenland führten dazu, dass der burgenländische Landeshauptmann, Hans Sipötz, im September 1990 den Einsatz von Assistenztruppen des Bundesheers forderte. Der Ministerrat stimmte zu. Wie schon 1967 wurde das Heer zu einem letztlich innenpolitisch motivierten Assistenzeinsatz herangezogen. Er sollte 21 Jahre, bis 2011, dauern  ! Zuletzt wurden 450 Kilometer Staatsgrenze überwacht.

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Eigentlich war nichts besser geeignet, den Wandel deutlich zu machen  : Bis 1989 riegelte sich der »Osten« hermetisch ab  ; 1990 begann sich Österreich abzuriegeln. Und ohne dass es dabei einen direkten Zusammenhang gegeben hätte, holte sich auch Österreich ein Stück Souveränität zurück. Am 12. September 1990 wurde in Berlin der sogenannte »Zwei-plus-Vier-Vertrag« unterzeichnet, mit dem die deutsche Teilung beendet und einem vereinigten Deutschland seine volle Souveränität gegeben wurde. Damit war auch die Bestimmung im Österreichischen Staatsvertrag hinfällig geworden, wonach Österreich verpflichtet sein sollte, die Wiederaufrüstung Deutschlands zu verhindern. Am 6. November 1990 sandte die österreichische Bundesregierung den vier anderen Signataren des Staatsvertrags eine Mitteilung zu, dass sich nicht nur im Verhältnis zu Deutschland eine Änderung ergeben hätte, sondern es auch als überholt anzusehen wäre, dass Österreich weiterhin denkbar unzeitgemäße militärische und Luftfahrtbestimmungen auferlegt würden.792 Sie waren in den Artikeln 13 bis 16 des Staatsvertrags enthalten. Da die ehemaligen Alliierten diese Mitteilung zustimmend zur Kenntnis nahmen, fielen die meisten Bestimmungen über »Spezialwaffen« ebenso wie das »Verbot des Erwerbs von Flugzeugen deutscher oder japanischer Bauart« oder solcher Luftfahrzeuge, bei denen – wie beim »Airbus« wichtige Teile deutschen oder japanischen Ursprungs waren, weg. Atomwaffen und Massenvernichtungsmittel sowie chemische Kampfstoffe wollte Österreich weiterhin nicht besitzen. Ab nun war aber die Beschaffung von Panzerabwehr-Lenkwaffen, Luftabwehrraketen und Geschützen, die über 30 Kilometer schießen konnten, erlaubt. Dass Österreich zudem Seeminen, Torpedos und Unterseeboote haben durfte, konnte man mit einer gewissen Heiterkeit festhalten. Vielleicht wären auch andere Artikel des Staatsvertrags wert gewesen, für obsolet erklärt zu werden, z. B. die Bestimmung des Artikels 10, Punkt 2, der die Modalitäten der Landesverweisung und des Vermögensverfalls von Habsburgern analog zum Bundesgesetz vom 3. April 1919 regelte. Doch daran wollte zumindest die SPÖ nicht rühren. Die Bestimmung galt also weiterhin und war im Verfassungsrang. Österreich war folglich weiterhin »verpflichtet … das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend das Haus Habsburg-Lothringen, aufrechtzuerhalten«. Zudem blieben Titel und Vorrechte des Adels weiterhin abgeschafft. Wohl aber wurde auch der Artikel 22, Punkt 13 aufgehoben. Darin war festgelegt worden, dass sich Österreich verpflichtete, die von den Sowjets übergebenen Vermögenswerte, auf die der Begriff Deutsches Eigentum angewendet wurde, nicht zu veräußern oder Vorbesitzern zu restituieren. Jetzt durfte man diese Betriebe und Vermögenswerte aus der verstaatlichten Industrieverwaltung ausgliedern und verkaufen. Der Umbruch in Europa blieb folglich nicht auf die Staaten des Sowjetblocks beschränkt. Und Österreich war einer der großen Nutznießer – ohne mehr getan zu haben, als seine geographische und sicherheitspolitische Lage auszunützen. Die Brückenfunktion aber war inaktuell geworden. Sie wurde schon 1990 von einer

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ganz anderen Funktion abgelöst  : Österreich wurde zum Sprungbrett. Zwar waren die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zu den COMECON-Staaten auch vor 1989 sehr gut gewesen, doch jetzt setzte ein Wettlauf ein, um sich neue Absatzmärkte zu sichern. Direktinvestitionen in Ungarn machten den Anfang, die anderen Reformstaaten sollten folgen.793 Und es schien zunächst keine Grenzen des Wachstums zu geben. Da machte es auch nichts aus, dass die Exporte in die meisten ostmitteleuropäischen Staaten 1990 zurückgingen. Das sollte sich aufholen lassen. Mit dem Wegfall der Brückenfunktion ging allerdings auch etwas verloren, das wie kaum etwas anderes zum österreichischen Selbstverständnis beigetragen hatte. Es war eine so hübsche Metapher. Amerikanische Präsidenten und sowjetische Staats- und Parteichefs hatten sie gebraucht und sich in Wien getroffen. Die in Wien angesiedelten UN-Organisationen machten deutlich, dass die Weltorganisation auch im Vorhof des Ostblocks zu Hause war, in einem Land, das sich selbst dem Westen zuzählte, aber mit den kommunistischen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas frühere und weitergehende Beziehungen hatte als die meisten westlichen Staaten. Handel- und Kulturaustausch florierten. Österreich bot auch Reisemöglichkeiten, die sehr geschätzt wurden. Wenn z. B. polnische katholische Priester nach Rom und in den Vatikan wollten, um bei Papst Johannes Paul II. eine Audienz zu erbitten, mussten sie über Wien fliegen, da sie keine Direktflüge hatten. Nun aber gab es plötzlich keinen »Osten« mehr. Damit war auch zu fragen, ob jemand noch die »Brücke« brauchte. Die Antwort »nein  !« enttäuschte freilich. In Budapest, Prag und Warschau machte man gar keinen Hehl daraus, dass man sich nicht an Wien, sondern an Berlin, Paris und London orientieren wollte. Die amerikanische Regierung, zumindest der amerikanische Präsident George Bush sen., setzte voll auf die potentiell neuen Verbündeten in Europa. Österreich spielte dabei wohl als Stützpunkt und Sitz für Konzernzentralen eine Rolle, nicht aber bei den militärischen Überlegungen.794 Nichtsdestoweniger schickte auch das Pentagon eine Zeitlang seine besten Leute nach Österreich – in ein Land, das sich ebenso wie Ostmitteleuropa neu definieren musste. Entschlossenes Zuwarten Am 17. Juli 1989 beantragte die Bundesregierung die Aufnahme von Verhandlungen über eine Mitgliedschaft bei den Europäischen Gemeinschaften. Drei Wochen nachdem Alois Mock und Gyula Horn den symbolischen Akt der Durchtrennung des Eisernen Vorhangs gesetzt hatten, wurde wohlüberlegt und wohlvorbereitet ein Schritt getan, über den ziemlich genau ein Vierteljahrhundert nachgedacht und verhandelt worden war. Enttäuschungen inbegriffen. Zu diesem Zeitpunkt schien der Schritt noch immer riskant und ohne konkrete Erfolgsaussicht zu sein. Es war aber vorge-

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baut worden. Franz Vranitzky, der im Oktober 1988 in Moskau mit Michail Gorbačëv zusammengetroffen war, hatte sondiert und kam mit einer hübschen Anekdote nach Hause. Gorbačëv fragte ihn mehrfach  : »Kennst du Margret Thatcher  ?« Vranitzky bejahte. »Kennst du sie gut  ?« Der Kanzler bejahte abermals. Darauf Gorbačëv  : »Und trotzdem willst du in die EWG  ?«795 Viel wichtiger war freilich, was der sowjetische Ministerpräsident Nikolaj Ryžkov dem Kanzler mit auf den Rückflug gegeben hatte  : Die Regierung der Sowjetunion nimmt den österreichischen Wunsch zur Kenntnis, sich an die EWG anzuschließen, geht aber »davon aus, dass Österreich sämtliche Verpflichtungen einhalten werde«. Was damit gemeint war, wurde nicht näher ausgeführt. Jetzt konnte man sich’s aussuchen. In Brüssel zeigte man keine Freude. Die Haltung des französischen Kommissionspräsidenten, Jacques Delors, sowie »das kühle bis abweisende Verhalten der französischen Diplomatie« und die nicht minder klare Ablehnung durch belgische Politiker sprachen Bände.796 Prompt reagierte der frühere belgische Außenminister Mark Eyskens auch mit der nicht ernst gemeinten Anregung, nun sollte wohl die Europäische Gemeinschaft mit der Sowjetunion über die österreichische Neutralität verhandeln.797 Österreich würde wie schon öfter eine Behandlung als »Sonderfall« haben wollen. Die Russen hatten seit den ersten Sondierungen von Außenminister Kreisky 1959 und Bundeskanzler Gorbach 1962 Österreich konsequent eine Vollmitgliedschaft verweigert. Dabei war wechselweise auf die Neutralität wie auf den Staatsvertrag verwiesen worden, der Österreich einen – auch wirtschaftlichen – Anschluss an Deutschland untersagte. Die Mitgliedschaft bei der EF TA war akzeptiert worden  ; der Assoziierungsvertrag mit der EWG hatte außer Ermahnungen keine weitere Reaktion hervorgerufen. Nun aber ging die SPÖ/ÖVP-Koalition aufs Ganze. Man wollte an der europäischen Einigung mitwirken  ; wollte schon erkennbare wirtschaftliche Nachteile nicht länger hinnehmen und gerade angesichts der Haltung des Westens gegenüber dem Bundespräsidenten nicht Gefahr laufen, in die Isolation abgedrängt zu werden. Franz Vranitzky und die Außenminister seiner beiden ersten Kabinette, Peter Jankowitsch und Alois Mock, taten ihr Bestes, um die Möglichkeiten zu nutzen, die sich angesichts der von Michail Gorbačëv eingeleiteten Veränderungen ergaben. Man sah in der geänderten russischen Haltung einen Lichtblick, vielleicht wieder – wie schon 1955 – die »Gunst des Augenblicks«. Also suchte Österreich formell um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an. Damit war es der erste Neutrale, der diesen Schritt setzte. Alle anderen folgten. Auch die Schweiz. Die Russen beeindruckte freilich nicht, dass in der österreichischen Note, mit der um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ersucht wurde, ein Hinweis enthalten war, dass Österreich davon ausgehe, dass bei einem Abkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft selbstverständlich auf den immerwährend neutralen Status des Landes Bedacht genommen werden sollte. Im August 1989 protestierte die So-

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wjetunion gegen die österreichische Absicht, Verhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften aufzunehmen. Auch wenn es nur ein formal gehaltener Protest war, ließ er die Bereitschaft der EWG zur Aufnahme von Verhandlungen erlahmen. Wie es weitergehen sollte, musste sich weisen. Angesichts der Bemühungen um einen Beitritt zur EWG und des Aufbruchs in den Osten rückten freilich andere Regionen etwas aus dem Blickfeld. Dabei waren gerade hier völlig neue und ungewohnte Erfahrungen zu machen. Österreich, das sich gerne als »everybody’s darling« sah, konnte auch zum Feindbild werden. Im Frühjahr 1991 geisterte in den Stäben der Jugoslawischen Volksarmee ein Papier herum, von dem man nicht so recht wusste, ob es Grundlage für eine Übung war oder dazu dienen sollte, an irgendeinem Tag »X« hervorgezaubert zu werden. Es war der Fall »Bedem-91« (Schutzschild-91), und er schilderte mehr als Haarsträubendes  : Ungarn, Bulgarien und Albanien hätten sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe der NATO »ihre Territorialansprüche in Bezug auf Jugoslawien zu verwirklichen«. Slowenien, Kroatien und Mazedonien würden die NATO zu Hilfe rufen, um ihre Loslösung aus der jugoslawischen Föderation zu beschleunigen. Österreich hätte beschlossen »den Staatsvertrag außer Kraft zu setzen und dem NATO-Pakt beizutreten«. Österreichische Soldaten seien auch an den Übungen der NATO beteiligt. In Klagenfurt würde sich das Oberkommando der nordwestlichen Heeresgruppe befinden. Sollten massive Luftangriffe auf Ziele in Serbien und Montenegro nicht zum gewünschten Erfolg führen, würden sich Bodentruppen in Bewegung setzen, usw., usw. Das Papier wurde von slowenischen Stellen Österreich übergeben. Doch es hätte gar nicht dieser gezielten Desinformation bedurft, um Österreich auf die Entwicklung in Jugoslawien und die damit einhergehende Gefahr aufmerksam zu machen.798 Die Atmosphäre war schon längst aufgeheizt und Europa weiterhin im Umbruch. Slowenien und Kroatien bereiteten für Ende Juni 1991 ihre Unabhängigkeitserklärungen vor. Sie wollten freilich auch so rasch wie möglich international anerkannt werden und suchten Unterstützung. Die USA, die Sowjetunion und, was am meisten zählte, die Staaten der Europäischen Gemeinschaft zeigten Ljubljana und Zagreb die kalte Schulter. Ein einziger Staat ließ Sympathie erkennen  : Österreich. Eine vorsichtige, dann immer stürmischere Annäherung begann und irritierte rundum. Die jugoslawische Nachrichtenagentur »Tanjug« gab die Befürchtung wieder   : »Wenn Slowenien selbständig werden sollte, wird es in kürzerer oder längerer Zeit zum 10. österreichischen Bundesland.«799 Frankreich beschuldigte Österreich, die Auflösung Jugoslawiens zu fördern. Italien riet den Slowenen dringend, auf keine »zweideutigen Botschaften aus Wien« zu hören. Die USA sandten einen Sonderbotschafter nach Wien  ; der sowjetische Ministerpräsident Valentin S. Pavlov beschwor die Einheit Jugoslawiens  ; der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti sprach von der Gefahr eines »pan-germanischen« Zusammengehens von Deutschen und Österreichern, das

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gleichermaßen Italien wie Jugoslawien bedrohen würde  ; der deutsche Außenminister Genscher rief den österreichischen Bundeskanzler an und mahnte die Einheitlichkeit Jugoslawiens an.800 Sogar der Vatikan zeigte sich besorgt.801 Demgegenüber beteuerte das Wiener Außenamt ein ums andere Mal, man würde selbstverständlich im Einklang mit den Großmächten und vor allem mit Europa vorgehen und keinen Alleingang versuchen. Die Versicherung hatte einen ebenso konkreten wie banalen Hintergrund  : Österreich hatte auf seinen Brief nach Brüssel, in dem 1989 um Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EWG ersucht wurde, noch immer keine substantielle Antwort bekommen. Also hieß es »europäisch« denken und handeln. Und das genau war es auch, das dann in Wien die Entschlossenheit, Slowenen und Kroaten nachhaltig zu unterstützen, schwinden ließ, und einem vorsichtigen Zuwarten Platz machte. Im Übrigen waren aber auch in Wien die Meinungen geteilt  : Bundeskanzler Vranitzky machte deutlich, dass er die Einheit Jugoslawiens für unverzichtbar halte  ; Vizekanzler und Außenminister Mock hielt zu Ljubljana und Zagreb und begrüßte deren Wunsch nach Unabhängigkeit. Allerdings wurden alle, Amerikaner, Sowjets, die EWG-Europäer und Österreich von den Ereignissen überrollt. Kroatien und Slowenien erklärten am 25. Juni ihre Unabhängigkeit. Und die Jugoslawische Volksarmee tat genau das, was befürchtet worden war  : Sie intervenierte. Was tun  ? Der Zerfall des Ostblocks war überraschend gekommen. Der Warschauer Pakt war in Auflösung begriffen. Jugoslawien war davon nicht betroffen. Es gehörte nicht zum Ostblock, war nicht Mitglied des Warschauer Pakts und war einer der wichtigsten Staaten in der Gruppe der Blockfreien. Spätestens seit dem Tod des Staatspräsidenten und Marschalls Josip Broz-Tito 1980 war der südslawische Staat, der so gerne mit der Habsburgermonarchie verglichen wurde, immer instabiler geworden. Die Teilrepubliken strebten ihre Unabhängigkeit an und wollten sich neu orientieren. Die Wirtschaft ging bergab. Der Zerfall der Föderation war absehbar. Und Österreich war darauf vorbereitet – wie auf nichts anderes  ! Nur als es dann darauf ankam, passte wieder einmal das Gedachte nicht mit der Realität zusammen. In Grenznähe wurde geschossen. Jugoslawische Flugzeuge verletzten wiederholt den österreichischen Luftraum und flogen schließlich über Graz. Doch die Regierung in Wien konnte sich nicht entscheiden. Daraufhin kündigten steirische Jäger an, sie würden zur Selbstverteidigung schreiten. Endlich, am 28. Juni 1991, gab Verteidigungsminister Werner Fasslabend die Weisung zu einem Einsatz des Heeres. Es sollte aber kein Assistenzeinsatz werden wie im Burgenland, wo man Flüchtlinge aufgriff, sondern ein Sicherungseinsatz mit allem, was dazu gehörte, Panzern, Flugzeugen und 4.000, zuletzt 6.000 Soldaten. Während die Bundesheerkräfte in die an Jugoslawien angrenzenden Räume einrückten, lief auch die diplomatische Aktion an. Der österreichische Botschafter in Belgrad verlangte Aufschlüsse über die militärischen Aktivitäten der Volksarmee. Belgrad

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beruhigte. Doch es zeigte sich, dass die Regierung auf das Militär keinen Einfluss mehr hatte. Die Streitkräfteführung dachte nicht daran, ihre Aktion in Slowenien abzubrechen. Man sprach von Krieg. Österreichs Medien, vor allem der Boulevard, griffen das bereitwillig auf, und kurz darauf wurde vom »Totalen Krieg« geschrieben. Die Emotionen gingen hoch. Man rechnete mit Flüchtlingsströmen, die Gott sei Dank ausblieben. Das Bundesheer, bei dem man auch nicht so recht wusste, ob das Krieg war oder nicht, bereitete zwei Internierungslager vor, für den Fall, dass tatsächlich Krieg war. Die Völkerrechtler, die sich anfangs nicht schlüssig waren, beruhigten jedoch  : Es war kein Krieg, denn dazu hätte es zweier souveräner Staaten bedurft, und Slowenien wäre noch kein solcher. Die Verwirrung hielt an. Österreich befand sich auf einem Alleingang. Die USA, die (noch existierende) Sowjetunion und die Europäische Gemeinschaft setzten weiterhin auf die Einheit Jugoslawiens. Ungarn zog an seiner Südgrenze keine militärischen Kräfte zusammen  ; Italien hatte zwar Alarmierungsmaßnahmen gesetzt und bereitete sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen vor, doch es zeigte keine nennenswerte Beunruhigung. Und man fragte sich in Wien wohl zu Recht  : Warum tat das übrige Europa nichts  ? Für Serbien und die Jugoslawische Volksarmee war es daher ein Leichtes, Österreich zu attackieren und es zu verdächtigen. Und das Datum war in jeder Weise einladend. Es war Freitag, der 28. Juni. Wahrscheinlich dachte in Österreich kaum jemand daran, die Symbolkraft dieses Tages nennenswert zu würdigen. Für die Serben Jugoslawiens lag die Sache völlig anders. Der 28.  Juni war Vidovdan, der St. Veitstag. An diesem Tag soll 1389 nach der Schlacht auf dem Amselfeld der siegreiche Sultan Murad vom Serben Miloš Obilić ermordet worden sein. Am 28. Juni 1914, und das sollte eigentlich eher in Erinnerung geblieben sein, wurde an eben diesem Vidovdan der österreichischungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen. Der Tag besaß gewissermaßen Leuchtkraft. Die Belgrader Zentralregierung machte sich daher das Datum zunutze und warf in einer Verbalnote und in ihren Medien Österreich vor, es hätte durch die Verlegung von Truppen an die Grenze eine Eskalation bewirkt und damit eine gefährliche Situation geschaffen. Außerdem hätte Österreich die Sezession Sloweniens aktiv unterstützt. Später sollte es sogar heißen, Österreich hätte Slowenien diplomatisch anerkannt, was glatter Unsinn war. Information und Desinformation gingen am 28. Juni und in den Folgetagen Hand in Hand. Erst am 1. Juli war Deeskalation angesagt, doch die Situation hatte sich noch keineswegs geklärt. Es war nur deutlich geworden, dass die Truppen der Jugoslawischen Volksarmee ihr Ziel, die Grenzen zu Österreich, Ungarn und Italien wieder in Besitz zu nehmen, nicht nur nicht erreicht hatten, sondern in schwere Bedrängnis geraten waren. Alle Konfliktparteien stimmten schließlich einer sofortigen Feuereinstellung und der Rückkehr der Truppen in ihre Kasernen zu. Die Gegenleistung Sloweniens und Kroatiens sollte die Aussetzung der Folgen der Unabhängigkeit für drei Monate sein.

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Ungeachtet dessen wurden im Wiener Außenamt die nächsten Schritte gesetzt. Alle 35 Mitgliedsstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurden zu einer Dringlichkeitssitzung in das Wiener Konfliktverhütungszentrum gebeten. Es war das erste Mal, dass es so etwas gab. Das Geplänkel der Diplomaten ging wahrscheinlich in der allgemeinen Aufgeregtheit unter. Ebenso fand zum wenigsten Beachtung, dass Minister Fasslabend am 2. Juli das Armeekommando, eine der Errungenschaften der Heeresreformen der 1970er Jahre, auflöste. Am 5. Juli und nachdem sich die EG und Jugoslawien sowie die sezessionistischen Republiken in Brijuni auf eine geordnete Auflösung der Föderativen Republik geeinigt hatten, konnte der Konflikt als bereinigt angesehen werden. Ein Staat der EU nach dem anderen sprach sich für die Anerkennung der unabhängigen Staaten Slowenien und Kroatien aus. Am 17. Januar 1992 zog Österreich nach. Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien gehörte der Geschichte an. Der Gleichklang Sollte jemand geglaubt haben, mit der Sezession Sloweniens und Kroatiens würde der Zerfall Jugoslawiens beendet sein, so hatte er sich gründlich getäuscht. Der Zerfall ging weiter. Man wollte freilich nicht oder zumindest noch immer nicht von Krieg sprechen. Doch es war nichts anderes. Und damit begann nicht nur für die aus der jugoslawischen Föderation hervorgehenden Staaten, sondern für ganz Europa ein Lehrstück, das bitterer nicht sein konnte. Man war es so gewohnt gewesen, dass Europa in Blöcke geteilt war und sich diese immer wieder mit Drohgebärden zur Einhaltung der seit 1945 geltenden machtpolitischen Verhältnisse zwangen. Wenn etwas gedacht wurde, dann war es vor allem der große Krieg. Der »kleine« Krieg war etwas für Sandkastenspiele. Mittlerweile hatten die sechs noch dem Warschauer Pakt angehörenden Staaten am 25. Februar 1991 ein Protokoll über das Ende der bis dahin geltenden Militärverträge unterzeichnet. Einen Monat später erfolgte die formelle Auflösung des Pakts. Eine halbe Million sowjetische Soldaten, von denen ein Teil in der österreichischen Nachbarschaft stationiert gewesen war, zogen ab. Immer wieder war befürchtet worden, die Sowjets würden zusammen mit anderen Paktmitgliedern in Jugoslawien einmarschieren und den Balkanstaat in das östliche Bündnissystem zwingen. Stattdessen beschloss auch die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken am 7.  Dezember 1991 in einem weißrussischen Jagdhaus das Ende ihrer »Existenz als Subjekt des Völkerrechts und als geopolitische Realität«.802 Damit endete für Jugoslawien eine jahrelange Bedrohung aber auch der Zwang zum Zusammenhalt. Und was man lange zu verhindern gesucht hatte, geschah  : Jugoslawien zerfiel und versank in einem Krieg, der die westliche Balkanregion fast zehn Jahre nicht zur

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Ruhe kommen ließ. Die Sezession Sloweniens war noch irgendwie steuerbar gewesen. Der Krieg in Kroatien und vollends der Krieg in Bosnien waren bald nicht mehr steuerbar. Sie gipfelten in Genozid und Vertreibungen. Das Erschreckende dabei war, dass Menschen, an deren Friedfertigkeit man geglaubt hatte, übereinander herfielen und keine Hemmungen zeigten. Man konnte sich insofern in die Zeit der Balkankriege 1912/13 erinnert sehen, als auch damals örtliche Gemetzel und Massenmorde stattfanden. Die österreichische Friedensbewegung der Bertha von Suttner hatte daraufhin argumentiert, dass vergleichbare Gräueltaten nur in Ländern stattfinden konnten, die außerhalb des abendländischen Kulturkreises lagen. Die großen Kulturnationen würden sich weiterhin der friedlichen Streitbeilegung verpflichtet sehen. Ein fundamentaler Irrtum, damals wie im Verlauf des weiteren 20. Jahrhunderts. Dessen letztes Jahrzehnt sollte da keine Ausnahme machen. Für Österreich kam von Anfang an Emotionales ins Spiel. Nicht nur Slowenien, sondern auch Kroatien, Bosnien und die Herzegowina hatten zur Habsburgermonarchie gehört. Die Anteilnahme galt daher von allem Anfang an Slowenen, Kroaten und Bosniern. Meldungen über Massaker an der kroatischen Bevölkerung in städtischen und ländlichen Regionen, der Beginn von systematischen Vertreibungen und schließlich der Beginn der Belagerung Sarajevos durch serbische Freischaren und Kräfte der jugoslawischen Volksarmee lösten Entsetzen aus und ließen Anklänge an längst vergangen Geglaubtes aufkommen  : Den Krieg der k. u. k. Armee gegen Serbien im Ersten Weltkrieg ebenso wie den Partisanenkrieg des Zweiten, den man als Krieg ohne Fronten sah. Es war freilich ein bloßer Zufall, dass der österreichische Bundespräsident, dem nicht zuletzt eine Beteiligung am Balkankrieg der Jahre 1943 bis 1945 vorgeworfen worden war, zeitgleich mit den ersten Höhepunkten des Kroatien- und Bosnienkriegs die letzten Monate seiner Amtszeit begann und darauf verzichtete, eine weitere Periode anzustreben. Damit ging nicht nur eine Präsidentschaft zu Ende, die mit einer regelrecht gehässigen Auseinandersetzung begonnen, sondern auch tiefe Spuren in Österreich hinterlassen hatte. Seit 1986 war es ja nicht nur darum gegangen, sich abseits der Historiker­ zunft mit NS-Zeit und Weltkrieg auseinanderzusetzen, sondern auch darum, einen neuen Opfer-Täter-Diskurs zu beginnen. Und der war mittlerweile voll im Gange und hatte auch die Politik erreicht. Am bemerkenswertesten war wohl die Rede von Bundeskanzler Vranitzky am 8. Juli 1991 im Nationalrat. Gewissermaßen als Replik auf eine hingeworfene Bemerkung des FPÖ-Parteiobmanns und mittlerweile Kärntner Landeshauptmanns, Jörg Haider, über die »ordentliche Beschäftigungspolitik« der Nationalsozialisten hielt Vranitzky fest  : »Wir bekennen uns zu allen Daten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen. Und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen,

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haben wir uns für die bösen zu entschuldigen, bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten. Dieses Bekenntnis haben österreichische Politiker immer wieder abgelegt. Ich möchte das heute ausdrücklich auch im Namen der Österreichischen Bundesregierung tun  : als Maßstab für das Verhältnis, das wir heute zu unserer Geschichte haben müssen, also als Maßstab für die politische Kultur in unserem Land, aber auch als unseren Beitrag zur neuen politischen Kultur in Europa.«803

Mit dieser Rede sollte eine klare Positionierung Österreichs vorgenommen und die Debatte um Kurt Waldheim gewissermaßen beendet werden. Es galt deutlich zu machen, dass Österreich den Grundkonsens der Nachkriegszeit, die Absage an faschistische Tendenzen jeglicher Art, vorbehaltlos akzeptierte. Drei Wochen später wurde Österreich zu Verhandlungen nach Brüssel eingeladen. Die Modalitäten waren klar und gleichzeitig neu. Seit Portugal und Spanien 1986 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten waren, hatte sich diese erheblich weiterentwickelt. Mittlerweile war sie zur Europäischen Union (EU) geworden. Es begann ein mühseliger und vor allem langwieriger Verhandlungsprozess, gemeinsam mit den Beitrittswerbern Norwegen, Schweden und Finnland. Kapitel für Kapitel musste durchgearbeitet und ausverhandelt werden. Zuletzt ging es im österreichischen Fall nicht mehr um einzelne Positionen, Rechte und Einschränkungen, ja nicht einmal mehr um die Beträge, welche das neue Mitglied in den Gemeinschaftstopf einzuzahlen hatte, sondern um das Verhältnis zu Deutschland und die Neutralität. Auch Schweden und Finnland waren neutral. Österreich aber war immerwährend neutral. Und natürlich konnte nicht außer Acht gelassen werden, dass Österreichs Bemühungen seit den sechziger Jahren auf den Widerstand der Sowjetunion gestoßen waren, die in einem österreichischen Beitritt zur EWG eine Art Anschluss an Deutschland durch die Hintertür vermutete. Das wusste man in Wien, Moskau und Brüssel. Die Sowjetunion war 1991 zerfallen. Nichtsdestoweniger war zu überlegen, wie sich das Verhältnis zur postsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und vor allem zu Russland entwickeln sollte. War die Russische Föderation legitimiert, auch in Sachen Staatsvertrag die Staatennachfolge geltend zu machen  ? Wieder waren die Meinungen in der Regierung geteilt. Am 4. Februar 1992 übergab der russische Botschafter in Wien, Valeri N. Popov, Außenminister Alois Mock den Entwurf eines Papiers, in dem die Russische Föderation versicherte, alle internationalen Verträge einhalten zu wollen, insbesondere den Staatsvertrag. Da es in Russland noch immer gärte und jeder einzelne der Nachfolgestaaten der Sowjetunion anerkannt werden wollte, konnte man sich in Wien Zeit lassen. Doch auf Dauer totstellen ging nicht. Im Außenministerium hatte man aber Bedenken, die sich nicht so sehr aus dem Bilateralen ableiteten, sondern aus der Sorge, dass man in Brüssel womöglich auf den Gedanken kommen könnte, Österreich würde in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt sein. Also zögerte

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Österreich die Anerkennungsfrage weiter hinaus, zeigte sich aber durchaus bereit, so zu tun, als hätte sich nichts geändert. Österreich hatte keinerlei Einwand, dass Russland bzw. die Russische Föderation im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und im Plenum den Platz einnahm, den die Sowjetunion innegehabt hatte. Nur in Sachen Staatsvertrag blieb man vorsichtig. Die Deutschlandfrage war allerdings in den Hintergrund getreten, denn Österreich wollte sich ja nicht Deutschland anschließen, und je mehr Staaten der Gemeinschaft beitraten, umso geringer wurde die Bedeutung eines einzelnen. Das mochte auch die Russen beruhigen, die ohnedies mit ihrer Zustimmung zur Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland ein neues Kapitel Weltgeschichte aufgeschlagen hatten. In Wien wollte man dennoch kein Risiko eingehen. Die Beziehungen Russlands zu Österreich hatten durchaus symbolischen Charakter, und es ließ sich sehr wohl argumentieren, dass es phasenweise auch so etwas wie Sonderbeziehungen gegeben hatte. Neu war, dass Russland den Eindruck vermittelte, es wäre stärker an der Aufrechterhaltung des Status quo interessiert als Österreich selbst. Ja, es lag sogar ein gewisser Widersinn darin. Denn Russland hatte gegenüber Österreich recht ansehnliche Schulden, 53 Milliarden Dollar, und konnte sie nicht zurückzahlen. Das war peinlich. Wollte Österreich nicht auf das Geld verzichten, musste es wohl oder übel die Russische Föderation als Nachfolgestaat anerkennen.804 Nicht aber in Sachen Staatsvertrag. Das war ein regelrechter Balanceakt. Als Bundeskanzler Vranitzky im April 1992 zum zweiten Mal in kurzen Abständen Moskau besuchte, ging es daher nicht nur um den vom russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin angesprochenen und von Russland als gefährlich eingestuften islamischen Fundamentalismus, sondern auch um viel Geld. So wie schon zwei Jahre zuvor anlässlich eines Besuchs von Vizekanzler Josef Riegler.805 Auf beiden Seiten war daher Großzügigkeit bei gleichzeitigem Ausblenden gefragt. Das wurde in Wien verstanden. Ein Besuch des russischen Staatspräsidenten sollte dazu dienen, die Fortdauer der ausgezeichneten Beziehungen zu unterstreichen. Am 28. Juli 1993 wurde Boris Jelzin eine formelle Einladung zu einem Besuch in Österreich übermittelt. Gleichzeitig relativierte der Leiter der politischen Sektion im Außenministerium, Albert Rohan, die Anerkennungsfrage dahingehend, dass er für Außenminister Mock festhielt  : Der Staatsvertrag bleibt so und so in Kraft. Die anderen Signatare und jene, die dem Vertrag später beigetreten sind, existierten ja noch. Doch der Vertrag erhält »durch Erfüllung, Obsolenz und Zeitablauf einen zunehmend historischen Charakter«. Man sollte daher den Russen »in unspektakulärer Weise« mitteilen, dass Österreich den Fortsetzungsanspruch akzeptiere. Er hätte keine praktischen Folgen.806 Aber so einfach ging es dann doch nicht. Die Russische Föderation beharrte auf einem Freundschaftsvertrag. Und wenn es keinen Vertag geben sollte, würde auch eine »Gemeinsame Erklärung« ausreichen. Im Januar 1994 übermittelten die Russen den Text einer derartigen Erklärung. Und da schienen prompt Staatsvertrag und Neutralität

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als Grundlage des bilateralen Verhältnisses auf. Das entsprach keinesfalls den österreichischen Vorstellungen. Daher wurde im Mai ein Gegenentwurf redigiert, der auf alle möglichen Momente der Gemeinsamkeit hinwies, nur nicht auf den Belvedere-Vertrag von 1955 und die Neutralität. Österreich zeigte weiterhin keine Eile. Ganz im Gegenteil. Man ließ bewusst die Zeit verstreichen und wollte primär eines  : Den Vertrag mit der Europäischen Union unter Dach und Fach bringen. Schon der Beginn der Verhandlungen mit der Union wurde bejubelt, und gleichzeitig wurde die Erwartungshaltung gesteigert. Das sollte vor allem der Innenpolitik Auftrieb verleihen. »Das Jahr 1992 war das Jahr der Ernte der Großen Koalition«, formulierte der Nationalratsabgeordnete Andreas Khol.807 Da machte sich Zufriedenheit breit. Die Große Koalition nützte ihre Verfassungsmehrheit, beschloss ein neues Wahlrecht mit geänderten Wahlkreisen und Vorzugsstimmen, ging an die Institutionenreform, konnte die Streitbeilegung mit Italien in der Südtirol-Frage bekanntgeben und freute sich über die anhaltende Hochkonjunktur. Wieder einmal dominierte in den Jahresbilanzen ein Wort. Im Gegensatz zu anderen Jahren war es aber nicht das Wort »Krise«, sondern »Reform«. Die Reform der Nationalratswahlordnung, Rechnungshofreform, Agrarmarktordnungsreform, Reform der Österreichischen Bundesbahn, Pensionsreform, Universitätsreform und Heeresreform  – um nur die wichtigsten zu nennen. Schließlich sollten noch eine Steuerreform, Wissenschaftsreform und Bundesstaatsreform dazu kommen. Manches erwies sich wohl als »Reförmchen«, doch die Zusammenarbeit der Koalitionsparteien funktionierte. Es ging was weiter. Am meisten machten dann Fragen der Sicherheitspolitik zu schaffen, und plötzlich stand die Neu­ tralität zur Disposition. Sie würde nicht mehr zeitgemäß sein, wurde argumentiert. Die Westeuropäische Union wurde als militärischer Arm der EU gepriesen und sollte sich zu einer Organisation entwickeln, die wie die Vereinten Nationen als Instrument der kollektiven Sicherheit fungierte. Auch auf diesem Gebiet herrschte Optimismus vor und sah man zuversichtlich in die Zukunft Wir sind Europa Nach dem Verzicht Kurt Waldheims auf eine Wiederwahl war auch der Rest jener Spaltung überwunden, die zeitweilig als tiefer Riss empfunden worden war. Alt gegen jung  ; links gegen rechts waren Paarungen, die es zwar schon zu wiederholten Malen gegeben hatte, doch 1986 war eine neue Form der Aggressivität dazu gekommen. Bei der sogenannten Kriegsgeneration, die sich mitunter dem undifferenzierten Vorwurf ausgesetzt sah, eine Generation von Kriegsverbrechern zu sein, führten die Diskussionen um die Kriegsvergangenheit des Bundespräsidenten dazu, dass sie mehr und mehr verstummte. Als der Präsident des Nationalrats, Heinz Fischer, dem scheidenden

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Bundespräsidenten bei dessen Verabschiedung in der Bundesversammlung attestierte, »dass dem Menschen und Bundespräsidenten Kurt Waldheim Unrecht zugefügt wurde, wenn ihm Handlungen – ja sogar Kriegsverbrechen – angelastet wurden, die er nach aller historischen Evidenz … nicht begangen hat«,808 war das eine versöhnliche Geste, mit der auch der nunmehr Alt-Bundespräsident und die Kriegsgeneration zufrieden sein konnten. Waldheims Nachfolger, der wie Waldheim aus der Diplomatie kam und so wie dieser als parteiunabhängiger Kandidat antreten wollte, Thomas Klestil, signalisierte auch auf diesem Politikfeld einen Neubeginn. Er gehörte als erster Bundespräsident nicht mehr der Kriegsgeneration des Zweiten Weltkriegs an. Klestil war wohl nicht von allem Anfang an »der« Kandidat gewesen, vielmehr diskutierten SPÖ und ÖVP längere Zeit, ob man sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen könnte. Namen wie Hugo Portisch, Herbert Krejci, Ludwig Steiner, Heinrich Neisser, Helmut Zilk und Alois Mock fielen. Auch Klestils Namen war genannt worden. Vranitzky, dem von Nationalratspräsident Anton Benya eine Kandidatur nahegelegt worden war,809 hatte abgewunken. Der Vergleich mit Kreisky drängte sich auf. Vranitzky wollte aber weder selbst antreten noch einen gemeinsamen Kandidaten haben, und er entschied, dass Verkehrsminister Rudolf Streicher für die SPÖ kandidieren sollte. Vizekanzler Erhard Busek setzte auf Klestil. Der gewann mit einem respektablen Abstand. Angesichts der Notwendigkeit, Österreich international wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken, ein fast notwendiger Schritt. Es galt auf Europa zuzugehen. Und Österreich war nun doch und aus anderen Gründen als 1986 interessant geworden. Nicht aber, weil man voll Misstrauen darauf schaute, sondern weil es geopolitisch eine Rolle spielte. Aus den USA kamen vermehrt Stimmen, die Österreichs Bedeutung beim Aufbau neuer Kontakte nach Ostmitteleuropa würdigten. Gelegentlich wurde auch davon gesprochen, dass die immerwährende Neutralität zum Vorbild für die sogenannten Reformstaaten werden könnte.810 Doch das war 1956 und vielleicht noch 1968 und im Fall Polens 1981 einer Überlegung wert gewesen. Ab Anfang der neunziger Jahre galt etwas anderes  : Die Staaten, die sich aus dem Sowjetblock herausgelöst hatten, wollten so rasch wie möglich Mitglieder der NATO werden und kein Sicherheitsrisiko eingehen. In Österreich mochte man enttäuscht sein, doch vielleicht gewann damit auch ein neutrales Österreich zusätzlich Sicherheit. Es verlor jedenfalls seine exponierte Lage und steuerte mittlerweile unbeirrbar auf die Europäische Union zu. Am 25.  Februar 1994 begann die letzte Verhandlungsrunde über den Beitritt zur Europäischen Union. Österreich hatte sich während der langen Phase des Antichambrierens und angesichts der Veränderungen, welche die Europäische Gemeinschaft zwischen der Absendung des Beitrittsgesuchs und der Aufnahme der Verhandlungen erfahren hatte, immer wieder beeilt klarzumachen, dass man sich auch einer gewandelten Gemeinschaft anschließen wollte. Auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sollte kein Hindernis sein. Brüssel wurden mehrere Aide-mémoires

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übergeben, in denen darauf Bezug genommen wurde. Von einem Neutralitätsvorbehalt war keine Rede mehr.811 Letzte Streitpunkte, die auch ein Scheitern der Verhandlungen im letzten Augenblick befürchten ließen, waren der Binnenmarkt, der Alpentransit und der freie Warenverkehr.812 Der von seiner Parkinson-Erkrankung schon schwer gezeichnete österreichische Außenminister Alois Mock brachte die Verhandlungen mit Hilfe seiner Ministerkollegen sowie den Mitgliedern der österreichischen Verhandlungsdelegation zu einem guten Ende. Am 12. April 1994 wurde formell die Einigung in allen strittigen Punkten bekanntgegeben. Eine Hürde gab es noch  : Über den Beitritt sollte in einer Volksabstimmung entschieden werden, denn letztlich handelte es sich um die Gesamtänderung der Bundesverfassung Österreichs. Unzählige kleine, größere und Großveranstaltungen bereiteten die Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs vor. Schließlich stimmten rund zwei Drittel der Wahlberechtigten für den Beitritt. Die Befürworter waren zufrieden  ; die Gegner des Beitritts, darunter Jörg Haiders FPÖ, fanden sich größtenteils damit ab. Brüssel sollte endgültig Hauptziel der österreichischen Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik werden. Am 24. Juni 1994 wurde der Beitrittsvertrag in Korfu unterschrieben. Thomas Klestil wollte es sich nicht nehmen lassen, die Unterzeichnung vorzunehmen. Doch er musste sich bescheiden und Bundeskanzler Vranitzky, Außenminister Mock sowie zwei Beamten den Vortritt lassen und sich auf eine kurze Ansprache beschränken. Mit Jahresbeginn 1995 wurde Österreich Mitglied der Europäischen Union. Von diesem Augenblick an verschoben sich die Prioritäten für die politischen Vorgänge auf allen Ebenen ganz entscheidend. Wichtig sollte künftighin das sein, was Österreich im Rahmen der Europäischen Union tat. Die Vergangenheit wurde als abgehandelt angesehen. Im Fall Russlands zeigte sich das überdeutlich. Ende 1994 wollte man in Moskau definitiv wissen, wie sich Österreich zu der vorgeschlagenen »Gemeinsamen Erklärung« stellte. Boris Jelzin war nach Wien eingeladen worden. Der Besuch sollte im April oder Mai 1995 stattfinden. Fünfzig Jahre Zweite Republik wären ebenso ein guter Anlass gewesen wie 40 Jahre Staatsvertrag. Die Russen bauten auch noch eine Art goldene Brücke, indem sie betonten, auch wenn vielleicht die Staatsund Regierungschefs von Amerikanern, Briten und Franzosen nicht nach Wien kommen sollten, würde Jelzin kommen. Allerdings wollte er auch etwas unterschreiben, wenn schon keinen Freundschaftsvertrag, so doch eine »Gemeinsame Erklärung«. Das Wiener Außenamt wiegelte neuerdings und diesmal recht entschieden ab  : Es gäbe so viele Möglichkeiten, die bestehenden Kontakte zu pflegen. Dazu bedürfe es keiner besonderen Erklärung. Österreich habe schon im Juni 1993 im Rahmen eines Notenwechsels die Gültigkeit und den Fortbestand von zwei Dutzend Verträgen erklärt und sie in neue österreichisch-russische Vertragswerke umgewandelt. Das sollte doch ausreichen, um bestehende freundschaftliche Bande zu pflegen. Die Russen hatten ver-

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standen. Jelzin sagte seinen Besuch in Österreich ab. Jetzt begann man auch anderswo aufmerksam zu werden, und sogar in einer der beliebtesten chinesischen Zeitungen, der »Guanming Ribao«, hieß es am 25.  März 1995, dass sich ein Schatten über die russisch-österreichischen Beziehungen gelegt habe. In Wien wollte man das durchstehen. Noch vor dem Sommer beschlossen Klestil, Vranitzky und Mock der russischen Seite mitzuteilen, »dass Österreich an einer Gemeinsamen Politischen Erklärung mit Russland nicht mehr interessiert ist.« Das wurde dem Botschafter der Russischen Föderation am 20. Juni mitgeteilt. In Moskau quittierte man das mit dem Wort »unerfreulich«.813 Und ab da galt für den Stand der Beziehungen nur mehr die Formulierung »ziemlich gut«. Sollte Österreich aber die Mitgliedschaft bei der NATO anstreben, ließ der Stellvertretende Außenminister Sergej B. Krylov im Oktober 1995 verlauten, wäre »das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.« Hätte man Julius Raab oder auch Bruno Kreisky einmal gesagt, Moskau wäre für Wien nicht mehr wichtig  – sie hätten wohl heftigst widersprochen. Raab war 1964 gestorben  ; Kreisky 1990. Man lebte in einer anderen Zeit. Ein Intermezzo Mit dem EU-Beitritt hatte Österreich wieder einmal ein großes Ziel erreicht. Je nach Zählart war es das zweite oder dritte Mal in der Geschichte der Zweiten Republik, dass es eine vergleichbare Zäsur gab. Das Kriegsende 1945 war wohl der wichtigste und folgenschwerste Einschnitt gewesen. Der Staatsvertrag von 1955 und der Abzug der Alliierten kamen als Nächstes. Jetzt, 1994/95, wurde abermals gejubelt. Es dominierte das Gefühl, etwas geschafft zu haben und sich trotz aller zeitweiligen Fährnisse im Zusammenhang mit den Waldheim-Jahren an die Spitze gesetzt zu haben. In keinem anderen europäischen Land war man so stolz auf sich selbst wie in Österreich.814 In dieser Hinsicht machte man sogar den USA Platz eins in Sachen Patriotismus streitig. Erst allmählich kam ein wenig Katerstimmung auf. Und wie 1955 machte sich plötzlich Leere breit. »Wir sind Europa« klang zwar gut, doch es reichte natürlich nicht aus, um eine Aufbruchsstimmung zu konservieren. Der Perspektivenwechsel kam für viele zu abrupt. In kurzer Zeit war Vieles passiert, das in seinen Auswirkungen noch nicht überschaubar war. Das Ende der sowjetischen Dominanz in Ost-Mitteleuropa, der Zerfall Jugoslawiens und schließlich der Beitritt zu einer vor allem von den großen westeuropäischen Staaten beherrschten politischen Union, über deren weitere Ziele sich die wenigsten klar waren. Das konnte schon für einige Verwirrung sorgen. Immerhin war das alles innerhalb von sechs Jahren geschehen. Der wirtschaftliche Nutzen des Beitritts zur Union war ausgiebig dargelegt worden. Da und dort blieb

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die Skepsis. Und was jetzt alles von EU-Gremien entschieden würde, für die sich das Synonym »Brüssel« einbürgerte, war auch den politischen Bannerträgern, Abgeordneten, Landespolitikern und politisch Interessierten nicht immer klar. War das etwa ein Rückfall in jene Zeiten, in denen Völkerbundkommissare über Österreichs Entwicklung wachten  ? Würde der geforderte Gleichklang nicht doch den Abschied von der Neutralität bedeuten  ? Würde Österreich verpflichtet sein, auch an militärischen Aktionen teilzunehmen  ? Der Schritt war jedenfalls getan worden, und war wohl irreversibel. Die Große Koalition hatte geleistet, was von ihr zu erwarten gewesen war. Fast schlagartig war der Wille zur Zusammenarbeit geschwunden. Nach wenig mehr als einem Jahr musste am 17. Dezember 1995 abermals gewählt werden. Wie nach dem Staatsvertrag 1955 konnten der Kanzler und seine Partei den errungenen Erfolg nutzen. Die SPÖ gewann sechs Mandate dazu, während sich die ÖVP mit einem zusätzlichen Mandat bescheiden musste. Im März 1996 wurde ein neuer Koalitionspakt vereinbart. Während es aber in der ersten Hälfte der neunziger Jahre auch in der Koalition eine Aufbruchsstimmung gegeben hatte, ging es ab 1996 nur mehr um das Sanieren und das Stopfen von Löchern. Keinesfalls breitete sich die vielleicht erwartete Zufriedenheit aus, und die Anpassung an die Vorgaben aus Brüssel sorgte immer wieder für Unmut. Es galt, sich an den Vorgaben aus Brüssel auf Punkt und Beistrich zu orientieren. Also musste man sich mit den neuen Gegebenheiten abfinden und europäisch denken lernen. Und um die neuen Gegebenheiten noch zu unterstreichen, hieß es bald  : Außenpolitik ist europäische Innenpolitik. Ab 2007 sollte es daher auch nicht wie bis dahin ein »Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten« geben, sondern ein »Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten«. Franz Vranitzky konnte nach dem EU-Höhenflug nicht erwarten, einen vergleichbaren politischen Erfolg zu erleben. Was Wunder, dass er schon 1996 daran dachte, seinen Abschied als Kanzler und Parteivorsitzender zu nehmen.815 Seine ersten beiden Regierungsjahre waren durch die nicht enden wollende Auseinandersetzung um die Kriegsvergangenheit Kurt Waldheims geprägt gewesen. Dann war das Wendejahr 1989 gekommen. Auf dem SPÖ-Parteitag 1991 war Mitte Juni eine Änderung des Parteinamens in »Sozialdemokratische Partei Österreichs« vorgenommen worden. Schon Kreisky hatte damit kokettiert, doch jetzt war die begriffliche Angleichung an die westeuropäischen Usancen erfolgt. In Großbritannien blieb man zwar bei der Bezeichnung »Labour« (= Arbeiter) Partei und musste nicht befürchten, wegen eines unmodernen Parteinamens abgestraft zu werden. Doch in Österreich gab es die Abkehr von Liebgewordenem, obwohl es einen Bruch mit dem Kompromiss des Jahres 1945 darstellte, als die Sozialdemokraten und die Revolutionären Sozialisten ihre Vereinigung unter einem neuen Parteinamen vollzogen. Jetzt schien das revolutionäre Element endgültig inaktuell geworden zu sein. Und das entsprach ganz dem Wunsch des Bundeskanzlers.

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Dann war den österreichischen Bemühungen um Vollmitgliedschaft im Rahmen der Europäischen Union Erfolg beschieden gewesen. Und auch wenn Vranitzky nicht die Hauptlast der Verhandlungen zu tragen gehabt hatte, war er natürlich als Regierungschef in allen Phasen stark involviert gewesen. Auch das war vorbei, und nach zehn Jahren Regierung machten ihm zunehmend die Widerstände zu schaffen, die ihm nicht nur die Opposition, sondern auch sein Koalitionspartner und vor allem seine eigene Partei bereiteten. Die Mitgliederzahlen waren weiterhin zurückgegangen. Waren es bei seinem Regierungsantritt noch rund 670.000 gewesen, so waren es mittlerweile nur mehr 457.000.816 Von den Höhenflügen der Kreisky-Jahre mit über 720.000 Parteimitgliedern ganz zu schweigen. Demgegenüber blieb der ausgewiesene Stand von Parteimitgliedern bei der ÖVP mit 700.000 gleich.817 Ein Alarmsignal  ! Die als traditionell sozialdemokratisch gewertete Arbeiterschaft war vermehrt zur FPÖ Jörg Haiders gewechselt, für die Vranitzky nur die Formel »ausgrenzen« fand. Waren Kanzler und Regierung mit ihren Zugeständnissen an die EU zu weit gegangen  ? War wirklich das Letztmögliche herausgeholt worden  ? Zog womöglich die Bereitschaft, die Sicherheitspolitik der Gemeinschaft mitmachen zu wollen und im Rahmen der Westeuropäischen Union, der EU-Verteidigungsgemeinschaft, eine Rolle zu spielen, nolens volens einen NATO-Beitritt Österreichs nach sich  ? Es waren zwar immer noch 65 % der Bevölkerung, die sich dagegen aussprachen, aber nach dem Motto »steter Tropfen höhlt den Stein«, konnte die Mehrheit schwinden. Dass Österreich 1995 dem NATO-Kooperationsrat beigetreten war, wurde dabei nicht als folgenschwer angesehen, denn dieser als »Vorzimmer« des Militärbündnisses angesehenen Gesprächsrunde gehörte auch Russland an. Außenminister Wolfgang Schüssel und Verteidigungsminister Fasslabend unterzeichneten jedenfalls im November 1996 ein Sicherheitsabkommen mit der Westeuropäischen Union. Dass damit der europäische Teil der NATO gestärkt werden sollte, war jedem klar, und die Einschränkung der Verpflichtungen auf friedenserhaltende Operationen, also etwas, das Österreich ohnedies schon seit Jahrzehnten praktizierte, eine eher willkürliche Auslegung. Noch war Österreich freilich nicht Mitglied. Wohl aber einigten sich die Regierungsparteien darauf, einen Optionenbericht zu verfertigen, der alle denkbaren sicherheitspolitischen Möglichkeiten darstellen und bewerten sollte. Letztlich musste sich daraus eine Empfehlung ergeben. Vorderhand war eine Entscheidung einmal aufgeschoben. Der »Haussegen« in der Koalition hing dennoch schief. Tafelsilber Der Kanzler konnte sich über die Ablehnung der sicherheitspolitischen Vorgaben in einem Teil seiner Partei nicht einfach hinwegsetzen. Das war aber nur ein Punkt, an dem

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sich die Geister schieden. Ein anderer resultierte aus den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung, die als »Verkauf des Tafelsilbers« gebrandmarkt wurden. Angesichts eines Budgetdefizits, das zu explodieren drohte, und der von der EU geforderten Budgetdisziplin musste alles getan werden, um gegenzusteuern. Es ging vornehmlich um Maßnahmen zur Neuregelung des Bankensektors und der Verstaatlichten Industrie. Um die mehr als zehn Jahre zurückreichenden Probleme bei der Verstaatlichten Industrie in den Griff zu bekommen, war mit dem Teilverkauf des Konzerns begonnen worden. Die Begleitumstände, nämlich ein radikaler Abbau der Mitarbeiter, machten gerade dem Kanzler und der SPÖ schwer zu schaffen. Auch auf seinem ureigensten Gebiet musste Vranitzky tätig werden und mit einer Neuordnung des Bankensektors beginnen. Auch da wurde gefragt, ob die Sozialdemokraten sich nicht einfach den von der ÖVP vorgegebenen Zielen unterordnen würden. Erst nach und nach hatte man sich mit dem Gedanken anzufreunden begonnen, Staatsbesitz zu veräußern. Die Aufhebung der staatsvertraglichen Bestimmungen des Artikels 22 hatte dazu die Möglichkeit geboten. Abermals erhielt die Große Koalition den Anstrich der Reformpartnerschaft und konnte als durchaus sinnvolle Form der Zusammenarbeit gesehen werden. Denn noch gab es gemeinsam zu erreichende große Ziele. Also war zunächst Konsolidierung angesagt. Schon 1994 waren die Österreichischen Bundesbahnen ausgegliedert worden. 1996 kam die Post- und Telegrafenverwaltung dazu. Im selben Jahr kündigte Vranitzky an, die Republik würde in den nächsten Jahren die Bundesanteile an Österreichs größter Bank, der Bank Austria, und der Creditanstalt abgeben. 1997 wurden die Straßenbauagenden in die ASFINAG (Autobahnund Schnellstraßen-Finanzierungs-AG) ausgegliedert.818 Liberalisierung und Privatisierung waren etwas, das dem bis dahin verfolgten Trend zur Verstaatlichung diametral entgegengesetzt war. Dabei wurde von den Kritikern wohl übersehen, dass die Verstaatlichung der Grundstoffindustrie und des Energiesektors in den Jahren der alliierten Besetzung in erster Linie das Ziel verfolgt hatte, diese Bereiche dem Zugriff der Alliierten, vor allem aber dem der Sowjets zu entziehen. Auch der zweite große Verstaatlichungsschub stand damit in Verbindung, denn Österreich war ja 1955 gegenüber der Sowjetunion die Verpflichtung eingegangen, die restituierten Betriebe des sogenannten Deutschen Eigentums nicht ihren Vorbesitzern zu überantworten, sondern der Verstaatlichung zuzuführen. In den siebziger Jahren war dann der Weg beschritten worden, die Verstaatlichte Industrie durch Konzentrationsmaßnahmen noch zu vergrößern. Statt aber leistungsfähiger und international potenter zu werden, schlitterten die verstaatlichten ebenso wie eine Reihe von staatsnahen Betrieben in die Krise. Nunmehr hieß es, dass der Staat nicht Dinge erledigen sollte, die nicht zu seinen Kernaufgaben gehörten. Ziel der Privatisierung und Ausgliederung war zweierlei  : Der Staat sollte einen Klotz am Bein verlieren, und der Verkauf von Betrieben, an denen der Staat zur Gänze oder auch in Teilen als Eigentümer betei-

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ligt war, sollte zur Budgetkonsolidierung und Schuldentilgung verwendet werden. Für den Kanzler ein wirtschaftspolitisch notwendiger Schritt. Doch natürlich rüttelte er an Grundfesten des Sozialismus. Ein amtsmüde wirkender Bundeskanzler, dem dann das Abschneiden seiner Partei bei den ersten Wahlen zum Europaparlament und vor allem große Verluste der SPÖ bei der Wahl zur Wiener Gemeindevertretung 1996 angelastet wurden, bereitete seinen Rücktritt vor. Dazu trug auch bei, dass er nicht wusste, wie Jörg Haider beizukommen war. Der hatte vergleichsweise unbekümmert jede Karte gespielt, die ihm nützlich schien. Er sprach von der »Dritten Republik« und ließ damit Assoziationen wie »Drittes Reich« zu. Haider bediente die ehemaligen Nationalsozialisten und stieß sie wieder ab, ließ großdeutsches Gedankengut anklingen und konnte seine Partei nicht nur mit Autorität, sondern autoritär führen. Er stellte in den Raum, Ausländer wären für eine steigende Kriminalität verantwortlich, führte ein ums andere Mal einen Anti-Ausländerkampf und machte mit rassistischen Äußerungen auf sich aufmerksam, um sich dann wieder mit philosemitischen und anti-rassistischen Äußerungen selbst zu widersprechen.819 Ein von Haider 1992 initiiertes Volksbegehren gegen den Zuzug von Ausländern hatte 417.000 Unterschriften erhalten, war also nur mäßig erfolgreich geblieben, doch zweifellos hatten Slogans und Plakate wie »Wien darf nicht Chicago werden« gegriffen und waren auf große Resonanz gestoßen.820 Dass es eine starke Gegenbewegung gegeben hatte und dass eine Reihe prominenter Mittglieder aus der FPÖ ausgetreten war, darunter die Vize-Parteichefin Heide Schmidt, wurde als parteihygienische Maßnahme gesehen. Die Wandlungsfähigkeit des FPÖ-Obmanns machte immer wieder staunen. Nur eines blieb gleich  : Haiders Kampf gegen die – wie er sie nannte – Altparteien. Zeitweilig schien es gegen ihn, der sich ein jugendliches, unverbrauchtes Image zu geben verstand, tatsächlich kein Rezept zu geben, und wie lange die von Haider so genannte »Ausgrenzung« noch funktionieren konnte, war fraglich, stand aber für Franz Vranitzky außer Zweifel. Letztlich lief es auf die Frage hinaus  : Er oder ich  ? Am 18. Januar 1997 kündigte Vranitzky auch für seine Partei überraschend seinen Rücktritt an und schlug dem Parteipräsidium der SPÖ den bisherigen Finanzminister Viktor Klima als seinen Nachfolger vor. Für Vizekanzler Schüssel wohl kein Grund, die Koalition zu beenden.821 Allerdings wollte er Bedingungen stellen und suchte sich für ein ganz bestimmtes Projekt sogar die Unterstützung Haiders, nämlich die Rückabwicklung des Verkaufs der Creditanstalt an die Bank Austria. Das Vorhaben scheiterte, also musste Schüssel seinen Ärger über den Verkauf der »schwarzen« Creditanstalt an die »rote« Bank Austria ebenso wie das Missvergnügen hinunterschlucken, dass er von den Rücktrittsabsichten des Kanzlers erst im Nachhinein erfahren hatte. Das wurde ihm dadurch erleichtert, dass ihm von Klima eine neue Form der Zusammenarbeit und der Austausch der meisten SPÖ-Regierungsmitglieder ankündigt wurden. Damit, so musste man meinen, waren die Karten neu gemischt.

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Was so harmonisch begann und so einfach schien, war jedoch von mehreren kleinen Eruptionen begleitet. Klima wollte Vranitzkys Weg der Ausklammerung der FPÖ fortsetzen. Für den Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, war das – damals – keinesfalls ausgemachte Sache. Er forderte ein Umdenken seiner Partei.822 Und es stimmte auch nicht, was der SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka in den Raum stellte  : Die Große Koalition habe weder rechnerisch noch politisch eine Alternative. Da gab es durchaus noch anderes. Die Parteilinken fanden die SPÖ schon seit langem als zu angepasst und schreckten durchaus nicht vor dem Gang in die Opposition zurück. Ganz offensichtlich waren sie mit Vranitzkys Abschied vom revolutionären Sozialismus nicht einverstanden. Da halfen auch Verweise auf die Wahlerfolge Tony Blairs und seiner New Labour Party in Großbritannien und jene von Gerhard Schröders Sozialdemokraten in Deutschland nichts, die beide auf eine neo-liberale Wählerschaft zugegangen waren. Warum sollten Briten und Deutsche um jeden Preis Vorbilder für Österreich sein  ? Klima sollte den Unmut der vor allem jugendlichen Genossen seiner Partei zu spüren bekommen. Doch vorerst wollten die Koalitionsparteien weitermachen wie gehabt. Es waren ja nur kleinere Eruptionen gewesen und noch kein Erdbeben. Bundeskanzler Klima »konnte offensichtlich mit allen und war allgegenwärtig«.823 Er hatte schon vor dem Kanzlerwechsel als Minister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr und ab 1996 als Finanzminister eine nennenswerte Popularität erreicht, die zu Lasten Vranitzkys gegangen war. Seine Welt schien jedenfalls in Ordnung. Der wirtschaftliche Aufschwung, der mit der Ostöffnung nach 1989 eingesetzt hatte, hielt an, auch wenn es Budgetprobleme gab. Österreichische Banken und Konzerne expandierten. Ein wenig kam Goldgräberstimmung auf, auch wenn jenes Gefühl, dass man in einer friedlichen Welt angekommen war, sich schon längst verflüchtigt hatte. Der Krieg in Jugoslawien war gerade in Österreich ungemein präsent. Die Belagerung von Sarajevo hatte auch eine emotionale Saite zum Klingen gebracht. Wie nahe man dem Krieg war, ließ sich an der täglichen Berichterstattung und auch daran ablesen, dass nahe dem Wiener Südbahnhof an den Wochenenden Busse abfuhren, die nicht nur Menschen transportierten, die ihren Verwandten dringend benötigte Güter brachten, sondern auch Wochenendkrieger an die diversen Schauplätze beförderten. Sofern die Männer überlebten, waren sie am Montag wieder an ihren Arbeitsplätzen. Das gehörte, wie es schien, zur Normalität des Kriegs in der Nachbarschaft. Man machte auch kein großes Aufhebens davon, dass massenhaft Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten kamen und in Österreich aufgenommen wurden. Sie würden ja wieder in ihre Heimat rückkehren, wenn der Krieg vorüber war – hoffte man. Im Verlauf des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien flohen etwa 13.000 Menschen aus Kroatien nach Österreich.824 Aus Bosnien und der Herzegowina kamen ab 1992 rund 90.000 Menschen. An die 60.000 sind geblieben. 9.000 wurden abgeschoben. Der Rest kehrte freiwillig zurück.825 Auch in Österreich konnte man daher noch lange nicht zur Tages-

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ordnung übergehen und war zudem emotional gefordert, da immer wieder die historische Rolle Österreichs auf dem Westbalkan ins Spiel gebracht wurde. 1998 hatte Österreich das erste Mal den EU-Ratsvorsitz inne. Auch das war etwas, bei dem man durchaus das Gefühl haben konnte, es sollte verlorenes Terrain gut gemacht werden. Daher wurde minutiös geplant und alles getan, um die Abläufe der kleineren und größeren Treffen zu einem Erfolg werden zu lassen. Und das, obwohl nicht zu erwarten war, dass bei schwierigen Fragen ein Durchbruch erzielt werden könnte. Doch der Rahmen war perfekt, und Österreich setzte insofern ein Zeichen, als es sich für die Aufnahme von sechs ostmitteleuropäischen Staaten stark machte. Im Übrigen wurde Solidarität demonstriert. Franz Vranitzky wurde im März 1997 von der OSZE als Sonderkoordinator nach Albanien entsandt, und als am 21. April 1997 die »Operation Alba« begann und in Albanien eine internationale Schutztruppe stationiert wurde, um das Chaos in dem Land zu steuern, beteiligte sich das österreichische Bundesheer mit einem Sanitätskontingent und ab dem Herbst 1998 durch die Errichtung eines Flüchtlingslagers für Albaner, die aus dem Kosovo flohen. Schließlich kamen 1998 auch 5.000 Flüchtlinge aus Albanien nach Österreich.826 Bund, Länder, Gemeinden und vor allem karitative Organisationen halfen, und es gab nur wenige, die sich nicht solidarisch zeigten. Von heiler Welt konnte aber keine Rede sein, und trotz aller Bemühungen, auch innenpolitisch den Anbruch einer neuen Zeit und zumindest Normalität erkennen zu lassen, braute sich etwas zusammen, das das Land abermals in arge Turbulenzen stürzen sollte. Die Große Koalition, die eigentlich nur mehr dem Namen nach existierte, kam ins Trudeln, da beide Regierungsparteien immer mehr unter Druck gerieten und an Zustimmung verloren. Dass Österreich im internationalen Vergleich aufgeholt hatte, wurde zwar immer wieder hervorgehoben. Doch Firmenzusammenbrüche, das Einsickern ausländischer Firmen, die die alteingesessenen österreichischen verdrängten, fand weit mehr Beachtung. Klein- und Mittelbetriebe mussten Insolvenz anmelden. Entlassungen, Firmenaufkäufe und Konzernzusammenschlüsse nahmen zu. Das verstörte. Schuldige wurden gesucht. Die Regierung stand am Pranger. Fünfzehnmal waren ÖVP und SPÖ seit 1945 eine Koalition eingegangen. Historische Reminiszenzen von gemeinsam errungenen Erfolgen beschränkten sich vornehmlich auf die periodisch wiederkehrenden Staatsvertragsfeiern 1980 und 1995. Die Sozialpartner schienen noch immer den sozialen Frieden zu gewährleisten, auch wenn Franz Vranitzky sie bisweilen als »Sozialgegner« bezeichnete und sie als solche kennengelernt hatte.827 Und das Bild, das Viktor Klima und Wolfgang Schüssel abgaben, war verheerend. Immer wieder wurde Reformeifer beschworen. Dann gab es Meinungsverschiedenheiten, und vor allem die Sozialpartner verhinderten schon dringend notwendige Reformen. Da ging es immer wieder um eifersüchtig gewahrte Interessen, wurde mit wohlerworbenen Rechten argumentiert und die eigene Klientel zu bedienen ge-

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sucht. Und nebenher profitierten jene, die das erstarrte politische System geißelten und auf Themen verwiesen, die immer wichtiger wurden und als Versäumnisse der bisher Hauptverantwortlichen angeprangert wurden  : Umwelt, Verkehr, Privilegien, … Da ließ sich punkten. Was von den Koalitionsparteien weiterhin als Konsensdemokratie gelobt wurde, wurde als Konfliktscheu gesehen. Man begann über Alternativen nachzudenken, und für die SPÖ galten die Grünen sehr bald als regierungsfähig. Damit wäre eine Art Gleichklang (von »Gleichschaltung« wollte wohl niemand reden) mit Deutschland denkbar gewesen. Denn was den Deutschen das Kabinett Gerhard Schröder – Joschka Fischer war, das ließ sich ebenso als Kabinett Viktor Klima – Alexander Van der Bellen denken. Und wie in Deutschland begann man auch in Österreich von einer neuen politischen Kultur zu schwärmen. Das Wort von der Reformpartnerschaft hatte sich in kürzester Zeit abgenützt, und die Versuche, richtungsweisende Entscheidungen zu treffen, gingen in der anhaltenden Unzufriedenheit unter. Vielleicht war es als Anklang an die frühen Kreisky-Jahre gedacht, dass dann unter dem Titel Verteilungsgerechtigkeit »Wohltaten« über die Bürger ausgeschüttet wurden. Steuersenkungen gab es ohne neues Sparpaket, Pensionen wurden angehoben, Karenzgeld für alle, also nicht nur berufstätige Frauen versprochen, und die Debatte um die Sicherheitspolitik mit einem klaren Bekenntnis zur Neutralität ruhend gestellt.828 Und das, obwohl der Klubobmann der ÖVP, Andreas Khol, im Juli 1998 unmissverständlich gemeint hatte, Österreich würde 2003 Mitglied der NATO sein.829 Als viel wichtiger wurden freilich Fragen wie die Aufrechterhaltung von Wohlstand und Vollbeschäftigung eingestuft. Wolfgang Schüssel wollte eine sehr viel grundsätzlichere Diskussion führen als die nach Wohlbefinden und Prozenten und rief eine »Denkwerkstatt« ins Leben, die Zukunftsfragen erörtern und Wege aufzeigen sollte. Dergleichen war wohl auch nicht ganz neu, doch etwas aus der Mode gekommen. Josef Klaus hatte mit seiner »Aktion 20« etwas Vergleichbares begonnen. Bruno Kreisky war ihm mit seinen besten 1.400 Köpfen und der »Alternative für ein modernes Österreich« gefolgt. Jetzt aber wollte die Diskussion nicht recht vom Fleck kommen, obwohl zweifellos gründlich nachgedacht wurde. Und wieder konnte man sich an Episoden aus der Kanzlerschaft von Josef Klaus erinnert fühlen, als drei Landeshauptleute laut darüber nachzudenken begannen, ob die Dreifachbelastung für Schüssel als Vizekanzler, Außenminister und Bundesparteiobmann nicht zu viel geworden sei. Der dann öffentlich ausgetragene Streit von ÖVPPolitikern konnte zwar als erheiternd angesehen werden, und Politik sollte ja einem Wort Kreiskys folgend auch einen gewissen Unterhaltungswert haben – doch da ging wohl auch einiges kaputt. Noch aber schien auch die Welt der ÖVP einigermaßen in Ordnung, da es auf Länderebene Zuwächse und Wahlsiege in Oberösterreich und Niederösterreich gab, und auch die Wiederwahl von Thomas Klestil zum Bundespräsidenten 1998 ungefährdet war. Die SPÖ hatte sogar darauf verzichtet, einen eigenen Kandidaten aufzustellen.

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Die Implosion im Osten

Es gab aber auch gegenteilige Signale, vor allem in Kärnten, wo der 1991 wegen seiner Äußerung über die »ordentliche Beschäftigungspolitik« im »Dritten Reich« zum Rücktritt gezwungene Jörg Haider bei den Landtagswahlen 1999 einen Triumph feierte und die ÖVP zur Kleinpartei werden ließ. Haider verkörperte so sichtlich einen anderen Politikertyp als die auf Gediegenheit, Tradition und Kontinuität ausgerichteten Parteien der Großen Koalition, dass er als regelrechtes Kontrastprogramm erscheinen musste. Wenn ihm etwas immer wieder Schwierigkeiten bereitete, dann waren es seine unbedachten Äußerungen und die menschliche Unzulänglichkeit einer stattlichen Anzahl seiner Parteigänger, die in seinem Windschatten den Aufstieg mitmachen wollten. Dazu kamen Richtungsstreitigkeiten, der einmal verkündete Abschied vom deutschnationalen Grundmuster der Partei und ein Rückfall auf genau dieses Muster, die Betonung der christlichen Grundwerte von Land und Partei, und als Antwort darauf die Betonung der freigeistigen Wurzeln. Auch das Saubermann-Image hielt nicht, denn gerade die FPÖ erlebte Skandal um Skandal. Einige Landesorganisationen steckten tief in dubiosen Geschäften, und etliche Parteimitglieder machten sich der Korruption schuldig. Teilorganisationen wurden aufgelöst und neu besetzt, um gleich wieder umgekrempelt zu werden. Manchen Anhängern der mehr und mehr zur Haider-Partei gewordenen FPÖ schien aber nichts schaden zu können, auch wenn sie den Bundespräsidenten »Lump« nannten. Haider persönlich galt weiterhin als Saubermann und Zukunftshoffnung. Möglicherweise fand er es sogar erheiternd, wenn im In- wie im Ausland gegen ihn regelrecht gehetzt wurde. Was hatte es auch zu bedeuten, wenn in Serbien »Haider = SS« an die Straßenränder gepinselt wurde  ? Wer nahm das gerade zu diesem Zeitpunkt und in diesem Land ernst  ? Und den Staaten Ostmitteleuropas wurde ohnedies Wohlverhalten anempfohlen, denn sie würden Österreich bei ihrem Wunsch nach Mitgliedschaft in der EU brauchen. Haider und »seine« FPÖ, von denen sich die Liberalen bereits getrennt hatten, holten das Ausland insofern ins Inland, als sie einen konsequenten Kampf gegen »Überfremdung« führten und damit gleich mehrere Faktoren ins Spiel brachten  : Sorge um Arbeitsplätze, Heimat und christliches Abendland. Gleichzeitig zielte das auf die Parteien der Großen Koalition, denen diese Werte vorgeblich nichts und jedenfalls zu wenig galten. Klima und Schüssel waren eindeutig pro-europäisch. Sie plädierten für die sogenannte Osterweiterung der EU und sahen sich auch insofern an eine traditionelle Rolle Österreichs gemahnt, als Österreich im Verlauf des »großen« Balkankriegs immer wieder als Vermittler auftrat. Doch sie taten sich immer schwerer miteinander. Beide mussten sich freilich sagen, dass sie bei vorgezogenen Nationalratswahlen mehr oder weniger starke Stimmenverluste erleiden würden und folglich nur darauf hoffen konnten, doch noch den Weg aus der Misere der Zweisamkeit zu finden. Alle Versuche, Aufbruchsstimmung zu verbreiten und Zukunftsthemen zu benennen, fruchteten

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nichts. Also sollte gewählt werden. Im August 1999 dachte Schüssel laut darüber nach, mit der ÖVP in Opposition zu gehen, sollte seine Partei nicht Zweite bei den Nationalratswahlen werden. Im September bekräftigte er seine Aussage mit Blick auf die Wahlprognosen. Seine Befürchtungen erhärteten sich in den nachfolgenden Wochen, und am 3. Oktober 1999 war es so weit  : Die FPÖ überholte die ÖVP. 415 Stimmen gaben den Ausschlag.

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22 Am 18. Februar 2000 kam es in der Umgebung von Parlament, Bundeskanzleramt und Heldenplatz in Wien zu ausgedehnten Demonstrationen gegen die von Wolfgang Schüssel geführte Kleine Koalition. Auch Schüler, die damals noch kein Wahlrecht besaßen, bekamen schulfrei, um sich an den Protesten zu beteiligen. Die Äußerung des Präsidenten des Wiener Stadtschulrats, Kurt Scholz, Schüler hätten während der Unterrichtszeit nicht auf der Straße, sondern in den Klassenzimmern zu sein, war in der Folge einer der Gründe für seine Enthebung. Mit einer Massenkundgebung am 19. Februar 2000 fanden die Demonstrationen gegen die Koalition von ÖVP und FPÖ ihren Höhepunkt. (Foto: APA picturedesk)

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chon am Tag »danach« meinten die Kommentatoren ausländischer Zeitungen, in Österreich hätte es einen Rechtsruck gegeben, und eine neonazistische Hydra hätte ihr Haupt erhoben. Schnell wurde eine direkte Linie von den Waldheim-Jahren zum Wahlerfolg der Freiheitlichen gezogen. Da deren Siegeszug ganz offensichtlich mit der Person Haiders stand und fiel, bot es sich regelrecht an, eine Art neuen Führermythos zu beschwören. Tatsächlich war es nicht leicht, zwischen einer rechten Oppositionspartei, einer rechtspopulistischen Partei und einer rechten nationalistischen Partei zu unterscheiden, die sich auch durchaus in rassistischen Gemeinplätzen gefiel. Am einfachsten schien es, alles in einen Topf zu werfen. Nicht das starre Regierungssystem, die Junktimierungen, die schwindende Lösungskompetenz oder gar persönliche Animositäten wären schuld an der Niederlage der Koalitionsparteien gewesen, hieß es, sondern der aggressive Wahlkampf einer Partei, die sich in dem in Österreich seit den dreißiger Jahren unausrottbaren rechten Biotop ungehindert ausbreiten konnte. Man sah darin »Ignoranz gegenüber dem Ausland« und die »Rückkehr der alten Dämonen«.830 Österreich war plötzlich zum »Haider-Land« geworden. Dabei musste wohl auch den ausländischen Beobachtern klar sein, dass sich der Erfolg der FPÖ auch ganz anders erklären ließ. Und der Vorwurf, Österreich hätte sich nie mit seiner Geschichte auseinandergesetzt, ging vollends ins Leere. Mangelnde Bußfertigkeit hätte schon eher den Kern der Sache getroffen. Bundespräsident, Bundeskanzler und jede Menge politische wie geistige Prominenz waren jedenfalls bemüht, den Emotionen sachlich zu begegnen. Wieder war die Frage, wie es weiter gehen sollte. Die »Sanktionen« Am Wahlabend war in der ÖVP-Parteizentrale gejubelt worden, »als hätte die Partei die Wahl gewonnen«. Eine Zeitlang in Opposition sein, würde eine »Runderneuerung« ermöglichen. Die Partei sollte nicht am »Krepierhalfter« der Koalition sterben und nicht weiter »Steigbügelhalter der SPÖ« sein – beschrieb der damals Zweite Nationalratspräsident Andreas Khol die Stimmung.831 Bei der Nationalratswahl hatten wohl auch die Grünen unter ihrem neuen Bundessprecher Alexander Van der Bellen  – erstmals seit langem  – einen Zugewinn zu verzeichnen gehabt, doch die Bildung einer rot-grünen Regierung wie in Deutschland war nicht möglich, da sie keine Mehrheit gehabt hätte. Die Abspaltung der Freiheit-

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lichen, das Liberale Forum, war nicht mehr im Nationalrat vertreten. Die SPÖ stand zu ihrem Wort und wollte keine Koalition mit den Freiheitlichen eingehen  ; die ÖVP wollte zu ihrem Wort stehen und für den Fall, dass sie hinter die Freiheitlichen zurückfiel, in Opposition gehen … Zumindest blieb als theoretische Möglichkeit die Bildung einer Minderheitsregierung, doch auch das hätte zur Voraussetzung gehabt, dass eine der beiden anderen, nunmehr gleichgroßen Parteien ihre Bereitschaft zur Unterstützung signalisierte und sie der designierte Kanzler auch annahm. Plötzlich stellte auch die SPÖ die Möglichkeit in den Raum, in Opposition zu gehen, da sie sich von der ÖVP nicht erpressen lassen würde.832 Offenbar wollte oder konnte niemand mehr das Land regieren. Blieben abermalige Neuwahlen. Doch würden die ein anderes Ergebnis bringen  ? Der Ball lag zunächst bei Bundespräsident Klestil, der Viktor Klima mit der Fortführung der Geschäfte und Sondierungsgesprächen für eine Regierungsbildung betraute. Gleichzeitig machte Klestil keinen Hehl daraus, dass er an einer Fortsetzung der Großen Koalition interessiert war. Da war von einer stabilen Regierung für die nächsten vier Jahre, von fair und vernünftig die Rede. Das Beste des Landes kam ebenso vor wie der Verweis auf das Ausland. Der Bundespräsident tat alles ihm Mögliche, um Klima und Schüssel überhaupt zu regelrechten Sondierungsgesprächen zu bringen und gab ihnen sogar neun Punkte für einen Reformkatalog vor. Die Stimmungslage bei Kanzler und Vizekanzler wechselte zwischen konstruktiv und eisig.833 Jene zwischen Schüssel und Haider wurde immer freundlicher. Letzterer erklärte sich bereit, die von Schüssel gewollte Osterweiterung der EU als gemeinsames Ziel zu akzeptieren, und er distanzierte sich auch von den ausländerfeindlichen Plakaten der Wiener Landesorganisation.834 Da die FPÖ im Rahmen der Sondierungsgespräche aber auch auf die SPÖ zuging, musste man den Eindruck gewinnen, Jörg Haider wolle eine Regierungsbeteiligung fast um jeden Preis. War zu fragen, ob die Vranitzky-Formel von »Keine Koalition mit der Haider-FPÖ« weiter hielt. Dann wurde verhandelt und taktiert. Kaum aber hatten sich die bisherigen Koalitionspartner zwei Schritte aufeinander zu bewegt, machten sie auch schon wieder zumindest einen Schritt zurück. Die SPÖ-Gewerkschafter bereiteten dem Bundeskanzler jede Menge Schwierigkeiten und wollten ihre Forderungen jedenfalls abgesichert wissen. Erst am 9. Dezember wurde Viktor Klima formell mit der Regierungsbildung beauftragt. Schüssel erklärte sich zwar grundsätzlich bereit, in Verhandlungen einzutreten und von seiner Ankündigung, in Opposition gehen zu wollen, abzurücken. Doch er nannte seinen Preis, u. a. die Sanierung eines bereits aus dem Ruder gelaufenen Budgets, Briefwahl, Harmonisierung des Pensionssystems und ein klares Bekenntnis zu Europa, nicht zuletzt auch zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Haltung der ÖVP war gespalten. Es gab Befürworter und Gegner von Verhandlungen mit der SPÖ. Auch bei den Sozialdemokraten ging die Kluft quer durch die

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Länder und Organisationen. Der Bundespräsident wurde regelrecht drohend  : Sollte sich die ÖVP verweigern, würde er die Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung billigen. Das  – so dann die Horrorvision etlicher ÖVP-Landeshauptleute  – würde zu Neuwahlen in einem Jahr führen und wahrscheinlich mit einer noch schwereren Niederlage für die Volkspartei enden. Das Taktieren ging weiter, doch es wurde von Tag zu Tag klarer, dass sich durchaus eine Alternative zu einer Großen Koalition anbot, denn die FPÖ war weiterhin bereit, die Vorgaben Schüssels voll und ganz zu akzeptieren. Jörg Haider wollte auch darauf verzichten, in die Regierung einzutreten und Landeshauptmann von Kärnten bleiben. Doch weder Schüssel noch Haider waren von Klestil aufgefordert worden, über eine Regierungszusammenarbeit zu verhandeln. Also ging die mühsame Suche nach »gemeinsamen Schnittmengen« von ÖVP und SPÖ weiter. Zeitweise schien es, als ob die Frage eines NATO-Beitritts das zentrale Thema werden könnte  ; dann kristallisierte sich doch die Budgetsituation als eigentlicher Knackpunkt heraus. Wie in den Kreisky-Jahren war Geld mit leichter Hand ausgegeben und die extreme Verschuldung der Verstaatlichten Industrie und einiger staatsnaher Betriebe in Kauf genommen worden. Dazu kam eine Heerschar von Frühpensionisten, da man auch Bürokräften und Amtsdienern zugestanden hatte, sie würden Schwerstarbeit verrichten und daher lange vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in den Ruhestand wechseln können. Schon am Beginn der Verhandlungen hatte ausgerechnet der SPÖ-Finanzminister Rudolf Edlinger die Notwendigkeit drastischer Einsparungen angekündigt. Gleichzeitig sah er sich beträchtlichen finanziellen Forderungen seiner eigenen Partei gegenüber. Mit dem Hinweis auf die angestrebte Einführung des Euro als gemeinsamer Währung innerhalb der EU und die Notwendigkeit, Österreichs Finanzen an die Vorgaben dafür anzupassen, zeigte sich die ÖVP empört. Da die Gewerkschaften keine Anhebung des Pensionsantrittsalters akzeptieren wollten und die Pensionsreform von 1997 für ausreichend hielten, zeigte auch Viktor Klima Zeichen der Resignation. In der Frage eines möglichen NATO-Beitritts wurde schließlich ein Kompromiss gefunden, der die Sache abermals auf die lange Bank schob, und auch in Budgetfragen schien man knapp vor einer Einigung. Da zeigte sich neuerlich der entschlossene Widerstand der SPÖ-Gewerkschafter. Sie waren entschieden gegen den angedachten Tausch von Ministerien, obwohl es das schon gegeben hatte.835 Die sogenannten »Erbpachten« sollten erhalten bleiben. Keinesfalls dürften das Innen- oder gar das Sozialministerium in die Hände des »Klassenfeinds« wechseln. Explizit wurde das Jahr 1934 angesprochen.836 Auch 66 mittlerweile vergangene Jahre hatten offenbar nicht dazu beigetragen, ein Trauma zu beseitigen. Oder  : Auch dieses Argument war willkommen, um ein weiteres Nachgeben des Kanzlers zu verhindern. In beiden Koalitionsparteien standen sich schließlich Befürworter und Gegner der Fortsetzung der Großen Koalition gegenüber. Für die ÖVP wurde entscheidend, dass sich die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter in der Person des Chefs der Metallarbeitergewerk-

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schaft, Rudolf Nürnberger, weigerte, den allerletzten Kompromiss zu unterzeichnen und eine Pensionsreform und eine andere Ministerienverteilung zu billigen, wie das von der ÖVP ausdrücklich verlangt wurde. Befürworter und Gegner des schon ausverhandelten Koalitionsabkommens richteten sich über die Medien ihre Standpunkte aus. Am späten Abend des 20. Januar 2000 mussten die Verhandlungen als gescheitert angesehen werden. Nichts war mehr verhandelbar. Tags darauf informierte Wolfgang Schüssel den Bundespräsidenten über das Ende der Gespräche mit der SPÖ. Thomas Klestil weigerte sich aber prompt, Schüssel den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben. Allerdings stellte Klestil nicht mehr die Möglichkeit sofortiger Neuwahlen in den Raum, da wohl auch er die Umfrageergebnisse kannte, die der FPÖ eine klare Mehrheit signalisierten Und wenn er eines ganz sicher nicht wollte, dann Jörg Haider mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Er beauftragte abermals Klima mit der Regierungsbildung. Um das neuerliche Mandat plausibel erscheinen zu lassen, wurde eine Art erweiterte Minderheitsregierung ins Gespräch gebracht, an der auch von der ÖVP wie der FPÖ zu benennende unabhängige Experten Anteil haben sollten. Der Vorschlag war zwar gut gemeint, doch er hatte keine Chance auf Verwirklichung. Karl Korinek, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, war es schließlich, der Klestil davon abhielt, die Idee eines Beamtenkabinetts weiter zu verfolgen, das als Nächstes ins Spiel kam. Die Kritik am Bundespräsidenten nahm zu. Immer wieder bekam er zu hören, dass sein Amt lediglich repräsentativen Charakter hätte und sein effektiver Handlungsspielraum äußerst begrenzt wäre. Klestil wollte das nicht wahrhaben. Ein Vergleich mit Wilhelm Miklas verbot sich zwar, doch die Feststellung, der Bundespräsident sei plötzlich nicht mehr als Problemlöser gefragt, sondern Teil eines nennenswerten Problems geworden, kam nicht von ungefähr. Österreich hatte schon seit bald vier Monaten keine handlungsfähige Regierung, und man musste sich schon mit einiger Ungeduld fragen, wie es weitergehen sollte. Haider erklärte, keine Minderheitsregierung unterstützen zu wollen. Wieder wurden politische Sandkastenspiele betrieben. Klima war bereit, Koalitionsgespräche mit Haider zu führen  ; der Großteil seiner Partei war dagegen. Die Grünen wollten eine Minderheitsregierung unter Beiziehung von Experten unterstützen, konnten damit aber Klima zu keiner Mehrheit verhelfen. Die ÖVP verweigerte sich und verwies auf den ausgehandelten aber nicht unterschriebenen Koalitionspakt. Die Zeit drängte, denn wenn es kein Budget gab, drohte die Zahlungsunfähigkeit der Republik. Nun schaltete sich auch das Ausland ein und äußerte Besorgnis. Klestil bot Franz Fischler, dem ehemaligen Landwirtschaftsminister und nunmehrigen Landwirtschaftskommissar der EU, die Kanzlerschaft an.837 Er sollte zusammen mit dem ehemaligen Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch eine Regierung bilden, und das über die Köpfe von Schüssel, Klima & Co hinweg. Eine alles andere denn glückliche Idee, denn wie wollten Fischler und Androsch die Unterstützung der Parteien gewin-

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nen  ? Klestil argumentierte mit dem internationalen Ansehen Österreichs, falls es zu einer Regierungsbeteiligung der FPÖ kommen sollte. Die Warnung kam nicht von ungefähr. Der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker hatte Wolfgang Schüssel schon im Oktober 1999 wissen lassen, dass eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu negativen Reaktionen der EU führen könnte. Die Regierungen einer ganzen Reihe von Staaten kämpften ja gerade gegen das Aufkommen rechter, nationalistischer und fremdenfeindlicher Parteien und fürchteten daher die Beispielwirkung, die von einer Kleinen Koalition in Österreich ausgehen könnte. Die warnenden Stimmen mehrten sich. Im Lauf der Jahre hatten sich Haider und seine Nachahmer in verbalen Radikalismen geübt und keine Verunglimpfung ausgelassen. Dass dabei antisemitische und antiisraelische Beleidigungen für Empörung gesorgt hatten, war nicht vergessen worden. Und kaum waren Äußerungen mit Bedauern zurückgenommen worden, fielen bei »Aschermittwochreden«, Versammlungen und Feierstunden schon die nächsten verletzenden und zutiefst irritierenden Äußerungen, die mit hör- und sichtbarer Zustimmung der Zuhörer konsumiert wurden. Österreich stand nicht zuletzt deshalb unter permanenter Beobachtung. Gesagtes und Getanes ließen sich schwerlich aus dem Gedächtnis streichen. Schon bei einem Treffen der OSZE-Staaten in Istanbul im November 1999 waren Bundespräsident Klestil und der französische Staatspräsident Jacques Chirac auf die österreichische Situation zu sprechen gekommen. Chirac wechselte während eines Essens an den Tisch des ebenfalls anwesenden Vizekanzlers Schüssel und sprach schon eine regelrechte Warnung aus.838 Es sollte wohl ein Schuss vor den Bug sein. Das Jahr ging zu Ende, ohne dass sich eine Lösung abzeichnete. Erst Ende Januar 2000 begannen sich die Ereignisse zu überstürzen und drohten ins Irrationale abzugleiten. Am 26.  Januar 2000 begann in Stockholm eine Internationale Holocaust Konferenz. 47 Staaten waren mit etlichen Regierungschefs vertreten.839 Für Österreich sprach Viktor Klima und warnte mit Verweis auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich vor Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Damit sprach er sicherlich den meisten Delegierten aus der Seele, und man fand sich schnell zu einer Drohgebärde bereit. Der französische Ministerpräsident Lionel Jospin plädierte dafür, der EURatspräsident und gleichzeitig Präsident der Sozialistischen Internationale, António Guterres, sollte an das antifaschistische Gewissen der Österreicher appellieren, aber auch auf mögliche Folgen hinweisen, sollte der FPÖ Jörg Haiders eine Regierungsbeteiligung ermöglicht werden. Andere Stellungnahmen waren noch viel schärfer. Nachträglich wurde darüber gerätselt, ob die internationale Erregung von Österreich aus gesteuert oder gar initiiert worden wäre. Das war wohl auszuschließen. Doch dass kaum etwas getan wurde, um diese Erregung zu dämpfen, ist unbestreitbar. Schließlich drängte der Bundespräsident die Ratspräsidentschaft, den Text einer vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder abgefassten und in scharfem Ton gehaltenen Reso-

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lution, die auch dem französischen Ministerpräsidenten Lionel Jospin und Ratspräsident Guterres zugeleitet worden war, schon vorweg zu veröffentlichen. Ob andere Mitglieder der EU der Erklärung erst nach einigem Zögern oder spontan zustimmten, ist letztlich irrelevant  : Alle, auch die Ministerpräsidenten und Premiers von Dänemark, Finnland, Irland und Luxemburg gaben dem Druck der Mehrheit nach und unterschrieben. Das Unheil nahm seinen Lauf, und man konnte den Eindruck gewinnen, Österreich wäre die Causa prima der europäischen Politik geworden. Die Ablehnung des Bundespräsidenten, jemand anderen als Viktor Klima mit der Regierungsbildung zu betrauen, hatte eine kaum zu verwundernde Reaktion zur Folge  : Schüssel und die FPÖ rückten zusammen. Zwei Tage bevor Viktor Klima in Stockholm das Wort ergriff, informierten Schüssel und Haider den Bundespräsidenten, dass sie Koalitionsverhandlungen aufgenommen hätten. Es sollte etwas zum Abschluss gebracht werden, das sich so nebenher schon abzuzeichnen begonnen hatte. Schüssel hatte zwar noch nicht alle in der ÖVP überzeugt, dass es keinen anderen Weg als eine Kleine Koalition gäbe, doch zum ersten Mal während der viermonatigen Nach-Wahlzeit hatte der Bundesparteiobmann die Landeschefs seiner Partei (fast) geschlossen hinter sich. Haider verzichtete darauf, in die Regierung einzutreten. Damit sollte das Ausland beruhigt werden. Die FPÖ akzeptierte die von der ÖVP als zentrale Punkte eines Regierungsprogramms festgelegten Ziele, vor allem die Vorgaben zur Europapolitik und zur EU-Osterweiterung. Letzteres bedeutete auch, dass die FPÖ in der Frage der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus den Ländern, die nun den Status von Beitrittskandidaten zur EU besaßen, kein Hindernis sehen und womöglich ein österreichisches Veto verlangen würde. Schüssel forderte auch die Zustimmung zu einer großzügigen Entschädigung für NS-Opfer. Damit wurde etwas unterlaufen, das Viktor Klima noch am Tag zuvor als unerledigt angemahnt hatte. Die Freiheitlichen stimmten zu. In den europäischen Staatskanzleien schrillten dennoch die Alarmglocken. Thomas Klestil, der Schüssel und der FPÖ noch immer keinen Auftrag zu Koalitionsverhandlungen und zur Regierungsbildung gegeben hatte, musste Anruf um Anruf entgegennehmen und sich sagen lassen, dass Österreich drohe, in die Isolation abzudriften. Es war ein Leichtes, eine direkte Linie von Hitler über Waldheim zu Österreich im Januar 2000 herzustellen. »Einmal Nazi-Land – immer Nazi-Land«, lautete kurzgefasst der Tenor der Berichterstattung in durchaus renommierten Zeitungen. Die Erwiderung  : »einmal unsachlich – immer unsachlich  !«, wäre aber wohl als polemisch zurückgewiesen worden. Schüssel wusste, dass die EU gesonnen war, Maßnahmen, die er als Sanktionen bezeichnete,840 in Kraft zu setzen. Israel stellte die Abberufung seines Botschafters aus Wien in Aussicht. Noch ehe die Regierungsbildung zum Abschluss gebracht worden war, veröffentlichte die EU die Sanktionen-Erklärung von 14 Mitgliedsstaaten gegen den 15. Doch es gab kein Zurück mehr.

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Am 2. Februar meldeten sich Wolfgang Schüssel und Jörg Haider bei Bundespräsident Klestil an und übergaben ihm ein 100 Seiten starkes Koalitionsabkommen und eine Ministerliste. Letztere sollte ein Vorschlag sein. Klestil sah wohl ein, dass ihm wenige Möglichkeiten geblieben waren, etwas zu ändern oder gar zu verhindern. Was noch anders werden konnte, wurde ihm von Schüssel und Haider regelrecht angeboten. Man könnte dem Regierungsabkommen einen Passus voranstellen, in dem es u. a. hieß  : »Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem Fremdenhass, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden. Sie wird jeder Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner Verbreitung konsequent entgegentreten …. Die Bundesregierung bekennt sich zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte«, zu einer pluralistischen Demokratie und zur kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. »Hinsichtlich der NS-Zwangsarbeit wird die Bundesregierung  … um sachgerechte Lösungen bemüht sein.«841 Klestil war einverstanden. Zudem sollte der Wunsch des Bundespräsidenten nach einer Änderung der Zusammensetzung der Bundesregierung berücksichtigt werden. Klestil verlangte, dass statt der ihm nicht genehmen Herren Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas Karl-Heinz Grasser als Finanzminister und Herbert Scheibner als Verteidigungsminister in der Ministerliste aufscheinen sollten. Vizekanzlerin sollte Susanne Riess-Passer werden. Doch selbstverständlich war davon auszugehen, dass Jörg Haider von Kärnten aus seinen Einfluss auf die ja von ihm nach wie vor geführte Partei nicht verlieren würde. Bis zuletzt dachte Klestil nicht daran, Schüssel einen regelrechten Auftrag zur Regierungsbildung zu geben. Er nahm lediglich zur Kenntnis, was nicht mehr zu verhindern war und erweckte den Eindruck, die Präambel sei auf seinen Wunsch dem Koalitionspakt vorangestellt worden. Niemand widersprach. Am 4.  Februar kam es zur Unterzeichnung des Regierungsübereinkommens und zur Angelobung der 16-köpfigen Regierung Schüssel I. Auf dem Ballhausplatz wurde demonstriert, geschrien und Gewaltbereitschaft gezeigt. »Widerstand, Widerstand. Schüssel, Haider an die Wand  !« Österreich schien denkbar unruhigen Zeiten entgegenzugehen. Die Donnerstagsdemonstrationen Die Mitglieder der neu gebildeten Regierung wählten einen unterirdischen Gang, um vom Bundeskanzleramt in die Präsidentschaftskanzlei zu gelangen. Man wollte nicht riskieren, angepöbelt und womöglich angespuckt zu werden. Thomas Klestil zeigte überdeutlich seinen Widerwillen, eine Regierung angeloben zu müssen, die er nicht gewollt hatte. Zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler gab es eine unübersehbare, tiefe Kluft. Sie fand ihre Entsprechung in einem Land, dessen Bevölkerung ebenso tief gespalten war. Da geisterte das Schlagwort von »Wehret den Anfängen« durch Medien

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und Demonstrantengruppen, ebenso wie Verweise auf Dollfuß und den Ständestaat als Auftakt zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. »Alltagsfaschismus« wurde von jenen beschworen, die sich plötzlich nicht mehr zurechtfanden. Man wollte es auch schon immer gewusst haben. Eine nachmalige Literatur-Nobelpreisträgerin soll sogar Selbstmordgedanken gehegt haben. Ein Systembruch wurde konstatiert, eine Abkehr von der Konsensdemokratie.842 Am 19. Februar fand auf dem Wiener Heldenplatz eine große Demonstration mit 150.000 Menschen statt, die offensichtlich an jene gegen Kurt Waldheim gerichtete Demonstration am 11. März 1988 anknüpfen sollte. Nachdem Erhard Busek schon viele Jahre zuvor von der »Dritten Republik« geschrieben hatte und das auch Jörg Haider postulierte, war für den SPÖ-Vordenker Egon Matzner im Jahr 2000 tatsächlich das Ende der Zweiten Republik gekommen.843 Das Geschehen wurde von unzähligen Kommentaren in- und ausländischer Medien begleitet. Österreich war wieder einmal zum Thema geworden, und das Ankämpfen gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition nahm massenpsychotische Züge an. Vielleicht wäre die Kluft noch tiefer geworden, wenn nicht die EU-Sanktionen eine ganz andere und unerwartete Form der Solidarisierung ausgelöst hätten. Die Maßnahmen waren angekündigt worden, und zwar mit der Formulierung  : »Die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren. Es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben  ; Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen.«

Doch was folgte, ging weit über das Herunterfahren der bilateralen Kontakte hinaus.844 Der portugiesische Staatspräsident, Jorge Sampaio, sagte einen Besuch in Österreich ab. Der britische Thronfolger, Prinz Charles, der zur Eröffnung der Britischen Wochen nach Wien kommen sollte, ließ sich am 8. Februar entschuldigen  ; die britischen Wochen wurden abgesagt. Zwei Wochen später gaben etliche Schulen in Frankreich bekannt, dass sie auf den Schüleraustausch mit Österreich verzichteten.845 Wissenschaftler wurden nicht mehr zu Konferenzen ein- bzw. wieder ausgeladen  ; Tagungen, die überhaupt nichts mit Politik zu tun hatten, abgesagt  ; der Studentenaustausch stockte  ; Winterurlaub in Österreich galt plötzlich als anstößig. Das Plakat einer belgischen Jugendorganisation zeigte Hitler im Schnee der österreichischen Alpen.846 San Remo, das Jahrzehnte hindurch Blumen für den Wiener Opernball geliefert hatte, versagte den Blumenschmuck. Belgien lud Österreich von den Eröffnungsfeiern »Brüssel. Kulturhauptstadt Europas« aus. Einen Höhepunkt erreichte die groteske Situation, als in Wien am 4. Juli 2000 die lange geplante »Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« (EUMC) eröffnet wurde. Der Präsident der Euro-

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päischen Kommission, Romano Prodi, der Präsident des Europäischen Parlaments und der österreichische Bundespräsident kamen, doch die Außenministerin Benita FerreroWaldner war nicht eingeladen worden. Sie kam dennoch und setzte sich demonstrativ in die erste Reihe.847 Die Ablehnung, die Österreich zu spüren bekam, galt vordergründig der ÖVP-FPÖKoalition. Dass dabei auch auf die jeweiligen innenpolitischen Probleme geschielt wurde, konnte man als ursächlich, zumindest aber als eine Art Erklärung ansehen. Doch was zwischen Boden- und Neusiedlersee erst nach und nach verstanden wurde, war der Umstand, dass unvermittelt weit zurückreichende Ressentiments aufbrachen. Der Beliebtheitsgrad Österreichs war doch um einiges geringer als das Pessimisten ohnedies angenommen hatten. Bei einer Tagung von international angesehenen Historikern ließen es beispielsweise der französische Historiker und Diplomat Jacques Le Rider oder der belgische Philosoph und Ministerpräsident Walloniens Hervé Hasquin 2001 an Deutlichkeit nicht fehlen. Schon als halbe Fragen gedachte Feststellungen wie »Österreich ist durch und durch schlecht« oder »Österreich als ideales Anti-Land« konnten regelrecht verstören. Österreich war zum »idealen Nachfolger für Vorurteile gegen Deutschland« geworden,848 und es gab die fast unvermeidliche Trias  : Hitler – Waldheim – Haider. Auffallend war freilich auch, dass etwa der slowenische Historiker Dušan Nećak aber auch ungarische und polnische Historiker keinesfalls ins selbe Horn stießen.849 Da die Maßnahmen der EU-14 ausdrücklich die österreichische Regierung zum Adressaten hatten, wurde Bundespräsident Klestil demonstrativ ausgenommen. Er seinerseits wollte das Geschehene auch nicht mehr kommentieren. Und als ihn die BBC am Tage der Angelobung der Regierung um einen Kommentar bat, verweigerte er ihn und meinte nur  : »Sehen Sie sich die Fotos von der Angelobung der neuen Bundesregierung an. Mein Gesichtsausdruck ist der Kommentar.« Klestil entwickelte in der Folge eine rege Reisetätigkeit. Er fuhr zu Gesprächen nach München, kam zur Angelobung von Präsident Stjepan (»Stipe«) Mesić nach Zagreb, besuchte im März in Brüssel den Kommissionspräsidenten Romano Prodi, im April das europäische Parlament in Straßburg und zeigte auch sonst eine beachtliche Außenpräsenz. Über manches hätte man lachen, zumindest lächeln können, etwa die hetzerischen und durchaus bös gemeinten Karikaturen, die Schüssel, der in der Öffentlichkeit immer mit »Mascherl« zu sehen war, auf dieses Accessoire reduzierten. Das ging ins Leere, als Schüssel von einem Tag auf den anderen Krawatte trug. Auch sonst trachtete der Kanzler, der ganz klar zum »frontman« mutiert war, Kritik und Verdächtigungen zu unterlaufen. Es galt tatsächlich eine neue Politik zu betreiben und den Reformstau zu beseitigen, gleichzeitig aber dem Ausland und vor allem den EU-14 vor Augen zu führen, wie unbegründet ihre Maßnahmen waren. Der Knackpunkt war freilich ganz woanders gelegen  : Das alles konnte nur gelingen, wenn sich Haider tatsächlich aus der Regierungspolitik heraushielt.

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Eine der ersten Maßnahmen zielte darauf ab, die Präambel der Regierungsvereinbarung nicht nur als Keuschheitsgürtel oder Schönheitspflaster erscheinen zu lassen, sondern den Beweis dafür anzutreten, dass sie ernstgemeint war. Schon im Februar 2000 wurde Maria Schaumayer, einstmals Wiener Stadträtin, dann Präsidentin der Österreichischen Nationalbank und mittlerweile schon so etwas wie das Gewissen der Nation, Regierungsbeauftragte für die Entschädigung von Zwangsarbeitern während der NS-Zeit. Sie hielt fest, dass eine derartige Entschädigung zwar aus keiner Verantwortung des Staates resultieren könnte, wohl aber als moralische Verpflichtung gesehen werde. Wieder drei Monate später ernannte die Regierung den Direktor der Diplomatischen Akademie, Ernst Sucharipa, zum österreichischen »Sonderbotschafter in Restitutionsfragen«. Die meisten Verhandlungen wurden in den USA geführt, wo Präsident Bill Clinton den Sonderbeauftragten für Holocaustfragen, Stuart Eizenstat, mit den Verhandlungen betraute. In dem Entschluss, diese beiden leidigen Themen aufzugreifen, konnte man eine Fortsetzung des von Franz Vranitzky eingeschlagenen Wegs und der dann vielfach bekundeten Bereitschaft sehen, Österreich nicht primär als Opfer hinzustellen, sondern ebenso auf die Täterschaft und Verantwortung vieler Österreicher hinzuweisen. Aber es gab auch praktische Gründe  : In den USA wurden Sammelklagen gegen Österreich eingebracht. Aktuell zählte noch anderes  : Die USA stimmten nicht in den Chor der EU-14 ein, sondern wollten ganz offensichtlich ihr Verhalten vom Vorgehen der Regierung abhängig machen. Tempo und Methode überraschten freilich. Schaumayer verfügte über sechs Milliarden Schilling, die von Firmen, nämlich solchen, die zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, sowie aus dem Budget auf ein Konto für die Zwangsarbeiterentschädigung eingezahlt wurden. 149.000 Menschen, von denen man anfänglich nicht wusste, wie viele noch am Leben waren, sollten damit eine finanzielle Zubuße erhalten. In den Ländern, aus denen die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stammten, wurden Organisationen – sofern sie nicht vorhanden waren – geschaffen, wurden die Modalitäten für das Geltendmachen von Ansprüchen festgelegt und mit der Sammlung der Unterlagen begonnen. Unübersehbare Inserate in Zeitungen und Aufrufe machten auf die Möglichkeit aufmerksam, Zahlungen aus dem Fonds zu erhalten. Noch im Mai 2000 kam es zu einer »Versöhnungskonferenz« in der Wiener Hofburg. Kurz darauf wurde das Versöhnungsfondsgesetz im Nationalrat verabschiedet. Im Lauf der Folgejahre bis 2005 wurden 132.000 Anträge auf Entschädigung ehemaliger Sklaven- bzw. Zwangsarbeiter positiv erledigt und 352 Millionen Euro (rund 4,9 Milliarden Schilling) ausbezahlt.850 Ähnlich zügig wurden die Verhandlungen über die Schaffung eines Entschädigungsfonds geführt und schließlich 2001 mit Stuart Eizenstat ein Betrag von 210 Millionen Dollar fixiert, mit dem bis dahin noch nicht abgegoltene Konsequenzen von Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes in Österreich erledigt werden sollten. Der Betrag wurde schließlich auf 400 Millionen Dollar aufgestockt.851 Die nunmehr über den »All-

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gemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus« abzuwickelnden Zahlungen sollten der letzte Teil einer schier endlosen Geschichte sein und Verpflichtungen Österreichs, die im Artikel 26 des Staatsvertrags von 1955 standen, einlösen. Immer wieder, in Etappen, mit Verzögerungen und auf Druck, waren Teilbereiche im Wege von Rückgabe und Entschädigung geregelt worden. Jetzt, endlich, sollte auch in den USA Rechtssicherheit herrschen. Da aber nicht alle Sammelklagen zurückgezogen wurden, verzögerten sich die Auszahlungen des Versöhnungsfonds. Doch niemand konnte Österreich mehr guten Willen absprechen. Zusammen mit dem schon 1998 beschlossenen Kunstrückgabegesetz, das konsequent zur Anwendung kam, sollte definitiv etwas zum Abschluss gebracht werden, das schon längst der Erledigung harrte. Es war in mehrfacher Hinsicht ein Befreiungsschlag  : Für Österreich wie für die Regierung. Noch ein Zeichen wurde vor allem in Richtung EU gegeben, dass sich Österreich bewusst war, nicht nur einer Interessen-, sondern auch einer Wertegemeinschaft beigetreten zu sein  : Am 3. Mai 2000 fasste der Ministerrat den Beschluss, eine neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin auszuarbeiten. Damit wurde ein weiteres Mal die Neutralität zur Disposition gestellt und sollte demonstriert werden, dass an Stelle einer Politik des »Sich-Heraushaltens« und »Trittbrettfahrens« eine Politik des solidarischen Mitwirkens treten sollte. Österreich wollte sich auch einer Beistandsverpflichtung der EU-Staaten nicht verschließen.852 Das Bild, das das Kabinett Schüssel bot, entsprach sicherlich nicht dem, das seine Kritiker schon vorweg gezeichnet hatten. Auch Demonstrationen von Tausenden Teilnehmern, fallweise Gewaltausbrüche, Farbbeutel, die auf Regierungsgebäude geworfen wurden, und schließlich nur mehr periodisch stattfindende Anfeindungen schienen die Regierung nicht irritieren zu können. Am längsten hielten die sogenannten Donnerstagsdemonstrationen an, die 2000 und 2001 zunächst noch Tausende, dann nur mehr Hunderte Teilnehmer versammelten, ehe sie dann nur mehr an den Jahrestagen stattfanden. Anfangs wurde gegen die Regierung und vor allem gegen die FPÖ demonstriert, dann mischten sich Themen darunter, die bestenfalls indirekt mit der Regierung Wolfgang Schüssels zu tun hatten. Man demonstrierte gegen Sozialabbau und die Schwächung von Arbeitnehmervertretungen oder für eine erweiterte Fristenlösung und mehr Rechte für Homosexuelle. Seitens der Regierung gab es keine EU-kritischen Töne, wohl aber häuften sich die EU-kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit. Den EU-14 hatten sich Tschechien, Kanada, Israel und dann auch Norwegen angeschlossen. Da sich die österreichische Regierung aber so ganz anders verhielt, als man es vielleicht erwartet hatte und die »Sanktionen« einfach unterlief, war die Frage, wie man wieder zur Normalität zurückfinden konnte, drängender denn je. Jean-Claude Juncker nannte die Maßnahmen »überspitzt«, der griechische Außenminister »einen gefährlichen Präzedenzfall«. Athen distanzierte sich förmlich.853 Andere Staaten, vorneweg Belgien, Frankreich und

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Deutschland, zeigten sich unbeeindruckt. Gesucht war eine Ausstiegsstrategie. Erst im Juli beauftragte der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari, einen Bericht über die Einhaltung der europäischen Grundrechte in Österreich zu erstellen. Am 8. September lag der Bericht vor. Der Schluss war unmissverständlich  : »Wir sind … der Auffassung, dass die von den XIV Mitgliedsstaaten getroffenen Maßnahmen … beendet werden sollten. Die Maßnahmen haben schon jetzt nationalistische Gefühle im Land geweckt, da sie in manchen Fällen fälschlicherweise als Sanktionen verstanden wurden, die sich gegen die österreichischen Bürger richten«.854 Nebstbei wurde Österreich auch gelobt, weil es beabsichtigte ein »Haus der Geschichte« zu errichten. Im Oktober wurden die Sanktionen genannten Maßnahmen aufgehoben und eine Art europäische Normalität wiederhergestellt. Das wurde auch in den USA als Signal gesehen und der Bundeskanzler nach Washington eingeladen.855 Für die einen eine Selbstverständlichkeit, für andere aber kein Grund, ihre Ablehnung aufzugeben. Für den französischen Minister für Europaangelegenheiten im Kabinett Jospin, Pierre Moscovici, beispielsweise, galt auch in der Folge, dass man »das Übel« der österreichischen Regierung auch weiterhin unter Beobachtung halten würde.856 Auch Israel zögerte, den normalen diplomatischen Verkehr wiederaufzunehmen, obwohl gerade Israel in den Maßnahmen zur Entschädigung von NS-Opfern mehr sehen musste als eine Geste. Aus dem europäischen Umfeld kamen erst allmählich positive Zeichen. Das Eingeständnis, falsch gehandelt zu haben, fiel zweifellos schwer. Dass Kommission und Mitgliedsstaaten in der Folge auch bei tatsächlichen Verstößen gegen EU-Recht und Menschenrechte eine denkbar großzügige Haltung an den Tag legten, war aber sicherlich die falsche Lehre. In der österreichischen Innenpolitik galt von allem Anfang an der Grundsatz, dass man die Regierung nicht daran messen sollte, wie sie sich zusammensetzte, sondern welche Reformen sie einleitete und was sie zustande brachte. Die Koalition hatte sich einen rigorosen Abbau der Staatsschulden vorgenommen. Und da kam es hageldicht  : Steuern und Gebühren wurden angehoben und neue eingeführt, das Pensionsalter hinaufgesetzt, eine vorzeitige Alterspension wegen Invalidität abgeschafft bzw. sehr erschwert. Der Einfluss der Sozialpartner, die fallweise sogar schon zur Budgeterstellung herangezogen worden waren, sollte zurückgedrängt werden. Privatisierungen wurden weiterhin als gute Möglichkeit gesehen, zu Geld zu kommen, auch wenn es sich dabei um Einmaleffekte handeln musste. Da galt es vor allem den Spielraum auszuloten, der überhaupt noch gegeben war, nachdem ja schon in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die größten Privatisierungsmaßnahmen stattgefunden hatten. Doch was denn sollte man als Wende verstehen, wenn nicht das Zurückdrängen des staatlichen Einflusses  ? »Weniger Staat – mehr Markt«, Beschränkung der öffentlichen Aufgaben,

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Abschied vom »Austro-Keynesianismus« waren die Schlagworte, mit denen das verbrämt wurde. Nun waren zumindest Teile der SPÖ durchaus keine Gegner dieses Wegs, mahnten aber auch immer wieder die Vorzüge an, die es hätte, wenn man zentrale Versorgungsbereiche nicht einfach dem »Markt« überließ. Das Tempo, das die Regierung ab 2000 vorlegte, irritierte, und es war denn auch so etwas wie ein Eigentor, als der Klubobmann der ÖVP, Andreas Khol, einer der Architekten der Kleinen Koalition, mit dem Ausspruch »speed kills« zitiert wurde. Der nicht erlahmende Argwohn, die ÖVP-FPÖ-Koalition würde populistischen und sogar autoritären Tendenzen in Österreich zum Durchbruch verhelfen, wollte freilich nicht verstummen und ließ vor allem auch die steuerpolitischen und wirtschaftlichen Maßnahmen als etwas erscheinen, bei dem die Sozialpartnerschaft bewusst und nachhaltig geschwächt und ein völlig neuer Weg beschritten werden sollte. Doch letztlich setzte die Regierung nur etwas fort, das schon längst begonnen hatte. Staats- und staatsnahe Betriebe sollten ausgelagert und vor allem auch die Bundesländer und Gemeinden angehalten werden, an der Budgetkonsolidierung mitzuwirken. Kein Stein schien auf dem anderen zu bleiben. Für die SPÖ etwas, das düstere Prognosen zu bestätigen schien, und für die ÖVP logische Fortsetzung ihres Kurses der Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung. Hatte sich Österreich im Jahr 2000 tatsächlich verändert  ? Für die Gegner der Kleinen Koalition, von denen etliche unversöhnlich blieben, sicherlich und zu seinem Nachteil. Für diejenigen, die zumindest einige Erwartungen in die veränderte politische Konstellation und vor allem in das Ende der Großen Koalition gesetzt hatten, sicherlich und zu seinem Vorteil. Die FPÖ sah die rasanten Veränderungen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Jahrelang hatte Jörg Haider gegen Korruption und Verschwendung im Bereich der Hoheitsverwaltung, der Nationalbank und vor allem auch bei Betrieben polemisiert, die dem verstaatlichten Sektor angehörten. Nun war Misswirtschaft in den ausgegliederten Bereichen allenfalls ein Fall für den Staatsanwalt, nicht aber für den politischen Diskurs. Auf der anderen Seite ließen sich bei der Ausgliederung auch prächtige Geschäfte machen. Doch der Erfolg der Maßnahmen, die als Rückkehr zur »Österreichischen Schule der Nationalökonomie« gesehen wurde,857 war offensichtlich. Das Ziel, einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen, schien 2001 erreicht. Damit erfüllte Österreich auch jegliche Vorbedingung, um den nächsten Schritt bei der Schaffung einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungsunion mitzumachen, so wie das bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU schon am 9. und 10. Dezember 1991 vereinbart worden war  : die Einführung einer gemeinsamen Währung. Damals hätte man freilich schon Zweifel haben können, ob alle Staaten der EU den eingeschlagenen Weg mitmachen wollten. Der Verlust einer eigenen Währung wurde von einigen Staaten, vorweg Großbritannien, als jener Moment gesehen, wo es hieß  : Bis hierher und nicht weiter  ! Doch zwölf Staaten, darunter

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Österreich, stellten im Jahr 1999 ihren Zahlungsverkehr auf den Euro um. Ab dem 1. Januar 2002 galt die neue Währung für »die Zwölf« als alleiniges Barzahlungsmittel. Ob innerhalb oder außerhalb des Währungsblocks befand sich die EU in einem steten Aufwärtstrend. Und nicht zuletzt die österreichische Regierung sah sich in ihrem Kurs bestätigt und verstärkte ihr Engagement, auch den ostmitteleuropäischen Staaten den EU-Beitritt zu ermöglichen. Die Rolle des Fürsprechers war freilich nicht unumstritten. Und die Skepsis über den österreichischen Weg und vor allem die Regierungspolitik hielt in- und außerhalb Österreichs an und wurde immer wieder mit einem schon seit langem bekannten Namen in Verbindung gebracht  : Jörg Haider. Der Störenfried Das mittlerweile nach eigener Definition »einfache Parteimitglied« der FPÖ, Haider, der nach der Bildung der Kleinen Koalition auch die Führung der FPÖ abgegeben hatte, konnte den Auswirkungen der Konsolidierungspolitik nichts abgewinnen. Die Folgen wären vor allem zulasten des »Kleinen Mannes« gegangen, meinte er. Haider verlangte einen Kurswechsel der Regierung und vor allem seiner Partei, die sich einer schwindenden Zustimmung gegenüber sah. Die Bemühungen der Regierung, Tschechien, Polen, der Slowakei und Ungarn den Weg in die EU zu ebnen, lehnte der Kärntner Landeshauptmann ab. Die genannten Staaten zeigten aber ohnedies keinerlei Bereitschaft, in die von Österreich angestrebte »strategische Partnerschaft« einzuwilligen, sondern setzten auf Deutschland und Frankreich. Man konnte von unerwiderter Liebe sprechen. Tschechien beteiligte sich noch dazu an den Sanktionen der EU-14, ohne selbst Mitglied der Gemeinschaft zu sein, und lag mit Österreich zudem wegen des Atomkraftwerks Temelín im Streit.858 Klar, dass die FPÖ auch ein Volksbegehren gegen die Inbetriebnahme des tschechischen Atomkraftwerks unterstützte und sich die Beteiligung von über 915.000 Menschen zugutehielt. Vollends nicht einverstanden war Haider damit, dass die Regierung eine schon zugesagte Steuerreform verschob, weil die Schäden eines Hochwassers im Spätsommer 2002 in der Höhe von rund 3 Milliarden Euro die für die Steuersenkung vorgesehenen Mittel aufgebraucht hatten. Haider erreichte die Einberufung eines Sonderparteitags im September 2002 nach Knittelfeld. Dort kam es zum Eklat. Haider wollte in die Bundespolitik zurück und verlangte seine Teilnahme an den Sitzungen des Koalitionsausschusses. Spitzenvertreter der FPÖ, darunter die Vizekanzlerin Riess-Passer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser, traten daraufhin aus der Partei aus. Sie wollten nicht mehr Teil von »Haiders FPÖ« sein, als die man den Juniorpartner von Wolfgang Schüssel nach wie vor sah. Der Kanzler zog die Konsequenzen und nützte seine Chance  : Er informierte den Bundespräsidenten vom Scheitern seiner Regierung und verlangte Neuwahlen. Klestil

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zögerte nicht, die von ihm so sehr abgelehnte Regierung zu entlassen. Am 24.  November gab es daher abermals Nationalratswahlen. Die FPÖ wurde schwer geschlagen. Die ÖVP aber verzeichnete den größten Wahlsieg seit 1966, erreichte jedoch nur eine relative Mehrheit, sodass Schüssel ernsthaft an einen Wechsel des Koalitionspartners dachte. Ab Februar verhandelte er mit dem Bundesprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, der das wohl als große Chance für seine Partei sah, doch an ebendieser Partei scheiterte. Er fand keine Zustimmung zu den für den Kanzler nicht verhandelbaren Forderungen zum Kauf von 18 »Eurofightern«, Beibehaltung der Studiengebühren und einer Pensionsreform. Am 16.  März 2003 ließ Van der Bellen Schüssel wissen  : »Es hat nicht gereicht.«859 Daraufhin verhandelte Schüssel noch kurz mit dem Parteivorsitzenden der SPÖ, Alfred Gusenbauer, dem jedoch von seiner Partei ebenfalls bedeutet wurde, die Forderungen des Kanzlers wären nicht zu akzeptieren. Also erneuerte die ÖVP die Koalition mit einer sehr geschwächten Freiheitlichen Partei. Wieder legte die Regierung ihr Hauptaugenmerk auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Liberalisierung und Deregulierung wurden fortgesetzt. Die Argumente dagegen schienen sich genauso zu wiederholen wie die Maßnahmen  : »Ausverkauf österreichischer Paradeunternehmen«, »Verschleuderung von öffentlichem Eigentum«, »Familiensilber«.860 Aber es war schwer zu argumentieren, wenn man sich das Desaster der VOEST in der Vergangenheit und die riesigen Defizite einiger Staatsbetriebe ansah. Die Schattenseite war freilich, dass der Abbau der Mitarbeiter dramatisch war, und der Stand an Beschäftigten in den Jahren nach 2000 nur mehr die Hälfte jener Stände betrug, die noch 1985 gezählt worden waren.861 Der Sanierungserfolg von Konzernen und Betrieben, die lange defizitär gewesen waren, war augenfällig. Sie brauchten keine Zuschüsse mehr oder warfen wie die Österreichische Industrieverwaltungs-Aktiengesellschaft (ÖIAG) Gewinne ab, die als Dividenden im Budget landeten. So das noch nicht geschehen war, wurde die Vollprivatisierung eingeleitet. Der Erdölkonzern OMV, die Telekom Austria und die AUA waren die nächsten »Kandidaten«. Die Post sollte an die Börse gebracht werden, usw. Dass es daher hieß, von einer Vielzahl von Konzernen, Firmen und Betrieben Abschied zu nehmen, die regelrecht identitätsstiftend geworden waren, musste wohl in Kauf genommen werden. Auch die SPÖ hatte ja die Erfahrung machen müssen, dass die »Arbeiter-Zeitung«, der »Vorwärts Verlag«, die Konsum-Genossenschaft und andere »rote« Traditionsbetriebe zu nicht mehr tragbaren finanziellen Belastungen geworden waren und unter bisweilen dramatischen Begleitumständen liquidiert werden mussten. Welche Veränderungen mit dem Verkauf großer nunmehr privatwirtschaftlich geführter Bereiche einhergingen, wäre noch Jahrzehnte früher als regelrechte Katastrophe gesehen worden  : Deutsche Konzerne erwarben im großen Stil Anteile an Österreichs Wirtschaft und erreichten in manchen Wirtschaftszweigen eine Vormachtstellung, die weit über das hinausging, was etwa 1945 als Deutsches Eigentum gegolten hatte. Briten, Niederländer

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und Italiener verstärkten ihre Präsenz in Österreich und erreichten schließlich, dass über 10.000 ausländische Unternehmen in Österreich ein Drittel des Umsatzes aller in Österreich tätigen Firmen erwirtschafteten.862 Als Äquivalent wurde auf die »Osterweiterung« verwiesen, bei der dann 6.400 Kreditinstitute und Firmen, die in Österreich ihre Zentralen hatten,863 führend waren und ihrerseits als Sendboten einer globalisierten, darum aber nicht immer willkommenen Welt empfunden wurden. Einige Konzerne drohten aber ohnedies bald nicht mehr österreichische Firmen zu sein. Auf dem Gebiet des Lebensmittelhandels war man drauf und dran, jegliches nationale Denken abstreifen zu müssen. Die meisten Lebensmittelketten, die die Einzelhändler ablösten, befanden sich in der Hand deutscher Eigentümer. Die Konzentration auf dem Zeitungsmarkt führte dazu, dass die auflagenstärksten Zeitungen zu deutschen Konzernen gehörten. Deutsche Fernsehprogramme nahmen mehr und mehr Sendeplätze ein und drängten den Monopolisten, den Österreichischen Rundfunk, zurück. Man musste auch nur die Fernsehwerbung sehen, um zu wissen, wohin der Euro rollte. Und die der »Kleinkinderbewahranstalt« Fernsehen überlassenen Jugendlichen befleißigten sich wie selbstverständlich eines Idioms, das vor »Schnäppchen«, »nö«, »lecker« und »dufte« nur so strotzte. Die Globalisierung der Nachbarschaft war eine Begleiterscheinung der in den neunziger Jahren einsetzenden Veränderungen. Deutsche Studenten überfluteten die österreichischen Universitäten. Beschränkungen wurden als nicht EU-konform beeinsprucht. Bei Berufungen auf universitäre Lehrkanzeln machte sich ebenso bemerkbar, dass Deutschland mit einem zehnmal so großen Angebot an Intellektuellen immer wieder die Nase vorne hatte. Ähnliches galt für die großen Kultureinrichtungen, Museen und Theater. Für manchen altgedienten, österreichbewussten Mimen wie Fritz Muliar ein Horror. Er hatte sich schon 1993 seinen Frust von der Seele geschrieben  : »Das Burgtheater gibt es nicht mehr. Es gibt nur ein Haus gleichen Namens, vis à vis vom Rathaus in Wien, in dem viele fremde Leute Theater spielen. Seit der Direktionsübernahme durch die Theatermacher aus Bochum (vier an der Zahl  !) ist aus unserem Nationaltheater ein Stadt-Theater nach West-Deutschem Vorbild geworden …. Die Kaiserkrone wurde von der Pickelhaube verdrängt und das mit deutscher Gründlichkeit ….«864

Die Bilanz war daher durchmischt, doch man jammerte auf hohem Niveau. Unbestreitbar war, dass das »rückständige« Österreich, wie es in einer deutschen Zeitschrift geheißen hatte, zum Vorbild mutiert. »Wie haben die das bloß geschafft  ? Gute Stimmung, mehr Wachstum, Neue Jobs …. Schwer zu glauben, aber es stimmt  : Die ewig rückständigen Österreicher haben die Deutschen in den ökonomischen Daten tatsächlich überflügelt.«865 Dieser Befund konnte wie Balsam auf die Wunden wirken, die Österreich europapolitisch geschlagen worden waren. Denn es war ja nicht bei den Maßnahmen der

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EU-14 geblieben. Österreich wurde seine Außenseiterrolle immer dann vor Augen geführt, wenn es galt, die »Andersartigkeit« des kleinen Alpenstaats kritisch anzumerken. Denn Österreich war auch ein Hindernis geworden. Das musste die NATO während des zweiten Irakkriegs und vor allem als Begleiterscheinung der NATO-Luftangriffe gegen Ziele in Jugoslawien 1999 zur Kenntnis nehmen, als Österreich NATO-Transporte durch Österreich unmöglich machte und Überflüge untersagte. Österreich wurde auch immer wieder harsch kritisiert, weil es am Atomsperrgesetz von 1978 festhielt und nicht zuletzt unter dem Eindruck der Katastrophe im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl auch gegen die Errichtung von Atomkraftwerken im Nahbereich auftrat. Das irritierte all jene, die weiterhin auf die Kernenergie setzten. Österreich wurde auch als Hindernis bei der Durchsetzung des freien Warenverkehrs in Europa gesehen und leistete erheblichen Widerstand bei der Freigabe des Schwerlastverkehrs durch Tirol. Immer wieder wurde von der EU-Zentrale in Brüssel ein Nachgeben angemahnt. Gleichzeitig sollte im Land eine EU-freundliche Stimmung genährt werden und sollte man auch jenen Ländern, die keine gute Nachbarschaft zeigten, als freundlicher Nachbar begegnen. Das war nicht zuletzt auch im Fall Deutschlands so, dessen rot-grüne Regierung, Schröder-Fischer, deutliche Antipathie zeigte und so ganz anders war als die vorher von Helmuth Kohl geführten Regierungen. An dem »Einer gegen Alle« schien sich auch nichts zu ändern, als sich Österreich mit seinem Wunsch, der Türkei zwar eine »privilegierte Partnerschaft« anzubieten, jedoch keine regelrechten Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, nicht durchsetzen konnte. In Wien wurde mit der Größe der Türkei, der sozio-ökonomischen Rückständigkeit, der fragwürdigen Menschenrechtssituation, hohen Kosten und vor allem der Gefahr einer Masseneinwanderung argumentiert. Aber natürlich war das für die NATO-Partner der Türkei, und das waren fast alle Europäer, nicht ausreichend stichhaltig. Noch dazu war der Türkei die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ja versprochen worden. Kein EU-Land teilte die österreichische Meinung.866 Kritik an Wien konnte nicht ausbleiben. Zu dem mitunter schlechten Image Österreichs trug auch bei, dass Wahlen zum Europäischen Parlament nicht von allen Parteien zum Anlass genommen wurden, nur die besten Köpfe nach Brüssel zu schicken, sondern neben guten Kandidaten auch denkbar fragwürdige Gestalten ein Mandat bekamen. Ende 2003 entsolidarisierte sich Österreich abermals, als es darauf drang, dass in den EU-Verfassungsvertrag keine Verpflichtung zum militärischen Beistand seitens der Neutralen aufgenommen wurde. Das war freilich etwas, wo sich Österreich mit Schweden, Finnland und Irland eines Sinns sah. Der Irakkrieg des Jahres 2003 trug mehr als alles andere dazu bei, das Bewusstsein für den Wert der immerwährenden Neutralität zu stärken. Österreich gehörte nicht der von den USA verlangten »Koalition der Willigen« an und musste sich flugs darauf als Teil des »alten« Europa abqualifizieren lassen. Doch es befand sich in guter Gesellschaft, etwa mit Deutschland und Frankreich. Für

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die Befürworter eines NATO-Beitritts Österreichs bedeutete gerade dieser Krieg das Ende aller Bemühungen. Es war aussichtslos, dagegen ankämpfen zu wollen. Doch ein Hintertürchen gab es noch  : 2003 dachte der Verteidigungsminister der Regierung Schüssel II, Günther Platter, laut über die Möglichkeit nach, die Allgemeine Wehrpflicht zugunsten eines Berufsheers aufzugeben.867 Das schien nicht so abwegig, wenn man bei einem Blick rundum festzustellen hatte, dass mehr und mehr Staaten ihre Streitkräfte auf Berufsheere umstellten. Sieben Jahre später, 2010, gab dann der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, unvermittelt den Anstoß zur Abhaltung einer Volksabstimmung über die Abschaffung oder Beibehaltung der Allgemeinen Wehrpflicht. Die Einführung eines Berufsheers würde – so nicht zuletzt die Überlegungen einer großen Zahl von Befürwortern auch und besonders in den Reihen des Bundesheers – über kurz oder lang zum NATO-Beitritt Österreichs führen und damit dessen Zwitterexistenz des »Ich möchte gern, aber ich kann nicht« beenden. Vor allem, so die Hoffnung vieler Militärs, würde die NATO darauf dringen, dass Österreich sein notorisch unterdotiertes Heer materiell besser ausstatten musste. Das Bundesheer war kleiner und kleiner geworden. Die organisatorischen Änderungen erfolgten in immer kürzeren Abständen.868 Schließlich wurde die Gesamtdienstzeit auf sechs Monate herabgesetzt. Wiederholungsübungen entfielen. Während aber schwere Waffen und gepanzerte Fahrzeuge verkauft wurden, gab es einen Quantensprung bei der Fliegerei, die so lange Stiefkind gewesen war  : Österreich wollte 24 Maschinen eines der modernesten Flugzeuge der Welt, den Eurofighter »Typhoon« bestellen. Bald aber wurden Finanzierungsprobleme deutlich  : 24 Maschinen waren zu teuer, 18 sollten es auch tun. Und ein paar technische Finessen ließen sich auch weglassen. Damit entsprach die Regierung aber nicht nur den sich ständig verknappenden Budgetmitteln, sondern auch dem Wunsch der Opposition, die den Kauf überhaupt rückabwickeln wollte. Wie selbstverständlich bei einem so teuren und kontroversiell beurteilten Ankauf wurde schnell von Korruption gesprochen. Der Vorwurf sollte sich als unbegründet herausstellen. Dass es ganz andere Probleme gab und sich 2017 der Verdacht der Täuschung durch die Herstellerfirma erhärtete, ließ sich 2002 noch nicht absehen. Gemessen an den ersten Monaten der ÖVP-FPÖ-Koalition hatte die Regierung schon 2003 deutlich an Schwung verloren. Wie durchaus üblich, war getrachtet worden, möglichst viele und nicht nur populäre Maßnahmen in den ersten Monaten umzusetzen, um in der Folge mit weniger Druck arbeiten zu können. Die EU-Sanktionen hatten zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Abläufe gesorgt. Das war vorbei, und es war denkbar »normal« geworden in Österreich. Sofern man die Vorgänge innerhalb der FPÖ als »normal« bezeichnen konnte. Nach den Wahlen war die FPÖ zwar erheblich geschrumpft, doch es gab sie noch, und sie war auch noch in der Regierung vertreten. Im April 2005 ging Jörg Haider aber daran, eine neue Partei zu gründen, die er »Bewegung Zukunft Österreich« (BZÖ) nannte. Schüssel dachte kurz an Neuwahlen, doch es

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war wohl absehbar, dass nicht zuletzt die Kanzlerpartei die Rechnung für die Turbulenzen beim Koalitionspartner zu zahlen gehabt hätte. Also blieb die Zusammensetzung der Regierung wie sie war, und die FPÖ/BZÖ-Regierungsmitglieder mussten selbst darüber entscheiden, welcher Partei sie sich zugehörig fühlten. Neuwahlen waren aber auch deshalb nicht opportun, da die Staatsvertragsfeiern aus Anlass des 50. Jahrestags des Vertrags von 1955 unmittelbar bevorstanden und Österreich nicht das Bild der politischen Auflösung und eines innenpolitischen Chaos bieten sollte. Die Staatsvertragsfeiern konnte man dann durchaus als Gradmesser für die internationale Wertschätzung sehen und an ihnen ablesen, wie sich das Land international positionierte. Bei der zentralen Feierstunde im Oberen Belvedere am 15. Mai kamen der russische Außenminister Sergej Lavrov und der französische Außenminister Michel Barnier. Großbritannien entsandte seinen Europaminister Douglas Alexander und die USA Rudy Boschwitz, einen früheren Senator und Sohn eines amerikanischen Besatzungsoffiziers. Das war aber wohl nicht nur so zu interpretieren, dass für Russland und Frankreich der österreichische Staatsvertrag noch immer wichtig war, während er für die USA zu einer lästigen Reminiszenz geworden war. Daran ließ sich sehr wohl ablesen, welchen Stellenwert der kleine Neutrale in der europäischen Gemengelage für den einen wie für den anderen hatte. Für die USA genügte die Entsendung eines Ex-Senators. Nach den Übereinkommen über die Zwangsarbeiterentschädigung und vor allem nach dem Abschluss des Washingtoner Abkommens über den Allgemeinen Entschädigungsfonds waren die bilateralen Kontakte der USA und Österreichs ohne Höhepunkte geblieben. Es galt, was wenig später in ein Beziehungsresümee einfloss  : Österreich war in den Augen der Amerikaner ein »in sich verliebtes, bequemes und durch die Umstände wirtschaftlich erfolgreiches Land, das sich unter seinem Wert verkauft.«869 Diesem Urteil mochte sich eine ganze Reihe von Ländern anschließen. Und es war zum wenigsten schmeichelhaft. Österreich hatte sich sehr dafür eingesetzt, dass die nunmehr als »zentraleuropäisch« bezeichneten Staaten Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen 2004 in die EU aufgenommen wurden. Dasselbe galt für Slowenien. Und für Kroatien gab es zumindest konkrete Aussichten. Doch es herrschte nur teilweise das, was man zehn Jahre später als »Willkommenskultur« bezeichnete. Auch diese Staaten waren Österreich nur insofern willkommen, als sie sich der österreichischen Form von »Turbokapitalismus« öffneten und für die äußere Sicherheit sorgten. Das taten sie auch. Es konnte denn auch nicht ausbleiben, dass Österreich seine Verteidigungsausgaben abermals reduzierte. Von Verteidigungsanstrengungen war ohnedies nie zu reden gewesen. Und um nicht womöglich Ziel einer unkontrollierbaren Wanderungsbewegung zu werden und eine Vielzahl an Arbeitskräften aufnehmen zu müssen, die sich bessere Verdienstmöglichkeiten suchen wollten, wurde der österreichische Arbeitsmarkt für sieben Jahre für den Zuzug aus dem Osten gesperrt.

23. Der Rückfall

23 Der Rückfall

23 Soldaten des österreichischen Bundesheers beim Assistenzeinsatz zur Überwachung des Grenzraums an der österreichisch-ungarischen Grenze nahe der Eisenbahnstation LoipersbachSchattendorf, August 1992. Der Abbau der Grenzsicherungen in Ungarn und die Möglichkeit, unkontrolliert die Grenzen zu passieren, hatten zur Folge, dass im September 1990 ein für zehn Wochen gedachter Einsatz von Soldaten des Bundesheers angeordnet wurde. Er dauerte schließlich 21 Jahre und wurde erst am 15. Dezember 2011 beendet. (Foto: Bundesheer)

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ollte sich jemand noch so weit zurückerinnern können, konnte er sich 2006 an das Ende der Regierungszeit von Josef Klaus gemahnt sehen. Wolfgang Schüssel zog eine Bilanz seiner Regierungszeit. Die Positiva herrschten vor, und der Kanzler ließ auf Plakaten und in Broschüren das Erreichte der vorangegangenen sechs Jahre so aufbereiten, dass man den Eindruck haben musste, Österreich hätte sich total verändert. Tatsächlich war viel geschehen. Die holprigen Anfänge spielten keine große Rolle mehr. Da ging es um die schon Jahre zuvor beschworene »Ökosoziale Marktwirtschaft«, Deregulierung, Liberalisierung, Budgetkonsolidierung – und was da sonst noch hervorhebenswert war. Entgegen dem, was am Anfang gestanden war – Befürchtungen über die Haltbarkeit des inneren Friedens, Argwohn über die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen, soziale Konflikte und vor allem auch eine Beschädigung des internationalen Ansehens –, hatten sich die Dinge doch sehr viel moderater entwickelt. Durch Privatisierungen und den Rückzug des Staates aus wichtigen, wenngleich nicht immer rentablen Wirtschaftsbereichen war Geld in die Kassen gespült worden. Ein innenpolitischer Dauerbrenner mit außenpolitischer Relevanz, die leidige Frage der Anbringung von zweisprachigen Ortstafeln in Südkärnten, konnte als beinahe gelöst angesehen werden. Die FPÖ Jörg Haiders war zerfallen, Haider selbst als Partner unglaubwürdig geworden. Einer der großen Skeptiker der Kleinen Koalition, Bundespräsident Thomas Klestil, war tot. Zwei Tage vor Vollendung seiner zweiten Amtszeit war er am 6. Juli 2004 gestorben. Der Zweite Präsident des Nationalrats, Heinz Fischer, war zu seinem Nachfolger gewählt worden. Er hatte seine Gegenkandidatin, die bisherige Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, deutlich besiegt. Damit schien die alte Formel wiederhergestellt zu sein  : Bundespräsident und Bundeskanzler gehörten verschiedenen Parteien an. Und Schüssel konnte sich trotz der Niederlage »seiner« Kandidatin zufrieden zeigen, dass das nie ganz spannungsfreie Verhältnis zu Bundespräsident Klestil Geschichte war. Mit Heinz Fischer sollte es besser gehen. Die Ungeliebte Das Ausland hatte sich mit der Kleinen Koalition in Österreich abgefunden, sich auch zunehmend freundlich gezeigt, denn Österreich hatte sich zu einem Musterschüler der EU entwickelt. Das Verhältnis zu den USA aber auch zu Russland war mehr oder weniger spannungsfrei. Für jene, die 2006 wählen sollten, war aber ohnedies anderes wich-

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tiger. Da ging es in absteigender Folge um die Bekämpfung der Kriminalität, politische Sauberkeit, das Verhindern der Abwanderung österreichischer Betriebe ins Ausland, die Verbesserung der Altenbetreuung, einen Stopp der als Bevormundung wahrgenommenen Einflussnahmen der EU und schließlich eine Latte von materiellen Zielen von der Erhöhung der Pensionen bis zur Unterstützung für kinderreiche Familien.870 Vor allem bei den letzten Forderungen hakte die SPÖ ein. Sie sah sich im Aufwind. Die Sozialdemokraten hatten unter ihrem neuen Parteivorsitzenden, Alfred Gusenbauer, die traditionell »schwarzen« Bundesländer Steiermark und Salzburg erobert und stellten in beiden Ländern die Landeshauptleute. Für die österreichischen Sozialdemokraten las sich die Bilanz der Regierung denn auch bei weitem nicht so positiv. Als unerledigt und unsozial wurden angeprangert  : Fragen der Grundsicherung, eine große Steuerreform, die Privilegien der Reichen und »Superreichen«, die Abschaffung der Studiengebühren und anderes. Das ließ sich so aufbereiten, dass damit nicht nur Position bezogen, sondern auch Ängste geweckt werden konnten. Es lief auf eine direkte Konfrontation der traditionellen Parteien hinaus, da man die Freiheitlichen nach ihren internen Querelen diesmal weitgehend ausklammern konnte und die Grünen eher als lästig, denn als gefährlich einstufte. Was am Ende stehen würde, ließ sich aber schon im Vorfeld der Wahlen voraussagen  : Es würde wohl wieder eine Große Koalition geben. Man würde wieder zum Grundmuster der Zweiten Republik zurückkehren und ein weiteres Mal eine Kleine Koalition zur Episode werden lassen. Eine Große Koalition als Ausdruck der Verlegenheit war aber sicher keine gute Voraussetzung für ein neuerliches Zusammengehen. Wolfgang Schüssel musste sie als die denkbar zweitbeste Lösung sehen, doch unter der Annahme, weiterhin die Führung in einer Koalitionsregierung innezuhaben, war es für ihn ein zumindest denkbares Modell der Zusammenarbeit. Was er nicht wollte, war, als Zweiter in einer Großen Koalition agieren zu müssen. Er fühlte sich siegessicher – und sollte sich täuschen  : Am 1. Oktober 2006 war wieder einmal alles anders. Die SPÖ hatte die Nase vorn. Und Schüssel resignierte. Er reagierte allerdings nicht wie Josef Klaus 1970, indem er sich schlagartig zurückzog, vielmehr wollte er in den Verhandlungen mit dem designierten Kanzler Alfred Gusenbauer die Bedingungen für eine Zusammenarbeit ausloten und sie vereinbaren. Das war redlich gedacht, da es dem Finanzminister und Nachfolger Schüssels als Bundesparteiobmann, Wilhelm Molterer, die Möglichkeit gab, unbelastet und gewissermaßen ohne Schrammen in eine neue Regierung zu gehen. Aber es sollte sich als weit schwieriger erweisen als gedacht. Gusenbauer und Schüssel gingen so wie seinerzeit Klima und Schüssel nicht aufeinander zu, sondern entfernten sich zusehends. Statt der von Gusenbauer angesprochenen »Vergangenheitsbewältigung«, einem wohl nicht ganz passenden Begriff, oder den von der Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller geforderten »Abrüstungsgesprächen«871 gab es eine Eskalation. Sachlich und verbal. Gusenbauer zögerte nicht, einem schon

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während des Wahlkampfs von seinem Wahlkampfleiter und Bundesgeschäftsführer, Norbert Darabos, geforderten Untersuchungsausschuss über die Beschaffung der »Eurofighter« zuzustimmen und – wenn möglich – den Kauf zu stornieren. Er gab auch bereitwillig der Forderung nach einem Bankenuntersuchungsausschuss nach. Beide Male wurde die SPÖ von der FPÖ unter ihrem 2004 gewählten Obmann HeinzChristian Strache und von den Grünen Alexander Van der Bellens unterstützt. Die ÖVP sah das als Affront, und die Koalitionsgespräche entwickelten sich zu einer mit Bitterkeit geführten Konfrontation. Sie standen schließlich vor dem Scheitern, als sich der Bundespräsident nachhaltig einzumischen begann. Er wusste natürlich von den Gedankenspielen, die in zumindest theoretisch denkbarer Form eine Dreierkoalition in den Raum stellten, die aber – wenn überhaupt – eher unter ÖVP-Führung möglich gewesen wäre. Gusenbauer hielt dem die Möglichkeit der Bildung einer Minderheitsregierung entgegen.872 Wieder war es das Vorbild Bruno Kreiskys, das dabei bemüht wurde, denn was Kreisky 1970 geschafft hatte, das wollte auch Gusenbauer versuchen. Die ÖVP sah das durchaus als Möglichkeit mit einem auch für die Volkspartei ungewissen Ausgang. Heinz Fischer war da anderer Ansicht. Er war dagegen. Gusenbauer und die SPÖ fügten sich. Es wurde Januar 2007, ehe sich zumindest ein Rahmenabkommen abzuzeichnen begann. Das Misstrauen und die persönliche Abneigung blieben. Und das waren schlechte Voraussetzungen für eine neuerliche Zusammenarbeit in einer ungeliebten und lediglich der Notwendigkeit geschuldeten Koalition. Dabei gab es ausreichend Fragen, die einer Antwort harrten. Zukunftsängste waren laut geworden. Statt aber bei den Positiva vergangener Großer Koalitionen anzusetzen, wurde so getan, als ob es gelte, die Zeit der ÖVP-FPÖ-Koalition zu überspringen und bei den Querelen des Jahres 1999 anzuknüpfen. Der Tag, an dem Finanzminister Grasser 2001 verkündet hatte, dass man das Nulldefizit erreicht habe, war längst vorbei. Auch bei anderen Themen war die Diskrepanz zwischen den neuen alten Partnern auffällig  : Auf der einen Seite stand die Forderung nach einer Rücknahme der staatlichen Einflussnahmen, während sich die SPÖ einem Staat verpflichtet fühlte, der für alles zuständig sein sollte. Nicht zuletzt für die Zuwanderung. »Pummerin statt Muezzin« Der Themenwechsel hatte sich schon lange angekündigt. Jetzt war er da  : War schon seit den späten achtziger und frühen neunziger Jahren die Angst vor Überfremdung thematisiert worden, wurde sie nun immer konkreter. Jetzt war es die Islamisierung, die vor allem von der FPÖ zum Thema gemacht wurde und Sorgen wie Ängste weckte. Plakatreimereien wie »Pummerin statt Muezzin« oder »Lieber Heimreise als Einreise«

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wurden schon bei der Wahlwerbung in Wien 2005 ungeniert eingesetzt, um Emotionen zu schüren. Die Masse der Zuwanderer, der Umstand, dass sie aus fremden Kulturkreisen stammten und ihre Integrationsfähigkeit ebenso wie ihre Integrationswilligkeit mitunter nicht gegeben war,873 machten zu schaffen. Immer wieder war gegenzusteuern versucht worden, doch die Zuwandererzahlen wiesen nach oben. Österreich wählte seine Flüchtlinge nicht aus, sondern nahm sie auf. Der Familiennachzug und der Kinderreichtum machten die Bemühungen um eine Einschränkung der Zuwanderung zunichte. In Österreich geborene Kinder waren Österreicher. Kriege und Bürgerkriege in den Kaukasusrepubliken der ehemaligen Sowjetunion hatten einen Zustrom von Flüchtlingen zur Folge. Tschetschenen, die über Ungarn und meistens über die Slowakei nach Österreich kamen, konnten und mussten oft nur ein Wort sagen  : »Asyl«, um aufgenommen zu werden und Flüchtlingsstatus zu erhalten. Weit mehr noch machte der Zuzug aus der Türkei Kopfzerbrechen. Die Integration der aus der Türkei kommenden Zuwanderer wurde zum Dauerthema, denn sie wollte nicht und nicht gelingen. Da bildete sich etwas heraus, das zwar im Prinzip gekannt wurde, nämlich »Versäulung«, doch sie bekam ganz andere Inhalte als der seinerzeit auf die Großparteien gemünzte Begriff. In den Ballungsräumen, vor allem in Wien, aber auch in Graz, Linz und Westösterreich, zeigte sich zunächst die verständliche Tendenz der Neuankömmlinge zusammenzuziehen. Eine Art Ghettobildung war die Folge. Die Infrastruktur veränderte sich, Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe dienten in erster Linie dazu, die Bedürfnisse der Migranten zu stillen. Märkte boten bald mehr »orientalische« als bäuerliche Produkte der Region an. Die Speisevorschriften gläubiger Muslime förderten das. Der Schulbesuch wurde zum Problem. Ältere Zuwanderer bemühten sich gar nicht um den Spracherwerb. In den Schulklassen einiger Bezirke und Regionen wurden die Kinder von Alteingesessenen zur Minderheit. Wer konnte, zog weg. Das von der Regierung Schüssel verabschiedete Integrationspaket forderte zwar verpflichtende Deutschkurse für Zuwanderer. Die Sprachkompetenz der Jüngeren ließ sich auch steigern. Viele Ältere versuchten aber nicht einmal Deutsch zu lernen. Am Ende des erstens Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts betrug die Zahl der in Öster­ reich lebenden Menschen mit einem sogenannten »Migrationshintergrund« mehr als 1,5 Millionen, was 18,6 % der Gesamtbevölkerung entsprach. 516.000 von ihnen waren Muslime.874 (2017 schätzte man ihre Zahl auf rund 700.000.)875 Die Hälfte von ihnen besaß die österreichische Staatsbürgerschaft. Damit lag Österreich unter den europäischen Staaten unangefochten an der Spitze. Der Islam war nach der katholischen Kirche zur zweitgrößten Glaubensgemeinschaft geworden. Der Boden für eine wachsende Ausländerfeindlichkeit war aufbereitet. Diese beschränkte sich aber nicht auf die »Alteingesessenen«, sondern erfasste auch die Zuwanderer früherer Einwanderungswellen. Da sie in einem deutlich höheren Ausmaß von Arbeitslosigkeit bedroht waren als früher, unterstützten sie aus existentiellen Gründen ausländerfeindliche Parteien

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und wandten sich vor allem der FPÖ zu. Sie würde am ehesten den weiteren Zuzug verhindern, meinte man. Die anderen Parteien konnten sich dem zwar argumentativ widersetzen, mit Menschenrechten und EU-Richtlinien kontern, doch sie konnten damit nur zeitweilig und nur die Gutwilligen überzeugen. Die Solidarität, die während der Kriege in Jugoslawien durchaus funktioniert hatte, war rapide im Schwinden. Die nach 1989 beschworene multikulturelle (»Multikulti«) Gesellschaft wurde zur Fiktion. Und man war erst am Beginn einer Debatte – und begann an den Symptomen herumzudoktern, ohne Patentlösungen parat zu haben. Das Migrationsproblem verschränkte sich mit anderen Fragen, vor allem mit der zunehmenden EU-Skepsis. 2002 war die Einführung des Euro noch bejubelt worden. Kaum aber ging es um die Erweiterung der EU, regte sich merklicher Widerstand. Beim Stimmungsbarometer nahm Österreich im Oktober/November 2005 schließlich den unrühmlichen letzten Platz ein. Nur mehr 24 % der Bevölkerung waren gegenüber der EU uneingeschränkt positiv eingestellt. Im Binnenvergleich fiel auf, dass die Zustimmung in Salzburg immer noch 59 % betrug, während sie in dem aus EU-Töpfen besonders geförderten Burgenland auf 14 % abgesackt war. Frustration machte sich breit. Man war gegen einen raschen Beitritt von Rumänien und Bulgarien, von der Türkei ganz zu schweigen. Vieles wurde nicht mehr verstanden. Und aus der räumlichen und vor allem emotionalen Distanz zu den europäischen Institutionen ergaben sich jede Menge Konfliktstoffe. Die EU wollte sich eine Verfassung geben. An sich war das die logische Fortsetzung des Einigungswerks.876 In Frankreich und den Niederlanden wurden darüber Volksabstimmungen abgehalten. Sie gingen gegen die Verfassung aus. Also wurde ein Plan B entwickelt  : Es sollte keinen Verfassungs-, sondern einen Reformvertrag geben. Nun stimmte Irland dagegen. Tags darauf, am 15. Juni 2008, hieß es in der »Kronen-Zeitung«  : »Die zornigen Iren schlugen der EU ein blaues Auge.« Und Österreich  ? Für die EU-Skeptiker, erst recht für die Gegner, schien ein einziger Artikel des in Lissabon vereinbarten Reformvertrags bedeutsam  : Der Artikel 50, der den Austritt aus der Gemeinschaft regelte. Die Koalition erledigte zwar den Prozess der parlamentarischen Behandlung des Lissabon-Vertrags und sorgte für die nötige Zustimmung. Fast zeitgleich distanzierten sich der Bundeskanzler und sein neuer Parteivorsitzender, Werner Faymann, in einer Aufsehen erregenden Weise von dem soeben Beschlossenen. Beide schrieben am 1. Juli 2008 einen Brief an den Herausgeber der »Kronen-Zeitung«, Hans Dichand, zu dem vor allem Faymann gute Beziehungen hatte, und hielten fest  : »In der Diskussion um den Lissabon-Vertrag wurde großes Unbehagen deutlich. Wie in Irland gibt es auch in Österreich »eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der EU. Nachdem eine überwältigende Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher 1994 für einen Bei-

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tritt zur Europäischen Union gestimmt hat, begegnen wir heute einer Stimmung der Verunsicherung und manchmal auch Ablehnung. Viele Menschen sind enttäuscht und verärgert über die geringen Fortschritte, die die EU auf dem Weg zu einer Sozialunion erreicht hat.«

Und dann wurden regelrecht Pflöcke eingeschlagen  : »Die EU sei demokratiefeindlich und beschäftige sich nicht mit den tatsächlichen Problemen. Der österreichische Arbeitsmarkt muss durch »Übergangsfristen geschützt bleiben …«. »Im Rahmen des Kampfes gegen den Klimawandel muss auch das Transitproblem endlich gemeinsam gelöst werden.« Zukünftige Vertragsänderungen, »die die österreichischen Interessen berühren«, sollen »durch eine Volksabstimmung entschieden werden …. Dies gilt auch für einen möglichen Beitritt der Türkei, der unserer Ansicht nach die derzeitige Struktur der EU überfordern würde.«877

Damit war die Verschränkung perfekt, und die ÖVP, die das in der Zeitung lesen durfte, war düpiert. Man war an dem Punkt angelangt, den Franz Vranitzky »die Boulevardisierung der Politik und der Politiker« nannte.878

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24 Flüchtlinge in der Abfertigungszone an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld, 26. Oktober 2015. Im Spätherbst 2015 erreichte der Strom von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten einen Höhepunkt. Die partielle Grenzsperre entlang der Autobahn von Budapest nach Wien bewirkte eine Verlagerung auf die sogenannte Westbalkanroute, bis auch hier der freie Übergang unterbunden wurde. Im Verlauf des Jahres passierten rund 700.000 Menschen Österreich auf dem Weg nach Deutschland oder Schweden. 88.000, darunter rund 10% unbegleitete Jugendliche, beantragten in Österreich Asyl. (Foto: Heeres-Film- und Bildstelle HBF/ Gunter Pusch)

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ie Zustimmung zur Politik war schon seit Jahren im Sinken, das Vertrauen in Politiker extrem niedrig.879 Die Sympathien der Spitzenpolitiker füreinander enden wollend. Dennoch war das Koalitionsabkommen am 9. Januar 2007 unterschrieben worden. Die ÖVP hatte das erreicht, was man der SPÖ 1963 nachgesagt hatte  : Sie hatte in den Verhandlungen ihre Niederlage bei weitem kompensiert. In den Reihen der SPÖ herrschte begreiflicherweise Unmut. Gegen Gusenbauer wurde von Organisationen seiner eigenen Partei demonstriert – aber auch gegen Kreisky hatte die Parteijugend demonstriert. Die Medien hielten sich mit wenig schmeichelhaften Worten nicht zurück. Der SPÖ-Parteivorsitzende nahm’s hin. Alfred Gusenbauer wollte Bundeskanzler werden. Und er wurde es. Allen Schmährufen von rund 2.000 Demonstranten auf dem Ballhausplatz zum Trotz. Doch auch das war seit der Regierungsbildung im Jahr 2000 kein Novum mehr. Es dauerte nur wenige Wochen, und die Regierungsparteien wurden von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Sie hatten in der Vorwahlzeit hemmungslos lizitiert und Versprechungen gemacht, die für das Budget Mehrbelastungen von mehreren Milliarden Euro bringen sollten. Die Sache mit der Einsparung von 30 Milliarden Euro bis 2016 war vom Tisch. Die Verlängerung der Frühpensionsregelung, die für Schwerarbeiter gedacht gewesen war, war mittlerweile zur Farce geworden  ; die Streichung der Studiengebühren, Verbesserungen im schulischen und im Sozialbereich, schließlich die Beschaffung der »Eurofighter« sollten ohne Zusatzbelastungen finanziert werden – das ging nicht. Gleichzeitig wurde von der Erreichung eines Nulldefizits gesprochen. Verständlich, dass dann von massiven Einsparungen die Rede war. Der vom Wahlkampfleiter der SPÖ zum Verteidigungsminister avancierte Norbert Darabos glaubte auch zu wissen, wo  : bei den »Eurofightern«. Parallel zum Untersuchungsausschuss, der Unregelmäßigkeiten beim Beschaffungsauftrag, im Klartext »Bestechung«, aufdecken sollte, wurde über eine weitere Reduktion der Stückzahl, über Maschinen der ersten, also nicht der modernsten Baureihe und eine Minderausstattung zu verhandeln begonnen. Der Untersuchungsausschuss förderte zwar einige Ungereimtheiten bei Spesenabrechnungen zu Tage, die aber ohne Einfluss auf die Typenauswahl und die Gesamtkosten gewesen waren. Doch es konnten keine Verfehlungen festgestellt werden, die einen Rücktritt vom Kaufvertrag gerechtfertigt hätten. Minister Darabos setzte sich über das Argument hinweg, dass eine weitere Reduktion der anzukaufenden 18 Maschinen den ganzen Kauf fragwürdig machen würde und war zufrieden, schließlich die Beschaffung von 15 nicht mehr ganz modernen Maschinen mit einer deutlich geringeren Lebens-

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dauer und einer Reduktion der Systeme durchgesetzt zu haben. Es gehe ja nur um die Überwachung des Luftraums und nicht um »Krieg«, meinte er 2017. Das Wort vom »Fliegenden Sondermüll« machte die Runde. Ausverkauf Abgesehen von den nicht nur atmosphärischen Störungen in der Zusammenarbeit der Regierungsparteien warf der Vorgang bei der Beschaffung der »Eurofighter« ein grelles Licht auf das Neutralitätsverständnis und die Verteidigungsbereitschaft des Landes und seiner Regierung. Die Jahre, in denen sich nach der Kreisky’schen Heeresreform das Bundesheer nicht nur außer Streit gestellt gesehen hatte, sondern sich auch der Zustimmung breiter Bevölkerungskreise erfreuen konnte, waren längst vorbei. Einsparungen hatten die Ausgaben für das Heer immer geringer werden lassen. Der Wegfall des Warschauer Pakts und der Beitritt der ost- und südosteuropäischen Staaten zur NATO hatten die Frage nach der Notwendigkeit eines Heeres wiederbelebt. Es gab ein nur mit einiger Mühe erstelltes Bedrohungsbild. Vollends das Wirksamwerden des Schengen-Abkommens über die Kontrolle der Außengrenzen der Union und deren Sicherung durch die am Rand der Union angesiedelten Staaten ließ die Notwendigkeit der Sicherung der Binnengrenzen wegfallen. Doch das Burgenland und Niederösterreich leisteten dem Heer insofern einen Dienst, als sie damit argumentierten, die Überwachung der Ostgrenze wäre nach wie vor wichtig. Am 21.  Dezember 2007 wurde daher ein »sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz nach Schengenerweiterung« wirksam. Die Soldaten wurden von der Staatsgrenze zurückgenommen und patrouillierten im Landesinneren. Das war jedoch kein Ersatz für ein vollwertiges Bedrohungsbild. Ein neues Bedrohungsbild, das vor allem auf Terrorismus und infrastrukturelle Bedrohungen ausgerichtet war, sollte das alte ersetzen. Und im Übrigen galt es, die Empfehlungen einer Bundesheerreformkommission von 2004 umzusetzen. Was als »Bundesheer Zwanzigzehn« gedacht war, wurde aber sehr schnell von der Wirklichkeit eingeholt. Also wurde das Heer weiter ausgedünnt und der zur Geldbeschaffung gedachte Verkauf von Kasernen und Liegenschaften fortgesetzt. Kritik am Heer, die eigentlich die politisch Verantwortlichen treffen musste, wurde abgeschmettert und damit beantwortet, dass Österreichs Heer nach wie vor bei den internationalen Einsätzen, vor allem in Bosnien, aber auch auf den Golanhöhen oder in Mali eine hervorragende Rolle spielte. Letzteres verdiente tatsächlich hervorgehoben zu werden, da es als außenpolitische Aktivität gelten konnte, die unter anderem auch dazu beitrug, dass sich Österreich 2009 abermals erfolgreich um einen Sitz als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bewerben konnte. Ob das schon ausreichte, um die vom ame-

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rikanischen Botschafter in Wien kurz darauf beschriebene »Windstille in Österreichs Außenpolitik«880 zu relativieren, musste sich weisen. Währenddessen setzte die Regierung Gusenbauer  – Molterer ihr eigenes Zerstörungswerk fort. Die Budgeterstellung geriet zur Quadratur des Kreises, da beide Regierungsparteien ihre Wahlversprechen einhalten und analog eine Bedeckung im Budget erreichen wollten. Ein wenig wurde die Regierung auch zur Getriebenen, da sie auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs reagieren sollte, der die geltenden Regelungen für die Erbschaftssteuer und die Schenkungssteuer als verfassungswidrig aufhob. Die Folge war die Abschaffung beider Steuern. Dann ging es um die Abgabenquote, den Finanzausgleich mit den Ländern und Gemeinden. Und immer wieder zeigte sich, dass die Zustimmung zum Einnahmenverzicht des Bundes unter dem Aspekt geschah, man könne nicht gegen eine Wohltat sein, da man sonst bei den unausweichlichen nächsten Wahlen schlechte Karten haben würde. Die Inflation sollte durch einen Teuerungsausgleich kompensiert werden – man konnte sich in die Zeit der Lohn- und Preisabkommen zurückversetzt sehen. Der Bundeskanzler wollte im Februar 2008 jedem Einkommens- und Pensionsbezieher 100 Euro zukommen lassen. Der »Gusi-Hunderter« wurde Gesprächsthema. Vizekanzler und Finanzminister Molterer lehnte kategorisch ab. Am 24. Februar verlangte Gusenbauer das Vorziehen einer Steuerreform auf 1. Januar 2009. Molterer lehnte ab. Kanzler und Vizekanzler richteten sich immer öfter über die Medien aus, was sie zu tun beabsichtigten. Und die Medien nützten ihre Position als »Vierte Gewalt« im Staat weidlich aus. Im Schatten der Bundespolitik steigerte sich aber auch – sofern notwendig – das Länderbewusstsein ein weiteres Mal. Die Landeshauptleute traten immer selbstbewusster auf und richteten der Bundesregierung ein ums andere Mal ihre Wünsche aus. Die Landeshauptleutekonferenz, eine in der Verfassung nicht vorgesehene Instanz, wurde schon als Ersatz für den Bundesrat gesehen. Das hatte aber nichts mehr mit Föderalismus zu tun, sondern war eine Reaktion auf die Führungsschwäche der Bundesregierung. Dieser ließen sich unschwer die Folgen einer negativen Entwicklung anlasten, während die Bundesländer die heile Welt zu verkörpern schienen. Als Nächstes geriet abermals eine Ikone ins Wanken  : Die österreichische Fluggesellschaft AUA konnte die gestiegenen Kosten nicht mehr auffangen, rutschte tief in die Verlustzahlen und wäre nur durch eine Re-Verstaatlichung zu retten gewesen. Die SPÖ wollte an einer österreichischen Lösung festhalten  ; die ÖVP dachte an eine »strategische Partnerschaft« oder an Verkauf. Im Mai 2008 war die gesamte Fluglinie nur mehr den Gegenwert von zwei Jumbojets wert.881 Schließlich blieb als letzter Ausweg der Verkauf der Luftlinie an die deutsche Lufthansa und die Übernahme eines Großteils der Schulden der AUA durch die Republik. Die nächsten Verkäufe und Privatisierungsmaßnahmen betrafen die Österreichische Post A.G. und die Telekom Austria. Schließlich machten die Vorgänge auf dem öster-

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reichischen Finanzmarkt die Sache nicht einfacher. Fehlspekulationen und Verluste in Höhe von Hunderten Millionen bei der Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) und bei der Hypo Alpe-Adria, der Kärntner Landeshypothekenbank, sorgten für Aufregung und Untersuchungen. Es waren aber nicht die Managementfehler, die dabei ins Gewicht fielen, sondern die abermals deutlich werdenden Verflechtungen von Politik und Geldwesen. Im Fall der BAWAG war es vor allem die Verbindung mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, die als Skandal gewertet wurde, eine Prozessflut auslöste und den Gewerkschaftsbund zum »wankenden Riesen« werden ließ.882 Im Kärntner Fall ließ Landeshauptmann Jörg Haider kein Mittel unversucht, um politischen Druck auszuüben und auch die Aufsichtsbehörde, die Finanzmarktaufsicht, als Schuldige dastehen zu lassen. Über das wahre Ausmaß des Debakels wusste man freilich noch lange nicht Bescheid. Kurz darauf wurden die Karten neu gemischt. Schon im Zusammenhang mit dem Verkauf der AUA, ebenso bei Post und Telekom war der Verkehrs- und Infrastrukturminister Werner Faymann immer stärker hervorgetreten. Er nützte die marktbeherrschenden Medien, vor allem die »Kronen-Zeitung«, um sich als jemand zu präsentieren, der das Ohr am Bürger hatte. Und er wusste wohl wie viele andere, dass sich innerhalb der SPÖ der Unmut über den Bundeskanzler kaum mehr zügeln ließ. Alfred Gusenbauer war immer wieder bereit gewesen, Positionen der ÖVP zu akzeptieren und hatte alles andere als glücklich agiert. Und was aktuell noch schwerer wog  : Die SPÖ verlor die Landtagswahlen in Tirol. Der SPÖ-Parteivorsitzende wurde von mehreren Landesorganisationen kritisiert, musste zur Kenntnis nehmen, dass Faymann und der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbands, Karl Blecha, an ihm vorbei eine Pensionsreform beschlossen hatten und seine eigene Popularität immer weiter sank. Er »wollte auch nicht mehr«, wie er nachträglich eingestand.883 Am 16.  Juni 2008 übernahm Werner Faymann als zunächst geschäftsführender Vorsitzender die Führung der SPÖ. Zehn Tage später richteten Gusenbauer und er den erwähnten EU-kritischen Brief an den Herausgeber der »Kronen-Zeitung«, Hans Dichand. Die ÖVP sah darin einen Verstoß gegen die an sich außer Streit zu stellende gemeinsame Außenpolitik. Gusenbauer und Faymann wiesen die Kritik zurück. Am 7. Juli 2008 beendete Vizekanzler Molterer die Zusammenarbeit mit zwei Worten  : »Es reicht  !« Die Regierung Gusenbauer – Molterer war nach 544 Tagen gescheitert. Verrat an Rot-Weiß-Rot  ? Es war nicht das erste Mal, dass die österreichische Politik von europapolitischen Themen dominiert wurde. Der Eindruck, dass hier letztlich etwas vorgeschoben wurde, das zur Begründung eines Missvergnügens und schon fast körperlich zu spürender Aversion diente, war aber zweifellos vorhanden. Dass dabei die Medien und vor allem einige

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wenige Zeitungen eine maßgebliche Rolle spielten, war klar. Der Begriff »Zeitungen« war jedoch insofern täuschend, als es einige wenige Journalisten waren, die durchaus Geschmack daran gefunden hatten, Politik zu machen. Sie waren meinungsbildend und wurden als »die Guten« wahrgenommen, während jene, die eine andere Meinung vertraten, in die Riege der »Schlechten« eingereiht wurden. Mit Hilfe der Kritik an Entwicklungen, die die EU genommen hatte und sich sehr gut dazu eignete, bestehende Feindbilder mit noch kräftigeren Pinselstrichen zu versehen, war es letztlich nicht so schwer, eine rasche Rückkoppelung vorzunehmen. Auch und besonders die EU war »schlecht«. Magere 58 % der Bevölkerung waren noch der Meinung, dass Österreich in der Union bleiben sollte. Jene aber, die sich nach wie vor zu den europäischen Institutionen bekannten, schienen zumindest suspekt. Plötzlich wurde die EU als »faschistoides Projekt« gebrandmarkt, und hieß es »Verrat an Rot-Weiß-Rot«.884 Kritik an der EU wurde ins Absurde gesteigert, indem teils humoristisch, teils ernstgemeint Meldungen in Umlauf gesetzt wurden  : Die EU wolle künftig bei den Wiener Sängerknaben eine Frauenquote einführen  ; die größte Glocke des Wiener Stephansdoms, die »Pummerin«, dürfe künftig in der Silvesternacht nicht mehr läuten, da die »Lärmbelästigung« zu hoch sei, usw. Werner Faymann setzte sich auf die Anti-Bewegung voll drauf. Und damit war man wieder bei der regierenden Großen Koalition angelangt. Ihr Fortbestand sei zuerst »von den Medien herbeigeprügelt« worden, um ein Jahr später »hasserfüllt« zu enden, wurde resümiert.885 Also wurde das getan, was schon gute österreichische Tradition war  : Es wurde nicht die Regierung umzubilden gesucht, sondern der Nationalrat aufgelöst. Tradition war auch, dass sich beide Koalitionsparteien die Schuld am Scheitern zuschoben. Eines sollte sich jedenfalls ändern. Es würden wieder andere, neue Leitfiguren versuchen müssen, das zu beginnen, was so gerne Reformpartnerschaft genannt wurde. Und da sich der Nationalrat schon 2007 darauf geeinigt hatte, die Legislaturperiode auf fünf Jahre zu verlängern, konnte man gespannt sein, ob die Absicht und die Möglichkeit zu einer nicht von Wahlterminen diktierten längeren und intensiven Zusammenarbeit auch umsetzbar waren. Die Erfahrungen der vorangegangenen Jahre sprachen eigentlich dagegen. Am 28.  September 2008 wurde gewählt. Erstmals waren 16-Jährige wahlberechtigt und gab es die Möglichkeit einer Briefwahl. Letztere hatte schon Josef Klaus auf seiner Agenda gehabt. Jetzt, fast dreißig Jahre später, wurde sie Wirklichkeit. Gut Ding brauchte eben Weile. Das Wahlergebnis wurde als Desaster der Regierungsparteien gesehen. SPÖ und ÖVP mussten erhebliche Verluste hinnehmen. Die Freiheitliche Partei konnte ihren Mandatsstand verdoppeln. Haiders »Bündnis Zukunft Österreich« (BZÖ) wurde Vierter und überholte die Grünen. Zwei Tage nach der Nationalratswahl beauftragte Bundespräsident Heinz Fischer den Parteivorsitzenden der SPÖ, Werner Faymann, mit der Regierungsbildung. Faymann galt nach wie vor als Hoffnungsträger. Er wusste die SPÖ geschlossen hinter sich, war mit 98,36 %

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gewählt worden und sollte das Ruder herumreißen. Im Schreiben des Bundespräsidenten an Faymann wurde nicht nur zur Zusammenarbeit aufgerufen, sondern auch die Bundesstaatsreform angemahnt, ferner die Bedeutung von Bildung, Wissenschaft und Forschung hervorgehoben sowie das Ankämpfen gegen Politikverdrossenheit gefordert. Und dass es eine neue Form der Zusammenarbeit geben sollte, verstand sich von selbst. Die Begeisterung der ÖVP, die Koalition fortsetzen zu sollen, war gering. Die Regierung hatte keine Verfassungsmehrheit und würde sich immer wieder einen willigen Dritten suchen müssen, um Grundsätzliches zu regeln. Drei Untersuchungsausschüsse, die von der SPÖ beantragt und mit Hilfe der Opposition im Nationalrat erzwungen worden waren, bremsten die Bereitschaft der ÖVP, es noch einmal mit der SPÖ zu versuchen. Wieder, wenngleich eher theoretisch, wurde von den ÖVP-Verhandlern in den Raum gestellt, dass es auch noch andere Koalitionsmöglichkeiten gebe. Das war vielleicht nicht ernst gemeint, konnte aber von der SPÖ nicht mit gleicher Münze heimgezahlt werden. Sie hatte eigentlich keine andere Möglichkeit als die Bildung einer neuen Großen Koalition zu versuchen. Noch galt nämlich, was ein Dutzend Jahre zuvor Kanzler Vranitzky gesagt hatte  : Mit der FPÖ gibt es keine Zusammenarbeit. Das hatte für die Freiheitlichen gegolten, als sie noch unter der Führung Jörg Haiders gestanden waren, und galt weiterhin für die von Heinz Christian Strache geführte Partei. Und ebenso für das BZÖ. Dann kam der Schock. Am 11.  Oktober 2008 verunglückte Jörg Haider tödlich. Sein BZÖ war führerlos. Der Tod des Kärntner Landeshauptmanns, der so viele Jahre in der österreichischen Politik eine außerordentliche Rolle gespielt hatte und zumindest als Salz in der sonst schon recht eintönig schmeckenden »Suppe« gelten konnte, gab Anlass zu jeder Menge Mutmaßungen. War es nur ein Unfall gewesen  ? War nachgeholfen worden  ? Verschwörungstheorien machten die Runde. Haider hatte immer wieder für Unruhe gesorgt, hatte kein Hehl aus seinem bisweilen exzessiven Lebenswandel gemacht und nicht nur die FPÖ und dann das BZÖ lange Jahre zu »seiner« Partei werden lassen, sondern auch Kärnten zu »seinem« Bundesland. Nun war er tot. Während noch über seine Todesfahrt im Süden von Klagenfurt gerätselt wurde, bahnte sich eine ganz andere Katastrophe an. In den USA wurde eine der größten Banken, Lehman Brothers, zahlungsunfähig. Ein Imperium brach zusammen. In den USA – aber nicht nur dort – waren mit leichter Hand billige Kredite für Immobilien vergeben worden. Die Kreditwürdigkeit vieler Kreditnehmer war nicht gegeben. Als die Zinsen stiegen, konnten die Schuldner ihre Raten nicht mehr zurückzahlen. Die Blase platzte. Banken hatten uneinbringbare Kredite zuhauf, am meisten Lehmann Brothers. Die Objekte, die als Sicherstellungen galten, ließen sich nicht mehr verkaufen, und je länger die an die Kreditgeber heimgefallenen Objekte leer standen, umso wertloser wurden sie. Dann gab es eine Verknappung der Kredite und Stagnation. Die

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von den USA ausgehenden Probleme strahlten aus. Das Wachstum sank auf null. Ein Widerspruch in sich – denn bei null wächst nichts. Zunächst schien es wohl so, als würde der Zusammenbruch einer Großbank nur eine Finanzkrise ausgelöst haben, doch was folgte, war eine Wirtschaftskrise, wie man sie seit Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre nicht mehr erlebt hatte. Und das ließ natürlich weltweit die Alarmglocken schrillen. Vielleicht war es wirklich die Finanzkrise, die dann SPÖ und ÖVP noch einmal eine Chance gab. In Zeiten der Unsicherheit greift man ja immer gerne auf Bewährtes zurück. Nicht nur Alfred Gusenbauer war zurückgetreten. Jetzt warf auch Wilhelm Molterer das Handtuch, und der bisherige Landwirtschaftsminister, Josef Pröll, übernahm die Führung der ÖVP. Der Kassensturz war unerfreulich. Die Staatsschulden waren höher als zunächst errechnet. Die SPÖ wollte dennoch eine Steuerreform auf 2009 vorziehen. Mitten in die Verhandlungen platze die Meldung, die Post AG würde 9.000 Mitarbeiter kündigen. Wer hatte Schuld  ? Die ÖVP setzte die Verhandlungen aus und richtete an den designierten Bundeskanzler zehn Fragen, von deren Beantwortung sie ihre Bereitschaft zur Fortsetzung der Verhandlungen abhängig machen wollte. Auch die EU war Thema, vor allem der Lissaboner Vertrag. Die noch amtierende Außenministerin Ursula Plassnik wollte durchsetzen, dass EU-Entscheidungen auch ohne Volksabstimmung vom Parlament ratifiziert werden konnten. Da ging es um Grundsätzliches. Wieder waren es vor allem einige Printmedien, die Stimmung machten und auch für Österreich verpflichtende Volksabstimmungen forderten. War das nicht genau das gewesen, was Faymann in der »Kronen-Zeitung« geschrieben hatte  ? Um die Koalition nicht schon wieder scheitern zu lassen, wurde ein Ausweg gesucht und gefunden, indem es hieß  : Über die im Lissabon-Vertrag festgelegten Reformschritte würde nur im Nationalrat abgestimmt werden. Aber künftighin wären Plebiszite vorzusehen. Außerdem bediente man sich der sogenannten »Irland-Klausel«, die es jedem zur Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik verpflichteten Staat freistellte, selbst zu entscheiden, ob er das auch tun wollte. Beiläufiger ging es eigentlich nicht. Frau Plassnik gab bekannt, dass sie einer künftigen Regierung nicht mehr angehören wollte.886 Ideologisches kam ins Spiel, so bei der SPÖ die Forderung nach Abschaffung der Studiengebühren. Das sollte klarerweise nicht nur für Österreicher, sondern für Studierende aus dem gesamten EU-Bereich gelten. Die Begründung, dass damit einkommensschwachen Kreisen das Studium ermöglicht würde, konnte nicht überzeugen. Schon Gusenbauer hatte es versprochen, dann aber zurückgestellt. Rechtlich anerkannte Flüchtlinge hatten aber zu zahlen, was wiederum den Flüchtlingshochkommissar auf den Plan rief. Und eigentlich wäre es schon während der Regierungsverhandlungen an der Zeit gewesen, ein weiteres Mal zu sagen  : Mir reicht’s.

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Die Regierung war beschädigt, noch ehe sie wirklich zu arbeiten begonnen hatte. Sie wäre vielleicht gut beraten gewesen, sich gegen die Brüsseler Regulierungssucht zu stemmen. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Frage zu stellen, warf aber ein merkwürdiges Licht auf die politischen Entscheidungsträger. Wie verlässlich war Österreich noch  ? Im Jahr 2000 hatte die ÖVP-FPÖ-Koalition erstmals angeregt, in den EU-Vertrag eine Beistandsverpflichtung aufzunehmen. 2001 hatte der Ministerrat in Wien eine neue Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin verabschiedet, in der Österreich interessanterweise als »allianzfrei« bezeichnet wurde. Sozialdemokraten und Grüne waren drauf eingestimmt worden, sich mit einer weiteren Aufweichung der Neutralität abzufinden, wenn bis 2015 eine gemeinsame europäische Armee existierte. Noch schien Österreich voll auf Schiene. Es war aber dann ohnedies nicht die Sicherheit, die den Ruf nach Brüssel laut werden ließ, sondern die Finanz- und Wirtschaftskrise. Allein schienen die Probleme nicht zu bewältigen. Man konnte nur einen Beitrag zu leisten suchen und gegen den grassierenden Pessimismus ankämpfen. Die wichtigste Aufgabe der Regierung Faymann – Pröll war daher die moralische Wiederaufrüstung. Josef Pröll formulierte es mit vier Worten  : »Österreich nach der Krise«.887 Aber war man wirklich schon nach der Krise  ? Die Probleme lagen etwas tiefer, als dass man sie beiseiteschieben konnte. Hier kam auch so etwas wie Nationalcharakter ins Spiel. Nach Jahren, in denen es bergauf gegangen war, machte sich Kleinmut breit. Und jeden Tag konnte man lesen und hören, was alles reparaturbedürftig, ja schlecht war in diesem Land. Nun, da es tatsächlich eine ganze Latte von Problemen gab, fühlten sich zwar weiterhin viele berufen, sie zu benennen und der Regierung zu attestieren, dass ihr die Lösungskompetenz mangelte. Von Werner Faymann, dem »Hoffnungsträger«, hieß es plötzlich, er wäre der »Verwalter des Stillstands«.888 Doch offenbar war Lösungskompetenz weltweit abhandengekommen. Der einfachste Weg schien der, nach Schuldigen zu suchen. Und im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde auch von den Regierungsparteien ein Thema aufgegriffen, dass bis dahin vor allem die FPÖ besetzt hatte  : Ausländer. Sie würden den Inländern die knapper werdenden Jobs wegnehmen. »Diese mittelbare Konsequenz aus der Finanzkrise erscheint bedrohlicher als die unmittelbare«, hieß es.889 Zwar wusste man schon seit längerem, dass die größte Zuwanderergruppe in Österreich deutsche Staatsbürger waren. Doch sie und andere aus dem EU-Raum kommenden Zuwanderer entzogen sich zu einem erheblichen Teil den staatlichen Steuerungsmechanismen. Also galt es, sich auf die 10 % der von außerhalb kommenden Personen zu konzentrieren. Damit hatte die Innenpolitik das beherrschende Thema der Folgejahre angesprochen, und es fiel wohl kaum einmal auf, dass man drauf und dran war, in Denk- und Handlungsmuster der Zwischenkriegszeit zurückzufallen und alles Ungemach und alle Probleme originär einer Gruppe zuzuschreiben. Was einmal die Juden waren, wurden nunmehr die Ausländer.

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Die Lage verschärfte sich noch, und 2010 wurde aus der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Schulden- und Eurokrise. Die wurde aber nicht nur herbeigeredet oder -geschrieben. Sie existierte tatsächlich, zumindest in einem Teil Europas. Wie man da herauskam, war nicht klar. Keines der Rezepte außer sparen wollte greifen. Die einzelnen Mitgliedsländer versuchten es, die Gemeinschaft versuchte es. Die Aufforderung an die EU, ihre politische Handlungsfähigkeit zu beweisen und der weltpolitischen Mitverantwortung gerecht zu werden hörte sich zwar gut an, doch die Probe aufs Exempel machten die nationalen Regierungen. Auffallend war jedenfalls, dass sich Bundeskanzler Faymann schon 2009 von einem Kritiker der EU zu einem »glühenden Befürworter« der Gemeinschaft wandelte. Schließlich zog ein Land alle Aufmerksamkeit auf sich  : Griechenland. Ihm drohte die Zahlungsunfähigkeit, und es wurde gewissermaßen unter Kuratel gestellt. In Österreich konnte man das mit einem gewissen Erstaunen beobachten und hätte sich eigentlich an die Zeit der Völkerbundaufsicht nach 1922 erinnern können. Doch natürlich waren die Fälle Griechenland und Österreich nicht zu vergleichen. Griechenland wurde sehr viel bereitwilliger geholfen als dem Nachkriegs-Österreich, das mit der Kriegsschuld behaftet war. Aber auch in Österreich mehrten sich die Alarmzeichen. Die für den Euro-Raum geltenden Maastricht-Kriterien sahen eine maximale Neuverschuldung von 3 % und eine Schuldenquote von nicht mehr als 60 % der Wirtschaftsleistung vor. Österreich lag bei 3,3 % Neuverschuldung und 72 % Schuldenquote, Tendenz steigend.890 Und die Unzufriedenheit wuchs. Das war aber nicht nur dem Erscheinungsbild der Koalition und einzelnen Regierungsmitgliedern geschuldet, sondern war Folge einer Perspektivlosigkeit, gegen die anzukämpfen zwar weiterhin gesucht wurde, doch es wollte nicht gelingen. Nicht einmal die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ging friktionsfrei, denn aus den tapferen Ankündigungen der späten neunziger Jahre und vor allem im Umfeld des Staatsvertragsjubiläums 2005, Österreich würde – wie Deutschland – ein Haus der Geschichte bauen, war trotz viermaliger Ankündigung in den diversen Regierungsprogrammen nichts geworden. Wenn es darauf ankam, fehlte das Geld. Und während in St. Pölten ein derartiges nicht nur für Niederösterreich gedachtes Haus entstand und 2017 eröffnet werden sollte, wurden die Projekte des Bundes immer wieder redimensioniert und mündeten schließlich in der Ankündigung, 2018 eine Sonderausstellung im Corps de Logis der Wiener Hofburg zu gestalten. Das konnte man durchaus als Beispiel dafür sehen, dass einer ganzen Reihe von Bundesregierungen keine großen Würfe gelingen wollten. Stattdessen begann der sukzessive Rückzug aus dem zentral- und südeuropäischen Raum, in den man nach 1989 so hoffnungsfroh aufgebrochen war. Vor allem war es dann eine Art Hinterlassenschaft des verunglückten Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider, die zu schaffen machte. Die Kärntner Hypo Alpe-Adria-Bank drohte zahlungsunfähig zu werden. Sie sollte mit acht bis zehn Milliarden Euro gerettet werden

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und mit ihr der Finanzplatz Österreich. Kein Wunder, dass die Kritik bald lautete  : Für Banken ist Geld da  ; für die untersten Einkommensschichten, Sozialprojekte und eine immer wieder angemahnte Bildungsreform fehlte das Geld. Jeder übertrug seine Unzufriedenheit auf die Regierung. Dabei gab es durchaus Erfolge. Der größte war vielleicht die Lösung des Kärntner Ortstafelproblems, das seit den Anfangsjahren Kreiskys, ja eigentlich seit 1955, immer wieder für Unruhen und Rückschläge gesorgt hatte.891 Eine schier endlose Geschichte. In fast vierzig Jahren war um Kompromisse gerungen worden. Es hatte runde Tische, Konsensgespräche, das sogenannte Karner-Paket und endlose Verhandlungen gegeben. Gelegentlich hatte auch das neue Slowenien für Irritationen gesorgt, wenn auf der 1991 eingeführten neuen Währung, dem Tolar, der Kärntner »Fürstenstein« abgebildet war. 2007 wanderte der Fürstenstein auf die 2-Cent-Münzen und verlor solcherart an optischer Präsenz. Schließlich bildete eine vom Historiker Stefan Karner ausgearbeitete Kompromissformel die Grundlage dafür, dass auch einer der entschiedensten Gegner der angepeilten Lösung, der »Kärntner Heimatdienst«, seinen Widerstand aufgab. Daraufhin war ihm von Landeshauptmann Haider »Verrat an Kärnten« vorgeworfen worden.892 Haider war tot. Am 26. April 2011 konnten der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Josef Ostermayer, und der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler die Einigung verkünden  : In 164 Ortschaften, die einen Mindestanteil an Slowenen von 17,5 % aufwiesen, sollten zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden  – sofern sie nicht schon längst errichtet waren. Dazu kamen Begleitmaßnahmen und vor allem die Verankerung der Lösung in der Bundesverfassung. Dass der »Rat der Kärntner Slowenen« damit noch immer nicht zufrieden war, wurde hingenommen. Auch auf einem anderen Gebiet spielte die österreichische Vergangenheit eine Rolle  : Am 4. Juli 2011 starb Otto von Habsburg. 1963 hatte seine Absicht, nach Österreich zu reisen, eine veritable Regierungskrise ausgelöst, 1966 hatte er begonnen, tatsächlich einzureisen. Massenproteste waren die Folge. Doch man gewöhnte sich an ihn. Vollends nach einem Zusammentreffen mit Kreisky, bei dem sich der Kanzler und der Kaisersohn die Hände schüttelten, war Otto immer öfter in Österreich gewesen. Hier, in der Kapuzinergruft in Wien, sollte und wollte er, der letzte Kronprinz Österreich-Ungarns, dann auch begraben werden. Wie zu erwarten war, wurde das Begräbnis Ottos von Habsburg ein Großereignis. Sein Vater Karl, wiewohl 2004 von der katholischen Kirche selig gesprochen, blieb in Madeira. Vielleicht konnte man das Begräbnis des Kaisersohns jenseits des gesellschaftlichen Ereignisses als eine Art Höhepunkt im Jahresablauf sehen, denn die Politik versagte vergleichbare »Events«. Das Regieren ohne Verfassungsmehrheit war schwierig. Kanzler und Regierung wussten das  ; der Bundespräsident wusste das. Um ein wenig Harmonie zu zeigen, hatten sich SPÖ und ÖVP 2010 darauf geeinigt, Heinz Fischer

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gemeinsam zur Wiederwahl zu empfehlen. Er wurde denn auch mit fast 80 % Zustimmung im Amt bestätigt. Doch auch der Bundespräsident konnte den politischen Alltag nicht konfliktfrei gestalten. Das schon seit Jahren bestehende Misstrauen setzte sich fort, und immer wieder machte die jüngere Vergangenheit zu schaffen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss folgte dem anderen. Es ging um Privatisierungsmaßnahmen in der Zeit der Regierung Schüssel, um »Eurofighter«, Inserate, Telekom und Parteispenden. Um rechtlich nicht anfechtbar zu sein, bürgerte sich bei den mit Interna immer bestens versorgten Medien die Floskel »Es gilt die Unschuldsvermutung« ein. Letzteres wurde zum »Unwort« des Jahres 2010. Dass sich das »Unbehagen am Parteienstaat« immer weiter ausbreitete, war mit Händen zu greifen. Beide Regierungsparteien kämpften zwar dagegen an, doch sie mussten sich natürlich fragen, ob die historische Rechtfertigung für ihre Existenz nicht längst weggefallen war.893 Die SPÖ war keine Arbeiterpartei mehr, und die ÖVP keine christlichsoziale Sammelbewegung, da ihr die Bauern und über weite Strecken das Christentum weggebrochen waren. Offenbar wurden auch die etablierten Oppositionsparteien als zu wenig attraktiv gesehen, als dass man nicht die Lösung darin gesucht hätte, durch neue Parteien die bestehenden Strukturen aufzubrechen. Schon 2005 hatten es »Die Christen« versucht – ohne Erfolg. Dann hatte es ein österreichischer Ableger der deutschen »Piratenpartei« probiert, und war ebenfalls gescheitert. Schließlich kam richtig viel Geld ins Spiel. Im September 2012 präsentierte der Austro-Kanadier Frank Stronach eine noch unfertige Parteigründung, mit der er bei den kommenden Wahlen erfolgreich sein wollte. Er war Milliardär und hatte mit seinem »Magna Konzern« auch in Österreich und vor allem für die Steiermark Enormes geleistet. Durch Übertritte aus anderen Parteien erhielt die dann »Team Stronach« genannte Partei eine respektable Größe. Wenige Wochen später präsentierte der Vorarlberger Unternehmer Matthias Strolz eine neue liberale Partei, die NEOS. Potential war ganz offensichtlich vorhanden, ebenso wie die Suche nach Neuem. Das konnte man natürlich auf unterschiedlichste Art kommentieren. Der Soziologe und Meinungsforscher Peter Filzmeier meinte pointiert  : Jede wahlwerbende Gruppe hat eine reelle Chance, sofern sie nur anders ist. Vielleicht würden auch »Winnetous Apachen« gewinnen.894 Die nächsten Nationalratswahlen sollten jedenfalls spannend werden. Im Herbst 2012 machten aber nicht nur Parteineugründungen von sich reden, sondern auch ein schon auf das Jahr 2010 zurückgehender Vorstoß des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, der im Zuge des Wahlkampfs für Gemeinde- und Landtagswahlen in Wien für die Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht plädierte hatte. Damit hatte er zwar kein Wiener Thema angesprochen, wohl aber für einige Aufregung gesorgt. Allerdings konnte er das damit angepeilte Ziel, der SPÖ in Wien die absolute Mehrheit zu sichern, nicht erreichen. Zum zweiten Mal nach 1996 musste sich Häupl

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einen Partner suchen und fand ihn bei den Grünen. Doch die Sonderstellung der Stadt blieb, und auch der Umstand, dass kein SPÖ-Kanzler an der Stadt vorbei regieren konnte. Auch Bundeskanzler Faymann begann sich für die Idee des Wiener Bürgermeisters zu erwärmen. Schließlich plädierte sogar Verteidigungsminister Darabos für die Abhaltung einer bundesweiten Volksbefragung und deponierte gleich seine Präferenz für ein Berufsheer, das er bis dahin strikt abgelehnt hatte. Nachdem auch die ÖVP unter ihrem innerhalb von fünf Jahren bereits vierten Parteiobmann, Außenminister Michael Spindelegger, sich für eine Volksbefragung ausgesprochen hatte, wurde diese für den 12. Januar 2013 fixiert. Allmählich summierten sich die plebiszitären Vorgänge. Zur Volksabstimmung über die Nutzung der Atomkraft, Stichwort Zwentendorf, war 1994 die Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gekommen. Vom Rundfunkvolksbegehren im Oktober 1964 bis zum Jahr 2013 hatte es bereits 35 Volksbegehren oder Initiativen dazu gegeben. Eine Volksbefragung war vergleichsweise neu. Jetzt sollte auch diese Spielart der direkten Demokratie erprobt werden. Das letzte Mal hätte das »Volk« am 13. März 1938 befragt werden sollen. Die Stimmung heizte sich auf. Die Militärs zeigten eine merkliche Präferenz für ein Berufsheer, obwohl dessen Finanzierung fraglich war  ; die Gegner, unter ihnen Bundespräsident Fischer, die mit Wehrgerechtigkeit, höheren Kosten eines Berufsheers, Bewährtem und Liebgewordenem argumentierten, verwiesen vor allem auch auf die Funktion eines Heers der Allgemeinen Wehrpflicht im Zusammenhang mit Naturkatastrophen und Hilfeleistungen. Argumentativ spielte auch der Verweis auf den Zivildienst eine Rolle, der ja als Wehrersatzdienst gedacht war und wo es daher einer Neuregelung bedurft hätte. Einer Frage wurde konsequent ausgewichen  : Ob bei einer Beibehaltung der Allgemeinen Wehrpflicht nicht auch junge Frauen in die Überlegungen einzubeziehen wären, und ob vielleicht ein allgemeiner Sozialdienst angestrebt werden sollte. Man begnügte sich aber mit der Befragung über die sechsmonatige Wehrpflicht für Männer, für deren Beibehaltung schließlich fast 60 % der Teilnehmer an diesem Plebiszit stimmten. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung übergab Minister Darabos Anfang März die Führung des Verteidigungsressorts an Gerald Klug. Dem oblag es, die Wogen innerhalb des Bundesheers zu glätten, allerdings dauerte es nur drei Monate, bis auch dieser Minister mit einer denkbar umstrittenen Entscheidung auf sich aufmerksam machte. Nach Kampfhandlungen im Grenzraum Syriens zu Israel entschied der Minister, dass das österreichische Truppenkontingent auf dem Golan die dort von den Österreichern seit März 1974 gehaltene Position zu räumen und innerhalb kürzester Zeit nach Österreich zurückzukehren hatte. Die österreichischen Soldaten sollten nicht womöglich der Gefahr von Kämpfen ausgesetzt werden. Soldaten von den Fidschi-Inseln und aus Indien übernahmen Hals über Kopf die Bergstellung. Mittlerweile war es im

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Grenzgebiet schon wieder ruhig geworden.895 War die Entscheidung zum Abzug richtig gewesen  ? War sie voreilig  ? Niemand wollte für das Leben und die Gesundheit von Freiwilligen verantwortlich sein. Die Schuld für nicht ausreichende Schutzmaßnahmen wurde jedenfalls der UNO zugeschoben. Mit dem Abzug der Österreicher aus dem israelischen Grenzraum war freilich abermals etwas geschwunden, das schon regelrecht identitätsstiftend geworden war, nämlich Österreichs Rolle bei der Truppengestellung für friedenserhaltende Operationen der Vereinten Nationen. Blieben noch die Einsätze in Bosnien und im Kosovo. Der Abzug passte  – zumindest für die amerikanischen Diplomaten – insofern ins Bild, als sie in vertraulichen Berichten schon 2010 das mangelnde Interesse des Kanzlers an der Außenpolitik und Zweifel an der langfristigen Finanzierung der Auslandseinsätze geäußert hatten.896 Wohl nicht, weil das Geld dafür gefehlt hätte, sondern der Willen abhandenzukommen drohte. Während noch die Soldaten vom Golan abzogen, bereitete man sich in Österreich auf die nächsten Nationalratswahlen vor. Am 29. September war es so weit. Die Regierungsparteien erlitten abermals Niederlagen. In den 70er Jahren hatten ÖVP und SPÖ noch einen Wähleranteil von 93,1 %. 2013 waren es gerade noch 50,8 %. Die Freiheitlichen waren mit 24 % dicht auf  ; die Grünen kamen auf 12,4 %, Stronachs Liste »Frank« auf 5,7 % und die Neos auf 5 %. Die FPÖ ebenso wie die kleineren Parteien hatten sich bei den Regierungsparteien »bedient«. Die waren schon längst keine Großparteien mehr. Sie vermittelten eher den Eindruck von Ertrinkenden, die sich aneinander klammerten. Andreas Khol bezeichnete das neue Regierungsbündnis als »MIGROKO« (Mittelgroße Koalition).897 Tageszeitungen und Magazine prognostizieren  : Das ist die letzte MIGROKO. Neues steht in fünf Jahren unweigerlich vor der Tür.898 Sicherlich gab es jede Menge Reformbedarf. Doch gleichzeitig wurde bezweifelt, dass die Regierungsparteien noch ausreichend reformpolitisches Potential hatten, um Vorhaben nicht nur anzukündigen, sondern sie auch durchzusetzen. Aus dem Wahlergebnis, das der MIGROKO zugrunde lag, war Ungeduld, ja Ärger herauszulesen. Das Wirtschaftswachstum reichte zu keinem Aufschwung. Die Staatsschulden hatten ein Niveau erreicht, das Österreich die Qualifikation des Bestschuldners, das vielgenannte AAA, gekostet hatte  ; die Arbeitslosenzahlen stiegen  ; die Aufwendungen pro Schüler waren zwar europäische Spitze, doch die Ergebnisse bei den regelmäßigen PISA-Tests waren ernüchternd. Österreich lag im Mittelfeld. Die Beiträge für Entwicklungshilfe stagnierten auf niedrigstem Niveau  ; die Schere zwischen arm und reich tat sich immer weiter auf, usw. Da half nur mehr der Vergleich mit Ländern, die schlechter abschnitten, und das war immer noch ungewohnt. Fortschrittsglauben und Solidarität vertrugen sich, scheint’s, nicht. Aber eigentlich hätte man das schon wissen können. Jedenfalls waren Lösungen gesucht, und die seit Jahrzehnten immer wieder geforderte und angekündigte »andere Politik«. »Ein ›Neuer Stil‹ der Zusammenarbeit zwischen Werner Faymann und Micheal Spindelegger wurde angekündigt, bis zu den Europawahlen

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2014 auch durchgehalten, aber nach den von der Volkspartei gewonnenen Wahlen entsorgt«, lautete dann die ernüchternde Bilanz.899 Also wurde der »Neue Stil« wieder vom Koalitionsstreit abgelöst. Die Bundesländer pochten immer häufiger auf ihre Eigenständigkeit und waren durchaus nicht bereit, die Politik der Bundesregierung vorbehaltlos mitzumachen. Das war bei den mittlerweile wieder sieben von der ÖVP geführten Ländern besonders auffällig. Und vor allem der niederösterreichische Landeshauptmann, Erwin Pröll, setzte sich gelegentlich auch über gesamtstaatliche Erfordernisse hinweg. Michael Spindelegger warf daraufhin das Handtuch. Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Reinhold Mitterlehner, wurde sein Nachfolger als Vizekanzler und Bundesparteiobmann, der fünfte in kurzer Zeit. Gerade der rasche Wechsel an der Spitze von Parteien und Ressorts signalisierte Unzufriedenheit und mangelnde Kontinuität. Immer wieder wurde ein kaiserlicher Ministerpräsident des 19. Jahrhunderts genannt, Eduard Taaffe, und dessen von Heinrich Friedjung überliefertes Zitat »Ich werde mich schon fortwursteln.«900 Das Bonmot wurde gleich auf mehrere Bundesregierungen des 21. Jahrhunderts umgelegt. Doch Zufriedenheit sah anders aus. Und der Ruf nach einem »starken Mann« (es konnte auch eine Frau sein), wurde immer lauter. Dabei gelang der Bundesregierung 2014 ohnedies Mehreres, das schon wiederholt gefordert und angekündigt worden war, vor allem eine Steuerreform, die auch den Namen verdiente. Gleichzeitig taten sich immer wieder Löcher auf und drohte vor allem die mittlerweile verstaatlichte Kärntner Hypo Alpe-Adria-Bank, die abzuwickeln ein Gebot der Stunde war, ein neues Milliardenloch aufzureißen. Aus dem für 2016 angepeilten Null-Defizit wurde ein ausgeglichenes Budget nach Maastricht-Kriterien – was nicht das Gleiche war. Während man aber noch über Budgets, Leistungen und Fehlleistungen, Bund und Länder debattierte, wurde Österreich jäh in eine häufig verdrängte globale Wirklichkeit gerissen. Die Völkerwanderung Zunächst war es etwas gewesen, das irgendwo weit weg passierte. Da vermischten sich die Katastrophen. Im Irak und in Syrien herrschten Krieg und Bürgerkrieg. In den MaghrebStaaten, mit Ausnahme Marokkos, gab es Krieg, Aufstände, Terror. Verteilungskämpfe nahmen an Intensität zu. Die Berichte ähnelten sich, die Beteiligten waren immer andere und schienen sich doch wieder zu gleichen. Und die Folgen waren Flucht und Vertreibung. Alle sahen es, und doch konnte es kaum jemand glauben. Was sich da anbahnte, wurde »weder von der Politik noch von der Öffentlichkeit in Europa« erkannt.901 Österreich machte da keine Ausnahme, und vielleicht hatte die Schilderung eines Schweizer Journalisten etwas für sich, der sehr ähnlich wie fast vierzig Jahre vor ihm ein britischer Botschafter formulierte, wenn er schrieb  : »Ein wunderschöner, ein

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friedlicher Sommer, und die Republik dümpelt gemütlich vor sich hin, in überfüllten Schwimmbädern, aufwendigen Open-Air-Veranstaltungen, beim Heurigen.«902 Der Witz hatte seinerzeit nicht gegriffen und tat es im zu Ende gehenden Sommer 2015 ebenso wenig. Unter die Kriegsflüchtlinge mischten sich Heerscharen von Menschen, die dem Hunger und der Not zu entkommen suchten. Sie begannen nach Norden zu wandern. Europa war das Ziel. Man musste ja nur nach Italien oder  – noch näher – von der Türkei auf eine der griechischen Inseln kommen, und schon war man sicher und  – worauf es natürlich auch ankam  – versorgt. Das Mittelmeer wurde zur Fluchtroute Nr. 1. Die Menschenhändler des 21. Jahrhunderts, die Schlepper, hatten Hochsaison. In Sizilien, auf Lampedusa, aber auch auf Lesbos, Leros, Chios und anderen nahe der Türkei liegenden Inseln war man zwar Flüchtlinge gewohnt, doch nicht solche Massen. Weiter im Norden Europas, auch und besonders in Österreich, war man ebenso Flüchtlinge gewohnt. Nach Ungarn, Tschechen und Slowaken, Polen und Bosniern waren Menschen aus Osteuropa und vor allem aus der Kaukasusregion gekommen. Jetzt kamen sie vom Süden, und es schien kein Halten zu geben. In dem Augenblick, als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der ersten Hunderttausend den menschlich verständlichen, politisch aber fragwürdigen Satz »Wir schaffen das  !« sagte, kamen auf der sogenannten Balkanroute immer mehr Menschen. Sie zogen über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Slowenien nach Österreich, Deutschland und Schweden. Einige Staaten auf dem Weg aus dem Süden wurden ausgelassen, so Montenegro und Albanien, aber auch Bulgarien und Rumänien. Von einer Sicherung der Außengrenze der Europäischen Union konnte keine Rede sein. Ein Staat nach dem anderen signalisierte Überforderung oder Unzuständigkeit, da die meisten Flüchtlinge angaben, nach Deutschland oder Schweden weiterziehen zu wollen. Auch Österreich war zunächst nicht Ziel-1-Gebiet, bot aber zumindest Möglichkeiten des Weitertransports und verwehrte sich auch nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Ungarn sperrte schließlich einen Ast der Balkanroute, indem es einen Zaun an seiner Südgrenze errichtete. Der Aufschrei einer ganzen Reihe von Staaten, auch Österreichs, war weithin zu vernehmen. Nichtsdestoweniger schwankte man zwischen Besorgnis und Mitgefühl, zwischen Xenophobie und Offenheit. Sicherlich war nur ein Teil der Flüchtlinge das, was man »echte« Kriegsflüchtlinge nannte. Andere waren Wirtschaftsflüchtlinge, die einfach versorgt werden wollten und sich in den reichen Ländern des Nordens ein besseres Leben erhofften. Rund 1,4 Millionen Menschen suchte 2015/16 das Weite. Ein Großteil von ihnen passierte Österreich. Vielleicht wäre es auch noch sehr viel länger so weiter gegangen, wenn nicht auch deutsche Bundesländer, vor allem Bayern, den Flüchtlingen Einhalt geboten hätten. Angesichts des drohenden Verlusts der Kontrolle über das Staatsgebiet sicherlich begründbar. Und es hatte unmittelbare Auswirkungen auf Österreich. Jenes Deutschland, das erheblich dazu beigetragen hatte, dass der Flücht-

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lingsstrom nach Norden flutete, blockierte ihn plötzlich. Die Flüchtenden beantragten zwar zögernd aber in zunehmendem Maß anderswo Asyl, nicht zuletzt in Österreich. Rund 88.000 sollten es werden903 und ließen die Gesamtzuwanderung im Jahr 2015 auf 130.000 Menschen anwachsen.904 Die Hilfsbereitschaft und das Engagement von Tausenden Österreichern waren bestenfalls mit 1956 zu vergleichen. Sie waren es, die eine humanitäre Katastrophe verhinderten und letztlich eine sicherheitspolitische Großtat vollbrachten. Und sie spielten auch beim nachfolgenden Kanon eine enorme Rolle, der da hieß  : Spracherwerb, Bildungsmöglichkeiten und Beschäftigung. Da man schon vorher und angesichts einer wachsenden Jugendarbeitslosigkeit von einer »verlorenen Generation« zu sprechen begonnen hatte, war abzusehen, dass es nicht einfacher werden würde. »Lebenschancen für alle« hörte sich zwar gut an, war aber eine Utopie. Was zunächst ein europäisches Problem gewesen war, mutierte zu einem innenpolitischen Pulverfass. Der Staat schien nicht mehr in der Lage, steuernd einzugreifen. Bund, Länder und Gemeinden schoben sich die Verantwortung zu. Es war, wie dann der bissige Kommentar eines evangelischen Theologen lautete, »organisierte Verantwortungslosigkeit«.905 Tragödien wie der Tod von 71 Menschen, die in einem Kühlwagen erstickten und bei Nickelsdorf im Burgenland am 26. August 2015 einfach an der Autobahn abgestellt wurden, riefen klarerweise Entsetzen hervor, ließen aber weniger nach den Ursachen für die Flucht fragen als die Forderung nach einem Einschreiten gegen die Schlepper lauter werden. Aber es gab auch andere Folgen. Sozialdemokraten und Volkspartei mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie mit dem Verweis auf Menschenrechte, Konventionen und ethische Grundhaltungen drauf und dran waren, ihre ohnedies schwindenden relativen Mehrheiten zu verlieren. Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom zu steuern, Exekutive und Heer einzusetzen, wurden erst nach und nach gesetzt, Transport und Versorgung der Flüchtlinge zu einem erheblichen Teil ausgelagert. Schließlich bediente man sich durch die Bestellung des ehemaligen Raiffeisen-Generalanwalts Christian Konrad zum Flüchtlingskoordinator abermals der Zivilgesellschaft, um einigermaßen geregelte Abläufe sicherzustellen. Nutznießer der spät einsetzenden Reaktion auf die Migrationsbewegung war ganz klar die FPÖ, die keinen Grund sah, als politische Organisation einzugreifen und sich daher weitgehend auf deklamatorische Interventionen beschränkte. Sie sah sich in ihren Warnungen bestätigt, dass »ein weiterer Zustrom der zum Großteil illegalen Zuwanderer besser gestern als heute unterbunden gehört.« Der unkontrollierte Zuzug, vor allem aus dem Nahen Osten, würde zur Ausbildung von Parallelgesellschaften führen und zum Nachteil des in Österreich seit Jahrhunderten gewachsenen Wertesystems führen.906 In die noch einigermaßen sachliche Diskussion mischten sich rasch Verschwörungstheorien, die davon sprachen, die national und international herrschenden Klassen würden den »Volkstod« beabsichtigen und den »großen Austausch« vorberei-

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ten.907 Sachlich ließ sich da kaum gegenhalten, doch auch solcher Unsinn trug zur Emotionalisierung bei. Was nun folgte, war eine Kettenreaktion, die in den Bundesländern ihren Ausgang nahm und eine sich beschleunigende Verschiebung der innenpolitischen Verhältnisse nach sich zog. Es fing im Burgenland an, wo man zurecht stolz auf eine lange Tradition bei der Flüchtlingshilfe war, doch schon angesichts der Zuwanderer aus dem Osten Europas 1990 nach dem Bundesheer gerufen und einen 21 Jahre währenden Assistenzeinsatz des Heeres erreicht hatte. Er war im Dezember 2011 zu Ende gegangen. Vier Jahre später war man wieder so weit. Das Heer musste sich abermals auf einen Einsatz an der burgenländischen Grenze vorbereiten. Nach Landtagswahlen, die SPÖ und ÖVP einen markanten Stimmen- und Mandatsschwund bescherten, bildete der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, im Juli 2015 eine Koalition mit der FPÖ. Das verstieß zwar gegen eine Grundsatzentscheidung der SPÖ aus der Zeit von Franz Vranitzky, mit der FPÖ keine Koalition eingehen zu wollen, doch Niessl hielt sich nicht mehr daran. Er konnte das umso leichter tun, als ihm der Bundeskanzler und Parteivorsitzende keinen effektiven Widerstand leistete. Werner Faymann hatte sich mehr und mehr die Haltung der deutschen Bundeskanzlerin zu eigen gemacht. Innenpolitisch wurde ihm das nicht honoriert. Was als Sünde wider den (sozialdemokratischen) Geist gebrandmarkt wurde, widerfuhr aber auch der ÖVP. Bei den Landtagswahlen in Oberösterreich erlitt die ÖVP stärkere Verluste und wechselte den Koalitionspartner. Statt den Grünen wurde auch hier die FPÖ regierungsfähig. Das Grollen in den Bundesländern bestärkte Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner darin, am Kanzler vorbei Politik zu machen. In einer Konferenz der Westbalkanstaaten wurde beschlossen, die Balkanroute für Flüchtlinge effektiv zu sperren. Die Reaktion auf diese Maßnahme war wie zu erwarten unterschiedlich. Griechenland, das zu der Konferenz nicht eingeladen worden war, schäumte, zog seine Botschafterin aus Österreich ab und sagte einen Besuch MiklLeitners in Athen ab. Die meisten Balkanstaaten, aber auch Deutschland, signalisierten Zustimmung, manche hinter vorgehaltener Hand. Und im »Spiegel« konnte man lesen, »dass Österreich auf der diplomatischen Bühne den Ton angibt, so wie in den vergangenen Tagen, das kommt selten vor … Es war, als wolle Österreich noch einmal wie zu Habsburgs Zeiten als Schutzmacht der slawischen Balkanländer das Zepter in seiner einstigen Einflusssphäre schwingen.«908 Serbien und Mazedonien, vor allem Letzteres, die auch schon vorher Grenzsperren errichtet hatten und Flüchtlinge von Anfang an nur durchreisen lassen wollten, reagierten wie ebenfalls zu erwarten gewesen war  : Sie ließen keine Flüchtlinge mehr in ihre Länder einreisen und zwangen sie zum Verbleib in Griechenland. Österreich tat noch ein Übriges und errichtete am Hauptübergang von Slowenien an der steirischen Südgrenze einen Grenzzaun und eine Abfertigungszone. Schließlich wurde von der Bundesregierung für 2016 eine Höchstzahl von 37.500

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Menschen festgelegt, denen jährlich Asyl gewährt werden sollte. Die Zahl täuschte zwar insofern, als Asylanten der Familiennachzug völkerrechtlich zugesichert war, doch allein die Festlegung auf diese Höchstzahl bewirkte, dass die Flüchtlingszahlen schlagartig zurückgingen. Aber erstmals führten bei den Zuwanderern nicht Deutsche, Rumänen und Ungarn die Statistiken an, die als Erwerbsmigranten galten, sondern 22.600 Syrer, fast 20.000 Afghanen und 10.000 Iraker. Anfang 2016 riss der Zustrom ab.909 Die restriktiven Maßnahmen zeigten Wirkung. Für Schlepper ein Hindernis, doch kein unüberwindliches. Es sollte ja nur eine Frage des Preises sein, und schon in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts war festgestellt worden, dass sich mit der modernen Form des Menschenhandels mehr Geld verdienen ließ als mit Rauschgift. Alles neu … Die Flüchtlingskrise erschütterte Europa in seinen Grundfesten. Was 1957 begonnen worden war und sich durch Erweiterungen zu einem europäischen Ganzen entwickelt hatte, galt plötzlich nichts mehr. Es waren vor allem Staaten, die erst verhältnismäßig wenige Jahre Mitglieder der EU waren, die sich entsolidarisierten. Doch auch Großbritannien zögerte nicht, seine eigenen Interessen höherzustellen als die der europäischen Gemeinschaft. Das Vertrauen in die EU-Institutionen verschlechterte sich EU weit auf 31 %. Es war auch nur mehr ein Drittel der Menschen in den Mitgliedsstaaten bereit, der europäischen Einigung vorbehaltlos zuzustimmen. Das Gefühl für die Notwendigkeit eines Miteinanders schwand. Das Entsolidarisieren ging Hand in Hand mit dem Anwachsen einer lange für tot geglaubten historischen Kraft, dem Nationalismus. Dass Österreich lange gezögert hatte, sich mit diesem historischen Phänomen auseinanderzusetzen und selbst nationalistische Töne anzustimmen, hing natürlich mit seiner Geschichte zusammen. Vor 1918 wurde Nationalismus kleingeredet. Die Habsburgermonarchie als Vielvölkerstaat hatte nur dann Überlebenschancen, wenn sie den Nationalismus der Gesamtstaatlichkeit unterordnete. Deutschnationale Strömungen waren zwar vorhanden, erfuhren aber erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs ihre Ausprägungen. Der Anschlussgedanke war in der Folge Ausdruck von Deutsch-Nationalismus, Kleinheit und Existenznöten. 1945 begann eine Zeit der Austrifizierung. Das war insofern neu, als ähnliche Versuche in der Zwischenkriegszeit unter dem Prätext des sogenannten Austrofaschismus gesehen wurden und daher als denkbar belastet galten. Dann kam die Zeit der Solidarisierung mit Europa. Da wurden Grundwertekataloge in Kraft gesetzt, die Österreich schon deshalb vorbehaltlos akzeptierte, als sich damit letzte Zweifel über die Abkehr vom Nationalsozialismus ausräumen ließen. Es folgten vermehrte Anstrengungen, sich europäisch und solidarisch zu zeigen. Doch das Damoklesschwert, »rechter« als die Rechten in Frankreich, den Niederlanden, Belgien

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und anderswo zu sein, blieb weiter über Österreich hängen, dem taxfrei der Titel eines letzten Horts des Nationalsozialismus gegeben wurde. Das Land stand im Fokus. Es schien denn auch so einfach, von eigenen Entwicklungen und Problemen abzulenken und eine scheinbar gerade Linie von Hitler über Waldheim und Jörg Haider zu – ja wem eigentlich  ? – zu ziehen. Und jetzt  ? Ratspräsident, Kommission und Parlament der EU hatten sich schon längst eingestehen müssen, dass sie die Mitgliedsstaaten zu keinem solidarischen Handeln in der Flüchtlingsfrage bewegen, geschweige denn zur Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten zwingen konnten. Also wurde etwas anderes versucht, und dabei begann die Türkei eine zentrale Rolle zu spielen. Sie hatte den Status eines Beitrittswerbers, also sollte sie Solidarität zeigen. In Verhandlungen mit der Türkei wurde am 18. März 2016 erreicht, dass die Türken einen besseren Schutz ihrer Mittelmeerküste gewährleisten und illegale Einwanderer, vornehmlich aus Griechenland, zurücknehmen wollten. Das hatte zwar einen hohen Preis, doch er sollte gezahlt werden. Die Türkei ihrerseits verpflichtete sich zur Einhaltung der Menschenrechte und Satzungen, die eigentlich schon seit dem Beitritt der Türkei zum Europarat und vollends ab dem Augenblick gelten sollten, als der Türkei der Status eines Beitrittswerbers der EU gegeben worden war. Es war ein Abkommen mit vielen Fragezeichen. Nach einem Putschversuch einer Gruppe von Militärs am 15. und 16.  Juli 2016 kam es in der Türkei zu Massenverhaftungen und zeigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan überdeutlich die Absicht, ein autoritäres Regime zu errichten. Die EU reagierte zögernd, und nur ein Staat zeigte offen Ablehnung und Widerstand  : Österreich. Hier waren es aber nicht nur die Vorgänge in der Türkei selbst, die als irritierend empfunden wurden, sondern ein Mix aus schon seit langem bestehenden antitürkischen und antiislamischen Gefühlen. Und letztlich ging es auch darum, diese durchaus mehrheitsfähige Frage nicht der FPÖ zu überlassen. Die österreichisch-türkischen Beziehungen waren von offen geäußerter Kritik, diplomatischen Unfreundlichkeiten und merklicher Verhärtung gekennzeichnet.910 In dem Augenblick, da sich Österreich auf eine nationalistische Wanderschaft begab, riskierte es, sich wieder ins rechte Eck drängen zu lassen und alles aufs Spiel zu setzen, das in Jahrzehnten aufgebaut und mit der Geistigkeit eines europäischen Kernlands erfüllt worden war. Werner Faymann lebte daher sozialdemokratische Grundüberzeugungen ebenso wie europäische Normen und für ihn intuitiv noch immer geltende Werte vor, wenn er sich auch seiner eigenen Partei in den Weg stellte und ähnlich wie das Angela Merkel getan hatte, zu verstehen gab  : Wir schaffen das  ! Er wurde zum leuchtenden Beispiel dafür, dass es so, wie gedacht, nicht zu schaffen war. Der 1. Mai 2016 wurde für den Kanzler zum Debakel. Ausgerechnet bei den als fast sakrosankt geltenden Maifeiern der Sozialdemokraten auf dem Wiener Rathausplatz wurde er ausgepfiffen und regelrecht verhöhnt. Aus einem politischen Problem wurde

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ein menschliches. Der Bundeskanzler erfuhr am eigenen Leib, wie unbarmherzig Politik sein und wie tief Enttäuschung gehen kann. Am 9. Mai 2016 trat er überraschend und überhastet als Bundeskanzler und Parteivorsitzender der SPÖ zurück. Es dauerte eine Woche, bis ein regelrechter Übergang gefunden wurde und mit Christian Kern ein neuer Bundeskanzler angelobt werden konnte. Der war noch mehr als einstmals Franz Vranitzky ein sogenannter »Quereinsteiger«. Kern hatte zwar einige politische Erfahrungen sammeln können, war aber zuletzt Aufsichtsratsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahnen und kein »Parteisoldat« gewesen. Nach zwei Kanzlern, die sich in der SPÖ hochgedient hatten, sollte nun ein vergleichsweise junger Manager, der noch kein politisches Amt innegehabt hatte, neuen Schwung in die Politik bringen. Und er kannte wohl die Daten  : Nur mehr jeder fünfte Wähler in Österreich vertraute noch der Lösungskompetenz von Politikern und Parteien.911 Das Wort politische »Elite« war drauf und dran, zum Schimpfwort zu werden. Kaum war die Sache mit dem Kanzler ausgestanden, gab es den nächsten Grund zur Erregung. Mit dem Ende seiner zweiten Amtszeit musste Heinz Fischer die Präsidentschaftskanzlei verlassen. Man hätte ihm gerne eine dritte zugestanden, doch die Bundesverfassung besagte anderes. Der von der ÖVP schon 2015 favorisierte niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll lehnte eine Kandidatur ab. Statt ihm erklärte sich der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol zur Kandidatur bereit. Für die SPÖ kandidierte Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Dann kamen die als Außenseiter gehandelten Kandidaten. Die Grünen konnten ihren früheren Bundessprecher, Alexander Van der Bellen, dazu bewegen zu kandidieren  ; die Freiheitlichen nominierten den Dritten Nationalratspräsidenten, Norbert Hofer, und schließlich wollte die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, als Unabhängige antreten. Bei ÖVP und SPÖ lief alles »althergebracht«. Aber die Meinungsumfragen waren schlecht. Und sie blieben es bis zum Schluss. Beide Kandidaten der Regierungsparteien schnitten beim ersten Wahlgang inferior ab. Hofer, Griss und Van der Bellen lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das zugunsten Hofers und Van der Bellens ausging. Was im Verlauf der Zweiten Republik eher abgetan und als politisches Ausgedinge gehandelt worden war, gewann nun höchste Aufmerksamkeit  : Wer würde Bundespräsident werden  ? Fast unvermeidlich war, dass sich auch das Ausland immer stärker für die Wahl in Österreich zu interessieren begann. Ein Rechtsruck wurde beschrieben. Europakritische Äußerungen Hofers wurden nicht mit dem verglichen, was schon längst in vielen Staaten der Europäischen Union zu hören war. Hofer fand sich auch in guter Gesellschaft, wenn er einem Aufstand gegen »Brüssel« das Wort redete. Und es gab jede Menge Stimmen, die vor einem Rückfall in die Waldheim-Jahre und die Anfänge der Kleinen Koalition 2000 warnten. Österreich würde bei einem Sieg Hofers unweigerlich wieder »unter Beobachtung« stehen, meinte auch der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg. Er wusste wohl, wovon er sprach.

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Bei der Stichwahl siegte schließlich Van der Bellen mit rund 30.000 Stimmen Vorsprung. Man konstatierte ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Hofer war in ländlichen Kleingemeinden am erfolgreichsten  ; Van der Bellen in den großen Städten und vor allem in Wien. Für Hofer votierten jene, die Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der EU hatten  ; für Van der Bellen die anderen. Doch noch war die Entscheidung nicht gefallen. Die Freiheitlichen beeinspruchten das Ergebnis mit dem Argument, es wäre zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung gekommen. Schließlich wurde der Verwaltungsgerichtshof angerufen. Wie auch in anderen Fällen hatten Richter über die Politik zu urteilen. Ihr Mehrheitsvotum lautete, dass auch schon der Anschein von Unregelmäßigkeiten eine Wiederholung der Wahl gerechtfertigt scheinen lasse. Die Wahl sollte wiederholt werden. Damit nicht genug, hielt der erste der vorgesehenen Termine nicht. Es wurden Mängel an den für die Briefwahl zu verwendenden Kuverts festgestellt. Ein Klebstoff hielt nicht. Österreich drohte zur Lachnummer zu werden. Schließlich wurde der 4.  Dezember 2016 zum Wahltag bestimmt. Zwischenzeitlich diskutierte man weniger erregt als polemisch, ob Österreich überhaupt einen Bundespräsidenten brauchte. Doch es wollte niemandem so recht einleuchten, warum man aus einer Panne eine Verfassungsfrage machen sollte. Die Wahlwiederholung fand schließlich in einem stark veränderten politischen Umfeld statt. Die EU, die Türkei und die USA hatten sich verändert. Großbritannien hatte nach einem Referendum am 23. Juni 2016 den Austritt aus der EU (»Brexit«) beschlossen  ; die europäischen Instanzen, Kommission und Parlament, zeigten sich nicht in der Lage, in der Flüchtlingsfrage Beschlüsse auch gegen die Haltung von Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Der Zustrom von Flüchtlingen besaß weiterhin Sprengkraft. Attentate von Islamisten in einer ganzen Reihe von europäischen Staaten, Belgien, Frankreich, England, Italien und Deutschland verstärkten den Ruf nach Abschottung, Kontrolle und eine wohl unvermeidliche Verstärkung der Überwachungsmaßnahmen. Dazu kamen die permanente Finanzkrise einiger Mitgliedsländer und das Ungleichgewicht zwischen den prosperierenden Staaten, v. a. Deutschland, und den mit enormen Finanzproblemen kämpfenden südlichen Mitgliedsländern. Und Österreich, das bis in die neunziger Jahre eine so wichtige Rolle im Brückenbau und beim Ausgleichen gespielt hatte, brachte zeitweilig nichts anderes zustande, als zu mahnen und seine eigene Enttäuschung und Besorgtheit zu zeigen, hatte aber kaum Möglichkeiten einzugreifen. Der Sieg des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump über Hillary Clinton am 8.  November 2016 veränderte auch die USA nachhaltig. Der Sieg Trumps wurde als Sieg eines Populisten über das Establishment verstanden. Und auch dieses Ereignis wurde als etwas gewertet, das – so oder so – Österreich betraf. Es wurde angesichts des gar nicht mehr so jungen Milliardärs Trump ein Generationenkonflikt geortet und ein Aufstand der Jugend, vor allem aber der sozialen Unterschichten gegen die »Satten« in den Raum gestellt. Richtiger war es wohl, das Ankämpfen gegen das

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Überlegenheitsgefühl der Etablierten als Motivation herauszustreichen. Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen schienen plötzlich in ein Schema zu passen und ebenfalls den Aufstand gegen das politische Establishment zu verkörpern. Aber nicht nur das europäische Umfeld und die USA veränderten sich  – auch in Österreich verschoben sich die Prioritäten. Weniger spektakulär vielleicht, aber merkbar. Die Flüchtlingswelle hatte nicht nur die EU, sondern auch Österreich geschwächt. Es zog schließlich mit dem zuvor scharf kritisierten Ungarn gleich und baute einen Südostwall. Keine Panzergräben, wie einstmals die Reichsschutzstellung, aber eine Barriere. Diesmal gegen Syrer, Afghanen und vorsorglich auch alle anderen in Afrika und Asien zur großen Wanderung aufgebrochenen Völker. Schließlich machte sich Außenminister Sebastian Kurz zum Vorreiter jener Gruppe in der EU, die nicht nur in allgemein gehaltenen Worten ihr Unbehagen über die immer autoritärer regierte Türkei zum Ausdruck brachte, sondern das auch offen aussprachen. Wien wollte sich notfalls wieder zum Bollwerk machen, nicht aber des Christentums, wohl aber gegen eine Politik, die unverhohlen auf eine Erpressung Europas hinauslief. Denn die Drohung des türkischen Staatspräsidenten, wenn die EU das mit der Türkei geschlossene Abkommen über die bezahlte Rücknahme von Flüchtlingen nicht erfüllen sollte, Millionen Menschen auf Europa »loszulassen«, konnte an Deutlichkeit und Brutalität kaum mehr überboten werden. Österreich verlangte den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das war natürlich zum Teil der innenpolitischen Situation geschuldet. Doch es gab auch noch einen anderen Aspekt  : Österreich, dem so oft ein schlampiger Umgang mit Grundrechten und Werten vorgeworfen wurde, und das wegen seiner Kontakte zu autoritären Regimen und Diktaturen kritisiert worden war, nannte die Dinge beim Namen. Das war auch im eigenen Land nicht unumstritten und wurde als bewusste Herausforderung gesehen. Doch die Zeit war wohl angebrochen, um Flagge zu zeigen. Am 4.  Dezember 2016 siegte Van der Bellen im dritten Durchgang der Bundespräsidentenwahlen und beendete damit einen Wahlkampf, bei dem Österreich wie seit 2000 nicht mehr unter Beobachtung gestanden war. Das Wahlergebnis wurde mit einer gewissen Erleichterung als ein pro-europäisches Votum gewertet. Vielleicht war es aber auch nur eine Frage der Perspektive, die diesen Eindruck erweckte. Jedenfalls brach noch am selben Tag die Aufmerksamkeit der »Beobachter« in sich zusammen. Im Januar und Februar 2017 konnte man den Eindruck gewinnen, die Große Koalition hätte das Kommando »zurück an den Start« gegeben. Man wusste nur nicht zum wievielten Mal. Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner gelobten, Meinungsverschiedenheiten nicht offen auszutragen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und solcherart auch die Akzeptanz für das Zusammenwirken ebenso zu steigern wie die eigenen Parteien aus den Umfragetiefs herauszuholen. Denn für die Regierungsparteien musste es beunruhigend aber auch motivierend sein, dass die FPÖ

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in den Umfragen deutlich vor SPÖ und ÖVP lag. Gerüchte über vorgezogene Wahlen gab es zwar, doch es sprach eigentlich nichts dafür, die Legislaturperiode vorzeitig zu beenden. Bis 2018 ließ sich vielleicht doch noch etwas aufholen. Vorhaben gab es ja noch jede Menge  ; Ideen, den Problemen zu begegnen, nicht minder. Und dabei rangierten innen- wie außenpolitische Fragen gleichauf. Es galt, den recht zaghaften Aufschwung zu nützen, um an die neunziger Jahre anzuknüpfen, in denen Österreich gerade gemessen an Deutschland nicht nur stabil, sondern schon regelrecht vorbildhaft gewesen war. Als weiteres Moment kamen europäische Fragen ins Spiel. Da Österreich aufgrund des geplanten Austritts Großbritanniens aus der EU etwas unerwartet schon in der zweiten Jahreshälfte 2018 neuerlich den EU-Vorsitz übernehmen würde, galt es, die politischen Abläufe darauf auszurichten. Mehr noch  : Da schon 2017 absehbar war, dass die wichtigsten Verhandlungsrunden über den sogenannten Brexit, vor allem über das zukünftige Verhältnis Großbritanniens zur EU, in die Zeit des österreichischen Vorsitzes fallen würden, war es notwendig, dem Rechnung zu tragen. Allen diesbezüglichen Überlegungen zum Trotz und entgegen allen Bemühungen von Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner wollte in die Arbeit der Koalition aber keine Ruhe einkehren. Es war viel Selbstzerstörerisches dabei. Bis schließlich Reinhold Mitterlehner das Handtuch warf. In Abwandlung des von Wilhelm Molterer auf die SPÖ gemünzten Satzes »Es reicht.« meinte Mitterlehner am 10. Mai 2017 an seine eigene Partei gerichtet  : »Ich finde, es ist genug«, und kündigte seinen raschen Rückzug von allen politischen Ämtern an. Es war absehbar, dass sich diese neuerliche innenpolitische Krise nicht dadurch applanieren lassen würde, dass die Koalition wieder in anderer personeller Zusammensetzung weitermachte, wie sich das der Bundeskanzler wünschte. Außenminister Sebastian Kurz galt zwar als logischer Nachfolger des scheidenden Parteiobmanns, wollte aber nicht so ohne weiteres in dessen Fußstapfen treten. Er verkörperte die immer stärker hervortretende Auffassung, dass das gelebte politische System keine Zukunft mehr hatte. Aus der Lust nach Veränderung war eine Sucht nach Veränderung geworden. Kurz erfasste das intuitiv und wollte zunächst die ÖVP anders werden lassen, ehe er sich mit der Fortsetzung des Regierungsprogramms beschäftigte. Er stellte umfangreiche Forderungen, die ihm ein Durchgriffsrecht sichern und sowohl die Macht der ÖVP-Landeshauptleute wie die der Bünde einschränken sollten. Kurz wollte eine neue politische Kraft entstehen lassen. Die Zustimmung zu den von ihm ultimativ vorgebrachten Forderungen kam schon drei Tage später. Und schließlich drängte alles auf Neuwahlen. Sie wurden für den 15. Oktober vereinbart. Bis dahin galt es, die Arbeit schlecht und recht fortzusetzen, denn keine der Regierungsparteien wollte sich dem Vorwurf aussetzen, nicht konstruktiv zu arbeiten. Also wurden schon länger, ja lange diskutierte Fragen entscheidungsreif gemacht, wurde zum zweiten Mal ein »Eurofighter«-Untersuchungsausschuss vorbereitet und Geld

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ausgegegeben, das die Republik eigentlich nicht hatte. Doch die Konjunktur sprang an, und am Horizont zeigte sich der berühmte Silberstreif. Die personellen Änderungen waren aber noch nicht zu Ende. Am 18. Mai kündigte auch die Parteichefin der Grünen, Eva Glawischnig, ihren Rückzug aus der Politik an. Die Begründung ähnelte der von Reinhold Mitterlehner. Sie fühlte sich der Vielfachbelastung aber auch den innerparteilichen Widerständen und medialen Verunglimpfungen nicht mehr gewachsen. Ingrid Felipe sollte ihr als Bundessprecherin nachfolgen. Damit waren innerhalb eines Jahres drei Parteichefs am Ende. Das konnte wohl nicht mit einer zu schwachen Konstitution erklärt werden, sondern deutete auf ein viel grundlegenderes Problem hin. Würde in der Politik nur jemand bestehen können, der nicht nur Autorität besaß, sondern auch autoritär durchzugreifen vermochte, um die Herausforderungen einer Demokratie im 21. Jahrhundert meistern zu können  ? In der Krise des Frühjahrs 2017 zeichnete sich das Ende der Konsensdemokratie ab. Die Nachrufe auf die politische »Welt von Gestern« wurden schnell geschrieben. Der Blick nach vorne mischte sich mit der Bilanz des Gewesenen. 2018, so ließ sich schon im Vorfeld mutmaßen, würde die österreichische Geschichte wie im Zeitraffer vorüberziehen. Da würde von einem Land die Rede sein, das seit einhundert Jahren mit dem Reichsgedächtnis der Habsburgermonarchie gleichgesetzt wurde. An diesen großen Erzählbogen konnte die Erinnerung an die Republiksgründung 1918 anschließen. Damit sollte ein Bezugsrahmen gegeben sein. Österreich stand und steht aber ebenso beispielhaft für die Zerstörung der gedachten Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg und für die Selbstzerstörung eines Staates. Es lieferte eines von vielen Beispielen für Diktatur und Krieg, für Leidenschaft wie Täterschaft. Aber natürlich kann es auch als überzeugendes Beispiel für die gelungene Rekonstruktion eines Staatswesens herhalten, dem es zum Vorteil gereichte, dass es weder für den Osten noch für den Westen verzichtbar war. Während der Zeit des Kalten Kriegs war es immer wieder Begegnungsort und sah sich selbst gerne in der Funktion des Brückenbauers. Das gab Selbstvertrauen. Mit dem Wegfall der Brückenfunktion setzte eine Identitätskrise ein. Am Beispiel Österreich lässt sich manches von einer Zeit erahnen, die noch nicht ganz die unsere ist. Auch neue Formen von Nationalismus, Gewaltsamkeit und jener von Samuel Huntington beschriebene »clash of civilisations« finden in Österreich ihre »Probebühne«. Österreich hat sich immer wieder und gelegentlich dramatisch verändert. Bei zwei Gelegenheiten waren es große Kriege, die diese Änderungen bewirkt haben. In jüngerer Zeit sind es ganz andere Vorgänge, die das Anderswerden bewirken. Es ist ein Geben und Nehmen ganz eigner Art. Was als Aufbruch in eine neue Zeit gelten kann, hat seine Wurzeln sicher nicht in Österreich. Doch das Land ist Teil davon. Es ist das gleiche Land wie ehedem – und doch ganz anders geworden. Die Bevölkerung hat in einhundert Jahren um mehr als

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zwei Millionen Menschen zugenommen. Wie sie sich verteilen und wie sie hinsichtlich ihrer Herkunft gegliedert sind, kann die Statistik in dürren Daten feststellen. Fast unvermeidlich ist es aber, dass sich als Folge starker Veränderungen auch ein Gefühl der Verletzlichkeit eingeschlichen hat. Ein Gefühl für Ohnmacht würde aber nur dann entstehen, wenn man alleingelassen werden sollte – wie 1938 – oder sich selbst aufgibt. Letztlich verbietet sich aber jeglicher Vergleich der Lebenswelten einst und jetzt, auch wenn historische Langzeiterfahrungen das kollektive Gedächtnis prägen. Man hat das Land kritisiert und wird das weiterhin tun. Man hat es gelobt und als beispielhaft genannt und wird das wieder tun. Das alles wird in aktuelle Probleme eingebettet werden und auch in Zukunft gegenwärtig sein. Es werden wohl auch Antworten auf vielerlei Fragen gegeben werden. Ob es die richtigen sind, wird man freilich erst wieder mit einem größeren zeitlichen Abstand festzustellen haben. Im Strom der Zeit sind auch einhundert Jahre bestenfalls eine Stromschnelle.

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25 Der Wiener Heldenplatz ist einer der großen Gedächtnisorte Österreichs. Seit 1918 fanden auf diesem Platz unzählige Veranstaltungen statt, die ihn in besonderer Weise geprägt haben. Nichtsdestoweniger wird immer wieder darüber nachgedacht, wie man den Platz verändern, wie er noch stärker als bisher zum zentralen Gedächtnisort der Republik werden könnte, ob man ihn nicht umbenennen und zumindest entrümpeln sollte. Der Platz ist mehr als eine gedankliche Baustelle. Am Erzherzog-Carl-Denkmal wird aber wahrscheinlich nicht zu rütteln sein. (Foto: Albrecht Rauchensteiner)

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er Umbau hat begonnen, und das schon längst. Jener Umbau nämlich, bei dem es nicht darum geht, Häuser abzureißen und Räume zu verändern, sondern ein Land auf neue historische Bezugspunkte hin auszurichten. Da wird manches entsorgt, anderes an seine Stelle gesetzt. Aber es wird auch vieles mitgeschleppt, das bedeutungslos geworden ist. Es ist ein Prozess — und er dauert an. Und jeder noch so kleine Ort, jeder Bezirk, jedes Bundesland und der Staat an sich, der seit 1955 keine verhandelbare Größe mehr ist, wurde im Lauf der Zeit zum Ort von Geschehnissen, Schicksalen, Hervorhebenswertem und Vernachlässigbarem. Auf der Suche nach einer Stelle, die als Brennpunkt der meisten wichtigen Ereignisse gelten kann, wo sich Politik, Kultur und Geistesleben treffen, wo sich aber auch die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis Österreichs stellt und eine Antwort findet, landet man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Wiener Heldenplatz. Der Heldenplatz

Der Heldenplatz lädt zunächst zu einer banalen Feststellung ein  : Er ist ein Gedächtnisort, ist über weite Strecken der Vergangenheit verpflichtet und lässt Vieles zu. Das gibt ihm Profil und Bedeutung, ebenso wie er ein Merkmal von Gedächtnisorten deutlich werden lässt  : Sie sind Orte des Geschehens, bieten sich an, ohne in das Geschehen einzugreifen. Dabei geht es dem Heldenplatz so wie anderen »lieux de mémoire« (P. Nora) auch, bei denen keine wertfreie Zuordnung möglich ist. Das macht die Suche nach Gedächtnisorten und -räumen, die sich der klassischen Trias von Museen, Archiven und Bibliotheken entziehen, zum Abenteuer im Kopf. Das zunächst Wertfreie wird zu einer Aussage genötigt. Einstmals Gedachtes und Getanes wird eingepasst und entsprechend einer unendlichen Skala von gut bis schlecht angeordnet. Schon längst gilt dabei die gerne gebrauchte Phrase des Chilon von Sparta »de mortuis nil nisi bene« nicht mehr. Es geht sehr wohl um die »Guten und die »Bösen«. Gerade dann, wenn man sich der Geschichte bedient, kommen Nützlichkeitsüberlegungen hinzu und wird das eingangs erwähnte Stimmrecht der Vorfahren nicht nur einfach hingenommen. Auch der Heldenplatz wurde und wird nutzbar gemacht und lässt jene zu Wort kommen, die bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten die Willigkeit des Platzes zu nützen gesucht haben. Der Platz ist von Bauwerken umgeben, die der klassischen Definition von Gedächtnisorten entsprechen. Hier finden sich Bibliotheken, Museen und Archive. Nicht sie

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sind es freilich, die das Geschehen auf der freien Fläche davor dominiert haben. Aber wem würde es heute einfallen, den Heldenplatz zunächst als einen Kampfraum im eigentlichen und nicht im übertragenen Sinn zu sehen, Teil der Stadtbefestigung, 1683 heftig beschossen, unterminiert und gesprengt. Er wurde eingeebnet und 1860 und 1865 mit den Denkmälern zweier Heroen des Habsburgerreichs versehen. Ab dem Augenblick, als das geschah, war auch der Namen des Platzes vorgegeben. Es war der Heldenplatz, und er wurde zu einer Reflexionsfläche politischer Symbolik und Bedeutsamkeit. Nichts an ihm war zunächst politisch kontaminiert. Das sollte erst sehr viel später kommen. Wohl aber erhob sich schon wenige Jahrzehnte nach der Errichtung der Reiterdenkmäler die Frage, ob das für sie tatsächlich der richtige Ort war. 1916 führte der Leichenzug Kaiser Franz Josephs über den Platz. Kaiser Karl ging 1917 bei der Fronleichnamsprozession hinter dem »Himmel« her und betete vor dem Heldentor. 2011 nahm nicht von ungefähr der Begräbniszug des letzten österreichisch-ungarischen Thronfolgers, des Kaisersohns Otto von Habsburg, denselben Weg, flankiert von jenem Prinz Eugen, der die Habsburgermonarchie von einem vergleichsweise bescheidenen mitteleuropäischen Reich zu einer südosteuropäischen Großmacht hatte werden lassen  ; und jenem Erzherzog Carl, der mit der Inschrift »Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre« gleich dem Prinzen gegenüber vom Machtanspruch vergangener Zeiten kündet. 1918 lag der Platz einfach da, wenig gepflegt, wenig willkommen. Die vermehrte Nutzung erfolgte erst in den dreißiger Jahren, als man für die großen Feiern anlässlich des 250. Jahrestags der Entsatzschlacht gegen die Türken 1683 nach großen freien Flächen suchte. Der Platz schien ideal, denn er sollte eine Rückkehr in die Geschichte verdeutlichen und Österreich als Bollwerk der Christenheit ebenso wie als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus zeigen. Ein Jahr später versammelten sich Hunderttausende zu einer Trauerkundgebung für Engelbert Dollfuß. Merkwürdigerweise knüpfte Adolf Hitler am 15. März 1938 daran an. Er hatte offenbar keine Scheu, dorthin zu gehen, wo der von Hitlers Gefolgsleuten ermordete Kanzler gewürdigt worden war. Für den neuen Staat Österreich galt die Terrasse der Neuen Hofburg in der Folge jedoch als exterritorial. Sie sollte nicht betreten werden. Dabei waren ohnedies der Krieg und die Sowjets darüber hinweggegangen und hatten die Vergangenheit überlagert. Die Russen pflanzten auf dem Dach der Hofburg 1945 ihre Siegesfahne auf und nisteten sich anschließend in der partiell zerstörten Burg ein. Die Republik aber scheute sich, Heldenplatz und Hofburg für die Unterzeichnung des Staatsvertrags zu nutzen. Dabei hätte gerade das deutlich machen können, dass der Nationalsozialismus überwunden und die Erinnerung an Hitler getilgt war. Stattdessen wich das offizielle Österreich ins Schloss Belvedere aus. Erst später begann der Platz immer dann eine Rolle zu spielen, wenn es galt, eine gesamtstaatliche Erinnerung zu pflegen, Soldaten anzugeloben, ein Bekenntnis abzulegen oder schlicht zu demonstrieren. Die Terrasse blieb tabu.

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Die Neue Burg sorgt dafür, dass der Horizont des Platzes auf einer Seite eine Begrenzung erfährt. Katholikentag, Dollfuß-Gedenken aber auch Hitler spielen keine Rolle mehr. Die Republik beschränkt sich auf eine stundenweise Nutzung. Sie tat es auch 1983, als Papst Johannes Paul II. auf dem Platz Messe las und Hunderttausende mitfeierten oder auch nur schauen kamen. Da konnte man auch den Blick schweifen lassen. Der Platz des irdischen Unfriedens Alles im Blickfeld bietet sich als Kulisse an  : Die Neue Hofburg, das Corps de Logis, mit ihren vielfachen historischen Bezügen  ; der Durchgang zum Inneren Burghof, in dem die Begrenzungsstangen noch immer die Verbissspuren von Pferden zeigen, die dort bei der Wachablöse zu Kaisers Zeiten aber auch 1945 angebunden waren, als die Truppen der 3. Ukrainischen Front von der Hofburg Besitzt ergriffen  ; der langgestreckte Leopoldinische Trakt der Hofburg, in den 1946 Bundespräident Renner einzog und der seither als Amtssitz des Bundespräidenten Symbol für die Hierarchie der Macht ist  ; der Amalientrakt, in dem bis zu seiner Resignation Kaiser Karl I. seine Stadtresidenz hatte  ; der Ballhausplatz, der mit dem Palais Kaunitz eine mehrfach gebrochene Geschichte verkörpert  : Zunächst Sitz des kaiserlichen dann des deutschösterreichischen Ministeriums des Äußern, seit 1923 Bundeskanzleramt, kurze Zeit Sitz der Gauverwaltung, partiell zerstört, dann wieder Bundeskanzleramt und Außenministerium, bis Letzteres 2005 in Gebäude in der nahegelegenen Herrengasse übersiedelte. Der Balkon des Kanzleramts verbindet sich mit nicht allzu vielen historischen Ereignissen, mit einer Kundgebung Otto Bauers zum Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich 1919, mit der Huldigung, die der letzte Bundeskanzler der Ersten Republik Arthur Seyß-Inquart in der Nacht zum 12. März 1938 erfuhr, und mit der Scheu aller Bundeskanzler der Zweiten Republik, es dem letzten Bundeskanzler des Ständestaats nachzumachen. Lediglich dem Ski-As Karl Schranz war es am 9. Februar 1972 vergönnt, den Jubel von 80.000 Menschen für ihr Idol auf dem Balkon entgegen zu nehmen  ; im Westen des Heldenplatzes, schließlich, birgt das Äußere Burgtor die Erinnerung an die Gefallenen beider Weltkriege und an die Opfer des Österreichischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Bis vor Kurzem war jener Teil des Heldendenkmals, der als Krypta bezeichnet wird, ein Kirchenraum. Mittlerweile ist er eine säkularisierte Verlegenheit. Dem Heldenplatz steht somit ein erheblicher Teil des politischen und geistigen Österreich zur Seite, und man kann den Blick wandern lassen, sofern einem nicht die Sicht verstellt ist oder man sich selbst die Sicht verstellt. Aber offensichtlich bereitet es immer noch einige Mühe, mit der geballten historischen Last des Platzes zurecht zu

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kommen. Das ist freilich nicht ganz neu. Seit es ihn gab, mühten sich Raumgestalter und Architekten mit ihm ab. Da wurden Überlegungen angestellt, den Platz zu »drehen«. Die Reiterstandbilder sollten versetzt und der Platz nicht primär als Lapidarium genutzt werden. Der am häufigsten geäußerte Einwand gegen die Erscheinungsform des Platzes zielte darauf ab, dass er unkomplett wäre und keinen Abschluss auf der dem Corps des Logis gegenüberliegenden Seite hätte. Pläne zur Verbauung gab (und gibt) es viele, doch zumindest bisher ist das »Kaiserforum Nord« nie gebaut worden. Was am Heldenplatz stört, ist gleich Meheres  : die Bezeichnung, die Weite des Raumes und eben jene Terrasse, die als »Hitlerbalkon« eine sprachliche Verniedlichung erfährt. Zu Ersterem lässt sich sagen, dass jede Zeit ihre Helden hat. Gelegentlich verlieren sie ihre Bedeutung. Sie sind dann lediglich Teil der Geschichte und verkommen auch dann, wenn man ihnen Denkmäler errichtet hat, zur Unauffälligkeit. Damit entsprechen sie dem schönen Musil-Zitat  : »Das Auffallendste an Denkmälern ist, dass man sie nicht bemerkt.« Will man gegen die Weite des Platzes ankämpfen, kann man nur Verbauung empfehlen. In der Folge würde an Stelle der Möglichkeit, den Blick schweifen zu lassen, Beschränkung kommen, Zum dritten Einwand kann man eigentlich nur Karl Kraus und den Beginn der »Dritten Walpurgisnacht« zitieren  : »Mir fällt zu Hitler nichts ein.« Die Terrasse abzutragen wäre vielleicht noch eine Möglichkeit. Sich immer noch dem einstündigen Auftritt des Diktators zu beugen, grenzt freilich schon ans Lächerliche. Jörg Mauthe nannte den Heldenplatz den »absurdesten und schönsten Platz der Welt«, Marlene Streeruwitz wollte ihn aufgraben und für alle Zeiten unbetretbar machen, und so ließen sich Dutzende Definitionen und Empfehlungen beibringen und noch viel mehr Szenen beschreiben, die den Platz zum Gedächtnisort haben werden lassen. Peter Stachel bezeichnete ihn nicht von ungefähr als »Hauptplatz der Republik Österreich und der neueren österreichischen Geschichte«.912 Es ist ein idealer Ort, um Botschaften hinaus zu schmettern, Anliegen zu verkünden, für oder gegen etwas zu sein oder auch ein Fest der Freude zu feiern. Und man kann wohl davon ausgehen, dass der Platz noch für viele wichtige und unwichtige Begegnungen genützt werden wird. Auch die Republik braucht ihre Freiräume, hat ihre Helden und hat ihre Gedächtnisorte. Es gilt, sie bewusst zu machen und sich mit ihnen auseinander zu setzen.

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ieses Buch ist das Ergebnis einer viele Jahre, eigentlich Jahrzehnte währenden Beschäftigung mit der österreichischen Geschichte der jüngeren und jüngsten Zeit. Ich habe eine ganze Reihe von Büchern, Vorlesungen und Vorträgen mehreren zeitlichen Abschnitten, verschiedenen Einzelfragen und Persönlichkeiten gewidmet. Die Möglichkeit, an vier beispielgebenden Fernsehserien von Dr. Hugo Portisch mitzuarbeiten, schließlich auch etliche Interviews zu führen, hat mein Wissen erheblich erweitert und mich auch Demut vor der Arbeit eines großen Journalisten gelehrt. Aber natürlich fehlte mir für eine Gesamtdarstellung Vieles, das es zu ergänzen und nachzutragen galt. Vor allem war es notwendig, den Sprung in die Gegenwart zu machen. Es war reizvoll, die Lücken zu füllen und eine neue, mich selbst kontrollierende (und korrigierende) Sicht zu versuchen, die Fortsetzung von Früherem zu schreiben und das umfassende Wissen, das die historische Forschung tagtäglich beibringt, zu berücksichtigen. Nicht zuletzt hat es auch gegolten, das Wissen und die Erinnerung jener einfließen zu lassen, die einstmals und bis in die jüngste Vergangenheit handelnde Personen waren. Wesentliche Impulse zu dieser Arbeit kamen von fünf Aufenthalten in London, die den Zweck hatten, in den dortigen National Archives zu forschen, um dann mit den Augen der Anderen auf Österreich zu schauen, eine zusätzliche Sicht zu gewinnen und eine Korrektur der eigenen Befindlichkeiten vorzunehmen. Frühere Forschungsaufenthalte in den USA und leider viel zu wenige in Moskau flossen ebenso in die Arbeit ein wie Forschungen an deutschen Akten in Bonn und Berlin. Die Sicht von außen wurde durch die Arbeit in österreichischen Archiven maßgeblich erweitert. Darauf wird noch einzugehen sein. Letztlich ging es aber um die ganz normale Arbeit eines Historikers. Der letzte Anstoß zu diesem Buch kam dann vom Böhlau Verlag, der sich eine Art Fortsetzung meines Buchs über den Ersten Weltkrieg wünschte. Vor drei Jahren habe ich mich daran gemacht  ; jetzt war es Zeit, einen Abschluss zu finden. Das Buch sollte umfangmäßig bewältigbar sein, mit etlichen Skizzen ein leichteres Zurechtfinden ermöglichen und mit einigen wenigen Fotos, die durchaus Signalwirkung haben sollen, sowie einer Jahreschronik abgerundet werden. Dass es die normalen Elemente einer überprüfbaren und letztlich weiterführenden Arbeit aufzuweisen hat, versteht sich von selbst. Wie immer ist es mir ein Bedürfnis, jenen Persönlichkeiten, Kolleginnen und Kollegen, Freunden und Institutionen zu danken, denen ich aus den unterschiedlichsten Gründen für ihre Hilfe, Geduld, auch materielle Unterstützung und das Lesen einzelner Teile des Buches verbunden bin.

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Dank

Mag. Georg Rütgen hat mir in besonders dankenswerter Weise die Verwendung der Akten des Bundesarchivs in Berlin ermöglicht, hat die umfangreichen relevanten Bestände fotografiert und sie mir zur Verfügung gestellt. Dabei wurde ihm seinerseits von Dr. Maximilian Graf und Dr. Andrea Brait Hilfe zuteil, die letztlich mir zugutegekommen ist. Diese Forschung in deutschen Archivbeständen wurde vom Zukunftsfonds der Republik Österreich ermöglicht, wofür ich dem Kuratorium des Fonds und besonders dessen Vorsitzendem, Dr. Kurt Scholz, sowie dem Generalsekretär, Prof. Herwig Hösele, dankbar bin. Die mit den Archivreisen nach London verbundenen, nicht unerheblichen Aufwendungen wurden mir ganz wesentlich durch das Österreichische Kulturforum minimiert, dessen Gast ich bei allen Forschungsaufenthalten sein durfte. Die Aufenthalte in den USA, um in den National Archives zu forschen, wurden mir schon vor längerem von der Jubiläumsstiftung der Österreichischen Nationalbank und des Weiteren und durch viele Jahre durch die Großzügigkeit und Freundschaft des österreichischen Militärattachés in Washington, Brigadier Ing. Christian Clausen, und seiner Frau Annerose ermöglicht, denen ich immer besonders verbunden sein werde. Um bei den Archivforschungen fortzufahren. Das Österreichische Staatsarchiv mit dem Archiv der Republik, dem Kriegsarchiv und vor allem mit seiner Bibliothek gaben mir immer das Gefühl einer bevorzugten Behandlung, wofür ich außerordentlich dankbar bin, denn es sparte ungemein viel Zeit. Dass die Benützungszeiten des Archivs, das Fotografierverbot und vor allem die sehr zögerliche Aktenabgabe der Zentralstellen jeglicher kontinuierlicher Forschung hinderlich sind, soll aber nicht zuletzt im Sinn einer breiter angelegten Forschung unzart angemerkt werden. Dr. Gottfried Loibl hat mir allerdings im Bundesministerium für Europa und Integration (und dessen Vorläufern) tatkräftig geholfen, die nicht erfolgten Aktenabgaben dadurch auszugleichen, dass ich in der »Zentrale« selbst forschen durfte und Detailfragen abklären konnte. Der pauschale Dank an Archive und Bibliotheken ist unbedingt in Richtung einer Institution und eines der bedeutendsten Gedächtnisorte Österreichs zu erweitern  : Der Österreichischen Nationalbibliothek. Unermüdlich und großzügig wurde mir die Möglichkeit geboten, beträchtliche Mengen an Büchern zu benützen, ohne die Forschung nun einmal nicht auskommt. Es sind keine Lemuren und anonymen Hilfskräfte, die Bücher bereitstellen, sondern besonders schätzenswerte und immer freundliche Mitarbeiter, die dankend erwähnt werden sollen. Mit besonderen Gefühlen der Verbundenheit möchte ich auch jene nennen, die mir bei der Materialbeschaffung außerhalb der staatlichen Archive und Bibliotheken behilflich waren, vorweg Gesandter Dr. Stephan Scholz, der mich vertrauensvoll den Nachlass von Bundeskanzler Dr. Josef Klaus benützen ließ. Im Gegensatz zu dem wohl noch längere Zeit auf Aufarbeitung wartenden Nachlass von Josef Klaus ist der Schriftennachlass von Dr. Bruno Kreisky im Kreisky-Archiv weitestgehend zugänglich und

Dank

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stand mir ebenso wie die umfangreichen Tagebücher des langjährigen Handelsministers Josef Staribacher zu Verfügung. Dafür bin ich Univ.-Doz. Dr. Maria Steiner und Mag. Maria Mesner, vor allem aber ein weiteres Mal Mag. Georg Rütgen dankbar, der mich bei der Recherche unterstützt hat. Nicht minder dankbar bin ich für die Hilfe, die ich im Karl-von-Vogelsang-Institut von Dr. Johannes Schönner bekommen habe. Dr. Elisabeth Klamper vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands hat mit nicht ermüdender Bereitschaft meine Fragen nach korrekten Zahlen und aktuellen Fragen der Widerstandsforschung beantwortet. Dr. Günther Haller im Archiv der »Presse« und Mag. Helmut Hüttl in der Landesverteidigungsakademie haben mich an ihren Schätzen teilhaben lassen und auch auf beeindruckende Weise demonstriert, wie elektronische Suchmöglichkeiten wissenschaftliches Arbeiten extrem beschleunigen können. Die Beschaffung der Aufmacherfotos zu den einzelnen Kapiteln wurde mir vom Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und von der Heeresfilm- und Lichtbildstelle des Österreichischen Bundesheers erheblich erleichtert. Dazu kamen die Bildarchive der Austria Presse Agentur APA, des Wiener Stadt- und Landesarchivs und des Heeresgeschichtlichen Museums. Die Karten hat mir mit der ihm eigenen Könnerschaft Stefan Lechner gezeichnet. Besondere Sorgfalt wollte ich dem Umschlagbild widmen, für das sich schließlich mit der dankenswerten Hilfe von Mag. Klaus Pokorny vom Leopoldmuseum das Bild von Otto Dix gefunden hat. Nun gilt es  – sofern nicht bereits geschehen  – noch jene zu erwähnen, die sich der Mühe unterzogen haben, einzelne Kapitel oder ganze Manuskriptteile zu lesen. Vorweg und gewissermaßen in chronologischer Reihenfolge darf ich dankbar Bundeskanzler a. D. Dr. Franz Vranitzky und Bundeskanzler a. D. Dr. Wolfgang Schüssel nennen. Beide haben mir eine Reihe von Hinweisen gegeben, die mich vor vermeidbaren Fehlern bewahrt haben. Nicht minder verbunden bin ich meinem langjährigen Freund und ehemaligen Wiener Stadtschulratspräsidenten Dr. Kurt Scholz, der mich nicht nur an seinem enzyklopädischen Wissen und seinen vielfältigen Ideen Anteil haben ließ, sondern mich auch nach der Lektüre einzelner Kapitel immer wieder beraten hat. Botschafter a.D. Dr. Karl Peterlik, Univ.-Prof. Dr. Gabriele Kucsko und Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Brauneder haben mir bereitwillig ihre Hilfe bei Einzelfragen angedeihen lassen. Eine Vielzahl von Kollegen, Freunden und Schülern hat mich von ihrem Wissen profitieren lassen. Sie alle aufzuzählen würde freilich den Rahmen sprengen. Der vorletzte und keinesfalls nur pauschale Dank gilt dem mir besonders nahestehenden Team des Böhlau Verlags. Dr. Peter Rauch hat mich zur Abfassung des Buches ermutigt und auch vorweg alle Teile gelesen. Dr. Eva Reinhold-Weisz war mir eine nie wankende Stütze, ebenso wie Julia Beenken in Köln, Mag. Claudia Macho in Wien und der Hersteller Michael Rauscher, der mit meinem Text und den Sonderwünschen wohl die meiste Arbeit gehabt hat. Ein besonderer Dank gilt nicht zuletzt Christiane

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Dank

Braun und vor allem Mag. Elisabeth Dechant, die mir immer das Gefühl gegeben haben, sie hätten nur auf dieses Buch gewartet. Schließlich – und das kann ich nicht oft genug erwähnen – habe ich meiner Frau Marianne für ihre Hilfe, das Lesen und Nochmallesen und vor allem dafür zu danken, dass sie nie ein Wort verloren hat, wenn ich mich wieder tage- und wochenlang in Archiven, Bibliotheken und schließlich bei der Schreibarbeit verkrochen habe. Letztlich war sie es, die dieses Buch ermöglicht hat.

Chronik Österreichs 1918–2017

Die Daten orientieren sich an den Kapiteln des vorliegenden Buchs und sind nachfolgenden Chroniken und Rückblicken verpflichtet  : Isabella Ackerl, Walter Kleindel, Die Chronik Österreichs, 4. überarb. Aufl. (Gütersloh 1994)  ; Österreichische Jahrbücher für Politik 1976 bis 2011, sowie den Jahresrückblicken der Austria Presse Agentur APA 2012 bis 2016. 1918 3. bis 25. Januar  : Streiks in Österreich-Ungarn. 700.000 Arbeiter im Ausstand. 8. Januar  : Kongressrede von US-Präsident Wilson (»14 Punkte«) über Kriegsziele der USA. 1. Februar  : Matrosenrevolte im k. u. k. Kriegshafen Cattaro. 3. März  : Friedensvertrag von Brest-Litovsk zwischen den Mittelmächten und Russland. 8. April  : Kongress der »unterdrückten Völker« (Österreich-Ungarns) in Rom (bis 11. April). 12. April  : Der französische Ministerpräsident Clemenceau veröffentlicht den (ersten) »Sixtusbrief«. Kaiser Karl bestreitet seine Echtheit. Der Minister des Äußern, Czernin, tritt zurück. 12. Mai  : Meutereien in Judenburg, Murau, Fünfkirchen, Rumburg und Radkersburg (bis 24. Mai). 15. Juni  : Beginn der Piaveoffensive der k.u.k. Armee. 14. September  : Friedensnote Kaiser Karls »An alle  !«. 16. Oktober  : Völkermanifest Kaiser Karls. 21. Oktober  : Konstituierung einer Provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs. 24. Oktober  : Beginn der alliierten Offensive am Piave. 26. Oktober  : Kaiser Karl löst das Bündnis mit dem Deutschen Reich. 27. Oktober  : Bildung der letzten kaiserlich-österreichischen Regierung unter Heinrich Lammasch. 30. Oktober  : Einsetzung eines provisorischen Staatsrats und einer deutschösterreichischen Regierung. 3. November  : Abschluss des Waffenstillstands zwischen Österreich-Ungarn und den Alliierten in der Villa Giusti (am 4. November in Kraft getreten). 12.November  : Ausrufung der Republik Deutschösterreich. 1919 18. Januar  : 27. Februar  :

Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Verhandlungen über einen Anschluss an das Deutsche Reich (bis 2. März).

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3. März  : 12. März  :

Rücktritt der Provisorischen Staatsregierung Renner. Erklärung der Nationalversammlung »Deutschösterreich ist ein Teil der deutschen Republik«. 15. März  : Regierung Renner II. 18. März  : Die Schweiz gewährt Exkaiser Karl Exil. 3. April  : Die Nationalversammlung spricht die Landesverweisung und die Enteignung des Hauses Habsburg-Lothringen aus. Der Adel wird verboten. Abschaffung der Todesstrafe. 17. April  : Putschversuch in Wien. 29. April  : Vormarsch jugoslawischer Truppen in Kärnten. 9. bis 17. Mai  : Erfolglose Waffenstillstandsverhandlungen in Kärnten. 28. Mai  : Jugoslawischer Großangriff in Kärnten. 2. Juni  : Beginn der Friedensverhandlungen in Saint-Germain-en-Laye. 6. Juni  : Jugoslawische Truppen besetzen Klagenfurt. 15. Juni  : Kommunistischer Putschversuch in Wien. 20 Tote. 10. September  : Unterzeichnung des Friedensvertrags von Saint-Germain. 17. Oktober  : Regierung Renner III. 1920 4. Juni  : 7. bis 10. Juni  : 11. Juni  : 7. Juli  : 22. August  : 1. Oktober  : 10. Oktober  : 17. Oktober  : 20. November  : 9. Dezember  : 16. Dezember  : 1921 4. Mai  : 1. Juni  : 21. Juni  : 8. September  :

Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon. Ungarn wird verpflichtet, Deutsch-Westungarn (Burgenland) an Österreich abzutreten. Hungerdemonstrationen in Wien und Graz, Tote. Rücktritt Regierung Renner III. Regierung Mayr I (Proporzregierung aus allen Parteien). Eröffnung der ersten Salzburger Festspiele. Annahme der Verfassung durch die Nationalversammlung. Volksabstimmung in Kärnten. Nationalratswahlen. Die Christlichsoziale Partei wird die stärkste Partei. Die Sozialdemokraten gehen in Opposition. Regierung Mayr II. Dr. Michael Hainisch zum Bundespräsidenten gewählt. Österreich wird einstimmig in den Völkerbund aufgenommen.

Tod des österreichischen Friedensnobelpreisträgers Alfred Hermann Fried. Rücktritt Regierung Mayr II. Regierung Schober I. Kämpfe mit ungarischen Freischärlern im Raum Ödenburg/Sopron und Agendorf/Agfalva. Auf österreichischer Seite sechs Tote. 13. Oktober  : Bundeskanzler Schober unterzeichnet das »Protokoll von Venedig« über die Regelung der Burgenlandfrage. 8. November Die USA beenden offiziell den Kriegszustand mit Österreich.

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14. bis 16. Dezember  : Volksabstimmung in Ödenburg. Die Stadt bleibt bei Ungarn. 16. Dezember  : Vertrag von Lana zwischen Österreich und der Tschechoslowakei. Garantie der Grenzen. 1922 1. Januar  : Wien wird selbständiges Bundesland. 26. Januar  : Rücktritt Regierung Schober I. Eintageskabinett Breisky. 27. Januar  : Regierung Schober II. 1. April  : Exkaiser Karl stirbt in Funchal (Madeira). 24. Mai  : Rücktritt Regierung Schober II. 31. Mai  : Regierung Seipel I. Wichtigstes Ziel ist die Sanirung der Währung. 27. September  : Der Völkerbund in Genf genehmigt den Sanierungsplan für Österreich. Anleihe von 650 Millionen Goldkronen. 18. Dezember  : Alfred Zimmermann beginnt seine Arbeit als Völkerbundkommissar. 1923 12. April  :

Gründung des Republikanischen Schutzbundes als paramilitärische Formation der Sozialdemokraten. 16. April  : Regierung Seipel I tritt zurück. 17. April  : Regierung Seipel II. 21. September  : Beschluss des Wiener Stadtsenats, innerhalb von fünf Jahren 25.000 Gemeindewohnungen zu errichten. 21. Oktober  : Nationalratswahlen. Herabsetzung der Zahl der Mandatare von 183 auf 165. 20. November  : Rücktritt Regierung Seipel II. Regierung Seipel III mit unverändertem Kabinett. 1924 1. Juni  : Pistolenattentat auf Bundeskanzler Seipel. 28. September  : Zahlungsschwierigkeiten der Depositenbank. 30. September  : Gründung der Rundfunkverkehrsanstalt RAVAG. 20. November  : Regierung Ramek I. 9. Dezember  : Michael Hainisch zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt. 12. Dezember  : Der Schilling wird als neue Währung eingeführt. Wirksam ab 1. März 1925. 1925 3. Juni bis 20. Oktober  : Die Wiener Stadtbahn wird in Teilabschnitten elektrifiziert. 19. Oktober  : Eisenstadt wird Hauptstadt des Burgenlands. 1926 14. Januar  : 15. Januar  : 9. Juni  :

Rücktritt Regierung Ramek I. Regierung Ramek II. Die Kontrolle durch den Völkerbund wird beendet.

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3. bis 6. Oktober  : Erster »Paneuropakongress« in Wien. Vorsitz Richard Coudenhove-Kalergi. 15. Oktober  : Rücktritt Regierung Ramek II. 20. Oktober  : Regierung Seipel IV. 30. Oktober bis 3. November  : Sozialdemokratischer Parteitag in Linz. »Linzer Programm«. 29. November  : Die Christlichsoziale Partei beschließt ein neues Parteiprogramm. 1927 Januar  : 30. Januar  : 19. Mai  : 5. Juli  : 15. Juli  :

Baubeginn des Karl-Marx-Hofs in Wien, 1.600 Wohnungen. Zusammenstoß zwischen Angehörigen des Republikanischen Schutzbunds und der Frontkämpfervereinigung in Schattendorf. Zwei Tote und elf Verletzte. Regierung Seipel V. Beginn des Schattendorf-Prozesses (14. Juli  : Freispruch für die Angeklagten). Schwere Unruhen und Ausschreitungen in Wien. Brand des Justizpalastes. 94 Tote und 600 Schwerverletzte.

1928 31. Januar  : 7. Oktober  :

Ende der Interalliierten Militärkontrolle in Österreich. Großkundgebung von Heimwehr und Schutzbund in Wiener Neustadt ohne Zwischenfälle. 25. November  : Wiedereröffnung der Salzburger Universität. 5. Dezember  : Die Bundesversammlung wählt Wilhelm Miklas zum Bundespräsidenten.

1929 3. April  : 4. Mai  : 18. August  :

Rücktritt Regierung Seipel V. Regierung Streeruwitz. Zusammenstoß zwischen Heimwehr und Schutzbund in St. Lorenzen im Mürztal. Drei Tote und mehr als 200 Verletzte. September  : Die Creditanstalt muss die bankrotte Bodenkreditanstalt übernehmen und gerät in Zahlungsschwierigkeiten. 25. September  : Rücktritt Regierung Streeruwitz. 26. September  : Regierung Schober III. 24. Oktober  : Dramatische Kursverluste an der New Yorker Börse. »Schwarzer Freitag«. 7. Dezember  : Novellierung der Bundesverfassung. Der Bundespräsident erhält mehr Befugnisse. Dezember  : 193.000 unterstützte Arbeitslose.

1930 Januar  : 20. Januar  : 4. April  :

Beginn des Baus der Großglockner-Hochalpenstraße (1935 fertiggestellt). Österreich wird von seinen Reparationspflichten, den Forderungen der Nachfolgestaaten und vom Generalpfandrecht befreit. Der Nationalrat nimmt das Gesetz zum Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit (»Antiterrorgesetz«) an.

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18. Mai  : Großkundgebung der Heimwehr in Korneuburg. »Korneuburger Eid«. 2. September  : Ernst Rüdiger Starhemberg wird Bundesführer des Österreichischen Heimatschutzes. 25. September  : Rücktritt Regierung Schober III. 30. September  : Minderheitenregierung Carl Vaugoin. 9. November  : Letzte Nationalratswahlen der Ersten Republik. Die Sozialdemokraten werden stärkste Partei. 29. Oktober  : Rücktritt Regierung Vaugoin. 4. Dezember  : Regierung Ender. 1931 26. Januar  :

Unterzeichnung eines Freundschafts- und Schiedsgerichtsvertrags zwischen Ungarn und Österreich. 3. bis 5. März  : Besuch des deutschen Außenministers Curtius in Wien. Geheimverhandlungen mit Außenminister Schober über eine Zollunion. 21. März  : Einspruch der Gesandten Frankreichs, Italiens und der ČSR gegen den Zollunionsvertrag. 2. Mai  : Starhemberg tritt als Bundesführer der Heimwehren zurück. Sein Nachfolger wird Walter Pfrimer. 8. Mai  : Die Creditanstalt steht mit einem Defizit von 140 Millionen Schilling vor dem Zusammenbruch. 24. Mai  : England und Frankreich sagen der Creditanstalt einen Kredit von 150 Millionen Schilling zu. 16. Juni  : Sturz Regierung Ender. 20. Juni  : Regierung Buresch I. 3. September  : Österreich verzichtet auf die Zollunion mit Deutschland. 12./13. September  : Putschversuch des steirischen Heimwehrführers Pfrimer. 9. Oktober  : Wilhelm Miklas wieder zum Bundespräsidenten gewählt. 18. Dezember  : Hochverratsprozess gegen Walter Pfrimer. Freispruch. Dezember  : Über 300.000 unterstützte und 98.000 »ausgesteuerte« (= nicht mehr unterstützte) Arbeitslose. 1932 Januar  : 27. Januar  : 29. Januar  : 24. April  : 6. Mai  : 20. Mai  : 15. Juli  :

423.000 unterstützte Arbeitslose. Rücktritt Regierung Buresch I. Regierung Buresch II. Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg. Stimmengewinne der Nationalsozialisten. Rücktritt Regierung Buresch II. Regierung Dollfuß I. Vertrag von Lausanne über eine Völkerbundanleihe von 300 Millionen Schilling. Laufzeit 20 Jahre.

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16. Oktober  :

Zusammenstoß zwischen Schutzbund und NS-Anhängern in Wien Simmering. Drei Tote. 6. November  : Landtagswahlen in Vorarlberg. Starke Stimmengewinne der Nationalsozialisten. 20. November  : Erste Erdölfunde in der Gegend von Zistersdorf.

1933 Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. 450.000 unterstützte Arbeitslose. 8. Januar  : Hirtenberger Waffenaffäre. 15. Februar  : Höchststand der Arbeitslosigkeit. 600.000 unterstützte und »ausgesteuerte« Arbeitslose. 4. März  : Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten. »Selbstauflösung« des Parlaments. 7. März  : Der Ministerrat beschließt, mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 zu regieren. Einschränkung der Pressefreiheit und Aufmarschverbot. 25. März  : Verbot des Schutzbunds in ganz Österreich. 23. April  : Gemeinderatswahlen in Innsbruck. Die Nationalsozialisten werden mit 40 % stärkste Fraktion. 15. Mai  : Der bayerische Justizminister Hans Frank wird ausgewiesen. 20. Mai  : Gründung der »Vaterländischen Front«. 26. Mai  : Verbot der Kommunistischen Partei Österreichs. 27. Mai  : Verhängung der 1.000 Mark-Sperre bei Einreisen nach Österreich. Beginn nationalsozialistischer terroristischer Aktionen. 5. Juni  : Unterzeichnung des Konkordats mit dem Vatikan. 13. Juni  : Der Landesinspektor der österreichischen NSDAP, Theo Habicht, wird verhaftet und ausgewiesen. 19. Juni  : Verbot der NSDAP und des Steirischen Heimatschutzes. 7. Juli  : Verordnung über die Aufstellung »Freiwilliger Assistenzkörper«. 8. bis 12. September  : Allgemeiner deutscher Katholikentag in Wien (ohne Deutschland). 11. September  : Das »Kruckenkreuz« wird Symbol der Vaterländischen Front. 21. September  : Regierung Dollfuß II. 23. September  : Verordnung zur Errichtung von »Anhaltelagern« für politische Häftlinge. 10. November  : Wiedereinführung der Todesstrafe. 1934 1. Januar  : 8. Februar  : 12. Februar  : 17. Februar  :

Beginn einer neuen NS-Terrorwelle. In der ersten Januarwoche 140 Anschläge. Erste Waffensuchen in sozialdemokratischen Parteiheimen. Beginn des bewaffneten Aufstands von Teilen des Republikanischen Schutzbunds (bis 15. Februar). Kämpfe in Wien, Niederösterreich, Steiermark und Oberösterreich. Standrecht. Auflösung der Sozialdemokratischen Partei. Dreimächtegarantie (Großbritannien, Frankreich, Italien) der Unabhängigkeit Österreichs.

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21. Februar  : 17. März  : 30. April  : 1. Mai  : 10. Juli  : 25. Juli  :

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29. Juli  : 31. Juli  : 28. August  : 31.Oktober  :

Aufhebung des Standrechts. Unterzeichnung der »Römer Protokolle«. Letzte Nationalratssitzung der Ersten Republik. Verfassung für den Bundesstaat Österreich (»Maiverfassung«). Regierung Dollfuß III. Nationalsozialistischer Putschversuch. Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß. Tagelange Kampfhandlungen in vier österreichischen Bundesländern. Regierung Schuschnigg I. Vier NS-Putschisten werden hingerichtet. Der Landbund wird aufgelöst. Konstituierung der gesetzgebenden Körperschaften  : Staatsrat, Bundeskulturrat, Bundeswirtschaftsrat, Länderrat.

1935 21. Mai  : 21. Juni  : 13. Juli  : 3. August  : 16. Oktober  : 17. Oktober  : 23. Dezember  :

Hitler bekundet sein Desinteresse an einer Annexion Österreichs. Auflösung der Frontkämpfervereinigung wegen NS-Tendenzen. Die Landesverweisung der Habsburger (1919) wird aufgehoben. Eröffnung der Glockner-Hochalpenstraße. Eröffnung der Wiener Höhenstraße. Regierung Schuschnigg II. Weihnachtsamnestie für politische Gefangene.

1936 12. Mai  :

Telegramm Starhembergs an Mussolini anlässlich der Einnahme von Addis Abeba durch italienische Truppen. 1. April  : Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht. 14. Mai  : Regierung Schuschnigg III. 30. Mai  : Eröffnung der Packer Höhenstraße. 11. Juli  : Juliabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Österreich. 5. August  : Ende der alliierten Wirtschaftskontrollen in Österreich. 9. Oktober  : Auflösung aller Wehrverbände. 25. Oktober  : Achse Rom–Berlin. 3. November  : Regierung Schuschnigg IV. Endgültige Ausschaltung der Heimwehr. 1937 17. Juni  :

Der Wiener Rechtsanwalt Arthur Seyß-Inquart soll die Verbindung zwischen Regierung und »nationaler Opposition« herstellen. 10. Oktober  : Eröffnung der Reichsbrücke. 5. November  : Laut »Hoßbach-Protokoll« plant Hitler die Einverleibung Österreichs und der Tschechoslowakei. Dezember  : 246.000 unterstützte Arbeitslose.

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1938 9. bis 12. Januar  : Letzte Konferenz der Staaten der »Römer Protokolle« in Budapest«. 12. Februar  : Treffen Schuschniggs mit Hitler auf dem Berghof in Berchtesgaden. Personelle und politische Folgen. 15. Februar  : Regierung Schuschnigg V. 24. Februar  : Rede Schuschniggs vor dem Bundesrat  : »Bis in den Tod – rot-weiß-rot«. 6. März  : Schuschnigg entschließt sich zu einer Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs. 11. März  : Adolf Hitlers Weisung Nr. 1 befiehlt den Einmarsch in Österreich. Rücktritt Schuschniggs. Regierung Seyß-Inquart. 12. März  : Einmarsch deutscher Truppen. 13. März  : Rücktritt von Bundespräsident Miklas. Anschlussgesetz. 15. März  : Kundgebung auf dem Heldenplatz. Hitleransprache von der Terrasse der Hofburg. 16. März  : Mexiko protestiert beim Völkerbund gegen den Anschluss Österreichs. 17. März  : Die österreichische Nationalbank wird von der Deutschen Reichsbank übernommen. März  : Der Landeshauptmann von Oberösterreich, August Eigruber, gibt den Bau eines Konzentrationslagers in Mauthausen bekannt. 1. April  : »Prominententransport« in das Konzentrationslager Dachau. 151 Personen. 10. April  : Volksabstimmung über den Anschluss. 99,73 % Ja-Stimmen. 25. April  : Der Gauleiter von Wien, Josef Bürckel, wird Reichskommissar für die Wiedervereinigung. 5. Mai  : Entschuldungsverordnung für landwirtschaftliche Betriebe. 13. Mai  : Spatenstich zur Errichtung der Hermann-Göring-Werke in Linz. 1. Juni  : Einteilung Österreichs in acht (dann sieben) Parteigaue. 29. September  : »Münchner Abkommen«. Deutschland erhält das Recht, die deutschsprachigen Randgebiete der Tschechoslowakei zu annektieren. 1. Oktober  : Anschluss der Sudetengebiete, Südböhmens und Südmährens an das Großdeutsche Reich. 8. Oktober  : Verwüstung des Erzbischöflichen Palais in Wien durch Hitlerjugend. 15. Oktober  : Vergrößerung Wiens auf 26 Bezirke. 5. November  : Verordnung über die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte in Wien. 2. November  : (Erster) Wiener Schiedsspruch zugunsten Ungarns. 9. November  : »Reichskristallnacht«. Verwüstung jüdischer Einrichtungen. 1939 14. März  :

Ausrufung des unabhängigen slowakischen Staates. Deutsche Truppen beginnen mit der Besetzung Tschechiens. 16. März  : Errichtung des deutschen Protektorats Böhmen und Mähren. 14. April  : Ostmarkgesetz. Der Name Österreich verschwindet. 1. September  : Angriff Deutschlands auf Polen.

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3. September  : Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an Deutschland. 27. September  : Kapitulation Warschaus. 20. und 26. Oktober  : Erste Transporte österreichischer Juden in Lager südlich von Lublin. 21. Oktober  : Unterzeichnung des deutsch-italienischen Abkommens über Südtirol. Umsiedlung der deutschen Bevölkerung in das Großdeutsche Reich bis 31. Dezember 1942 vereinbart. 1940 29. Februar  :

Die »Wiener Zeitung« wird eingestellt. Amtliche Verlautbarungen erscheinen im »Völkischen Beobachter« Wiener Ausgabe. 7. Juli  : Reichsjugendführer Baldur von Schirach wird Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien. 30. August  : Zweiter Wiener Schiedsspruch. Ungarn erhält von Rumänien Gebiete in Siebenbürgen. 14. Dezember  : Der Sarg des Herzogs von Reichsstadt wird von der Kapuzinergruft nach Paris übersiedelt. 1941 6. April  : 17. April  : 22. Juni  : 11. Dezember  : 16. Dezember  :

Beginn des Balkanfeldzugs der Deutschen Wehrmacht. Kapitulation Rest-Jugoslawiens. Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Kriegserklärung des Deutschen Reichs und Italiens an die USA. Briten und Sowjets nennen die Wiederherstellung Österreichs als eines der Kriegsziele.

1942 1. Januar  : 20. Januar  :

26 Staaten einigen sich auf die Errichtung der Vereinten Nationen. Auf der Wannseekonferenz wird die Deportation und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung aus allen von der Deutschen Wehrmacht kontrollierten Gebiete beschlossen. 18. Februar  : Churchill erklärt, dass Großbritannien die Annexion Österreichs nicht anerkennt. 14. April  : Beginn der Aussiedlung von Kärntner Slowenen. 24. August bis 2. Februar 1943  : Schlacht um Stalingrad. 1943 10. Januar  : Die deutsche 6. Armee wird bei Stalingrad eingekesselt. 14. bis 24. Januar  : Konferenz von Casablanca. Churchill und Roosevelt vereinbaren die Forderung einer bedingungslosen Kapitulation ihrer Kriegsgegner. 18. Februar  : Aufruf Goebbels zum totalen Krieg. 6. Juli  : Franz Jägerstätter verweigert aus Glaubensgründen den Wehrdienst. Am 9. August hingerichtet.

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25. Juli  : Mussolini wird abgesetzt und gefangengenommen. 13. August  : Erster Bombenangriff gegen ein Ziel in Österreich (Wiener Neustadt). 8. September  : Bedingungslose Kapitulation Italiens. 18. Oktober bis 2. November  : Außenministerkonferenz der Alliierten in Moskau. 30. Oktober  : Erklärung der Alliierten über die Wiederherstellung Österreichs (»Moskauer Deklaration«). Am 1. November verlautbart. 1944 12. April  : Erster amerikanischer Fliegerangriff auf Wien. 10. Mai  : Hinrichtung der Widerstandskämpfer Scholz und Lederer. 20. Juli  : Gescheitertes Bombenattentat auf Hitler in Rastenburg (Ostpreußen). »Operation Walküre«. 10. September  : Erster amerikanischer Luftangriff auf die Wiener Innenstadt. 16. Oktober  : Amerikanischer Luftangriff auf Salzburg. Zerstörung des Domes. 18. Oktober  : Erlass über die Aufstellung des Deutschen Volkssturms. 24. November  : Aufstellung eines österreichischen Bataillons im Rahmen der jugoslawischen Streitkräfte. 18. Dezember  : Gründung des Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees (POEN) in Wien. 24. Dezember  : Budapest von der Roten Armee eingeschlossen. 1945 4. bis 11. Februar  : Drei-Mächte-Konferenz (Stalin, Churchill, Roosevelt) in Jalta über Nachkriegsfragen, u. a. die Neugestaltung Europas. 13. Februar  : Die Rote Armee erobert Budapest. 6. März  : Beginn einer deutschen Offensive im Raum des Plattensees. 12. März  : Schwerster amerikanischer Fliegerangriff auf Wien. 16. März  : Beginn der »Wiener Angriffsoperation« der Roten Armee zwischen Plattensee und Donau. 29. März  : Truppen der Roten Armee überschreiten bei Klostermarienberg die Reichsgrenze. Beginn der Befreiung Österreichs. 1. April  : Die Rote Armee nimmt Wiener Neustadt ein. 2. April  : Wien wird zum Verteidigungsbereich erklärt. Die Widerstandsgruppe um Major Szokoll nimmt Verbindung mit der Roten Armee auf und übermittelt Pläne für einen Aufstand in Wien. 3. April  : In Gloggnitz stellt sich Karl Renner der Roten Armee zur Verfügung. 6. bis 13. April  : Schlacht um Wien. 14. April  : Gründung der Sozialistischen Partei. Vorsitzender Adolf Schärf. 17. April  : Gründung der Österreichischen Volkspartei. Parteiobmann Leopold Kunschak. Theodor Körner provisorischer Bürgermeister von Wien. 27. April  : Unabhängigkeitserklärung Österreichs. Bildung der Provisorischen Staatsregierung. 29. April  : Die 1. französische Armee erreicht bei Lochau die Grenze Vorarlbergs.

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30. April  : 1. Mai  :

Amerikanische Truppen erreichen Oberösterreich. Die Provisorische Staatsregierung setzt die Bundesverfassung von 1920 (1929) wieder in Kraft. 3. Mai  : Amerikanische Truppen besetzen Innsbruck. 4. Mai  : Amerikanische Truppen besetzen Salzburg. 6. Mai  : Amerikanische Truppen besetzen Linz. Befreiung von Mauthausen. 7./8. Mai  : Bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. 8. Mai  : Britische und jugoslawische Verbände rücken in Klagenfurt ein. 8. Mai  : Gesetz über das Verbot der NSDAP. 26. Juni  : Verabschiedung des Kriegsverbrechergesetzes. 4. Juli  : Die Alliierten beschließen das (1.) Kontrollabkommen für Österreich. 9. Juli  : Die Alliierten beschließen das Teilungsabkommen für Österreich. 12. August  : Erste Salzburger Festspiele nach dem Krieg. 20. August  : Konferenz der westlichen Bundesländer in Salzburg. Beschluss, mit der Provisorischen Staatsregierung in Wien zusammenzuarbeiten. 22. August  : Österreich bekommt Hilfslieferungen der UNO (UNRRA). September  : Beginn der Entlassung von Kriegsgefangenen. 24./26. September  : Erste Länderkonferenz. 9./10. Oktober  : Zweite Länderkonferenz. 20. Oktober  : De-facto-Anerkennung der Staatsregierung durch die Alliierten. 25. Oktober  : Dritte Länderkonferenz. 25. November  : Erste Nationalratswahlen der Zweiten Republik. 13. Dezember  : Währungsreform. 19. Dezember  : Erste Sitzung des Nationalrats. Regierung Figl I (Konzentrationsregierung). 20. Dezember  : Karl Renner zum Bundespräsidenten gewählt. 1946 7. Januar  : 8. März  : 18. März  :

Anerkennung der Bundesregierung durch die vier Besatzungsmächte. Erste Lebensmittelsendung der UNRRA. Die Lebensmittelrationen für den Normalverbraucher werden auf 1200 Kalorien pro Tag herabgesetzt (im Mai in der sowjetischen Zone 700-800 Kalorien). 10. Mai  : Der Alliierte Rat setzt die Besatzungskosten mit 35 % des Staatshaushalts fest. 24. Juni  : Die Außenministerkonferenz der Alliierten lehnt den Anspruch Österreichs auf Südtirol ab. 28. Juni  : Zweites Kontrollabkommen. 5. Juli  : Sowjetischer Befehl Nr. 17. Übergabe des gesamten »Deutschen Eigentums« in der russischen Zone Österreichs an die sowjetische Verwaltung. 5. September  : Gruber-De Gasperi-Abkommen über Südtirol. 22. Oktober  : Staatsakt in Wien  : »950 Jahre Österreich«.

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1947 14. Januar bis 25. Februar  : Vorgespräche über den österreichischen Staatsvertrag in London. 14. Januar  : Zusammenbruch der Energieversorgung. 6. Februar  : Verabschiedung eines verschärften Verbots- und Kriegsverbrechergesetzes durch den Nationalrat. 26. Februar bis 12. Juni  : Hochverratsprozess gegen Guido Schmidt. 10. März bis 24. April  : Außenministerkonferenz in Moskau über den Staatsvertrag. 18. Juni  : Stalin stimmt der Entlassung der österreichischen Kriegsgefangenen zu. 21. Juni  : Die USA verzichten auf die Bezahlung von Besatzungskosten. 28. Juni  : Beschluss zur Teilnahme am Europäischen Wiederaufbauprogramm (»Marshallplan«). 30. Juni  : Abschluss der UNRRA-Hilfe. 12. September  : Eintreffen des ersten Heimkehrertransports aus der Sowjetunion. November  : Aufnahme Österreichs in die UNESCO. 20. November  : Nach dem Ausscheiden von Karl Altmann Wechsel von einer Konzentrationsregierung zu einer Großen Koalition von ÖVP und SPÖ. 11. Dezember  : Zweite Währungsreform. 1948 20. Februar bis 6. Mai  : Verhandlungen in London über den Staatsvertrag. 21. April  : Amnestie für minderbelastete ehemalige Nationalsozialisten. 27. April  : Der Ministerrat spricht sich gegen jede Abtretung österreichischen Gebiets an Jugoslawien aus. 27. August  : Österreich tritt der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds bei. 16. September  : Abschluss des Zweiten Lohn- und Preisabkommens. 1949 11. Januar  : 5. Februar  : 9. April  : 5. Mai  : 19. Juni  :

Die Mehl- und Brotrationierung wird aufgehoben. Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU). Verzicht der Westmächte auf das »Deutsche Eigentum« in Österreich. Gründung des Europarates. Verzicht der Sowjetunion auf Unterstützung der jugoslawischen Gebietsforderungen gegenüber Österreich. 9. Oktober  : Nationalrats- und Landtagswahlen. 8. November  : Regierung Figl II (Große Koalition). 3. Dezember  : Drittes Lohn- und Preisabkommen.

1950 24. März  : 15. Juni  : 31. August  :

Letzte Hinrichtung nach einem Verfahren vor einem österreichischen Gericht. Beschluss der westlich Besatzungsmächte zur Ersetzung der militärischen Hochkommissare durch Botschafter. Ende der Lebensmittelrationierungen.

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26. September  : Viertes Lohn- und Preisabkommen. Beginn einer Streikbewegung. 4. Oktober  : Zweite Streikwelle gegen das Vierte Lohn- und Preisabkommen. Ausschreitungen in Wien und Niederösterreich. 31. Dezember  : Bundespräsident Renner stirbt in Wien. 1951 9. Januar  : 19. Januar  : 27. Mai  : 16. Juli  : 7. Dezember  : 1952 23. Januar  : 14. März  : 18. Juli  : 23. Oktober  :

Der Ministerrat beschließt die Volkswahl des Bundespräsidenten. Jugoslawien beendet den Kriegszustand mit Österreich. Theodor Körner zum Bundespräsidenten gewählt. Fünftes Lohn- und Preisabkommen. Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion fordern höhere Besatzungskosten. Umbildung der Bundesregierung. Die Westmächte schlagen einen Kurzvertrag anstelle des (langen) Staatsvertrags vor. Amnestie für belastete Nationalsozialisten. Rücktritt der Regierung Figl II.

1953 22. Februar  : 23. März  :

Nationalratswahlen. Leopold Figl scheitert bei der Regierungsbildung. Julius Raab mit der Regierungsbildung betraut. 2. April  : Regierung Raab I (Große Koalition). 1. Mai  : Offizielles Ende der Lebensmittelmarken. 8. Juni  : Aufhebung der sowjetischen Kontrollen an den Zonengrenzen. 1. Juli  : Auslaufen des Marshallplans. 30. Juli  : Die Sowjetunion verzichtet auf die Bezahlung von Besatzungskosten. 14. August  : Die Alliierten verzichten auf die Zensur bei Post und Telegrafenverbindungen. 19. September  : Frankreich verzichtet auf die Bezahlung von Besatzungskosten. 1954 25. Januar bis 28. Februar  : Außenministerkonferenz der Alliierten in Berlin. 12. Februar  : Österreich nimmt an den Verhandlungen der Alliierten in Berlin teil. 1. September  : Rückführung der Wiener Randgemeinden nach Niederösterreich. Wien hat nun 23 Bezirke. 1955 8. Februar  :

In einer Rede deutet der sowjetische Außenminister Molotov die Bereitschaft der Sowjetunion zum Abschluss des Staatsvertrags an.

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24. März  : Einladung zu Staatsvertragsverhandlungen in Moskau. 11. bis 15. April  : Verhandlungen einer österreichischen Regierungsdelegation (Raab, Schärf, Figl, Kreisky) in Moskau. Einigung über noch strittige Fragen. 2. bis 12. Mai  : Eine Botschafterkonferenz in Wien überarbeitet den Staatsvertrag. 15. Mai  : Unterzeichnung des Staatsvertrags. 26. Oktober  : Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes durch den Nationalrat. 14. Dezember  : Österreich wird als 70. Mitglied in die UNO aufgenommen. 1956 2. März  : 9. Mai  : 29. Mai  : 9. Oktober  : 23. Oktober  :

Der Nationalrat beschließt den Aufnahmeantrag zum Europarat. Nationalratswahlen. Regierung Raab II (Große Koalition). Wien wird Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde. Beginn eines Volksaufstands in Ungarn. Einsetzende Fluchtbewegung.

1957 4. Januar  : 9. Februar  :

Bundespräsident Körner stirbt in Wien. Spannungen mit Italien wegen Nichterfüllung des Gruber-De Gasperi-Abkommens. 12. März  : Bildung der paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen. 5. Mai  : Adolf Schärf zum Bundespräsidenten gewählt. 25. Juli  : Die Sowjetunion reduziert die österreichischen Lieferungen aufgrund der im Staatsvertrag eingegangenen Verpflichtungen. 9. Oktober  : Wien zum Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde gewählt. 13. Dezember  : Unterzeichnung der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte. 1958 21. Februar  :

Otto von Habsburg leistet eine Verzichtserklärung und anerkennt damit auch das Habsburger-Gesetz vom 3. April 1919. 16. Juni  : Unterzeichnung des deutsch-österreichischen Vermögensvertrags. 7. Juli  : Übergabe eines Südtirol-Memorandums an alle Mitglieder der UNO. 16. Juli  : Luftraumverletzung durch US-Militärflugzeuge. 17. Dezember  : Der Erzbischof von Wien, Franz König, wird zum Kardinal ernannt. 1959 4. März  : 6. März  : 10. Mai  : 16. Juli  : 23. Juli  : 20. November  :

Südtirol-Debatte im Nationalrat. Anschlag auf das österreichische Kulturinstitut in Rom. Nationalratswahlen. Regierung Raab III (Große Koalition). Die Regionalregierung in Trient beschließt die Zweisprachigkeit Südtirols. Österreich tritt der European Free Trade Association (EFTA) bei.

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1960 22. Januar  : Die Südtirol-Frage vor dem Europarat. 11./12. März  : EFTA-Konferenz in Wien. 3./4. Juni  : Treffen von Ministerpräsident Chruščev und Präsident Kennedy in Wien. 21. September  : Die Südtirol-Frage auf der Tagesordnung der UNO. 3. November  : Regierung Raab IV. 11. Dezember  : Erster Einsatz eines österreichischen UNO-Sanitätskontingents im Kongo. 1961 29./30. Januar und 1. Februar  : Sprengstoffanschläge in Südtirol. 11. April  : Rücktritt des Kabinetts Raab IV. Bildung der Regierung Gorbach I (Große Koalition). 31. Mai  : Neuerliche Verzichtserklärung Ottos von Habsburg 24./25. Juni  : Südtirol-Verhandlungen mit Italien scheitern. 10./11. Juli  : Sprengstoffanschläge auf Eisenbahnlinien in Italien. 1. Oktober  : Sprengung des Andreas-Hofer-Denkmals am Berg Isel. 16. Dezember  : Der Verfassungsgerichtshof erklärt sich im Streit um die Gültigkeit der Verzichtserklärung von Otto von Habsburg für nicht zuständig. 28. Dezember  : Raab-Olah-Abkommen zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts. 1962 3. Mai  : Die Sowjetunion protestiert gegen einen Beitritt Österreichs zur EWG. 31. Juli  : Annäherung mit Italien bei Südtirol-Verhandlungen in Venedig. 15. September  : Italien hebt den Visumzwang für Österreich auf. 18. November  : Nationalratswahlen. 1963 27. März  : 28. April  : 31. Mai  :

Regierung Gorbach II (Große Koalition). Wiederwahl von Adolf Schärf zum Bundespräsidenten. Der Verwaltungsgerichtshof bezeichnet die Verzichtserklärung von Otto von Habsburg vom 31. Mai 1961 als ausreichend. 5. Juni  : Sondersitzung des Parlaments zum »Fall Habsburg«. August  : Neuerliche Sprengstoffanschläge in Südtirol. 23. Oktober  : Südtirol-Verhandlungen in Genf. 9. Dezember  : Prozess in Mailand gegen 87 Südtiroler wegen Terrorismus.

1964 25. Februar  : 17. März  : 2. April  : 5. Mai  : 7. August  :

Rücktritt Regierung Gorbach. Einsatz eines österreichischen UNO-Kontingents in Zypern. Regierung Klaus I (Große Koalition). Italien stimmt gegen eine Assoziierung Österreichs mit der EWG. Einleitung eines Rundfunkvolksbegehrens.

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7./8. September  : Fortschritte bei den Südtirol-Verhandlungen in Genf. 2. November  : Otto von Habsburg beantragt einen österreichischen Pass. 4. November  : Innenminister Franz Olah wird aus der SPÖ ausgeschlossen. 21. November  : Affäre um die Taufe eines Bodenseeschiffs in Fussach. 1965 2. März  : 28. Februar  : 31. März  : 23. Mai  : 24. Juni  : 15. Juli  : 22. Oktober  : 26. Oktober  :

Die EWG nimmt Verhandlungen mit Österreich auf. Bundespräsident Adolf Schärf stirbt in Wien. Demonstrationen gegen Taras Borodajkiewycz. Schlägereien. Ein Toter. Franz Jonas zum Bundespräsidenten gewählt. Die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) nimmt ihren Sitz in Wien. Das Rundfunkvolksbegehren wird im Parlament behandelt. Rücktritt Regierung Klaus I. Erster Nationalfeiertag.

1966 6. März  : Nationalratswahlen. 19. April  : Regierung Klaus II (Alleinregierung). 1. Juni  : Ausstellung eines Reisepasses für Otto von Habsburg und seine Frau Regina. 12. September  : Der Nationalrat beschließt die Einführung eines neunten Pflichtschuljahrs. 1967 1. Januar  : 1. Februar  : 4. März  : 25. Juni  : 7. Juli  : 11. Juli  : 1968 19. Januar  : 7. Februar  : 21. August  :

Das neue Rundfunkgesetz tritt in Kraft. Bruno Kreisky wird SPÖ-Vorsitzender. Das Südtirol-Paket ist weitgehend ausverhandelt. Sprengstoffattentat auf der Porzescharte. Vier Italiener tot. Wien wird Sitz der UNO-Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO). Weitere Terroranschläge an der österreichisch-italienischen Grenze. Assistenzeinsatz des Bundesheers.

Regierung Klaus III (Alleinregierung). Abschaffung der Todesstrafe. Besetzung der ČSSR durch Warschauer-Pakt-Truppen. Einsatz des Bundesheers zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau. 23. September  : Der Österreichische Gewerkschaftsbund fordert die 40-Stunden-Woche. 13. November  : Senkung des Wahlalters auf 19 Jahre.

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1969 1. Januar  : 4. Mai  : 12. Mai  : 7. Juli  : 25. Juli  : 3. November  : 22. November  :

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Eine 10%-ige Sonderabgabe zur Lohn- und Einkommensteuer tritt in Kraft. Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche. Volksbegehren gegen das neunte Schuljahr. Das neunte Schuljahr wird ausgesetzt. Einigung über das Südtirol-Paket. Beginn des U-Bahn-Baus in Wien. Annahme des Südtirol-Pakets im österreichischen Nationalrat.

1970 1. März  : 22. April  : 15. Mai  : 19. Oktober  : 24. November  :

Nationalratswahlen. Regierung Kreisky I (Minderheitsregierung). Beginn der Arbeit der Bundesheerreformkommission. Vorlage der Endberichte der Bundesheerreformkommission. Neue Wahlrechtsordnung im Parlament mit den Stimmen der SPÖ und der FPÖ angenommen. 25. November  : Verhandlungsbeginn über ein Interimsabkommen zwischen Österreich und der EWG.

1971 15. März  :

Beginn der Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion über den Abbau strategischer Waffen (SALT) in Wien. 25. April  : Wiederwahl von Franz Jonas zum Bundespräsidenten. 9. Mai  : Aufwertung des Schilling. 18. Mai  : Zweiter Porzescharte-Prozess. 15. Juli  : Wehrgesetz, mit dem der Wehrdienst neu geregelt wird (6 Monate und 60 Tage Wiederholungsübungen). 10. Oktober  : Nationalratswahlen. 21. Oktober  : Regierung Kreisky II (Alleinregierung). 22. Dezember  : Kurt Waldheim zum UN-Generalsekretär gewählt. 1972 1. Januar  : Einführung der 42-Stunden-Woche. 23. März  : Nationalratsbeschluss über die Ausgabe kostenloser Schulbücher. 20. April  : Konflikt um die Fristenlösung. 14. September  : Interimsabkommen mit der EWG. 20. September  : Beginn des »Ortstafel-Konflikts« in Kärnten. 20. Oktober  : Österreich wird für 1973 und 1974 in den Sicherheitsrat der UNO gewählt. 21. Dezember  : Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zur DDR.

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1973 1. Januar  : Eine Mehrwertsteuer von 8 % und 16 % tritt in Kraft. 2. Juli  : Schillingaufwertung um 4,8  %. 26. Juli  : Grenzzwischenfall an der Grenze zur ČSSR. Zwei Österreicher tot. 2. September  : Abermaliger Grenzzwischenfall zur ČSSR. Zwei österreichische Zivilisten tot. 28. September  : Terroranschlag von Palästinensern in Marchegg. Schließung des Transitlagers Schönau. 11. Oktober  : Konrad Lorenz und Max von Frisch erhalten zusammen mit Nikolaas Tinbergen (NL) den Nobelpreis für Medizin. 20. November  : OPEC-Minister in Wien beraten über eine Ölpreiserhöhung. 10. Dezember  : Österreich unterzeichnet die Menschenrechtsakte der UNO. 1974 14. Januar  : 6. März  : 24. April  : 17. Mai  : 23. Juni  : 10. Dezember  :

Ein »autofreier« Tag in der Woche tritt in Kraft. Der Nationalrat beschließt das Zivildienstgesetz. Bundespräsident Franz Jonas stirbt in Wien. Aufwertung des Schillings um 3 %. Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten gewählt. Der gebürtige Österreich Friedrich August von Hayek erhält den ­W irtschaftsNobelpreis. 19. Dezember  : Vermögensvertrag mit der ČSSR. 1975 1. Januar  : 11. April  : 19. Juni  : 1. August  :

Das neue Strafrecht tritt in Kraft. Der Nationalrat verabschiedet das Universitätsorganisationsgesetz. Tödlicher Verkehrsunfall des Bundesparteiobmanns der ÖVP Karl Schleinzer. Abschluss der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – »Helsinki Schlussakte«. 4. Oktober  : Nationalratswahlen. 28. Oktober  : Regierung Kreisky III (Alleinregierung). 13. November  : Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 %. 24. November  : Volksbegehren »Aktion Leben« gegen die Fristenlösung. 21. Dezember  : Terroranschlag auf den Sitz der OPEC in Wien. Drei Personen tot. Die Terroristen werden am 22. Dezember mit 33 Geiseln an Bord ausgeflogen. 1976 7. Juli  : 1. August  : 8. August  : 1. Oktober  :

Der Nationalrat beschließt das Volksgruppengesetz. Einsturz der Wiener Reichsbrücke. Zwischenfälle bei der Einweihung des Abwehrkämpferdenkmals in St. Kanzian (Kärnten). Umbildung des Kabinetts Kreisky III.

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31. Oktober  :

Partisanendenkmal bei Bleiburg gesprengt. Anschlag im Jauntal auf Gleisanlagen der Bahn. 14. November  : Geheime Erhebung der Muttersprache in ganz Österreich. 7. Dezember  : Kurt Waldheim zum UNO-Generalsekretär wiedergewählt. 13. Dezember  : Schießerei in der Wiener Innenstadt. Das RAF-Mitglied Waltraud Boock verhaftet. 1977 19. Januar  :

Sondersitzung des Nationalrates wegen Waffen- und Munitionsexporten und der Rolle von Verteidigungsminister Lütgendorf. 27. Januar  : Der Nationalrat beschließt die Schaffung einer Volksanwaltschaft. 31. Mai  : Rücktritt von Verteidigungsminister Lütgendorf. 1. Juli  : Verordnung zur Errichtung von zweisprachige Ortstafeln in Kärnten tritt in Kraft. 26. Oktober  : Beginn von Truppenabbaugesprächen zwischen NATO und Warschauer Pakt in Wien. 9. November  : Entführung des Großindustriellen Palmers. Freilassung am 13. November nach Zahlung 31 Millionen Schilling. 11. bis 18. November  : Bundesheermanöver. Erprobung der Raumverteidigung. 11. November  : Erste Moschee im Donaupark in Wien fertiggestellt. 12. Dezember  : Lotte Böhm entführt. Freilassung am 17. Dezember. Lösegeld  : 25,7 Millionen Schilling. Die Entführer werden im Januar 1978 verhaftet. 20. Dezember  : Deutsche Terroristen werden in der Schweiz festgenommen. Sie besitzen Teile des Palmers-Lösegeldes. 1978 16. März  :

Der frühere italienische Ministerpräsident Aldo Moro von Terroristen entführt. Am 9. Mai in Rom ermordet aufgefunden. 5. November  : Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf  : 50,47 % gegen die Nutzung von Atomkraft. 15. Dezember  : Der Nationalrat beschließt das Atomsperrgesetz. 1979 6. Mai  : 5. Juni  : 15. Juni  :

Nationalratswahlen. Regierung Kreisky IV (Alleinregierung). Treffen des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und des sowjetische Staats-und Parteichefs Leonid Brežnev in Wien. 18. September  : Sprengstoffanschlag auf das Völkermarkter Heimatmuseum. 1980 12. März  :

Die Bundesregierung anerkennt die PLO als die alleinige Vertretung des palästinensischen Volkes.

548 18. Mai  :

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Wiederwahl von Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten.

1981 1. Mai  : 29. August  :

Der Wiener Wohnbaustadtrat Heinz Nittel wird ermordet. Arabische Terroristen verüben einen Anschlag auf die Synagoge in Wien. Zwei Menschen tot, 18 verletzt. 9. Oktober  : Der ehemalige Verteidigungsminister Lütgendorf begeht Selbstmord. 15. bis 17. November  : Volksbefragung in Wien über Stadterneuerung und den Bau eines Konferenzzentrums. Letzteres wird von 89 % der Bevölkerung abgelehnt. 1982 28. März  : 30. April  : 10. Mai  : 31. August  : 15. Oktober  :

Einführung der Sommerzeit. Als Folge des AKH-Skandals übernimmt die VOEST die Fertigstellung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Bundesweites Volksbegehren gegen den Bau des Konferenzzentrums bei der UNO-City. Der Leitzins wird auf 6,25 % gesenkt. Beginn des zweiten Bundesheer-Großmanövers nach der Heeresreform.

1983 24. April  :

Nationalratswahlen. Die SPÖ verliert die absolute Mehrheit. Kreisky kündigt seinen Rücktritt an. 24. Mai  : Regierung Sinowatz (Kleine Koalition). 10. September  : Papst Johannes Paul II. besucht Österreich. 30. September  : Der Nationalrat beschließt eine »nationale Aktion« gegen Jugendarbeitslosigkeit. 1984 25. Januar  :

Jugoslawien verzichtet auf den Status einer Schutzmacht der slowenischen und kroatischen Minderheit in Österreich. 20. Mai  : Künstleraktion zur Schaffung eines Naturparks im Bereich March-Donau. 3. September  : Regierungsumbildung des Kabinetts Sinowatz–Steger. 10. Dezember  : Beginn der Rodungsarbeiten in der Hainburger Au. 17. Dezember  : Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Exekutive in der Hainburger Au. Abbruch der Arbeiten. 1985 24. Januar  : 15. Februar  :

Verteidigungsminister Frischenschlager begrüßt den aus italienischer Kriegsgefangenschaft entlassenen Walter Reder in Zeltweg. Udo Proksch wird wegen Betrugsverdachts im Zusammenhang mit dem Untergang des Frachtschiffs »Lucona« verhaftet.

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2. März  : 5. April  : 1. Mai  : 18. Mai  :

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Kurt Waldheim von der ÖVP als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl 1986 nominiert. Kurt Steyrer als Präsidentschaftskandidat der SPÖ nominiert. Obligatorische Überprüfung von Kraftfahrzeugen (»Autopickerl«). Demonstrationen in Zeltweg gegen den Kauf von Abfangjägern.

1986 1. Januar  : 1. März  :

Der Ärzteüberschuss beträgt rund 3.000. Die Zeitschrift »profil« veröffentlicht einen ersten Beitrag über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim. 2. März  : 56 % der Niederösterreicher sprechen sich für eine eigene Landeshauptstadt aus. 45 % der Stimmen entfallen auf St. Pölten. 25. März  : Angriffe des Jüdischen Weltkongress gegen Waldheim. 26. April  : Reaktorunfall in Tschernobyl (Sowjetunion). Fleisch und Agrarprodukte verseucht. 8. Juni  : Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt. 9. Juni  : Rücktritt von Fred Sinowatz als Bundeskanzler. Nachfolger Franz Vranitzky (Kleine Koalition). 2. August  : Bekanntwerden des Wein-Skandals (Beimischungen von Glykol). 13. September  : Jörg Haider wird Bundesparteiobmann der FPÖ. 15. September  : Vranitzky kündigt die Koalition mit der FPÖ auf. 25. November  : Rücktritt der Bundesregierung. 1987 1. Januar  : 21. Januar  : 26. Februar  : 22. April  : 27. April  : 19. Mai  :

Österreich wird Vollmitglied der Europäischen Weltraumagentur ESA. Regierung Vranitzky II (Große Koalition). Schwere Ausschreitungen beim Wiener Opernball. Eröffnung des Konferenzzentrums bei der Wiener UNO-City. Das US-Justizministerium setzt Bundespräsident Waldheim auf die »Watchlist«. Bundespräsident Waldheim stimmt der Einsetzung einer Historikerkommission zu. 21. Mai  : Zwei Palästinenser, die am 27. Dezember 1985 am Flughafen Schwechat ein Blutbad angerichtet haben, zu lebenslanger Haft verurteilt. 6. Juli  : Die Bundesregierung beschließt die sofortige Sanierung der Bundesmuseen. 1. September  : Österreich entspricht der Forderung der USA, keine Hochtechnologietransfers nach Osteuropa mehr durchzuführen. 6. Oktober  : Schussattentat auf den Kärntner Landeshauptmann Leopold Wagner. Wagner wird schwer verletzt. 1988 8. Februar  : 23. Juni  :

Die Waldheim-Historikerkommission legt ihren Schlussbericht vor. Zweiter Besuch von Papst Johannes Paul II. in Österreich.

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18. August  :

Jörg Haider bezeichnet die österreichische Nation als »ideologische Missgeburt«. 10. Oktober  : Vranitzky bekräftig in Moskau, dass Österreich trotz des Wunsches nach Vollmitgliedschaft bei der EWG neutral bleiben werde. 25. November  : Mahnmal »Gegen Krieg und Faschismus« von Alfred Hrdlicka in Wien enthüllt. 1989 30. Januar  : 2. Februar  : 14. März  :

Regierungsumbildung. Opernballdemonstrationen. Heftige Ausschreitungen. Ex-Kaiserin Zita stirbt in der Schweiz. Beisetzung in der Kapuzinergruft am 1. April. 2. Mai  : Beginn des Abbaus des »Eisernen Vorhangs« an der österreichisch-ungarischen Grenze. 8. Mai  : Jörg Haider wird Landeshauptmann von Kärnten. 17. Juli  : Außenminister Mock übergibt in Brüssel das österreichische Beitrittsgesuch zur EWG. 27. Juni  : Außenminister Mock und der ungarische Außenminister Horn durchtrennen das letzte Stück des »Eisernen Vorhangs«. 19. August  : Paneuropäisches Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze. 10. September  : Ungarn öffnet die Grenze nach Österreich für DDR-Bürger. 30. November  : Abbau der Grenzsicherungen an der tschechisch-österreichischen Grenze. 1990 30. Januar  : 23. Februar  : 25. August  : 4. September  : 7. Oktober  : 1. November  : 6. November  : 17. Dezember  : 1991 1. Januar  : 20. Februar  : 27. März  : 31. März  :

Beginn des »Lucona«-Prozesses gegen Udo Proksch. Schwere Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen den Opernball. Bundespräsident Waldheim erreicht beim irakischen Machthaber Saddam Hussein die Freilassung von österreichischen Geiseln. Beginn eines Assistenzeinsatzes des Bundesheers an der österreichisch-ungarischen Grenze (Dauer  : 21 Jahre). Nationalratswahlen. Österreich wird für zwei Jahre in den Sicherheitsrat der UNO gewählt. Österreich ersucht um die Streichung obsoleter Staatsvertragsbestimmungen. Regierung Vranitzky III (Große Koalition). Österreich übernimmt für ein halbes Jahr den EFTA-Vorsitz. Abschluss der Verhandlungen zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Neuregelung des Zivildiensts. Auflösung des Warschauer Pakts vollzogen.

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17. Mai  :

Die Wiener Bevölkerung spricht sich mit einer Zweidrittelmehrheit gegen ­ eine Weltausstellung in Wien und Budapest aus. 25. Juni  : Slowenien und Kroatien erklären ihre Unabhängigkeit. 28. Juli  : Einsatz des Bundesheers zum Schutz der Grenzen gegenüber Slowenien. 21. Juli  : Bundespräsident Waldheim erklärt, keine zweite Amtszeit anzustreben. 30. Juli  : Beendigung des Bundesheereinsatzes an der slowenischen Grenze. 31. Juli  : Die EWG empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Österreich. 2. Oktober  : Franz Viehböck fliegt als erster Österreicher mit Kosmonauten zur sowjetischen Raumstation Mir. 7. Oktober  : Fusion von Länderbank und Zentralsparkasse zur Bank Austria. 1. November  : Die »Arbeiter-Zeitung« wird eingestellt. 25. Dezember  : Ende der Sowjetunion. 1992 28. Januar  : 30. Januar  : 26. Februar  :

Udo Proksch (»Lucona«) zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die letzten Autonomiebestimmungen für Südtirol treten in Kraft. Der Nationalrat beschließt eine Novelle zum Verbotsgesetz. Die »AuschwitzLüge« ist weiterhin unter Strafe gestellt. 1. Mai  : Österreich übernimmt den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat. 24. Mai  : Thomas Klestil im zweiten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt. 6. Juni  : Der Nationalrat beschließt die Streitbeilegung wegen Südtirol. 22. September  : Österreich tritt dem europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bei. 17. Oktober  : Roma und Sinti werden unter den Schutz des Volksgruppengesetzes gestellt. 27. November  : Ein Großbrand in der Wiener Hofburg vernichtet die Redoutensäle. 1. Dezember  : Der Nationalrat beschließt das Gleichbehandlungspaket. 1993 23. Januar  : 1. Februar  : 4. Februar  : 5. Mai  : 1. November  : 12. November  : 1. Dezember  : 3. Dezember  :

Lichtermeer auf dem Wiener Heldenplatz der Plattform »SOS Mitmensch« (250.000 Menschen). Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EG. Fünf Nationalratsabgeordnete erklären ihren Austritt aus der FPÖ und bilden das »Liberale Forum«. Der Nationalrat beschließt das Fachhochschul-Studiengesetz. Vertrag von Maastricht, der die EU begründet und den Ausbau der europäischen Gemeinschaften zum Ziel hat. ÖVP und SPÖ einigen sich auf eine Reform der Verstaatlichten Industrie. Wien wird Sitz des Sekretariats der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE  ; ab 1. Januar 1995 OSZE). Beginn einer Briefbombenserie, als deren Urheber 1997 Franz Fuchs identifiziert wird.

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1994 12. Januar  :

Der Zivildienst wird rückwirkend ab 1. Januar auf 11 Monate verlängert. (Ab 1. Januar 1995 12 Monate). 1. März  : Abschluss der Verhandlungen mit der EU über einen Beitritt Österreichs. 20. März  : Die KPÖ beschließt die Abkehr vom Marxismus-Leninismus. 8. April  : Ein Sonderparteitag der FPÖ lehnt den Beitritt zur EU ab. 5. Mai  : Der Nationalrat stimmt in namentlicher Abstimmung dem »Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union« mit 140 zu 35 Stimmen zu. 5. Juni  : Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU  : 66,58 % »Ja«-Stimmen. 25. Juni  : Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags in Korfu. 9. Oktober  : Nationalratswahlen. SPÖ und ÖVP verlieren die Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. 29. November  : Regierung Vranitzky IV (Große Koalition). 12. Dezember  : Scheitern der seit zwei Jahren verhandelten Bundesstaatsreform. Die Landeshauptleutekonferenz lehnt das Reformpapier ab. 1995 1. Januar  : 4. Februar  :

Beginn der Mitgliedschaft Österreichs in der EU. Explosion von Rohrbomben in Oberwart und Stinatz (Burgenland). Vier Roma tot. 8. März  : Die Handelskette »Konsum« meldet den Ausgleich an. 5. April  : Rücktritt des Wiener Erzbischofs Kardinal Hermann Groer. Nachfolger Christoph Schönborn. 30. April  : Regierungsumbildung nach der Wahl von Wolfgang Schüssel zum Bundesparteiobmann der ÖVP. Schüssel wird Außenminister und Vizekanzler. 22. Mai  : Die Donau Dampfschifffahrtsgesellschaft (DDSG) stellt die Personenschifffahrt auf der Donau ein und wird liquidiert. 31. Mai  : Der Nationalrat beschließt teilweise Rauchverbote und Einschränkungen bei der Tabakwerbung. 1. Juni  : Einrichtung des NS-Opfer-Fonds, mit dem rund 30.000 noch lebende und vom Naziterror betroffene Österreicher entschädigt werden sollen. 12. Oktober  : Die Regierungskoalition scheitert an der Erstellung eines Budgets für 1996. Neuwahlen vereinbart. 16. Oktober  : Neuerliche Briefbombenserie. 17. Dezember  : Nationalratswahlen. 1996 20. Januar  :

Der amerikanische Geheimdienst CIA gibt die Existenz von 79 Waffendepots aus der Besatzungszeit bekannt. Die Depots werden in den Folgemonaten geräumt.

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5. Februar  : 26. Februar  : 12. März  : 16. Juli  : 13. Oktober  :

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Die Regierungsparteien kündigen ein 100-Milliarden-Schilling-Sparpaket an. Österreich tritt der NATO-geführten »Partnerschaft für den Frieden« bei. Regierung Vranitzky V (Große Koalition). Karl Wlaschek verkauft die Billa-Gruppe an den deutschen REWE-Konzern. Erste Wahlen zum Europaparlament.

1997 1. Januar  : 18. Januar  : 14. April  :

Einführung einer Maut auf Autobahnen und Schnellstraßen. Vranitzky legt alle seine Ämter nieder. Nachfolger Viktor Klima. Das Volksbegehren gegen den Einsatz genmanipulierter Organismen ist das zweiterfolgreichste aller bisherigen Volksbegehren. 27. Mai  : ÖVP und SPÖ einigen sich auf die volle Privatisierung der Bank Austria. 1. Dezember  : Das Schengen-Abkommen tritt in Kraft. 12. Dezember  : Das Alkohollimit für Autofahrer wird von 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt. 13. Dezember Alexander Van der Bellen wird Bundessprecher der Grünen. 1998 2. März  : 1. April  : 19. April  : 19. Juni  : 1. Juli  :

Natascha Kampusch entführt. Uneinigkeit der Regierung beim Optionenbericht zur Sicherheitspolitik. Die ersten weiblichen Soldaten rücken ein. Wiederwahl von Thomas Klestil zum Bundespräsidenten. Dritter Pastoralbesuch von Papst Johannes Paul II. in Österreich. Österreich übernimmt zum ersten Mal die Ratspräsidentschaft der EU.

1999 23. Februar  : 13. Juni  :

Lawinenkatastrophe in Galtür im Paznauntal. 38 Tote. Wahlen zum Europaparlament. Die Europäische Volkspartei löst die Sozialdemokraten als mandatsstärkste Partei ab. 7. September  : Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel kündigt an, dass die ÖVP in Opposition gehen würde, falls sie bei den Nationalratswahlen am 3. Oktober nur mehr auf den 3. Platz kommen sollte. 3. Oktober  : Nationalratswahlen. Relative Mehrheit für die SPÖ. FPÖ Zweite. ÖVP Dritte. 26. November  : Das letzte Teilstück der Südautobahn (Völkermarkt – Klagenfurt) wird eröffnet. 2000 3. Januar  :

19. Januar  : 31. Januar  :

Bundeskanzler Klima kündigt die Schaffung eines Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter an. Der Österreichische Gewerkschaftsbund lehnt den zwischen SPÖ und ÖVP ausgehandelten Koalitionspakt ab. Der EU-Ratspräsident António Guterres kündigt für den Fall der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung Maßnahmen (»Sanktionen«) von 14 EU-Staaten an.

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4. Februar  : 15. Februar  :

Regierung Schüssel – Riess-Passer (Kleine Koalition) angelobt. Maria Schaumayer zur Regierungsbeauftragen für die Zwangsarbeiterentschädigung bestellt. 19. Februar  : Großdemonstration auf dem Wiener Heldenplatz gegen die Koalition. 28. Februar  : Jörg Haider tritt als Parteiobmann der FPÖ zurück. 29. Juni  : Österreich und die EU-14 einigen sich auf die Einrichtung eines »Weisenrates« zur Beendigung der Sanktionen. 7. Juli  : Der Nationalrat beschließt das Versöhnungsfonds-Gesetz zur Entschädigung von bis zu 150.000 noch lebenden Zwangsarbeitern (436 Millionen Euro). 28. Juli  : Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgesuchten drei Mitglieder eines »Weisenrates« nehmen ihre Arbeit in Österreich auf. 30. August  : Blockademaßnahmen gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelín. 8. September  : Die drei »EU-Weisen« legen ihren Bericht vor und empfehlen die Aufhebung der »Sanktionen«. 12. September  : Die (französische) Ratspräsidentschaft erklärt die Aufhebung der Sanktionen. 1. November  : Die Anonymität von Sparbüchern wird abgeschafft. 11. November  : Bei einer Brandkatastrophe in einer Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn sterben 155 Menschen. 12. Dezember  : Tschechien und Österreich einigen sich auf eine umfassende Prüfung des Atomkraftwerks Temelín vor dessen Inbetriebnahme. 2001 17. Januar  :

Österreich und die USA einigen sich über die Entschädigung jüdischer NSOpfer. Geschätzt 21.000 Anspruchsberechtigte. 22. Februar  : Ausschreitungen beim Wiener Opernball. 1. März  : Finanzminister Grasser legt für 2002 ein ausgeglichenes Budget vor. 8. März  : Die Post beabsichtigt die Schließung von bis zu 800 Postämtern. 17. April  : Die Regierung gibt die Verschiebung der Pläne zur Einführung eines Berufsheers bekannt. 7. Juni  : Angebot an Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn zu einer »strategischen Partnerschaft«. 18. Juni  : Österreich beendet nach 37 Jahren den Einsatz von Soldaten des Bundesheers auf Zypern. 30. Juni  : Die Bundesregierung beschließt den Kauf von modernen Abfangjägern. Die Typenentscheidung steht noch aus. 28. Juni  : In Wien wird das Museumsquartier eröffnet. 1. September  : Einführung von Studiengebühren. 23. Oktober  : Der Nationalrat beschließt die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates. 13. November  : Ein Volksbegehren gegen die Einführung von Studiengebühren ist erfolglos. 7. Dezember  : Erster BSE-Fall (»Rinderwahn«) in Österreich. 13. Dezember  : Der Verfassungsgerichtshof hebt die Kärntner Ortstafelregelung auf.

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2002 1. Januar  : 6. Januar  :

Einführung des Euro (€) als Zahlungsmittel an Stelle des Schilling. Der Ministerrat beschließt die Entsendung von 60 Soldaten für eine Afghanistan-Friedenstruppe. 21. Januar  : Das von der FPÖ initiierte Volksbegehren gegen das tschechische Atomkraftwerk in Temelín erreicht 915.000 Unterschriften. 24. April  : Warnstreik an den Universitäten gegen die Bildungsreform. 8. Mai  : »Fest der Demokratie« auf dem Heldenplatz als Gegenveranstaltung zu einem Gedenken an das Kriegsende 1945. 6. August  : Beginn einer Hochwasserkatastrophe in Salzburg, Ober- und Niederösterreich. Schäden von 7,5 Milliarden €. 24. November  : Nationalratswahlen.

2003 28. Februar  : 31. März  : 7. April  :

Regierung Schüssel II (Kleine Koalition). Die Regierung einigt sich auf eine Pensionsreform. Erstmals seit 1912 weist Österreichs Handelsbilanz einen Überschuss von 316 Millionen € auf. 23. Oktober  : Die Regierung einigt sich auf ein neues Asylgesetz. 1. Dezember  : Innenministerium und Bundesländer einigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingsfrage. 2004 23. März  : 31. März  : 25. April  : 12. Juni  : 6. Juli  : 8. Juli  : 3. Oktober  : 2005 28. Januar  : 22. Februar  : 4. April  : 11. Mai  : 15. Mai  : 1. Juli  :

Die Bundesregierung beschließt eine Steuerreform. Einigung auf die Eckdaten zum Klimaschutz. Heinz Fischer zum Bundespräsidenten gewählt. Abschluss der Arbeit der Bundesheerreformkommission. Überlegungen für ein Berufsheer. Bundespräsident Klestil stirbt zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit. Angelobung von Heinz Fischer zum Bundespräsidenten. Seligsprechung von Kaiser Karl I. von Österreich. Der Österreich-Konvent beendete seine Arbeit ohne Einigung. Die Regierung einigt sich auf die Verkürzung des Wehrdiensts auf sechs Monate. Zerfall der FPÖ und Gründung des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) unter Jörg Haider. Der Nationalrat ratifiziert die EU-Verfassung. Feiern zum 50-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags. Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie.

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23. November  : In den USA werden die letzten Klagen gegen Österreich in Sachen Entschädigungen für NS-Opfer zurückgezogen. Es herrscht Rechtssicherheit. 19. Dezember  : Das Bundesgesetz über den Zukunftsfonds der Republik Österreich tritt in Kraft. 2006 1. Januar  : 22. Januar  : 24. März  : 14. Juli  : 23. August  : 1. Oktober  : 2007 11. Januar  : 3. Juli  : 7. September  : 7. September  : 13. Dezember  :

Österreich übernimmt für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. In Klosterneuburg/Gugging entsteht eine neue Elite-Universität. Große Verluste der Bank für Arbeit und Wirtschaft (BAWAG) münden im sogenannten »BAWAG Skandal«. Jahrelange Gerichtsverfahren. Neuerliches Scheitern eines Ortstafelkompromisses in Kärnten. Die im März 1998 entführte Natascha Kampusch kommt frei. Nationalratswahlen. Regierung Alfred Gusenbauer (Große Koalition). Der Eurofighter-Untersuchungsausschuss beendet seine Tätigkeit. Papst Benedikt XVI. beginnt einen dreitägigen Besuch in Österreich. Das Wahlalter wird auf 16 Jahre gesenkt. Österreich unterzeichnet zusammen mit 26 anderen Staaten den EU-Reformvertrag.

2008 16. Januar  : 6. Juni  : 7. Juli  : 28. September  : 11. Oktober  : 2. Dezember  :

Eine Immobilienkrise führt zu einem Kurssturz an den Börsen. Der Nationalrat beschließt den Wegfall von Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Koalition von SPÖ und ÖVP zerbricht. Nationalratswahlen. Verluste der Regierungsparteien. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider stirbt bei einem Autounfall. Regierung Faymann I (Große Koalition).

2009 1. Januar  : 12. März  : 21. April  : 31. Juli  : 21. Oktober  : 14. Dezember  :

Österreich ist für zwei Jahre nichtständiges Mitglied des Weltsicherheitsrats. Der Nationalrat beschließt ein humanitäres Bleiberecht. Der Schuldenstand Österreichs erreicht 80 % des BIP. Verkauf der AUA an die deutsche Lufthansa genehmigt. Deserteure der Deutschen Wehrmacht werden vom Nationalrat rehabilitiert. Die Hypo Group Alpe-Adria wird verstaatlicht.

2010 25 April  :

Heinz Fischer wird als Bundespräsident für eine zweite Amtszeit gewählt.

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7. Juli  :

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Der Nationalrat beschließt die Mindestsicherung. Die Opferschutzkommission der katholischen Kirche beschließt die ersten Entschädigungszahlungen.

2011 1. März  :

Verabschiedung einer neuen Sicherheitsdoktrin. Die Option NATO-Beitritt entfällt, die Neutralität wird hervorgehoben. 13. April  : Vizekanzler Pröll legt seine politischen Funktionen zurück. Nachfolger  : Außenminister Michael Spindelegger. 26. April  : Staatssekretär Josef Ostermayer und der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler einigen sich mit Slowenenvertretern auf die Aufstellung von 164 zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten. Das neue Volksgruppengesetz wird am 6. Juli beschlossen. 4. Juli  : Der Sohn des letzten Kaisers, Otto von Habsburg, stirbt im 99. Lebensjahr. 15. Dezember  : Das Bundesheer beendet nach 21 Jahren den Assistenzeinsatz an der burgenländischen und später auch niederösterreichischen Grenze. 2012 18. Januar  :

Der Nationalrat beschließt die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus (1933– 1938). 29. März  : Der Nationalrat beschließt die »Neue Mittelschule«. Sie soll bis 2018/19 die Hauptschulen ersetzen. 18. November  : Eine Reduktion der Zahl der Nationalratsabgeordneten von 183 auf 165 kommt nicht zustande. Auch die vorgesehene Verkleinerung des Bundesrats wird abgesagt. 2013 20. Januar  :

Bei einer Volksbefragung sprechen sich rund 60 % für die Beibehaltung von Wehrpflicht und Zivildienst aus. 12. März  : Eine Volksbefragung in Wien bringt ein Nein zu einer Olympia-Bewerbung der Bundeshauptstadt. 6. Juni  : Beginn des Abzugs der österreichischen Soldaten vom Golan. Abgeschlossen 31. Juli 2013. 29.September  : Nationalratswahlen. Verluste der Regierungsparteien. 16. Dezember  : Regierung Faymann II (Große Koalition). 2014 11. Mai  : 26. Augst  :

»Conchita Wurst« (Thomas Neuwirth) gewinnt den Eurovision Songcontest. Rücktritt von Vizekanzler Spindelegger. Nachfolger wird Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. 18. November  : Die Landeshauptleute akzeptieren eine Neuorganisation des Asylwesens.

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2015 14. Mai  :

Das Innenministerium verfügt die Errichtung von Zeltstädten zur Unterbringung von Asylwerbern. 7. Juli  : Der Nationalrat beschließt eine Steuerreform, die De-facto-Abschaffung des Bankgeheimnisses sowie eine Registrierkassenpflicht. 25. August  : Christian Konrad zum Flüchtlingskoordinator bestellt. 16. September  : Österreich beginnt wegen des hohen Flüchtlingsaufkommens Grenzkontrollen. 13. November  : Verstärkte Grenzüberwachung. Einrichtung einer Abfertigungszone am Autobahnübergang Spielfeld (»Grenzmanagement«). 2016 20. Januar  : 24. April  : 9. Mai  :

Die Regierung legt für 2016 eine Obergrenze für Asylanträgen von 37.500 fest. Erster Durchgang der Bundespräsidentenwahl. Bundeskanzler Faymann gibt seinen Rücktritt aus allen Ämtern bekannt. Nachfolger wird Christian Kern. 17. Mai  : Regierungsumbildung. 22. Mai  : Stichwahl um das Bundespräsidentenamt. Van der Bellen (parteilos) gewinnt gegen Norbert Hofer (FPÖ). Die FPÖ ficht die Wahl wegen Unregelmäßigkeiten an. 1. Juli  : Der Verfassungsgerichtshof ordnet eine Wiederholung der Bundespräsidenten Stichwahl an. Termin  : 2. Oktober. 12. September  : Verschiebung der Stichwahl des Bundespräsidenten wegen Mängeln an Wahlkarten. Neuer Termin 4. Dezember. 4. Dezember  : Alexander Van der Bellen gewinnt die Wahlwiederholung. 2017 26. Januar  : 28. März  :

Angelobung von Bundespräsident Van der Bellen. Der Ministerrat einigt sich auf ein neues Integrationsgesetz. Es sieht u.a. ein (Voll)Verschleierungsverbot vor. 4. April  : Der Ministerrat gibt den Abschluss der Arbeiten des Allgemeinen Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter bekannt. 9. September  : Eröffnung des »Haus der Geschichte Niederösterreich« in St. Pölten. 15. Oktober  : Nationalratswahlen.

Anmerkungen

1. Das Experiment 1 Das Zitat bei Walter Lukan, Die slowenische Politik und Kaiser Karl, in  : Karl I. (IV.). Der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, hg. Andreas Gottsmann (Wien 2007), 181. 2 Die gelegentlich anzutreffende Bezeichnung »Oktoberdiplom« ist verwirrend. Vgl. die Historische Einleitung von Hanns Haas, Staatsbildung als Programm. Der österreichische Staatsrat im November 1918, in  : Der österreichische Staatsrat. Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919, Bd. 1, bearb. Gertrud EnderleBurcel, Hanns Haas, Peter Mähner (Wien 2008). Als Oktoberdiplom wird in der Regel das Gesetz vom 20. Oktober 1860 bezeichnet, mit dem die Grundzüge einer Verfassung für das Kaisertum Österreich dekretiert wurden. 3 Zu den militärischen Vorgängen  : Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918 (Wien–Köln–Weimar 2013), 1039–1042. 4 Bruno Wagner, Der Waffenstillstand von der Villa Giusti 3. November 1918, phil. Dissertation Universität Wien (1970). 5 Die nicht zuletzt wegen ihrer rechtsgeschichtlichen Erläuterungen wichtige Arbeit zur Staatsgründung  : Wilhelm Brauneder, Deutsch-Österreich 1918. Die Republik entsteht (Wien–München 2000), hier 31. 6 Die Angaben über die Anzahl der deutschen Abgeordneten schwanken merkwürdiger Weise. Walter Goldinger, Geschichte der Republik Österreich (Wien 1962), 10, nennt 208 Abgeordnete, Brauneder 206, Oliver Rathkolb, Erste Republik, Austrofaschismus, Nationalsozialismus 1918–1945, in  : Geschichte Österreichs, hg. Thomas Winkelbauer, 2. Aufl. (Stuttgart 2016), 487, nennt 220 Abgeordnete. 7 In der christlichsozialen Reichsratsfraktion stellte das Prälat Johann Nepomuk Hauser am 9. Oktober zur Diskussion. Dazu  : Dieter A. Binder, Fresko in Schwarz. Das christlichsoziale Lager, in  : Das Werden der Ersten Republik. Der Rest ist Österreich, hg. Helmut Konrad, Wolfgang Maderthaner, 2 Bde (Wien 2008), hier Bd. I, 253. Ähnlich argumentierte der sozialdemokratische Abgeordnete Otto Bauer am 11. Oktober. Dazu  : Ernst Hanisch, Im Zeichen von Otto Bauer, Deutschösterreichs Außenpolitik in den Jahren 1918 bis 1919, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 216. 8 Brauneder, Deutsch-Österreich 1918, v. a. 19–60. 9 Walter Goldinger, Dieter A. Binder, Geschichte der Republik Österreich 1918–1938 (Wien–München 1992), 15. 10 Hanisch, Im Zeichen von Otto Bauer, 210. 11 Das Zitat dürfte in dieser Form nicht belegbar sein. Vgl. Manfred Zollinger, »L’Autriche, c’est moi«  ? Georges Clemenceau, das neue Österreich und das Werden eines Mythos, in  : Österreich  – 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament, hg. Stefan Karner (Innsbruck–Wien u. a. 2008), 621–632. 12 Gerald Stourzh, Erschütterung und Konsolidierung des Österreichbewußtseins. Vom Zusammenbruch der Monarchie bis zur Zweiten Republik, in  : Was heißt Österreich  ? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute, hg. Richard Georg Plaschka (Wien 1995), 290. Die Namen wurden als Ergebnis eines Preisausschreibens der Innsbrucker Nachrichten im März 1919 vorgeschlagen. 13 Karl Renner, Österreichs Erneuerung. Politisch-programmatische Aufsätze von Dr. Karl Renner, Reichsratsabgeordneter (Wien 1916), 41.

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Anmerkungen

14 Michael Hainisch, 75 Jahre aus bewegter Zeit. Lebenserinnerungen eines österreichischen Staatsmannes, bearb. Friedrich Weissensteiner (Graz–Wien–Köln 1978), 207. 15 Haas, Historische Einleitung, Staatsbildung, LVI. 16 Der österreichische Staatsrat, 347 f. 17 Wolfgang Maderthaner, Die eigenartige Größe der Beschränkung. Österreichs Revolution im mitteleuropäischen Spannungsfeld, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 198. Ferner Manfried Rauchensteiner, Landesverteidigung und Sicherheitspolitik 1918–1934, in  : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933, hg. Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch, Anton Staudinger (Wien 1995), 602–617, bes. 604 f. Ein weitgehend positives Bild der Volkswehr zeichnet Peter Broucek, Über Prätorianergarden und Legionen in und um Österreich, in  : Ders., Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr (Wien–Köln–Weimar 2008), hier v. a. 232–255. 18 Der von Peter Broucek überlieferte Reim soll von dem dichtenden Generalstabsoffizier der k. u. k. Armee Karl Schneller stammen. Dazu Broucek, Über Prätorianergarden, 254. 2. Die verhinderte Revolution 19 So Wilhelm Brauneder, Deutsch-Österreich 1918. Brauneder argumentiert in seinem Buch verfassungsgeschichtlich und verwendet sehr bewusst das Gemälde von Max Frey als Umschlagbild. 20 Florian Wenninger, Von »Monarchenfressern« und »Habsburg-Agenten«. Der 12. November als politischer Erinnerungsort der Zweiten Republik, in  : zeitgeschichte, 41. Jahrg., Heft 6 (2014), 400–414. 21 Das Gemälde von Frey ist im Heeresgeschichtlichen Museum, Wien, zu sehen. Das Bild von Konopa, ebenso jenes von Ledli, sind im Bestand des Wien-Museums. 22 Die Formulierung bei Ernst Hanisch, Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938) (Wien–Köln–Weimar 2011), 144. 23 Binder, Fresko in Schwarz, 244. 24 Staatsdruckerei 2639 19 (Kopie im Besitz des Verfassers). 25 Otto Bauer, Die österreichische Revolution (Wien 1923), 147 f. 26 Robert Hoffmann, Die Mission Sir Thomas Cuninghames in Wien 1919. Britische Österreichpolitik zur Zeit der Pariser Friedenskonferenz, phil. Dissertation Univ. Salzburg (1971), 43. 27 Andreas Hillgruber, Das Anschlussproblem (1918–1945)  – aus deutscher Sicht, in  : Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, hg. Robert A. Kann (Wien 1980), 161–178, hier 162. 28 Hanns Haas, Österreich und die Alliierten 1918–1919, in  : Saint-Germain 1919 (= Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich, Bd. 11, Wien 1989). 29 Klaus Schwabe, Deutsche Revolution und Wilson-Friede. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19 (Düsseldorf 1971), 174. 30 Haas, Österreich und die Alliierten, 27. 31 Haas, Ein verfehlter Start, 375. 32 Haas, Österreich und die Alliierten, 33. 33 The National Archives (NA), London, Foreign Office (FO) 608/27, Depesche 19. März 1919. 34 Brauneder, Deutsch-Österreich 1918, 207. 35 Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrg. 1919, 54. Stück, Nr. 174. 36 Renner behauptete zwar, den Kaiser gesprochen zu haben  ; es deutet jedoch weit mehr darauf hin, dass der Staatskanzler nicht zum Kaiser vorgelassen wurde. Vgl. diesbezüglich die interessanten Ausführungen von Clemens Jabloner, Person, Amt und Institutionen, in  : Ders., Methodenreinheit und Erkenntnisviel-

Anmerkungen

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falt. Aufsätze zur Rechtstheorie, Rechtsdogmatik und Rechtsgeschichte, hg. Thomas Olechowski, Klaus Zeleny (= Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts 35, Wien 2013), 354, Anm. 8. 37 Brauneder, Deutsch-Österreich 1918, 141 f. 38 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Tb-Ausgabe (Frankfurt a. M. 1989), 323– 327. 39 Kaiser und König Karl I. (IV.). Politische Dokumente aus Internationalen Archiven, hg. Elisabeth Kovács, Bd. 2 (Wien–Köln–Weimar 2004). Der handschriftliche Text als Faksimile auf dem Umschlag des Bandes. 40 Dazu der sehr erhellende Aufsatz von Georg Frölichsthal, Die Mitgliedschaft zum Haus Österreich nach 1918, in  : Adler Nr. 6/7 (2016), 342–357. 41 Gesetz vom 3.  April 1919 betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, in  : Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrg. 1919, 71. Stück, Nr. 209. 42 Adalbert Graf Sternberg 1868–1930. Aus den Memoiren eines konservativen Rebellen, hg. Hans Rochelt (Wien 1997), 7. 43 Hoffmann, Mission Cuninghame, 127. 44 Dazu Gerhard Botz, Die »Österreichische Revolution« 1918/19. Zu Kontexten und Problematik einer alten Meistererzählung der Zeitgeschichte in Österreich, in  : zeitgeschichte, 44. Jahrg, 2014, Heft 6, 359–370. 45 NA London FO 608/27, Intelligence Report 24. März 1919. 46 Hoffmann, Mission Cuninghame, 14. 47 Haas, Österreich und die Alliierten, 33. 48 Hoffmann, Mission Cuninghame, 111. 49 Fritz Keller, Die Arbeiter- und Soldatenräte in Österreich 1918–23. Versuch einer Analyse (Wien 1998), 19–21. 50 Hans Hautmann, Die Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924 (Wien–Zürich 1987), 329 f. 51 Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Neues Politisches Archiv, Karton 788, Liasse Ungarn I/1. Staatsamt für Äußeres, I-3676/4, 4. Mai 1919. 3. Saint-Germain: das Ende der Illusionen 52 Christian Koller, »… Der Wiener Judenstaat, von dem wir uns unter allen Umständen trennen wollen«. Die Vorarlberger Anschlussbewegung an die Schweiz, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 86 f. 53 Das Zitat bei Hanisch, Der lange Schatten des Staates (Wien 1994), 270. 54 Goldinger, Binder, Geschichte der Republik Österreich, 54. 55 Hermann Kuprian. Der Tiroler Separatismus der Ersten Republik, in  : 1918/1919. Die Bundesländer und die Republik. Protokollband des Symposiums zum 75. Jahrestag der Ausrufung der 1. Republik am 12. und 13. November im Grazer Stadtmuseum, hg. Gerhard Michael Dienes (Graz 1994), 51. 56 Ute Weinmann, Die südslawische Frage und Jugoslawien. Grenzziehung im Süden Österreichs unter besonderer Berücksichtigung der Kärntenproblematik, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 127. 57 Goldinger, Binder, Geschichte der Republik Österreich, 55–62. Erwin Steinböck, Die Kämpfe im Raum Völkermarkt 1918/19 (= Militärhistorische Schriftenreihe 13, Wien 1969). 58 (Oxford 1919). Mehrere Reprints. Außerdem veröffentlichte Webster 1921 eine umfangreiche Quellensammlung zum Wiener Kongress. 59 ritz Fellner, Die Pariser Vororteverträge von 1919/20, in  : Versailles – St. Germain – Trianon. Umbruch

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Anmerkungen

in Europa vor fünfzig Jahren, hg. Karl Bosl (Wien–München 1971), 7–23. Fellner bezieht sich bei seiner Feststellung vor allem auf André Tardieu, der eine genaue Auflistung der Tausenden Sitzungen gibt. 60 Richard Saage, Die deutsche Frage. Die Erste Republik im Spannungsfeld zwischen österreichischer und deutscher Identität, in  : Das Werden der Ersten Republik. Der Rest ist Österreich, hg. Helmut Konrad, Wolfgang Maderthaner, Bd. 1 (Wien 2008), 65–82, hier 78. 61 Francis L. Carsten, The First Austrian Republic. A Study based on British and Austrian Documents (Aldershot–Brookfield 1986), 5. 62 Hoffmann, Mission Cuninghame, 188. 63 Walter Reichel, Tschechoslowakei – Österreich. Grenzziehung 1918/1919, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 163. 64 Ludwig Jedlicka, Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich 1918–1934, in  : Ders., Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975 (St. Pölten 1975), 148. 65 Dazu die eingehende Analyse von Stefan Malfèr, Wien und Rom nach dem Ersten Weltkrieg. Österreichisch-italienische Beziehungen 1919–1923 (= Veröffentlichung der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 66, Wien–Köln–Graz 1978). 66 Fritz Fellner, Heidrun Maschl, Saint Germain im Sommer 1919. Die Briefe Franz Kleins aus der Zeit seiner Mitwirkung in der österreichischen Friedensdelegation, Mai–August 1919 (= Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 1, Salzburg 1977), 113. 67 Hanisch, Der große Illusionist, 164 f. 68 Dazu Haas, Ein verfehlter Start, 374. Die Anschlussfrage war nicht durchgängig dominant, beherrschte aber die Innenpolitik zumindest zeitweilig. 69 Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955 (Wien–Köln–Graz 1998), 244–246. Dazu auch Stephan Verosta, Für die Unabhängigkeit Österreichs, in  : Österreich November 1918. Die Entstehung der Ersten Republik. Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich, Veröffentlichungen 9 (Wien 1986), 41–48, hier 44 f. 70 Hanisch, Im Zeichen von Otto Bauer, 220. 71 Peter Burian, Österreich und der Völkerbund, in  : Nation, Nationalismus, Postnation, hg. Harm Klueting (Köln–Wien 1992), 111. 72 Dazu Rolf Steininger, 1918/1919  : Die Teilung Tirols. Wie das Südtirolproblem entstand, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 115–117. 73 Brauneder, Deutsch-Österreich 1918, 104. 74 Gerald Schlag  : Die Grenzziehung Österreich-Ungarn 1922/23, in  : Burgenland in seiner pannonischen Umwelt. Festgabe für August Ernst (Eisenstadt 1984), 333–346. Derselbe  : Die Kämpfe um das Burgenland 1921 (= Militärhistorische Schriftenreihe 16, Wien 1970). Die wichtigsten Dokumente in  : Zwischen Staatsbankrott und Genfer Sanierung 11. Juni 1921 bis 6. November 1922, hg. Klaus Koch, Walter Rauscher, Arnold Suppan (= Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938. (= Fontes Rerum Austriacarum 2. Abt., Bd. 4, Wien–München 1998). 75 Genaue Zahlen ließen sich nie feststellen. Letztlich muss man sich mit Gesamtzahlen und Prozentrechnungen zufrieden geben. Für die Habsburgermonarchie wurden die militärischen Totenverluste mit rund 1,2 Millionen errechnet, wovon auf die österreichische Reichshälfte 51,52 % und auf die ungarische Reichshälfte 42 % entfielen. Der Rest zählte auf Bosnien-Herzegowina. Dreimal so hoch wie die Totenverluste war die Zahl der Verwundeten, von denen wiederum rund ein Drittel dauernd invalid blieb. Als Durchschnitt wurde errechnet, dass von 1.000 Menschen 23,3 dem Krieg zum Opfer fielen. Vgl. dazu Wilhelm Winkler, Die Totenverluste der öst.-ung. Monarchie nach Nationalitäten (Wien 1919). Ferner  : Statistisches Handbuch für die Republik Österreich, hg. Statistische Zentralkommission, Bd. 3, Wien,

Anmerkungen

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1923), 9. Die jüngsten statistischen Daten, die es freilich erst zusammenzuzählen gilt, finden sich in dem penibel recherchierten Band  : Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg, Bd. XI/2  : Weltkriegsstatistik Österreich-Ungarns 1914–1918, hg. Helmut Rumpler, bearb. Anatol Schmied-Kowarzik und Helmut Rumpler (Wien 2015). 76 Mark Mazower, Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert (Berlin 2000), 120. 77 Laurence Cole, Der Habsburger-Mythos in  : Memoria Austriae I. Menschen, Mythen, Zeiten, hg. Emil Brix u. a. (Wien 2004), 473–504  ; Bela Rasky, Erinnern und Vergessen der Habsburger in Österreich und Ungarn nach 1918, in  : Österreich 1918 und die Folgen. Geschichte, Literatur, Theater und Film, hg. Karl Müller (Wien 2009), 25–58  ; Martin Reisacher, Die Konstruktion des »Staats, den keiner wollte«. Der Transformationsprozess des umstrittenen Gedächtnisorts »Erste Republik« in einen negativen rhetorischen Topos. Diplomarbeit Universität Wien (2010). 78 Rolf Steininger, 12. November 1918 bis 13. März 1938  : Stationen auf dem Weg zum »Anschluss«, in  : Österreich im 20. Jahrhundert., Bd. 1  : Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. Rolf Steininger, Michael Gehler (Wien–Köln–Weimar 1997), hier bes. 107–109. 79 Malfèr, Wien und Rom, 60. 80 Mazower, Der dunkle Kontinent, 31. 81 Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 9, Wien 1988). 82 Ernst Hanisch, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts (Wien–Köln–Weimar 2005), 50. 83 Christoph Gütermann, Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985, in  : Überlegungen zum Frieden, hg. Manfried Rauchensteiner (Wien 1987), 63  ; Walter Göhring, Verdrängt und vergessen. Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried (Wien 2006), 240. 84 Peter Broucek, Kurt Peball, Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie (Köln–Weimar–Wien 2000), 77. 85 Joachim Giller, Hubert Mader, Christina Seidl, Wo sind sie geblieben …  ? Kriegerdenkmäler und Gefallenenehrung in Österreich (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 11, Wien 1992). 86 Mazower, Der dunkle Kontinent, 142. 87 Brauneder, Deutsch-Österreich 1918, 85. 88 Innerhalb weniger Jahre gab es rund 50.000 sogenannte Dispensehen. 89 Eine deutsche Untersuchung kann zumindest als Anhalt genommen werden  : Sabine Kienitz, Der Krieg der Invaliden. Helden-Bilder und Männlichkeitskonstruktionen nach dem Ersten Weltkrieg, in  : Militärgeschichtliche Zeitschrift, hg. Militärgeschichtliches Forschungsamt, 60. Jahrg., Heft 2 (2001), 367–402. 90 Friedrich Hacker, Die Entwicklung der Psychoanalyse in der Zwischenkriegszeit, in  : Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit, hg. Norbert Leser (= Quellen und Studien zur österreichischen Geistesgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert 1, Wien 1981), 133–143, hier 141. 4. Das Ende der Gemeinsamkeit 91 Robert Kriechbaumer, Welcher Staat  ? Die Christlichsoziale Partei und die Republik 1918–1920, in  : Der Forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch zum 70. Geburtstag, hg. Reinhard Krammer u. a. (Wien–Köln–Weimar 2010), 40. 92 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 92. 93 Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Wien 1995), 346. 94 Hanisch, Der große Illusionist, 167.

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Anmerkungen

95 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 103. 96 Adam Wandrusza, Deutschliberale und deutschnationale Strömungen in  : Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit, 28–33, hier 30. 97 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 109. 98 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 383. 99 Dazu die Roman-Biografie von Georg Ransmayr, Der arme Trillionär. Aufstieg und Untergang des Inflationskönigs Sigmund Bosel (Wien–Graz–Klagenfurt 2016). Allgemein  : Peter Melichar, Verteilungskämpfe. Bemerkungen zur Korruption im Österreich der Zwischenkriegszeit, in  : Korruption in Österreich. Historische Streiflichter, hg. Ernst Bruckmüller (Wien 2011). 100 Hanisch, Der lange Schatten, 282. 101 Felix Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl. (Wien–Köln–Weimar 2012), 200. 102 Malfèr, Wien und Rom, 103 f. 103 Aufgrund der Genfer Protokolle vom 4.10.1922 erhielt Österreich eine von den Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der ČSR garantierte Anleihe von 650 Millionen Goldkronen, für die Österreich die Erlöse der Zölle und das Tabakmonopol verpfänden musste. Die Laufzeit der Völkerbundanleihe betrug 20 Jahre. Sie wurde in 10 verschiedenen Währungen an 11 Finanzplätzen begeben und erbrachte einen Nettoerlös von 611 Millionen Kronen oder 880 Millionen Schilling. Die Effektivverzinsung variierte zwischen 8,6 % und 10,2 %. Das Geld wurde zum Teil zur Deckung des Gebarungsabgangs für 1922 und 1923 verwendet, etwa 50 % des Nettoerlöses mussten bei ausländischen Banken zu 3-4 % Zinsen deponiert werden. Die Verzinsung erreichte also nicht annähernd den Betrag, den Österreich den Gläubigern, zum Teil den gleichen Banken, zu zahlen hatte. Der Anleiherest wurde 1924–1927 für produktive Investitionen des Bundes verwendet, ein Betrag von 50 Millionen Schilling 1927 zur Verringerung der Bundesschuld bei der Oesterreichischen Nationalbank herangezogen. Österreich kündigte diese Völkerbundanleihe am 1. Dezember 1934. Zur Rückzahlung wurde eine »Garantierte österreichische Konversionsanleihe 1934–59« von 567 Millionen Schilling begeben. Dazu  : Hans Kernbauer, Eduard März und Fritz Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung, in  : Österreich 1918–1938, hg. Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Bd. 1 (Wien 1983)  ; ferner Grete Klingenstein, Die Anleihe von Lausanne. Österreich Archiv (Wien 1965). 104 »Arbeiter-Zeitung«, 15. Oktober 1922, 1. 105 Zit. nach Saage, Die deutsche Frage, 80. 106 Alphons Lhotsky, Die Verteidigung der Wiener Sammlungen durch die Erste Republik, in  : Ders., Die Haupt- und Residenzstadt Wien, Sammelwesen und Ikonographie. Der österreichische Mensch (= Alphons Lhotsky, Aufsätze und Vorträge, hg. Hans Wagner, Heinrich Koller, Bd. IV, Wien 1974), 164–210. 107 Hanisch, Der große Illusionist, 217. 108 »Arbeiter-Zeitung«, 17. Oktober 1922, 1. 5. Die Aufmarschsaison 109 Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches  : Adolf Hitlers »Mein Kampf«, 1922–1945 (München 2006), 59. 110 Helmut Konrad, Das Rote Wien. Ein Konzept für eine moderne Großstadt  ?, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 230. 111 Konrad, Das Rote Wien, 238. 112 Rathkolb, Erste Republik, 494.

Anmerkungen

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113 Zur Geschichte der Heimwehr  : Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ? (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 7, Wien 1985). 114 Finbarr McLoughlin, Der republikanische Schutzbund und gewalttätige politische Auseinandersetzungen in Österreich 1923–1934, phil. Dissertation Universität Wien (1990). 115 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreichs, 140. 116 Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande, 79–101. 117 Wo sind sie geblieben  …  ? Zeichen der Erinnerung. Katalog zur Sonderausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums 22. Oktober 1997 bis 22. Februar 1998 (Wien 1997), 14. 118 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 205. 119 Beatrix Hoffmann-Holter, »Abreisendmachung«. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923 (Wien–Köln–Weimar 1995), 211 f. 120 »Dieses Österreich retten …« Die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik, hg. Robert Kriechbaumer (Wien–Köln–Weimar 2006), 307. 121 Kurt Bauer, Die kalkulierte Eskalation. Nationalsozialismus und Gewalt in Wien um 1930, in  : Kampf um die Stadt. Ausstellungskatalog Wien Museum, hg. Wolfgang Kos (Wien 2010), 39. 122 https://de.wikipedia.org/wiki/Linzer_Programm_(Sozialdemokratie), letzter Zugriff  : 23.06.2017. 123 Die Ereignisse in Schattendorf und beim Brand des Justizpalastes am besten bei Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1938 (München 1983). 124 »Arbeiter-Zeitung«, 15. Juli 1927, 1, 2. 125 Neue Freie Presse, 18. Juli 1927, 1. 126 Tagblatt, Linz, 19. Juli 1927, 1. 6. Bürgerkriegsszenarien 127 Botz, Gewalt in der Politik, 166. Ferner Christiane Rothländer, Die Anfänge der Wiener SS (Wien– Köln–Weimar 2012), 85–87. 128 Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem, 14. 129 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 159. 130 Neue Freie Presse, 19. August 1929, 1,2. 131 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 162. 132 Raab trat im Dezember 1930 aus der Heimwehr aus, als diese als Wahlpartei in Konkurrenz zu den Christlichsozialen kandidieren wollte. Er gründete 1931 eine eigene »Niederösterreichische Heimwehr«, die im Mai 1932 in den Ostmärkischen Sturmscharen aufging. 133 https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Schumpeter, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 134 Peter Eigner, Absturzgefahr und Sanierungsversuche. Zur wirtschaftlich ambivalenten Situation um 1930, in  : Kampf um die Stadt, 25. 135 Hillgruber, Das Anschlussproblem, 165. 136 Franz Mathis, Wirtschaft oder Politik  ? Zu den wirtschaftlichen Motiven einer politischen Vereinigung 1918– 1938, in  : Ungleiche Partner  ? Österreich und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, hg. Michael Gehler (Stuttgart 1996), 412. 137 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich,178. 138 Burian, Österreich und der Völkerbund, 116. 139 Peter Eigner, Peter Melichar, Das Ende der Boden-Credit-Anstalt 1929 und die Rolle Rudolf Siegharts, in  : Bankrott. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 19. Jahrg., Heft 3 (2008), 56–114.

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Anmerkungen

140 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 221. 141 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 182. 142 Die Zahlen bei Walter Kleindel, Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur (Wien–Heidelberg 1978), 338. Weitere Zahlen unter dem Stichwort »Arbeitslosigkeit«. 143 Josef Hofmann, Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931 (= Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte 4, Graz 1965)  ; Bruce F. Pauley, Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918–34 (München 1972). 144 Der Text des Aufrufs der Bundesregierung bei Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 186. Ablauf und Kommentare auch in der Tagespresse, z. B. Neue Freie Presse, 14. September 1931, 1. 145 Rothländer, Die Anfänge der Wiener SS, 94 f. 146 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 190 f. 147 Mazower, Der dunkle Kontinent, 45. 148 Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, 2. Aufl. (Wien–Köln–Graz 1996), 307. 149 Das Wort bei Emmerich Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938 (= Politik und Zeitgeschichte 8, Wien 2013), 22. 150 Grete Klingenstein, Die Anleihe von Lausanne. Österreich Archiv (Wien 1965). Zur Person  : Peter Berger, Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936 (Wien–Köln–Weimar 2000), 24–27. 151 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 197. 7. Das Trauma 152 https://de.wikipedia.org/wiki/Bundespr%C3%A4sident_(%C3%96sterreich)#Notverordnungsrecht, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 153 Am deutlichsten bei einer Bauernversammlung in Villach am 5.  März 1933. Dazu  : Robert Kriechbaumer, Die Nebel der Begrifflichkeit oder vom schwierigen Umgang mit dem Ständestaat und der Vaterländischen Front. Einleitung zu  : Österreich  ! Und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes, hg. Robert Kriechbaumer (Wien–Köln– Weimar 2005), 27. 154 Arbeiter-Zeitung 18. März 1933, 1. 155 Ebenda. 156 NA London WO 190/210, Note on the situation in Austria, January–July 1933, 30. August 1933. 157 Rede von Vizekanzler Winkler im Rahmen des 9. Parteitags des Landbunds am 14.  Mai 1933, in  : Wiener Zeitung, 16. Mai 1933, 5. 158 Winfried R. Garscha, Der Terror der illegalen Nationalsozialisten vor 1938  : Wer waren die Opfer  ? 159 Kurt Bauer, »Heil Deutschösterreich  !«. Das deutschnationale Lager zu Beginn der Ersten Republik, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 278. 160 Hanisch, Der lange Schatten, 296. 161 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 377. 162 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 206. 163 NA London WO 190/210, Note on the situation in Austria. 164 NA London WO 190/204 ( June 1933). 165 So Gerhard Botz in einer Kontroverse mit Robert Menasse  : Das Dollfuß-Regime verstehen. Nachzu-

Anmerkungen

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lesen bei http//derstandard.at/r1246543999319/Nachlese-Kontroverse-Botz-Menasse, 1.9.2010, und ebenda, 18.2.2004. 166 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 208. 167 Kriechbaumer, Die Nebel der Begrifflichkeit, 22. 168 Hanisch, Der große Illusionist, 291. 169 Helmut Rumpler, Der Ständestaat ohne Stände, in  : Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch, 229–245, hier 237. 170 Zitiert nach Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem, 586. 171 Hanisch, Der lange Schatten, 290. 172 Die Palette der Begrifflichkeit bei Erika Kustascher in ihrer umfangreichen Habilitationsschrift  : »Berufsstand« oder »Stand«. Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit (= Veröffentlichung der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 113, Wien–Köln–Weimar 2016), 24. Ebenso der Semantik verpflichtet  : Kriechbaumer, Die Nebel der Begrifflichkeit, 35 f. 173 Bruckmüller, Nation Österreich, 308. 174 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 211. 175 Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv (KA), BMfLV/Abt. l, IntZl. 890-1/1933  : Evidenz »Innenlage – Bewaffnete Verbände«, 12. Dezember 1933, wo von »minder beleumundeten und vorbestraften Personen« die Rede ist. 176 Ebenda. 177 Anklageschrift zum Schutzbundprozess, Landesgericht für Strafsachen, Wien, 8 Vr/3553/34 = Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien, 5593 b. 178 Walter Rauscher, Die Entwicklung des vaterländischen Regimes, in  : Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938, Bd. 9  : Österreich im Banne des Faschismus, hg. Walter Rauscher (= Fontes Rerum Austiacarum, 2. Abt., Bd. 95, Wien 2014), 16. 179 Vgl. dazu Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr (Wien–Frankfurt–Zürich 1966), bes. 166 ff. Zur außenpolitischen Situation im Allgemeinen  : Karl Stuhlpfarrer, Österreichs außenpolitische Lage 1934, in  : Österreich 1927 bis 1938, 144 ff. 180 Vgl. dazu Walter Goldinger, Geschichte der Republik Österreich, Wien 1962, 192. 181 Kurt Peball, Die Kämpfe in Wien im Februar 1934 (= Militärhistorische Schriftenreihe 25, Wien 1974), 16. 182 Der Februar-Aufruhr 1934. Das Eingreifen des österreichischen Bundesheeres zu seiner Niederwerfung. (Nur für den Dienstgebrauch), als Manus. gedr. (Wien 1935), 157. 183 Zu diesen beiden Persönlichkeiten die Arbeiten von Eric C. Kollman, Theodor Körner, Militär und Politiker (Wien 1972), und Helmut Tober, Alexander Eifler. Vom Monarchisten zum Republikaner, phil. Dissertation Universität Wien (1966). 184 (A. Neuberg), Hans Kippenberger, M. N. Tuchatschewski, Ho Chi Minh, Der bewaffnete Aufstand. Versuch einer theoretischen Darstellung. Eingeleitet von Erich Wollenberg (Frankfurt a. M. 1971), ­XXXIII. 185 Tober, Alexander Eifler, 510 f. 186 Peball, Die Kämpfe in Wien, 21. 187 Das war bei der Siedlung »Sandleiten« der Fall. Vgl. dazu Februar-Aufruhr, 53. 188 Zu den Wiener Gemeindebauten vgl. die ungedruckte Dissertation von Renate Schweitzer, Der staatlich geförderte, der kommunale und der gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsbau in Österreich bis 1945, Techn. Hochschule (Wien 1972). 189 Barry McLoughlin, Die Partei, in  : Kommunismus in Österreich 1918–1938, hg. Ders., Hannes Leidinger, Verena Moritz (Innsbruck–Wien–Bozen 2009), 311.

568

Anmerkungen

190 Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem, 51. 191 NA London, FO 341/18350/3894, p. 205 f. 192 KA, BMfLV/Abt. l, Zl. 5341-1/1934. 193 Ebenda. 194 KA, BMfLV/Abt. l, Zl. 4606-1/1934. 195 NA London, FO 341/18350/3904, p. 161 ff. 196 NA London, FO 341/18350/3894, p. 236. 8. Ständestaat ohne Stände 197 Mazower, Der dunkle Kontinent, 54. 198 Rothländer, Die Anfänge der Wiener SS, 419. 199 Ludwig Reichhold, Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1933–1938 (Wien 1984). Ferner Kriechbaumer, Die Nebel der Begrifflichkeit, 45–49. 200 »Dieses Österreich retten«, 467. 201 Hanisch, Der lange Schatten, 293. 202 Zur Ratifikation des Konkordats bedurfte es der Verfassungsmäßigkeit, d. h. einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, der formal noch immer existierte und nur am Zusammentreten gehindert war. Der Vatikan urgierte wiederholt die Ratifikation des am 5.  März 1933 unterschriebenen Vertrags, wurde jedoch bis zum 1. Mai 1934 vertröstet. Vgl. dazu  : Erika Weinzierl, Das österreichische Konkordat von 1933 von der Unterzeichnung bis zur Ratifikation, in  : 60 Jahre österreichisches Konkordat, hg. Hans Paarhamer, Franz Pototschnig, Alfred Rinnerthaler (München 1994), 119–134. 203 Mazower, Der dunkle Kontinent, 57. 204 Rathkolb, Erste Republik, 504. Eine eingehende Erläuterung und kritische Auseinandersetzung mit der sehr stark durch unterschiedliche Begrifflichkeiten geprägten Diskussion gibt Erika Kustascher, »Berufsstand« oder »Stand«, 19–24. 205 Anton Philapitsch, Wöllersdorf. Trauma oder Mythos, in  : Geschosse – Skandale – Stacheldraht. Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie, hg. Leopold Mulley (Wien 1999)  ; Gerhard Jagschitz, Die Anhaltelager in Österreich, in  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938, hg. Ludwig Jedlicka, Rudolf Neck (Wien 1975), 128–151. Im Oktober 1934 wurde der Höchststand mit 4.794 Anhaltehäftlingen und Strafgefangenen erreicht (4.256 Nationalsozialisten, 538 Sozialdemokraten und Kommunisten). 206 Hans Schafranek, Söldner für den Anschluss. Die österreichische Legion 1933–1938 (Wien 2011), 29. 207 Schafranek. Söldner für den Anschluss, 30. 208 Dušan Nećak, Die österreichisch-jugoslawischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, in  : Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, hg. Oliver Rathkolb (Innsbruck– Wien–München 2003), 185. 209 Wolfgang Neugebauer, Das Standgerichtsverfahren gegen Josef Gerl, in  : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936, hg. Karl R. Stadler ( Wien 1986), 369 f. 210 Zur Vorgeschichte und dem Verlauf des Attentats auf Engelbert Dollfuß  : Kurt Bauer, Hitlers zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934 (St. Pölten–Salzburg 2014). Das Buch ist quellenmäßig besser abgesichert als die ältere Arbeit von Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich (Graz–Wien–Köln 1976). Wichtige Abschnitte, so die Rolle Hitlers oder die des österreichischen SA-Führers Hermann Reschny, beruhen weiterhin auf Indizien und Schlussfolgerungen. 211 Bauer, Hitlers zweiter Putsch, 172–177.

Anmerkungen

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212 Ebenda, 19. 213 1938 wurde die Siebensterngasse im 7. Bezirk in Wien in »Straße der Julikämpfer« umbenannt, und im Galgenhof des Wiener Landesgerichts, wo die Putschisten hingerichtet worden waren, ein Denkmal errichtet. 1945 wurde es zerstört. Seine Trümmer wurden als Füllmaterial beim Bau einer unterirdischen Straßenbahnlinie verwendet. Einige Stücke werden im Heeresgeschichtlichen Museum verwahrt. 214 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 238. 215 Rothländer, Die Anfänge der Wiener SS, 454. 216 Kurt Bauer, Sozialgeschichtliche Aspekte des nationalsozialistischen Juliputsches 1934, geistes- und kulturwiss. Dissertation Universität Wien (2001)  ; Der Putsch von Lamprechtshausen. Zeugen des Juli 1934 berichten, hg. Andreas Maislinger (Salzburg 1992), 35–39. 217 Otto Steinhäusl wurde nach dem Anschluss Polizeipräsident von Wien und Präsident der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (Interpol). 218 Jagschitz, Der Putsch, 174. 219 Die Fackel, Nr. 917–922, 102 f. 220 Bauer, Hitlers zweiter Putsch, 222. 221 Die Großglockner Hochalpenstraße, hg Johannes Hörl, Dietmar Schöndorfer (Wien–Köln–Weimar 2015)  ; Clemens M. Hutter, Großglockner Hochalpenstraße, 2. Aufl. (Salzburg 2007). 222 Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936 (Wien–Köln– Weimar 2001), 13. 223 Volsansky, Pakt auf Zeit, 13. 224 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 243. 225 Haas, Anschluß, 8. 226 Texte und der Text der Demarchen von Staaten der Kleinen Entente bei http://www.zaoerv.de/06_193 6/6_1936_1_b_578_2_582_1.pdf (letzter Zugriff  : 23.06.2017). 227 Malachi Haim Hacohen, Kosmopoliten in einer etnonationalen Zeit  ? Juden und Österreicher in der Ersten Republik, in  : Das Werden der Ersten Republik, I, 289. 228 Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem, 74 f. 229 Schulchronik Rabensburg, Bd. 1 (1902–1940), 149. 230 Heinz Stritzl, Der Zeitzeuge im Gespräch mit Thomas Cik (Graz 2016), 21. 231 Schulchronik Rabensburg, Bd. 1, 147. 232 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 400. 233 Mazower, Der dunkle Kontinent, 142 f. 234 http://sciencev1.orf.at/science/news/68025, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 235 Lothar Höbelt, Die Heimwehren und die österreichische Politik 1927–1936 (Graz 2017), 367. 236 Klaus Koch, Zwischen Mussolini und Hitler. August 1934 – Juli 1936, in  : Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938, Bd. 10  : Zwischen Mussolini und Hitler, hg. Klaus Koch, Elisabeth Vyslonzil (= Fontes Rerum Austriacarum 2. Abt., Bd. 96, Wien 2014), 22. 237 Hillgruber, Das Anschlussproblem, 169. 238 Volsansky, Pakt auf Zeit, 23. 239 Radomir Luža, Österreich und die großdeutsche Idee in der NS-Zeit (Wien–Köln–Graz 1977), 37. 240 Volsansky, Pakt auf Zeit, 37 und 41. 241 Volsansky, Pakt auf Zeit, 42. 242 Außenpolitische Dokumente 10/1528 (Unterredung Schuschnigg – Mussolini, o. D. – Mai 1935), 142. 243 Helge Lerider, Die Wehrpolitik der ersten österreichischen Republik im Spiegel der operativen Vorbereitungen gegen die Nachfolgestaaten der Monarchie. Militärwissenschaftliche Hausarbeit Landesverteidigungsakademie (Wien 1975).

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Anmerkungen

244 Zitiert nach Ingrid Mosser, Der Legitimismus und die Frage der Habsburgerrestauration in der innenpolitischen Zielsetzung des autoritären Österreich (1933–1938), phil. Dissertation Universität Wien (1979), 42. 245 Koch, Zwischen Mussolini und Hitler, 21, und Außenpolitische Dokumente 10/1577, Unterredung Schuschnigg – Hodža 17.1.1936. 246 Helmut Wohnout, Das Traditionsreferat der Vaterländischen Front. Ein Beitrag über das Verhältnis der legitimistischen Bewegung zum autoritären Österreich, in  : Österreich in Geschichte und Literatur, 36. Jahrg, Heft 2 (1992), 65–82, hier 73. 247 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 272. 248 Das sogenannte »Hoßbach-Protokoll«, in  : Hans-Adolf Jacobsen, 1939–1945. Der Zweite Weltkrieg in Chronik und Dokumenten (Darmstadt 1961), 97–104. 249 NA London FO 371/22310, R 1193/G, 2. Febr. 1938, Secret. 250 Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht (Wien 1947), 676. 251 NA London FO 371/22310, Schuschnigg an Sir George Franckenstein, 27. Januar 1938. 252 NA London FO 954/1A/49, 4. Febr. 1938. 253 Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, hg. Peter Broucek, Bd. 2 (Wien–Köln–Graz 1982), 222. 254 Zur Anwesenheit hoher Offiziere vgl. Ein General im Zwielicht, Bd. 2, 222. Die identen Namen bei Kurt Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee (Wien–München– Zürich 1969), 216– 251, hier v. a. 233.Es waren also nicht die Oberbefehlshaber aller drei Wehrmachtteile, wie gelegentlich zu lesen ist. 255 NA London FO 371/21750, William Henry Bradshaw Mack an Lord Halifax, 8. April 1938. 256 NA London FO 371/22310, Enclosure despatch No 56 E, 22. Febr. 1938. 257 Beispielhaft in Salzburg. Vgl. dazu Robert Kriechbaumer, Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944 (Wien–Köln–Weimar 2013). 258 NA London FO 371/21750, Mack an Halifax, 8. April 1938, 7. 259 Wiener Zeitung, 25. Februar 1938, 2–8. 260 Goldinger/Binder, Geschichte der Republik Österreich, 281. 261 Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), 2., erg. Aufl. (Linz 1976), 25. 262 Stefan Karner, »… Des Reiches Südmark«. Kärnten und Steiermark im Dritten Reich 1938–1945, in  : NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, hg. Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer (Wien 1988), 457–486, hier 467. 9. Das Scheitern 263 Haas, Anschluß, 13. 264 Wiener Zeitung, 10. März 1938. 265 NA London FO 371/21750, Mack an Halifax, 8. April 1938, 13. 266 NA London FO 371/21750, Telegramm Sir Nevile Henderson an Foreign Office (Sir William Strang), 7. April 1938. 267 Erwin A. Schmidl, Der »Anschluss« Österreichs. Der deutsche Einmarsch im März 1938 (Bonn 1994), 111. 268 Peter Broucek, Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr (Wien–Köln–Weimar 2008), 143. 269 Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt, 684. Die Aussagen über die Kräfte des Bundesheers

Anmerkungen

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stützten sich auf die Aussage des kurz vor dem Anschluss abgelösten Chefs des Generalstabes Alfred Jansa. 270 Jonny Moser, Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 185–198, hier 187. 271 Moser, Juden, 187. 272 Thomas Riegler, Im Fadenkreuz. Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985 (= Zeitgeschichte im Kontext 3, Göttingen 2011), 20 f. Die ursprünglich von Richard Bender und Ingried Gabriel erhobenen Zahlen (Terror in rot/weiß/rot, Zürich 1989, 20 f ) unterscheiden nicht zwischen Terror, Putschversuchen und Bürgerkrieg und wären nach oben zu korrigieren, da es vor allem im Zusammenhang mit dem bewaffneten Aufstand im Februar 1934 und dem Putschversuch im Juli 1934 erhebliche Dunkelziffern gibt. 273 NA London PRO 30/69/705, Schreiben Selby an Eden, 8. Dezember 1934 (richtig  : 1933). 274 NA London FO 371/21750, Mack an Halifax, 8. April 1938, 4. 275 Winston S. Churchill, His complete speeches, ed. Robert Rhodes James, Bd. VI, 1935–1942 (New York– London 1974), 5923–5926. 276 NA London FO 371/21750, Mack an Halifax, 8. April 1938, 19 f. 10. Die NS-Revolution 277 Stefan Müller, Die versäumte Freundschaft. Österreich-Mexiko 1901–1956. Von der Aufnahme der Beziehungen bis zu Mexikos Beitritt zum Staatsvertrag (= Lateinamerikanistik 3, Wien 2006). Die Darstellung des mexikanischen Protests, seiner Vorgeschichte und der Folgen 132–204. Der Text der Protestnote auf Seite 332. 278 Schmidl, Der »Anschluß« Österreichs, 244 f. 279 Rudolf Agstner, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, Bd. 1  : 1918–1938. Zentrale, Gesandtschaften und Konsulate (Wien 2015), 57  ; Erwin Matsch, Österreich und der Völkerbund, in  : Conturen I (Wien 1994), 79–85. 280 Rahkolb, Erste Republik, 516. 281 Rudolf Neck, Wilhelm Miklas und der »Anschluss« 1938, in  : Arbeiterbewegung, Faschismus, Nationalbewusstsein (= Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des Dokumentationsarchivs des Widerstandes), hg. Helmut Konrad, Wolfgang Neugebauer (Wien 1983), 99–113. 282 Thomas R. Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne. Die Integration der Österreicher in die großdeutsche Wehrmacht, 1938–45 (= Zeitgeschichte im Kontext 9, Göttingen 2015), 59. 283 Der Text der gesamten Rede nachzuhören bei der Österreichischen Mediathek 99-38007_003_b03_ k02.mp3, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 284 Joseph Roth, Der neunte Feiertag der Revolution, in  : Frankfurter Zeitung, 14. November 1926. 285 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 54 f. 286 Schulaufsatz samt Fotos im Besitz des Verfassers. 287 NA London FO 371/21750, Telegramm Sir Nevil Henderson (Berlin) an Foreign Office, 3. April 1938. 288 Andreas Natter, »Verlieren wir uns nicht in Sentimentalitäten«, in  : Edith Hessenberger (Hg), Grenzüberschreitungen. Von Schmugglern, Schleppern, Flüchtlingen (Schruns 2008), 127–134. Bis 1944 galt  : Menschen, die aus rassischen Gründen in die Schweiz zu fliehen suchten, wären »keine politischen Flüchtlinge«. 289 Johannes Eidlitz (1920–2000), selbst Betroffener einer »Reibpartie«, erwähnte das 1988 bei einer Tagung in der Landesverteidigungsakademie in Wien mit dem lapidaren Satz »Einmal der Gigl, einmal der Gogl. Wie wir das gesehen haben, haben wir uns dabei nichts weiter gedacht«.

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Anmerkungen

290 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 23, Anm. 7. 291 Luža, Österreich und die großdeutsche Idee, 247, Anm. 42. 292 Valentin Sima, Die Deportation slowenischer Familien aus Kärnten I. Rahmenbedingungen, Präludium und Vorbereitung, in  : Die Deportation slowenische Familien aus Kärnten 1942. Eine Dokumentation (Wien 2003), 64. 293 NA London FO 371/21750, Telegramm Sir Nevil Henderson (Berlin) an Foreign Office, 4. April 1938. 294 Maximilian Liebmann, Kirche und Anschluss, in  : Kirche in Österreich 1938–1988, hg. Ders., Hans Paarhammer, Alfred Rinnerthaler (Graz–Wien–Köln 1990), 212–229. 295 Liebmann, Kirche und Anschluss, 228 f. 296 Liebmann, Kirche und Anschluss, 211. 297 Klaus-Dieter Mulley, Modernität oder Traditionalität  ? Überlegungen zum sozialstrukturellen Wandel in Österreich 1938 bis 1945, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 25–48, hier 42. 298 Engelbert Dollfuß war 1934 auf dem Hietzinger Friedhof bestattet worden, wurde Ende September 1934 in die Gedächtniskirche überführt und 1939 auf den Hietzinger Friedhof rück-überführt. Das Grab galt seit den fünfziger Jahren als »ehrenhalber gewidmet«, womit die Pflege sichergestellt war. Nach dem Bericht einer Kommission zur Untersuchung der Ehrengräber und ehrenhalber gewidmeten Gräber in Wien (2003) wurde wie bei vielen anderen Grabstätten 2012 eine Umwidmung in »Historische Grabstätte« vorgenommen. 299 Lucile Dreidemy, Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen (Wien–Köln–Weimar 2014), 192. 300 NA London FO 371/21646, Unterhaussitzung am 21. Juni 1938  ; Erläuterungen von Hjalmar Schacht und Memorandum über die Zahlungsmodalitäten bei österreichischen Anleihen. Nach dem Krieg musste die Republik Österreich wieder darangehen, die Vorkriegsschulden zu tilgen. Durch das Auslandsschuldenübereinkommen von Rom im Jahr 1952 wurde der Zinsfuß der Konversionsanleihe 1934–59 mit 4,5 % festgelegt. Die Rückstände der Anleihen aus den Jahren 1945–53 wurden durch pauschalierte Zahlungen bis 1978 abgedeckt, die Rückzahlung der noch ausstehenden Anleihestücke wurde schließlich bis 1980 erstreckt. 301 Norbert Schausberger, Rüstung in Österreich 1938–1945. Eine Studie über die Wechselwirkung von Wirtschaft, Politik und Kriegführung (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte 8, Wien 1970), 254 f. 302 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 423 f. 303 Karner, »… Des Reiches Südmark«, 461. 304 Dietmar Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16, Stuttgart 1968). 305 Hans Kernbauer, Fritz Weber, Österreichs Wirtschaft 1938–1945, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 49–67, hier 55. 306 Michael Mooslechner, Robert Stadler, Landwirtschaft und Agrarpolitik, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 69–94, 82 f. 307 Karner, »… Des Reiches Südmark«, 461. 308 Mooslechner, Stadler, Landwirtschaft, 85 f. 309 Im Zeitraum bis 1945 dienten 1,2 bis 1,3 Millionen Männer in der Wehrmacht. In dieser Angabe, die sich immer wieder findet, vgl. z. B. Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 61, Anm. 146, gibt es einige Unschärfen. Aufgrund der akribischen Arbeit der Wehrmacht-Auskunfstelle (WASt), die ihre Arbeit quer durch den Krieg leistete und nach dem Krieg wieder aufnahm, wurden zweifellos die bestmöglichen Näherungswerte errechnet. Demnach sind in der Gesamtzahl der Eingerückten auch die rund 67.000 Angehörigen der Waffen-SS enthalten. Inwieweit die Angehörigen des Volkssturms

Anmerkungen

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erfasst wurden, lässt sich nicht feststellen. Die Angabe, wonach 83,2 % der Österreicher beim Heer, 13,3 % bei der Luftwaffe und 3,5 % bei der Kriegsmarine gedient haben, kann letztlich auch nur als Anhalt dienen. Vgl. Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 61. Die genaueste Erhebung von Gesamtzahlen, landsmannschaftliche Verteilung und Verlusten findet sich bei Jürgen Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg (München 1999), bes. 215–228. 310 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 62 f. 311 Dazu auch Richard Germann, Neue Wege in der Militärgeschichte. Regionale Zusammensetzung »ostmärkischer« Einheiten am Beispiel dreier Kompanien, in  : Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz (Wien– Köln–Weimar 2011), 175–191. 312 Hanisch, Männlichkeiten, 71–76. 313 Ebenda, 74 f. 314 Kleines Volksblatt, 14.–20. April 1938 und Kronen-Zeitung, 24. April 1938. 315 Gerhard Jagschitz, Von der »Bewegung« zum Apparat. Zur Phänomenologie der NDSAP 1938 bis 1945, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 487–516, hier 503. 316 Elisabeth Maißer, Christine Roiter, »NS Frauenschaft« und »Deutsches Frauenwerk« in Oberdonau  : Strukturen, Aktivistinnen und Tätigkeiten am Beispiel des Kreises Wels, in  : Frauen im Reichsgau Oberdonau. Geschlechterspezifische Bruchlinien im Nationalsozialismus, hg. Gabriele Hauch (Linz 2006), 43. Die hier genannte Zahl von einer halben Million organisierten Frauen ist insofern irreführend, als die NS-Frauenschaft im gesamten Großdeutschen Reich 1939 nur 2,2 Millionen betrug. Nur unter Einbeziehung des Bundes Deutscher Mädchen (BDM) und anderer der NSDAP nahe stehender Organisationen wird die Zahl plausibler. 317 Bertrand Michael Buchmann, Österreicher in der Deutschen Wehrmacht. Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg (Wien–Köln–Weimar 2009), 22. 318 Mazower, Der dunkle Kontinent, 61. 319 Zitiert bei Herbert Dachs, Schule und Jugenderziehung in der »Ostmark«, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 217–242, hier 217. 320 Reichsgesetzblatt (RGBL) I 1939, 777. 321 Maren Seliger, NS-Herrschaft in Wien und Niederösterreich, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 397– 416, hier 405. 322 Das Kleine Volksblatt, 9.–11. Oktober 1938. Titelseiten. 323 Luža, Österreich in der NS-Zeit, 114. 324 Johannes Martinek, »Auf zum Schwure …«. Das Rosenkranzfest vom 7. Oktober 1938 (Wien 1998), 9. 325 Luža, Österreich und die großdeutsche Idee, 123 f. 326 Ebenda, 179 und 187. 327 Moser, Juden, 187. 328 Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39 (Wien 2008), 206. 329 Österreichs Hochschulen und Universitäten und das NS-Regime, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 269–282, hier 271. 330 Johannes Koll, Arthur Seyß-Inquart und die deutsche Besatzungspolitik in den Niederlanden 1940– 1945 (Wien–Köln–Weimar 2015), 59 f. 331 Moser, Juden, 190. 332 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 27.  Januar 2011  : Arno Lustiger, Der Kommerzialrat [Berthold Storfer] charterte die rettende Flotte. Zur Konferenz von Évian auch Doron Rabinovici, Eichmann’s Jews. The Jewish Administration of Holocaust Vienna 1938–1945 (Cambridge 2011). Fer-

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Anmerkungen

ner https://de.wikipedia.org/wiki/Konferenz_von_%C3%89vian#Verlauf_und_Ergebnis_der_­Konferenz (letzter Zugriff  : 23.06.2017). Für Hinweise auf die Konferenz von Évian und auf die Rollen von Heinrich Neumann von Hethars, Berthold Storfer und Josef Löwenherz sowie Hans Habe bin ich Dr. Kurt Scholz sehr dankbar. 333 Hans Witek, »Arisierungen« in Wien. Aspekte nationalsozialistischer Enteignungspolitik 1938–1940, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 199–216, hier 200. 334 Seliger, Wien und Niederösterreich, 403. 335 Zum Begriff und seinen verschiedenen Auslegungen und Anwendungsbereichen  : Berthold Unfried, Anwendungsorientierter Antisemitismus, in  : Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen, in  : Politische Gewalt und Machtausübung, 215–234. 336 Moser, Juden, 193. 337 https://de.wikipedia.org/wiki/Blockleiter#Bezeichnung_.E2.80.9EBlockwart.E2.80.9C, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 338 Maißer, Roiter, »NS Frauenschaft«, 29–75. 339 Schulchronik Rabensburg 1940/41. 340 Luža, Österreich in der NS-Zeit, 135. 341 Karner, »… Des Reiches Südmark«, 474. 342 Zitiert in Ernst Hanisch, Westösterreich, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 437–456, hier 442. 343 Jagschitz, Von der »Bewegung« zum Apparat, 505. 344 Christina Altenstraßer, Zwischen Ideologie und ökonomischer Notwendigkeit. Der »Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend«, in  : Frauen in Oberdonau, 107–129, hier 107. 345 Zu Max Weiler  : Vorwort von Ilse Krumpöck im Katalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum 1.12.2004–6.2.2005  : Krisenjahre. Max Weiler und der Krieg (Wien 2004), 11–40  ; ferner  : Nicht größer als eine Ameise. Oskar Laske und der Erste Weltkrieg. Katalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum 11. April bis 28. Juni 2002 (Wien 2002), 3 f. 346 Kurt Mühlberger, Vertriebene Intelligenz 1938. Der Verlust geistiger und menschlicher Potenz an der Universität Wien von 1938 bis 1945, 2. Aufl. (Wien 1993). 347 Ulrich Weinzierl, Österreichische Schriftsteller im Exil, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 571–576, hier 572. 348 Johann Christoph Allmayer-Beck, Die Österreicher im Zweiten Weltkrieg, in  : Unser Heer. 300 Jahre österreichisches Soldatentum in Krieg und Frieden (Wien–München–Zürich 1963), 342–375, hier 346. 349 Overmans, Deutsche militärische Verluste, 225. 350 Adam Tooze, The Wages of Destruction  : The Making and Breaking of the Nazi Economy, (London 2006), 513 f. 351 Johann Gross, Spiegelgrund. Leben in NS-Erziehungsanstalten (Wien 2013). 352 Neugebauer, Der österreichische Widerstand, nennt 25.000 bis 30.000. Die Gesamtzahl der in den Euthanasie-Tötungsanstalten des Großdeutschen Reichs umgebrachten Menschen wird mit 70.000 angenommen. 353 Der ganze Text u.a. bei Neugebauer, Der österreichische Widerstand, 128. Zu Bischof Memelauer auch die Diplomarbeit von Dieter Seybold, Michael Memelauer – ein unpolitischer Seelsorgebischof  ? Eine vergleichende Untersuchung der Enunziationen eines österreichischen Diözesanbischofs (1933–1934), Diplomarbeit Universität Wien (1998). Im Herbst 1944 begann man in Hartheim die Akten zu vernichten. Die Haupttäter konnten aus den unterschiedlichsten Gründen nicht vor Gericht gestellt werden. 354 Roman Sandgruber, Die NS-Konzentrationslager Mauthausen und seine Nebenlager, in  : Oberösterreichische Nachrichten, 10. Mai 2008, 6.

Anmerkungen

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355 https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Mauthausen_Errichtung_des_Lagers, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 356 Wolfgang Neugebauer, Das NS-Terrorsystem, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 163–183, hier 171. Die Zahl der Österreicher, die in Mauthausen ihr Leben verloren, belief sich auf 1.650 Menschen. 357 Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hg. Wolfgang Benz (Stuttgart 1997), 730. Neugebauer, Der österreichische Widerstand, 236, nennt 9.000 bis 10.000 als Opfer, eine Zahl die deutlich über jener von Benz liegt und bedeuten würde, dass die meisten österreichischen Roma und Sinti getötet wurden. Erika Thurner, Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich (Wien–Salzburg 1983) geht wiederum davon aus, dass die Hälfte der österreichischen Roma und Sinti getötet wurde oder starb. Letztlich handelt es sich bei allen Zahlen um Schätzungen. 358 Wolfgang Etschmann, Rüstungswirtschaft und KZ-System in Österreich 1938 bis 1945, in  : Walküre und der Totenwald, 102–118, hier 111. 359 Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation (4. Aufl. Wien 2006), 85. 360 Maršálek, Mauthausen, 122. 361 Maršálek, Mauthausen, 151. 362 Eine definitive Feststellung, wie viele Häftlinge und Kriegsgefangene im Lauf der Jahre von 1938 bis 1945 nach Mauthausen gebracht wurden, wie viele verlegt, auf Todesmärschen umgekommen oder umgebracht worden sind, ist nicht möglich. Die Eintragungen in den Totenbüchern des Standortarztes sind nicht vollständig  ; es fehlen ganze Kategorien. Letztlich kann man alle Zahlen nur als Anhalt nehmen. Vgl. dazu Maršálek, Mauthausen, v. a. 140–154. 363 Hubert Speckner, Kriegsgefangenenlager in der »Ostmark« 1939–1945. Zur Geschichte der Mannschaftsstammlager und Offizierslager in den Wehkreisen XVII und XVIII, geisteswiss. Dissertation Univ. Wien (1999), 38. 364 Hubert Feichtlbauer, Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit. Späte Anerkennung, Geschichte, Schicksale (Wien 2005), 54. 365 Robert Stadler, Michael Mooslechner, St. Johann i. Pg. 1938–1945. Der nationalsozialistische »Markt Pongau«. Der »20. Juli 1944« in Goldegg. Widerstand und Verfolgung (Salzburg 1986), 98–115. 366 Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler (8. Aufl. München 1978), 55. 367 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 232–243, zählt eine Vielzahl an Beispielen für diesen Sachverhalt auf. 11. Der Abnützungskrieg 368 Zum Gesamtverlauf  : Uwe Maydell, Der Aufmarsch zum Balkanfeldzug 1941 mit besonderer Berücksichtigung des österreichischen Raums. Militärwissenschaftliche Hausarbeit 6. Generalstabskurs (Innsbruck 1972). 369 Zur deutschen Okkupation Sloweniens und der darauffolgenden blutigen Geschichte des Landes vgl. Tamara Griesser-Pečar, Das zerrissene Volk. Slowenien 1941–1946. Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution (Wien–Köln–Graz 2003). 370 Die Tafel wurde von Hitler dem Berliner Zeughaus übergeben, wo sie im Verlauf der Bombardierung Berlins zerstört wurde. Damit war ihr ein ähnliches Schicksal beschieden wie dem Eisenbahnwaggon von Compiègne, in dem Deutschland am 11. November 1918 den Waffenstillstand mit den Alliierten unterschrieben hatte und der am 22. Juni 1940 dazu verwendet wurde, die Kapitulation Frankreichs entgegenzunehmen. Da der Originalwaggon in Berlin zerstört wurde, ließ Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg in Compiègne eine Nachbildung aufstellen. Die Princip-Tafel wurde in vergleichbarer Form nicht wiederhergestellt.

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Anmerkungen

371 Richard Germann, Österreichische Soldaten in Ost- und Südosteuropa 1941–1945. Deutsche ­Krieger – nationalsozialistische Verbrecher – österreichische Opfer  ? Dissertation Universität Wien (2006), 146– 151. 372 Walter Manoschek, »Serbien ist judenfrei«. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42 (München 1995). Ferner Walter Manoschek, Hans Safrian, Österreicher in der Wehrmacht, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 331–360. An dem Beitrag fällt auf, dass er sich auf Jugoslawien konzentriert, das Thema aber nicht umfassend behandelt. Dazu auch Buchmann, Die Österreicher in der Wehrmacht, Kapitel 23, Partisaneneinsatz und Repressalien, 190–196. 373 Zitiert nach Josef Rausch, Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg (= Militärhistorische Schriftenreihe 39/40, Wien 1979), 6. 374 Das Kleine Volksblatt, 23. Juni 1941. 375 Johann Christoph Allmayer-Beck, »Herr Oberleitnant, det lohnt doch nicht  !«. Kriegserinnerungen an die Jahre 1938 bis 1945, hg. Erwin A. Schmidl (Wien–Köln–Weimar 2013), 168. 376 Christina Altenstraßer, »Wir haben das sehr gut gemacht das Ganze.« Erinnerungen einer ehemaligen Nationalsozialistin, in  : Frauen in Oberdonau, 77–88, hier 81. 377 Allmayer-Beck, Die Österreicher im Zweiten Weltkrieg, 335. 378 Beispiele bei Buchmann, Österreicher in der Deutschen Wehrmacht, Kapitel »Kriegsverbrechen«, 178– 189. 379 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 228. 380 Overmans, Deutsche militärische Verluste, 216–228. 381 Maria Fritsche, Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht (Wien–Köln–Weimar 2004), 25. Fritsche hat eine Gesamtzahl von rund 1.100 aus der Ostmark stammenden Deserteuren errechnet, die wegen der ihnen zur Last gelegten Delikte auch hingerichtet wurden. Dabei war ein deutliches Ansteigen der Zahlen in der zweiten Kriegshälfte und vor allem während der letzten Kriegsmonate zu verzeichnen. 382 Siegfried Beer, Stefan Karner, Der Krieg aus der Luft. Kärnten und Steiermark 1941–1945 (Graz 1992), 24. 383 Dazu Markus Reisner, Bomben auf Wiener Neustadt. Die Zerstörung eines der wichtigsten Rüstungszentren des Deutschen Reiches – Der Luftkrieg über der »Allzeit Getreuen« von 1943 bis 1945 (Wiener Neustadt [2013]). 384 Manfried Rauchensteiner, Der Luftkrieg gegen Österreich im Kontext des Zweiten Weltkriegs, in  : Zeitenwende 1943, 50–66, hier 53. 385 Thomas Albrich, Luftkrieg über der Alpenfestung 1943–1945. Der Gau Tirol-Vorarlberg und die Operationszone Alpenvorland (Innsbruck 2014), 39. 386 Rauchensteiner, Der Luftkrieg, 62. 387 Germann, Österreichische Soldaten, 55. 388 Bruckmüller, Nation Österreich, 349. 389 Sima, Die Deportation, 68. 390 Rausch, Partisanenkampf, 13. 391 Buchmann, Österreicher in der Deutschen Wehrmacht, 195. 392 Siegwald Ganglmair, Österreicher in den alliierten Armeen, 1939 bis 1945, in  : Walküre und der Totenwald. Das Kriegsjahr 1944. Ausstellungskatalog Heeresgeschichtliches Museum (Wien 1994), 42–70, hier bes. 44–52. Gänzlich andere Zahl finden sich bei Peter Eppel, Österreicher im Exil 1938–1945, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 553–570, hier 554. 393 Buchmann, Österreicher in der Deutschen Wehrmacht, 110. 394 Ganglmair, Österreicher, 64–66.

Anmerkungen

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395 Ausführlich dazu die Dissertation von Willibald Ingo Holzer, Die österreichischen Bataillone im Verband der NOV I POI. Die Kampfgruppe Avantgarde Steiermark. Die Partisanengruppe Leoben-Donawitz, phil. Dissertation Universität Wien (1971). 396 Christoph Hatschek, Alfred Palisek, Landesverräter oder Patrioten (Graz–Wien–Köln 2001). Das Heft mit der namentlichen Meldung ist in der permanenten Ausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums zum Zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit zu sehen. 397 Ganglmayer, Österreicher, 56–61. Höhere Zahlen, nämlich 6.703 Personen, nennt Florian Traussnig, Militärischer Widerstand von außen. Österreicher in US-Armee und Kriegsgeheimdienst im Zweiten Weltkrieg (Wien–Köln–Weimar 2016), 18, Anm. 21. Der Hinweis darauf, dass es sich bei dieser Zahl um »in Österreich Geborene« handelt, weist auf die Unschärfe hin, da wohl auch Personen mit erfasst worden sind, die vielleicht schon seit langem die US-Staatsbürgerschaft besessen haben. 398 Traussnig, Militärischer Widerstand von außen, 20. 399 Moser, Österreichs Juden, 194. 400 Zu dieser Zahl sind die übrigen Opfer der rassischen und politischen Verfolgung hinzuzurechnen. 401 Dazu Irene Suchy, Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung (Wien 2012). 402 Helene Maimann, Vergangenheit, die nie vergeht. NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, in  : Das Neue Österreich. Begleitband zur Sonderausstellung im Oberen Belvedere, hg. Günter Dürigl, Herbert Frodl (Wien 2005), 79–87, hier 85 f. Die Aussagen von Simon Wiesenthal in seiner später noch ausführlicher behandelten sogenannten »Schuld und Sühne Denkschrift« für Josef Klaus. 403 Oliver Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015 (Wien 2015), 377–383. 404 Brigitte Bailer, Bertrand Perz, Aleksander Lasik, Winfried Garscha, Claudia Kuretsidis-Haider, Johannes Laimighofer, Siefried Sanwald, Hans Schafranek, Endbericht Österreicher und Österreicherinnen als TäterInnen im Lagerkomplex des KZ Auschwitz. Forschungsprojekt für einen Teilbereich der Neugestaltung der österreichischen Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau (Projekt P 12-1089 des Zukunftsfonds der Republik Österreich, 2013), 168–171 und 174–179, zitiert und in den Kontext anderer Untersuchungen gestellt in  : Peter Schwarz, Der Anteil der Österreicher am Holocaust. Endbericht zum Projekt P16-2561 des Zukunftsfonds der Republik Österreich, Januar 2017. Die Erhebungen über die Herkunft der Wachmannschaften in Auschwitz wurden von dem polnischen Historiker Aleksander Lasik durchgeführt. 405 Freund, Perz, Industrialisierung durch Zwangsarbeit, in  : NS-Herrschaft in Österreich, 95–114, hier 110. 406 Für die Zahlenangabe bin ich Dr. Elisabeth Klamper vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands sehr zu Dank verpflichtet. 407 Karola Fings, Sklaven für die »Heimatfront«, in  : Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, herausg. Militärgeschichtliches Forschungsamt, Bd. 9/1  : Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939–1945 (München 2004), 269 f. 408 Maršálek, Mauthausen, Faksimile des Befehls auf Seite 322. 12. Zurück in die Zukunft 409 Alle Schlagzeilen aus »Das Kleine Volksblatt«, 31. Januar, 2. Februar, 4. Februar, 19. Februar, 2. Juni, 14. August, 26. Oktober, 31. Oktober und 3. November 1943. 410 Wolfgang Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 und ihre politische Mission (Wien–Köln–Weimar 2005), 19. 411 Churchill, Complete Speeches, vol. VI, 6593.

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Anmerkungen

412 Mueller, Die sowjetische Besatzung, 23. 413 Die Französische Exilregierung Charles De Gaulles trat der Österreichdeklaration im Dezember 1943 bei. 414 Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955 (Graz– Wien–Köln 1979), 57. 415 Dazu vor allem wegen der auf Österreich bezogenen Untersuchung  : Nadine Hauer, Gefangene Psychiatrie. Soldaten und Kriegstrauma (Wien 1997). 416 Vgl. dazu Burkhart Mueller-Hildebrand, Das Heer 1933–1945, Bd. III  : Der Zweifrontenkrieg (Frankfurt a. M. 1969), v. a. 260–266. Die ermittelten Zahlen der Verluste des Heeres und der Waffen-SS bergen einige Unschärfen und sind jedenfalls durch die Zahlen von Luftwaffe und Kriegsmarine zu ergänzen. Die Gesamtzahl stellt letztlich nur einen Näherungswert dar. 417 Die genauen Zahlen bei Speckner, Kriegsgefangenenlager in der »Ostmark«, 45 f. 418 Speckner, Kriegsgefangenenlager in der »Ostmark«, 212. 419 Ebenda, 281 f. 420 Freund, Perz, Industrialisierung, 104. 421 Dazu ausführlich Wolfgang Neugebauer, Der österreichische Widerstand 1938–1945 (Wien 2008), 46. 422 Ernst Hanisch, Gibt es einen spezifisch österreichischen Widerstand  ?, in  : Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte, hg. Peter Steinbach (Köln 1987), 163–176, hier 173. 423 Neugebauer, Der österreichische Widerstand, 56 f. 424 Die Zahlen bei Erika Weinzierl, Kirchlicher Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in  : Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart. Arbeiterbewegung – NS-Herrschaft – Rechtsextremismus. Ein Resümé aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Neugebauer (Wien 2004), 78. 425 Der Text bei Neugebauer, Der österreichische Widerstand, 124. 426 Die Zahlen der österreichischen Opfer von Widerstand und Verfolgung waren und sind immer wieder Anlass zu Diskussionen. Generell zeigen die Statistiken ein stetiges Ansteigen, was auf zusätzliche Quellen und verfeinerte Untersuchungsmethoden zurückzuführen ist. Der polnische Außenminister und langjährige polnische Botschafter in Österreich, nachmals Präsident des Internationalen Auschwitz Rates, Władisław Bartoszeswski, nannte bei einer Rede im österreichischen Parlament am 4. Mai 2000 rund 86.800 Österreicher als Opfer des NSRegimes, darunter 51.500 Juden. Diese Zahl war eigentlich nicht nachvollziehbar und schon damals überholt. Untersuchungen des Dokumentationsarchivs des Widerstands in jüngster Zeit, vor allem die namentliche Erfassung der jüdischen Opfer, erbrachten über 63.000 Menschen. Unter Hinzurechnung der nicht namentlich zu erfassen gewesenen sowie von bis zu 9.000 Roma und Sinti, 25.000 Menschen, die Opfer von medizinischen Versuchen wurden sowie von 9.500 politische Verfolgten ergab sich eine Gesamtzahl von rund 110.000 Menschen. Vgl. dazu Brigitte Bailer, Gerhard Ungar, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer und Namentliche Erfassung der österreichischen Opfer politischer Verfolgung, in  : Opferschicksale. Jahrbuch 2013 des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (Wien 2013), 63–124. 427 Steinbach, Der militärische Widerstand und seine Beziehungen zu den zivilen Gruppierungen des Widerstandes, in  : Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933– 1945, hg. Militärgeschichtliches Forschungsamt, 3. Aufl. (Herford und Bonn 1987), 238. 428 Dazu Peter Broucek, Ein Verschwörer gegen Hitler und für Österreich. Der Generalstabsoffizier Erwin Lahousen, in  : Ders., Militärischer Widerstand, 310–344. 429 Radomir Luža, Der Widerstand in Österreich 1938–1945 (Wien 1983). In dieser Darstellung findet sich allerdings nur sehr wenig über den militärischen Widerstand. Ebenfalls heranzuziehen sind die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes seit 1975 herausgegebenen Bände »Widerstand und Verfolgung in … 1933–1945«.

Anmerkungen

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430 Broucek, Ein Verschwörer gegen Hitler und für Österreich. Der Generalstabsoffizier Erwin Lahousen, in  : Österreich in Geschichte und Literatur, 49. Jahrg., Heft 2 (2005), 76–97. 431 Der Akt mit der Bezeichnung »Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, AHA Ia VIII Nr.4500/41 gKdos, Berlin 16. Oktober 1941«, in Ablichtung in der Studiensammlung des Heeresgeschichtlichen Museums/Militärhistorisches Institut, Wien, MWI 1945/14 P. 432 Vortragsmanuskript Carl Szokolls für einen Vortrag vor der Landeszentrale für politische Bildung in Berlin am 16.6.1980. 433 Gerd R. Ueberschär, Stauffenberg. Der 20. Juli 1944 (Frankfurt a. M. 2004),173. 434 Ludwig Jedlicka, Ein unbekannter Bericht Kaltenbrunners über die Lage in Österreich im September 1944, in  : Österreich in Geschichte und Literatur (Wien 1960), Nr. 2, 82–87, hier 84. 435 Germann, Österreichische Soldaten, 186–198. 436 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne, 275 f. 13. Schutt und Asche 437 Außer Desertion gab es noch die viel häufigeren Fälle von Entziehung, die darauf abzielten, dem Dienst in der Wehrmacht auf die verschiedensten Arten zu entgehen. Auch die Kärntner Slowenen, die sich dann zu den Partisanen schlugen, gehörten zum Teil in diese Kategorie. Die Zahlen von Maria Fritsche und die Angaben von Grischany stehen jedenfalls in einem deutlichen Gegensatz von den von Thomas Geldmacher genannten Zahlen, wonach es 4.000 nachgewiesene Desertionsfälle und 30.000 bis 40.000 Entziehungen gegeben habe. Von den aufgegriffenen Deserteuren wären nach Geldmacher zwischen 1.200 und 1.400 hingerichtet worden. Vgl. dazu Thomas Geldmacher, »Auf Nimmerwiedersehen«. Fahnenflucht, unerlaubte Entfernung und das Problem, die Tatbestände auseinander zu halten, in  : Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis, Strafvollzug, Entschädigungspolitik in Österreich (Wien 2003), 133–194. Fritsche, Österreichische Deserteure, 24 f, errechnete 1.100 wegen Desertion vollstreckter Todesurteile sowie 456 Hinrichtungen wegen Wehrkraftzersetzung. 438 Fritsche, Österreichische Deserteure, 33. 439 Grischany, Der Ostmark treue Alpensöhne. Wo diese Aufzählung in etwa der gewählten Wortfolge vorkommt. 440 Germann, Österreichische Soldaten, 264–281. 441 Hanisch, Männlichkeiten, 90. 442 Speckner, Kriegsgefangenenlager, 218 f. Hier auch die Reproduktion einer Karte der Lager mit amerikanischen Insassen. 443 Georg Hoffmann, Fliegerlynchjustiz. Gewalt gegen abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen 1943–1945 (= Krieg in der Geschichte 88, Paderborn 2015), 173. 444 Hoffmann, Fliegerlynchjustiz, 316. 445 Hoffmann, Fliegerlynchjustiz, 182 f. 446 Es war das somit um Monate früher als die ersten bekannt gewordenen Fälle von Lynchjustiz im »Altreich«, nämlich Rüsselsheim (26.  August 1944) und Essen (Dezember 1944). Dazu Ralf Blank, Luftkrieg und Heimatfront, in  : Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/1  : Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945 (München 2004). 447 Die Frage und viele Antworten auch bei Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden (Frankfurt a. M. 2005). 448 Hoffmann, Fliegerlynchjustiz, 233 f. 449 Dazu auch Altenstraßer, »… wir haben das sehr gut gemacht…«, 86.

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Anmerkungen

450 Manfried Rauchensteiner, Flucht und Vertreibung, in  : Ausstellungskatalog des Heeresgeschichtlichen Museums  : Der Krieg in Österreich ’45 (Wien 1995), 91 f. 451 Maršálek, Mauthausen, 151. 452 Zur sogenannten »Mühlviertler Hasenjagd«  : Matthias Kaltenbrunner, Flucht aus dem Todesblock. Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus dem Block 20 des KZ Mauthausen und die »Mühlviertler Hasenjagd«. Hintergründe, Folgen, Aufarbeitung. (= Der Nationalsozialismus und seine Folgen 5, Innsbruck 2012). 453 Eine 1998 eingesetzte österreichische Historikerkommission ermittelte, dass von 55.000 Juden, die am Bau der Reichsschutzstellung beteiligt waren und die die anschließenden Evakuierungsmärsche mitmachen sollten, 28.600 auf österreichischem Gebiet ihr Leben gelassen haben. 14. Der Walzer der Freiheit 454 Zu den militärischen Geschehnissen  : Manfried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich 1945 (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums Bd. 5, Wien, 3. Aufl. 1984  ; Nachdruck 2015). 455 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, 491. 456 Tagebuch Marie Kobsik, Rabensburg (Kopie im Besitz des Verfassers). 457 Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955, Bd. 2  : Dokumente, hg. Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx, Alexander Tschubarjan (Graz–Wien–München 2005), 69. 458 Diese interessante Feststellung bei Wolfgang Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht. Die Errichtung der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich von 1945 bis 1946 im Spiegel ihrer Lageberichte, Diplomarbeit Universität Wien (1998), 30. 459 Renner soll schon am 2. April seine Absicht bekundet haben, an eine österreichische Neuschöpfung zu gehen. Er meldete sich jedenfalls auf der sowjetischen Kommandantur. Tags darauf begannen die Sondierungen. Eine sowjetische Quelle behauptet, Stalin hätte Renner suchen lassen. Diese Version wird mittlerweile in Zweifel gezogen. Vgl. dazu Mueller, Die sowjetische Besatzungspolitik, 75–77. 460 Die russische Übersetzung und deutsche Rückübersetzung in  : Die Rote Armee in Österreich, 102–105, hier 105. 461 Österreichisches Institut für Zeitgeschichte, Wien, Archiv, Inv.Nr. 535/NL-2/Renner. 462 Oliver Rathkolb, Die Zweite Republik (seit 1945), in  : Geschichte Österreichs, hg. Thomas Winkelbauer, 356. 463 Franz Marek. Beruf und Berufung Kommunist. Lebenserinnerungen und Schlüsseltexte, hg. Maximilian Graf, Sarah Knoll (Wien 2017), 48. 464 Wilfried Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945, phil. Dissertation Universität Wien (1977), 169. Der entsprechende Befehl im Anhang II/10. 465 Im Folgenden sollen Gedanken von Ernst Hanisch über den »dreifachen Anschluss« weiter gesponnen werden. Vgl. dazu Hanisch, März 1938  : eine Salzburger Perspektive, in  : Der März 1938 in Salzburg. Symposion Feindbilder (= Salzburger Diskussionen 10, Salzburg 1988), 20–28. 466 Für Erläuterungen zu diesem durchaus verwirrenden Sachverhalt bin ich Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Brauneder dankbar. Dazu auch Wilhelm Brauneder, Österreich 1918 bis 1938. »Erste« oder wie viel »Republiken«  ?, in  : Studien IV (Frankfurt a. M. 2011), 299 f. 467 Tagebuch Marie Kobsik, Rabensburg. 468 Mitteilungen Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands 229, Dezember 2016, 6 f. 469 Die Angaben sind extrem ungenau, da tote KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Flüchtlinge und Umsiedler nicht erfasst wurden. Die Zahlen schwanken daher zwischen 24.000 und 35.000. Vgl. dazu Johann Ulrich, Der Luftkrieg über Österreich 1939–1945 (= Militärhistorische Schriftenreihe 5/6, Wien 1967),

Anmerkungen

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40. Einzelnachweise finden sich in der von der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg, herausgegebenen Geschichte der Bundesländer und in den länderweisen Arbeiten zum Luftkrieg. 470 Die Zahlen bei Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, 391–394. 471 Mueller, Die sowjetische Besatzung, 27. 472 Nikolai Tolstoy, Die Verratenen von Jalta. Englands Schuld vor der Geschichte (München 1977). 473 Grießer-Pečar, Das zerrissene Volk, 425–470. 474 Vgl. dazu Theodor Körner, Zwei Monate Aufbauarbeit in Wien. Sozialistische Hefte, Folge 2 (Wien 1945). 475 Mueller, Die sowjetische Besatzungsmacht, 114. 476 Sowjetische Politik in Österreich, Dokument Nr. 19  : Stenogramm des Berichts über die innenpolitische Lage in Österreich (General Sevolod Merkulov), nach dem 18. August 1945, 183–205, hier 191. 477 Der Wortlaut dieses und der im Folgenden genannten Gesetze in den Staatsgesetzblättern (StGBl) 1945. 478 StGBI Nr. 9/1945. 479 Zu diesem Fragenkomplex vgl. Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich, 416, und Hans Michael Roithner, Österreichische Wehrpolitik zwischen 1945 und 1955. Lehramtshausarbeit Universität Wien (1974). 480 Ebenda, Sitzung vom 4.9.1945. 481 Protokolle Kabinettsrat, Bd. 3, 3 ff. 482 Brief von Johann Koplenig und Friedl Fürnberg an Stalin, 14.10.1945, in  : Sowjetische Politik in Österreich, 211–219. 483 Die tatsächliche Zahl der Kriegsgefangenen ließ sich nie genau feststellen. Letztlich sind auch in diesem Fall alle Angaben Näherungswerte. 15. Gestrenge Herren 484 Zitiert in Ulrike Engelsberger, Robert Kriechbaumer, Als der Westen golden wurde (= Schriften des Forschungsinstitutes für politische-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg, 25, Wien–Köln–Weimar 2005), 12. 485 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik (AdR) Pol. l946, Österreich 15, Zl. 111.977. 486 Manfried Rauchensteiner, Stalinplatz 4. Sitz des Alliierten Rates 1945–1955, in  : 100 Jahre Haus der Industrie 1911–2011 (Wien 2011), 294. 487 Protokolle des Ministerrats der Zweiten Republik, Kabinett Leopold Figl I, 20. Dezember 1945 bis 8. November 1949, bearb. Gertrude Enderle-Burcel, Bd. I/1 (Wien 2004), 305. 488 Österreichische Nationalbibliothek, Mikrofilme, Allied Commission Austria (ALCO) /P(45)22, Serial No. 1, 28.11.1945, und ALCO/M(45) 10, Unoff. US-Mitschrift. 489 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 464. 490 Die Rote Armee in Österreich, Bericht Merkulov, 301. 491 James Jay Carafano, »Waltzing into the Cold War«. US Army Intelligence Operations in Postwar Austria, 1944–1948, in  : The Vranitzky Era in Austria, hg. Günter Bischof, Anton Pelinka, Ferdinand Karlhofer (= Contemporary Austrian Studies 7, New Brunswick–London 1999), 165–189, hier 166. 492 AdR, PräsKzl ZI. 476/PrK/46. 493 Burian, Österreich und der Völkerbund, 121. 494 Ulrich, Der Luftkrieg, 57–64. 495 Die Zahlen bei Thomas Albrich, Exodus durch Österreich (Innsbruck 1987)  ; Mazower, Der dunkle Kontinent, 315. 496 Nečak, Die österreichisch-jugoslawischen Beziehungen, 196.

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Anmerkungen

497 Dazu der Beitrag von Gabriele Stieber, Die Lösung des Flüchtlingsproblems 1945–1960, in  : Österreich in den Fünfzigern, hg. Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Michael Gehler und Rolf Steininger (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 11, Innsbruck–Wien 1995). Ferner Thomas Albrich, Asylland wider Willen. Die Problematik der »Displaced Persons« in Österreich 1945–1948, in  : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, hg. Günter Bischof, Josef Leidenfrost (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4, Innsbruck 1988), 217–244. Speziell zu den Sudetendeutschen  : Cornelia Znoy, Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach Österreich 1945/46. Unter besonderer Berücksichtigung der Bundesländer Wien und Niederösterreich, Diplomarbeit Universität Wien (1995). 498 Rathkolb, Die paradoxe Republik, 37. Der Autor korrigiert damit die Meinung, dass es Unterrichtsminister Felix Hurdes gewesen sei, der die Bezeichnung einführte. 499 Zum Streit um die Reichskleinodien vgl. Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965 (Köln–Weimar–Wien 2000), 173–180. 500 Siegfried Beer, Die Besatzungsmacht Großbritannien, in  : Österreich unter alliierter Besatzung 1945– 1955, hg. Alfred Ableitinger, Siegfried Beer, Eduard G. Staudinger (= Studien zu Politik und Verwaltung 63, Wien– Köln–Graz 1998), 65. 501 Salzburger Nachrichten, 14. Dezember 1945. 502 Ministerratsprotokolle Figl I/1, 320. 503 Die Rote Armee in Österreich, Bd. 2, 683. 504 Die Rote Armee in Österreich, 329–331, Dok. Nr.71. 505 Mueller, Die sowjetische Besatzung, 41. 506 Eine Aufstellung der betroffenen Firmen findet sich im Anhang der Dissertation von Waltraud Brunner, Das Deutsche Eigentum und das Ringen um den österreichischen Staatsvertrag, phil. Dissertation Universität Wien (1976). 507 Bericht von John Erhardt über die Lage in Osterreich, in  : Foreign Relations of the United States (= FRUS) 1946/V (Washington 1975), 376–383. 508 Neugebauer, Das NS-Terrorsystem, 177. 509 Klaus-Dietmar Henke, Hans Woller (Hg.), Politische Säuberungen in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg (München 1991), 292. 510 Kriechbaumer, Politische Kultur, 45. 511 Mueller, Die sowjetische Besatzungsmacht, 57. 512 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 251. 513 AdR, PräsKzl ZI. 239/47, 6. I. 1947. 514 Mueller, Die sowjetische Besatzungspolitik, 161. 515 Zu den jugoslawischen Gebietsforderungen Gerald Stourzh, Um Einheit und Freiheit, 63–67. Die jugoslawische Publikation, die den Anspruch untermauern sollte, trägt den Titel  : The Question of 200.000 Yugoslavs in Austria. The Slovene Carinthia and the Burgenland Croats, Beograd 1947. Im Jahr darauf wurde eine noch umfangreichere Veröffentlichung vorgelegt  : Documents on the Carinthian Question, Beograd 1948. Die österreichische Gegendarstellung stammte von Max Hoffinger. Hoffinger gehörte auch der österreichischen Delegation in London an. 516 Die gedruckten Konferenzprotokolle der Londoner wie der späteren Moskauer Verhandlungsrunde mit den wichtigsten Beilagen erliegen im AdR Pol 1946, P-St. 517 Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte (Berlin 1994), 83–88. 518 Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖ LA) 339-Pr. 1/47. 519 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 449. 520 Brief von Johann Koplenig und Friedl Fürrnberg an Stalin, 31.3.1947, in  : Sowjetische Politik in Österreich, 363–371, v. a. 363–365.

Anmerkungen

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521 Zu dieser Frage vgl. die Dissertation von Friedrich Weber, Die linken Sozialisten in Österreich 1945– 1948, Universität Salzburg (1977). 522 FRUS 1947/II, 1172, Erhardt an Marshall, 7.5.1947. 523 FRUS 1947/II, 1176, Erhardt an Marshall, 16.5.1947. 524 FRUS 1947/II, 1180, Marshall an US-Gesandtschaft Wien, 28.5.1947. 525 Dazu Wilfried Mähr, Von der UNRRA zum Marshallplan. Die amerikanische Wirtschafts- und Finanzhilfe an Österreich 1945, phil. Dissertation Universität Wien (1985), 199–231. 526 Mähr, UNRRA, 247. 527 Ebenda. 528 Die Zahl bei Stefan Karner, Zu den Rehabilitierungen von Kriegsgefangenen und Zivilisten in der Sowjetunion unter Chruschtschow und in den 1990er-Jahren. Dargestellt am Beispiel von deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen, in  : Sowjetische Schauprozesse in Mittel- und Osteuropa, hg. Csaba Szabó (= Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien XIII, Wien 2015), 40–49, hier 32. 529 Florian Weiß, »Gesamtverhalten  : Nicht sich in den Vordergrund stellen«. Die österreichische Bundesregierung und die westeuropäische Integration 1947–1957, in  : Österreich und die europäische Integration seit 1945. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung, hg. Michael Gehler, Rolf Steininger, 2. Aufl. (Wien–Köln–Weimar 2014), 25 f. 530 Protokoll des Gespräches von A. Ždanov mit Johann Koplenig und Friedl Fürnberg über Fragen der Perspektiven und der Taktik der KPÖ, 13.2.1948, in  : Sowjetische Politik in Österreich, Dok. 48, 453– 465. 531 Erwin A. Schmidl, »Rosinenbomber« über Wien  ? Alliierte Pläne zur Luftversorgung Wiens im Falle einer sowjetischen Blockade 1948–1953, in  : Österreich im frühen Kalten Krieg, hg. Erwin A. Schmidl (Wien–Köln–Weimar 2000), 171–192. 532 NA Washington 740.00119 Control (Austria) 6-1948, Telegr. Keyes an Außenminister Marshall, 19.6.1948. 533 ALCO 73. bis 78. Treffen, 30.4. bis 16.7.1948, Protokolle und inoffizielle US Mitschrift. 534 Mazower, Der dunkle Kontinent, 352. 535 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 452. 536 Peter Autengruber, Kleinparteien in Österreich 1945 bis 1966 (Innsbruck–Wien 1997). 537 Dazu  : Aufstieg und Fall des VdU. Briefe und Protokolle aus privaten Nachlässen 1948–1955, hg. Lothar Höbelt (Wien–Köln–Weimar 2015), v. a. 19 f und 33. 538 Carafano, »Waltzing into the Cold War«, 173. 539 Wolfgang Mueller, Gab es eine »verpasste Chance«  ? Die sowjetische Haltung zum Staatsvertrag 1946 – 1952, in  : Der Österreichische Staatsvertrag (The Austrian State Treaty), hg. Arnold Suppan, Gerald Stourzh, Wolfgang Mueller (= Archiv für österreichische Geschichte 110, Wien 2005), 89– 120, hier 110–113. Ferner Brigitte Bailer-Galanda, Winfried Garschah, Der österreichische Staatsvertrag und die Entnazifizierung, in  : Der Österreichische Staatsvertrag, 629– 654. Zu der Verschärfung der sowjetischen Strafmaßnahmen  : Barbara Stelzl-Marx, Zum Tode verurteilt. Die sowjetische Strafjustiz in Österreich im frühen Kalten Krieg, in  : Sowjetische Schauprozesse in Mittel- und Osteuropa, hg. Csaba Szabó (Publikationen der ungarischen Geschichtsforschung in Wien XIII, Wien 2015), 273–292. 540 NA Washington 763.00/9-1350, Kidd an Williamson, 18.8.1950. 541 Mazower, Der dunkle Kontinent, 417. 542 Die Kontroverse in der Beurteilung der Streikbewegung hält seit 1950 an. Auch wenn im Folgenden die begründete Auffassung vertreten wird, es habe sich um keinen kommunistischen Staatsstreichversuch gehandelt, ist ebenso selbstverständlich hervorzuheben, dass es sich bei den teilweise sehr gewaltsamen

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Anmerkungen

Aktionen und Gegenaktionen um gefährliche Vorgänge gehandelt hat, die damals subjektiv sicherlich anders empfunden wurden als im Abstand von mehr als 67 Jahren. Ein herausragendes Beispiel für subjektive Wahrnehmungen stellt die Autobiographie von Franz Olah, Die Erinnerungen, dar (Wien– München–Berlin 1995), bes. 134–143. 543 Günter Bischof, Austria looks to the West. Kommunistische Putschgefahr, geheime Wiederbewaffnung und Westorientierung am Anfang der fünfziger Jahre, in  : Österreich in den Fünfzigern, hg. Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Michael Gehler und Rolf Steininger (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte Bd. 11, Innsbruck– Wien 1995), 194. 544 Ernst Fischer, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955 (Wien–München–Zürich 1973), 311. 545 Die Unterlagen über den Einsatz der Exekutive sowie die Lagemeldungen für die Zeit vom 26. September bis 7. Oktober und die Abschluss- und Erfahrungsberichte finden sich im AdR in den Akten der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit unter der Zahl 214.187-5/50. 546 Ebenda. Zu den Einzelheiten siehe auch den entsprechenden Abschnitt bei Karl Gruber, Zwischen Befreiung und Freiheit. Der Sonderfall Österreich (2. Aufl. Wien 1953), Kapitel  : Massenstreik. Für Niederösterreich besonders die Chronik des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich, Eintragungen vom 26.9. bis 6.10.1950. Ferner Wilhelm Svoboda, Die Partei, die Republik und der Mann mit den vielen Gesichtern. Oskar Helmer und Österreich II. Eine Korrektur (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 26, Wien 1993), 108– 123, sowie Reinhard Meier-Walser, Die gescheiterte Machtergreifung der österreichischen Kommunisten im Herbst 1950 (= Christliche Demokratie 2/1990). 547 Understanding Austria. The Political Reports and Analyses of Martin F. Herz, Political Officer of the US Legation in Vienna 1945–1948, ed. Reinhold Wagnleitner (Salzburg 1984), 454 Special Report No 7, 30.7.1948, und 589  : Compendium of Austrian Politics, 2.12.1948. 548 Wie sehr sich die politische Rhetorik der Putsch- und Revolutionsmetapher bediente, war angesichts des parlamentarischen Nachspiels des Oktober-Streiks zu merken. Als unverdächtige Zeugenschaft können die durchaus lesenswerten Erinnerungen des damaligen Parlamentsstenographen Dietrich Hackl gelten  : Im Zentrum der Politik. Als Parlamentsstenograph im Hohen Haus (Wien–Köln–Graz 1984), 65–74. 549 Zur Begrifflichkeit, den einzelnen Phasen des Geschehens und vor allem auch zur Person von Franz Olah vgl. Michael Ludwig, Klaus Dieter Mulley, Robert Streibel, Der Oktoberstreik 1950. Ein Wendepunkt der Zweiten Republik (Wien 1991). 550 Sowjetische Politik in Österreich, Dok. Nr. 71, 685–711. 551 Manfred Jochum  : 80 Jahre Republik Österreich (Wien 1998), 61. 552 Zur Kandidatenauswahl NA Washington 763.00/2-151, Desp. 757, Dowling an Department of State, 1.2.1951. 553 Dazu zwei Memoranden von Botschafter Llewellyn Thompson vom 4.9.1952, NA Washington 763.00/9-452. 554 Sorry guys, no gold. Die amerikanischen Waffendepots in Österreich. Katalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum (Wien 1998). 555 Manfried Rauchensteiner, Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966 (Wien 1987), 169 f. 556 Rauchensteiner, Die Zwei, 172. 557 Helmut Wohnout, Johannes Schönner, Das politische Tagebuch von Julius Raab 1953/1954. Neue Erkenntnisse zu den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft, in  : Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl-von-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der christlichen Demokratie in Österreich, Jahrg. 7/8 (2003/04), 13–71, hier 55.

Anmerkungen

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558 Depesche von Legationssekretär Gerhard Gmoser an das BMAA 15.6.1953, zitiert bei Weiß, »Gesamtverhalten  : Nicht sich in den Vordergrund stellen«, 45. 559 Pape, Ungleiche Brüder, 134–139 und 211–225. 560 Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts, Berlin, (PA/AA Berlin), Nachlass Hermann Müller-Graaf, Bd. 2, AA 2010-02/55, 12.11.1953. 16. Ein strahlender Frühlingstag 561 Zitiert nach Rathkolb, Die paradoxe Republik, 23. 562 Die deutsch-österreichischen Beziehungen in der Phase des Staatsvertragsabschlusses behandelt Michael Gehler beispielhaft in seinem Werk  : Modellfall für Deutschland  ? Die Österreichlösung mit Staatsvertrag und Neutralität 1945–1955 (Innsbruck 2015). 563 Oliver Rathkolb, Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik und Österreich 1953–1963 (Wien– Köln–Weimar 1997), 61–65. 564 Monatlicher Lagebericht der Bundes-Polizeidirektion Wien für April 1954, 3. Hier wird auch ausgeführt, dass bei den Kranzniederlegungen, die dessen ungeachtet stattfanden, die sowjetischen Vertreter fehlten, um auf diese Weise gegen die bekannt gewordene Maßnahme der Regierung zu protestieren. 565 Marek, Beruf und Berufung, 51. 566 ALCO 218. Treffen, 14. Mai 1954, Minute 1872 und inoffizielle US Mitschrift. 567 Vgl. dazu Liebe auf den Zweiten Blick, hg. Robert Kriechbaumer (= Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945, Wien 1998). 568 Pape, Ungleiche Brüder, 264–272. 569 Roland Beck und Peter Braun, Die schweizerische Landesverteidigung im Spannungsfeld von nuklearen Gefechtsfeldwaffen und bewaffneter Neutralität 1955–1961, in  : Die Schweiz und der Kalte Krieg, hg. Association suisse d’histoire et de sciences militaires (Bern 2003), hier 51–54. 570 Die Rote Armee in Österreich, 863. 571 Dazu Gehler, Modellfall für Deutschland  ?, 667–912. 572 NA London FO 371/124080/RR 1011/1, Annual report 1955, 18.1.1956. 573 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 310. Ferner Rudolf Jeřábek, Vermögensfragen im deutsch-österreichischen Verhältnis 1955-1957, in  : Der Österreichische Staatsvertrag 1955 (The Austrian State Treaty), 563ff. 574 Pape, Ungleiche Brüder, 319 und 332 f. 575 Dazu Rolf Pfeiffer, Eine schwierige und konfliktreiche Nachbarschaft – Österreich und das Deutschland Adenauers 1953–1963 (Münster–Hamburg–London 2003), bes. 35–60. 576 PA/AA Berlin, Nachlass Müller-Graaf, Bd. 2, Schreiben vom 31.5.1955. 577 Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Bd. 2  : Der Staatsmann 1952–1967 (Stuttgart 1991), 309. 578 PA/AA Berlin TB 12, Bd. 127, FS 20.6.1955. 579 Heinrich Drimmel, Österreichs Geistesleben zwischen Ost und West, in  : Österreich. Die Zweite Republik, hg. Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Bd. 2 (Graz–Wien–Köln 1972), 555–596, hier 565 f. Sehr ähnlich der Lagebericht der Sicherheitsdirektion Salzburg für den Juli 1955, in  : Neues aus dem Westen. Aus den streng vertraulichen Berichten der Sicherheitsdirektion und der Bundespolizeidirektion Salzburg an das Innenministerium 1945 bis 1955, hg. Robert Kriechbaumer (Wien–Köln–Weimar 2016), 457. 580 Rauchensteiner, Die Zwei, 298. 581 PA/AA Berlin, Bestand B 310, Bd. 47, 1.1.-31.12.1955, 304.211-00/94.19/1995/55. 582 Rauchensteiner, Die Zwei, 297.

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Anmerkungen

583 Michael Gehler, »to guarantee a country which was a military vacuum«. Die Westmächte und Österreichs territoriale Integrität 1955–1957, in  : Zwischen den Blöcken. Nato, Warschauer Pakt und Österreich, hg. Manfried Rauchensteiner (Wien–Köln–Weimar 2010), 89–133. 584 NA London FO 371/124097 RR 1071/89, Wallinger an Foreign Office, 27.4.1956. 585 Adam Wandruszka, Die Epoche der Sukzessionskriege, in  : Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch (Wien–München 1973), 46. 586 Vgl. dazu Bruno Thoß, Österreich in der Entstehungs- und Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems (1947–1967), in  : Zwischen den Blöcken, 19–87, hier bes. 80 f. Ferner Rathkolb, Die paradoxe Republik, 287. 17. Zwischen den Blöcken 587 Profil Nr.6/1974, 32. Der Hinweis wurde im Zusammenhang mit späteren sowjetischen Planungen zum Fall »Polarka« gegeben. Sejna wiederholte seine Darstellung in seinem 1982 erschienenen Buch We Will Bury You (London 1982), 119. Zur krisenhaften Situation am 5. November 1956 vgl. Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand (Wien 1981), 68–75. 588 Dazu David Dallin, Sowjetische Außenpolitik nach Stalins Tod (Köln–Berlin 1961), 310. 589 Die Zahlen bei Ibolya Murber, Ungarnflüchtlinge in Österreich 1956, in  : Ibolya Murber, Zoltán Fónagy, Die ungarische Revolution und Österreich 1956 (Wien 2006), bes. 358–361. 590 NA London FO 371/130273, Annual Review for 1956. 591 Auch wenn der von Michael Gehler vermutete Zusammenhang zwischen der Ungarischen Revolution und dem Ende der EGKS-Bemühungen nicht belegbar ist, fällt der zeitliche Zusammenhang auf. Vgl. dazu Michael Gehler, Vom Friedensvertrag von Saint-Germain bis zum EU-Vertrag von Lissabon, in  : Österreich und die europäische Integration, 543. 592 NA London FO 371/136578, Annual Review for 1957, 1 f. 593 NA London, FO 371/144862, Annual Report  : 1958, 1. 594 Karin Schmidlechner, Youth Culture in the 1950s, in  : Austria in the 1950s, hg. Günter Bischof, Anton Pelinka, Rolf Steininger (= Contemporary Austrian Studies 3, New Brunswick 1995), 116–137. 595 Ernst Joseph Görlich, Felix Romanik, Geschichte Österreichs (Innsbruck–Wien–München 1970). 596 Mühlberger, Vertriebene Intelligenz, 7 f. 597 Testbild, Twen und Nierentisch. Unser Lebensgefühl in den 50er Jahren, hg. Ernst Grissemann, Hans Veigl (Wien–Köln–Weimar 2002), 16–23. 598 Der Text der Note bei Rauchensteiner, Die Zwei, 385. 599 Wolfgang Mueller, A Special Relationship with Neutrals. Krushchev’s Coexistence, Austria and Switzerland, 1955–1960, in  : zeitgeschichte, 41. Jahrg., Heft 5 (2014), 286. 600 NA London FO 371/136617. Die Note wurde am 30. Juli 1958 übergeben. 601 NA London FO 371/144862, Annual Review for 1958, pt. 4. 602 Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence. The Soviet Union, Austria, and Neutrality, 1955–1991 (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Zentraleuropa-Studien 15, Wien 2011), 103 f. 603 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 310. 604 Rauchensteiner, Die Zwei, 380–388. 605 Rauchensteiner, Die Zwei, 392 f. 606 In  : Die Zukunft, Jahrg. 1959, Hefte 4 und 5. 607 PA/AA Berlin, Bestand B 130, Band 3271A, 203-83.20/ 94.29, 477/59, Div. Berichte über den Besuch Schärfs und die Wahrnehmung einiger NATO Staaten, 28.10.1959.

Anmerkungen

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608 PA/AA Berlin, B 3, Bd. 3271A, 203-81.10/94.19/87/60, Österreich am Anfang des Jahres 1960. Gesamtbericht, 16–18. 609 Rauchensteiner, Die Zwei, 424 f. 610 NA Washington, National Security Council NSC 6020 »US Policy towards Austria«, 6.12.1960. 611 PA/AA Berlin, B 130, Band 3271A, 203-83.20, 94.29, 398/60, Telegr. 1.7.1960. 612 Silke Stern, »Eine Höflichkeitsvisite mehr protokollarischer Natur«. Der Staatsbesuch Nikita Chruščevs in Österreich 1960, in  : Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy – Chruschtschow, hg. Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx, Natalja Tomilina, Alexander Tschubarjan u. a. (Innsbruck–Wien–Bozen 2011), 735–756, hier 740. Zusätzliche Aspekte des Besuchs bei Mueller, A Good Example, 117–120. 613 Stern, »Eine Höflichkeitsvisite«, 743 f. 614 Mueller, A Good Example, 118. 615 Rathkolb, Washington ruft Wien, 93 f. 616 Bruckmüller, Nation Österreich, 125. 617 Zur Einleitung, in  : Der Wiener Gipfel 1961. 24 f. 618 Dazu Dieter Krüger, Brennender Enzian. Die Operationsplanung der NATO für Österreich und Norditalien 1951 bis 1960 (= Einzelschriften zur Militärgeschichte 46, Freiburg i. Br.–Berlin–Wien 2010). 619 Die ohnedies nur ansatzweise bekannt gewordenen Planungen des Warschauer Pakts wurden erstmals vom ungarischen General Robert Széles im Rahmen einer Tagung in Wien 1992 behandelt  : R. Széles, Die strategischen Überlegungen des Warschauer Paktes für Mitteleuropa in den 70er Jahren und die Rolle der Neutralen, in  : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970– 1978, hg. Manfried Rauchensteiner, Wolfgang Etschmann, Josef Rausch (= Forschungen zur Militärgeschichte 3, Graz–Wien–Köln 1994), 25–46. Dazu gehöriges Kartenmaterial mit der Einzeichnung von Zielgebieten für A-Waffen wurde in einer Sonderausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums über den Eisernen Vorhang/ A vasfüggöny 2001 gezeigt. Dazu auch Wolfgang Mueller, Der Warschauer Pakt und Österreich 1955–1991, in  : Zwischen den Blöcken, 165 f. 620 Heeresgeschichtliches Museum/Militärhistorisches Institut, Wien (HGM/MHI), Nachlass Horst Pleiner, Ordner 29, Operation »Prišok«. Dazu auch Manfried Rauchensteiner, Operative Annahmen und Manöver des Bundesheers 1955–1979, in  : Zwischen den Blöcken, 292. 621 Alexander Vodopivec, Die Balkanisierung Österreichs. Folgen einer großen Koalition (Wien–München 1966), 208. 622 Günter Bischof, Anton Pelinka, Michael Gehler, Austrian Foreign Policy in Historical Context, in  : Contemporary Austrian Studies 14 (New Brunswick 2006), 113–169. 623 PA/AA, Berlin, B 83, Nr. 183, 203/81/00/94.18, Ausarbeitung der Studiengruppe Südost für das Auswärtige Amt, Bonn, 21.5.1963. 624 Arbeiter-Zeitung 12. November 1960, zitiert nach Wenninger, Von »Monarchenfressern«, 406. 625 Stephan Hamel, »Eine solche Sache würde der Neutralitätspolitik ein Ende machen«. Die österreichischen Integrationsbestrebungen 1961–1972, in  : Österreich und die europäische Integration, 72. 626 Maria Wirth, Christian Broda. Eine politische Biographie (= zeitgeschichte im Kontext 5, Göttingen 2011), 254. 18. Der neue Stil der Sachlichkeit 627 NA London FO 371/185600  : Schreiben J. A. Pilcher an D. S. E. Dodson, Chef Central Department Foreign Office, 26.2.1966. 628 NA London FO 371/185605 Gesprächsnotiz über ein Treffen Pittermanns mit Premierminister Harold Wilson am 4.4.1966.

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Anmerkungen

629 Josef Klaus, Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versuche (Wien–München– Zürich 1971), 53–61. 630 PA/AA Berlin, Bestand B 26, Bd. 313, 1.1.–31.12.1966, Bericht vom 23.8.1966. 631 Reinhard Meier-Walser, Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966–1970 (= tuduv Studien 27, München 1988), 122. 632 Hamel, »Eine solche Sache«, 63. Die Äußerungen wurden auffallender Weise in der Izvestija am 16. Juni und in der Pravda am 26. Juni 1966 im Vorfeld des Besuchs des sowjetischen Staatspräsidenten Nikolai Podgornij in Österreich wiederholt. 633 Der Spiegel, 21. Jahrg., Heft 18 (1967), 129–132. 634 Hamel, »Eine solche Sache«, 81. 635 Klaus, Macht und Ohnmacht, 332–337. 636 Nachlass Josef Klaus, Schreiben von Irvin Stone, Beverly Hills an Paul Koretz, Los Angeles, 6. Mai 1968. Die Realisierung des Projekts zog sich allerdings bis 1971 hin. Für die Möglichkeit der Benützung des Nachlasses von Josef Klaus bin ich Herrn Botschafter Dr. Stephan Scholz zu ganz besonderem Dank verpflichtet. 637 NA London FCO 371/185605, CA 1051/5, 25.7.1966. 638 NA London FO 371/185600, Central Department A 1015/11, The first six months of one-party conservative rule in Austria, 7. 639 Dazu Maximilian Graf, Österreichs »Ostpolitik« im Kalten Krieg. Eine doppeldeutsche Sicht, in  : Österreich im Kalten Krieg, hg. Maximilian Graf, Agnes Meislinger (= zeitgeschichte im Kontext 11, Göttingen 2016), 145–173. 640 Zitiert nach Helmut Wohnout in  : Die Furche, 12. August 2010. 641 Meier-Walser, Außenpolitik, 346. 642 NALondon FCO 9/11, Austria  : Annual review for 1967, gez. A. Rumbold. 643 So Lujo Tončić in  : Die Ära Josef Klaus, hg. Robert Kriechbaumer, Bd. 1, 17. 644 NA London FCO 33/843, Austria  : Annual Review for 1969. 645 Robert Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss und viele Verletzungen. Die Regierung Klima/Schüssel und die Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung. Österreich 1997–2000 (Schriften der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 47, Wien–Köln–Weimar 2014), 232. 646 So die Formulierung von Heinrich Neisser, in  : Die Ära Josef Klaus, Bd. 2  : Aus der Sicht von Zeitgenossen, 182. 647 Die Kontakte von Josef Klaus zum Centro Europeo de Documentación e Información (CEDI) waren immer wieder Gegenstand von Spekulationen. Dazu Stefan A. Müller, Die Beziehungen Österreichs zu Spanien 1945– 1978, in  : Stefan A. Müller, David Schriffl, Adamantios T. Skordos, Heimliche Freunde. Die Beziehungen Österreichs zu den Diktaturen Südeuropas nach 1945  : Spanien, Portugal, Griechenland (Wien–Köln–Weimar 2016), 45, 74f. 648 Gerd Bacher, in  : Die Ära Josef Klaus, Bd. 2, 162. 649 So die Schlussfolgerung von Willi Sauberer bei seiner Analyse der Vorgänge in der ÖVP-Bundesparteileitung und vor allem anhand der sogenannten Postsitzungen von 1967 bis 1970. Nachzulesen in  : Die Ära Josef Klaus, Bd. 1, 101–228. 650 NA London FCO 9/11, Austria  : Annual review for 1967. 651 Meier-Walser, Außenpolitik, 123. 652 Der Text des Koren-Plans in  : Die Ära Josef Klaus, Bd. 1  : Dokumente, 358–369. 653 Dazu anhand österreichischer Quellen  : Hubert Speckner, Von der »Feuernacht« zur »Porzescharte«. Das »Südtirolproblem« der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten (Wien 2016). Drei Personen, die wegen dieses Attentats in Österreich angeklagt wurden, entgingen einer Ver-

Anmerkungen

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urteilung, da ihnen ihre Täterschaft nicht nachzuweisen war. – Vom selben Autor  : Der Sicherungseinsatz des Österreichischen Bundesheeres an der Grenze zu Südtirol 1967 (= Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres 19, Wien 2012). Hier auch als Exkurs  : Rolf Steininger, Die Südtirolfrage, Teil 1. 654 Horst Christoph, Terror um Tirol. Feuernächte und Folterknechte, in  : profil 14.5.2011. 655 Mazower, Der dunkle Kontinent, 455 (Foto). 656 Der Spiegel 19/1968, 6. Mai 1968, 123. Dazu Paulus Ebner, Karl Vocelka, Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb (Wien 1998), 94 f. 657 Hanisch, Männlichkeiten, 114. 658 NA London FCO 371/185600, Central Department A 1015/11, The first six months of one-party conservative rule in Austria, 9 f. 659 Josef Klaus Tagebuch LVII (17.11.1965 – 15.4.1966), 66, 7.3.1966.660 PA/AA Berlin, Bestand B 26, Bd. 313, 1.1.–31.12.1966, Bericht 23.11.1966. 661 AdR Ministerratsprotokolle Regierung Klaus II, Protokoll Nr. 91a, Verhandlungsniederschrift des außerordentlichen Ministerrats am 21.  August 1968. Dazu auch Horst Pleiner, Hubert Speckner, Zur Verstärkung der nördlichen Garnisonen …. Der »Einsatz« des österreichischen Bundesheeres während der Tschechenkrise im Jahr 1968 (= Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres 15, Wien 2008), hier bes. 127–144. 662 Tagebuch Josef Klaus LXV (26.5. bis 22.9.1968), 68–71. Die Eintragungen sind teilweise nur mehr schwer zu entziffern, zeigen jedoch deutlich die Veränderungen, welche die erste Rundfunkmitteilung erfahren hat. Die hauptsächliche Intention war kalmierend zu wirken. 663 Die Vorgänge um die vorübergehende Einstellung der Visaerteilung erfuhren wiederholt Darstellungen, die dahin gingen, Außenminister Waldheim hätte die Einstellung der Visaerteilung angeordnet und Gesandter Dr. Kirchschläger hätte dem zuwidergehandelt. Dieser Darstellung wiedersprach Kirschschläger nachdrücklich, ohne damit eine Korrektur zu bewirken. Vgl. dazu Klaus Eisterers aktengestützten Aufsatz  : Die österreichische Gesandtschaft in Prag und die Krise in der Tschechoslowakei 1968, in  : Contemporary Austrian Studies 9, hg. Günter Bischof, Anton Pelinka, Ruth Wodak (New Brunswick–London 2001), 13–17. Zudem das Interview mit Karl Peterlik, 5000 Visa pro Tag ausgestellt, in  : Academia, Mai 2008. 664 Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich (Wien–München 1981), 89. Der Text der Erklärung des Bundeskanzlers, der keine an die Sowjetunion gerichtete Note war, auf Seite 195. 665 Manuskript von Gabriele Anderl, Evelyn Klein, Hannes Leidinger, Österreichs Rolle bei der jüdischen Emigration aus der Sowjetunion. Projekt 08-422 des Zukunftsfonds der Republik Österreich (Wien 2011), 104. Ablichtung im Besitz des Autors. 666 AdR Ministerratsprotokolle Regierung Klaus II, Prot. Nr. 92, Verhandlungsniederschrift des Ministerrats am 10.9.1968. 667 Ebenda. Etwas andere Zahlen bei Rathkolb, Die paradoxe Republik, 289. 668 Die Zahlen zuzüglich jenen der tschechoslowakischen Armee bei Martin Malek, Österreich und der Auflösungsprozess des Warschauer Paktes (1989–1991), in  : Zwischen den Blöcken, 557–614, hier 559  : ferner http://www.radio.cz/de/rubrik/geschichte/voruebergehend-bedeutete-21-jahre-die-sowjettruppen-­inder-cssr, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 669 NA London FCO 33/428, Sir A. Rumbold an Foreign- und Commonwealth Office, 18.11.1968. 670 Tagebücher Josef Klaus LXXI, (1969–1970), 7–9. 671 Die Ära Josef Klaus, Bd. 2, 370–386.

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Anmerkungen

672 Christian Forstner, Kernspaltung, Kalter Krieg und Österreichs Neutralität, in  : Österreich im Kalten Krieg, 73–96. 673 NA London FCO 33/843, Austria  : Annual review for 1970. 674 Mazower, Der dunkle Kontinent, 445. 675 Leo Wallner, in  : Die Ära Klaus, Bd. 2, 29. 19. Die Gegenerzählung 676 Elisabeth Röhrlich, Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (= zeitgeschichte im Kontext 2, Göttingen 2009), 270. 677 Helene Maimann, Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe (Wien 2011), 18. 678 NA London FCO 33/1274 Austria  : Annual review for 1970. 679 PA/AA Berlin, Bestand 309, 82.SL/94.19, Aktuelle Probleme der österreichischen Außenpolitik, 24.11.1970. 680 Jean Jaurès, Die neue Armee ( Jena 1913). 681 HGM/MHI Nachlass Pleiner, Ordner 5, BMLV 129-strgeh/Fü/70. 682 Peter Corrieri, Der Brief der 1700. Demokratischer Offizierswiderstand gegen politischen Populismus 1970/71 (= Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres 21, Wien 1913). Das Faksimile des Briefs 284–287. 683 PA/AA Berlin, Bestand 130, Bd. 9818A, 82.00/94.19/460/71, FS 5.3.1971. 684 Franz Vranitzky, Vorwort, in  : Maimann, Über Kreisky, 8. 685 Maximilian Graf, Österreich und die DDR 1949–1989/90. Beziehungen – Kontakte – Wahrnehmungen, Dissertation Universität Wien (2012). 686 NA London FCO 33/1679, J. Hartland-Swann an European Integration Department 10. März 1972. 687 Robert Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik 1970–1975 (= Österreichisches Jahrbuch für Politik Sonderband 1, München–Wien 1981), 335. 688 Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik, 221. Initiatoren des Widerstands waren vor allem Walter Csoklich und Anton Pelinka. 689 Zitiert nach Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik, 243. 690 Ebenda, 232–234. 691 Alfred Elste, Wilhelm Wadl, Titos langer Schatten. Bomben- und Geheimdienstterror im Kärnten der 1970er Jahre (Klagenfurt am Wörthersee 2015), 228. 692 Elste, Wadl, Titos langer Schatten, 156 f. 693 Zum Inhalt der Noten, v. a. auch der Text der österreichischen Antwort  : Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik, 192. 694 Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik, 201 f. 695 Elste, Wadl, Titos langer Schatten, 241. 696 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 359. 697 PA/AA Berlin Bestand 130 Bd. 9818A, 82.00/94.19/460/71, FS 3.2.1971. 698 Zur Presseberichterstattung des Vorfalls  : Johanna Feifel, Schönau und das Österreichbild in der hebräisch-, deutsch- und englischsprachigen Presse, Dissertation Universität Wien (2002). 699 »Carlos«, recte Ilich Rámirez Sánchez, gegenüber dem britischen Autor David A. Yallop, zitiert in  : Anderl, Klein, Leidinger, Österreichs Rolle bei der jüdischen Emigration aus der Sowjetunion. 700 Anderl, Klein, Leidinger, Österreichs Rolle, 67. 701 AdR, BMfA II-pol, Israel 1974, Zl. 88.03.10/72-6/74. 702 Das Bonmot in  : Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983 in der historischen Analyse, im Urteil der

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politischen Kontrahenten und in Karikaturen von Ironimus, hg. Robert Kriechbaumer (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 22, Wien–Köln–Weimar 2004), 261. 703 Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie (Weilerswist 2006). 704 Beispiel für viele in diesem Sinn argumentierende Politiker, militärische Fachleute und Kommentatoren ist das von Felix Ermacora herausgegebene Weißbuch zur Lage der Landesverteidigung in Österreich (Wien 1973). 705 »Profil« (Wien) Nr. 4, 5, 6 und 7 1974 (14.2., 21.2., 28.2. und 7.3.1974)  : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich. Der »profil«-Redakteur Werner Stanzl bemühte sich längere Zeit um ein Interview mit J. Šejna, nachdem dieser für die Zeitschrift »Paris Match« ein erstes Interview gegeben hatte. Im Dezember 1973 wurde Stanzl von den amerikanischen Stellen, die Sejna in Gewahrsam hielten, in Washington ein Interview ermöglicht. – Eine knapper gehaltene Darstellung gab Sejna 1982 in seinem Buch  : We will bury you (London 1982), hier 120 f. 706 http://www.krone.at/nachrichten/bruno-kreisky-in-zitaten-beruehmte-bonmots-story-242002, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 707 Barbara Liegl, Anton Pelinka, Chronos und Ödipus. Der Kreisky-Androsch-Konflikt (Wien 2004), 90. 708 Helmut Schelsky, Von Kreisky zu Taus, Politische Eindrücke aus Österreich, zit. bei Gerald Stifter, Die ÖVP in der Ära Kreisky 1970–1983 (Innsbruck–Wien 2006), 239 und 339, Anm. 855. 709 Kriechbaumer, Österreichs Innenpolitik, 429 f. 710 Ladislav Bitman, Geheimwaffe »D« (Bern 1973), 66–79. 711 Sabine Loitfellner, Simon Wiesenthals »Schuld und Sühne Memorandum« an die Bundesregierung 1966. Ein zeitgenössisches Abbild zum politischen Umgang mit NS-Verbrechen, in  : Kriegsverbrechen, NS-Verbrechen und die europäische Strafjustiz von Nürnberg bis Den Haag, hg. Heimo Halbrainer, Claudia Kuretsidis-Haider (Graz 2007), 281–288. Das Memorandum im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands Sign. 27.386. 712 Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien (VGA), Tagebücher Josef Staribacher, 1.8.– 26.10.1975, Klausurtagung der SPÖ 22.10.1975. 713 Maimann, Über Kreisky, 75. 714 Riegler, Im Fadenkreuz, 453. 715 Maimann, Über Kreisky, 78 f. 716 Manfried Rauchensteiner, König Kreisky und die Briten, in  : Die Presse, Spectrum, 31.5.2008, 3f. 717 NA London FCO 33/4301, C.D. Lush, 23.12.1971. 718 Roman Sandgruber, Die Industrie in Österreich 1911 bis 2011. Eine Erfolgsgeschichte auf Umwegen, in  :100 Jahre Haus der Industrie 1911–2011(Wien 2011), 172–275. 719 PA/AA Berlin, B-130, 203-81.10/94.19/87/60, Österreich am Anfang des Jahres 1960. Gesamtbericht, 20–22. 720 NA London FCO 33/5393, Annual Report 1971, 4. 721 Maimann, Über Kreisky, 75. Die unredigierte Transkription des Interviews mit Helmut Schmidt wurde dem Autor von Dr. Helene Maimann dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. 722 Stifter, Die ÖVP, 145 ff. 723 Ebenda, 150. 724 Wirth, Christian Broda 493. 725 Heinz Fischer, Reflexionen (Wien 1998), 270. 726 Stifter, Die ÖVP, 192  ; ferner Heinz Fischer, Die Kreisky-Jahre 1967–1983 (Himberg 1993), 157. 727 VGA Tagebücher Josef Staribacher 14.10. bis 22.12.1978, hier 17.10. Handelsminister Josef Staribacher glaubte zu dem Zeitpunkt nicht an eine Zustimmung.

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Anmerkungen

728 Stifter, Die ÖVP, 212. 729 NA London FCO 33/4601 Annual report on Austria 1980, 3. 730 Ebenda, 5. 731 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 354 f. 732 Stifter, Die ÖVP, 247 und Ernst Hanisch, Der lange Schatten, 474. 733 Hanisch, Der lange Schatten, 475. 734 Einer der sicher positivsten und stellenweise enthusiastischen Berichte wurde vom britischen Botschafter in Österreich, Donald McDonald Gordon, anlässlich seines Abschieds aus Österreich am 12. August 1981 geschrieben  : NA London FCO 33/4602. 735 NA London FCO 33/5376 Berichte Botschaft Wien an Central Department, v. a. Bericht von Botschafter Michael O’D B. Alexander über den Besuch Gaddafis, 17. März 1982. 736 NA London FCO 33/5375 Alan Free-Gore an A. E. Montgomery, 6.8.1982. 737 NA London FCO 33/4321, Telegr. 29.4.1980. Für das Washingtoner State Department und das Foreign Office in London ein neuerlicher Beweis für die Naivität Kreiskys. 738 Rathkolb, Washington ruft Wien, 55. Ebenso Rathkolb, Die paradoxe Republik, 293. 739 NA London FCO 33/5391 Michael O’D B. Alexander, Record of Conversation Edward Heaths mit Kreisky (15. Juni 1982), 18.6.1982. 740 NA London FCO 33/5369 Austria  : Annual review for 1982, 4. 741 Andreas Resch, Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke, in  : Zwischen den Blöcken, 497–556, hier bes. 536–540. 742 VGA Tagebücher Josef Staribacher, 4.3. bis 21.12.1982, mehrere Einträge. Wenn die liefernden Firmen Endverbraucherzertifikate vorlegten, erhielten sie vom Handelsministerium ohne weiteres die Ausfuhrgenehmigung. 743 NA London FCO 33/5399 Embassy Vienna an A.E. Montgomery, 3.6.1982, 10. 744 NA London FCO 33/5399 D.G. Blunt an T. Gallagher, 10.9.1982. 745 NA London FCO 33/5376 durchgängig. 746 NA London FCO 33/5369 Austria  : Annual review for 1982, 3. 747 Pelinka, Chronos und Ödipus, 9 f. 748 Stifter, Die ÖVP, 287. 20. Der »Sündenfall« 749 Stifter, Die ÖVP, 298. 750 Dazu Anton Pelinka, Die Kleine Koalition. SPÖ–FPÖ 1983–1986 (= Studien zu Politik und Verwaltung, hg. Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan 48, Wien–Köln–Graz 1993), 21. 751 So wurde z. B. die Steuerfreiheit des 13. und 14. Monatsgehalts beschlossen. Die diesbezügliche Initiative hielt sich die FPÖ zugute. 752 Hubert Sickinger, Politische Korruption und der Wandel der Rahmenbedingungen für politisches Skandale in der Zweiten Republik, in  : Korruption in Österreich. Historische Streiflichter, hg. Ernst Bruckmüller (Wien 2011), 123. 753 Maimann, Über Kreisky, 43, Gespräch mit Oliver Rathkolb. 754 http://www.news.at/articles/1103/11/286793/ein-vereinfacher-historiker-rathkolb-interview-100jahrenkreisky (news 27.1.2011) 755 Pelinka, Kleine Koalition, 42. 756 Ebenda, 43. 757 https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Reder, letzter Zugriff  : 23.06.2017.

Anmerkungen

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758 PA/AA Berlin, Bestand 130, Bd. 3892A, 117–251, Fernschreiben Botschaft Wien an AA, 12.4.1972. 759 Pelinka, Kleine Koalition, 47. 760 Butschek, Österreichische Wirtschaftsgeschichte, 379. 761 Graf, Österreich und die DDR, 843. 762 Pelinka, Kleine Koalition, 50 f. 763 Sandgruber, Die Industrie in Österreich, 218. 764 Peter Rosner, Alexander Van der Bellen, Georg Winckler, Economic and Social Policy of the Vranitzky Era, in  : The Vranitzky Era in Austria, 137–164, hier 145. 765 https://de.wikipedia.org/wiki/Noricum-Skandal, letzter Zugriff  : 23.06.2017. Ferner  : Die Presse, 2. April 2010  : 20 Jahre »Noricum«  : Waffen, Spione, Tote und Millionen. 766 NA London FCO 33/5391, M.O’D B. Alexander an Central Department, 5.11.1982. 767 Riegler, Im Fadenkreuz, 230–277. 768 NA London FCO 33/5391 M.O’D B. Alexander, Record of Conversation with Mr. Lanc, 5.11.1982. 769 Riegler, Im Fadenkreuz, 290. 770 NA London FCO 33/5391 Alan L. Free-Gore an Tracy Gallagher (Foreign and Commonwealth Office), 2.8.1982. 771 Riegler, Im Fadenkreuz, 404. 772 Kurt Richard Luther, Austria’s Social Democracy During The »Vranitzky Era«, in  : The Vranitzky Era in Austria, 5–30, hier 5. 773 Pelinka, Kleine Koalition, 58. 774 Ebenda, 59, unter Bezugnahme auf Norbert Steger, Friedrich Peter und Walter Grabher-Mayer. 775 Das Schreiben Kreiskys an Sinowatz sowie der »Absagebrief« für das Parteiarchiv finden sich im dritten. Band der Memoiren Kreiskys  : Der Mensch im Mittelpunkt, hg. Oliver Rathkolb, Johannes Kunz, Margit Schmidt (Wien 1996), 317–323. 776 Irene Etzersdorfer, From the Sphinx with – to the Spinx without a Puzzle. A Subjective LeadershipPerceptions Comparison between Bruno Kreisky and Franz Vranitzky, in  : The Vranitzky Era, 56–77, hier 66. 777 Michael Gehler  : »… eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes  …«  ? Die WaldheimAffäre 1986–1992, in  : Ders., Hubert Sickinger, Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim (Thaur–Wien–München 1995), 614–665. Faksimile auf 663. 778 AdR BMaA 28-Res/93, 26.1.1993, Resumé der amerikanisch-österreichischen Beziehungen, 4. 779 Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusionen. Juden in Österreich nach 1945 (Wien 1995), 259. 780 Manfried Rauchensteiner, Die Historikerkommission, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1988 (Wien– München 1989), 335–377, hier 350 f. 21. Die Implosion im Osten 781 Kurt Richard Luther, Austria’s Social Democracy During the »Vranitzky Era«. The Politics of Assymmetrical Change, in  : The Vranitzky Era in Austria, 5–30. Die Statistik der Parteimitgliedschaften von 1945–1996 auf Seite 8. 782 Hugo von Hofmannsthal, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation (München 1927), 31. 783 Zusammenfassend  : Österreich und die Ostöffnung 1989 (= historisch-politische Bildung 8, Wien 2015). 784 Dietrich Graf Brühl, Flucht in die Freiheit. Die Flüchtlingsbewegung aus Ungarn im Jahre 1989. Ein Bericht, in  : Aufbruch in eine neue Zeit. 1989 im Rückblick, hg. Manfried Rauchensteiner (Wien 2000), 9.

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Anmerkungen

785 Brühl, Flucht in die Freiheit, 27. 786 Graf, Österreich und die DDR, 810. 787 Andrea Brait, »Österreich hat weder gegen die deutsche Wiedervereinigung agitiert, noch haben wir sie besonders begrüßt«. Österreichische Reaktionen auf die Bemühungen um die deutsche Einheit, in  : Deutschland Archiv, 23.9.2014, 82–102. 788 Ebenda. 789 Norman M. Naimark, Historical Memory and the Debate about the Vertreibung Museum, in  : Austria’s International Position after the End of the Cold War, hg. Günter Bischof, Ferdinand Karlhofer (= Contemporary Austrian Studies 22, New Orleans 2013), 228–241. Zu dem exemplarisch geschilderten Fall von Jedwabne vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Jedwabne, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 790 Peter Wassertheurer, Die Beneš-Dekrete im Kontext des öffentlichen und politischen Diskurses in Österreich 1989–2003. Traditionen – Geschichtsbilder – Stereotype, Dissertation Universität Graz (2006). 791 Elisabeth Heresch, Nikolaus II. Feigheit, Lüge und Verrat (München 1992), 376–378. 792 Der Wortlaut der Mitteilung sowie die Antworten der sowjetischen, amerikanischen und französischen Regierung bei Stourzh, Um Einheit und Freiheit, Anhang 8, 776–779. Die britische Regierung erklärte lediglich mündlich, keinen Einwand zu haben. 793 Andreas Resch, Austrian Foreign Trade and Austrian Companies’ Economic Engagement in Central and Eastern Europe (CEE) since 1989, in  : Austria’s International Position after the End of the Cold War, 198–223, 203. 794 Günter Bischof, Of Dwarfs and Giants  : From Cold War Mediator to Bad Boy of Europe. Austria and the U.S. in the Transatlantic Arena (1990–2013), in  : Austria’s International Position after the End of the Cold War, 14 f. 795 Franz Vranitzky, Politische Erinnerungen (Wien 2004), 316. 796 Gehler, Vom Friedensvertrag von Saint-Germain, 557. 797 Martin Eichtinger, Helmut Wohnout, Alois Mock. Ein Politiker schreibt Geschichte (Graz 2008), 245. 798 Manfried Rauchensteiner, Entschlossenes Zuwarten. Österreich und die Unabhängigkeit Sloweniens 1991 (Klagenfurt 2011). 799 Die ursprüngliche Meldung in »Politika«, 8.2.1991, 5. 800 Freundliche Mitteilung von Bundeskanzler a. D. Dr. Franz Vranitzky an den Autor. 801 Rauchensteiner, Entschlossenes Zuwarten, 12 f. und 61. 802 Andreas Kappeler, Todesstoß für eine Weltmacht im Jagdhaus, in  : Die Presse, Gastkommentar, 7.12.2016, 32 f. 803 Jochum, 80 Jahre Republik, 165. 804 Die Anerkennungsfrage wird u. a. in den Erinnerungen des ehemaligen Botschafters in der Sowjetunion bzw. Russland, Friedrich Bauer, angesprochen  : Russische Umbrüche. Von Gorbatschow über Jelzin zu Putin (Wien 2008), 110–136. 805 AdR BMaA 106-Res 91, 302-GS/93 und 517-266/93. 806 AdR BMaA 517.266/8-II.3/93, Information für den Bundesminister, 3.11.1993. 807 Österreichisches Jahrbuch für Politik 1992 (Wien 1993), 8. 808 https://www.parlament.gv.at/ZUSD/PDF/19920708_Gemeinsame_Sitzung_XVIII_GP., 8. Juli 1992 (letzter Zugriff  : 23.06.2017). 809 Vranitzky, Politische Erinnerungen, 226. 810 AdR BMaA Pol 517.224/6-II.9/91, 5.3.1991, Resuméprotokoll Gesandter Prohaska. 811 Gehler, Österreich und die europäische Integration, 560. 812 Michael Gehler, Vom EU-Beitritt zur Osterweiterung, in  : Die umstrittene Wende, 461–550. 813 AdR BMaA Zl. 517.266/1-/94 und Botschaft Moskau Zl. 3.1/4/95, 25.10.1995.

Anmerkungen

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814 Rathkolb, Die paradoxe Republik, 27. 815 Robert Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss und viele Verletzungen. Die Regierung Klima/Schüssel und die Bildung der ÖVP-FPÖ Regierung. Österreich 1997–2000 (= Schriften der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 47, Wien–Köln–Weimar 2014), 141. 816 Luther, Austria’s Social Democracy, 8. 817 Der Standard, 31. Oktober 2008. 818 Christian Dirninger, Mehr Markt und weniger Staat. Die ordnungspolitische Wende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik in einer längerfristigen Perspektive, in  : Die umstrittene Wende. Österreich 2000–2006, hg. Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Wien–Köln–Weimar 2013), 235 und 225. 819 Sonja Puntscher Riekmann, The Politics of Ausgrenzung, the Nazi-Past and the European Dimension of the New Radical Right in Austria, in  : The Vranitzky Era, 78–105, 86 f. 820 In Chicago gab es wegen des Vergleichs eine mehrere Jahre anhaltende Verstimmung. Dazu AdR BMaA 517.224/29-II.9/96, Bericht Botschaft Washington 19.12.1996. 821 Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel widerspricht nachdrücklich Darstellungen, wonach er mit Jörg Haider über einen »Fliegenden Wechsel« gesprochen haben soll. Es sei lediglich um das hier geschilderte Bankenproblem gegangen. (Freundliche Mitteilung von Dr. Schüssel an den Autor am 26.4.2017). 822 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 146. 823 Ebenda, 162. 824 Zu den Verläufen  : Branka Magaš, Noel Malcolm, Ivo Žanić (Hg.), The War in Croatia and BosniaHerzegovina, 1991–1995 (London 2001). 825 Bruckmüller, Nation Österreich, 140. 826 http://medienservicestelle.at/migration_bewegt/2011/06/21/kriege-in-ex-jugoslawien-fuhrten-zu-drei-­ grosenfluchtlingswellen, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 827 Vranitzky, Politische Erinnerungen, 219. 828 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 164 f. 829 Bischof, Of Dwarfs and Giants, 27. 830 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 299. 22. Unter Beobachtung 831 Andreas Khol, Veritas filia temporis. Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2009 (Wien 2010) 379–398, hier 381. 832 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 304. 833 Ausführlich zu den Sondierungsgesprächen und zu den Verhandlungen  : Heinz Fischer, Wende-Zeiten. Ein österreichischer Zwischenbefund (2. Aufl. Wien 2004), 40–104. 834 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 315. 835 Der Verlauf der Verhandlungen und die Frage eines Ressorttausches ausführlich bei Wolfgang Schüssel, Offengelegt. Aufgezeichnet von Alexander Purger (Salzburg 2009), 90. Im Kabinett Vranitzky IV (29.11.1994– 18.12.1995) tauschten die Bundesminister Erhard Busek und Rudolf Scholten die Ressorts Unterricht bzw. Wissenschaft. 836 Kriechbaumer, »… ständiger Verdruss«, 353. 837 Ebenda, 384. 838 Schüssel, Offengelegt, 103 f. 839 Heinz Fischer, Wende-Zeiten, 96, widerspricht zurecht, dass es sich bei der Stockholmer Konferenz um eine solche der Sozialistischen Internationale gehandelt habe.

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Anmerkungen

840 Zum Begriffswandel  : Rosa Winkler-Hermaden, Als Österreich der Buhmann der EU war, in  : Der Standard, 21.1.2010. 841 Der gesamte Text der Präambel der Regierungserklärung in  : Die Presse, 4.2.2000, 4. 842 Wolfgang C. Müller, Marcelo Jenny, Demokratischer Rollentausch oder Systembruch, in  : Die umstrittene Wende, 53–80. 843 Robert Kriechbaumer, Von Faschisten, Austrofaschisten und Alltagsfaschisten, in  : Die umstrittene Wende, 183–210, 189. 844 Die Genesis und das Ausmaß der »Maßnahmen« bei Michael Gehler, Präventivschlag als Fehlschlag. Motive, Intentionen und Konsequenzen der EU-14 Sanktionsmaßnahmen gegen Österreich im Jahr 2000, in  : Eine europäische Erregung. Die »Sanktionen« der Vierzehn gegen Österreich im Jahr 2000. Analysen und Kommentare, hg. Erhard Busek, Martin Schauer (Wien–Graz–Köln 2003), 19–74. 845 Österreichisches Jahrbuch für Politik 2000 (Wien–München 2001), Jahreschronik (7.2., 8.2., 21.2.2000). 846 Schüssel, Offengelegt, 108. 847 Ursula Plassnik, On the Road to a Modern Identity  : Austrian Foreign Policy from the Cold War to the European Union, in  : Austria’s international Position, 55–107, 86. 848 So die in den Niederlanden lehrende Dozentin Karin Jušek in ihrem Beitrag  : Eine trügerische Idylle  ? Das Bild Österreichs in den Niederlanden, in  : Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, hg. Oliver Rathkolb (Innsbruck–Wien–München 2003), 223. 849 Außenansichten, durchgängig. 850 Hubert Feichtlbauer, Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit. Späte Anerkennung, Geschichte, Schicksale (Wien 2005). 851 Gehler, Vom EU-Beitritt, 507. 852 Paul Luif, Die Diskussion über die Neutralität, in  : Die umstrittene Wende, 551–584, hier 563. 853 Gehler, Präventivschlag als Fehlschlag, 25. 854 Der Text des Berichts bei http://images.derstandard.at/upload/images/bericht.pdf, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 855 Bischof, Of Dwarfs and Giants, 36. 856 Schüssel, Offengelegt, 147. 857 Dirninger, Mehr Markt, 239. 858 Gehler, Vom EU-Beitritt, 515. 859 Schüssel, Offengelegt, 170. 860 Die Zitate, v. a. von Alfred Gusenbauer bei Dirninger, Mehr Markt, 255. 861 Peter Rosner, Alexander Van der Bellen, Georg Winckler, Economic and Social Policy of the Vranitzky Era, in  : The Vranitzky Era, 136–164, 145. 862 Studie der Wirtschaftsauskunftsdatei CRIF, auszugsweise veröffentlicht in  : Die Presse, 20.12.2016. 863 Die Daten der Statistik Austria können jahresweise abgerufen werden. http://www.stat.at/web_de/statistiken/wirtschaft/unternehmen_arbeitsstaetten/auslandsunternehmenseinheiten/in dex.html, letzter Zugriff  : 23.06.2017. 864 Fritz Muliar, Das Burgtheater gibt es nicht mehr  …, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1993 (Wien 1994), 139–143. 865 Stern, 24. Juni 2005, zitiert bei Dirninger, Mehr Markt, 266. 866 Albert Rohan, Österreich und die Türkei. Ein gestörtes Verhältnis, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016 (Wien–Köln–Weimar 2017), 137 f. 867 Gunther Hauser, Äußere und Innere Sicherheit, in  : Die umstrittene Wende, 622. 868 Schmidl, Austrian Security Policy, 114–120. 869 Abschlussbericht Botschafter Dr. Christian Prosl o. D. [2003]. Entwurf.

Anmerkungen

597 23. Der Rückfall

870 Kriechbaumer, »Es reicht  !« Die Regierung Gusenbauer – Molterer. Österreich 2007/2008 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Historisch-Politische Studien der Dr.-Wilfried-Haslaur-Biblitohek 55, Graz–Wien–Köln 2016), 24. 871 Kriechbaumer, »Es reicht«, 331. 872 Ebenda, 344 f. 873 Alexander Janda, Mathias Vogl, Islam in Österreich (Wien 1910), 8. 874 Kriechbaumer, »Es reicht  !«, 44. 875 Die vom Integrationsfonds erhobene Zahl in  : Die Presse, 14. April 2017, 9. 876 Michael Gehler, Österreich als Mitglied der Europäischen Union 1995–2005, in  : Tschechien und Österreich nach dem Ende des Kalten Krieges. Auf getrennten Wegen in ein neues Europa, hg. Gernot Heiss u. a. (Ústí nad Labem 2009), 53. 877 Leserbrief von Alfred Gusenbauer und Werner Faymann an »Neue Kronen Zeitung«, Volltext auch in  : APA, derstandard 1. Juli 2008. 878 Vranitzky, Vorwort in  : Über Kreisky, 9. 24. »Es reicht« 879 Rathkolb, Die paradoxe Republik, 27. 880 So die Interpretation der im Verlauf der sogenannten WikiLeaks-Affäre publizierten Depeschen der amerikanischen Botschaft in Wien. Dazu  : http://kurier.at/nachrichten/2055732.php, 6.12.2010. 881 Kriechbaumer, »Es reicht«, 531. 882 Die Formulierung bei Kriechbaumer, »Es reicht  !«, 471. 883 Ebenda, 754. 884 Othmar Karas, Österreich und Europa. Ein Aufbruch zu neuer Dynamik  ?, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2008, hg. Andreas Khol u.a. (Wien–Köln–Weimar 2009), 251–265. 885 Österreichisches Jahrbuch für Politik 2008, Einleitung XI. 886 Martin Falb, »Die Herausforderungen an die Politik sind groß«. Die Regierungsverhandlungen 2008 zwischen Werner Faymann und Josef Pröll, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2008, 137–152. 887 Josef Pröll, Österreich nach der Krise, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2009 (Wien–Köln– Weimar 2010), 9. 888 Oliver Pink, Die Ära Faymann. Wer war Werner Faymann  ? Und was bleibt von seiner Kanzlerschaft  ?, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016, 231–235, hier 232. 889 Alexander Jand, Die internationale Finanzkrise, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2009, 84. 890 Österreichisches Jahrbuch für Politik 2011 (Wien 2012), Vorwort. 891 Die Etappen des Konflikts kurz zusammengefasst  : Stefan Karner, Die Lösung der Kärntner Ortstafelfrage, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2011 (Wien 2012), 213–240. 892 Andreas Khol, Persönliche politische Randnoten zur Lösung der Ortstafelfrage, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2001 (Wien 2012), 249. 893 So die Formulierung von Rudolf Burger in der Wiener Zeitung, 8. Dezember 2016. 894 Peter Filzmaier, Winnetous Apachen würden gewinnen  ? Neue Parteien in Österreich – Morphologie und Perspektiven, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2012 (Wien 2013), 409–429, hier 409. 895 Dazu der sehr kritische Aufsatz von Stefan Thaller, Abzug vom Golan. Was wirklich geschah, in  : Truppendienst 4/2014. Nachzulesen auch unter http://www.bundesheer.at/truppendienst/ausgaben/artikel. php?id=1732, letzter Zugriff  : 23.06.2017. Differenzierter und positiver zum Abzug  : Paul Schneider,

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Anmerkungen

AUSCON und AUSBATT/UNDOF. Das rasche Ende einer langen Ära, in  : Truppendienst 5/214, 462–469. Zweifellos entwickelte sich die Situation bis zur totalen Unübersichtlichkeit. 896 Die von WikiLeaks veröffentlichten Depeschen und persönlichen Wertungen von Botschafter William C. Eacho auszugsweise in  : Kurier, 5. Dezember 2010. Die Reaktion einiger Regierungsmitglieder tags darauf am 6. Dezember. 897 Andreas Khol, MIGROKO vor dem Ende  ? Auf dem Weg in eine neue Republik, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2013 (Wien–Köln–Weimar 2014), 3–14. 898 Peter Pelinka, Zur Koalition zwischen ÖVP und SPÖ  : Hat »Neu regieren« eine Chance  ?, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2013 (Wien–Köln–Weimar 2014), 181–184. 899 Vorwort Österreichisches Jahrbuch für Politik 2014 (Wien–Köln–Weimar 2015), XI f. 900 Heinrich Friedjung, Das Zeitalter des Imperialismus 1884–1914, Bd. 2 (Berlin 1922), 169. 901 Lothar Rühl, Die strategische Lage zum Jahreswechsel, in  : Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 1/2016, 13. Vertiefend und mit zahlreichen Literaturhinweisen  : Heinz Brill, Globale Migrationsströme der Gegenwart. Die neue geopolitische Dimension der Sicherheitspolitik, in  : ÖMZ 5/2016, 604–613. 902 Charles E. Ritterband, Österreich. Stillstand im Dreivierteltakt (Wien–Köln–Weimar 2016), 70. 903 Sebastian Kurz, Von der Lösung zum Problem, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016, 254. 904 Mathias Vogl, Aktuelle Herausforderungen für die österreichische Asyl- und Fremdenpolitik, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2015 (Wien–Köln–Weimar 2016), 399–323, hier 313. 905 Ulrich H. J. Körtner, Gesinnungs- und Verantwortungsethik im Widerstreit. Anmerkungen zur Debatte um Einwanderungs-, Asyl- und Integrationspolitik, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2015 (Wien–Köln–Weimar 2016), 279–289, hier 288. 906 Johann Gudenus, Die österreichische Flüchtlings-, Einwanderungs- und Integrationspolitik aus freiheitlicher Sicht. Ziele, Zielerreichung sowie künftige Herausforderungen, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2015 (Wien–Köln–Weimar 2016), 347–356, hier 348. 907 Peter Gridling, Extreme in Österreich. Identitäre und extreme Linke, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016 (Wien–Köln–Weimar 2017), 329. 908 Der Spiegel 10/216, 19. 909 Iris Bonavida, Julia Neuhauser, Braucht Österreich eigentlich Einwanderung  ? Ja, aber …, in  : Die Presse, 16.12.2016, 8 f. 910 Albert Rohan, Österreich und die Türkei. Ein gestörtes Verhältnis, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016 (Wien–Köln–Weimar 2017), 134. 911 Fritz Plasser, Franz Sommer, Bundespräsidentenwahlen 2016  : Politische Einstellungen und Motive der Wähler, regionale Trends und Wählerströme, in  : Österreichisches Jahrbuch für Politik 2016 (Wien– Köln–Weimar 2017), 5. 25. Nachwort 912 Alle Zitate bei Peter Stachel, Mythos Heldenplatz (Wien 2002), 7.

Bibliographie

In der Bibliographie sind nur verwendete Werke und vornehmlich Monografien mit ihren bibliographischen Angaben sowie Sammelwerke nach ihrem Haupttitel angeführt. Einzelbeiträge in Sammelwerken sowie Aufsätze werden nur bei einmaliger Nennung, ansonsten aber meist nicht eigens angeführt und finden sich lediglich im Anmerkungsapparat. Dasselbe gilt für Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Agstner, Rudolf, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, Bd. 1  : 1918–1938. Zentrale, Gesandtschaften und Konsulate (Wien 2015) Albrich, Thomas, Exodus durch Österreich. Die jüdischen Flüchtlinge 1945–1948 (Innsbruck 1987) Derselbe, Asylland wider Willen. Die Problematik der »Displaced Persons« in Österreich 1945– 1948, in  : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, hg. Günter Bischof, Josef Leidenfrost (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4, Innsbruck 1988) Derselbe, Luftkrieg über der Alpenfestung 1943–1945. Der Gau Tirol-Vorarlberg und die Operationszone Alpenvorland (Innsbruck 2014) Allmayer-Beck, Johann Christoph, Die Österreicher im Zweiten Weltkrieg, in  : Unser Heer. 300 Jahre österreichisches Soldatentum in Krieg und Frieden (Wien–München–Zürich 1963) Derselbe, »Herr Oberleitnant, det lohnt doch nicht  !« Kriegserinnerungen an die Jahre 1938 bis 1945, hg. Erwin A. Schmidl (Wien–Köln–Weimar 2013) Aufstieg und Fall des VdU. Briefe und Protokolle aus privaten Nachlässen 1948–1955, hg. Lothar Höbelt (Wien–Köln–Weimar 2015) Außenansichten. Europäische (Be)Wertungen zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, hg. Oliver Rathkolb (Innsbruck–Wien–München 2003) Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich, Bd. 4  : Zwischen Staatsbankrott und Genfer Sanierung. 11.  Juni 1921 bis 6.  November 1922, hg. Klaus Koch, Walter Rauscher, Arnold Suppan (Wien–München 1998) Austrian Foreign Policy in Historical Context, hg. Günter Bischof, Anton Pelinka, Michael Gehler (= Contemporary Austrian Studies 14, New Brunswick 2006) Austria’s International Position after the End of the Cold War, hg. Günter Bischof, Ferdinand Karlhofer (= Contemporary Austrian Studies 22, New Orleans 2013) Autengruber, Peter, Kleinparteien in Österreich 1945 bis 1966 (Innsbruck–Wien 1997) Bailer, Brigitte, Ungar, Gerhard, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer und Namentliche Erfassung der österreichischen Opfer politischer Verfolgung, in  : Opferschicksale. Jahrbuch 2013 des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (Wien 2013) Bauer, Friedrich, Russische Umbrüche. Von Gorbatschow über Jelzin zu Putin (Wien 2008)

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Personenregister

Wenn nicht anders angegeben, handelt es sich bei den angeführten Personen um Öster­ reicher. Die Funktionsbezeichnungen orientieren sich in erster Linie an den Erwäh­ nungen in diesem Buch. Adenauer, Konrad, Bundeskanzler der BRD 305, 306, 312, 313, 324, 325, 334 Adler, Friedrich, Nationalratsabgeordneter 22, 274 Adler, Viktor, Staatssekretär für Äußeres 19, 22, 33 Adorno, Theodor W., deutscher Philosoph 361 Ahtisaari, Martti, finnischer Staatspräsident, Me­ diator 474 Aichinger, Ilse, Schriftstellerin 361 al Gaddafi, Muammar, libyscher Revolutionsführer, Staatsoberhaupt 414 – 416, 424, 592 Alexander, Douglas, britischer Europaminister 481 Allizé, Henri, französischer Diplomat 39 Allmayer-Beck, Johann Christoph, Offizier Deut­ sche Wehrmacht, Historiker 205, 206 Altenberg, Peter, Schriftsteller 189 Altmann, Karl, Energieminister 284, 285, 540 Ambrosi, Gustinus, Bildhauer 187 Amery, Leopold Stennett, britischer Unterstaatsse­ kretär für Kolonien 163 Amry, Herbert, Diplomat 423 Andrassy, Graf Gyula (d.J.), k.u.k. Minister des Äußern 16 Andreotti, Giulio, italienischer Ministerpräsident 440 Andropov, Juri, Generalsekretär des Zentralkomi­ tees der KPdSU 414 Androsch, Hannes, Finanzminister, Vizekanzler 380, 398, 399, 408, 409, 411, 413, 414, 416, 420, 428, 466 Arafat, Jassir, Palästinenserführer 397, 402, 406, 414, 424, 428 Austerlitz, Friedrich, Journalist 21, 62, 87 Avenol, Joseph A., Generalsekretär des Völkerbun­ des 167

Bacher, Gerd, Generalintendant des Österreichi­ schen Rundfunks (ORF) 354, 382 Bachinger, Franz, Innenminister 112 Bahr, Hermann, Schriftsteller 62 Balfour, Lord Arthur James, britischer Außenmi­ nister 39, 73 Barnier, Michel, französischer Außenminister 481 Bauer, Otto, Staatssekretär des Äußeren, National­ ratsabgeordneter 33, 38, 49, 53–55, 69, 74, 91, 103, 105, 117, 121, 249, 523, 559 Bauer, Wolfgang, Schriftsteller 361 Beck, Ludwig, Generaloberst Deutsche Wehrmacht 147 Beethoven, Ludwig van, Komponist 315, 405 Benatzky, Ralph, Komponist 188 Beneš, Edvard, tschechoslowakischer Außen­ minister, Ministerpräsident 51, 224, 287, 436 Benya, Anton, Präsident des Nationalrats 378, 379, 448 Bernardis, Robert, Oberstleutnant i. G. Deutsche Wehrmacht, Widerstandskämpfer 232, 233 Bernaschek, Richard, Schutzbundführer 120 Bernhard, Thomas, Schriftsteller 269, 361 Bethlen, Istvan, ungarischer Ministerpräsident 94 Bettauer, Hugo, Schriftsteller und Journalist 84 Bettelheim, Ernst, ungarischer kommunistischer Funktionär 41 Bevin, Ernest, britischer Außenminister 280, 282 Bidault, Georges, französischer Außenminister 282 Biedermann, Karl, Offizier Deutsche Wehrmacht, Widerstandskämpfer 122, 246 Bielka, Erich, Diplomat, Außenminister 392, 405 Bischoff, Norbert, Diplomat 308 Bismarck, Fürst Otto von, deutscher Reichskanz­ ler 76, 416

Personenregister

Bittmann, Ladislav, tschechoslowakischer Geheim­ dienstoffizier 395 Blagodatov, Alexej, sowjetischer General, Stadt­ kommandant von Wien 257 Blair, Tony, britischer Premierminister 455 Blecha, Karl, Innenminister 409, 496 Bock, Fritz, Handelsminister, Vizekanzler 347, 356, 362 Boeckl, Herbert, Maler 187 Böhm, Johann, Zweiter Nationalratspräsident 327 Böhm, Lotte, Entführungsopfer 547 Böhme, Franz, General Deutsche Wehrmacht 150, 204 Boschwitz, Rudolph E. (»Rudy«), US-Senator 481 Bosel, Sigmund, Bankier, Spekulant 72 Bowker, Sir James, britischer Diplomat 325 Brandt, Willy, Bundeskanzler der BRD 391, 397, 405 Brehm, Bruno, Schriftsteller 188 Breisky, Walter, Bundeskanzler 75, 531 Breitner, Hugo, Stadtrat von Wien 79 Brentano, Heinrich von, Bundesminister des Aus­ wärtigen der BRD 313 Brežnev, Leonid, sowjetischer Staats- und Partei­ chef 364, 380, 413, 414, 433, 547 Brockdorff-Rantzau, Ulrich von, deutscher Staats­ sekretär Auswärtiges Amt 49 Broda, Christian, Justizminister 339, 382, 383, 401 Bruckmüller, Ernst, Historiker 210 Brumowski, Godwin von, Jagdflieger 122 Brüning, Heinrich, deutscher Reichskanzler 101 Bühler, Charlotte, Jugendpsychologin 62, 188 Bühler, Karl, Philosoph 62, 188 Bulganin, Nikolai A., Generalsekretär der KPdSU, Staatspräsident 329 Bürckel, Josef, Gauleiter, Reichskommissar für die Wiedervereinigung 166, 169, 171, 176, 180, 181, 536 Buresch, Karl, Bundeskanzler 103, 105, 106, 533 Burger, Norbert, Nationalökonom, Südtirolakti­ vist 358 Burgstaller, Gabriele, Landeshauptfrau von Salz­ burg 486 Burian, Karl, Hauptmann Deutsche Wehrmacht. Widerstandskämpfer 230

617 Busek, Erhard, Wissenschaftsminister, Vizekanzler 400, 408, 448, 470, 595 Bush, George sen., US-Präsident 438 Caccia, Lord Harold, britischer Diplomat, Hoch­ kommissar 294 Cadogan, Sir Alexander, britischer Unterstaatsse­ kretär 222 Callaghan, Lord James, britischer Außenminis­ ter 398 Canaris, Wilhelm, Admiral Deutsche Wehrmacht, Chef der Abwehr 158, 231 Canaval, Gustav, Journalist 290 Carl, Erzherzog, Feldherr und Heeresorganisator 520, 522 Carter, James Earl (»Jimmy«), US-Präsident 403, 413, 547 Castiglioni, Camillo, Industrieller, Spekulant 34, 72 Castro, Fidel, kubanischer Regierungschef 414, 416 Ceauşescu, Nicolae, rumänischer Staatspräsident 435 Černenko, Konstantin, Zentralsekretär der KPdSU 414 Chamberlain, Sir Neville, britischer Premierminis­ ter 163 Charles, Prince of Wales, britischer Thronfolger 470 Cherrière, Paul, französischer General, stellv. Hoch­ kommissar 286 Chesterton, Gilbert Keith, britischer Schriftstel­ ler 11 Chigi, Pellegrino, italienischer Diplomat 156 Chilon von Sparta, (alt)griechischer Verfassungsre­ former 521 Chirac, Jacques, französischer Staatspräsident 467 Chruščev, Nikita, sowjetischer Ministerpräsident 323, 329, 334, 335, 337, 349, 543 Churchill, Sir Winston, britischer Premierminister 140,163, 222, 278, 416, 537, 538 Ciano, Conte Galeazzo, italienischer Außenminis­ ter 186, 199 Clark, Mark W., US-General, Hochkommissar 273 Clemenceau, Georges, französischer Ministerpräsi­ dent 21, 51, 52, 529 Clinton, William (“Bill”), US-Präsident 472 Clinton, Hillary, US-Senatorin 513

618 Clodius, Carl, deutscher Diplomat 150 Colerus von Geldern, Egmont, Schriftsteller 188 Conrad von Hötzendorf, Franz, Feldmarschall, k.u.k. Generalstabschef 83 Coudenhove-Kalergi, Richard, Historiker, Gründer der Paneuropa-Bewegung 213, 532 Csokor, Franz Theodor, Schriftsteller 62, 188 Curtius, Julius, deutscher Reichsaußenminister 101, 533 Czettel, Hans, Innenminister 355 D’Annunzio, Gabriele, italienischer Schriftsteller und Flieger 208 Daluege, Kurt, Chef der deutschen Ordnungspoli­ zei 160 Danneberg, Robert, Stadtrat von Wien 95 Dantine, Wilhelm, Theologe, Universitätsprofes­ sor 384 Darabos, Norbert, Verteidigungsminister 487, 493, 504 De Gasperi, Alcide, italienischer Ministerpräsi­ dent 280 Delors, Jacques, Präsident der Europäischen Kom­ mission 439 Denk, Wolfgang, Arzt 327 Deutsch, Julius, Staatssekretär für Heereswesen 35, 41, 82, 83, 121, 274 Dichand, Hans, Journalist, Medienunternehmer 489, 496 Dietrich, Otto, deutscher Reichspressechef 180 Dix, Otto, deutscher Maler, Grafiker 9, 527 Doderer, Heimito von, Schriftsteller 189 Dollfuß, Alwine, Ehefrau von Engelbert Dollfuß 134, 156 Dollfuß, Engelbert, Bundeskanzler 16, 90, 106, 107, 111–113, 115–119, 123, 127–136, 141, 146, 151, 154, 162, 169, 172, 229, 469, 522, 523, 533–535, 572 Dörfler, Gerhard, Landeshauptmann von Kärnten 502, 557 Douglas-Home, Sir Alec, britischer Außenminis­ ter 379, 396 Drimmel, Heinrich, Unterrichtsminister 337 Dubček, Alexander, tschechoslowakischer Parteiund Regierungschef 353, 364 Dulles, John Foster, US-Außenminister 309 Dutschke, Alfred (»Rudi«), deutscher Soziologe 359

Personenregister

Eden, Sir Anthony, britischer Außenminister 149, 162, 222, 223 Edlinger, Rudolf, Finanzminister 465 Eichmann, Adolf, Judenreferent der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) 181, 402 Eifler, Alexander, Stabschef des Republikanischen Schutzbunds 120, 121 Eigl, Adolf, Landeshauptmann von Oberösterreich 258 Eigruber, August, Gauleiter von Oberdonau 192, 239, 536 Eizenstat, Stuart, US-Diplomat, Sonderbeauftragter für Holocaustfragen 472 Elizabeth II., britische Königin 351 Ellison, Otto von, k.u.k. General 104 Ender, Otto, Landeshauptmann von Vorarlberg, Bundeskanzler 67, 99–102, 106, 533 Engels, Friedrich, deutscher Philosoph 433 Erdoğan, Recep Tayyip, türkischer Staatspräsident 511 Erhardt, John, Diplomat, Berater des US-Hoch­ kommissars 278, 283 Escherich, Georg, deutscher Forstrat, Freischarfüh­ rer 83 Eugen, Prinz von Savoyen, kaiserlicher Feldherr 273, 522 Eyskens, Mark, belgischer Premierminister 439 Eysler, Edmund, Komponist 187 Fasslabend, Werner, Verteidigungsminister 441, 443, 452 Faymann, Werner, Bundeskanzler 489, 496–501, 504, 505, 509, 511, 556–558 Fechner, Kurt, Offizier Deutsche Wehrmacht, stv. Leiter Abwehrstelle Wien 231 Felipe, Ingrid, Politikerin 516 Fellinger, Karl, Arzt, Universitätsprofessor 188 Ferrero-Waldner, Benita, Außenministerin 470, 471, 485 Fey, Emil, Heimwehrführer, Vizekanzler 99,107, 112, 118, 129, 130, 132, 135, 142, 156, 168 Figl, Leopold, Bundeskanzler, Außenminister 257, 270, 273, 275, 276, 279, 282, 283, 290, 294, 296, 297, 299, 301, 304, 308–310, 316, 317, 324, 330, 331, 333, 334, 373, 398, 404, 539–542 Filzmeier, Peter, Soziologe, Meinungsforscher 503

Personenregister

Firnberg, Hertha, Wissenschaftsministerin 381 Fischer, Ernst, Staatssekretär für Unterricht 250, 273, 283 Fischer, Heinz, Bundespräsident 401, 447, 485, 487, 497, 502, 504, 512, 555, 557 Fischer, Josef Martin (»Joschka«), deutscher Außen­ minister, Vizekanzler 457, 479 Fischler, Franz, Landwirtschaftskommissar der EU 466 Födermayr, Florian, Landwirtschaftsminister 97 Franckenstein, Sir George, Diplomat 148 François-Poncet, Jean, französischer Außenminis­ ter 412 Franek, Fritz, General Deutsche Wehrmacht 248 Frank, Hans, bayerischer Justizminister 113, 534 Frankl, Viktor, Arzt und Psychiater 214 Franz Ferdinand, Erzherzog, Thronfolger 198, 200, 442 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 19, 522 Frauenfeld, Alfred Eduard, illegaler Landesführer der NSDAP 115 Freihsler, Johann, General, Verteidigungsminister 375–377 Freud, Sigmund, Arzt, Psychoanalytiker 59, 62, 138, 188, 350 Frey, Max, Maler 27, 560 Fried, Alfred Hermann, Pazifist 60, 530 Fried, Erich, Dichter 359 Friedell, Egon, Philosoph, Schriftsteller 168 Friedjung, Heinrich, Historiker 506 Friedrich II., König von Preußen 273 Frischenschlager, Friedhelm, Verteidigungsminister 422, 423, 548 Frischmuth, Barbara, Schriftstellerin 361 Fritsch, Gerhard, Schriftsteller 11 Fronius, Hans, Maler und Graphiker 187 Fuchs, Robert, Maler 304 Funder, Friedrich, Journalist 117 Fürnberg, Siegfried (»Friedl«), Zentralsekretär der KPÖ 213, 286, 294 Fussenegger, Erwin, Generaltruppeninspektor 340, 359, 364 Fussenegger, Gertrud, Schriftstellerin 188 Gadolla, Josef, Offizier Deutsche Wehrmacht 234

619 Galloway, Sir Alexander, britischer General, Hoch­ kommissar 286 Gaulle, Charles de, französischer Staatspräsident 351, 352, 359, 416, 578 Genscher, Hans-Dietrich, deutscher Außenminis­ ter 441 Gerl, Josef Julius, Goldschmied 131 Giusti del Giardino, Vettor, italienischer Senator 10, 14, 16, 17, 33, 529 Glaise-Horstenau, Edmund, Staatsminister, Gene­ ral Deutsche Wehrmacht 144, 204 Glass, Fridolin, Unteroffizier, Anführer Juliputsch 1934 131 Glawischnig, Eva, Nationalratsabgeordnete 516 Gleißner, Heinrich, Landeshauptmann von Ober­ österreich 297 Globocnik, Odilo, Gauleiter von Wien, SS- und Polizeiführer in Polen 215, 216 Goebbels, Joseph, Propagandaminister 134, 143, 144, 179, 228, 233, 239, 278, 537 Goldmann, Nahum, Präsident des Jüdischen Welt­ kongresses 330 Gömbös, Gyula, ungarischer Ministerpräsident 145 Gombrich, Sir Ernst, Kunsthistoriker 138 Gorbačëv, Mikhail S., sowjetischer Staatspräsident 433, 439 Gorbach, Alfons, Bundeskanzler 332, 335–337, 339, 349, 373, 439, 543 Gordon, Donald, britischer Diplomat 412, 592 Göring, Hermann, Reichsmarschall, Oberbefehls­ haber der Luftwaffe 148, 151, 158, 159, 173, 174, 185 Götz, Alexander, Bürgermeister von Graz, Natio­ nalratsabgeordneter 410 Graf, Ferdinand, Verteidigungsminister 317, 318, 321 Grasser, Karl-Heinz, Finanzminister 469, 476, 487, 554 Gratz, Leopold, Außenminister 398, 408, 409, 420, 428 Grengg, Maria , Schriftstellerin 188 Grigg, Sir Percy James, britischer Kriegsminis­ ter 245 Griss, Irmgard, Präsidentin des Obersten Gerichts­ hofs 512 Gromyko, Andrej A., sowjetischer Außenminister 398, 412

620 Gruber, Karl, Außenminister 258, 265, 279–281, 301 Gschnitzer, Franz, Staatssekretär Außenministe­ rium 316 Gürtler, Alfred, Finanzminister, Nationalratspräsi­ dent 71 Gusenbauer, Alfred, Bundeskanzler 477, 486, 487, 493, 495, 496, 499, 556 Gusev, Fedor T., sowjetischer Diplomat, 429 Guterres, António, portugiesischer Ministerpräsi­ dent, Präsident Sozialistische Internationale 467, 468, 554 Gütersloh, Albert Paris, Maler, Dichter 188 Gyulay, Graf Ferenc Jozsef, k.k. Feldzeugmeis­ ter 419 Haas, Johann Otto, Eisendreher, Widerstands­ kämpfer 230 Habicht, Theo(dor), deutscher Diplomat, Landesin­ spekteur der NSDAP 113, 118, 534 Habsburg-Lothringen, Otto von, Kronprinz, Po­ litiker 146, 213, 337–339, 341, 348, 502, 522, 542–544, 557 Haffner, Sebastian, deutscher Historiker 195 Haider, Jörg, Landeshauptmann von Kärnten 10, 420, 427, 430, 444, 449, 452, 454, 458, 463–471, 475, 476, 480, 485, 496–498, 501, 502, 511, 549, 550, 554–556, 595 Hainisch, Michael, Bundespräsident 22, 93, 95, 530, 531 Handke, Peter, Schriftsteller 361 Hanisch, Ernst, Historiker 413, 580 Harrison, Sir Geoffrey, britischer Diplomat 223, 308 Hasquin, Hervé Historiker, Ministerpräsident Wal­ loniens 471 Häupl, Michael, Bürgermeister von Wien 455, 480, 503 Havel, Václáv, tschechoslowakischer Staatspräsident, Schriftsteller 435 Hecht, Robert, Jurist 128 Heer, Friedrich, Historiker, Schriftsteller 189, 218 Helbich, Leopold, Nationalratsabgeordneter 400 Helmer, Oskar, Innenminister 275, 293, 295, 321, 337, 422 Hemala, Franz, Vorsitzender des Bundesrates 128

Personenregister

Henderson, Sir Nevile, britischer Diplomat 170 Herz, Martin F., politischer Berater des US-Hoch­ kommissars 295 Heß, Rudolf, Stellvertreter Hitlers 144, 148 Hess, Viktor Franz, Physiker 188 Heydrich, Reinhard, Leiter des Reichssicherheits­ hauptamtes 160, 192 Himmler, Heinrich, Reichsführer-SS und Chef der Polizei 144, 160, 180, 181, 217 Hindenburg, Paul von, deutscher Reichspräsident 101, 111 Hirschfeld, Magnus, deutscher Sexualforscher 58 Hitler, Adolf, Führer und Reichskanzler 10, 75, 99, 111, 113, 118, 119, 123, 129–131, 134, 135, 137– 139, 143–151, 155, 157–160, 163, 167–172, 174, 176–180, 184, 187, 195–200, 204–207, 223, 224, 230–233, 241, 246, 251, 280, 313, 324, 334, 405, 468, 470, 471, 511, 522–524, 535, 536, 538 Hodža, Milan, tschechoslowakischer Ministerprä­ sident 146 Hò Chi Minh, Präsident der Demokratischen Re­ publik Vietnam 120, 360 Hofer, Franz, Gauleiter von Tirol-Vorarlberg 239 Hofer, Norbert, Dritter Nationalratspräsident 512–514, 558 Hofmannstahl, Hugo von, Schriftsteller 433 Holzmeister, Clemens, Architekt 188 Honner, Franz, Staatssekretär für Inneres 213, 250 Hoover, Herbert, US-Präsident 34 Horn, Gyula, ungarischer Außenminister 434, 438, 550 Horneck, Ottokar von, Reimchronist 210 Horthy, Miklós, Admiral, ungarischer Reichsverwe­ ser 17, 56, 100, 238, 322 Hoyos-Sprinzenstein, Rudolf, Präsident des Bun­ destags 117 Hull, Cordell, US-Außenminister 223 Hundstorfer, Rudolf, Sozialminister 512 Huntington, Samuel Phillips, US-Politologe 516 Hussein, König von Jordanien 414 Hussein, Saddam, Staatspräsident 550 Il’ičev, Ivan, sowjetischer Diplomat, Hochkommis­ sar 306 Ilg, Ulrich, Landeshauptmann von Vorarlberg 258 Imhof, Johannes, US-Politikberater 298

Personenregister

Innitzer, Theodor, Kardinal, Erzbischof von Wien 95, 171, 179, 180, 254 Irwin, Stafford Leroy, US-General 293 Jägerstätter, Franz, Landwirt, Wehrdienstverweige­ rer 217, 538 Jankowitsch, Peter, Außenminister 439 Jansa, Alfred, Generalstabschef 145, 150, 571 Jarring, Gunnar, schwedischer Diplomat, UNOSondergesandter 396 Jaruzelski, Wojciech, polnischer General, Staatsprä­ sident 415 Jaurès, Jean, französischer Sozialist, Schriftstel­ ler 376 Jelzin, Boris, russischer Staatspräsident 446, 449, 450 Johannes Paul II., Papst 420, 438, 523, 548, 549, 553 Johnson, Lyndon B., US-Präsident 350 Jonas, Franz, Bundespräsident 47, 347, 351, 378, 391, 392, 398, 544–546 Jospin, Lionel, französischer Premierminister 467, 474 Juncker, Jean-Claude, luxemburgischer Premiermi­ nister, EU- Ratspräsident 467, 473 Jungnickel, Heinrich, Maler 187 Jury, Hugo, Gauleiter von Niederdonau 239 Kabas, Hilmar, Nationalratsabgeordneter 469 Kádár, János, ungarischer Ministerpräsident 323 Kafka, Maria Restituta, Ordensschwester 230 Kálmán, Emmerich, Komponist 188 Kaltenbrunner, Ernst, SS-Obergruppenführer, Chef Reichssicherheitshauptamt 130, 233 Kamitz, Reinhard, Finanzminister 297, 298, 316 Kanzle, Rudolf, Freischarführer 83 Karl I., Kaiser von Österreich, König von Ungarn 16, 17, 19, 20, 22, 27, 36, 37, 71, 87, 432, 434, 502, 522, 523, 529–531, 555 Karner, Stefan, Historiker 502 Karwinsky, Carl, Staatssekretär für Sicherheitswe­ sen 132 Käs, Ferdinand, Oberfeldwebel Deutsche Wehr­ macht, Widerstandskämpfer 246 Kastelic, Jacob, Widerstandskämpfer 230 Kästner, Erich, Schriftsteller 273 Kauer, Robert, Mitglied des Reichsgerichts 171

621 Keitel, Wilhelm, Generalfeldmarschall, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht 149 Kelsen, Hans, Jurist 67 Kennedy, John F., US-Präsident 334, 335, 337, 543 Keppler, Wilhelm, deutscher Unternehmer, SSGruppenführer 150 Kern, Christian, Bundeskanzler 512, 514, 515, 558 Kernstock, Ottokar, Priester 117, 152 Keyes, Geoffrey, US-General, Hochkommissar 284, 286, 288 Keynes, John Maynard, britischer Ökonom 98 Khol, Andreas, Präsident des Nationalrats 447, 457, 463, 475, 505, 512 Kienböck, Viktor, Finanzminister, Vizepräsident der Nationalbank 75, 103, 150 Kienzl, Wilhelm, Komponist 61 Kippenberger, Hans (Pseud. A. Neuberg), deutscher Reichstagsabgeordneter 120 Kirchschläger, Rudolf, Bundespräsident 365, 375, 379, 390–392, 395, 396, 401, 419, 546, 548, 589 Kissinger, Henry, US-Außenminister 292, 398 Klaus, Josef, Bundeskanzler 332, 336, 338–341, 344–359, 361–363, 365–370, 373, 374, 381, 385, 395, 401, 404, 407, 412, 413, 421, 457, 485, 486, 497, 544 Klauser, Arthur, Wiener Polizeipräsident 283 Klestil, Thomas, Bundespräsident 364, 448–450, 457, 464–469, 471, 476, 485, 551, 553, 555 Klima, Viktor, Bundeskanzler 454–458, 464–468, 486, 553 Klug, Gerald, Verteidigungsminister 504 Knoll, August Maria, katholischer Sozialreformer 117 Koch, Ludwig, Maler 129 Kodré, Franz, Leiter der Strafanstalt Stein a. d. Do­ nau 241 Kodré, Heinrich, Oberst i.G. Deutsche Wehr­ macht, Generalstabschef Wehrkreiskommando XVII 232 Kogon, Eugen, deutscher Soziologe und Polito­ loge 117 Kohl, Helmut, deutscher Bundeskanzler 400, 479 Kokoschka, Oskar, Maler 188 Kolbenheyer, Erich Guido, Schriftsteller 188 Konev, Ivan, Marschall der Sowjetunion, Militär­ kommissar 268, 276

622 König, Franz, Kardinal, Erzbischof von Wien 383, 384, 542 Konopa, Rudolf, Porträt- und Genremaler 27, 560 Konrad, Christian, Raiffeisen-Generalanwalt, Flüchtlingskoordinator 508, 558 Koplenig, Johann, Staatsekretär für Inneres 257, 286 Koptelov, Michail E., sowjetischer Diplomat 276 Koren, Stephan, Finanzminister 356, 357, 400 Korinek, Karl, Präsident des Verfassungsgerichts­ hofs 466 Körner, Theodor, Bundespräsident 24, 82, 91, 120, 250, 297, 299, 305, 325, 327, 331, 355, 392, 538, 541, 542 Korngold, Erich Wolfgang, Komponist 188 Korošec, Anton, slowenischer Politiker, Reichsrats­ abgeordneter 16 Kostelka, Peter, Volksanwalt 455 Kotzina, Vinzenz, Bautenminister 362 Kövess von Kövesshaza, Hermann, k.u.k Feldmar­ schall 17 Kramer, Theodor, Schriftsteller 80 Kramář, Karel, tschechoslowakischer Ministerprä­ sident 51 Kraus, Herbert Alois, Nationalratsabgeordneter, Gründer des VdU 290 Kraus, Karl, Schriftsteller 60, 88, 134, 138, 257, 524 Kreisky, Bruno, Bundeskanzler 299, 308, 309, 316, 317, 324, 330, 331, 333, 337, 338, 346, 354–359, 365–368, 370–393, 395–416, 419, 420, 422, 424– 428, 430, 439, 448, 450, 451, 457, 487, 493, 502, 542, 544–548 Krejci, Herbert, Generalsekretär Österreichische Industriellenvereinigung 448 Krones, Hilde, Nationalratsabgeordnete 282 Krylov, Sergej B., stellv. russischer Außenminis­ ter 450 Kuh, Anton, Schriftsteller 189 Kun, Béla, Volksbeauftragter ungarische Räteregie­ rung 38, 47, 53 Kunschak, Leopold, Nationalratsabgeordneter, Vi­ zebürgermeister von Wien 84, 85, 97, 538 Kuprian, Gustav, Tiroler Schutzbundführer 112 Kuranov, N.N., sowjetischer Oberstleutnant 296 Kurasov, Vladimir V., sowjetischer General, Hoch­ kommissar 277, 288 Kurz, Sebastian, Außenminister 509, 514, 515

Personenregister

Lacina, Ferdinand, Verkehrsminister, Finanzminis­ ter 422 Laffan, H.R.P., britischer Beamter 222 Lahousen, Erwin, Generalmajor Deutsche Wehr­ macht, Widerstandskämpfer 231 Lammasch, Heinrich, k.k. Ministerpräsident 19, 20, 54, 60, 529 Laskey, Sir Denis, britischer Diplomat 387–389, 393, 399, 401 Lavrov, Sergej, russischer Außenminister 481 Le Rider, Jacques, französischer Historiker und Di­ plomat 471 Ledeli, Moritz, Maler 27 Leder, Erwin, Arzt Deutsche Wehrmacht 234 Lederer, Jakob, Widerstandskämpfer 230, 538 Lefèvre-Pontalis, Pierre Antonin, französischer Di­ plomat 58 Lehár, Franz, Komponist 187 Lennkh, Georg, Diplomat 424 Leo XIII., Papst 116 Leone, Giovanni, italienischer Staatspräsident 422 Leopold, Josef, Führer der Wiener NSDAP 146, 147 Leopoldi, Hermann, Komponist 188 Lernet-Holenia, Alexander, Schriftsteller 189 Lhotsky, Alphons, Historiker 117 Liebknecht, Karl, deutscher Reichstagsabgeordne­ ter 97 Liszt, Franz, Komponist 206 Litvinov, Maksim, sowjetischer Volkskommissar, Diplomat 167, 223, 224 Lloyd George, Earl David, britischer Premierminis­ ter 37, 49–51, 73 Loewenfeld-Russ, Hans, Staatssekretär für Volkser­ nährung 33 Loewi, Otto, deutsch-österreichischer Pharmako­ loge 188 Löhr, Alexander, Generaloberst Deutsche Wehr­ macht 190, 204, 255, 426 Löns, Josef, deutscher Diplomat 340, 348, 355 Lorenz, Konrad, Verhaltensforscher, Nobelpreisträ­ ger 140, 546 Lothar, Ernst, Schriftsteller 361 Lugger, Alois, Innsbrucker Bürgermeister 391, 392 Lütgendorf, Karl, General, Verteidigungsminister 377, 378, 409, 547, 548 Luxemburg, Rosa, deutsche Kommunistin 97

Personenregister

Lyskom, David, britischer Diplomat 401 MacDonald, Ramsay, britischer Premierminister 102, 162 Machold, Reinhard, provisorischer Landeshaupt­ mann der Steiermark 257, 275 Mack, William Henry Bradshaw, britischer Diplo­ mat 162–164, 279 Macmillan, Harold, britischer Premierminister 309, 412 Mahler, Anna, Bildhauerin 156 Maier, Heinrich, Pfarrer 230 Maimann, Helene, Historikerin 373 Maleta, Alfred, Nationalratspräsident 356 Mann, Thomas, deutscher Schriftsteller 433 Marcuse, Herbert, deutsch-amerikanischer Philo­ soph und Politologe 361 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Köni­ gin von Ungarn und Böhmen 273 Mark, Hermann, Chemiker 188 Marshall, George C., US-Außenminister 282, 284 Masaryk, Tomáš Garrigue, tschechoslowakischer Präsident 50, 51, 100 Matzner, Egon, Sozialökonom 470 Mauthe, Jörg, Journalist und Schriftsteller 524 Mayr, Michael, Staatssekretär, Bundeskanzler 68, 70, 71, 530 Mazowiecki, Tadeusz, polnischer Ministerpräsi­ dent 435 McCreery, Richard L., britischer General, Hoch­ kommissar 265, 268 Meir, Golda, israelische Ministerpräsidentin 390, 391 Meißner, N.N., Oberstleutnant der NS-Schutzpo­ lizei 160 Meissner-Blau, Freda, Nationalratsabgeordnete 425 Mell, Max, Schriftsteller 80 Memelauer, Michael, Bischof von St. Pölten 191 Merkel, Angela, deutsche Bundeskanzlerin 507, 511 Merkulov, Vsevolod, sowjetischer General, Volks­ kommissar 263 Mesić, Stjepan (»Stipe«), kroatischer Staatspräsi­ dent 471 Messner, Franz Josef, Geschäftsmann, Widerstands­ kämpfer 230

623 Messner, Johannes, Priester und Nationalökonom 117 Miklas, Wilhelm, Bundespräsident 24, 93, 98, 99, 106, 111, 128–130, 132, 133, 149, 159, 160, 168, 466, 532, 533, 536 Mikl-Leitner, Johanna, Innenministerin 509 Mikojan, Anastas I., stellv. sowjetischer Minister­ präsident, Staatsoberhaupt UdSSR 325 Mitterand, François, französischer Staatspräsident 352 Mitterer, Otto, Handelsminister 356 Mitterlehner, Reinhold, Wirtschaftsminister, Vize­ kanzler 506, 514–516, 557 Mock, Alois, Außenminister, Vizekanzler 369, 400, 403, 407, 410, 412, 416, 427, 428, 430, 434, 435, 438, 439, 441, 445, 446, 448–450, 550 Modrow, Hans, Ministerpräsident der DDR 435 Mohler, Armin, Schweizer Publizist 433 Molden, Fritz, Widerstandskämpfer, Verleger 233, 401 Molotov, Vjačeslav M., sowjetischer Außenminister 224, 282, 306, 308–310, 412, 542 Molterer, Andreas (»Anderl«), Skirennläufer 327 Molterer, Wilhelm, Finanzminister, Vizekanzler 486, 495, 496, 499, 515 Montgomery Cuninghame, Sir Thomas, britischer Militärdiplomat 33 Morgenthau, Hans, US-Politikwissenschaftler 298 Moro, Aldo, italienischer Ministerpräsident 547 Moscovici, Pierre, EU- Wirtschafts- und Wäh­ rungskommissar 474 Moser, Hans, Schauspieler 187 Mossig, Johann Ritter von, k.u.k. Generalmajor 23 Muhri, Franz, Politiker 341 Muliar, Fritz, Schauspieler 478 Müller, Heinrich, SS-Standartenführer 160 Müller-Graaf, Carl Hermann, deutscher Diplomat 300, 312, 313, 333 Müllner, Viktor, stellv. Landeshauptmann von Nie­ derösterreich 362 Münichreiter, Karl, Gruppenführer Republikani­ scher Schutzbund 136 Münkler, Herfried, deutscher Politikwissenschaft­ ler 393 Murad I., Sultan Osmanisches Reich 442 Musil, Robert, Schriftsteller 524

624 Muskie, Edmund S., US-Außenminister 412 Mussolini, Benito, italienischer Ministerpräsident, Duce 96, 108, 115, 116, 119, 127, 131, 134, 136, 137, 141, 142, 145, 155, 156, 160, 392, 535, 538 Nagy, Ferenc, ungarischer Ministerpräsident 321 Nagy, Imre, ungarischer Ministerpräsident 323, 436 Nećak, Dušan, slowenischer Historiker 471 Neisser, Heinrich, Föderalismusminister, Zweiter Nationalratspräsident 448, 588 Németh, Miklós, ungarischer Ministerpräsident 434 Nenning, Günther, Journalist 419 Neurath, Konstantin von, deutscher Reichsaußen­ minister 146, 148 Neustädter-Stürmer, Odo, Innen- und Sicherheits­ minister 168 Niessl, Hans, Landeshauptmann von Burgenland 509 Nittel, Heinz, Stadtrat von Wien 424, 548 Nixon, Richard M., US-Präsident 323 Nürnberger, Rudolf, Nationalratsabgeordneter, Ge­ werkschafter 466 Oberhammer, Otto, Generalintendant des ORF 399 Obilić, Miloš, serbischer Adeliger 442 Olah, Franz, Zweiter Nationalratspräsident, Innen­ minister 295, 337–340, 345, 355, 419, 544 Öllinger, Johann, Landwirtschaftsminister 374 Oppenheimer, Sir Francis, britischer Diplomat 53 Orlando, Vittorio Emanuele, italienischer Minister­ präsident 39 Ostermayer, Josef, Kunst- und Kulturminister 502, 557 Pabst, Waldemar, Stabschef der Heimwehr 97, 99 Pacelli, Eugenio, Kardinal-Staatssekretär (Pius XII.) 171 Pahlevi, Reza, Schah von Persien 360 Pahr, Willibald, Außenminister 392, 405, 406 Palacky, František, tschechischer Historiker, Her­ renhausmitglied 9 Palme, Olof, schwedischer Ministerpräsident 397 Papen, Franz von, deutscher Reichskanzler 143, 147, 148 Paul VI., Papst 420 Pauser, Sergius, Maler 304

Personenregister

Pavlov, Valentin S., sowjetischer Ministerpräsident 440 Pawlikowski, Ferdinand, Fürstbischof von Seckau 180 Peinsipp, Walther, Diplomat 321 Perkonig, Josef Friedrich, Dichter 210 Peter, Friedrich, Nationalratsabgeordneter 370, 374, 399–402, 419 Petöfi, Sándor, ungarischer Lyriker 321 Petzold, Alfred, Arbeiterdichter, Schriftsteller 80 Pflügl, Emmerich, Diplomat 141, 167 Pfrimer, Walter, Leiter des Steirischen Heimat­ schutzes 92, 104, 533 Phipps, Sir Eric, britischer Diplomat 123 Piesch, Hans, Landeshauptmann von Kärnten 257 Piffl-Perčević, Theodor, Unterrichtsminister 366 Pilcher, Sir John Arthur, britischer Diplomat 341 Pinay, Antoine, französischer Außenminister 309 Pisa, Karl, Journalist, Staatssekretär für Information 356, 366 Pittermann, Bruno, Vizekanzler 325, 327, 328, 339–341, 345, 351, 354, 355, 370 Pius VI., Papst 420 Pius XI., Papst 116 Planetta, Otto, österreichischer Nationalsozialist, Putschist 133, 135 Plassnik, Ursula, Außenministerin 499 Platter, Günther, Verteidigungsminister 480 Plöchl, Willibald, Jurist 213 Ploetz, Alfred, deutscher Arzt 140 Podgorny, Nikolaj V., sowjetischer Staatspräsident 349 Pohl, Oswald, SS-Obergruppenführer 193 Pompidou, Georges, französischer Staatspräsident 352 Popov, Valeri N., russischer Diplomat 445 Popper, Sir Karl, österreichisch-britischer Philosoph 62, 138 Portisch, Hugo, Journalist 340, 357, 448 Postranecky, Helene, Unterstaatssekretärin für Volksernährung 250 Prader, Georg, Verteidigungsminister 350, 364–366 Presley, Elvis, US-Rocksänger 326 Preuß, Hugo, Jurist 67 Princip, Gavrilo, bosnisch-serbischer Student, At­ tentäter 200

Personenregister

Prinzhorn, Thomas, Industrieller, Zweiter National­ ratspräsident 469 Probst, Otto, Dritter Nationalratspräsident 340, 401 Prodi, Romano, Präsident der Europäischen Kom­ mission 470, 471 Proksch, Udo, Industrieller und Designer 409, 548, 550, 551 Pröll, Erwin, Landeshauptmann von Niederöster­ reich 506, 512 Pröll, Josef, Finanzminister, Vizekanzler 499, 500, 557 Puaux, Gabriel, französischer Diplomat 155 Raab, Julius, Bundeskanzler 97, 270, 290, 297, 299–301, 304–308, 310, 312, 314–317, 321, 324, 326–332, 334, 337, 339, 349, 389, 404, 450, 541–543, 565 Radetzky von Radetz, Graf Josef Wenzel, k.u.k. Feldmarschall 84, 273, 419 Rainer, Friedrich, Gauleiter von Kärnten 239 Ramek, Rudolf, Bundeskanzler 108, 531, 532 Rámirez Sánchez, Ilich (»Carlos«), Terrorist 402 Reagan, Ronald W., US-Präsident 415, 416, 433 Reder, Walter, SS-Sturmbannführer 422, 423, 548 Redl, Alfred, k.u.k. Oberst i. G., Leiter Evidenz­ büro 134 Rehor, Grete, Sozialministerin 348 Rehrl, Franz, Landeshauptmann von Salzburg 287 Reichenau, Walter von, Generalfeldmarschall Deut­ sche Wehrmacht 149 Reimann, Viktor, Journalist, Widerstandskämp­ fer 290 Rendulic, Lothar, Generaloberst Deutsche Wehr­ macht 245 Renner, Karl, Bundespräsident 19, 22, 23, 27, 32, 36–38, 40, 44, 48, 49, 51, 52, 55, 56, 61, 67–69, 74, 80, 91, 93, 99, 101, 103, 105, 108, 171, 237, 248– 254, 257, 262–265, 268–271, 275, 279, 280, 296, 373, 392, 523, 530, 538, 539, 541, 560, 580 Reschny, Hermann, SA-Führer 133 Ribbentrop, Joachim von, deutscher Reichsaußen­ minister 148, 170, 186, 199 Richter, Elise, Romanistin 188 Riegler, Josef, Landwirtschaftsminister, Vizekanz­ ler 446 Riess-Passer, Susanne, Bundesministerin für

625 öffentliche Leistung und Sport, Vizekanzlerin 469, 476, 554 Rieth, Kurt, deutscher Diplomat 132, 134, 143 Rilke, Rainer Maria, Dichter 62 Rintelen, Anton, Landeshauptmann der Steiermark 91, 94, 97, 104, 132, 135 Ritter, Gerhard, deutscher Historiker 273 Rohan, Albert, Diplomat 446 Rohracher, Andreas, Fürsterzbischof von Salzburg 210, 290 Roosevelt, Franklin D., US-Präsident 182, 537, 538 Roosevelt, Theodore Jr., US-Präsident 140 Rösch, Otto, Verteidigungsminister 335, 368, 375, 388 Rosenwirth, Alois, Sicherheitsdirektor der Steier­ mark 275 Rost van Tonningen, Meinoud, Völkerbundkont­ rollor 107 Roth, Joseph, Schriftsteller, Journalist 63, 169, 189 Rothschild, Alphonse de, Bankier 180, 181 Rumbold, Sir Anthony, britischer Diplomat 354 Rusk, Dean, US-Außenminister 368 Ryžkov, Nikolaj, sowjetischer Regierungschef 439 Sailer, Anton ( Toni), Skirennläufer 327 Salcher, Herbert, Finanzminister 413, 420 Sallinger, Rudolf, Präsident Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Nationalratsabgeord­ neter 356 Salten, Felix, Schriftsteller 138, 189 Salvatore, Gaston, chilenisch-deutscher Schriftstel­ ler und Dramatiker 359 Sampaio, Jorge, portugiesischer Staatspräsident 470 Saragat, Giuseppe, italienischer Staatspräsident 358 Schacht, Hjalmar, Präsident der deutschen Reichs­ bank Schärf, Adolf, Vizekanzler, Bundespräsident 187, 275, 282, 283, 308–310, 314, 324, 325, 327, 328, 331, 332, 339, 392, 398, 428, 538, 542–544 Scharf, Erwin, Zentralsekretär der KPÖ 282 Schaumayer, Maria, Präsidentin der Österreichi­ schen Nationalbank, Regierungsbeauftragte 472, 554 Scheibner, Herbert, Verteidigungsminister 469 Scheidemann, Philipp, deutscher Reichsminister­ präsident 22

626 Schelsky, Helmut, deutscher Rechtssoziologe 400 Schemel, Adolf, Chef der provisorischen Landesre­ gierung von Salzburg 258 Schilhawsky, Sigismund, Generaltruppeninspek­ tor 159 Schirach, Baldur von, Gauleiter und Reichsstatthal­ ter von Wien 225, 537 Schleinzer, Karl, Verteidigungsminister 335, 378, 398, 400, 546 Schmid, Anton, Feldwebel Deutsche Wehrmacht 234 Schmidt, Guido, Staatssekretär des Äußeren 144, 145, 148–150, 540 Schmidt, Heide, stellv. Nationalratsabgeordnete 454 Schmidt, Helmut, deutscher Verteidigungsminister, Bundeskanzler der BRD 377, 402, 405 Schmitz, Richard, Bürgermeister von Wien 144 Schmitz, Wolfgang, Finanzminister 356 Schnitzler, Arthur, Schriftsteller 62 Schober, Johann, Wiener Polizeipräsidenten, Bun­ deskanzler, Außenminister 41, 71, 88, 93–102, 105, 530–533 Scholz, Karl Roman, Augustiner Chorherr, Wider­ standskämpfer 230, 538 Scholz, Kurt, Präsidenten des Wiener Stadtschul­ rats 462 Schönberg, Arnold, Komponist 188 Schönburg-Hartenstein, Aloys, k.u.k. General­ oberst 112 Schöner, Josef, Diplomat 300 Schröder, Gerhard, deutscher Bundeskanzler 455, 457, 467, 479 Schrödinger, Erwin, Atomphysiker 188 Schumpeter, Joseph, Nationalökonom, Staatssekre­ tär der Finanzen 34, 38, 62, 98 Schumy, Vinzenz, Landeshauptmann von Kärnten, Vizekanzler 97 Schuschnigg, Kurt, Justizminister, Bundeskanzler 110, 117, 134–138, 141–152, 155–159, 162, 168– 171, 181, 213, 229, 253, 324, 340, 397, 535, 536 Schüssel, Wolfgang, Außenminister, Bundeskanzler 452, 454, 456–459, 462, 464–469, 471, 473, 476, 477, 480, 485, 486, 488, 503, 552–555, 595 Schwarzenberg, Karel, tschechischer Außenminis­ ter 512

Personenregister

Seefehlner, Egon, Generaldirektor der Bundesbah­ nen 108 Segré, Roberto, italienischer General 39, 41 Seipel, Ignaz, Prälat, Bundeskanzler 10, 49, 71–75, 84–86, 88, 91, 93, 99, 102, 103, 105, 107, 531, 532 Seitz, Karl, Präsident der Konstituierenden Nati­ onalversammlung, Bürgermeister von Wien 46, 52, 87, 91, 249 Šejna, Jan, tschechoslowakischer General 323, 394, 395, 586, 591 Selby, Sir Walford, britischer Diplomat 162 Seyß-Inquart, Arthur, Innen- und Sicherheitsmi­ nister, Bundeskanzler 146, 147, 149–151, 156, 157, 159, 160, 169, 182, 253, 535, 536 Shaw, George Bernard, irischer Schriftsteller 140 Sieghart, Rudolph, Gouverneur der Bodencredit­ anstalt 102 Sima, Hans, Landeshauptmann von Kärnten 385 Simon, Sir John, britischer Finanzminister 173 Sinowatz, Fred, Unterrichtsminister, Bundeskanzler 416, 418–421, 423–428, 548, 549 Sipötz, Hans, Landeshauptmann des Burgenlands 436 Skubl, Michael, Staatssekretär Innenministerium 150 Slavik, Felix, Bürgermeister von Wien 408 Smirnov, Andrej A., sowjetischer Diplomat, stellv. Außenminister 276 Solf, Wilhelm, deutscher Staatssekretär des Aus­ wärtigen 32 Soronics, Franz, Innenminister 365 Spann, Othmar, Philosoph, Nationalökonom 107, 116, 188 Spannocchi, Emil, General, Armeekommandant 377, 393 Sperrle, Hugo, Generalfeldmarschall Deutsche Wehrmacht 149 Spindelegger, Michael, Außenminister, Vizekanzler 504–506, 557 Srbik, Heinrich, Historiker 95, 140 St. Clair Gainer, Sir Donald, britischer Diplomat 123 Stachel, Peter, Historiker 524 Stalin, Josef, Generalissimus, sowjetischer Diktator 199, 207, 213, 222, 227, 230, 249, 288, 292, 299, 538, 540, 580 Starhemberg, Ernst Rüdiger, Heimwehrführer,

Personenregister

Innenminister, Vizekanzler 98, 99, 104, 105, 117, 118, 129, 130, 134, 135, 142–144, 533, 535 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von, Oberst i.G. Deutsche Wehrmacht, Widerstandskämpfer 232 Steger, Norbert, Handelsminister, Vizekanzler 416, 419, 420, 423, 425, 427, 548 Steidle, Richard, Heimwehrführer 83, 92, 95, 96, 98, 105 Steiner, Ludwig, Staatssekretär 448 Steinhäusl, Otto, Leiter Kriminalpolizei in Wien, SS Standartenführer 134, 569 Stern, Josef Luitpold, Schriftsteller 80 Sternberg, Adalbert (Graf ), Reichsratsabgeordne­ ter 38 Steyrer, Kurt, Gesundheitsminister 425, 549 Stimson, Henry L., US-Kriegsminister 214 Strache, Heinz-Christian, Nationalratsabgeordne­ ter 487, 498 Strafella, Georg, Generaldirektor Österreichische Bundesbahnen 97, 99, 106 Straffner, Josef (»Sepp«), Dritter Nationalratspräsi­ dent 108, 111, 112 Straus, Oskar, Komponist 188 Strauß, Richard, Komponist 187 Streeruwitz, Ernst, Bundeskanzler 93, 94, 532 Streeruwitz, Marlene, Schriftstellerin 524 Streicher, Rudolf, Verkehrsminister 448 Strolz, Matthias, Nationalratsabgeordneter 503 Stronach, Frank, Industrieller, Nationalratsabgeord­ neter 503, 505 Stürgkh, Karl Graf, kaiserlich-österreichischer ­Ministerpräsident 22 Sucharipa, Ernst, Direktor der Diplomatischen Akademie, Sonderbotschafter 472 Suttner, Bertha von, Schriftstellerin, Pazifistin 444 Suvich, Fulvio, italienischer Unterstaatssekretär 119, 123, 127 Sviridov, Vadim P., sowjetischer Generalleutnant, Hochkommissar 289, 296 Szabados, Sándor, ungarischer Volkskommissar für Unterricht 40 Szokoll, Carl, Major Deutsche Wehrmacht 232, 233, 246, 538 Taaffe, Eduard, kaiserlich-österreichischer Minister­ präsident 506

627 Tambroni, Fernando, italienischer Innenminis­ ter 316 Tandler, Julius, Arzt, Stadtrat von Wien 59, 140 Tardieu, André, französischer Ministerpräsident 105, 562 Taus, Josef, Nationalratsabgeordneter 400, 403, 404, 409, 410 Taviani, Paolo Emilio, italienischer Innenminister 317, 318 Tavs, Leo, Funktionär der NSDAP 147 Thatcher, Margret, britische Premierministerin 400, 416, 439 Thirring, Hans, Physiker 188 Thomas, Adrienne (Hertha Strauch), Schriftstelle­ rin 188 Thöny, Wilhelm, Maler 188 Tito, Josip Broz (Pseud. Tito), jugoslawischer Parti­ sanenführer, Marschall, Staatspräsident 211, 288, 292, 353, 385, 388, 394, 441 Tončić-Sorinj, Lujo, Außenminister 309, 350, 356, 358, 359 Torberg, Friedrich, Schriftsteller 189, 361 Trapp, Georg, k.u.k. Marineoffizier 188 Trevors Morgan, Hugh, britischer Diplomat 403, 405 Trump, Donald J., US-Präsident 513 Tuchačevskij, Michail N., Marschall der Sowjet­ union 120 Turrini, Peter, Schriftsteller 361 U Thant, Sithu, UNO-Generalsekretär 369 Uiberreither, Siegfried, Gauleiter der Steiermark 239 Ullmann, Viktor, Komponist 188 Van der Bellen, Alexander, Bundespräsident 354, 457, 463, 477, 487, 512–514, 553, 558 Vansittart, Robert, britischer Regierungsberater, Di­ plomat 222 Vaugoin, Carl, Verteidigungsminister, Bundeskanz­ ler 82, 97–99, 104, 117, 533 Veigl, Hans, Schriftsteller 327 Viehböck, Franz 551 Vodopivec, Alexander, Journalist 413 Vogelsang, Karl von, Politiker, Sozialreformer 116 Vranitzky, Franz, Finanzminister, Bundeskanzler 420, 423, 426–428, 430, 434, 435, 439, 441, 444,

628 446, 448–456, 464, 472, 490, 498, 509, 512, 527, 549, 550, 552, 553 Wächter, Otto Gustav, Jurist, SS- Gruppenfüh­ rer 131 Waggerl, Karl Heinrich, Schriftsteller 80 Wagner-Jauregg, Julius, Psychiater, Nobelpreisträ­ ger 59, 140 Waibel, Max, Schweizer Oberstdivisionär, Waffen­ chef der Infanterie 308 Waldheim, Kurt, Außenminister, UN-Generalse­ kretär, Bundespräsident 356, 359, 365, 366, 368, 369, 374, 378, 379, 393, 396, 397, 405, 406, 425– 430, 436, 445, 447, 448, 450, 451, 463, 468, 470, 471, 511, 512, 545, 547, 549–551, 589 Waldner, Viktor, Vorsitzender der Provisorischen Nationalversammlung 18 Wallinger, Sir Geoffrey, britischer Diplomat, Hoch­ kommissar 309, 312 Wallisch, Koloman, steirischer Schutzbundführer 94, 122 Wallner, Josef, Nationalratsabgeordneter 356 Weber, Viktor von, k.u.k. General, Leiter der Waf­ fenstillstandskommission 16, 17 Webster, Charles, britischer Historiker 48 Weigel, Hans, Schriftsteller 189 Weikhart, Eduard, Staatssekretär für Handel und Wiederaufbau 337 Weiler, Max, Maler 187 Weinheber, Josef, Dichter 188 Wellesz, Egon, Komponist 188 Werfel, Franz, Schriftsteller 62, 138, 189 Weydenhammer, Rudolf, Bankier, Stabsleiter der NSDAP 131 Wibmer-Pedit, Fanny, Schriftstellerin 188 Wiesenthal, Simon, Leiter des jüdischen Dokumen­ tationszentrums 215, 401, 402

Personenregister

Wildgans, Anton, Schriftsteller 80, 273 Wilhelm II., deutscher Kaiser 22, 37 Wilkinson, Alexander C., britischer Militärkom­ mandant der Steiermark 374 Wilson, Harold, britischer Premierminister 397 Wilson, Thomas Woodrow, US-Präsident 15, 21, 34, 49, 51, 529 Wingelbauer, Hubert, Generaltruppeninspektor 377 Winkler, Franz, Innenminister 112, 118 Winterton, Sir John, britischer General, Hochkom­ missar 290 Withalm, Hermann, Vizekanzler 345, 351, 356, 378 Wittgenstein, Ludwig, Philosoph 62, 188 Young, George Malcolm, britischer Historiker, Di­ plomat 71 Younis, Bahij, palästinensischer Aktivist, Attentä­ ter 424 Ždanov, Andrej A., Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU 286, 287 Zehner, Wilhelm, General, Staatssekretär für Lan­ desverteidigung 168 Želtov, Aleksej, Generaloberst, stellv. sowjetischer Hochkommissar 279 Zernatto, Guido, Schriftsteller, Minister ohne Portefeuille 155 Zilk, Helmut, Bürgermeister von Wien 428, 448 Zimmermann, Alfred Rudolph, Generalkommissar des Völkerbundes 74, 75, 107, 531 Zinnemann, Fred, Filmregisseur 414 Zuckmayer, Carl, Schriftsteller 188 Žukov, Georgi K., Marschall der Sowjetunion 10, 323 Zweig, Stefan, Schriftsteller 37, 62, 188

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MANFRIED RAUCHENSTEINER

DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE 1914–1918

Die Geschichte von der Entfesselung des Ersten Weltkriegs, von der Rolle Kaiser Franz Josephs, vom Verhalten der Nationalitäten der Habsburgermonarchie bis zum Zerfall eines 630-jährigen Reiches liest sich wie ein spannender Roman. Es geht um Politik und Krieg, das Bündnis mit Deutschland, Krieg als Ausnahmezustand und als Normalität. Das Buch, von einem der führenden Historiker Österreichs, ist eine mitteleuropäische Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs. Dieser Titel liegt auch für eReader, iPad und Kindle vor. 2013. 1222 S. 32 S/W-ABB. UND 2 KARTEN. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78283-4 [BUCH] | ISBN 978-3-205-79259-8 [EBOOK]

„Ein epochales Werk.“ Der Spiegel Geschichte

„Rauchensteiner gibt einen vorzüglichen Überblick über all das, was man […] über Kaiser Franz Joseph und den Untergang der Donaumonarchie immer schon wissen wollte.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

MANFRIED RAUCHENSTEINER, JOSEF BROUKAL

DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE 1914–1918 IN ALLER KÜRZE

Das Standardwerk des renommierten Historikers Manfried Rauchensteiner zum Ersten Weltkrieg liegt nach gemeinsamer Überarbeitung mit dem Journalisten Josef Broukal jetzt auch in komprimierter Form vor: für den raschen Überblick, verständlich geschrieben und spannend zu lesen. Mit Kartenmaterial und Chronik. Eine Strafexpedition gegen den Nachbarn Serbien sollte es sein, ein Weltkrieg mit 20 Millionen Toten wurde es. Am Ende ist die Habsburgermonarchie Geschichte. Zwischen dem Attentat von Sarajevo und dem Waffenstillstand liegen die Entfesselung des Ersten Weltkriegs, die Kriegserklärungen Italiens 1915 und der USA 1917, die letzten Lebensjahre Kaiser Franz Josephs, Kaiser Karls Versuche, einen Weg aus dem Krieg zu finden, der Zerfall ÖsterreichUngarns, Hunger und Elend – und in Folge veränderte nationale Grenzen. Josef Broukal und Manfried Rauchensteiner haben das große Geschehen in einem handlichen Band zusammengefasst. Informativ, prägnant und spannend. 2015. 276 S. 24 S/W-ABB UND 6 KT. BR. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-205-79697-8

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ROBERT KRIECHBAUMER, WOLFGANG MUELLER, ERWIN A. SCHMIDL (HG.)

POLITIK UND MILITÄR IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT ÖSTERREICHISCHE UND EUROPÄISCHE ASPEKTE FESTSCHRIFT FÜR MANFRIED RAUCHENSTEINER (SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH- HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED- HASLAUERBIBLIOTHEK, BAND 58)

Erzherzog Carl von Österreich und Theodor Körner – der Umschlag dieses Bandes trägt die Porträts zweier Österreicher, die Militär und Politik sowie deren Zusammenspiel in der Geschichte dieses Landes im 19. und 20. Jahrhundert symbolisieren. Der Generalgouverneur der österreichischen Niederlande, Heeresreformer und Sieger von Aspern einerseits und der Generalstabschef der k. u. k. 1. Isonzo-Armee im Ersten Weltkrieg, Abteilungsleiter im Staatsamt für Heereswesen der Republik, Bürgermeister von Wien und Bundespräsident andererseits repräsentieren damit beispielhaft die Themen dieses Buches, das Manfried Rauchensteiner anlässlich seines 75. Geburtstages von seinen Kollegen, Mitarbeitern und ehemaligen Studenten gewidmet ist. 2017. 523 S. 21 S/W- UND 8 FARB. ABB. GB. MIT SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-20417-6

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HERBERT DACHS, MICHAEL DIPPELREITER, FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)

RADIKALE PHRASE, WAHLBÜNDNISSE UND KONTINUITÄTEN LANDTAGSWAHLKÄMPFE IN ÖSTERREICHS BUNDESLÄNDERN 1919 BIS 1932 (SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED-HASLAUERBIBLIOTHEK, BAND 57)

Wahlen und den davor liegenden Phasen des kritischen Wettbewerbs kommen in Demokratien eine zentrale Bedeutung zu. In diesen kontroversen Politikphasen werden virulente Problem- und Konfliktfelder sowie dominante Politikstile einer Gesellschaft sichtbar. Dieser Sammelband analysiert anhand von neun vergleichend angelegten Einzelstudien und einer resümierenden Gesamtbetrachtung die massiven sachlichen und ideologischen Kontroversen und die höchst unterschiedlichen Politikstile der österreichischen Bundesländer in den Jahren 1919 bis 1932. 2017. 607 S. 48 S/W- UND 16 FARB. ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-20498-5

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Das Experiment | Die verhinderte Revolution | Saint-Germain: das Ende der Illusionen | Das Ende der Gemeinsamkeit | Die Aufmarschsaison | Bürgerkriegsszenarien | Das Trauma | Ständestaat ohne Stände | Das Scheitern | Die NS-Revolution | Der Abnützungskrieg | Zurück in die Zukunft | Schutt und Asche | Der Walzer der Freiheit | Gestrenge Herren | Ein strahlender Frühlingstag | Zwischen den Blöcken | Der neue Stil der Sachlichkeit | Die Gegenerzählung | Der »Sündenfall« | Die Implosion im Osten | Unter Beobachtung | Der Rückfall | »Es reicht« | Das Experiment | Die verhinderte Revolution | Saint-Germain: das Ende der Illusionen | Das Ende der Gemeinsamkeit | Die Aufmarschsaison | Bürgerkriegsszenarien | Das Trauma | Ständestaat ohne Stände | Das Scheitern | Die NS-Revolution | Der Abnützungskrieg | Zurück in die Zukunft | Schutt und Asche | Der Walzer der Freiheit | Gestrenge Herren | Ein strahlender Frühlingstag | Zwischen den Blöcken | Der neue Stil der Sachlichkeit | Die Gegenerzählung | Der »Sündenfall« | Die Implosion im Osten | Unter Beobachtung | Der Rückfall | »Es reicht« | Das Experiment | Die verhinderte Revolution | Saint-Germain: das Ende der Illusionen | Das Ende der Gemeinsamkeit |

Jedes Mal, wenn sich in Österreich nach 1918 etwas ereignete, stand das Land unter Beobachtung: als Deutschösterreich, als Erste Republik, als Ständestaat, als Alpen- und Donaugaue des Großdeutschen Reichs, als Zweite Republik – bis in die Gegenwart. Es wurde und wird geschaut, gehört und meist nicht geschwiegen. So als ob Österreich noch immer jene Versuchsstation für  Welt­ untergänge wäre, als die sie Karl Kraus beschrieben hat. Ein spannender und abwechslungsreicher Überblick über die österreichische Geschichte der letzten 100 Jahre. Manfried Rauchensteiner ist Historiker, Universitätsprofessor und Autor zahl­reicher Bücher, darunter das Standardwerk Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918. Er lebt und arbeitet in Wien.

I SBN 3- 205- 20500- 6

ISBN 978 -3-205 -20500 -5  |  W W W.B OEHL AU -V ERL AG.COM