Unsinn und Sinn des “Christlichen Staates” [Reprint 2019 ed.] 9783111575308, 9783111203218


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German Pages 48 [52] Year 1932

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Table of contents :
Meinen Hörern in fünfzig Semestern und den Mitgliedern des Seminars für Geschichte der christlichen Religion an der Universität Frankfurt am Main gewidmet
Einleitung
1. Was nicht und was wirklich heißt in Luthers Sinn „Christlich"
2. Luthers Lehre vom christlichen Untertan und von christlicher Obrigkeit
3. Luthers Lehre und die heutige Lage
Nachwort
Inhalt
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Unsinn und Sinn des “Christlichen Staates” [Reprint 2019 ed.]
 9783111575308, 9783111203218

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Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen — 47. Folge -----

—>

Unsinn und Sinn des

„Christlichen Staates" von

Erich Foerster Pfarrer und Professor in Frankfurt a. IH.

19 3 2

Verlag von HIfreö Cöpelmann in Gießen

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Druck von h. Laupp jr in Tübingen

Meinen Hörern in fünfzig Semestern und den Mitgliedern des Seminars für Geschichte -er christlichen Religion an der UniverfitSt Zrankfnrt am Main gewidmet. flm 15. Januar 1907 reichte ich der damaligen Akademie für Handels- und

Sozialwissenschaften zu Frankfurt a. IN. ein Gesuch um Erteilung der venia

legendi für das Zach „Geschichte der christlichen Religion und Kirche" ein. Als Habilitationsschrift übergab ich meine zweibändige „Entstehung der preußischen Landeskirche", 1905 und 1907, deren erster Land mir den theologischen Doktor-

titel gebracht hatte. Am 12. Juni beschloß das damals dafür zuständige Do-

zentenkollegium der Akademie einstimmig, die vorgelegte Schrift anzunehmen. Am 24. Juni hielt ich meine Probevorlesung über das Thema „Nachwirkungen

der Offenbarung Johannis in der politischen und sozialen Litteratur der Gegen­ wart" (ungedruckt). Das Kolloquium wurde mir erlassen. Am 18. Oktober wurde

mir die venia legendi auf dem Gebiete der Geschichte der christlichen Religion und Kirche erteilt. Am 26. Oktober fand die Antrittsvorlesung statt über „ Die Beurteilung wirtschaftlicher Dinge bei den Kirchenvätern" (ungedruckt). Am 5. November 1907 begann ich meine Lehrtätigkeit mit einer Dorlesung „Die Anfänge der christlichen Religion".

Mit dem Sommersemester 1932 vollende ich also mein 50. Semester Lehr­ tätigkeit an der Zrankfurter Hochschule, die inzwischen zur Universität erhoben

ist, — leider ohne theologische Zakultät. 1911 war zu der erteilten venia ein fester Lehrauftrag dazugekommen. Am 15. Oktober 1915 wurde ich zum ordent­

lichen Honorarprofessor in der philosophischen Zakultät ernannt. Während der ganzen Zeit habe ich, Gott sei Dank! nur ein einziges Semester meinen Unter­

richt krankheitshalber aussetzen müssen.

Das Seminar ist freilich noch nicht so alt. Es ist hervorgegangen aus einer Arbeitsgemeinschaft — meist Lehrer und Lehrerinnen an Zrankfurter Schu­ len —, die ich schon vor meiner Habilitation in meinem Hause versammelt hatte und die ich dann in die Universität verlegte. $üt eine aus freiwilligen Gaben

zusammengebrachte „kirchengeschichüiche Bibliothek" gewährte mir die Aka­ demie, die damals noch nicht unter Raumnot litt, fteundlich eine Stätte. Im

4 Juni 1911 wurde das „kirchengeschichtliche Seminar" auf den Etat der Akademie übernommen und eine einmalige Summe von 2000 111., sowie ein fester jähr­

licher Betrag zur Vermehrung der Bibliochek eingesetzt. Nach mancherlei Be­

denken, die sich aus der Zrage ergaben, ob nach preußischem Universitätsrecht ein Seminar für Kirchengeschichte innerhalb einer philosophischen Zakultät zu­

lässig sei, genehmigte der damalige Minister für geistliche usw. Angelegenheiten

am 26. November 1915 „anstelle der bisherigen kirchengeschichtlichen Biblio­

thek die Errichtung eines Seminars für Religionsphilosophie und Religionsge­ schichte an der Universität Frankfurt" und übertrug mir die Leitung, — nicht

ohne daß ich sofort erklärte, daß ich mich zur Vertretung der Religionsphilo­ sophie für unzuständig hielte und meine Lehrtätigkeit über das Zach der Ge­

schichte der christlichen Religion nicht ausdehnen könnte. Tatsächlich war und blieb das Seminar ein solches für diese. Vas Seminar ist viermal in der

Universität umgezogen, bis es seine jetzige behagliche Heimat in Verbindung

mit dem historischen Seminar erhielt. Meinen Hörern während 50 Semestern und den ehemaligen Mitgliedern des Seminars zu diesem Zeitpunkte einen herzlichen Gruß zu senden, ist mir auf­

richtiges Bedürfnis. Die meisten wirken als hauptamtliche oder nebenamtliche

Religionslehrer, nur wenige im Pfarramt. Möchte das richtige Verständnis des Protestantismus, um das wir uns so oft mit heißen Köpfen bemüht haben,

und dem auch diese kleine Bekenntnisschrist dient, sich dauernd als eine trei­ bende und läuternde Kraft im Leben unserer Kirche und unseres Volkes be­

währen !

D. Erich §oerster.

Diejenigen unter Ihnen, die den Gang meiner wissenschaftlichen Arbeit etwas kennen und wissen, wie stark ich mich verpflichtet fühle, unsrer prote­ stantischen Theologie und Kirche das Vermächtnis eines großen Lehrers der vorigen Generation zu erhalten, werden sich nicht wundern, daß ich auch meine heutigen Ausführungen an ein Wort dieses Mannes, Rudolph 5 o h m s, anknüpfe. (Er schreibt einmal (Wesen und Ursprung des Katholizismus, S. 25, Anm. 17): „Ebenso gut wie von einem christlichen Körperschastsbegrifs könnte man von dem christlichen Begriff eines Schießgewehrs sprechen. Aber wir sind durch den Katholizismus so sehr an die Vermengung des Ehristlichen mit dem Rechtlichen gewöhnt, daß der innere S e l b st w i d e r s p r u ch, der in dem Begriff eines christlichen Staates und christlichen Rechtes liegt, gar nicht mehr empfunden zu werden pflegt." Dieser Ausspruch Sohms liegt auf derselben Linie wie der K. Holls: „Einen christlichen Staat kennt Luther so wenig wie ein christliches Schuster­ handwerk" (Ges. Aufsätze I, 2 u. 3, 1923, S. 347), oder: „Eine christliche welt­ liche Ordnung ist und bleibt für Luther ein Widerspruch in sich selbst." (Ebenda 5. 266.) Gewiß will holl Luthers Meinung damit nicht nur richtig wieder­ geben, vielmehr ist er überzeugt, diese Meinung sei wahr, d. h. von der Vor­ aussetzung des evangelischen Glaubens aus unabweisbar. Besteht doch die eigentümliche Größe von Holls Lutheraufsätzen gerade darin, daß in chnen mit den lautersten und reinsten Mitteln historischer Kunst doch nicht nur histori­ siert, sondern theologisch verkündigt wird. So ergibt sich an diesem Punkt zwischen den beiden Forschern der vorigen Generation, die ich, ohne Widerspruch zu fürchten, als die genialsten Inter­ preten des reformatorischen, protestantischen Ehristentums bezeichne, eine völ­ lige Übereinstimmung. Beide sind davon durchdrungen, daß das Beiwort ch r i st l i ch mit dem Hauptwort Staat nicht sinnhaft in Verbindung ge­ bracht werden kann und daß es absurd ist, aus diesem Subjekt und diesem Bei­ wort einen Begriff zu bilden. Diese These nehme ich zum Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung. Die These scheint nämlich sofort, wenn wir in Luthers Schriften einkehren, wieder zu zerbrechen. Denn der Begriff „Lhristliche weltliche Gbrigkeit" findet sich bei Luther keineswegs selten. Er unterscheidet z. L. „Lhristliche weltliche Gbrigkeit" von „türkischer weltlicher Gbrigkeit". Er spricht vom „christlichen Fürsten" und zwar nicht etwa von einem Fürsten, der daneben zufällig auch persönlich Lhrist wäre, sondern von einer bestimmten Zürstenart. (Er spricht auch, wie Ihnen allen bekannt ist, vom „christlichen Regiment" und vom „christlichen Adel deut-

6 scher Nation", und meint damit nicht etwa, wie noch Dtetos angenommen hatte, einen Adel, dessen einzelne Glieder Gläubige wären, worin er sich dann gründlich getäuscht hätte, sondern einen Adel von eigener Art und bestimmtem Verhalten. Danach sieht es so aus, als ob sich Luther selbst gerade zu jener Ab­ surdität verstiegen hätte, die 5 o h m und holl geißeln wollen. (Es scheint, als ob der moderne Kirchenrechtslehrer, Walter 5 ch ö n s e I d , übrigens einer, der nicht, wie die meisten Anhänger der herrschenden Kirchenrechtsschule, über 5 o h m zur Tagesordnung übergegangen ist, sondern sich für seine Größe dankbare Bewunderung bewahrt hat, recht behielte, wenn er jenen Satz Sohms und, fügen wir nun hinzu, Holls, „eine geradezu ungeheuer­ liche Behauptung" (D. Literaturztg. 1931, heft 45, S. 2149) nennt. Es ist ganz unbestreitbar, daß sich bei Luther der Begriff vom christlichen Staat findet, denn daß zwischen dem Ausdruck „weltliche Obrigkeit" oder „weltliche Gewalt" und Staat kein anderer Unterschied waltet, als zwischen mittelalterlichem und modernem Sprachgebrauch, dürfte außer Zrage stehen. Und nur das wäre dazu noch zu bemerken, daß der alte Ausdruck Obrigkeit sehr viel plastischer und drastischer wiedergibt, was der Kern der Sache ist, als das blasse Wort Staat. Aber wir werden doch nicht etwa meinen, Lutherkenner vom Range Sohms und Holls hätten das nicht auch gewußt! Die Zrage, die ich stelle, ist ge­ rade die, wie sich jene scharf zugespitzten Thesen mit dem Sprachgebrauch Lu­ thers vereinigen lassen.

1.

Zu diesem Zweck müssen wir dem Gebrauch des Beiwortes Ehristlich bei Luther schon genauer nachgehen, denn dieser Gebrauch bietet, wie Sie gleich sehen werden, allerschwerste Probleme. Zunächst: In wessen wund hat denn dieses Beiwort überhaupt einen Sinn? — Offenbar nur im Munde des Ehristen, des selbst Gläubigen. Er will wissen, ob ein anderer Ehrist ist, d. h. ob er ihm die Gesinnung schuldet, die der Ehrist dem Ehristen schuldet, die Bruder­ liebe, die mehr ist als Nächstenliebe, weil sie zugleich ein Gefühl der Ehrfurcht, der Dankbarkeit, des Gehorsams und vertrauens in sich schließt. Er stellt damit zu einem andern Subjekt eine Beziehung fest, die so nicht zu allen anderen natur- und geschichtsmäßig gegebenen Menschen in seiner räumlichen und zeit­ lichen Nähe besteht, eine besondere Verantwortung und Verpflichtung. Wer sollte denn sonst noch ein Interesse daran haben, ob ein Anderer ein Ehrist ist, außer dem Gläubigen? Man könnte höchstens an den Antichristen denken, der mit diesem Beiwort den Seind kennzeichnet, dem sein Vernichtungskamps gilt! Aber der Ehrist ist auch der Einzige, der dieses Urteil, daß ein Anderer Ehrist ist, fällen kann. Dem Nichtchristen fehlt das Auge und der Maßstab, das Ehristsein eines Anderen zu erkennen, denn „einen Ehristen erkenne ich nicht dabei, daß er sonst oder so siehet und gebärdet, wandelt und lebet, sondern daß er getauft ist (d. h. aber hier nicht: Im Akte der wassertaufe getauft,"was sich ja sehr wohl feststellen und beurkunden läßt, sondern von Gott berufen und er­ leuchtet), und Gottes Wort hat, dadurch ist er Gottes Kind, Bürger im Him­ melreich und Erbe des ewigen Lebens. Das sehe ich ihm nicht an der Nase an,

noch an der Stirn geschrieben, noch mit leiblichen Augen, sondern mit geistlichem Gesicht des Herzens. Dieses geistliche Sehen, welches allein der Christ hat, geschieht aus dem Glauben des Herzens, darnach wir, so wir Christen sind, auck uns untereinander ansehen und kennen müssen" (D). fl. 45, S. 491). Vieser einfache Tatbestand, daß die Anheftung des Beiwortes Christlich an ein anderes Subjekt immer ein Glaubensurteil ist, und daß über das Recht dazu immer nur unter Gläubigen verhandelt werden kann (weil man über Karben nicht mit Blinden reden kann), wird nun leicht verdunkelt durch die Beobachtung, datz sich ja doch auch der Dritte, der unbeteiligte Zuschauer,;. B. der Jurist, der Statistiker, der Geograph oder gar der Inder oder Chinese das Urteil über ein Subjekt erlauben, es sei christlich. Cs mutz aber erkannt wer­ den, datz damit etwas völlig anderes gemeint ist, als wenn Luther z. B. Adam (W. A. 24, 5. 99) oder Abraham oder den König Nebukadnezar oder den Syrer Hoeman (0). A. 24, S. 271, 364) oder wen sonst noch einen Christen nennt. Venn in diesem Kalle handelt es sich um eine innere Haltung Gott und seinem Wort oder Christus gegenüber, in jenem um die Keststellung gewisser äutzerer Kennzeichen und Merkmale. Wenn der deutsche Gesetzgeber in den Kirchen­ steuergesetzen bestimmte Menschen als christlich (römisch-katholisch, evangelisch) in Anspruch nimmt, so spricht er damit gerade kein Urteil über ihr pneuma aus, sondern stellt nur fest, datz diese Menschen auf Grund ihrer Abstammung, ihres Verhallens oder Richtverhaltens, nämlich weil sie sich selbst als Mitglieder einer bestehenden Religionsgesellschaft angegeben haben oder nicht aus ihr ausge­ treten sind, den Organen des Staates als Christen zu gelten haben und dem­ entsprechend zu behandeln sind, wenn ein Asiate von christlichen Europäern spricht, so meint er damit, datz sich diese Leute durch chre Sitten und Gebräuche, vielleicht gar von seinem Standpunkt durch ihre Gottlosigkeit von den Sitten und Bräuchen der Buddhisten oder Konfuzianer unterscheiden. Uber das Christen­ tum der Leute im Sinne Luthers wird dadurch nicht das Geringste ausgesagt. Anders ausgedrückt: Der Christ int Rechtssinn ist etwas total Anderes als der Christ im Glaubenssinn, was am deutlichsten wird, wenn Sie sich vergegen­ wärtigen, datz jedenfalls Abraham, Haemann und Hebukadnezar, die Luther ausdrücklich echte und wahre Christen nennt, niemals und in keiner Weise als Christen im Rechtssinn gelten können. Vie beiden Begriffe haben tatsächlich nichts miteinander zu tun. Vas Wort Christlich wird hier beide Male mit einem völlig anderen Inhalt gefüllt. Cs ist auch nicht etwa so, datz die Christen im Rechtssinn den weiteren Kreis und die Christen im Glaubenssinn den engeren Kreis bildeten und jener die Voraussetzung für diesen böte, vielmehr liegen die beiden Kreise — der Christen im Glaubenssinn, der Christen nach Gesinnung und Haltung, und der Christen im Rechtssinn — völlig selbständig nebenein­ ander, nur können sie sich schneiden, d. h. es kann jemand im Glaubenssinn Christ sein, der es im Rechtssinn nicht ist; es kann aber auch einer Christ im Rechtssinn und im Glaubenssinn zugleich sein — die Möglichkeit, die für uns Anwesende hoffentlich Wirklichkeit ist. vielleicht wundern Sie sich, datz ich bei der Klarstellung dieses Tatbestandes

8 so lange verweile, dessen Anerkennung zu den elementarsten Grundsätzen des Protestantismus gehört. Möchte es so sein! Aber es ist leider nicht so, sondern seit Zähren wird gerade gegen diesen Grundsatz der Unsichtbarkeit des Christen­ tums für den verstand, das Recht, den Beweis, die Demonstration, — dagegen, daß die Christlichkeit eines Subjekts nur für den Glauben erkennbar werde, von einem der einflußreichsten Theologen der Zeit, dem Schriftleiter eines vielge­ lesenen führenden Blattes, von Karl Ludwig Schmidt, ein Kampf ge­ führt, der den evangelischen Christentumsbegriff in seinen wurzeln bedroht. Schmidt behauptet: „Vie christliche Gemeinde ist genau so sichtbar, genau so konkret wie der christliche Mensch." (Die Kirche des Urchristentums, Festgabe für A. veißmann, 1927, 5. 315.) (Er hält das also für ganz zweifellos, daß der christliche Mensch sichtbar sei. Ich entgegne: Za natürlich, nämlich genau so wenig. Gder hat Schmidt schon jemals einen christlichen Menschen „ge­ sehen", kann er ihn andern sichtbar machen, also demonstrieren? Und an wel­ chen Merkmalen und Umrandungen, ohne die es doch keine Sichtbarkeit gibt? Auch das Dasein eines einzigen Christen in der Welt kann nur geglaubt werden, ist ein Werturteil, das durch das pneuma dieses betreffenden Menschen her­ vorgerufen wird, deshalb auch niemand aufgezwungen werden kann. Auf Auftrag, Überlieferung, Abstammung, Taufe, Weihe, Anerkennung durch Dritte, Übereinstimmung mit einem Gesetz kommt es dabei nicht an. Nach Schmidts Satz müßte der Streit zwischen Katholiken und Protestanten über Luthers Christlichkeit ein Streit zweier Sehvermögen und Brillenstärken (ein; es ist aber doch wohl ein Streit zweier Glauben, nämlich des Glaubens an das pneuma wider den Glauben an Tradition und Autorität. wenn es nun so ist, daß die prädizierung eines Subjekts als christlich unmiß­ verständlich immer ein Glaubensurteil ist, so ist es überraschend zu sehen, daß Lucher dieses Beiwort überhaupt aus Kollektiven anwenüet. Denn da es eine Gesinnung und Haltung, eben die des radikalen Gehorsams gegen das Wort Gottes, gegen das erste und einzige Gebot, bezeichnen soll, kann es dann irgend­ einem Subjett als einer Person und zwar einer einzelnen Person zugeordnet werden? Cs scheint, als ob es nur e i n passendes Subjekt dazu gäbe, den Men­ schen, um damit diesen kontteten bestimmten einzelnen Menschen als einen solchen zu bezeichnen, an dem der Glaubende durch das Zeugnis des Wortes und seine Beköstigung mit dem echten, nicht bloß in der Feier dargestellten Sattament, d. h. mit der Tat des barmherzigen Samariters und des barm­ herzigen Hohenpriesters, inne wird, daß jener aus dem Glauben redet und handelt und zum Volke Gottes gehört. Christlich ist der Mensch, dessen pneuma mich dazu zwingt — zwingt, denn ich könnte mich nur schuldhaft dessen wei­ gern —, ihn als einen Christen anzuerkennen und ihm nun die Gesinnung und Haltung zu erzeigen, die dem Bruder gebührt. Da aber der Glaube immer nur ganz und gar Sache des Einzelnen ist, und ein Zeder für seinen Glauben steht und fällt, so trifft dies Urteil auch immer nur die einzelne Person; ihre Zuge­ hörigkeit zu irgendeinem Kollettioum ist dafür belanglos. Zch kann es natürlich über mehrere zugleich aussprechen, kann von den Erzvätern, den Aposteln und den lieben heiligen, einem Haufen oder einer Sammlung Menschen, sagen, sie

feien christlich, mit einer etwas lässigeren Redeweise, mit der gemeint wir-, jeder von ihnen sei ein Christ. Ich kann so auch von christlichen Gatten und christlichen Eltern reden, aber immer nur so, daß mir beide jenen Eindruck, im Glauben zu stehen und das pneuma empfangen zu haben, gegeben haben. Ver Glaube bleibt immer unabhängig von der sozialen Eingliederung des gläubigen Individuums in ein Kollektivum. Run aber greift Luthers Sprachgebrauch ganz unbefangen weit darüber hin­ aus. Er redet vom christlichen Ehestand, christlichen Hausstand, christlicher Schule, christlicher Grts-, wir würden sagen bürgerlicher Gemeinde, christlicher Bürgerschaft, christlichem Konzil,- er unterscheidet christlichen und unchrist­ lichen Raufhandel und spricht vom christlichen Kaufmann und Kriegsmann. Und in diesen Zusammenhang gehört nun auch die schon erwähnte Wortbil­ dung: Christliche weltliche Gbrigkeit, christlicher Adel, christlicher Zürst, christ­ liches Regiment in Stadt und Land. Es dürfte ohne weiteres deutlich sein, daß das Beiwort christlich hier nicht ein Urteil über die Gesinnung und Haltung einer Person oder mehrerer zusammengefaßter Personen ausdrückt, sondern— etwas anderes, was denn? Ich suche die Antwort, indem ich eine dieser Wortbildungen scharf ins Auge fasse, die wichtigste, was meint Luther damit, wenn er irgendeinen Haufen Menschen in Stadt und Land oder in einem Haus, zusammengeballt durch letzt­ lich natürliche verbindungskräste, Geschlechtstrieb, Blutsverwandtschaft, Sprachgleichheit, Nachbarschaft, Untertänigkeit, Umfatztheit unter einerlei Herrschaft und Reich usw., oder auch nur willkürlich und auf Zeit zusammenge­ ballt durch das Zusammenkommen und Sichzusammenfügen einzelner Indivi­ duen, — wenn er diesen Haufen oder Sammlung als ch r i st l i ch anspricht oder als Kirche oder als Teil der C h r i st e n h e i t, denn das ist alles dasselbe. Gan; sicher ist auch dies ein Urteil, ja ein Wagnis des Glaubens, worauf gründet es sich? woher nimmt der Gläubige den IHut zu dieser un­ geheuren Aussage? Und vielleicht gehört noch mehr Mut und Entschlußkraft dazu, ein anderes Mal über einen Hausen Menschen das gegenteilige Urteil auszusprechen: Daß er nicht Kirche, daß er Teufelskirche, Afterkirche, Synagoge des Satans ist. Und der allerkühnste Mut dazu, dies vernichtende Verdam­ mungsurteil über ein Kollektivum auszusprechen, das sich selbst als Kirche fühlt und rühmt, und ihm seine Unchristlichkeit zu bescheinigen, die Maske der Christlichkeit vom Gesicht zu reißen. „Ich glaube und bin gewiß, daß auch unter dem Papsttum eine christliche Kirche geblieben ist. Aber dagegen weiß ich, daß der große Haufe darunter, so das Ansehen haben vor allem, die sind es nicht... Ja, den Namen christliche Kirche gönnen wir Euch wohl. Aber laßt uns danach sehen, ob Ihr auch seiet und tuet, was Ihr von Euch rühmt. Denn so heißen oder genennet sein und so sein, ist zweierlei." (w. A. 46, S. 7.) „Also auch d i e Bischöfe, Pfaff' und Mönche, die sind kein heilig christlich Volk, denn sie glauben nicht an Christus, leben auch nicht heilig, sondern sind des Teufels böses schändliches Volk." (w. A. 50, S. 625.) Mit völliger Bestimmtheit ist zunächst zu sagen, daß es auf irgendwelchen

10 geschichtlichen Zusammenhang dieses Kollektivums mit der Erscheinung Jesu Christi aus Erden dabei nicht ankommt, also nicht auf den Hervorgang dieses Kollektivums aus einem fixierbaren geschichtlichen Ereignis, nicht auf histo­ rische Kontinuität, Tradition, Sukzession. Der Beweis dafür liegt darin, daß es nach Luther Kirche, Volk Gottes, Ehristenheit, Gemeinde der Gläubigen auf Erden gibt seit Anbeginn der Welt, unter Juden und auch unter Heiden. $ür viele Stellen aus Luthers Schriften, deren einige Krick in seinem schönen Aufsatz „über die Krisis der Religion"T) wiedergibt, führe ich nur noch seine Anwendung von 1. Korinth. 10 an, in der Schrift „von weltlicher Gbrigkeit". Paulus spricht (von den heiligen von Anfang der Welt, Adam und seinen Nachkommen): „Sie haben dieselbe Speise gegessen und Trank getrunken von dem Kels, der Christus ist, wie wir, das ist, sie haben ebendenselben Geist und Glauben an Christus gehabt wie wir, und sind ebensowohl Chri­ sten gewesen als wir. Darum, woran sie Recht getan haben, daran tun alle Christen Recht, von Anfang der Welt bis ans Ende. Denn Zeit und äußerlicher Wandel scheidet nichts unter den Christen." (w. A. 11, S. 255.) Und: „ Dies ist ein nötiger Trost für die Christen, daß sie nicht zweifeln, daß die christliche Kirche bleibe mitten unter allen Ungläubigen, Türken, Heiden, Juden, Ketzern und Rotten, auch mitten unter dem leidigen Teufel und seinen Engeln." (w. A. 45, 5. 615.) Das heißt nun aber unzweideutig: Die Christlichkeit eines Haufens Menschen oder sein Charakter als Kirche ist unabhängig von seiner Anerkennung seitens einer verfaßten Kirche, Kirche im Rechts- oder Körper» schaftssinn. Gott hat sein Volk aus Erden gehabt, ehe Jesus kam, unter Juden und Heiden,- er hat es auch da, wo Jesus durch die List der Menschen wieder so gut wie unbekannt geworden ist, unter dem Papsttum. Die Zugehörigkeit zu der verfaßten Kirche, die sich die einzige rühmt, wie überhaupt zu einer verfaßten Kirche ist für die Christlichkeit eines Haufens belanglos. Auch außer­ halb jeder Kirche, wir sagen vielleicht am deutlichsten: Ghne die Vermittlung einer jeden devotio publica kann sich Gott sein Volk erwecken und erhalten. Niemals ist durch die Zugehörigkeit zu einer verfaßten Kirche die leiseste Ge­ währ für die Gliedschast an der wahren christlichen Kirche gegeben; freilich kann jene diese auch nicht verhindern, wenn Gott es will. Indem ich dies als die unzweideutige Meinung Luthers Hinstelle, trete ich in Widerspruch nicht nur wieder mit Karl Ludwig Schmidt, sondern, was mir schwerer fällt, zu der heute in der protestantischen Kirchenrechtslehre herr­ schenden Schule, und, was mir noch mehr leid tut, auch zu Mund!e. Schmidt behauptet ja die Sichtbarkeit und Demonstrierbarkeit des christlichen Men­ schen nur deshalb, um von dieser Position aus Luthers Satz von der Un­ sichtbarkeit der Kirche für den verstand, den Beweis, das Recht, derselben Kirche, die sich freilich dem Glaubenden als herrlichste und mächtigste Wirklichkeit erkennbar zu machen weiß, umzustoßen. Schmidts Schrift hat bekannt­ lich den Aufsatz h o I l s: „Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhält­ nis zur Urgemeinde" zur Voraussetzung. Damit ist gesagt, daß Schmidt

1) Drei Marburger Vorträge, Gießen 1931, 5. 71 f.

Holls Auffassung, soweit ich sehen kann, ohne Vorbehalt beipflichtet, aber nicht gesagt, ob und wieweit holl Schmidts Sätzen zustimmen würde. Ein Unter­ schied liegt auf der Hand. Holls Anliegen war, neben den Kirchenbegriff des Paulus einen anderen, wie er sagt, den der Urgemeinde zu stellen, — ich würde sagen, eines Teils der Urgemeinde, der Jakobuspartei; aber seine Sym­ pathie gehört unverkennbar dem Kampf des Paulus gegen die Primatan­ sprüche der Urgemeinde und der Erneuerung seines Kirchenbegriffs durch Luther. Allerdings urteilt auch er, daß im Kirchenbegriff des Paulus doch drei bestimmte Grundsätze der Urgemeinde erhalten geblieben seien, und „daß die Reste des urchristlichen Kirchenbegriffs sich stärker erwiesen haben als das von ihm geschaffene", bis Luther kam. (Ges. Aufs. II, 1928, S. 65.) Besonders an dem von Paulus festgehaltenen Gedanken der Autorität der Urapostel und der Überlieferung hat sich der Katholizismus gebildet. Schmidt dagegen sagt: „Auf das Ganze, das Wesentliche, das Entscheidende gesehen, haben die juden­ christlichen und die heidenchristlichen Urgemeinden,. haben Petrus und Pau­ lus dieselbe Kirchenauffassung gehabt,- die aufgezeigten Verschiedenheiten können nicht.die dennoch vorhandene Einheit aufheben." (Die Kirche des Urchristentums, 5. 310.) Paulus hat ebenso wie die Urgemeinde diese und diese allein als die ecclesia Gottes anerkannt, von der sich niemand lösen kann, ohne den Anteil an der Verheißung zu verlieren. Schmidt stellt sich ausdrücklich gegen die im Protestantismus als A und 0 betrachtete Lehre der Trennung der ecclesia visibilis und invisibilis (S. 316) — ein Ausdruck, der deutlich verrät, daß ihm der Kern des lutherischen Kirchengedankens fremd, und daß holl seine großartigen Luther aufsätze für ihn um­ sonst geschrieben hat. (Ges. Aufs. I, besonders 5.296—299.) Denn sonst müßte er wissen, daß Luther niemals zwei Kirchen unterschieden hat, eine visibilis und eine invisibilis, sondern von der einzigen Kirche, die es gibt, gesagt hat, daß sie zwar invisibilis dem Auge, verstand, Beweis, aber sehr visibilis dem Glauben ist. Schmidt läßt keinen Zweifel, daß chm diese Lehre des Prote­ stantismus als Abfall vom urchristlichen Kirchenbegriff überhaupt gilt, nicht bloß vom Kirchenbegriff der Urgemeinde, weil dadurch die Gleichsetzung der empirischen oder einer bestimmten Kirche mit der ecclesia Gottes bestritten wird. Die Differenz zwischen Paulus und den Judenchristen in Jerusalem schrumpft chm dahin zusammen, daß Paulus nur gegen „theokratische Wuche­ rungen" und gegen eine „Überbetonung der Personen der Urapostel und der heiligen Stadt" (S. 309) protestiert hat, wobei ganz undeutlich bleibt, wo die Grenze zwischen Überbetonung und legitimer Betonung läuft. Aber um so stärker behauptet er, Holls Urteil vergröbernd: „Paulus hat die jerusalemische Urgemeinde mit ihren Ansprüchen, daß Jerusalem der Mittelpunkt der Gemeinde sei und bleibe, der Vorort der Christenheit, und alle anderen Gemein­ den nur ihre Ableger, bejaht" (S. 303), auch den Anspruch des Jakobus, der fast wie ein Kalif oder Papst auftrat! Als Paulus' Meinung wird hingestellt: „Ghne die Urgemeinde und ohne Jerusalem gibt es keine ecclesia. Mit den Uraposteln und in Jerusalem ist diese konstituiert worden, und das mutz konsti­ tutiv bleiben" (S. 301). „ Paulus hält von seinen Anfängen an durch seine

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ganze Wirksamkeit hindurch die Verbindung mit diesen Uraposteln und diesem (Drt Jerusalem für wesentlich, weil eben nur hier die ecclesia zuerst sichtbar geworden ist in einer Folge von Ereignissen, die nicht hinweggewischt werden dürfen" (S. 304). Er hat spezifische Befugnisse der Urgemeinde und ihrer Mandatare (S. 305), eine sehr konkrete Rechtsbefugnis (5. 306), eine Privi­ legierung der Urgemeinde (5. 307) usw. anerkannt. Soweit es sich hierbei um eine Interpretation des Paulus handelt, mutz ich die Widerlegung den Reutestamentlern überlassen; es schmerzt mich, datz sie bisher keinen deutlichen Einspruch erhoben haben. Ich kann nur sagen, datz mir dadurch der ganze schwere Kampf des Paulus um das Recht seines Apostolates, um das Recht des gesetzesfreien Heidenchristentums, um die Unabhängigkeit von Gesetz und Blut der Juden, vollständig um seinen Inhalt gebracht zu sein, und das gezeichnete Bild im harmlosen Kleid einer lexikographischen Untersuchung Muster einer kirchenpolitischen Geschichtsdeutung zu sein scheint. Mr liegt am herzen nachzuprüfen, was Schmidt von diesen Voraus­ setzungen aus gegen Luther und gegen den protestantischen Kirchenbegriff vor­ bringt. Er meint zwar: „Vie Abgrenzung (der Stelle Matthäus 16.18) gegen­ über der katholischen Ausnützung für Rom ist dadurch gesichert, datz es sich an dieser Stelle nur um Petrus und nur um ihn, und nicht um seinen Nachfolger handelt", aber in demselben Atem erklärt er (S. 302): „Die Sicherung des Be­ standes der ecclesia hängt von ganz bestimmten, allein ausgesonderten, noch lebenden Persönlichkeiten ab, die ihren Auftrag von Ehristus empfangen haben." Wenn dies der Fall, so ist unerklärlich, wie die ecclesia jemals ohne diese beauftragten Autoritäten sollte bestehen können, und ist der katholische Theologe Adam (Wesen des Katholizismus, 1928, S. 116) im Recht, wenn er folgert, dies Wort Jesu bedeute: „Immer werde ein lebendiger Petrus da sein", nämlich notwendig sein. Mit unausweichlicher Konsequenz folgt aus Schmidts, dem Urchristentum inklusive Paulus untergelegtem Kirchen­ begriff entweder, wenn die Persönlichkeiten, durch deren lebendige Autorität der Bestand der Kirche allein gesichert ist, kein Recht hatten, diese Autorität zu übertragen, dann ist mit dem Aussterben dieser Persönlichkeiten die Kirche auf der Erde wieder verschwunden. Gder wenn sie dazu Recht und Pflicht hatten, so besteht Kirche in der Gemeinschaft mit dem ordo episcoporum ab initio decurrens, d. h. mit Rom. Die deutschen evangelischen Kirchen würden, da sie diesen Zusammenhang mit der Urgemeinde unterbrochen haben, nichts anderes darstellen als „einen Mgsterienoerein oder eine ideale Bruderschaft". Wie Schmidt hier vergeblich seinen Kirchenbegriff von dem des römischen Ka­ tholizismus abzugrenzen sucht, so sucht er ebenso vergeblich dessen Verträglich­ keit mit Luthers Kirchenbegriff zu behaupten, obwohl er mit Bedauern zugeben mutz, „datz sich Luther auf die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsicht­ barer Kirche eingelassen hat!!" (S. 316.) Denn Luther sei dadurch mit Unrecht in den verdacht des Platonismus geraten, also in den verdacht, die Kirche in eine blotze (!) Idee verwandeln zu wollen. Schmidt setzt also den Unterschied von sichtbarer und unsichtbarer Kirche (ich sehe hier von der Sinn­ losigkeit dieser Unterscheidung ab) mit dem zwischen blotz gedachter und kon-

freier Wirklichkeit gleich, während es sich doch in Wahrheit um den Unterschied zwischen lebendiger Dgnamis und toter Institution handelt, und die unsicht­ bare Kirche wahrlich die allerwirklichste Wirklichkeit, wenn auch nicht eine Res, ist; oder sind geistige Größen wie Kunst und Wissenschaft keine Wirklichkeit? Ist es Schmidts Tendenz, die Zugehörigkeit zur empirischen Kirche, nämlich zur Urgemeinde in Jerusalem, mit der Zugehörigkeit zur ecclesia Gottes gleichzusetzen und damit jene als den unvermeidlichen Durchgangspunkt zu dieser zu qualifizieren, ihr den religiösen Mert zuzuerkennen, „extra ecclesiam nulla salus", wenn auch dabei das andere „in ecclesia certa salus“ unter den Tisch fällt, so scheint auch !U u n d l e in einem Aufsatz „Das Kirchenbe­ wußtsein der ältesten Christenheit" (ZUW. 22, 1923, S. 20—42) geneigt, ihm darin zuzustimmen. Er trägt in dem ersten Teil dieses Aufsatzes eine Reihe höchst beachtenswerter Argumente gegen Holls Aufsatz zusammen mit der Spitze, holl lasse die Urgemeinde katholischer erscheinen, als sie gewesen sei. von dem zweiten aber, in dem er beweisen möchte, holl habe den Paulus protestantischer gemacht, als er gewesen sei, kann ich nur urteilen, daß Mund le damit alles wieder in Verwirrung bringt, was seit S o h m s Kirchenrecht und seit Holls Lucheraufsätzen an Erkenntnissen gewonnen ist. Er glaubt näm­ lich S o h m s These durch den Nachweis umstoßen zu können, daß die Selb­ ständigkeit der paulinischen Gemeinden gegenüber chrem Apostel schwerlich größer gewesen sei, als die der Urgemeinde unter dem Einfluß der Urapostel; daß Paulus sich selbst als oberste Instanz in allen streitigen Zöllen gewußt und eine monarchische Stellung eingenommen habe; daß diese Gemeinden keine pneumatischen Demokratien, sondern Herrschaften von pneumatikern gewesen seien; und er betont — das ist die Hauptsache —, daß Paulus recht eigentlich der Schöpfer des katholischen Kirchenbegriffs sei, dessen wesentliches Merkmal in der Ineinssetzung der empirischen Kirche mit einer himmlischen und jen­ seitigen Größe bestehe. Es ist fast zum verzweifeln, wie schwer es ist, Soh ms Anschauung vor Mißverständnissen zu schützen. Denn alles dies ist richtig, be­ weist aber gar nichts gegen S o h m, sondern bestätigt ihn. Gerade S o h m hat immer wieder hervorgehoben, daß die Gleichsetzung der sichtbaren ecclesia mit der himmlischen Größe, die unreflektierte Gleichsetzung der Getauften mit den Gläubigen und der Versammlung der Getauften mit der Kirche, die der Leib des Herrn ist, dieser erst von Luther auf­ gedeckte Irrtum des Paulus — ich wiederhole und unterstreiche: dieser erst von Luther abge st reiste Re st sakramentalen an­ tiken Denkens bei Paulus — der Ansatzpunkt des Katholizismus sei: Die sichtbare ecclesia ist Realisierung der himmlischen ecclesia; da nun in der himmlischen ecclesia niemand anders Herr sein kann als Gott allein, so kann es auch in der sichtbaren ecclesia nur göttliches Kirchenrecht geben. So er­ klärt S o h m den sonst unbegreiflichen Anspruch des katholischen Kirchemechts, göttlichen Ursprungs zu sein und für seine Autoritäten und Satzungen den Ge­ horsam des Glaubens zu verlangen. Diese Entstehung des Katholizismus hätte auf einem doppelten Wege ver­ mieden werden können. Entw e d er wenn auf Rechtsordnung für die sicht-

14 bare ecclesia überhaupt verzichtet worden wäre. Vieser verzicht war aber auch nach 5 o h m s Urteil unmöglich. Jede Gemeinschaft von Menschen bedarf auf die Dauer der Rechtsordnung. Sie kann sich über diese Notwendig­ keit nur kurze Zeit täuschen, solange nämlich die Autorität der charismatischen Persönlichkeiten stark genug ist, wie die des Paulus, das zwingende Bedürfnis nach Recht zu beftiedigen. Ganz gewiß, auch in den paulinischen Gemeinden gab es Herrschaft, Ordnung und Gehorsam unter verzicht auf eigene Überein­ stimmung mit den Geboten des Apostels, aber eben gegründet aus persönliche Beziehungen des Vertrauens und der Liebe. Vie Christen der paulinischen Gemeinden unterwarfen sich den Anordnungen des Apostels fteilich nicht des­ halb, weil chnen diese inhaltlich einleuchteten und weil sie vom sachlichen Recht durch Gründe überführt waren, sondern weil sie zum Apostel als ihrem geistigen Vater vertrauen hatten. Vas ist aber kein Rechtsgehorsam, auch kein embryo­ naler Rechtsgehorsam (so Günther h o l st e i n, Grundlagen des Evang. Kirchenrechts, 1928, S. 57), sondern etwas der Art nach anderes, denn es ist ein Gehorsam, der im Gegensatz zur Leistung einer Rechtspflicht fteiwilliges Geschenk und Gabe ist, wenn auch Geschenk des Opfers der eigenen Meinung. Ich habe das in einem Aufsatz der ZKG. (11, 5. 307—44, des. 5. 316) so deut­ lich darzulegen versucht, daß ich mich wundern muß, es einfach ignoriert zu sehen. Gder aber, es konnte jene furchtbare Entstehung des göttlichen Kirchemechts, d. h. die fiktive Umkleidung menschlicher Autoritäten mit göttlicher Würde und die Vergötzung des kirchlichen Amtes vermieden werden, wenn man den Irrtum jener Gleichsetzung durchschaute und damit die Konsequenz jenes Schlusses zerbrach: Weil in der ecclesia Gottes niemand anders denn Gott allein herrschen kann, darf auch in der empirischen Kirche keine mensch­ liche Autorität Geltung beanspruchen. Wenn also statt dessen eingesehen wurde: Obgleich in der ecclesia Gottes niemand anders herrschen und gebieten kann, als Gott durch sein lebendiges Wort, darf sehr wohl in der empi­ rischen Kirchengemeinde im Gehorsam gegen das göttliche Gebot, das für jede dauern wollende Gemeinschaft von Menschen Recht fordert, Rechtsordnung aufgerichtet werden, fteilich in den Schranken, die allem Recht auf Erden ge­ setzt ist. Luthers Entdeckung der wahren Kirche, unsichtbar für die Augen, sichtbar für den Glauben, stammt ja gerade aus dem Nachdenken über diese beiden Sätze, die er bei Paulus fand, Extra ecclesiam nulla salus, und: In ecclesia certa salus. von hier aus entstand jene Zrage: Welches ist diese ecclesia, von der dies beides ausgesagt ist? Das konnte unmöglich die katholische Kirche sein, wie sie vor Luthers Blicken lag; zu deutlich war ihm darin das Durcheinander von Gläubigen und Ungläubigen. Es mußte damit etwas ganz anderes gemeint sein als die empirische Kirche. Da fiel der Schleier von seinen Augen: Die Kirche, von der Paulus redet, ist die unsichtbare Kirche, von ihr, von ihr allein gilt nicht nur: extra ecclesiam nulla salus, nicht nur: der Vorhof zum Heiligtum, den jeder passieren muß, sondern das Heiligtum selbst, von ihr gilt: in ecclesia certa salus, wer zum Volke Gottes gehört, der darf seines heiles gewiß sein; glaubst du, so hast du!

Ss ist deshalb ein so gefährlicher Satz und eine böse Trübung von Luthers Mchengedanken, wenn in der herrschenden Schule des deutschen evangelischen rkirchemechtr das Verhältnis der ecclesia visibilis und invisibilis als das Ver­ hältnis von Leib und Seele hingestellt wird T), weil damit wieder die Zuge­ hörigkeit zur wahren Kirche an die zur verfaßten Kirche im Rechtssinn gebunden wird. Und es darf hierfür nicht angeführt werden, daß Luther, — aber zur Zeit der Psalmen-und Römerbriefvorlesung das Verhältnis zwischen der wah­ ren Kirche und der sichtbaren Römisch-katholischen Kirche selbst noch als das „des engeren im weiteren Kreise" vorgestellt hat (holl, S. 294, Anm. 3 und S. 295 und 304), denn mit dieser Anschauung, daß die Zugehörig­ keit zur sichtbaren Kirche die Voraussetzung für die zur unsichtbaren Kirche ist, hat er später gebrochen. Der Fehler liegt nicht in der Auffassung der Kirche als Kern, als Auslese, als Elite. Das liegt ja schon im Namen der ecclesia, die Schar der Erwählten und Erlesenen setzt eine große Masse, aus der sie heraus­ gezogen werden, voraus, ver Fehler liegt in der Gleichsetzung des Leibes oder weiteren Kreises mit der empirischen Kirche, ver Unterschied zwischen der römisch-katholischen Ansicht und der protestantischen würde dann nur der sein: Vie Gliedschaft an der wahren Kirche ist bedingt dort durch die Zugehörig­ keit zu einer bestimmten societas devotionis publicae, hier durch die Zugehörigkeit zu irgendeiner solchen societas. Mich erinnern diese Juristen immer an Advokaten, die einem alten Unternehmen, das bisher irgend­ ein Monopol, z. B. der Erdöllieferung gehabt hat, zureden, das Monopol mit einer jüngeren, unbequemen Konkurrenzfirma zu teilen, um mit ihr gemein­ sam den Markt um so sicherer zu beherrschen. Aber ganz abgesehen davon, daß die ältere Firma, nämlich die römisch-katholische, gar keine Neigung zeigt, die jüngere, nämlich die evangelische, als gleichberechtigte Partnerin anzuerkennen und sich mit ihr in das Monopol der Vorbereitung auf den Himmel zu teilen, und wenigstens bisher dabei beharrt, allein das Zauberkraut, das den Himmel aufschließt, liefern zu können,- die evangelische Kirche würde mit dem Eintritt in einen solchen monopolistischen Konzern zwar vielleicht ihre äußere Macht­ stellung stärken, aber gewiß auch zugleich das innere Recht preisgeben, auf das sie begründet ist,- sie würde damit den Protest zurücknehmen, aus dem sie ge­ boren ist, den Protest gegen die Lehre von der Unentbehrlich­ keit der Rechtskirche für die Gliedschast an der Kirche Gottes, die Gemeinde der heiligen. Der Leib, in dem die Kirche als Seele wohnt, der weitere Kreis, aus dem sie als der engere ausgelesen wird, wird nicht konstituiert durch irgendwelche will­ kürliche Grenzsetzungen von Menschen oder geschichtliche Zufälligkeiten, son­ dern durch die Menschenschöpfung, also durch Gott selbst. Das ist die einzige Voraussetzung, die erfüllt sein muß, damit die Kirche entstehen könne: Es müssen Menschen da sein, Wesen mit Vernunft, mit der Fähigkeit, das wort 1) So formuliert es zutreffend Hans Barion (Rudolph Sohm und die Grundlegung des Kirchenrechtes, 1931, S. 23) als die communis opinio der heutigen protestanti­ schen Kirchenrechtslehre.

16 zu vernehmen und das Wort weiterzusagen. Und da Gott die Menschheit als eine gegliederte geschaffen hat, so dürfen wir auch sagen: Vie unumgängliche Voraussetzung für das Leben der Kirche ist das Dasein von Zamilien und Völkern, darin durch räumliche Nähe und Gemeinsamkeit der Sprache die Möglichkeit des Zeugnisses und des Gehorsams gegeben ist. Zeder Menschen­ haufe kann Kirche werden. Aber keiner i s t Kirche! Auch deshalb nicht, weil ja der Glaube nicht nur „unsichtbar", sondern als (Qualität noch gar nicht vorhanden ist, weil noch niemand ein sanctus, seines Glaubens als eines Besitzes sicher ist. Vie communio sanctorum ist überhaupt keine auf Erden da­ seiende, sondern erst durch Leben und Sterben hindurch zur Verwirklichung kommende, eschatologische Größe. Und was da ist, ist immer nur die leibliche äußerliche Christenheit, deren Kern auf dies Ziel hinlebt, die Gemeinschaft, die Gute und Böse einschließt, Weizen und Unttaut auf einem Acker. Die com­ munio sanctorum ist kein engerer Kreis in einem weiteren, kein Seiendes i n einem Seienden, sondern das Ziel für alles Seiende, um deswillen es über­ haupt Haufenbildung in der Menschheit gibt und Gott dem Menschen den Drang zur Verbindung mit andern Individuen eingestiftet hat. Communio sanctorum ist der geglaubte, nie gesehene Sinn aller menschlichen Gemein­ schaft, alles auseinander Angewiesenseins, alles zueinander Hindrängens, wie es uns anerschaffen ist. Der Christ sieht deshalb in jeder menschlichen societas, nicht nur in einer bestimmten, willkürlich, künstlich hervorgerufenen, einen Leib der communio sanctorum; er erkennt sie als dazu prädestiniert, nämlich durch das Wort Gottes, das an sie ergeht. Das ist das Material, aus dem sich der heilige Geist durch die Boten, die er sendet, aber nicht irgendeine menschliche Autorität, — die er bevollmächtigt, aber nicht eine Korporation, den Leib Christi, das Volk Gottes, die Gemeinde der Gläubigen schafft, durch die Boten, denen e r das Charisma, das Leben und Glauben schaffende Wort zu sagen verleiht, nicht eine Priesterweihe, Grdination, Sukzession usw.! Vas Wort ist nicht gebunden! Das Wort sie sollen lassen stahn und keinen Dank dazu haben! Gott läßt sich nicht wehren, Boten zu senden. Er erwählt sie sich da, wo irdische Machthaber ihnen den Mund verbieten wollen, und gibt ihnen nach seinem Wohlgefallen die Macht des Zeugnisses und die Macht nötigenfalls zum Martyrium, d. h. zur Wiederholung des Sakraments, wie jenen beiden jungen Blutzeugen von Brüssel. Er kann sie auch außerhalb des Raumes der Kirche, wie man heute sagt, d. h. ohne jeden Zusammenhang mit einer Kirchenanstalt senden, als Dichter, als soziale Re­ formatoren, aus der Bühne; er kann die Bücher längst verwester zu seinen Boten machen, wie den Römerbrief zum Boten an Luther, ja er kann sogar Zeinde zu Verkündern seiner Gerichte erwählen. Luther gibt ja nicht etwa eine Deutung, eine Regel, wie es sein sollte; nein, er enchüllt und beschreibt einen Eatbestand. Das ist so: Gerade diese unumstößliche Tatsächlichkeit ist das Kennzeichen, daß es Gottes Wille ist; haben wir denn nicht alle hundert­ fältig erlebt, daß wir in der Kirche gewesen sind, unter den Kanzeln von Kirchenfürsten, die für Säulen galten, und beim hinausgehen das sicherste Gefühl hatten, eben nicht in der Kirche, nämlich in der Gemeinschaft des Geistes

Christi gewesen zu sein? Und ich muß es schon gestehen, ich bin manchmal im Theater gewesen und bis ins Innerste vom Anspruch Gottes erschüttert worden. Man vergegenwättige sich doch einmal die Lage der Christen in Böhmen öder in den Landen des Herzogs Georg oder des Herzogs Heinz von Wolfen­ büttel, nach 1520. Diese Christen hatten jahrelang keinerlei devotio publica, keine Möglichkeit dazu, die einen infolge eines Vorurteils, weil sie meinten, die devotio publica nur aus der Hand des Papstes empfangen zu können, der sie ihnen verweigerte, bis sie Luther in seiner Schrift »De instituendis ministris« belehrte, wie sie sich eine devotio publica aus eigener Kraft ohne die römische Hilfe schaffen könnten. Die andern infolge der harten Verstocktheit ihrer Lan­ desherren, die sie zu einer devotio publica, der römischen Messe, zwingen wollten, die ihnen nicht als Gottesoerehrung, sondern als greuliche Abgötterei galt, und ihnen die Cinrichtung einer andern Kirchenanstalt nach chrem Ver­ ständnis des göttlichen Wortes verwehrten. Sie waren jahrelang auf devotio domestica, auf häusliche Gemeinschaft, ohne Priester, ohne öffentliches Pre­ digtamt, ohne Eucharistie, angewiesen. Ist Luther etwa der Meinung gewesen, diese Menschen seien, weil es in ihrem Lande für sie keine Kirche im Rechtssinne gab, ausgeschlossen gewesen vom Volke Gottes und damit vom heil? Aber im Gegenteil! Gerade hier wird deutlich, daß die kirchliche Anstalt zur devotio publica zwar eine große Wohltat und ein Liebeswerk ist, aber, wie S o h m formuliert und worin ihm holl zustimmt (I, 324, Anm. 3), daß nicht nur das Wie, sondern auch das Daß einer Kirche im Rechtssinn letztlich keine unerläßliche, heilsnotwendige Bedingung für das Leben des Volkes Gottes ist (weltl. und geistl. Recht, S. 56, Anm. 6). Der Mensch kann ohne jede Kirche im Rechtssinn ein Glied der Kirche in Luthers Sinn werden und bleiben. Gan; dieselbe Stellung hat sich Luther schon in den Schriften nach dem Bann erkämpft »de virtute excommunicationis«: Aus jeder Kirche dieser Erde kann weltliche Gewalt den Christen ausschließen, aber aus der Kirche Gottes kann sie ihn nicht ausschließen (holl I, 5. 313). Sie kann das Volk Gottes nicht hindern, ihm, dem Ausgestoßenen, die mütterliche Hand entgegenzustrecken und chn in ihrem Schoß zu bewahren. Kein Papst und kein Zürst ist imstande, einer glaubenden Seele die Gliedschaft am Leibe Christi zu nehmen, wäre das möglich, so hätte ja der Papst oder der Zürst oder wer sonst weltliche Gewalt führt, ein Konsistorium, eine Sgnode, meinetwegen die vittatur des Prole­ tariats, die Schlüsselgewalt. Der Mensch kann immer nur Diener und Bote des Volkes Gottes sein und soll es als Glaubender sein nach dem Maße seiner Gaben, durch sein Zeugnis und die Tat der Liebe, die das Zeugnis als verbum visibile bekräftigt. Aber er kann niemals Herr des Volkes Gottes sein, der ausschließt und einschließt. Genau danach hat Luther die devotio publica in seiner Ein­ flußsphäre organisiert als einen Dienst der Liebe, als eine Verpflichtung der Glaubenden, die die Macht dazu hätten, als eine Handröhre, dem Volke das Wort zu bringen, ohne das es keinen Glauben gibt. Aber er ist so wenig der Meinung gewesen, daß ohne diese sichtbare, irgendwie rechttich verfaßte Kirche kein heil zu haben sei, daß er sehr ernst die Zrage erwogen hat, ob nicht die devotio domestica, der verzicht auf öffentlichen Gottesdienst, der Rückzug Soetfter, Unsinn und Sinn des „Christlichen Staates".

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18 in eine Zamilienversammlung, ohne viel Formen und Gepränge, und ohne den minister verbi rite vocatus, ohne Ranzel und Altar und Priesterweihe, ein geeigneteres Mittel sei, dem Volke Gottes Glieder zu gewinnen und zu er­ halten, und er hat sich nur durch das Gefühl der Verantwortung für die Masse des Volkes davon zurückhalten lassen. Man wird doch dagegen nicht etwa Worte anführen, in denen Luther das öffentliche predigtamthoch preist, wie jenes: „Wo nicht das Predigtamt und des heiligen Geistes Regiment in der Christenheit einherginge, wäre es nicht möglich, daß die Taufe, Sakrament und Erkenntnis Christi bliebe. Wer sollte es erhalten, so es nicht durch öffentliches Amt getrieben würde? Denn durch heimliches Studieren und Beten wird es nicht ausgerichtet, damit könnten's andere nicht lernen noch dazu kommen,- aber das hat's getan, daß Gott alle Zeit Prediger gegeben hat und das Wort ausgebreitet hat, daß es durch den Mund und das Ghr der Seinen gegangen ist, und es hat alle Zeit etliche ge­ geben, die wider die falsche Lehre des Papstes und anderer Rotten gepredigt haben" (W. A. 45, S. 580). Aus solchen Stellen folgert h o l I (I, S. 305, 324): „vatz es eine Stelle geben müsse, von der aus das Evangelium verkündigt würde, also auch eine sichtbare Gemeinschaft, die um diese Verkündigung sich scharte und aus der die Rirche Christi Herauswüchse, war für Luther nicht erst zu beweisen"; und „Cs hat keinen Augenblick gegeben, wo Luther unsichtbare Rirche und sichtbare Gemeinschaft nicht auch positiv aufeinander bezogen hätte. Ohne eine sichtbare Rirche wäre ihm eine unsichtbare Rirche unvorstell­ bar." Diese sehr vorsichtig und zurückhaltend formulierten Sätze sind natürlich richtig, wenn sie besagen, daß der Glaube an der Verkündigung des Evange­ liums hängt,- über die Ablehnung der Lehre der Mgstik von der unmittelbaren Erleuchtung des Menschen vom Himmel her durch das verbum intemum bei Luther besteht keine MeinungsverschiedenheitJ). Der Glaube entsteht durch das hören des Gotteswortes im Menschenwort, und dies kann nicht anders geschehen als in Zeit und Raum. Allein damit ist die Heilsnotwendig­ keit der Rirche im Rechtsinn nicht gegeben, sondern nur die Heilsnotwendig­ keit der Verkündigung oder des Daseins von Charismatikern, denen der Mund von dem übergeht, wes das herz voll ist. Wer wollte bestreiten, daß Gott auch außerhalb der sichtbaren Gemeinschaften, die sich Rirchen nennen, jederzeit eine Stelle schaffen könne, da das Evangelium verkündigt wird, daß die Verkündigung weder an einen Grt noch an einen bestimmten Zeitpunkt noch an einem bestimmten Amtsträger gebunden ist? Und Luther begründet denn auch die Veranstaltung des öffentlichen Predigtamtes mit allem was dazu gehört, Rirchenhaus, Pfarrer, gemeiner Rasten, Rirchenordnungen, Visitatio­ nen, nicht — auch die eben zitierte Stelle zeigt das, viel deutlicher aber noch die Vorrede zu den Visitationsartikeln — aus seiner Heilsnotwendigkeit, son­ dern aus der Liebespflicht. Das ungehinderte öffentliche Predigtamt und die öffentlich-rechtlich geschützte Gemeinschaft um das Wort ist eine große Wohltat, 1) Doch sagt Luther, daß Gott ausnahmsweise auch ohne menschliche Vermitt­ lung vom Himmel herab predigen könne und dies zweimal getan habe: bei der Gesetz­ gebung unö am Pfingsttage. (ID. fl. 24, 5. 3.)

die der Christ mit Danksagung empfangen und aus Verantwortung für den Nächsten miterhalten und ausbreiten soll; wie eine solche auch gutes weltliches Regiment ist. Aber auch wenn er es entbehren müßte, wenn das öffentliche Predigtamt ihm diesen Dienst versagte, aus Unfähigkeit oder aus haß, wenn er exkommuniziert würde, Gott hat tausend Wege.sum eine Seele anzusprechen und im Glauben zu halten, das Reich muß ihr doch bleiben.

Was meint Luther damit, wenn er irgendeinen INenschenhaufen als christ­ lich, als Kirche, als Teil der Christenheit bezeichnet? Mit dem Gesagten hoffe ich zweierlei irrige Deutungen jetzt gründlich abgewiesen zu haben. Einmal: Cr will nicht mit jenem oben geschilderten abgekürzten Sprachgebrauch die einzelnen Individuen innerhalb dieses Haufens als Christen oder als Gläubige bezeichnen. Dies verbietet sich bei der Anwendung dieser Prädikate aus einen großen und beliebigen Haufen schon durch die Zahl. Denn dies wäre ein Glau­ bensurteil auf Grund des im Herzen wahrgenommenen pneumas, und ein solches ist immer nur von Person zu Person denkbar und hat seinen Drt im Leben immer nur in der nächsten Begegnung zwischen Ich und Du. Man hat nun wohl, um das Gewicht dieser Beobachtung abzuschwächen, gesagt, Luther nenne einen Haufen, z. L. die Grtsgemeinde zu Leisnig oder die Einwohner­ schaft des Kurfürstentums Sachsen christlich oder Kirche, weil er doch von einigen Personen darunter die Glaubensgewißheit empfangen habe, sie seien wahrhaft glaubend, und weil er nach der Regel verfahre, einen Hausen nach seinen besten und vornehmsten Mitgliedern zu beurteilen. (So holl, S. 309,319.) Wir werden sehr bald sehen, daß dieser Satz in der Tat zu dem richtigen Verständnis der Anwendung des Beinamens „christlich" auf ein Kollektivum hinführt; aber er gibt uns in dieser §orm keine Auskunft über das Recht Luchers zu solcher Übertragung des Glaubensurteils, von dem, der es provoziert hat, auf andere; man kann auch sagen, über das Recht, mit der Christlichkeit der Einen Wenigen stellvertretend die Unchristlichkeit der Andern zu bedecken. Das Verfahren Lu­ thers scheint ein Ausfluß willkürlicher Gutmütigkeit zu sein. Zweitens — und das ist das Wichtigste: Das Prädikat Christlich besagt nichts über einen Zusammenhang mit der Fleischwerdung des Wortes in Jesus dem Christ, nichts über eine naturhaste Verwandtschaft des so angesprochenen Kollektivums mit dem in der Inkarnation des Christus in die Menschenwelt eingesenkten Keim. Ein solches Urteil hat ja überhaupt nur einen Sinn, wenn die Inkarnation als Eingießung einer höheren phgsis oder Substanz in die Men­ schenwelt aufgefaßt wird, und nicht als die Offenbarung des Heilswillens Gottes, daß er über alle Dinge gefürchtet und geliebt, d. h. geglaubt sein will. Dies ist der katholische Gebrauch des Wortes Christl i ch. Ein Christ ist ein Mensch, der an dieser Substanz Anteil gewonnen hat, dem sie eingeflößt ist; Kirche oder Christenheit ist derjenige Teil der Mensch­ heit, der diese substanzielle Veränderung erfahren hat, durch die Begabung mit dieser lebenschaffenden Substanz von der dem Untergang und dem Tod geweihten massa perditionis unterschieden ist. Substanz aber kann nur magisch, durch körperliche Berührung mitgeteilt werden, durch eine Bluttransfusion, 2*

20 also durch das Taufbad, die Salbung, Klung, Essen und Trinken, Handauflegung — kurz durch das Sakrament. Anders ist die Zortpflanzung einer Substanz und die Herstellung eines substanziellen Zusammenhanges überhaupt nicht denkbar. Vies bedeutet im römisch-katholischen Sinn das Wort Christlich: einen substanziellen Zusammenhang eines Menschen oder eines Menschenkollekti­ vums mit der in der Inkarnation vollzogenen Einsenkung der unendlichen Metaphgsis in die endliche, sterbliche Menschenwelt. Diese durch die Sakramente hergestellte Verbindung mit der Inkarnation bezeichnet das Wort Christlich oder Kirche, dies allein. Es bedarf keines weiteren Wortes, daß der Gebrauch des Prädikats Christlich im Munde Luthers niemals diesen Sinn haben kann und hat. Er gerät jedesmal in Erregung, wenn die Rede auf diese durch Dl oder Lhresem hergestellt schein­ bare Christlichkeit kommt. Der einzige substanzielle Zusammenhang zwischen einem als christlich bezeichneten Menschen der Gegenwart oder einem Haufen von Menschen der Gegenwart mit Christus und seiner Gemeinde ist die gleiche Zugehörigkeit zur Menschheit, das gleiche Menschenwesen, d. h. die gleiche Zähigkeit der Vernunft, das Wort zu vernehmen und zu bewahren und zu sagen, also zu glauben. Durch diesen substanziellen Zusammenhang mit allen Adamskindern, also auch mit den Gläubigen unter ihnen, wird aber der Mensch noch lange kein Christ,- dieser substanzielle Zusammenhang gibt kein Recht, ihn so zu nennen. Es ist zwar nichts Geringes, daß er ein Mensch ist, ein ungeheurer Vorzug vor allen Wesen der Schöpfung, datz ihm die Möglichkeit, das Wort zu hören, verliehen ist. Aber das Lhristsein beruht nicht auf diesem Anteil am menschlichen Wesen. vielleicht wundern Sie sich wieder, daß ich gegen einen solchen Mißbrauch des Wortes Christlich zur Bezeichnung eines naturhaften Zusammenhanges mit der Erscheinung Christi soviel Atem verschwende, da daran ja unter Prote­ stanten nicht gedacht wird. Allein die Überreste dieses in der Tat katholischen, religionsgeschichtlich angesehen hellenistisch-orientalischen Denkens sind keines­ wegs ausgeräumt; und mir will scheinen, daß es neuerdings sogar an Macht über die Gemüter gewinnt. Man redet zwar heute nicht mehr von einem sub­ stanziellen Zusammenhang, aber um so mehr vom organischen Zusammenhang. Und, wenn damit überhaupt etwas Deutliches und vorstellbares gesagt werden soll, ist denn damit nicht dasselbe gesagt? Man vergleicht die Geschichte des Christentums mit der Evolution eines Organismus,- man wendet damit auf das Christentum und auf alle seine einzelnen Erscheinungen eine Betrachtungs­ weise an, die auch auf anderen Gebieten vordringt, in der Wissenschaft vom Staat, vom Recht, von der Kunst und von der Wirtschaft. Es scheint manchmal, als ob der Geist erst dann recht verstanden würde, wenn man ihn in Natur um­ gedacht hat. Aber weiß man eigentlich, was man damit tut? Man verwandelt damit Geschichte in Entwicklung, die Entscheidungen, Kämpfe, Häresien, Ge­ horsams- und Ungehorsamsakte, die ihren eigenllichen Inhalt ausmachen, in Naturprozesse eines fingierten, mysteriösen Es, die konkreten, handelnden Menschen in Ziguranten, die Zreiheit in Schein. Man deutet dannInstitutionen, Gesetze, Dogmen, Liturgien aus opera in effectus um, nach Kants unübertreft-

lich deutlicher Formulierung. Kurz, es wird die Geschichte naturalisiert, und es ist ganz gleichgültig, daß dieses Es, das nun als das eigentliche agens der Geschichte erscheint, dann doch Geist oder Geist-Natur genannt wird, wenn eben sein Wirten naturhaft, im Schema von Ursache und Wirkung, und nicht in dem von Gebot und Gehorsam, Verheißung und Glaube dargestellt wird. Gestatten Sie mir hier eine kurze Abschweifung. Mr will manchmal scheinen, als ob das halb heitere, halb bittere Wort Rankes „Nus der Geschichte lernen wir, daß wir aus der Geschichte nichts lernen" ganz besonders auf die Geschichte des deutschen Geistes im 19. Jahrhundert zutrifft, denn sonst müßten wir doch wissen, wie gefährlich die Jneinssetzung von Natur und Geist, wenn sie über­ haupt möglich und nicht nur die Verhüllung einer Undenkbarkeit ist, wirkt, wie sich in dieser Ehe notwendig die Natur als der stärkere Partner erweist, der den anderen verschlingt. Jenes Jdentikon, das die Identitätsphilosophie als den bewegenden Grund alles Werdens und Geschehens setzte, schien anfangs als Geist-Natur oder Universum nur ein anderer Name für das zu sein, was die Ehristen Gott nannten. Solange nun diese optimistische Betrachtung vor­ herrschte, wie bei Schleiermacher und Schelling, konnte sie dazu gebraucht wer­ den, den als Produkten der Geist-Natur angeschauten Phänomen dasselbe ästhetische Wohlgefallen zu gewinnen, das die Anschauung des Universums erweckte, also auch dem Staat als Produkt der organischen Entwicklung dieses geheimnisvollen Wesens. Aber sobald eine andere, dämonische, irrationale, pessimistische Naturauffassung auskam, wie bei allen von Schopenhauer infizier­ ten Geistern, mußte auch alles, was vermeintlich aus dieser Entwicklung her­ vorgegangen war, Schauder und Entsetzen wecken. Es mußte zur Abkehr und zur Flucht in den künstlerischen Schein auffordern oder energischere Naturen zu dem Unternehmen einer nachträglichen Rationalisierung und Lthisierung, d. h. Umbildung nach den Wunschbildern, von denen man sich vorredete, das sei die Idee der sozialen Gerechtigkeit!, und wenn dies mißlang, zum Umsturz­ versuch treiben. In diese Entwicklung ist nun auch die organische Staatstheo­ rie mit hineingerissen. R. Wagners Staatshaß und Jak. Burkhards bitteres Wort „von der Macht, die an sich böse sei", und endlich Marx' Wunsch, den Staat abzuschafsen, ist die ganz folgerichtige Weiterführung von Schleiermachers organischer Staatslehre. Es gibt hier wirklich nur ein EntwederOder: Entweder wird der Staat durch die Herleitung aus der Metaphgsis ge­ rechtfertigt wie im Katholizismus, oder er wird durch die Herleitung aus der phgsis degradiert, — wenn man nicht der Anwendung naturwissenschaftlicher Kategorien grundsätzlich widerspricht, denn die optimistische Naturaus­ fassung der Aufklärung ist rettungslos verkitscht. Ich wenigstens kann mir einen organischen Zusammenhang, der nicht naturhaster Art wäre, einfach nicht vor­ stellen. Es ist nun wohl aber auch geklärt, was der Widerspruch 5 o h m s und Holls gegen den Begriff des christlichen Staates, besonders die Behauptung, daß von der Voraussetzung Luthers aus eine solche Verbindung absurd sei, im Kern bedeutet: Eben den Widerspruch gegen die katholische Auffassung von dem, was christlich macht. Für den Katholiken ist der Staat, d i e Krone, das

22 Kaisertum oder Königtum christlich, das durch die Salbung mit dem christlich machenden Stoff aus den Händen des legitimen Verwalters dieses Stoffes gechristet wird. Christlich ist der Staat, der durch die römisch-kacholische Kirche christlich gemacht ist und zur Aufrechterhaltung seiner Christlichkeit dauernd der sakramentalen Gnade bedarf. Man mutz katholisch sein, um den vom Papst gesegneten Staat christlich und den nicht gesegneten unchristlich zu nennen. Einen christlichen Staat in diesem Sinn kann es für Protestanten nicht geben. $üt die Christlichkeit eines Gemeinwesens ist seine Anerkennung durch die römisch-katholische Kirche oder überhaupt eine Kirche, die sich das auch an­ matzen möchte, belanglos. Cs mutz freilich sogleich hinzugefügt werden, datz das nicht nur vom Staat, sondern von jeder societas gilt, auch von der Reli­ gionsgesellschaft. $ür ihre Christlichkeit ist der Besitz des Sakraments belanglos. Ich mutz aber noch mehr sagen, und wenn ich bisher keinen ernsten widerspruch fürchtete, so fürchte ich ihn jetzt. Das Prädikat Christlich in seiner An­ wendung auf eine Person oder ein Kollektiv besagt auch nichts über einen ge­ schichtlichen Zusammenhang, was ist das, geschichtlicher Zusammenhang? Ich meine die Behauptung: Dieses wäre nicht, wenn jenes nicht zuvor gewesen wäre ... Bismarck hätte das Deutsche Reich nicht schaffen können, wenn nicht Friedrich zuvor den preutzischen Staat zur Großmacht erhoben hätte. Der Thron der hohenzollern würde heute noch feststehen, wenn Wilhelm der Zweite nicht 1890 die Bahnen der Bismarckschen Politik verlassen hätte. Durch eine solche, übrigens willkürliche, niemals in der Sache liegende, deshalb auch nicht be­ weisbare Verknüpfung wird zwar nicht ein opus in einen effectus verwandelt, wie bei der vorhin bekämpften Betrachtungsweise — die Gründung des Reichs und der Umsturz von 1918 erfolgte nicht mit naturgesetzlichem Müssen aus Friedrichs des Großen Siegen und Wilhelm des Zweiten Kehlern —, aber es wird dadurch die Bedeutung des einzelnen Ereignisses relativiert, das Ver­ dienst Bismarcks ebenso wie die Schuld der Revolution verkleinert. Die Konsta­ tierung solcher Zusammenhänge ist für den Historiker ein unentbehrliches Ar­ beitsmittel und deshalb vollberechtigt. Allein wenn sie nicht auf ganz nahe beieinanderliegende Geschehnisse beschränkt wird, so führt sie zur Banalität oder zur Unwahrheit. Ze entfernter nämlich der geschichtliche Zusammenhang ist, desto gleichgültiger ist er auch. Gewiß hätte Lucher den Römerbrief nicht lesen können, wenn ihn Paulus nicht geschrieben hätte; gewiß würden wir nach der Christlichkeit eines Einzelnen oder eines Kollektivs nicht einmal fragen, wenn nicht in Jesus der Christ erschienen wäre; ebenso gewiß, wie die Scheiter­ haufen der Ketzer nicht geflammt hätten, und keine Kreuzzüge mit ihren Greueln und Grausamkeiten unternommen worden wären, wenn nicht Karfreitag und Elstern gewesen wären, wenn das Wort christlich nichts anderes bedeuten solllte als „nicht vorhanden oder jedenfalls nicht so vorhanden ohne die Verlaut­ barung des Evangeliums in der Welt", so enthält es eine platte Selbstverständ­ lichkeit, wenn nicht Schlimmeres, nämlich den versuch, das als christlich be­ zeichnete Subjekt durch die Einreihung in den Zusammenhang zu belasten oder zu entlasten, die Verantwortung in die Vergangenheit zu legen. Der Kirchen­ begriff Cgprians ist aber keineswegs deshalb christlich, weil er die paulinische

Lehre von der Kirche zur Voraussetzung hat; er ist vielmehr in Luchers Sinn trotz dieses geschichtlichen Zusammenhangs ganz unchristlich. Vas kanonische Recht rühmt sich nichts zu sein, als die Summe der Gebote und Verbote Christi, und doch hat es Lucher als ein Teufelswerk verbrannt. Der Erlaß von Kirchen­ gesetzen in den evangelischen Landeskirchen von heute erfolgt gewiß aus ehr­ lichem Eifer um das Evangelium, aber die Ehristlichkeit dieser Autoritäten und Ordnungen wird damit noch nicht gedeckt. Und ein Pfarrer ist noch lange kein christlicher Prediger, weil er rite vocatus ist, also auf Grund einer Tatsache der Vergangenheit. Es braucht uns deshalb auch nicht zu beunruhigen, daß, wie heiler neuerdings ausgegraben hat, im Sinn der Augsburgischen Konfesfession Art. 14 und der Apologie kein einziger der heutigen evangelischen Pfar­ rer ein rite vocatus ist. (Ich habe das schon im Jahre 1896 in der Zeitschrift für prakt. Theologie, Jahrgang 18, S. 332 gezeigt, zugleich aber auch dies, daß die Apologie selbst darüber mit größter Gelassenheit hinweggeht). Wer daher einen Staat um deswillen christlich nennen wollte, weil er eine Zolge der Bewegung, die das Evangelium in der Welt hervorgerufen hat, oder eine §olge aus der Erneuerung dieses Evangeliums in der Reformation ist, der würde wieder etwas gänzlich Ungereimtes sagen. Gewiß, der Staat Kon­ stantins, Justinians und Karls des Großen und das heilige Römische Reich Deutscher Nation sind mitverursacht durch das Ehristentum, der Staat des Großen Kurfürsten und der Staat Bismarcks sind mitverursacht durch die Re­ formation! dort gehört das Ehristentum, hier die Reformation zu den Vorbe­ dingungen für die Entstehung und Formung dieses Staates. Dennoch gebührt weder jenem das Wort christlich noch diesem das Wort evangelisch. Wiederum besteht jenes scharfe Diftum 5 ohms und Holls zu Recht. Auf keinen empirischen Staat kann das Wort Ehristlich sinnhaft angewendet werden. Einen christlichen Staat gibt es nicht. Ich muß freilich auch hier eins sogleich hinzufügen. So wenig wie auf irgend­ einen Staat paßt das Wort zu irgendeiner Kirche im Rechtssinn. Ich weiß, daß der Name „Evangelische Landeskirche" unausrottbar ist, aber es ist — das hat Sohm mit Recht hervorgehoben — ein gefährlicher Sprachgebrauch, weil damit ein Urteil vorweggenommen wird, das zu fällen Menschen nicht zusteht. Ist nach allem Gesagten klar, daß das Wort Ehristlich niemals auf ein Seiendes angewendet werden darf! daß es keine empirische Größe, keine Kirche, keinen Staat, keine Gemeinde, kein Volk, keinen einzigen INenschen gibt, wozu es hinzugefügt werden dürfte? Es gibt nur ein Seiendes, das christlich heißen darf, das ist der Ehrist selber, Jesus der Herr. Er allein i st der Christ. Da ist das Wort Kleisch geworden1). Und das ist ganz eigent­ lich Luthers Uleinung. Ich zitierte schon oben (S. 10) ein Lutherwort „von den zweierlei Geschlechtern, die von Anfang der Welt her gewesen sind und 1) Das ist natürlich ein reines Glaubensurteil und hat nur Wert, wenn man sich dessen bewußt ist, daß damit von dem Jesus-Ehrist etwas ganz Ungeheures, schlecht­ hin Einzigartiges ausgesagt wird, wovon nur er selbst einen Menschen überführen kann.

24 werden auch bleiben bis an der Welt Ende". Ich muß nun auch die Fort­ setzung geben, weil sie Luthers Meinung besonders schlagend zum Ausdruck bringt. Luther antwortet hier aus die Krage, wer wirklich ein Gliedmaß E h r i st i sei, in Auslegung des 24. Psalms also: „ Der rein, unschuldig und ohne alle Sünde ist, auch rein ist von dem Willen und Lust zum Argen. Der Psalmist spricht nicht: Ein Bischof, ein Papst, Doktor, Apostel, Kürst, König, spricht auch nicht: ein Priester, ein Geistlicher, ein Mönch, ..., denn bei Gott kein Ansehen derer oder solcher Personen ist ..., sondern der ists allein, -er dieses einige Stück an sich hat, daß er rein sei innerlich und äußerlich, im Geist und Kleisch, ob er gleich der vorgesetzten Stücke, so es möglich wäre, gar keines hätte. Sind dies nicht wunderliche Ding'? höre aber noch wunder­ lichere. Wer ist denn nur der, so rein und unschuldig? Antwort: Niemand, ohne allein der Herr Jesus Lhristus, die Andern sind alle unrein und gar keineswegs zu reinigen aus ihrem Dermögen und Kräf­ ten, sondern allein aus der Gnade, so ihnen durch Lhristus eingegossen wird, denn je Keiner ist, der sich rühmen dürfte, er wäre rein an Händen und herzen, auch nicht die Apostel und Propheten selber" (E. A. 38, S. 353 ff)x). Ulan kann es doch wohl nicht deutlicher sagen, daß das Wort Lhrist streng genommen nur mit einem einzigen Subjekt verbunden werden kann, mit Jesus dem Lhrist. Aber es tritt nun auch ans Licht, was der echte Sinn des Wortes in An­ wendung auf ein anderes Subjekt ist. Es sagt nichts über eine Eigenschaft oder (Qualität, über seine Ursache, Herkunft, Genesis, sondern unterstellt es einer Norm,- es bezeichnet nicht ein Sein, sondern ein Sollen. Es ist die Norm für mein Urteil über das Subjekt, dem es beigelegt wird und natürlich auch für die Selbstbeurteilung. Ich stelle damit für mich ein Sollen, eine Derpflichtung fest, spreche aus, daß ich es als Gottes Gebot erkenne, das betreffende Subjekt als christlich gelten zu lassen und zu behandeln. Diese Erkenntnis kann sich nur aus den in der heiligen Schrift offenbarten Willen Gottes, den mit dem Schopserwillen einigen Erlöserwillen Gottes, gründen. Lhristlich ist: wer und was laut der Offenbarung in Lhristus als diesem Willen Gottes entsprechend angesehen wer­ den soll. Kann ich nun nur aus dem Neuen Testament entnehmen, wovon dies gesagt werden kann, so ergibt sich sofort, daß die Anwendung des Wortes auf Dinge, von denen im Neuen Testament überhaupt keine Rede ist, unstatt­ haft ist. Und da wir jedenfalls vergeblich im Neuen Testament ein Gebot Gottes darüber suchen, wie ein Schießgewehr angefertigt und Schuhe gemacht werden sollen, aber auch in bezug aus Ackerbau und Warenhandel, so ergibt sich ohne weiteres, daß das Wort „christlich" oder „Gottes Gebot entsprechend" damit nicht in Derbindung gebracht werden darf,- es sei denn, wir erinnerten uns daran, daß auch Schießgewehre und Schusterhandwerk, wie Brot und Klei­ der, Dinge sind, und von den Dingen und ihrem rechten christlichen 1) Dort deutsch, Auslegung des 24. Psalms, nach einer Übersetzung tlurifaber;,- lateinisch Scholae super psalterium, W. fl. 31,1, 5. 472Jf. Die W. H. datiert sie auf 1513—1516; ich vermag nicht zu sehen, mit welchem Grunde.

Gebrauch enthält die heilige Schrift sehr viel Weisungen und Gebote, nämlich, daß wir uns keines Vings rühmen und vor keinem Ving fürchten sollen. Lhristliche Dinge gibt es nicht, aber wohl eine christliche Lehre von den Dingen. Und wenn jemand unter den Dingen, wozu auch Theorien gehören, B. -er Kapitalismus und der Sozialismus, christliche und unchristliche unter­ scheiden wollte, so könnten wir chn leicht durch den Hinweis darauf zum Schweigen bringen, daß solcher Unterschied in der Schrift keinen Grund hat, ja, daß solcher Unterschied ausdrücklich verboten ist. Die Voraussetzung für die Anwendung des Beiwortes christlich auf irgend­ ein Subjekt ist also das Vorhandensein einer Lehre darüber im Neuen Testament, und da Lehre von Gott dem Herrn her nie etwas anderes sein kann als Willenskundgebung und Befehl, nie anders be­ ginnen kann, als mit dem Satz „Ich will" oder „ Du sollst", so sagen wir besser sogleich das Vorhandensein eines Gebotes Gottes im Neuen Test amen t. (Ein solches Gebot haben wir über den Menschen. Die Schrift sagt es uns, welchen Menschen wir als Bruder in Thristus, als Bürger des Himmelreiches, als Miterben des ewigen Lebens anerkennen sollen, und welchen Menschen wir die eigentümlich christliche Haltung der Bruderliebe schulden. Die Schrift hat einen Begriff vom christlichen Menschen. Das ist der Mensch, durch dessen Wort und Tat unserm um den Glauben wissenden Herzen deutlich wird, daß er aus Glauben redet und handelt,' der Mensch, wie chn Gott gewollt hat, als er ihn am sechsten Schöpfungstage schuf und über den er uns durch die Offenbarung in Jesus Thristus seinen Willen kundgetan hat. Der Mensch, der nach dem Gebote Gottes glaubt und lebt» Gott über alle Dinge zu fürchten und zu lieben, was nicht geschehen kann, ohne zugleich den Nächsten, den Bruder und den Zeind zu lieben —, auch wenn er von Jesus, von Nazareth und Golgatha, von Jerusalem, Rom und Wittenberg nichts weiß, und wenn er niemals von einem Sakrament berührt wäre. Und wer nicht in Überein­ stimmung mit diesem Gebot Gottes, wie es in Jesus Thristus Arisch geworden und im Neuen Testament in Menschenworte gefaßt ist, nicht aus Glauben lebt, der ist eben kein Thrift, mag sein Name hundertmal in den Registern einer katholischen oder evangelischen Gemeinde verzeichnet stehen, und mag er auch die Taufe und das Abendmahl empfangen haben. Und wenn uns Paulus nicht umsonst gesandt ist, dann dürfen wir neben diesem Beweis aus dem pneuma, aus den Gnadengaben, aus den Gaben des Zeugnisses und der dienenden Liebe, deren höchste Spitze die Aufopferung und die Zreudigkeit des Martyriums ist, nach nichts anderem fragen, nicht, ob Jude oder Heide, ob Mann oder Weib, ob freier oder Knecht, nicht nach Rasse oder Volk, nach Heiligkeit und Gesetzlichkeit, nach der Zugehörig­ keit zu irgendeiner naturhast gegebenen oder willkürlich gebildeten societas, auch nicht nach der Zugehörigkeit zu irgendeiner Religionsgesellschast, nicht nach irgendeiner Dualität oder Sozialität. Niemand i s t als solcher ein Thrift, denn welches Menschen Sein und haben entspräche diesem Sollen? Aber auch jeder Mensch, jedes mit der Gabe der Vernunft ausgestattete Lebewesen,

26 das Gott mit diesem Wort angesprochen, das es gehört hat und damit, d a m i t getauft ist, soll uns als Christ gelten. Venn dieses Wort ist ja nicht ein totes, sondern ein lebendiges, mächtiges, wirkendes Wort, das Wort Gottes, das ausrichtet, wozu es gesandt ist, das zweifellos verwirklicht wird, das den, der es empfängt, nicht unrein läßt, sondern „hebt an zu reinigen". Sagen wir also von einem Menschen: Ein Christ, so dies, daß uns an ihm dieser Wille Gottes, dieses Sollen, diese Crwählung und Berufung erkennbar ge­ worden ist (nämlich für den Glauben, durch sein Wort und seine Taten), daß Gottes Gnade in ihm mächtig geworden ist, ein Gefäß, ein Werkzeug, ein voulos des Willens Gottes, aber ja kein Grgan! Venn die Ausgießung des heiligen Geistes bedeutet keine Blutmischung und keine Verwandlung des Seins, und auch mit dem köstlichsten Wein gefüllt, bleibt das Gefäß irden. Ich preise dann Gott über diesen Menschen und weiß, daß ich chm um Gottes Willen Bruderliebe schulde, obgleich dieser Mensch keineswegs Christ oder rein ist, sondern in vielen Stücken unrein und gereinigt zu werden bedarf. Und nenne ich mich selbst einen Christen, so kann dies nur einen Sinn haben: Ich unterstelle mich damit dem Gebot des Glaubens, ich erkenne die Verpflichtung des ersten Gebotes an. Ich weiß mich als einen von Gott er­ griffenen Menschen. Vies ist auch der Sinn der eigentümlichen Redeweise Luchers, daß der Christ nicht im Wordensein sondern immer im Verden ist. Vas heißt nicht etwa, daß er in fortlaufender Entwicklung stehe, so daß der ältere Christ etwas voraus habe vor dem jüngeren; nein, ein solches beneficium senectutis gibt es nicht. Luther will sagen, daß der Christ nie fertig ist, immer wieder am An­ fang steht, vor immer neuen Gehorsamsproben, immer wieder fallen und aufstehen kann. Luther sagt dieses, daß niemand ein Christ ist, aber auch jeder ein Christ ist, durch das Wort, durch den Anspruch Gottes zum Christen­ glauben berufen. Ich meine, jener Pietist hat ihn recht verstanden, der singt „Und ist auch gleich ein Kampf wohl ausgericht', das machts noch nicht!" Wir haben aber in der Schrift nicht nur eine Lehre vom christlichen Menschen, sondern auch eine Lehre von der christlichen Menschheit, oder da diese als eine gegliederte geschaffen ist, ein Gebot darüber, wann wir, die Gläubi­ gen, irgendein Menschenkollektiv, sei es nun durch Naturkräfte zusammen­ geballt, Zamilie, Gemeinde, Volk, sei es durch Wilkür gebildet, jede Art von Gesellschaft, auch die Religionsgesellschaft, als christlich, als „Kirche" anzu­ sehen und zu behandeln haben, vann nämlich, und dann allein sage ich, wenn dieses Kollektivum von Gott angesprochen und berufen ist, und das wird uns, den Gläubigen erkennbar an der lauteren und reinen Verkündigung des Wortes Gottes. „Vas ist und muß uns Grund und gewisser $els sein: Wo das Evangelium recht und rein gepredigt wird, da muß eine heilige christliche Kirche sein, und wer daran zweifelt, der mag ebenso zweifeln an dem Evan­ gelium, daß es Gottes wort sei" (w. A. 38, S. 252). »Ut discamus, ibi esse ecclesiam dei, ubi Verbum dei sonat, sive in media Turcia, sive in papatu, sive in infemo; sermo dei enim est.qui constituit ecclesiam, is est dominus omnium locorum. Ubi Deus loquitur, ibi est ecclesia, ibi apperitur regnum

coelorum« (ö). st. 43, S. 597). Das Mort aber läßt sich keine Grenze ziehen und an keine Bedingung binden. 6s läßt sich nicht hindern, über die Grenzen der Kirche im Rechtssinn und über den Haufen der Wassergetauften hinauszu­ greifen und eben auch Masserungetauste in das Volk Gottes zu berufen und einzugliedern. Es ergeht an alle, die es hören. „Wo Du nun solch Wort hörest oder siehest predigen und glauben und danach tun, da hab' keinen Zweifel, daß gewißlich da sein muß eine rechte ecdesia sancta catholica, ein christlich heilig Volk, wenns ihrer gleich sehr wenige sind, denn Gottes Wort geht nicht ledig ab, Zsaias 55, sondern muß zum wenigsten ein viertel oder Stück des Ackers haben. Und wenn sonst kein Zeichen wäre, denn dies allein, so wäre es doch genugsam zu erweisen, daß da muß sein ein ch r i st l i ch heilig Volk, denn Gottes Wort kann nicht sein ohne Gottes Volk, wiederum Gottes Volk kann nicht ohne Gottes Wort sein" (W. st. 50, 5. 629). Deshalb kann Luther bei all seinem Realismus in der Beurteilung der Empirie doch die Grtsgemeinde zu Leisnig, die Bürgerschaft zu Wittenberg, die Einwohner­ schaft des Kurfürstentums Sachsen, ja schließlich die ganze Menschenmenge im Reich des Kaisers, also die leibliche äußerliche Ehristenheit als christ­ lich ansprechen, nicht als christlich seiend sondern als für christlich gelten sollend. Er nimmt, wenn er dies tut, nicht einige ihm persönlich bekannte Gläubige als Stellvertreter für die andern, beurteilt nicht die Masse nach den Wenigen, sondern er nimmt die lautere und reine predigt als Gebot, die Hörer und Empfänger dieses Wortes als Ehristen anzusehen, dieser Zamilie, dieser Nachbarschaftsgemeinde, diesem Volk und natürlich auch und erst recht jeder Sammlung von Menschen, die sich zum willigen und fleißigen hören des Wor­ tes enger zusammenschließen, also eine pfarr- oder Kirchengemeinde bilden, die Achtung, das vertrauen, die Liebe, Hoffnung und Geduld entgegenzu­ bringen, die die Schrift für die ecclesia fordert. „Weil Christus' Name, Taufe, Evangelion, Sakrament blieben ist, um welcher willen auch das ganze Land der Christen Land und sie die Christenheit heißen". (W. st. 30, 2; S. 169, Z. 28) Man darf sich darin auch nicht durch den Augenschein, den empirischen Be­ fund, die zuständige ethische Gebrechlichkeit irremachen lassen, denn „heilig ist die Kirche, das ist wahr,- aber heilig sein heißt nicht ohne Sünde sein hier auf Erden, sondern heißt im Geist heilig sein durch Gottes Wort und doch in Sünde sein. Denn vergebene Sünde ist gleichwohl Sünde und wird nicht Recht und Wahrheit daraus, ob sie wohl nicht verdamme ... Zn Christi Wort ist sie (die Kirche) heilig, außer Christi Wort ist sie gewiß eine irrige, arme Sünderin, doch unverdammt um Christi willen, an den sie glaubt" (W. st. 30, 3, S. 342). Welch eine wundervolle Perspektive eröffnet sich! von welcher Weiträumig­ keit ist dieser Kirchenbegriff! Denn wenn Kirche oder Christenheit nichts an­ deres bedeutet als den Haufen derer, die vom Wort getauft, überströmt, über­ schüttet sind, dann reicht sie, soweit als das Wort reicht; dann ist damit geboten, die Menschheit selbst und jeden Menschheitsteil, also auch unser Volk, in diesem Licht zu sehen, ihm diese Würde zuzuerkennen, es an diesem Maßstab zu messen, trotz aller Erkenntnis seiner Sünden und Schwächen. Dies Volk ist durch das

28 Wort, das ihm Gott gesandt hat, für uns geweiht und geheiligt, hat um des­ willen Anspruch auf unsere Liebe und unsern Dienst, und soll um Gottes willen, aus Gehorsam gegen Gott selbst als Leib der communio sanctorum geliebt werden mit Wort und Tat. In diesem Kirchenbegriff ist nicht nur das Recht aller Mission im weitesten Sinn und aller Kulturarbeit, sondern vor allem auch das Recht der Liebe zu Volk und Vaterland begründet. (Es soll uns als ein christliches Volk gelten, weil es Gott dazu berufen hat. wenn also Luther an die Grtsgemeinde zu Leisnig davon schreibt, dah eine christliche Gemeinde Recht und Macht habe usw., so sagt er ihr, wie sie, die Bürger von Leisnig, samt Rat und Schöffen, verfahren sollten, wenn sie als christlich gelten wollen, was für ein Verhalten das Reue Testament von ihnen fordert, wozu es nach Gottes Absicht in Leisnig Grtsgemeinde, Ratsherren und Schöffen gibt, wenn Luther an den christlichen Adel deutscher Nation schreibt, so will er ihnen, den führenden Ständen im Keich, sagen, wie sie ihre Macht gebrauchen sollten, wenn sie christlich sein wollen, was das Wort Gottes, wie es im Neuen Testa­ ment gesagt ist, für ein handeln von ihnen in der gegenwärtigen Situation fordert und verbietet. Dann würden sie ein christlicher Adel sein. Er hält ihnen einen Spiegel vor vom rechten, christlichen, Gottes Gebot entsprechenden Gebrauch der ihnen verliehenen Machtmittel, und es bleibt dafür völlig gleich­ gültig, ob sie es wollen oder nicht wollen. Luther redet von dem, was sie sollen,- er verkündigt ihnen die Idee des christlichen Adels. Lin christlicher Kaufmann, ein christlicher Kriegsmann ist der, der sich für seine Wirtschaftsführung und seine Schwertführung dieser Norm und zwar natürlich von Herzen unterwirft. Ein christlicher Ehestand ist da, wo Gatten das glauben und leben, was im Neuen Testament von der Ehe gesagt ist. Im­ mer bezeichnet das Wort christlich eine Norm und zwar die im Neuen Testament, in der Offenbarung in Christus, gegebene Norm, antwortet es auf die Frage nach dem Sinn eines vaseienden, beleuchtet es eine konkrete Situation, gibt es ein Gebot für Glaube und Tun. hätten wir eine eindeutige und allgemeingültige Terminologie, so würde ich sagen: Das Wort Christlich und Ehristenheit oder Kirche bedeutet bei Luther keine Realität, sondern Existenz. Denn ich meine, die Existenz bezeichnet eine Wirklichkeit ohne Substanz und ohne Kausalität, die Merkmale einer res, aber nicht etwa geringere, sondern höhere Wirklichkeit, und das ist eben die Wirklichkeit der Idee oder der Norm. Und so ist die christliche weltliche Gbrigkeit die weltliche Obrig­ keit, wie sie nach dem Worte Gottes sein soll, die Obrigkeit, wie sie von jedem Ehristen in seiner Lage als Regierter oder als Regierender gewollt werden soll; eine Verkündigung von dem, was Menschen, die dem Worte Gottes, der Grunünorm des ersten Gebotes, gehorchen wollen, über die weltliche Gbrigkeit, über den Staat, zu glauben und zu lehren haben. Wir stehen damit vor der letzten Aufgabe, um den Sinn jenes Wortes Ehristlich in seiner Anwendung auf den Staat zu erkennen, nämlich die Lehre der heiligen Schrift vom Staat, wie Luther sie verkündigt hat, auch materiell wiederzu­ geben.

2. Es sind wenige, aber grundlegende Sätze. Um sie zu ermitteln, tut man gut, gerade nicht die großen Schriften auszuschlagen, in denen sich Luther ex professo mit der Gbrigkeit befaßt — Kn den Übel, von weltlicher Gbrigkeit, Kn die Ratsherrn, die Schriften zum Bauernkriege und zur Türkengefahr —, oder eine seelsorgerliche Schrift wie die, ob Kriegsleute im seligen Stande sein kön­ nen, denn das sind alles Gelegenheitsschristen, in denen Luther Antwort auf eine ganz bestimmte Zrage sucht. Und ob ich auch keineswegs meine, daß Luther in einer derselben seine Meinung verbogen oder angepaßt hätte, so rückt die Gbrigkeit doch in ein ganz bestimmtes Licht, wird sozusagen nur die eine oder andere Seite betont. Es ist, meine ich, auch methodisch richtiger, Luthers Lehre vom Staat zumal aus seinen exegetischen Schriften zu ermitteln, also aus den Genesispredigten, den Psalmenauslegungen und der Auslegung von Kapitel 14—20 des Johannesevangeliums. Man kann aber diese Lehre nur in einer doppelten Gestalt erfassen, als die Lehre vom christlichen Gberherrn und als die Lehre vom ch r i st lichen Untertan, denn das Wort Gbrigkeit oder Gewalt oder potestas ist ein Maßwort. Es bedeutet also Verschiedenheit der Gaben und der Kräfte,' da aber Gaben oder Kräfte zum Gebrauch verliehen sind, müssen wir sogleich sagen: Verschiedenheit des vermögens, der Macht, im letzten vaseinsgrund der physischen Macht, in höchster Ausbildung der Herr­ schermacht, die ja nichts anderes ist als angesammelte, verbundene, vermehrte und durch Ausnützung von Naturkräften gesteigerte physische Macht, was lehrt die Schrift, das Evangelium, das Wort Gottes über diese Tatsache den Machtträger und was lehrt sie den Ohnmächtigen, Macht Ermangelnden? wir beginnen mit der Lehre vom christlichen Untertan, was für ein Ver­ halten geziemt dem Christen oder Gläubigen in dieser Lage, wenn er Gott über alle Dinge lieben und fürchten, also mit dem Gottesgedanken radikal Ernst machen will? Vie heilige Schrift verlangt von ihm die unbedingte An­ erkennung dieser Tatsache als von Gott gewollt oder gesetzt. Der Gottesglaube verlangt die ausnahmslose Herleitung alles vaseienden und aller Geschehnisse aus Gott. Nicht etwa nur des Regens oder Sonnenscheins, der Mißernte und der Krankheit, sondern auch des Menschenwerks. Vie Tat und das Werk des Menschen gilt als Menschenwerk, wodurch er schuldig wird, nur zwischen Gott und Mensch,- zwischen Mensch und Mensch ist jedes Menschen­ werk Gottes Werk. Gott ist der allein wirkende, der Mensch auch dabei nur Werkzeug, ohne liberum arbitrium; dies ist nur Schein, Vorspiegelung, Mummerei. Gott verkleidet sich dabei in den bösen Menschen, ja in den Teufel. Aber auch die bösesten Werke des Menschen, zu denen er sich durch den Teufel verführen läßt, wenn er aus Eigennutz oder Vermessenheit aus der Natur macht, was nicht dem Nächsten dient, sind Gottes Werke. Sie wären nicht mög­ lich ohne Gott, subjettiv und objektiv, ohne daß Gott dem Menschen die Zähig­ keit dazu verliehen und gelassen hätte, ohne daß Gott chm die Mittel gegeben hätte, seine Absicht durchzuführen, hätte Gott nicht gewollt, daß Eva den Apfel

30 brach, so wäre entweder Evas Arm vorher gelähmt oder der Apfel verdorrt, hätte Gott nicht gewollt, daß Jesus gekreuzigt würde, so wäre das Holz vorher zersplittert, ver Mensch kann nichts machen ohne Gottes Vorhaben, er ist nie­ mals Schöpfer,- auch wenn er meint, dem Teufel zu dienen, mutz er doch wider Willen Gott dienen. Auch des Teufels Macht ist durch Gott begrenzt. Daher der wundervoll überlegene Humor in Luthers Verkehr mit dem Teufel! Auch die Teufelswerke, z. B. die Ermordung der beiden Blutzeugen in Brüssel, sind vom Menschen aus gesehen Gottes Werke, wir sollen dem Teufel widerstehen, dem vom Teufel besessenen Menschen wehren, aber, datz der Mensch morden kann, ist doch Gottes Werk, der Mord kommt durch Gott zustande,- er hätte ihn sonst verhindert, z. B. durch den plötzlichen Tod des Übeltäters, ehe er die flammen des Scheiterhaufens entzündete, wiederum ist alles, was der Mensch macht, im Gehorsam gegen Gottes Gebot, d. h. aus Liebe, zum Nutz und Frommen des Nächsten, nach der Regel „Alles was Ihr wollt, daß Euch die Leute tun, das tut Ihr ihnen auch" Gottes Werk, nicht sein verdienst, der Mensch ist auch dabei nur Werkzeug des göttlichen willens. Gottes Werk ist auch das geringste und hätzlichste Werk, z. B. wenn der Richter den Räuber hängt oder der Fürst die Rotten der Bauern blutig niederwirst, um das Volk und die Unschuldigen zu schützen. Alles, was der Mensch im Glauben tut, ist Gottes Werk, nur dieses das Werk des offenbaren, jenes, das Werk aus Unglauben, das Werk des vermummten und verkleideten Gottes, der sein Angesicht einen kleinen Augenblick des Zornes vor uns verbirgt. Also ist auch die Machtanhäufung in den Händen einiger weniger Menschen und die Untertänigkeit der vielen Gottes Werk, vatz sie da ist, prägt ihr das Siegel auf: Aus Gott. So legt Luther den herrlichen ersten Vers des 127. Psalms aus: „wo der Herr nicht das Haus baut, da bauen die Bauleute umsonst,- wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachet der Wächter umsonst" (w. A. 15). Luther weitz ganz genau, datz es bei dieser Machtanhäufung in den Händen einzelner Menschen und einzelner Völker sehr willkürlich und grausam zuge­ gangen ist *), aber dar macht ihn nicht irre. So wenig wie die Erzeugung eines Menschen aus der sündhaften Begierde der Eltern etwas daran ändert, datz der Mensch Gottes Geschöpf ist, so wenig wird durch allen Frevel bei der Bil­ dung der Staaten alteriert, datz der Staat Gottes Werk oder Ordnung oder Stiftung ist. Vas heißt, der Staat stammt nicht aus der Sünde des Menschen und aus dem Sündenfall, nicht aus einer Auflehnung des Menschen gegen den willen Gottes, der die Gleichheit aller Machtträger gewollt hätte, sondern aus dem Schöpferwillen Gottes. Luther fixiert deshalb die Stiftung des Staates oder der Obrigkeit auf den sechsten Schöpsungstag ebenso wie die Stiftung des Ehestandes, vor den Sündenfall. Er sagt ausdrücklich, daß es auch, wenn Adam nicht gefallen wäre, unter den Menschenkindern Obrigkeit und Ehestand hätte geben sollen1 2). Nur freilich hätte dann die Obrigkeit keine Zwangsgewalt

1) vom Kriege wider die Türken, 1529 (w. H. 30, 2, S. 123). Aber auch bei der Machtbildung der Römischen Kirche: De captivitate (w. H. 6, 498). 2) Genesispredigten (w. A. 24, 63): „Kein Zweifel, datz Adam im Paradies

gebraucht, denn unter gläubigen Menschen bedarf es keiner Herrschaft des Gesetzes und des Schwertes. In der Menschheit, wie sie sein soll, und wie sie durch das Evangelium wiederhergestellt ist, erlischt die Zunktion der Gbrigkeit keineswegs, aber sie ist da nur die Zunktion des Stärkeren, den Schwächeren, Geringeren, Unmündigen zu helfen, nicht die, den Bösen zu wehren und sie zu hindern. Uber Herrschaft soll es auch in der gläubigen Menschheit geben. Sie hat also auch in der Christenheit ihren von Gott verliehenen Stand. Auch die gläubige Menschheit bedarf der Macht, wie der Ehe, um zu leben, um zu dauern und erhalten zu werden, würde doch kein Kittö aufwachsen, ohne daß es ein Stärkerer führte und leitete! Bedarf doch sogar die Gemeinde der Gnadengabe der Regierung, nicht der Zwangsgewalt, wohl aber des Dienstes der Macht! Es gibt kaum ein mehr unlutherisches Wort als jenes, daß die Macht an sich böse sei. Ist also jede Macht von Gott, so gilt jeder Macht gegenüber, das erste Gebot zu erfüllen, Gott über alle Dinge zu fürchten und zu lieben. Diese Liebe um Gottes willen gebührt auch der Gbrigkeit, ebenso wie sie ja auch dem Gottes­ werk der natürlichen Schöpfung gegenüber ausnahmslos gefordert wird. Be­ deutet aber die Liebespflicht den Werken Gottes in der Natur gegenüber nichts anderes wie, sagen wir kurz, amor fati, aber wirklich amor, den Glauben, daß uns Gott nichts gibt und versagt, als was zu unserem Besten dient, den Lob­ preis des Schöpfers in allen Lagen des natürlichen Lebens, so bedeutet sie den scheinbaren Werken des Menschen gegenüber etwas anderes. Sie fordert näm­ lich entweder Zeindesliebe oder Bruderliebe. Zeindesliebe ist die Liebe, die der christliche Untertan der feindlichen Gbrigkeit schuldet, also der Gbrigkeit, in der ihm Gott in der Vermummung des Teufels, des alten bösen Zeindes entgegentritt. Und das ist nicht die ihm persönlich übelwollende, sondern dem Keich Gottes feindliche Gbrigkeit, die uns den Namen Gottes nicht heiligen läßt und sein Reich nicht kommen lassen will. Luther beschreibt diese Liebe, die das Evangelium von dem christlichen Untertan für die tyrannische Gbrigkeit fordert, nach drei Seiten. Die er st e Pflicht der Liebe ist die des entschlossenen und mutigen Widerspruchs und Protestes, denn durch das Schweigen würden wir uns an dem wüten des Zeindes mitschuldig machen, wir müssen es ihm sagen, daß er unrecht tut, und dabei ist kein Wort zu scharf und zu deutlich. „Denn deines Widersachers Sünde sollst du nicht billigen, sondern warnen und strafen. Das heißt eine große Barm­ herzigkeit gethan mitten im Bösen, nämlich dem Zeind seine Sünde anzeigen" (w. fl. 28, 2. 285 f.). Die leidenschaftliche Sprache Luthers gegen den Papst, gegen Albrecht von Mainz, gegen den Herzog Georg von Sachsen, gegen Heinz von wolfenbüttel, gegen den König von England usw., ist so wenig eine Ver­ letzung dieses Gebotes der Zeindesliebe, wie Jesu Kampf gegen Pharisäer und Schriftgelehrte, und des Paulus Kampf gegen die Judaisten in Jerusalem. Die zweite Pflicht der Liebe ist, daß wir uns weigern, dem Ansinnen der feind­ lichen Gbrigkeit zu gehorchen, wenn sie von uns verlangt, was gegen Gottes

sollt f ü r st e h e n Zischen, Vögeln und Tieren. Also wäre die Arbeit und das Regiment geblieben, doch ohne Mühe und Unglück."

32 Gebot ist, B. die Bibeln auszuliefern, das Zeugnis der Wahrheit zu wider­ rufen oder gar einen Glaubenskrieg zu führen oder an der Seiet der Messe teilzunehmen, wir müssen lieber das Leben lassen als gehorchen, wer der feind­ lichen Gbrigkeit ihren willen tut, um sein Leben zu retten, bricht das Gebot der Seindesliebe um Gottes willen, wir dürfen uns unter keinen Umständen zur Sünde verführen lassen, auch nicht zu der Sünde, selbst die Waffen zu er­ greifen und Aufruhr zu machen, und damit dem Teufel einen Vorwand und einen Schein des Rechts für seine Grausamkeit zu liefern. Denn damit würden wir zeigen, daß wir Gottes Wort nicht über alles lieben, das dem Christen solche eigenwillige Gewaltanwendung verbietet, und daß wir unsrer eignen Kiaft mehr vertrauten als Gottes Hilfe. Die dritte Liebespflicht ist das Gebet zu Gott, er wolle dem wüten des Tyrannen Schranken setzen, indem er ihn entweder bekehrt oder seinen bösen Rat und willen bricht. Zn diesen drei Stücken ist die christliche Haltung des Untertanen gegen die feindliche, teuflische Gbrigkeit beschrieben. Es ist nahezu unfaßlich, wie man daraus hat den Vorwurf gegen Lucher herleiten können, er habe dem Untertan jeden Widerspruch und Widerstand verbieten, und jede Änderung in der Regierung eines Landes, jedes Streben nach einem wechsel der Staatsformen, unterbinden, oder er habe die einmal gegebenen Machtoerhältnisse für unverrückbar erklären wollen. Lucher, dessen Schriften überfließen von Drohungen an die Gbrigkeit, die ihre Macht miß­ braucht, und von Weissagungen des Sturzes, der ihr bevorsteht! Luther ist vielmehr der Meinung, daß es jederzeit in der Macht der Christen liegt, einer solchen feindlichen Gbrigkeit ein Cnde zu setzen, denn, sagt er: „Summa, es ist der Könige, Herren und Fürsten Schuld nicht, daß sie das Regiment haben, friedliche und gehorsame Untertanen, noch einiger Menschen auf Erden ohne allein der Christen, ob jene gleich denken: Ich trage die Krone und führe das Schwert, darum geht's um meinetwillen also..., nein, es wird ihnen geholfen allen durch heimliche Hilfe, die sie nicht sehen noch wissen, nämlich Gottes wort und Ordnung und der Christen Gebet. (Bei dem ungeheuren widerstreben des Pöbels gegen jedes Regiment) muß eine andere Macht dahinterstehen, die es hält, wenn Könige und Herren im Regiment sitzen bleiben und der Pöbel, wie böse und ungehorsam er ist, dennoch herunter bleibet,- sonst würde bald alles zu Trümmern gehen, wie es geschieht, wenn Gott zornig ist, und so übermacht ist durch der Tyrannen und des Volkes Bos­ heit mit Undank und Verfolgung wider sein wort und die Christen, daß sie hinwegkommen und nicht mehr beten, daß es müßte einmal ein Ende haben. Da tut auch Gott Zinger vor die klugen und läßt gehen, wie es geht (d. h. er hört aus, die Gbrigkeit zu schützen). Da liegt denn Hurst, Bürgermeister und Pöbel und alles übereinander, wie ein alt Haus übereinander fällt, daß man sehe, wie die weit selbst kann regieren, und wie es wohl steht, wenn Gott die Hand abziehet und die Christen nicht beten... wir aber sollen wissen als Christen, daß das ganze leibliche Regiment und Wesen stehet und bleibet, so­ lange es stehen soll, allein durch Gottes Ordnung und der Christen Gebet. Das sind die beiden Säulen, die die ganze Welt tragen." (w. kl. 45, S. 537 ff.)

„Gleichwie Gott auch dem Meer, so es wütet und tobt, ein Ziel und Ufer ge­ stellt hat, über die es nicht kommt, also spricht Gott zu einem (Tyrannen: höre du wohl, du großer Eisenfresser, da gehe her und nicht weiter." (w. H. 50,5.290.) „Die Gbrigkeit, sei wie sie wolle, ist sie nicht von Menschen, sonst wäre sie nicht eine Stunde sicher,- wenn es Gott nicht mit Gewalt erhielte, würde sie Herr Gmnes alle totschlagen." (W. fl. 24,5.586.) Das heißt, der Bestand der Macht ist davon abhängig, ob sie von den Christen im Lande mit ihrer Sympathie und ihrem Gebete gestärkt und gestützt wird; ohne diesen Rückhalt müßte sie zerbrechen. Bruderliebe aber ist die Liebe, die der christliche Untertan der stam­ men und getreuen Gbrigkeit schuldet, d. h. der gewissenhaften Gbrigkeit, nicht etwa der im vorhin abgelehnten Sinn christlichen Gbrigkeit, so daß die Unter­ tanen chr Derhalten von der vorherigen Keststellung des persönlichen Glau­ bens des Machtträgers abhängig machen dürsten. Bruderliebe bedeutet die Anerkennung der Gbrigkeit als Mitchristen und Mitpriester, als ein Glied im christlichen Körper und zwar als ein ausgezeichnetes Glied, und es folgt daraus die Derpflichtung, ihre Gebote als Gottes Gebote anzunehmen, ohne erst auf Drohung und Zwang zu warten, z. B. durch den Heeresdienst im gerechten Kriege, durch Steuerzahlen, durch Unterwerfung unter das Gesetz und das Gericht der Gbrigkeit und durch den Lid. Das waren zu Luthers Zeit die ein­ zigen vorhandenen Möglichkeiten zur Betätigung dieser Liebespflicht außer Danksagung und Zürbitte, wie sie sich für jede gute Gabe Gottes von selbst versteht. Uber diese aktive Hingabe an den Staat mit allen Mitteln, die die wechselnde, konkrete Situation dem Christen zur Derfügung stellt, mit Gut und Blut, ist nun auch nicht etwa nur ein Dürfen, wie der Gebrauch von Speise und Trank, sondern ein Sollen. Man kann kein Christ sein ohne solche mit­ bauende Arbeit an dem Staat, dessen Wohltaten man selbst alle Tage genießt. Die Täufer verweigern dem Bruder die Pflicht des christlichen Untertans. Und nun zuletzt die Lehre Luthers vom christlichen Gebrauch der Macht oder von christlicher Gbrigkeit. Was hat der Christ in der konkreten Situation des Machtträgers zu denken und zu glauben? Nun, wenn das oben zitierte Psalmwort (Psalm 127), wenn die Tatsache der unbedingten Abhängig­ keit des Menschen von Gott dem Ohnmächtigen, dem Untertan vor allem die innere Zreiheit und Zurchtlosigkeit geben sollte, so muß sie den Selbstmächtigen vor der entgegengesetzten Gefahr der Dermessenh e i t bewahren. Der Christ soll wissen, daß er nicht mächtig ist, sondern Macht empfangen hat als haushalter, und daß sie chm jeden Augenblick genommen werden kann. Er ist für den Gebrauch seiner Macht an den Auftrag, d. h. an die Schrift gebunden. Dieser Auftrag aber verlangt auch von ihm ein doppeltes Derhalten. Erstens das Derhalten der Gbrigkeit zum bösen Untertan, was natürlich wieder bedeutet: Zum sachlich bösen Untertan, denn durch Schmei­ cheln und Unbeholfenheit im persönlichen Derkehr darf sich die Gbrigkeit nicht beeinflussen lassen, — also zu dem Untertan, der gegen die Gebote Gottes verstößt, hier übt die Gbrigkeit das Wehramt, durch Strafe die Übertretung der goerfter, Unsinn und Sinn des „Christlichen Staates".

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34 Gebote Gottes zu hindern. Luther kennt nur zweierlei Begründung der Strafe, nämlich Erziehung und Abschreckung. Zur rächenden und sühnenden Strafe gilt ihm kein Mensch für befugt, denn das wäre ein Eingriff in Gottes Souve­ ränität. Sache der Gbrigkeit ist also poena et remedium peccati; es ist wohl nicht nötig, hierfür Stellen anzuführen, da Luther von diesem Beruf der Gbrig­ keit autzerordentlich oft redet. Allein, weshalb soll überhaupt die Verletzung der Gebote verhindert werden, also z. B. Gotteslästerung, Sabbatschändung, Ehebruch, Diebstahl, Totschlag, Meineid usw.? Ist doch in unzähligen Worten des Neuen Testamentes, nicht nur in der Bergpredigt, von den Thristen ge­ fordert, das Umecht zu leiden und keine Hand, geschweige denn eine Waffe dagegen zu erheben! weshalb gebührt der Gbrigkeit eine Reaktion auf den bösen Untertan, die dem Untertan gegen die böse Gbrigkeit nicht gebührt? Um dies zu verstehen, müssen wir einen Grundsatz Luthers für den Gebrauch der heiligen Schrift beobachten: „Es ist nicht genug, daß da sei Recht und Un­ recht, sondern es mutz auch ein Mann da sein, dem das Recht besohlen ist. was fragest du danach, wie ein anderer in seinem Hause sein Gesinde ziehet? Ziehen, vermahnen soll man wohl, wenn's unrecht zugeht, aber mit der Kaust drein­ schlagen ohne Befehl, das ist teuflisch ... Darum ist's ein großer Unterschied, wenn einer das tut, so ihm befohlen ist, und wiederum so er tut, was ihm nicht befohlen ist... Latz' Du die Juristen davon disputieren, was Recht oder Un­ recht sei. Sieh' Du darauf, ob der, der das Schwert führt und andere vertei­ digen will, Befehl hat, solches zu tun oder nicht... Denn hier gilt's nicht, datz Du sagen sollst, ich meine es von herzen gut, sondern es gilt: Ist Dir's befohlen oder nicht." (w. A. 50, S. 293—295.) Ganz ähnlich die prinzipielle Ausfüh­ rung über die Gültigkeit des Gesetzes Mosis (w. A. 24, S. 6 ff.): „Man mutz mit der Schrift säuberlich handeln und fahren. Man mutz nicht allein ansehen, ob es Gottes Wort sei, ob es Gott geredet hat, sondern vielmehr, zu wem es geredet sei, ob es dich treffe oder einen andern... Du mutzt auf das Wort sehen, das dich betrifft, das zu dir geredet ist, und nicht, was einen Andern an­ trifft. Es ist zweierlei Wort in der Schrift. Eines geht mich nicht an, betrifft mich auch nicht. Das andere betrifft mich, und auf dasselbige, das mich angeht, mag ich es kühnlich wagen und mich darauf als auf einen starken Zelsen ver­ lassen; trifft es mich nicht, so soll ich still stehen." (w. A. 24, 5. 12.) Das heitzt, das Gebot Gottes meint immer einen konkreten Menschen in einer konkreten Situation und patzt nicht für einen andern Menschen in einer andern Situation. Nun richten sich die Sprüche der Bergpredigt an den Men­ schen im gemeinen Thristenstand, sie gelten aber nicht für den Menschen im obrigkeitlichen Stand, oder um es deutlicher zu sagen, sie gelten nur für den unverantwortlichen Menschen, aber nicht für den verantwortlichen Menschen; für jenen aber, so er im Glauben ist, unbedingt; da sind sie nicht Ratschläge, son­ dern Befehle, wollen wir also wissen, was für ein Verhalten das Gebot Christi von dem verantwortlichen Menschen, eben der Gbrigkeit fordert, so müssen wir nicht die Bergpredigt fragen, sondern andere Worte der Schrift, und hier spielt nun Römer 13 die entscheidende, keineswegs die einzige Rolle. Auch den Macht­ träger verpflichtet zwar das Liebesgebot, aber es verlangt von ihm ein anderes

Verhalten als von dem OhnmächtigenT). Vieser hat es leichter. Und dieses Gebot der Schrift stützt Luther nun auch zuweilen durch die Berufung auf das, „was einem Jeglichen von Natur ist eingebildet und ins her; geschrieben, was uns von Natur ist eingepflanzt und mit der Natur übereinstimmt" (w. st. 24,5.9), eben die Gebote der justitia civilis. „Es ist natürlich, Gott ehren, nicht stehlen, nicht ehebrechen; die Heiden, die kein Gesetz davon hatten, haben es genau so gewußt" (ebenda, auch kV. st. 6 S. 420 Z. 7). Zu diesen durch Vernunft und Natur gegebenen, durch Römer 13 bestätigten Geboten gehört nun auch das, daß die Gbrigkeit die Zrevel gegen diese Gebote strafen und hindern soll, und zwar vor allem durch die Straftustiz und den Verteidigungs­ krieg, denn einen andern gerechten Krieg kennt Luther nicht. Ze rücksichtsloser und unparteiischer die Gbrigkeit dieses Strafamt wahrnimmt, ohne sich durch irgendwelche Ansprüche auf Ausnahmen, ;. B. vom Klerus, irre machen zu lassen, und ohne sich vor dem Schein der Grausamkeit und des Blutdurstes und des Verstoßes gegen buchstäbelnde Auslegung der Schrift zu scheuen, desto mehr entspricht sie der Lehre der Schrift (und der Natur) von der rechten Gbrigkest. stn diesem Gebrauch ihrer Nlacht wird die Gbrigkeit von den Gläubigen als an Gottes Wort gebunden, als christlich erkannt, d. h. als eine solche, die die Haltung der Bruderliebe fordern darf. Es ist hierzu aber noch zweierlei zu sagen, nämlich e r st e n s, daß diese Verpflichtung der Gbrigkeit nicht nur aus dem Gebot der Nächstenliebe, son­ dern auch aus dem der Gottesliebe abgeleitet ist, daß sie nicht nur dazu dient, die guten Untertanen zu schützen und ihnen die Lebensmöglichkeit zu erhalten, sondern die heilige Grdnung Gottes selbst auftechtzuerhalten, die der Welt ge­ geben ist, um sie bis zum Gericht dauern zu lassen, also vor allem den Ehestand und die Gbrigkeit selbst. Vie Gbrigkeit ist verpflichtet, sich s e l b st zu er­ halten, sie darf sich nicht stürzen lassen, sie muß dauern wollen, koste es, was es wolle. Eine Gbrigkeit, die sich selbst ausgäbe und freiwillig aus den Gebrauch ihrer Nlacht verzichtete, würde eben damit verrat an ihrer Pflicht begehen. Der Nlensch im gemeinen Ehristenstand soll bereit sein, sogar sein Leben aufzu­ opfern, die Gbrigkeit darf sich und ihre Machtmittel freiwillig niemals auf­ opfern, sondern hat dafür bis zum äußersten zu kämpfen. Sie würde damit etwas aufopfern, was ihr nicht gehört. Sie würde damit gerade die Pflicht, das persönliche Leben für die Sache Gottes zu opfern, verletzen. Und zwei­ tens: Auch dieser Auftrag der Gbrigkeit hat ganz bestimmte Grenzen. Nicht nur der Nlilde. Sie soll nicht härter strafen, als der Zweck erfordert, und sie soll von der Strafe ablassen, wenn der Zweck erreicht ist. Luther nennt es christ­ lich, wenn die Gbrigkeit den stürmenden Rotten der Bauern mit rücksichtsloser Gewalt begegnet; er nennt es unchristlich, wenn sie den Geschlagenen keinen Pardon gewähren will. Aber noch mehr, sie hat ihre Nlacht nicht dazu emp­ fangen, die Seelen zu regieren, sondern nur Leib und Leute; wieder beruft sich Lucher dafür ebenso auf die Schrift wie auf Natur und Vernunft, nämlich 1) vgl. über den „evangelischen Mann" Abraham und seine Schwertführung w. st. 24, 271—273.

56 auf die Unmöglichkeit, mit äußeren Mitteln die Seele zu zwingen und Un­ glauben in Glaube zu verwandeln. Damit kann die Gbrigkeit höchstens Heuchler machen. Zu lehren und geistlich zu regieren ist ihr nicht befohlen, damit griffe sie in fremdes Amt und verließe sie die Bahnen der christlichen Gbrigkeit. Sie hat also keinen Kampf für und wider Ideen zu führen, Ideen und Glaube auszubreiten ist Sache der Wortgewalt, der reinen Lehre. Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, daß es diesem Grundsatz nicht widerspricht, wenn Lucher es als Pflicht einer christlichen Gbrigkeit ansieht, die Messe im Land abzuschaffen und zwiespältigen öffentlichen Gottesdienst im Lande zu verhindern, denn damit wird nicht geistlich regiert, sondern um des Landes willen eine schon durch Dernunst und Natur und erst recht durch die Schrift verbotene Blasphemie verhindert, deren Gehenlassen notwendig den Zorn Gottes über das Land beschwören würde,' und es wird wiederum um des Landes willen, um den öffentlichen Frieden zu erhalten, den religiösen Dissidenten das Gpfer auserlegt, auf devotio publica zu verzichten. Denn ein schiedlich stiedliches Beieinanderwohnen zweier Konfessionen im Lande schien der damaligen Zeit unvorstellbar. Und auf noch eins muß hingewiesen werden: $ür die einzelne, be­ stimmte konkrete Gbrigkeit genügt selbst diese Berufung auf die Schrift und aus die Gebote der Natur nicht. Dabei bliebe immer noch dem ängstlichen Gewissen des Machtträgers die Zrage übrig: Bin ich eine solche Gbrigkeit, der dies be­ fohlen ist? Ist dies Gebot Gottes auch auf mich gemünzt? Um ein ganz gutes Gewissen zu haben, bedarf die Gbrigkeit eines ihr ganz persönlich und gleich­ zeitig gewordenen Auftrags; nur dadurch wird ihr Schwertgebrauch zweifellos zu einem Gehorsamsakt gegen Gott. Und an diesem Punkt gewinnt nun aller­ dings die historische Kontinuität, also die Begründung in einer Tatsache der Dergangenheit ihr Gewicht. Thrift wird der Mensch ohne solche, für seine Thristenpslicht ist die Eingliederung in eine Reihe belanglos, aber Gbrigkeit, legitime Gbrigkeit wird der Mensch immer nur durch einen Akt der Einsetzung; der Kaiser durch die Wahl, der Lanüesfürsl durch die Erbfolge, der Bürger­ meister und der Rat durch die Amtsübertragung. Alle weltliche Gbrigkeit, die sich auf ein solches Recht nicht berufen kann, wie vor allem die Gbrigkeit des Papstes, die sich ja selbst rühmt, nicht von Menschen eingesetzt zu sein, ist illegi­ tim oder usurpiert, und kann bei Ausübung ihrer Macht kein gutes Gewissen haben. Das Recht der Gbrigkeit zur Zwangsgewalt gegen den bösen Untertan und gegen den von außen kommenden bösen Zeind beruht auf ihrem Auftrag durch Menschen. Eine nicht in diesem Sinn legitime Gbrigkeit, die aus eigener Willkür sich Macht erlistet oder erobert hat, ist nicht christlich, sondern tgrannisch, und ihr gebührt nicht Bruderliebe, sondern Zeindesliebe. Das hat Luther schon 1520 mit völliger Klarheit in bezug auf das Papsttum ausgesprochen. Diel weiter reicht nun die Derpflichtung der Gbrigkeit gegen den guten Untertan, wenn sie wirklich christliche Gbrigkeit sein will, also den Unter­ tan, dem die Erfüllung der Gebote Gottes am Herzen liegt. Mehrfach hat Lu­ ther Gelegenheit gehabt, Gbrigkeiten ihre Christenpflicht vorzuhalten. Er wendet sich an den Adel deutscher Nation; er sagt ihm, was er tun müßte,

wenn er sich wirklich in dieser Stunde der Geschichte als christlich erzeigen wollte, nämlich ein freies christliches Konzilium berufen und die massenhaften Mißstände im öffentlichen Leben abstellen, ohne Rücksicht auf den Einspruch des Papstes und der Hierarchie. Lr wendet sich an die Ratsherrn der deutschen Städte und sagt chnen, wenn sie wirklich Christen sein wollten, so müßten sie für eine bessere Erziehung der Jugend durch Einrichtung von Schulen und für eine Verbesserung der Armenpflege Sorge tragen. Er wendet sich an den Kurfürsten und sagt ihm, wenn er wirklich ein Lhrist sein wolle, so müsse er dem Bedürfnis und verlangen der Gottesfürchtigen nach Erneuerung der devotio publica durch Entsendung von Visitatoren und Sicherung des Kirchen­ gutes entgegenkommen, wie kommt Luther dazu, solches von der Gbrigkeit zu verlangen, d. h. mit anderen Worten, ihr so weitreichende Kulturaufgaben zu übertragen, die offenbar jenseits der vorher beschriebenen Aufgabe des poena et remedium peccati liegen? wie durfte er das überhaupt? So möchte hier eine moderne, pietistisch be­ einflußte Kritik fragen, da Luther doch genau wußte, daß unter den Trägern der weltlichen Gewalt, die er anrief, zwar niemand wäre, dem das Wort Gottes nicht gesagt worden wäre, aber gewiß sehr viele, die Mehrheit, die nicht glaubten? hieß das nicht, die Welt zur Herrschaft in der Kirche rufen? Mußte nicht vorher eine Sonderung der Gläubigen von den Ungläubigen statt­ finden? Steht nicht solche Leitung der Kultur und gar des öffentlichen Gottes­ dienstes nur einer Gbrigkeit zu, die sich vorher über chr Recht dazu, eben über ihre Christlichkeit, ausgewiesen hat? Rein, Luther meint nicht, die Kirche an die Welt zu verraten, wenn er der Welt chre Christenpflicht vorhält. Luther wendet sich mit seinen Bitten und Forderungen an eine unbekannte, jedenfalls vorher nicht geprüfte Gbrigkeit, schlechtweg an jeden Machthaber. Er setzt chre Christlichkeit nicht voraus, sondern sagt ihr, was sie tun müsse, damit Luther und die wahrhaft Gläubigen im Lande sie als christlich anerkennen sollen. Er zeigt ihnen eine Gelegenheit, sich als christlich zu beweisen, vann, wenn sie das tun, werden sie auch vor ihrem eigenen Gewissen als eine Gott gehorsame Gbrigkeit bestehen. Also Luther hält allerdings jede Gbrigkeit zu diesen Kulturausgaben inklusive der Einrichtung der devotio publica für berechtigt und verpflichtet, wenn sie anders als christlich anerkannt sein unll; und das wird ja nun im all­ gemeinen nur dann der Zall sein, wenn auch die persönlichen Träger der Ge­ walt das erste Gebot für sich anerkennen. Aber zwingend ist das nicht. Es ist sehr wohl möglich, daß auch ein persönlich ungläubiger Machtträger doch die Verpflichtung anerkennt, um der Andern willen die ihm selbst entbehrliche devotio publica (oder Kunstpflege, Theater, Akademien usw.) zu schützen und zu erhalten. Und das braucht durchaus keine Heuchelei oder bloße politische Anpassung zu sein, ist es auch in all den modernen Staaten, die sich verpflichtet erkannten, auch für die devotio publica von Dissidenten Raum zu schaffen, nicht gewesen, sondern Toleranz, wer einen anderen Glauben hat, für den wird fteilich auch diese Verpflichtung gegen den guten Untertan nicht bestehen, er wird, wenn er einen andern Gott glaubt, sich verpflichtet sehen, die diesem

38 Glauben entsprechende Kultur zu pflegen. Aber wenn man auch sagen darf, daß in der Regel dieses christliche Verhalten nur von dem persönlich christlichen Machtträger erwartet werden darf, so darf man den Satz gewiß nicht um­ drehen, als ob das persönliche Christentum eines Machtträgers die Christlichkeit seiner Staatshandlungen verbürgte, und umgekehrt. Beispiel: Die Aage, ob Gtto von Bismarck persönlich ein Christ war, liegt auf einer ganz anderen Ebene wie die, ob Bismarcks Politik christlich war, und ob sein Machtgebrauch sich vor den Forderungen des Neuen Testaments rechtfertigen läßt. Kerner: Ich bin des guten Glaubens, daß es Friedrich Wilhelm dem Dritten persönlich lauterer Ernst um das Christentum war,- ich bin aber fest davon überzeugt, daß er, als er sein Wort, die Landstände zu berufen, brach, die Pflichten einer christlichen Gbrigkeit gegen den guten Untertan verletzte. Kerner: Ich bin auch davon überzeugt, daß es ganz gleichgültig ist, ob die Gbrigkeit, die einer christ­ lichen Gemeinde wider deren willen Gesang- und Gebetbücher usw. aufzwingen will, „ungläubig" (Kriedrichs des Großen Minister Zedlitz) oder „gläubig" (Zriedrich Wilhelms des Zweiten Minister Wölbtet) ist oder zu sein scheint. Das Verfahren selbst ist unchristlich, d. h. im Neuen Testament verboten. Eine solche Verpflichtung der Gbrigkeit wird nun nicht schon durch Vernunft und Natur und durch die Tatsache des Schwertbesitzes begründet, nach Rö­ mer 13. Sie liegt nicht sozusagen im Wesen der Gbrigkeit, des Adels, der Rats­ herren,- eine Gbrigkeit, die sich dem versagte, wäre deshalb noch nicht feindliche Gbrigkeit, ginge deshalb des Anspruchs an die Bruderliebe noch nicht verloren. Sie wäre dann nur, dürfen wir sagen, eine säumige Gbrigkeit und bedürfte erst recht der eindringlichen Mahnung. Offenbar ist solche Pflege religiöser Kultur immer ein freiwilliger Akt, eine zusätzliche Leistung, zu der sich nur d i e Gbrigkeit berufen und verpflichtet erklären wird, die das Wort Gottes gehört hat und ihm gehorchen will. Denn sie handelt damit nicht im Interesse des Landfriedens, zu dessen Wahrung sie durch die Einsetzung als Gbrigkeit be­ auftragt ist, wie bei der Kernhaltung von Blasphemie und Rotterei, sondern im Dienst der christlichen Brüder. Allein, wenn sie wirklich christliche Gbrigkeit sein will, so ist dies doch ihre Pflicht, weil sie allein die Macht dazu hat vor allen andern Mitchristen, die diese Macht nicht haben, weder als Gbrigkeit allein, noch als Christ allein ist ihr befohlen, ein Konzil zu berufen und für Nachwuchs an Pfarren und Schulen zu sorgen und Visitatoren zu senden, aber weil beides an einem Punkt zusammentrifft. Nur als weltliche Gbrigkeit wäre sie es nicht schuldig, und nur als christlich wäre sie es nicht ge­ wiß. Aber die konkrete Situation, in der sie das Wort getroffen hat, die Situation des membrum praecipuum, macht es ihr nun doch zur Pflicht, ebenso wie jeder Christ im gemeinen Christenstand verpflichtet ist, seine hausväterliche Macht in den Dienst der christlichen Erziehung zu stellen, auch chre landesväter­ liche Macht dazu zu verwenden. Es ist genau so wie mit dem öffentlichen Pre­ digtamt. Alle Christen haben die Zeugnispflicht, aber das öffentliche Predigtamt darf nur der führen, dem die besondere Lehrgabe von Gott ge­ schenkt ist. So haben auch alle Christen der Liebe Amt, den reinen Gottesdienst im Land aufzurichten, z. L. durch Einlagen in den gemeinen Kasten, durch

Hand- und Spanndienste für den Kirchenbau, durch das Anhalten von Bindern und Gesinde zum Besuch des Gottesdienstes und durch die Unterwerfung unter die Ordnungen der devotio publica, aber zur öffentlich-rechtlichen Institutton des Pfarramtes und der Kirchengüter ist nur der Hüter der öffentlichen Ord­ nung berufen, was heißt aber berufen? Doch offenbar von Gott her verpflich­ tet, wenn er anders eine christliche Obrigkeit darstellen will. Vie Pflicht der christlichen Liebe fordert von dem Mächtigen mehr als von dem Ohnmächtigen. Aber greift die Obrigkeit damit nicht doch in ein fremdes Amt? Tut der Kurfürst usw. damit nicht etwas, was eigentlich ein anderer tun müßte? wer sollte dieser andere sein? Man kann nur an zweierlei denken. Erstens an die spezifisch kirchliche Obrigkeit, Papst und Bischöfe. Vas ist die katholische Auffassung: Zur Leitung der Kulturaufgaben ist nur sie befugt. In der Tat hat sich ja Luther zu allererst an diese Stelle mit dem Ansinnen gewandt, des christlichen Standes Besserung herbeizuführen. Allein doch nur deshalb, weil das das Nächstliegende war, weil sich ihm diese überlieferte Obrigkeit als die­ jenige weltliche Obrigkeit darstellte, die dazu zu allererst berufen schien, nicht etwa, weil er sie im Unterschied von anderer weltlicher Obrigkeit als die christliche, von Gott mit dem alleinigen Recht kirchlicher Ordnung bevollmäch­ tigte Obrigkeit angesehen hätte. Es kann keine Rede davon sein, daß sich Lucher nur mit schmerzlichem Verzicht auf eine göttliche Ordnung, nur notgedrungen und vorübergehend, von der kirchlichen Obrigkeit, die es ja für ihn gar nicht gab, an die weltliche Obrigkeit gewandt hätte. Sondern er wandte sich von der einen weltlichen Obrigkeit, die sich versagte, und deren Legitimität ihm in­ zwischen immer zweifelhafter geworden war, deren Anspruch auf eine Ge­ walt über Land und Leute der Thristen ihm je länger je mehr erschlichen er­ schien, an eine andere, bei der ihm das Recht dieses Anspruches nicht zweifel­ haft war. Es ist also nicht so, daß Luther dem Rate Gccams folgend, der ja auch im Notfall ein Eingreifen des Kaisers für zulässig erklärt hatte, nur widerwillig bei der weltlichen Obrigkeit Zuflucht gesucht hätte. Ls bedarf dieser Entschuldigung Luthers durch ein Notrecht nicht. Vie eine weltliche Obrigkeit gilt ihm genau so viel und genau so wenig berechtigt, einzugreifen wie die andere, soviel — namentlich öffentliche Institutionen zu schaffen,- so wenig —nämlich dem Charisma, dem Glauben, dem heiligen Geist Gesetze zu geben. Zweitens aber: Vieser andere könnte ja auch die Gemeinde, die Thristen selbst sein. Unternahm nicht die Obrigkeit, wenn sie die devotio publica in­ stallierte, etwas, das besser, wie man sagt, „von unten her", aus der freien Initiative der Thristen aufgebaut worden wäre? Wie, wenn die Thristen jeg­ lichen Ortes aus freiem Willen und eigenem verlangen nach christlicher Lehre und christlichem Leben sich zusammengetan hätten, einen Pfarrer zu berufen, Schule und Kirche zu versorgen, einen gemeinen Kasten einzurichten und sich selbst Gesetz und Ordnungen zu geben? Wie also, wenn schon damals die Prinzipien Rousseaus befolgt worden wären? Nlan hat Luthers versuche, zur Ordnung des öffentlichen Predigtamtes mit Hilfe der G r t s gemeinden, wie sie sich in seinen Sendschriften an die Prager und an die Drtsgemeinde

40 zu Leisnig und in den Wittenberger Ratschlägen spiegeln, so gedeutet, als habe Luther diesen Weg, die kirchlichen Einrichtungen gleichsam von unten her, durch Vereins-, Genossenschafts- oder Sektenbildung zu schaffen, ohne Hilfe des Landesherrn, für den eigentlich erwünschten gehalten. Und als habe er diesen versuch erst nach den schmerzlichen Erfahrungen mit der Unreife des Volkes und des Bauernkrieges aufgegeben. Uber das scheint mir nun freilich das Muster einer Verletzung geschichtlicher Grundsätze zu sein. Diese Deutung übersieht vollständig, daß die Lage des gemeinen Christen im 16. Jahrhundert eine andere war, als des Christen im 19. Jahrhundert; daß, was heute denkbar und vielleicht möglich ist, damals unmöglich war. Denn im Gesichtskreis der damaligen Menschheit gab es über­ haupt kein anderes handlungsfähiges Grgan, als die Gbrigkeit in ihren mancherlei Abstufungen, als Dorf-, Stadt-, Land- und Reichsobrigkeit. Rur innerhalb seines Hauses, als Hausvater, war der damalige Mensch zu selb­ ständiger Grdnung zuständig. Und der Leibeigene war nicht einmal dies. Roch gibt es kein Vereins- und versammlungsrecht, keinerlei subjektive öffentliche Rechte des Individuums. Roch ist der Mensch für alle Grdnung, die über den Bereich der Zamilie und der häuslichen Wirtschaft hinausgreist, auf die Gbrig­ keit angewiesen. Das ist Gemeinüberzeugung unter Protestanten und unter Anhängern der alten Kirche. Auch diese beanspruchen für die Gbrigkeit das Recht, die religiösen Angelegenheiten zu ordnen, und zwar ohne Widerspruch der Kurie; Regensburger Konvent von 1524! Spegrer Reichstagsabschied von 1529! Und noch wichtiger ist vielleicht, daß auch die sogenannten Schwärmer um eine Anrufung der weltlichen Gewalt gar nicht herumkamen. Auch Karl­ stadt wandte sich in Wittenberg an den Rat zur Durchsetzung der kirch­ lichen Reformen, und hielt es für selbstverständlich, daß der Kasten von der bürgerlichen Gemeinde verwaltet würde. Auf weltliche Gewalt verzichten, hieß deshalb damals überhaupt auf öffent­ liches Predigtamt verzichten, hieß die Pflege des Glaubens zur Zamiliensache erklären, die devotio domestica an Stelle der devotio publica setzen. Jeder versuch der Gemeindebildung über den Umfang der Zamilie hinaus mußte zwangsläufig zu einer Anrufung weltlicher Gewalt führen, und Luther ist nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen, daß ein Verzicht darauf nur um den Preis einer Paganisierung des Volkslebens denkbar gewesen wäre. Niemals hat er, so wenig, wie irgendein führender Mann der Zeit, an ein Recht der Masse gedacht, kirchliche Reformen auf eigene Zaust durchzuführen. Auch an die Gemeinde zu Leisnig schreibt er 1522, sie sollten keine Änderung vor­ nehmen ohne Genehmigung des Zürsten. Gewiß, es kann so kommen, daß sich die weltliche Gewalt den Christen feindlich entgegenstellt, das predigen und hören des Wortes verbietet. Dann bleibt die devotio domestica ein letztes, unentreißbares Refugium, aber die Beschränkung der Gläubigen daraus zeigt dann, daß die weltliche Gewalt nicht so ist, wie sie sein sollte, daß sie tgrannisch, feindlich ist. Wie sich der fromme Untertan dann verhalten soll, haben wir schon gesagt. Aber das Normale und Gottgewollte ist das nicht. Und Luther stand in seinem Land nicht vor einer solchen Gbrigkeit, sondern vor

solcher, die willens war, wie es christlicher weltlicher Gewalt geziemte, dem Charisma zu dienen. Und Luther hat ein solches gutes Regiment als ein Ge­ schenk Gottes gepriesen, so teuer wie das tägliche Brot, wenn die Gbrigkeit von sich aus die devotio publica in Gang bringt und hält, so tut sie damit nicht, was eigentlich in der Macht und im Recht der Christen läge, sondern sie tut das, wozu sie recht eigentlich gesetzt ist, denn sie hat nicht nur eine Verpflichtung gegen den bösen Untertan, sondern auch eine Verpflichtung gegen den guten Untertan empfangen, ja diese ist die primäre. Sie ist nicht nur um des bösen Untertanen willen da, sondern auch um des guten Untertanen willen, für jenen mit der Strafgewalt, die der gute Untertan nicht braucht, denn er tut alles un­ gezwungen, für diesen mit der Gewalt der Leitung und Führung. Luther war sich bewußt, mit der Anrufung der Gbrigkeit zu solchen Kultur« aufgaben sich nicht einer unwillkommenen Machtkonstellation zu fügen, son­ dern gerade im Gehorsam des vierten Gebotes, im Glauben, zu stehen und der Gbrigkeit den Sinn ihrer Stiftung zu enthüllen, den sie unabhängig vom Sündenfall hat, um deswillen sie auch in einer Menschheit, die nicht gefallen wäre, sein sollte und in der Christenheit eine unentbehrliche Funktion übt, die des starken Bruders, des membrum praecipuum. Vie Straffunktion ist der Gbrigkeit zugewachsen durch die Sünde und wird mit dem verschwinden der Sünde überflüssig, aber auch i n der communio sanctorum, i n der ecclesia, im Reiche Gottes wird es mancherlei Gaben un Kräfte, Unterschiede des Habens und Könnens ge­ ben, Gbrigkeit und Untertan, nur alles in der Liebe. Und darf man nicht sagen, hier ist mit der biblischen auch die urgermanische Ruffassung von der Gbrigkeit wieder ans Licht gezogen, die Auffassung Pip­ pins und Karls, die in jahrhundertelangem Ringen die römische Kirche zu ver­ nichten gesucht hatte, die Auffassung vom Recht der Gbrigkeit, auch die Kultur zu leiten und deshalb auch die in das Kulturgebiet einfallende Erscheinungsform der Religion? Denn wenn die Gbrigkeit die ihr verliehene Macht nicht nur dazu braucht, den bösen Untertan im Zaum zu halten, sondern dem guten Untertan bei den Kulturaufgaben zu dienen, die er auf seine vereinzelte Kraft angewiesen, nicht leisten könnte, dann tut sie nichts Fremdes, sondern recht eigentlich, wozu sie da ist, sie handelt in Erfüllung des göttlichen Gebotes, er­ weist sich als die Dienerin Gottes und darf die Ehrfurcht und Liebe fordern, die der patria potestas gebührt. Und das ist der Sinn der Macht auf Erden, das ist ihre Heiligkeit. Freilich weiter als ihr Auftrag, reicht auch hier chr Recht nicht. Die Seelen zu regieren ist ihr nicht befohlen; es ist auch unmöglich, es wäre eine Vermessenheit, die zweifellos vor Gott zuschanden würde, auch wenn sie eine Zeitlang zu triumphieren schiene, und ihr Gott eine Zeitlang zur Züchtigung der Gläubigen Raum ließe. Das heißt aber nun: Lucher belehrt die Christen über die ungeheure Bedeu­ tung des Staates, gerade auch für die Christen und für das Leben der Christen­ heit *). Ich sage nicht: über die Heilsnotwendigkeit des Staates; jedoch, dieser 1) Es ist sehr beachtlich, wie Luther die wohl staatsfeindlichste Stelle in den Evan­ gelien, Matth. 20, 25, auslegt: „er unterrichtet sie (die Jünger) fein glimpflich

42 Ausdruck dürfte nur dann abgelehnt werden, wenn man auch die Heilsnot­ wendigkeit der Kirche im Rechtssinn verneint, wenn man glaubt, woran der Gläubige allerdings nicht zweifeln sollte, daß Gott sich sein Volk auch ohne devotio publica und ohne Kultur erhalten könnte, wie er wohl auch, wenn er es will, unter der Auflösung aller weltlichen Ordnung dennoch das leibliche Leben seiner Erwählten erhalten kann, wer aber einsieht, daß die devotio pu­ blica mit allem, was sie voraussetzt, Zrieüe, Ordnung, Zreiheit, Bildung, Ge­ sittung, nicht weniger wichtig ist als das tägliche Brot, der mutz einsehen, daß das Leben des Volkes Gottes auf Erden vom Vorhandensein guter und frommer Obrigkeit nicht weniger abhängt, als von der Sendung der Eharismen. Venn die devotio publica gibt es nicht ohne Staat. Vie Kirchenanstalt ist für alle Ewigkeit auf den guten willen, auf chre Berechtigung durch den Staat angewiesen und ist es auch immer gewesen. Es ist nur ein Schein, als ob die Kirche als Institut und Korporation in einer st a a t l o s e n Welt existieren könnte. Venn alle Rechtsordnung beruht auf Staatsgesetz, und auch eine soge­ nannte vom Staat getrennte Kirche, eine religiöse Korporation, auch die Kirche der vereinigten Staaten oder Zrankreichs, ist in Luthers Sinn Staats­ kirche, ü. h. Schöpfung des allein durch die Obrigkeit handlungsfähigen Volkes. Es ist gleichgültig, ob der Inhalt dieses Staatsgesehes der ist, daß es die einzelnen Gemeinden, Kirchenverbände und Pfarrer an die Anordnungen des Landesherren und seiner Beamten bindet — Staatskirche im engeren Sinn — oder der, daß es sie an die Beschlüsse einer Korporation, einer Sgnode, bindet — freie Kirche —, immer beruht die Kirchenversassung auf menschlicher Rechtssatzung, und da der Staat alleinige, souveräne Rechtsquelle ist, auf Staatsrecht. Immer bleibt letzter Maßstab für die Ehristlichkeit eines Staates der, wie weit er diesem höchsten Anliegen der zum Reich Gottes berufenen Menschheit dient. Immer ist der Staat ein feindlicher, der die devotio pu­ blica zerstört, der Staat, der sie schützt, ein membrum praecipuum, auch wenn seine Organe Dissidenten wären. Immer bleibt der Staat uns Ehristen deshalb ein Gegenstand der höchsten Liebe und Ehrfurcht, aber auch der strengsten Kritik und der höchsten Maßstäbe. Nicht nur die Welt, sondern auch d i e E h r i st e n h e i t, das Volk Gottes, die Gemeinde der Gläu­ bigen braucht den Staat. Das Verhältnis von Macht und Geist oder von Staat und Glaube ist von Theologen und Philosophen wohl manchmal so angesehen worden, als ob politische Ohnmacht kein Hindernis für den Geist, ja etwa gar eine besonders günstige Voraussetzung für die Entfaltung höchsten geistigen Lebens bilde. Man

und spricht: Ach, ihr guten Leutlein, was meinet ihr, daß ich ein solch Regiment führen und ausrichten will, wie die weltlichen Fürsten und Herren haben? vasselbige ist vorhin gestiftet und geordnet, wie es sein sollte, da Adam im Paradiese die Gewalt über alles, was geschaffen war, empfangen hat, gut Regiment, Zriede und Einigkeit in der Welt zu erhalten, dazu dann die, so im Regiment sitzen, müssen eine Macht und Gewalt haben, ohne welche sie solches nicht konnten ausrichten noch ihrem Amt genug thun. Nach dem Schein, traun, wie es sich läßt ansehen, so lassen weltliche Herren ihnen dienen,' wenn sie aber ihres Amtes rechtschaffen pflegen wollen, so wäre es der größte Dienst, der auf Erden ist." (W. A. 47, S. 368.)

hat das nicht erst nach 1918 gesagt, um das deutsche Volk über seine Niederlage zu trösten. Nein, selbst ein Mann wie W i n d e l b a n d gab sich schon 1910 der Legende hin: doch wohl unbewußt deshalb, weil er den Staat unter seinen Füßen wanken fühlte und nach einem Trost vor dieser Perspektive suchte: „Als die deutsche Nation politisch machtlos daniederlag, schuf sie ihre weltbezwingen­ den Denker und Dichter." Er übersah, daß gerade in der Periode zwischen dem Basler Frieden und 1848, nur unterbrochen von der zwar für das Gemüt sehr einprägsamen aber geschichtlich folgenlosen Epoche von 1803—13, die Mitte Deutschlands sich in einem sichtbaren Machtausstieg befand, und daß also der deutsche Idealismus keineswegs einen Zustand politischer Machtlosigkeit sondern wachsender Machtkonzentration in den deutschen Einzelstaaten zur tragenden Voraussetzung hatte. Nein, diese Ansicht vom Verhältnis zwischen Macht und Geist stellt die Dinge aus den Kopf und ist gewiß nicht protestantisch. Sie ist ein Nachklang jener Augustinischen Anschauung, als ob der Staat besser gar nicht da wäre. Sie bedeutet, den Kopf in den Sand zu stecken und sich die Furchtbarkeit des Schicksals zu verhüllen, was verlorengeht, wenn der Staat zer­ bricht. Geistige Freiheit, höhere Kultur, Glaube, wenigstens als Gemeinschaft, können nicht sein ohne Staat. Und wenn der Staat sich selbst behauptet, so behauptet er eben das, das allen höheren Lebens Grund und Bedingung ist. Vies gerade, die Unentbehrlichkeit auch für die communio sanctorum, macht ihn uns Ehristen zur göttlichen Stiftung.

3. Vies ist Luthers Lehre vom christlichen Staat. Natürlich finden sich in Luthers Schriften noch sehr viele prachtvoll beobachtete und nachdenkliche Äußerungen über Volk und Land, Kriegführung und Rechtsprechung, Wirtschaft und Sozial­ politik. Sie sind vortrefflich gesammelt und gedeutet in Theodor Pauls’ „Luthers Auffassung von Staat und Volk" (Bonner Staatsrechtliche Unter­ suchungen, 1925). Aber Luthers Lehre dürfte doch in dieser Verkündigung von der Christenpflicht der Gbrigkett und des Untertanen vollständig erfaßt sein. Also Luthers Lehre von dem, was ein Ehrist über den Staat glauben und lehren soll. Es ist aber natürlich Luchers Lehre für Menschen seiner Zeit, selbst schon eine Übersetzung des Neuen Testaments, und deshalb nicht ohne weiteres für Men­ schen unserer Zeit. Denn wir werden fragen müssen, ob es die Menschen, die Luther anspricht, überhaupt in der Welt von heute noch gibt, nämlich Gbrigkett und Untertan. Luther konnte nicht anders sehen als so: Entweder Gbrigkett oder Untertan, und zwar beides absolut genommen. Das Volk zerfiel in Machtttäger, die nur Gbrigkeiten, und in Machtlose, die nur Untertanen waren. Mindestens theoretisch aber ist heute niemand mehr bloß Untertan, sondern jeder, wenn auch in millionenfacher Verdünnung Mitobrigkeit, niemand mehr bloß Gbrigkett, sondern jeder nur auch Beauftragter, Funktionär. Der Gegen­ satz, von dem Luther ausgeht, von Machtträgern und Machtlosen, Regierenden und Regierten, ist wenigstens, wenn man den versassungsurkunden der mo­ dernen Staaten glauben darf, verschwunden. Illegitime Gbrigkeiten freilich gibt

44 es genug! Wie sehr, können Sie schon im Rindergarten bei den 4—6jährigen beobachten, wo die Pädagogik den Schein erwecken möchte, als ob die Kleinen nur das täten, was sie selbst wollten, mit welchem Raffinement der metho­ dischen Kunst die in Wahrheit ja doch alles leitende und ordnende Obrigkeit vermummt wird, ganz nach dem Rezept Nietzsches: „Ein vorsorgliches, ver­ ehrungswürdiges Oben im Verhältnis zu einem an Bescheidenheit gewähnten Unten soll es nicht mehr geben." (Menschliches, Allzumenschliches 1, S. 450.) Erst gegen Ende seines Lebens ist Luther das Problem von Menschen, die Obrigkeit und Untertan zugleich waren, ins Gesichtsfeld gerückt,- und wir wissen, wie er sich mit den hier entstehenden Verwicklungen abgemüht hat, in einem der wenigen Kämpfe, die er ohne klare Entscheidung abgebrochen hat. Uber deshalb ist dieser Streit über das Wider st anüsrecht gegen den Kaiser so außerordentlich fesselnd und lehrreich, weil hier meines Wissens zum erstenmal die Gestalt des modernen Staatsbürgers auf den Plan tritt, dessen seltsame Lage ja die ist, Obrigkeit und Untertan zu­ gleich zu sein. haben wir heute Luthers Lehre nicht umsonst gehört, so werden wir auch daraus die Regel des 127. Psalms anwenden und sagen müssen: Diese unge­ heure Machtverschiebung wäre nicht geschehen, wenn Gott es nicht gewollt hätte. Daß sie gekommen ist, gilt uns als Siegel: von Gott, wir werden so sagen müssen, auch wenn wir heute klarer als etwa vor 50—60 Jahren einsehen, daß an dem Kampf um die denkbar weiteste Ausdehnung der Machtsphäre des Ein­ zelnen und immer größere subjektive öffentliche Rechte des Individuums neben echter Nächstenliebe doch auch sehr viel auflösender Individualismus beteiligt war, und wenn wir den Ertrag dieses Kampfes sehr viel skeptischer einschätzen als die Generation unserer Väter. Dieses Zusammenfließen von Pflichten der Obrigkeit und des Untertanen in ein Bett ergibt nun eine total andere Zragestellung, und es wäre die Aufgabe der Theologie gewesen, die Lehre des Neuen Testaments vom Staat, wie sie Luther den Menschen seiner Zeit ver­ kündigt hat, für die Menschen des 19. Jahrhunderts zu übersetzen. Aber diese Aufgabe hat die Theologie kaum angefaßt. Sie glaubte Wichtigeres zu tun zu haben. Sie stritt darüber, ob man einen Menschen als christlich achten und lieben dürfe, der — das Johannesevangelium nicht für echt und die weihnachtsgeschichte für eine Legende hielt, und ganz folgerichtig darüber, ob Ehristen einer Obrigkeit, die aus solchen Leugnern bestünde, den Gehorsam schuldeten, der einer christlichen Obrigkeit gebührt. Und gerade von dem Anführer der modernen Theologie, von Schleiermacher, wird man, obgleich er der Lehre vom Staat viel Nachdenken gewidmet hat, jedenfalls das eine nicht sagen können, daß er die Verkündigung Luthers fortgesetzt hätte, vielmehr hat gerade er (und Schelling) das Staatsdenken in verhängnisvolle Bahnen gerissen, indem er die Lehre Luthers von den Pflichten des christlichen Unter­ tans und der christlichen Obrigkeit durch eine Physiologie des Staa­ tes ersetzte, und die Verkündigung eines Sollens durch die Aktion eines Naturprozesses. Übrigens ist nicht die Theologie allein anzuklagen. Auch in der Philosophie,

in der Dichtung, ja selbst in der Geschichtswissenschaft vollzog sich im 19. Jahr­ hundert ein immer weiterer Abfall von der protestantischen Staatsidee. Gin sehr wertvolles und gedankenreiches Buch von (Dtto Westphal, leider mit dem irreführenden Titel „Feinde Bismarcks, geistige Grundlagen der deutschen Opposition 1848—1918", München 1930, hat davon ein überzeugendes Bild gezeichnet, wie sehr der Staat erst seinen echischen, dann auch seinen ästhetischen wert verlor, und wie schließlich nichts anderes übrig blieb als ein Wesen voll Nacht und Grauen, und die Verweigerung von Liebe und Treue gegen den Staat als Zeichen weltmännischer Hochbildung oder als Beweis feinster, näm­ lich quäkerischer, Religiosität erschien. Diese Vernachlässigung der durch den Staat der christlichen Verkündigung gestellten Aufgabe in der modernen Theologie war um so schuldhafter, als dem deutschen Volk ja gerade damals das ungeheure Geschenk eines Staatsmannes zuteil wurde, der bei seinem Staatsbau jene Lehre Luchers von der Macht intuitiv alle Zeit vor Augen und im Herzen hatte — darin nämlich, daß er sich von der Macht niemals zu einer der beiden Sünden verführen ließ, die Luther als die eigentlichen staatzerstörenden Kräfte angesehen hatte, weder zur Vermessenheit noch zur Furcht und Ang st. Darin, daß er wußte, wie unentbehrlich und notwendig zum Leben, auch zum höchsten Leben, zum Leben in Geist und Wahrheit, einem Volk die Macht des Staates ist, und zugleich, wie unsicher und vergänglich sie ist, wie behutsam und sorgfältig sie bewahrt sein muß. Darin, daß er für seinen Staat genau die Mitte suchte zwischen Imperialismus und kleinstaatlicher Ohnmacht, und neben den andern Staaten, deren Dasein er genau so als gottgewollt ansah, keine andere Stellung einnehmen wollte, als die des gleichberechtigten Bruders, keinen andern politischen Ehrgeiz billigte, als den einer Hegemonie der schwächeren, eines membrum praecipuum auf höherer Stufe, wie er sagte, „des ehrlichen Mak­ lers". Aber Bismarcks Staatsgründung hat nicht nur der Sänger gefehlt, der seinem Volk dazu die Liebe ins herz gesenkt hätte, sondern auch der Prediger, der ihm von der Pflicht gegen den Staat eindringlich geredet hätte. Bismarcks Werk blieb ungedeutet,' noch heute vermögen viele die Idee dieses Staates nicht zu sehen. Und auch hierin teilt Bismarck Luthers Los: Jene Lutherlegende von dem bäurischen Mönch mit den derben Fäusten und mit seinem sturen Bibelglauben, der für die Feinheit und Freisinnigkeit der katho­ lischen Skepsis kein Verständnis gehabt hätte, und die Bismarcklegende von dem Mann in Kürassierstiefeln, der nichts Besseres gewußt habe, als mit dem Säbel auf den Tisch zu schlagen, — sie sind auf einem Acker gewachsen. Dieses Geschlecht von Literaten konnte sich den Glauben und den Machtwillen nur blind vorstellen,' als Werk des Geistes blieb schließlich nur eines übrig: das Kunstwerk. Es ist erschütternd zu sehen, wie schnell dann, als die Pflugschar seiner Hand entrissen war, die Staatsmacht ein Spielball gerade der beiden Dämonien wurde, gegen die sich Luchers Kampf gerichtet hatte, der imperia­ listischen Vermessenheit, die die eigne Macht für unwiderstehlich und bis zu jeder beliebigen Grenze für ausdehnungssähig hielt und in jenem gräßlichen Berlinertum chren krassesten Ausdruck fand „Uns kann feener", — und der individual!-

46 stischen Machtfurcht, die alle Machtbildung beargwöhnte, dem starken Staat mißtraute, ihn am liebsten in eine bloße Gesellschaft aufgelöst hätte, und schließ­ lich gar das Recht des Staates, sich selbst zu behaupten, in Zweifel zog. Aber wir evangelischen Theologen sehen das nicht nur mit Erschütterung, geschweige daß wir vorwürfe erheben dürften, sondern wir haben allen Grund zu sagen: Mea culpa, mea maxima culpa! Staatsmacht und Staatsgesinnung der Deutschen sind verfallen, weil die Lhristenpflicht gegen den Staat nicht lauter und rein verkündigt wurde.

Nachwort holl, in allen wesentlichen Stücken S o h m s Meinung mit eignen Argumen­ ten stützend, markiert an einem Punkte sein abweichendes Urteil. Zn meiner Ter­ minologie: Nach holl soll die Obrigkeit bei Luther nur um des bösen Untertanen willen dasein, während die guten Untertanen ihrer nicht bedürfen, oder jedenfalls nur dazu, um als die an Zahl Unterlegenen und grundsätzlich der Gegenwehr sich enthaltenden von der Erdrückmg im Daseinskämpfe geschützt zu werden (S. 345). Nach Sohms Auslegung dagegen ist „Obrigkeit ein unausscheidbarer Bestandteil der Christenheit", also auch für den guten, christlichen Untertan unentbehrlich, selbst für den Zall, daß kein böser Störenfried da wäre. Vie Hauptbeweisstelle Sohms steht w. A. 6, S. 408: „Wir müssen weltliche Gewalt zählen als ein Amt, das da gehöre und nützlich sei der christlichen Gemeinde". Ich kann Holls Einwänden nicht zustimmen. 1. Es steht nach den Genesispredigten fest, daß Luther auch in der nicht gefallenen Menschheit, also auch in der durch Christus wiederhergestellten Mensch­ heit oder communio sanctorum, Obrigkeit für gottgewollt hält. Auch in einer aus lauter Gläubigen bestehenden Menschheit ist sie nicht wegzudenken, so wenig, wie der Ehestand, soll es, wie Eltern und Rinder, so Starke und Schwache geben. 2. Obrig­ keit ist nicht dasselbe, wie Schwert- oder Zwangsgewalt. Diese allerdings hat in der Gemeinde der Gläubigen keinen Raum, denn es fehlt an dem Widerspruch der Sünde, und die Gläubigen darf niemand zwingen. Aber wohl hat in ihr die helfende Macht des stärkeren Bruders ihr Amt und ihre Aufgabe. Das Dasein von Macht­ trägern gehört ebenso zu den Heilsnotwendigkeiten und Lebensbedingungen für das Volk Gottes, wie das Dasein von Lehrbegabten. 3. Der Notstand, mit dem holl nun doch ausnahmsweise das Eingreifen der weltlichen Gewalt rechtfertigen will, ist kein Ausnahmezustand, sondern der mit der Schöpfung selbst gegebene, dauernde, nicht erst durch die Bösen hervorgerufene Notstand des Schwächern, auf die Hilfe der Stärkeren angewiesen zu sein, ohne sie auf keinen Zall die Wohltat der kirch­ lichen Anstalt erlangen zu können, und deshalb kein Notstand. Endlich noch eins: holl urteilt, Sohms These von der Stellung der Obrigkeit inner­ halb der Christenheit stehe und falle mit der katholischen Überzeugung, daß es möglich sei, den Menschen auch ohne seinen willen in die Rirche hineinzuversetzen, nämlich durch ein Erleiden der Taufe (S. 343). Nach Luther aber werde man ein Glied der Rirche nur durch „einen persönlichen, freiwilligen Akt des Glaubens". Gewiß, in die communio sanctorum tritt man nur durch einen Gehorsamsakt, aber man kann diesen Akt nicht von seiner Voraussetzung und Vorstufe lösen, dem „Getaustsein", nun freilich nicht mit der sakramentalen Taufe, aber mit dem Wort. Vas Dasein

eines Kollektivums der in diesem Sinne Getauften, also einer christlichen Gesellschaft, gilt Luther genau so, wie einem mittelalterlichen Menschen (und mir) als notwendig, wenn überhaupt aus Menschheit eine Gemeinde der Gläubigen erlesen werden soll. Der Mensch mutz erst angesprochen sein, ehe er sich entscheidet. Das Kollektiv dieser Getauften, unter denen Glaubende und sich Derstockende, aber keine Ungetauften sind, ist — darin hat holl zweifellos recht — nicht Kirche oder Christenheit, aber es ist der Leib der Kirche oder, wie Luther sagt: leibliche, äußerliche Christenheit, die communio sanctorum in ihrer irdischen Erscheinung, darin sie wohnt, wie die Seele im Leibe, und die eben um dieses unsichtbaren Kernes willen von dem Gläubigen Bruderliebe fordern darf, und zwar von dem lehrbegabten Gläubigen die Liebestat des Zeugnisses, von dem Lehrunbegabten die Liebestat des Hörens; von dem Macht­ begabten die Liebestat der Einrichtung der devotio publica und von dem Macht­ mangelnden die willige Unterordnung,- und die nach Gottes willen im Leiblichen von den Mächtigen regiert und geistlich von den Lehrbegabten geweidet werden soll. Der Name für dies Kollektiv (corpu8 christianum oder societas christiana?) ist neben­ sächlich. Uber an der Tatsache eines christlichen Gemeinschaftsgefühls am Ausgange des Mittelalters und zu Luthers Zeit ist m. E. kein Zweifel möglich,- es wurde durch die Türkengefahr ins Bewußtsein gehoben. Man vergleiche dazu die vortreffliche Frankfurter Dissertation: Werner Fritzemeger, Christenheit und Europa, München 1931.

48

Inhalt Seite

1. was nicht und was wirklich heißt in Luthers

Sinn „Christlich"?...................................................... 6

2. Luthers Lehre vom christlichen Untertan und von christlicher Dbrigkeit....................................... 29 3. Luthers Lehre und die heutige Lage ....

43

Nachwort.....................................................................46

Vorträge -er theologischen Konferenz zu Gießen Sortierung von der 2. Umschlagseite

Eger, K., Das Wesen der deutsch-evangelischen Volkskirche der Gegenwart. (Dortr. 24)

M. -.70

Knopf, R., Der Text des neuen Testaments. Neue Fragen, Funde und For­ schungen der neutestamentlichen Textkritik. (Dortr. 25)

Kl. -.50

preuschen, E., Vie philologische Arbeit an den älteren Kirchenlehrern und ihre Bedeutung für die Theologie. (Dortr. 27)

Kl. -.60

Veit, W., Was soll der evangelische Gemeindepfarrer sein: Priester, Evangelist oder Seelsorger? (Dortr. 29)

Kl. -.70

Knodt, E., Die Bedeutung Lalvins und des Lalvinismus für die prot. Welt im Lichte der neueren und neuesten Forschung. (Dortr. 30)

Kl. -.80

Schian, Kl., Der moderne Individualismus und die kirchliche Praxis. (Dortr. 31)

Kl. -.40

Stephan, H., Vie heutigen Auffassungen vom Neuprotestantismus. (Dortr. 32) Kl. -.60

Schmitt, K., Kirche und Arbeiterschaft. (Dortr. 33) Kl. -.40 Gall, A. Zrhr. v., Papprururkunden der jüd. Gemeinde in Elephantine in ihrer Bedeutung für jüb. Religion und Geschichte. (Dortr. 34) Kl. —.30

Klatthes, H., Vie Berechtigung der bekenntnismätzigen Lehrstoffe im Religions­ unterricht, zugleich ein Wegweiser zu ihrer pädagogischen Behandlung. 2. vermehrte Ausl. 1925. (Dortr. 35). Kl. 1.25 Vechent, h., Neuere Arbeiten auf dem Gebiete der Frankfurter Kirchenge­ schichte seit der Reformation. (Dortr. 36) Kl. - 30 Krüger, G>, Vie Bibeldichtung zu Ausgang des Altertums. (Dortr. 37) Kl. -.50 Schian, Kl., Vie Reform des Gottesdienstes und die hochkirchliche Bewegung. (Dortr. 38) Kl. -.20 Schmidt, K. £., Stellung des Apostels Paulus im Urchristentum 1 w gn Tillich, P„ Rechtfertigung und Zweifel. (Dortr. 39) j Peter, h., Vas christologische Problem als Lebensfrage. (Dortr. 40) Hl. -.70 Kölscher, G., Die Ursprünge der jüdischen Eschatologie. (Dortr. 41) Kl. —.50

Schmidt, H., Gott und das Leid im Alten Testament. (Dortr. 42) Kl. 1.50 Frick, h., Vas Reich Gottes in amerikanischer und deutscher Theologie der Gegenwart. (Dortr. 43) Kl. —.70 Vornkamm, H., Rlpstik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum. (Dortr. 44) Kl. LTordier, £., Der deutsche evangelische Liederpsalter, ein vergessenes evange­ lisches Liedergut. (Dortr. 45) Kl. 2.40 Faschrr, E., Dom Derstehen des Neuen Testamentes. Ein Beitrag zur Grund­ legung einer zeitgemäßen Hermeneutik. (Dortr. 46) Kl. 3.60, geb. Kl. 4.80

Krisis des Glaubens Krisis der Kirche Krisis der Religion Drei Vorträge von den Marburger Professoren

Rudolf vultmann Hans Ahr. von Soden Heinrich Aick 80 Seiten. 1932. HUT. 2.50 Über die „Krisis des Glaubens" spricht Vultmann so, daß er — im Unterschied von jeder bloß epochalen Krisis — die im Wesen des Glaubens begründete Krisis des Menschen darstellt. Die „Krisis der Kirche" lehrt Zreiherr von Soden von der historischen Seite her verstehen als den Konflikt zwischen universalem Anspruch einerseits, dem Tat­ bestand relativierender, geschichtlich erwachsener Wirklichkeit - Spannung zum Staat, Vielheit von Kirchen und Konfessionen - andererseits. Unter „Krisis der Religion" schließlich versteht Zrick sowohl die derzeitige Er­ schütterung aller Religionen des Erdkreises, als auch die durch die Reformation auf­ geworfene Entscheidungsfrage, ob das Evangelium eine Religion neben anderen oder nicht vielmehr Gott selbst verkündige.

Johannes Meinhold

Das Rite Testament und evangelisches Christentum 1931. Geh. RM. 4.—, geb. RM. 5.20

Das Buch ist in einem Geiste unbestechlicher Wahrhaftigkeit, aber daneben in einem Ton geschrieben, dem man es anmerkt, ein wie starkes inneres, ja heiliges Hnliegen es dem verf. ist, daß der evangelische Ehrist das Rite Testament recht lesen und benutzen möge. Und gerade weil er den tiefen werten der Bibel mit innerster Rufgeschlossenheit gegenübersteht, wird man auch in den Lagern, die theologisch oder „völkisch" anders stehen als er, ernst seine Darbietungen zu hören haben. wir haben hier zweifellos ein sehr verdienstliches Werk vor uns, das sich nicht scheut, in Wespennester zu greifen - selbst die Zrage, ob Jesus Hrier war, ist nicht als unwissenschaftlich beiseite geschoben, sondern wird sachlich und besonnen erörtert — und das aufrichtig, frisch und doch warm darstellt und dadurch überzeugend wirkt. (Prof. Hertzberg i. d. „Christi. Welt".)

Verlag von Alfred Töpelmann in Gietzen Druck von 5). Laupp jr in Tübingen