Universität, Technische Hochschule und Industrie: Ein Beitrag zur Emanzipation der Technik im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Bestrebungen Felix Kleins [1 ed.] 9783428420537, 9783428020539


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German Pages 330 [331] Year 1970

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Universität, Technische Hochschule und Industrie: Ein Beitrag zur Emanzipation der Technik im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Bestrebungen Felix Kleins [1 ed.]
 9783428420537, 9783428020539

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KARL-HEINZ MANEGOLD

Universität, Technische Hochschule und Industrie

Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rudolf Braun, Otto Büsch und Rolf Engelsing herausgegeben von Wolfram Fischer

Band 16

Universität, Technische Hochschule und Industrie Ein Beitrag zur Emanzipation der Technik im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Bestrebungen Felix Kleins

Von

Dr. Karl-Heinz Mauegold

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1970 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany

© 1970 Duncker

Geleitwort Ist es schon sehr schwierig gewesen, die Sozialgeschichte neben die Wirtschaftsgeschichte zu stellen, so stößt in der Gegenwart das gleiche Vorhaben in bezugauf die Technikgeschichte und deren Integration in die Allgemeine Geschichte auf noch mehr Widerstände und Schwierigkeiten. Die- verständliche- Furcht des von der "klassischen" Geschichtsschreibung her kommenden Historikers, daß der Gegenstand seiner Forschung und Lehre schier unübersehbar wird, wenn er nach der Wirtschafts- und der Sozialgeschichte auch noch die Technik-, schließlich die gesamte Wissenschaftsgeschichte bei seiner Forschung und für seine Darstellung berücksichtigen soll, um die Vergangenheit in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und Fülle der Interdependenzen etwa bei Bildung Technik - Wirtschaft ..,.- Politik sichtbar werden zu lassen - diese Besorgnis äußert sich natürlich in einer wachsenden Reserviertheit gegenüber einer solchen Zumutung. Aber noch etwas anderes kommt hinzu: Während die Sozialgeschichte immerhin einen geschlossenen und nach außen klar abgegrenzten Komplex bildet (freilich einen zu ideologisch engagierten Interpretationen und Urteilen verlockenden), versucht man - vorwiegend von der Seite des Ingenieurs her, - eine spezielle Technikgeschichte der Ingenieure von einer "allgemein" genannten und damit bewußt den "eigentlichen" Historikern überlassenen Technikgeschichte zu unterscheiden. Spezielle Technikgeschichte sei etwa die Geschichte der Dampfmaschine als Maschine, "allgemeine" Geschichte seien ihre sozialen, wirtschaftlichen, politischen und naturwissenschaftlichen Voraussetzungen und Folgen. Dabei läßt man in falsch verstandenem, in mindestens zu eng gefaßtem Berufsstolz ganz aus dem Auge, daß die eine Seite von der anderen einfach nicht zu trennen ist. Vollends aber zögert diese spezielle Technikgeschichte, die Geschichte der technischen Bildung und Ausbildung, die Geschichte der auf Technik zielenden Kultur als einen wesentlichen Teil der Technikgeschichte anzuerkennen, geschweige denn für sich, für die eigene Forschung in Anspruch zu nehmen. Sie ist geneigt, dieses Gebiet der Kultur-, der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsgeschichte zu überlassen - aus jener falschen Technikvorstellung, selbst um den wohl in seiner Bedeutung und Höhe nicht erkannten Preis, daß man damit letzten Endes das

6

Geleitwort

Recht aufgibt, Technik als ein geistiges Element, als eine geistige Bewegung und den Ingenieurberuf als einen geistigen Beruf zu bezeichnen. Die Geschichte der Technischen Hochschule ist daher von der ingenieurwissenschaftlichen Seite bisher kaum beachtet worden, während allerdings das Raisonnement der TH-Professoren über den Mangel an Anerkennung für die kulturelle Bedeutung ihrer Leistungen eine jahrzehntelange, alles in allem recht öde Tradition besitzt. Hier nun setzt Manegolds Arbeit ein. Er übernimmt, was eine Aufgabe jener TH-Professoren seit etwa 1870 gewesen wäre und was die speziellen Technikhistoriker auch heute noch ebenso für abgelegen erklären wie die Geisteshistoriker, die auch angesichts der geistigen Auswirkungen und Maschinisierung 200 Jahre nach Watts Dampfmaschinenpatent noch immer zögern, Technikgeschichte als Geistesgeschichte anzuerkennen und als solche in ihr Arbeitsfeld aufzunehmen. Ein Inhaltsverzeichnis von Manegolds Arbeit, die in ihrer Einleitung "Naturwissenschaftlich-technische Bildung als Voraussetzung der Industrialisierung" bezeichnet und behandelt, läßt deutlich erkennen, daß diese Arbeit letzten Endes in den vor einem Menschenalter von Franz Schnabel erschlossenen Ideenkreis gehört, aus dem damals als einzige Arbeit Gustav Goldhecks Dissertation "Technik als geistige Bewegung in den Anfängen des deutschen Industriestaates" hervorgegangen ist, die ihrerseits wiederum manche Formulierung im dritten Bande von Schnabels Deutscher Geschichte angeregt haben dürfte. Ich selbst weiß mich Schnabel und seiner Geschiehtsauffassung zutiefst verpflichtet. Daher ist es mir über das Forschungsinteresse an der engeren wie an der allgemeinen Technikgeschichte und über das in vielen Jahren gemeinsamer Überlegungen, Arbeiten und Veröffentlichungen entstandene freundschaftliche Verhältnis mit dem Verfasser hinaus eine besondere Genugtuung, dieses hier vorliegende beachtliche Forschungsergebnis begrüßen zu können. Das Buch führt einen beträchtlichen Schritt über den bisherigen Stand der Forschung hinaus und bildet zugleich methodisch und inhaltlich einen wichtigen Ausgangspunkt für künftige Arbeiten. Wilhelm Treue

,.Die Kultur des Wissens durch inneren Trieb um der Sache selbst willen, das reine Interesse am Gegenstand sind freilich immer das Vorzüglichste und Nutzbarste, und doch sind von den frühesten Zeiten an die Einsichten der Menschen in natürliche Dinge durch jenes weniger gefördert worden als durch ein naheliegendes Bedürfnis, durch einen Zufall, den die Aufmerksamkeit nutzte und durch mancherlei Art von Ausbildung zu entschiedenen Zwecken." Goethe, Farbenlehre historischer Teil

Vorwort Die Geschichte der deutschen Technischen Hochschulen muß weitgehend als eine terra incognita angesehen werden. Das gilt trotz mancher Festschriften und der Einbeziehung des Technischen Hochschulwesens im Rahmen von ,.Erfahrungswissenschaft und Technik", die Franz Schnabel in seiner Torso gebliebenen Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert Anfang der 30er Jahre vorgelegt hat. Insofern die allgemeine Geschichtswissenschaft - auch die Wirtschaftsgeschichte - in Deutschland noch kaum mit dem notwendigen Gewicht den Bereich von Naturwissenschaft und Technik in ihre Betrachtung einbezogen hatohne daß die Notwendigkeit dieser Einbeziehung künftig geleugnet werden kann - ist Schnabels Versuch noch immer unübertroffen. Man hat, wesentlich mit dem Blick auf seine Skizze über die ,.Anfänge des Technischen Hochschulwesens" in der Karlsruher Festschrift des Jahres 1925, bemerkt, daß die Vorgeschichte der Technischen Hochschulen besser bekannt sei als ihre eigentliche Geschichte. Bei näherem Eindringen läßt sich freilich auch hier eher einschränkend sagen, jene sei nicht ganz so unbekannt wie diese. So hat Franz Schnabel vor über 40 Jahren eigentlich mehr die Aufgabe gestellt, dabei zugleich eine schwer erreichbare Norm setzend, dieser Geschichte in ihren höchst vielfältigen Bezügen nachzuspüren, gerade im Hinblick auf sein eigenes Ziel, die Geschichte von Wissenschaft und Technik in die Fragestellungen des Historikers zu integrieren, und damit stärker als bisher im traditionellen Geschichtsbild jene Potenzen zu beachten, die spätestens im Zusammenhang mit der technisch-industriellen Revolution alle Bereiche historischen Lebens entscheidend beeinflußt haben und fortgesetzt beeinflussen.

8

Vorwort

Anders als dies für die Entwicklung der Naturwissenschaften mit den Universitäten oder Akademien jeweils geschehen kann, muß die Entfaltung der technischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert in Deutschland weithin gleichgesetzt werden mit dem Aufstieg der Polytechnischen Schulen und Technischen Hochschulen. Alle bedeutenderen Techniker innerhalb dieser Anstalten haben um einen eigenständigen Raum "technische Wissenschaft" gerungen, gewissermaßen als angestrebte Synthese zwischen theoretischer Naturwissenschaft und empirischer, praktischer Technik, zwischen exakter Methode und freiem Schaffen, unheselladet dessen, daß wichtige technische Erfindungen und Entwicklungen häufig unabhängig von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen oder ihrer bewußten Anwendung erfolgt sind. Die durchgehende Bemühung, die Wissenschaft in die Technik hineinzutragen, ist hier von Beginn an identisch gewesen mit der inneren und äußeren Entwicklung und Ausgestaltung der auf "Verwirklichungszweck" hin begründeten neuen Hochschulen. Ihr historischer Standort im 19. Jahrhundert wird aber ebenso von wirtschafts- und sozialgeschichtlichen, von geistes- und bildungsgeschichtlichen Zusammenhängen bestimmt wie von der technischen und mathematisch'-naturwissenschaftlichen Entwicklung. Hier wird insbesondere erkennbar, daß in der letzteren nicht nur eine oft berufene Eigendynamik, technik- oder wissenschaftsimmanente Gesichtspunkte, wirksam gewesen sind. Die vorliegende Arbeit möchte in diesem weiteren Sinne zunächst ein Beitrag sein zur Geschichte der Technischen Hochschulen unter der besonderen Fragestellung nach ihrem Verhältnis zu den Universitäten, damit zugleich nach jenem zwischen Wissenschaft und Technik, wie es sich im Spiegel der Wissenschaftsorganisation des 19. Jahrhunderts historisch darstellt. Dieses Verhältnis geriet von Anfang an in den direkten Zusammenhang der säkularen Auseinandersetzung zwischen Realismus und Humanismus, in unmittelbare Verbindung mit dem ideellen und organisatorischen Antagonismus von "reiner" und "angewandter" Wissenschaft, von "Theorie und Praxis", von "Wissenschaft und Leben", "Bildung und Ausbildung", "Geist und Industrie", wie auch immer die dabei strapazierten, zumeist ebenso unglücklichen wie folgenreichen Antinomien formuliert wurden. Der Kampf um den wissenschaftlichen und akademischen Aufstieg der Technischen Hochschulen und der Ingenieure -Folge und Voraussetzung der industriellen Entfaltung-, die Auseinandersetzung mit einem neuhumanistisch- idealistisch begründeten, wirtschafts- und industriefeindlichen Verständnis von Universitätswissenschaft und Universität, eingebettet in wirtschafts-und sozialpolitische Entwicklungen und staatliche Wissenschafts- und Hochschulpolitik, fand ihren Höhepunkt und einen bestimmten Abschluß in der Verleihung des Promotionrechts an die Technischen Hochschulen und ihrer äußeren

Vorwort

9

Gleichstellung mit den Universitäten am Ende des Jahrhunderts. Auf diesem Felde kam es zum staatlich geförderten Zusammenwirken von Wissenschaft, Technik und Industrie, und jetzt erst näherte man sich einer wirklichen Synthese zwischen Naturwissenschaft und Technik, der eigentlichen Begründung der "rationellen", der "wissenschaftlichen" Technik oder "technischen Wissenschaft", wie man diesen Bereich in unfester Begrifflichkeit, in bezeichnend wechselndem Sprachgebrauch seit dem Jahrhundertbeginn zu umschreiben suchte. Die Arbeit will deshalb weiterhin verstanden werden als Beitrag zur Emanzipation der modernen Technik im 19. Jahrhundert, eines der beachtenswertesten und zugleich am wenigsten erforschten Themen der neuercn Geschichte. Es erwies sich, daß mit der Blickrichtung auf die Universitäten dabei den Bestrebungen Felix Kleins eine zentrale Bedeutung zukommt, um so mehr, als hier das enge Geflecht vielschichtiger Einflüsse und Abhängigkeiten besonders aktenkundig und exemplarisch greifbar wird. Hier zielt die Fragestellung daher weniger auf Klein als den großen Mathematiker als solchen, vielmehr auf seine Rolle in dieser Emanzipationsbewegung, auf seine großangelegte wissenschaftsorganisatorische Wirksamkeit im Zusammenhang mit der wichtigen Phase preußischer Wissenschafts- und Hochschulpolitik in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende. Sie hat nach der formellen Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten und den Pionierleistungen Kleins dann zur notwendigen Dauerunion von Hochschule, Wissenschaft und Wirtschaft geführt. Als wichtigste Quellengrundlage wurden die entsprechenden Ministerialakten im Deutschen Zentralarchiv Abteilung Merseburg ausgewertet und insbesondere der sehr bedeutende, noch nahezu unausgeschöpfte Nachlaß von Friedrich Althoff, ferner in erster Linie der umfangreiche Nachlaß Felix Kleins in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die einschlägigen Akten des dortigen Universitätsarchivs und des Archivs der Technischen Universität Hannover. Mein verehrter Lehrer, Prof. Dr. Wilhelm Treue, hat die Untersuchung angeregt und mit großer Geduld ermöglicht und gefördert, ihm vor allem gilt mein herzlicher Dank! Den Damen und Herren der genannten Archive und der Göttinger Bibliothek, hier insbesondere Frau Bibliotheksamtmann Joachim und Herrn Euler, bin ich für ihre Hilfe dankbar verpflichtet. Dies Vorwort kann nicht beendet werden, ohne den innigen Dank an meine Frau. Ihr und unseren beiden Kindern soll dies Buch gewidmet sein.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1. Naturwissenschaftlich-technische Bildung als Voraussetzung der In-

15

dustrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2. Die Pariser Ecole Polytechnique - Idee und Auswirkungen . . . . . . . .

18

3. Fachhochschule und Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

4. Die Gründungskonzeption der Berliner Universität und die höheren naturwissenschaftlich-technischen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland

34

1. Die Einheit der Technik als Organisationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

2. Rang und Standort des technischen Studiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule . . . . . . . .

55

1. Die Gründung der eidgenössischen Polytechnischen Schule Zürich . .

55

2. Der Verein Deutscher Ingenieure und der Aufstieg der Polytechnischen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

3. Der Übergang der preußischen Technischen Hochschulen in den Amtsbereich des Kultusministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

4. Der soziale Standor t der Ingenieure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

5. Die "nationalen" Leistungen der Technischen Hochschulen . . . . . . . .

80

111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins zur Annäherung und Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

1. Kleins sachbezogener Universalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

12

Inhaltsverzeichnis ................................

85

b) Die Einheit der Wissenschaft - Einbeziehung der Anwendungen und der Technik - Klein als akademischer Lehrer an Universität und Technischer Hochschule (Erlangen-München-Leipzig) . . . .

a) Die wissenschaftliche Position

91

c) Das "allgemeine Kulturinteresse" und die "wahre Bildung der modernen Zeit" -Kleins erste Göttinger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . .

97

2. Universitätswissenschaft und Technik .. _. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

a) Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule Kleins Denkschrift vom 6. Oktober 1888 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

b) Die technischen Disziplinen und die Akademie der Wissenschaften - Kleins Rolle bei der Reorganisation der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie . . . . . . .

116

a) Die Universität als Pflegestätte wissenschaftlicher Technik Amerikanische Anregungen - Kleins "Neues Göttinger Programm" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Universitätswissenschaft und Industrie -

.

Mißlungene Projekte

120

c) "Frontoffiziere" und "Generalstabsoffiziere" der Technik - Die "Lücke" zwischen Universitätswissenschaft und Technischer Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Der "Aachener Frieden" - Verhärtete Fronten bei Ingenieuren und Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Die wissenschaftliche Entwicklung der Technischen Hochschulen . . . .

144

a) Die Stellung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen zu den Ingenieurfächern ... .. ... . . . ........ :. . . . . . . . . . . . 144 b) Technische Laboratorien Qnd Experimentalunterricht . . . . . . . . . .

147

c) Der Streit zwischen "Theoretikern" und "Praktikern" ---'- Die Forschungsaufgabe der Technischen Hochschule als innere Bedingung für das Promotionsrecht der Ingenieure ·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 _5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung zur Förderung _der angewandten Physik und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

a) Felix Klein und Friedrich Althoff .......... : ..... : : .. :. . . . . . . . .

157

b) Die Errichtung einer "technischen Abteilung" am physikalischen Institut der Universität Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Die Gründungder Göttinger Vereinigung ....... ~ ........... . . .

168

d) Widerstände der Universität - Ausweitung der Pläne . . . . . . . . . .

174

e) Das größere Ziel: Eine "allgemeine Bewegung" zur Annäherung von Universität und Technischer Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Inhaltsverzeichnis

13

f) Festigung des Unternehmens - Verstärkung des "technischen Elements" an der Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6. Kleins Bemühungen um Wirkung und Ausweitung seiner Bestre-

bungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

a) Technische Fakultäten statt Neubegründung Technischer Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Vielfältige organisatorische Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Abgrenzung der Bereiche von Technischer Hochschule und Uni-

versität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

205

a) Die Angriffe Slabys und die Intervention des Kaisers . . . . . . . . . .

205

b) Eine "Akademie der technischen Wissenschaften" . . . . . . . . . . . . . .

215

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung . . . . . . . . . . . .

221

a) Kooperation von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft . . . . . . . .

221

b) Ein "Verein ohne Statuten" -Die Wirksamkeit an der Universität Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Weitere Göttinger Unternehmungen - Klein als Pionier auf dem Gebiete der Wissenschaftorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Kleins "Göttinger System des Universalismus" . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

244

249

1. Die "Technikerbewegung" auf ihrem Höhepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

a) Alois Riedler: Unsere Hochschulen und die Anforderungen des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

b) Die wissenschaftliche Ebenbürtigkeit der Technischen Hochschule und die soziale Stellung der Ingenieure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Die Titelfrage als Hauptproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262

a) Die Forderung nach dem "Doktor der Chemie" als Ansatz für ein allgemeines Promotionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Der Antrag der Technischen Hochschulen und der Streit um das allgemeine Chemikerexamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Die zweite Eisenacher Delegiertenversammlung - Ausweitung der Forderung und vergebliche Vorschläge zum "Doktorkompromiß" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Die Erlangung des Promotionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282

a) Der Kaiser und die Bestrebungen der Technischen HochschulenDie Bedingungen für ein Promotionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

14

Inhaltsverzeichnis b) Der gleichzeitige Vorstoß aller Technischen Hochschulen und der Einspruch der Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 c) H äufung von Widerständen und die Entscheidung des Kaisers . .

293

d) Die Jahrhundertfeier der Berliner Technischen Hochschule 1899. .

300

Quellen und Literatur

306

Anhang .. .. . ...... ... . .... . .. . . .. .. . .. ....... . . .. ....................

320

Register

326

Einleitung 1. Naturwissenschaftlich-technische Bildung

als Voraussetzung der Industrialisierung

Gegenüber der sich in England vollziehenden und von dort ausstrahlenden industriellen Revolution, im Vergleich zu den sich hier entwickelnden technischen Forschritten, Arbeitsweisen und Ideen lag Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts um Generationen zurück. Hier gab es noch keine geschlossene Volkswirtschaft, nur eine solche der Einzelstaaten, die ihre Selbständigkeit betonten und wie in vielen politischen, so auch in wirtschaftlichen Fragen keine einheitliche Haltung einnahmen. Noch für lange Zeit war die Wirtschaft durch das Überwiegen des Agrarischen gekennzeichnet, Handel und Verkehr standen zurück und erst langsam begann sich der vorindustrielle Charakter der Gewerbe zu verändern. Insgesamt bahnte sich die Umbildung zum Industriestaat und zur Industriegesellschaft in Deutschland später und in einem anderen geistigen Klima an als in den westeuropäischen Ländern. Nicht in gleicher Weise wie in England und Frankreich zielten hier anfangs die geistigen Energien und Leistungen auf die Gestaltung und Umgestaltung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebensbereiche. Die Auswirkungen der Romantik, des philosophischen Idealismus und Neuhumanismus bedeuteten zugleich auch Gegenkräfte gegen den Rationalismus und Realismus des neuen, vom Liberalismus beflügelten technisch-industriellen Geistes\ dessen Fortschreiten sich hier in anderen Formen vollzog als in England. "Während aber die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt", so hatte Goethe geurteilt2 • Zu diesen geistigen Hemmungen kam hinzu, daß sich nach den merkantilistischen Traditionen zunächst kaum eine Bereitschaft zu freiem, unternehmerischem Risiko und zu technischen Neuerungen zeigte. Nur zögernd konnten sich nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten einzelne "Pionierunternehmer", zumeist mit englischen Maschinen und 1 Vgl. Hans Freyer: Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1921. 2 1. Sept. 1829, J. P. Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 9. A., hrsg. v. H. Houben, Leipzig 1909, S. 295.

16

Einleitung

vielfach mit Hilfe aus England herangezogener Arbeitskräfte, durchsetzen. Mangel an Kapital, oder doch an Kapitalverkehr unterstrich nur das Fehlen von Wettbewerbsdenken, Gewinnstreben und Konsumbereitschaft. Der Glaube an die Zweckmäßigkeit merkantilistischer Maßnahmen war freilich erschüttert. Die Überwindung des Merkantilismus und des kameralistischen Zeitalters durch den wirtschaftlichen Liberalismus, die großen liberalen Reformen verschafften jetzt dem Individuum jene notwendige Freiheitssphäre, die ihm erst eine unbehinderte Entwicklung seiner wirtschaftlichen Kräfte erlaubte. Freiheit der Berufswahl, Gewerbe- und Ha"ldelsfreiheit sollten erreichen, was alle merkantilistische Gewerbepolitik nicht erreicht hatte. Im Hinblick auf westeuropäische Verhältnisse war Deutschland ein "Entwicklungsland", und es war nicht zweifelhaft, daß die alten Wirtschafts- und Produktionsformen überholt waren. Die wachsende Bevölkerung konnte mit den alten Methoden in Zukunft nicht mehr versorgt werden, schon im Hinblick darauf mußte sich die neue Technik und das moderne Fabrikwesen als unabweisbar zeigen. Nur der "geschicktere Gebrauch der Hilfsmittel der Produktion" vermochte die "mannigfachen Übel, welche eine Überbevölkerung begleiten, beheben oder vermindern", so hatte der badische Liberale Carl Friedrich Nebenius, Reorganisator der Karlsruher Polytechnischen Schule, mit dem Hinweis auf die Bedeutung höherer technischer Bildung geschrieben3 • Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege stand man in Deutschland vor der Frage, wie sich die Gewerbe, die sich unter dem Schutz der Kontinentalsperre entwickelt hatten, gegenüber dem Ansturm der überlegenen englischen Industrieprodukte behaupten konnten, der geeignet war, die Fabriken des Kontinents "in den Windeln zu ersticken", wie man es im englischen Parlament gefordert hatte4 • In den deutschen Staaten vollzog sich die Industrialisierung weithin im Zusammenhange mit der staatlichen Industrie- und Gewerbeförderung5, wie sie vor allem in Preußen6 aber auch in Süddeutschland7 von einem wirtschaftsliberalen Beamtenturn getragen wurde und etwa mit dem Namen von Christian Peter Wilhelm Beuth untrennbar verknüpft ist. Diese Förderungs3 C. F. Nebenius, Über technische Lehranstalten in ihrem Zusa mmenhange mit dem gesamten Unterrichtswesen, Karlsruhe 1833, S. 31. 4 Vgl. F. Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2. A., Berlin 1960, s. 409. 5 Vgl. U. P. Ritter, Die Rolle des Staates in den Frühstadien der Industrialisierung, Berlin 1961. 8 Vgl. W. Treue, Wirtschaftszustände und Wirtschaftspolitik in Preußen 1815-1825, Beiheft 31 zur VSWG 1937; ferner Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965. 7 Vgl. Wolfram Fischer, Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden, 1800-1850, Bd. I. Die staatliche Gewerbepolitik, Berlin 1962.

1. Naturwissenschaftlich-technische Bildung

17

maßnahmen bewegten sich nun nicht mehr in alten, merkantilistischen Geleisen, sie gingen über zu mittelbarer, indirekter staatlicher Unterstützung, und als Grundidee stand jetzt die pädagogische Aufgabe im Mittelpunkt. Die Notwendigkeit von Erziehung und "Bildung zur Industrie" war an sich keine neue Erkenntnis, sie hatte bereits im 18. Jahrhundert überall in Deutschland zur inneren Politik des Landesherrn gehört. Verbesserung vorhandener und Neuorganisation der Bildungsmöglichkeiten im weitesten Sinne für die "Gewerbetreibende Volksklasse" wurde jetzt aber zum Eckpfeiler der neuen Gewerbepolitik. "Unterricht und Freiheit innerer und äußerer Handelskonkurrenz" hatte der preußische Staatsrat und Direktor der Generalverwaltung für Handel und Gewerbe, Kunth, in Übereinstimmung mit dem Freiherrn vom Stein8 als die wichtigste Basis für die Entwicklung der Industrie bezeichnet9. Er hatte "überhaupt eine Erhöhung des geistigen Lebens" gefordert und resümiert: "Gegenüber der Gefahr, durch die Anstrengungen anderer Fabrikländer immer enger beschränkt zu werden, . . . ist die Hülfe, welche von Staatswegen geleistet werden kann, in dem einzigen Wort begriffen: Bildung10 !" Mit dieser Formulierung war der Kern der wesentlichsten, anzustrebenden Maßnahmen gültig charakterisiert und die Ausgangsposition klar umrissen. Tatsächlich mußten auf dem Gebiete des Erziehungs- und Ausbildungswesens erst die Voraussetzungen geschaffen werden, ohne die eine Industrialisierung, die Einführung und Entwicklung des modernen Fabrikwesens nicht möglich war. Der Aufstieg der methodischen, rationellen Technik wandelte die alte gewerbliche Technik zur modernen Industrie um, verdrängte ihren traditionsverhafteten, rein empirischen Charakter und stellte sie auf eine naturwissenschaftlich-systematische Grundlage, dies sollte ihre weltgeschichtliche Bedeutung und Wirkung ausmachen11 • Neue Arbeitsmethoden, Verwendung von Maschinen, Herstellung neuer Produkte, die notwendige Verbindung einer Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen mit praktischem Können und den praktischen Erfordernissen der Produktion stellten andere, höhere Anforderungen als sie bis dahin im Handwerk und Gewerbe zu erfüllen nötig gewesen waren. Beuth hatte nur eine sich jetzt allgemeiner entfaltende Erkenntnis ausgesprochen, wenn er die Wissenschaft zur Grundlage des Fabrikwesens erklärte und feststellte: "Wo die Wissenschaft nicht in die Gewerbe einVgl. Max Lehmann, Freiherr vom Stein, Bd. 1, Leipzig 1902, S. 356. Kunth. an Finanzminister v. Bülow, 21. 3. 1816, bei F. und P. Goldschmidt, Das Leben des Staatsrats Kunth, Berlin 1881, AnhangS. 312. 10 Bericht Kunths vom 8. 11. 1818, Goldschmidt, a. a. 0., Anhang S. 269 f. 11 Vgl. Franz Schnabel, Der Aufstieg der modernen Technik aus dem Geist der abendländischen Völker, Köln 1951. 8

9

2 Muegold

18

Einleitung

geführt ist, da gibt es kein sicher gegründetes Gewerbe, da gibt es kein Fortschreiten12." Auch dies waren in Deutschland keine grundsätzlich neuen Gedanken, "Gelehrte werden Gewerbe erheben helfen", so hatte der Göttinger Kameralist und Begründer der "gelehrten" Technologie13 Johann Beckmann bereits 50 Jahre zuvor programmatisch geschrieben und hinzugefügt, daß Mathematiker und Naturforscher ihre Wissenschaft nicht höher anzubringen vermöchten als zum unmittelbaren Nutzen der Gewerbe14• Das war indessen noch ganz im Sinne der "nützlichen Wissenschaften" des Zeitalters der Aufklärung gemeint und blieb im Rahmen der, eine enzyklopädische Fülle disparaten Wissens bergenden, aus der Ökonomik des merkantilistischen Staates heraus aufgebauten Kameralwissenschaft15 ohne tiefere Auswirkungen. Auf dem Hintergrund folgenreicher technischer Entwicklungen und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, der "gänzlichen Umwandlung der Technik durch die Wissenschaft", die im Begriff war, eine "neue Periode des Gewerbelebens" zu schaffen, wie ein Zeitgenosse Beuths schrieb18, hatten solche Einsichten jetzt hingegen ungleich größere Konsequenzen. Naturwissenschaft und Technik mußten zum unabdingbaren Bestandteil, zum entscheidenden Movens der wirtschaftlichen Entwicklung werden.

2. Die Pariser Ecole Polytechnique Idee und Auswirkungen

Deutschland stand zu Beginn des Jahrhunderts, ohne eine bedeutendere Tradition in den Naturwissenschaften, auch auf diesem Gebiet hinter den westeuropäischen Ländern zurück1• Ganz wesentlich durch die 1794 gegründete Ecole Polytechnique war Paris um die Jahrhundertwende zur Metropole aller exakten Wissenschaften geworden, und wenn in England der Aufstieg der Technik im wesentlichen von den Werkstätten seinen Ausgang genommen hatte, wo der technische Fortschritt überwiegend das Werk einfacher, zumeist aber wissenschaftlich gebilden P. Chr. W. Beuth, Artikel "Glasgow", Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, Bd. III, 1824, S. 169. 13 Vgl. F. Frensdorff, Die Vertretung der ökonomischen Wissenschaft in Göttingen, Festschrift zur Feier des 150jährigen Bestehens der Kgl. Gesellschaft der Wiss. zu Göttingen, Berlin 1901, S. 550; neuerdings Ulrich Troitzsch, Ansätze technologischen Denkens bei den Kameralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, Berlin 1966. 14 Johann Beckmann, Anleitung zur Technologie, Göttingen 1777, Vorrede. 15 Vgl. Edgar Salin, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, Bonn 1944, S. 145. 16 August Koelle, System der Technik, Berlin 1822, S. 17. 1 Vgl. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. III, Freiburg 1954, S. 167.

2. Die Pariser Ecole Polytechnique

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ter Praktiker war, in Frankreich vollzog er sich auf der Grundlage von Wissenschaft und Unterricht. Aus Paris holte sich die erste Generation der deutschen Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts Vorbildung und Anregung!. Hier hatte Alexander von Humboldt fast zwanzig Jahre' gelebt, und während ihn seine wissenschaftliche Bedeutung in das Institut de France brachte, führten ihn seine Forschungen in die Ecole Polytechnique und zu enger Freundschaft mit ihren berühmten Lehrern•. In Paris waren dem jungen Liebig auf Humboldts Empfehlungen Institute und Labors geöffnet worden, und die großen Chemiker der Ecole Polytechnique wurden hier seine "ihm ewig teuren" Lehrer5 • Nur hier konnte er zu dieser Zeit Anregungen und Vorbildung zu seinem späteren Wirken erhalten, denn "hinsichtlich der Naturwissenschaft", so hatte er selbst seine Eindrücke zusammengefaßt, gab es kein anderes Land, in dem sie mehr blühte und in "welchem sie so sehr ins praktische Leben gezogen" war6 • Hier lernte Liebig die Methoden der Analyse, den systematischen Gang der Untersuchungen kennen, vor allem die in seinem Gießener Labor mit so außerordentlichen Folgen praktizierte, auf eigenen praktischen Versuchen und der Selbstarbeit der Studenten beruhende Unterrichtsmethode, die sein Labor dann zur "Wochenstube" 7 der chemischen Wissenschaft und der chemischen Industrie in Deutschland machen sollte. Mit Liebig wurde zum ersten Male ein bedeutender deutscher Naturwissenschaftler auch auf die technische Anwendung und industrielle Nutzung seiner wissenschaftlichen Ergebnisse geführt, und kaum ein Zeitgenosse hat dann tatsächlich so nachhaltig wie er im Sinne jener Forderung Beuths die Wissenschaft zur notwendigen Grundlage der Produktion gemacht. Die Gründung der Pariser Ecole Polytechnique, "l'une des institutions dont se glorifie le plus la Revolution fran~;aise", wie einer ihrer Historiker sie gerühmt hat8 , und die von hier ausgehenden Methoden und Forschungen waren für die Geschichte der Naturwissenschaften und des naturwissenschaftlichen Studiums ein Ereignis von großer Bedeutung, das galt in noch höherem Maße für die Ausbildung des modernen technischen Denkens, die Entwicklung der technischen Wissenschaften und den höheren technischen Unterricht. Mochte die Anstalt, im Zusammenhang a. a. 0., S. 206. 1808-1827. 4 Vgl. Karl Bruhns, A. v. Humboldt, Eine wissenschaftliche Biographie, Bd. 11, Leipzig 1872, S. 6. 5 Vgl. Jacob VoZhard, Justus v. Liebig, Leipzig 1889, Bd. I, S. 48. 8 Zitiert bei Theodor Heuss, Justus v. Liebig, Harnburg 1949, S. 11. 7 Heuss, a. a. 0., S. 20. 8 G. Pinet, Histoire de l'f:cole Polytechnique, Paris 1887, S. IV. 2

3

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Einleitung

der französischen Geschichte des 18. Jahrhunderts gesehen, zunächst eher als die letzte und vollendetste jener Spezialschulen angesehen werden können, die durch das militärische und merkantilistische Bedürfnis des Ancien n?gime entstanden waren•, vom 19. Jahrhundert und besonders von Deutschland aus betrachtet, bildete sie einen höchst folgenreichen Beginn. Überblickt man die Geschichte des höheren naturwissenschaftlichen und technischen Bildungswesens, so erscheint die Revolution auch hier als entscheidender Einschnitt. Sie stellt sich als Wendepunkt dar für die Entwicklung bereits bestehender Einrichtungen und begründet neue Institutionen, die in ihrer Auswirkung, folgenreicher als alle vorausgegangenen Anregungen und Antriebe, von bestimmender Bedeutung für die Zukunft werden sollten. Die Männer, denen die Ecole Polytechnique die Entstehung vor allem verdankt10, hier ist besonders G~spard Monge zu nennen11, gehörten gleichermaßen als Gelehrte wie als Männer der Revolution zu den bedeutendsten Frankreichs. Hier sollte die allgemeine mathematisch-naturwissenschaftliche Vorbildung für die anschließenden verschiedenen "ecoles speciales" gegeben werden. Vor allem die große Reihe der hier tätigen berühmten Physiker, Chemiker und Mathematiker begründete in wenigen Jahren den Weltruf dieser Anstalt und veranlaßte viele Nichtfranzosen, Gelehrte wie Staatsmänner, zum Besuch ihrer Einrichtungen. "Die erste Schule der Welt, eine Schule, die man mit vollem Recht ein Prinzip nennt, um die uns das Ausland beneidet", so hatte Fran!;ois ATago, der Freund Alexander von Humboldts und selbst einer ihrer berühmtesten Zöglinge und Lehrer, die Pariser Ecole Polytechnique genannt. Die Naturwissenschaften allgemein, besonders aber die Mathematik wurden zum tragenden Pfeiler der gesamten Ausbildung gemacht. Insofern war die Ecole Polytechnique gewissermaßen organisatorischer Ausdruck einer Mathematisierung der anderen Wissenschaftszweige, wie sie von Descartes und Leibniz' "Mathesis universalis" ihren Ausgang genommen hatte. Getragen von den Impulsen der Enzyklopädisten hatte dies in den Wissenschafts- und Bildungsbestrebungen der Revolution einen Höhepunkt erreicht. Antrieb und Basis der Schule sollte letzt• W. Treue, Das Verhältnis der Universitäten und Techn. Hochschulen zueinander und ihre Bedeutung für die Wirtschaft, in: Die Wirtschaftliche Situation in Deutschland und Osterreich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, hrsg. v. Friedrich Lütge,Stuttgart 1964, S. 224. to Vgl. zur Geschichte der Ecole Polytechnique außer Pinet vor allem A. Fourcy, Histoire de l'Ecole Polytechnique, Paris 1828; Ecole Polytechnique, Livre du Centenaire, 3 Bde., Paris 1898 ff., und Mortimer d'Ocagne, Les grandes Ecoles de France, Paris 1887. 11 Vgl. Charles Dupin, Essai historique sur les services et les travaux scientifiques de Monge, Paris 1819.

2. Die Pariser Ecole Polytechnique

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lieh der Gedanke an die Anwendbarkeit ihrer wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnisse auf praktische Probleme sein. Hier sollten die wissenschaftlichen Grundlagen der Technik insgesamt gelehrt werden, die allgemeinen Prinzipien der verschiedenen technischen Gebiete. Mathematisch-naturwissenschaftliche Elemente und technisches Wissen wurden zumeist in engstem Zusammenhang gesehen, im Durchdringen der mathematischen Ideen mit dem technischen Ferment. Das an sich nicht neue Prinzip war in der Ecole Polytechnique in einer Schulform organisiert worden, die gemäß den leitenden Ideen der Gründer auf der inneren, gesetzmäßigen Einheit aller technischen Betätigungen beruhte12. Die methodische Verbindung von theoretischen Studien und praktischen, konstruktiven Anwendungen, "cet heureux melange des etudes theoretiques avec les applications pratiques; des mathematiques pures avec la physic, les arts du dessin, les exercises de lever et des constructions13 " bildete den Inhalt des hier entwickelten Lehrsystems, in dem sich Forschung und Lehre verbanden. Die Eleven der Anstalt genossen ein hohes Sozialprestige und standen im Bewußtsein, einer Elite anzugehören, in den Übungssälen und Laboratorien in persönlicher Bezugnahme unter Anleitung und unmittelbarem Einfluß der bedeutendsten Lehrer und produktivsten Gelehrten der Zeit und nahmen an ihren Forschungen Anteil. Es war nicht erstaunlich, daß die Leistungen der Schule schnell auf eine ganz außerordentliche Höhe anstiegen. "Der Einfluß eines so intensiven Betriebes auf die gesamte Wissenschaft konnte nicht ausbleiben", so schrieb später Felix Klein, der die Ecole Polytechnique für einen der wichtigsten Geistesfaktoren des 19. Jahrhunderts hielt, und er urteilte, tatsächlich sei fast alles, was in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in der Mathematik, Physik und Chemie in Frankreich geleistet wurde, aus ihr hervorgegangen14• In ihrer konstitutiven Idee, daß nur auf der Basis umfassender mathematisch-naturwissenschaftlicher Kenntnisse das Rüstzeug beschafft werden könne, um die mechanischen, physikalischen und chemischen Naturkräfte zu beherrschen und nutzbar zu machen, und mit ihrem Lehrsystem ist die Ecole Polytechnique aber vor allem das große, in vielem normsetzende Vorbild für die gleichermaßen als Voraussetzung und in der Folge der technisch-industriellen Entwicklung begründeten poly12 "Les differents travaux de 1' Architecture militaire, civile et hydraulique sont tous fondes sur les memes theorie exigent les memes etudes preliminaires", das war der Leitgedanke der Gründungskommission in ihrem Bericht an den Konvent gewesen. Zitiert bei Fou.r cy, a. a. 0., S. 15 f. 13 Livre du Centenaire, Tome li, S. 2. 14 Vgl. Felix Klein, Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert, Teil I, Berlin 1926, S. 66.

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technischen Lehranstalten in Österreich, Deutschland und der Schweiz geworden. Mit Recht hat Franz Schnabel hier die von der Ecole Polytechnique ausgehenden Antriebe als "unabsehbar" hervorgehoben und betont, daß hier ein neuer Hochschultypus gefunden war, dem Dauer innewohnen sollte15• Als "Urbegriff aller hohen technischen Bildungsanstalten" 15 spielt sie in der Tat in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts eine Rolle in allen Erörterungen und Plänen zur höheren technischen Bildung, die auf die Begründung eines "Polytechnischen Institutes", "Polytechnischen Seminariums" 17, einer "Bürgeruniversität", "Realuniversität", wie immer solche Anstalten dabei genannt wurden, hinzielten. Die Auswirkungen der Pariser Gründung blieben hier auch unbeeinflußt von der Tatsache, daß man häufig genug nur sehr ungenaue Kenntnisse über sie hatte oder gar falsche Vorstellungen mit ihrer wirklichen Aufgabe und Organisation· verband18• Wenn man sagen kann, daß alle deutschen Universitäten letzten Endes als Nachfolgerinnen der Pariser Universität gegründet worden sind, so muß im Hinblick auf die Ecole Polytechnique ein gleiches auch von den deutschen Technischen Hochschulen des 19. Jahrhunderts bemerkt werden.

3. Fachhochschule und Universität Von keinem der Gründer der Ecole Polytechnique wurde in Erwägung gezogen, ob die hier angestrebten Lehrziele an der Universität, etwa der Sorbonne, oder überhaupt in überkommener universitärer Organisation zu erreichen waren. Das lag weniger am praktischen Zweck und der als notwendig angesehenen strengen Bindung des Studiums1• Noch mehr als in Deutschland waren die Universitäten in Frankreich in einen Gegensatz zu der geistigen Bewegung der Zeit geraten. Hier konnten die Lehren der Aufklärungsliteratur und die Anschauungen der Enzyklopädisten keine Aufnahme finden2 • Deren Anhänger fühlten sich 15 Franz Schnabel, Die Anfänge des Technischen Hochschulwesens, in: Festschrift anläßlich des 100jährigen Bestehens der T. H. Fridriciana zu Karlsruhe, Karlsruhe 1925, S. 12. 18 J. F. Ladomus, Über technische Lehranstalten, Karlsruhe 1824, S. VII. 17 Vgl. K. H. Manegold, Eine f:cole Polytechnique in Berlin, Technikgeschichte, Bd. 33 (1966), S. 182 ff. 18 Das geht hinlänglich aus der zahlreichen Literatur der Zeit über höhere technische Bildungsanstalten hervor. 1 So interpretierte Schnabel die Absichten Carnots und Monges; vgl. Anfänge, S. 9. 2 Vgl. F. B. Artz, Les debuts de l'education technique en France; Revue d'histoire moderne, XII (1937), S. 469 ff.

3. Fachhochschule und Universität

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e1mge im Besitz der freien Wissenschaften im Gegensatz zu den von ihnen als scholastisch und dogmatisch gebunden angesehenen alten Universitäten. Die Revolution hatte diese darüber hinaus seit 1789 allmählich ganz beseitigt3• Statt dessen trat entschieden der Gedanke der "ecoles speciales" als Organisationsform des Hochschulstudiums hervor, verbunden mit dem Anspruch, damit ein modernes Hochschulwesen an die Stelle des "mittelalterlichen" zu setzen, gegen traditionelle Korporationen und verhaßte Privilegien. In der napoleonischen "universite imperiale" ist das System der Spezialschulen dann am entschiedendsten zur Geltung gekommen4 • Auch in Deutschland war längst die Kritik an den bestehenden Universitäten laut geworden, und auch hier hatten sich vielfach die Forderungen einer Reformdiskussion auf praxisnahe Fachhochschulen ausgerichtet. Während in Göttingen die erste "moderne" Universität aufblühte, in der den wachsenden Zweifeln am Nutzen dieser Anstalt das entschiedene Bestreben entgegengestellt wurde, Lehre und Leben der Universität auf die praktische Brauchbarkeit abzustimmen\ hatte sich nach wissenschaftlichem Niveau, wie nach der Zahl ihrer Studenten der bereits im 17. Jahrhundert begonnene allgemeine Rückgang der deutschen Universitäten fortgesetzt6 , und seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich immer mehr Stimmen erhoben, die eine Aufhebung der Uni,versitäten schlechthin forderten. Die Klagen über eine im gelehrten Zunftwesen erstarrte Universität ohne Beziehung auf praktische Daseinsgestaltung erschienen Politikern und Pädagogen der Aufklärung vielfach gerechtfertigt und erfüllten die entsprechenden Reformprogramme vieler Philanthropen und Staatsmänner7 • Wenn die Universität aber einer als unhaltbar erscheinenden Bildungsvorstellung und dem enzyklopädischen Wissensbetrieb verhaftet blieb und auf der anderen Seite immer mehr zur Berufs- und Fachschule wurde oder werden sollte, so konnte es keinen einsichtigen Grund mehr geben, die Fakultäten und Einzelwissenschaften unter einem Dach zu vereinen8 • Die Verselbständigung in besondere Fachschulen, die Beschränkung jeder einzelnen An3 Endgültig durch das Dekret vom 25. Februar 1795, vgl. Ludwig Bernhard, Akademische Selbstverwaltung in Frankreich und Deutschland, Berlin 1930, S.lff. 4 Vgl. M. Hinz, Die Universite Imperiale de Napoleon I, Diss. Erlangen 1928. 5 Vgl. Walter Buf!, Gerlach Adolf Frh. v. Münchhausen als Gründer der Universität Göttingen, Göttingen 1937, S. 26 ff. 6 Vgl. Eulenburg, Die Frequenzen der deutschen Hochschulen von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 131. 7 Vgl. Fr. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, Bd. II (1921), Neudruck Berlin 1960, S. 57 ff. u. passim. 8 Rene König, Vom Wesen der deutschen Universität, Berlin 1935, S. 20 ff.

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stalt auf ein Fach, mußte viele Vorteile mit sich bringen, indem sie vor einer Zersplitterung bewahrte. Als Ziel solcher Anschauungen galt: "So viele Hauptklassen von Staatsdienern es in einem Lande gibt, so viele Arten von Seminaren müssen auch daselbst vorhanden sein'." Die Universitäten erschienen dagegen als "monströses Zusammenwirken mehrerer Schulen", wie der preußische Minister von Massow geäußert hatte, und die er in einzelne Fach-Akademien aufgelöst wissen wollte10• Solchen Tendenzen und der Wertschätzung der Aufklärung für die "nützlichen" Spezialstudien verdankten eine Reihe von "Fachhochschulen" ihre Entstehung, wie das "Collegium- medico-chirurgicum" (1724), die "Pepiniere" (1795), die Bauakademie in Berlin (1799) und das Ackerbauinstitut von Thaer in Möglin (1806). Hier stand die Berufsausbildung im Mittelpunkt des Unterrichts, aber von der wissenschaftlichen Spezialausbildung ausgehend wurde ein größerer Überblick über das Einzelfach angestrebt und ein weiter Bereich allgemeiner Fächer, soweit sie mit dem Beruf in irgendeiner Beziehung standen, einbezogen11 • Das galt in besonderem Maße für die in den gleichen historischen Zusammenhang gehörenden Bergakademien. Für die leitenden Bergbeamten hatte sich ganz besonders eindeutig die Notwendigkeit naturwissenschaftlich-technischer Spezialstudien ergeben und das Bedürfnis, eigene Spezialanstalten dafür zu gründen, wenngleich die "Bergfächer" ebenso wie die Landwirtschaft im Rahmen der Kameralwissenschaft auch an der Universität betrieben wurden12• Viele wichtige technische Entwicklungen fanden im Bergbau ihre erste Anwendung, und nicht zufällig sind gerade die ersten Dampfmaschinen, in der Veränderung durch Watt dann die folgenreichste der technischen Großerfindungen, vor ihrer Verwendung in anderen Bereichen im Bergbau eingesetzt worden. Die bergtechnischen Anforderungen wurden ein wichtiger Ausgangspunkt der Maschinentechnik überhaupt. Darüber hinaus gab es hier naturgemäß eine Fülle von notwendigen Verbindungen und Anregungen zu zahlreichen Disziplinen der Mathematik und Naturwissenschaft, die sich zum Teil erst im Zusammenhang mit dem Bergwesen entwickelten und zu selbständigen Fächern geworden sind. Neben Berlin (1770), Clausthal (1775) ist vor allem die Akademie von Freiberg (1765) 9 Heinrich Stephani, System der öffentlichen Erziehung, 2. A. Leipzig 1813, S. 175, in der 1. A. unter dem Titel "Grundriß der Staatserziehungswissenschaft" 1797 erschienen. 10 Vgl. Max Lenz, Geschichte der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin, Bd. I, Halle 1910, S. 36 ff. 11 Vgl. Herbert Lehmann, Das Collegium-medico-chirurgicum in Berlin als Lehrstätte der Botanik und Pharmazie, Diss. Berlin 1936. 12 Vgl. Wilhelm Stieda, Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft, Abhandlungen der kgl. sächsischen Akademie der Wiss., phil. hist. Klasse Bd. 25, Nr. Il, Leipzig 1906.

3. Fachhochschule und Universität

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und die ungarische Bergakademie Schemnitz zu nennen. In einer schon 1746 erschienenen Schrift, in der die Notwendigkeit einer entsprechenden "eigenartigen" Hochschule in Sachsen dargelegt wurde, hatte der Verfasser darauf hingewiesen, daß die Akademien der Forschung und die Universitäten der Lehre dienten, die Bergakademie aber müsse beides mit gleichem Nachdruck betreiben13• Tatsächlich war bald nach ihrer Gründung die Fahrt nach Freiberg unentbehrlich geworden für jeden, der höhere technische und bergbauliehe Studien betrieb, und die nach dem Muster einer Fakultät organisierte, schließlich weltberühmte Akademie14 "erneuerte bald das Schauspiel der ersten Universitäten im Mittelalter, dorthin eilten Schüler aus allen nur einigermaßen zivilisierten Ländern", wie es 1817 in Cuviers Nachruf auf Abraham Werner15, den berühmten Freiherger Lehrer, hieß18• In Schemnitz war nur kurze Zeit später als in Freiberg, aber unabhängig von dort, aus den Bedürfnissen des ungarischen Bergbaues heraus, durch Maria Theresia der Gedanke einer selbständigen Hochschule technisch-naturwissenschaftlicher Richtung neben der Universität Prag verwirklicht worden17• Zusammen mit Freiberg wurde diese Anstalt zur bedeutendsten ihrer Art. In ihren mit "wirklich königlicher Munifizenz" eingerichteten Laboratorien experimentierten Professoren und Studenten gemeinsam, und die letzteren waren gehalten, sich selbständig mit praktischen Versuchen und Analysen zu beschäftigen, da die Theorie, "wenn selbe nicht zugleich mit denen Experimentiis unterstützt wird, weniger Grund zu fassen pflegt", wie man von Anfang an dazu bemerkt hatte18, und von den Schemnitzer Unterrichtseinrichtungen und Ausbildungsmethoden haben die Gründer der Ecole Polytechnique wesentliche Anregungen erhalten19• 13

1746.

Carl Friedrich Zimmermann, Obersächsische Bergakademie, Leipzig

14 Gedenkschrift zum 150jährigen Jubiläum der kgl. sächsischen Bergakademie zu Freiberg, hrsg. v. E. Papperitz, Freiberg 1916, S. 25. 15 Begründer der Geologie und Verfechter des "Neptunismus". 16 W. Walter Herrmann, Bergbau und Kultur, Freiherger Forschungshefte D 2, Berlin 1953, S. 47 f. 17 Johann Mihalowitz, Die Entstehung der Bergakademie in Selmecbänya (Schemnitz), in: Historia eruditionis superioris rerum metallica rum et saltuarium in Hungaria 1735-1935, Sopran 1935. 1s Mihalowitz, a. a. 0., S. 48. 1o "La physique et la ehernie . . . n'ont encore ete · montrees en France qu'en theorie; l'Ecole des Mines de Schemnitz en Hongrie, nous fournit un example frappant de l'utilite de faire excercer ou pratiquer par les eleves les operations qui font la base de ces sciences," so hieß es 1794 in dem Bericht der Gründungskommission an den Konvent. Zit. bei Fourcy, a. a. 0., S. 24; vgl. dazu Pinet, a. a. 0., S. 366 und Livre du Centenaire Bd. I, S. LVI.

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Einleitung

Die Bergakademien waren lange Zeit hindurch die einzigen, jedenfalls gegenüber den Universitäten die fortgeschrittensten Stätten technischnaturwissenschaftlicher Lehre, und die Anfänge technischer Wissenschaften lassen sich zu einem wesentlichen Teil auf technische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse zurückverfolgen, die zuerst auf montanistischem Gebiete errungen wurden.

4. Die Gründungskonzeption der Berliner Universität und die höheren naturwissenschaftlich-technischen Studien Während in Frankreich nach Auflösung der alten Universitäten in den "ecoles speciales" und den "ecoles d'application" vor allem die Naturwissenschaften und die Anwendungen zu hoher Blüte gelangten, wurden in Deutschland mit der Gründung der Universität Berlin im Jahre 1810 Entwicklungen unterbrochen, die auch hier gegen die bestehende Universitätsform und auf praxisbetonte Fachhochschulen gerichtet waren. Die Universitäts- und Bildungsidee aus dem Geist des Neuhumanismus und des philosophischen Idealismus, wie sie in dieser Gründung zum Ausdruck kam, wurde in der Folge normgebend für alle anderen deutschen Universitäten. Als "geistige Neubegründung" war sie aus einer neuen, umfassenden Konzeption heraus erfolgt, die sich wesentlich gegen das bestehende Hochschulwesen gebildet hatte. Die Gegenposition gegenüber der sie sich verwirklichte, war gerade die mehr technisch gerichtete Auffassung der Aufklärung von der Universität als Stätte der Berufsausbildung und der Wissenschaft im Hinblick auf deren unmittelbare Utilität im bürgerlichen, wirtschaftlichen und industriellen Leben, vor allem aber die wissenschaftliche Spezial- und Fachhochschule. Die Idee einer wissenschaftlichen Hochschule als Berufsausbildungsstätte stellte daher jetzt das dauernde Gegenbild der deutschen Universität dar1 • Der Gedanke der Spezialschulen wurde von Wilhelm von Humboldt mit einer Schärfe, die ihm sonst fern lag, bekämpft1 • Im Rahmen der Vorgeschichte der Berliner Universitätsgründung hatten zunächst durchaus auch praktische und technische Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle gespielt. Friedrich Wilhelm III. hatte in seiner Kritik an der preußischen Akademie der Wissenschaften, die er als "technische Staatsanstalt" ansah3, deren spekulativen Geist gerügt und ihr den Vorwurf Vgl. Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, 1963, S. 68. Vgl. Eduard Spranger, Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungswesens, Berlin 1910, S. 135 ff. 3 Kabinettsordre vom 9. 4. 1798, vgl. Adolf Harnack, Geschichte der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1900, Teil 2, S. 529. 1

2

4. Die Gründungskonzeption der Berliner Universität

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gemacht, zu wenig für die Vervollkommnung der "technischen Künste" beizutragen und nicht ausreichend darauf bedacht zu sein, die "Nazionalindustrie" zu wecken4 • Hier hatte sich das Bedürfnis nach einer "höheren Lehranstalt" in Berlin angekündigt. In einem der frühesten Dokumente zur Gründungsgeschichte, der von Engels für den Kabinettsrat Beyme ausgearbeiteten Denkschrift\ zählte der Verfasser "Künste und Fabriken unter jene wichtigen Objekte" des Unterrichts, die keineswegs durch "bloße Worte" gelehrt werden könnten. Gerade deshalb hielt er auch den "fabrikreichsten" Ort des Landes, das "industriöse, kunstreiche, veränderungsvolle Berlin" für den geeignetsten Ort der neuen Anstalt, um so mehr als er hier alle Teile einer philosophischen Fakultät und eines "Polytechnikums" als deren Grundlage bereits vorhanden sah, und hinsichtlich ihres Nutzens fehlte nicht der Hinweis auf Frankreich. Die Beurteilung solcher Tendenzen wandelte sich freilich bald, andere Stimmen lehnten sie kategorisch ab und verwiesen die "Nützlichkeitsapostel" von der Universität in die Industrieschulen, "weil es ihnen ganz am Sinn für die Wissenschaft fehlt, sie dieselbe nicht um ihrer selbst willen ..., sondern deswegen schätzen, weil sie dazu taugt, Häuser zu bauen, den Acker zu bestellen und den Commerz zu beleben6." Zur gleichen Zeit, da Engels seinen noch ganz den Geist der Aufklärung atmenden Entwurf schrieb, lehrte Schelling in seinen Jenaer "Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" (1802) 7 die organische Einheit der Wissenschaft und stellte die Institution der Universität, die für ihn das Realwerden, die äußere Darstellung der idealen Einheit der Wissenschaft bedeutete, auf eine rein philosophische Grundlage. Ihre geistige und sittliche Bestimmung sah er aufgebaut auf der Pflege der Wissenschaft um ihrer selbst willen, fern von jeder pragmatischen Zweckbestimmung8, sie dürfe hier nicht "in praktischer oder technischer Absicht" gelehrt werden. SeheHing setzte die Idee der zweckfreien Wissenschaft polemisch ab von der "anderen Richtung", die auf das "bloß Nützliche" abzielte, nach deren Maßstab die Erfindung des Zit. bei König, a. a. 0., S. 50 f. s "Über die Begründung einer großen Lehranstalt in Berlin" (1802), abgedruckt bei Rudolf Köpke, Die Gründung der Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin, Berlin 1860, S. 147 ff. 6 Gutachten von Joh. Christ. Reil, zit. in: Wilhelm Weiseheder (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin, Berlin 1960, S. XXI. 7 Wieder abgedruckt in: Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch den klassischen Idealismus und romantischen Realismus, hrsg. v. Ernst Anrich, Darmstadt 1964, S. 3 bis 123. 8 Vorlesungen über die Methode . . ., Anrich, a. a. 0., S. 22. 4

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Spinnrades wichtiger sei als die eines "Weltsystems9". Er betonte den "Ekelnamen der Brotwissenschaften" für jene Fächer, "welche unmittelbarer als andere zum Gebrauch des Lebens dienen". Allen "Grundschriften" von Schelling bis Humboldt, die üblicherweise als ideelle Basis der neuen Universitätskonzeption angeführt werden, war die Auffassung gemeinsam, daß die praktischen Anwendungen der Wissenschaft mit ihr selbst nichts unmittelbar zu tun habe. Trennung der "reinen" Wissenschaft von ihren Anwendungen wurde zum konstitutiven Grundsatz dieser Konzeption. Schleiermacher hatte in seinen "Gelegentlichen Gedanken über Universitäten im deutschen Sinne" (1808) 10 dargelegt, daß die "eigentliche Universität" lediglich in der philosophischen Fakultät und hier allein "die ganze natürliche Organisation der Wissenschaft" enthalten sei11• Die mehr ins Besondere gehenden Naturwissenschaften sollten sich nur insofern anschließen, als sie nicht "zum Behufe eines bestimmten Zweckes pragmatisch behandelt würden". Er wandte sich ausdrücklich gegen das französische System der Spezialschulen, hielt ihre Fürsprecher in Deutschland von einem "undeutschen, verderblichen Geist" angesteckt und setzte gerade dagegen die "Universität im deutschen Sinne". Er knüpfte indessen mehr als Schelling, Fichte 1z oder Stefjens13 an das Bestehende an und wollte die überkommenen Formen der Universität in ihrem realen Lebenszusammenhang nicht beseitigt wissen. Sie sollte auch Talente fördern können, die auf die "höchste Würde der Wissenschaften" Verzicht leisten, da besonders der Staat "von diesen Köpfen der zweiten Klasse" bedürfe. Immerhin ist Schleiermacher in diesem Zusammenhang am Ende seiner Schrift auch auf die technischen Disziplinen eingegangen14• Er dachte dabei vor allem an die Berliner Bau- und Bergakademie und fand, daß der dortige Unterricht auch den Studenten der Universität offenstehen müsse, damit sie auch die "äußerliche Seite des wissenschaftlichen Gebietes" kennenlernen könnten. Den Nutzen für die Universität hielt er dagegen für "unsicher" und zufällig, wenn umgekehrt die Lehrer dieser Anstalten ihre Fächer auch an der Universität vortrügen. Schließlich gab er aber zu bedenken, "vielleicht könnte etwas Größeres ausgerichtet werden, wenn man die Anstalten selbst auf eine gewisse Weise mit der Universität vereinigte". Da dort auch mit den technischen FäEbd., 5.42. Abgedruckt bei Anrieb, a. a. 0., S. 221 bis 308. u Ebd., S. 257 ff. 12 Deduzierter Plan einer in Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt, geschrieben 1807 auf Anforderung von Beyme, Anrich, a. a. 0., S. 127 ff. 13 Vorlesungen über die Idee der Universitäten, 1809, Anrich, a. a. 0., s. 311 ff. 14 "Gelegentliche Gedanken ..." Anrich, a. a. 0., S. 306 ff. 9

to

4. Die Gründungskonzeption der Berliner Universität

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ehern in Zusammenhang stehende allgemeine Wissenschaften gelehrt würden, schlug er vor, die Akademien zu teilen: "Der eine Teil wäre die Schule und bearbeitete diejenigen, welche sich diesem Fach gewidmet haben, ohne nach wissenschaftlicher Bildung zu streben. Der andere, höhere, würde mit der Universität vereinigt, die Zöglinge wären Studenten im vollen Sinn, die Lehrer Professoren, und der Unterricht ganz in den der Universität aufgenommen." Der "niedere" Teil, also jener der technischen Fächer, sollte nach Schleiermachers Vorstellung in gleicher Weise mit den "gelehrten Schulen" in Verbindung gebracht werden "und diese selbst durch solche Mittelglieder in eine nähere Gemeinschaft treten, so daß beide, ohne von ihrer Eigentümlichkeit etwas aufzugeben, doch auch wieder als ein Ganzes anzusehen wären". Das war gewissermaßen ein früher Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Technischer Hochschule und Universität. Zur Ausführung solcher Vorschläge kam es freilich bei Errichtung der Universität nicht. Inwieweit Wilhelm von Humboldt als eigentlicher spiritus rector der Gründung insgesamt von den entsprechenden Ideen und Gedanken Schellings, Fichtes, Steffens und Schleiermachers im einzelnen beeinfl.ußt wurde, ist bekanntlich weitgehend ungeklärt. Im Hinblick auf die angewandten und technischen Fächer galt für ihn wie für jene aber das Urteil Schleiermachers, daß diese Fächer "vom Mittelpunkt der Erkenntnis am weitesten entfernt" waren15• Es war aufschlußreich für das tatsächliche Verhältnis zu den bestehenden ,,Spezialschulen", daß Albrecht Thaer, der Begründer des wissenschaftlichen Landbaues und Direktor der von ihm errichteten Landwirtschaftlichen Akademie in Möglin, auf das Votum Schleiermachers eine ordentliche Professur verweigert wurde. Er hatte Humboldt gegenüber erklärt, "bloß für Gelehrte" wolle er nicht arbeiten18• Die Studenten seiner Akademie wurden nicht zur Immatrikulation zugelassen, und aus gegebenem Anlaß kam es zur Verfügung der preußischen Unterrichtssektion, daß "solche, die sich mit einem anderen bürgerlichen Gewerbe beschäftigten" und ferner "alle, die noch Zöglinge an Akademien und Spezialschulen wären, die Matrikel der Universität nicht erhalten dürften 17 ". Es hätte an sich nahegelegen, durch den Ausbau der Technologie im Rahmen der Kameralwissenschaft die "praktischen" Fächer zu berücksichtigen. Das ist auch tatsächlich diskutiert worden, aber mit der Ausbreitung der Lehre Adam Smith' auf den deutschen Universitäten18 Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken ..., Anrich, a. a. 0., S. 306. Vgl. Lenz, a. a. 0., Bd. I, S. 257. 17 Lenz, a. a. 0., S. 319. 18 Vgl. Wilhelm Treue, Adam Smith in Deutschland. Zum Problem des "Politischen Professors" zwischen 1776 und 1810 in: Festschrift für Hans Rotfels, 1951, S. 101 ff. 15

1•

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Einleitung

traten die "Polizey und Kameralwissenschaften" im alten Sinne immer mehr zurück, und mit der Ausbildung der neuen Nationalökonomie kam es zur Abtrennung der naturwissenschaftlichen und technologischen Fächer von den theoretischen Wirtschaftswissenschaften. Für den Beamten, der bisher im Rahmen der Staatswissenschaften auch technologische Kenntnisse erhalten sollte, stand mit dem Ende des kameralistischmerkantilistischen Zeitalters ausschließlich das juristische Studium im Vordergrund. Humboldt hatte in seinem "Generalbericht an den König" 19 zwar betont, daß er seine "vorzügliche Sorgfalt auf die baldige Beförderung des kameralistischen Studiums" richten werde, ging aber nur zögernd an die Besetzung dieses Faches heran20 • Die Übernahme des Lehrstuhles durch Johann Gottfried Hoffmann, Staatsrat in der Gewerbesektion, bildete dann den "Höhepunkt des Eindringens von Smith durch die Universitäten nach Deutschland21 ". In einem auf Humboldts Anforderung von ihm verfaßten Gutachtenn trennte Hoffmann scharf die technischen Fächer vom "ökonomischen Teil" der Staatswissenschaft, und es schien ihm "nicht rätlich", für jene eine eigene Professur zu errichten, er wollte sie vielmehr auf die naturwissenschaftlichen Fachvertreter verteilt wissen. Schließlich wurde der betriebsame Chemiker, Pharmazeut und praktische Technologe Friedrich Hermbstaedt 23, der sich, wie Humboldt abschätzig urteilte, "in der Chemie größten Teils nur mit dem technischen Teile" beschäftigte2', zum außerordentlichen Professor für Technologie ernannt, darüber hinaus fanden die "angewandten" Fächer keine weitere Berücksichtigung. Die Technologie, von ihrem Begründer Johann Beckmann einst als eine umfassende allgemeine Handwerks-, Bergwerks- und Manufaktur- bzw. Fabrikwissenschaft gedacht25, war über eine rein deskriptive, historisierende Gewerbe- und Fabrikationskunde im Sinne einer allgemeinen Belehrung über gewerbliche und industrielle Verhältnisse ohnehin nicht hinausgelangt und führte auf den Universitäten bald nur mehr ein Schattendasein. In Humboldts fragmentarischer Denkschrift von 1809/181021 , traditionell als das klassische Dokument der neuen deutschen Universität angesehen, hieß es zwar eindeutig, "Die Universität steht immer in engerer 19 Vom 23. 10. 1810, W. v. Humboldt, Gesammelte Schriften, hrsg. von der kgl. Preuß. Akademie d. Wiss. Bd. X, Berlin 1903, S. 273 ff. 20 V gl. Lenz, a. a. 0., S. 252. 21 Treue, a. a. 0., S. 130. 22 Abgedruckt bei Köpke, a. a. 0., S. 209 ff. 23 Vgl. Ilja Mieck, Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760-1833) Chemiker und Technologe in Berlin, Technikgeschichte, Bd. 32, 1965, S. 325 ff. 24 Humboldt, a. a. 0., Bd. X, S. 280. 23 Vgl. A. Timm, Kleine Geschichte der Technologie, Stuttgart 1964. 28 Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, Gesammelte Werke Bd. X, S. 250 ff.

4.

Die Gründungskonzeption der Berliner Universität

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Beziehung auf das praktische Leben und die Bedürfnisse des Staates, da sie sich immer praktischen Geschäften für ihn unterzieht27". Das bedeutete indessen keinen Widerspruch zu der Auffassung, daß pragmatische Fächer und eine fachliche Berufsbildung von der Universität fernzuhalten seien. Hier stand die Überzeugung dahinter, daß die "rein" betriebene Wissenschaft indirekt auch dem praktischen Leben in höherem Maße nütze als jede geradewegs auf den Zweck zielende Ausbildung. Nicht auf den unmittelbaren Nutzen sollte es ankommen, den man von der Wissenschaft erwarte, sondern auf den Geist der Wissenschaft selbst. "Dann", wie es in der oft zitierten Formulierung aus Humboldts Akademierede hieß, "gießt die Wissenschaft oft ihren wohltätigen Segen auf das Leben aus, wenn sie dasselbe gewissermaßen zu vergessen scheint28". Es war die überzeugung, nur eine umfassende, zweckfreie "Bildung durch Wissenschaft" verleihe auch die beste Befähigung für die "praktischen Geschäfte des Lebens29 ". Diesen leitenden Ideen entsprechend, wurden die einer Verwirklichung und Anwendung verpflichteten, technisch-naturwissenschaftlichen Fächer in den Bereich der Universität nicht mit einbezogen, sie zählten für Humboldt ohnehin zu den "schrecklichen Wissenschaften" 30• Nur auf der unteren Ebene niederer "Kunstschulen" für Handwerker forderte Humboldt selbst, "daß es viele Specialschulen gäbe und kein bedeutendes Gewerbe des bürgerlichen Lebens eine entbehre31 ". Analog zur Reform des höheren Schulwesens, die das Gymnasium im Sinne des Neuhumanismus einseitig bevorzugte und zur reinen "Gelehrtenschule" machte und deren Lehrpläne gar nicht oder nur zögernd und gegen heftigen Widerstand sich den Erfordernissen einer durch die Entfaltung von Technik und Naturwissenschaft charakterisierten Zeit anpaßten, war auch die für die weitere Universitätsentwicklung epochemachende Gründung der Universität Berlin einseitig auf den Vorrang der Geisteswissenschaft ausgerichtet. Die Naturwissenschaften mußten sich erst gegen die von Schelling ausgehende Naturphilosophie durchsetzen, die die Natur aus wesentlich geistigen Kategorien aufzubauen suchte, und gegenüber jenem "Idealismus, der die zergliedernde, rechnende und wägende Naturforschung für ein untergeordnetes, ja widerliches Geschäft erklärte32 ". Die experimentelle Methode, das induktive und mathematisch-analytische Verfahren konnte sich nur langsam Gel27

Ebd., S. 258.

Akademierede vom 19. 1. 1849, vgl. Harnack, ts Ebd. 30 Spranger, a. a. 0., S. 128. 28

a. a. 0., S. 341 ff., Bd. 11.

31

Königsherger und Litauischer Schulplan, Gesammelte Werke, Bd. XIII,

82

Harnack, a. a. 0., Bd. I, Teil 2, S. 729.

s. 265.

32

Einleitung

tung verschaffen, und erst von der Rückkehr Alexander von Humboldts im Jahre 1827 datierte der allmähliche Umschwung in der Bewertung des naturwissenschaftlichen Studiums und in der Einschätzung der Naturwissenschaften für die höhere Bildung in Deutschland. In seinen berühmten Vorträgen dieses Jahres in der Berliner Singakademie33 hatte er insbesondere in der Würdigung des Naturstudiums das Hauptbedürfnis der Zeit gesehen, "wo der materielle Reichtum in einer sorgfältigen Benutzung der Naturkräfte begründet" sei und das Naturwissen unmittelbar auf die Gewerbe einwirke34 • Wie sich mit der Ausbreitung des humanistischen Gymnasiums die Forderung nach entsprechenden "realistischen" Schultypen nur um so dringender stellte, so erhoben sich bald in wachsendem Maße auch Bedürfnisse und Forderungen nach höheren technisch-naturwissenschaftlichen Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten auf akademischer Ebene, gerade weil die Universität sich hier verschloß. Das zeigten die Vorschläge des schon erwähnten Chemikers Friedrich Hermbstaedt, der deshalb schon im Jahre 1813 "technologische Akademien" forderte, auf denen Mathematik und Naturwissenschaften im Hinblick auf das "Rationelle der necessairen Künste" gelehrt werden sollten35, ebenso wie die 1817 im preußischen Kultus- und Handelsministerium erwogenen Anregungen, die Berliner Bau- und Bergakademien zu einem einheitlichen und umfassenden naturwissenschaftlich-technischen Institut umzuwandeln35. Das zeigten vor allem aber die sich über Jahrzehnte von 1820 bis 1850 - hinziehenden, im preußischen Kultusministerium erörterten Pläne, neben der Universität und in bestimmter Verbindung zu ihr nach dem Pariser Vorbilde eine "Ecole Polytechnique" als hohe mathematisch-naturwissenschaftliche Lehranstalt zu gründen87 • Die ideelle Konzeption der Universität, Zweckfreiheit der gelehrten Bildung, Wissenschaft um ihrer selbst willen und Autonomie des Geistes gegenüber den praktischen Bedürfnissen, vermochte solchen Bestrebungen keinen Raum zu geben. Damit schienen die Weichen gestellt zu sein, daß eine Hochschule mit "Verwirklichungszweck" sich nur neben und außerhalb der Universität entwickeln und von dieser nur als dauerndes Gegenbild begriffen werden konnte. Dies um so mehr, als sich die neuhumanistisch-idealistische Vgl. Bruhns, a. a. 0., S. 133. A. v. Humboldt, Kosmos Bd. I, Stuttgart 1845, S. 35 f. 85 Vgl. Friedrich Hermbstaedt, in: Bulletin des Neuesten und Wissenswürdigsten aus der Naturwissenschaft, Bd. XIII, Berlin 1813, S. 71 ff. 36 Vgl. W. Dobbert, Chronik der T. H. Berlin, in: Festschrift der kgl. T. H. zu Berlin, zur Einweihung ihres neuen Gebäudes, Berlin 1884, S. XXIV. 37 Vgl. K. H. Manegold, Eine :F.:cole Polytechnique in Berlin, Technikgeschichte Bd. 33, 1966, S. 182-196. 83

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4. Die Gründungskonzeption der Berliner Universität

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Universität schnell und erfolgreich gegenüber jenem "um sich greifenden Amerikanismus, Polytechnismus, oder wie man die materiellen Richtungen nennen will", durchsetzte38• Wenn Friedrich Wilhelm III. im Hinblick auf die Gründung der Berliner Universität der Satz zugeschrieben wird, der Staat müsse durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe39, so entsprach dies in gleicher Weise vollständig den sich jetzt immer stärker zu Wort meldenden Bestrebungen, die auf höhere technisch-wissenschaftliche Ausbildungsstätten gerichtet waren. Es war eine zuvor immer wieder geäußerte Überzeugung, die Ferdinand Redtenbacher, der bedeutende Lehrer der Karlsruher Polytechnischen Schule, in die Formulierung brachte: "Wir sind ... gezwungen, durch intelligente Kraft und wissenschaftliche Einsicht das mangelnde Geld und die eingeschränkte Erfahrung zu ersetzen40."

38 So hieß es in einem Brief des Heidelberger Philologen Creuzer an C. F. Nebenius, aus dem Jahre 1830, Generallandesarchiv Karlsruhe, Nachlaß Nebenius. Vgl. Gustav Goldbeck, Technik als geistige Bewegung in den Anfängen des deutschen Industriestaates, Berlin 1934, S. 20. sD Vgl. Köpke, a. a. 0., S. 37. 4° Ferd. Redtenbacher in seinem Beitrag über das Polytechnikum Karlsruhe, in: Festgabe der Stadt Karlsruhe zur 34. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, Karlsruhe, 1858, S. 125.

S Manegold

I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland 1. Die Einheit der Technik als Organisationsprinzip

Es liegt nahe, auf die Parallelität in der Gründungsreihenfolge der ältesten deutschen Universitäten und der ersten deutschen technischen Anstalten hinzuweisen, die von vornherein mit dem Anspruch auf Hochschulrang errichtet wurden. Wie die Universitäten zu Prag und Wien als Nachläufer von Paris gegründet wurden, so in der gleichen Reihenfolge auch das "Ständische Polytechnische Institut" in Prag (1806) und das Wiener "Polytechnische Institut" (1815). In denselben Jahren, als es in Berlin um die Gründung der Universität ging, wurden in Wien Pläne erörtert, die auf die Errichtung der polytechnischen Hochschule hinausgingen, und zur gleichen Zeit als mit Wilhelm von Humboldts berühmten Fragment die wichtigste Grundschrift der neuen Universität entstand, erarbeitete Johann Joseph Prechtl im Frühjahr 1810 in Wien seinen "Plan zu einem Polytechnischen Institut" 1 , der zusammen mit seiner historisch-bedeutsamen Eröffnungsredez in ähnlicher Weise als klassisches Dokument des Technischen Hochschulwesens in Deutschland angesehen werden muß. In Prag und Wien war man organisatorisch insofern über Paris hinausgegangen, als man hier die organische Zusammenfassung von mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundstudien und dem eigentlichen höheren technischen Fachunterricht anstrebte und dabei den militärischen Gesichtspunkt ganz beiseite ließ, der in der Pariser Anstalt nach den Maßnahmen Napoleons zu "militarisation et casernement" dominierte3. Ähnlich wie in Frankreich hatte es auch in der Habsburger Monarchie bis dahin bereits technologisch-kameralistische Bildungsmöglichkeiten und eine bestimmte Tradition vor allem verschiedener militärtechni1 Abgedruckt in: Die k. k. Technische Hochschule in Wien 1815-1915, Gedenkschrift zum lOOjährigen Bestehen, hrsg. v. J. Neuwirth, Wien 1915, S. 20 ff. z J. J. Prechtl, Rede bei der ersten Eröffnung der Vorlesungen am k. k. polytechnischen Institute in Wien, Wien 1815. 3 Diese Maßnahmen des Jahres 1804 waren hier zunächst auf den energischen Widerstand Monges und der Polytechniker gestoßen, vgl. Franc;;ois Arago, Sämtliche Werke, deutsche Ausgabe hrsg. von G. Hankel, Leipzig 1854 ff., Bd. I, S. 411 und standen durchaus im Widerspruch zu den ursprünglichen Absichten der Gründer, vor allem Monges, vgl. Livre du Centenaire, Bd. I., S. 21.

1. Die Einheit der Technik als Organisationsprinzip

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scher Anstalten gegeben•. Es waren nicht zuletzt Befürchtungen, angesichts der Entwicklung in Frankreich ins Hintertreffen zu geraten, die in Wien die Studienhofkommission veranlaßte, im Hinblick auf die "Ecole polytechnique", und "nach demselben Muster" auf eine polytechnische Lehranstalt für die k. k. Staaten anzutragen, um auch hier die "Schätze der theoretischen Wahrheiten für die Nationalbildung" brauchbarer zu machen5 • Man hielt es für demütigend, daß in einer "so großen und mächtigen Monarchie" dazu bisher keine ausreichenden Einrichtungen bestanden. Zu dem anregenden französischen Vorbild war in Prag die entschiedene Argumentation hinzugetreten, daß es für die böhmischen Gewerbe immer schwieriger wurde, sich gegenüber dem Ausland zu behaupten, und die Errichtung eines entsprechenden Institutes schien maßgebenden Mitgliedern der böhmischen Stände als das zweckmäßige Mittel, hier drohenden Gefahren vorzubeugen und durch höhere wissenschaftlichtechnische Bildung die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit zu stärken°. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Böhmen das erste Ausfuhrland der Monarchie7 , und im Gegensatz zu Preußen und dem übrigen Deutschland war hier der Adel beträchtlich bei der Industrialisierung engagiert8 und hatte bedeutenden Anteil an der Schicht gewerblicher Unternehmer. Von hier aus wird es verständlich, daß es gerade auf Initiative der böhmischen Stände hin zum Plan eines polytechnischen Institutes in Prag gekommen war. Nicht mehr lediglich von kameralistischen und "aufgeklärten" Erwägungen ausgehend, verbanden sich hier augenfällig die Kräfte der alten Zeit mit Erfordernissen und Erkenntnissen der neuen technisch-industriellen Entwicklung9 • Das Ergebnis war die Gründung der ältesten deutschen Technischen Hochschule im Sinne des 19. Jahrhunderts. Als reine Landesanstalt zunächst von eingeschränkter Bedeutung, stand sie indessen bald im Schatten des Wiener Institutes. 4 Vgl. H. J. Bidermann, Die technische Bildung im Österreichischen Kaiserthume, Wien 1854. 5 Neuwirth, Gedenkschrift, a. a. 0., S. 8. 0 Vgl. Carl Jellinek, Das ständisch-polytechnische Institut zu Prag, Prag 1856, S. 26 ff.; desgl. J. Slokar, Geschichte der Österreichischen Industrie und ihrer Förderung unter Kaiser Franz I, Wien 1914, S. 165 ff. 7 Vgl. W. Treue, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Stuttgart 1962, S. 232. 8 Vgl. Herbert Hassinger, Der Stand der Manufakturen in den dt. Erbländern der Habsburger Monarchie am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Die wirtschaftliche Situation in Deutschland und Österreich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, hrsg. v. Fr. Lütge, Stuttgart 1964, S. 154 ff. 8 Es ist dabei zweifellos nicht ohne Belang gewesen, daß der Unterrichtsminister Graf Rottenhan, als bedeutender .,Unternehmer" selbst Kattunfabriken und Bergwerke betrieb und damit den Einfluß eines Unterrichtsministers mit der Einsicht eines Industriellen .,seltsamer Weise" vereinigte, vgl. Bidermann, a. a. 0., S. 66.

3•

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I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland

Auf ähnliche Weise wie Gaspard Monge10 in seinem Organisationsplan für die Pariser Ecole Polytechnique, wenn auch mit weniger abstrakter gedanklicher Schärfe, dafür stets mehr den "rein technischen Moment" betonend, hatte Prechtl in seinem Entwurf Aufbau und Gliederung der Anstalt aus der Einheit der Technik deduziert11 • Die "Manipulationen sämtlicher Gewerbe" sah er entweder "chemisch-technisch", das hieß in ihrer "rationellen Ausübung durch chemische Prinzipien" begründet, oder "mathematisch-technisch", das hieß auf Zweigen der Mathematik und ihrer Anwendung basierend, oder endlich "empirischtechnisch" durch eine "von richtiger Urteils- und Erfindungskraft geleiteten Empirie" begründet. Daraus ergab sich für ihn die folgerichtige Einteilung des Institutes in drei "Sektionen", einer chemisch-technischen, einer mathematisch-technischen und der "empirisch-technischen" Sektion. Der letzteren wies er vor allem die Behandlung der "empirischen Mechanik" zu, die vollständige Erfassung aller Maschinen und Mechanismen durch "gründliche Berechnung und Erklärung auf intuitive und praktische Art". Tatsächlich konnte hier noch nicht in gleicher Weise von wissenschaftlichen Prinzipien ausgegangen werden. Aber aus Prechtls Institut ist dann mit Ferdinand Redtenbacher sehr bald einer der bedeutendsten frühen Vertreter der jungen polytechnischen Schulen und der sich hier entwickelnden technischen Wissenschaften hervorgegangen, der die wissenschaftliche Methode noch vor der Jahrhundertmitte auch auf diesem Gebiet zur Geltung brachte und zu einem der Begründer des wissenschaftlichen Maschinenbaues wurde' 2 • Nach Prechtls Darlegungen bildeten alle drei Sektionen der "Natur der Sache nach" notwendig ein geschlossenes Ganzes. In dieser Gliederung war jetzt bereits der grundlegende Organisationsgedanke des Fachsystems angelegt, aus dem dann die späteren "Abteilungen" und schließlich die Fakultäten der Technischen Hochschule hervorgegangen sind. Erst die organische Zusammenfassung der verschiedenen "Fachschulen" (Sektionen) sollte die "Polytechnische Hochschule" konstituieren. Ein Kernpunkt des Prechtlschen Entwurfes bildeten ferner seine ausführlichen Darlegungen über die "eigentümliche Methode" des Institutes, er nannte sie selbst die "technische Methode", um das Wesen des eigentlich technischen Unterrichtes zu bestimmen. Unter zielbewußter Abwägung pädagogischer Gesichtspunkte versuchte er hier zu einer klaVgl. Fourcy, a. a. 0., S. 42-73. u "Plan zu einem Polytechnischen Institut", aus dem Jahre 1810, Neuwirth, Gedenkschrift S. 20-48. 12 Vgl. K. H. Manegold, Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Technik im Spiegel der Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert, Technikgeschichte in Einzeldarstellungen, 11, Düsseldorf 1968. 10

1. Die Einheit der Technik als Organisationsprinzip

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ren Umgrenzung eines spezifisch technisch-wissenschaftlichen Bereiches zu gelangen, den er von der "reinen" Wissenschaft ebenso scharf absetzte, wie von der "praktischen augewandten Wissenschaft." Er kam dabei zu bemerkenswerten Formulierungen, mit denen er in bestimmter Weise Erkenntnisse vorwegnahm, die später die perennierende Diskussion über das Verhältnis zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen und dem besonderen Moment des rein technischen Schaffens beherrschten, Erkenntnisse, die erst am Ende des Jahrhunderts im Widerstreit zwischen den Vertretern der Mathematik und der Ingenieurfächer an der Technischen Hochschule wirklich zur Geltung kommen sollten. Prechtl ist damit in Deutschland und Österreich der erste gewesen, der die Eigenständigkeit und innere Geschlossenheit aller technischen Disziplinen erkannte und überzeugend dargelegt hat. Dem "Geist der Zeit" entsprechend lag es für ihn "in der Natur der Sache selbst", daß eine solche Anstalt weder durch die Universitätsstudien noch durch isolierte Akademien oder auf andere Weise ersetzt werden konnte13• Als Mittelpunkt aller auf das technisch industrielle Leben gerichteten geistigen und wissenschaftlichen Bestrebungen gedacht, stand der Hochschulrang des Institutes außer Frage. Daraus ergab sich auch Prechtls Forderung nach einer "völligen Freiheit des akademischen Studiums", da nur sie dem Zweck der Anstalt seine hohe Würde verleihen und erhalten könne, und er führte die deutschen Universitäten als Beweis dafür an, daß jeder Schulzwang einer Einrichtung fremd sein müsse, die jeder nur aus Neigung und Wißbegier und zu seinem wohlverstandenem Vorteil besuche14• Entschieden hatte Prechtl die äußere Gleichstellung mit der Universität herausgestellt, ein für das öffentliche Ansehen als Hochschule höchst bedeutsamer Punkt. Das im November 1815, fünf Monate nach Schluß des Wiener Kongresses, eröffnete Institut ging in dem von Prechtl selbst modifizierten und erweiterten Organisationsplan über seinen ersten Entwurf in mancher Hinsicht noch hinaus15• Die Wiener Gründung blieb Jahrzehnte hindurch das große Vorbild einer organisch gegliederten Hochschule für das Gesamtgebiet der gewerblichen Technik, an dem die jetzt sich stärker entfaltenden allgemeinen Erörterungen über höhere technische Bildungsanstalten sich neben der Pariser Ecole orientierten. Man pries sie bald als "vollständige AkaVgl. Prechtl, Rede bei der ersten Eröffnung ... S. 24 ff. Er sprach sich für ein Mindestalter der "Frequentanten" von 17 bis 18, später sogar von 18 bis 20 Jahre aus, vgl. Plan für ein Polytechnisches Institut, Gedenkschrift, a. a. 0. 15 Endgültiges Organisationsstatut aus dem Jahre 1817, vgl. Jahrbücher des Polytechnischen Institutes zu Wien, Bd. I, Wien 1819, S. 24 ff. 13

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I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland

dernie der Technik18", die im Begriff war, zumindest die Österreichischen Universitäten, an denen sich die zeitgenössische Kritik entfacht hatte17, zu "verdunkeln18," und man war vor allem beeindruckt von einer für die damalige Zeit ungewöhnlich großzügigen Ausstattung ihrer Einrichtungen, von der "ungemeinen Magnifizenz in allen ihren Teilen", wie der kritische und nüchterne Schweizer Industriegründer Johann Conrad Fischer bemerkte19• Der Ruhm der Anstalt verbreitete sich auch im Ausland, als "la gloire de l'empire autrichien" wurde sie im Pariser Journal des debats bezeichnet20, und für den amerikanischen Naturwissenschaftler Bache, der 20 Jahre nach ihrer Gründung das europäische Bildungswesen studierte, galt sie hier als "most florishing polytechnic institution21 ." Die Bedeutung des Institutes spiegelte sich in den rasch ansteigenden Hörerzahlen22 und die gegenüber dem engeren Deutschland unvergleichbar höhere soziale Einschätzung der technisch-naturwissenschaftlichen Studien zu dieser Zeit in Österreich bekundet sich darin, daß man, wie einst an der vornehmen Göttinger Universität der Aufklärung, mit besonderem Stolz viele Söhne des Adels, Grafen und Fürsten zu ihren Hörern zählte. Zahlreiche für die Entwicklung des Technischen Hochschulwesens wichtige Männer sind aus der Wiener Anstalt hervorgegangen, unter ihnen der schon erwähnte Ferdinand Redtenbacher23 und Karl Karmarsch, einer der bedeutendsten älteren "Polytechniker" und Begründer der späteren Technischen Hochschule Hannover24 • Es wurde schon auf die zeitliche Koinzidenz mit der Gründung der Berliner Universität hingewiesen. Hier stand jetzt das neueinstitut in seiner "eigentümlichen", mit jener der Universität ganz verschiedenen Bestimmung von vornherein auf Nutzen, Anwendung und praktische 18 Friedrich B. Hermann, Über Polytechnische Institute, H. I, Nürnberg 1826, S.10. 17 Vgl. Friedrich Christian Dahlmann, Politik, 1835, Neue Ausgabe, Berlin 1925, s. 252. ts Vgl. Johann Jacob Schnell, Über die Notwendigkeit der Gründung polytechnischer Schulen, Nürnberg 1821, S. 21. 19 Johann Conrad Fischer, Tagebücher 1825, Neue Ausgabe Schaffhausen 1951, s. 213. 20 Neuwirth, Gedenkschrift S. 145. 21 A. D. Bache, Report on Education in Europe, Philadelphia 1839, S. 583. und Franz Schnabel, Anfänge, a . a. 0. 22 3 Jahre nach der Eröffnung waren es bereits 500. "Frequent~nten", im Jahre 1848 über 2000, davon 2/3 in der im engeren Sinrie technisChen Sektion, vgl. Gedenkschrift, S. 186 f. 23 Vgl. Rudolf Redtenbacher, Ferdinand Redtenbacher, Erinnerungsschrift, München 1879. 24 Karl Karmarsch, Erinnerungen aus meinem Leben, hrsg. v. E. Hoyer, 3. A., Hannover 1903.

1. Die Einheit der Technik als Organisationsprinzip

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Verwirklichung technisch-wissenschaftlicher Erkenntnis. Entgegensetzung und Vergleich mit der Universität ergab sich dabei von Anfang an aus dem Anspruch der neuen Gründung, der Hochschultyp für die "wichtige Klasse der höheren Fabrikanten, Unternehmer und Handelsleute", also des industriellen und kommerziellen Bürgertums zu sein. In dem Zweck und Aufgabe erläuternden einleitenden Paragraphen des Organisationsstatuts hieß es abschließend: "Das Polytechnische Institut wird für die gewerbfleißigen bürgerlichen Stände, für die nützlichen Künste und für die technischen Staatsdienste dasjenige sein, was die Universitäten zunächst für die Bildung der Staatsbeamten und für die Wissenschaften als solche sind25. " Erst wo die wesensmäßige Einheit der modernen Technik und ihre wissenschaftliche Begründung erkannt und ausgesprochen wurde, konnte auch die Form der TechnischenHochschule ihre eigene Rechtfertigung finden und den Anspruch erheben, nicht lediglich Spezialschule im engeren Sinne, vielmehr eine "Universitas scientiarum technicarum", die Hochschule für einen ganzen eigenständigen Lebensbereich zu sein. Nicht nur nach ihrer Entstehung von praktischen Bedürfnissen her, als wirtschaftsund sozialpolitische Zweckgründungen, auch ihrer eigenen konstituierenden Idee nach waren die Technischen Hochschulen keine Absprengsel der bestehenden Universitäten, sondern folgten nach den Vorstellungen ihrer Gründer ihrem eigenen gesetzmäßigen Aufbau und schließlich der Dynamik ihrer eigenen Entwicklung. Mit der Gründung der "Polytechnischen Schule" Karlsruhe im Jahre 1825 und ihrer Reorganisation 183228 , der dritten in der Reihenfolge der "Nachläufer" von Paris, wurde versucht, die wissenschaftliche Strenge der mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung der tcole Polytechnique und die organisatorische Verbindung mit dem Fachschulsystem, wie es schon in Prechtls Plan zum Ausdruck gekommen war, noch konsequenter zu verwirklichen. Hier wurde auch deutlich, daß das Vorbild der französischen Anstalt und des Wiener Institutes insbesondere in der bewußten Trennung der Polytechnischen Schule von der Universität gesehen wurde, und hier ist vor allem die auf Einheit und Wissenschaftlichkeit basierende Hochschulidee erneut gültig durchdacht worden. Der Karlsruher Hofrat und Mathematiker Ladomus, Mitglied des Gründungskomitees, erörterte in einer eigenen Schrift die "allgemeinen Gesichtspunkte" und das "Wesen" höherer technischer Lehranstalten27 und suchte, ähnlich wie Prechtl, dabei manche Gedanken eines kurz vorZitiert nach dem Entwurf vom 5. Mai 1816, Gedenkschrift S. 74. Vgl. Festgabe der T. H. Karlsruhe zum Jubiläum der 40jährigen Regierung seiner Kgl. Hoheit des Großherzogs Friedrich von Baden, Karlsruhe 1892. 27 J. F. Ladomus, über technische Lehranstalten, Karlsruhe 1824. 25

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I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland

her erschienen "Systems der Technik" übernehmend28, "bei der großen Reichhaltigkeit des Gegenstandes und den mannigfaltigen Verzweigungen ihrer einzelnen Glieder" die Technik in ihrem Zusammenhang zu begreifen und die "Vielheit auf eine Einheit" zu bringen. Seine Darlegungen waren gleichermaßen gekennzeichnet durch sein Bemühen um gedankliche Durchdringung der technischen Lehre wie des Zusammenhanges der Technik überhaupt. Auf dem Gebiet höherer technischer Bildung konnte, nach seiner Überzeugung, nur etwas Ersprießliches gedeihen, wenn zwar die "wohltätige Wechselwirkung von Wissenschaft, Kunst und Technik", die er begrifflich trennte, zugrunde gelegt, aber "das Wesen der Technik zum Organisationsprinzip" genommen wurde29 • Wie auf den Universitäten das "gelehrte Prinzip", so müsse auf der technischen Lehranstalt das "technische Prinzip" vorherrschen. An den ersteren bilde bestimmungsgemäß die Wissenschaft "an sich", ihre Begründung und Erweiterung den Hauptzweck, an den technischen Anstalten dagegen Verwirklichung und "Anwendung ins Leben". Ausgehend von der "Einheit der Technik selbst" und den durch die Gründung der Pariser Ecole Polytechnique "in der Erfahrung nachgewiesenen, a priori sich ergebenden Data", kam Ladomus damit zur strikten Trennung von Universität und Technischer Hochschule. In seiner Gegenüberstellung der erkenntnisvermittelnden "Fakultätsstudien" mit der Technik als auf Verwirklichung und Anwendung gerichtetes "thätiges Prinzip" klangen schon jene Auffassungen vom Ende des Jahrhunderts an, die analog von einer "Wissenschaft des Erkennens" und einer "Wissenschaft des Schaffens", die Universitäten als "Hochschulen des Erkennens" und Technische Hochschulen als solche des "Schaffens" zu definieren suchten30• Der ältere Ausgangspunkt für die Karlsruher Anstalt war die hier bestehende, von dem badischen Baudirektor und bekannten klassizistischen Architekten Friedrich Weinbrenner begründete Bauschule; eine andere ebenso wichtige Wurzel bildete die an der Oberdirektion für Wasser- und Straßenbau eingerichtete Ingenieurschule des durch die Oberrheinkorrektion berühmten badischen Ingenieuroffiziers Johann Gottfried Tulla31 • Das Ansehen beider in ihrem Umfang sehr bescheidenen Schulen hatte indessen weniger in ihrer Organisation und Leistung gelegen, vielmehr ausschließlich in der Persönlichkeit ihrer Gründer und Leiter. Die umfassendere "Polytechnische Schule" wurde durch großherzogliehen Erlaß im Oktober 1825 eröffnet32, aber erst die ent!s August KoeHe, System der Technik. Berlin 1822. 29 Ladomus, a. a. 0., S. 7 ff. 30 Vgl. Franz Reuleaux, Kultur und Technik, Wien 1884, ferner Alois Riedler, Unsere Hochschulen und Anforderungen des 20. Jh., Berlin 1898. 31 Vgl. Schnabel, Anfänge, S. 22 ff. 32 Vgl. Festgabe der T. H. Karlsruhe 1892, S. 278.

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scheidende Erweiterung und Reorganisation, die der Staatsrat Karl Friedrich Nebenius im Jahre 1832 durchführte, hat ihr den für die folgende Entwicklung der deutschen Technischen Hochschulen vorbildlichen Charakter gegeben. Nebenius, wie Beuth in Preußen einer der bedeutendsten Vertreter des liberalen Beamtenturns im Vormärz, war besonders bekanntgeworden als Verfasser der badischen Verfassungsurkunde, die am entschiedensten den Interessen des bürgerlichen Liberalismus entsprach, und wegen seiner Verdienste für ein Zustandekommen des Zollvereins33• Als Direktor des badischen Innenministeriums unterstand ihm seit 1830 das gesamte Schulwesen, eine Position, die ihm uneingeschränkt die Möglichkeit der Reform verschaffte. Die Grundsätze, die ihn bei der Reorganisattion leiteten, legte er anschließend in einer besonderen Publikation vor114• Alle wesentlichen Motive und Begründungen, die bis dahin in der längst breiter gewordenen Diskussion über die technische Bildung angeführt worden waren, fanden hier ihren Niederschlag. Nicht so sehr neue und originale Ideen, vielmehr vor allem die Zusammenfassung und Klärung bisher erörterter Gedanken machten sein Buch wichtig. Die Technischen Lehranstalten stellte Nebenius in den Gesamtzusammenhang des Unterrichtswesens, das er auf der Grundlage der allgemeinen Volksschule in zwei Hauptzweige teilte und an deren Spitze er die Universität und die Polytenische Schule stellte35• Er sprach sich klar für die Trennung von humanistischer und Realbildung aus, schied aber begrifflich nicht weniger eindeutig "Realschulen" als allgemein-bildende Schulen von den eigentlichen niederen oder mittleren technischen Anstalten, die zu einem bestimmten Berufe "im Gebiete der Produktion" befähigen sollten. Das höhere technische Institut sollte nun aber keineswegs auf den letzteren aufbauen, denn, wie er seine Ansicht formulierte, dieses unterscheide sich von den mittleren und niederen Gewerbeschulen durch einen streng wissenschaftlichen Unterricht, durch genauere Absonderung dessen, was zu einer bestimmten Berufsbildung gehöre, und nicht zuletzt "durch den höheren Grad der allgemeinen Bildung, welche die Zöglinge besitzen müssen38." Schließlich sollte die Vielfalt der Bildungszwecke der höheren technischen Anstalt durch Ausdehnung des Unterrichts auf die Grundlagen "der gesamten höheren Industrie" jedem die Möglichkeit bieten, sich 33 Vgl. Arthur Böthlingk, Karl Friedrich Nebenius, der deutsche Zollverein, das Karlsruher Polytechnikum und die erste Staatsbahn in Deutschland, Karlsruhe 1899. 8• Carl Friedrich Nebenius, Über technische Lehranstalten in ihrem Zusammenhange mit dem gesamten Unterrichtswesen und mit besonderer Rücksicht auf die Polytechnischule in Karlsruhe, Karlsruhe 1833. 35 Nebenius, a. a. 0., S. 62 ff. 3& Nebenius, a. a. 0., S. 100.

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I. Die Anfänge der Polytechnischen Schulen in Deutschland

individuell für seinen jeweiligen künftigen Beruf zu befähigen. Tatsächlich konnte die Unterscheidung der Ausbildung von Handwerkern, Werkmeistern und mittleren technischen Rängen und ihre klare Trennung von der höheren technischen Anstalt deren Hochschulcharakter erst wirklich praktisch begründen, auch wenn eine solche genaue Differenzierung auf der bis dahin wirklich erreichten industriellen Entwicklung zunächst nur sehr theoretisch sein mußte. Die Bestimmung als Hochschule hing weniger davon ab, bis zu welcher oberen Grenze die Anstalt führen, als vielmehr davon, von welcher unteren sie zu beginnen hatte, auf welcher Vorbildung sie aufbauen konnte. Hier sollte sie sich nach Nebenius' Absicht auf die allgemeinbildenden Mittelschulen stützen, auf Gymnasium, Lyceen und Realschulen. Nach einem eigenhändig ausgearbeiteten Plan gemäß den in seiner Schrift dargelegten Grundsätzen hat Nebenius die Erweiterung und Reorganisation der Karlsruher Polytechnischen Schule abgeschlossen37 • Sie gliederte sich jetzt in eine aus zwei mathematischen Klassen bestehende allgemeine Vorbereitungsschule und in fünf Fachabteilungen, für deren Besuch ein Alter von 17 Jahren vorgeschrieben wurde. Jede Fachschule besaß einen eigenen Vorstand, eine allgemeine Lehrerkonferenz wählte in jährlichem Turnus den Direktor der Anstalt38• In dieser nun entschiedener als in Wien dem Fakultätssystem einer Universität entsprechenden Organisation, durch ihren hohen, in der Folgezeit von bedeutenden Direktoren und Lehrern verbürgten wissenschaftlichen Betrieb wurde das Karlsruher Institut zu einem noch für lange Zeit unerreichten Muster für die übrigen höheren technischen Lehranstalten in Deutschland, zumal die Bedeutung der Wiener Gründung seit der Revolution 1848 rasch zurückging. Mit gesteigerten Anforderungen für den Eintritt, durch die klare Scheidung von Schulen für den "mittleren" Techniker, wurde erst eine technisch-wissenschaftliche Ausbildung im strengeren und höheren Sinne möglich, erst damit konnte der höhere technische Bildungsgang eine feste und selbständigere Gestaltung erhalten. Nur derjenigen technischen Anstalt, die das Bedürfnis der höheren technischen Bildung in dem von ihm bezeichneten Umfange befriedigte, die das ganze Gebiet der Technik umfaßte, billigte Nebenius den Rang einer "Polytechnischen Hochschule" zu39• Schon wegen vieler ernsthaft auf eine Vereinigung mit der Universität hinzielender Vorschläge40 konnte Nebenius nicht an der Frage nach Gedenkschrift 1892, S ...284 ff., desgl. Schnabel, Anfänge, S. 33. Vgl. Gedenkschr. 1892,.S. 286. 39 Nebenius, a. a. 0., S. 122. 40 Vgl. H. Mayer, Geschichte der Universität Freiburg, Bonn 1892, Teil III S. 51 und passim; Fischer, a. a. 0 ., S. 167 f. 81

as

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dem Verhältnis der Anstalt zur Universität vorübergehen. Er war überzeugt, daß die Verschiedenheit ihrer Bildungszwecke nur in den seltensten Fällen einen gemeinschaftlichen Unterricht gestattete, und sprach sich deshalb auch aus grundsätzlichen Erwägungen gegen eine Vereinigung aus. Die Naturwissenschaften und die Mathematik gehörten zudem noch für sehr lange Zeit in die mit zunehmender Differenzierung der Wissenschaften immer ausgedehntere philosophische Fakultät. Es hätte bereits jetzt einer eigenen großen technischen Universtätsfakultät bedurft, um dort den Anforderungen zu entsprechen. Weder jetzt noch in der Folgezeit hat es an solchen oder ähnlichen Vorschlägen gefehlt. Ebenso wenig wie für Prechtl, Lad01nus und andere vor ihm bedeutete dies jedoch für Nebenius eine mögliche Lösung. Mit der Gründung der Universität Berlin, die, normgebend für alle übrigen deutschen Universitäten, im Sinne des Neuhumanismus und der idealistischen Philosophie der "reinen" Wissenschaft verpflichtet blieb, war von dieser Seite her gesehen eine Angliederung der technischen Fächer, noch dazu in einem für sie notwendigen Umfange, unmöglich oder zumindest äußerst fraglich geworden. Nach dem Pariser Vorbild und nach dem Vorgang von Prag und Wien waren jetzt in Karlsruhe auch von der "Gegenseite" her die Weichen gestellt. In einer für die weitere Geschichte des gesamten Hochschulwesens folgenreichen Weise ist die Frage nach dem höheren technischen Studium überall in Deutschland zugunsten eigenständiger Polytechnischer Anstalten beantwortet worden. Mit der zunehmenden Erkenntnis von der Technik als eines einheitlichen Gesamtgebietes begann sich der Gedanke von der inneren organischEm Einheit der Technischen Hochschule durchzusetzen. Die Diskussion einer Vereinigung mit der Universität, überhaupt des Ver.hältnisses beider Anstalten zueinander sollte indessen in der Folgezeit und bis zur Gegenwart nicht mehr abreißen. 2. Rang und Standort des technischen Studiums Neben Karlsruhe sind innerhalb des knappen Jahrzehnts zwischen 1827 und 1836 in fast allen deutschen Bundesstaaten technische Lehranstalten als staatliche Einrichtungen gegründet worden. In München wurde 1827 nach vorausgegangenen umfassenderen Plänen ein "Polytechnisches Zentralinstitut" ins Leben gerufen, das 1833 in die drei "Polytechnischen Schulen" zu Augsburg, Nürnberg und München aufgelöst wurde. 1828 kam es in Dresden zur Eröffnung einer "technischen Bildungsanstalt" und 1829 zur Errichtung einer "Höheren Gewerbeschule" in Stuttgart. Ihr folgten unter der gleichen Bezeichnung 1830 Kassel, 1831 Hannover und 1836 Darmstadt, in Braunschweig wurde 1835 dem älteren

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Collegium Carolinum eine entsprechende "technische Abteilung" angegliedert. In Berlin hatte Beuth zwar schon 1821 ein "technisches Institut" gegründet, aber erst seit 1827 erhielt es als "Gewerbeinstitut" eine vergleichbare Grundlage. In Preußen bestand daneben noch die aus den Bedürfnissen des kameralistischen Bauwesens 1799 entstandene Berliner Bauakademie, vor allem zur Heranbildung staatlicher Baubeamter, und in der fortbestehenden Trennung der beiden Anstalten hat hier für lange Zeit das wesentliche Hindernis eines einheitlichen Aufbaues des höheren technischen Unterrichtes gelegen. Abgesehen von Kassel, Augsburg und Nürnberg sind aus diesen Anstalten - sie erhielten bis zur Jahrhundertmitte allgemein Status und Bezeichnung von "Polytechnischen Schulen" - die freilich erst seit den 70er Jahren auch statutenmäßig so benannten Technischen Hochschulen hervorgegangen. Zunächst konnte hier naturgemäß noch keineswegs von einem hochschulmäßigen Betrieb und akademischem Niveau die Rede sein. Wien und Karlsruhe sollten noch für lange Zeit die unerreichten Muster bleiben. Von Anfang an, längst bevor die meisten technischen Schulen selbst den Anspruch auf Hochschulrang oder den Vergleich mit den Universitäten begründet erfüllten, waren aber - orientiert an diesen Vorbildern - Erörterungen über die technischen Studien in Gang gekommen, in denen jener Anspruch von vornherein in aller Deutlichkeit gestellt wurde. Wie der Kampf zwischen realistischer und humanistischer Bildung vor allem seit den 20er Jahren mit dem stärkeren Aufkommen der Realschulen eine steigende Zahl von Publikationen hervorbrachte, als Auftakt der säkularen Auseinandersetzung zwischen Realismus und Humanismus, so hatten sich darüber oder daneben auch die Diskussionen erhoben über Rang und Standort der höheren technischen Bildung und ihr Verhältnis zur Universität. Sie sollten ebenso- dies ist bisher fast völlig unbeachtet geblieben- das ganze Jahrhundert durchziehen. Allerdings, in den hier von vornherein gestellten Ansprüchen war zunächst "noch nicht die Rede von dem, was schon vorhanden ist", wie es in einem der zahlreichen frühen Beiträge zu diesen Erörterungen hieß, "aber von dem, was das Leben selbst gebieterisch fordert" 1• Insofern die Polytechnische Schule die "höheren Gewerbe" zu der "Würde eines innerlich freien, durch Einsicht des Verfahrens erleuchteten Standes" erheben sollte, mußte sie der Universität "ganz gleich" oder jedenfalls zunächst "neben der Hochschule" stehent. Der Leipziger frühliberale Staatswissenschaftler Friedrich Bülau hatte in dem Chor der Stellungnahmen mit besonderer Entschiedenheit von den Polytechnischen Schulen als den "Universitäten des Gewerbslebens" 1

F. B. Hermann, Über Polytechnische Institute, a. a. 0., S. 7. Ebd.

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gesprochen, die bestimmt waren, Ingenieure, Architekten und die "Gelehrten für die technischen Wissenschaften" zu bilden3 • Die historische Entwicklung der Gelehrtenbildung hatte nach seiner Auffassung in der Form der Universität eine musterhafte Organisation hervorgebracht, und er wollte dasselbe Prinzip uneingeschränkt auch "auf das Technische" übertragen wissen, wenn auch "unter den durch dessen Natur gebotenen Modifikationen4 ". Mit der Begründung und Entwicklung der technischen Anstalten ging bei ihren Verfechtern in wachsendem Maße die Argumentation einher, daß damit die Universitäten nicht mehr länger allein die höchste wissenschaftliche Bildung vermittelten. Als ein "unbestreitbares Faktum" reichten jetzt die Polytechnischen Schulen "bis zu den Universitäten hinan und hinein", wie es in der Cottaischen "Deutschen Vierteljahresschrift" hieß, in der am zuverlässigsten die Ansichten bürgerlich-liberaler Kreise zum Ausdruck kamen5 • In dem Aufblühen der technischen Studien außerhalb der Universitäten sah man hier den Grund zu deren "wirklich verminderten Wichtigkeit ". Jedenfalls schien für die "ganze immer zahlreicher und einflußreicher werdende Klasse der höheren Industriellen" die Bedeutung der Universität zurückzugehen, da jetzt eine zwar von der Universitätsbildung verschiedene, aber in sich ebenfalls höhere Bildung erlangt werden konnte, und diese nicht länger "das Monopol der Civilisation und Befähigung" besaß6 • Tatsächlich waren dies noch sehr theoretische Forderungen und Überlegungen, sie charakterisierten aber Anspruch und Einschätzung der höheren technischen Bildung und kennzeichneten die Entwicklungsrichtung der Anstalten. Eine der gewichtigsten Stimmen vor der Jahrhundertmitte hatte sich in diesem Zusammenhang mit Friedrich Thiersch erhoben. Auch derbedeutende Neuhumanist- er hatte als "Praeceptor Bavariae" in seinen bayerischen Schulplänen am reinsten die Idee des Neuhumanistischen Unterrichts zur Darstellung gebracht7 , fand die Universitäten durch die Gründung Polytechnischer Schulen beschränkt und vernachlässigt8 • Als Philhellenist und einer der Hauptvertreter des Neuhumanismusn stellte Friedrich BiUau, Der Staat und die Industrie, Leipzig 1834, S. 194. Friedrich Bülau, über den öffentlichen Unterricht besonders in gewerblicher Hinsicht, Deutsche Vierteljahrsschrift 1839, H. 3, S. 92 ff. 5 W. B. Mönnich, Zur Lösung der pädagogischen Aufgabe unserer Zeit, DVJS 1839, H. 4, S. 242. 6 Die deutschen Universitäten, ihre Mißstände und deren Heilung, DVJS 3

4

1839, H. 2, S. 6.

Vgl. Friedr. Paulsen, a. a. 0., Bd. II. S. 429. Vgl. Friedrich Thiersch, über den gegenwärtigen Zustand des öffentlichen Unterrichts, Bd. I, Stuttgart und Tübingen 1838, S. 310 f. 9 Vgl. Hans Loewe, Friedrich Thiersch, Ein Humanistenleben im Rahmen der Geistesgeschichte seiner Zeit, München 1925. 7

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er der "idealen Richtung" der klassischen Bildung jene "materielle" auf Erwerb, Vermehrung und Nutzen "äußerer Güter" bezogene gegenüber und beklagte, daß in dieser neuen Richtung nur etwas gelte, insofern man dadurch zu Mitteln des Erwerbs gelange, "als da sind Eisenbahnen, Dampfmaschinen, Hochöfen und dergleichen10", und er sparte nicht mit Voraussagen über den Verlust jeder höheren Bildung und Schlimmerem, wenn jene "materielle Richtung" ausschließlich das Übergewicht erhalte. Thiersch erkannte andererseits aber klar genug die notwendigen Bedürfnisse und gesteigerten Anforderungen einer höheren technisch-wissenschaftlichen Bildung. Für ihn galt es, beide Seiten zu beachten und in gleicher Weise für die Studien der "höheren Wissenschaft und der höheren Gewerbe vorzukehren, was beiden zuträglich ist und dadurch den Widerspruch in Wahrheit vermittelt". Auf seinen amtlichen Reisen zum Studium des höheren Bildungswesens trat er auch mit Nebenius in Verbindung, der nach seiner Ansicht mit dem Buch über die technischen Lehranstalten den "inneren Widerstreit des Jahrhunderts auf diesem Gebiet" klar durchgeführt hatte11 • Nebenius hatte ihm erklärt, daß die Polytechnische Schule als organische Vereinigung aller technischen Fächer eine in sich geschlossene Anstalt darstelle und daß es gegen ihr inneres Gesetz verstoße, sie in isolierte Fachschulen zu teilen oder sie mit der Universität zu verbinden12• Die Frage nach dem Verhältnis von Polytechnischer Schule und Universität war für Thiersch von großer allgemeiner Bedeutung. Er fand es zwar verständlich, daß man den Gründungsintentionen entsprechend die technischen Studien von der Universität getrennt hatte, hielt aber die dafür angeführten Rücksichten und Argumente nicht für gewichtig genug, eine solche Trennung zu rechtfertigen. So wies er darauf hin, daß man auch an den Universitäten theoretische Einsicht mit praktischen Übungen verbinde, die theologische und juristische Fakultät habe ihre Praktika, die medizinische ihre Kliniken, die philosophische besitze bereits ihre chemischen Labors und philologischen Seminare, auch hier werde der Student mit bestem Erfolg in die Praxis eingeführt, und er stellte die Frage, ob dies dort nicht auch im Hinblick auf die technischen Fächer geschehen könne13• Eine wahre Polytechnische Schule, "im Falle, sie sich selbst versteht", mußte nach Thierschs Überzeugung auf den höchst erreichbaren Grundlagen der Wissenschaft stehen, würde aber getrennt von der Universität als der eigentlich "höchsten Anstalt für 10

Vgl. Thiersch, über den gegenwärtigen Zustand des Unterrichts, a. a. 0.,

s. 7ff. 11

12 13

Ebd. S. 281. So schilderte es Thiersch selbst, ebd. S. 293. Ebd. S. 317.

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Wissenschaften" notwendig mit sich und ihren Mitteln im Widerspruch stehen. Er befürchtete, daß die technischen Studien gegen ihren Willen durch die Schwerkraft unmittelbar aus der Praxis hergeleiteter Forderungen und Bestrebungen in höherem Maße von dem notwendigen wissenschaftlichen Niveau herabgezogen würden, als es für ihr Gedeihen zu wünschen war. Mit großer Entschiedenheit hatte er seine Überlegungen zusammengefaßt: "Man sage - , man thue, was man will, nur auf dem Gebiete einer wahren, einer gut geordneten, reichlich ausgestatteten Universität wird das technische Studium von dem höheren Geiste der Universität schon wegen ... der Mittel und Gelegenheiten freier Bildung und geistiger Veredlung durchdrungen werden. Man glaube nicht, daß die technischen Fächer dies alles weniger bedürften. Sie bedürfen, wir wiederholen es, wenn sie wahrhaft gedeihen sollen, der ihnen zuständigen Wissenschaft in ihrer ganzen Tiefe, und die Technik, wenn sie zu ihrer eigentlichen Würde soll geführt werden, muß einen so edlen und großartigen Character entfalten, wie jede andere Wissenschaft und wie ihn nur die höhere, die akademische Bildung zu wecken und zu stärken vermag14 ." Als Thiersch dies im Jahre 1836 niederschrieb, war das in der Tat eine eindeutige und hellsichtige Stellungnahme, höchst bemerkenswert um so mehr, als sie von einem der Hauptvertreter des Neuhumanismus ausgesprochen wurde. Es bedeutete nichts weniger als den Versuch, die bereits eingeschlagene Entwicklungsrichtung der eigenständigen neuen Hochschulform in den wissenschaftlichen Gesamtbereich der Universität hineinzulenken. Andererseits ging es ihm ebenso darum zu verhindern, daß die Universitäten selbst "immer mehr von der Bewegung des öffentlichen Lebens" getrennt und wie er bereits zu erkennen glaubte, von den eigentlich tragenden Kräften der Zukunft isoliert würden. Im Gegensatz zu der Auffassung, wie sie in der Gründungskonzeption der Berliner Universität Gestalt angenommen hatte und wie sie im Anschluß daran nun den meisten diesbezüglichen Äußerungen von Vertretern der Universitätswissenschaften zugrunde lag, stand für Thiersch die "Universitätsfähigkeit" und der Universitätsrang der auf die Technik bezogenen Studien nicht in Frage. Dem widerspricht nicht, daß man seine Beurteilung durchaus als eine Art Flucht nach vorn interpretieren könnte, um jener drohenden "materialistischen Richtung" entgegenzuwirken und die Technik durch den Grundlage und Atmosphäre gebenden wissenschaftlichen Geist der Universität zu "veredeln". Er war sich auch klar darüber, daß die Eigenentwicklung der neuen Anstalt bereits ebensoweit fortgeschritten war, wie die Bereitschaft der Universität zur Aufnahme der Technik sich verringerte und daß, wenn es überhaupt noch möglich sein sollte, es hoch an der Zeit war, "aus dieser Richtung in die entgegengesetzte u

Ebd. S. 319.

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dem Staat wie den Wissenschaften gleich ersprießliche wieder einzutreten". Drängend leitete er seine Vorschläge mit der Forderung ein: "Was sofort zu tun wäre ..." Er hatte die in München dekretierte Verbindung der "technischen Hochschule" mit der staatswissenschaftliehen Fakultät der Universität zwar nicht für die ideale, aber doch für eine gangbare Lösung angesehen15, um wenigstens einen Teil des Nötigen zu tun, einen Schaden abzuwenden, der mit jedem Jahr größer und zuletzt unheilbar sein werde. Thiersch stand hier in der bereits begonnenen und dann immer wieder aufgenommenen Diskussion über die Errichtung der "Gesamtuniversität" durch die Einbeziehung der technischen Fächer und der immer erneut beklagten "Zweiteilung der nationalen Bildung" auch auf der Ebene der Hochschulen. Die meisten der in diesem Zusammenhang künftig vorgebrachten Überlegungen und Argumente waren von ihm hier bereits ausgesprochen worden, wenn er humanistische und "industrielle" Bildung als zwei Seiten ein und derselben Sache betrachtete, eng verbunden in einem "sozialen Verbande" und den Streit zwischen beiden als "Bürgerkrieg" bezeichnete 1~. Wenn er später in einer Würdigung Reichenbachs und Fraunhofers, denen gleichermaßen als ausübende Techniker und wissenschaftliche Forscher ein hoher Rang zukam, feststellte, daß auf dem "Gebiet des idealen Schaffens", Forschung und Anwendung, Theorie und Praxis ebenso eng verbunden und so wenig ohne Tod lösbar seien, wie Geist und Körper17, so war dies eine ähnliche Grundüberzeugung, die fast ein halbes Jahrhundert später auch Felix Klein bei seinen Bestrebungen leiten sollten. Wenn Thiersch befürchtete, daß die Universitäten von der, wie er es nannte, "Bewegung des öffentlichen Lebens" isoliert würden und damit ihren anscheinend geringen Einfluß auf den sich entfaltenden wirtschaftlich-technischen Bereich und ihre geringe Verbindung zu den sich stär15 In München bestimmte eine Ministerialverordnung aus dem Jahre 1833 die neuerrichtete staatswissenschaftliche Fakultät der Universität zur Ausbildung der "Staatstechniker" im Ingenieur-, Berg- und Forstfach und erweiterte sie damit zu einer "Technischen Hochschule", so nannte sie Thiersch, innerhalb der Universität. Eine solche Regelung erwies sich indessen nicht als lebensfähig und wurde 1840 wieder aufgehoben. Vgl. Wilhelm Riedner, in: Die deutschen Technischen Hochschulen, hrsg. v. Richard Grauel, München 1941, S. 229. Die höhere technische Ausbildung übernahm nach mehreren Zwischenstufen dann auch hier die 1868 neu organisierte Münchener Technische Hochschule. 16 Friedrich Thiersch, Über das Verhältnis und das gemeinsame Interesse der humanistischen und industriellen Bildung unserer Zeit, in: Verhandlungen der zweiten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Mannheim 1839, Mannheim 1840, S. 43. 17 Friedrich Thiersch, Über die wissenschaftliche Seite der praktischen Tätigkeit nebst biogr. Nachrichten über die Akademiker von Reichenbach, Fraunhofer und Roth, Akademierede vom 27.3. 1852, München 1852, Sp. 20.

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ker ausbildenden Bedürfnissen der bürgerlich-industriellen Welt in Betracht zog, so hatte er damit ein Problem angesprochen, das seit den 30er Jahren in den allgemeinen Erörterungen zur Universitätsfrage und Universitätsreform eine beträchtliche Rolle spielte und in den Reformbewegungen des Jahres 1848 einen bestimmten Höhepunkt erreichte. Die Literatur zugunsten der Universitätsreform war durch die studentische Bewegung angeregt und durch die politischen Ereignisse gefördert seit dem Ende der 20er Jahre stark angestiegen und die allgemeinen Reformfragen hatten zu heftigen Diskussionen und zu starken Spannungen des öffentlichen Interesses geführt. Eine besondere Wendung erhielten die literarischen Auseinandersetzungen durch die Schriften des Berliner Seminardirektors Diesterweg, der als pädagogischer und schulpolitischer Schriftsteller einen Namen hatte und in verbreiteten Flugschriften die Universitäten mit großer Schärfe angriff18• Seine Kritik richtete sich auf die akademische Lehre und ihre Wirksamkeit, vor allem warf er den Universitäten mangelnde Würdigung der "wahren sozialen Verhältnisse und Bedürfnisse" vor und forderte ihre notwendige Erneuerung durch "Annäherung an das Leben" durch "praktische Wissenschaften" 19, und entsprechende Änderung des Lehrbetriebes, dialogischen Unterricht, Studienpläne und Beschränkung der Lernfreiheit des Studenten. Diesterwegs Kritik, die ihm Verachtung vonseitender Universität, nicht weniger aber Zustimmung bürgerlicher Kreise eintrug20, löste eine Flut von Gegenschriften aus. Nicht weniger scharf als Diesterweg, aber mit tieferer Begründung stellte der Leipziger Professor der Philosophie Friedrich Carl Biedermann, der später sehr bekannte liberale Politiker und Publizist, die Frage nach dem Verhältnis der Universität zu den praktischen Interessen und technisch-industriellen Bedürfnissenu. Er verwarf den "Primat der Speculation" über die Praxis und brachte hier besonders charakteristisch die Gegenposition zu den philosophisch begründeten, rein ideellen Aufgaben von Wissenschaft und Universität zum Ausdruck. Ähnlich wie Thiersch betonte er die unlösbare Wechselwirkung der "reinen" Wissenschaft mit praktischer Anwendung, mit Technik und Industrie. Jede tiefere Erkenntnis hier bereite dort eine praktische Anwendung vor, jede technische Erfindung ermögliche ebenso die weitere theoretische Forschung. Den Universitäten aber machte er gerade den scharfen Vor18 Adolf Diesterweg, Die Lebensfrage der Civilisation oder über das Verderben auf den Universitäten, Essen 1836; ferner: 'Ober deutsche Universitäten, Essen 1838. 19 'Ober die Lebensfrage ... S. 34ft. 20 Vgl. E. Langenberg, Adolf Diesterweg, Bd. II, 1868 S. 36 f. 21 F. C. Biedermann, Wissenschaft und Universität in ihrer Stellung zu den praktischen Bedürfnissen der Gegenwart, Leipzig 1839.

4 Manegold

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wurf, beide Bereiche zum unabsehbaren Schaden für das Allgemeine zu trennen. Weder in England noch in Amerika pflege man jene "ideale Wissenschaft an sich", so konstatierte er, dort sei man frei von jeder hemmenden Verachtung für die praktischen Wissenschaften, und er stellte die Frage, wo aber herrsche ein größeres Gedeihen der öffentlichen Wohlfahrt, ein höherer Aufschwung der Industrie und größere persönliche und bürgerliche Freiheit22 ? Gegenüber solchen kritischen Stimmen dominierten indessen in den wichtigsten der zahlreichen Reformschriften, sie mochten sonst auch differieren, der zentrale Gedanke der zweckfreien Bildung und das Ideal der reinen Erkenntnis, wenngleich man diese Idee an den Universitäten naturgemäß nirgends und zu keiner Zeit wahren konnte oder zu verwirklichen vermochte. Als entscheidender Punkt erschien dabei stets die Verteidigung der akademischen Freiheit, in der man die wichtigste Voraussetzung der wahren Universität und für die Rettung der reinen Wissenschaft vor den pragmatischen Zeittendenzen sah23 • Wenn man in dem französischen System der Spezialschulen von Anfang an das Gegenbild der "einigen deutschen Universität" erblickt hatte, so wurde jetzt bei Verteidigern und Interpreten des Universitätsideals mit dem Begriff "Polytechnik" schlechthin die Bedrohung der freien Form der Wissenschaft und der Universität verbunden, schulmäßiger Lehrbetrieb und gebundene Lehrpläne. Friedrich Christian Dahlmann sprach von der Gefahr, daß die "Sitze freier Bildung" in "hämmernde Werkstätten" verwandelt und "Polytechniker" erzogen würden24 • "Polytechnik" wurde vielfach zum Inbegriff aller der Universität entgegengesetzten Bestrebungen. Zugleich mit der Begründung der technischen Lehranstalten, die in den folgenden Jahrzehnten rasch aufblühten und aus denen die Technischen Hochschulen hervorgingen, war bereits ein scharfer Antagonismus zur Universität konstatiert worden, der sich bis zum Ende des Jahrhunderts nur wenig ändern sollte. Der Standort der technischen Anstalten mußte außerhalb der Universität bleiben, der Ausweis ihres akademischen Ranges sich aber zugleich auch an Normen orientieren, die von der Universität gesetzt waren. Ihr Anspruch auf Hochschulrang war von Anfang an gestellt, die tatsächliche Ebd. S. 84. Das hatte mit großer Wirkung besonders Friedrich Karl von Savigny dargelegt in seinem berühmten Aufsatz "Wesen und Wert deutscher Universitäten", in: Rankes historisch-politischer Zeitschrift, Bd. I, 1832, S. 569 ff., vgl. auch Carl von Rotteck und Carl Welcker, Staatslexikon, Bd. 15, Altona 1843, Artikel "Universitäten", vor allem S. 521 ff. · 24 Fr. Chr. Dahlmann, Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Umstände zurückgeführt, 1835, Neue Ausgabe, Klassiker der Politik, Bd. 12, Berlin 1924, S. 251 f. 22

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Entwicklung mußte notwendig unter ständiger Annäherung und Übernahme universitärer Formen erfolgen. Bis zur Jahrhundertmitte hatten sich die Anschauungen über die wirklichen und den zu erstrebenden Standort der höheren technischen Anstalten weitgehend allgemein geklärt. Als "Schlußstücke" des technischen und realistischen Bildungswesens sollten sie sich jedenfalls den Universitäten "gleichlaufend" entwickeln und daran wurde kein Zweifel gelassen, daß ihre Bedeutung für das bürgerliche Leben sie vollständig berechtige, den Rang von Universitäten einzunehmen, mit allen notwendig daraus folgenden Merkmalen wie Mindestalter der Studierenden, Nachweis bestimmter Vorbildung, monologischer Vortrag und gleiche Disziplinarverhältnisse. Noch vor dem Revolutionsjahr kam der Chemiker und ehemalige Assistent an Liebigs Gießener Labor, Friedrich Schödler, in einer vergleichenden Betrachtung, in der er Anspruch und Wirklichkeit der bestehenden Anstalten untersuchte, zu dem Ergebnis, daß bis dahin nur Prag, Wien, Karlsruhe und Braunschweig nach Organisation und wissenschaftlichem Niveau als "Technische Hochschulen" bezeichnet werden könnten25. Den meisten anderen wies er einen "in der Mitte zwischen Mittelund Hochschule" liegenden Rang von "technischen Lyceen" zu, wie sie in Bayern zu dieser Zeit auch amtlich eingeordnet wurden. Unmißverständlich stellte er gleichzeitig fest, es lasse sich eindeutig voraussehen, daß alle vollständigen Anstalten dieser Art notwendig die Höhe und einheitliche Bezeichnung von "technischen Hochschulen" erreichen würden. Die "konsequente Durchführung des Parallelismus zwischen Technischer Hochschule und Universität" müsse folgerichtig, "wie sehr auch manche Beteiligte der Universitäten dagegen sich wehren", zu der Forderung führen, "daß die Lehrer der ersteren gleichen Rang, Titel und Besoldung mit Universitätsprofessoren erhalten" 21• Eine Zurücksetzung gegenüber den Universitäten verstoße nicht nur gegen die eigensten Interessen der jungen Institute, sondern sei vor allem von größtem negativem Einfluß auf die "industrielle Erhebung" der neueren Zeit, die Schödler in ihrer Bedeutung neben die "nationale Erhebung" setzte. Ein Zurückbleiben hinter dem technisch-industriellen Fortschritt werde überhaupt eine folgenreiche Beeinträchtigung der Gesamtkultur bedeuten, denn schon jetzt übten Technik und Industrie einen entscheidenden Einfluß auf alle Lebensverhältnisse aus. Auf diesem Hintergrund aber müsse nun das "Emporringen der höheren technischen Schulen zur akademischen Stellung" und zur "technischen Universität" gesehen werden27 • In der Tat zs Friedrich Schödler, Die höheren technischen Schulen nach ihrer Idee und Bedeutung, Braunschweig 1847, S. 101. 28 a. a. 0 ., S. 114 ff. n a. a. 0., S. 123.

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war damit das Ziel klarerfaßt und ihr Entwicklungsprogramm deutlich genug umrissen. In der Reformbewegung des Jahres 1848, die im Hinblick auf das gesamte Unterrichtswesen ganz allgemein die "realistischen" und "modernen" Fächer mehr in den Vordergrund rückte28, erreichten solche Forderungen, wie überhaupt die Diskussion über das Verhältnis von Universität und Polytechnischer Schule, von Universitätswissenschaft und technisch-praktischen Disziplinen, einen ersten Höhepunkt. Der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung sollte hier die Gleichstellung jener Fächer entsprechen, die wesentlich und entscheidend zum Aufstieg des Bürgertums beitrugen, und auf diese Weise sollte dem sozialen Bildungsprivileg zu Leibe gegangen werden. Im Mittelpunkt solcher Erörterungen, wiederum meist im Zusammenhang mit den heftigen Diskussionen über die allgemeine Universitätsreform, standen die Vorschläge nach Vereinigung oder doch nach enger Verbindung von Universität und Polytechnischer Schule. Sollten die Universitäten "zeitgemäßere" und "nationalere" Einrichtungen werden, so mußten sie "Anstalten für alle Classen der Gesellschaft" sein und die Polytechniken in ihren Kreis einbeziehen. Nur so konnten sie mit den bedeutsamen neuen Erscheinungen, Bedürfnissen und Forderungen in Einklang gebracht und zu "wahren Universitäten der Neuzeit" entwickelt werden, wie es in der "Deutschen Universitätszeitung" zum Ausdruck gebracht wurde, die aus dieser Reformbewegung heraus gegründet worden war29• Solchen Auffassungen entsprach es auch, wenn eine "zu Kiel gewählte Commission" in dem "Entwurf eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes" die Einrichtung von technischen Universitätsfakultäten vorgesehen hatte30• In die gleichen historischen Zusammenhänge gehörte das aus einem Frankfurter Kongreß vom August 1848 hervorgegangene radikale Projekt einer "Freien akademischen Universität", an der die akademische Jugend nicht nur auf die "theoretische Höhe der Zeit" gehoben, sondern auch befähigt werden sollte, "mit Entschiedenheit an der praktischen Durchführung der großen Prinzipien des Lebens" mitzuwirken, und an der deshalb "Polytechniker und Staatsmänner zugleich" ihre Bil2B

1914.

Vgl. W. Appens, Die pädagogische Bewegung des Jahres 1848, Diss. Jena

29 Deutsche Universitätszeitung 1. Jg., 1849, Nr. 30, S. 145 ff., weitere entsprechende Beiträge auch in den folgenden Nummern und Jahrgängen. Auf Anregungen des im Sept. 1848 in Jena abgehaltenen "Kongresses Akademischer Lehrer", als "Zentralorgan für die Gesamtinteressen deutscher Universitäten" gegründet, sollten hier ' die Erörterungen über die Hochschulreform fortgesetzt und ,.Reformkongresse" vorbereitet werden. Ab 1850 erschien sie unter dem Titel "Akademische Monatsschrift". 30 "Entwurf eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes für die Herzogtümer Schleswig-Holstein nebst Motiven", Abschnitt "Von der Universität", Deutsche Universitätszeitung, ebd., Nr. 33, S. 157 ff.

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dungfinden sollten31 • Schließlich hatte es auch zu den Forderungen der Eisenacher allgemeinen deutschen Studentenversammlung gehört, daß die Universität die "ganze Wissenschaft" zu umfassen habe und ihre Lehrgebiete durch jene "modernen Fächer" vervollständigen müsse32• Unter den Teilnehmern der Versammlung befanden sich als Deputierte der Wiener Studentenschaft auch die Vertreter des Polytechnischen Institutes, und der Wiener "Akademischen Legion" als eine der Hauptkräfte der politischen Bewegung in der Österreichischen Hauptstadt, war auch das "Techniker-Corps" eingegliedert gewesen". An fast allen deutschen Anstalten erhoben sich im Revolutionsjahr Bestrebungen, die auf einen höheren Rang und freiere akademische Formen abzielten. So forderten die Stuttgarter Polytechniker die "freiere Gestalt einer Universität" für ihr Institut34, und ähnliche Anträge stellte man auch in Karlsruhe35• Insgesamt bleibt festzuhalten, daß bereits vor der Jahrhundertmitte so gut wie alle Argumente und Motivationen ins Feld geführt worden sind, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in dem Drängen der Polytechnischen Schulen nach akademischem Status und in dem anschließenden Kampf der Technischen Hochschulen um die volle Ebenbürtigkeit mit den Universitäten für und wider eine wichtige Rolle gespielt haben. Bei weitgehender organisatorischer Angleichung und in unmittelbarer Wechselbeziehung zu den wachsenden Bedürfnissen und Anforderungen des industriellen Aufschwunges, der technischen Staatsdienste, überhaupt zur allgemeinen technischen Entwicklung, schließlich parallel zur Ausprägung und Differenzierung der technischen Wissenschaft, haben die Polytechnischen Schulen insgesamt nach Leistung und wissenschaftlichem Niveau, ebenso wie nach der Zusammensetzung ihrer Studierenden, dann in den folgenden zwei Jahrzehnten nach der Jahrhundertmitte allmählich auch tatsächlich die innere Berechtigung 31 Jahrbücher der freien deutschen Akademie, hrsg. v. K. Nauwerk und K. Noack, Frankfurt 1849, Bd. I, H.1, Einleitung. Zu den Befürwortem dieses Projektes gehörte auch Friedrich Theodor Vischer, der sich später in anderem Zusammenhang für die Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule einsetzte. Vgl. weiter unten. 31 Vgl. Karl Griewank, Deutsche Studenten und Universitäten in der Revolution von 1848, Weimar 1949, S. 38. 33 Vgl. P. Molisch, Die Wiener akademische Legion, Archiv für österr. Geschichte, Bd. 110, 1924, Die staatlichen Zwangsmaßnahmen wegen der Beteiligung seiner Studenten an der Revolution bildeten einen wesentlichen Grund dafür, daß das Wiener Institut in der Folgezeit rasch an Bedeutung verlor und für die übrigen deutschen Anstalten seinen Vorbildcharakter vollständig einbüßte, vgl. Neuwirth, Gedenkschrift, a. a. 0 ., S. 219 ff. 34 Vgl. P. Zech, Urkundliche Geschichte der kgl. T. H. Stuttgart, in: Festschrift zur Feier des 50jährigen Jubiläums der kgl. T. H. Stuttgart, Stuttgart 1879, s. 8. 35 Vgl. W. P. Fuchs, a. a. 0., S. 229.

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I. Die Anfänge der Polytechmschen Schulen in Deutschland

für den Hochschulrang erreicht. Die zunehmende Erkenntnis der eigenen technisch-wissenschaftlichen Fähigkeiten steigerte das Vertrauen in die eigenen Kräfte auf das stärkste, und mit ihrem inneren Aufstieg ging das wachsende Selbstbewußtsein der Polytechnischen Schulen und der hier gebildeten Ingenieure einher. Die von ungetrübtem Fortschrittsglauben und einem geradezu begeisterten Positivismus getragene aufsehenerregende Rede Karl Karmarschs zum 25jährigen Bestehen der Hannoverschen Schule im Jahre 1856 mußte jetzt als weitgehend charakteristisch für das Selbstverständnis der technischen Anstalten angesehen werden36• Mit Nachdruck betonte Karmarsch deren "hohe und würdige Aufgabe" einer Förderung jener, von humanistischer Seite scharf verurteilten materiellen Interessen und realistischen Tendenzen als das "Ziel der Polytechnik" und der "Richtung des unwiderstehlichen Stromes unserer Zeit", und er kennzeichnete ihre Überzeugung von der Kulturmission der Technik schlechthin. Nur auf dem Boden eines möglichst hohen materiellen Standards konnte es überhaupt erst möglich sein, eine höhere geistige Kultur zu entfalten, und die moderne Technik erschien hier gewissermaßen als ein ethisches Postulat geistiger Freiheit. "Unmöglich dünkt hinfüro nur was widersinnig ist", so stellte Karmarsch in später noch oft wiederholten Formulierungen fest, aber auch dieser Begriff verschwinde fast vor den Leistungen, Erfolgen und Möglichkeiten von Technik und Naturwissenschaft, und er folgerte: "Lehranstalten, deren Objekte aus solcher Sphäre genommen sind, welche zum Weiterdringen auf solchen Bahnen die Tore öffnen und ein so weites, so erhabenes und fruchtreiches Gebiet des Wissens umfassen, stehen als wahre Hochschulen einer völlig neuen selbständigen Gattung da, gleich den Universitäten und nicht minder an der Hand strenger Wissenschaftlichkeit." Demnach dürfe es jetzt keine Frage mehr sein, welchen Rang und Standort die technischen Studien einnehmen: "Sie haben ihren Platz ebenbürtig an der Seite der gelehrten Bildung errungen, neben der Universität steht die Polytechnische Schule als technische Universität." Das war eine ebenso selbstbewußte wie unmißverständliche Bestimmung. Hier klang nun schon deutlich die Schärfe der Auseinandersetzungen um die Gleichberechtigung an, die erst am Ende des Jahrhunderts ihrem eigentlichen Höhepunkt zustreben sollten.

38 Festrede zur Feier des 25jährigen Bestehens der Polytechnischen Schule Hannover, in: Karl Karmarsch, Die Polytechnische Schule zu Hannover, Hannover 1856, S. 213 f.

II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule 1. Die Gründung der eidgenössischen Polytechnischen Schule Zürich

In seiner hier am strengsten durchgeführten, dem Fakultätssystem der Universitäten entsprechenden Gliederung und nicht zuletzt durch die schulebildende Lehrtätigkeit Ferdinand Redtenbachers - gleichermaßen verdient als Forscher, Ingenieur und Organisator und zu dieser Zeit neben Karmarsch der angesehendste Repräsentant der Polytechniker- ist das Vorbild der Karlsruher Anstalt besonders deutlich bei der Gründung der eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich hervorgetreten. Nachdem die auf Begründung einer eidgenössischen Gesamtuniversität gerichteten Bestrebungen gescheitert waren\ wurde das anfangs nur nebenher laufende Projekt eines schweizerischen Polytechnikums verwirklicht, und dem im Jahre 1855 eröffneten Institut war von vornherein eindeutig der Hochschulcharakter aufgeprägt worden2 • In der weiträumigen Konzeption, mit der hier der Lehrbetrieb aufgenommen wurde, mochte sich noch der ursprüngliche Gedanke an jene "Gesamtuniversität" auswirken3 , das kam besonders in dem starken Ausbau "humanistischer und politischer" Fächer zum Ausdruck. Was dann die Züricher Anstalt zu einem Geisteszentrum von europäischer Bedeutung machte, war aber nicht zuletzt die Tatsache, daß es gelang, einen Lehrkörper an die neue Hochschule zu berufen, der sich durchweg aus bedeutenden Gelehrten und hervorragenden Ingenieuren zusammensetzte, unter ihnen manche, die in ihren Fächern bereits als erste Autoritäten anerkannt waren. Nicht zuletzt die philosophisch-staatswissenschaftliche Abteilung wurde in großartiger Weise ausgestattet'. Es er. 1 Vgl. Karl Geiser, Die Bestrebungen zur Begründung einer eidgenössischen Hochschule, Bern 1890. z Vgl. Wilhelm Öchsli, Geschichte der Gründung des eidgen. Polytechnikums, Festschrift zum 50jährigen Bestehen, Zürich 1905, desgl. Gottfried GuggenbühL, Geschichte der ETH Zürich, in: ETH 1855-1955, Festschrift, Zürich, 1955. 3 Vgl. Paul Scherrer, Die Gründung des eidgen. Polytechnikums und das schweizerische Nationalbewußtsein, in: Schweizerische Bauzeitung, Sonderheft zur 100-Jahr-Feier der ETH Zürich, 1955, Nr. 42, S. 598. 4 Oechsli, a. a;·Q;, S. 220 ff., zählt die·Reihe großer Namen auf, die sich unter den 32 neuberufenen Professoren befanden, eine stolze Vereinigung von Technikern und "reinen" Wissenschaftlern: Semper, Culmann, Wild, Zeuner, Reuleaux, BoHey, CLausius, Heer, Nägeli, WoLf, Fr. Th. Vischer, de Sanctis, Jacob Burckhardt, vgl. dazu auch F. Tank, Die eidgenössische T. H. und die deutsche Wissenschaft, in: Schweizerische Hochschulzeitung, 1955, Sonderheft, S. 46 ff.

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

schien deshalb nicht unberechtigt, wenn es bald hieß, daß seit der Gründung der Universität Berlin keine hohe Unterrichtsanstalt mit einer solchen Fülle ausgezeichneter Lehrkräfte eröffnet worden sei wie diese Technische Hochschule5 , und man lebte von Anfang an in dem Bewußtsein dieses besonderen Ranges, der die konservative Kritik bald zum Schweigen brachtes. Die politischen Verhältnisse nach dem Zusammenbruch der Revolution von 1848 hatten es ermöglicht, vor allem aus Deutschland freiheitlich gesinnte Lehrkräfte von hohem wissenschaftlichem Ruf zu gewinnen. Begünstigt wurden die Berufungen durch die Möglichkeit der Professoren des Polytechnikums, gleichrangig an der kantonalen Universität Zürich zu wirken, wie auch umgekehrt die dortigen Professoren an der Polytechnischen Schule lehrten7 • Neben den Technikern und Naturwissenschaftlern waren es Namen wie Gottfried Semper, Friedrich Theodor Vischer und Jacob Burckhardt, die hier den Rang humanistischer Disziplinen bestimmten. Die Berufung der beiden letzteren war in besonderer Weise dafür charakteristisch, daß man hier nicht auf den wesentlich dem Ideenkreis der Universität zugehörig scheinenden Gedanken der "allgemeinen Bildung" verzichten wollte. Die Fächer humanistischer Tradition sollten wenigstens insoweit vertreten sein, daß der künftige Architekt, Techniker und Ingenieur an ihnen Teil haben konnte. Solche Auffassungen hatte zuvor bereits Nebenius zum Ausdruck gebracht, sie entsprachen vor allem ganz den Vorstellungen Redtenbachers über die Bildungs- und Kulturaufgabe der Polytechnischen Hochschule8 , der Nebenius' Gedanken mit Energie aufgenommen und bereits in Karlsruhe einem weiten Kreis von "Bildungsfächern" mit einbezogen hatte. Er war allgemein bemüht, eine engere Verbindung von technischer und humanistischer Bildung herzustellen und hatte seine Absichten selbst am würdigsten umrissen, wenn er notierte: "Meine Bestrebungen richten sich nicht allein auf die wissenschaftliche Theorie der Maschine, mir liegt die Cultur des Industriellen Publicums am Herzen'." Nach dem Muster von Karlsruhe und Zürich sind dann in stärkerem Maße ebenso an allen übrigen deutschen Anstalten humanistische und später staats- und wirtschaftswissenschaftliche Fächer angegliedert worden. Vgl. Oechsli, ebd. Vgl. Werner Kaegi, Jacob Burkhardt, Bd. III, Basel1956, S. 573. 7 Guggenbühl, a. a. 0., S. 69. 8 Vgl. F. Redtenbacher, in: Die Residenzstadt Karlsruhe, a. a. 0., S.150 ff. 9 F. Redtenbacher, Notizbuch 1840-41, in: Rudolf Redtenbacher, Erinnerungsschrift, a. a. 0., S. 33. 5

8

1. Die Gründung der eidgenösSischen Polytechnischen Schule Zürich

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Es war kein Zufall, daß gerade von vielen Lehrern der Züricher Hochschule die Frage nach dem Verhältnis von Universität und technischen Studien erneut aufgegriffen und durchdacht wurde. Carl Culmann, der als Professor der Ingenieurwissenschaften aus der Karlsruher Schule hervorgegangen war10 und durch die Entwicklung der graphischen Statik die Bestrebungen eines Monge und Poncelet nach einer mathematisch-geometrischen Behandlung der Ingenieurfächer erfolgreich fortsetzte, hatte den hohen Rang des Züricher Institutes nicht zuletzt in dessen Nähe zur Züricher Universität begründet gesehen und im Hinblick auf die scharfe Trennung beider Institutionen in Deutschland beklagt: "Was könnte nicht geleistet werden, wenn man es verstünde, die vorhandenen Kräfte zu vereinen11 ." Ähnliche Überzeugung besaß der aus dem sächsischen Freiberg berufene Professor der Mechanik Gustav Zeune1·, der sich in Zürich als Forscher und Lehrer von hohen Graden auswies. Durch ihn vor allem wurde die Theorie der Dampfmaschine auf der Grundlage der mechanischen Wärmetheorie voll entwickelt. Er ist dann als Direktor der Bergakademie Freiberg und der Technischen Hochschule Dresden12 einer der führenden Persönlichkeiten der technischen Wissenschaft in Deutschland geworden13 und hat sich aus gleichen Überlegungen heraus für breitere allgemeinwissenschaftliche Grundlagen der Technischen Hochschulen und für ein engeres Verhältnis zu den Universitäten eingesetzt. Felix Klein stand als Leipziger Professor mit ihm in Verbindung und korrespondierte mit Zeuner später von Göttingen aus über seine wissenschaftsorganisatorischen Pläne. Als einer der begabtesten Schüler Redtenbachers14 war auch Franz Reuleaux auf eine Professur für Mechanik und Maschinenkonstruktion berufen worden, der dann in noch stärkerem Maße für das Ansehen und die wissenschaftliche Höherentwicklung der Polytechnischen Schulen wirken sollte. Nach erfolgreicher Tätigkeit in Zürich, als langjähriger Direktor der Berliner Gewerbeakademie, nach deren Vereinigung mit der Bauakademie als Rektor der Technischen Hochschule, durch seine wissenschaftlichen Publikationen zum Maschinenbau, insbesondere durch seine Lehre von der Maschinenkinematik, die er als neues Fach einführte, schließlich durch seine Tätigkeit als Jury-Mitglied und Reichskommissar der Weltausstellungen von Wien, Paris, Philadelphia und Melbourne und seine aufsehenerregenden Berichte, gehörte er 10

11

n

Vgl. Oechsli, a. a. 0., S. 225. Carl Culmann, Die graphische Statik, Zürich 1866, Vorwort, S. IX. Vgl. Ein Jahrhundert sächsische T. H. Dresden, Festschrift Dresden

1928, s. 89 f'f. 13

14

Vgl. Zs. d. VDI, Jahrgang 1907, S. 2049. Vgl. Carl Weihe, Reuleaux und seine Kinematik, Berlin 1925, S. 12.

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

lange Zeit zu den bekanntesten und einflußreichsten deutschen Ingenieuren. Gerade von seinen Züricher Erfahrungen her betonte Reuleaux immer wieder die allgemein erzieherische Wirkung der streng wissenschaftlichen Lehre und die Notwendigkeit der Bewahrung und Förderung des akademischen Charakters der technischen Anstalten. Die Techniker wollte er- Redtenbachers Gedanken fortsetzend- zu einem allgemeineren Verständnis ihrer Arbeit angeleitet wissen und dem engen Spezialistentum durch eine breitere geistige Basis ihrer Ausbildung und tiefere wissenschaftliche Kenntnis allgemeiner Gesetze entgegenwirken15. Es galt ihm, "für den Maschinenbildner das Gemeingefühl mit der Gesamtheit der menschlichen Tätigkeit überhaupt teils festzuhalten, teils wieder herauszustellen" 18• Mit seinen kinematischen Forschungen verfolgte er die Aufgabe, technische Erfindungen und Entwicklungen wissenschaftlich lehrbar und dadurch eigentlich erst "hochschulfähig" zu machen und er suchte darzustellen, daß auf dem Gebiet wissenschaftlicher Technik die gleichen intellektuellen Operationen einführbar seien "mit welchen die Wissenschaft auch an anderen Stellen die Forschung betreibt17." Die eidgenössische Polytechnische Schule, auf vielfache Weise dem Vorbild Karlsruhe verpflichtet, wirkte damit auf mannigfache Art zurück und übte durch ihren wissenschaftlichen Rang, wie in personeller Beziehung einen großen Einfluß auf das Ansehen der technischen Wis~ sensehaften und auf die Einschätzung und Entfaltung des gesamten technischen Hochschulwesens in Deutschland aus. Hervorragende Gelehrte vertraten hier nun auch für das Polytechnikum und die technischen Wis~ sensehaften das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre, damit ein Hauptkriterium des Hochschulranges, auf sehr überzeugende Weise. Nach dem Vorgang Zürichs wurde es seit Mitte der 50er Jahre üblich, an die Polytechnischen Schulen wissenschaftlich hervorragende Kräfte, nicht zuletzt auch Mathematiker, Chemiker und Physiker zu berufen, darin zeigte sich wesentlich ihr steigender innerer Ausbau. Zürich stand hier allen voran. Zahlreiche Professoren, die dort lehrten, sind in der Folge zu Zierden ihrer Wissenschaft auf den deutschen Anstalten geworden, in nicht geringem Maße auch an den Universitäten, die jetzt immer häufiger Lehrer der Polytechniken beriefen. Zürich hatte in gewissem Sinne eine Bresche geschlagen für die noch keineswegs unbestrittene und noch für lange Zeit nicht unangefochtene Würde der technischen Wissenschaften und der Technischen Hochschule als solche. 15

Vgl. Franz Reuleaitx, Lehrbuch der· Kinematik, Bd. I, Braunschweig

17

Franz Reuleaux, Kinematische Mitteilungen I, Verhandlungen, Bd. 50,

1875, S. X . 16 Ebd. S. 241. 1871, s. 110 ff.

2. Der Verein Deutscher Ingenieure

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2. Der Verein Deutscher Ingenieure und der Aufstieg der Polytechnischen Schulen Kam es durch das eidgenössische Polytechnikum gewissermaßen von außen her zu wichtigen Anregungen und fördernden Einflüssen, so Wurde zur gleichen Zeit mit der Gründung des Vereins Deutscher Ingenieure in Deutschland selbst ein Verband geschaffen, für den - als rasch aufblühender zentraler Zusammenschluß der Techniker - die EntwiCk'lung und Förderung der Polytechnischen Schulen zu einer wesentlichen Aufgabe geworden ist, und an dem sie eine sehr wirksame und beachtenswerte Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen und Aufstiegsbestrebungen finden sollten. Nach dem Vorbild der englischen Ingenieurgesellschaften war es um die Jahrhundertmitte verschiedentlich zur Gründung von- meist lokalen - Architekten- und Ingenieurvereinen gekommen. Die Techniker begannen die Gemeinsamkeiten ihres berufsinhaltlichen Bereiches und ihres sozialen Selbstverständnisses klarer zu erkennen und sich ihre "Standwerdung" bewußter zu machen, im Sinne jener Feststellung Robert von Mohls, der schon früh bemerkt hatte, daß die "höheren" Techniker und "Maschinenbaumeister" nicht länger zu denen gerechnet werden konnten, welche "nur mit den Armen der Gesellschaft dienen, ohne daß sie deshalb eine Klasse mit den theoretischen Gelehrten ausmachen"'. Neben die "Gebildeten" und "Studierten" im gelehrt-literarischen oder auch im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne, traten jetzt jene ·aus dem technisch-industriellen Bereich, die ihr zunehmendes Selbstbewußtsein nicht weniger von eigener Begabung und Leistung her gewannen. In erster Linie hatten die Polytechnischen Schulen selbst diese neue Schicht von damit gewissermaßen institutionalisierten "höheren" Technikern und Ingenieuren geschaffen, die sich jetzt zu gemeinsamer Vertretung ihrer technisch-wissenschaftlichen Interessen aber auch ihres sozialen Geltungsanspruches im Sinne des der Zeit geläufigen Assoziationsgedankens zusammenschlossen. Als ein "inniges Zusammenwirken der geistigen Kräfte deutscher Technik zur gegenseitigen Anregung und Fortbildung im Interesse der gesamten Industrie Deutschlands", so bezeichnete der Statutenausschuß den ZweCk des "Vereins Deutscher Ingenieure", der sich am 12. Mai 1856 konstituierte'. SChon zwanzig Jahre vorher hatte Friedrich List gefordert, daß sich die Techniker Deutschlands in ähnlicher WeiSe wie die deutschen Naturforscher und Ärzte verbinden müßten3 • Tatsächlich er1 Robert von Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des ReChtsstaates, 2. A, Bd. I, Tübingeh 1844, S. 478. ! Zs. d. VDI Jg. 1857, S. 1 tf. 3 Friedr. List, in: Rotteck-Welcker, Staatslexikon, Bd. IV Altona 1837,

s. 676f.

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Il. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

innert die Gründung des Vereins in vielen Punkten an die Jahrzehnte zuvor durch die Initiative von Lorenz Oken ins Leben getretene "Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte". Dort war es das tiefe Gefühl von der Einheit der Natur, und daß auch die Naturwissenschaft eine einheitliche und universale sei, die zum Zusammenschluß geführt hatte4• Hier war es nicht weniger das Bewußtsein von der Einheit der Technik als eines eigenständigen Lebensbereiches "zwischen Wissenschaft und Kunst in der Mitte stehend" 5 , der sich als eine "gleichberechtigte Errungenschaft des Geistes" geltend machen sollte. Wenn die Naturforschergesellschaft erkennen ließ, daß sie sich berufen sah, eine deutsche Naturwissenschaft und eine deutsche Medizin zu betreiben und dies besonders neben der französischen Geistesart zur Geltung zu bringen, so betonte der Verein Deutscher Ingenieure nicht weniger, daß es ihm darum ging, die deutsche Technik "als nationales Gut" zu fördern und dem Auslande gegenüber zu einer "auf ihre Vorzüge stolzen und dafür einstehenden Macht mehr und mehr erheben zu helfen". Der deutschen Technik sollte man nicht weniger seinen Tribut zollen "wie man sich bereits vor der deutschen Wissenschaft ehrfurchtsvoll beugt"0 • Wenn schließlich nach den Ideen Lorenz Okens die im staatlichen Leben zerteilte deutsche Nation wenigstens ihre wissenschaftliche Einheit besitzen, oder wie es Alexander von Humboldt auf der folgenreichen Berliner Naturforscherversammlung von 1828 ausgedrückt hatte, Deutschland sich "gleichsam in seiner geistigen Einheit" offenbaren sollte7 , so setzte sich auch der Verein Deutscher Ingenieure von vornherein die Aufgabe den Interessen der "gesamten deutschen Technik" zu dienen. Diese aber, davon war man überzeugt, "ist geistiges Eigentum der ganzen deutschen Nation und kann ebensowenig wie die deutsche Wissenschaft durch politische Grenzmarken zerteilt werden" 8 • Hier wie dort vermischten sich gleichermaßen wissenschaftliche beziehungsweise technische Ziele und patriotische Gedanken, und als "Vaterland" wurde hier nicht mehr nur der engere Kleinstaat verstanden. Wie die Naturforschergesellschaft, so tagte auch der Verein Deutscher Ingenieure an · jährlich wechselnden Orten innerhalb ganz Deutschlands. "Lassen Sie uns in Zukunft immer mehr auf die Erweiterung und Vergrößerung unserer materiellen und geistigen Kräfte hinwirken, damit 4 Vgl. Karl Sudhoff, 100 Jahre Deutscher Naturforscherversammlungen, Gedächtnisschrift zur Jahrhunderttagung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, Leipzig 1922. 1 Zs. d. VDI Jg. 1857, S. 14 f. e Zs. d. VDI Jg. 1857, S. 225. 7 Festrede gehalten bei der Eröffnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin 18. Sept. 1828, in: Max Pfannenstiel, Quellenbuch zur Geschichte der Gesellschaft dt. Naturforscher u. Ärzte, Berlin 1958, S. 66. 8 Zs. d. VDI Jg. 1857, S. 1.

2. Der Verein Deutscher Ingenieure

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wir gleichmäßig festen Fuß in ganz Deutschland fassen", so hieß es in der selbstbewußten Rede des Vorsitzenden auf der ersten Hauptversammlung des Vereins, "dann wird es eine Ehre sein, uns anzugehören, dann werden wir eine Großmacht sein9 ." In der Naturforschergesellschaft hatte der Gedanke einer naturwissenschaftlichen Volkserziehung als wichtige Aufgabe schon früh an Boden gewonnen. Bald konnte man hier als "etwas Großes und Herrliches" die stärker ins allgemeine Bewußtsein kommende Bedeutung der Naturwissenschaften hervorheben10. Förderung der Naturwissenschaften als Ganzes, Hebung ihres allgemeinen Ansehens gehörte zu ihren erklärten Zielen, und man sprach schon früh die Erkenntnis aus, "Wissenschaft ist Macht auch der Staaten nicht nur das Militär" 11• Es waren hier vor allem die Vertreter der naturwissenschaftlichen Disziplinen der Universitäten, welche die Zusammensetzung der Gesellschaft bestimmten. Der Verein Deutscher Ingenieure - nicht zufällig ging er aus einer Vereinigung ehemaliger Studierenden der Berliner Gewerbeakademie hervor - wurde dagegen jetzt weitgehend das Forum für die Belange des technischen Unterrichts, vor allem aber für die Interessen der Polytechnischen Schulen. Der schnell anwachsende Verein hat künftig im Zusammenhang mit seinen technisch-wissenschaftlichen Zielen zu allen Fragen der Ingenieurbildung und der Entwicklung und Ausgestaltung der Polytechnischen Anstalten zu Hochschulen Stellung genommen und eine große Wirksamkeit entfaltet. Den hier vertretenen Auffassungen kann in besonderer Weise eine weitgehend repräsentative Geltung für die gesamte Technikerschaft zugesprochen werden. Die Mitglieder des Vereins setzten sich zusammen aus Vertretern der technischen Wissenschaft, also vor allem aus Lehrern der technischen Anstalten, aus selbständigen Unternehmern und den Direktoren und höheren technischen Rängen der Industrie, aus technischen Beamten und frei tätigen Zivilingenieuren12. Hier verbanden sich in gewisser Weise technische Wissenschaft und Industrie und dies machte nicht zuletzt die bald stärker werdende Position des Vereins aus, behinderte freilich auch, wie Felix Klein später erfahren sollte, zumeist ein entsprechendes Verhältnis mit dem ganz anders orientierten Bereich der Naturwissenschaften an den Universitäten. Für die Bestrebungen des Vereins in der Hochschulfrage war es von besonderer Bedeutung, daß mit Franz Grashof schon bei seiner Grünu 10

11

Zs. d. VDI Jg. 1857, S. 227. Vgl. Sudhoff, a. a. 0., S. 29.

Dazu Sudhoff, a. a. 0., S. 37 f.

u Nur die ,.älteren" Architekten hatten sich von Anfang an zumeist in eigenen Vereinen organisiert.

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11. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

dung eine Persönlichkeit a1s langjähriger Vereinsdirektor gewonnen wurde, der durch seine berufliche Stellung und sein wissenschaftliches Ansehen bald einen hervorragenden Platz unter den deutschen Ingenieuren und vor allem im technischen Hochschulwesen einnehmen sollte13• Die Verhältnisse und der Rang der Polytechnischen Schulen bildete damit von vornherein ein Brennpunkt des Vereinsinteresses. Auf der siebten Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure im Jahre 1864 in Heidelberg hielt Grashof einen großen Vortrag "Über die der Organisation von Poiytechnischen Schulen zugrunde zu legenden Prinzipien" 14• Auf seine Initiative hin und entsprechend den hier von ihm dargelegten Grundsätzen ist es dann durch den Verein zu einem wichtigen Vorstoß in der Hochschulfrage gekommen, der das Problem in der Folgezeit nicht mehr zur Ruhe kommen ließ und einen neuen Abschnitt in der Geschichte des Technischen Hochschulwesens eingeleitet hat. Grashofs Ausführungen und Forderungen enthielten im wesentlichen keine Gedanken, die nicht auch vorher schon diskutiert worden waren. Jetzt standen sie aber auf der realen Basis der bisherigen Entwicklung, entsprachen dem tatsächlich erreichten Leistungsstand der Polytechnischen Schulen. Der hier zugrunde gelegte Maßstab und die hier erhobenen Ansprüche waren nun für alle deutschen Anstalten gerechtfertigt, und schließlich war jetzt mit dem Verein Deutscher Ingenieure eine übergreifende Organisation vorhanden, die sich anschickte, mit größerem Nachdruck als dies bis dahin geschehen konnte, ihre Forderungen und Bestrebungen zu vertreten. Grashof bezeichnete es als Lebensfrage der Polytechnischen Schulen, den Charakter von Hochschulen zu behaupten oder noch anzustreben: "Sie sei eine technische Hochschule", so erklärte er, "und bezwecke die den höchstberechtigten Anforderungen entsprechende wissenschaftliche Ausbildung für diejenigen technischen Berufsfächer des Staatsdienstes und der Privatpraxis, welche die Mathematik, die Naturwissenschaften und die zeichnenden Künste zur Grundlage haben, sowie auch die Ausbildung von Lehrern der an der Schule vertretenen technischen und Hilfswissenschaftenu." Er zog mit großer Ausführlichkeit eine Bilanz des tatsächlich bis dahin erreichten Status und stellte einen Katalog von "Prinzipien" auf, von denen einige für manche Anstalten schon verwirklicht waren, jetzt aber allgemein für alle Polytechniken ihre weit13 Grashof lehrte seit 1854 Mathematik und Mechanik am Berliner Gewerbeinstitut und wurde 1863 als Professor für Mechanik und Maschinenlehre zum Nachfolger Redtenbachers nach Karlsruhe berufen, (Badische Biographie V S. 215 ff.) unter seinem wiederholten Direktorat blieb die dortige Anstalt in Deutschland vorbildlich und führend. 14 Zs. d. VDl J g. 1864, S..591 ff. 15 Zs. d. VDI, ebd. S. 594.

2. Der Verein Deutscher Ingenieure

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gehende rangmäßige und organisatorische Angleichung an die Universität zum Ziele hatten: Gleiche oder ähnliche Voraussetzungen für den Besuch wie an den letzteren, gleiche Examina, Ausbau der Mathematik und Naturwissenschaften in einer den Universitäten nicht nachstehenden Ausdehnung und Intensität um die Berufung von Gelehrten von Rang zu ermöglichen, größere Heranziehung humanistischer Fächer "entsprechend der gesellschaftlichen Stellung, für welche die Technische Hochschule die letzte Ausbildung geben soll", Lehr- und Lernfreiheit, vor allem aber als wichtigste und charakteristische Attribute einer Hochschule, die Assistenz und Privatdozentur, Vorschlags- und Berufungsrecht, akademischer Senat und Rektoratsverfassung. Entwicklungsstand und Bedeutung von Industrie und Technik mußten jetzt solche Bestrebungen vollständig rechtfertigen, in denen sachliche Erfordernisse, die technisch-wissenschaftliche Leistung und zunehmender sozialer Geltungsanspruch zusammentrafen. Die wachsenden Anforderungen an die Techniker, die Entstehung großer Ingenieurbauten, die Ansprüche der Industrie an die Maschinentechnik und die technische Chemie, der beim Bau der Eisenbahnen und ihrer Betriebsmittel entstehende riesige Bedarf, die großen Erfolge technisch-wissenschaftlicher Verfahrensweisen, die aufkommenden industrieeigenen Werkslaboratorien schufen in allen Industriezweigen einen stärkeren Bedarf an wissenschaftlich ausgebildeten Kräften. Die Diskussion der "Prinzipien" Grashofs gipfelten daher in der klar hervortretenden Überzeugung, daß die den Polytechnischen Schulen im Staate anzuweisende Stellung als die Hauptfrage anzusehen sei, und daß sie als technische Hochschulen notwendig auch die Rechte der Universitäten beanspruchen müßten18• Eine vom Verein berufene Generalkommission, die im Juni 1865 in Eisenach zusammentrat, erarbeitete ein entsprechendes Gutachten "Über die Organisation Polytechnischer Schulen'117• Mitglieder der Kommission waren überwiegend Professoren, unter ihnen Gustav Zeuner als Vertreter Zürichs. Bis dahin hatte es keinen offiziellen Meinungsaustausch zwischen ihnen gegeben, und insofern kann die Eisenacher Versammlung als erste gemeinsame Fühlungnahme der Polytechniken überhaupt angesehen werden. Man einigte sich im ganzen auf die von Grashof dargelegten Grundsätze und auf Beschluß des Vereins wurden die knappen und thesenartig formulierten Forderungen und Vorschläge, zusammen mit ausführlichen Erläuterungen und Motivationen, an alle deutschen Regierungen und Parlamente eingereicht und ebenso allen Universitäten, höheren Lehranstalten und industriellen Vereinigungen 18 17

Protokoll der 7. Hauptversammlung, Zs. d. VDI 1864, S. 632 ff. Zum Kommissionsbericht, Zs. d. VDI 1865, S. 691.

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

übersandt18• Künftig sollte versucht werden, auf die maßgebenden Behörden und Körperschaften "in loyaler Weise nach Kräften einzuwirken", wie Grashof es formuliert hatte. Die Ereignisse des Jahres 1366 verhinderten zunächst eine weitere Aktivität des Vereins, aber schon im Januar 1867 kam es im Namen des Vereinsvorstandes durch den Magdeburger Industriellen Gaertner, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, im Sinne der "Prinzipien" zu einer Eingabe und Denkschrift an den preußischen Handelsminister, zu dessen Ressort zu dieser Zeit das technische Schulwesen gehörte18• Der Minister war freilich noch keineswegs von der Dringlichkeit und Notwendigkeit solcher Forderungen überzeugt. Im gleichen Jahr kamen auf Initiative Grashofs in Pforzheim Professoren der Polytechniken Stuttgart und Karlsruhe zusammen. Erneut wurde hier das Ziel herausgestellt, daß die Anstalten nicht nur dem Namen nach, sondern "tatsächlich als wahre technische Hochschulen von nicht geringerem Rang und Character als die Universitäten erscheinen und zur Geltung gelangen" 20 • Eine allgemeine Delegiertenkonferenz aller deutschen Polytechnischen Schulen mit Einschluß der Österreichischen Institute und Zürichs sollte auf der Grundlage der "Prinzipien" beraten und entsprechende Schritte unternehmen. Die Pforzheimer Zusammenkunft bezeichnete sich selbst als "Vorversammlung", und man suchte durch Erfahrungsaustausch und gemeinsames Vorgehen aller Anstalten den Bestrebungen ein größeres Gewicht zu verleihen. Grashof richtete jetzt ein Rundschreiben an sämtliche Lehrerkollegien mit der Anregung zu einer allgemeinen Konferenz "möglichst aller deutschen technischen Hochschulen". Wenn man zunächst auch nur die Macht motivierter Überzeugungen und Meinungsäußerungen habe, stellte er hier fest, so stehe doch zu erwarten, daß die zuständigen Regierungen und Parlamente sich der Berücksichtigung einer solchen gewichtigen Kundgebung nicht entziehen würden21 • Zu einer solchen Versammlung ist es indessen vor der Reichsgründung nicht mehr gekommen, erst zehn Jahre später fand zum ersten Male eine gemeinsame Konferenz der deutschen Technischen Hochschulen statt. Besondere Aufmerksamkeit und tätiges Interesse schenkte der Verein Deutscher Ingenieure der nach langjähriger Gründungszeit während des deutsch-französischen Krieges 1870 in Aachen eröffneten Rheinisch18 Prinzipien der Organisation der Polytechnischen Schulen. Als Resultat wiederheiter und eingehender Beratungen aufgestellt vom VDI, nach Beschluß der Hauptversammlung zu Breslau im September 1865, Berlin 1866. 10 DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit 11• 20 Zs. d. VDI Jg. 1868, S. 201 ff. 21 Zs. d. VDI ebd. Das Polytechnische Institut in Wien verband mit der Zusage einer Beteiligung nun bereits den Vorschlag nach Beratungen über einen dem Doktor gleichwertigen Titel für die Technischen Hochschulen. Vgl. Neuwirth, Gedenkschrift, a. a. 0., S. 290.

2. Der Verein Deutscher Ingenieure

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Westphälischen Polytechnischen Schule. Sie sollte wie die Züricher Anstalt von vornherein als Hochschule gegründet werden und der Verein erwartete jetzt gerade hier die volle Berücksichtigung seiner Forderungen und Anregungen22 • Schon die Beratungen des Grashofsehen Vortrages waren nicht zuletzt ausdrücklich mit der bevorstehenden Gründung des Aachener Institutes motiviert worden, Gutachten und Stellungnahme des Vereins sollten zumindest einen zwingenden moralischen Einfluß auf dessen Organisation und Verfassung ausüben23• Die Einrichtung einer höheren technischen Anstalt im rheinischen Industriegebiet war schon seit 1815 diskutiert worden24 • Seit den 50er Jahren hatte sich vor allem Gustav Mevissen als Präsident der Kölner Handelskammer dafür eingesetzt, wiederum nach der schon bekannten Devise, daß nur durch höhere geistige und wissenschaftliche Kultur die deutsche Industrie die überlegene Konkurrenz des Auslandes überwinden könne25 • Den langen Wettstreit um den Standort der Schule hatte die preußische Regierung schließlich zugunsten Aachens entschieden. Die Gründung selbst trug insofern einen einzigartigen Charakter, als hier zum ersten Male nichtstaatliche Körperschaften durch bedeutende Geldmittel die Errichtung überhaupt erst ermöglichten26 • Das erste Verfassungsstatut brachte noch nicht die volle Berücksichtigung der gesamten "Prinzipien" wie man es im Verein Deutscher Ingenieure erwartet hatte, versprach aber der Anstalt den Charakter einer "wahren und vollständigen technischen Hochschule zu vindizieren" 21• Die Reichsgründung beförderte naturgemäß auch die entsprechende Aktivität des Vereins, erleichterte die Kontakte der einzelnen Anstalten untereinander und die Verständigung über eine zunehmende Angleichung und gemeinsames Handeln. Hinzu kam die schnelle Entwicklung der Industrie nach 1870. Erst jetzt begann trotz des voraufgegangenen Aufschwungs der 50er und 60er Jahre die bedeutende Entfaltung der durch naturwissenschaftlich-technische Fortschritte ermöglichten Industriezweige, besonders der rapide Aufstieg der chemischen Industrie, der Maschinenindustrie und schließlich der Elektroindustrie. 2z

Vgl. Zs. d. VDI Jg. 1866, S. 238 ff., 323 ff.

za Vgl. Zs. d. VDI Jg. 1864, S. 616. 24 Vgl. Albert Huyskens, in: Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der T. H.

Aachen, Aachen 1920. 25 Vgl. J . Hansen, Gustav Mevissen, Bd. I, Berlin 1906, S. 479 und passim. 28 Die von David Hansemann gegründete Aachener und Münchener Feuerversicherungsgesellschaft und der Aachener Verein zur Beförderung der Arbeitssamkeit in Verbindung mit der Stadt Aachen, vgl. A. Bergengrün, David Hansemann, Berlin 1901, und die Festschrift zum 75jährigen Jubiläum des Aachener Vereins zur Beförderung der Arbeitssamkeit 1834--1909, Aachen 1909. 27 Die Eröffnung der kgl. Rheinisch-Westphälischen Polytechnischen Schule zu Aachen, Gedenkblatt, Aachen 1870, S. 31. 5 Manegold

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li. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

Die Besucherzahlen der Polytechniken schnellten seit 1870 in die Höhe und erreichten in den Jahren 1876/77 für alle Anstalten einen Höhepunkt. Sie gingen dann freilich ebenso schnell wieder zurück und im Jahre 1883 gab es nur noch halb soviel Studierende wie sechs Jahre zuvor28• Das brachte kleinere Institute sogar in die Gefahr der Schließung29, während sich die Frequenzen der Universitäten in dieser Zeit genau entgegengesetzt bewegten30• Diese auffälligen Schwankungen mochten zu einem wesentlichen Teil mit dem "Boom" der "Gründerjahre" und den Auswirkungen der folgenden Wirtschaftskrise zusammenhängen, deren Tiefpunkt in die Jahre 1878/79 fiel. Die "große Depression", deren Folgen bis zu Beginn der 90er Jahre bemerkbar blieben, korrespondierte jedenfalls auffällig mit dem Stand der Studentenzahlen der Technischen Hochschulen31 • Andererseits trugen nicht weniger die steigenden Anforderungen, die jetzt an die Studenten gestellt wurden, zunächst zur Abnahme der Frequenzen bei. Grashof hatte in diesem Sinne von vornherein darauf hingewiesen, daß mit strengeren Zulassungsbedingungen - als notwendiger Voraussetzung einer allgemeinen Anerkennung des Hochschulranges - die Zahl der Studierenden zwar abnehmen, dafür aber der qualitative Erfolg nur um so deutlicher hervortreten werde32 • Darüber hinaus kam es erst jetzt zum allgemeinen Ausbau mittlerer technischer Lehranstalten und mittlerer Fachschulen für einzelne Industriezweige33• Ihnen gegenüber galt es zur klaren Unterscheidung zu kommen. 28 Die Gesamtfrequenz der deutschen Technischen Hochschulen betrug 1871/72 4710, 1876/77 6414. Dann fiel sie bis 1882/83 auf 3699 und erreichte erst 1891/92 wieder die Höhe des Wintersemesters 1876/77, um dann allerdings immer rascher und steiler anzusteigen, 1901 gab es mit 16 590 Studenten an den Technischen Hochschulen halb soviel wie an den Universitäten, vgl. Wilhelm Lexis, Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich, Bd. IV, Teil 1, Berlin 1904, s. 45 f. 29 So Darmstadt und Aachen. 30 Ein überraschender Sachverhalt ergibt sich bei einem Vergleich mit der Anzahl der Mathematik- und Naturwissenschaftsstudenten der Universitäten für diesen Zeitraum. Der Tiefstand der Frequenzen an den T. H. fiel zeitlich genau mit einem Maximum von immatrikulierten Mathematikern und Naturwissenschaftlern an den Universitäten zusammen. Während zu Anfang der 90er Jahre die T. H. dann wieder den früheren Höchststand überschritten, ergab sich für die genannten Fächer an den Universitäten ein Tiefstand. Danach stiegen dann für jene wie für die gesamten T. H. die Zahlen in gleichem Maße steil an, vgl. Felix Klein, Vorträge über den mathematischen Unterricht an höheren Schulen, Teil 1, Leipzig 1907, S. 167 und 183, ferner Johannes Conrad, Einige Ergebnisse der deutschen Universitätsstatistik, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 3. Folge, Bd. 32, Jena 1906, S. 433. 31 Tatsächlich hatte der bedeutende Aufschwung der Bautätigkeit, vor allem im Eisenbahnbau, insbesondere den Andrang von Bautechnikern ausgelöst und die Abnahme der Frequenzen traf dann auch vor allem die Bauingenieure, wie sich aus regierungsamtlichen Erhebungen ergab; vgl. Bericht aus dem Reichsanzeiger, Zs. d. VDI, 1881, S. 102 ff. s2 Zs. d. VDI Jg.1876, S. 631. 33 Vgl. Oskar Simon, Die Fachbildung des preußischen Gewerbe- und Han-

2. Der Verein Deutscher Ingenieure

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Bei dem überragenden Gewicht, das Preußen im Reiche zukam, mußten die dortigen Verhältnisse weitgehend entscheidend sein für die gesamte Entwicklung der Polytechnischen Schulen zu gleichberechtigten Hochschulen mit vergleichbarem Status. Das ließ jetzt die Trennung der beiden Berliner Institute in Bauakademie und Gewerbeakademie als besonderes Hindernis erscheinen, nachdem Preußen mit Hannover und Aachen daneben einheitliche Anstalten erhalten hatte. Ein besonderer Unterschied zwischen beiden Anstalten bestand darin, daß die Bauakademie wesentlich Baubeamte für den Staatsdienst ausbildete, die Gewerbeakademie aber Techniker für die gewerbliche Praxis und Industrie. Bis zum Jahre 1876 gab es nur für Absolventen der Bauakademie Staatsprüfungen und entsprechende Berechtigungen und Anstellungen als Staatsbeamte34, demgemäß eine gewisse Kluft zwischen "Staatstechnikern" und "Privattechnikern". Insgesamt galt die ältere Bauakademie schon deshalb als "vornehmer" und bevorrechtigt35• Der Gedanke einer Vereinigung war schon seit den 60er Jahren, auch im Preußischen Abgeordnetenhaus, erörtert, befürwortet und bekämpft worden, während die Regierung sich abwartend verhielt. Niemand denke daran, die Universitäten in einzelne nach Fakultäten getrennte Fachschulen zu zerlegen, weil ihnen dadurch ihr Hauptlebensnerv zerschnitten würde, mit den Technischen Hochschulen verhalte es sich aber keineswegs anders, so war in diesem Zusammenhang bereits in der erwähnten Eingabe des Vorstandsmitgliedes des Vereins Deutscher Ingenieure Gaertner im Jahre 1868 festgestellt worden36• Im Hinblick auf den erstrebten allgemeinen Aufstieg der Polytechnischen Schulen mußte daher die Vereinigung der Berliner Akademien zur umfassenden Hochschule für das gesamte Technische Hochschulwesen von größter Bedeutung sein. Grashof und der Verein Deutscher Ingenieure erklärten es geradezu als ein Widerspruch gegen den Gedanken der inzwischen erfolgten nationalen Vereinigung, wenn "in Betreff eines so wesentlichen Culturinteresses, wie ihn durch unsere Technischen Hochschulen entsprochen werden soll", in der Hauptstadt des Reiches eine andere Auffassung maßgebend sei, wie überall sonst37 • Das war der Grund, weshalb Grashof im Jahre 1875 auf der 17. Hauptversammlung des Vereins in Berlin diese Frage zum Ausgangspunkt seines zweiten großen programmatischen Vortrages machte, der dann delsstandes im 18. u. 19. Jh., Berlin 1902, S. 740 ff.; ders., Das gewerbliche Fortbildungs- u. Fachschulwesen in Deutschland, Berlin 1903. 34 Dobbert, Chronik der T. H. Berlin, 1899, a. a. 0., S. 101 ff. ss Vgl. A. Neumann, Die Polytechnische Schule und die Bauakademie, Ein Wort zur Tagesfrage, Berlin 1876. 36 DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit. 1,1. 37 Zs. d. VDI Jg. 1876, S. 624. 5"

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

zur Grundlage für einen weiteren Vorstoß des Vereins Deutscher Ingenieure in der Hochschulfrage geworden ist. Die Steigerung gegenüber den vorausgegangenen "Prinzipien", auf die dabei ausdrücklich Bezug genommen wurde, kam schon in dem gleichlautenden Titel von Grashofs Darlegungen und der anschließenden Resolution des Vereins zum Ausdruck: "Über die wünschenswerte Entwicklung der deutschen technischen Hochschulen und über Staatseinrichtungen zur geeigneten Verwendung akademisch gebildeter Techniker im öffentlichen Dienst38." Da man von der Staatsverwaltung selbst keine neuen Impulse zur Weiterentwicklung der Anstalten erwartete, sollte diese Resolution wiederum als eine gewichtige Kundgebung verstanden werden. Es entsprach ganz dem 50 Jahre zuvor von Ladomus ausgesprochenen Grundsatz von der Einheit der Technik als Organisationsprinzip, wenn erneut hervorgehoben wurde, daß diese Einheit der verschiedenen Zweige der Technik, wie sie sich in den jeweiligen Fachabteilungen darstellte, nur in der umfassenden Technischen Hochschule ihre organisatorische Entsprechung finde, analog zu der die einzelnen Fakultäten umspannenden Einheit der Universität. Die Fakultäten seien dort unter sich nicht gleichartiger als die Fachabteilungen einer vollständigen Technischen Hochschule. In diesem Zusammenhang fiel zum ersten Male das Wort von den Technischen Hochschulen als Bildungsanstalten zukünftiger "Generalstabsoffiziere der deutschen Industrie", ein Vergleich, der in der Folgezeit immer wieder- auch im Ausland- aufgegriffen wurde und am Ende des Jahrhunderts in den Auseinandersetzungen um die volle Gleichberechtigung mit den Universitäten und im Hinblick auf die Bestrebungen Felix Kleins noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Die Resolution des Vereins Deutscher Ingenieure wurde damit zu einer entscheideneu Forderung nach einheitlicher Gestaltung aller deutschen Anstalten überhaupt: "In Erwägung der hervorragenden Bedeutung, die der Technik im heutigen Kulturleben zukommt", so hieß es hier, "in Erwägung ferner der eine hohe geistige Reife erheischenden gesteigerten Aufgaben der leitenden Techniker im Staatsdienst und in der Privatpraxis und der ihnen gebührenden entsprechenden staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Stellung, in Erwägung endlich der engen Beziehungen zwischen den einzelnen technischen Fachrichtungen" halte der Verein Deutscher Ingenieure zum Zwecke einer erfolgreichen und insoweit einheitlichen Entwicklung folgende "Hauptgesichtspunkte" für geboten: 1. Vollständige Durchführung der Verbindung aller seither nach Berufsklassen und Fachrichtungen getrennten technischen Akademien zu umfassenden Technischen Hochschulen in allen deutschen Staaten; 38

Zs. d. VDI Jg. 1876, S. 625 ff.

2.

Der Verein Deutscher Ingenieure

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2. Zeugnis der Reife eines humanistischen oder Realgymnasiums; 3. Akademische Organisation, kollegialisch geordnete Leitung, Lehrund Lernfreiheit; 4. Anerkennung der Gleichwertigkeit der an allen deutschen Technischen Hochschulen betriebenen Studien insbesondere auch seitens der Staatsbehörden. Wenn Grashof schon früher von der Macht motivierter Überzeugungen und Meinungskundgebungen gesprochen hatte und vom kräftigen Einwirken auf die maßgebenden Stellen, so sollte er damit jetzt recht bekommen. Bald darauf beschloß das preußische Abgeordnetenhaus mit Zustimmung der Regierung die Vereinigung der Bau- und Gewerbeakademie zu einer Technischen Hochschule39• In diesem Zusammenhang war es im zuständigen Handelsministerium und im Abgeordnetenhaus zu grundsätzlichen Erörterungen über Rang und Stellung der Technischen Hochschulen gekommen. Die vom Handelsministerium beiden Häusern des Landtages zu Beginn der Session 1878/79 überreichte Denkschrift stand ganz auf den Grundsätzen Grashofs und der von ihm formulierten Entschließung des Vereins Deutscher Ingenieure40 • Sie gipfelte in dem Hinweis auf die notwendige Übertragung "der an den Universitäten seit langer Zeit eingeführten Form auf die Technischen Hochschulen". Weder in den Kommissionsberatungen noch in den Debatten der Plenarversammlung erhob sich dagegen Widerspruch. Zu dem vorgelegten Statut der neuen Anstalt stellte man fest, es verleihe ihr den Charakter einer "technischen Universität" 41 • Man vermißte freilich ausdrücklich eine Stellungnahme des Kultusministeriums. Das von Handelsminister Achenbach erlassene provisorische Verfassungsstatut vom 17. März 1879 war den Forderungen des Vereins Deutscher Ingenieure in allen wichtigen Punkten entgegengekommen und begründete die relative Selbständigkeit der Fachabteilungen in Analogie zu den Universitätsfakultäten, Vorschlags- und Berufungsrecht, Selbstverwaltung der Hochschule und das Wahlrektorat Mit Recht wertete man die dadurch erfolgende eigentliche Begründung der Berliner Technischen Hochschule, die damit zur größten deutschen Anstalt wurde, als einen höchst wichtigen Schritt für das gesamte Hochschulwesen. Preußen besaß jetzt insgesamt 3 Hochschulen, die dortigen Verhältnisse mußten künftig maßgebend für alle übrigen sein. 39 Das technische Unterrichtswesen in Preußen, Sammlung amtlicher Aktenstücke des Handelsministeriums, Berlin 1879, S. 1 ff. 40 Denkschrift des Handelsministeriums, in: Sammlung amtlicher Aktenstücke, a. a. 0 ., S. 4 ff. 41 Plenarverhandlungen des Hauses der Abgeordneten, abgedruckt ebd.,

8.117.

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

3. Der Übergang der preußischen Technischen Hochschulen in den Amtsbereich des Kulturministeriums Im Zusammenhang mit der Vereinigung der Berliner Akademien kam es auch zur Klärung eines jahrzehntelangen Ressortstreites. Während in Preußen für das gesamte Schulwesen und für die Universitäten das 1817 gegründete Ministerium der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten zuständig war, fielen die Polytechnischen Schulen, Bauund Gewerbeakademie zusammen mit dem gesamten technischen Schulwesen in den Verwaltungsbereich des Handelsministeriums1 • Schon früh hatte es zwischen den beiden Ministerien in bezug auf die höheren technischen Anstalten Kompetenzstreitigkeiten gegeben. In dem Maße, wie sie sich über einen im engeren Sinne technischen Fachbereich hinaus erweiterten, mit dem Ausbau ihrer mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen und der Angliederung von "Bildungsfächern", schließlich im Hinblick auf die wichtigen Fragen der Vorbildungsschulen, wurden indessen zunehmend die allgemeinen "Unterrichtsangelegenheiten" und damit der Bereich des Kultusministeriums berührt. Bei den Auseinandersetzungen der Ressorts ging es letztlich um die Auffassung, ob die technischen Hochschulen als reine Fachanstalten oder als umfassende allgemein-wissenschaftliche Institute anzusehen waren, damit um die Frage nach ihrer Zuordnung zu den Universitäten, im Grunde um die Anerkennung dessen, wie es Franz Grashof ausgedrückt hatte, "daß es sich dabei nicht um ein speziell technisches, sondern wesentlich zugleich um ein allgemeines Culturinteresse handelt"=. Im Verein Deutscher Ingenieure empfand man es seit langem als unangemessen, ja diskriminierend, daß das technische Hochschulwesen nicht vom Kultusministerium ressortierte, wenngleich das Handelsministerium, wie die Erfahrung lehrte, den Forderungen der Ingenieure wesentlich aufgeschlossener gegenüberstand. Bereits in der Eingabe aus dem Jahre 1867 hatte man die Ressortverhältnisse als einen unbegreiflichen und beschämenden Zustand bezeichnet3 • Der Ressortstreit hatte sich in den 40er Jahren insbesondere an dem vom Handelsminister beanspruchten Recht entzündet, Professoren für die technischen Anstalten zu ernennen. Mit der Eingliederung der Polytechnischen Schule Hannover nach 1866, der Gründung des Aachener Institutes und den Verfassungs- und Organisationsveränderungen, die auf den Hochschulstatus hinausliefen, verstärkten sich die Meinungsverschiedenheiten. Jahre• Vgl. K. H. Manegold, Das "Ministerium des Geistes". Zur Organisation des Preußischen Kultusministeriums, in: Die Deutsche Berufs- und Fachschule, Bd. 63, 1967, S. 512 ff. Zs. d. VDI J g. 1876, S. 634. 3 DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit I 1.

3. Der Obergang der preußischen Technischen Hochschulen

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lange Kommissionsverhandlungen endeten 1871 mit der Regelung, daß der Kultusminister bei der Ernennung von Professoren für Mathematik, Physik und Chemie sowie für alle allgemeinen Wissenschaften mitzuwirken habe. Der Handelsminister sollte nur die Professoren der technischen Fächer selbständig ernennen4• Nach dem Vorstoß des Vereins Deutscher Ingenieure und mit der Errichtung einer einheitlichen Technischen Hochschule in Berlin entflammte der "Ressortkrieg", wie er im Abgeordnetenhaus genannt wurde, von neuem. Handelsminister Achenbach vertrat die Auffassung, daß die ganze Angelegenheit eine Beteiligung des Kulturressorts ausschloß. Kultusminister Falk machte jetzt demgegenüber geltend, daß die Errichtung einer Technischen Hochschule für den gesamten höheren Unterricht von so großer Bedeutung sei, daß schon deshalb sein Ministerium damit befaßt werden müsse5 • Als Achenbach im gleichen Zusammenhang auf Drängen der Ingenieure die amtliche Gleichstellung der Professoren der Hochschulen mit den Universitätsprofessoren betrieb und für sie Bezeichnung und Rang von "ordentlichen" Professoren verlangte, bedurfte es dazu der Zustimmung des Kultusministers, und Falk nahm dies zum Anlaß, um nun ganz allgemein die Frage nach dem Verhältnis von Technischer Hochschule und Universität aufzuwerfen. Seine Stellungnahme6 spiegelte nicht nur die Ansicht seines Ministeriums, sondern entsprach überhaupt weitgehend den Auffassungen, wie sie von seiten der Universitäten gegenüber solchen Bestrebungen vertreten wurden. Falk widersetzte sich energisch der "anscheinend gewünschten Gleichstellung" beider Anstalten und betonte ihre "grundsätzlichen Unterschiede". Die Technische Hochschule charakterisierte er als höhere Unterrichtsanstalt zur praktischen Ausbildung unmittelbar für praktische Berufe und mit schulmäßig gebundenem Lehrbetrieb. Abgesehen von der, wie er meinte, entscheidenden Differenz in der Lehrweise, bezeichnete er es als fundamentalen Vorzug der Universität, daß sie überhaupt nicht lediglich Unterrichtsanstalt sei, vielmehr bestimmungsgemäß die Wissenschaft um ihrer selbst willen pflege. Die äußere Gleichstellung des Lehrpersonals der in ihrem Grundwesen verschiedenen Anstalten bringe zwangsläufig die Gefahr mit sich, die Empfindung für diese wesentliche innere Verschiedenheit abzuschwächen, und er erklärte: "Dazu kann und darf es nicht kommen." Vergeblich versuchte Achenbach geltend zu machen, daß in anderen deutschen Staaten eine weitgehende dienstliche Gleichstellung der Professoren entweder schon erreicht sei, oder gerade eingeführt werde, und er wies auf die Schwierigkeiten hin, 4

5 8

DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit 3, Nr. 1. Falk an Achenbach 20. Juni 1876, DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 4 Tit 1, Nr. 4. DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit 3 Nr. 1.

72

Il. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

die sich zum Nachteil für Preußen etwa bei Berufungen ergeben müßten. Die ausgedehnten Verhandlungen, die in einem umfangreichen Aktenverkehr ihren Niederschlag fanden 7 , zeigten deutlich, welche höchst diffizilen Fragen damit aufgeworfen worden waren und welche Interessen und Empfindlichkeiten hier berührt wurden. Abgesehen von den rein verwaltungsrechtlichen und formalen Gründen und Gegengründen, die beide Seiten vorbrachten, hatte sich das Handelsministerium weitgehend die Forderungen und Auffassungen der Techniker zu eigen gemacht, während die Argumentation der Kultusverwaltung sich im wesentlichen ganz in den idealistisch-neuhumanistischen Kategorien einer prinzipiellen Unterscheidung von "bloßer Fachausbildung" und "Bildung durch reine Wissenschaft" bewegte, die grundsätzliche Trennung der Technik als lediglich praxisbezogener Anwendung naturwissenschaftlicher Ergebnisse von der wissenschaftlichen Erkenntnis um ihrer selbst willen betonte und so die Forderung nach gleichem Rangverhältnis und Amtscharakter der Professoren an Technischen Hochschulen und Universitäten zum Angelpunkt grundsätzlicher Überlegungen machte. Eine Einigung konnte deshalb in dieser Zeit nicht erzielt werden. Unmittelbar nach der Vereinigung der Berliner Anstalten kam es aber insofern zu einem Ende des "Ressortkrieges", als mit dem gesamten technischen Schulwesen auch die Technischen Hochschulen8 der Verwaltung des Kultusministeriums zugewiesen wurden9• Anlaß dazu waren indessen nicht die Forderungen der Ingenieure, sondern die nach Bismarcks Intentionen erfolgte Teilung des Handelsressorts und die Errichtung eines selbständigen Ministeriums für öffentliche Arbeiten10• In dem neuen Handelsministerium sollte es keine Unterrichtsabteilung mehr geben, ebenso schien es ausgeschlossen, das technische Unterrichtswesen dem Bautenministerium zu übertragen, wenn es auch an solchen Vorschlägen nicht gefehlt hat. Die Haltung der Kultusverwaltung wandelte sich nach dem gleichzeitigen Rücktritt Falks nur sehr allmählich. Der von den Hochschulen bald erneuerte Antrag führte hier erst Jahre später zu einem positiven Votum. Noch lange war man der Ansicht, daß es für eine allgemeine Rangangleichung noch zu früh sei, daß den Technischen Hochschulen dafür das "Moment der historischen Bedeutung" und die "Universalität des wissenschaftlichen Charakters" fehle 11 • Dennoch war DZA Rep. 76 Vb, ebd. Noch nicht amtlich und offiziell, aber doch im internen Betrieb wurden sie im Handelsministerium schon seit Anfang der 60er Jahre so bezeichnet. 9 Sammlung amtlicher Aktenstücke, a. a. 0., S. 98 ff. 10 Vgl. Rudolf Morsey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck, Münster 1957, S. 154. u Erst im Jahre 1892 kam es durch Wilhelm II. zu einem Erlaß (vom 20. 4. 1892, DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit 3 Nr. 1) der die Rangangleichung der T. H. 7

8

3. Derübergang der preußischen Technischen Hochschulen

73

mit ihrer Überweisung in den Amtsbereich des Kultusministeriums eine wichtige Voraussetzung für das erstrebte Ziel einer vollen Gleichberechtigung mit den Universitäten erreicht. Die organisatorische Entwicklung der technischen Anstalten zu wissenschaftlichen Hochschulen mit akademischen Statuten, in weitgehender Annäherung an die Formen der Universität, war bis zu Beginn der 80er Jahre zu einem bestimmten Abschluß gekommen. Nicht zuletzt Initiative und Bemühungen des Vereins Deutscher Ingenieure hatten dazu beigetragen. Zwischen dem Vorstoß des Vereins im Jahre 1864 und der Errichtung der einheitlichen Hochschule in Berlin erreichten alle deutschen Polytechnischen Schulen die Hochschulverfassung im Sinne jener programmatischen Beschlüsse. Mit Recht sprach Professor Launhardt, der Nachfolger Karmarschs in Hannover, von dem "Sturmlauf zur Gewinnung einer den Universitäten ebenbürtigen Stellung" 12• Karlsruhe war auch diesmal vorangegangen. Bereits 1865 wurde dort ein neues Organisationsstatut erlassen, das der Polytechnischen Schule die volle Hochschulverfassung einräumte, die Bezeichnung "Technische Hochschule" erhielt sie freilich erst 188513• München folgte 186814 und mit dem Namen 1877. Im gleichen Sinne erhielt Dresden 1871 ein neues Organisationsstatut15, die amtliche Benennung jedoch erst 189016• 1876 folgte Stuttgart17, mit dem Namen indessen auch erst im gleichen Jahre wie Dresden18• Im Jahre 1877 folgten schließlich die Polytechnischen Schulen Darmstadt19 und Braunschweig20, und die Vereinigung von Bau- und Gewerbeakademie zur Technischen Hochschule Berlin 1879 brachte ebenfalls den beiden anderen preußischen Polytechniken Hannover und Aachen die Hochschulverfassung und amtliche BezeichProfessoren mit denen der Universität unter bestimmten Einschränkungen aussprach. 12 Wilhelm Launhardt, Die kgl. T. H. zu Hannover, Hannover 1881. 13 Schnabel, Anfänge, a. a. 0., S. 41. 14 In Bayern wurden die Polytechnischen Schulen Augsburg und Nümberg .z u Industrieschulen umgewandelt und in München eine umfassende Anstalt neu organisiert. Vgl. Die deutschen Technischen Hochschulen, a. a. 0., S. 233. Im ganzen entsprach die Definition ihrer neuen "organischen Bestimmung" in der Folge auch den Bestimmungen der übrigen Anstalten: "Die Polytechnische Schule zu München ist eine technische Hochschule und gewährt eine vollständige theoretische Ausbildung für den technischen Beruf in den für eine Allgemeinbildung erforderlichen Kenntnissen und in denjenigen Disziplinen, welche auf den exakten Wissenschaften und zeichnenden Künsten beruhen." 15 Festschrift 125 Jahre T. H. Dresden, Dresden 1953, S. 43. 16 Ein Jahrhundert sächsische T. H., a. a. 0., S. 16. 17 Festschrift Stuttgart 1879, a. a. 0., S. 14. 18 Lexis, a. a. 0., IV 1, S. 250. 19 Festschrift Darmstadt 1886, S. XX. 20 W. Schneider, (Hg.) Die T. H. Braunschweig, Berlin 1963, S. 41.

74

li. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

nung21 • Noch blieben zwar manche organisatorische Verschiedenheiten zwischen ihnen bestehen, insgesamt hatten aber alle Polytechniken bis zum Jahre 1880 als Hochschulen einen festen Standort im öffentlichen Unterrichtswesen errungen. Das nächste Jahrzehnt galt hier mehr der inneren Festigung ihrer neuen Position. Noch fehlten weiterhin viele Berechtigungen und Attribute im Vergleich mit den Universitäten, und von einer allgemeinen Gleichachtung beider Arten von Hochschulen konnte noch keineswegs die Rede sein. Beflügelt von ihrer stetig zunehmenden Bedeutung für den industriellen Aufstieg stand mit stärkerem Selbstbewußtsein das Streben nach voller Gleichstellung und Ebenbürtigkeit jetzt aber erst recht im Vordergrund. Nicht ohne Einfluß der voraufgegangenen Schritte des Vereins Deutscher Ingenieure kam es nach einer vorbereitenden Konferenz in Dresden Ende März 1880 in Berlin zur ersten Versammlung von Delegierten aller deutschsprachigen Technischen Hochschulen22 • Stolz über das bisher Erreichte stellte man hier unmißverständlich fest, daß die technische Wissenschaft jetzt einen Umfang und eine Bedeutung erlangt habe, die weder eine geringere Begabung und Mühe, noch eine geringere Stufe derallgemeinen Vorbildung zu ihrem Studium voraussetze. Mit Schärfe wandte .man sich gegen den von manchen Universitätsgelehrten immer erneut erhobenen Vorwurf, die Technischen Hochschulen seien Zwangsstätten materialistischer Anschauungen, die durch einseitige Betonung des Nützlichkeitsprinzips keinen Platz gewährten für ideale wissenschaftliche Auffassungen. "Sie alle wissen", so rief der Berliner Rektor Professor Wiebe der Versammlung in seiner Begrüßungsansprache zu, "daß die Ergebnisse der exacten technischen Wissenschaften nicht weniger Wohltaten für die Menschheit umfassen als irgendwelche Ergebnisse der Speculation." In den Beratungen der Versammlung23 ging es um die Aufnahmebedingungen, gleichartige Prüfungen, überhaupt um weitgehende Angleichung und .um die Möglichkeit eines freizügigen Wechsels der Studenten zwischen den einzelnen Hochschulen. Das Hauptergebnis der Verhandlungen aber war der gemeinsame Beschluß: "Es ist darauf hinzuwirken, daß den Technischen Hochschulen das Recht der Verleihung des Doktorgrades zuerkannt wird." Er war auf Antrag des Wiener Delegierten Professor Leopold Hauffe zustande gekommen, eines später berühmten Maschinenbauers und versetzte die Versammlung nach dessen eigenen Bericht in die "höchste und freudigste Erregung" 24 • Nur die Veru Ahnliehe Umgestaltungen erfuhren im gleichen Zeitraum auch die Österreichischen Polytechnischen Institute in Prag, Wien, Graz und Brünn. 22 Zs. d. VDI Jg. 1880, S. 147. 23 Vgl. Wochenblatt für Architekten und Ingenieure, 1880, S. 129 f. 24 Neuwirth, Gedenkschrift, a. a. 0., S. 309; Titelfrage und Berufsschutz hatte die Techniker in Osterreich seit langem nicht weniger bewegt als in

4. Der soziale Standort der Ingenieure

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Ieibung des allgemein anerkannten Titels "Doktor", so wurde argumentiert, werde dem Techniker jene "exceptionelle gesellschaftliche Stellung" und einen staatlichen Schutz gegen unberufene Elemente gewähren, die seiner Bedeutung gebühre25• Zu dieser Zeit konnte einer solchen Forderung indessen nicht mehr als ein programmatischer Wert zugesprochen werden, noch schien ein derartiger Einbruch in die traditionsgeheiligte Gerechtsame der Universität undenkbar. Bald sollte diese Forderung aber zur Kardinalfrage der "Technikerbewegung" werden, wie Felix Klein die Aufstiegsbestrebungen der Technischen Hochschulen und der Ingenieure genannt hat, die im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts ihrem Höhepunkt zustrebte. Es dauerte freilich noch zwanzig Jahre, bis dieses Ziel erreicht wurde. Auf seiten der zuständigen preußischen Behörden ist die Frage des Promotionsrechtes bis zum Ende des Jahrhunderts niemals ernsthaft erwogen worden. Preußen aber mußtehier vorangehen. 4. Der soziale Standort der Ingenieure Die Ingenieurberufe, bis zur Jahrhundertmitte noch kaum von sehr erheblicher Bedeutung, seien inzwischen im Begriff, schnell zu einer wichtigen und einflußreichen Position aufzusteigen, stellte im Jahre 1880 der berühmte, in allen Hochschulfragen stark engagierte Berliner Chemiker August Wilhelm von Hofmann fest und hob dabei mit Recht hervor, "sie sind in dieser Zeit zum Bewußtsein ihrer Stellung gelangt" 1 • In den Bereich der wissenschaftlichen Berufszweige waren die Inge.,. nieure als neues Element eingetreten. Mit dem Aufstieg der Technischen Hochschulen und den nicht zuletzt dadurch stärker entfachten Diskussio., nen über die "Kulturbedeutung" der Technik und ihrer geistigen Gleichberechtigung mit anderen "Kulturfaktoren" war die Frage nach dem sozialen Standort der "akademischen" Techniker untrennbar verbun,. den2 • Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten, Gleichachtung der technischen Wissenschaften, Gleichberechtigung der realistischen Bildung, das alles sollte für die Ingenieure vor allem Deutschland. Kurz vor der Berliner Versammlung war es von Kreisen des Wiener Polytechnischen Institutes zu der Petition an den Österreichischen Reichsrat gekommen, die T. H. zu ermächtigen, den akademischen Grad eines Doktor und die damit verbundenen bürgerlichen Rechte zu verleihen. Die Wichtigkeit der Ingenieurberufe für "Cultur und Staat" lasse dies als hinreichend berechtigt erscheinen. ts Zs. d. VDI Jg.1880, S. 147. 1 A. W. v. Hofmann, Die Frage der Teilung der philosophischen Fakultät, Berlin 1880, S. 29. 2 Vgl. Franz Reuleaux, Kultur und Technik, a. a. 0.; Adolf Ernst, Kultur und Technik, Stuttgart 1888.

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li. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

auch eine entsprechende dienstliche und gesellschaftliche Ebenbürtigkeit in der traditionellen akademischen Welt bedeuten, ihre Integration in den Kreis der älteren "gelehrten" Berufe und ebenso eine entsprechende Stellung im staatlichen Leben, in Regierung und Verwaltung. Ein neuer, bald kräftiger hervortretender Stand von "Studierten", die anwachsende Gruppe wissenschaftlich geschulter Ingenieure, schob sich zwischen die aus den Universitäten hervorgegangenen "Gebildeten". Als "Standes-", "Gesellschafts-" und schließlich als "Titelfrage" kam ihr sozialer Geltungsanspruch seit der Jahrhundertmitte mit zunehmendem Selbstbewußtsein und mit stetig wachsender Entschiedenheit zum Ausdruck. Ihr soziales Selbstverständnis mußte mit dem Rang und der sozialen und wissenschaftlichen Einschätzung ihrer Bildungsstätte auf das engste verbunden sein, ihr gesellschaftliches Bild erschien abhängig von Stellung und Anerkennung der Technischen Hochschule. Die als "Kampf des Ingenieurs um die Anerkennung in Staat und Gesellschaft" betrachteten und so bezeichneten Aufstiegsbestrebungen, sie nahmen am Ende des Jahrhunderts geradezu agitatorische Züge an, widerspiegelten sich in allen Zeitschriften des mit zunehmender fachlicher Differenzierung vielfältiger und umfangreicher werdenden technischen Vereinswesens, ebenso in vielen öffentlichen Äußerungen an den Technischen Hochschulen und in zahlreichen diesbezüglichen Publikationen. Max Maria von Weber, einer der führenden deutschen Eisenbahntechniker3, hatte bereits 1854 versucht, eine "Standortbestimmung" des Ingenieurs zu geben: "Mitten inne stehend zwischen dem Stande der Gelehrten, der Künstler, der Kaufleute und Gewerbetreibenden, allen verwandt und doch von allen durch das ihm innewohnende eigene Element geschieden, einen Teil des Wissens und Materials aller dieser Stände bedürfend und doch immer in Ungewißheit über das Maß dieser Bedürfnisse gelassen, von den alten Ständen als unbequemer Neuling betrachtet, eine Weltstellung einnehmend, deren Mißlichkeit und Unsicherheit ganz außer Verhältnis zu dem Gewicht steht, das er jetzt im statischen Bau des Völkerlebens repräsentiert4 ." Das war eine durchaus gültige und zugleich charakteristische Bestimmung. Die Unsicherheit über den sozialen Standort wurde noch bis weit über die Jahrhundertmitte hinaus, bei dem Fehlen einer verbindlichen Ausbildungsqualifikation, durch die sehr heterogene Zusammensetzung der Ingenieure unterstrichen. Das galt zunächst sowohl für die Spielbreite ihrer fachlich-beruflichen Tätigkeit5 als auch, und dies blieb so in der Folgezeit, für die soziale Ein Sohn des Komponisten, oft als ,.Dichteringenieur" apostrophiert. Max Maria v. Weber, über Bildung der Techniker und deren Prüfung für den öffentlichen Dienst, in: Der Civilingenieur, Jg. 1854, S. 99. 5 So lauteten die Berufsbezeichnungen der Unterzeichner des Gründungsprotokolls des VDI im Jahre 1856 u. a. Ingenieur, Techniker, Chemiker, Hüttenmeister, aber auch Maurermeister und Zimmermeister. 3 4

4. Der soziale Standort der Ingenieure

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Differenziertheit in Privatangestellte, Beamte und Unternehmer-Ingenieure, eine Differenzierung, die auch innerhalb der Technikerschaft zu Spannungen führen mußte. Mit der fortschreitenden Angleichung der technischen Anstalten und ihrer Anerkennung als Hochschulen, mit der Forderung nach bestimmter reglementierter Wissensqualifikation für die technischen Staatsdienste und besonders für das Eisenbahnwesen bot die Berufsgruppe der Ingenieure trotz fehlenden Berufsschutzes dann aber bald eine einheitliebere Erscheinungsform. Die Absolventen der Polytechnischen Schulen und schließlich der Technischen Hochschulen wurden indessen noch lange als "höhere ouvriers" angesehen und mußten sich nach ihrer eigenen Überzeugung auf dem Feld sozialer Geltung erst gegen den beharrenden Widerstand der älteren akademischen Berufsstände, gesellschaftlichen Auffassungen und Vorurteile und staatlicher Verwaltungspraktiken durchzusetzen suchen. Die soziale Bewertung der Ingenieure war nicht vergleichbar mit der des Juristen, Philologen oder Mediziners. Der Dresdener Mathematiker Schloemilch schilderte diese Verhältnisse in einer Eingabe aus dem Jahre 1868: "In der gebildeten Gesellschaft unserer Zeit gilt der Techniker als Parvenü und unberechtigter Eindringling." Dieser "traurige Zustand" erkläre sich nicht aus der Unkenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen der Technik, denn die "Gesellschaft" verstehe in der Regel ebensowenig von den wissenschaftlichen Grundlagen des Rechtes oder der Medizin8 • Seit den siebziger Jahren wies man immer wieder auf die ungleich größere Anerkennung hin, die in England und Frankreich dem Ingenieurberuf entgegengebracht wurde. Dort schien das Ingenieurwesen den Stempel voller Gleichwertigkeit mit den "gelehrten" Berufen zu besitzen. In diesen Ländern der "ältesten technischen Cultur" gab es für den Techniker keine Hindernisse zu einer "sozialen Assimilierung". Hier, so glaubte man, war im Gegensatz zu Deutschland längst eine "vollständige Resorption" der neuen Berufsklasse in das staatliche Leben und in die "gebildete bürgerliche Gesellschaft" erfolgt7 • Neidvoll blickte man auf die Rolle des Ingenieurs im öffentlichen Leben Frankreichs. Dort fand man unter den höchsten Beamten und Politikern eine lange Reihe von Ingenieuren, die gemäß ihrer Stellung in der Staatswirtschaft auch einen entsprechenden Einfluß in Regierung und Verwaltung besaßen. Dagegen blieb in Deutschland die Vertretung der Technik etwa in den Parlamenten "fast so gut wie Null" 8 , und die Techniker rangierten in den Verwaltungen auf allen Ebenen stets hinter dem Juristen. Vgl. 125 Jahre T. H. Dresden, Festschrift, Dresden 1953, S. 41. Vgl. Max Maria v. Weber, Die Stellung der deutschen Techniker im staatlichen und sozialen Leben, Wien u. Leipzig 1877, S. 9 ff. 8 Ebd., S. 27; dazu Georg Biedenkapp, Der Ingenieur, seine kulturelle, gesellschaftliche und soziale Bedeutung, Stuttgart 1910, S. 25. 6

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

Rang und Stellung der Ingenieure und der Technischen Hochschulen setzte man häufig genug gleich mit Ansehen und Bewertung der Industrie schlechthin9 • Als eine besonders gewichtige Stimme in der Vielzahl der Äußerungen konnte hier die Stellungnahme von Werner Siemens, Ehrenmitglied des Vereins Deutscher lngenieure10, angesehen werden. In seiner berühmten Denkschrift zum Patentwesen aus dem Jahre 1876 an Bismarck verwies auch er auf die hohe soziale Stellung der Ingenieure in den westeuropäischen Industriestaaten und ihren "gewaltigen Einfluß" auf die Staatsverwaltung, zumindest in allen Angelegenheiten der Technik und Industrie. Dort würden sie zu den höchsten Ehrenstellen des Staates berufen, während sie in Deutschland ohne Ansehen und Einfluß seien. "Bei uns ist im Staatsorganismus kein Platz für den Ingenieur", so urteilte Siemens und sprach von ihrer staatlichen und sozialen Minderachtung, die dazu führe, daß sie sich mißmutig von den öffentlichen Angelegenheiten zurückzögen. Das Fehlen einer ausreichenden gesetzlichen Regelung des Patentwesens stellte er geradezu als Indiz für die Mißachtung der Ingenieurarbeit hin11 • Stolz hob man im Verein Deutscher Ingenieure immer wieder die technischen Erfolge hervor, um andererseits die Diskrepanz aufzuzeigen, daß die Schöpfer dieser die Machtgrundlage des Staates bildenden Leistungen vergeblich eine den übrigen Akademikern ebenbürtige Stellung in Staat und Öffentlichkeit erwarteten12• Man lehnte es ab, anders behandelt und beurteilt zu werden als jene Berufe, die ein wissenschaftliches Studium an der Universität voraussetzten: "Wir erklären, daß die deutschen Ingenieure für ihre allgemeine Bildung dieselben Bedürfnisse haben und derselben Beurteilung unterliegen wollen wie die Vertreter der übrigen Berufszweige mit höherer wissenschaftlicher Ausbildung", so hieß es in einer Resolution, die der Verein Deutscher Ingenieure zur Frage der Gleichberechtigung von Realschulen und Gymnasien veröffentlichte13, eine Angelegenheit, in der sich der Verein seit seiner Gründung auf das stärkste engagiert hatte14• • Häufig und mit besonderer Schärfe kam das in dem der Schwerindustrie nahestehenden Organ des 1881 aus dem VDI ausgegliederten Vereins Deutscher Eisenhüttenleute zum Ausdruck, in der Zs. ,.Stahl und Eisen". 10 Wegen seiner Verdienste ,.um die Hebung des Ingenieurwesens, sowie aus besonderer Hochachtung", Zs. d. VDI, Jg.l873, S. 574 und S. 629. 11 Werner Siemens, Denkschrift (zum Patentwesen), Anlage 4 zum Sendschreiben an den Reichskanzler Fürsten Bismarck vom 8. 4. 1876; Siemensarchiv München. Vgl. dazu auch Zs. d. VDI, Jg. 1876, S. 634. u Vgl. Über die soziale Stellung der Techniker, Zs. d. VDI, Jg. 1878, s. 342 ff. 13 Zs. d. VDI, Beilage März 1886. 14 Vgl. Bericht über die 27. Hauptversammlung, Zs. d. VDI, Jg. 1886, s. 869 ff.

4. Der soziale Standort der Ingenieure

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Man wehrte sich heftig dagegen, daß die Ingenieurarbeit nicht als geistig gleichberechtigt mit jeder anderen wissenschaftlichen Tätigkeit angesehen wurde15• Es gibt noch keinen Ruhm für den deutschen Techniker, im Bereich der Bildung ist man noch nicht einmal verpflichtet, von der Technik Kenntnis zu nehmen, so lautete die oft vorgebrachte Beschwerde. Insgesamt blieb es immer die gleiche, mit wachsender Schärfe vorgetragene Argumentation, die die nicht abreißenden Erörterungen beherrschten. Ebenso konstant wie die Überzeugung von der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung blieb im Grunde als Rezept dafür, was man selbst zur Überwindung der sozialen Unterbewertung tun könne, die Forderung nach größerer "allgemeiner Bildung", entsprechend nach Ausbau der Technischen Hochschulen in den "Bildungsfächern" und nach strengerem "Corpsgeist" der Ingenieure18• Der soziale Geltungsanspruch der Ingenieure, angefeuert von dem scheinbar unbegrenzten Aufstieg der "technischen Kultur" schien im ganzen auf die Ablehnung und Geringschätzung der "gebildeten Kreise des Volkes", der etablierten, "studierten" Berufe, zumindest der Repräsentanz von Geist und Bildung an den Universitäten zu stoßen. Für eine von traditionellen, philosophischen und historisch-ästhetischen Kategorien bestimmte Bildungswelt mochten Technik und Technische Hochschulen minderrangig sein. Hier übersah man die wissenschaftlichen Potenzen und verkannte die ethischen, sittlichen und sozialen Kräfte der Technik, die man vielmehr in einer vermeintlich notwendigen geistigen Verwandtschaft zu flachem Materialismus und Utilitarismus stehen sah. Dagegen fühlten sich viele Techniker mit zunehmendem antiidealistischem und antihumanistischem Akzent als "wesentlichste Träger und Förderer der neuen Kultur" 17, als eine Elite des unaufhaltsamen Fortschritts und wichtigste Stütze der wirtschaftlichen Macht des Staates, somit überhaupt als Vertreter des eigentlich verantwortlichen Standes in der modernen Zeit. Ihr ungestümes und streitbares Drängen nach Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit versteifte die Fronten. Im Sinne u Vgl. Adolf Ernst, Kultur und Technik, Stuttgart 1888; Josef Popper, Die technischen Fortschritte nach ihrer ästhetischen und kulturellen Bedeutung, Leipzig 1889. 18 Das hat sich bis zur Gegenwart nicht geändert. Immer wieder suchten die Ingenieure die Frage zu beantworten, welche soziale Stellung ihnen eingeräumt wird und nach dem Grund ihrer wirklichen oder vermeintlichen geringeren gesellschaftlichen Anerkennung im Vergleich zu anderen "Kulturberufen". Nach einer neueren Untersuchung sehen mehr als ein Drittel der Ingenieure die vermeintliche soziale Unterbewertung begründet in ungenügender "allgemeiner Bildung" und in "fehlendem Solidaritätsgefühl". Vgl. Der deutsche Ingenieur in Beruf und Gesellschaft, VDI Information Nr. 5, Düsseldorf 1959; dazu H. Ktages und G. Hortteder, Gesellschaftsbild und soziales Selbstverständnis des Ingenieurs, Schmollers Jahrbuch, 85. Jg., H. 6, 1966, s. 661 ff. 17 Egon Zöller, Die Bedeutung der Technik und des technischen Standes in der Kultur, a. a. 0., S. 22 f.

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

der vorherrschenden Wissenschafts- und Bildungsauffassung schienen jedenfalls Technik und Techniker nach wie vor am weitesten vom "Zentrum des Geistes" entfernt zu sein. Für die antitechnische Kulturkritik hatte der "bloße Erfinder und Entdecker im gewerblichen Fach", im Gegensatz zum wahren Wissenschaftler, Künstler und Philosophen "es eben nicht mit dem Weltganzen zu tun" 18• Die Welt der Technik und wahre Bildung durch Wissenschaft, Industrie und Geist schienen nur schwer vereinbar. Nachdem es zu keiner Synthese gekommen war, waren Rangstreit, sozialer Anspruch und Titelfragen nur ein Ausdruck für den unabhängigen Aufstieg der Ingenieure, Teil der Auseinandersetzung zwischen Realismus und Idealismus, von Technik und traditionsgefestigtem Bildungshumanismus. Nach diesem Denkschema wurde jedenfalls die "Technikerfrage" von den Beteiligten selbst zumeist verstanden. Auf der Seite der Techniker vermischte sich hier das Minderwertigkeitsgefühl des "Nachgeborenen", des homo novus, mit dem pionierhaften, vom Erfolg bestärkten Überlegenheitsbewußtsein dessen, der die Zukunft für sich zu gewinnen glaubt. Auf der anderen Seite verknüpfte sich nicht weniger paradox vielfach ein Überlegenheitsbewußtsein historisch-humanistischer Bildung und "ewiger Werte" mit dem Gefühl gegenüber jenerneuen Welt zu unterliegen und auf die Dauer unhaltbare Positionen verteidigen zu müssen. Im ganzen schien es, als ob die Technik sich in ihrer Entfaltung nicht einfach friedlich und harmonisch den anderen geistigen Grundrichtungen einordnete. Sie schied sich zugleich von ihnen und stellte sich ihnen entgegen, und es mochte scheinen, nahm man die Äußerungen mancher Techniker ernst, daß sie nicht auf ihrer eigenen Norm beharrte, sondern drohte, diese Norm absolut zu setzen. Wo man bis zur Jahrhundertwende auch immer in den zahllosen Erörterungen die Standesproblematik und die "Technikerfrage" bei den Ingenieuren aufgriff, stets wurde damit die Forderung verbunden, die der Berliner Bautechniker Egon · Zöller bündig auf die Formulierung brachte: "Es ist eine aus der Bedeutung der Technik für die Kultur sich unabweisbar ergebende Forderung, daß die Technischen Hochschulen den Universitäten vollständig ebenbürtig sein müssen19. " 5. Die "nationalen" Leistungen der Technischen Hochschulen Es ist schon dargelegt worden, daß die Technischen Hochschulen bis zu Beginn der achtziger Jahre einen bestimmten Abschluß ihrer allgemei18 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, eingeleitet von Hermann Heimpel, Berlin 1960, S. 163. 19 Egon ZöHer, Die Bedeutung der Technik und des technischen Standes in der Kultur, a. a. 0., S. 23.

5. Die "nationalen" Leistungen der Technischen Hochschulen

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nen Organisation erreicht hatten, und daß das folgende Jahrzehnt zunächst mehr der Festigung der errungenen Position galt. Für die Entwicklung der technisch-wissenschaftlichen Lehre, für ihre innere Ausgestaltung in der Beziehung zwischen den sich festigenden und sich zugleich immer mehr differenzierenden technischen Fächern zu Mathematik und Naturwissenschaft und zur technischen Praxis waren längst die rapiden Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik selbst maßgebend geworden. Seit Anfang der neunziger Jahre kam die innere wie äußere Entwicklung der Hochschulen, der gesamte Komplex ihrer Stellung zu den Universitäten, die Frage der Gleichberechtigung, ihres wissenschaftlichen Ranges, die Frage nach gesellschaftlichem Ansehen und sozialer Bedeutung stärker in Fluß. Die "Technikerbewegung" trat in ein neues und für die Hochschulen höchst bedeutsames Stadium ein. Die allgemeine Industrieproduktion und Exportfähigkeit, die Förderziffern von Kohle und Erz, die Verarbeitung von Stahl, Maschinenbau und Schiffbau wurden stärker als zuvor zu Maßstäben nationaler Macht und internationaler Geltung. Deutlicher als vorher schien sich zu zeigen, daß die Technischen Hochschulen naturgemäß einen stärkeren unmittelbaren Anteil an dem wirtschaftlichen Aufstieg hatten als die Universitäten, an dem Erreichen und Überholen des technisch-industriellen Standards der bis dahin so überlegenen westeuropäischen Länder. Die deutschen Universitäten, unbestritten in ihrem hohen Ansehen, hatten Weltgeltung errungen. Die Technischen Hochschulen brauchten da nicht zurückzustehen, schienen ihre Erfolge doch nicht weniger greifbar, ihre Auswirkungen aber noch deutlicher erkennbar zu sein. Wenn Deutschland in den achtziger Jahren zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Konkurrenten Englands geworden war, so begann es auf manchen Gebieten im folgenden Jahrzehnt England effektiv zu überholen. Die Technik mußte in dieser Rivalität eine äußerst wichtige Rolle spielen, gerade hier handelte es sich um einen, kein Gebiet auslassenden Wettkampf. Stolz konnte man an den Technischen Hochschulen und in den Zeitschriften der Technikervereine englische Stimmen zitieren, welche die Bedeutung der technischen Wissenschaften an den Hochschulen für die wirtschaftliche Macht Deutschlands hervorhoben und nicht weniger stolz darauf hinweisen, daß man in England und in manchen anderen Staaten die technischen Studien nach deutschem Vorbild einzurichten begann1 • Während im Hintergrund bereits die große Entwicklung der amerikanischen Technik zunehmend die Aufmerksamkeit der Ingenieure auf sich zog, ließ sich die deutsche und englische Technik jetzt mit zwei Stafetten vergleichen, die in einem nicht aufhörendem Lauf dem Ziele zu1 Vgl. Franz Reuleaux, Deutschlands Leistungen und Aussichten auf technischem Gebiet, Berlin 1891.

6 Manegold

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II. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

stürmten, wobei einmal diese und dann wieder die andere Mannschaft vornlag2 • Das alles sollte die Bedeutung der Technischen Hochschule und das Selbstbewußtsein der Techniker nur noch steigern und ihren Prestigeaufstieg in der Öffentlichkeit beeinflussen. Ihre Leistungen wurden "nationale" Leistungen und über allen diesbezüglichen Fragen lag dabei bald immer deutlicher auch ein nationalwirtschaftliches und nationalpolitisches Macht- und Wettbewerbsdenken, das sich entsprechend in ihrer Argumentation niederschlug. Nicht zuletzt auf diesem Hintergrund muß der neue Entwicklungsabschnitt der Technischen Hochschulen im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts gesehen werden. Im Gründungsjahr des Reiches hatte Franz Reuleaux als Direktor der Berliner Gewerbeakademie auf der Feier zum fünfzigjährigen Bestehen der Anstalt einen stolzen Rückblick gegeben. Mit Genugtuung hatte er dargelegt, daß durch den hohen Stand ihrer wissenschaftlichen Ausbildungsich bereits ein Übergewicht der deutschen Techniker über die englischen bemerkbar zu machen beginne und der Festversammlung zugerufen: "Ich weiß nicht, ob die Zeit noch sehr fern ist, wo die Abwägung dessen, was die technische Hochschule und was die klassische dem Vaterlande nützt, von jener furchtlos erwartet werden kann3." Zwanzig Jahre später zog er als Rektor der Berliner Technischen Hochschule eine großartige Bilanz. Nirgends sonst als an den deutschen Technischen Hochschulen, so stellte er fest, sei es zu einer innigeren und folgenreicheren Verbindung zwischen wissenschaftlicher Vertiefung und Erweiterung und den technischen Entwicklungsvorgängen auf praktischen Gebieten gekommen. Daher sei Deutschland im internationalen Wettbewerb des technisch-industriellen Fortschritts überall im Begriff, der "Rangstärkste" unter den Staaten zu werden4 • In der Aufstiegsbewegung und in den Gleichberechtigungsansprüchen der Technischen Hochschulen spielte jetzt Berlin die führende Rolle. Die stolzen Berichte, die die preußischen Anstalten seit 1890 an das Kultusministerium und an den Kaiser einreichten5 , waren weitgehend charakteristisch für das Selbstverständnis und das Selbstbewußtsein der Technischen Hochschulen überhaupt. Sie seien inzwischen zu den bedeutendsten, unmittelbaren Stützen der modernen Kultur geworden, so hieß es 2 Vgl. Percy Ernst Schramm, Deutschlands Verhältnis zur englischen Kultur nach Begründung des neuen Reiches, in: Schicksalswege deutscher Vergangenheit, Festschrift für S. A. Kähler, hrsg. von W. Hubatsch, 1950, S. 304 f. 3 Franz Reu~eaux, Rede zum Jubelfest der kgl. Gewerbeakademie 1871, Verhandlungen, 1871, S. 374. 4 Franz Reu~eaux, Deutschlands Leistungen und Aussichten auf technischem Gebiet, a. a. o,, S. 5. 5 DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I 1.

5. Die "nationalen" Leistungen der Technischen Hochschulen

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hier. Die neuzeitlichen Heereseinrichtungen, die Schlagkraft der Reichsmarine, die Zukunft der Kolonien, "diese Lebensfragen des Kulturstaates" können nur mehr in engster Verbindung mit den Technischen Hochschulen gelöst werden. Wenn sich Deutschland in den Berichtsjahren in allen wirtschaftlichen Bereichen gegenüber der englischen Konkurrenz behaupten konnte und auf manchen Gebieten alle anderen Staaten überholt hatte, so glaubte man, dies mit besonderem Recht den Leistungen der Technischen Hochschulen zurechnen zu können und bezeichnete den hier ausgebildeten Ingenieur als "Pionier deutscher Geltung und Kultur". Als Anerkennung solcher Verdienste hatte Wilhelm II. 1891 dem Rektor der Berliner Hochschule das Recht verliehen, bei feierlichen Anlässen, analog zum Brauch der Universität, eine "Amtskette mit Medaillon" zu tragen6 , verbunden mit einer höheren Einstufung im allgemeinen Rangreglement. Nach fast zwanzigjährigen Bemühungen kam es 1892 zur Rangangleichung der Professoren der Technischen Hochschulen an die Universitätsprofessoren7 • 1893 folgte die Genehmigung von "Amtstracht und Barett" für die Mitglieder der Abteilungskollegien8. An den Hochschulen wertete man diese ersehnten Kennzeichen akademischer Würde als Auftakt zu weiteren Anerkennungen. Reuleaux hatte in seiner Rede hervorgehoben, daß die Technik und die Technischen Hochschulen in hohem Maße des "kaiserlichen Schutzes" sicher sein und hierin mit fester Zuversicht den kommenden Tagen entgegensehen könnten. Er sollte mit dieser Feststellung recht behalten. Als Auftakt zu der neuen Phase der Hochschuldiskussion muß das im Jahre 1891 erschienene Buch Egon Zöllers angesehen werden, das mit seinem Titel geradezu als programmatische Überschrift den folgenden Bestrebungen und Auseinandersetzungen vorangesetzt werden könnte: "Die Universitäten und Technischen Hochschulen, ihre gegenseitige Stellung und weitere Ausbildung9 ." Alle wesentlichen bis dahin vorgebrachten Argumente der voraufgegangenen Entwicklungen und Erörterungen zusammenfassend, zeigte sich hier besonders deutlich das Geflecht von wissenschaftlichen und technischen, wirtschaftlichen, sozialen und bildungstheoretischen Komponenten, Einflüssen und Auswirkungen, die sich von Beginn an in der Technischen Hochschulfrage vermischt und durchdrungen hatten. Beide Institutionen bildeten für den Verfasser • Erlaß vom 2. 11. 1891, DZA Rep. 76 V b ebd. 7 Erlaß vom 20. 4. 1892, Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 3 Nr. 1. Sie erhielten dia Bezeichnung "Etatsmäßiger bzw. Nichtetatsmäßiger Professor". 8 Erlaß vom 13. 11. 1893, Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I 1 adh. A. 9 Berlin 1891.

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li. Von der Polytechnischen Schule zur Technischen Hochschule

eine "dem Leben entsprechende" Gliederung: "gleichsam die beiden (und deshalb gleichwertigen) Brennpunkte einer Ellipse" 10• Diese bei~ den Punkte gewissermaßen im Mittelpunkt konzentrischer Kreise zusammenfallen zu lassen oder sie zumindest so nahe wie nur möglich aneinander zu rücken, das ist in den folgenden Jahren das Ziel Felix Kleins gewesen und das entscheidende Motiv seiner wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen.

10

ZöZler, Die Universitäten und Technischen Hochschulen, a. a. 0 ., S. 135.

111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins zur Annäherung und Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule 1. Kleins sachbezogener Universalismus a) die wissenschaftliche Position

Am 27. Mai 1888 richtete der ordentliche Professor der Mathematik an der Göttinger Universität, Felix Klein, einen Brief an den Leiter des Universitätsreferates im Preußischen Kultusministerium Friedrich Althoff. Darin erinnerte er an Bemerkungen, die er diesem gegenüber schon früher über das Verhältnis von Technischen Hochschulen und Universitäten gemacht hatte; er betonte, daß er damit einen Plan streife, der ihn seit langen Jahren stark beschäftige, und dann hieß es: "In der Tat sehe ich, daß die gegebenen Verhältnisse uns immer zwingender zu einer Stellungnahme in dem von mir gewollten Sinne hindrängen und wir Universitäts-Professoren nur die Wahl haben, entweder die Führung der Bewegung zu übernehmen oder uns vollends zur Seite drängen zu lassen. Daß ich gleich die Sache selbst bezeichne: Ich befürworte generell die Verschmelzung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten. Was die allgemeinen Gründe betrifft, von denen ich dabei ausgehe, so will ich hier kurz folgendes anführen. Zunächst, daß nämlich die Studierenden der Mathematik und Naturwissenschaft, solange es an der Universität keine technische Fakultät gibt, eine ungebührlich einseitige Ausbildung erfahren. Wichtiger bereits ist, daß die Entwicklung unserer Disziplinen unter der Zweiteilung der Anstalten seit Dezennien gelitten hat. Hand in Hand damit geht ein bedenkliches Mißverhältnis, was die praktische Wirksamkeit unserer Anstalten angeht. Aber das Wichtigste ist mir das allgemeine Kulturinteresse. Es handelt sich in jetziger Zeit darum, den überkommenen Zwiespalt zwischen humanistischer und realistischer Bildung zu überwinden und womöglich in eine höhere Einheit, die wahre moderne Bildung überzuführen. Es erscheint am wichtigsten, zunächst bei den Hochschulen einzusetzen. Man entwickle die Universitäten so, daß an ihnen für volle Vertretung der modernen Fächer gesorgt ist, insbesondere also, man verlege die Polytechnika an die Universität. Mich drängt meine wissenschaftliche Überzeugung dazu, alles zu versuchen, um dieses in Gang zu setzen•." 1

Brief Kleins an Althoff vom 27. Mai 1888, DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit. 1,1.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Dieser Brief offenbart treffend den Kern jener Bestrebungen, die einen wesentlichen Bereich der gesamten wissenschaftlichen und organisatorischen Wirksamkeit Kleins bestimmen sollten, und er zeigte auch die Antriebe, die ihn dabei geleitet haben. Der Brief zielte zugleich unmittelbar auf die von Klein schon früher als "Technikerbewegung" charakterisierte Entwicklung der Technischen Hochschule und den damit verbundenen Kampf um den sozialen Standort der Ingenieure, auf die von ihm selbst nicht weniger als von der Seite der Techniker jetzt als immer brennender angesehenen Problematik im Verhältnis von Technischen Hochschulen und Universitäten. Tatsächlich kommt hier der Stellung Felix Kleins eine hervorragende Bedeutung zu. Von universalen Zielsetzungen ausgehend, war ein wesentlicher Teil seiner Lebensarbeit auf vielfältige Weise mit jener "Bewegung" und mit diesem Verhältnis verknüpft. Wie kaum ein anderer hat er in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende in die allgemeine Entwicklung der Mathematik, Naturwissenschaft und Technik bestimmend eingegriffen. "Den ersten Mathematiker der Jetztzeit" hatte ihn der Chemiker Adolf von Baeyer genannt, als er im Sommer 1892 mit Klein über dessen Berufung von Göttingen an die Universität München verhandelte2 • Später sprach man von Kleins akademischer Lehrtätigkeit als einer "fortlaufenden Kette von Siegen" 3 • Der Mathematiker Richard Courant bezeichnete ihn als die beherrschende Figur einer ganzen Epoche der Geschichte der Mathematik4 und charakterisierte ihn als großen "wissenschaftlichen Führer"•. Im Hinblick auf seine fachwissenschaftliche Bedeutung hatte Klein alle Würdigungen erfahren. Aus der Fülle von Gedächtnisreden und Nachrufen bei seinem Tode8 mochte auch der dem engen Fachgebiet Fernerstehende ein Bild von dem wissenschaftlichen Rang Kleins gewonnen haben. Weniger bekannt war dagegen, daß Klein als einziger Ordinarius einer Universität seit 1895 Mitglied des Vereins Deutscher Ingenieure gewesen war, daß er als erster Universitätslehrer sich für die Verleihung des Doktortitels an Ingenieure und für das Promotionsrecht der Technischen Hochschulen einsetzte und daß ihn, "von früher Jugend an ein glühender Freund der Technik" 7 , wie er selbst schrieb, von den zahlreichen Anerkennungen, die dem berühmten Mathematiker zuteil UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22. Die Naturwissenschaften, Jg. 7, 1919, Sonderheft Felix Klein zur Feier seines 70. Geburtstages, S. 277. 4 R. Courant, Gedächtnisrede auf Felix Klein, Die Naturwissenschaften, Jg. 13, 1927, s. 765. 5 Nachruf auf Felix Klein in den Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Geschäftliche Mitteilungen 1925/26, S. 40. 8 Er starb 75jährig am 22. Juni 1925. 7 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22, L, vgl. Kleins autobiographische Skizze in: Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen, 1923, H. 1, S. 11 ff. 2

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1. Kleins sachbezogener Universalismus

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wurden, keine so sehr gefreut hatte, wie die Verleihung des Titels Doktor-Ingenieur Ehrenhalber der Technischen Hochschule München, wenige Jahre nachdem die Technischen Hochschulen dieses Recht erhalten hatten. Weniger bekannt blieben im Grunde seine wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen, die Ideen und Ziele, die er damit verfolgte und seine eigene Rolle in der "Technikerbewegung". Aus der Wendung gegen eine allzu esoterische, abstrakt-theoretische und sich selbst genügende Entwicklung in den mathematischen Disziplinen richtete Klein von Anfang an seinen Blick auf das Ganze der Wissenschaft und sah seine Aufgabe darin, "den Zusammenhang aller wissenschaftlichen Disziplinen mehr in den Vordergrund zu stellen und das einseitige Spezialistentum ohne höher liegende Ideen zu bekämpfen"~. Er suchte dabei im wissenschaftlichen Betrieb eine lebendige Verbindung zwischen den theoretischen Wissenschaften und ihren Anwendungen herzustellen und ihnen an den Universitäten wieder Geltung zu verschaffen. Als deutsche "wissenschaftliche Renaissance" hatte Klein selbst die Zeit nach der Berliner Universitätsgründung und die Auswirkungen insbesondere der Konzeption Humboldts betrachtet9 • Er hatte indessen vor allem den neuhumanistischen Untergrund des neuen wissenschaftlichen Aufschwunges gesehen, wie der humanistisch-idealistische Begriff der "reinen" Wissenschaft als Selbstzweck die Ablehnung von allen der Praxis zugewandten Bestrebungen in sich barg und zur Abkehr von den Anwendungen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen geführt hatte. Daneben zeigte sich ihm die fortschreitende Differenzierung und Spezialisierung der Fächer, deren Vertretet, wie er fürchtete, allmählich verlernten, sich gegenseitig zu verstehen. Klein sprach vom naturwissenschaftlich gerichteten Neuhumanismus, der in der strengen und unerbittlichen Pflege der reinen Wissenschaften sein Ziel sah und durch einseitige Ausrichtung aller Kräfte auf dieses Ziel hin eine "spezialfachliche Hochkultur" von bis dahin unbekannter Blüte erreicht hatte10• Er fühlte sich selbst frei von Schulmeinungen und Denktraditionen und sein Denken und seine Tätigkeit gewannen von hier aus einerseits die Richtung auf eine Zusammenfassung der auseinanderstrebenden Teile der Wissenschaft und zum anderen auf ihre gemeinsame Wirkung und Anwendung. Mit großer Entschiedenheit hat er seine dahingehenden Anschauungen vertreten. Er wandte sich gegen die "grundsätzlich irrige Auffassung", wie sie von den reinen Theoretikern vertreten wurde, daß die mathematischen Naturwissenschaften die Natur nur zu "erklären" s Felix Klein, ebd. S. 23. 9 Felix Klein, Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert, Teil I, Berlin 1926, S. 17. 10 a. a. 0., S . 199.

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

habe und betonte demgegenüber, daß die Naturwissenschaft zwar nicht "übernatürliche Zwecke" in der Natur auffinde, sich aber mit vom Menschen selbst gesetzten Zwecken verbinde und ihm ermögliche, diese Zwecke zu erreichen. "Nicht Natur erklären, was sie letzten Grundes nie kann", so formulierte er seine Überzeugung, "sondern Natur beherrschen" sei die eigentliche Aufgabe der Naturwissenschaft, wobei er gleich hinzufügte: "Es darf nie vergessen werden, daß es eine schaffende Technik gibt, welche die Ansätze der theoretischen Wissenschaft in die Tat umsetzt11 ." Die Mathematik galt ihm deshalb nicht nur als eine für sich bestehende abstrakte Wissenschaft sui generis, vielmehr als das Rückgrat eines Natur- und Menschenwerk, eines Naturwissenschaft und Technik umfassenden Organismus, der allen seinen Gliedern festen Halt gewährt. Die mathematische Wissenschaft sollte in allen Bereichen der Anwendung als ordnendes Prinzip zur Geltung gebracht werden, und in seiner Arbeit ging es ihm in diesem weitesten Sinn um die "Kulturbedeutung der Mathematik". Mit einigem Recht kann man Felix Klein mit Gaspard Monge, dem Begründer der Ecole Polytechnique, vergleichen. Bei beiden Mathematikern war das wissenschaftliche Interesse auf die Anwendungen gerichtet, in beiden hielten sich wissenschaftliches und pädagogisches Wirken mit ihren Organisationsbestrebungen durchaus die Waage. Beiden gemeinsam war insbesondere ihre hohe Einschätzung der Mathematik für die allgemeine Kultur. Klein hatte sich überdies in besonderem Maße von Monge und dem wissenschaftlichen Betrieb der Pariser Ecole Polytechnique angezogen gefühlt. Er selbst sah sich noch in Monges Tradition aufgewachsen und mit vielen von dort ausgehenden Entwicklungen verbunden12• Bewußt wollte er an die besten wissenschaftlichen Kräfte und Tendenzen der Aufklärung anknüpfen, an den "vernünftigen Realismus" der Göttinger Universität des 18. Jahrhunderts. Hier standen sich, wie er glaubte, "reine" und "angewandte" Wissenschaften noch nicht in scharfer Trennung gegenüber. Die wissenschaftliche Unterweisung geschah mit der Berücksichtigung praktischer Interessen, und Gründlichkeit der Forschung hatte sich dort, so schien es ihm, mit dem freien Blick auf die Bedürfnisse des Lebens, "praktische" Wissenschaften mit universaler Zusammenschau verbunden13• Sein Leitgedanke von einer Wiederannäherung der abstrakten Wissenschaft an das Leben, unheselladet der Theorie, sein so verstandenes Prinzip des "Universalismus" bedeutete für ihn deshalb keine absolute Neuerung, sondern die neuzeitliche Aufnahme der Traditionen des n a. a. 0., S. 199. a. a. 0., S. 65. 13 Vgl. Felix Ktein, Festrede, gehalten bei der Feier des 10jährigen Bestehens der Göttinger Vereinigung, Internationale Wochenschrift, 1908, S. 532. 12

1. Kleins sachbezogener Universalismus

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18. Jahrhunderts, angepaßt den modernen Verhältnissen. Klein ist nicht müde geworden, im Hinblick auf seine Pläne immer wieder darauf hinzuweisen. In einer seiner letzten öffentlichen Vorlesungen, im Februar 1911, hob er in diesem Zusammenhang das "wunderbare Zusammentreffen" mit dem hundertjährigen Todestag des Göttinger Kameralisten und Begründers der "Gelehrten Technologie", Johann Beckmann, hervor und stellte sich und seinen Hörern die Frage, inwieweit ihm selbst diese Anknüpfung gelungen war14• Die Situation der Universitätswissenschaften in seiner Zeit war für ihn das Resultat eines historischen Prozesses, nicht vorgegeben durch eine "ewige Idee" oder eine zweckgerichtete Notwendigkeit und schien ihm erst in dieser historischen Entstehung eigentlich verständlich. Nicht zuletzt im Blick auf die Göttinger Tradition rechtfertigte er seine "universalen Tendenzen".

Die angewandte Mathematik wollte er mit allen in Betracht kommenden Gebieten, einschließlich der Technik, herangezogen wissen. Mathematischer und physikalischer Unterricht an der Universität sollte, unbeschadet aller Entwicklung nach der theoretischen Seite hin, in organische Beziehung mit den technischen Anwendungen gesetzt werden. Unter einer Vernachlässigung aller weiteren Ausblicke mußte, nach seiner Auffassung, auch die "reine" Forschung leiden. Als "idealer Maßstab" für seine Bestrebungen, so schrieb er selbst, habe ihm immer die alles umfassende Wirksamkeit von Carl Friedrich Gauß vor Augen gestanden15. Gauß hatte nach seiner Überzeugung noch das Ganze der mathematischen Wissenschaft in sich vereinigt, und zwar auch in bezug auf die Technik, wie etwa dessen Konstruktion des elektrischen Telegrafen zusammen mit Weber, vor allem aber die Aufstellung des absoluten Maßsystems zeigte. Nicht zuletzt darin sah Klein die einseitige Entwicklung der Mathematik auch in Göttingen begründet, daß man sich nach Gauß' Tode darauf beschränkte, ihm lediglich für die reine Mathematik einen Nachfolger zu geben und hier nur diese Seite weiter entwickelte, während doch die Notwendigkeit bestanden hätte, "ein ganzes Kollegium von Männern" zu berufen, die nur zusammen in der Lage gewesen wären, Gauß' Tätigkeit nach allen Richtungen, eben auch nach der Seite der Anwendungen, weiterzuführen18• Da eine derartige Beherrschung der gewaltig angewachsenen Stoffmenge bei steigender Differenzierung ·der Fächer für den einzelnen unmöglich wurde, so schien es Klein um so notwendiger, daß jetzt Mathematiker, Naturforscher und Ingenieure in enger Bezugnahme und in geeigneten organi14 Kleins Vorlesung über mathematischen Unterricht am 3. 2.1911, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 21 C; Beckmann.war am 3. 2. 1811 gestorben. 15 Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 24. 16 Felix Klein, über die Gründung eines physikalisch-technischen Universitätsinstitutes, Ostern 1895, Cod. MS Nachlaß Klein 22.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

satorischen Formen zusammenarbeiten müßten. "Kooperation" wurde in diesem Zusammenhang zu einem Schlüsselwort und Leitbegriff, der in allen seinen Äußerungen immer wieder auftauchte. Im Lebenswerk Felix Kleins lassen sich die im engen Sinne mathematisch-wissenschaftliche Arbeit des Forschers von seinem allgemein pädagogischen und wissenschaftsorganisatorischen Wirken unterscheiden und voneinander abheben, wenn dieses auch aus jener hervorging. Er selbst hat das immer wieder getan, und das letztere war ihm nicht weniger wichtig. Aus Gesundheitsrücksichten, nach einem durch Krankheit hervorgerufenen Zusammenbruch seiner "wissenschaftlichen Schöpferkraft"17 und als "Ausgleich für das verlorene Genie" hatte er sich nach einem raschen wissenschaftlichen Aufstieg auf der Mitte seines Lebens neben seiner _erfolgreichen Lehrtätigkeit in erster Linie organisatorischen Aufgaben gewidmet, die ihn freilich schon vorher beschäftigten. Auf diesem Gebiet vor allem ist er zu jener "herrscherlichen Gestalt" und zum "wissenschaftlichen Führer" geworden, als den ihn Richard Courant in seinem Nachruf bezeichnete. Sein eigentliches wissenschaftliches Werk als einer der großen Mathematiker seiner Zeit nimmt einen hervorragenden Platz in der Geschichte der Wissenschaft ein. Seine darüber hinausgehende ausgebreitete und vielfältige Tätigkeit, etwa auf hochschulpädagogischem und schulpädagogischem Gebiet, besonders in bezug auf die mathematisch-naturwissenschaftliche Unterrichtsreform, seine bedeutenden Verdienste als Begründer der für lange Zeit hindurch erreichten internationalen Geltung der Universität Göttingen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen sind zwar öfter genannt worden18, haben aber bisher in keiner Darstellung eine besondere Berücksichtigung gefunden19. Das gilt vollends für seine organisatorischen Bestrebungen im Hinblick auf eine Verbindung von Universität mit Technik und Industrie, für seine Rolle in der genannten "Technikerbewegung" und für seine Position im Verhältnis Universität und Technischer Hochschule. Klein hat selbst dieser Seite seiner Lebensarbeit die größte Bedeutung zugemessen und diese Bestrebungen in historische Bezüge hineinzustellen gesucht, sie geradezu als geschichtliche Notwendigkeit verstanden. Aus 11

Vgl. Felix Klein, Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik,

a. a. 0., S. 379 f .

18 Vgl. insbesondere Götz von Selle, Die Georg-August-Universität zu Göt· · tingen, Göttingen 1937, S. 327 f. und Anmerkung S. 383. 19 Eine gewisse Ausnahme für die mathematische Lehrtätigkeit Kleins bildet hier, ·von Klein selbst angeregt und herausgegeben, Wilhelm Lorey, Das Studium der Mathematik an den deutschen Universitäten seit Anfang des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1916, H. 9 des 3. Bandes der "Abhandlungen über den mathematischen Unterricht in Deutschland", veranlaßt durch die Internationale Mathematische Unterrichtskommission (IMUK), hrsg. von Felix Klein.

1. Kleins sachbezogener Universalismus

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seinem Nachlaß geht hervor, daß er von solcher Bewertung aus wiederholt vergeblich versucht hat, eine Darstellung dieser Seite seines Wirkens zu veranlassen. Daß dies nicht gelang, mochte daran gelegen haben, daß hier manche Empnndlichkeiten im internen Betriebe und im Selbstverständnis der Hochschulen berührt worden waren, daß man Kleins Wesen in seiner "unerbittlich naiven Sachlichkeit" 20 vielfach als zu gewaltsam und hart empfand, besonders in einer Zeit, da "reine" und "angewandte" Wissenschaft zumindest in ideeller Beziehung scharf getrennt, Technische Hochschule und Universität weitgehend als Antagonisten angesehen wurden. Hier kann es nur um die Rolle Kleins in dem gegebenen thematischen Zusammenhang gehen. b) Die Einheit der WissenschaftEinbeziehung der Anwendungen und der Technik Klein als akademischer Lehrer an Universität und Technischer Hodlschule

Felix Klein- er wurde 1849 in Düsseldorf als Sohn eines Regierungsbeamten geboren - war in seiner Vaterstadt aufgewachsen und hatte hier das humanistische Gymnasium besucht. Die rein philologische Erziehung, die er dort empfing, konnte seinen naturwissenschaftlichen Neigungen "so gut wie gar nichts bieten" 21 • Er hat von dem "Unzureichenden der idealistischen Lehrauffassung" gesprochen, die seine Schulbildung bestimmt hatte, und später festgestellt, daß ihm der "Idealismus" nicht gegeben habe22 • Die Überzeugungen, von denen er als Mathematiker ausging, die Wertschätzung der technischen Wissenschaften und der Aufgaben und Ziele der Technischen Hochschulen, andererseits seine Auffassungen von der Stellung der Universitäten, entsprangen weniger einem theoretischen Ansatz, sondern waren nach seiner eigenen Vorstellung das notwendige Resultat seines persönlichen Entwicklungsganges. Bereits als Schüler empfing er grundlegende Eindrücke, nicht zuletzt von dem industriellen Aufschwung seiner engeren Heimat. Technische Interessen erfüllten ihn ebenso wie allgemein naturwissenschaftliche und mathematische, und er hat später bei Gelegenheit versichert, daß er damals nichts davon gewußt habe, daß zwischen beiden ein Widerspruch bestehen könnte und daß er es nicht geglaubt haben würde, wenn man es ihm erzählt hätte23 • Nach dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaft in Bonn, Göttingen und Berlin habilitierte er sich 1871 in Göttingen und wurde 20 21 22

R. Courant, Gedächtnisrede, a. a. 0., S. 772. Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 13. UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L, Personalia.

23 So in einem Vortrag vor dem Hannoverschen mathematischen Verein am 20. 4. 1896, Zeitschrift für den Mathematischen und Naturwissenschaftlichen Unterricht, 1896, S. 306.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

ein Jahr später- 23jährig- als ordentlicher Professor der Mathematik nach Erlangen berufen. Dem akademischen Brauch gemäß legte er dort seine wissenschaftlichen Ideen in dem berühmt gewordenen "Erlanger Programm" nieder2 \ das dann für Kleins wissenschaftliche Richtung und für die mathematische Entwicklung überhaupt eine große Bedeutung erhalten hat25• Die Ziele seiner Lehrtätigkeit und seine organisatorischen Absichten kamen dagegen in seiner Antrittsrede zum Ausdruck28• Hier waren schon im wesentlichen die Grundzüge seiner späteren Wirksamkeit auch auf diesem Gebiet angesprochen. Die "Zweiteilung der Bildung" kennzeichnete er als das Symptom eines tiefen kulturellen Mißstandes, gegen den er vom "wissenschaftlichen wie vom persönlichen Standpunkt aus" entschieden protestierte. Schon zu dieser Zeit verwahrte er sich im Hinblick auf die im gleichen Jahre erfolgte Gründung der Technischen Hochschule in Aachen gegen die Auffassung, es gäbe zwei Arten höchster wissenschaftlicher Bildung und es müsse daher auch mit Universität und Technischer Hochschule zwei getrennte höchste Unterrichtsanstalten geben27 • Ausgleich der Gegensätze und harmonische Vereinigung der beiden Bildungselemente stellte er seinen Hörern als wesentliche Aufgabe der Zukunft hin. Was die Mathematik anbetraf, so sollte sie gerade nicht um ihrer selbst willen getrieben werden, denn, wie er in seiner Antrittsrede betonte, "sie ist auch um der Dienste willen da, die sie anderen Wissenschaften leistet". Ein wichtiger Gesichtspunkt seiner späteren Lehrtätigkeit tauchte schon hier auf, wenn er insbesondere auf die Ausbildung der Lehramtskandidaten einging, wie es ihm überhaupt darauf ankam, die Kluft zu schließen zwischen der Universitätsmathematik und dem mathematischen Unterricht der höheren Schulen, dessen gleichermaßen wirklichkeitsfremde und anwendungsferne Art er lebhaft beklagte. Nicht um den vom Neuhumanismus betonten rein formalen Bildungswert der Mathematik ging es ihm dabei, sondern um die Stärkung des funktionalen Denkens. Wenn Klein für den Hochschulunterricht Berücksichtigung der Anschauung, Seihstätigkeit der Studenten in Seminaren und "construktive Übungen" in geeigneten "praktischen Kursen" for14 F. Klein, Vergleichende Betrachtung über neuere geometrische Forschungen, Programm zum Eintritt in die Phil. Fakultät und den Senat der Friedrich-Alexander Universität Erlangen, Erlangen 1872. 25 C. Caratheodory, Die Bedeutung des Erlanger Programms, Die Naturwissenschaft, Jg. 7, 1919, S. 299. 18 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22, Erlanger Antrittsrede v. 5. Nov. 1872. 27 Vgl. F. Klein, Universität und Technische Hochschule, Vortrag auf der 70. Versammlung der Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Düsseldorf 1898, Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Allgemeiner Teil, Leipzig 1898, S. 4.

1. Kleins sachbezogener Universalismus

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derte, so stand ihm hier vor allem das Unterrichtssystem der Ecole Polytechnique und des Züricher Eidgenössischen Polytechnikums vor Augen. In beiden Anstalten schien ihm das Ideal der Polytechnischen Schule verwirklicht zu sein: ein ausgedehntes und tiefreichendes mathematischnaturwissenschaftliches Studium verbunden mit der praktischen Ausbildung. Von der Organisation des Unterrichts an den Technischen Hochschulen besaß er eine hohe Meinung. Bereits während seiner Berliner Studienzeit lernte er die Unterrichtseinrichtungen an der Gewerbeakademie kennenz8• Hier lag, wie er meinte, ein für die Universität durchaus ungünstiger Vergleich mit den Polytechniken nahe, waren doch die genannten Übungen dort in viel höherem Grade entwickelt. Das Verhältnis sei ein solches, so hieß es in der Antrittsrede, daß man wenigstens dem Studierenden der Mathematik, wenn Fachgründe allein entscheiden sollen, nur raten könne, einen großen Teil des Studiums auf einer Technischen Hochschule zu absolvieren. Für einen Universitätsprofessor war das zu jener Zeit zweifellos ein ungewöhnlicher Rat. Die solcherart vorherrschende Unvollständigkeit und einseitige Orientierung an den Universitäten könnte aber nicht gewollt sein, so bekundete er, wenigstens nicht, "solange wir an einer universitas literarum festhalten, wie wir doch möchten". Die Einheit aller Wissenschaft und das Ideal einer Gesamtbildung durfte über den Spezialstudien nicht vergessen, humanistische und realistische Bildung in keinen Gegensatz gebracht werden. Aller "Weltanschauungsbildung" abgeneigt, fand schon hier Kleins "Universalismus" von vornherein eine rein sachliche Begründung. Allein die allgemeine Bedeutung der angewandten Fächer und der Technik im Gesamtzusammenhange der Wissenschaften, ihr ungeheuer angewachsenes Gewicht in der modernen Kulturentwicklung machte ihre Einbeziehung in jenes Ideal der "Gesamtbildung" notwendig. Klein gab bereits hier zu verstehen, daß eine Vernachlässigung dieser "vorzugsweise tonangebenden Wissenschaften" die Universitäten selbst am schwersten schädigen müsse und sprach damit Befürchtungen aus, die von Beginn an die Entwicklung der technischen Anstalten begleitet hatten. Es ging ihm aber gerade darum, die Stellung der Universitäten für ihre Aufgaben in der ,.modernen Kultur" zu stärken. Als er 1875 eine Berufung an die Technische Hochschule nach München annahm und es jetzt gegenüber der geringen Frequenz in Erlangen mit einer ungleich zahlreicheren Hörerschaft zu tun hatte29, empfand Klein !s Darauf weist er in seinen biographischen Notizen ausdrücklich hin. UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L. ze Im Gegensatz zu den preußischen Hochschulen konnten an der Allgemeinen Abteilung der Münchener Hochschule auch die Lehramtskandidaten in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern studieren. Während er in Erlangen nie mehr als 6 Zuhörer besaß, waren es in München schon bei seinem Antritt mehr als 250. UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L Personalia.

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

das als "große Diskontinuität" in seiner bisherigen Lehrtätigkeit. Wenn er sich auch in Beziehung auf die Aufgaben der Ingenieurausbildung für unvorbereitet hielt, so konnte er doch geltend machen, daß er "zum Glück eine gewisse innere Disposition für Technik, Pädagogik und Organisation" besaß30• In München entstand die große Mehrzahl seiner einschlägigen mathematischen Publikationen, hier legte er auch den Grund zu den meisten seiner späteren wissenschaftlichen Untersuchungen. Seine technischen Interessen erfuhren jetzt im Verkehr mit hervorragenden Technikern eine besondere Förderung, und an seiner neuen Wirkungsstätte gewann er die sachlichen und persönlichen Beziehungen zur Technik, die für sein späteres Wirken von Bedeutung geworden sind. Im Herbst 1880 folgte Klein einem Ruf an die Universität Leipzig auf eine Professur für Geometrie. Ähnlich wie schon in Erlangen trug er nach den an der Technischen Hochschule gewonnenen Erfahrungen wiederum in einer programmatischen Antrittsrede seine organisatorischen Ideen vor31 • Hier nun wurde die Forderung klar ausgesprochen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts abgerissene Verbindung zwischen abstrakter mathematischer Wissenschaft und ihren Anwendungen, insbesondere aber mit der Technik wieder anzuknüpfen. Mathematische Forschung und mathematischer Unterricht selbst würden davon die größte Belehrung erfahren. Es werde zwar nicht bestritten, so stellte Klein fest, daß die benachbarte Naturwissenschaft und die moderne Technik ohne Mathematik nicht zu betreiben seien; dennoch scheine die mächtige Entwicklung der reinen Mathematik seit Beginn des Jahrhunderts für die Anwendungen beinahe nutzlos gewesen zu sein. Werde nun, was jetzt nur den Theoretiker interessiert, später einmal im allgemeinen Sinne verwertet? so fragte er seine Hörer. Oft und nicht ohne Zweifel habe er darüber nachgedacht, und sei zu der Überzeugung gekommen: Die Theorien seien nicht überflüssig, kein eitles Spiel der Phantasie. Indessen: Auf der einen Seite ignoriere der bloße Praktiker zumeist die hier erzielten Fortschritte, zum anderen aber lägen die Schwierigkeiten zu deren Verbreitung und Verwertung in dem Verhalten der reinen Theoretiker selbst. Ein erstes und wesentliches Hemmnis sah Klein hier in der übergroßen Spezialisierung des Universitätsunterrichts und in der damit zusammenhängenden Bildung einseitiger fachwissenschaftlicher Schulen. Neben den höchsten Spezialstudien dürften aber solche nicht fehlen, die den Zusammenhang aufzeigen und die Berechtigung aller EinzelbestreEbd. Antrittsrede vom 25. Okt. 1880, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22. 15 Jahre später wurde sie unter dem Titel ,.Ober die Beziehungen der neueren Mathematik zu den Anwendungen" abgedruckt in der Zs. f. Mathematischen und Naturwissenschaftlichen Unterricht, 1895. 30

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1. Kleins sachbezogener Universalismus

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bungen nachweisen. Es gelte eine möglichst umfassende Kenntnis der bestehenden mathematischen Disziplinen zu erzeugen, die darüber hinaus auch in das praktische Leben eingreifen sollen. Im Sinne der von Klein hier vertretenen Auffassung ging es nicht nur darum, die theoretische Mathematik den Anwendungen näherzurücken, sondern die Anwendungen, wie immer sie sich gestalteten, sollten selbst herangezogen werden, das aber mußte eine wesentliche Erweiterung des an der Universität üblichen Lehrstoffes bedeuten. Klein ging davon aus, daß die mannigfachen Anwendungen, wenigstens in der Geometrie, die er künftig in Leipzig vertreten sollte, in der Hauptsache auf dem Boden der Technik gewachsen und an der Universität so gut wie unbekannt waren. Entsprechend seinen Erfahrungen an der Münchener Technischen Hochschule, wo er sich zunächst mit den geometrischen Verhältnissen der Maschinentechnik beschäftigt hatte, wie man sie damals verstand, fordert er jetzt die Einbeziehung der darstellenden Geometrie, deren Aufgabe es war, räumliche Figuren durch exakte Zeichnungen wiederzugeben, der graphischen Statik und der Maschinen-Kinematik. Alle diese Gebiete, forderte er, müßten in den Universitätsunterricht verflochten werden. "Sollen wir dieselben ignorieren", so rief er seinem Auditorium zu, "bis wir eines Tages von der Entwicklung der Technik vielleicht auch theoretisch überholt sind? Ist es nicht eine ebenso würdige Aufgabe und sind nicht überdies die Studierenden zum größten Teil darauf angewiesen, künftig zu den Anwendungen Stellung zunehmen?" Von Gaspard Monge ausgehend war die darstellende Geometrie (Geometrie descriptive) einst an der Pariser Ecole Polytechnique zu besonderer Blüte entwickelt und auf die Darstellung der Maschinen angewandt worden. Das Maschinenzeichnen in orthogonaler Projektion wurde zur eigentlichen und unentbehrlichen Sprache der Techniker. Von der Ecole Polytechnique wurde das Unterrichtsfach von den Polytechnischen Schulen in Österreich und Deutschland übernommen32, und ist eine der wichtigsten Grundlagen für die mathematische Behandlung technischer Aufgaben geworden. Die zeichnende Konstruktion lieferte eine unmittelbar auf die praktische Ausführung übertragbare Anweisung. Es war kein Zufall, daß gerade diejenigen Mathematiker, die Monges Methoden weiterentwickelten und vertieften, sich auch für eine enge Verbindung oder Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität einsetzten33• Im Hinblick auf die bedeutenden Schüler Monges, die aus der Ecole Polytechnique hervorgegangen waren und dort wieder lehrten, insbesondere in bezugauf die Nachwirkungen des größten unter ihnen, Poncelet', des Begründers der technischen Mechanik und der "pro32 Vgl. F. J. Obenrauch, Geschichte der darstellenden und projektiven Geometrie, Brünn 1897, S. 221 ff. aa Vgl. Carl Culmann, Die graphische Statik, Zürich 1866, Vorwort.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

jektiven Geometrie", bekannte Klein, sie seien ein wesentliches Stück seines eigenen Denkens geworden34• Nicht ohne Widerstände gegen solche Bestrebungen des 31jährigen Professors hat Klein dann in Leipzig seine Ideen wenigstens in ihren Ansätzen durchzusetzen versucht, Vorlesungen und Übungen in den genannten Gebieten abgehalten und "konstruktive" Kurse eingerichtet. Das Entgegenkommen der sächsischen Unterrichtsverwaltung gestattete es ihm entsprechend zu verfahren35• Es ging Klein darum, die wechselseitigen Beziehungen zwischen Technik und wissenschaftlicher Forschung hervorzuheben und damit an den alten traditionellen Stätten der Wissenschaft eine einseitige Absonderung von den gegenwartsbestimmenden Kräften der Technik und Industrie, ein weltfremdes Einspinnen zu verhindern. Er strebte an, die Probleme der Technik in das Arbeitsgebiet der Universität einzubeziehen und deren Arbeitsmethoden auch hier fruchtbar zu machen. Wie er schon in München in engem Gedankenaustausch mit bedeutenden Ingenieuren gestanden hatte, so suchte Klein auch jetzt Kontakte zu den Vertretern der technischen Fächer an der benachbarten Dresdener Technischen Hochschule. Klarer als in Erlangen und München kam für Klein jetzt die Erfassung eines bestimmten Zieles zum Ausdruck. Die Verfolgung der Mathematik nach den Seiten ihrer Anwendungen hin, die Verbindung von Mathematik, Physik und Technik. Bald sollte er, rein von der Sache her bestimmt weitgehende wissenschaftsorganisatorische Konsequenzen daraus ziehen. In seinen ersten Leipziger Jahren entwickelte er im Wettstreit mit dem französischen Mathematiker Henry Poincare eine bedeutende wissenschaftliche Produktivität38• Fortwährende Überlastung verursachte bei ihm schwere gesundheitliche Störungen, die ihn zwangen, seine Tätigkeit einzuschränken und seine wissenschaftlichen Forschungen zunächst ganz aufzugeben37 • Wie Klein selbst in einer Art Selbstanalyse notierte38, gehörte er zu jenem Typus von Forschern, die Wilhelm Ostwald "Romantiker" genannt hatte. Naturen, die nach längerer intensiver Tätigkeit auf dem einen oder anderen Gebiet plötzlich erlahmen und nur dadurch wieder in Gang gebracht werden können, daß sie sich anderen Unternehmungen zuwenden. Durch einen Ruf auf den mathematischen Lehrstuhl nach Baltimore, den er nach längeren Verhandlungen ablehnte, gewann Klein seine Ener34 F. Klein, Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert, a. a. 0., S. 65. ss Vgl. W. Lorey, Das Studium der Mathematik an den deutschen Universitäten seit Anfang des 19. Jahrhunderts, a. a. 0 ., S. 167 f. 86 Vgl. Courant, Gedächtnisrede, a. a. 0., S. 769. 37 Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 21. 88 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L Personalia.

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gienwieder zurück30• Das war die erste von mehreren folgenden Berufungen nach den USA, die er zwar stets ablehnte, die aber durch die damit verbundene Aussicht auf ein ganz seinen Ideen entsprechendes Feld umfassender Wirksamkeit in eigentümlicher Weise gerade seine organisatorischen Bestrebungen immer wieder anregen und beeinflussen sollten. Vollständig erholte Klein sich von seiner Krankheit, als er 1885 einen Ruf an die Universität Göttingen erhielt. Die Hoffnung, hier mehr als bis dahin Gelegenheit zur Entwicklung seiner "allgemeinen geistigen Interessen" zu finden, war mitbestimmend dafür, daß er dem Ruf folgte. Es kam die Überlegung hinzu, so notierte er, daß eine Tätigkeit in Preußen "für unsere allgemeinen Zustände vielleicht doch noch eine durchgreifendere Bedeutung haben möchte als die an einer noch so hervorragenden außerpreußischen Universität" 40 • Tatsächlich wurde Kleins Übersiedlung nach Göttingen für seine Wissenschaft, für die Göttinger Universität, wie für seine hier zu untersuchenden Bestrebungen ein Ereignis von weittragender Bedeutung. c) Das "allgemeine Kulturinteresse" und die "wahre Bildung der modernen Zeit"- Kleins erste Göttinger Jahre

In den Verhandlungen, die zu Kleins Berufung führten, legte die Göttinger philosophische Fakultät dem Ministerium dar, daß die großen Erfolge der Universität auf dem Gebiete der Mathematik in der Vergangenheit nicht zuletzt durch die Möglichkeit einer vollständigen Vertretung ihrer verschiedenen Richtungen errungen worden waren, und die Majorität hatte von dieser Überlegung aus im Januar 1885 für Klein gestimmt. Man erwartete, daß er als Vertreter der geometrischen Richtung eine wesentliche Ergänzung für die Göttinger Mathematik bedeuten würde. Er zeichne sich durch Reichtum der geometrischen Anschauung aus, durch die Weite seines wissenschaftlichen Blickes, so hieß es, und er würde sich nicht auf das engere Fachgebiet beschränken, sondern, gestützt auf die Hilfsmittel der Geometrie, sich auch anderen Problemen der Mathematik zuwenden41 • Kleins Berufung42 erfolgte schließlich ge~ rade deshalb gegen die Stimmen der beiden Mathematiker, die sich als Vertreter der abstrakten und strengen Richtung der Mathematik für die Fortbildung jener mehr esoterischen, strengen Methode aussprachen und durch Klein eine Überbewertung der geometrischen Seite und der UBG Cod. MS Nachlaß Klein Personalia. Ebd. 41 UAG, Personalakte Klein. 41 Als Nachfolger des Mathematikers M. A. Stern, der als Vertreter der "reinen" Mathematik vor allem mit zahlentheoretischen Arbeiten hervorgetreten war, vgl. Lorey, a. a. 0., S. 66. so 40

7 Manegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Anwendungen befürchteten43 • Es lag bereits zu dieser Zeit in der Absicht der preußischen Unterrichtsverwaltung - Friedrich Althoff44 machte dies schon zu dieser Zeit aktenkundig - die Universität Göttingen, ihrer großen mathematischen Tradition entsprechend, weitgehend auszugestalten. Da es weder nötig noch möglich schien, gleichmäßig sämtliche preußische Hochschulen auf allen Gebieten auszustatten, faßte Althoff bald nach seinem Amtsantritt im Kultusministerium den Gedanken, einzelne Universitäten zu Mittelpunkten bestimmter Fachgebiete zu machen45 • Im Zusammenhang mit Kleins Berufung mochten ihm bereits solche Pläne vorgeschwebt haben. Er besorgte zunächst, Klein werde ablehnen, und reiste im März 1885 selbst nach Leipzig, fand ihn aber sehr geneigt, einem offiziellen Ruf zu folgen46 • Hier kamen beide Männer zum ersten Male in näheren Kontakt. Klein zählte später zu den Gründen, die ihn zur Annahme bestimmten, auch die Anziehung, die Althoffs Persönlichkeit auf ihn ausübte47• Die sich bald vertiefenden Beziehungen sollten für Kleins Bestrebungen dann tatsächlich entscheidend werden. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, daß Althoff ihm schon damals die Möglichkeit einer ausgedehnten Wirksamkeit andeutete, die seiner "angewandten Richtung" besonders entgegenkam. Althoff hatte dabei die seit langem betriebenen Pläne ins Auge gefaßt, die im Jahre 1887 auf Werner Siemens' Initiative hin zur Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt führten. Eine Zeitlang hat er offenbar daran gedacht, Klein hier eine leitende Stellung zu übertragen48 • Der hier zugrunde liegende Gedanke enger Bezugnahme von naturwissenschaftlicher Forschung und technischer Anwendung mußte Klein naturgemäß ganz besonders berühren. Im Hinblick auf seine eigenen Bestrebungen ist er später von den ursprünglichen Gründungsmotiven der Reichsanstalt auch vielfältig angeregt worden. Klein war von Anfang an um völlige Klarheit zwischen den Erwartungen des Ministeriums und seinen eigenen Absichten bemüht. An Althoff schrieb er, dieser möge sich eingehend über seine Leipziger Lehrtätigkeit informieren, "da43 Separatvotum der Professoren Sehering und Schwarz, UAG ebd. Für Klein hatten sich vor allem die Vertreter der naturwissenschaftlichen Fächer eingesetzt, insbesondere der Physiker Eduard Riecke, ein Studienfreund Kleins aus seiner ersten Göttinger Zeit; Riecke stand auch später Kleins Tätigkeit besonders nahe. 44 Zu Althoff vgl. weiter unten. 45 A. Sachse, Friedr. Althoff u. sein Werk, Berlin 1928, S. 277. 46 Brief Kleins an Riecke vom 24. 7. 1885, UBG Cod. MS Nachlaß Klein I Bl. 47 Persönliche Notizen ebd. 22 L. 48 Die Anstalt fiel indessen nicht in seinen Amtsbereich, sondern gehörte zum Ressort des Reichamts des Inneren. Ihr erster Präsident wurde der Physiker Hermann v. Helmholtz, DZA Rep. 120 D li Nr. 197.

1. Kleins sachbezogener Universalismus

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mit Sie die Art und Tendenz meines Unterrichtes von vornherein kennenlernen und so zwischen Ihnen und mir nicht nur eine beiläufige Beziehung, sondern ein volles Verständnis betreffs der von beiden Seiten angestellten Ziele eingeleitet wird" 4'. Kleins Freund, der Physiker Eduard Riecke, hatte richtig geurteilt, wenn er der Ansicht war, daß Klein dem Göttinger Lehrbetrieb einen kräftigen Impuls geben und sich keineswegs nach dem Spruche "quieta non movere" richten werde60 • Noch von Leipzig aus beschäftigten Klein Pläne für seine neue Wirkungsstätte. Vielleicht, daß er eine umfassende Reorganisation des alten Göttinger mathematisch-physikalischen Seminars beantragen werde, teilte er Althoff mit51 , und an seinen künftigen Kollegen Schwarz schrieb er: Es werde ihm zwar ganz wesentlich darauf ankommen, mit dessen Anschauungen zu "kooperien", er wünsche aber keineswegs zu "verkümmern", was ihm infolge seines eigenen Entwicklungsganges aufgegeben sei, und er betonte: "Ich strebe nach Überblicken und allgemeinen Ideen" 52• Sein Prinzip, die Anwendungsgebiete der Mathematik im Universitätsunterricht auszubauen, fand nach Aufnahme seiner Göttinger Tätigkeit im Sommersemester 1886 freilich keine Gegenliebe bei Schwarz, der den hier ganz anders gearteten Unterricht beherrschte und so mußte er seine diesbezüglichen Neigungen zunächst noch in engen Grenzen halten und auf bestimmte Vorlesungen beschränken. Klein hat es später als ein Geschenk angesehen, daß sich ihm hier in den ersten Jahren noch viele Hemmnisse entgegenstellten und ihn daran hinderten, seine organisatorischen Absichten zu verwirklichen, da er auf diese Weise noch einmal Zeit zum Abschluß seiner wissenschaftlichen Arbeiten gewann53 • Erst am Ende seines zweiten Göttinger Semesters hatte er das Gefühl, "in Göttingen Wurzel zu fassen" und aus dem jetzt dichter werdenden Briefwechsel mit Althoff ging hervor, was er ihm gegenüber auch offen aussprach, daß ihm alles daran gelegen war, mit diesem in fortgesetzten persönlichen Beziehungen zu bleiben54• Gleichzeitig beklagte er erneut, daß die allgemeine Bedeutung der Mathematik zurückgehe, während doch der Fortschritt der Naturwissenschaft und insbesondere der Technik eine Ausdehnung dieser Bedeutung verlange. Das Jubliläumsjahr der Universität mochte ihn hier zu besonderer Aktivität angeregt haben. Als ein Ausdruck der Verbundenheit von TechKlein an Althoff am 8. 8. 1885, UBG Cod. MS Nachlaß Klein, ebd. Eduard Riecke, Ansprache zu Kleins 40jährigem Professorenjubiläum, Göttingen 1912. 51 Klein an Althoff am 15. Sept. 1885, DZA Rep. 92 Nachlaß Althoff B, Nr.192. 52 Klein an Schwarz am 13. 8. 1885, UBG Cod. MS Nachlaß Klein I B 1. 53 Klein, Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 23. 64 Klein an Althoff am 24. 3.1887, DZA Rep. 92 N. A. B. Nr. 92. 41

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7•

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nischer Hochschule und Universität und als Anerkennung ihrer technisch-wissenschaftlichen Leistung war es gedacht, wenn sich Klein im August 1887 zum 150jährigen Göttinger Universitätsjubiläum dafür einsetzte, daß der derzeitige Rektor der Technischen Hochschule Hannover, Wilhelm Launhardt, zum Ehrendoktor promoviert und mit ihm ein Ingenieur geehrt würde55• Er blieb damit freilich in der Minorität und die Fakultät lehnte seinen Antrag ab58• Eine Reise, die ihn im April des gleichen Jahres nach Paris geführt hatte, bestärkte ihn in seinen Ansichten über eine notwendige Einbeziehung der Technik. Die Bemühungen seiner Münchener und Leipziger Zeit fortsetzend, suchte er persönliche Verbindungen mit den Technischen Hochschulen in Hannover und Braunschweig herzustellen. Im Herbst weilte er für längere Zeit in Hannover, um, unterstützt von Launhardt, die dortigen Einrichtungen kennenzulernen57. Insbesondere orientierte er sich über die einschlägige technische Literatur. Klein hatte sich bald nach dem Antritt seiner Göttinger Tätigkeit bitter darüber beklagt, daß die Universitätsbibliothek dieses Gebiet seit Jahrzehnten vernachlässigte"8 • Noch vor dem Hannoverschen Aufenthalt teilte er Althoff in langen Ausführungen Gedanken und Entwürfe mit, die ihn in bezugauf eine Umgestaltung der wissenschaftlichen und unterrichtlichen Verhältnisse stark bewegten58• "Wie können wir den Studenten veranlassen, über die Bedeutung seiner Studien für den späteren Beruf wie für die allgemeinen Interessen der Gesellschaft nachzudenken?" so fragte er. Die Studenten absolvierten das Universitätsstudium ohne eine lebendige Anschauung von der allgemeinen Bedeutung ihres Faches zu erhalten. "Von der Schule kommend, gehen sie wieder zur Schule in Wiederholung eines engen scholastisch zugerichteten Gedankenkreises." Einseitige abstrakte Betrachtungsweise und nicht selten törichte Überheblichkeit, gerade das Gegenteil einer umfassenden Bildung, bezeichnete er als Folge solcher Verhältnisse. Sein Ziel war es, das gesamte mathematischnaturwissenschaftliche Studium an der Universität so umzugestalten, daß die besonderen Aufgaben dieses Studiums nach seinen Vorstellungen am besten erfüllt werden könnten. Zu diesen Aufgaben rechnete er neben der Heranbildung des rein wissenschaftlichen Nachwuchses, ins55 Klein hatte darauf hingewiesen, daß die Philosophische Fakultät 30 Jahre zuvor in dem Gründer und Direktor der damaligen Polytechnischen Schule Hannover, Kar! Karmarsch als den "Altmeister der Technologie" schon einmal einem Techniker die Ehrendoktorwürde verliehen hatte. 58 UBG Cod. MS Nachlaß Klein L, desgl. Briefwechsel mit dem Hannoverschen Mathematiker Kiepert, ebd. Nachlaß Klein 12. 57 Ebd. 58 Ein Ergebnis seines Besuches in Hannover war dann auch die Bewilligung eines Extrafonds an die Bibliothek durch das Ministerium. 59 Brief Kleins an Althoff v. 20. 8. 1887, NA B Nr. 92.

1. Kleins sachbezogener Universalismus

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besondere die zweckmäßige Ausbildung der viel größeren Zahl derer, die später in ihren praktischen Berufen, an Schulen, in Fabriken und wo auch immer in einem unmittelbaren Kontakt mit dem Leben treten sollten. Hierfür die richtige Vorbereitung zu geben, sie in den Stand zu setzen, ihre praktischen Aufgaben mit wissenschaftlichem Geist zu erfüllen, zu diesem Zweck die Universität aus einer selbstgewollten Isolierung zu lösen, stärkere Berührung von Wissenschaft und Leben herbeizuführen und die Universität mit dem lebendigen Atem praktischer Probleme zu durchdringen, das waren die Gedanken, die Klein durch seine Organisationsbestrebungen zu verwirklichen suchte. "Ich werde mich hier nicht in die allgemeinen Gründe verlieren, welche eine baldige Vereinigung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten im Interesse unserer Gesamtkultur zu einer Notwendigkeit machen", so schrieb er Althoff, "es genügt mir jetzt, darauf hinzuweisen, daß solche Vereinigung schon allein im Interesse unserer mathematischen Studien zu wünschen ist60." Die Eindrücke, die Klein in Hannover von dem Lehrbetrieb und den Einrichtungen der Technischen Hochschule gewann, hatten ihn in seiner Überzeugung nur bestätigt, wie notwendig es war, eine engere Verbindung zwischen Technik und Universitätswissenschaft herzustellen. Tatsächlich hatte ihn die Idee einer Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule seit langem beschäftigt, sie schien sich ihm folgerichtig aus der Konsequenz seiner allgemeinen wissenschaftlichen Prinzipien zu ergeben. Er war sich durchaus klar darüber, daß ein praktischer Erfolg solcher Vorschläge entweder nicht ohne weiteres zu erwarten war, oder jedenfalls sehr große Anstrengungen verlangte. Hier zeigte sich gerade seine unerbittlich naive Sachlichkeit, wenn er, alle äußeren Bedenken beiseite lassend, sich für die Vereinigung der getrennten Bereiche einsetzte, die- so war er überzeugt- in unfruchtbarer, ja gefährlicher Weise auseinanderstrebten. Er hatte den Aufstieg der Technischen Hochschulen sehr genau beobachtet, die "Technikerbewegung" war für ihn nichtlediglich eine Standesangelegenheit, sondern Ausdruck einer großen "Kulturbewegung" und ein Indiz für die zum Schaden für beide Seiten divergierende Entwicklung. In dem schon zitierten Brief an Althoff vom 27. Mai 188861 befürwortete er jetzt generell die Verschmelzung von Technischer Hochschule und Universität. Unter der Fülle von Gründen, die für ihn unabweisbar eine solche Vereinigung forderten, mochte das Interesse der mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien noch als vielleicht minder wichtiger Grund erscheinen, obgleich er sich anheischig machte, eo 61

Klein an Althoff, ebd.

DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 1,1.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

durch zahlreiche schlagende Beispiele die schweren Nachteile der Zweiteilung für diese Disziplinen zu belegen. Als bedeutsamer hob er das Mißverhältnis im Hinblick auf die praktische Wirksamkeit beider Hochschulen hervor und wiederholte in Anbetracht der großen technischen Entwicklungen die Frage, die er schon in seiner Leipziger Antrittsrede gestellt hatte: "Muß die Universität nicht fortwährend an Bedeutung verlieren, wenn sie dieses Moment einfach ignoriert?" Durch eine Vereinigung, so führte er an, werde sich andererseits die Technik in neuer Weise fortentwickeln können, wenn es gelänge, den Vertretern der technischen Fächer damit die freie Art wissenschaftlicher Anschauung zu vermitteln, die bisher das Privileg der Universitäten geblieben sei. Das "Allgemeine Kulturinteresse" bezeichnete Klein jetzt als wichtigsten Grund für eine Verschmelzung, der Ausgleich der Gegensätze von Humanismus und Realismus, von philologisch-historischer und naturwissenschaftlichtechnischer Bildung in einer höheren Einheit: "Die wahre Bildung der modernen Zeit." Auf der Ebene der Höheren Schulen standen sich diese Gegensätze noch gänzlich unvermittelt gegenüber. Deshalb, so argumentierte er, müsse bei den Hochschulen begonnen werden. Beide Richtungen würden sich auf diese Weise näherkommen, ihre heranwachsenden Vertreter dadurch mehr voneinander wissen und sich besser verstehen, als dies jetzt der Fall sei. Mit der Billigung des Ministeriums werde es schließlich nicht schwer sein, eine "Agitation" für diesen Plan ins Leben zurufen. Klein konnte und wollte sich bei diesen Vorschlägen weder auf Autoritäten noch auf Gesinnungsgenossen berufen, lediglich seine eigenen wissenschaftlichen Grundauffassungen hießen ihn, in dieser Richtung voranzugehen. Für den Fall, daß seine Anregungen im Kultusministerium Interesse fänden, kündigte er eine umfangreiche Ausarbeitung und eine tiefere Begründung des Planes an. Dort zeigte man sich freilich keineswegs interessiert. Althoff legte diese Ausführungen Kultusminister von Goßler mit der Anmerkung vor, Klein sei ein zwar "ideenreicher aber unruhiger Kopf". Die Reaktion des Ministers war eindeutig ablehnend. Eine öffentliche "Agitation" für solche Pläne schien ihm geradezu verhängnisvoll zu sein und er entschied ausdrücklich, daß es keinen Anlaß gäbe, darauf amtlich zu antworten82 •

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Anweisung und Aktennotiz DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 1,1.

2. Universitätswissenschaft und Technik

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2. Universitätswissenschaft und Technik a, Vereinigung von Universität und Tedmisdler Hodlsdlule Kleins Denkschrift vom 6. Oktober 1888

Klein hatte inzwischen auch dem Kurator der Göttinger Universität, von Meier, seine Ideen vorgetragen, wie er sie Althoff gegenüber skizzierte. Der Kurator forderte ihn nun von sich aus auf, diese Gedanken in ausführlicherer Form darzulegen, und Klein benutzte daraufhin die Herbstferien zur Ausarbeitung einer Denkschrift über die Vereinigung derTechnischen Hochschulen mit den Universitäten, insbesondere die Eingliederung der Technischen Hochschule Hannover in die Universität Göttingen. Anfang Oktober 1888 reichte er sie dem Kurator ein1• In einem Begleitbrief wies er darauf hin, daß er hier vorerst auf die prinzipiellen Fragen eingegangen sei, andere Argumente könnten leicht hinzutreten, da seine Darlegungen wesentlich auf die allgemeinen Entwicklungen abzielten. Der Denkschrift fügte er als ergänzende Anlage seine Leipziger Antrittsrede aus dem Jahre 1880 bei. Wenn sie auch noch nicht so weitgehende Forderungen enthielt wie er sie jetzt aufstellte, so hatte er sie seinerzeit doch bereits aus dem gleichen Grundgedanken heraus konzipiert. Mit Kleins Einverständnis schickte der Kurator noch im gleichen Monat Denkschrift und Anlagen an das Kultusministerium. Er war immerhin der Ansicht, daß Kleins Arbeit bei allen zu erwartenden Einwendungen und möglichen Widerständen doch der Beachtung wert schien und sich für die Entwicklung des Hochschulwesens in der Zukunft vielleicht einmal als fruchtbar erweisen konnte. In großer Klarheit und zwingender Gedankenführung ließ die Denkschrift deutlicher als andere Äußerungen Kleins seine starken wissenschaftlichen Überzeugungen als den Ausgangspunkt seiner Bestrebungen erkennen. Auch wenn die hier niedergelegten Ideen nie zu einer Verwirklichung gekommen sind und er sie unter dem Zwang allseitiger Ablehnung notgedrungen modifizieren mußte, um sie später wenigstens in bestimmten Ansätzen durchführen zu können, so hat er an den hier ausgesprochenen Auffassungen Zeit seines Lebens festgehalten und sie mit großer Energie vertreten. Überblickt man die Entwicklungsgeschichte der Technischen Hochschule vom Beginn des 19. Jahrhunderts an bis zum ersten Weltkrieg, so muß die Denkschrift Kleins zwar als ein vielfach eigenwilliger aber doch als der bedeutendste Beitrag in der während dieses gesamten Zeitraumes nicht abgerissenen Diskussion über das Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule angesehen werden. 1

Datiert vom 6. Oktober 1888, UAG Kuratorialakten 4 I Nr. 88 a.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Klein geht vom Standpunkt des Mathematikers aus und, um die Verschmelzung der beiden Hochschulen zunächst im Interesse der Mathematik zu begründen, formuliert er seine eigene Auffassung von der allgemeinen Aufgabe der Mathematik: Die mathematische Wissenschaft sei nicht, wie es scheinen könnte, ein für sich bestehendes, aus sich selbst heraus weiterwachsendes "scholastisches System", dessen höhere Teile nur für den Fachmann von Interesse seien und für die Allgemeinheit nur durch seine formale Vollendung in logischer und pädagogischer Hinsicht Bedeutung beanspruchen könnte, vielmehr eine "entwicklungsfähige und entwicklungsspendende Methode", die in allen Problemen quantitativer Natur einzusetzen habe. Mit Technik und Physik im weitesten Sinne müsse sie demnach in fortwährender Wechselwirkung stehen. Abgesehen von der Zersplitterung in divergierende Schulmeinungen habe aber die Mathematik der deutschen Universitäten sich von der in dieser Formulierung enthaltenden Forderung seit Jahrzehnten entfernt. Das gelte sowohl vom Inhalt als auch vom Unterricht der "Universitätsmathematik". Sie habe weitgehend darauf verzichtet, mit den Fortschritten der Nachbargebiete Schritt zu halten, ja von ihnen überhaupt Kenntnis zu nehmen. Im einzelnen geht Klein hier vor allem auf die Entwicklung in der Technik ein, im Zusammenhang mit Mechanik, Kinematik und graphischen Methoden. "Die tiefeindringenden Theoreme und genialen Auffassungen der Mathematiker, werden sie von denen, die es angeht auch nur beachtet?" Die deutschen Techniker, so konstatiert er, stünden in ihrer exakt-wissenschaftlichen Durchbildung gegenüber den Fachgenossen in manchen anderen Ländern, vor allem in Frankreich, noch immer sehr zurück, und es drohe von hier aus auch ein Zurückbleiben in anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Ansätze zur Besserung sieht er darin, daß manche der Universitätsprofessoren der Mathematik wenigstens zeitweise an einem Polytechnikum tätig gewesen waren. Im Hinblick etwa auf Forderungen, wie er sie selbst in seiner Leipziger Antrittsrede vorgebracht hatte, stellt er fest, daß es sich dabei noch immer nur um kleine Maßregeln handle: "Wir erreichen durch sie weder die wünschenswerte Erweiterung unseres Zuhörerkreises, noch irgendwelche Geltung unserer Theorien in weiteren Kreisen. Beides scheint erst möglich und dann durch die Macht der Verhältnisse selbst gegeben, wenn die Polytechnika den Universitäten hinzutreten." Dadurch würden die Universitäten gezwungen sein, ihre bisherige Einseitigkeit aufzugeben. Keineswegs will Klein die bedeutenden Leistungen der reinen Wissenschaft verkennen, habe sie sich doch, wie er betont, "in der theoretischen Isolierung ein wesentliches Gut bewahrt: die Reinheit des wissenschaftlichen Interesses" und den "Idealismus der Lebensauffassung". Auch eine Einbeziehung der Technik werde dies nicht beeinträchtigen dürfen.

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Er sieht hierin jedoch lediglich eine Frage der organisatorischen Abgrenzung der Studien. Neben dem Standpunkt des Mathematikers wäre es nun nicht weniger wichtig, jenen der anderen Einzelwissenschaften darzulegen. Dabei würden sich nach Auffassung Kleins zweifellos gleiche oder ähnliche Argumente ergeben. Notwendiger erscheint ihm indessen, auf die generelle Bedeutung einzugehen, die eine Einbeziehung der Technischen Hochschule für die Stellung der Universität als solcher haben mußte. In einem besonderen Abschnitt seiner Denkschrift geht es ihm deshalb um das "allgemeine Universitätsinteresse." "Die Entwicklung des Universitätswesens in den letzten fünfzig Jahren liegt wesentlich nach Seiten des Spezialstudiums", so legt er dar, dies habe einen großen Vorteil gehabt, man sei dadurch in vieler Beziehung über die Flachheit einer bloß enzyklopädischen Bildung hinweggekommen. Im Laufe dieser Entwicklung hätten aber die Universitäten nach verschiedenen Seiten hin die Fühlung mit den Fragen des modernen Lebens verloren. In der Medizin sei dies naturgemäß am wenigsten der Fall, und unter den Naturwissenschaften beanspruche die Chemie eine Sonderstellung. Hier verband Liebig mit seinen hohen theoretischen Leistungen eine eminente praktische Begabung. Klein sieht in der Abtrennung der Universitäten von den "realen Interessen der fortschreitenden Kultur" eine große Gefahr für sie selbst, für ihre eigene notwendige Aufgabe in der modernen Welt. Er befürchtet ihre zunehmende Isolierung und findet, schon im Interesse der Selbsterhaltung müßten sie versuchen, verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Die Einbeziehung der Technischen Hochschule wäre dazu eine Maßregel von hervorragender Bedeutung; denn Technik und Industrie - niemand könne das leugnen- gehören jetzt zu den wesentlichen Kräften, sie geben der modernen Zeit die eigentliche Signatur. Klein bestreitet nicht, daß mit den engeren Beziehungen zu den Elementen der Praxis das eigentliche Grundprinzip der Universität, ihre freie Wissenschaftlichkeit gefährdet sein könnte. Auf manchen Gebieten, das sieht auch er, ist diesem Prinzip bereits vielfach Abbruch getan. Hier liegt tatsächlich ein Gegensatz, so meint er, dem man nicht ausweichen dürfe, sondern der durchgekämpft werden muß: "Ich trete in dieser Beziehung durchaus für das ein, was ich die praktische Lebensauffassung nennen möchte." Es kennzeichnete seine Wertschätzung des Ingenieurberufes und sein Verständnis für die Standesbewegung der Techniker, wenn er hervorhebt, daß durch die Trennung von Technischer Hochschule und Universität das technische Studium und damit der Berufsstand der Techniker in den Augen der Öffentlichkeit herabgedrückt werde, und er traf einen wesentlichen Punkt dieser Bewegung, wenn er die Frage stellt: "Solange jeder Landwirt oder Apotheker mit Leichtigkeit den Doktortitel erwirbt,

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

weshalb soll dieser Titel den Technikern unerreichbar sein?" und wenn er hinzufügt: "Es liegt auf der Hand, daß andere Diplome hierfür offenbar keinen Ersatz bieten." Mit Notwendigkeit bedinge dieser Zustand, daß sich bei den Technikern eine gewisse "plebejische Sinnesweise" ausbreite, welche die "allgemeine Bildung" zu überwuchern drohe. Klein ist demgegenüber objektiv genug anzufügen - und er mochte hier aus eigener Erfahrung sprechen -: "Es ist das direkte Gegenstück des exclusiven Hochmuts technischen Bestrebungen und technischen Persönlichkeiten gegenüber, den man in akademischen Kreisen zu beobachten pflegt." Es gelte nun aber das eine wie das andere zu überwinden. Wenn man an der Universität den Gesamtumfang der heutigen Bildung gleichzeitig achten und verstehen lerne, so werde damit für spätere Diskussionen zwischen Humanismus und Technik ein viel gesunderer Boden bereitet als jetzt, "wo Unkenntnis so oft das große Wort führt". Die technischen Fächer will Klein in der Form einer eigenen technischen Fakultät in die Universität eingegliedert wissen. Sie müsse in allen Beziehungen den übrigen Fakultäten gleichgestellt sein, das Promotionsrecht für die Techniker erhalten, ebenso das Recht, in der üblichen Weise den Rektor zu stellen. Andererseits sollten die Zulassungsbedingungen zum technischen Studium die gleichen sein wie für alle anderen Fächer. Klein hebt in diesem Zusammenhang besonders einen Punkt hervor, der ihn später noch oft beschäftigen sollte, daß nämlich die philosophische Fakultät als "theoretische Fakultät" ungetrennt erhalten bleiben müsse, umgeben von den anderen Fakultäten, die jeweils auf einen bestimmten Beruf vorbereiten, der theologischen, juristischen, medizinischen und technischen Fakultäten. Durch die theoretischen Fächer der Polytechnica werde sie darüber hinaus noch eine Erweiterung erfahren. Während eine Teilung der an den preußischen Universitäten noch Naturund Geisteswissenschaften umfassenden philosophischen Fakultät bekanntlich jahrzehntelang erörtert wurde, hat Klein auch später immer an dieser Einheit festgehalten und ihre Aufspaltung in eine mathematisch-naturwissenschaftliche und in eine philosophisch-historische Fakultät abgelehnt und bekämpft. Auch in dieser Frage brachte er seinen "Universalismus" zur Geltung, der ihn unter Einbeziehung der Technik den Blick auf dasGanze der Wissenschaft richten ließ und auf die engen Wechselbeziehungen der verschiedenen Disziplinen. Innerhalb dieser großen philosophischen Fakultät soll sich nach Kleins Vorstellungen der "Idealismus einer rein wissenschaftlichen Lebensauffassung traditionell entwickeln", und von hier aus auf die anderen Fakultäten einwirken. Darin sieht er schließlich auch die Abwehr einer materialistischen Gesinnung, die nach dem Vorurteil vieler gebildeter Zeitgenossen notwendig mit der Technik eng verbunden war.

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In den Grundzügen skizziert Klein, wie er sich die Neuorganisation der technischen Studien allgemein und die Abgrenzung von philosophischer und technischer Fakultät denkt und bringt dabei vor allem die preußischen Verhältnisse zur Sprache. Es ist nicht Sinn seines Antrages, daß jede Universität eine technische Fakultät erhält, das scheint ihm nicht einmal wünschenswert. Überhaupt tritt er dafür ein, daß sich die verschiedenen Universitäten individuell entwickeln. Da es in Preußen nur drei Technische Hochschulen gibt, liege hier das Problem viel einfacher als es von vornherein den Anschein hat. Die Verhältnisse in Berlin will Klein von seinen Vorschlägen ausgenommen wissen. Hier an dem großen Mittelpunkt müssen sämtliche Anstalten einzeln auf das beste entwickelt und ausgestaltet werden, denn dort würde eine Wechselwirkung zwischen den Fakultäten der übergroßen Universität doch nie zu erreichen sein. Gerade auf diese Wechselwirkung aber kommt es Klein hauptsächlich an. In Berlin gilt es demnach, die Technische Hochschule in allen Angelegenheiten der Universität gleichzustellen, in jedem Fall muß sie das Promotionsrecht erhalten. Damit bleibt nur noch die Vereinigung der Anstalten Hannover-Göttingen und Aachen-Bonn in Betracht zu ziehen. Zunächst kommt es ihm wesentlich auf die ersteren an. Die Verlegung der Technischen Hochschule Hannover als technische Fakultät nach Göttingen, davon ist er überzeugt, kann keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten. Klein möchte die ganze Frage vor allem unter dem "Göttinger Gesichtspunkt" betrachten. Werde hier der Universität eine technische Fakultät angegliedert, so knüpfe man damit, wie er betont, eigentlich an die Göttinger Vergangenheit an, an jene Tradition, welche die Göttinger Universität einst groß gemacht hat. Die führende Stellung Göttingens in den exakten Wissenschaften könne durch eine solche Maßnahme mit einem Schlage und auf das Glänzendste wiedererrungen werden. Das eben sei die unvergleichliche Leistung von Gauß gewesen, so stellt Klein fest, daß er nicht nur in der reinen Mathematik nach den verschiedensten Richtungen schöpferisch vorgegangen sei, sondern daß er die Gesamtheit der Anwendungen mit seinen theoretischen Anschauungen durchdrang, und er fügt hinzu: "Verlegen wir die Technische Hochschule Hannover nach Göttingen, so treten wir in das Gaußsehe Erbe in viel allgemeinerem Sinne ein, als das seither möglich war." Darüber hinaus könne in der Göttinger Universitätstradition aber noch weiter zurückgegriffen werden, und er erinnert an die große Zeit Göttingens als bedeutendste deutsche Universität der Aufklärung. Er wußte sehr wohl, daß es mit einer rein äußerlichen Vereinigung der beiden Anstalten allein nicht getan war und daß erst nach einer organisatorischen Eingliederung die eigentliche Integration beginnen konnte, um eben die besonderen wissenschaftlichen und allgemein kulturellen Zwecke zu erreichen, um die es ihm zu tun war. Zu einer wirklich orga-

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nischenVerschmelzungder technischen Disziplinen mit den Fächern der Universität bedurfte es auf beiden Seiten einer vorurteilsfreien Achtung, des festen Vorsatzes "von einander zu lernen und miteinander zu arbeiten", und im letzten Teil seiner Denkschrift erläutert Klein, was er selbst von seinem eigenen Fachgebiet aus dazu beitragen würde. "In der Tat," so schließt er, "der Gesichtspunkte bin ich mir sicher, das Übrige wird der wohltätige Zwang besorgen, den die Verhältnisse gegebenenfalls von selbst ausüben werden." Als Klein, von seinen wissenschaftlichen Überzeugungen angetrieben, mit diesen Plänen hervortrat, suchte er zwar bewußt an bestimmte Traditionen der Universität anzuknüpfen, wußte aber kaum etwas davon, daß gleiche oder ähnliche Vorschläge und Argumente zur Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule die ganze Geschichte des höheren technischen Schulwesens begleitet hatten. So stand er hier etwa in einer Reihe mit dem schon erwähnten Friedrich Thiersch, mit dem Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer' und dem Staatswissenschaftler Lorenz von Stein3 ebenso wie mit den Chemikern Justus von Liebig und Lothar Meyer•. Wären ihm die Äußerungen dieser Universitätslehrer schon zu dieser Zeit bekannt gewesen, hätte er kaum versäumt, zumindest darauf hinzuweisen. Statt dessen hatte er als weitere Anlage seiner Denkschrift5 eine Rektoratsrede des Leipziger Germanisten Friedrich Zarncke beigefügt, worin dieser im Rahmen universitätshistorischer Darlegungen die Angliederung einer "technisch-realistischen" Fakultät begrüßt und als Vollendung des alten, ehemals gültigen enzyklopädischen Systems der Universitäten bezeichnet hatte6 • Selbst wenn man Kleins Vorschläge im wissenschaftlichen und praktischen Interesse als erstrebenswert anerkannte, auf dem Hintergrund der inzwischen von den Technischen Hochschulen errungenen Stellung und ihres steigenden Selbstbewußtseins, andererseits vor dem uner.,. schüttert von der "reinen" Wissenschaft her "idealistisch" interpretierten Selbstverständnis der Universität, mußten sie als tiefgreifende Umgestaltung des Hochschulwesens erscheinen. Es war leicht vorstellbar, mit welchem scharfen Widerstand zu rechnen war, wenn man etwa Kleins Antrag amtlich diskutierte. Die Anmerkungen, die man im Ministerium zu der Denkschrift machte, zeigten freilich, daß davon keine Rede sein Vgl. Friedrich Theodor V i scher, Altes und Neues, H. 3, Stuttgart 1882. Vgl. Lorenz von Stein, Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft, Stuttgart 1876. • Vgl. Lothar Meyer, Die Zukunft der deutschen Hochschulen und ihrer Vorbildungsanstalten, Breslau 1873; derselbe, Akademie oder Universität?, Breslau 1874. 5 Neben Programmen der Technischen Hochschule München und Hannover. 8 Friedr. Zarncke, Über Geschichte und Einheit der philosophischen Fakultät, Rektoratsrede Leipzig 1881. 1 3

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konnte. Kultusminister von Goßler hatte die Motive, die Klein bewegten, auch gar nicht verstanden7 , im Gegensatz zu Althoff, der gerade in dieser Frage, wie sich noch zeigen sollte, keine Neophobie kannte, der aber jetzt Realpolitiker genug war, um zu sehen, daß eine praktische Durchführung auch in absehbarer Zeit ausgeschlossen war. Ein halbes Jahr später wurde die Denkschrift an den Universitätskurator mit dem Bemerken zurückgeschickt, daß sich kein Anlaß fände, den dort angeführten Vorschlägen näherzutreten8 • Klein hatte zur gleichen Zeit dem Direktor der Technischen Hochschule Dresden, dem schon erwähnten Gustav Zeuner - seine Ideen und Organisationspläne mitgeteilt9 • Schon von Leipzig aus war es zu Verbindungen nach dort gekommen, aber auch Zeuner äußerste sich skeptisch über die Möglichkeiten einer Verwirklichung. Kleins Streben, engere Beziehungen zwischen der wissenschaftlichen Technik und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen an den Universitäten herbeizuführen, konnte er nur nachdrücklich unterstützen. Für den Gedanken einer Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität hatte auch er sich schon früher eingesetzt, wie er Klein versicherte, von seiten der Universitäten indessen nur entrüstete Ablehnung erfahren. "Wie anders hätte sich alles gestalten können", so schrieb er jetzt an Klein, "wenn solche Gedanken dreißig Jahre früher Unterstützung gefunden hätten." Der Widerstand der Universitäten sei jetzt aber noch ungleich stärker als jemals zuvor, und Zeuner gab zu bedenken, daß die Technische Hochschule selbst inzwischen kaum noch einen Vorteil in der Vereinigung mit den Universitäten erblicken könnte und daß eine Durchführung des Gedankens auch von dieser Seite her Widerstand finden werde10• Es blieb fortan ein Merkmal der organisatorischen Maßregeln und Bestrebungen Kleins, die sich bald verstärken sollten, daß sie zunächst von allen Seiten den heftigsten Widerstand hervorriefen. Frei von jeder Bitterkeit mußte er später mit Recht notieren: "Ich bin sehr oft in der Minorität und häufig genug in gänzlicher Vereinsamung gebliebenu." Das hinderte ihn freilich nicht daran, unbeirrt an seinen Zielen festzuhalten. Seine festgegründeten wissenschaftlichen Überzeugungen mochte er in Einzelheiten modifizieren, ohne in ihren Grundzügen davon abzugehen. Von der Fähigkeit offizieller Körperschaften, neuen Problemen und seinen eigenen Ideen gegenüber die richtige Orientierung zu finden, 7 Das hatten schon die Randbemerkungen gezeigt, mit denen er die vorausgehende Eingabe Kleins an Althoff versah. Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I Nr. 1,1. 8 UAG 4 I Nr. 88 a. 0 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 12. 10 Zeuner an Klein 24. November 1888. 11 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L.

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behielt er, von Erfahrungen genötigt, eine geringe Meinung. Wenn er sich selbst im Sinne Wilhelm Ostwaids als einen "Romantiker" bezeichnet hatte, so fand er gleichzeitig, daß ihm neben seinen "natürlichen wissenschaftlichen Interessen und der Freude am Unterrichten" ebenso der Wunsch zu "organisieren" und besonders eine "gewisse Zähigkeit, nicht locker zu lassen", eingeboren sei12• b) Die technischen Disziplinen und die Akademie der Wissensehaften Kleins Rolle bei der Reorganisation der Göttinger Gesellsehaft der Wissenschaften

Fast zur gleichen Zeit, als Klein seine Denkschrift verfaßte, beschäftigte er sich bereits mit einer Aufgabe, die für ihn in unmittelbarem Zusammenhang mit den dort formulierten Ideen stand und die er selbst als zwingende Fortsetzung seiner Forderung ansah13• Sie ergab sich aus der wichtigen Rolle, die er im Zusammenhang mit der Reorganisation der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften spielte. Mehr als die bis dahin von ihm vorgebrachten Pläne sollte sie ihm zunächst die stärkste Gegnerschaft einbringen, aber auch die bedeutende Stellung erkennen lassen, die er inzwischen erlangt hatte. Der Zeitpunkt der Erneuerung der Göttinger Akademie fiel nicht ohne Zusammenhang in die gleichen Jahre, die Klein selbst als die entscheidende Zäsur in seinem wissenschaftlichen Leben ansah. Der Plan zur Reorganisation der Gesellschaft der Wissenschaften war nach einer langen Periode der Stagnation14 durch ein Gutachten in Gang gekommen, das der Orientalist Paul de Lagarde 1885 auf Capri verfaßt hatte, und das im Jubiläumsjahr der Universität 1887 im Druck erschien16• Im selben Jahr war Klein, von dem man einen "bedeutenden Zuwachs an schaffender Energie" erwartete16 , in die Gesellschaft aufgenommen worden. Die Frage der Reorganisation trat bald danach an ihn heran, als ihn der Kurator der Universität auf Althoffs17 Veranlassung zu einem eigenen Gutachten über die Schrift Lagardes aufforderte18• Lagarde hatte dargelegt, Göttingen müsse aufhören, eine Provinzuniversität zu sein, u Ebd. Brief Kleins an Althoff vom 7. 2. 1889, UBG Cod. MS Nachlaß Klein I B 5. 14 Vgl. R. Smend, Die Göttinger Gesellschaft d. Wissenschaften, Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens der Akademie der Wissenschaft in Göttingen, 1951, S. XII. 15 Die königliche Gesellschaft der Wissenschaften betreffend. Ein Gutachten von Paul de Lagarde, Göttingen 1887. 16 Brief des Sekretärs der Gesellschaft, des Philologen Sauppe an Klein vom 28. Dez. 1886, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 11. 17 DZA Rep. 92 NA, B Nr. 92. 18 UBG Cod. MS Nachlaß Klein III B. 13

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und sich wieder zu dem erheben, was sie einst zur Zeit ihrer höchsten Blüte gewesen sei: "Eine Universität für Europa und mehr als Europa." Die Neugestaltung Göttingens könne aber nur von der Gesellschaft der Wissenschaften ausgehen, ihr müßten neue Aufgaben gestellt werden10• Es war nicht erstaunlich, daß Klein gerade hier sogleich anknüpfte, seine eigenen Absichten sollten ja nicht weniger auf Erneuerung und Stärkung hinauslaufen. Er machte sich den Gedanken zu eigen, durch Ausdehnung ihres Bereiches über den Kreis der Göttinger Gelehrten hinaus, der "Societät" neue Kräfte zuzuführen und ihr eine neue Bedeutung zu geben. Damit bot sich ihm zugleich die willkommene Gelegenheit, in konsequenter Fortführung seiner wissenschaftlichen und organisatorischen Ideen zu versuchen, ihnen im Bereich der Akademie Geltung zu verschaffen. Im Dezember 1888 übersandte er seine "Vorschläge zur Reorganisation und Erweiterung der Göttinger Societät der Wissenschaften" zusammen mit dem "Versuch einer Mitgliederliste" an den Kurator zur Weitergabe an das Ministerium20• Mit anderen Akademiemitgliederun hatte sich Klein in vorausgegangenen Beratungen über Vorschläge zur äußeren Organisaton geeinigt22 • In seinem Gutachten berief er sich auf die "im wesentlichen gemeinsamen Ansichten" mit seinen Kollegen, hatte aber die Ausarbeitung allein vorgenommen. Entscheidend war für ihn, daß es auch in der Arbeit der Akademie zur "Berührung mit den großen Aufgaben der Gegenwart" kam, sollte sie nicht weiterhin auf Nebengleisen ein beschauliches Stilleben führen. Die gleichen Überlegungen, die auch seiner ersten Denkschrift zugrunde lagen - darauf wies er ausdrücklich hin - veranlaßten ihn jetzt zu Vorschlägen, den Kreis der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Gesellschaft durch augewandte Fächer und insbesondere durch die Ingenieurwissenschaft zu erweitern. Bewußt griff er damit über die an den Universitäten vertretenen Disziplinen hinaus. "Wir sind ohnehin entschlossen," so schrieb er, "die Technischen Hochschulen Hannover und Braunschweig in den Bereich der Akademie zu ziehen." Nach Kleins Darlegungen soll die Akademie sowohl räumlich als auch in Hinsicht auf die hier vertretenen Fächer weit über die bisherigen engen Grenzen ihrer Wirksamkeit hinausreichen. Für die mathematischnaturwissenschaftliche Klasse entwarf er sogleich ein weit ausgreifendes de Lagarde, a. a. 0., S. 6. Gutachten vom 24. 12. 1888, DZA Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. 11 Teil IX, Bd. I. tt Vor allem mit dem klassischen Philologen von Wilamowitz-Moellendorff, neben ihm selbst der wichtigste Initiator der Reorganisation. 22 So über die Vereinigung der bisher für sich bestehenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Klassen und über eine entsprechende Erweiterung der phil.-hist. Klasse auf die gleiche MitgliederzahL 19

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Programm. So sieht er etwa eine dankenswerte Aufgabe darin, die "be·· merkenswerten Ansätze" zur Entwicklung der Präzisionsmechanik durch wissenschaftliche Kooperation zu stützen, und er steht hier auf Überlegungen, die der Entstehung der Physikalisch-technischen Reichsanstalt zugrunde lagen. Bestimmte Gebiete der wissenschaftlichen Technik, die er im einzelnen anführt, sollen in Göttingen entwickelt werden. In Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Hannover schlägt er vor, die Experimentalbereiche der Physiker und Techniker zu gewissen Untersuchungen zu verbinden. Auch hier geht es ihm um ein wechselseitiges Durchdringen von reiner Forschung und technischer Wissenschaft. Wenn er so bewußt an die Göttinger Traditionen anknüpfen wollte, mochte ihm auch hier der "Grundzug praktischer Nüchternheit" und "nüchterner Rationalität" vorschweben, durch die sich die sachlichen Leistungen der Göttinger Akademie der Aufklärung kennzeichneten23• Klein war durchaus der Ansicht, daß "bloße Praktiker" nicht in die Akademie gehörten, fand aber, daß "solche Männer, die mit wissenschaftlichen Gesichtspunkten im praktischen Leben stehen, ganz besonders willkommen sein müssen". Deshalb wollte er Vertreter der Technik in die Gesellschaft als ordentliche Mitglieder aufgenommen wissen. Auch darüber hatte er mit Gustav Zeuner korrespondiert und ihn um die Nominierung geeigneter Persönlichkeiten gebeten24• Zeuner nannte den schon erwähnten Brücken- und Eisenbahnbauer Launhardt aus Hannover und den Kältetechniker Professor Karl Linde. Klein wünschte daneben vor allem eine Vertretung des Maschinenbaues und hoffte dafür aus der Technischen Hochschule Braunschweig geeignete Kräfte heranziehen zu können. Mit diesen Plänen wandte er sich zugleich auch unmittelbar an Althoff. Erneut machte er auf die "seit Dezennien" vernachlässigten Beziehungen zu den Anwendungen und zur Technik aufmerksam, auf das Erfordernis, hier "ungeheuer viel nachzuholen", um schließlich kategorisch zu erklären, jedermann müsse jetzt die Notwendigkeit entsprechender Maßregeln einsehen, "der über die Verhältnisse aufgeklärt wird und noch fähig ist, neue Entschlüsse zu fassen 25• Kleins Reformvorschläge standen zwar insofern auf dem Boden des Gutachtens von Lagarde, als sie den Wirkungsbereich der Gesellschaft der Wissenschaften in räumlicher, personeller und fachlicher Hinsicht in der Tat bedeutend erweiterten. Eine Einbeziehung der Technik mußte nach dem Selbstverständnis der Akademie aber geradezu als revolutionierend erscheinen. Die Reorganisation in "so großartigem Maßstabe" sollte aber auch aus finanziellen u Smend, a. a. 0., S. IX. UBG Cod. MS Nachlaß Klein III. 25 An Althoff, Dezember 1888, UBG Cod. MS Nachlaß Klein I B 5. 24

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Rücksichten "völlig aussichtslos" sein28• Lagarde distanzierte sich sofort von Kleins Vorschlägen27 und legte seinerseits ein zweites Gutachten vor, das sich wieder eng an die bestehenden Verhältnisse anlehnte28 • Althoff, der Kleins "großen Plänen", wie er sie nannte, durchaus positiv gegenüberstand, verhielt sich offiziell zurückhaltend29 • Insgesamt war es nicht erstaunlich, wenn das Ministerium bald darauf mitteilte, daß es unter den "obwaltenden Umständen" ratsam erscheine, die Pläne wegen einer Reorganisation der Akademie "vollständig beruhen zu lassen." Als Klein noch im gleichen Jahre unter sehr vorteilhaften Bedingungen seinen zweiten Ruf nach den USA erhielt, war er grundsätzlich geneigt, ihn anzunehmen, da sich seine Göttinger Pläne nicht verwirklichen ließen. Er wurde jetzt von Althoff bestimmt, die Berufung abzulehnen30• Auf dessen Angebot einer Professur in Berlin ging er nicht ein, da er befürchtete, daß es dort noch schwieriger sein werde, seine Absichten durchzusetzen, als in den übersichtlicheren Verhältnissen einer kleineren Universität. Neben seiner Denkschrift über die Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität und dem Gutachten zur Reorganisation der Göttinger Akademie bezeichnete er jetzt in einem Bericht an Althoff "die Frage der Einrichtung und Betätigung unserer philosophischen Fakultäten überhaupt" als einen dritten Punkt eines zusammenhängenden Programms. In Verbindung mit seinen Bleibeverhandlungen wünschte er seine Gedanken darüber Althoff und dem Minister selbst vorzutragen, um zu erfahren, "welche von diesen Maßregeln zunächst für eine praktische Inangriffnahme geeignet erscheine31 ." Während der darauffolgenden Verhandlungen, die ihn nach Berlin führten, versuchte Klein die einflußreichen nationalliberalen Politiker Rudolf von Bennigsen und Johannes von Miquel im Einverständnis mit Althoff für seine organisatorischen Pläne zu interessieren. Da es ihm dabei im wesentlichen um Hannover und Göttingen ging, hoffte er - freilich vergeblich -hier Unterstützung zu finden 3z. 18 Kurator Meier an Kultusminister v. Goßler 2. 4. 1889, DZA Rep. 76 Vc, Sekt. 1, Tit. 11, Tell IX, Bd. I; Klein hatte ein festes Budget von 100 000 Mark gefordert. 17 "Es lag tief im Charakter Lagardes, daß er keine Bundesgenossen liebte", so hieß es in einer späteren Eingabe des Kurators an das Ministerium, DZA Rep. 76 Vc, ebd., Bd. II. 28 Gutachten vom 26. 3. 1889, ebd. 10 "Diplomatisch" wie Klein noch häufiger von ihm bemerken sollte. Althoff war zu dieser Zeit noch nicht der mächtige Mann des Ministeriums wie wenige Jahre später unter den Nachfolgern Goßlers. 30 UBG Cod. MS Nachlaß Klein III b. at DZA Rep. 92 NA B 92. 32 DZA Rep. 92 NA B ebd., Bennigsen war zu dieser Zeit Oberpräsident der Provinz Hannover.

8 Manegold

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Gegen die Zusicherung freier Entfaltungsmöglichkeiten entschied er sich, "nicht ohne inneren Kampf", in Göttingen zu bleiben33• Zwar hatte Althoff ihm insgeheim die Unterstützung seiner allgemeinen Bestrebungen zugesagt, Kleins Vorschläge und Pläne riefen indessen einen zunehmenden Widerstand in den Kreisen der Universität hervor. Hatte er sich im Hinblick auf seine "technischen Pläne" und den Ruf aus den USA Gegen die Vorwürfe des "Materialismus und Amerikanismus" zu wehren, so verstärkten sich die Spannungen mit der Mehrzahl seiner Göttinger Kollegen, als er 1890 für einen Studienplan in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern eintrat, ähnlich wie er an den Technischen Hochschulen bestand und zusammen mit dem Physiker Riecke einen entsprechenden Entwurf im Ministerium einreichte. Man sah darin einen Anschlag auf die grundlegende akademische Freiheit und fürchtete, durch solche Bestrebungen ein gefährliches Eindringen technischer Arbeitsweisen, die "Umwandlung der Universität in ein Polytechnikum". Wenn er bisher versucht habe, "in Fakultät Societät und Seminar" zumindest mit den Fachkollegen zusammen vorzugehen, berichtete Klein an Althoff3\ so habe sich jetzt eine solche Mißgunst gegen ihn erhoben, daß er künftig allein operieren müsse und sich dabei stets direkt an Althoff und das Ministerium wenden werde. Durch die Gegnerschaft seiner Kollegen "am weiteren praktischen Ausgreifen gehindert", mußte sich Klein notgedrungen in seiner vielfältigen Aktivität Zurückhaltung auferlegen. Das sollte sich aber bald ändern. Im Jahre darauf wurde sein bis dahin schärfster Antipode, der Mathematiker Schwarz, als Nachfolger seines Lehrers Weierstraß an die Universiät Berlin berufen, nicht ohne daß Althoff vorher darüber mit Klein Verbindung aufgenommen hatte35• Jetzt erhielt Klein in Göttingen tatsächlich freiere Hand. Das bestätigte sich vollends, als er im Sommer 1892 einen glänzenden Ruf an die Universität München erhielt. Der Chemiker Adolf von Baeyer, Nachfolger Liebigs auf dessen Münchener Lehrstuhl, der im Auftrage des bayerischen Kultusministeriums mit Klein verhandelte, versicherte, daß man ihm gerade wegen seiner "eigentümlichen universalen Tendenz" in München volle Entfaltungsmöglichkeiten bieten und ihm darüber hinaus maßgebenden Einfluß auf die Gestaltung des mathematischen Unterrichts in ganz Bayern einräumen würde38• Jetzt war für Klein der Zeitpunkt gekommen, um endgültig seine Göttinger Stellung auszubauen und die Berufung im Sinne seiner Pläne zu nutzen. Als Hauptbedingung für sein Verbleiben in Göttingen forderte 33 "Ein deutscher Professor hat in Deutschland zu bleiben", hatte der Kurator geschrieben. UAG Personalakte Klein. 34 Brief vom 10. Juni 1890, DZA Rep. 92 NA B 92. 35 Althoff hatte wiederum zunächst an eine Berufung Kleins nach Berlin gedacht. UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L. 3& UAG Personalakte Klein.

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er die Durchführung der vier Jahre zuvor beantragten Reorganisation der Akademie. Es war ein hervorragendes Zeichen für die Stärke seiner Position, wenn ihm das Ministerium sogleich alle gewünschten Zusicherungen gab, um ihn in Preußen zu halten und insbesondere versprach, die Reorganisation sofort in Angriff zu nehmen. Es war andererseits begreiflich, daß dieses Vorgehen vor allem unter den Mitgliedern der Akademie eine beträchtliche Erregung hervorrief. Die dann tatsächlich bald darauf neuorganisierte Gesellschaft37 lehnte sich in ihren Statuten eng an die Berliner Akademie an, berücksichtigte allerdings die von Klein ursprünglich geforderte umfassende Erweiterung und vor allem die Einbeziehung der Technik nicht38 • Klein mußte sich nach harten Auseinandersetzungen überzeugen, daß eine solche Umgestaltung nicht durchzusetzen war, und beteiligte sich schließlich, um die Spannungen zu mindern, nur an der Beratung von Einzelpunkten38• Mit einer gewissen Resignation vermerkte er, daß er in dieser Frage die Begrenzung seiner eigenen Leistungsfähigkeit erfahren mußte40 • Unter Beibehaltung der großen Gesichtspunkte hoffte er aber auf eine wenigstens annäherungsweise Durchführung in der Zukunft. Es ist nicht sein einziger Versuch geblieben, technische Disziplinen auch als Akademiewissenschaft zur Geltung zu bringen. Wie wenig er von diesen Gedanken abging, zeigte sich, als er einige Jahre später erneut seine alten Forderungen wieder aufnahm und für die Gesellschaft der Wissenschaften die Einrichtung einer besonderen technischen Klasse forderteu. Nach Ablehnung der ehrenvollen Berufungen, gewann Klein jetzt beherrschenden Einfluß in der Fakultät42• Darüber hinaus konnte er in hohem Maße der Unterstützung des Ministeriums, das hieß vor allem Althaffs sicher sein, der dort in der Folgezeit eine immer mächtigere Position einnahm. Diese Jahre bedeuteten eine Wende in Kleins gesamter Tätigkeit. Seine selbständigen wissenschaftlichen Forschungen traten zugunsten überwiegend organisatorischer Arbeiten zurück. Die Bestrebungen zur Umgestaltung und Erneuerung der allgemeinen wissenschaftlichen und unterrichtlichen Verhältnisse im Sinne der Ideen und Entwürfe, mit denen er bereits bis dahin hervorgetreten war, wurden ihm nun in immer neuen Ansätzen zum wesentlichen Inhalt seines Wirkens.

37 Vgl. Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Geschäftliche Mitteilungen 1894, Göttingen 1895, S. 1 ff. 38 DZA Rep. 76 Vc, Sekt.l, Tit. ll, Teil IX, Bd. II. ss UBG Cod. MS Nachlaß Klein 111 B. 40 Notiz Ende 1892 auf dem Gutachtenentwurf vom Dezember 1888. 41 An Althoff 2. 11. 1898, DZA Rep. 92 NA B 92. 42 Vgl. Seile, a. a. 0., S. 327.

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3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie a) Die Universität als Pflegestätte wissensdlaftlicber Technik Amerikanische Anregungen- Kleins ,.Neues Göttinger Programm"

Im Sommer 1893 reiste Klein im Auftrage des Kultusministeriums nach den USA, um dort als Regierungskommissar die mit der Weltausstellung in Chicago verbundene Unterrichtsausstellung zu besuchen. Während er auf dem dort stattfindenden Mathematiker-Kongreß die deutsche Wissenschaft vertrat, fand er auf einem daran anschließenden Kurs vor einem Kreis hervorragender amerikanischer Mathematiker Gelegenheit, die Entwicklung der neuen Mathematik in Deutschland, insbesondere seine eigenen wissenschaftlichen Forschungen und Auffassungen vorzutragen. Die daraus entstandene Publikation1 - mehrfach aufgelegt- hat wesentlich zur Entwicklung der amerikanischen Forschung auf mathematischem Gebiet beigetragen. Wenn Klein damit Errungenschaften und Erkenntnisse der alten Welt auf die neue übertrug, so sind umgekehrt die zahlreichen Anregungen, die er selbst von dort nach Hause zurückbrachte, nicht weniger wichtig geworden. Eingehend unterrichtete er sich über das amerikanische Hochschulwesen, besuchte verschiedene Universitäten, insbesondere das schon damals berühmte Massachusetts Technological Institute in Boston. Sein besonderes Interesse galt den Einrichtungen, die das Ingenieurstudium an den einzelnen amerikanischen Universitäten gefunden hatte. Im allgemeinen bestand in den USA keine Trennung von Technischer Hochschule und Universität2 • Wenn das dortige Hochschulsystem mit dem deutschen auch schwer zu vergleichen war, so sah Klein seine Idee einer Verschmelzung beider Hochschulen hier verwirklicht. Methode und Organisation der technischen Studien an den amerikanischen Anstalten unterschied sich beträchtlich von denen in Deutschland. Vor allem wurde Klein hier mit der Vorrangstellung des Laboratoriumsunterrichts in der Ingenieurausbildung bekannt. Seit der Weltausstellung in Philadelphia 1876 war mit einem Schlage die mächtige technische Entwicklung Amerikas in das europäische Bewußtsein getreten3 und nicht zuletzt in den Blickpunkt der deutschen Techniker und Industriellen gerückt worden•. Die Chicagoer Ausstellung des Jahres 1893 verstärkte den nachhaltigen Eindruck von den Fort1 "The Evanston Colloquium", New York 1894, dazu UBG Cod. MS Nachlaß Klein22L. 2 Vgl. Sigmund Müller, Technische Hochschulen in Nordamerika, Leipzig 1908. 3 Vgl. Fr. Reuteaux, Briefe aus Philadelphia, Braunschweig 1877. 4 Friedrich Goldschmidt, Die Weltausstellung in Philadelphia und die deutsche Industrie, Berlin 1877.

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schritten und dem bedeutenden Rang der amerikanischen Technik, und die Unterrichtsausstellung ließ im Hinblick darauf auch die dortigen Unterrichtseinrichtungen in einem hellen Licht erscheinen. Die technischen Abteilungen der Universitäten waren zumeist mit großen Maschinenlaboratorien ausgestattet, wie sie in Deutschland noch nahezu unbekannt waren. Klein war frei von den gängigen Vorurteilen über den "Amerikanismus". Mit aufnahmebereitem Geist erfaßte er die großen materiellen und ideellen Triebkräfte des Landes, ganz im Gegensatz zu manchen anderen Gelehrten, die hier den Europäerhochmut hervorkehrten und nur Negatives sehen wollten. Vor allem war er beeindruckt von dem Zusammenwirken von Wirtschaft und Wissenschaft, von Industrie, Technik und Hochschule auf der Grundlage eines Systems der Selbsthilfe und der privaten Initiative. Trotzdem hier die Existenz der Universitäten bei reicher Ausstattung und großer Leistungsfähigkeit wesentlich auf private Spenden und Stiftungen aufgebaut war, konnte Klein die freien Verhältnisse und die weitgehende Selbständigkeit der Anstalten bemerken, ebenso, daß hier keineswegs das rein utilitaristische Interesse beherrschend im Vordergrund stand und etwa nur im Auftrage der Industrie und des Kapitals gearbeitet wurde. Diese amerikanische Organisation erschien ihm als glänzende Lichtseite eines demokratisch erzogenen Kapitalismus. Sollte es nicht möglich sein, auch in Deutschland, wo Hochschulen und Wissenschaftsförderung traditionell reine Staatsangelegenheit war, nach dieser Richtung die Privatinitiative auszulösen und private Kreise der Industrie für seine eigenen wissenschaftsorganisatorischen Pläne zu gewinnen? Die Einsicht, daß die Begünstigung der naturwissenschaftlichen Forschung und technischen Bildung eine Förderung der materiellen Interessen des Landes bedeutete, war ja auch hier keine neue Erkenntnis. Mehr als sechzig Jahre zuvor hatte Alexander von Humboldt auf die engen Relationen zwischen der Entwicklung der Naturwissenschaften, dem industriellen Fortschritt und dem Reichtum der Nation hingewiesen5 • Schließlich waren die technischen Lehranstalten aus dieser Erkenntnis heraus entstanden. Es war allerdings immer der Staat gewesen, der wissenschaftliche Forschungs- und Lehreinrichtungen begründete. Daneben mochte die industrieeigene Forschung, die Errichtung von Industrie- und Firmenlaboratorien eine zunehmende Bedeutung gewinnen, wie etwa in der chemischen und Elektroindustrie, die unmittelbarer als andere auf neuen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut waren. Doch mußten hier die Beziehungen auf das Allgemeine weitgehend fehlen. 5 In seinen berühmten Vorträgen in der Berliner Singakademie 1827, vgl. A. v. Humboldt, Kosmos, Bd. I, Stuttgart 1845, S. 35 ff.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Immerhin gab es auch in Deutschland bereits einige Beispiele direkter öffentlicher Wissenschaftsförderung von privater Seite. Auf Initiative von Siemens war es 1884 zur Errichtung des Lehrstuhles für Elektrotechnik an der Berliner Technischen Hochschule gekommen6 • Vor allem hatte Siemens nicht nur gedanklich und organisatorisch, sondern auch durch eine bedeutende Stiftung die über ein Jahrzehnt hindurch von den staatlichen Behörden erörterte Begründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ermöglicht7 • Die amerikanischen Eindrücke bekräftigten Kleins Absichten besonders nachhaltig: "Bei der Rückkehr brachte ich die lebhafte Überzeugung mit", so schrieb er später, "daß es die dringendste Forderung sei, unmittelbare Beziehungen unseres Universitätsbetriebes zu den maßgebenden Potenzen des praktischen Lebens, in erster Linie zu Technik, dann aber auch zu den drängenden Fragen des allgemeinen Unterrichtswesens herzustellen8. " Solche Beziehungen zu knüpfen, sollte jetzt der Hauptinhalt seiner Betätigung werden: "Indem ich beschloß, mich den hier vorliegenden Aufgaben nachdrücklich zu widmen, würde ich gezwungen sein, mir nach anderer Seite hin eine starke Resignation aufzuerlegen. Ich habe darum fortan auf eigene wissenschaftliche Arbeit in der Hauptsache verzichtet und alle Energie darauf gerichtet, ein kooperatives Zusammenwirken mit anderen zustande zu bringen9." Jetzt war er von der Notwendigkeit durchdrungen, den amerikanischen Anregungen folgend, maßgebende Kreise der deutschen Industrie für seine allgemeinen wissenschaftlichen Ideen zu interessieren. Auf einem Gebiet, wo man traditionell gewohnt war, alles von staatlicher Initiative und Staatshilfe zu erwarten, sollte versucht werden, notwendige Maßrgeln auf der Grundlage privater Initiative zu verwirklichen. Auf der anderen Seite hielt es Klein für nicht weniger wichtig, daß durch eine Zusammenarbeit des Gelehrten mit dem schöpferisch tätigen Industriellen und Techniker eine fruchtbare gegenseitige Einwirkung erreicht werde. In solcherart wechselseitigen Beziehungen zwischen der Welt der Industrie und Technik und dem Bereich von Wissenschaften und Universität sah er jetzt einen wesentlichen Beitrag zur "Humanisierung" jener "maßgebenden Potenzen" des modernen Lebens, zur Überbrückung der Kluft zwischen ,;Industrie und Geist", zwischen Realismus 6 Vgl. Conrad Matschoß, Werner Siemens, Lebensbild und Briefe, Bd. 1, Berlin 1916, S. 175 f. Das erste elektrotechnische Hochschulinstitut war ein Jahr zuvor an der Technischen Hochschule Darmstadt gegründet worden. 7 Vgl. J. Zenneck, Werner v. Siemens und die Gründung der PhysikalischTechnischen Reichsanstalt, Abhandlungen und Berichte des Deutschen Museums, München 1931. 8 Notizen zur Entwicklung seiner Vorlesungen und Arbeiten, geschrieben 1913, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 21 C. 9 Ebd.

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und Humanismus. Noch während seiner Rückreise im Herbst 1893 sandte er einen Erfahrungsbericht an das Ministerium, und bald darauf folgte eine ausführliche Eingabe an Althoff10• Nach seinen hier ganz allgemein dargelegten Ideen und Zielen bezeichnete er diese Eingabe in Analogie zu seinem berühmten "Erlanger Programm" später als "Neues Göttinger Programm" 11 • Klein knüpfte wiederum an seine Denkschrift aus dem Jahre 1888 an. Wiewohl für ihn nach wie vor die angemessene Lösung, war die Vereinigung der bestehenden Technischen Hochschulen mit den Universitäten in absehbarer Zeit nicht zu erreichen, davon hatte er sich in der Zwischenzeit überzeugen müssen. "Ich halte aber an den Grundgedanken jener Eingabe fest", so schrieb er jetzt, "und versuche, eine praktische Form zu finden, die den wesentlichen Teil derselben rettet." Er konnte darauf hinweisen, daß er sich nun damit durchaus in Übereinstimmung mit seinen Kollegen der Mathematik, Physik und Chemie an der Göttinger Universität befand, und daß er erneut Verbindung mit der Technischen Hochschule in Hannover aufgenommen hatte. Es war die bereits mehrfach vorgebrachte Argumentation, die er jetzt mit eindringlichen Beispielen erläuterte: Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien an der Universität entwickeln sich zu einseitig und verkümmern in wichtigen Richtungen, solange keine volle Bezugnahme zur Technik hergestellt wird. Andererseits erreicht die Technik nicht den Grad wissenschaftlicher Durchbildung, den sie nach Maßgabe der vorhandenen wissenschaftlichen Kräfte erreichen könnte. Die Technischen Hochschulen sehen sich darauf beschränkt, einer Masse von Ingenieuren eine technische Durchschnittsbildung zu geben, es fehlt dort an Zeit und oft an geeigneten Lehrern, wenigstens einen Teil der Studierenden darüber hinaus zu führen. Dies muß aber auch unter rein praktischen Erwägungen je länger um so wichtiger werden. Wieder hob Klein das Beispiel der deutschen chemischen Wissenschaft und Industrie hervor, die ihre internationale Geltung allein der hohen wissenschaftlichen Ausbildung der Chemiker verdanke, einer Ausbildung, die darauf beruhe, daß in der Chemie niemals eine solche Trennung zwischen Theorie und Praxis ui Vom 10. 12. 1893, UBG Cod. MS Nachlaß Klein IC 2. Ebd. 22 L, Kleins Ideen und Betätigungen umfaßten eine Fülle von einzelnen Punkten, wie etwa das Frauenstudium, für das er sich, ebenfalls von seinen amerikanischen Eindrücken angeregt, wirkungsvoll einsetzte, die Ausbildung der Lehramtskandidaten, der große Komplex einer mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichtsreform an den höheren Schulen - er hospitierte selbst an höheren Schulen, um den Unterricht dort kennenzulernen, die Berechtigungsfrage und die Zulassung der Realschüler zum Studium und zur Promotion, Prüfungs- und Promotionsregelungen im Hinblick auf "angewandte" Fächer, Fortbildungs- und Ferienkurse, naturwiss.-technische Vorlesungen für Juristen, wissenschaftliche Auslandsbeziehungen und noch viel mehr. Hier geht es nur um die Beziehungen zur Technik, die für ihn allerdings das Hauptanliegen bedeuteten. 11

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stattgefunden hatte wie in den physikalischen und mathematischen Fächern. Von diesen Überlegungen aus kam Klein jetzt dazu, für die Universität Göttingen die Begründung von Unterrichtseinrichtungen vorzuschlagen, die im Anschluß an die bestehenden Studienverhältnisse die Einbeziehung der wissenschaftlichen Technik gestatteten. Hier sollten solche Techniker ihre Stelle finden, die nach Absolvierung der üblichen Studien, Wunsch und Fähigkeit zu weitergehender, höherer wissenschaftlicher Ausbildung hatten. Sie sollten damit zugleich die Möglichkeit der Promotion erhalten. Wenn es nicht gelang, Technische Hochschule und Universität zu vereinigen, so sollte jetzt an der Universität selbst, unabhängig von den Technischen Hochschulen die Technik eine wissenschaftliche Pflegestätte finden. Klein bezweckte, zunächst nur einen allgemeinen Umriß solcher Pläne zu geben. Ehe an eine Umgestaltung "im großen Stile" zu denken sei, könne von ihm und seinen Kollegen bereits einiges geschehen, so werde man zunächst Vorlesungen und Übungen "noch mehr in technischer Hinsicht vorschieben". Althoff erklärte sich mit diesem Programm "prima facie" einverstanden, ließ allerdings durchblicken, daß auf eine finanzielle Unterstützung durch das Ministerium dabei nicht zu hoffen war12• Das hatte Klein aber auch noch gar nicht beantragt. b) Universitätswissenschaft und Industrie - Mißlungene Projekte

Wenn es in Amerika gelungen war, Männer der Wirtschaft und Industrie, die über die notwendigen Mittel verfügen, selbst für entfernter liegende Seiten des Hochschulwesens zu interessieren und mit ihrer Hilfe entsprechende Studien und Forschungseinrichtungen zu begründen und weiterzuentwickeln, warum sollte dies in ähnlicher Weise nicht auch in Deutschland möglich sein? Standen doch hier vor allem die Universitäten in höchstem öffentlichem Ansehen. Davon überzeugt, daß die Industrie selbst an der Begründung der geplanten Einrichtungen das größte Interesse haben müsse, versuchte Klein jetzt, Verbindung mit hervorragenden Industriellen aufzunehmen. Seine Absicht ging dahin, ein gemeinsames Komitee aus Universitätsgelehrten, Professoren der Technischen Hochschule und Vertretern der Industrie ins Leben zu rufen. Das Vorgehen Werner von Siemens' bei der Begründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zur Steigerung der Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Technik13, die engen Beziehungen zwischen der chemischen Großindustrie und der chemischen Wissenschaft an den Hochschulen, schienen Brief vom 12. 12. 1893, ebd. Vgl. Werner Siemens, Über die Bedeutung und die Ziele einer zu begründenden Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, Denkschrift 1884, in: Wissenschaftliche und Technische Arbeiten, Bd. II, Berlin 1891, S. 576 ff. 1! 13

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für die Richtigkeit des Gedankens zu sprechen. Die Schwierigkeit lag zunächst darin, daß er selbst sich auf keine persönliche Verbindung zur Industrie stützen konnte. Er wandte sich an den Geschäftsführer des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute, Schröter, Redakteur der Zeitschrift "Stahl und Eisen", und an den Landtagsabgeordneten Dr. Beumer, der als Geschäftsführer der nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen und Stahlindustrieller und als Generalsekretär des wirtschaftlichen Vereins für Rheinland und Westfalen (Langnahmverein), ein Repräsentant der rheinisch-westfälischen Industrie war. "Ich will den Kontakt mit der Technik, den die Universitäten auf dem Gebiete der Chemie besitzen, gleicherweise auf dem Gebiete der Physik und Mathematik herstellen und wünsche, daß mir die Technik selbst, in Anbetracht der Vorteile, die sie davon erwarten kann, durch Gewährung von Mitteln zur Durchführung des Planes behilflich sein soll", so schrieb Klein an Schröter, dem er seine Absichten darlegte und um Einführung bei maßgebenden Persönlichkeiten der Industrie bat, insbesondere um Vermittlung zur Firma Krupp 14• "Es reizt mich, die Sache auch einmal anders zu versuchen", so kennzeichnete er sein Vorgehen. "Es muß doch nicht alles in unserem Vaterlande von oben regiert werden, und eine freie Unterstützung der Wissenschaft aus den unabhängigen Kreisen, die es zunächst angeht, wäre auch unter allgemeinen Gesichtspunkten eirt großer Fortschritt15." Klein reiste kurz darauf selbst in das rheinische Industriegebiet und es gelang ihm auch, eine Reihe von Persönlichkeiten für sein Projekt zu interessieren. Neben den schon erwähnten Herren Schröter und Beumer waren es der Professor Intze von der Technischen Hochschule Aachen, Direktor Asthöwer als Vertreter von Krupp, Essen, Direktor Adolf Kirdorf16 vom Aachener Hütten-Aktien-Verein17 und schließlich Henry Theodor Böttinger, Direktor der Farbenfabriken Bayer in Elberfeld18• Klein war zu Recht der Meinung, daß lediglich eine Verständigung über das allgemeine Ziel noch keinen konkreten Anfang bedeutete. Er hatte daher gegenüber den Beteiligten als einen ersten Punkt eine enger umgrenzte wissenschaftliche Frage vorangestellt, "wie sie für die Technik von großer Bedeutung ist" 19 und insbesondere dafür um finanzielle Brief vom 10. 3. 1894, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. Ebd. 16 Ein Bruder von Emil Kirdorf, dem Gründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats. 17 Bis zur Vereinigung mit der Gelsenkirebener Bergwerks AG 1907 eines der bedeutendsten Eisenwerke Deutschlands. 18 Später Leverkusen, Schwiegersohn des Firmengründers Friedrich Bayer, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI C. 19 Untersuchungen über Härte, Elastizität, Festigkeit fester Körper, insbesondere der Metalle. 14

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Hilfe gebeten. Als er Ende März 1894 Althoff über den Stand seiner Be·mühungen informierte20, glaubte er bereits von einem ersten Erfolg sprechen zu können, wenn er mitteilte, es sei gelungen, das geplante Komitee zusammenzubringen. Man werde in absehbarer Zeit zu einer konstituierenden Sitzung zusammentreten, auf der er selbst eine grundlegende Denkschrift vorlegen werde. Althoff versprach selbst zu dieser Konferenz zu kommen und auch Kleins engere Göttinger Kollegen, der Experimentalphysiker Professor Riecke, der theoretische Physiker Voigt und der Chemiker Otto Wallach, waren bereit, sich zu beteiligen!1• "Es werde darauf hinauslaufen", erklärte Klein, "daß man die Einrichtung einer Art Physikalisch-Technischen Reichsanstalt postulieren werde, nur daß bei uns die unterrichtliche Seite hinzutritt22." Damit schien alles im besten Zuge zu sein, und bald darauf sandte Klein die angekündigte Denkschrift an das Ministerium und an die in Aussicht genommenen Mitglieder des Komiteesu. Da die bestehenden Verhältnisse auf dem Gebiete der Hochschulengetrennte Entwicklung von Technischer Hochschule und Universitätoffenbar in absehbarer Zeit nicht zu ändern sei, so hieß es hier, handele es sich jetzt darum, die Lücke auszufüllen, die sich dadurch aufgetan habe: Die Schaffung breiter Beziehungen zwischen Universität und Technik. In prägnanter Form entwickelte Klein hier erneut seine schon bekannten Vorstellungen und Ziele. Entscheidend mußte naturgemäß die Frage sein, ob man damit den Industriellen so weit entgegenkam, daß eine ausreichende Unterstützung solcher Bestrebungen von dieser Seite fortschreitend erhofft werden konnte. Klein berief sich erneut auf das Beispiel der Chemie, argumentierte mit der notwendigen Stärkung der Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland, der Steigerung der Qualität und überhaupt mit den steigenden Anforderungen, denen die Industrie künftig in zunehmendem Maße ausgesetzt sein werde. Vertiefte und allseitige wissenschaftliche Grundlagen würden dabei eine immer bedeutendere Rolle spielen. Klein betonte, daß es ihm vorerst keineswegs um Unterrichtseinrichtungen für eine sehr große Zahl von Studenten gehe. DZA Rep. 92 NA, AI Nr. 138. DZA Rep. 92 NA ebd. n Die Reichsanstalt war nach den Ideen ihrer Begründer gerade eine von Unterrichtszwecken freie, autonome Forschungsinstitution und sollte deshalb neben Universität und Technischer Hochschule stehen. Für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht hatte der Staat nach Siemens Ansicht ausreichend gesorgt, aber nur unzulänglich für eine entsprechende Forschung, die, wie er meinte, für die Industrieförderung wesentlichere Seite. Nicht auf die wissenschaftliche Bildung, sondern auf die wissenschaftliche Leistung komme es an, so hieß es in seiner maßgebenden Denkschrift. Wemer Siemens Wissenschaftliche und Technische Arbeiten, Bd. II., a. a. 0., S. 580. 23 Über die Einrichtung einer Abteilung für technische Physik beim physikalischen Institut der Universität Göttingen, Denkschrift vom 11. 4. 1894, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. !o

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Vor allem solche sollten an der Universität die Möglichkeit einer spezifischen höheren technisch-wissenschaftlichen Ausbildung erhalten, die sich durch besondere Begabung dazu berufen fühlten, die technischen Leiter oder wissenschaftlichen Berater großer Betriebe zu werden, eben die .,Generalstabsoffiziere der Technik". Darüber hinaus dachte er an die Heranbildung von Dozenten für die Technischen Hochschulen. Werner von Siemens und den englischen Physiker und Techniker Lord Kelvin 24 zitierte er als Bürgen für seine Gesichtspunkte. Beide würden innerhalb der Technik und Industrie ebenso gefeiert wie in der reinen Wissenschaft, beide seien selbst glänzende Beispiele dafür, was für den Techniker der Vollbesitz der mathematisch-naturwissenschaftlichen Prämissen bedeuten könne. Mit Nachdruck suchte Klein darzulegen, warum er sich mit seinen Plänen an die Privatindustrie wandte und machte allgemein geltend: .,daß wir im öffentlichen Leben überhaupt, je länger je mehr diejenigen zur aktiven Teilnahme heranziehen müssen, welche es zunächst angeht. Wir verlangen von der Industrie nichts, was ihr nicht später selbst im vollsten Maße zugute kommen soll". Die finanzielle Unterstützung bilde dabei nur die eine Seite, ständige und ausführliche persönliche und sachliche Bezugnahme sei für ein Gelingen solcher Pläne nicht weniger wichtig, und er wies hin auf die dringend wünschenswerte wechselseitige Unterrichtung über Forschungseinrichtungen und Forschungsergebnisse zwischen der Universität und den technischen Versuchseinrichtungen und Firmenlaboratorien der Industrie. Als konkreten Zielpunkt entwarf er schließlich den Plan einer dem Physikalischen Institut der Universität anzugliedernden Abteilung für technische Physik, die ihrerseits eine Reihe von besonderen technischen Laboratorien umfassen sollte, etwa für Wärmekraftmaschinen und für Elektrotechnik. Sie müßten mit Maschinen und Apparaten ausgerüstet sein, die den wirklichen Verhältnissen der Technik entsprechen. Es sollte sich bald zeigen, daß Klein das Interesse der angesprochenen Vertreter der Industrie, ihre Bereitschaft zur sachlichen Prüfung seiner Pläne gründlich überschätzt hatte. Der Gedanke, durch private Industriespenden staatliche Lehr- und Forschungseinrichtungen ins Leben zu rufen, war für die deutschen Verhältnisse ungewöhnlich. Kleins allgemeine Darlegungen von der notwendigen Wechselbeziehung zwischen Technik und Wissenschaft in Form einer Verbindung von Universität und Industrie erschienen den Industriellen trotz des Hinweises auf die Chemie vage, der unmittelbare Nutzen der vorgeschlagenen speziellen Aufgaben wenig greifbar. Zweifellos empfand man es als schmeichelhaft, daß von seiten der hochangesehenen aber bis dahin dem Bereich 24 Vgl. dazu auch F. Ktein, Vorlesung über die Entwicklung der Mathematik, a. a. 0., S. 233 ff.

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der Wirtschaft im allgemeinen ebenso fernstehenden Universität eine Verbindung zur Industrie gesucht, daß ein unmittelbarer Kontakt zur Technik angestrebt wurde. Solche Gedanken waren indessen trotz des Vorbildes von Siemens so neu, auch erschienen da Verbindungen zu den Technischen Hochschulen gegebenenfalls viel näherzuliegen und den Interessen der Industrie eher zu entsprechen. Noch war die Zahl und der Umfang jener technischen Gebiete der Industrie sehr gering, in denen man sich etwa von der Verwendung eines Physikers der Universität einen Vorteil versprach25 • Der erwartete Erfolg seiner persönlichen Bemühungen und seiner Denkschrift blieb aus. Enttäuscht mußte er Althoff mitteilen, daß ihm die Herren untreu geworden waren26 • Da vor allem der Vertreter der Firma Krupp eine Teilnahme ablehnte, zogen sich auch die anderen zurück. Damit war Kleins Projekt des "Niederrheinischen Komitees", wie er es genannt hatte, gescheitert, eine Konferenz kam nicht zustande27 • Kleins eigene wissenschaftliche Bedeutung war in den Kreisen, die es anzusprechen galt, zu wenig bekannt, um allein seinen Namen als hinreichende Garantie für Sinn und Zweck solcher Bestrebungen gelten zu lassen. Besonders enttäuschend war der Mißerfolg für Klein im Hinblick darauf, daß er in dem Chefkonstrukteur und Oberingenieur der Berliner Siemenswerke, den Physiker Dr. Raps, bereits eine wissenschaftliche Kraft für das geplante Institut gewonnen hatte, die mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagen mit technischer Erfahrung verbindend, ganz seinen Vorstellungen entsprach. Klein war zu sehr von seinen Ideen überzeugt, als daß er seine Bemühungen aufgegeben hätte. Er wußte, daß es entscheidend sein mußte, wenn es gelänge, eine Firma von der Bedeutung Krupps zu gewinnen. Er dachte auch daran, sich an die Siemenswerke zu wenden, ebenso an den Norddeutschen Lloyd in Bremen und nahm in Aussicht, die technische Abteilung des Kriegsministeriums zu gewinnen28• In dem jungen Chemiker Walter Nernst, Seit 1891 außerordentlicher Professor für physikalische Chemie und Elektrochemie in Göttingen, fand Klein jetzt tatkräftige Unterstützung. Nernst vertrat mit Eifer die Ansicht, daß nur die Universität in der Lage sei, auch in der Technik eine wünschenswerte höhere Ausbildung zu gewähren. Auf Kleins Anregung wandte er sich an den ihm gut bekannten Erlanger Professor Beckmann, der seinerseits mit Friedrich Alfred Krupp persönlich befreundet war, mit der Bitte, diesem das Projekt zu empfehlen. "Als Resultat vorläufiger Erwägun25 Vgl. J. Zenneck, Die technische Physik, in: Aus fünfzig Jahren deutscher Wissenschaft, Festschrift für Friedrich Schmidt-Ott, hgg. v. Gustav Abb, Berlin 1930, S. 324 f. 28 Klein an Althoff, 17. 6. 1894, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. 27 UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI C. 2s DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138.

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gen" erklärte sich Krupp daraufhin bereit, Kleins Vorschlägen näherzutreten und wies seine Verwaltung an, direkt mit diesem in Verbindung zu treten29• Eigens für Krupp arbeitete Klein nun eine neue Fassung seiner vorausgegangenen Denkschrift aus, in der er seinen Plan genauer beschrieb. Er konnte jetzt davon ausgehen, daß die in seinem ersten Expose entwickelten allgemeinen Gedanken insofern schon eine bestimmte Gestalt angenommen hatten, als inzwischen die Gründung eines unter Nernsts Leitung stehenden Instituts für physikalische Chemie erfolgt war30• Klein bezeichnete dies als ein Unternehmen, das der geplanten Ausgestaltung eines physikalisch-technischen Universitätsinstitutes an die Seite gestellt werden könne. Hier wie dort sei das Ziel, die Einrichtungen der Universität mit solchen wissenschaftlichen Fragen in unmittelbare Beziehung zu setzen, die für die fortschreitende Entwicklung der Technik große Bedeutung habe. Nernst, der bereits zu dieser Zeit als einer der ersten Vertreter seines Faches galt und dessen Arbeiten ihn später noch in enge Beziehungen zur Industrie bringen sollten, hatte kurz vorher eine Berufung von Göttingen an die Universität München erhalten und sein Bleiben von der Errichtung eines eigenen Institutes für physikalische Chemie abhängig gemacht. Klein war zusammen mit seinen Kollegen davon überzeugt, daß Nernsts Weggang ein großer Verlust für Göttingen und Preußen und für seine eigene Ziele bedeuten würde und hatte dessen Forderung nachdrücklich unterstützt31 • Nach Gutachten der großen Chemiker Emil Fischer und Wilhelm Ostwald, die sich beide gerade mit dem Hinweis auf die Erhaltung "nationaler Überlegenheit" und Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie, für die Gründung des Institutes ausgesprochen hattenn, war auch Althoff entschlossen, Nernst in Göttingen zu halten. Ende Oktober 1894 verhandelte Althoff mit dem schon erwähnten Direktor der Farbenfabriken Bayer, Henry Theodor Böttinger aus Elberfeld. Böttinger war einflußreiches Vorstandsmitglied des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie und gehörte ebenso dem Vorstand der Deutschen Chemischen Gesellschaft an33• Als Landtagsabgeordneter war er Sprecher der chemischen Großindustrie und hatte sich im Parlament und in Ausschüssen verschiedentlich mit Studien- und Ausbildungsfragen der Chemiker befaßt, die da28

ebd.

F. A. Krupp an Professor E. Beckmann, Erlangen, vom 24.12.1894, DZA

°

3 Chronik der Georg-August-Universität zu Göttingen für das Jahr 1894/ 1895, S. 7 und 1895/96, S. 37 ff. u DZA Rep. 92 NA C Nr. 74. 32 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 46. 33 Vgl. Carl Duisberg, Biographie des Geheimen Regierungsrates Dr.

Henry Theodor v. Böttinger, Deutsches Biographisches Jahrbuch, Überleitungsband II, 1917/20, S. 500 f.

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mals die beteiligten Kreise beschäftigten und das Verhältnis von Universität, Technischer Hochschule und Industrie stark berührten3'. Althoff gelang es, ihn für die Gründung des Nernstschen Institutes zu interessieren und damit war er auch Kleins Plänen "mutatis mutandis" ein wenig nähergekommen35• Er hatte sich Böttinger gegenüber dafür ausgesprochen, Göttingen zu einem "naturwissenschaftlichen Emporium" zu machen38• Dieser hat dann die Errichtung des Institutes in Verbindung mit Althoffs alle üblichen Verwaltungsnormen überspringendem Vorgehen ermöglicht. Es war das erste seiner Art an einer preußischen Universität. Nernst stellte ihm von vornherein die Aufgabe, nicht nur der reinen Forschung, sondern auch der angewandten Wissenschaft, der Technik und Industrie zu nützen. In seiner Eröffnungsrede hatte er in Anwesenheit von Kultusminister Bosse und Althoff betont: "Die Pflege der Beziehungen unseres Institutes zur deutschen Industrie ist eine patriotische Pflicht, aber auch eine Pflicht der Dankbarkeit37." Die Ziele, die er hier darlegte, atmeten ganz den Geist der Ideen Kleins38• In seinem für Krupp bestimmten Expose konnte Klein daher mit Recht das Nernstsche Institut als einen bestimmten Auftakt zur Durchführung seiner eigenen Pläne ansehen. Er selbst sprach jetzt nicht mehr von einer "Abteilung für technische Physik", sondern von einem umfassenden physikalisch-technischen Institut mit Abteilungen unter anderem für Präzisionsmechanik, Elektrizitäts- und Festigkeitslehre, technische Thermodynamik und Elektrotechnik. Es waren - trotz Siemens - an sich neue und faszinierende Gedanken, wenn er ausführte, das Institut müsse sämtliche Hilfsmittel der modernen Physik mit den in technischen Betrieben benutzten wichtigsten Maschinen auf eine Weise vereinen, daß "die ersteren die Hilfs-, letztere die Hauptaggregate bilden". Die Physik erstrebe das Studium der Naturerscheinungen fast immer mit Experimenten, die an den kleinsten Dimensionen ausgeführt werden, während die Technik auf eine Beherrschung der Naturerscheinungen in größtem Maßstabe hinarbeite. Das Institut müsse nun beides, "Mikrophysik und Makrophysik", in sich verbinden. Die an der Universität vorhandenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrkräfte und Einrichtungen bildeten nach seiner Ansicht gewissermaßen einen Vgl. weiter unten. Althoff an Kurator HöpfneT am 23. 10. 1894 DZA Rep. 92 NA C 14. 31 Ebd. 37 Walter Nernst, Die Ziele der Physikalischen Chemie, Festrede zur Einweihung des Institutes für physikalische Chemie und Elektrochemie, Göttingen 1896, S. 15, vgl. auch Zs. f . Elektrochemie Jg. l896, H. 29. 88 Nernst war selbst eine zu eigenwillige und bedeutende Persönlichkeit und hat sich dem wissenschaftlichen "Führertum" Kleins allerdings später entzogen. 3'

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Energievorrat, ein Potential, das bisher für die Maschinentechnik ungenützt geblieben war. Auch hier säumte er nicht, erneut das Argument ins Feld zu führen: Nur durch die Qualität ihrer Leistungen werde die deutsche Industrie ihre Stellung auf dem Weltmarkt behaupten und erweitern können. Das Institut werde darauf hinarbeiten, diese Qualität gerade nach jener Seite zu sichern, die ein "Spezifikum" der deutschen Leistungsfähigkeit sei, nämlich nach Seiten der wissenschaftlichen Durchbildung. Es lag Klein daran, auch Krupp gegenüber hervorzuheben, daß es sich dabei im Grunde um kein Novum handele, vielmehr um eine Restitution dessen, was gerade in Göttingen schon früher unter einfacheren Verhältnissen bestanden hatte. Die Entwicklung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen hätte vielleicht dieselbe Entwicklung genommen wie die Chemie, so stellte er abschließend fest, wenn ein Mann wie Werner von Siemens von der Universität ausgegangen wäre. Aus der Denkschrift ging klar hervor, daß Klein an eine Unternehmung großen Stils dachte, die, wie er wohl meinte, auch der Munifizenz einer Firma von der Bedeutung Krupps angemessen war. Von der Verwirklichung eines solchen großzügigen Planes erhoffte er sich einen entscheidenden Schritt zur Öffnung der Universität, hin zu dem sich immer mächtiger entfaltenden Bereich von Technik und Industrie. Von der sachlichen und ideellen Notwendigkeit eines solchen Schrittes war er zutiefst überzeugt. Er bedeutete für ihn ein Korrektiv der unheilvollen und unfruchtbaren Trennung von Universität und Technischer Hochschule. Ein Korrektiv, das den Mißstand dieser Trennung wenigstens so weit mildern sollte, alses-zum Vorteil beider Seiten- zur Zeit nur möglich erschien. Althoff äußerte zwar die Hoffnung, daß sich, ihren Möglichkeiten entsprechend, die Firma Krupp den Vorgang von Siemens bei der Begründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zum Muster nehmen werde31, aber der Firmeninhaber war von Anfang an dem Plan nicht sonderlich gewogen. Nach einer abschätzigen Beurteilung durch seinen Direktor Asthöwer und den Leiter des betriebseigenen Versuchslabors Dr. Salomon, teilte Friedrich Alfred Krupp Klein eigenhändig mit, daß er die vorgeschlagenen Einrichtungen für zu ausgedehnt ansehe und empfahl statt dessen, sich an die bestehende Reichsanstalt zu halten40 • Vergeblich versuchte Klein durch eine persönliche Unterredung die negative Beurteilung seines Planes zu korrigieren, mußte aber enttäuscht feststellen, daß man einer Begegnung auszuweichen wußte. Ein Zusammentreffen mit Krupp selbst, das Althoff zu vermitteln suchte, kam nicht zustande. Kleins Bemühungen, die Privatindustrie heranzu38 Siemens hatte den Gegenwert von einer halben Million Mark gestiftet. Klein veranschlagte für sein Projekt 300 000 Mark. 4° Fr. A. Krupp an Klein, 9. 1. 1895 DZA Rep. 92 NA NI Nr. 138.

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ziehen, schien gescheitert, man hatte, wie er nicht ohne Bitterkeit ver'merkte, seine wirklichen Antriebe auch gar nicht verstanden. c) "Frontoffi.ziere" und "Generalstabsoffiziere" der Technik Die "Lücke" zwischen Universitätswissenschaft und Technischer Hochschule

Es hatte von Anfang an in Kleins Absicht gelegen, gleichzeitig direkte Beziehungen zur Industrie und entsprechende Verbindungen mit Vertretern der Technischen Hochschule aufzunehmen. Deshalb hatte er auch Professor Intze, inzwischen Rektor der Technischen Hochschule Aachen, für sein Projekt des "Niederrheinischen Komitees" zu gewinnen versucht. Nach dem Scheitern dieses Projektes, hatte er im Herbst 1894 in München alte Beziehungen zu seinen früheren Kollegen aus der Zeit seiner eigenen Lehrtätigkeit an der dortigen Hochschule wieder aufgenommen. Insbesondere in dem als Begründer der Kältetechnik bekannt gewordenen Karl Linde, zu Kleins Münchener Zeit Professor der theoretischen Maschinenlehre und ihm seither freundschaftlich verbunden, sollte er jetzt eine volle Würdigung und Unterstützung seiner Pläne finden. Linde hatte im Jahre 1879 seinen Lehrstuhl aufgegeben41 und zur industriellen Auswertung seiner wissenschaftlichen Arbeiten ein Unternehmen gegründet42 , durch das er selbst zu einem bedeutenden Industriellen geworden war. Seit 1891 hatte er die Leitung seines Unternehmens wieder abgegeben, um sich in München erneut ausschließlich der wissenschaftlichen Tätigkeit zuzuwenden43• Als technisch-wissenschaftliche Autorität auf seinem Gebiet und als erfolgreicher Unternehmer verband sich in Linde der Gelehrte mit dem Geschäftsmann. Wenn Klein ihm jetzt mitteilte, daß er nicht nur die direkte Bezugnahme mit der Industrie, "sondern geradezu deren materielle Unterstützung" suche, so konnte er darauf hinweisen, daß es dabei um Pläne ging, die sie schon in ihrer gemeinsamen Münchener Zeit erörtert hatten44• Linde fühlte sich von den Ideen Kleins lebhaft berührt. "Ich glaube, daß wenige der Sache ein größeres Interesse entgegenbringen wie ich", schrieb er an Klein45 und sicherte ihm im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten volle Unterstützung zu. Linde war selbst zur gleichen, oder doch sehr ähnlichen Auffassung wie Klein gelangt, nur daß er von der Seite der Technik und der Tech41 Vgl. Karl Linde, Aus meinem Leben und von meiner Arbeit, München, o. J., s. 47 ff. 42 Die Gesellschaft für Lindes Eismaschinen in Wiesbaden. 43 Hier errichtete er ein Versuchsinstitut für Kältetechnik, an dem er seine berühmt gewordenen großtechnischen Verfahren für Luftverflüssigung entwickelte. '' Vgl. Linde, a. a. 0., S. 134. 45 Linde an Klein, 6. Sept. 1894, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 10.

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nischen Hochschulen ausgegangen war. Auch er sprach von der "Lücke" zwischen Universitätswissenschaft und Technischer Hochschule. In ähnlicher Weise wie Klein strebte er nach fruchtbarer Durchdringung von mathematisch-physikalischer und experimenteller technischer Forschung und war seinerseits zu der Forderung gekommen, die Technischen Hochschulen mit Forschungslabors auszustatten46• Damit hatte er in München schon sehr früh einen Anfang gemacht. Kurz bevor Klein im Jahre 1875 dort seine Professur antrat, begründete Linde zu Unterrichts- und Forschungszwecken ein "Maschinenbaulaboratorium", in dem er jene thermodynamischen Untersuchungen durchführte, die für die Kältetechnik und die daran anschließende Industrie von fundamentaler Bedeutung geworden sind47• Wesentlich war ihm dabei von vornherein auch die unterrichtliche Seite gewesen, daß sich die angehenden Maschineningenieure mit den Methoden zur Untersuchung der Arbeitsvorgänge in den Maschinen praktisch vertraut machten, und die Theorie dieser Arbeitsvorgänge durch unmittelbare Anschauung lebendig gestaltet wurde. Er hatte nach Vorgängen Gustav Zeuners in Zürich48 zum ersten Male die Folgerungen aus der Erkenntnis gezogen, daß die Technik anderer experimenteller Forschungsmethoden bedurfte als die Physik49 , und daß Versuche an Maschinen in natürlichem Maßstabe notwendig waren. Klein hatte in seinen Denkschriften ebenfalls darauf hingewiesen, daß der Physiker, auf die Erkenntnis der Naturgesetze in möglichst vereinfachter Form bedacht, das von allen störenden Nebenerscheinungen befreite Experiment braucht, soll das für ihn jeweils Wesentliche deutlich in Erscheinung treten. Während der Techniker, um ein praktisches und brauchbares Ergebnis zu erhalten, in erster Linie auf Experimente angewiesen ist, die unter Bedingungen ausgeführt werden, die einer wirklichen Ausführung entsprechen. Neben den chemischen Laboratorien hatte es bis dahin solche für die wichtigen Maschinenbaufächer kaum gegeben. In der theoretischen MaLinde an Klein, 5. 10. 1894, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI c. Vgl. Linde, a. a. 0., S. 31 ff. 48 Vgl. 0. Kammerer, Die Entwicklung der Technischen Hochschulen Preußens in den letzten 25 Jahren, Technik u. Wirtschaft, 7. Jg. 1914, S. 3. 49 An den Universitäten war es erst nach der Jahrhundertmitte allmählich zur Errichtung von angemessen ausgestalteten physikalischen Instituten gekommen. Entsprechend wurde der reine Demonstrationsvortrag langsam abgelöst von der Ausbildung der Studenten durch selbständige Experimente. Es war bezeichnend, daß mit der Einrichtung physikalischer Laboratorien und physikalischer Praktika an einer technischen Anstalt der Anfang gemacht wurde. 1853 richtete Eisenlohr in Karlsruhe die ersten praktischen Laborübungen ein. (Vgl. Geschichte des Physikalischen Institutes der T. H. Karlsruhe, Festgabe zur 83. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher u. Arzte). Göttingen folgte du:tch Wilhelm Weber als erste Universität diesen Anregungen (Vgl. F. Pahl, Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts, Leipzig 1913, S. 310). 46

47

9 Manetold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

schinenlehre, aber auch in anderen Fächern der Technischen Hochschule, war der Lehrbetrieb zumeist auf eine rein mathematisch-physikalichse Betrachtungsweise angelegt und, nach dem Urteil vieler Praktiker, oft "unter Vernachlässigung der technischen Wirklichkeit" 50• Noch galt überwiegend die Mathematik wie einst an der Ecole Polytechnique als eigentliche Grundwissenschaft aller technischen Ausbildung. Die Einsicht, daß die mathematische Behandlung technischer Probleme aber eine genaue Kenntnis der wirklichen Vorgänge in einer ausgeführten Konstruktion erfordert, wenn Mißerfolge und Irrtümer ausgeschlossen werden sollen, führte zur Gründung von Maschinenlaboratorien zu Unterrichts- und Forschungszwecken. Lindes Schöpfung war das erste "Maschinenlaboratorium" an einer deutschen Technischen Hochschule. Die großen Anlagen dieser Art in Amerika, wie sie Klein anläßlich der Weltausstellung in Chikago kennenlernte, hatten auch andere deutsche Techniker und Industrielle, die zur Ausstellung nach den USA kamen, sehr beeindruckt. Der Vergleich mit den amerikanischen Verhältnissen bestärkte an den deutschen Technischen Hochschulen die Auffassung, daß der angehende Ingenieur künftig vor allem durch experimentelle Studien in die Probleme der Technik eingeführt werden müsse51 • Auf Initiative des Vereins Deutscher Ingenieure kam es jetzt zu Bestrebungen, auch an den deutschen Hochschulen technische Unterrichtslaboratorien einzurichten und auszubauen52• Linde informierte Klein jetzt über die im Verein Deutscher Ingenieure herrschende Strömung zugunsten solcher Einrichtungen, die Klein, so wie er sie selbst verstand, nur begrüßen konnte. Da die Hoffnung auf private Hilfe, auf Beteiligung der Industrie, sich zerschlagen hatte, blieb Klein nichts anderes übrig, als nun von der 5o Klein führte selbst ein charakteristisches Beispiel dieser Art des Lehrbetriebes an, wenn er auf die Vorlesungen Grashofs in Karlsruhe über theoretische Maschinenlehre einging, wie dieser sie in seinem Hauptwerk dargelegt hatte. (Theoretische Maschinenlehre, 3 Bände, Harnburg und Leipzig, 1875 ff.) "Ein durchaus mathematisches Buch mit scharfsinnigen Entwicklungen, aber das Interesse für die technische Wirklichkeit, wie es heute in Geltung ist, tritt darin stark zurück. Die mathematische Betrachtung setzt auf Grund physikalisch scheinender Annahmen ein, ohne daß die wirklichen Verhältnisse durch Experimente hinreichend geklärt sind. Ich erinnere, um von diesem Verfahren eine Idee zu geben, an die in den Lehrbüchern der Mechanik verbreitete Behandlungsweise der Lehre von der Reibung; man legt konventionelle Reibungsgesetze zugrunde, die durch Versuche unter ganz vereinfachten Verhältnissen gestützt werden und läßt dabei das Wichtigste für die wirkLiche Maschine, den Einfluß von Schmiermitteln außer acht." F. Klein, Vorträge über den mathematischen Unterricht an den höheren Schulen, bearbeitet von R. Schimmack, Teil1, Leipzig.1907, S. 181. 51 Vgl. A. Riedler, Amerikanische technische Lehranstalten. Ein Bericht an den Herrn Kultusminister, in: Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, 1893, S. 381 ff. 52 Th. Peters, Die Arbeiten des VDI auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichts, Berlin 1909, S. 92.

3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie

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Staatsregierung eine Förderung seiner Pläne zu erwarten, sollten sie nicht überhaupt aufgegeben werden. Im Hinblick auf die genannten Bestrebungen an den Technischen Hochschulen mußten die von ihm aufgeworfenen Fragen, nach seiner Ansicht, jetzt zu einer Entscheidung gebracht werden. Er war überzeugt, daß seine eigenen Pläne sich mit den vom Verein Deutscher Ingenieure und den Technischen Hochschulen geforderten neuen Lehreinrichtungen auf das Wirksamste ergänzen würden, daß man gerade von hier aus zu einer fruchtbaren "Kooperation" zwischen beiden Hochschulen gelangen und damit überhaupt zu einer Annäherung kommen könne. "Wenn wir jetzt mit unseren Tendenzen nicht deutlich hervortreten, wird vermutlich der wichtigste Moment versäumt", schrieb er an Althoff53 und schlug vor, sein Projekt möge einer Sachverständigenkommission zur Begutachtung vorgelegt werden. Von ihrem Urteil sollte die staatliche Förderung seines Vorhabens abhängen. Althoff ging auf diese Anregung ein und verständigte sich darüber mit seinem Kollegen Geheimrat Wehrenpfennig, dem Dezernenten für die Technischen Hochschulen im Kultusministerium. Als Mitglieder der von Klein vorgeschlagenen Kommission benannte er den Physiker Friedrich Kohlrausch, seit kurzem als Nachfolger von Helmholtz Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und den Physiker Emil Warburg von der Universität Berlin. Wehrenpfennig beauftragte die Professoren Alois RiedZer und Adolf Slaby von der Technischen Hochschule Charlottenburg. Beide gehörten zu den einflußreichsten Persönlichkeiten unter den Hochschultechnikern, Slaby war derzeit Rektor. Es war wiederum Ausdruck jener naiven Sachlichkeit Kleins, wenn er völlig davon überzeugt war, daß man bei einer nüchternen Prüfung seiner Pläne ihre sachliche und ideelle Berechtigung eigentlich nur zustimmend beurteilen könne. Inzwischen informierte er sich bei einem Aufenthalt in der Schweiz über Einrichtungen und Lehrbetrieb der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich. Die dortigen Verhältnisse kamen seinen eigenen Vorstellungen bereits sehr nahe54 • Nach Aufforderung durch Althoff übersandte er als Unterlage für die Kommissionsverhandlung eine neue Denkschrift. Sie entsprach - unwesentlich abgeändert - dem Expose, das er Krupp vorgelegt hatte. "Freudig erregt", so schrieb er an Althoff, sah er der Kommissionssitzung entgegen. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß Kleins Absichten als Ganzes die Vertreter der Technik stark berühren mußten, und es gab vor allem einige Punkte und Formulierungen in seinem Expose, die in besonderem Maße die Ziele der "Technikerbewegung" betrafen. Klein hatte dar53 54

go

Brief v. 25. 3. 1895, DZA Rep. 92 NA B Nr. 92. Klein an Althoff, 5. 4. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

gelegt, daß mit der Verwirklichung seines Planes auch der Zweck erreicht werde, dem Techniker die Promotion zugänglich zu machen. Der "Dr. phil." auf Grund einer physikalisch-technischen Arbeit gebe dem Ingenieur eine vorzügliche Empfehlung. Die von dem Doktoranden be arbeiteten Probleme müßten schließlich der gesamten Technik zugute kommen und er hatte darauf verwiesen, wieviel bereits die chemische Industrie dem "Dr. phil." des Chemikers verdanke, auch wenn der einzelne mit seiner Dissertation zum Bau des Ganzen nur ein bescheidenes Sandkorn gereicht habe. Tatsächlich wechselte von den Studierenden der Chemie an den Technischen Hochschulen ein steigender Prozentsatz nach dem Abschluß ihres dortigen Studiums oder in fortgeschrittenen Semestern an die Universität über, um ihr Fachstudium mit der Promotion zu beenden und damit in der Praxis durch das höhere Sozialprestige zumeist einen sehr viel besseren Stand zu haben. Es war nicht erstaunlich, wenn an den Technischen Hochschulen eine wachsende Erbitterung darüber herrschte, daß man hier keinen adäquaten Titel besaß. Gerade zu dieser Zeit kam es allgemein zu heftigen Auseinandersetzungen über die Ausbildung der Chemiker und bereits zu Anträgen der Technischen Hochschule auf das Recht, den "Chemischen Doktor" zu verleihen55• Da nun die Universität allein das Promotionsrecht besaß, glaubte Klein, daß seine Vorschläge gerade hier durchaus im Interesse der Techniker lagen. Um die Stellung des geplanten Institutes zu den Technischen Hochschulen zu charakterisieren, hatte er in diesem Zusammenhang eine, wie sich bald ergeben sollte, höchst unglückliche Formulierung gebraucht, als er von den "Frontoffizieren" und den ,.Generalstabsoffizieren" der Technik sprach und dabei die Ausbildung der letzteren nach den gegebenen Umständen den Universitäten zuwies. Weil eine gemeinsame Ausbildung, das hieß die Verschmelzung von Universität und Technischer Hochschule nicht zu erreichen war, so konnte nach Kleins Ansicht, die mangelnde Würdigung der Technik und der technischen Wissenschaft durch die Universitäten nicht besser beantwortet werden als durch das Einfügen von technischen Instituten in den Universitätsorganismus. Nur so werde es dort zu einer lebendigen Anschauung vom Wesen der Technik kommen können. Althoff, der die Verhältnisse besser übersah, zeigte sich weniger optimistisch im Hinblick auf ein zustimmendes Gutachten der Kommission, hielt selbst aber Kleins Denkschrift für "lichtvoll, klar und überzeugend"se. Er veranlaßte die Beteiligten zunächst zu schriftlichen Äußerungen. Warburg, den er auch um eine Beurteilung der Bemühungen Kleins ersuchte, von der Industrie ideelle und finanzielle Hilfe für sein VorGs 38

Vgl. weiter unten. Althoff an Klein 17. 5. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138.

3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie

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gehen zu erhalten, bezeichnete Wechselbeziehungen zwischen Universität, Technik und Industrie "an sich" als notwendig, von dem Plan einer Institutsgründung riet er indessen "mit Überzeugung" ab. Nach dem Beispiel der Kolonien und der Auffassung Bismarcks, so urteilte er, solle hier nicht der Staat die Initiative ergreifen, vielmehr dem Unternehmen der "Kaufleute" folgen und erst dann eingreifen und helfen, wenn bereits erfolgversprechende Ansätze vorhanden seien57 • Kohlrausch hob hervor, daß eine Verlegung der Technischen Hochschule an die Universität auf keiner Seite Unterstützung finden dürfe. Kleins beabsichtigte "Verpflanzung der Technik an die Universität" bezeichnete er schlicht als "Einführung des Materialismus an diese" 58• Ohne Zweifel formulierte er damit die an den Universitäten überwiegende Ansicht in dieser Frage. Für Klein waren solche Äußerungen von dem Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt "unfaßlich". Für ihn bedeuteten sie einen Verrat der ursprünglichen Ideen, die Siemens bei der Gründung dieser Anstalt geleitet hatten, bevor sie, wie er feststellte, "durch persönliche Rücksichtnahmen auf Helmholtz eine Ablenkung erfuhren" 58• Er fühlte sich hier ganz besonders betroffen, hatte er doch in der Reichsanstalt einen wesentlichen Teil seiner eigenen Vorstellungen verwirklicht gesehen, zumindest was die sachlich-wissenschaftliche Seite anbetraf, die es nach der unterrichtlichen und "ideellen" Seite hin durch sein Vorgehen zu ergänzen galt00 • Die Stellungnahmen Warburgs, des Vertreters der Universität und der Reichsanstalt, damals das einzige bedeutende Forschungsinstitut dieser Art außerhalb der Hochschulen, durch Kohlrausch sollte für Klein nicht die einzige Enttäuschung in dieser Sache bleiben. Die Ablehnung vonseitender Techniker war nicht weniger eindeutig. Warburg an Althoff, 20. 5. 1895, DZA Rep. 92 NA ebd. DZA Rep. 92 NA ebd. 59 Klein an Althoff, 9. 8. 1895, DZA Rep. 92 NA ebd. 80 In den seit Anfang der 70er Jahre geführten wechselvollen Verhandlungen, die 1887 zur Gründung der Reichsanstalt führten, war zunächst nur von einem preußischen Staatsinstitut zur Förderung der Präzisionsmechanik und Instrumentenkunde die Rede gewesen. Durch ein besonderes Votum hatte Helmholtz 1883 auf die Notwendigkeit hingewiesen, in dem Institut mit der mechanisch-technischen Abteilung eine "wissenschaftliche Abteilung" zu verbinden. Danach wurde in erster Linie die Förderung der exakten Naturforschung betont, daneben die "Präzisionsmechanik". In dieser Erweiterung hat das Institut als "Physikalisch-Technische Reichsanstalt" unter Helmholtz die Arbeit aufgenommen, der ihr vor allem Aufgaben stellen wollte, die "von allen Objekten irdischen Nutzens getrennt zu liegen scheinen." Zweifellos entsprach dies nicht den ursprünglichen Auffassungen Siemens (vgl. dazu neben seinen schon genannten Denkschriften seine Rede zur Aufnahme in der Akademie der Wissenschaften, Werner v. Siemens, Lebenserinnerungen, 8. A., Berlin 1908, S. 229 f.). Entsprechende Kritik ist von den Technikern im Verein Deutscher Ingenieure auch nicht ausgeblieben. (Vgl. weiter unten.) 57

58

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Alois Riedler, Professor für Maschinenbau an der Technischen Hochschule Berlin, als Maschinenkonstrukteur von anerkannter Autorität, hatte sich zum wortgewaltigen Rufer nach der völligen Gleichberechtigung der Technischen Hochschule und der sozialen Anerkennung der Ingenieure gemacht. Es wurde zum heftigsten Gegner der Kleinsehen Pläne. Mit manchen Auffassungen Riedlers über die Ingenieurerziehung war Klein durchaus einverstanden81, und er kannte auch dessen Einfluß in der Technikerschaft. Vergeblich versuchte er, persönliche Verbindung mit Riedler aufzunehmen, um dessen Unterstützung oder zumindest sein Verständnis zu gewinnen und die "törichten Schranken" eines mißverstandenen Antagonismus zwischen der stets beschworenen "reinen" Wissenschaft der Universität urid den anwendungs- und praxisbetonten Fächern der Technischen Hochschule niederzureißen. "Es muß hier im Interesse des allgemeinen Kulturfortschrittes ein höherer Standpunkt zur Geltung gebracht werden", so hatte Klein ihm geschrieben. Da sich die Organisation beider Hochschulen leider zur Zeit nicht ändern lasse, sei deshalb ein gemeinsamer Zielpunkt nur um so wichtiger82• Riedler ließ sich nicht überzeugen. Er begrüßte zwar Kleins Absichten, als Zeichen einer beginnenden Würdigung der Technik und der angewandten Wissenschaften an der Universität, fand aber, daß in der Denkschrift die Leistungen der Technik und der Technischen Hochschule ganz bedeutend unterschätzt würden. Riedler befand sich hier ganz in Übereinstimmung mit dem anderen Gutachter, seinem Kollegen Slaby. Seine Auffassung entsprach vor allem auch der des Dezernenten für die Technischen Hochschulen, des Geheimrates Wehrenpfennig selbst. Im Gegensatz zu Althoff, verhielt dieser sich gegenüber Kleins Ideen schroff ablehnend. Er hielt es für schlechthin unverständlich, jetzt nachholen zu wollen, was man vor fünfzig oder sechzig Jahren zu tun versäumt hatte, nämlich die technischen Fächer in die Universität einzubeziehen. Solche Tendenzen schienen ihm nun sinnlos und schädlich zu sein. Er ging noch weiter und warnte die preußischen Technischen Hochschulen vor Kleins Plänen und beeindruckte damit auch manche Techniker, die sie aufgeschlossen beurteilten83• Kleins Denkschrift wurde auf Veranlassung Wehrenpfennigs den Hochschulen zur Kenntnis gebracht und dadurch nicht nur bei den Technikern, sondern auch an den Universitäten weiten Kreisen bekannt, und bald zeigte sich, daß Riedlers Standpunkt dem der Mehrzahl der deutschen Ingenieure entsprach. 81 Anfang 1895 hatte Riedler einen weitbeachteten Aufsatz "Zur Frage der lngenieurerziehung" veröffentlicht, Zs. d. VDI Jg. 1895, S. 951 ff., dem bald zahlreiche andere Veröffentlichungen folgten. 62 Klein an Riedler, 22. 5. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. 63 UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI.

3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie

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Überall erhob sich lebhafter und erregter Widerspruch. Mochte er von den Technikern aus gesehen sachlich unbegründet sein, so erschien er psychologisch recht begreiflich. Die Technischen Hochschulen standen selbst in ausgedehnten Diskussionen und heftigen Auseinandersetzungen um ihre inneren Probleme, in denen Ausbildungs- und Standesfragen, Probleme wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Gleichberechtigung eng verflochten waren. Der durchaus gleichgerichtete Kern der Absichten Kleins mit den Bestrebungen der Technischen Hochschulen, etwa die Notwendigkeit einer engeren Fühlungnahme zwischen Forschung und technischer Ausbildung, die für das erstrebte Promotionsrecht eine wichtige Rolle spielen mußte, wurde im allgemeinen nicht gesehen, jedenfalls nicht gewertet. Man befürchtete, solche Pläne müßten darauf hinauslaufen, sukzessive die höhere Ingenieurausbildung überhaupt an die Universitäten überzuleiten, ihnen das Monopol auch der mit der Technik verknüpften Forschung und höheren theoretischen Studien zu sichern. Man argwöhnte ein Zurückdrängen der Technischen Hochschule, eine direkte Beeinträchtigung ihres Arbeitsfeldes und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, insgesamt die Herabsetzung ihrer wissenschaftlichen Geltung. Das energische Bestreben nach sozialer und rechtlicher Gleichstellung mit den älteren Universitäten, der Kampf um die Verleihung des Promotionsrechtes schien dadurch vor allem gefährdet. Kleins Enttäuschung darüber mußte um so größer sein, als er eigentlich gerade das Gegenteil davon bezwecken wollte. Ganz besonderen Unmut erregte die genannte Formulierung von den "Generalstabsoffizieren der Technik". Hatte man doch diesen jetzt häufig gebrauchten Vergleich stets im Hinblick auf die Absolventen der Technischen Hochschule verwendet. Daß die Ausbildung jener "Generalstabsoffiziere" der Universität vorbehalten sein sollte, mußte den Rang der Technischen Hochschule herabsetzen, erschien insbesondere als ein "Schachzug" gegen das zu erkämpfende Promotionsrecht. Das Eingängige dieses Schlagwortes verstärkte nur seine Sprengkraft. Keineswegs wurde dieser Vergleich als ungemäß oder lächerlich angesehen. Im Verein Deutscher Ingenieure erörterte man Kleins Denkschrift sehr lebhaft und heftig. Auf Antrag eines der angesehendsten deutschen Maschineningenieure, des Stuttgarters Professors Carl Bach, selbst einer der Pioniere bei der Errichtung von Ingenieurlaboratorien64 , verwahrte man sich ausdrücklich gegen solche Ansprüche der Universität und erklärte sie als "den Interessen der Industrie und überhaupt der gesamten Technik" zuwiderlaufend65 • Mit Genugtuung konstatierte man eine "offenbar in Universitätskreisen nach Maßgabe der steigenden Leistungen der Technischen Hoch04

Vgl. Carl Bach, Mein Lebensweg und meine Tätigkeit, Berlin 1926,

65

Zs. d. VDI J g. 1896, S. 76 f.

s. 29 ff.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

schule um sich greifende Meinung", daß es zweckmäßiger gewesen wäre, die Technische Hochschule als technische Fakultät den Universitäten anzugliedern, wehrte sich jedoch energisch dagegen, daß dies den Ausgangspunkt zu Schritten bilde, die zu einer Schädigung der Technischen Hochschule führe. Klein wußte, daß gegen den Widerstand der Techniker seine Ideen wohl kaum durchzuführen und von der Regierung keine Billigung zu erwarten war. Er ließ sich nicht entmutigen und suchte, auf dem einmal betretenen Wege so weit als nur möglich weiterzugehen. Noch vor der ablehnenden Antwort Krupps war er auf Lindes Vermittlung selbst dem Verein Deutscher Ingenieure als Mitglied beigetreten. Um die Mißverständnisse zu beseitigen und eine Annäherung herbeizuführen, beschloß er, nun erst recht persönlich in die "Höhle des Löwen" zu gehen und auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure im August 1895 in Aachen die führenden Vertreter der Technik von seinen eigentlichen Zielen und der Uneigennützigkeit seiner Ideen zu überzeugen. d) Der .,Aadlener Frieden"Verhärtete Fronten bei Ingenieuren und Universität

Auf der Tagesordnung der sechsunddreißigsten Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure standen die drängenden Fragen der Ingenieurausbildung und der Einrichtung von technischen Laboratorien größeren Umfangs an den Hochschulen68• Klein fürchtete nicht zu Unrecht, wie er Althoff vertraulich mitteilte, daß man seine Pläne dort dem "großen Publikum" vorlegen und mit großer Öffentlichkeitswirkung verurteilen werde87• Ohne sich an den allgemeinen Diskussionen zu beteiligen, suchte er in persönlichen Aussprachen seine Pläne und Ziele darzulegen und eine Annäherung zu erreichen. Unterstützt wurde er dabei nur von Professor Linde, der sich ganz die Ideen Kleins zu eigen gemacht hatte und sie gegenüber der Versammlung mit Entschiedenheit vertrat. Verständnis fand Klein auch bei dem Rektor der Technischen Hochschule Aachen, dem schon erwähnten Professor Intze, der jedoch auf die Meinungen seiner Kollegen Rücksicht zu nehmen hatte. Diese Meinungen hatten überwiegend einen direkt feindseligen CharakterM. Man erklärte Klein offen, daß das Standesinteresse der Techniker und damit untrennbar verbunden die weitere Ausgestaltung der Technischen Hochschule bis zur vollen Gleichberechtigung mit den Universitäten, den Vorrang bei allen Überlegungen haben müsse. Man gab auch deutlich genug zu veres Zs. d. VDI Jg. 1895, S. 12691f. 87 68

Klein an Althoff, 15. 7. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. Bericht Kleins an Althoff vom 23. 8. 1895, DZA Rep. 92 NA ebd.

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stehen, daß man bis dahin bei den Technischen Hochschulen keineswegs an eine freundliche Beurteilung durch Vertreter der Universitäten gewöhnt war, vielmehr allzu häufig auf eine generalisierende Geringschätzung der technischen Arbeit gestoßen sei, auf Anschauungen, welche die Tätigkeit des Ingenieurs der Hochschule in wissenschaftlicher Hinsicht disqualifizierten, daß man daher mit Recht mißtrauisch sei. Die strenge und lautere Sachlichkeit Kleins ließ indessen bald eine Grundlage zur Verständigung finden. Es war für ihn nicht schwer zu beweisen, daß er nicht von einseitigen Universitätsinteressen beherrscht war. Man konnte nicht bestreiten, daß es ihm letztlich um ideelle und "universale" Gesichtspunkte ging, um die Entwicklung der wissenschaftlichen Technik überhaupt, schließlich um eine zweckentsprechende Weiterbildung nicht nur der Universität, sondern auch der Technischen Hochschule. Er fand keinen wesentlichen Widerspruch, wenn er bemerkte, daß diese sich teilweise in einer unwissenschaftlichen Entwicklung befänden, wenn sie ungenügend vorgebildete Studierende zuließ und, wie Klein meinte, nicht immer und überall den notwendigen Nachdruck auf die Heranziehung hochqualifizierter Dozenten gelegt hatte69• Das waren ja gerade seit langem die drängenden Probleme, die den Aufstieg der Hochschulen begleiteten, und die nach Ansicht der Techniker selbst wiederum mit der noch nicht erreichten Gleichberechtigung mit den Universitäten zusammenhing. Klein erklärte ausdrücklich, daß er den Technischen Hochschulen das Promotionsrecht zugestehe, glaubte allerdings nicht, daß die Universitäten damit je einverstanden sein würden. In den Verhandlungen kam es schließlich durch weites Entgegenkommen Kleins zu einer Art Kompromiß. Klein mußte zugestehen, nicht auf einer Ausbildung "höherer Techniker" an der Universität zu beharren. Die Ingenieure erklärten sich insofern mit den in Kleins Denkschrift ausgesprochenen Zielen einverstanden, soweit es sich dabei lediglich um die Ausbildung von Studenten der Mathematik oder Physik handle, besonders um spätere Lehrer in diesen Fächern. Dagegen hielt man es für dringend geboten, daß die Ausbildung der Ingenieure auch für die höchsten wissenschaftlichen Ziele den Technischen Hochschulen vorbehalten blieb. Es sei ihre Aufgabe, über den allgemeinen Lehrplan hinaus für die Ingenieure Einrichtungen zu schaffen, die einen möglichst weitgehenden physikalisch-technischen Unterricht in theoretischer und experimenteller Richtung ermögliche. Eine entsprechende Erklärung wurde den Beschlüssen der Hauptversammlung angefügt70 • Klein und der Vorstand der Verein Deutscher Ingenieure unterschrieben diese Er89

1o

Bericht Kleins an Althoff ebd. Zs. d. VDI Jg. 1895, S. 1422.

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klärung. Sie wurde bald darauf - von Althoff so bezeichnet - als "Aachener Friede" bekannt. Eine nicht unbedeutende Rolle spielten die Bedenken der Technischen Hochschule, daß Einrichtungen an der Universität, wie Klein sie anstrebte, eine Bewilligung der bedeutenden finanziellen Mittel für ihre eigenen technischen Labors gefährden und die Mittel selbst vermindern würde. Auf einem anderen für die Technische Hochschule sehr wichtigen Gebiet beschloß man dagegen, künftig zu kooperieren: in der Schul- und Berechtigungsfrage, in der Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts an den Gymnasien und Realschulen und dessen Beziehung zu den Aufgaben der technischen Bildung. Klein hat hier in der Folgezeit einen maßgebenden Einfluß ausgeübt71 • Er war bereit, jede vertretbare Konzession an das Selbstbewußtsein der Ingenieure zu machen, deren Geltungsansprüche er vollauf billigte. Es lag ihm alles daran, daß die Förderung seines Projektes nicht unterblieb, und es mußte ihm darum zu tun sein, überhaupt erst einmal eine reale Basis zu gewinnen. Der "Aachener Frieden" sollte sich aber als trügerisch erweisen. Die maßgebenden Techniker der Berliner Technischen Hochschule, Riedler und Slaby vor allem, hatten sich nicht daran beteiligt, und noch hoffte Klein, auch mit ihnen zu einer Verständigung zu kommen. Als er Anfang November 1895 mit Zustimmung Althoffs einer Einladung des Hannoverschen Bezirksvereins des Vereins Deutscher Ingenieure folgte, um seine Ideen vor allem den Professoren der Technischen Hochschule Hannover in einem Vortrag zu erläutern, stieß er auf eine geschlossene Phalanx von Ablehnung72 • In einer sehr erregten Diskussion erörterte man weniger die dargelegten Gedanken Kleins, sondern akzentuierte nachdrücklich die Ansprüche und Forderungen der Hochschule. Es war nur ein Ausdruck der allgemeinen Miß,.. stimmung, die sich bei den Technikern gegenüber den Universitäten angesammelt hatte, wenn es dabei zu besonders scharfen und polemischen Angriffen auf die Haltung der Universitäten kam. Klein mußte sich da.,. von überzeugen, wie bedeutend die Kluft zwischen den Anstalten jetzt tatsächlich war. Professor Riedler sandte ihm einen regelrechten "Fehde... brief". Der Vortrag habe ihm erneut bestätigt, so schrieb er, daß Kleins Vorgehen für die Universität fruchtlos, für die Bestrebungen der Technischen Hochschule jedoch äußerst schädigend sei: "so daß ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ihr Göttinger Projekt bekämpfen muß'm. 71 Vgl. hierzu vor allem R. Schimmack, Die Entwicklung der mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichtsreform in Deutschland, Abhandlungen der Internationalen Mathematischen Unterrichtskommission, Bd. 111, H. 1, Leipzig 1911. 72 Vortrag u. Protokoll d. Sitzung v. 6. 11. 1895, Zs. d. VDI Jg. 1896, S. 102 ff. 73 UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI.

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Die Richtung der Diskussion in Hannover und die Kampfansage Riedlers waren charakteristisch für die sich in Reden und Aufsätzen, in Beschlüssen und Diskussionen immer nachdrücklicher zu Wort meldende "Technikerbewegung", ebenso für die Verschärfung des Tones, in dem jetzt die Forderungen der Technischen Hochschule zumeist vorgetragen wurden. Klein blieb von den sich häufenden Angriffen zwar nicht unberührt, ließ sich aber in der Verfolgung seines Zieles nicht irre machen. Nach wie vor hoffte er, durch persönliche Bezugnahmen ein "rationelles Verhältnis" zwischen Technischer Hochschule und Universität "auf der ganzen Linie" herbeizuführen74 • Bei seinen Göttinger Kollegen Riecke, Wallach und Nernst fand er weitgehend Zustimmung. In einer gemeinsamen Eingabe an den Kultusminister verwahrten diese sich gegen die Angriffe der Ingenieure75 • Der Tenor der zahlreichen Äußerungen von seiten der Technischen Hochschule war an sich nicht neu, er bestand vielfach darin, daß man die Technische Hochschule als Vertreterio des modernen Geistes, der Universität als Hort eines veralteten entwicklungshemmenden Bildungsideals gegenüberstellte und dabei den Gegensatz zwischen realistischer und humanistischer Bildung auf das Verhältnis der beiden Hochschulen übertrug78 • Gerade dazu nahm die Eingabe von Kleins Kollegen vor allem Stellung. Die Sache der Technik könne nur gewinnen, wenn sie von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werde, so hieß es hier. "Indem wir eine Brücke schlagen zwischen Wissenschaft und Technik, bahnen wir einen Ausgleich der Gegensätze von humanistischer und realistischer Bildung an. Wir erklären, daß in den von Klein bezeichneten Zielen - Erweiterung des Unterrichts nach der technisch-wissenschaftlichen Seite hin, experimentelle Inangriffnahme wissenschaftlicher Probleme der Technik - wir mit ihm solidarisch verbunden sind. Wir erkennen in Verfolgung dieser Ziele eine Aufgabe der Universität von hervorragender Bedeutung für Wissenschaft und Technik." Man werde fortfahren, an der Lösung dieser Aufgabe zu arbeiten, unbekümmert um Gunst oder Ungunst. Öffentliche Erwiderungen auf die Angriffe der Ingenieure wurden abgelehnt, um den Streit nicht noch stärker zu entfachen. In jenen Kreisen der Technischen Hochschule und der Ingenieure, für die Professor Riedler sich zum mächtigen und weitbeachteten Sprecher gemacht hatte, vermochte man sich nicht von dem Argwohn frei zu machen, das Göttinger Projekt wurzele letztlich in der Mißgunst der Universität gegenüber der Entwicklung der Technischen Hochschule. Den Blick vornehmlich An Althoff, 27. Dez. 1895, DZA Rep. 92, NA B Nr. 92. Promemoria vom 20. 5. 1896, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. 76 Besonders charakteristisch waren hier die zahlreichen Äußerungen Riedlers. 74

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auf das Ziel der vollen Gleichberechtigung gerichtet, reagierte man doppelt empfindlich, übersah auch, daß die Schärfe, die man in die Auseinandersetzung brachte, häufig nicht geeignet war, der Sache der Hochschule zu dienen. Kleins universale Ziele wurden kaum zur Kenntnis genommen, und man ignorierte, daß er keineswegs der wirkliche Sprecher der Universität gegenüber der Technischen Hochschule war. Das Projekt Kleins bildete innerhalb der "Technikerbewegung" jetzt ein wesentliches Stimulans, ein entfachendes Moment, den Anlaß, nun um so stärker die Forderungen der Technischen Hochschule öffentlich hervorzukehren und dabei vor allem höhere wissenschaftliche Ansprüche und insbesondere die Forschungsaufgabe zu betonen. Gewiß waren viele Techniker nicht mit der lauten agitatorischen Art Riedlers einverstanden, in allen die Gleichberechtigung von Technischer Hochschule und Universität berührenden Fragen war man weitgehend einig. Es mochte töricht erscheinen, daß Klein nach Lage der Dinge im Frühjahr 1896 wiederum nach Hannover ging, um seine Ansichten erneut darzulegen77 • Es geschah nicht ganz zu Unrecht in der Auffassung, daß der entschiedene und verbreitete Widerspruch nicht eigentlich ihm persönlich galt, sondern schlechthin aus der Kluft zu erklären war, die zwischen den Technischen Hochschulen und Ingenieuren auf der einen und den Universitäten auf der anderen Seite bestand. Die vielfältig motivierten Gegensätze mochten erst zum Austrag kommen, bevor man sie überwinden und zu gegenseitigem Verständnis und positiver Bezugnahme gelangen konnte. Gerade weil er selbst keinen "Parteistandpunkt" vertrat und sich von Einseitigkeit frei wußte, hielt er sich auch persönlich für besonders geeignet, hier zu vermitteln. Wenn schon keine Vereinigung zu erreichen war, so schien ihm durch die modernen Entwicklungen eine enge Zusammenarbeit mehr als je das sachlich und ideell unabweisbar Geforderte. Da die Prämissen nach seiner Überzeugung unangreifbar waren, mußten die zunächst aufkommenden Schwierigkeiten etwas Zufälliges und Vorübergehendes sein. Diese Überzeugung glaubte er im besonderen durch seine Einsichten und Erkenntnisse als Mathematiker gewonnen zu haben. In seinem zweiten Hannoverschen Vortrag knüpfte Klein insbesondere an das Verhältnis zwischen reiner und angewandter Mathematik an, um dann seine allgemeinen Gedanken darzulegen. Hier schien ihm ein "neutraler" Standort gegeben zu sein, um eine Wechselbeziehung herzustellen zwischen den theoretischen Wissenschaften und "allem, was das mo77 F. Klein, Die Anforderungen der Ingenieure und die Ausbildung der mathematischen Lehramtskandidaten, Vortrag vor dem mathematischen Verein Hannover am 20. 4. 1896. UBG Cod. MS Nachlaß Klein, abgedruckt in: Zs. f. den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht, 27. .Jg. 1896, S. 305 ff., desgl. Zs. d. VDI, Jg. 1896.

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derne Leben mit sich bringt". War doch die Mathematik mit der griechischen Bildung ebenso verbunden wie mit den modernsten Aufgaben des Ingenieurbetriebes, sie reichte Technik und Naturwissenschaften ebenso die Hand, wie sie gleichzeitig an den abstrakten Untersuchungen der Logiker und Philosophen Anteil hatte. Der Mathematiker nahm nach Kleins Auffassung innerhalb der scharfen Gegensätze die wichtigste vermittelnde Stellung ein, und von hier aus galt es, die "Solidarität aller höheren geistigen Interessen" zur Geltung zu bringeiL Die Reaktion auf seinen erneuten Versuch war indessen kaum anders als vorher. Riedler veröffentlichte wiederum eine scharfe ablehnende Entgegnung und stellte ausdrücklich fest, "Den ,Aachener Frieden' muß ich ignorieren78". Er fand es nach wie vor richtig, das Göttinger Projekt zu bekämpfen, und sprach von den bevorzugten und herrschenden Universitäten, die im stolzen Hochmut an den Technischen Hochschulen und den technischen Wissenschaften mit Geringschätzung vorübergegangen seien. Um hier das bisher Versäumte nachzuholen, sei wenig damit getan zu versuchen, für ein Universitätsinstitut das Oberste abzuschöpfen und dabei Titel und Vorrechte der Universitäten ins Feld zu führen. Von der beschworenen "Solidarität aller höheren geistigen Interessen" habe man das mächtige und einflußreiche Ingenieurwesen gerade ständig auszuschließen versucht. Riedler verharrte also weiter auf der Mißdeutung von Kleins Absichten. Er bestritt vor allem, daß der Mathematik in der von Klein herausgestellten Weise eine besonders wichtige Aufgabe zufalle. Die positiven Beziehungen zu den entscheidenden Potenzen des modernen Lebens sei gerade das konstitutive Lebenselement der Technischen Hochschule. Persönliche Aussprachen zwischen Klein, Riedler und Slaby in Berlin, zu denen auch andere Hochschullehrer, unter ihnen Linde und Professor Bach aus Stuttgart, hinzugezogen wurden, änderten nichts an der Haltung jener Vertreter der Technischen Hochschule, die, wie Klein bemerkte, "Macht und Einfluß" besaßen79 • DasProjekt schien am Widerstand der Techniker zu scheitern, sein Brückenschlag zwischen Universität, Technischer Hochschule und Industrie schien geradezu ad absurdum geführt. Lag es nur an der geringen Einsicht, an dem unzureichenden Interesse der Industriellen, am Widerstand der Ingenieure? Gewiß, hier dachte man jetzt weniger an eine Zusammenarbeit mit den Universitäten, vielmehr ausschließlich an den eigenen Aufstieg. Nie zuvor hatte man die Diskrepanz stärker empfunden zwischen der, so war man überzeugt, noch immer anwachsenden entscheidenden Bedeutung des Technikers und der Technischen Hochschule für Industrie und Wohlstand, für 1s 1o

Zs. d. VDI Jg. 1896, S. 989 f. Vgl. ebd. s. 988.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

die wirtschaftliche und militärische, damit für die politische Macht des Staates, für die Lebenssicherung überhaupt und ihrer Bewertung im traditionellen akademischen Bereich. Es gab indessen nicht nur Widerstand von dieser Seite. Einer der wenigen Techniker, die Kleins Absichten positiv gegenüberstanden, der Aachener Professor Gustav Herrmann, hatte ihn schon vor dem "Aachener Frieden" freundschaftlich darauf aufmerksam gemacht, daß man die Ablehnung der Technischen Hochschule schließlich überwinden könne, daß aber die entscheidenden Schwierigkeiten und Hindernisse gegenüber einem solchen "Brückenschlag" von der Universität selbst ausgehen würden. Man werde sich dort nicht von der Auffassung frei machen können, daß es sich bei den Kernfächern an der Technischen Hochschule letzten Endes um eine mehr handwerksmäßige, jedenfalls weitgehend unwissenschaftliche Beschäftigung handele, so hatte er gewarnt und hinzugefügt, man würde an dem Kittel des Ingenieurs keinen Gefallen finden, wenn man sich daran gewöhnt habe, in dem faltenreichen Philosophenmantel das einzige, dem Manne der Wissenschaft angemessene Kleid zu erblicken5°. Tatsächlich konnte die Unterstützung seiner engeren Kollegen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kleins Bestrebungen in den Kreisen der Universität so gut wie von keiner Seite ein tätiges Interesse fand. Man warf ihm schon jetzt "Amerikanismus" und "Materialismus" vor, ja Verrat an der Wissenschaft und an den Traditionen und ideellen Grundlagen der Universität. Durch eine Verbindung mit der Industrie und durch die Annahme finanzieller Hilfe argwöhnte man, in eine gefährliche Abhängigkeit zu geraten und sprach die Befürchtung aus, die Universität werde durch die Berührung mit den "Kreisen des Erwerbs" an ihrem "köstlichstem Gut" Schaden leiden, an der trotz aller Enge bewahrten, von keinen Nebenzwecken beeinflußten Lauterkeit rein wissenschaftlicher Forschung81 • Man verwahrte sich gegen das "Übertönen der leisen Musik der Naturgesetze durch die Trompetenklänge der technischen Erfolge" 82, wehrte sich gegen eine Einbeziehung der Technik, ihrer Ideen und Arbeitsweisen und sah darin eine Beeinträchtigung und Minderung des Ideals der reinen Erkenntnis, einen Anschlag auf den Geist der Universität. Ungeachtet seiner unbestrittenen Bedeutung als einer der führenden Mathematiker seiner Zeit, stand Klein mit seinen Absichten nun völlig isoliert. Die Reaktionen auf seine gerade auf einen Herrmann an Klein 26. Juli 1895, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI c. Vgl. F. Klein, Autobiographische Skizzen, a. a. 0., S. 27 f. 82 So umschrieb später der Göttinger Physiker Prof. Simon in einer Ansprache die ablehnende Haltung an der Universität. UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 80 81

3. Wechselbeziehungen von Universität, Technik und Industrie

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Ausgleich bedachten Ideen hatten die Schärfe der Gegensätze nur um so stärker hervortreten lassen. War es nicht sinnlos, auf dem beschrittenen Weg weiterzugehen? Jetzt sollte sich seine "eingeborene Fähigkeit" zeigen, mit Zähigkeit das einmal gestellte Ziel zu verfolgen. Da ihm andere Mittel zunächst versagt blieben, war er jetzt bemüht, seine eigenen Vorlesungen und Übungen noch mehr als bisher nach der Seite der Technik voranzutreiben. Es handelte sich darum, von den ihm geläufigen theoretischen Ansätzen aus, bis zu den wirklichen Anwendungen eine Brücke zu schlagen. Er las insbesonders über technische Mechanik83• Es gelang ihm dabei, wie er selbst feststellte, auch in das technische Detail einzudringen. Dadurch festigte sich seine Überzeugung, daß der Mathematiker bei der Formulierung und Durcharbeitung technischer Probleme "sehr nützlich" sein konnte84 • Darüber hinaus erwirkte er - auch hiergegen hatte sich heftiger Widerstand erhoben - die Besetzung seiner etatmäßigen Assistentenstelle durch einen Techniker der Technischen Hochschule Hannover, zu dieser Zeit ein höchst ungewöhnlicher Vorgang85 • Dem Gegensatz, wie er zwischen Riedler und Klein zum Ausdruck kam, lag letztlich die unterschiedliche Anschauungsweise des erkennenden und doch mehr theoretisch orientierten Wissenschaftlers und des mehr praktischen Ingenieurs zugrunde, eine verschiedene Auffassung nicht über die allgemeine Bedeutung, aber doch vom Wesen der Technik, letzten Endes die Verschiedenheit von theoretisch-wissenschaftlichem und technischem Denken; Erfüllung in Forschung und Erkenntnis auf der einen, Gestaltung und Verwirklichung auf der anderen Seite. Wenn Klein sich auch bedeutsam einer Kenntnis der Eigenart technischer Arbeit genähert hatte86, so war für ihn angewandte Naturwissenschaft, technische Wissenschaft und Technik doch weitgehend synonym. Während Riedler als ausübender Ingenieur stärker den von den Naturwissenschaften unterschiedenen Geist der Technik erkannte, die bestimmte Autonomie des technischen Schaffens, für das Mathematik und 83 Persönliche Notizen zu Kleins Vorlesungen und Arbeiten, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L. 84 Ebd. Sehr bekanntgeworden ist in dieser Zeit seine Vorlesung über den Kreisel in der Bearbeitung von A. Sommerfeld, erschienen unter dem Titel: Über die Theorie des Kreisels, 4 Teile, Leipzig 1897 ff. 85 Es war der junge Regierungsbauführer Moritz Weber, später Professor an der Technischen Hochschule Berlin, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI c, vgl. auch Universitätschronik 1895/96. 86 Hier war Kleins Akademievortrag "Über Arithmetisierung der Mathematik" besonders aufschlußreich (Nachr. d. Kgl. Ges. d. Wissenschaft, Geschäftliche Mitteilungen 1895 H. 2). Hier stellte er der logischen Deduktion in der Mathematik die "Anschauung" gegenüber und sprach in diesem Zusammenhange von der "motorischen Empfindung", mit welcher der Ingenieur die Kräfteverteilung einer Konstruktion beurteilt.

lH

III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Naturwissenschaft zwar entscheidend wichtig waren, aber eben nur als Organon, als Hilfswissenschaft des Ingenieurs Bedeutung hatten. Hinzu kam, daß der Wert mathematisch-physikalischer Forschung für das von Riedler vertretene engere Gebiet des praktischen Maschinenbaues zu dieser Zeit auch noch nicht in gleichem Maß zutage lag wie auf anderen Gebieten87• Während aber Riedler, der Repräsentant der Technischen Hochschule, ebenso einseitig seine Auffassung vertrat wie andererseits viele Vertreter der Universitäten, hatte Klein in voller Würdigung der Technik doch die Notwendigkeit einer engen Berührung beider Geistesgebiete von einem übergreifenden Standpunkt aus erkannt, als Überwindung eines für die Gesamtkultur folgenschweren Zwiespaltes. 4. Die wissenschaftliche Entwicklung der Technischen Hochschulen a) Die Stellung der mathematiscb-naturwissenscbaftlidlen Grundlagen zu den Ingenieurfächern

Die außerordentlichen Fortschritte und die rasche Expansion der Technik und Industrie in den letzten Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende hatten seit Beginn der neunziger Jahre interne Diskussionen und Auseinandersetzungen an der Technischen Hochschule in Gang gebracht, die durchgreifende Änderungen in ihrem inneren Wissenschafts- und Lehrbetrieb zur Folge hatten. Die technische Entwicklung hatte überkommene, zu eng werdende Formen gesprengt. Wenn die Hochschulen seit den achtziger Jahren einen bestimmten Abschluß ihrer äußeren Organisationsform gefunden hatten, unheselladet ihrer weitergehenden Ansprüche, so ergaben sich doch für den inneren Betrieb nicht wenige Probleme durch steigende Anforderungen und anwachsende Lehraufgaben. Die Beziehung zur industriellen Praxis, die in ständig neuer Gestalt an Hochschule und Techniker herantrat, das Ineinandergreifen der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der technischen Fächer, ließen Lehrinhalt und Methoden nicht als abgeschlossen erscheinen und erforderten jetzt immer aufs neue Erweiterung, Differenzierung und Modifikation, um mit dem Tempo der Industrie Schritt zu halten. Stellung und Ausdehnung der Grund- und Hilfswissenschaften zu den eigentlichen technischen Disziplinen, größere Vertiefung der Ingenieurausbildung nach der theoretischen Seite oder mehr praxisnahe Anpassung an die unmittelbaren Anforderungen und Bedürfnisse der Industrie, der alte Gegensatz stärkerer und differenzierter "Nur-Fachbildung" zu größerer Hervorhebung allgemeiner theoretischer Grundlagen, das waren die Fragen, die sich jetzt brennender als zuvor in der 87 Vgl. G. Zenneck, Technische Physik, in: Aus 50 Jahren deutscher Wissenschaft, Festschrift für Fr. Schmidt-Ott, hrsg. v. Gustab Abb, 1930, S. 323 ff.

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Geschichte der Hochschulen stellten. Dies alles aber war untrennbar verbunden und ging Hand in Hand mit der entschiedener auftretenden Standesbewegung der Ingenieure, der strikten Forderung nach voller akademischer Gleichberechtigung mit den Universitäten, vor allem mit der Promotionsfrage. Mit dem Aufstieg der Polytechniken zu Hochschulen war eine zunehmende Steigerung ihres wissenschaftlichen Betriebes verbunden gewesen. Als inneren Ausweis des Hochschulranges hatte man in dem Bestreben, alles Empirische sorgfältig zu meiden, nach dem Urteil mancher Kritiker der rein theoretischen, abstrakten Betrachtung vielfach einen zu großen Spielraum in der technischen Ausbildung eingeräumt und Theorien gelehrt, die nicht auf Versuchen und Erfahrungen beruhten und Praxis und wirkliche Anwendung zu sehr außer acht ließen. Das hatte, wie es Riedler und seine Richtung formulierte, zu einem bestimmten "Doktrinarismus" im technischen Unterricht geführt1• Die Annäherung und Angleichung der Technischen Hochschule an universitäre Formen und die damit verbundene stärkere Ausrichtung nach einer von der Universität gesetzten Norm der "Wissenschaftlichkeit", ihre Forderung, daß jede akademisch betriebene Wissenschaft nur um ihrer selbst willen betrieben werden müsse, hatte sich, wie man fürchtete, in einer Weise ausgewirkt, die für die Hochschule eine Entfremdung von der technischen Praxis und Entfernung von der industriellen Wirklichkeit bedeuten mußte. Auf dem wichtigen Gebiet des Maschineningenieurwesens2 sah man in der in Deutschland von Redtenbacher ausgehenden, vor allem aber mit den Namen Grashof und Reuleaux verbundenen wissenschaftlichen Entwicklung jetzt eine wenig sinnvolle abstrakte Maschinentheorie von "Nur-Theoretikern". Tatsächlich hatten diese den Maschinenbau zu einer exakten Wissenschaft machen wollen. Als Vertreter der theoretischen Maschinenlehre hatten sie die wissenschaftlichen Grundlagen des Maschinenbaues vor allem so weit behandelt, wie sie sich der mathematischen und mechanischen Behandlung als zugänglich erwies. Das Wesen der Maschine mochte deshalb so schwer erkannt werden, da man das Fach als Feld angewandter Mathematik und Physik ansah und die Einsicht, daß mit Hilfe von Mathematik und Mechanik allein noch keine brauchbaren Konstruktionen hervorgebracht werden konnten, sondern daß dazu die Erfahrung wissenschaftlich-technischer Experimente mit Maschinen im wirklichen Betriebe gehörte 3 , sich auf akademischer Ebene nur langsam durchsetzte. Zs. d. VDI Jg. 1894, S. 1355. Das Fach war seit Mitte des Jahrhunderts an den T. H. in der Regel aufgegliedert in "theoretische Maschinenlehre" und "praktischen Maschinenbau", vgl. Carl Bach, a. a. 0., S. 29 f. 3 Vgl. August HeTtwig, Der geistige Wandel der T. H. in den letzten 100 Jahren und ihre Zukunft, Abhandlungen u. Berichte des Deutschen Museums, 18. Jg. 1950, H. 1, S. 11. 1

2

10 Manegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Der Unterricht in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern für den Ingenieur, besonders in der Mathematik als eigentlicher Grundwissenschaft des technischen Studiums, nahm im Verhältnis zu der engeren Fachausbildung einen großen Raum ein und hatte unter dem Einfluß der Entwicklung der Mathematik an den Universitäten, häufig auch hier eine abstrakte und formale, jedenfalls die Eigenart der technischen Fächer wenig berücksichtigende Ausgestaltung gefunden4 • Jetzt sollten Umfang und Methoden der technischen Disziplinen eine wesentliche Änderung und Erweiterung nach der spezifisch technischen und experimentellen Seite hin erfahren. Dadurch mußte auch die Stellung der Ingenieure zu den "allgemeinen Fächern" eine andere werden. Sie wurden nicht mehr im gleichen Maße als grundlegende Wissenschaften anerkannt, sondern sollten lediglich Hilfswissenschaften sein. Statt mathematischer Vorbildung sollte es jetzt mehr um die Kenntnis der praktischen Verhältnisse, insbesondere um den experimentellen Unterricht gehen, dementsprechend um die Entwicklung der Ingenieurlaboratorien unter Zurückdrängung der theoretischen Naturwissenschaften und der Mathematik. Diese Bestrebungen mußten nun auch zugleich das Verhältnis zu den Universitäten berühren; sie bedeuteten eine stärkere Emanzipation der Technischen Hochschulen. Die Auseinandersetzung zwischen "Theorie und Praxis" war ein alter Streit und durchzog naturgemäß die gesamte Entwicklung der technischen Schulen. Die richtige, die "technische Methode" des Ingenieurstudiums zu entwickeln, um der doppelten Gefahr zu entgehen, einerseits zu sehr zu theoretisieren oder auf der anderen Seite zu eng an die reine Berufspraxis heranzuführen, war seit Johann Josef Prechtl und der Gründung des Wiener Polytechnischen Institutes in zahlreichen Äußerungen immer wieder diskutiert worden. Das für die technischen Anstalten so erfolgreiche Lehrsystem der Pariser tcole Polytechnique, die methodische Verbindung von theoretischen Studien mit praktischer, konstruktiver Anwendung, war dort selbst in der Folge zugunsten rein mathematischer Betrachtung interpretiert worden. Jetzt schien der Gegensatz von Theorie und Praxis aber erst recht zum Austrag zu kommen. Dem Muster des französischen technischen Unterrichts wurde nun die englische5 , vor allem aber die amerikanische Ausbildung gegenübergestellt. 4 Vgl. hierzu Ktein!Schimmack, Vorträge über den Mathematischen Unterricht, a. a. 0., S. 176 ff., ferner P. Stäcket, Die Mathematische Ausbildung der Architekten, Chemiker und Ingenieure an den deutschen T. H., Abhandlungen über den Mathematischen Unterricht, Bd. IV, H. 9, Leipzig u. Berlin 1915,

s. 27 ff. 5

Vgl. Zs. d . VDI Jg.1895, S. 599.

4. Die wissenschaftliche Entwicklung der Technischen Hochschulen

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b) Technische Laboratorien und Experimentalunterridlt

Schon die Weltausstellung in Philadelphia im Jahre 1876 hatte eine heftige Diskussion über den Stand der technischen Bildung in Deutschland zur Folge gehabt6 , insbesondere hervorgerufen durch die Berichte Reuleaux'7 • Noch stärker zeigte sich der Einfluß der Ausstellung von Chikago 1893. Seitdem sprach man nicht mehr nur von der gefährlichen englischen Konkurrenz, sondern argumentierte vor allem mit der gewaltigen technischen Überlegenheit der USA. Wenn jetzt unter dem Eindruck der amerikanischen Verhältnisse eine bedeutende Ausgestaltung der Technischen Hochschulen gefo.::-dert und nach dortigem Vorbild die Einrichtung großer technischer Labors durchgesetzt wurde, so war damit ein neuer und entscheidender Abschnitt in der Geschichte der Hochschulen eingeleitet. Riedler hatte dem amerikanischen Ausbildungssystem höchstes Lob gespendet8 und vor allem hier den Grund für den großartigen Aufstieg der amerikanischen Technik gesehen. Den ausgedehnten und gründlichen Laborunterricht, das selbständige Arbeiten der Studenten, bezeichnete er als mustergültig. Von der Cornell-Universität in lthaka im Staate New York, die auch Klein mit großem Interesse besucht hatte, sie galt als beste der sehr unterschiedlichen Anstalten der USA meinte Riedler, daß sich ihr in Deutschland nichts Vergleichbares an die Seite stellen ließe, und er sprach insgesamt von den "ungeheuren Vorteilen der freien amerikanischen Erziehung". Selbstverständlich fehlte es nicht an Widerspruch gegenüber solchen Urteilen, aber bereits im folgenden Jahr setzte der Verein Deutscher Ingenieure die Frage der technischen Laboratorien auf die Tagesordnung der Hauptversammlung in Berlin. Während bis dahin nur die Studenten der technischen Chemie die Möglichkeit zu selbständigem Arbeiten im chemischen Labor hatten und es daneben nur physikalische Institute und - noch in sehr bescheidenem Umfange -elektrotechnische Labors gab, setzte sich erst jetzt die Erkenntnis durch, daß auch an den Maschinenbauabteilungen mit ihren sich immer mehr differenzierenden Lehrzweigen der Experimentalunterricht ebenfalls unerläßlich war. Hier hatte es bisher nur theoretische Vorlesungen und Konstruktionsübungen am Reißbrett gegeben. Die kleine Materialprüfungsanstalt, die der Mathematiker und Bautechniker Johann Bauschinger für das spezielle Gebiet der Festigkeitslehre schon bei der Eröffnung der Münchener Technischen Hochschule im 8 Vgl. K. Bücher, Die gewerbliche Bildungsfrage und der industrielle Rückgang, Eisenach 1877. 7 Fr. Reu.leaux, Briefe aus Philadelphia, a. a. 0. 8 Vgl. A. Riedter, Amerikanische technische Lehranstalten, Bericht an den Herrn Kultusminister, a. a. 0., ergänzend dazu sein umfassender Bericht in der Zs. d. VDI, Jg. 1894, S. 405 ff., 507 ff., 608 ff., 629 ff.

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Jahre 1868 einrichtete', konnte als ein Anfang experimenteller technischer Forschung angesehen werden10, und ist zum Muster vieler späterer Einrichtungen geworden. Die Gründung Lindes wurde schon erwähnt, er selbst und die Nachfolger Bauschingers öffneten diese Institute dann zum ersten Male auch für die Ausbildung der Ingenieurstudenten11. Die amerikanischen Anregungen trafen demnach auf eine in bescheidenem Maße bereits begonnene Entwicklung12• Auf der Berliner Hauptversammlung begründete der Stuttgarter Professor Adolf Ernst die Notwendigkeit technischer Unterrichtslaboratorien13. Der bisher herrschende Geist in der Ingenieurausbildung, der die Theorie als das Höchste ansehe, so erklärte er, stehe im Widerspruch zu den Forderungen der technischen Praxis. Doktrinäre Theorie und Buchwissen gewährten dem Ingenieur keinen Ersatz für fehlende eigene Beobachtungen und praktisches Können 14. Er erörterte die grundlegenden Änderungen, die sich mit der Errichtung von technischen Labors im Lehrbetrieb der Technischen Hochschule ergeben mußten und forderte vor allem, daß der "mathematisch-speculative Unterricht" auf den Technischen Hochschulen wesentlich eingeschränkt und die Mathematik unmittelbar auf die Bedürfnisse der technischen Fächer bezogen werden müßten. Die hier aufgeworfenen Probleme haben die Hochschulen und den Verein Deutscher Ingenieure in der folgenden Zeit sehr stark beschäftigt. Nach Vorarbeiten einer besonderen Kommission, der die Professoren Riedler, Slaby und Bach als wichtigste Mitglieder angehörten1S, wurden im folgenden Jahr auf der Aachener Hauptversammlung des Vereins die entsprechenden Forderungen über "Die Ingenieurlaboratorien und die Gestaltung des Unterrichts an den Technischen Hochschulen" verabschiedet. In dem Kommissionsbericht hatte man zum Ausdruck gebracht, daß es sich dabei keineswegs um "akademische Erörterungen" handelte, vielmehr nach den lehrreichen Ergebnissen der Weltausstellung von Chikago, um die Erkenntnis der drückenden Notwendigkeit, im Vgl. Nachruf auf Joh. Bauschinger, Zs. d. VDI Jg. 1894, S. 22 ff. Außerhalb der T. H. hatte es hier bestimmte Vorläufer gegeben, etwa in den Münchener Instituten Reichenbachs, Fraunhofers u. Utzschneiders, ebenso in Versuchslabors mancher Fabriken. 11 Vgl. August Föppl, Lebenserinnerungen, Rückblick auf meine Lehr- und Aufstiegsjahre, München u. Berlin 1925, S. 134 ff. Föppl war Nachfolger Bauschingers und bedeutender Vertreter der technischen Mechanik; ferner Carl Bach, Ingenieurlaboratorien u. Materialprüfungsanstalt der Kgl. T . H. Stuttgart, Stuttgart 1915, S. 3 f. und S. 17 f. u Vgl. K. H. Manegold, Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Technik im Spiegel der Wissenschaftsorganisation, a. a. 0. 13 Zs. d. VDI Jg. 1894, S. 1286 ff. 14 Zs. d. VDI Jg. 1894, S. 1355. 15 Zs. d. VDI Jg.1894, S.1408. 9

10

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internationalen Wettbewerb die gefährdete eigene Position nicht zu verlieren. "Die Tätigkeit der Technischen Hochschule", so hieß es, sei dadurch, daß sie Berufsarten diene, "welche größtenteils auf dem Weltmarkt ihre Kraft zu beweisen haben", eine wesentlich schwierigere und verantwortungsvollere, als diejenige der Universität, die zumeist nur der Kritik der eigenen Fachgenossen ausgesetzt sei, einen wirtschaftlichen Kampf mit dem Auslande aber auf keinem Gebiete zu bestehen habe16• Entschieden wies man Urteile zurück, in denen "die mehr rationelle und auf Anwendungen ausgehende Richtung" der Technischen Hochschule als unwissenschaftlich und deshalb untergeordnet bezeichnet wurde. Diese "Aachener Beschlüsse" wurden allen zuständigen deutschen Regierungen eingereicht und haben einen nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der Hochschulen ausgeübt. Sie gehören zu den wichtigsten und folgenreichsten Anregungen und Forderungen des Vereins Deutscher Ingenieure. In ihrer Bedeutung müssen sie den genau dreißig Jahre zuvor auf Initiative Grashofs erarbeiteten "Prinzipien der Organisation Polytechnischer Schulen" und den ebenfalls auf Grashof zurückgehenden Aussprüchen des Vereins über die Einheit der Technischen Hochschule aus dem Jahre 1876 an die Seite gestellt werden. Die vom Verein schon bei seinen früheren Forderungen beschworene "Macht motivierter Überzeugungen", vor allem aber der wirtschaftspolitischen Argumentation konnten sich die Regierungen nicht entziehen. Bereits Ende 1895 teilte Kultusminister Bosse dem Vorstand des Vereins Deutscher Ingenieure mit, daß die erforderlichen Mittel zur Errichtung der Laboratorien an den preußischen Technischen Hochschulen mit Beschleunigung bewilligt würden17• Nach dem Vorgang von München und Stuttgart kam es bald danach an allen deutschen Anstalten zur Begründung von technischen Labors. Jetzt erst erhielt die Technische Hochschule ihr modernes Gesicht als die eine Vielzahl verschiedener Institute, Laboratorien, Versuchs- und Prüfungseinrichtungen der technischen Fächer umfassende Institution. Wenn in den "Aachener Beschlüssen" des Vereins Deutscher Ingenieure besonders hervorgehoben wurde, daß die Technische Hochschule nicht nur die allgemeine wissenschaftliche Ausbildung des Ingenieurs zu geben hätten, sondern "entsprechend ihrer Aufgabe als Hochschule" Möglichkeiten zur weiteren Vertiefung und Forschung bieten müsse, ,,zur Ermittlung fehlender und zur Aufklärung zweifelhafter Grundlagen auf dem Gebiete des Ingenieurwesens" 18, so war dies ganz 16 17 1~

Zs. d. VDI Jg. 1895, S. 1213.

18. November 1895, Zs. d. VDI, Jg. 1896, S. 219.

Beschlüsse der 36. Hauptversammlung, Zs. d. VDI, Jg. 1895, S. 1095.

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wesentlich als Gegenzug auf die Bestrebungen Kleins hin erfolgt. Klein hatte zu Recht bemerkt, daß die Hochschule bisher ihr Hauptziel in der Heranbildung einer großen Zahl von Ingenieuren von durchschnittlichem Wissensniveau gesehen hatte. Das entsprach auch weitgehend dem Verlangen der Industrie selbst, was das Gros der dort tätigen Ingenieure anbetraf, ebenso der Ansicht einer starken Fraktion innerhalb des Vereins Deutscher Ingenieure, wie sich auf der Hauptversammlung des Vorjahres in Berlin herausgestellt hatte. Im Hinblick auf die geforderten technischen Labors war in den vorausgegangenen Beratungen zwar auch gelegentlich von ihrer Bedeutung für die technische Forschung die Rede gewesen, aber doch in erster Linie vom Experimentalunterricht. In den Verhandlungen der Kommission und des Vorstandsrates des Vereins Deutscher Ingenieure wurde dagegen jetzt auf Antrag Professor Bachs mit ausdrücklichem Bezug auf die Ideen Kleins die höheren technischwis~enschaftlichen Zwecke und die besondere Forschungsaufgabe der Technischen Hochschule herausgestelJtl9 • Zwar war schon auf der ~cole Polytechnique die enge Verbindung von Forschung und Lehre nicht nur postuliert, sondern auch höchst erfolgreich verwirklicht worden, für die deutschen Polytechniken, später für die Technischen Hochschulen hatte man aber bisher offiziell nur ihren Unterrichtszweck betont20 • Es waren bis dahin durchaus auch wichtige Forschungsergebnisse aus ihnen hervorgegangen, aber die Verbindung von Forschung und Lehre, grundlegend für das Selbstverständnis der Universität, war an den Technischen Hochschulen nicht in gleicher Weise als konstitutiv formuliert worden. In den vorausgegangenen und für die Entwicklungsgeschichte der Hochschule sehr wichtigen Beschlüssen des Vereins aus den Jahren 1865 und 1876 wurden deren Forschungsaufgaben nicht eigens ausgesprochen21 • Insgesamt war diese Aufgabe 19 Protokoll der Verhandlungen des Vorstandsrates des VDI, II. Sitzung vom 18. Aug. 1895, Zs. d. VDI, Jg. 1895, S. 1215 f., ferner die Ausführungen Bachs, Zs. d. VDI Jg. 1894, S. 1288. 20 Schon in den Erörterungen über Stellung und Aufgaben der "Polytechnischen Hochschule" vor der Jahrhundertmitte war fast immer unmißverständlich ihr gleicher Rang mit den Universitäten gefordert worden, aber es wurde bei aller Parallelisierung doch zumindest kein Zweifel daran gelassen, daß es allein Aufgabe der letzteren bleiben müsse, die Wissenschaften selbst zu erweitern und "auszubauen" und Gelehrte heranzuziehen, die sie ausbauen und lehren. (So C. F. Nebenius, a. a. 0., S.122). 21 In den schon erwähnten "Prinzipien" hatte man dargelegt, daß neben den technischen Fächern Mathematik und Naturwissenschaften in einer der Universität nicht nachstehenden Ausdehnung und Intensität gelehrt werden sollten, damit die Möglichkeit gegeben sei, diese Wissenschaften auch "um ihrer selbst willen" und nicht nur als Vorbereitung für die technischen Fachstudien zu betreiben. Man hoffte dadurch- nach dem Vorbild der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich - größere Möglichkeiten zu erhalten, Gelehrte von Rang zu gewinnen und mochte dabei daran gedacht haben, daß damit eine die "Hochschule" charakterisierende Aufgabe erfüllt werden

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der Hochschulen von seiten des Staates kaum anerkannt. Bis zu dieser Zeit hatte man im Kultusministerium, im Zusammenhang mit den Vorstößen auf ihre volle Gleichstellung mit den Universitäten22, stets auf den "grundsätzlichen Unterschied" hingewiesen, daß sie lediglich höhere Unterrichtsanstalten seien23• Es muß in hohem Maße dem Vorgehen Kleins zugeschrieben werden, daß jetzt von der "Doppelaufgabe" der Technischen Hochschulen und der an ihnen zu errichtenden technischen Labors gesprochen wurde, zu forschen und zu lehren, und wenn damit jenes Konstituens der Universität nun auch bewußt von den Technischen Hochschulen erfaßt wurde. Die Notwendigkeit dieser Aufgabe hat Klein selbst gegenüber dem Ministerium energisch vertreten. "Sie (die Technischen Hochschulen) haben damit einen Wechsel ausgestellt", so schrieb er an Althoff, "auf dessen Einlösung ich bestehen werde24 ". c) Der Streit zwischen "Theoretikern" und "Praktikern"Die Forschungsaufgabe der Technischen Hochscltule als innere Bedingung für das Promotionsrecltt der Ingenieure

Im Jahre 1896 wurde an der Berliner Hochschule das erste Maschinenlaboratorium begründet und rasch zu einem der größten in Deutschland ausgebaut25• Von diesem Zeitpunkt datiert die neue, durch Riedler und seine Schule eingeleitete Entwicklung des Maschinenbauwesens2 G. Kennzeichnend für diesen Wandel war der damit verbundene Rücktritt Reuleaux'. Er hatte lange den Lehrbetrieb beherrscht und war als Schöpfer von Theorie und Terminologie der Kinematik und als Begründer der kinematischen Sammlung der große Repräsentant der Maschinenlehre gewesen27 • Gerade gegen Reuleaux' Wissenschafts- und Lehrauffassung hatte sich Riedler gewandt, wenn er die "unfruchtbare Theorie" bekämpfte28• Professor Riedler war nicht nur der lauteste und am meisten beachtete Rufer im Streit um die Gerechtsame der Technischen konnte, die in ihr vertretenen Fächer durch Forschung zu erweitern. (Vgl. a. a. 0., S. 16) Grashof hatte in seinen Erläuterungen der "Prinzipien" diesen Bezug indessen nur gestreift. 22 DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1, Tit. 3 Nr. 1. 23 Noch in dem viel zitierten Buch des Juristen Conrad Bornhack, Die Rechtsverhältnisse der Hochschullehrer in Preußen, Berlin 1901, konnte man lesen: Da die Technik zwar die Wissenschaft voraussetze, selbst aber nicht Wissenschaft sei, sondern "Kunst in Anwendung auf die Bedürfnisse des praktischen Lebens", werde die Technik durch die verfassungsmäßige Freiheit der Wissenschaft (und Forschung) nicht mitgedeckt. Ebd. S. 88 f. 24 Brief vom 23. 8. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. 25 Vgl. Dobbert, Chronik der Kgl. T. H. in Berlin, Berlin 1899, S. 182 ff. 26 Vgl. Hertwig, a. a. 0., S. 22. 27 Vgl. C. Weihe, Franz Reuleaux und seine Kinematik, Berlin 1925, S. 46 ff. 28 A. Riedler, Zur Frage der Ingenieurerziehung, a. a. 0., S. 556.

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Hochschule, er war es ebenso in der Diskussion um die Reformen der Ingenieurausbildung. Seine in zahlreichen Äußerungen und Reden, Aufsätzen und Abhandlungen vertretenen Anschauungen bedeuteten geradezu die Umkehrung der traditionell an den Universitäten vertretenen Auffassungen29• Die Wissenschaft sollte nicht. länger um ihrer selbst willen getrieben werden, sondern ausschließlich und unmittelbar der Praxis dienen. Die eigentümliche Zweckdienlichkeit zweckfreier Forschung blieb dabei völlig außer Betracht. Als Riedler, angeregt von den Bestrebungen Kleins und der Entwicklungsunruhe im Ingenieurstudium, im November 1895 vor dem Berliner Bezirksverein des Vereins Deutscher Ingenieure einen Vortrag über "Die Ziele der Technischen Hochschulen" hielt, wurde die Bedeutung, die man seinen programmatischen Ausführungen zuschrieb, durch die Anwesenheit der preußischen Staatsminister Bosse (Kultusminister) und Miquel (Finanzminister) und zahlreicher Großindustrieller unterstrichen30. Hier kamen die Anschauungen der auf Reform drängenden "praktischen" Richtung am deutlichsten zum Ausdruck, vor allem ihre Stellung zur Universität. Riedler setzte auch hier ein mit scharfer Kritik an der vorherrschenden und tonangebenden gelehrten literarisch-historischen Bildung und der, wie er meinte, daraus hergeleiteten Mißachtung der Technik und ihres Ranges als hohe Geistesarbeit ihrer Schöpfer. Wenn er sich hierbei mit dem Blick auf die traditionelle Wissenschaftsauffassung an der Universität heftig gegen die mangelnde Würdigung und Herabsetzung der Anwendungen, gegen eine einseitige abstrakte und "lebensfremde" Wissenschaft aussprach, so befand er sich damit in vielen Punkten in Übereinstimmung mit den Anschauungen Kleins. Es war an die Adresse der Universitäten gerichtet, wenn er der Versammlung zurief: Wann man sich endlich abwenden wolle von den "abgebrauchten Phrasen" über Entwürdigung der "um ihrer selbst willen betriebenen Wissenschaft", wann sich lossagen werde von den "hochtrabenden Redensarten", und aufhöre, Anwendungen und Praxis, also technische Eigenart, als etwas Niedrigstehendes zu behandeln und sie als Materialismus zu brandmarken angesichts der ungeheuren Bedeutung der angewandten Wissenschaft und der tatsächlichen Entwicklung der wissenschaftlichen Technik31• Inzwischen sei die moderne Technik so weit vorgeschritten, daß "Wissenschaft, Praxis und Wirtschaftlichkeit" 29 Grundlegend für die Anschauungen Riedlers, die weitgehend als repräsentativ für den größten Teil der Ingenieure an den Technischen Hochschulen gelten lwnnten: A. Riedler, Zur Frage der Ingenieurerziehung, Berlin 1895; Die Ziele der Technischen Hochschulen, Zs. d. VDI, Jg. 1896, S. 301 ff. ; Unsere Hochschulen und die Anforderungen des 20. Jahrhunderts, Berlin 1898. ao Zs. d. VDI, Jg. 1896, S. 301 ff. ~~ a. a. 0., S. 340.

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nicht mehr getrennte Wege gehen könnten. Nach Riedlers Verständnis ruhten die darauf gerichteten Forderungen auf zwingenden natürlichen Grundlagen, auf der Untrennbarkeit geistiger und materieller Kultur. In der wissenschaftlichen Technik komme es zur wirklichen Vereinigung von Wissenschaft und Leben. Dagegen sei es eine unheilvolle Verkennung, wenn die "herrschende Beschränktheit" in den die "Bildung repräsentierenden Kreisen" geradezu stolz die Unkenntnis hervorhebe, das Wesen der Technik oder wenigstens ihren wissenschaftlichen Schwierigkeitsgrad zu verstehen. Das Ziel der Technischen Hochschulen, stellte Riedler fest, könne nur in der Eigenart der Technik selbst gesucht werden, in der Erkenntnis der Vielfalt praktischer Bedingungen. Daher sei zu verlangen: Entwicklungsfreiheit und Entwicklungsmöglichkeit für diese Eigenart, Bekämpfung und Beseitigung dessen, was hinderlich und feindlich ist. "Wissenschaftlich und allgemein gebildete Ingenieure" heranzubilden und dabei den Studierenden sofort in jene "eigenartige technische Welt" einzuführen, darin liege zunächst die besondere "Kulturaufgabe" der Technischen Hochschule. Sie heiße es zur Geltung zu bringen. "Was sich dieser Eigenart nicht fügt, muß an die Universität verwiesen werden32." Es fehlte nicht an den in diesem Zusammenhang nun bereits üblichen patriotischen und nationalen Tönen, wenn Riedler der technischen Bildung die Aufgabe stellte, "der Nation zu dienen", ihr hohes Ziel aber gehemmt sah durch "veraltete überlieferte Einrichtungen". Technischer Bildung im gekennzeichneten Sinne gehöre die Zukunft, "ist doch das nationale Gedeihen von der Technik abhängig, werden doch alle Lebensverhältnisse von der technischen Arbeit beeinflußt." Der technische Fortschritt habe auch nationale Ziele geschaffen, die nicht allein mit Politik bewältigt werden könnten: der internationale Wettbewerb und sein Zusammenhang mit politischen Machtfaktoren. "Ihre zwingenden Forderungen stehen im Widerspruch zu der bisheririgen passiven deutschen Spekulation, nationaler Bescheidenheit und unpraktischer Träumerei." Im ganzen waren die Ausführungen Riedlers dadurch charakterisiert, daß viele richtige Erkenntnisse und klare Gedanken zu sehr eingebettet waren in wortreiche Auslassungen von einseitiger polemischer Schärfe, vor allem gegen den "herrschenden Universitätsgeist". Bei den Ingenieuren fand er überwiegend Zustimmung, und seine Ausführungen blieben nicht ohne Eindruck auf die Regierung, sie kamen insbesondere auch zur Kenntnis des Kaisers. An den Universitäten aber brachte ihn schon seine Schärfe um jede positive Wirkung, hier stieß er auf Zurück;. haltung und Ablehnung. Verärgert mußte Klein feststellen : "Er treibt 32

Ebd. S. 339.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

die Universitäten, so viel an ihnen ist, erst recht in heftigste Opposition33." Den besonderen Fragen einer Reform des Lehrbetriebes der Technischen Hochschulen widmete Riedler eingehende Darlegungen, die ganz im vorbezeichneten Sinne den Vorrang konstruktiver Praxis und technisch-experimenteller Lehre hervorhoben und in extremer Weise die stärkere Emanzipation der technischen Fächer von den allgemeinen naturwissenschaftlichen Disziplinen, vor allem von der Mathematik forderten. Mit dem einseitigen, auch die Schulen beherrschenden "Universitätsgeiste", der von der Wirklichkeit der Anwendungen ablenke, müsse nun prinzipiell gebrochen werden. Den gesamten Unterricht solle von Anfang an die Praxis beherrschen und durchsetzen: "wer bloß theoretisch etwas weiß, ist erst ein halber Mann". Wenn etwa Reuleaux die theoretische Wissenschaft in seinem Fache so weit treiben wollte, wie es eben ging34, so wurde dem jetzt die größere Affinität der Technik zu freiem Schaffen entgegengehalten. Hier gelange man vor allem durch intuitives Anpassen der vorhandenen Mittel an den Zweck zum Ziel. Ein Deduzieren aus der Theorie heraus führe zur Überschätzung des wahren Wertes der mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen. "Technische Aufgaben müssen anders behandelt werden als mathematische115." Es kann davon abgesehen werden zu entscheiden, was die wirkliche Lage in der Entwicklung von Technik und Wissenschaft damals für die Organisation und Methode des technischen Studiums tatsächlich erforderte. Die von Riedler angeführte Richtung schien sich jedenfalls weitgehend durchzusetzen, wenn auch nicht ohne prinzipielle Auseinandersetzungen mit einer "Gegenpartei" 36• Die Opposition regte sich, als An Althoff, DZA Rep. 92 NA, AI Nr. 106. Reuleaux wollte die Maschinenwissenschaft "der Deduktion gewinnen". Er hatte darzulegen versucht, daß technische Erfindungen nicht länger als "eine Art Offenbarung" angesehen werden sollten. (Vgl. F. Reuleaux, Kinematische Mitteilungen I, Verhandlungen des Vereins z. Bef. d. Gewerbfleißes in Preußen, 1871, S. 110 ff.) Das methodische Moment des technischen Denkens, die Erkenntnis des Gesetzmäßigen sollte ein planvolles, gelenktes, "wissenschaftliches" Erfinden ermöglichen. (Vgl. F. Reuleaux, Lehrbuch der Kinematik Bd. I, Braunschweig 1875, Vorwort und S. 26, 238; Bd. II, 1900, S. 663. Reuleaux strebte damit zu dem Ziel, das A. N. Whitehead später in seinem Berühmten Ausspruch bezeichnete: Die größte Erfindung ist die Erfindung der Methode des Erftndens. Insgesamt hatte aber auch Reuleaux keineswegs jene "freischöpferische Seite" der Technik außer acht gelassen. 35 Riedler, a. a. 0., S. 306. Das war jetzt die allgemeine Devise der "Praktiker". "Erkenntnis der Wirklichkeit läßt sich nicht in die Zwangsjacke von Formeln und Lehrsätzen zwingen." (Carl Bach, Ansprache an die Studenten der T. H. Stuttgart, Zs. d. VDI, Jg. 1895, S. 268). In diesem Zusammenhang kam es auch zu harter Kritik an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, der von den Ingenieuren vorgeworfen wurde, sie sei ein rein physikalisches Labor ohne wirkliche Berührung mit Technik und Industrie und entspreche, wie auch Klein beanstandete, nicht den ursprünglichen Intentionen von Siemens. 36 Das "System Riedler", wie später dessen engere "Schule" genannt wurde, 33

34

4. Die wissenschaftliche Entwicklung der Technischen Hochschulen

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sämtliche dreiunddreißig Professoren der Mathematik, der darstellenden Geometrie und der Mechanik an den deutschen Technischen Hochschulen, den Riedlerschen Thesen und den entsprechenden Passagen der "Aachener Beschlüsse" des Vereins Deutscher Ingenieure in einer gemeinsamen Erklärung öffentlich entgegentraten37• Die Mathematik erklärten sie nach wie vor für alle technischen Aufgaben, entsprechend dem wissenschaftlichen Rang der Technischen Hochschule, zur grundlegenden Wissenschaft. Besonders gewichtig gegenüber den Zielen Kleins erschien ihr Einwand, nur durch einen Ausbau der Mathematik könne man der Gefahr begegnen, daß die höhere theoretische Ausbildung der Techniker von den Universitäten übernommen werde, was eine beträchtliche Minderung des wissenschaftlichen Ranges und des sozialen Ansehens der Technischen Hochschule zur Folge haben müsse. Eine Gegenerklärung von siebenundfünfzig Professoren, zumeist der Ingenieurfächer, ließ nicht auf sich warten. Sie bekräftigte den Standpunkt der "Praktiker" 38• Durch solche Auseinandersetzungen war die ganze Konstellation, in der sich die Bestrebungen der Technischen Hochschule jetzt befanden, sehr schwierig geworden. Man war sich allgemein einig über die Notwendigkeit einer Reform der Ingenieurausbildung, einig auch in der Forderung nach technischen Labors. Über die Richtung der Reformen gab es schließlich doch verschiedene Ansichten. Auf der einen Seite standen die "Amerikaner" - wie Linde sie in einem Brief an Klein genannt hatte39 - wo man auf Kosten theoretischer Durchbildung vor allem das unmittelbar auf die Praxis bezogene Studium befürwortete40 , und auf der anderen Seite gewissermaßen eine qualifizierte Minderheit, der es darum ging, auch das allgemein-theoretische Niveau der Hochschulen zu steigern. Hier arbeitete man vor allem darauf hin, die Ingenieurlabors zu wirklichen Forschungsinstituten zu machen, um jenen ausgestellten Wechsel, von dem Klein gesprochen hatte, in der Tat einzulösen. Hier war man der Überzeugung, daß ein Projekt, wie er es in Göttingen anstrebte, eigentlich an der Technischen Hochschule verwirklicht werden müsse. In diesem Sinne hatte der Professor an der Technischen Hochschule München, der Mathematiker Dyck, langjähriger Schüler und Assistent sollte mehr als 10 Jahre später wiederum Gegenstand lebhafter Diskussionen werden. 37 Zs. d. VDI, Jg. 1897, S. 114. as Zs. d. VDI, Jg. 1897, S. 1368, vgl. auch S. 1452. 39 5. Okt. 1894, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI c. 40 "Nachahmung der Amerikaner" war zeitweise zu einem Schlagwort geworden, vgl. dazu A. Riedler, Ein Rückblick auf die Weltausstellung in Chikago, Volkswirtschaftliche Zeitfragen, H. 117, Berlin 1894.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Kleins, seinem ehemaligen Lehrer gegenüber die Befürchtung ausgesprochen, die Tendenzen eines Teils der Techniker würden die Technische Hochschule wieder zu Mittelschulen herabdrücken, ihnen werde in die Hände gearbeitet, wenn man versuche, die höchste technisch-physikalische Ausbildung an die Universitäten zu ziehen41 • Der von Klein eingeschlagene Weg sei letztlich nur durch Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität gangbar. Er könne nicht durch halbe Maßnahmen beschritten werden. Die Folge sei nur eine Schwächung des wissenschaftlichen Geistes der Technischen Hochschule, ohne daß es andererseits an den Universitäten zur Entwicklung eines technischen Interesses im höheren Sinne komme. Ähnlich hatten auch andere Stimmen argumentiert42 • Franz Reuleaux warnte vor der Diskrepanz, einerseits laut den Vorrang der Universität zu bekämpfen, aber gleichzeitig den bisher erreichten wissenschaftlichen Rang der Technischen Hochschule durch die "Praktiker" in Frage zu stellen43 • Männer wie Reuleaux hatten versucht, überall in der Technik die allgemeinen Gesetze wiederzufinden, die die reine Wissenschaft aufgestellt hatte, die wissenschaftliche Technik in jeder Hinsicht "hochschulfähig" zu machen. Der Gegnerschaft aus dem Lager der "Praktiker" unter der Führung hervorragender, für die Industrie tätiger Konstrukteure, lag dagegen vor allem der rasche praktisch-wirtschaftliche Erfolg am Herzen. Hier zeigte man für rein theoretische Untersuchungen wenig Verständnis44 • Das außerordentliche Anwachsen der Industrie brachte zudem einen stärkeren Bedarf von Technikern mit sich, die unmittelbar im Betrieb brauchbar waren und sich möglichst schnell in der industriellen Praxis zurechtfanden. Es mochte daher vielfach naheliegen, mit überlegener Verachtung auf die "Theoretiker" herabzusehen, die das schnelle Voranschreiten mit unnötigem wissenschaftlichem Ballast nur zu hemmen schienen. Die technischen Fächer forderten insgesamt größere Rechte gegenüber den allgemeinen Disziplinen, und man mußte u UBG Cod. MS Nachlaß Klein 8. In der Folgezeit sollte Dyck als Vertreter der T. H. München noch eine wichtige Rolle in der "Technikerbewegung" spielen. 42 Vgl. H. Henneberg, Zur Frage der Ingenieurerziehung, Zs. f. Architektur und Ingenieurwesen, J g. 1897, S. 346 ff. 43 Fr. Reuleaux, Lehrbuch der Kinematik, Bd. Il, Beziehung der Kinematik zu Geometrie und Mechanik, Braunschweig 1900, S. 107 f. 44 "Sie haben in Göttingen jedenfalls mit einseitigem Gelehrtenhochmut zu kämpfen, der alle Richtungen, die auch nach dem Praktischen abzielen und von dort her neue Impulse und Quellen der Anregung sehen, abhold ist. Bei uns ist es umgekehrt. Der bloße Verdacht, daß jemand mehr als die reine Praxis dozieren will, genügt, bei unseren Berufungen die größten Schwierigkeiten zu bereiten." So hieß es in einem Brief Dycks an Klein v. 14. 1. 1895, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 8.

5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung

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sich einigen über die Abgrenzung und Zusammengehörigkeit der Gebiete45. Es kam zu einer Nachprüfung des an der Hochschule vorgetragenen theoretischen Wissens auf seine Brauchbarkeit und seinen Bildungswert für das technische Studium. Wenn die "theoretische" Richtung schließlich doch ihren Einfluß verstärken konnte, so spielte dabei eine gewisse Rolle, daß man sich einig war, ein Hauptziel zu erreichen: Das Promotionsrecht. In diesem Punkt mußten sich Standesüberlegungen, die Frage sozialer und akademischer Gleichberechtigung verbinden mit der internen Frage der wissenschaftlichen Ebenbürtigkeit. Technische Labors als Forschungsstätten, wenn auch unter Betonung der speziellen technischen Probleme und Fragestellungen einer "eigenartigen" technischen Forschung, waren die Voraussetzungen für den ersehnten "technischen Doktor". Jede Doktordissertation sollte ja ein Stück selbständiger Forschung vorlegen, einen wenn auch vielleicht kleinen Baustein zur Gesamtheit des Faches liefern. Diese wenigstens als Forderung unabweisbare Norm mußte erfüllt werden. Nur darauf konnte man nach der geltenden Bewertung ein Recht zur Verleihung des Doktortitels tiefer begründen, nur damit die erstrebte volle akademische Gleichstellung erreichen, von der man endlich die höhere soziale Einstufung des Technikers und ein größeres wissenschaftliches Ansehen der Hochschulen erwartete. Ein klares Erfassen der Forschungsaufgabe bildete die innere Bedingung für dieses Ziel. Niemand hatte dies deutlicher erkannt als Klein. Er hatte selbst ganz wesentlich dazu beigetragen, daß man ihre höheren wissenschaftlichen Zwecksetzungen und die Forschungsaufgabe jetzt bewußter ins Feld führte, und es mußte paradox erscheinen, daß er von den Ingenieuren in dieser Weise mißverstanden wurde. "Das ist eine merkwürdige Politik", so beklagte er sich bei Althoff, "den Bundgenossen, dessen Mitwirkung man gewinnen will, zunächst zu verbittern46." In jedem Falle war er in enge Verbindung mit der "Technikerbewegung" getreten. In der Frage des Promotionsrechtes sollte er noch ein gewichtiges Wort mitsprechen. 5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung zur Förderung der augewandten Physik und Mathematik

a) Felix Klein und Friedrich Althoff

Zu einer Zeit, da jede Verwirklichungsmöglichkeit der Ideen Kleins den Tiefpunkt erreicht hatte, als die zwar abgestufte, insgesamt aber eindeutig ablehnende Haltung aus Universitätskreisen, die einmütige 45 Vgl. Klein, Universität und T . H., a. a. 0., S. 5. •s DZA Rep. 92 NA, Al Nr. 106.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Gegnerschaft der Ingenieure und Technischen Hochschulen und die dadurch hervorgerufene Zurückhaltung des Ministeriums nun endgültig seine Pläne gescheitert erscheinen ließen, sollte er dennoch dem entscheidenden Anfangserfolg am nächsten sein. Unmittelbar nach seinen persönlichen Aussprachen mit den Vertretern der Technischen Hochschule, in denen er insbesondere den Widerstand Riedlers als unüberwindlich kennengelernt hatte, erreichte ihn - noch in Berlin - eine Einladung nach den USA zu einem Vortragszyklus anläßlich der 150Jahr-Feier der Universität Princeton1• Im Herbst 1896 folgte er dieser Einladung und erhielt während seines Aufenthaltes in Princeton erneut einen Ruf, diesmal an die Universität Yale, Newhaven. Dort wurde ihm neben dem bedeutenden Mathematiker und Physiker J. W. Gibbs die mathematische Hauptprofessur und ein weitreichendes Tätigkeitsfeld unter Bedingungen angeboten, die ihm keinen Wunsch offenließen2 • Klein hat diesen Ruf - es war der dritte aus den USA - ohne nähere Verhandlungen abgelehnt3 , wiewohl das Anerbieten für ihn gerade in wissenschaftlicher Hinsicht ungewöhnlich verlockend war. Auf der Rückreise berichtete er noch von Bord des Schiffes über seine Eindrücke und über seine Ablehnung an Althoff4• Wie schon drei Jahre zuvor bei seiner Reise zur Chikagoer Weltausstellung zeigte Klein sich erneut stark beeindruckt von den dortigen Wissenschafts- und Unterrichtseinrichtungen. Jetzt glaubte er festzustellen, daß man in den USA zunehmend die Notwendigkeit tiefer dringender theoretischer Ausbildung erkannt hatte, und er sprach von den "vorbildlichen Beziehungen" zwischen den Naturwissenschaften und dem Ingenieurwesen, die er dort angetroffen hatte. Die Richtigkeit seiner eigenen Ideen und des von ihm eingeschlagenen Weges war ihm erneut nachdrücklich bestätigt worden. Eines war ihm vor allem klargeworden, es mußte jetzt um jeden Preis ein Anfang gemacht werden und sei er auch noch so bescheiden. Im gleichen Bericht machte er Althoff deshalb den Vorschlag, den außerordentlichen Professor für Landwirtschaftliche Maschinenlehre5 in Halle, Lorenz, als Ingenieur ein Schüler von Linde, in der Weise "unauffällig" nach Göttingen zu versetzen, daß er am Landwirtschaftlichen Institut den gleichen Unterricht wahrnahm, gleichzeitig aber am Physikalischen Institut im Sinne der "technischen Physik" arbeitete, wenigstens ein Beginn, der dann ausgebaut werden UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 L. Yale galt auch in Europa als eine der angesehendsten Universitäten der USA. 3 Klein, Autobiographische Skizze, a. a. 0 ., S. 29. '1 Bericht vom 2.11.1896 von Bord der "Lahn", DZA Rep. 92 NA, AI, Nr. 138. 5 Nur in diesem Fach gab es bis dahin vereinzelt Techniker als Lehrer an der Universität. 1

t

5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung

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müßte. Es ist bezeichnend, daß Klein zu solchen Umwegen seine Zuflucht nehmen mußte. Tatsächlich sollte bald in diesem Sinne vorgegangen werden. Unmißverständlich aber brachte er Althoff gegenüber zum Ausdruck, daß er die Berufung nach Yale ausschließlich deshalb abgelehnt hatte, weil er, wie er wörtlich schrieb, "die Unternehmungen und Pläne, für die ich in Deutschland engagiert bin", nicht im Stiche lassen könne, und er versäumte nicht, Althoff darauf hinzuweisen, er möge das im Interesse dieser Pläne verwenden8 • Kleins Ablehnung der Berufung machte auf Althoff einen nachhaltigen Eindruck. Seine lautere Sachlichkeit, sein uneigennütziger "Idealismus" waren jetzt nicht mehr in Zweifel zu ziehen. Althoff wurde damit vollends aus seiner bisherigen Reserve herausgerissen. Ihm, der selbst eine starke Persönlichkeit war, imponierte die unbeirrbare Zähigkeit Kleins in der Verfolgung des einmal als richtig erkannten Zieles. Von da an hat sich Althoff jederzeit undtrotzaller Widerstände mit großem Interesse für die Projekte Kleins eingesetzt. Nur auf Grund dieser Tatsache und der freilich ungewöhnlich mächtigen Position, die Althoff jetzt im preußischen Kultusministerium besaß, ist es dann für Klein überhaupt möglich gewesen, seine wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen in wichtigen Ansätzen zu verwirklichen. Friedrich Althoff war ein Vierteljahrhundert, von 1882 bis 1907 die hervorragende Persönlichkeit des preußischen Kultusministeriums7 • Sein Einfluß unter den Ministern Bosse und Studt ist maßgebend geworden für die preußische und deutsche Kulturpolitik überhaupt. Die Fülle und Breite der von ihm geleiteten Maßnahmen, die große Vielseitigkeit seiner Arbeit und seiner Interessen sind bekannt, ebenso die lange Zeit umstrittene souveräne, ja autokratische Art seiner Amtsführung. Es ist wiederholt betont worden, daß seine Machtentfaltung vor allem auf dem unmittelbaren Vortrag beim Kaiser, seinen persönlichen Beziehungen zu anderen Ressorts, vornehmlich zum Finanzministerium8 , aber auch zum Parlament beruhte•. Daß er sich stets von sachlichen Gründen leiten ließ, kann heute nicht mehr bestritten werden. Als "moderator scientiarum", wie ihn Adolf von Harnack genannt hat10, ist Althoffs Name mit der Entwicklung der deutschen, besonders der preußischen Universitäten, aber auch mit dem Aufstieg der Technischen Hochschulen in den e 7 8

DZA Rep. 92 ebd. Vgl. Arnold Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk, Berlin 1928. Vgl. Friedrich Schmidt-Ott, Erlebtes und Erstrebtes, Wiesbaden 1962,

S.19.

9 Vgl. Die Würdigungen von Fr. Paulsen, Internationale Wochenschrift 1907, S. 975 ff.; Franz Schnabels in der N. D. B., ferner Peters, Große Männer der deutschen Verwaltung, Köln 1964; und E. Schwinge, Welt und Werkstatt des Forschers, Wiesbaden 1958. to Reden und Aufsätze, N. F. Bd. V 1930, S. 200 f.

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

neunziger Jahren untrennbar verknüpft. Klein schrieb ihm alle großen Fortschritte zu, die hier in den fünfundzwanzig Jahren seiner Tätigkeit erreicht wurden11 • Althoffs Verdienst bestand nicht zuletzt darin, daß er mit wachem Gespür neue Ideen und Werte, die an ihn herangetragen wurden, aufzunehmen verstand, um dann mit unermüdlicher Energie, zäher Gewandtheit und - wenn nötig - mit rücksichtsloser Entschiedenheit, unerschöpflich in der Erfindung immer wechselnder Methoden, auszuführen und zu verwirklichen, was er als wertvoll und notwendig anerkannte. Man hat im Hinblick auf sein unorthodoxes Vorgehen, seine oft genug alle üblichen Verwaltungsnormen souverän überspringende Tätigkeit geradezu von seiner "Verwaltungsdämonie" 12 gesprochen. Frei von Einseitigkeiten, war er sachlich kaum durch traditionelle Auffassungen oder vorgefaßte Meinungen beengt, deshalb fundierten neuen Gedanken stets zugänglich und immer bereit, neue Wege zu gehen. Selbst von großer innerer Unabhängigkeit, schätzte er Unabhängigkeit auch bei anderen, wenn sie nicht seinen eigenen Plänen entgegenstand. In manchem mochten die Charaktere Althoffs und Kleins verwandte Züge aufweisen. Beide waren in ihrer Art "herrscherliche Gestalten". Eine gegenseitige Hochachtung verband sie, aus der sich im Laufe der Zeit engere und schließlich freundschaftliche Beziehungen entwickelten. Es wurde bereits erwähnt, wie sehr Klein von der Persönlichkeit Althoffs schon bei seiner Berufung von Leipzig nach Göttingen angezogen wurde. Althoff ließ sich ständig durch bedeutende Gelehrte und Fachvertreter und durch eine Fülle persönlicher Beziehungen vielseitig beraten und informieren. Klein wurde jetzt in zunehmendem Maße für die Mathematik, schließlich aber allgemein für Angelegenheiten der Naturwissenschaften und der Technik, für Organisationsfragen, Unterrichtseinrichtungen und Berufungspolitik ein wichtiger Berater Althoffs, der sich Kleins Sachlichkeit und sein Urteilsvermögen in zahlreichen Fragen zunutze machte13• In der härter geführten Hochschuldiskussion, im Zusammenhang mit dem Kampf der Technischen Hochschule um das Promotionsrecht und der Gründung und Organisation neuer Technischer Hochschulen wurde Klein immer wieder von Althoff herangezogen. Klein selbst ließ keine Gelegenheit vorübergehen, den in der Presse und im Kreise der UniverKlein, Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 25. W. Hellpach, Der Staat und die Forschung, in: Forschungsinstitute, Bd. I, hgg. v. L. Brauer, H. Mendelssohn Bartholdy, A. Meyer, Harnburg 1930, S. 14. 11

11

13 Darüber gibt der Briefwechsel vor allem im Nachlaß Althoffs deutlichen Aufschluß. A. Sachse bezeichnete in seiner Althaff-Biographie Felix Klein als "einen der edelsten Männer, die Althoff ständig als Berater gedient haben". a. a. 0., S. 277.

5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung

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sitätslehrer viel angefeindeten, beargwöhnten, auch gefürchteten Ministerialdirektor zu würdigen und seine Maßnahmen zu verteidigen. Aus Kleins persönlichen Notizen spricht seine tiefe Dankbarkeit gegenüber Althoff, der, wie er fünfzehn Jahre nach dessen Tod rückschauend schrieb, "ohne Zweifel eine der hervorragendsten Persönlichkeiten gewesen ist, die mir auf meinem Lebenswege begegnet sind" 14• Andererseits hatte Althoff noch unmittelbar vor seinem Ableben zum Ausdruck gebracht, daß er die Verbindung mit Klein und die Beziehungen zu seinen Göttinger Bestrebungen zu den schönsten seiner ganzen Amtslaufbahn zählte15• Friedrich Althoff hatte bei seinem Amtsantritt nur das Universitätsreferat in der ersten Unterrichtsabteilung (U I) des Kultusministeriums übernommen. Hier lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit, in der Entfaltung der Universitäten in personeller und sachlicher Hinsicht kommt ihm ein besonderes Verdienst zu. Tatsächlich reichte aber schon bald sein Einfluß über das engere Referat hinaus. Bei den Technischen Hochschulen, sie bildeten seit ihrer Ausgliederung aus dem Geschäftsbereich des Handelsministeriums im Jahre 1879 ein eigenes Referat16, war Althoff an der laufenden Verwaltung zunächst nicht unmittelbar beteiligt. Ende 1896 wurde er mit der Leitung der gesamten Unterrichtsabteilung betraut und bald darauf zum Ministerialdirektor ernannt17• Das Universitätsreferat hatte er damit zwar formell abgegeben, sein maßgebender Einfluß blieb hier aber unverändert. Sein Amtsbereich erweiterte sich jetzt darüber hinaus auf das gesamte Hochschul- und höhere Schulwesen. Von seiner amtlichen Stellung her war damit die Voraussetzung geschaffen worden, für eine weitere umfassende Tätigkeit, für die wichtigen Maßnahmen und Reformen, die er in dem folgenden Jahrzehnt durchgeführt oder eingeleitet hat. Es war sein Ziel, die führende Stellung Deutschlands, vor allem Preußens in Wissenschaft und Hochschule zu erringen und zu erhalten. Er ist dabei systematisch vorgegangen und seine Maßnahmen waren auf lange Sicht berechnet. Die bedeutende allgemeine Entwicklung, Erweiterung und Ausdehnung von Wissenschaft und Technik, die in dem Zeitraum seiner Amtstätigkeit zu verzeichnen waren, kam ihm freilich entgegen und hat ihn dabei unterstützt. Daß man indessen dieser Entwicklung in Preußen und Deutschland auch 14

Klein, Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 24.

In seiner Antwort an Klein auf eine Dankadresse der Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Mathematik und Physik, 1908, UBG Cod. MS Nachlaß Klein, vgl. auch Sachse, a. a. 0., S. 307. 18 Vgl. Das technische Hochschulwesen in Preußen, Sammlung amtlicher Aktenstücke des Handelsministeriums, a. a. 0. 17 Vgl. Sachse, a. a. 0., S. 52. Ein höheres Amt hat Althoff nie angestrebt. Die ihm von Kultusminister Studt 1899 angebotene Stelle des Unterstaatssekretärs lehnte er ab. 15

11 Mauegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

wirklich Rechnung trug, daß die führenden Persönlichkeiten auf diesen Gebieten den Spielraum und die Mittel dafür erhielten, und daß ihren Ideen auch zumeist die Institution folgte, dies vor allem war das Werk Althoffs18• Zu den neuen Dienstzweigen, die ihm als Leiter der Unterrichtsabteilung unterstellt waren, gehörten die Technischen Hochschulen, deren allgemeine Angelegenheiten er nun in Obhut nahm19, und von jetzt an gehörte sein Wirken den Universitäten und Technischen Hochschulen. Wenn er sich dann nachhaltig, mit folgenreichen Regelungen und in die Zukunft weisenden Plänen, für die Verbindung von Wissenschaft und Technik, für die Förderung der angewandten Wissenschaften und für die Rangangleichung der beiden Hochschulen eingesetzt hat, insbesondere für das Bündnis von Technik und Wissenschaft mit Wirtschaft und Industrie im Dienste der allgemeinen Wissenschaftsförderung, so war dies im wesentlichen dem Einfluß der Ideen Kleins zuzuschreiben, der ihm diese Fragen in überzeugender Weise nahegebracht hat. Die Notwendigkeit der von Klein so bezeichneten "Bewegung", die es in Gang zu setzen galt, um Universität und Technische Hochschule auf allen Gebieten in ein nahes Verhältnis zu bringen, hat Althoff schließlich vollauf anerkannt. Klein gehörte gerade zu jenen Männern, denen er den Spielraum für ihre Kräfte und Ideen einräumte, und es gab keinen dieses Problem berührenden Anlaß mehr, bei dem Klein nicht zu Rate gezogen wurde. b) Die Errirhtung einer "terhnisrhen Abteilung" am physikalisrhen Institut der Universität Göttingen

Mit der Unterstützung durch Althoff war für Kleins Pläne die Wendung eingetreten. Auf Grund von Althoffs Bemühungen und durch Kleins Münchener Freund Professor Linde sollte es jetzt gelingen, den bis dahin als gescheitert angesehenen Versuch einer wirklichen Verbindung mit der Industrie wieder aufzunehmen und endlich einen Anfang des jahrelang vergeblich betriebenen Projektes zu machen. Wenn dies alles jetzt und in den folgenden Jahren verhältnismäßig zügig und mit Stetigkeit voranging, so geschah dies trotz großer Schwierigkeiten, die sich von allen Seiten erhoben, in erster Linie durch eine denkbar glückliche personelle Konstellation. Da war zunächst Professor Karl Linde, der schon längst für Kleins Ziele vorbehaltlos eintrat. Als bedeutender Ingenieur genoß er in gleicher Weise großes Ansehen bei Naturwissenschaftlern und Technikern, Vgl. A. v. Harnack, Reden und Aufsätze, a. a. 0., S. 200 f. Referent für die T. H. war der mit Althoff eng zusammenarbeitende Geheimrat Naumann, der nach Althoffs Ausscheiden auch sein Nachfolger als Leiter der Unterrichtsabteilung geworden ist. 18 19

5. Die Gründung der Göttinger Vereinigung

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als erfolgreicher Unternehmer, nicht weniger auf seiten der Industrie. Klein hatte eine Zeitlang gehofft, Linde selbst für die Leitung seines angestrebten physikalisch-technischen Institutes in Göttingen zu gewinnen20. In ihm sah er den Mann, der die vorliegenden Fragestellungen vollständig verstand und der selbst seit langem in dieser Richtung gearbeitet hatte21 • Sollte er dazu bereit sein, nach Göttingen zu kommen, so mußte das nach Kleins Überzeugung dem Projekt sofort ein großes Ansehen eintragen. Wenn Linde ihm gegenüber dies auch schon freundschaftlich abgelehnt hatte21, so hoffte Klein, daß er unter bestimmten Umständen doch annehmen würde und machte Althoff den Vorschlag, Lindes Münchener thermodynamisches Institut zu diesem Zweck nach Göttingen zu verlegen. Tatsächlich hat Althoff, der Linde persönlich in München aufsuchte, sich bemüht, ihn für Preußen zu gewinnen und hat auch später diesen Versuch noch wiederholt23 • Linde konnte sich freilich zu einer solchen Übersiedlung nicht entschließen, er hat aber sogleich in mehrfachen Besprechungen sich bei Althoff mit seinem ganzen Ansehen für Kleins Pläne und die Art ihrer Verwirklichung eingesetzt. Er sollte noch mehr dafür tun. Es wurde schon erwähnt, daß Althoff im Zusammenhang mit der Gründung des Göttinger Institutes für physikalische Chemie und Elektrochemie für Professor Nernst mit Henry Theodor Böttinger, dem Direktor der Farbenwerke Bayer, Verbindung aufgenommen hatte und schon damals hoffte, durch ihn auch Kleins Pläne zu fördern. Jetzt suchte er Böttinger erneut dafür zu interessieren. Aber erst Linde, der selbst mit Böttinger gut bekannt war, gelang es, diesem ein eingehendes Bild von Kleins Persönlichkeit zu geben und ihn für dessen Ideen zu gewinnen24 • Henry Theodor Böttinger, (1848-1920), Schwiegersohn des Firmengründers Friedrich Bayer, war 1883 in den Vorstand der kurz zuvor in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Farbenfabriken als kaufmännischer Direktor eingetreten. Der Aufstieg des ab 1891 in Leverkusen neu aufgebauten Werkes (Bayer-Leverkusen) zu einer der bedeutenden Firmen der deutschen Industrie und zum führenden Weltunternehmen der Chemie ist eng mit seinem Namen verknüpft25• Seit 1891 gehörte er als Vertreter des Wahlkreises Mettmann dem preußischen Abgeordnetenhause an, 1907 geadelt, war er ab 1908 Mitglied des Herrenhauses. Als 2° Klein an Althoff, 27. 12. 1895, DZA Rep. 92 NA B Nr. 92. 21 Klein an Althoff, 9. 9. 1895, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 138. 22 Linde an Klein, 7. 7. 1895, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. 23 Vgl. Linde, Aus meinem Leben und aus meiner Arbeit, a. a. 0., S. 136. 24 So nach Lindes Darlegungen in einem Brief an Klein vom 6. 1. 1920, UBG Cod. MS Nachlaß Klein V c. 25 Vgl. Carl Duisberg, Biographie des Geheimen Regierungsrates Dr. Henry Theodor von Böttinger, a. a. 0.; desgl. H. J. Flechtner, Carl Duisberg, Vom Chemiker zum Wirtschaftsführer, Düsseldorf 1959, S. 62 und passim.

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1!1. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Landtagsabgeordneter setzte er sich für die Reform des chemischen Studiums, überhaupt für einen engeren Kontakt zwischen Forschung und Technik auf dem Gebiete der Chemie ein. In diesem Zusammenhang war er mit dem Kultusministerium und mit Althoff in Beziehung getreten. Klein hatte, wie erwähnt, schon in seinem Projekt des Niederrheinischen Komitees, wenn auch vergeblich, um Böttinger geworben, jetzt fand er in ihm einen Mann, der mit großem Verständnis, ja- einmal gewonnen - geradezu mit Enthusiasmus auf seine Pläne einging. Selbst einer der führenden Männer der deutschen Großindustrie und ihrer Interessenverbände, verfügte Böttinger über weitreichende Verbindungen zu den bedeutendsten Industrieunternehmungen und war als Abgeordneter nicht ohne Einfluß in den Landtagsausschüssen und in den Ministerien. Vor allem besaß er großes Verhandlungsgeschick, Fähigkeit der Menschenbehandlung und vermochte sich schnell in neue schwierige Arbeitsgebiete hineinzufinden. Erst durch Böttinger hat Klein wirklich Einblick gewonnen in die bis dahin den Universitätsgelehrten so fremde Welt der Industriewerke, die ihn als Ergänzung seines wissenschaftlichen Gebietes stets lebhaft angezogen hatte. Durch Böttinger endlich sollte es zu jener dauernden lebendigen Wechselbeziehung zwischen Universitätswissenschaft und moderner Industrie kommen, wie sie Klein in seinen vorausgegangenen Denkschriften gefordert hatte. Klein hat stets betont, daß er der Freundschaft Böttingers weit mehr verdanke als nur die Mitarbeit an der Verwirklichung seiner Pläne. In einem Nachruf nannte er ihn später den unvergleichlichen Freund und einen hervorragenden Wohltäter von Wissenschaft und Universität28• Zu der glücklichen personellen Konstellation gehörte nicht zuletzt auch der neue Kurator der Göttinger Universität, Höpfner, der im Frühjahr 1894 sein Amt angetreten hatte27 • Aus gemeinsamer Berliner Amtszeit- er war zuvor Vortragender Rat im Kultusministerium gewesenstand Kurator Höpfner in enger persönlicher und freundschaftlicher Beziehung zu Althoff. Dies war schon deshalb von besonderer Bedeutung, weil dadurch Vorgänge ausgeschlossen waren, die zum Rücktritt von Höpfners Vorgänger, des Kurators von Meier, geführt hatten. Von Meier hatte sich veranlaßt gesehen, seinen Rücktritt einzureichen, weil er sich von Althoff ständig übergangen fühlte. In Althaffs Vertrauensleuten an der Universität, neben dem Staatswissenschaftler Professor Lexis in erster Linie Klein, hatte er, zweifellos nicht völlig zu Unrecht, von Althoff begünstigte ,.Nebenkuratoren" gesehen28• Frei von Vorurteilen und 26 Nachruf, verfaßt für die Mitteilungen des Göttinger Universitätsbundes im Dezember 1920, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 27 Chronik der Georg-August-Universität zu Göttingen auf das Jahr 1895/ 1896, s. 3. 28 Vgl. Sachse, a. a. 0., S. 180. Wie Friedrich Schmidt-Ott, der v. Meier im Jahre 1892 in Göttingen vertrat, bemerkte, wurde Klein von diesem auch nicht

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nicht weniger unbefangen gegenüber traditionellen Auffassungen wie Althoff, war Höpfner von Beginn an mit großer Aufgeschlossenheit den Ideen gegenübergetreten, die Klein ihm schon gleich nach seinem Amtsantritt in Göttingen vortrug29 • Er war überzeugt, daß Kleins Pläne in neuer und notwendiger Weise auf die Förderung der Universität abzielten und sollte sie schließlich, oft in nicht weniger unorthodoxem Vorgehen wie Althoff selbst, gegen alle Anwürfe und Schwierigkeiten immer erneut unterstützen. Das waren die Männer, mit deren Hilfe Klein nun an die Verwirklichung der von ihm erstrebten Entwicklung heranging, um Göttingen zu einer Pflanzstätte seiner Ideen zu machen. Seine engeren Kollegen in den naturwissenschaftlichen Fächern riß seine eigene zwingende wissenschaftliche Persönlichkeit mit sich fort30, wenn es auch hier anfangs nicht an Bedenken und Widerständen gefehlt hat. Böttinger und Linde waren inzwischen noch auf besondere Weise mit der Göttinger Universität in Beziehung gesetzt worden. Als im Juni 1896 das Nernstsche Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie eingeweiht wurdevor allem Böttinger hatte die Gründung ermöglicht - war beiden der Ehrendoktor der philosophischen Fakultät verliehen worden31 . Das mochte Böttinger, der von dieser Ehrung besonders beeindruckt war, in seinem Entschluß bestärkt haben, Kleins Pläne zu fördern. Klein war die treibende Kraft bei dieser Ehrenpromotion gewesen, die nicht von der gesamten Fakultät unterstützt worden war. Nicht zu Unrecht hat er selbst die Errichtung des Institutes als einen wichtigen Auftakt seiner eigenen Bestrebungen angesehen. Wie die Ehrungen selbst gemeint gewesen waren, kam in der Dankadresse Lindes und Böttingers zum Ausdruck32. Böttinger sah in einer engeren Verbindung der Universität mit "der die Übertragung der wissenschaftlichen Forschung ins Allgemeinleben durchführenden Praxis" einen segensreichen Beginn, während Linde die Auszeichnung als "aufmunternden Zuruf erlauchter Bundesgenossen" empfand, eine "lebendige Wechselwirkung zwischen wissenschaftlicher Forschung und ausübender Technik" herzustellen. Tatsächlich sind aus dem neuen Institut Nernsts schon bald Leistungen von hervorragender technischer Bedeutung hervorgegangen. 1897 entwickelte Nernst dort das erste elektrolytische Glühlicht, die berühmte "Nernst"in seiner wahren Bedeutung gewürdigt". Schmidt-Ott, a. a. 0., S. 26. 29 Berichte Höpfners an Althoff, DZA Rep. 92 NA B Nr. 76 Bd. I. 30 Der bedeutende Einfluß Kleins, sein "wissenschaftliches Führertum" spiegelt sich sehr deutlich, wenn auch für eine etwas spätere Zeit in der Biographie: Iris Runge, Karl Runge und sein wissenschaftliches Werk, Göttingen 1949, ursprünglich erschienen als Abhandlung der Akademie der Wiss. in Göttingen, Mathemat.-Phys. Klasse, 23. 31 UAG Dekanatsakten Phil. Fak. Allgemeine Akten Bd. 182 a. 32 UAGebd.

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lampe" 33• Dadurch wurde die ganze elektrische Beleuchtungstechnik in neue Bahnen gelenkt, ein Vorgang, der auch wichtige industrielle Auswirkungen mit sich brachte". Noch Ende des Jahres 1896 kam es in Elberfeld zu Besprechungen zwischen Böttinger und Klein, bei denen Klein seine näheren und weiteren Ziele genauer erläuterte und Vorschläge zu sofortigem Beginn machte, die von Böttinger jetzt bereitwillig aufgenommen wurden35• Zur Gründung einer "technischen Abteilung" am physikalischen Institut der Universität stellten Böttinger, Linde und der von dem letzteren gewonnene Münchener Lokomotivfabrikant Kommerzienrat Krauß 36 zusammen dem Kurator zunächst die Summe von 20 000 Mark zur Verfügung37• Davon sollte auf dem Grundstück des physikalischen Institutes ein vorerst sehr kleines Maschinenlabor eingerichtet werden. Es ist heute schwer begreifbar, wieviel umsichtiges Taktieren, wieviel Rücksichtnahme gegenüber zahllosen Einwendungen und Empfindlichkeiten notwendig waren, wieviel verwaltungstechnische und andere Hindernisse überwunden wer· den mußten, um dieses im Vergleich zu den später gegründeten Einrichtungen und den dabei erforderlichen Summen äußerst bescheidene Unternehmen ins Werk zu setzen. Die Bereitstellung privater Mittel von seiten der Industrie für Universitätseinrichtungen, noch dazu für den bestimmten Zweck eines technischen Unterrichts, war in dieser Weise durchaus ein Novum, hatte jedenfalls in Deutschland kein bekanntes Vorbild. Kurator Höpfner machte das Projekt auch im Hinblick auf die maschinelle Ausstattung "schmackhaft", indem er gegenüber dem Ministerium die Angliederung der schon genehmigten "elektrischen Lichtbereitungsanstalt" für die Universitätsbibliothek an das geplante Institut anregte38• Der Vorschlag wurde bald darauf angenommen und hat die Verwirklichung des Institutes wesentlich vorwärts gebracht, wenn nicht überhaupt erst ermöglicht38• 33 Fr. Dolezalek, Das Institut für physikalische Chemie, in: Die physikal. Institute der Universität Göttingen, Festschrift im Anschluß an die Einweihung der Neubauten, Leipzig 1906, S. 114. 8' Nernsts Erfindung wurde in Deutschland von der AEG, in den USA von Westinghouse in großem Umfange ausgewertet. 35 UBG Cod. MS Nachlaß Klein V c. 36 Linde war selbst Mitglied, später Vorsitzender des Aufsichtsrates der Lokomotivfabrik Krauß & Co., vgl. Linde, a. a. 0., S. 79 f. 37 Böttinger hatte 10 000 Mark, Linde und Krauß je 5000 Mark gestiftet. Kurator Höpfner dankte für die Beteiligung "an den hier seit längerer Zeit verfolgten Bemühungen, die physikalische Wissenschaft in eine innigere Verbindung mit ihren Anwendungen auf das Leben und die Technik zu versetzen." Höpfner an Linde, 6. 5. 1897, UAG, Kuratorialakten, Phi!. Fak. 4 V f 22 bis 29. 38 Höpfner an Kultusminister Bosse, 18. 2. 1897, UAG ebd. 39 Ähnlich war es bei den Anfängen technischer Labors vor dem Vorstoß des VDI im Jahre 1893 auch an manchen T. H. gewesen, wo eine Bewilligung

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Das Ministerium genehmigte schließlich im Sinne der schon erwähnten Anregung Kleins eine außerordentliche Professur in Verbindung mit einem Lehrauftrag für landwirtschaftliches Maschinenwesen und bewilligte die Anstellung eines Assistenten und eines Maschinenwärters, ebenso die für den laufenden Betrieb notwendigen Aufwendungen. Die Professur wurde Ostern 1897 dem Privatdozenten für Maschinenbau an der Technischen Hochschule in München Richard MolZier übertragen40, der von Linde empfohlen worden war. Noch bevor die Anlagen des Institutes ganz vollendet waren, ging dieser aber schon im Herbst des gleichen Jahres als Nachfolger von Gustav Zeuner nach Dresden. Es war schwierig, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Zunächst ehrenamtlich übernahm der Dozent an der Technischen Hochschule Hannover Eugen Meyer die Aufsicht über den Ausbau der Neuanlagen und die Vorlesungen über landwirtschaftliche Maschinenlehre. In neuerbauten Räumen wurde ein "10 pferdiger Gasmotor" und eine "15 pferdige Dampfmaschine" aufgestellt und noch vor Ende des Jahres war die erste Einrichtung abgeschlossen41 • Mit Genugtuung und Stolz berichtete Klein: "Es war ein großer Moment, als Anfang Dezember 1897 an unseren Maschinen die ersten Indikatordiagramme aufgenommen werden konnten!" Er war überzeugt, daß hier zum ersten Mal an einer deutschen Universität zu unterrichtlichen Zwecken und im Sinne weiterführender technisch-physikalischer Forschungen Untersuchungen und Messungen an jenen Maschinen vorgenommen wurden, die zum Inbegriff der revolutionierenden technischen Entwicklung geworden waren und denen die wesentliche Aufmerksamkeit der Ingenieurwissenschaft an den Technischen Hochschulen galt42• Sie waren, wenngleich noch in kleinem Maßstab, durch die private Hilfe von seiten der technisch-industriellen Praxis selbst ermöglicht worden, und so erschien ihm dieser "große Moment" nicht nur von entscheidendem Belang zu sein für seine eigenen Bestrebungen, sondern von geradezu historischer Bedeutung für die Entwicklung der Universitäten. Jedenfalls war es ein bescheidener, doch bedeutsamer Anfang. Mit den jetzt vorhandenen Einrichtungen war zwar ein erster instruktiver Unterricht in beschränktem Umfang möglich geworden, für eine nur wegen des "Lichtbetriebes" der Hochschule erfolgte, vgl. A. Riedler, Emil Rathenau und das Werden der Großwirtschaft, Berlin 1916, S. 112. 4° Chronik der Georg-August-Universität 1897/98, S. 6. 41 F. Klein, Über die Neueinrichtungen für Elektrotechnik und allgemeine technische Physik an der Universität Göttingen, Physikalische Zeitschrift, 1899, Nr. 12 ; wieder abgedruckt in: Klein und Riecke, überangewandte Mathematik und Physik, Leipzig 1900, S. 245 ff. 42 Auch an den T. H. waren solche Untersuchungen zu Unterrichtszwecken noch nicht lange möglich. Vgl. Adolf Slaby, Kalorimetrische Untersuchungen über den Kreisprozeß der Gasmaschinen, Berlin 1894, Vorwort.

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tiefergehende Forschungsarbeit in physikalisch-technischer Richtung fehlten indessen noch alle Mittel. Auf Veranlassung und in Zusammenarbeit mit Klein arbeitete Eugen Meyer, der die Annahme einer Berufung nach Göttingen von der Möglichkeit zu entsprechenden weiterführenden Untersuchungen abhängig machte, eine Denkschrift über die notwendige Erweiterung der Anlagen aus43 • Die Versuche an Dampfmaschinen wurden für die Einführung der Studierenden in das Gebiet der technischen Forschungen überhaupt als von größter Bedeutung angesehen, man glaubte wohl auch, hier ein besonderes Interesse wecken zu können. Das gleiche galt von Versuchen an anderen Wärmekraftmaschinen, dem zentralen technischen Gebiet, in dem die Gasmotoren in dem vorausgegangenen Jahrzehnt eine wachsende Bedeutung erhalten hatten und in dem der Dieselmotor gerade in diesen Jahren als neueste Erscheinung sich auszuwirken begann und die Gemüter im Bereich von Wissenschaft und Technik stark beschäftigte44. Die Denkschrift forderte dementsprechend die Anschaffung einer ganzen Reihe von Maschinen und vielseitige Einrichtungen für das gesamte Lehrgebiet der Wärmekraftmaschinen. Man war der Ansicht, daß in dem Institut Arbeiten besonders auf diesem Gebiet vorgenommen werden sollten, da gerade hier, um Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, sehr viel Zeit und lange andauernde Versuchsreihen und Messungen notwendig waren, die, wie man meinte, in den Laboratorien der Technischen Hochschulen durch die ungleich stärkeren Anforderungen des dortigen Unterrichtsbetriebes kaum berücksichtigt werden konnten. Geist und Wesen der technischen Wissenschaften schien auf dem Gebiet der Wärmekraftmaschinen am ehesten faßbar zu sein, und die besonderen technisch-physikalischen Fragen schienen hier für die Studenten am besten demonstriert werden zu können. Es war die Diktion Kleins, wenn Eugen Meyer in der Denkschrift die Erläuterung gab, daß bei der Einbeziehung der technischen Wissenschaften als "Bildungsmittel" in den Bereich der Universität, gerade dieses Gebiet sich am fruchtbarsten erweisen müsse. c) Die Gründung der Göttinger Vereinigung

Für einen so weitgehenden Ausbau wie in der Denkschrift gefordert, war es freilich aussichtslos, die nötigen finanziellen Mittel vom Staat zu erwarten, allenfalls konnte man auf eine Übernahme der laufenden Betriebskosten für die so erweiterten Anlagen hoffen. Indessen, nach Kleins 43 E.-Meyer, Denkschrift über die Erweiterung des Institutes f. angewandte Physik an der Univ. Göttingen, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 44 Vgl. Friedrich Sass, Geschichte des deutschen Verbrennungsmotorenbaues von 1860 bis 1918, Berlin 1962, S. 424 f.

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Auffassung hatte nun gerade die private Initiative überall da einzugreifen, wo es sich um die erstmalige Einführung neuer Ideen handelte, und Böttinger stimmte darin völlig mit ihm überein. Im Zusammenhang mit seiner eigenen Stiftung hatte er schon von einem zu entwerfenden "Schlachtplan" gesprochen, um jetzt weitere Industrielle zu gewinnen45 • Zuerst hatte aber ein konkreter Anfang gemacht werden müssen, ein Kern und Grundstock mußten vorhanden sein, an die man anknüpfen, die man bereits vorweisen konnte. Daß dies bis dahin gefehlt hatte, daran waren zum Teil Kleins vorausgegangene Bemühungen, industrielle Kreise zu interessieren, gescheitert. Es sollte sich noch häufig zeigen, daß private Hilfe, wenn überhaupt, dann stets eher für ganz konkrete, genau umrissene Arbeiten und Aufgaben als für allgemein wissenschaftliche Ziele zu gewinnen war. Es handelte sich jetzt darum, eine dauernde Vereinigung von Industriellen zusammenzubringen, die die angestrebten Zwecke nach den Vorstellungen Kleins unterstützte und einen weiteren Ausbau sicherte. Es konnte kaum eine geeignetere Persönlichkeit geben als Böttinger, um dies zu erreichen, auch so war es schwierig genug. "Ich muß vermeiden, betteln zu gehen," berichtete er an Klein40 , auch vermeiden, das Institut herabzusetzen, oder ihm den Charakter zu geben, als solle es nur eine Versuchsanstalt für die beteiligten Interessenten sein. Dagegen muß ich auf der anderen Seite so viel Interesse bei den betreffenden Herren erwecken, daß sie mittun." Es gelang Böttinger, eine Reihe wichtiger Persönlichkeiten der Großindustrie zur Teilnahme zu bewegen. Bis auf die Deutzer Motorenwerke sagten alle von ihm angesprochenen Unternehmen ihre Beteiligung zu. Gleichlautend hatte Böttinger die "Frage des Ausbaues des physikalisch-technischen Unterrichts auf den Universitäten" und das "wissenschaftliche Studium größerer technischer Aufgaben" in den Mittelpunkt seiner Anschreiben gestellt, die er an die Industriellen richtete47 • Dies sei nicht nur eine ideale Aufgabe, die schließlich allen zugute kommen müsse, sie werde in erster Linie bedeutungsvoll sein für "diejenigen, welche sie zuerst aufnehmen, pflegen und fördern helfen". Die engere Vereinigung eines Förderkreises solle die nötigen Mittel beschaffen und in "direkter Berührung mit dem Institut dasselbe überwachen und pflegen". Böttinger konnte darauf verweisen, daß. ein "Beginn im Kleinen" bereits gemacht war. Das Kultusministerium stehe dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, könne selbst aber vorerst keine Mittel dafür zur Verfügung stellen. Einem entsprechenden Versuch an der Universität Göttingen bringe das Ministerium sein volles Interesse entgegen. Jetzt gelte es, den schon vorhandenen Anfang auszubauen, 45

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Böttinger an Klein, 2. 1. 1897, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI B. Brief vom 7. 1. 1898, UBG ebd. UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI D.

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dafür zu sorgen, daß das Institut einen kräftigen Boden erhalte und dadurch "den Beweis liefert, wie wichtig für unsere deutsche Industrie derartige Institute sind". Besonders wichtig war die Zusage der Firma Krupp. Hier hatte man zunächst eingewandt, das geplante Unternehmen würde vorteilhafter im Anschluß an die Berliner Universität errichtet, da hier Universität, Technische Hochschule und Physikalisch-Technische Reichsanstalt unmittelbar zusammenarbeiten könnten. Es bedurfte persönlicher Unterredungen Böttingers, um Krupp zu überzeugen48 • Die Firma Siemens und Halske hatte "nur um Althoffs Fürsprache willen" die Spende eines verhältnismäßig geringen Betrages zugesagt und dies, wie sie mitteilte, "obgleich von dem Göttinger Institut zunächst Materien behandelt werden sollen, die uns fern liegen". Man ließ aber wissen, "für den Fall, daß dessen Bestrebungen sich mehr den uns näherliegenden wissenschaftlichen Disziplinen nähern sollte, können weitere Subventionen in Aussicht genommen werden" 4 g. Althoff zeigte sich über das immerhin bezeichnende Verhalten der Firma sehr enttäuscht und wollte auf deren Beteiligling ganz verzichten. Böttingers Überzeugungskraft gelang es aber, daß die Firma ihre Vorbehalte fallenließ, und Siemens zeichnete einen nahmhaften Betrag50 • Die mit dem ganzen Unternehmen alle Beteiligten in jeder Hinsicht Neuland betraten, hatte Althoff empfohlen, den Kreis der zu interessierenden Industriellen vorerst klein zu halten5 \ und so waren es zunächst insgesamt sieben Persönlichkeiten der Wirfschaft, die für eine Beteiligung gewonnen wurden52• In den "Grundzügen einer vorläufigen Verwaltungsordnung" 53, die Kurator Höpfer ausgearbeitet hatte, um dem Vorhaben eine bestimmte Form zu geben, war zum ersten Male von der "Göttinger Vereinigung zur Förderung der ange:.. wandten Physik" die Rede54 • •s Böttinger an Klein, 8. 2. 1898, UBG ebd. 49 Siemens und Halske an Klein, 8. 1. 1898, UBG ebd. 50 Statt 3000 nun 10 000 Mark. 51 Vgl. Sitzungsprotokoll der Göttinger Vereinigung v. 26. 2. 1898, UAG Kuratorialakten 4 Vb. 52 Außer Böttinger waren dies: Kommerzienrat Krauß, Maschinenfabrik München; Kommerzienrat Kuhn, Maschinenfabrik Stuttgart; Generaldirektor Rieppel, Nürnberger Maschinenbau Aktiengesellschaft- später MAN; Direktor Schmitz als Vertreter der Firma Krupp, Essen; Generaldirektor Wacker, Nürnberger Elektrizitäts-Aktiengesellschaft, vormals Schuckert; . Präsident Bödicker, Siemens & Halske, Berlin; vgl. Sitzungsprotokoll ebd. u. Kleins Bericht "Über Neueinrichtungen", a. a. 0., S. 245. 53 · UAG, ebd. 54 Höpfner hatte zunächst die Bezeichnung "Böttinger Fond" gebraucht. Nicht zu Unrecht wandte Böttinger selbst dagegen ein, "Es wäre ein großes Unglück, wenn die anderen Industriellen das sehen würden. Alles Persönliche schadet nur." Böttinger an Klein, Anfang Februar 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI .c

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"Es tritt eine Vereinigung von Industriellen zusammen zur Beschaffung der Mittel, derer das Physikalische Institut der Universität bedarf, um Unterricht und Forschung auf dem Gebiete der angewandten Physik im Sinne der denkschriftliehen Ausführungen des Geheimen Regierungsrates Professor Dr. Felix Klein daselbst zu erweitern", mit dieser bewußt sehr allgemein gehaltenen Formulierung war der Zweck dieser "Vereinigung" umschrieben worden, die am 26. Februar 1898 in Göttingen zu ihrer Gründungsversammlung zusammentrat55• Hier bezeichnete Klein drei Hauptgesichtspunkte als maßgebend für das "Göttinger Vorgehen": 1. die Ausbildung der künftigen Lehrer, 2. die wissenschaftliche Forschungsaufgabe, 3. die allgemeine Universitätspolitik. Er wies auf seine vorausgegangenen Bemühungen hin, vor allem auf das Verhältnis des neu gegründeten Institutes zu den "analogen Aufgaben der Technischen Hochschulen", wie er sie nach dem "Aachener Frieden" in seinen Hannoverschen Vorträgen dargelegt hatte. Die Aufgabe der technischen Wissenschaft an der Universität war auf dem zweiten Vortrag von ihm "in das Gebiet der Lehrerausbildung hinübergespielt" worden58 • Unmißverständlich brachte er zum Ausdruck, daß er, solange es nicht möglich erscheine, Technische Hochschule und Universität zu vereinigen, an seinen in den vorausgegangenen Denkschriften und Vorträgen niedergelegten Auffassungen festhalte. Unter dem dritten der genannten Gesichtspunkte, der "allgemeinen Universitätspolitik", wollte er gerade dasProblern der Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität verstanden wissen57 : "Ich gehe so weit, in der befürworteten Angliederung der Technischen Hochschule an die Universität nur einen einzelnen Schritt zu einer allgemeinen notwendigen Reorganisation der Universitäten im modernen Sinne zu sehen," erklärte er den Industriellen. "Es wird darauf ankommen, den ganzen Ideenvorrat, welcher das hlmtige Leben bewegt, soweit er wissenschaftlicher Formulierung fähig ist, in seiner unbeschränkten Ausdehnung in den Universitätsunterricht einzuführen; und dies in einer Form, welche den UnterSitzungsprotokoll, UAG, ebd. Der Ausbildungsfrage der Lehramtskandidaten in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern galt an sich von vornherein sein wesentliches Interesse. Gegenüber dem Widerstand der Techniker gegen seine Göttinger Pläne hatte er dann die· Einführung der späteren Lehrer in technische Probleme der praktischen Anwendungen als ein Hauptmotiv herausgestellt, "hinübergespielt", wie er später notierte. UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22 F. 57 Klein wiederholte damit seine eigene Stellungnahme, die er wenige Wochen zuvor in einer von Althoff einberufenen Konferenz abgegeben hatte, die sich mit Gründung neuer T. H. in den preußischen Ostprovinzen befaßte. Vgl. weiter unten. 55 58

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richt nicht enzyklopädisch verflacht, vielmehr das Gute und Große, welches die Tradition an den Universitäten geschaffen hat, erst recht zur Geltung kommen läßt58." In Übereinstimmung mit den "technischen Traditionen unserer Anstalt" bilde dies den Umriß des Programms, das für die Weiterentwicklung der Göttinger Universität zu verfolgen sei. Im Hinblick auf das physikalisch-technische Institut, darum handelte es sich zunächst, sprach er von dessen "verbindender Tendenz" und dem damit vertretenen "vermittelnden Prinzip", in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Universität und Technischer Hochschule, ein Vorhaben, das schließlich "je länger je mehr" allgemeine Anerkennung und Nachahmung finden müsse. Dem physikalisch-technischen Institut schrieb Klein in dem anzustrebenden "Entwick.lungsprogramm" nur eine einzelne Nummer zu. Von hier aus wolle man sich in dem Maße, wie das Unternehmen gedeihe, allmählich ausdehnen5D. Daß Klein die Ausbildung der Lehrer eigens hervorgehoben hatte, sollte sich als sehr wesentlich für das Gelingen seines Projektes herausstellen. Sowohl der Generaldirektor Rieppelvo, neben Böttinger zweifellos die stärkste Persönlichkeit unter den zunächst beteiligten Industriellen, als auch der Vertreter der Firma Krupp betonten, daß man sich vor allem "viel Positives" von der "guten" Lehrerbildung verspreche, das hieß, von einem Studium "mit mehr Rücksicht auf die Forderungen des wirtschaftlichen Lebens und der Technik", wie Rieppel in der Sitzung hervorhob. Darin liege vor allem der Grund, warum er dem Vorhaben überhaupt nähergetreten sei. Der erste der drei "Hauptgesichtspunkte" Kleins fand damit allgemeine Zustimmung. Dagegen gab es Einwendungen gegen den zweiten Punkt, der technisch-wissenschaftlichen Forschungsaufgabe. Man wies auf die wachsende Bedeutung und Ausdehnung der industrieeigenen Forschungseinrichtungen hin, auf die "großartigen Firmenlaboratorien" etwa in der chemischen und Elektroindustrie, aber auch im Maschinenbau. Dort müsse man vielfach bereits mit sa Sitzungsprotokoll, ebd.

59 Der von ihm zusammen mit dem Experimentalphysiker Professor Riecke schon seit längerer Zeit verfolgte Gedanke einer Einbeziehung der Elektrotechnik in den Bereich des physikalischen Universitätsinstitutes - er war kurz vorher durch einen entsprechenden Lehrauftrag verwirklicht worden gehörte bereits zu dieser Ausdehnung. Die Förderung der "angewandten Elektrizität" wurde jetzt ausdrücklich in das Programm mit aufgenommen. Seit Oktober 1897 hatte der zum a. o. Prof. ernannte bisherige Privatdozent am physikalisch-chemischen Institut Descoudres diesen Lehrauftrag inne, vgl. H. T. Simon, Das Institut für angewandte Elektrizität, in: Die Physikalischen Institute der Universität Göttingen, a. a. 0., S. 69 f. und Chronik der Universität 1897/98. 80 Anton Rieppel war bereits zu dieser Zeit nicht nur als Industrieller, sondern auch wegen seiner bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete des Eisenhochbaues und der Brückenkonstruktion bekannt. Er war zugleich einflußreiches Mitglied im Vorstand des VDI, vgl. TH. Peters, Geschichte des VDI, Berlin 192, S. 139.

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einem so bedeutenden Aufwand arbeiten, so führte Kruppdirektor Schmitz aus, daß der Forschungszweck für die vergleichsweise geringen Möglichkeiten eines physikalisch-technischen Universitätsinstitutes nicht recht überzeugen könne, oder jedenfalls nur für ganz bestimmte, sehr eng umschriebene Aufgaben sinnvoll sein werde. Die Industrie sei gezwungen gewesen, sich hier selbst zu helfen, da die Universitäten an den technisch-wissenschaftlichen Forschungen und Entwicklungen bisher vorbei gegangen sei und auch an den Technischen Hochschulen auf diesem Gebiet noch kaum etwas geschehe, weil dort der reine Unterrichtsbetrieb als solcher alle Kräfte beanspruche81• Nachdrücklich stellte er fest, daß es sich bei dem Göttinger Institut unter keinen Umständen darum handeln dürfe, etwa den Technischen Hochschulen Konkurrenz zu machen, denn gerade sie müßten größere Möglichkeiten zur Forschung erhalten. Es war für Klein leicht, solche Einwände zu entkräften. Die Ergebnisse der industrieeigenen Forschung waren naturgemäß nicht sogleich allgemein zugänglich, und temperamentvoll und überzeugend legte Eugen Meyer dar, daß auch in einem kleineren Rahmen durchaus fruchtbare Forschungsarbeiten und Untersuchungen möglich waren82• Professor Riecke erinnerte schließlich daran, daß an den deutschen Hochschulen nur als wirksamer Lehrer gelte, wer zugleich als selbständiger Forscher hervortrete. Der letzte von Kleins "Hauptgesichtspunkten", die "allgemeine Universitätspolitik", für ihn das eigentlich entscheidende Anliegen, wurde nicht eigens diskutiert. Man einigte sich schließlich weitgehend auf eine Anerkennung der Göttinger Bestrebungen und Rieppel kennzeichnete die Auffassung der beteiligten Industriellen, wenn er Kleins Ausführungen beistimmend erklärte, es sei sehr zu wünschen, daß auch über den engeren Zweck der Lehrerausbildung hinaus die Universität endlich Verständnis und Interesse für technische und industrielle Fragen aU:fbringe63• Die absichtlich nach Höpfners Entwurf flexibel gehaltenen "Grundzüge einer vorläufigen Verwaltungsordnung" wurden ohne wesentliche Änderungen von der Versammlung angenommen64 • Zutreffend hatte Böttinger bemerkt: "Wir sagen uns ja, wir schaffen etwas Sitzungsprotokoll, UBG ebd. Auch Meyer versicherte den Industriellen, daß er seine künftige Tätigkeit nicht im Sinne einer Konkurrenz zu den T. H. auffasse. Es sei aber mit Freuden zu begrüßen, daß die technischen Wissenschaften auf diese Weise von der Universität anerkannt und "zum ersten Male in den Bereich ihres Unterrichtes als Bildungsmittel herangezogen werden. Darum dürfen wir nicht zurückstehen, wenn es gilt, sie an der Universität zu Ehren zu bringen, gehören sie doch mit hinein in den Bereich des höchsten Wissens und Könnens." Sitzungsprotokoll, ebd. ss Sitzungsprotokoll, UAG, ebd. et Althoff hatte sich in vorangegangenen Verhandlungen mit Böttinger in liberaler Weise damit einverstanden erklärt. Bericht Böttingers an Kurator Höpfner, 20. 2. 1898, UAG Kuratonalakten 4 V h 22-29. 81

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ganz Neues, etwas, worüber wir uns im ganzen Gedankengang vielleicht noch nicht einig sind, aber auf Grund der praktischen Erfahrungen, die wir sammeln, kann das Statut endgültig festgestellt oder abgeändert werden85• Die "Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik" war damit, wenngleich in einem nur sehr allgemein festgelegten Rahmen begründet66• Die Verwendung der von den industriellen Mitgliedern aufgebrachten Mittel sollte unter "Mitwirkung" des Kultusministeriums erfolgen. "Die Wahrnehmung der hierbei verfolgten Absichten" wurde einem aus je sieben Industriellen und Professoren bestehenden "Direktorium" anvertraut, die laufenden Geschäfte einem ständigen Ausschuß aus je drei Industriellen und drei Professoren übertragen. Der Kurator der Universität sollte dabei jeweils die Funktion eines "Regierungskommissars" ausüben. Böttinger wurde einstimmig zum Vorsitzenden der Vereinigung gewählt. Klein wurde Vorsitzender der "Professorenkommission " 67 • Die von den industriellen Mitgliedern aufgebrachten Mittel (zunächst rund 60 000 Mark) ermöglichten es, das technische Institut im Sinne der Denkschrift Eugen Meyers unverzüglich weiter auszubauen und durch zahlreiche Maschinen und Motoren auf den damals neuesten Stand68 für das gesamte technische Lehrgebiet der Wärmekraftmaschinen zu erweitern. Meyer selbst übersiedelte Ostern 1898 endgültig von Hannover nach Göttingen, nun als Direktor der selbständigen "Abteilung für technische Physik am physikalischen Institut der Universität" 68 • d) Widerstände der Universität - Ausweitung der Pläne

Angesichts der neuartigen Zielsetzung und der völlig ungewöhnlichen Art der Verwirklichung mußte es noch offenbleiben, wie das ganze UnSitzungsprotokoll vom 26. 2. 1898, UAG ebd. Ihr Zweck wurde jetzt so umschrieben: "Es tritt eine Vereinigung von Industriellen zusammen, zur Beschaffung der Mittel, derer das physikalische Institut der Univ. Göttingen bedarf, um den Unterricht insbesondere in bezug auf Herausbildung von Lehrern und die Forschung auf dem Gebiete der angewandten Physik im Sinne der denkschriftliehen Ausführungen des Geheimen Regierungsrates Prof. Dr. Felix Klein in seinem Vortrag von Hannover daselbst zu erweitern." 67 Außer den schon genannten Industriellen gehörten danach von seiten der Universität der Vereinigung als Mitglieder an, neben Kurator Höpfner, und Klein selbst, die Physiker Riecke und Voigt, die Chemiker Wallach und Nernst, dazu die a. o. Professoren Descoudres und Eugen Meyer. 68 Prunkstück und "Schmerzenskind" zugleich bildete als modernste Errungenschaft auf diesem Gebiet ein Dieselmotor. Vgl. Ludwig Prantt, Beschreibung der Einrichtungen, in: Die Physikalischen Institute der Universität Göttingen, a. a. 0., S. 99. 88 Er wurde zum a. o. Professor in der philosophischen Fakultät ernannt, mußte aber gleichzeitig die "Maschinenkunde" in der Landwirtschaftlichen Fakultät vertreten. Vgl. Universitätschronik 1897/98, S. 8. 65

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ternehmen in den Verwaltungsgang des Ministeriums als Aufsichtsbehörde und in den Lehrbetrieb und die Selbstverwaltungskompetenzen der Universität eingeordnet werden konnte. An schweren Hindernissen sollte es dabei nicht fehlen. In den Kreisen der Techniker um Professor Riedler in Charlottenburg, wo man die Schwierigkeit kannte, für das Göttinger Institut einen geeigneten Dozenten von der Technischen Hochschule zu gewinnen, hielt man es für eine Ehrensache, daß sich dazu niemand bereitfinden dürfe und hatte die Berufung Eugen Meyers von Hannover nach Göttingen zu hintertreiben versucht. So hatte Riedler dringend in Dresden interveniert, daß man Meyer nach dorthin berufen müsse. Dort war ein solches Vorgehen allerdings ungünstig aufgenommen und abgelehnt worden70• Klein hatte offensichtlich recht, wenn er im Hinblick auf die Gründung der "Göttinger Vereinigung" Althoff mitteilte, daß es ihm fraglich scheine, ob die Zeit für eine wirkliche Verständigung mit den einflußreichen "Charlottenburger Herren" bereits reif sei71 • Wie wichtig eine solche Verständigung indessen für das Gedeihen von Kleins Göttinger Vorgehen war, sollte sich noch herausstellen. Nach eingehenden Verhandlungen, die Böttinger im Ministerium mit Althoff führte, war man übereingekommen, von einer an sich geforten ministeriellen Genehmigung eines Statutes der Vereinigung zunächst ganz abzusehen72 • Verwaltungsmäßige Hindernisse und jede amtliche Einengung hoffte man damit zu umgehen. Die Frage fester Statuten und der genauen rechtlichen Fixierung der Vereinigung sollte noch für lange Zeit ein höchst schwieriger Punkt bleiben. Daß hier kein starres, normatives Verwaltungsdenken das ganze Unternehmen gefährdete, war allein das Verdienst Althoffs. Nachdem die von den Industriellen zugesagten Mittel tatsächlich aufgebracht wurden, hatte er einen staatlichen Zuschuß in Aussicht gestellt, der in sechs Jahresraten ausgezahlt werden sollte73• Um den Gesamtbetrag sogleich zur Verfügung zu haben, erbot sich Böttinger, die Summe vorzuschießen, und Althoff wies Kurator Höpfner an, mit diesem eine entsprechende Vereinbarung zu treffen74 • Es entsprach der unkonventionellen Weise des Vorgehens, wenn Böttinger auf einen formlosen Schuldschein des Kurators hin, das Geld vorstreckte75 • Im Juli 1898 trat der in der Gründungsversammlung der Vereinigung Briefwechsel darüber DZA Rep. 92 NA B Nr. 115 Bd. I. UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI D. 71 Böttinger an Klein u. Kurator Höpfner, 28. 4. 1898, UAG Kuratorlaiakten 4 Vh22-29. 73 Es handelte sich um 36 000 Mark, demnach um jährlich 6000 Mark. Protokoll der Generalversammlung d. G. V. vom 2. 5. 1899, UAG, ebd. 74 UAGebd. 75 "Für diejenigen ihm bekannten und ausdrücklich genehmigten Zwecke der Förderung der angewandten Physik", Schuldschein vom 1. 10. 1898, UAG, ebd. 70 71

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eingesetzte Ausschuß im physikalischen Institut der Universität zusammen, um über die Verwendung der vorhandenen Mittel zu beschließen, zusammen mit dem in Aussicht gestellten Staatszuschuß standen jetzt 100 000 Mark zur Verfügung70 • Es kam Klein vor allem darauf an, mit der praktischen Arbeit anzufangen, mit der Anschaffung und Aufstellung von Maschinen und Apparaten allein war es nicht getan, es galt nun die Einrichtungen in Betrieb zu nehmen und mit dem technischen Unterricht zu beginnen. Schon jetzt richtete Klein aber den Blick auf weitere Ergänzungen und Vergrößerungen der bis dahin in Angriff genommenen Anlagen und auf die Einbeziehung weiterer technischer Gebiete77 • Mit der tatsächlichen Bewilligung der von Althoff zugesagten staatlichen Mittel ergaben sich zunächst noch Schwierigkeiten. Die Bedeutung eines solchen Zuschusses, lag nicht nur in dem finanziellen Beitrag als solchem, sondern ganz wesentlich darin, daß die Staatsregierung die Notwendigkeit der ganzen Unternehmung damit offiziell anerkannte und dies wirksam zum Ausdruck brachte. Tatsächlich bedurfte es einer entsprechenden Beteiligung von staatlicher Seite, um die privaten Förderer auch weiterhin vom Sinn und dem Bestand des neuartigen Unternehmens zu überzeugen. Klein betonte deshalb zu Recht, daß gerade in "ideeller Hinsicht" eine staatliche Beteiligung von entscheidender Bedeutung sei. Schließlich werde in Göttingen durch das Eingreifen der Privatinitiative in absehbarer Zeit ein Fortschritt realisiert, der nach allen Seiten überzeugend wirken solle und der Allgemeinheit im weitesten Sinne zugute komme78 • Es bedurfte hartnäckiger persönlicher Verhandlungen durch Böttinger im Finanzministerium, um den Zuschuß wirklich zu erhalten. In der Unterrichtsverwaltung hatte man den Betrag auf Althoffs Betreiben in den Etat eingesetzt, während er dann vom Finanzminister wieder gestrichen wurde, der fürchtete, hier einen äußerst bedenklichen Präzedenzfall zu schaffen. Auf Althoffs Anregung hin, versicherte Böttinger, daß er die Angelegenheit im preußischen Landtag zur Sprache bringen und erklären werde, es sei zu bedauern, daß man diesen bedeutenden Versuch gerade auf einer preußischen Universität begonnen habe. Eine beträchtliche Anzahl süddeutscher Firmen und Gelehrter beteilige sich daran und man dürfe überzeugt sein, in jedem süddeutschen Staat hätte man eine volle Unterstützung gefunden11• Finanzbericht der G. V. vom 19. 7. 1898, UAG ebd. Im Finanzbericht werden Telegraphie- und Telephonwesen genannt, ferner die Gebiete der Hydraulik und Festigkeitslehre, die Klein schon in seinen ersten Denkschriften erwähnt hatte. 78 Klein an den Oberregierungsrat im Kultusministerium Naumann, 16. 8. 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII A. 79 Bericht Böttingers, Protokoll der Generalversammlung der G. V. vom 2. 5. 1899, UAG Kuratorlaiakten 4 V h 22-29. 78 77

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Erst auf solche Drohungen hin wurde der Betrag dann genehmigt. Erst damit gab die Regierung zu erkennen, daß sie die Durchführung der neuen Ideen Kleins, zumindest versuchsweise als wünschenswert ansah, und nun erst konnte das Unternehmen auf eine gewisse Stabilität rechnen. Auch so mußten noch genug Widerstände überwunden werden. Die von den Industriellen aufgebrachten Mittel waren als private Schenkungen an die Universität anzusehen und bedurften der Genehmigung des Kaisers. Insbesondere aber entsprach es dem üblichen Verfahren, daß zu allen privaten Stiftungen zunächst Prorektor und Senat der Universität gehört werden mußten. Bei der ablehnenden Haltung des überwiegenden Teiles der Professorenschaft gegenüber dem Vorgehen Kleins konnte es aber gar nicht zweifelhaft sein, wie sich der Senat verhalten würde. Die Fortführung des nun schon Begonnenen mußte erneut behindert, wenn nicht wiederum in Frage gestellt werden. Von einer Befragung des Senats waren jedenfalls die "unerquicklichsten Diskussionen in der Korporation" zu erwarten80 • Schon die vorangegangenen Maßnahmen Kleins hatten hier genug Staub aufgewirbelt. Kurator Höpfner berichtete an das Ministerium: "Es wird sich bei der gereizten Stimmung, in welcher sich Philologie und römische Rechtsgelehrsamkeit bei ihren unverkennbaren Verlusten als Lebensmächte den exacten Wissenschaften gegenüber befinden, ein ungeheuerliches Aufgebot sophistischer Bedenken und Einwände gegen die Fortentwicklung der physikalischen Forschung im Kleinsehen Sinne erheben und unter Miteinwirkung von persönlichen Empfindungen und Rivalitäten eine höchst unerwünschte Erschütterung des Friedens der Korporation zu gewärtigen sein81." Höpfner machte darauf aufmerksam, Widerstand werde sich nicht zuletzt daraus ergeben, daß die Form der Schenkung die Absichten der Geschenkgeber selbst mit einbeziehe, und er traf damit zweifellos den heiklen Punkt des Problems. Nicht zu Unrecht hob er hervor, in den bisherigen Verhandlungen habe sich gezeigt, daß die beteiligten Herren der Industrie auf ständige Beziehungen zu den Professoren des Institutes rechneten und daß sie die dortigen Arbeiten "mit ihren Interessen begleiten und auf die Verabfolgung der von ihnen überwiesenen Summen einen gewissen Einfluß immerhin ausüben wollen" 82• Wechselseitige anregende Beziehungen zum Bereich der auf der naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung beruhenden Industrie bildeten für Klein erklärtermaßen geradezu einen Programmpunkt seiner Bestrebungen. Es mußte aber tatsächlich eine besondere Schwierigkeit darin gesehen werden, auf dem für deutsche Verhältnisse bisher gänzlich 80 So Kurator Höpfner in einem Bericht vom 15. 8. 1898 an Kultusminister Bosse, UAG ebd. 81 UAGebd. 62 UAGebd.

12 Manegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

unbegangenen Felde einer für beide Seiten noch ungewohnten Verbindung von privaten industriellen Geldgebern und unabhängigen Forschern den richtigen Modus des Zusammenwirkens zu finden, noch dazu innerhalb der sehr freien Form der "Göttinger Vereinigung". Angesichts der "ideellen" Bedenken auf seiten der Universität, des Widerspruches zu den geltenden Normen der Verwaltung, beim Fehlen jeder Erfahrung für ein Hand-in-Hand-Gehen von Privaten und den Behörden auf einem Gebiet, das ausschließlich als "Veranstaltung des Staates" einer Privatinitiative wenigstens bisher ganz fern lag, bedeutete diese freie Form andererseits die Voraussetzung für die Möglichkeit eines solchen Unternehmens. Es bedurfte eines behutsamen Vorgehens, um die Wünsche der privaten Geldgeber nach einer "gewissen" Einflußnahme gegenüber der Freiheit und Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit an der Universität klar genug abzugrenzen. Das war bereits aus den Äußerungen Böttingers hervorgegangen, in denen er die Schwierigkeiten bezeichnete, die Industriellen in wirksamer Weise zu interessieren, und das hatte auch etwa die erste Reaktion der Firma Siemens gezeigt. Der Kurator wies nicht ohne Grund darauf hin, daß sich hier vor allem der Widerspruch "eines Teiles der Korporation" entzünden werde, der Klein vorwarf, mit seinen Plänen den Wissenschaftsbetrieb der Universität an eine lediglich auf kommerzielle Zwecke gerichtete "materialistische" Technik zu verraten und die Wissenschaft in die Abhängigkeit von Absichten der industriellen Geldgeber zu bringen. Um den stärksten Widerstand nicht herauszufordern, und jene "unerquicklichsten" Diskussionen zu vermeiden, empfahl Höpfner die Befragung von Prorektor und Senat über die Annahme der Stiftungen zu umgehen und gegebenenfalls auch von der Einholung einer "Allerhöchsten Genehmigung" abzusehen. Er gab zu erwägen, daß die diesbezügliche gesetzliche Vorschrift es nur mit der Korporation an sich oder mit juristischen Personen zu tun habe, das Institut für technische Physik als solches sei nun aber weder das eine noch das andere83• Im ganzen entwickelte Höpfner die Auffassung, daß es lediglich auf die Zulassung der Aufsichtsbehörde ankomme. Dies mochte durchaus eine höchst anfechtbare Auslegung der Vorschriften und der bisher praktizierten Verfahren sein, bot aber gewissermaßen eine "Patentlösung" für die ganze, so stark angefochtene Entwicklung und die weiteren Vorhaben der "Vereinigung". Es zeigte darüber hinaus eindringlich das unorthodoxe Vorgehen der maßgebenden Beteiligten, aber auch die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens, um auf dem beschrittenen Wege voranzukommen. Der weitere Ausbau des Institutes erlitt ungeachtet der universitätsinternen Schwierigkeiten keine Verzögerung. Schließlich wurde auch die "Allerhöchste Genehmigung" zur Annahme "der dem physikalisch-techsa

Bericht Höpfners an das Ministerium, UAG ebd.

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nischen Institut im Interesse der Förderung der technischen Physik von Privatpersonen gemachten Geschenke und Apparate" erteilt8•, und damit schien eine wesentliche Stärkung des Unternehmens erreicht. Nach diesem beachtenswerten Anfang bewegte Klein jetzt vor allem die Frage, ob die industriellen Mitglieder der Vereinigung auch bei einer kontinuierlichen Weiterführung seiner Pläne mittun würden. Es ging ihm darum, alle neuen Ansätze "in angewandter Richtung" soweit wie nur möglich an der Universität zur Entwicklung zu bringen. Seine Aktivität führte dabei über die Technik und technische Physik hinaus und richtete sich auch auf andere Fächer, wie Geodäsie und Geophysik, ebenso auf Versicherungswesen und "Volkswirtschaftskunde". Inzwischen war nämlich auch der Göttinger Nationalökonom Professor Wilhelm Lexis der Vereinigung beigetreten. Das war schon deshalb ein besonderer Gewinn, weil Lexis länger als Klein selbst, in enger Verbindung mit Althoff stand, als dessen Vertrauensmann und Auskunftsperson für die Universität85, darüber hinaus aber in ganz bedeutendem Maße als Gutachter und Berater über allgemein wissenschaftliche und politische Grundfragen88. Er hatte zusammen mit Klein 1895 das Seminar für Versicherungswesen begründet87, das erste und bis dahin einzige dieser Art an einer Universität, in enger Verbindung mit großen Versicherungsgesellschaften, die es unterstützten88. Hier sollten insbesondere Versicherungsmathematikerausgebildet werden, für Klein ein weiteres und notwendiges Anwendungsgebiet der Mathematik. Außer Lexis als Direktor war auch der NationalökonomRichard Ehrenberg, derzeit außerordentlicher Professor, an der Arbeit des Seminars beteiligt. Ehrenberg errichtete 1897 im Anschluß an das Versicherungsseminar eine "Sammelstelle für Volkswirtschaftskunde" 80, die sich mit Materialien über Handelskammern, insbesondere aber über große Industrieunternehmen und bedeutende Einzelfirmen der Wirtschaft beschäftigte. Da er auf diese Weise, wenn auch auf ganz anderem Wege als dieser, eine Einbeziehung von Technik und Industrie in die Universitätswissenschaften anstrebte, war damit auch Kleins Interesse für die neue Einrichtung geweckt worden00. 84 Datiert vom 1. Okt. 1898. 85 Vgl. Sachse, a. a. 0., S. 181. 88 DZA Rep. 92 NA B Nr. 115 und AI Nr. 136 a-141 a. 87 Klein hatte selbst verschiedentlich Gutachten für Versicherungsgesellschaften ausgearbeitet, u. a. mit Althoffs Vermittlung und Billigung für große amerikanische Gesellschaften. 88 Chronik der Universität 1895/96, S. 28 f. 8° Chronik der Universität 1897/98, S. 36. 90 Ehrenberg ist hiermit und mit seinen späteren Arbeiten zum Vorläufer der Unternehmungsforschung und der wissenschaftlichen Firmengeschichtsschreibung geworden. Er hoffte, durch Klein und die Göttinger Vereinigung sachliche Verbindungen und finanzielle Förderung für seine Arbeiten zu er12•

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Klein war jetzt mehr denn je davon überzeugt, daß, "wenn wir in Göttingen durchschlagenden Erfolg haben, wir damit zugleich der allgemeinen Entwicklung unserer deutschen Hochschulen und der deutschen Industrie dienen" 91 • Dieses Ziel mußte auch der Anstrengung eines ausgedehnten Kreises würdig sein. Ein weiteres Vorgehen in der eingeschlagenen Richtung erschien ihm um so notwendiger, je genauer er parallel laufende Bestrebungen im Ausland, bei "Nachbarn und industriellen Konkurrenten" beobachtete. Es war eine Genugtuung für Klein, wenn ihm gerade zu einer Zeit, da er den ersten greifbaren Erfolg erzielt hatte, in der sich andererseits aber die Vorwürfe und Widerstände innerhalb der Universität besonders häuften, von bedeutender Seite uneingeschränkte Zustimmung gezollt wurde. Der Münchener Chemiker Adolf von Baeyer setzte ihn von einer hohen bayerischen wissenschaftlichen Ehrung und Auszeichnung in Kenntnis9!. Er versicherte ihm, daß er seine Auffassungen vollständig teile und sich glücklich schätze, wenn damit dazu beigetragen würde, Kleins Stellung zu stärken. "Daß gerade Sie als erster deutscher Mathematiker es unternommen haben", so schrieb er, "den Kampf gegen die Indolenz aufzunehmen und den Universitätslehrern ein leuchtendes Beispiel zu geben, hat stets meine Bewunderung erregt, mir aber auch die Gewißheit Ihres endlichen Sieges gegeben." e) Das größere Ziel: Eine "allgemeine Bewegung" zur Annäherung von Universität und Technischer Hochschule

Klein war schon jetzt grundsätzlich bemüht, auch über die engeren Verhältnisse Göttingens hinaus im Sinne seiner Ziele anzuregen und seinen Bestrebungen in den Bereich der Hochschulen überhaupt Eingang zu verschaffen. Der inzwischen gewonnene praktische Ansatz machte es deshalb für ihn zu einer willkommenen Gelegenheit, vor einem großen sachverständigen Publikum seine Ideen darzulegen, als er gebeten wurde, den Eröffnungsvortrag der Jahresversammlung der Gesellschaft Deuteher Naturforscher und Ärzte zu halten, die im September 1898 in seiner Vaterstadt Düsseldorf stattfand. Hier ergab sich die Möglichkeit, auf dem wichtigen, für die deutsche Naturwissenschaft repräsentativsten Forum für seine Ideen zu werben und hier vor allem vor Univerhalten. Bald darauf wurde er als Ordinarius nach Rostock berufen (1899), nahm aber auch später wiederholt deswegen Kontakte mit Klein auf. (DZA Rep. 92 NA B Nr.115 Bd. II; Nr. 33, AI Nr. 303) Die "Sammelstelle" war der Auftakt zu dem umfassenden Plan eines "Institutes für exakte Wirtschaftsforschung", den er später mit Einverständnis Althoffs auf eine der Göttinger Vereinigung analoge Art zu verwirklichen suchte (Vgl. hierzu Thünenarchiv, 2. Jg.1907, H. 2). 91 An Böttinger, 22. 12. 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. 92 Adolf von Baeyer an Klein, 31. 12. 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein.

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sitätslehrern die allgemeinen Gesichtspunkte zu erläutern, die ihn bei seinen Göttinger Unternehmungen leiteten. Vor dieser traditionsreichen Gesellschaft hoffte Klein auf eine besondere Resonanz. Hatte doch ihr Gründer Lorenz Oken schon damals (1822) erklärt, die Technologie fange an, in die Reihe der wissenschaftlich begründeten Geschäfte zu treten und verdiene daher mit den anderen Naturwissenschaften, nach gleichem Range behandelt zu werden03 • Wenn man sich hier einst die Förderung der Naturwissenschaften und die Hebung ihres allgemeinen Ansehens gegenüber den "humanistischen" Wissenschaften zum Ziel gesetzt hatte, wenn man dort schon fünfzig Jahre zuvor von der Bedeutung der Naturwissenschaften "für das Leben der Zeit" und die Macht des Staates gesprochen hatte9\ so lag für Klein die Erwartung nahe genug, daß seine Ideen dort eine entsprechende Aufnahmebereitschaft finden würden. Nicht zuletzt konnte er hier auch seinen Gegnern antworten und, wie er hoffte, Mißverständnisse und Widerstände abbauen. Mit Althoff war er übereingekommen, daß er das nun für ihn zentrale Thema seiner Bestrebungen: "Universität und Technische Hochschule" 95 zum Gegenstand seiner programmatischen Ausführungen machte98• Althoff hatte ihn ermuntert und mochte dabei überdies daran gedacht haben, auch hier das Terrain für Lösungen vorzubereiten, zu denen die Verhandlungen schon begonnen hatten und bald ihrem Höhepunkt zustrebten, dem Promotionsrecht der Technischen Hochschule97• An Widerspruch gegen seinen Vortrag, das wußte Klein bereits vorher, würde es vor allem aus Universitätskreisen nicht fehlen. Er stellte der Versammlung "jene große Bewegung" vor Augen, die schon vor Jahren in Deutschland eingesetzt habe und darauf abziele, zu den älteren wissenschaftlichen Disziplinen ein angemessenes Verhältnis herzustellen. Häufig zeige sich diese Bewegung in der Gestalt einer bloßen Standesfrage, die - sehr berechtigt - den wissenschaftlichen Ingenieuren die gleichen sozialen Vorrechte sichern will, wie den Vertretern anderer gelehrter Berufe. Sie müsse indessen wesentlich tiefer gefaßt werden, erklärte er. Sie münde ein in die Problematik, die überhaupt im Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule erkennbar 93 Vgl. H. Degen, Lorenz Oken und seine Isis um die Gründungszeit der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Arzte, Naturwissenschaftliche Rundschau 1955, H. 4, S. 146. · 94 Karl Sudhoff, 100 Jahre Deutscher Naturforscherversammlungen, Gedächtnisschrift zur Jahrhunderttagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Leipzig 1922, S. 29 und S. 37 f. 95 Felix Klein, Universität und Technische Hochschule, Verhandlungen 70. Versammlung der Ges. Dt. Naturforscher u. Ärzte, Leipzig 1898, Allgemeiner Teil S. 3 ff. 98 Schon seit März 1898 korrespondierte er darüber mit Althoff, Rep. 92 NA AI Nr. 106 u. UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII A. 97 Vgl. weiter unten.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

werde. Hier gelte es zunächst einmal, gegenseitiges Verständnis auf Grund genauer Kenntnisnahme anzustreben. Klein bekannte sich erneut zu seinem "Universalismus", er wollte die Überzeugung festgehalten wissen, daß die Wissenschaft ihrem Wesen nach einheitlich und allumfassend ist, so unbezweifelbar die Spezialisierung mit der Weiterentwicklung der Wissenschaft auch sei. Er spreche nicht als Vertreter der Universitäten, auch nicht als Anwalt der Technischen Hochschule, sondern "als ein Mann, der nach beiden Seiten Verbindungen pflegt" und sich das Recht wahren möchte, den Blick auf das Ganze zu richten. Eine "Lebensfrage" der Technischen Hochschule sah er in ihrer schärferen Abgrenzung nach unten, zu den weniger wissenschaftlichen Aufgaben mittlerer technischer Ausbildung; als complementäre Forderung dazu aber das genaueErfassen ihrer Forschungsaufgabe, die Förderung wenn nicht aller, so doch eines besonders qualifizierten Teils der Technikstudierenden zu "Führern auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Fortschritts". Das bedeute eine Wiederaufnahme des "Pariser Ideals" der Ecole Polytechnique, in einer der Zeit und den deutschen Verhältnissen angepaßten Form. Da die Universität die Forschungsaufgabe vielfach als ihr Monopol ansah und man andererseits an den Technischen Hochschulen fürchtete, daß gerade seine Unternehmungen auch die technisch-wissenschaftliche Forschung allein den Universitäten sichern wollte, so erklärte Klein eindeutig, daß er auf diesem Gebiet mit großen Nachdruck für die Entwicklung der Technischen Hochschule eintrete. Den Universitäten empfahl er, dahin zu arbeiten, daß die Wissenschaft "überall da, wo sie hingehört", auch voll zur Geltung komme und daß der "nun einmal nicht aus der Welt zu schaffende Gegensatz zwischen Theorie und Praxis nicht zur Zerreißung unseres höheren Unterrichts" und zu feindseligem Antagonismus führe. Nicht weniger klar betonte er: "Beide Hochschulen bedürfen einander." Die Hervorhebung dieses Grundsatzes auf seiten der Universität schien ihm viel wichtiger zu sein als die Verteidigung "sogenannter Vorrechte". Die Technischen Hochschulen allerdings würden große Energie aufwenden müssen, mit solchen höheren Aufgaben durchzudringen. Handele es sich doch dabei um eine Forschung, deren hohe Bedeutung für die Qualität industrieller Leistung nur derjenige voll ermessen könne, dem ein reifes wissenschaftliches Urteil zukommt, eine Forschung also, die nicht populär verständlich sei98 • Während im Hinblick auf die Universität zu fragen wäre, ob dort nicht die einseitige Betonung des wissenschaftlichen Forschungszweckes und die frühzeitige Spezialisierung zu sehr im Vordergrund stehe, zugunsten der höheren Leistung einer Minderzahl und zum Nachteil für das mittlere Unterrichtsbedürfnis der Mehrzahl der Studenten, sei der Betrieb an den Techni98

Ebd., S. 8.

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sehen Hochschulen noch weitgehend das Gegenbild eines solchen Betriebes. Hier müsse also vor allem die Forschungsaufgabe stärker postuliert werden. Die Universitäten hätten sich allzu einseitig entwickelt. Indem sie ihre Wissenschaften auf den überkommenen Gebieten steigerten, hielten sie zu wenig Ausschau nach jenen neuen Gebieten, die der Fortschritt der allgemeinen Kultur in den Vordergrund rückte. Klein verlangte nun erneut eine durchgreifende Erweiterung der Universitäten, nach der modernen Seite hin, eine volle wissenschaftliche Berücksichtigung aller Momente, die in dem "hochgesteigerten Leben der Neuzeit als maßgebend hervortreten98, und er wiederholte damit nur seine Forderung, die er genau zehn Jahre vorher in seiner Eingabe an das Ministerium in dieser Formulierung erhoben hatte. Durch die neuen Einrichtungen in Göttingen, so legte Klein der Versammlung dar, sei nun mit der Verwirklichung solcher Forderungen begonnen worden. Hier sei man in die "notwendige Bewegung" eingetreten, insofern Universität, Technik und Industrie eine Verbindung eingegangen sind: "Da haben sie den gewünschten Contakt mit dem heutigen Leben in voller, ich möchte sagen, in idealer Gestalt." Dieser positive Schritt zu näheren Beziehungen der Universität zum Ingenieurwesen und damit auch zur Technischen Hochschule sollte überall Nachahmung finden. Direkte Verbindungen von Universität und Technischer Hochschule habe es bisher kaum gegeben. Ihr Verhältnis zueinander bleibe bisher überwiegend von negativem Verhalten bestimmt. Tatsächlich müßten sie sich aber enger aufeinander beziehen, um ihrer selbst willen Arbeitsmethoden, Kenntnisse und schließlich auch Persönlichkeiten voneinander entlehnen. Die Technische Hochschule brauche Einrichtungen nach Art der Universitäten, die letzteren dürften gegenüber den Fortschritten des Ingenieurwesens nicht länger den unbeteiligten Zuschauer spielen. Es sei verhängnisvoll gewesen, daß man die technischen Anstalten bei ihrem Entstehen nicht den Universitäten angeschlossen habe und dort selbst den zum Teil vorhandenen technischen Unterricht verkümmern ließ. Eindringlich erhebe sich die Frage, ob es auf die Dauer wirklich unmöglich sei, die Technische Hochschule als technische Fakultät den Universitäten einzugliedern. Jetzt jedenfalls scheine die Zeit gekommen, die damals geschaffene und sich ständig verbreiternde Kluft zu überbrücken. Endlich müsse der Gedanke ihrer inneren Zusammengehörigkeit in der Öffentlichkeit seinen Weg machen100• Klein selbst hat diese programmatischen Ausführungen auf der Düsseldorfer Naturforscherversammlung auch später stets als eine der wesentlichsten Kundgebungen seiner Auffassungen und Ziele ange99 100

Ebd., S. 10. Ebd., S. 13.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

sehen. Er bemühte sich im Einverständnis mit Althoff um eine möglichst weite Verbreitung des Vortrages, den er außer in den Verhandlungen der Gesellschaft auch in anderen Fachzeitschriften101 zum Abdruck brachte. Im Kultusministerium sorgte Althoff für eine gebührende Kenntnisnahme, vor allem wurde Kleins Rede, auf seine Veranlassung hin, dem Kaiser vorgelegt, den es bei seiner bekannten Vorliebe für die Technik und seinem entsprechend lebhaften Interesse für die Technische Hochschule mit Kleins Bestrebungen bekanntzumachen galt. Zu dem erhofften Widerhall bei den "Naturforschern" kam es allerdings nicht. Immerhin nahm Klein mit Genugtuung die Reaktion seines bis dahin heftigsten Gegners unter den Technikern, Professor Riedlers, zur Kenntnis. Der bestätigte ihm, sein Vortrag habe seine Absichten so klar gekennzeichnet, daß die bisherigen Mißverständnisse wohl künftig ausgeschlossen sein dürften. Der Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, wie er sich im Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule darstelle, so schrieb ihm Riedler jetzt, bestehe nicht sachlich, sondern sei auf beiden Seiten künstlich geschaffen, von primitiven Empirikern und abstrakten Theoretikern. Auf dem Boden von Kleins Düsseldorfer Ausführungen, so versicherte er, "werden ihre Bestrebungen trotz des Widerstandes, den sie vor allem bei ihren nächsten Kollegen finden dürften, zu einer für die Geschichte der Hochschulen bedeutenden Entwicklung führen" 102• Die Gegnerschaft der Techniker war damit, wie sich noch zeigen sollte, indessen keineswegs überwunden103• f) Festigung des UnternehmensVerstärkung des "technischen Elements" an der Universität

Ein Jahr nach der konstituierenden Sitzung fand im Mai 1899 in Göttingen die erste ordentliche "Generalversammlung der Göttinger Vereinigung zur Förderung der augewandten Physik" statt. Jetzt mußte vor allem noch einmal die Frage eines festen Statuts diskutiert werden. Von seiten der Regierung hatte man eine amtliche Stellungnahme bisher vermieden. Die Widerstände innerhalb der Universität konnten auch im Ministerium nicht völlig unbeachtet übergangen werden, zumal es auch dort selbst, trotz Althoffs uneingeschränkter Unterstützung, nicht an Bedenken gegen eine "derartige Vereinigung" fehlte, wie Böttinger, der Auch in der zs. d. VDI, Jg. 1898, S. 1091 ff. Riedler an Klein, 10. 11. 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII A. 103 Als Prof. Dyck in der Zs. des VDI bald nach Kleins Vortrag eine zustimmende Stellungnahme veröffentlichte, versäumte man nicht, ausdrücklich in einem redaktionellem Zusatz hinzuweisen auf die "mehr abwartende Stellung" des VDI und der um ihre Gleichberechtigung ringenden Hochschulen gegenüber der Haltung der Universitäten und Kleins Göttinger Versuch. Zs. d. 101

102

VDI, Jg. 1898, S. 1278.

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mit Berlin in ständiger persönlicher Verbindung stand, der Generalversammlung mitteilte. Er schlug vor, den Statutentwurf bis auf weiteres als eine reine Privatvereinbarung, als eine Art interner Geschäftsordnung anzusehen und eine ministerielle Klärung, für die schließlich nicht unbedingt ein Erfordernis vorliege, in Ruhe abzuwarten104• Kurator Höpfner stimmte dem zu, ihm vor allem mußte es darauf ankommen, den Weg des geringsten Widerstandes zu suchen. Klein und die beteiligten Professoren gaben den Industriellen einen ausführlichen Rechenschaftsbericht über den erreichten Ausbau und die bisherigen Arbeiten der elektrotechnischen Abteilung und des physikalisch-technischen Institutes. Für das letztere konnte Klein bereits über erste erfolgreiche Arbeiten auf dem Gebiet der Wärmekraftmaschinen berichten und auf entsprechende Publikationen Eugen Meyers in der Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure hinweisen105• Vor allem aber galt es zu klären, wie sich die künftige Entwicklung der Vereinigung gestalten sollte. Klein bezog sich ganz auf seinen Düsseldorfer Vortrag als großes Programm. In den Zusammenhang der hier umrissenen allgemeinen Zielsetzung stellte er nun die Neueinrichtungen an der Universität Göttingen, in die er nicht nur die angewandten mathematisch-physikalischen und chemischen Fächer, sondern auch andere Neugründungen, wie das Versicherungsseminar und die "Sammelstelle für Volkswirtschaftskunde", schließlich auch den Plan Professor Lexis' eines besonderen staatswissenschaftliehen Seminars, einbezogen wissen wollte106• Es sei jetzt in Göttingen gelungen, die erforderlichen Unterrichtseinrichtungen nach allen Seiten dahingehend zu treffen, daß nicht nur die theoretische Seite von Mathematik und Physik, sondern auch ein Teil der Praxis betrieben werden könne. Von hier aus begründete er wiederum die Wünschenswerte Weiterentwicklung insbesondere des physikalischtechnischen Institutes. Wenn ein weiterer Ausbau auch nicht in vergleichbarem Ausmaße geschehen konnte, wie man das jetzt an den Technischen Hochschulen anstrebte, so blieb es nach Kleins Ansicht doch ein Vorzug der Universität, daß den Professoren hier mehr Zeit zu eigenen Forschungen zur Verfügung stand107, und er hoffte, daß es mit Rücksicht darauf auch hervorragende Forscher und Ingenieure nicht ablehnen Würden, an dem Institut zu arbeiten. 104 Protokoll der Generalversammlung der G. V. vom 2. 5.1899 UAG Kuratorialakten 4 V h 22-29. 105 E. Meyer, Ein Beitrag zu der Frage: In welcher Weise ändert sich mit der Belastung der Dampfverbrauch einer Dampfmaschine, Zs. d. VDI, Jg. 1898, S. 391 ff., ebenso ein Beitrag über den Betrieb von Gasmotoren, ebd., S. 443 ff. 106 Das staatswissenschaftliche Seminar wurde 1899 gegründet. 107 Die ungleich stärkere Beanspruchung der T. H.-Professoreri durch den reinen Unterrichtsbetrieb bildete schon vorher und noch für lange Zeit einen wesentlichen Punkt in ihren Klagen und Protesten über eine Zurücksetzung gegenüber den Universitätslehrern.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Eugen Meyer ordnete sich als Institutsleiter völlig Kleins Absichten unter. Er schlug jetzt der Versammlung die weitere beträchtliche Ausgestaltung seines Institutes vor108, mit zusätzlichen Maschinenanlagen, deren Umfang von vornherein so groß gewählt werden sollte, daß über den auszudehnenden Unterrichtszweck hinaus "auch die daran erhaltenen Forschungsergebnisse allgemeinen Wert haben" 109• Die dafür erforderlichen Summen in absehbarer Zeit aufzubringen110, bezeichneten die industriellen Mitglieder zwar als unrealistisch, im ganzen erklärten sie sich aber mit einem stetigen Ausbau völlig einverstanden. Gerade im Sinne der Vermittlung zwischen Universität und Technischer Hochschule empfahl Rieppel mit einer Ausdehnung nicht zu schnell voranzugehen. Noch betrachtete man das Unternehmen auf seiten der Techniker als Konkurrenz zu den Technischen Hochschulen. Im Interesse einer "Versöhnung" und der "Hauptziele" sei es daher geboten, sich vorerst noch zurückzuhalten. Er machte auch den bemerkenswerten Vorschlag, größere Maschinenversuche, zu denen die Anlagen des Institutes noch nicht ausreichten, direkt in geeigneten Industriebetrieben auszuführen. Noch werde man bei der Forderung nach finanzieller Unterstützung von der Industrie kühl empfangen, wenn man dort aber endlich den verwertbaren Nutzen einsehe, der sich aus den Forschungsarbeiten ergebe, werde man sich geneigter zeigen. Die Versammlung beschloß, die notwendigen weiteren Geldmittel zu einer kontinuierlichen Ausgestaltung durch die Vereinigung selbst und durch die Aufnahme neuer industrieller Mitglieder aufzubringen. In der Absicht, sie nach Möglichkeit auf den Kreis -der Großindustrie zu beschränken, regte Böttinger an, für den Eintritt in die Vereinigung einen entsprechend hohen Minimalbeitrag von wenigstens 5000,- oder 10 000,- Mark vorauszusetzen. Noch gab es keinen bestimmten Modus für die finanzielle Beteiligung der industriellen Mitglieder, über Höhe und Art, einmaliger oder regelmäßiger Zahlungen. Auf Kleins Vorschlag kam es zur Wahl einer Kommission, ihr gehörte, neben Böttinger und Rieppel, Präsident Bödicker (Firma Siemens & Halske) an. Sie sollte insbesondere die Aufgabe übernehmen, neue Mitglieder zu werben und entsprechende engere Verbindungen zur Industrie herstellen. Um allen Hindernissen und hemmenden Kontrollen auszuweichen, sollten künftig unter Umgehung der Universitätskasse die aufgebrachten Summen direkt dem Institut oder den jeweiligen Dozenten zur Verfügung gestellt werden. Es war klar, daß ein solches Verfahren nur möglicll war, weil es letztlich im Ministerium durch Althoff gedeckt wurde. Insgesamt konnte Klein mit dem Ergebnis der "Generalversammlung" zufrieden sein. Die Industriellen waren bereit, Protokoll der Generalversammlung, UAG ebd. Meyer forderte jetzt die Beschaffung von Anlagen, um sämtliche Zweige der "technischen Mechanik" erfolgreich vertreten zu können. 110 Es handelte sich um rund 200 000 Mark. 108 109

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weiterhin mitzumachen, der Bestand der Vereinigung, damit Fortgang und weitere Entwicklung seines Göttinger Unternehmens schien ge'sichert. Angesichts dieses Erfolges nutzte er die Möglichkeit, jetzt erneut an die Öffentlichkeit zu treten. Es konnte sich dazu kein bedeutenderer Anlaß und keine passendere Gelegenheit bieten, als die gleichermaßen im Mittelpunkt des Interesses von Technischer Hochschule und Universität stehende, in ganz Deutschland in hohem Maße beachtete Centenarfeier der Technischen Hochschule Berlin im Oktober des gleichen Jahres. Am Ende des Jahrhunderts, das die gesamte Entwicklung der Technischen Hochschulen umfaßte, sollte die Jubiläumsfeier durch die kaiserliche ~r­ klärung ihrer vollständigen Gleichstellung mit den Universitäten in jeder Hinsicht zur glänzenden Manifestation ihres Aufstieges werden111 • Auf Kleins Anfrage an den Rektor der Hochschule - es war in diesem wichtigen Jubiläumsjahr kein anderer als Professor Riedler - erhielt die "Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik" eine offizielle Einladung zur Teilnahme an dem für die Hochschulgeschichte und die "Technikerbewegung" zweifellos epochalen Ereignis. Zusammen mit Böttinger überbrachte Klein die Glückwünsche im Namen der Vereinigung. Seine kurze Ansprache auf der Hauptfeier nahm er zum Anlaß, vor den versammelten Vertretern fast aller deut:schen Hochschulen, der Regierung, der Industrie und der bedeutendsten wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereine das Ziel des Göttinger Unternehmens zu umreißen. Es habe den Versuch gegolten, erklärte er, zunächst an der Göttinger Universität Einrichtungen zu treffen, um mit den technischen Anwendungen in lebendige Beziehungen zu kommen. "Nachdem nun dieser Versuch, wie wir glauben, geglückt ist", so rief er der Festversammlung zu, "dürfen wir sagen, daß unser Zweck kein eng begrenzter, sondern ein umfassender ist, daß wir wünschen, durch unser Vorgehen eine allgemeine Bewegung an den Universitäten im Sinne einer Annäherung an die Technik auszulösen. Die machtvolle Entwicklung der Technik bildet nicht nur den Ausgangspunkt unserer Bestrebungen, sondern wir begrüßen sie von Herzen. Wir meinen, daß in dem Maße wie das Neue erstarkt, es nützlich und notwendig sein möchte, die Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen nach Möglichkeit herzustellen und zu beleben. Weit entfernt zu Ihnen, meine Herren von der Technischen Hochschule im Gegensatz zu stehen, möchten wir uns ergänzend an Sie anschließen, indem wir daran arbeiten, Ihre Bestrebungen nach einer wesentlichen Seite hin erst recht zur Geltung zu bringenuz. tu Vgl. weiter unten. Wortlaut der Ansprache in einem Rundschreiben Böttingers an die Mit-

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Im Namen der industriellen Mitglieder schloß sich Böttinger mit einem kurzen Glückwunsch an. Die Anwesenheit aller bedeutenden Vertreter der Technik, und zahlreicher Abordnungen der Universitäten, gab Klein die Gelegenheit, auch in persönlichen Gesprächen seine Ziele zu erläutern. Mit einem Schlag wurden die Göttinger Bestrebungen jeden:falls allen Kreisen, auf die es Klein ankommen mußte, bekannt. Die Reaktion darauf war freilich im ganzen sehr zurückhaltend, vielfach abweisend113. Es war kein Zufall, daß unter den Abgesandten der deutschen Universitäten, die der Einladung zur Centenarfeier gefolgt waren, die Universität Göttingen fehlte 114• Hier wirkte sich nicht zuletzt die ablehnende Haltung gegenüber Kleins Maßnahmen aus, in der nach wie vor der größte Teil des Lehrkörpers verharrte. Unbekümmert darum ging Klein auf dem Wege weiter, auch eine größere Öffentlichkeit, insbesondere die maßgebenden Kreise von Naturwissenschaft und Technik mit seinen Bestrebungen bekanntzumachen. Bald nach der Berliner Jubiläumsfeier gab er in einem Aufsatz in der physikalischen Zeitschriftus der Fachwelt einen genauen Bericht über das bisher in Göttingen Erreichte118• Wiederum bezeichnete er Trennung und Antagonismus von Technischer Hochschule und Universität als gefährliche und "unheilvolle Zweiteilung der höchsten wissenschaftlichen Bildung" und stellte kategorisch fest, dem entgegen zu arbeiten sei eben jetzt die außerordentlich wichtige Aufgabe. Mit Böttinger und seinen Göttinger Kollegen, die ihn am nachdrücklichsten unterstützen, mit den Professoren Riecke und Lexis, war er darin einig, daß man nach der Gleichstellung der Technischen Hochschulen jetzt erst recht bemüht bleiben müsse, das "technische Element" an der Universität zu verstärken117•

glieder der Göttinger Vereinigung vom 27. 10. 1899, abgedruckt auch in der Festschrift: Die 100-Jahr-Feier der Kgl. T. H. zu Berlin vom 18.-21. 10. 1899, Berlin 1900, S. 116 ff. 113 "Riedler oder Klein", dies sei nach Kleins Glückwunsch das Losungswort gewesen, berichtete Lexis, der ebenfalls an der Feier teilgenommen hatte, an Althoff, 9. 11. 99, DZA Rep. 92 NA AI Nr.179. 114 Außer Göttingen fehlte noch München und Königsberg, vgl. die 100-Jahr-Feier der Kgl. T. H. zu Berlin, a. a. 0., S. 91 ff. 115 Jg. 1899, Nr. 12. 118 Inzwischen hatte sich eine ganze Reihe weiterer Industrieller der Göttinger Vereinigung angeschlossen, unter ihnen der Generaldirektor der AEG, Emil Rathenau. 117 Ber. Lexis a. Althoff, 9. 11. 1899, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 179.

6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen 189

6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen a) Technische Fakultäten statt Neubegründung Technischer Hochschulen

Als es seit dem Jahre 1897 zu Erörterungen darüber kam, im Osten Preußens, in Danzig und Breslau, Technische Hochschulen zu errichten, war es selbstverständlich, daß Klein von Althoff, der hier für den Minister die Feder führte, dabei zu allen Organisations- und "inneren" Fragen als Sachverständiger gehört wurde. Die ersten Anregungen zur Neugründung einer Technischen Hochschule waren von der Stadt Danzig ausgegangen1 , eifrig unterstützt vom Oberpräsidenten und früheren Kultusminister von Goßler, der sich lebhaft für die Industrialisierung Ost- und Westpreußens einsetzte. Die Hochschule sollte der industriellen Erschließung dienen und gewissermaßen den Boden für ihre Wirksamkeit selbst bereiten. Hier im Nordosten Preußens fehlte es an einer bedeutenderen Industrie, eine Hochschule konnte zwar keine solche schaffen, sollte aber dazu beitragen, Vorhandenes zu entwickeln. Diebefruchtende Anregung, die sie durch eine Heranziehung geeigneter Kräfte zum technischen Studium bot, sollte in Kreise hineingetragen werden, die der Technik bis dahin fernstanden und damit gewissermaßen brachliegende Potentiale zur Entfaltung bringen. Das Bedürfnis nach Neugründungen konnte aber auch zutreffend damit begründet werden, daß sich seit dem großen Rückgang der Frequenzen Ende der siebziger Jahre und dem Tiefpunkt zu Beginn der achtziger Jahre die Studentenzahlen der deutschen Technischen Hochschulen bis zur Jahrhundertwende verdreifacht hattent. Die Klagen über eine Überfüllung der bestehenden Hochschulen rissen in diesem Zusammenhang auch nicht ab3 , die Gründung neuer Anstalten sollte Abhilfe schaffen. Hierbei den Osten Preußens besonders zu berücksichtigen, schien schon deshalb naheliegend, weil bis auf Berlin alle vorhandenen Technischen Hochschulen westlich der Eibe lagen. Vor allem aber brachte man nationale und kulturpolitische Erwägungen und Argumente ins Feld. So sollte insbesondere das "deutsche Interesse" in Westpreußen 1 Vgl. Festschrift der T. H. Danzig zur Eröffnung am 6. 10. 1904, Danzig 1904. t Vgl. W. Lexis, Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich, Bd. IV Teil 1, Berlin 1904, Tabellen S. 45 f. 3 Der VDI richtete in dieser Frage eigens eine Denkschrift an die preußische Staatsregierung, in der insbesondere Maßnahmen gegen den übermäßigen Besuch von Ausländern an den T. H. gefordert wurden, durch die nicht nur die Überfüllung gemindert, sondern auch verhindert werden sollte "selbst eine ausländische Konkurrenz zu züchten". Ähnlich argumentierte auch Riedler, vgl. Unsere Hochschulen und die Anforderungen des 20. Jahrhunderts, a. a . 0., S. 112.

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

durch eine neue Hochschule gestärkt werden'. Zwar entdeckten auch andere Städte West- und Ostpreußens, daß sie der geeignete Platz für eine neue Technische Hochschule wären, aber nur Danzig mit seiner Lage am Meer und a.n der Weichsel, mit Schiffbau, Strom und Hafenbau schien eine ausreichende Grundlage abzugeben. Der Schiffbau gab in erster Linie den Ausschlag für das besondere Interesse, das Wilhelm II. der Gründung von vornherein entgegenbrachte5• Klein hatte inzwischen genugsam erfahren können, wie schwierig, oder besser, wie unmöglich es war, die Trennung der nun einmal bestehenden und der eigenen Dynamik ihrer Entwicklung folgenden Hochschulen zu überwinden. Um so mehr hoffte er, daß es wenigstens bei Neugründungen möglich sein würde, seinen Ideen entsprechend alte Fehler zu vermeiden und - darin stimmte ihm Althoff zu - bei neuzuschaffenden Verhältnissen auch neue Wege zu gehen. Bei den anstehenden Beratungen wurde er von Althoff entsprechend heranangezogen. Klein war vor allem an der inneren Entwicklung und Ausgestaltung der Technischen Hochschule interessiert und machte geltend, daß er, auch wenn man die mögliche Vereinigung von Technischer Hochschule und Universität beiseite ließe, einiges dazu zu sagen habe8 • Bereits im Januar 1898 kam es im Kultusministerium zu mehrtägigen Verhandlungen über die Begründung Technischer Hochschulen im Osten Preußens. Klein drang vor allem darauf, daß es neuen Hochschulen wissenschaftlich und organisatorisch von vornherein besser als bisher ermöglicht werden müsse, sich der Forschung zu widmen. In diesem Zusammenhang hielt er die "Einführung des Prinzips der Doktorarbeit" an den Technischen Hochschulen für ganz entscheidend. Der hervorragend begabte Student7 sollte dort nicht wie bisher seine ganze Zeit zur rezeptiven Aufnahme des gegebenen Stoffes verwenden müssen, vielmehr die Möglichkeit zur Ausgestaltung selbständiger Ideen erhalten. Eine technische Dissertation mußte nach seinen Vorstellungen genauso einen "technisch-wissenschaftlichen Inhalt" besitzen, wie etwa eine Dissertation an einer medizinischen Fakultät einen "medizinisch-wissenschaftlichen". Es war insbesondere bemerkenswert, daß Klein betonte, der spezifisch "technische Geist" der Arbeit wie der Hochschule solle dadurch keineswegs unterbunden werden8 • ' Denkschrift des preuß. Finanz- u. Kultusministeriums für das Abgeordnetenhaus betreffend die Begründung einer T . H. in Danzig, DZA Rep. 92 NA AI Nr.177. 5 Von allen deutschen T. H. besaß bis dahin nur Berlin eine besondere Schiffbauabteilung. 8 An Althoff Anfang Januar 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. 7 Klein sprach stets von "Spezialschülern". 8 Zum Protokoll der Januarkonferenz 1898 betr. neuer T. H., UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII und DZA Rep. 92 NA AI Nr. 17.

6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen 191

Indem er sich nachdrücklich für das Promotionsrecht der Technischen Hochschulen einsetzte, brachte er nicht so sehr das Argument sozialer Gleichberechtigung vor, wenn er dies als vollauf berechtigtes Motiv für die Techniker auch stets anerkannt hatte, er sah vielmehr diese Forderung in den wissenschaftlichen Erfordernissen selbst begründet. Wenn auf der einen Seite die klare Erfassung ihrer Forschungsaufgabe die innere Voraussetzung für ein Promotionsrecht an der Technischen Hochschule bildete, so wurden sie nach den Vorstellungen Kleins andererseits auch nur durch dieses Promotionsrecht zur Forschung verpflichtet. Er hatte es von vornherein abgelehnt, hier Vorschläge zu diskutieren, die nicht auf den "technischen Doktor" hinausliefen, sondern einen ganz neuen, nur auf die Technische Hochschule zugeschnittenen Titel zum Inhalt hatten. Die universitäre Form der Dissertation und des Titels sollte nach seiner Ansicht zugleich engere Verbindungen zwischen den Hochschulen knüpfen und garantieren. "In dem Augenblick, wo das Verhältnis der Technischen Hochschule zur Universität zur Debatte kommt, setzt mein Interesse ein", erklärte er9 und stellte unmißverständlich fest, daß bei allen seinen Unternehmungen die Vereinigung der beiden Hochschulen das eigentliche Ziel sei, auch wenn es aussichtslos erscheine, dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen. Er berief sich auf seine zehn Jahre zuvor dem Ministerium eingereichte Denkschrift10, deren Grundidee er jetzt unter "günstigeren Auspicien" hervortreten sah. Hatte er bisher die Notwendigkeit der Vereinigung vor allem mit Rücksicht auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Gebiete hervorgehoben, so sprach er jetzt auch von den wohlverstandenen Interessen der Geisteswissenschaften, für die eine solche Vereinigung nicht weniger bedeutsam sein würde. Ein Göttinger Kollege hatte ihn auf die dreißig Jahre zurückliegenden Bemühungen Friedrich Theodor Vischers zur Vereinigung der Universität Tübingen und des Polytechnikums in Stuttgart aufmerksam gemacht, und Klein zog jetzt ausdrücklich die Argumente Vischers heran11 • Zum Protokoll der Januarkonferenz 1898, ebd. Zur Vereinigung von T. H. und Universität, aus dem Jahre 1888. 11 Friedrich Theodor Vischer war nach lljähriger Lehrtätigkeit am Eidgen. Polytechnikum Zürich auf einstimmigen Antrag des Professorenkonventes der Stuttgarter Polytechnischen Schule im Jahre 1864 nach dort auf den neu errichteten Lehrstuhl für Literatur und Kunstgeschichte berufen worden. (Vgl. Th. Meyer, Friedrich Th. Vischer, als Dozent des Polytechnikums, in: Festschrift der T. H. Stuttgart zur Vollendung ihres ersten Jahrhunderts, Berlin 1929, S. 244 f.) Fast gleichzeitig hatten sich auch die Polytechniken Karlsruhe und München bemüht, Vischer zu gewinnen. Bei der sich später bietenden Alternative "Universität (Tübingen) oder Polytechnikum" entschied er sich für das letztere. In Stuttgart setzte sich Vischer mit Denkschriften und Anträgen für die Vereinigung beider Anstalten ein. Er hoffte, daß sich dadurch die württembergische Hauptstadt zum kulturellen Mittelpunkt Süddeutschlands aufschwingen werde. In seinem biographischen Abriß (Mein Lebens8

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Es war einleuchtend, daß sich Klein durch dessen Auffassungen bestätigt sah, gerade weil sie von einem völlig anderen Standpunkt aus formuliert worden waren, denn Vischer stand ganz auf dem Boden der klassischen und philosophischen Bildung. Da zunächst die Neugründung in Danzig im Vordergrund stand, verfaßte Klein auf Althoffs Wunsch ein besonderes Gutachten, in dem er sich in dem schon bekannten Sinne äußerte 12, für die "vollwertige" Einrichtung und Entwicklung der Hochschule plädierte und ihre notwendige wissenschaftliche Höhe und ihren Forschungszweck vor allem hervorhob. Schon im April1898 teilte das Kultusministerium dem Abgeordnetenhaus mit, daß die Entscheidung des Kaisers gefallen sei, in Danzig eine Technische Hochschule zu gründen. Ein Jahr später wurde der Regierungsbeschluß verkündet, die neue Hochschule in voller Ausstattung, mit einer eigenen Schiffsbauabteilung einzurichten, auch Klein war dafür eingetreten. Die am 6. Oktober 1904 von Wilhelm II. eröffnete Anstalt13 erhielt eine allgemeine Abteilung, in der über die mathematischnaturwissenschaftlichen Fächer hinaus geistes- und wirtschaftswissenschaftliche Institute und Lehrstühle besonders reichhaltig vertreten waren. Hiermit sollte dem Fehlen einer Universität in Westpreußen Rechnung getragen und das nationale und kulturpolitische Motiv der Gründung unterstrichen werden. Die gleichzeitig erörterten Pläne für eine Technische Hochschule in Breslau14 forderten indessen Kleins Interesse in noch höherem Maße heraus. Zwar war auch Königsberg ursprünglich als Mitbewerberin gegang, in: Altes und Neues, H. 3 Stuttgart 1882, S. 334 ff.) spricht er im Hinblick auf die Trennung der "höchsten Lehranstalten" von einem "ungeheuren Mißstand" und von der "kategorischen Notwendigkeit" ihrer Vereinigung. Die Summe des geistigen Gehaltes der Universität sollte ebenso wie die verwandte Summe, die ein Polytechnikum in sich schließt, möglichst vielen zum Zweck "wahrer Menschenbildung" zugänglich sein, die verschiedensten geistigen Richtungen und Interessen, die Möglichkeit wechselseitiger Kenntnisnahme und gegenseitigen Durchdringens erhalten. Ein Techniker sollte geisteswissenschaftliche Vorlesungen hören können, ein Kunsthistoriker etwa nicht nur Kunstgeschichte in spezieller Behandlung, sondern auch Mechanik oder fachgemäßen Architekturunterricht. Die Voraussetzung zu einem so vielseitigen Bildungsinteresse aber müßte, nach Vischers Meinung, durch die Vereinigung beider Anstalten geweckt werden. Jedes große geistige Werkzeug wirke nur die Hälfte, wenn es außer Kontakt mit den verwandten Werkzeugen arbeite. Die höchsten Lehranstalten zu verstärkter Wirkung zu bringen sei daher die Aufgabe jedes Staates. Vischer hat mit großem Erfolg 20 Jahre lang bis zu seinem Tode an der Stuttgarter Anstalt gelehrt und bei den Technikern eine große Resonanz gefunden, wie aus den Erinnerungen vieler bedeutender Ingenieure hervorgeht, die ihn als Studierende gehört haben (Vgl. Die Erinnerungen von Bosch, Bach, Föppl, Linde). 12 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 177. u Vgl. Festschrift zur Eröffnung der T. H. Danzig, a. a. 0. u Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, 48. Sitzung vom 18. 3. 1898, Stenographische Berichte, Spalte 1533 ff.

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nannt, aber nie ernsthaft in Betracht gezogen worden, und so ergab sich für die Danziger Anstalt nicht jener Gesichtspunkt, der für Breslau sogleich nahezuliegen schien: die Gründung einer Technischen Hochschule in enger Verbindung mit der dortigen Universität, oder überhaupt die Angliederung einer technischen Fakultät. Von seiten derbeteiligten Kreise in Breslau war man deshalb auch gleich, nachdem die Entscheidung für Danzig feststand, mit diesem Gedanken an Klein herangetreten15. Abgesehen von Berlin und München bestand in keiner anderen deutschen Hochschulstadt eine so enge räumliche Nachbarschaft zwischen Universität und Technischer Hochschule wie sie sich in Breslau bei der Neugründung ergeben mußte. Die Frage nach einer Bezugnahme zwischen beiden Hochschulen erhob sich schon deshalb von vornherein. Klein, der Althoff über seine Besprechungen mit den beteiligten Breslauer Persönlichkeiten unterrichtete, hat dann auch versucht, hier sogleich den Hebel anzusetzen: ,,Soll die zu gründende technische Unterrichtsanstalt mit der Universität ohnehin in organische Beziehung gesetzt werden, so tue man den weiteren Schritt und füge sie als eine den übrigen Fakultäten gleichwertige technische Fakultät der Universität ein. Dann ist aus der Not eine Tugend gemacht, es ist der entscheidende Schritt getan, durch den allein die Spannungen, welche jetzt in unserem höheren Unterrichtswesen bestehen, in zeitgemäßer Weise ausgeglichen werden können", so schrieb er an Althoff18• Dieser war damit einverstanden, daß für die Universität Breslau eine technische Fakultät anzustreben war, und beauftragte Klein, in Verbindung mit Professor Lexis dafür einen entsprechenden Organisationsplan zu entwerfen. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen hatte das Breslauer Projekt allerdings von Beginn an keine Aussicht, in gleichem Tempo verwirklicht zu werden wie die Danziger Gründung, für die sich, wie erwähnt, der Kaiser im Hinblick auf den Schiffbau besonders eingesetzt hatte. Hier wiederholten sich deshalb auch Erwägungen, die bereits in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts bei der Errichtung der Polytechnischen Schulen in Wien, Karlsruhe und München vorgebracht worden waren, daß man nämlich durch die Einrichtung technischer Lehrstühle an der Universität billiger davonkäme, die dort vorhandenen Unterrichtsgelegenheiten ausnützen und dadurch die Gründung einer voll~ ständig ausgebauten und selbständigen Anstalt sparen könne. Auch Althoff hatte später gegenüber dem Finanzministerium ähnlich argumentiert und ausgeführt, daß sich nicht unerhebliche Einsparungen ermöglichen ließen, wenri die besonderen Vorteile ausgenutzt würden, die sich aus dem örtlichen Zusammentreffen der Hochschule mit der Breslauer 15 Verhandlungen und Briefwechsel mit dem Abgeordneten Gothein, Breslau, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII. 18 12. 5. 1898, DZA Rep. 92 NA Nr. 92. 13 Mauegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Universität ergaben. Das war freilich im wesentlichen bezeichnend für die Taktik Althoffs, im Kampf um die notwendigen finanziellen Mittel17. Aus seinem Organisationsplan wie aus den von ihm geführten Verhandlungen18 ging hervor, daß die grundsätzlichen Auffassungen Kleins und der Befürworter einer Eingliederung der technischen Fächer in die Universität Breslau darin übereinstimmten, daß eine prinzipielle Unterscheidung zwischen "humanistischer" und "polytechnischer" Hochschulbildung nicht länger anerkannt werden sollte, nicht nur, weil sie sich beidein der Mathematik und in den Naturwissenschaften berühren, sondern weil ihr gesamter Zweck identisch sei. Beiden liege die reine Wissenschaft, Forschung und Lehre zugrunde. Durch Ausbildung von Beamten und Lehrern erfüllen sie die speziellen Staatszwecke, beide führen die Resultate der Wissenschaft der Gesellschaft zu und machen sie dienstbar. Eine konsequente Unterscheidung, wie sie in Deutschland besteht, sei keine allgemeine Erscheinung, die etwa in allen Kulturstaaten der Welt in derselben Weise bestehe. Im Gegenteil: die Trennung ist nur eine historische, aber keine grundsätzliche. Von dem Augenblick an, wo die Technik die Höhe der Wissenschaftlichkeit in gleichem Maße wie die Naturwissenschaft, die Medizin oder die Rechtswissenschaft erlangt, habe sie das Recht, in den Kreis der universitas litterarum aufgenommen zu werden. Umgekehrt werde die Universität ihrem Zweck untreu, wenn sie nicht bestrebt bleibt, alle neuen Zweige des menschlichen Wissens in sich aufzunehmen. Das waren im Grunde die gleichen Argumente, die bereits seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts die perennierenden Diskussionen über das Verhältnis von Universität und Polytechnikum beherrschten. Jetzt sollte nun ernsthaft die Errichtung einer technischen Fakultät betrieben werden. Es bedeutete eine Art späte Rechtfertigung für Klein, wenn der Kultusminister selbst im Laufe der Verhandlungen die erneute Vorlage seiner Denkschrift aus dem Jahre 1888 anordnete19• Klein war es selbstverständlich nicht um eine lediglich äußere Anfügung einiger technischer Lehrstühle zu tun, schon gar nicht aus Gründen der "Einsparung". Wie schon in seiner früheren Denkschrift, so wies er jetzt erneut darauf hin, daß die Angliederung einer ebenbürtigen technischen Fakultät nicht als eine einfache Maßregel anzusehen war, die sich mit der Festlegung bestimmter Regeln im Prinzip erledigte. Das bedeutete nach seiner Ansicht nun eine bloße Nebeneinanderstellung, ohne eigentlich "weitertragende Konsequenzen". Auf diese Konsequenzen kam es ihm aber an. Das Problem der Eingliederung in die Univer17 Das hat wohl auch A. Sachse gemeint, der dies in seiner Althaff-Biographie erwähnt, a. a. 0., S. 309. 18 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 176; und UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII. 19 Rep. 76 Vb, Sekt. I, Tit. I Nr. 1.

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sität schloß insbesondere die noch unbeantwortete Frage des "technischen Doktors" ein. Gegenüber solchen Plänen zeigte sich aber sehr bald die starke Opposition an derBreslauer Universität. Der Senat lehnte die Angliederung einer technischen Fakultät als unvereinbar mit dem Grundwesen der Universität ab. Die Vertreter der Naturwissenschaften sprachen sich in einem Separatvotum dahin aus, daß sie eine selbständige Hochschule zwar entschieden vorzögen, schließlich aber auch mit einer technischen Fakultät einverstanden wären20 • Auf der anderen Seite hatte schon vorher der Verein Deutscher Ingenieure in einer Eingabe an die Staatsregierungen eine derartige Lösung scharf abgelehnt, da sie einer förderlichen Entwicklung der technischen Wissenschaften zuwiderlaufe und dagegen auch für Breslau eine selbständige Technische Hochschule gefordert21 • Solche Widerstände und mangelnde finanzielle Bewilligung zögerten die Entscheidung lange hinaus. Nach einem ersten genaueren Plan wurde 1902 zunächst eine Anstalt in beschränktem Umfange, nur mit Abteilungen für Maschinenbau und Chemie und Hüttenkunde, in Aussicht genommen. Die Verbindung mit der Universität sollte durch die Heranziehung der dortigen Professoren für die allgemeinen Fächer gewahrt werden22 • Erst im Jahre 1910 ist es dann zur Eröffnung einer selbständigen, wenn auch nicht vollausgebauten Technischen Hochschule in Breslau gekommen23 • Die Diskussionen und immer erneute Anläufe zu einer Vereinigung mit der Universität sind bestimmend geblieben für die ganze weitere Entwicklung dieser Anstalt bis zum zweiten Weltkrieg24 • Nach der Gründung der Göttinger Vereinigung und im Zusammenhang mit seinen Verhandlungen über Neugründungen in Ostdeutschland blieb Klein bemüht, wo immer sich ein Ansatz ergab, auch an anderen Universitäten jene "Bewegung" der Annäherung von Universität und Technik in Gang zu setzen, auf ihre Entfaltung hinzuarbeiten. Er brachte seine Gutachten und Vorschläge für Breslau und Danzig auch dem Straßburger Mathematiker Professor Heinrich Weber zur Kenntnis, um an der Universität Straßburg Absichten zu unterstützen, die auch dort auf die Gründung einer technischen Fakultät gerichtet waren. Weber, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 176. Im Zusammenhange mit der schon erwähnten Denkschrift zur Frage der Überfüllung der deutschen T. H., Zs. d. VDI, Jg. 1898. 22 Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, Sitzung v. 17. 3. 1902, Stenographische Berichte, Spalte 3481 ff. 23 Bis zum Ende des ersten Weltkrieges bestanden nur 2 Abteilungen, vgl. Festschrift zur Eröffnung der Kgl. T. H. Breslau am 1. 10. 1910, Breslau 1910, ferner: Die deutschen T. H., a. a. 0 ., S. 59 ff. 24 Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß Althoff hier die Eingliederung einer technischen Fakultät in die Universität durchgesetzt hätte, wenn er länger im Amt geblieben wäre. Er schied 1907 aus. 20

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

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der vor seiner Berufung nach Straßburg einige Jahre Ordinarius in Göttingen gewesen war, hatte hier mit Klein in enger Verbindung gestanden25. Er suchte die Bestrebungen, die dieser ihm nahe gebracht hatte, auf seine Straßburger Tätigkeit zu übertragen, und warb an seinem neuen Wirkungsort für Kleins Auffassungen. Es hatte bereits ältere Erörterungen gegeben, eine Technische Hochschule für die "Reichslande" zu errichten26• Unterstützt und beraten von Klein, trafen sich Webers Gedanken außerdem mit den Vorstellungen des Straßburger Philosophen und Pädagogen Theobald Ziegler, der sich ebenfalls für eine technische Fakultät an der Universität ausgesprochen hatte. Ziegler hatte sich mit dem Ersuchen an das Kultusministerium gewandt, in Straßburg ähnlich vorzugehen, wie es Klein für Breslau vorgeschlagen hatte, war hier aber insbesondere auf "politische" Bedenken gestoßen27 • Weber bat Klein, seinen Einfluß im Ministerium geltend zu machen und Althoff für die Pläne zu "bearbeiten". Das Göttinger Unternehmen Kleins hatte bei vielen Kollegen Webers großen Eindruck gemacht. Daß im Kreise der Straßburger Mathematiker und Naturwissenschaftler in dieser Hinsicht offenbar weniger gegensätzliche Anschauungen herrschten, mochte zum Teil auch daran liegen, daß es dort eine selbständige mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät gab, wie bis dahin nur an sehr wenigen deutschen Universitäten. Nach längeren vertraulichen Besprechungen und behutsamem Vorgehen bei der Regierung der Reichslande, über die Klein durch Weber genau unterrichtet wurde, kam es zu einem ebenfalls vertraulichen "Memorandum über die Einrichtung einer sechsten (technischen) Fakultät der Kaiser-WHhelm-Universität zu Straßburg" an den Statthalter28• Unter dem Eindruck der Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Berlin, vor allem der dabei abgegebenen Erklärung des Kaisers, und mit dem Einverständnis "eines großen Teils der Kollegen", so hieß es hier, beantrage man die Einrichtung einer technischen Fakultät. Man wies auf die Vorteile für die Industrie Elsaß-Lothringens hin, auf die Hebung des sozialen Ansehens der Techniker, und ver25 Weber war 1892 an die Stelle von Kleins wissenschaftlichem Antagonisten Prof. Schwarz von Marburg nach Göttingen gekommen. Er hatte wie Klein selbst lange Jahre an T. H. gelehrt - in Zürich und Berlin ...:.... und war von ähnlicher Vielseitigkeit des wissenschaftlichen Interesses. Vgl. A. Voß, Heinrich Weber, Jahresberichte der deutschen Mathematikervereinigung, Bd. 23,

1914, s. 531 ff.

26 Schon bei der Gründung der Kaiser-Wilhelm Universität hätten hier die Forderungen der kommenden Zeit nach höchster technischer Bildung zum Vorteil der nationalen Aufgaben berücksichtigt werden müssen, hatte RiedleT geschrieben. Unsere Hochschulen u. die Anforderungen des 20. Jhdts., a. a. 0.,

S. 120. 27 28

UBG Cod. MS Nachlaß Klein 12. Dezember 1899, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI E.

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säumte auch hier nicht, die "Ersparnis" gegenüber einer eigenen Technischen Hochschule anzuführen. Es sei andererseits aber auch nicht ratsam, nur nach einem beschränkten Plan vorzugehen. Hier sei die Universität Gießen, an der die technischen Fächer unzulänglich ausgestattet und deshalb verkümmert waren, das abschreckende Beispiel29 • Ausdrücklich bezog man sich auf den "eigenartigen Versuch" in Göttingen. In Straßburg müsse man nicht zuletzt auch aus "völkischen und politischen Gründen" weit darüber hinausgehen, der Danziger Plan könne hier den ungefähren Maßstab abgeben. Ganz nach der Diktion Kleins hieß es schließlich, man würde damit an die Spitze einer Kulturbewegung treten, deren Macht sich die kommende Zeit nicht entziehen könne: Förderung des wissenschaftlichen Betriebes der Universität entsprechend den Anforderungen des modernen Lebens, Ausgleich der Gegensätze, Gleichstellung und Integrierung humanistischer und technischer Bildung. Erfolglos wurde dieser Plan in Straßburg noch längere Zeit erörtert. Zur Universität Halle stand Klein in ähnlichem Sinne, wenn auch weniger nahe, in Verbindung durch Kontakte mit dem dortigen Inhaber des Lehrstuhles für landwirtschaftliches Maschinenwesen, Professor Hans Lorenz. Ihn hatte er, wie erwähnt, ursprünglich für die Leitung des neuen Göttinger Institutes für technische Physik in Aussicht genommen und Althoff auch dazu vorgeschlagen. Durch Lorenz versuchte er, in Halle eine entsprechende Ausweitung der augewandten Fächer anzuregen, und auch dort über eine Vertretung der augewandten Physik und Mechanik die Einbeziehung der Technik zu erreichen, analog zur Tätigkeit Eugen Meyers in Göttingen, der ja auch landwirtschaftliches Maschinenwesen lehrte30• Lorenz nahm in Halle jedoch gegenüber den 29 In der Nachfolge einer 1777 an der Universität Gießen eingerichteten Kameralfakultät, der "facultas oeconomica (Friedr. Lenz, Die Wirtschaftswissenschaft in Gießen, in: Festschrift zur 350-Jahr-Feier der Ludwigs Universität - Justus Liebig Hochschule 1607-1957, S. 384 ff.) war dort die Ausbildung der höheren technischen Berufszweige, insbesondere für die Staatsdienste innerhalb der philosophischen Fakultät in einer kameralistischen oder technischen Abteilung verblieben. Hier wurden Architekten oder Ingenieure ausgebildet, und die 1836 in Darmstadt gegründete "Höhere Gewerbeschule" -später zum Polytechnikum ausgebaut- diente hier zunächst nur als Vorschule. Auch als ab 1868 die Vorbereitung zum hessischen Staatsdienst im Bau- und Ingenieurfach in Darmstadt erfolgen konnte, mußten bis 1871 die akademischen Prüfungen noch auf der Universität Gießen abgelegt werden. Erst 1874 wurde hier das technische. Studium aufgehoben und die technischen Lehrstühle nach Darmstadt übertragen. Seit 1837 war die Promotion von Technikern zum Dr. phil. vorgesehen, die einzige deutsche Universität, an der dies möglich war. Die Zahl der Techniker unter den Studenten blieb aber immer verschwindend gering, die Lehreinrichtungen völlig unzulänglich, auch wenn man an der Universität bei ihren ohnehin sinkenden Frequenzen auf diese Klasse von Technikern großen Wert legte. (Vgl. H. Hofmann, Ein Beitrag zur Geschichte der Hochschule in Gießen, Gießen 1869). 30 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 11.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrstühlen eine zu periphere Stellung ein. Er stieß bei solchen Bemühungen auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Auf Kleins Vorschlag ist er im Jahre 1900 in Göttingen Nachfolger von Eugen Meyer geworden31 • Als die Stadt Kiel, ebenfalls durch die Pläne für Danzig und Breslau angeregt, seit Ende 1897 im Ministerium wiederholt beantragte, in Kiel eine Technische Hochschule für Schleswig-Holstein zu errichten und man - wie schon einmal fünfzig Jahre zuvor32 - schließlich ihre Einbeziehung in die dortige Universität vorschlug33, konnte Klein eine Zeitlang auch hier hoffen, im Sinne seiner Bestrebungen einwirken zu können. Die Kieler Vorschläge wurden von Althoff aber schon aus finanziellen Erwägungen als aussichtslos angesehen, und die Anträge sind nicht weiter verfolgt worden. Anders gestalteten sich die Beziehungen Kleins zur Universität Jena. Hier war der dortige Mathematiker Professor Gutzmer sein "Verbindungsmann"34. Gutzmer teilte weitgehend Kleins wissenschaftliche Auffassungen35 und war in Jena bemüht, mit Hilfe der von ErnstAbbeins Leben gerufenen Karl-Zeiss-Stiftung, die in diesem Falle eine ähnliche Rolle spielte wie die "Göttinger Vereinigung", die angewandte Mathematik auch nach der technischen Seite zu betreiben. Kleins Wirksamkeit und seine Göttinger Unternehmungen übten dabei beispielgebend einen großen Einfluß aus. Nach dem Göttinger Vorbild wurde hier, nachhaltig unterstützt durch die Zeiss-Stiftung, von dem Ingenieur Rudolf Rau33 ein technisch-physikalisches Institut aufgebaut. Außer mit Professor Gutzmer stand Klein darüber auch in Gedankenaustausch mit Abbe selbst37 • Durch Abbes Vermittlung kamen Anfang 1902 der Kurator der Universität Jena mit Gutzmer und Rau, sowie Vertretern der Stiftung nach Göttingen, um die hier schon vorhandenen Einrichtungen an Ort und Stelle zu besichtigen, und Klein hatte Grund, mit einer weiteren wichtiten Ausweitung seiner Bestrebungen an der Universität Jena durch 31 Meyer war an die. Technische Hochschule Berlin berufen worden, wo er neben Riedler einen Lehrstuhl für Maschinenbau erhielt. 32 Im Zusammenhang mit der Reformbewegung des Jahres 1848, wie oben schon erwähnt. 33 DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 1 Tit. I Nr. 1. 34 Klein, wiederholt Vorsitzender der deutschen Mathematikervereinigung, stand mit Gutzmer, dem Schriftführer dieser Vereinigung, in regem Gedankenaustausch über allgemeine Hochschul- und Unterrichtsfragen. 35 Vgl. A. Gutzmer, Über die auf Anwendungen gerichteten Bestrebungen im mathematischen Unterricht der deutschen Universitäten, Verhandlungen des III. Internat. Mathematikerkongresses in Heidelberg, Leipzig 1904, S. 588 ff. 36 Vgl. Lorey, a. a. 0., S. 365. 37 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 12.

6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen 199 Abbe und die Firma Zeiss zu rechnen. Gutzmer mußte ihm indessen auch hier von erheblichen Einwänden und Opposition an der Universität berichten. Dank der Munifizenz Abbes spielten dort weniger Schwierigkeiten finanzieller Art eine Rolle, sondern gerade die gleichen internen Widerstände, mit denen Klein auch an der Göttinger Universität zu kämpfen hatte und die hier wie dort, von jenen antitechnischen und antiutilitaristischen Kreisen der Universitätslehrer ausgingen, denen die Einbeziehung der Technik und die "Nähe zur Industrie" nach wie vor als unvereinbar mit dem Universitätsideal schien38• Immerhin schienen hier Kleins Ideen auf fruchtbaren Boden zu fallen und abgesehen von Göttingen noch am unmittelbarsten zur Auswirkung zu gelangen. Es werde ein entscheidender Erfolg nur dadurch zu erreichen sein, daß andere Universitäten in dieselbe Bahn einlenken "wie wir selbst", wurde dazu in der Generalversammlung der Göttinger Vereinigung festgestellt und hervorgehoben: "Wir erwarten eine entschiedene Unterstützung in dieser Hinsicht, jetzt insbesondere von der Universität Jena39." Bestärkt durch Entwicklungsunruhe und Ansprüche der Technischen Hochschule selbst, war es im Anschluß an die Gründungspläne im Osten Deutschlands zu zahlreichen Erörterungen über neue Hochschulen und Hochschulbedürfnisse gekommen. Klein hielt es für eine Bestätigung seiner Bestrebungen, daß nur die Zahl der Technischen Hochschulen eine starke Tendenz zur Vermehrung zeigte, während die Anzahl der Universitäten lediglich stationär zu bleiben schien40• Kleins Bestrebungen, nun weithin beachtet, ließen dabei überall die Frage nach dem Verhältnis der Universitäten zu den technischen Fächern einfließen. Aufmerksam verfolgte er Absichten und Pläne, die in den folgenden Jahren im Hinblick auf die Errichtung neuer technischer Anstalten oder ihre Angliederung als technische Fakultäten in bestehende Universitäten diskutiert wurden, wie in Nürnberg, Erlangen und Würzburg4 \ im Zusammenhang mit der perennierenden Hochschulfrage in Hamburg42 und in Münster und Leipzig43• Über das Stadium von Vorschlägen und Diskussionen war man dabei freilich nirgendwo hinausgelangt. Direkte MögUBG Cod. MS Nachlaß Klein VII. Protokoll der Generalversammlung der G. V. vom 17. 12. 1900, UAG Kuratorialakten 4 V h 22-29. 40 Vgl. F. Klein, Allgemeines überangewandte Mathematik, in F. Klein u. E. Riecke, Überangewandte Mathematik und Physik, Leipzig 1900, S. 17. 41 In Bayern gab es Pläne für eine neue T. H. in Nürnberg und Vorschläge für ihre Verbindung mit der Universität Erlangen, ebenso Vorschläge für eine technische Fakultät in Würzburg. Vgl. Martin v. Schanz, Die neue Universität und die neue Mittelschule, Würzburg 1902. 42 Vgl. Hochschulnachrichten, 1902, Nr. 140. 43 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 182. 38 39

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

lichkeiten zur Anteilnahme ergaben sich für Klein nicht, wenngleich seine Anregungen stets eine besondere Rolle spielten44 • Durch Einwirkung auf Berufungen und die Besetzung von mathematischen und physikalischen Lehrstühlen, besonders an den Technischen Hochschulen, versuchte Klein auf einem mehr indirekten Wege seine Auffassung zur Geltung zu bringen. Sein hohes Ansehen als Mathematiker, weitreichende persönliche und wissenschaftliche Verbindungen verschafften ihm dabei einen ungewöhnlichen Einfluß. So betrachtete er etwa die von ihm betriebene Berufung des Physikers Arnold Sommerfeld, mit dem er in Göttingen zusammen gearbeitet hatte45 , an die Technische Hochschule nach Aachen, wie Sommerfeld selbst, als ein "eklatantes Gegengewicht gegen die Riedlerschen Bestrebungen". Sommerfeld, so befand Klein, werde in Aachen seine "Leitsätze" interpretieren und damit werde sachlich-wissenschaftlich ein Schritt zur Verständigung von Universität und Technischer Hochschule getan48 • Dank seiner engen Beziehungen zu Althoff wurde Kleins Einfluß insbesondere beherrschend bei der Besetzung und Neuerrichtung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrstühle in Göttingen. Hier gab es künftig und bis zum ersten Weltkrieg keine Berufung mehr, an der er nicht entscheidend beteiligt gewesen wäre, Berufungen, durch die er gerade mit Hilfe der Göttinger Vereinigung zum Begründer und Erhalter der internationalen Vorortstellung Göttingens in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen geworden ist47 • b) Vielfältige organisatorische Tätigkeit

Klein hat in diesen Jahren weit über den Bereich des hier zu behandelnden Themas hinaus eine reiche organisatorische Tätigkeit entfaltet. Das galt insbesondere für die mathematisch-naturwissenschaftliche Unterrichtsreform an den höheren Schulen und Hochschulen48 und für die 44

Vgl. 0 . Kammerer, T. H. oder techn. Fakultäten, Zs. d. VDI, Jg. 1904,

s. 1177 ff.

Sommerfeld war eine Zeitlang Assistent bei ihm gewesen. Briefwechsel Sommerfeld-Klein 1899/1900, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 11. 47 Nach der auf Initiative von Klein erfolgten Berufung der Professoren Runge und Prantl von der Technischen Hochschule Hannover nach Göttingen schrieb (am 18. 7. 1904) der Geheimrat Elster, Personalreferent im preußischen Kultusministerium, an Klein: "Als vor Jahresfrist die Mathematiker Minkowski und schon vorher David Hilbert (ebenfalls auf Kleins Betreiben) berufen wurden, hatte es geheißen: jetzt sind wir unüberwindlich. Sie fahren aber fort, immer noch unüberwindlicher zu werden, und ich bin nun gespannt, mit welchem Antrage Sie nun kommen werden. Wir sind auf alles gefaßt und wundern uns über nichts mehr." UBG Cod. MS Nachlaß Klein 21. 48 Im Jahre 1908 übernahm er das Präsidium der Internationalen Mathematischen Unterrichtskommission (IMUK), die in einer sehr großen Anzahl von 45

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6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen 201

Lehrerbildung in den naturwissenschaftlichen Fächern, hier reichte seine Tätigkeit in alle wichtigen Vereinigungen, Ausschüsse, Beiräte und Kommissionen. Wie für die Gleichberechtigung der Technischen Hochschule mit der Universität, so setzte er sich auch bei allen wichtigen Gelegenheiten ebenso für die Gleichberechtigung der Realschulen mit den Gymnasien ein und gab auf der entscheidenden Schulkonferenz im Jahre 1900 dafür seine Stimme ab49 • Führend war er in der deutschen Mathematiker-Vereinigung tätig. Bald nach Gründung des "Deutschen Museums für Meisterwerke der Technik" in München, dessen Zielsetzung er auf das wärmste begrüßt hatte, wurde er zum Vorsitzenden des Vorstandsrates gewählt50• Bedeutenden Anteil hatte er an den umfangreichen Unternehmen der "Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften". Durch seine Einwirkung wurden hier auch die Anwendungen in den verschiedenen Zweigen der Technik mit berücksichtigt51 • Maßgebend war in diesem Zusammenhang sein Anteil am Zustandekommen einer internationalen Assoziation der Akademien. Unter seiner Leitung stand die mathematische Abteilung des großen, von Althoff unterstützten Werkes "Die Kultur der Gegenwart" 52• Was Klein selbst über das Ziel seiner Mitarbeit an diesem Werk schrieb, konnte insgesamt über die Fülle seines umfassenden organisatorischen Wirkens gesagt werden: "Das ganze naturwissenschaftlich-technische Kulturgut in dem Gesamtbild des geistigen Besitzes unserer Zeit zur Geltung zu bringen und seinen Einfluß auf fast alle Gebiete der menschlichen Betätigung aufzuweisen53." Über allem stand für ihn unablässig die Frage, wie die sich differenzierenden und auseinanderstrebenden Zweige der Wissenschaft zusammengeiaßt und zu gemeinsamer Wirkung zu bringen waren. Kampf gegen die Zersplitterung und "Kooperation" blieb das Leitmotiv seiner Bemühungen, Förderung der "Anwendungen", Einbeziehung der Technik ihr Kern. Zu den praktischen Maßnahmen, die Klein in Göttingen begründete und die von hier aus vielfach auch an anderen Hochschulen übernommen wurden, gehörte die Einrichtung von Ferienkursen zur Weiterbildung der Lehrer an höheren Schulen für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, die, meist unter seiner Leitung, von 1892 an in Göttingen Einzelarbeiten die mathematischen Unterrichtsverhältnisse aller Schularten und Hochschulen in sämtlichen Ländern zusammenstellen sollte. In Deutschland erschienen, von Klein herausgegeben, allein 53 Publikationen. Vgl. hierzu vor allem W. Lorey, a. a. 0., und Paul Stäckel, a. a. 0. 49 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 Das Werk hgg. v. Prof. P. Hinneberg war auf 58 Bände geplant, von denen bis 1916 22 erscheinen konnten. 53 Autobiographische Skizzen, a. a. 0., S. 34.

202

111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

abgehalten wurden. Das Problem der Lehrerbildung, das Klein schon sehr früh lebhaft beschäftigt hatte5 \ fand eine wesentliche Förderung in seinem Sinne durch die von ihm angeregte und von Althoff durchgesetzte Aufnahme der angewandten Mathematik als eigenes Fach in die Prüfungsordnung für das höhere Lehramt55• Daraus folgte die Notwendigkeit, auch entsprechende planmäßige Lehrstühle an den Universitäten zu schaffen, für die Zielsetzungen Kleins ein wichtiges Ergebnis. Ausgehend von den Ferienkursen, in denen Klein vornehmlich technische Themen und "angewandte" Fächer in den Vordergrund brachte56, kam es, auf seine Initiative und finanziell durch die Hilfe der Göttinger Vereinigung ermöglicht, zur Einrichtung von allgemeinen technischen Vorlesungen an der Universität Göttingen, die insbesondere für Juristen bestimmt waren. Vor allem die künftigen Verwaltungsbeamten sollten Gelegenheit zu einer Einführung in die Technik bekommen. Klein griff damit in die alte Diskussion über die von vielen Kritikern als mangelhaft und ungeeignet angesehene Ausbildung der Verwaltungsjuristen ein, der auf der anderen Seite die Forderung nach einer Heranziehung der Techniker zum höheren Verwaltungsdienst, nach "Verwaltungsingenieuren" und einer Zulassung der Technischen Hochschulen als Hochschulen der Verwaltung entsprach57• Hier konnte Klein mit vorbehaltloser Zustimmung Althoffs rechnen, den diese Fragen selbst sehr berührten. Wenn Althoff-selbst Juristauch die juristische Ausbildung als besonders gut für den Verwaltungsdienst geeignet ansah, so war er doch kein Verfechter des "Juristenmonopols" und des "Assessorismus", Tendenzschlagworte, die von seiten der Techniker immer wieder ins Feld geführt wurden. Das alte Problem des Antagonismus von "Fachverstand" und "juristischem Denken" in der Verwaltung hat ihn, der sich selbst so oft über rein juristische Verwaltungsnormen hinwegsetzte und dem Fachwissen großen Einfluß einräumte, nachhaltig beschäftigt, und er hielt es für eine veraltete Auffassung, daß die höhere Verwaltungslaufbahn nur den Juristen offenstehen sollte. Die in den bestehenden Laufbahnbestimmungen und Ausbildungsvorschriften begründete Zurücksetzung der Techniker hinter den Juristen, eine ständige Klage der Ingenieure, empfand auch Althoff durchaus als ungerecht, und er hat selbst nach Mitteln gesucht, um Vgl. seine Erlanger Antrittsrede aus dem Jahre 1870. Im Jahre 1898; UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22. 58 Etwa technische Mechanik, Wärmekraftmaschinen, Elektrotechnik, vgl. Klein-Riecke, Überangewandte Mathematik u. Physik, a. a. 0. 57 Lorenz v. Stein, der Schöpfer der modernen Verwaltungslehre, hatte in den 70er und 80er Jahren scharfe Kritik am "Verwaltungsmonopol" der Juristen geübt und sich gegen das "herrschende Prinzip" in Deutschland gewandt, daß der wirtschaftlich oder naturwissenschaftlich-technisch gebildete Fachmann nur zu einem beschränkten Berufe, der Jurist aber zu allen Be54

55

6. Kleins Bemühung um Wirkung und Ausweitung seiner Bestrebungen 203

hier Änderungen herbeizuführen. Die Forderung, daß auch den Ingenieuren der Zutritt zur höheren Verwaltungslaufbahn offenstehen müsse, sahen diese selbst als Fortsetzung des Kampfes um die Gleichberechtigung der realistischen mit der klassischen Bildung an, als eine notwendige Folge aus ihrem Ringen um die Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten. Gelegentlich bezeichnete Althoff es in drastischer Art als "Skandal", daß kein mathematisch oder technisch vorgebildeter Beamter im Ministerium tätig sei, und sprach von dem "schreienden Unrecht", daß die als Fachleute ins Ministerium berufenen Persönlichkeiten dort hinter den "Assessoren" rangierten58• Die längst von seiten der Technischen Hochschule und der Ingenieurvereine vorgebrachten dringenden Wünsche nach einem entsprechenden Ausbau der Technischen Hochschule in den staats- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer, ebenso in den juristischen Disziplinen hat er von diesen Überlegungen her ins Auge gefaßt. Mit seiner Unterstützung wurde seit 1902 die schon seit langem geforderte Fachrichtung der "Verwaltungsingenieure" in die Prüfungsordnung der Technischen Hochschule Berlin aufgenommen50• Umgekehrt war er mit Klein überzeugt von der Notwendigkeit technischer Kenntnisse für den Juristen. Auf rufen (in der Verwaltung) fähig sei. Sein Plan wollte die Technischen Hochschulen ebenso wie andere Hochschulen, durch ihre von ihm geforderte Eingliederung in eine zu begründende große staatswissenschaftliche Fakultät an den Universitäten für die Ausbildung der Verwaltungsbeamten heranziehen. (Gegenwart und Zukunft der Rechts- und Staatswissenschaft Deutschlands, Stuttgart 1876, S. 338; ferner: Die staatswissenschaftliche und die landwirtschaftliche Bildung, Breslau 1880, S. 49 ff.). Schon vor Lorenz v. Stein hatte auch Robert von Mohl, ebenfalls von der Kritik eines einseitig juristischen Ausbildungsganges ausgehend, eine gesonderte Ausbildung der Verwaltungsbeamten verlangt und für sie "übersichtliche" Kenntnis der wichtigsten technischen Fächer gefordert. Neben der Universität hatte er ebenso die Polytechnische Schule zur Bildungsstätte für die höheren Verwaltungsdienste bestimmt. (Staatsrecht, Völkerrecht u. Politik, Bd. II, Freiburg 1860, S. 445) An solche Ideen knüpften die Techniker und T. H. mit dieser Forderung an. 58 Vgl. A. Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk, a. a. 0., S. 306. 59 Der Verwaltungsingenieur, ein Fachtechniker mit der zusätzlichen Ausbildung in den Wirtschaftswissenschaften und im Verwaltungsrecht, sollte in der Amtslaufbahn gleichberechtigt neben den Verwaltungsjuristen treten. Dieser Fachrichtung war allerdings kein Erfolg beschieden, und die daraus hervorgegangenen Ingenieure sind nicht in die Staatsverwaltung aufgenommen worden. Die ständige Forderung der Techniker nach dem ,.Eintritt. der Erfahrungswissenschaftlichen Intelligenz" in die Verwaltung blieb aber bestehen. Vgl. W. Franz, Der Verwaltungsingenieur, München 1908; derselbe, Ingenieurstudium und Verwaltungsreform, Berlin 1909, desgl. K. Köllmann, Ingenieur und Verwaltung, in: Der Ingenieur, Frankfurt 1908, Sammlung sozialpsychologischer Monographien, "Die Gesellschaft", Bd. 22, hrsg. v, Martin Buber. Der VDI und andere technische Vereine richteten seit 1909 erfolglos mehrere Eingaben an das preußische Innenministerium, in denen eine gesetzliche Anerkennung der T. H. als Bildungsstätte für höhere Verwaltungsbeamte beantragt wurde, vgl. Stahl und Eisen, 1910, S. 1035, desgl. Zs. VDDI, 1911, s. 153 f.

204

III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

seine Veranlassung verfaßten Klein und Lexis eine besondere Denkschrift über diese Frage60. Neben allgemeinen technischen Vorlesungen für Hörer der Göttinger juristischen Fakultät - dazu wurden auf Kleins Antrag schließlich Professoren der Technischen Hochschule Hannover herangezogen61 - wünschte Althoff auch die Veranstaltung von technischen Ferien- und Fortbildungskursen für Justiz- und Verwaltungsbeamte62. Bei der Mehrheit der philosophischen und der juristischen Fakultät fanden solche Maßnahmen allerdings keine Gegenliebe. Klein und Böttinger mußten Althoff immer wieder ersuchen, hier amtlich einzuwirken, und es war bezeichnend, daß in den Beschwerden von Professor Lorenz, der die technischen Vorlesungen für Juristen hielt, bittere Klage über kleinliche Obstruktionen geführt wurde, über die totale Verkennung der Bedeutung der Technik und die völlig negative Stellung der Fakultäten, schließlich darüber, daß man stets nur formale, aber nie sachliche Einwendungen erhebe63. Klein war hier wie in allen Auseinandersetzungen bemüht, jede Polemik zu vermeiden, doch immer bereit, seine Auffassungen mit nüchterner, aber unnachgiebiger Sachlichkeit durchzufechten. Er war durchaus keine diplomatische Natur, und mit weicherer Hand und elastischerem Vorgehen hätte sicher mancher Widerstand beseitigt oder umgangen und dabei das gleiche Ergebnis erreicht werden können. Die Gegensätze zu den von ihm verfochtenen Tendenzen, sie kamen paradox genug von entgegengesetzten Seiten, hat er stets klar ins Auge gefaßt. Wiederholt hat er hervorgehoben, daß die prinzipielle und konsequente Absonderung von allen Beziehungen technischer Lehre und Praxis an den Universitäten erst die Entwicklung seit den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts gewesen sei. Er meinte jetzt festzustellen, daß es an den Universitäten eine Richtung gab, die mit dieser Entwicklung nicht nur zufrieden war, sondern strebte, sie noch radikaler und einseitiger zur Geltung zu bringen in Furcht um die "reine Wissenschaft" und den "wissenschaftlichen Idealismus". Durch diese Richtung, die nach seiner Ansicht ursprünglich in einzelnen Kreisen der philosophischen Fakultät erwachsen und anfangs nur dort vertreten wurde, hatte sich weitgehend die Anschauung herausgebildet, jene Grundsätze als allgemeine Regeln für den Bestand der Universität überhaupt hinzustellen. Klein hielt das vor allem für abwegig, weil die "oberen Fakultäten" ihre Studierenden seit je direkt für bestimmte praktische Berufe vorbereiteten und von einer Mitberücksichtigung der praktischen Verhältnisse auch niemals abgewichen waren. 60 Der darauf bezügliche Briefwechsel und Denkschrift v. 9. 8. 1900, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 302 u. UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI E. st UAG Phil. Fak. 4 V f/20 (D). ti 2 Protokoll der Generalversammlung der G. V. vom 17. 12. 1900. Ra Lorenz an den Kurator 28. 5. 1903, UAG Kuratonalakten 4 V h li.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

205

Ohne den Ursachen im einzelnen nachzuspüren, hat er den Einfluß des Neuhumanismus als für die genannte "Richtung" verantwortlich angesehen und unmißverständlich dargelegt, daß sie seinen eigenen Überzeugungen widerstritt. Zusammen mit Eduard Riecke schrieb er: "Es scheint uns keineswegs im allgemeinen Interesse zu liegen, daß ein geschlossenes Gelehrtenturn sich von den übrigen Kreisen des Lebens völlig abtrennt, vielmehr erblicken wir das Heil des Ganzen in einer gesunden Wechselwirkung der verschiedenen Berufstände64 ." In seinen privaten Aufzeichnungen findet sich die Notiz, daß er von der Aufgabe durchdrungen sei, die "soziale Seite der Wissenschaft", der Gelehrten und der Hochschulen immer mehr in Betracht zu ziehen65 • Klein leugnete nicht, daß es an den Universitäten immer Gelehrtenpersönlichkeiten von ausgeprägter Eigenart geben werde und auch geben sollte, die in ausschließlicher Konzentration auf abstrakte wissenschaftliche Probleme ihren Lebenszweck erfüllen, aber er fand, daß sich die Institution als Ganzes eine allgemeinere Betätigung sichern müsse, schließlich hielt er die Universität auch für umfassend genug, um verschiedene Richtungen nebeneinander einzuschließen. Der Widerspruch von seiten der Technischen Hochschule war von ganz anderer Art. Klein verstand ihn von dem Konkurrenzkampf her, den sie führen mußte, um die Gleichberechtigung neben der Universität zu erringen. Er sah diesen Widerspruch nur als Ausdruck vorübergehender Stimmungen, nicht begründet in sachlichen Momenten von größerem Gewicht. An der vollen Anerkennung seiner Ziele durch die Technische Hochschule in der Zukunft zweifelte er nicht. Es sollte indessen gerade von dieser Seite erneut zu einem scharfen Angriff auf seine Bestrebungen kommen, der ihn endgültig zwang, sie enger zu fassen und seine Göttinger Unternehmungen in ihrem Wirkungsbereich gegenüber den Technischen Hochschulen genauer abzugrenzen. 7. Die Abgrenzung der Bereiche von Technischer Hochschule und Universität a) Die Angrifte Slabys und die Intervention des Kaisers

Im Zusammenhang mit den parlamentarischen Debatten über die Schulreform und die Berechtigungsfrage der drei höheren Schularten1 im Frühjahr 1900 kam es im preußischen Herrenhaus zu einer aufsehenF. Klein u. Ed. Riecke, Über angewandte Mathematik und Physik, a. a. 0 .,

64

s. 251 f. 65

1

Notiz aus dem Jahre 1896, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 22. Vgl. W. Lexis, Die Reform des höheren Schulwesens in Preußen, Halle

1902.

206

III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

erregenden Rede des Professors der Berliner Technischen Hochschule, Adolf Slaby, in der dieser Kleins Göttinger Einrichtungen und die damit verfolgten weitausgreifenden Ziele auf das schärfste angriff2• Nun hatte es, wie schon gezeigt wurde, in den vorangegangenen Jahren von seiten der Ingenieure an entschiedener Ablehnung gegenüber Kleins Plänen nicht gefehlt. Er hatte vergeblich versucht, diese Widerstände zu überwinden, sie veranlaßten ihn zur Modifizierung seines Vorgehens, aber keineswegs zur Aufgabe seiner Pläne. Es zeigte sich, daß die heftige Attacke Slaby ernster genommen werden mußte. Die Besonderheit seiner Angriffe lag nicht so sehr in ihrer Verbindung mit der allgemeinen Schulfrage oder darin, daß sie im Herrenhaus vorgebracht wurde, sondern vor allem in der Person des Redners und dem großen Einfluß, der ihm in diesem Punkt zugesprochen werden mußte. Es stellte sich für Klein und die Göttinger Vereinigung sogleich heraus, daß es sich hier um den für das Fortbestehen ihrer Unternehmung weitaus gefährlichsten Angriff handelte. Slaby war von der "wirtschaftlichen" und "nationalen" Bedeutung der Schulfrage ausgegangen, hatte recht geschickt vor "diesem hohen Haus, in welchem der Grundbesitz so hervorragend vertreten ist", die "hohe Intelligenz auf den Gütern unseres Landes" gerühmt und Ausbildung und Technik für Lebensfragen der Landwirtschaft und als entscheidend für die Beseitigung ihrer Notlage erklärt. Gestützt auf die "Weltpolitik unseres erhabenen Kaisers" und durch die Technische Hochschule als treibende Kraft und förderndes Element könne Deutschland jetzt auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet mit dem Ausland in die Schranken treten3 • Nichts liege näher als die Folgerung, weiter alles zu tun, um der Technischen Hochschule, diesem wichtigen Kulturfaktor, mehr als bisher Entwicklungsmöglichkeiten zu verschaffen und dabei alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Indessen, so führte er aus, "sie stehen jetzt an einem kritischen Wendepunkt ihrer Entwicklung, vor der akuten Gefahr, ihr wissenschaftliches Übergewicht gegenüber dem nachdrängenden Ausland zu verlieren". Mit starken Worten beschwor Slaby die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und "nationalen" Folgen. Eine ständig wachsende Gefahr drohe aber nicht nur aus dem Ausland, sie bestehe auch im Inland selbst. Von Göttingen ausgehend und begründet von dem "hervorragenden Mathematiker" Felix Klein, sei inzwischen z Rede Adolf Slabys in der 7. Sitzung des Herrenhauses vom 30. März 1900. Sie wurde in den meisten technischen Zeitschriften abgedruckt, erlangte aber auch darüber hinaus Verbreitung in Verbindung mit der damals weite Kreise beschäftigenden Schuldebatte. Hier zitiert nach "Stahl und Eisen", Jg. 1900,

s. 502 ff.

3 Slaby forderte in diesem Zusammenhange die Angliederung von landwirtschaftlichen Abteilungen an die T. H. Sie gab es bis dahin nur an der Münchener Hochschule.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

207

eine Entwicklung in Gang gekommen, geeignet, die gesamte Technik und die vitalsten Interessen der Technischen Hochschule auf das empfindlichste zu schädigen. Zwar habe Klein auf vorausgegangene Beschwerden der Techniker seine umfassenden Pläne scheinbar zunächst reduziert, was jetzt aber in Göttingen tatsächlich bereits vorhanden sei und noch aufgebaut werde, und angesichts von Kleins öffentlichem Hervortreten, könne nicht bezweifelt werden, daß man hier die ursprünglichen Absichten in vollem Umfange weiterbetreibe und noch immer daran festhalte, der Universität die Bildung der "Generalstabsoffiziere" zu sichern, den Technischen Hochschulen dagegen nur die Ausbildung der "Frontoffiziere" der Technik zu überlassen. Das bedeute eine Degradierung der Hochschulen, eine unheilvolle Zersplitterung der technischen Bildung und ihrer Unterrichts- und Forschungsmittel, ohne daß an den Universitäten etwas Sinnvolles dabei herauskomme, zumal die bisher ihnen allein vorbehaltene Ausbildung für das höhere Lehramt4 und die notwendige Bezugnahme auf die Technik an den Technischen Hochschulen besser und leichter geleistet werden könne. Daß die Ziele Kleins von Vertretern der Großindustrie gefördert würden, sei nur dadurch zu erklären, daß man sich nicht über die Tragweite dessen im klaren sei, was man damit anrichte. Slaby malte die Gefahren für die Technische Hochschule vor allem deshalb in so dunklen Farben, da, wie er feststellte, die von Klein inaugurierte "Bewegung" sich auszubreiten beginne und man bereits an anderen Universitäten entsprechend den Göttinger Anregungen die Gründung technischer Institute erwäge. "Einig mit allen Gliedern der deutschen Technischen Hochschulen", richtete er an den anwesenden Kultusminister Studt die dringende Bitte, solche Bestrebungen nicht länger zu fördern. Slaby sah in ihnen einen Anschlag auf die Würde und Einheit der Technischen Hochschule, eine schwere Beeinträchtigung der "höchsten Aufgaben unserer eigensten Wissenschaft", die nur noch zu ihrem Schaden wieder in vereinzelte Universitätsgebiete "zerbröckelt" werden könnten. Wenige Monate vorher hatten die Technischen Hochschulen mit der Verleihung des Promotionsrechtes in ihrer äußeren Stellung die volle Gleichberechtigung mit den Universitäten erreicht; das hatte ihr Selbstbewußtsein beträchtlich gehoben und sie nur ermutigt, ihre volle Gerechtsame zu verteidigen. Gerade auf der Centenarfeier der Technischen Hochschule Berlin hatte Klein aber seine weitreichenden Absichten öffentlich verkündet und war eben damit auf das alte Mißtrauen und die besondere Empfindlichkeit vieler Vertreter der Technischen Hochschule gestoßen5 • Jedenfalls sah man hier auch nach dem gerade errun~ 5

Das galt nur für Preußen. Klein berichtete über seine Teilnahme an der Feier, daß die .,Charlotten-

208

III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

genen Erfolg in der von Klein für die Universitäten erhofften Entwicklung nach wie vor eine Schädigung der eigenen Stellung. Es schien, daß der Antagonismus zwischen Technischer Hochschule und Universität nie stärker gewesen war als gerade jetzt, wo man mit dem Promotionsrecht der Techniker die äußere Ungleichheit der beiden Anstalten überbrückt zu haben glaubte. Der vorausgegangene Kampf gegen den einmütigen Widerstand der Universitäten wirkte noch nach. Es wäre für Klein leicht gewesen zu versuchen, die Befürchtungen der Ingenieure, wie schon zuvor, zu zerstreuen und den Angriffen Slabys mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten, er wußte aber, daß hier mehr Leidenschaft als Besonnenheit im Spiele war, ungeachtet seiner vielen persönlichen Begegnungen mit Slaby und anderen hervorragenden Ingenieuren. Die Quelle solchen Mißtrauens lag für ihn in dem Umstande, daß Universität und Technische Hochschule bisher überhaupt ohne nähere Kontakte geblieben waren und daß sich, wie Klein meinte, eine solche Menge von Unmut und Mißverstehen zwischen beiden angehäuft hatte, daß auch alle individuellen Momente daneben verschwanden. In persönlichen Briefen an Klein brachte Slaby zum Ausdruck, daß die in Göttingen eingeleitete Entwicklung alle Bemühungen, die Technischen Hochschulen "zu geistiger Ebenbürtigkeit" mit den Universitäten emporzuheben, auf das schwerste schädigen müsse und vieles wieder in Frage stellen werde, "was wir uns mühsam erkämpft habene. Bei Althoff beschwerte er sich, daß eine Ausdehnung der Göttinger Bestrebungen auf andere Universitäten befähigte Professoren von den Technischen Hochschulen abziehen werde. Weniger von reinen Unterrichtsaufgaben belastet als dort, würden sie sich an der Universität mehr der Forschung widmen können und den Technischen Hochschulen den Rang ablaufen, zum Nachteil für die technische Wissenschaft7 • Wichtiger aber war, daß Slaby jetzt beim Kaiser selbst intervenierte und ihn auf die, nach seiner Ansicht, gefährliche Beeinträchtigung der Technischen Hochschulen aufmerksam machte. Schon während der Auseinandersetzungen um das Promotionsrecht hatte er erfolgreich seine engen Beziehungen zu Wilhelm II. ins Spiel bringen können, und er wußte sehr wohl, daß er bei der bekannten Vorliebe des Kaisers für die Technik und seiner gerade so sichtbar dokumentierten Anerkennung und Auszeichnung der Technischen Hochschulen ein geneigtes Ohr finden würde. Slaby war 1898 "auf Grund allerhöchsten Vertrauens" als burger Herren" ihn zwar sehr zuvorkommend empfangen hätten, ihm aber nach seiner Rede mit betonter Kälte und Zurückhaltung gegenübergetreten wären. 6 Slaby an Klein, 2. 4. 1900, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 106, von Klein zur Kenntnisnahme an Althoff gesandt. 7 Slaby an Althoff, 24. 4. 1900, ebd.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

209

Vertreter der Berliner Technischen Hochschule in das Preußische Herrenhaus berufen worden8 • Als Professor der Elektrotechnik und Direktor des elektrotechnischen Labors beschäftigte er sich vor allem mit der drahtlosen Telegraphie. Wiederholt hatte er vor Wilhelm II., der ihn oft selbst in den Räumen der Hochschule besuchte, Experimentalvorträge über "neueste naturwissenschaftlich-technische Erfindungen" gehalten9 , und häufig wurde er vom Kaiser in kleinem Kreise an den Hof gezogen und zu Jagden und Reisen eingeladen. Für alle Angelegenheiten der Technik und der Hochschulen besaß Slaby das Vertrauen des Kaisers, der sich von ihm etwa besonders in den Fragen der Schulreform und der technischen Bildung beraten ließ10• Mehr geschickter Experimentator als anerkannter Mann der Wissenschaft11 , war er jedenfalls ein Techniker ganz nach der Vorstellung und dem Herzen Wilhelms II. Dieser hielt ihn für einen der bedeutendsten deutschen Techniker und hat ihn wiederholt besonders ausgezeichnetu. Slaby erklärte ihm, daß die von Klein ausgehende Entwicklung die Univeristäten zu Konkurrenten der Technischen Hochschulen auf ihrem ureigensten Arbeitsfelde machen würde. Von "allerhöchster Stelle" wurde daraufhin sogleich ein entsprechender Bericht des Kultusministers über die Bestrebungen Kleins und die in Göttingen geschaffenen Neueinrichtungen angefordert mit der Maßgabe, die hier aufgetretene Diskrepanz zu beseitigen. Gleichzeitg erhielt Eugen Meyer, der Leiter des Göttinger technisch-physikalischen Institutes, auf Slabys Betreiben einen Ruf an die Berliner Technische Hochschule. Es war klar, daß damit die "großen technischen Laboratorien" in Göttingen, wie er sie in seiner Herrenhausrede genannt hatte, empfindlich getroffen werden sollten. Klein und Böttinger waren zunächst geneigt, den Angriffen Slabys keine besondere Bedeutung beizulegen. Böttinger war der Ansicht, daß sie nur geeignet seien, die Göttinger Vereinigung nur noch bekannter zu machen, und erwartete, daß jetzt die Universitäten, insbesondere die Göttinger philosophische Fakultät, ge" zwungen würde, soweit man sich dort bisher ablehnend oder indifferent verhalten hatte, ausdrücklich das Recht der Universität zu wahren und "für uns einzutreten" 13• Althoff dagegen sah deutlicher, daß mit Slaby 8 Vgl. weiter unten. • "Die vorS. M. gehaltenen Vorlesungen an d. T. H. Berlin", DZA Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. 6, Nr. 22. 10 Vgl. Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten aus dem Jahre 1878-1918, 1922, s. 163. 11 So beurteilte man Slaby in Fachgutachten, die Althoff über ihn eingeholt hatte. DZA Rep. 92 NA B Nr. 177. 12 Zum Verhältnis Slabys zu Wilhelm Il., vgl. Riedler, Wirklichkeitsblinde in Wissenschaft und Technik, Berlin 1919, S. 126 f. und derselbe: Emil Rathenau und das Werden der Großwirtschaft, Berlin 1916, S. 236 f. 13 In diesem Sinne äußerte er sich auch gegenüber Kultusminister Studt,

U

Manegold

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IU. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

unbedingt eine Einigung erzielt werden mußte, sollten nicht die schon erreichten Ansätze wieder scheitern. Die bis dahin von seiten der Universitäten erhobenen Einwände mußten hier leichter wiegen und waren eher zu paralysieren als die Angriffe der Techniker, die der Zustimmung des Kaisers sicher sein konnten. Klein verfaßte eigens eine Entgegnung auf Slabys Rede, die er sofort als besondere Broschüre veröffentlichte. Hier verwahrte er sich gegen Vorwürfe, die Technische Hochschule schädigen zu wollen, und bestand vor allem auf dem Recht der Universität, sich alles anzugliedern, was sie im Interesse ihrer Lehrzwecke und ihrer wissenschaftlichen Aufgabe für nötig halte, schließlich könne Konkurrenz im Bereich der Wissenschaft nur nützlich sein14• Zugleich hoffte er, die einflußreichsten industriellen Mitglieder der Göttinger Vereinigung, Böttinger, Rieppel und Präsident Bödicker, zu veranlassen, nach Absprache mit Althoff dem Kaiser persönlich über die Göttinger Intentionen und Ziele Vortrag zu halten. Durch einen solchen Schritt sollte bewiesen werden, daß die Industrie selbst eine Verbindung von Technik und Universität fordere und eine weitgehende Entwicklung und Berücksichtigung der angewandten Fächer wünschte, ganz unbeschadet aller Interessen, durch die sie andererseits mit den Technischen Hochschulen verknüpft war15• Althoff stimmte grundsätzlich zu, gab aber zu verstehen, daß es bei den engen Beziehungen Slabys zum Kaiser und der zu dieser Zeit besonders wohlwollenden Haltung des letzteren gegenüber den Wünschen der Techniker unbedingt erst zu einer Übereinkunft mit Slaby kommen müsse. Für ihn selbst war die ganze Angelegenheit von großer Bedeutung im Hinblick auf sein eigenes Verhältnis zu Wilhelm II. Andererseits mußte nach den vorausgegangenen lebhaften Auseinandersetzungen über das Promotionsrecht um jeden Preis vermieden werden, daß ein neuer Streit zwischen Universität und Technischer Hochschule in die Öffentlichkeit getragen wurde und neue Unruhe in den beteiligten Kreisen hervorrief. Noch waren die Wunden des vorangegangenen Kampfes16 keineswegs vernarbt. Althoff entfaltete deshalb eine große Aktivität und bot seinen ganzen Einfluß auf, um so schnell wie nur möglich den Streit beizulegen, ohne daß dabei Kleins Ziele völlig aufgegeben werden mußten. Durch Lexis veranlaßte er Presseartikel, in denen mit Bezug auf Slabys Angriffe Kleins Ziele und die Göttinger Bestrebungen ausdrücklich begrüßt und die Besorgnisse der Technischen Hochschule als unbegründet darnicht ohne darauf zu verweisen, daß inzwischen die "vornehmsten Industriellen" für die G. V. gewonnen seien. (Böttinger an Klein, 9. 4. 1900, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI E) 14 Antwort auf die von Prof. Slaby in der Sitzung des Preußischen Herrenhauses vom 30. März 1900 gehaltenen Rede, Leipzig 1900. 15 An Althoff, 20. 4. 1900, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 106. 10 Vgl. weiter unten.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

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gelegt wurden, mit der Folgerung, daß es für das Gedeihen beider Anstalten nur den Weg einer freien Entwicklung, des friedlichen aber freien Wettbewerbs geben könne17 • In dem auf kaiserliche Anordnung angeforderten Bericht über die "Einrichtungen für technischen Unterricht an der Universität Göttingen"18 hatten Klein und Lexis mit dem Hinweis darauf, daß der Unterricht in "gewissen Zweigen der technischen Wissenschaften" an der Göttinger Universität schon seit den ersten Jahren ihres Bestehens eine Stelle gefunden habe, ausgeführt, wie einerseits die Technischen Hochschulen ihre Eigenart immer kräftiger und erfolgreicher ausgestalteten, während die Universitäten zunehmend die Neigung zeigten, sich mehr und mehr auf das Gebiet der abstrakten Wissenschaft zurückzuziehen, ihre Berührungspunkte mit der Praxis und dem "modernen Leben" zu vermindern und so dazu beitrügen, daß eine beklagenswerte Zweiteilung der höchsten wissenschaftlichen Bildung entstand. Die hieraus entsprungenen Mißstände und Gegensätze seien zum Anlaß geworden, auf die Einrichtung eines in angemessenen Grenzen gehaltenen wissenschaftlich-technischen Unterrichts an der Universität hinzuarbeiten. Wenn man in optimistischer Unterschätzung der Schwierigkeiten bisher weitergehende Pläne verfolgte, so habe die Erfahrung jetzt die engen Grenzen gezeigt. Die bestehende Organisation und das wirklich Erreichbare solle künftig nur dem bescheidenen Zweck dienen, nachweisbaren und fühlbaren Bedürfnissen zu genügen, ohne den Bereich der Technischen Hochschule zu beeinträchtigen. Man wolle keine Ingenieure ausbilden, sondern nur diejenigen Studenten, die zur Ergänzung ihrer Fachstudien technische Kenntnisse und eine richtige, lebensvolle Anschauung vom Wesen der Technik nötig hätten, an der Universität die Möglichkeit bieten, sich diese Anschauung auch zu erwerben. Das war nun ganz darauf abgestellt, den Kaiser und die Techniker zu überzeugen, daß es zu keiner schädlichen Konkurrenz und zu keinem Übergriff in das Gebiet der Technischen Hochschule kommen werde. Mit um so größerem Nachdruck wurde aber dafür innerhalb der "angemessenen Grenzen" die "von einsichtigen Vertretern der großen Industrie" längst anerkannte Notwendigkeit eines technischen Unterrichts an den Universitäten gefordert. Althoff ließ, ebenfalls durch Klein und Lexis, dazu eine besondere Denkschrift ausarbeiten18. Jetzt sollte gleichzeitig die Gelegenheit ergriffen werden, in dieser Frage allgemeine Richtpunkte aufzustellen: 17 Vgl. Universitäten und Technische Hochschulen, Leitartikel der "Kölnischen Zeitung" vom 23. 4. 1900. 18 DZA Rep. 92 NA AI Nr.106, auch als Anlage zum vertraulichen Sitzungsprotokoll der G. V. vom 17. 12. 1900. 18 "Über die Einrichtung von technischen Vorlesungen an Universitaten", Denkschrift vom 10. 4. 1900, DZA Rep. 92 ebd.

14°

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Juristen und Landwirte, Chemiker, Physiker und Lehramtskandidaten sollten durch technische Kenntnisse die Eigenart technischen Schaffens begreifen lernen. Ein entsprechender Unterricht für "Nicht-Techniker" werde auf den Technischen Hochschulen nicht geboten. Deshalb gälte es, an den Universitäten selbst eigene Einrichtungen zu gründen, die speziell auf den beabsichtigten Zweck abgestellt seien, ganz analog zu den besonderen Vorlesungen an den Technischen Hochschulen, etwa in den Wirtschaftswissenschaften, die dort auch in einer speziell für die Ingenieure zugeschnittenen Form abgehalten würden. Denken und Arbeiten des Technikers im "technischen Großbetrieb", so wurde hier festgestellt, unterscheide sich wesentlich von der Art der geistigen Tätigkeit und den praktischen Arbeitsbedingungen, wie sie die Ausübung eines "humanistischen Berufes" im allgemeinen aufweise. Das Bestreben solle deshalb darauf gerichtet sein, dem humanistisch vorgebildeten Studenten, den sein künftiger Beruf in nähere Beziehungen zur Technik bringen werde, ein Verständnis für die so ganz anderen Bedingungen unterworfene Tätigkeit des Technikers zu erschließen. Dafür sah man eine Einführung in einen bestimmten Zweig der Technik, etwa in den Maschinenbau, als geeignet und ausreichend an. Tatsächlich hielten Slaby, Riedler und andere Ingenieure bei dem bereits erreichten Umfange der technischen Fächer eine solche auf diese Weise erfolgende "Einführung" kaum für möglich. Immerhin konnte man der Absicht, "humanistische Berufe" näher an die Technik heranzuführen, nicht anders als zustimmen, gerade dies wollte Althoff zumindest erreichen. In einem gleichfalls von ihm eingeholten "neutralen" Gutachten hieß es, daß die Technik im Universitätsunterricht in einem sehr eingeschränkten Umfange als "Hilfswissenschaft" für gewisse Berufe durchaus berücksichtigt werden sollte. Für Mathematiker und Naturwissenschaftler, auch für Juristen könne sie zwar obligatorisch gemacht werden, Kleins Forderungen gingen aber zu weit, denn die "unverrückbaren Grenzen zwischen Technischer Hochschule und Universität werden dadurch berührt" 20 • Um den möglichst genauen Umfang des an der Universität erforderten technischen Unterrichts und dessen bestimmte Abgrenzung zur Technischen Hochschule festzulegen, ließ Althoff wiederum durch Klein und Lexis einen allgemeinen Lehrplan dafür aufstellen21 • Damit sollten die Befürchtungen eines Übergriffes auf das Gebiet der Technischen Hoch20 Gutachten des Regierungsrates Albrecht von Ihering vom 1. 5. 1900: "Über die Notwendigkeit der Abhaltung von technischen Vorlesungen an der Universität", DZA Rep. 92 ebd. 21 "Möglichst abgekürzter Lehrplan für den technischen Unterricht an den Universitäten" vom 1. 6. 1900, DZA Rep. 92 ebd., ebenso als Anlage zu dem vertraulichen Sitzungsprotokoll der G. V. vom 17. 12. 1900.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

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schulen endgültig entkräftet werden. Gleichzeitig wurde dadurch aber Kleins Forderung unterstrichen, auf allen Universitäten einen solchen Unterricht auch wirklich einzurichten. Er selbst bemühte sich angelegentlich um eine Verständigung mit Slaby und suchte ihn zu überzeugen, daß er immer nur von dem Wunsch erfüllt gewesen war, "die Technik in vollwertiger Weise an die Universität einzuführen und ihr dadurch insbesondere dasjenige Ansehen zu sichern, welches ihre Freunde nur wünschen müssen22 • Auf der Ende Mai 1900 stattfindenden Berliner Schulkonferenz, an der Klein und Slaby teilnahmen, erfolgte eine erste Annäherung. Es war dann wesentlich dem Geschick Althoffs zu verdanken, wenn bald darauf eine Einigung erzielt werden konnte23 • Anfang Juli 1900 kam er selbst zusammen mit Slaby zur näheren Verhandlung nach Göttingen, nachdem Klein den letzteren wiederholt vergeblich zum Besuch der dortigen Einrichtungen eingeladen hatte. Hier ist es schließlich zur Übereinkunft gekommen, die den Streit, soweit Slaby und die Technische Hoet'lschule daran beteiligt waren, formell beilegen sollte. Tatsächlich mußte Klein seine eigentlichen Ziele nun zurückstecken und sich damit bescheiden, zwar Wesentliches seiner Gedanken festzuhalten, aber die Form ihrer Verwirklichung in die engeren Grenzen der bestehenden Möglichkeiten einzufügen. In drei Punkten wurde eine Vereinbarung niedergelegt und von Slaby, Althoff und Kurator Höpfner sowie von Klein, Lexis und Eugen Meyer unterzeichnet. Das Schriftstück trug die Überschrift: Das Studium der technischen Wissenschaften, Vereinbarung über die Abgrenzung zwischen Technischen Hochschulen und Universitäten 24• Zusammengeiaßt hieß es darin: 1. Die wissenschaftliche Ausbildung der Ingenieure ist Aufgabe der Technischen Hochschulen, nicht der Universitäten. Dabei gehören die staatlichen Einrichtungen und Anstalten, die auf die wissenschaftliche Heranbildung von Ingenieuren berechnet sind, an die Technische Hochschule, und es ist mithin jeder Gedanke an eine Konkurrenz auf diesem Gebiete von vornherein ausgeschlossen.

2. Bei der großen Bedeutung der Technik für unsere Zeit scheint es erforderlich, daß den Studierenden der Rechtswissenschaft, den Aspiranten für das mathematische und naturwissenschaftliche Lehramt an höheren Schulen, den Chemikern und Physikern, die in die Indu22 Klein an Slaby 7. 5. 1900, Rep. 92 ebd. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, war aber ohne Zweifel als ernsthaftes Argument gemeint und kennzeichnete die Verhältnisse, wenn Klein nicht vergaß mitzuteilen, daß selbst sein eigener Sohn an einer T. H. Maschinenbau studiere und seine Tochter .,sogar" mit einem Elektrotechniker verlobt sei. 23 Briefwechsel Slaby-Althoff, DZA Rep. 92 B NA Nr. 177 Bd. 3. 24 Vom 8. Juli 1900, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 106.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

strie übergehen wollen, den Studenten der Land- und Forstwirtschaft, der Bergfächer, schließlich auch den Studierenden der Mathematik und Naturwissenschaften, die beabsichtigen, die akademische Laufbahn einzuschlagen, durch kurze, eigens dafür bestimmte Vorlesungen und durch Schaffung entsprechender Einrichtungen die Möglichkeit eröffnet wird, ausreichendes Verständnis für dieses Wissensgebiet zu erlangen. 3. Für die Lösung der unter 2 angeführten Aufgaben kommen sämtliche Hochschulen in Betracht, an denen sich Studierende der genannten Fächer befinden, in welchem Maße, bleibt eine Frage der örtlichen Verhältnisse und Gegebenheiten. Nach nochmaligen Verhandlungen im Ministerium wurde dieser Vereinbarung wenig später noch ein bezeichnender weiterer Punkt hinzugefügt: "Es ist Aufgabe der Unterrichtsverwaltung, wie allen Universitätslehrern, so auch den Professoren der Technischen Hochschule, die Möglichkeit zu selbständiger wissenschaftlicher Forschung durch entsprechende Einrichtungen und Anstalten zu gewähren. Diese Einrichtungen sollen jedoch an den Universitäten erst geschaffen werden, wenn die Forschungsstätten an den Technischen Hochschulen beziehungsweise die Erweiterung der bestehenden ins Leben getreten sind." Man erkennt die Einwände und Befürchtungen der Techniker, wenn darüber hinaus festgelegt wurde: "Die anzustellenden entsprechenden Kräfte an den Universitäten sollen nicht lediglich oder vornehmlich ihre Zeit der technischen Forschung, sondern wesentlich der Lehrtätigkeit auf technischem Gebiete widmen25." Althoff bezeichnete das Ganze als "zweite Auflage des Aachener Friedens", und als "Göttinger Frieden". Damit schienen die Forderungen der Ingenieure endgültig erfüllt und die Gebiete beider Hochschulen hinreichend klar abgesteckt. Mit ausdrücklichem Bezug auf den "allerhöchsten Befehl" konnte Kultusminister Studt jetzt ausführlich an den Kaiser berichten28• Er habe den Bedenken der Techniker insbesondere des Geheimrates Professor Slaby beipflichten müssen. Kleins Bestrebungen seien unzweifelhaft zu weit gegangen. Inzwischen habe dieser aber seine ursprünglichen Absichten im Sinne der Technischen Hochschule sehr modifiziert. Andererseits sei tatsächlich in weiten Kreisen die Überzeugung durchgedrungen, daß die Technik ihrer heutigen Bedeutung entsprechend auch an den Universitäten eine gewisse Berücksichtigung finden sollte. Bei dieser Sachlage habe eine Verständigung über die dabei einzuhaltenden "Grenzlinien" gemäß den verschiedenen Aufgaben der Anstalten herDZA Rep. 92 ebd. Immediateingabe Studts nach dem Entwurf von Althoff vom 3. 10. 1900, DZA Rep. 92 ebd. 25 28

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

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beigeführt werden müssen. Dies sei nun unter verdienstvoller Mitwirkung der Professoren Slaby und Klein erfolgt und die ganze Streitfrage damit beendet, "wohlgeeignet gemäß der von Seiner Majestät ständig betonten Notwendigkeit auf die weitere Verbreitung technischer Kenntnisse hinzuwirken". Entsprechend beabsichtige das Ministerium, den Unterricht an beiden Hochschulen künftig weiter auszubauen. Der "Göttinger Friede" war der Immediateingabe beigefügt, und nur wenige Tage später ließ der Kaiser sein Einverständnis zu dieser Lösung mitteilen27• Der Versuch einer Abgrenzung der Bereiche von Technischer Hochschule und Universität, wie sie in der Vereinbarung ausgesprochen wurden, besaß zwar nicht den Charakter einer rechtsverbindlichen Abmachung, war aber, schon durch die amtliche Stellung Althaffs und nicht weniger durch die vorangegangene Intervention des Kaisers, mehr als eine private Übereinkunft der beteiligten Persönlichkeiten. Wenn sich auch Slaby zweifellos mehr in Übereinstimmung befand mit den allgemeinen Auffassungen der Technischen Hochschulen als Klein mit jener der Universitäten, keiner von ihnen konnte als deren amtlicher Sprecher angesehen werden. Die Verständigung über die "Grenzlinien" war dennoch auch von allgemeiner Bedeutung für das Verhältnis von Technischer Hochschule und Universität. Sie war vor allem eine erneute Bestätigung und Verstärkung der Eigenständigkeit der Technischen Hochschule, zog die Konsequenz aus der bisherigen und stellte für alle Beteiligten Leitsätze für die künftige Entwicklung dar. Von ihren Erfolgen beflügelt, schickte sich die Technische Hochschule an, mit größerer Entschiedenheit als bis dahin, auch bestimmte Grenzgebiete für sich zu fordern. Mit der formellen Beilegung des Streites kam es noch nicht im Kreise der Universität, aber doch aufseitender Techniker allmählich zu ruhigerer Einschätzung und Beurteilung der Ziele Kleins. b) Eine "Akademie der technischen Wissensdlaften"

Im Zusammenhang mit der Göttinger Vereinbarung über die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität im Hinblick auf einen technischen Universitätsunterricht war noch ein anderes wichtiges Thema berührt worden. So hatte Althoff eigenhändig auf dem Schriftstück den weiteren Zusatz angefügt: "Die Frage der technischen Aufgaben der Akademien der Wissenschaften, insbesondere auch der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaft ist ausdrücklich völlig unberücksichtigt geblieben28." Tatsächlich war es ebenfalls zu Verhandlungen über Kleins altes Projekt einer Ausweitung der Aufgaben der Akademie 27 Der Chef des geheimen Civilkabinetts von Lucanus an Kultusminister Studt, 9. 10. 1900, DZA Rep. 92 ebd. 28 Vereinbarung vom 2. 4. 1900, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 106.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

und einer Einbeziehung der Technik in den Kreis der Akademiewissenschaften gekommen. Wie schon bekannt, bildete dieses Problem für Klein die sinnvolle Ergänzung seiner auf Technische Hochschule und Universität gerichteten Ziele. Seine Tätigkeit für ein internationales Akademiekartell und für die engere Verbindung der deutschen Akademien hatten ihn wiederholt veranlaßt, sich allgemein mit der Wirksamkeit der Akademien zu beschäftigen. Althoff stimmte ihm darin zu, daß die Akademiewissenschaft "eine allzu zarte Pflanze" sei2~, solange sie wie bisher in ihrer esoterischen Stellung verharre. Die Reform der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaft im Jahre 1892 war zwar nicht zuletzt auf Kleins Forderungen hin durchgeführt worden, er hatte dabei aber vergeblich für eine Berücksichtigung der technischen Disziplinen gekämpft. Seitdem war dieses Thema von ihm immer wieder zum Gegenstand von Besprechungen mit Althoff und zu Eingaben an das Ministerium gemacht worden. Bestärkt von dem erfolgreichen Beginn seines Göttinger technischen Institutes, hatte Klein im Jahre 1898 erneut die Einrichtung einer technischen Klasse für die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften vorgeschlagen30• Althoff, der sich selbst von traditionellen Auffassungen nicht behindern ließ, wußte freilich, daß dies nach dem Selbstverständnis der Akademien ein höchst diffiziles Problem war und daß eine Verwirklichung solcher Vorschläge, so sehr er deren Berechtigung anerkannte, sich noch als weitaus dorniger erweisen würde als die Einrichtung technischer Forschung und technischen Unterrichtes an der Universität. Hier mochte seine Auffassung auch der Bestimmung Wilhelm von Humboldts entsprechen, daß die Beschaffenheit der Universitäten enger mit dem unmittelbaren Interesse des Staates verbunden waren, während die wissenschaftlichen Zwecke der Akademien "dem Staat als Staat" weniger nahelagen31 • Vor allem aber reichte sein eigener Einfluß auf diesem Gebiet nicht weit genug. Er hatte deshalb einen anderen Plan ins Auge gefaßt, mit dem er auch manchen Wünschen von seiten der Techniker entgegenkam: die Gründung einer selbständigen Akademie der technischen Wissenschaften. Idee und Bezeichnung waren an sich nicht neu. Bereits Johann Josef Prechtl hatte 1815 im Zusammenhang mit der Gründung des Wiener Polytechnischen Institutes davon gesprochen32, und wie man gelegentlich in bezug auf die Polytechnischen Schulen schon früh die Bezeichnung "technische Universität" gebraucht hatte, so war, wenn auch in UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. DZA Rep. 92 NA B 92. 31 Vgl. W. v. Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wiss. Anstalten in Berlin, Fragment 1809/10, a. a. 0., Bd. X, S. 250. 32 Joh. Jos. Prechtl, Rede bei der ersten Eröffnung der Vorlesungen am k. k. Polytechnischen Institut in Wien, Wien 1815, S. 43. 29

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einem sehr allgemeinen Sinne, auch hin und wieder von einer "Akademie der technischen Wissenschaften" die Rede gewesen. Einen konkreten Inhalt bekam der Gedanke dann in Verbindung mit Erörterungen über die Notwendigkeit besonderer technisch-physikalischer Forschungseinrichtungen, Gründung eigener Institute für Materialprüfungen, Festigkeitsmessungen und "Präzisionsmechanik", Überlegungen also, die vor allem seit Anfang der siebziger Jahre diskutiert wurden und die der Errichtung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zugrunde lagen. Entwicklung und Anforderungen von Wissenschaft und Technik und Bedürfnisse der Industrie führten damit zur Gründung von "Hilfsinstituten" neben und außerhalb der Technischen Hochschulen. Es entsprach einer fortgeführten Parallelisierung von technischen und universitären Gebieten, wenn darüber hinaus und analog zu Humboldts Dreiteilung der wissenschaftlichen Einrichtungen in Universität, Akademie und HUfsinstitute auch die Schaffung einer in einzelne Klassen gegliederten Akademie der technischen Wissenschaften erörtert wurde als einer "ähnlichen Institution, wie sie auf den anderen wissenschaftlichen Feldern längst besteht" 33• Althoff trug sich mit dem Gedanken, an eine bestehende Einrichtung anzuknüpfen und die sogenannte "Akademie des Bauwesens" entsprechend umzuformen. Nach dem Zusammenschluß der Berliner Bau- und Gewerbeakademie zur Technischen Hochschule war es34 zur Auflösung der alten Institution der technischen Baudeputation beim bisherigen Handelsministerium gekommen, an deren Stelle trat die "Akademie des Bauwesens" beim neuen Ministerium für öffentliche Arbeiten35• Im Grunde eine rein bürokratische Einrichtung, die tatsächlich nur die Bedeutung hatte, dem Ministerium fachliche Gutachten über bestimmte, vorgelegte Fragen abzugeben, dazu von Fall zu Fall einberufen wurde und weder besondere Kompetenzen besaß, noch eigenen Drang zu selbständiger Initiative entwickelte. Urteile über eine mögliche Umformung, die Althoff zu Beginn des Jahres 1899 von Professoren der Technischen Hochschule Berlin einholte, fielen entsprechend negativ aus36• Klein stand einer solchen Lösung, seiner Auffassung entsprechend, ablehnend gegenüber und sah darin eine Fortführung der von ihm bekämpften Zweiteilung der höchsten wissenschaftlichen Anstalten, dazu angetan, die Kluft zwischen "reiner" Wissenschaft und Technik organisatorisch nur zu vergrößern. 33 Vgl. A. Martens, Was tut den techn. Wissenschaften not? Glasl:!rs Annalen f. Gewerbe und Bauwesen, 1883, S. 95 ff.; ferner 1879, S. 377; 1882, S. 133.

3~ 35 38

Durch Erlaß vom 7. Mai 1880. Vgl. Handbuch f. d. preuß. Staat, 1899, S. 187 ff. DZA Rep. 92 NA AI Nr. 180.

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Ill. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Inzwischen war aber auch ein Vorstoß von seiten der Techniker selbst unternommen worden. Als Professor Riedler im Sommer 1899 in seiner Eigenschaft als neu gewählter Rektor der Technischen Hochschule Berlin vom Kaiser empfangen wurde, trug er ihm unter anderem auch den Gedanken einer Akademie der technischen Wissenschaften vor37 • WHhelm II. nahm diese Anregung sogleich mit größter Anteilnahme auf und veranlaßte Riedler, die Gesichtspunkte eines solchen Planes genauer auszuarbeiten38• Noch unmittelbar vor der Centenarfeier der Berliner Technischen Hochschule, bereits in der Gewißheit, daß der Kaiser selbst das langerstrebte Promotionsrecht verkünden werde, legte Riedler dann durch Lucanus' 3~ Vermittlung eine entsprechende Denkschrift vor40• In sehr allgemeinen, wenig präzisierten Umrissen führte er aus, daß mit einer solchen Institution eine "oberste Instanz technisch-wissenschaftlicher Bestrebungen" geschaffen würde, die zugleich ein "Mittelpunkt aller volkswirtschaftlicher Zielsetzungen" sein müsse. Es entsprach den schon bekannten Forderungen Riedlers einer Verbindung von "Wissenschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeit" als Hauptaufgabe der Technischen Hochschulen, wenn er der Akademie unter der Zweckbestimmung der Förderung der technischen Wissenschaften eine "Vereinigung aller dem Staat und der Allgemeinheit dienenden Bestrebungen auf dem Gebiete der praktisch-schaffenden und wirtschaftlichen Tätigkeit" zuschrieb. Eine solche Umgrenzung sollte den Eingriff in bestehende Institutionen ausschließen. Umfang und Bedeutung dieser Gebiete ließen andererseits ihre Angliederung an die bestehenden Akademien der Wissenschaft auch keineswegs als ratsam erscheinen. Selbstverständlich fehlten auch hier nicht die massiven Hinweise auf das "nationale Interesse". Riedler betonte die "schwerwiegende Tatsache", daß Deutschland "übermächtigt" werde, wenn es nicht mehr als andere Länder Wissenschaft, Erfahrung und Wirtschaft vereinige und die technischen Anstalten in solchem Sinne fördere. Es war deshalb nicht erstaunlich, daß der Kaiser an Kultusminister Studt sein "ganz besonderes Interesse für diesen Gegenstand" mitteilen ließ41 und sogleich eine Stellungnahme des Ministeriums anforderte. Schon während der Jubiläums-' feier der Berliner Hochschule empfahl er Friedrich Alfred Krupp, sich des Projektes anzunehmen42 • 37 Vgl. A. Riedler, Wirklichkeitsblinde in Wissenschaft und Technik, Berlin 1919, s. 127. 38 Vgl. ebd. S. 138. ae Chef des Civilkabinetts. 40 "Über die Gründung einer Akademie der technischen Wissenschaften", Denksdlrift vom 12. Oktober 1899, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I Nr. 11. 4t DZA Rep. 76 V b, ebd. 4! Riedler, Wirklichkeitsblinde, a. a. 0., S. 137.

7. Die Abgrenzung von Technischer Hochschule und Universität

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Die entsprechend der Ausdehnung der Riedlerschen Konzeption zu beteiligenden anderen Ressorts43, denen Studt die Denkschrift mit dem Hinweis, daß vieles für diesen Plan spreche, zuleitete, betonten in ihren Stellungnahmen zwar einstimmig, die Technik müsse zweifellos gefördert werden, gaben aber zu bedenken, eine so weittragende Neuerung, wie es der Akademieplan darstelle, könne man erst erörtern, wenn ein genauer Entwurf vorgelegt werde. Nach Aufforderung durch Althoff reichte Riedler daraufhin eine neue Ausarbeitung des Planes ein44 • Hier berührte er den Zweck der Akademie jetzt so: "Sie ist eine Gesellschaft von Vertretern der Technik, welche die Aufgabe hat, die Anwendungen der Wissenschaft zu technischen Zwecken und überhaupt die weitere Entwicklung der Technik sowie ihre wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zur Kultur und zum Erwerbsleben, zum staatlichen und öffentlichen Leben nach allen Richtungen durch eigene Arbeiten und durch Unterstützung und Leitung zu fördern." Zu kommissarischen Beratungen des Planes zwischen dem Kultusministerium und den anderen Ressorts, wie sie Studt und Althoff anstrebten, kam es allerdings nicht. Dort lehnte man mit der Begründung ab, daß sich eine spezifische "technische Wissenschaft" gar nicht eindeutig bestimmen lasse. Alle naturwissenschaftlichen Disziplinen, die in dieses Gebiet fallen, sowurde argumentiert, gehörten aber in den Bereich der physikalisch-mathematischen Klasse der bestehenden Akademie der Wissenschaften, diese müßte gegebenenfalls erweitert werden. Riedler und mit ihm Slaby wollten die geplante Akademie als ein notwendiges Glied in dem weiteren Aufstieg der Technik verstanden wissen, als folgerichtigen Schritt entsprechend der Entwicklung der Technischen Hochschule. Sie betrachteten die Akademie aber auch als Mittel, das Ansehen der Ingenieure zu heben, und als weitere wichtige Voraussetzung einer angemessenen Bewertung der technischen Wissenschaft. Darüber hinaus gingen die Vorstellungen über Aufgabe und Organisation einer Akademie der technischen Wissenschaften bei den beteiligten Technikern allerdings weit auseinander45 • Sie reichten von der reinen gelehrten "Körperschaft" analog zu den alten Akademien der Wissenschaften, über eine engere "Interessenvertretung" der Technik bis zur Institution, in der auch die wichtigsten Industrien und ihre Verbände vertreten sein sollten, als einer Art technisch-wirtschaftlicher Generalstab mit dem Blick auf nationale Macht und internationale Geltung. Riedler selbst hatte zeitweise so etwas vor Augen gehabt. Trotz des lebhaften kaiserlichen Interesses, auf das auch Slaby in seinen VerhandFinanz, Handel und Öffentliche Arbeit. "Satzungen der Kgl. Akademie der technischen Wissenschaften", April 1900, DZA Rep. 76 V b ebd. 45 Vgl. Riedler, Wirklichkeitsblinde, a. a. 0 ., S. 142. 43

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Iungen mit Klein und Althoff hinweisen konnte, war dem unklaren Plan keine Zukunft beschert, und Studt versicherte bald auf wiederholte Anfragen des Ministers für öffentliche Arbeiten, daß man die Angelegenheit ruhen lasse48• Da eine Verwirklichung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten war, verlangte der Kaiser, von Slaby beeinflußt, schließlich wenigstens die Aufnahme von Vertretern der technischen Wissenschaft in die preußische Akademie der Wissenschaften, und Althoff hat sich vergeblich um Kandidaten bemüht, die von der sich sträubenden Akademie, der immerhin ein Werner von Siemens angehört hatte, akzeptiert wurden47 • Ohne Erfolg versuchte er auch mit Kleins Unterstützung, die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften zu bestimmen, Slaby zu ihrem auswärtigen Mitgliede zu ernennen. Das sollte einerseits gegenüber den Wünschen des Kaisers und gegenüber den Technikern als eine sinnfällige Geste erscheinen und zum anderen nach Althoffs Intention nicht weniger augenfällig den "Frieden" zwischen.Wissenschaft und Technik dokumentieren und bekräftigen. Im Hinblick auf den Einfluß, den Slaby durch seine Beziehungen zum Kaiser besaß, legte Althoff darauf den größten Wert und riet Klein wiederholt "allerdringendst", daß Slaby aus gegebenem Anlaß - dem einhundertfünfzigjährigen Jubiläum der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften- gewählt werden müsse48 • Es gelang allerdings nicht, die Wahl Slabys durchzusetzen, so sehr Klein, der vollauf die dafür sprechenden "Opportunitätsgründe" vertrat4~, sich auch einsetzte. Nicht bei den Vertretern der "verwandten" Fächer, sondern "gerade bei den anderen" sei der Widerstand nicht zu überwinden, so mußte Klein ihm mitteilen5l). Alles, was mit der Technik zu tun hatte, wurde hier nach wie vor mit äußerstem Mißtrauen angesehen. Die Ablehnung Slabys sei aus dem unnachgiebigen Vorwalten prinzipieller Überlegungen entsprungen, überhaupt aus einem scharfen Gegensatz gegen das ständige Hervortreten der Techniker51 • Althoff zeigte sich von der Ablehnung außerordentlich betroffen und drängte vergeblich sofort auf eine Wiederaufnhame der Angelegenheit durch die Gesellschaft52• Es war ihm darum zu tun, um jeden Preis einen DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I, Nr. 11. Kleins Freund, Karl Linde, lehnte eine Übersiedlung nach Berlin zu diesem Zweck ab, vgl. Linde, Aus meinem Leben, a. a. 0., S. 136. In der Akademie vertrat die Technik dann lediglich der Statiker Prof. Müller-Breslau von der BerlinerT. H. 48 Briefe Althaffs an Klein, Sept. bis Okt. 1901, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VI. 49 An Althoff, 14. 9. 1901, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 140. 50 Zur Wahl eines neuen Mitgliedes war eine 2 /a-Mehrheit notwendig. st An Althoff, 26. 10. 1901, ebd. 52 Sie sei aussichtslos, schrieb ihm Klein, die mathematisch-naturwissen48 47

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Ausdruck der Harmonie vorweisen zu können und den kaiserlichen Wünschen entgegenzukommen. Seine .,Befriedungspolitik" im Interesse einer weiteren angemessenen Entwicklung schien gefährdet. Auf sein Betreiben - hier konnte sich sein Einfluß gewichtiger auswirken - wurde Slaby schließlich, was bezeichnend genug war, zusammen mit Eugen Meyer53 zum Honorarprofessor der philosophischen Fakultät an der Universität Berlin ernannt. Wenn Klein schon einmal mit dem Bezug auf die fast zehn Jahre zurückliegende Reform der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften bekannt hatte, daß er hier die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erfahren mußte, so erschien die Ablehnung der Wahl Slabys zusammen mit seinem gleichzeitigen und wiederum vergeblichen Vorschlag einer Ausweitung der Gesellschaft54 jetzt insgesamt kennzeichnend für seinen aber auch für Althoffs offenbar endgültigen Mißerfolg, die Technik als Akademiewissenschaft zur Geltung und Anerkennung zu bringen55• 8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung a) Kooperation von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft

Universität und Technische Hochschule einander innerlich näherzubringen, blieb die Absicht Kleins und das Ziel der Göttinger Vereinigung. Nach Slabys Herrenhausrede und dessen Feststellung, daß die dort beteiligten Vertreter der Industrie unbewußt die Technischen Hochschulen und damit im Grunde sich selbst schädigten, befürchtete Klein ein negatives Echo in bezugauf den wünschenswerten Beitritt weiterer Industrieller, während Böttinger eher an günstige Auswirkungen glaubte. Klein stimmte mit ihm und Althoff darin überein, daß man nur bemüht sein sollte, ausgewählte, das hieß besonders "vornehme" und .,bedeutende" Industrielle für die Vereinigung zu gewinnen, Persönlichkeiten, die neben ihren notwendigen finanziellen Beiträgen auch in der Lage waren, die "ideellen" Zielsetzungen zu unterstützen. Von Anfang an gab es höchst unterschiedliche Reaktionen bei den angesprochenen Firmen. So lehnte die Stettiner Maschinenbau Aktiengesellschaft "Vulcan", eine der größten Werften und Maschinenfabriken Deutschlands, eine Beteiligung ausdrücklich mit der Begründung ab, schaftliehe Klasse sei zwar immer bereit, die Wünsche der anderen Klasse zu berücksichtigen, "aber ohne Reziprozität"; an Althoff, 30. 10. 1901, DZA, ebd. 03 Inzwischen Professor für Maschinenbau an der T. H. Berlin. 5~ Klein hatte erneut die "Ausweitung der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften auf Hannover, Braunschweig und die Hansestädte" vorgeschlagen. 55 In Preußen sind solche Versuche erst nach 1918 wieder aufgenommen worden.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

man unterhalte zu den Technischen Hochschulen, deren Aufgabe den Interessen der Industrie weitaus näherständen, so enge Beziehungen, daß man keine Bestrebungen fördern werde, die zum Schaden dieser Anstalten darauf gerichtet seien, parallele Lehrstühle für technische Wissenschaften an den Universitäten zu errichten1• Mit ähnlichen Argumenten lehnte später auch Rudolf Diesel einen Beitritt ab. Von dem ehemaligen SchülerLindesund inzwischen sehr berühmten Erfinder hatte sich Klein für die Göttinger Vereinigung einen wesentlichen Zuwachs an technischwissenschaftlicher Potenz verprochen. Diesel, selbst "durch und durch Techniker", begrüßte zwar die Bemühungen, an den Universitäten technisches Verständnis zu wecken, empfahl aber umgekehrt, daß man sich dazu die Einrichtungen der Technischen Hochschulen zugänglich machen sollte2 • Charakteristischer war etwa die Absage des Kölner Industriellen Langen', der darauf hinwies, Förderung der Wissenschaftseinrichtungen sei nicht die Aufgabe der Privatindustrie, sondern des Staates. Überhaupt stehe hier das industrielle Interesse in keinem Verhältnis zu dem geforderten finanziellen Aufwand4• Als Vertreter eines Werkes, das seinen Aufstieg der Auswertung weltbewegender technischer Erfindungen verdankte und durch technische Entwicklungen zur Bedeutung gekommen war, die ganz unabhängig zu sein schienen von der Hochschulwissenschaft5, hielt Langen Versuchswerkstätten der Industrie und firmeneigene Laboratorien für sinnvoller, rationeller und rentabler. Ohne Zweifel war dies eine vorherrschende Ansicht unter den deutschen Industriellen. Der Einsicht, daß die Begünstigung der naturwissenschaftlichen Forschung in hohem Maße eine Förderung der industriellen Interessen bedeute, wie sie Werner von Siemens, gleichermaßen erfolgreich als Techniker, Wissenschaftler und Industrieller, am vernehmlichsten ausgesprochen hatte8 , wollte man sich zwar nicht völlig verschließen, hielt dies aber vor allem für eine staatliche Pflicht, die Hochschulen aber waren reine Veranstaltungen des Staates. Noch war man hier nicht allgemein überzeugt, daß der "beste Weg auch zu praktisch wichtigen Entdeckungen darin besteht, zunächst unbekümmert um den möglichen Nutzen, neue Wahrheiten ans Licht zu ziehenM, und nur langsam dämmerte Vulcanwerft AG., Stettin an G. V., 24. 10. 1901, Cod. MS Nachlaß Klein III Diesel an Böttinger und Klein ebd. 3 Gasmotorenfabrik Deutz. 4 Anlage zum Sitzungsprotokoll der G. V. v. 6./7. 6. 1904. 5 Vgl. W. Treue, Eugen Langen und Nicolaus August Otto. Zum Verhältnis von Unternehmer und Erfinder, Ingenieur und Kaufmann, 3. Beiheft der "Tradition", Zs. f. Firmengeschichte u. Unternehmerbiographie, München 1963. 8 W. v. Siemens, Lebenserinnerungen, a. a. 0., S. 269 ff. 7 E. Du Bois-Reymond, Über Universitätseinrichtungen, Berlin 1869, S. 13. 1

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die Erkenntnis von der Korrelation zwischen dem Gleichmaß des Fortschrittes in der "reinen" Wissenschaft und in der zweckhaften Anwendung und Nutzung in Technik und Industrie, von der Zweckdienlichkeit nicht zweckgebundener Forsch1,mg. In der am sichtbarsten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden chemischen Industrie war diese Einsicht noch am ehesten vorhanden. Die Verknüpfung von systematischer Wissenschaft mit dem technisch-industriellen Interesse ging hier vor allem auf die Auswirkungen von Liebigs Tätigkeit zurück. In der Chemie hatte man von je begriffen, so fand Klein, daß es darauf ankam, die Dinge wissenschaftlich zu verstehen und sie auch wissenschaftlich zu beherrschen8 • Die Verbindung des wissenschaftlichen Fortschrittes mit dem wirtschaftlichen Erfolg hatte die chemische Industrie als neuen Typus geschaffen, in der die Wissenschaft längst zu einem konstitutiven Element geworden war. Linde, darin Siemens ähnlich, war Forscher, Techniker und Industrieller zugleich, und Böttinger, der Kleins Ideen am wirksamsten unter den Industriellen vertrat, war nicht zufällig ein Mann der chemischen Großindustrie. Wenn Klein von Beginn an erklärt hat, daß er den Kontakt mit der Technik, den die Universität auf dem Gebiete der Chemie schon besäße, gleicherweise auf dem Gebiet der Physik und Mathematik herstellen wollte und erwartete, daß nach amerikanischem Vorbild die Industrie selbst, nicht zuletzt in Anbetracht der zu erwartenden Vorteile, dabei behilflich sein werde, so hatte sich deutlich genug gezigt, daß die notwendige Einsicht dazu nur erst in sehr bescheidenem Maße vorhanden war oder geweckt werden konnte und daß jene Munifizenz, die die Wissenschaft fördert, ohne sogleich den handgreiflich praktischen Nutzen zu ernten, sich in Deutschland erst äußerst zögernd zu entfalten begann. In Böttinger hatte Klein den verständnisvollsten und ausdauernden Fürsprecher gefunden, das sollte sich immer mehr zeigen. Für die Industrie und den privatwirtschaftliehen Reichtum sah Böttinger in der Verwirklichung von Kleins Ideen eine Aufgabe von "Dringlichkeit und Notwendigkeit". "Wir, die Industriellen, dürfen nicht warten", so hielt er den ablehnenden Argumenten entgegen, "bis der immer langsam arbeitende Staat diesen Fragen und Aufgaben nähertritt, sondern wir, die die Bedürfnisse am besten kennen sollten, die wir den Puls der Zeit am schärfsten fühlen, am meisten Vorteil von solchen Einrichtungen haben, die Notwendigkeit derselben alltäglich fühlen, müssen als Pioniere den Weg zeigen°." Es war sein Verdienst, wenn die Zahl der industriellen 8 Vgl. Festbericht zum 20jährigen Bestehen der G. V. Als Manuskript gedruckt, Leipzig 1918. 9 An die Direktion der Stettiner Maschinenbau AG. "Vulcan" UBG Cod. MS Nachlaß Klein III, H.

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Mitglieder der Göttinger Vereinigung und ihre Leistungen kontinuierlich zunahm, und bald konnte er gegenüber dem Ministerium mit einigem Recht geltend machen, daß die "vornehmsten Industriellen Deutschlands" beigetreten seien10• Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges umfaßte die Göttinger Vereinigung über fünfzig industrielle Mitglieder, darunter die Inhaber oder Generaldirektoren der Firmen Krupp, Siemens, A. E. G., Bochumer Verein, bedeutender Hüttenwerke, des Norddeutschen Lloyd und der großen chemischen Werke, von der Firma Bayer neben Böttinger auch Carl Duisberg. Hinzu kamen Persönlichkeiten wie Oskar von Miller für das deutsche Museum in München, neben Rieppel auch der Generaldirektor der Dessauer Contineutal-Gas Gesellschaft, Wilhelm von Öchelhäuser, und der Schweizer Großindustrielle Sulzer, schließlich ebenso der Graf Zeppelin, dessen Mitgliedschaft als hochbedeutend angesehen wurde und der seine finanziellen Beiträge nur für "aeronautische" Arbeiten verwendet wissen wollte. Als besonders wichtig hatte sich von Beginn an die Mitwirkung der Firma Krupp erwiesen, die zunächst durch einen leitenden Direktor vertreten war. Im Jahre 1907 erklärte der neue Firmenchef Krupp von Bohlen und Halbach selbst seinen Beitritt als persönliches Mitglied, und es bedeutete einen großen Prestigegewinn, wenn er Böttinger und Klein versicherte, daß auch er sich "voll zu der Idee bekenne, auf welcher die Göttinger Vereinigung aufgebaut ist"u. Auf einer Essener Tagung der Vereinigung würdigte er später das "große Verdienst Kleins", der die Zustimmung weiter Kreise der Industrie erkämpft habe, als es sich darum handelte, der Wahrheit Geltung zu verschaffen, daß Wissenschaft und Praxis, Technische Hochschule und Universität zu beiderseitigem Nutzen in engste Fühlung gebracht und gehalten werden müßtenu. Als die Göttinger Vereinigung im Jahre 1906 im Anschluß an die zuvor erfolgte Einweihung der von ihr ermöglichten Institutsneubauten eine Festschrift herausgab13, prangte auf dem Titelblatt des repräsentativen Bandes ein Emblem, das hinfort zu ihrem Wahrzeichen wurde: Unter dem Baum mit goldenen Früchten reichen sich Merkur und Minerva vor der Silhouette Göttingens die Hand zum Bundesschlusse. Dies leicht zu deutende Sinnbild und die Devise "do ut des" kennzeichnete recht anschaulich, wie man die Bestrebungen der Vereinigung verstanden wissen Protokolle der Sitzungen der G. V. ab 1901, UBG 112/70. UBG Cod. MS Nachlaß Klein IV F. Er hat dann zugunsten der auf Betreiben der G. V. an der Universität begründeten ,.angewandten" Institute, Einrichtungen und Vorhaben wiederholt große Schenkungen gemacht. 12 Sitzungsprotokoll der Essener Tagung der G. V. vom 24./25. 4.1911, UBG 112170. 13 Die physikalischen Institute der Universität Göttingen, Festschrift der G. V., Leipzig 1906. 10 11

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wollte und symbolisierte die Idee, die Klein bei seinem Studium der Wissenschaftseinrichtungen in den Vereinigten Staaten in sich aufgenommen hatte. Die Erkenntnis der Notwendigkeit organisierter privater Hilfe und Förderung öffentlicher Wissenschafts- und Forschungsstätten hatte zum Erfolg geführt. Klein war für Deutschland zum Pionier dieses Gedankens geworden auf einem Felde, das bald immer gewichtiger werden sollte. Wissenschaft, Wirtschaft und Technik mußten sich nach Kleins Überzeugung zu wechselseitigem Nutzen auf alle Weise zusammenschließen. Für die Industrie sollte das zunächst Stärkung der Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Ausland bedeuten, ein Grundsatz, der für viele industrielle Mitglieder die eigentlichen Motive enthalten mochte, der Vereinigung beizutretenu. Kleins Absicht ging freilich darüber hinaus. Die jährlichen Tagungen- sie fanden zumeist auf Einladung einer der industriellen Mitglieder am Standort der betreffenden Firmen statt - und die stets wohlvorbereiteten eingehenden Besichtigungen bedeutender Industriewerke, an Ort und Stelle verbunden mit entsprechenden technisch-wissenschaftlichen Vorträgen und Demonstrationen, ergaben für die beteiligten Universitätsprofessoren die Möglichkeit zu vertieftem Einblick in den Bereich der technisch-industriellen Welt, wie es bis dahin in dieser Weise in Deutschland noch nie vorher der Fall gewesen war15• Diese Zusammenkünfte brachten darüber hinaus- wie man immer erneut hervorhob - beide Lebenskreise miteinander in menschlichfreundschaftliche Fühlung und bereitete damit eine Zusammenarbeit vor, die dann in wesentlich erweitertem Rahmen für die spätere Entwicklung der deutschen Wissenschaftsorganisationen von großer Bedeutung geworden ist. So ergaben sich aus dieser Kooperation über die finanzielle Seite hinaus ganz nach der Vorstellung Kleins eine Fülle wechselseitiger Kontakte und wissenschaftlicher Anregungen, eine Zusammenführung von "Geist und Industrie". Es entsprach Kleins eigener Überzeugung, wenn eines der markantesten Mitglieder der Vereinigung, Wilhelm von Öchelhäuser, der gleichzeitig dem Vorstand des Vereins Deutscher Ingenieure angehörte, auf der Dessauer Tagung in diesem Zusammenhang von einem wesentlichen Schritt sprach, dem Erfordernis der Zeit gerecht zu werden, auch die höheren geistigen Faktoren, und 14 Vgl. Kleins Festrede zum lOjährigen Bestehen der G. V. 1908, im Festbericht 1908, auch abgedruckt in: Internationale Wochenschrift f. Wiss. Kunst und Technik, Jg. II, 1908, S. 520 ff. 15 Bis 1914 fandEm allgemeine Sitzungen der G. V. u. a. statt in Bremen (Norddeutscher Lloyd), Elberfeld (Chem. Fabriken Bayer), wiederholt in Essen (Fa. Krupp), Berlin (Siemens & Halske, Telefunken), Nürnberg (Nürnberger Maschinenfabrik), München (Lokomotivfabrik, Kraus & Maffei, Linde), in Jena auf Einladung der Zeisswerke, in Friedrichshafen (Graf Zeppelin) und in Dessau (Deutsche Continental-Gas Gesellsch.). In der Regel fand ferner jährlich eine Geschäftssitzung in Göttingen statt, vgl. Sitzungsprotokolle der G. V., UBG.

15 Maaegold

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

zwar die schöpferischen und produktiven, welche in Technik und Industrie tätig seien, richtig einzuschätzen. Nicht weniger konnte Klein Anton Rieppel beipflichten, wenn dieser seine Ehrenpromotion durch die Göttinger philosophische Fakultät im Jahre 1905 als Anerkennung gerade jener Maßnahmen der Göttinger Vereinigung ansah, die darauf abzielten, eine Brücke zu schlagen, nicht nur zwischen Wissenschaft und Technik, sondern überhaupt zwischen Realismus und Humanismus18• Nach dem von Althoff so bezeichneten "Göttinger Frieden" wuchs bei den Ingenieuren die Anerkennung der Ideen Kleins und der Ziele der Vereinigung, vor allem nachdem Slaby, wie Althoff bald erleichtert bemerken konnte, von einem "Saulus" zu einem "Paulus" geworden war, in seiner Auffassung eine völlige Kehrtwendung vollzogen hatte und schließlich dafür eintrat, daß die Göttinger Einrichtungen, wenigstens in bezugauf die Ausbildung der Lehramtskandidaten, an allen Universitäten nachgeahmt werden müßten. Einer der angesehensten technischen Hochschullehrer, Professor Stodola, Zürich, beglückwünschte Klein zu seinen Unternehmungen und versicherte, alle höherstehenden Techniker müßten dies17• Positiv entwickelten sich schließlich auch die Beziehungen zum Verein Deutscher Ingenieure; 1904 nahm Klein an der Münchener Versammlung des Vereins teil, auf dem die Frage diskutiert wurde, ob es besser sei, dem Bedürfnis nach einer zweiten Technischen Hochschule in Bayern durch Angliederung technischer Fakultäten an die bestehenden Universitäten Erlangen und Würzburg oder durch die Gründung einer selbständigen Technischen Hochschule in Nürnberg zu entsprechen18• Er referierte selbst über die Ausweitung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts und plädierte im Sinne der Ingenieure für die "durchgreifende Geltendmachung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildungselemente" 19• Der sichtbarste Schritt zunehmender Anerkennung und der Beilegung alter Mißverständnisse drückte sich darin aus, daß der Verein Deutscher Ingenieure unter seinem derzeitigen Vorsitzenden Professor Linde im gleichen Jahre beschloß, der Göttinger Vereinigung selbst beizutreten und sie "ideell" und finanziell zu unterstützen20. Künftig nahm der Direktor des Vereins an den Sitzungen teil Nicht zu Unrecht wertete Klein dies als gewichtiges Zeichen für Sinn 18 Rieppel an die Phi!. Fakultät, 15. 12. 1905, UAG, li Ph. Nr. 8 - y -, Akte Betr. Ehrenpromotionen. 17 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 11.

1s 19

20

Zs. d. VDI, Jg. 1904, S. 1975.

Sitzungsprotokoll der G. V. vom 17. 12. 1904, UBG. Linde an Böttinger 28. 11. 1904, Anlage zum Sitzungsprotokoll der G. V.

vom 23./24. 6. 1905.

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

227

und Erfolg der Vereinigung, für die Überwindung der hemmenden Rivalitätsfurcht bei den Technikern und Technischen Hochschulen21 • Schließlich unterstützte auch die Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie technisch-wissenschaftliche Arbeiten, die auf Anregung der Göttinger Vereinigung in Göttingen durchgeführt wurden22• Die Jubiläumsstiftung war aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Berlin auf Anregung Borsigs und nicht ohne Zusammenhang mit der Gründung der Göttinger Vereinigung ins Leben gerufen worden. Die hier aufgebrachten Gelder der industriellen Stifter sollten satzungsgemäß ausschließlich zur Förderung der Technischen Hochschule und der technischen Wissenschaften verwandt werden23 • Anerkennung durch die Technikerschaft bedeutete endlich ebenso der Eintritt Oskar von Millers, der für das deutsche Museum in die Vereinigung aufgenommen wurde. "Nachdem unsere Aufgabe, den Einfluß der wissenschaftlichen Forschungen auf die Entwicklung der Technik zu zeigen, gerade mit ihren erfolgreichen Bestrebungen ein enges Band zwischen Wissenschaft und Technik zu knüpfen, so eng verwandt ist", wie er an Klein schrieb24 • Millers Werk, die Begründung eines Museums für "Meisterwerke der Technik" war in ähnlicher "Kooperation" von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft verwirklicht worden und verfolgte durchaus den Absichten Kleins und der Göttinger Vereinigung nahestehende Ziele: Förderung der technisch-naturwissenschaftlichen Bildung und Erziehung auf breitester Grundlage25 • Auf der Feier des zehnjährigen Bestehens der Göttinger Vereinigung im Jahre 1908 konnte Klein mit Genugtuung feststellen, daß das breite Mißtrauen der Technischen Hochschule gewichen sei, und daß sich die Beziehungen zu ihnen zunehmend in positivem Sinn entwickelten. Inzwischen hatte sich ein ausgiebiger Dozentenaustausch zwischen der Göttinger Universität und den Technischen Hochschulen entwickelt. Bedeutende Forscher und Lehrkräfte waren insbesondere aus Hannover berufen worden, und Klein konnte hervorheben, daß es andererseits keine norddeutsche Technische Hochschule gab, die nicht Vertreter der Mathematik, Physik oder Mechanik von Göttingen berufen hatte26 • Die technischen Kurse für Juristen und Verwaltungsbeamte, an denen Althoff so sehr gelegen war und die mit Hilfe der Göttinger Vereinigung durchgeführt wurden, bald aber an mangelnder Beteiligung scheiterten, wurRede Kleins auf der Berliner Sitzung der G. V. ebd. Sitzungsprotokoll ebd. 23 Stiftung der deutschen Industrie aus Veranlassung der 100-Jahr-Feier der Kgl. T. H. zu Berlin, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. VIII, Nr. 8. 24 19. 5. 1905, UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII D. 25 Vgl. C. Matschoß, Geschichte des deutschen Museums, 1925. 26 Festbericht 1908, a. a. 0., S. 15. 21

22

15•

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

den in enger Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Hannover geplant und sollten von Professoren beider Hochschulen in regelmäßigem Turnus in Hannover und Göttingen abgehalten werden27 • Klein sah hierin einen Ausgleich zwischen Technischer Hochschule und Universitätswissenschaft und hielt dieses "Bündnis mit Hannover", wie er die gemeinsamen Kurse verstand, für einen kulturellen Fortschritt, von dem er wünschte, daß er "allgemeine Tragweite" besaß, um "zielstrebige Zweckverbände zwischen Universität und Technischer Hochschule" zu schaffen. Ein Gedanke, der indessen erst in der Notsituation nach dem ersten Weltkrieg durch die Gründung des Deutschen Hochschulverbandes im Jahre 1920 in gewissem Umfange Wirklichkeit werden sollte. An der Feier zum zwanzigsten Jahrestag der Göttinger Vereinigung im Jahre 1918 haben dann auch Vertreter der Technischen Hochschule selbst teilgenommen. Der Krieg hatte die letzten Vorbehalte gegenstandslos gemacht, und der Rektor der Technischen Hochschule Braunschweig, der aus Anlaß des Jubiläums dem ersten Vorsitzenden der Vereinigung, Böttinger, die Urkunde über dessen Ernennung zum Doktor-Ingenieur Ehren halber überreichte, beschwor die mannigfachen Beziehungen, welche die Göttinger Vereinigung zwischen Universität und Technischer Hochschule geknüpft hatte und stellte fest, daß eben jener Geist, der die Göttinger Vereinigung von Beginn an geleitet habe, nun auch jede Technische Hochschule erfülle28 • Von seiten der Techniker und der Technischen Hochschulen war an die Stelle heftigen Widerstandes gegen die Bestrebungen Kleins zuerst Duldung, dann Interesse und endlich Zustimmung getreten in der Einsicht, daß seine Pläne nicht gegen, sondern insgesamt auf die weitere Entwicklung der technischen Wissenschaft ausgerichtet und ebenso darauf bedacht waren, das Ansehen der Technischen Hochschule zu heben. b) Ein .,Verein ohne Statuten"Die Wirksamkeit an der Universität Göttingen

Mit der Gründung der Göttinger Vereinigung war zum ersten Male in Deutschland eine Organisation entstanden, in der Persönlichkeiten aus den verschiedensten Zweigen der privaten Industrie mit Universitätsprofessoren zusammenarbeiteten, um gemeinsam die Voraussetzungen zur Lösung technisch-wissenschaftlicher Aufgaben und zur Erreichung hochschulpolitischer Ziele zu schaffen. Für ein Zusammenwirken der beiden Lebenskreise in der Form, wie es Klein vorschwebte, gab es weder Vorbild noch Erfahrung, und es ist dargelegt worden, welche 27 Vgl. Stundenplan und Programm für den ersten technisch-naturwissenschaftlichen Kursus Hannover-Göttingen 1911, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 28 Ansprache des Rektors Prof. H. Timerding, Festbericht 1918, a. a. 0., S. 43.

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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Schwierigkeiten und Bedenken sich dagegen von allen Seiten erhoben hatten. Daß man davon Abstand nahm, der Vereinigung ein festes Organisationsstatut zu geben, lag gerade daran, daß man hier erfahrungslos Neuland betrat; andererseits war hierdurch die Möglichkeit für das unorthodoxe Vorgehen geschaffen, ohne das wiederum die Vereinigung kaum erfolgreich ins Leben treten konnte. Wenn es besonders in den ersten Jahren ihres Bestehens vor allem von amtlicher Seite aus nicht an entsprechenden Einwänden gefehlt hat, so ist die Göttinger Vereinigung, auch als von ihr bald eine einflußreiche und weitausgreifende Tätigkeit ausging und sie selbst langfristige Verpflichtungen übernahm, in ihrem mehr als zwanzigjährigen Bestehen ein "Verein ohne Statuten" geblieben, wie man schließlich mit Stolz hervorhob. Das ist naturgemäß nicht ohne innere Schwierigkeiten und Krisen möglich gewesen, und insbesondere in der Anfangszeit ist die Frage einer genaueren Fixierung von Ziel und Zweck der Vereinigung und einer bestimmten Organisationsordnung in festen, auch juristisch geforderten Statuten oft diskutiert worden. Im Zusammenhang mit den Neubauten des Göttinger physikalischen Institutes verlangte das preußische Finanzministerium eine festgelegte Form als eingetragener Verein, da die Vereinigung auf längere Dauer berechnete juristische Verbindlichkeiten übernahm. Die Erörterungen des daraufhin von Böttinger Anfang 1904 verfaßten und von Klein redigierten Statutenentwurfs offenbarten die ganze Schwierigkeit, eine solche Form zu finden, die alle Beteiligten befriedigte und gegenüber den Rücksichten der Unterrichtsverwaltung und der Empfindlichkeit der Universität die geeignete Norm setzte, ohne Kleins eigentliches Anliegen zu verwässern. In dem Entwurf hieß es29 : "Die Göttinger Vereinigung für angewandte Physik und Mathematik30 bezweckt die Pflege und Förderung der Physik - Physik im weitesten Sinne - und Mathematik in wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Beziehung und strebt eine innige Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Technik an." Als Mittel zur Erreichung dieser Zwecke wurden unter anderem genannt: Die Zusammenarbeit mit allen ähnlichen Bestrebungen, die Unterstützung der Lehrkräfte und der den Anwendungen der Physik und Mathematik dienenden Institute an der Universität Göttingen durch Beschaffung von Apparaten und Lehrmitteln sowie von Gelegenheiten zur praktischen Anwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse. Nur beitragzahlende Firmen oder Einzelpersonen31 sollten als ordentliche, die 29 Entwurf Böttingers mit Ergänzungen von der Hand Kleins, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 30 Seit 1901 war die "angewandte Mathematik" ausdrücklich mit aufgenommen worden. 31 Hier wurde ein einmaliger Aufnahmebetrag, "mindestens 5000 Mark", und ein jährlicher Mindestbeitrag festgelegt.

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Ill. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

beteiligten Wissenschaftler dagegen als außerordentliche Mitglieder geführt werden. Dem aus fünf Personen bestehenden Vorstand sollte nur ein außerordentliches Mitglied mit lediglich beratender Stimme angehören. Zahlreiche Widersprüche und Einzelbedenken zeigten bald, daß sich ein solches Statut als untunlich erweisen mußte. Noch entzog sich offenbar die klare Abgrenzung der Kompetenzen von wissenschaftlichen und industriellen Mitgliedern, das Zusammenspiel von industriellen Geldgebern und freier Forschung der Möglichkeit einer genau fixierten Norm, schon im Hinblick auf die höchst diffizilen Fragen der Beziehung von Universität und "angewandter" Wissenschaft und Technik. Die ganze hier zutage tretende Problematik schien viel eher lösbar durch ganz persönliche Verbindungen und individuelles Vorgehen. Böttinger gelangte dann auch zur Verständigung mit den Ministerien. Der "nette status quo" 32, die "Befreiung von geschriebenen Bestimmungen" blieb erhalten und die freie Verfassung wurde ein "Moment der Stärke" 33 • Es mußte Althoff zugeschrieben werden, daß dies von der strengen preußischen Verwaltung akzeptiert und auf die Dauer ermöglicht wurde. Nach dessen Ausscheiden aus dem Amt beruhte die Beibehaltung ganz auf dem großen Ansehen Kleins und Böttingers und auf den inzwischen erzielten Leistungen der Vereinigung. Andererseits wurde die "freie Verfassung" auch immer wieder Anlaß von Angriffen und Verdächtigungen, daß die beteiligten Professoren im Dienste der Industrie die freie Forschung als höchste Aufgabe der Universität verrieten, und Klein wurde nicht müde, solche Anwürfe zurückzuweisen. "Mißverständnisse" zwischen "Industrie und Wissenschaft" im Schoße der Vereinigung konnten stets auf persönliche Weise von dem sachlich überlegenen Standpunkt und der zwingenden Persönlichkeit Kleins überwunden werden. Von den industriellen Mitgliedern ist es zu keinem Übergriff in die wissenschaftliche Entscheidungsfreiheit der Professoren gekommen und nie versucht worden, Einfluß zu nehmen in einem Bereich, in dem sie nicht sachverständig waren. Davor bewahrte die auch von seinen Gegnern nie bezweifelte wissenschaftliche Lauterkeit Kleins, darüber hinaus das wissenschaftliche Ansehen aller wissenschaftlichen Mitglieder der Vereinigung, nicht zuletzt überhaupt die hohe gesellschaftliche Stellung, die sie als Universitätsgelehrte in ihrer Zeit gegenüber den Industriellen besaßen. So ist die von der Göttinger Vereinigung geförderte Wissenschaft nicht in die Gefahr der Abhängigkeit von "Clique und Kapital" geraten, und es konnte weder von einer ,.Tyrannei der Bürokratie" noch von der des "Geldsackes" die Rede sein, wie es Adolf von Böttinger an Klein, 24. 9. 1904, UBG Cod. MS Nachlaß Klein. Protokoll über die Frühjahrsversammlung der Göttinger Vereinigung in Essen 6./7. 5. 1904, UBG 120/170. 32

33

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

231

Harnack später noch bei der Gründung der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft im Hinblick auf die industriellen Kapitalgeber befürchtete34 • Die Göttinger Vereinigung ist auch ohne Organisationsstatut gerade durch das Band persönlicher Beziehungen trotzdem mehr als eine lediglich lose Zusammenkunft von Stiftern gewesen und konnte schließlich auch kraftvoll nach außen hin auftreten. Die hier an einem zwar verhältnismäßig einfachen Beispiel gemachten Erfahrungen im Zusammenwirken von Wissenschaft und Universität einerseits und Technik und Wirtschaft andererseits lieferten die Gesichtspunkte, unter denen große Ziele erreichbar schienen und die dann auch für umfassendere Vorhaben wichtig geworden sind. Böttinger blieb erster35 und Klein zweiter Vorsitzender der Vereinigung. Seit 1904 sprach man von einer Professoren- und einer Industriellen-Klasse. Planmäßig betrieb man die Ausgestaltung der "angewandten" und überhaupt der mathematisch-naturwissenschaftlichen Institute und die Vermehrung der Lehrstühle. Schon 1903 auf der Tagung der Vereinigung - sie fand auf Einladung der Firmen Bayer und Feiten & Guilleaume in Elberfeld statt - konnten wichtige Neuberufungen bekanntgemacht und festgestellt werden: "Hiermit umfaßt die Vereinigung unter den Ordinarien der Göttinger philosophischen Fakultät nunmehr die sämtlichen Vertreter der Mathematik, Physik und Chemie38." Bald traten die Lehrstühle der Landwirtschaft und Mineralogie hinzu. Nach dem Weggang des bisherigen Leiters des Institutes für technische Physik, Professor Lorenz, an die neueröffnete Technische Hochschule Danzig schlug Klein die Berufung einer "technischen Autorität" vor und sah in Professor Stodola, Zürich, eine "allererste Kraft", die der Universität nicht nur neuen Glanz, sondern auch der deutschen Technik weitreichende Anregungen zuführen werde. Das erforderte gleichzeitig eine neue wesentliche Erweiterung des "technischen Institutes" und die Errichtung eines besonderen Ordinariates37• Eine solche Ausweitung zerschlug sich freilich vorerst, statt dessen wurde, ebenfalls auf Kleins Betreiben, Professor Ludwig Prantl von der Technischen Hochschule Hannover als neuer Leiter des Institutes berufen. Prantl war als Ingenieur schon bei Rieppel in Nürnberg tätig gewesen, und seine Berufung sollte für die technischen und "angewandten" Ziele der Göttinger Vereinigung 34 Harnack an Minister Trott zu Solz, 22. 1. 1910, in: 50 Jahre KWG und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, Beiträge und Dokumente, Göttingen 1961, S. 95. ss Bis zu seinem Tode 1920. 36 Protokoll der Tagung der G. V. in Elberfeld, 14. 4. 1903, UAG Phil. Fak. 4

V h (li).

37 Klein an das Kultusministerium 19. 5. 1904, UAG Phil. Fak. allgem. Akten, Dekanat, Bd. 189 a, 1903/04.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

wie für die Universität Göttingen dann ein bedeutender Gewinn werden38• Noch im gleichen Jahr beantragte Klein ferner die Errichtung eines eigenen Ordinariates für angewandte Mathematik39 und die Berufung Carl Runges, er kam ebenso wie Prantl von der Technischen Hochschule Hannover40• Wieder war es charakteristisch für die leitenden Gesichtspunkte Kleins, wenn er zur Begründung die große Vielseitigkeit Runges hervorhob, vor allem dessen "Beherrschung der Mathematik nach der wirklichen Ausführung". Es sei dies die gleiche Fähigkeit, dank der sich einst Gauß von anderen hervorragenden Mathematikern seiner Zeit unterschied. Auch hier vergaß Klein nicht zu betonen, daß diese Berufung durch die Herstellung lebendiger Wechselbeziehungen "einen großen Gewinn für Göttingen" bedeute. Die angewandte Mathematik aber sollte damit in Göttingen eine "Centralstelle" finden41 • Der Lehrstuhl und das Institut für angewandte Mathematik waren die ersten und einzigen, die es für dieses Fach in Deutschland gab42, und Runge sollte die Aufgaben, Unterrichtsmethoden und Einrichtungen für diese bis dahin nur nebensächlich entwickelte Disziplin ganz im Sinne Kleins tatsächlich erfolgreich entfalten. Nach und nach entstand direkt oder indirekt auf Initiative der Göttinger Vereinigung die stattliche Reihe der neuen Institute und Seminare zur Pflege der angewandten Wissenschaften, der angewandten Mechanik (technische Physik), der angewandten Mathematik, der Elektrotechnik (angewandte Elektrizität), physikalischen Chemie, Geophysik, mathematische Statistik und Versicherungswissenschaft, schließlich auch die berühmte aerodynamische Versuchsanstalt. Klein und Böttinger als "Seele" der Vereinigung bildeten die dynamische Kraft, die im Zusammenwirken mit den industriellen und wissenschaftlichen Mitgliedern in häufig wechselndem Vorgehen von den staatlichen Behörden die Gründung der neuen Lehr- und Forschungsstätten erreichte. Das eine Mal wurde das Grundstück, die Mittel für 38 Prantl nahm am 1. 10. 1904 seine Tätigkeit in Göttingen auf. Von welchen Gesichtspunkten Klein sich bei den Berufungen leiten ließ, kam bezeichnend in der Begründung seines Antrages zum Ausdruck, dort hieß es: "(Prantl) ... der mit der Sachkenntnis des Ingenieurs und der Beherrschung des mathematischen Apparates eine starke Kraft der Intuition und eine große Originalität des Denkens verbindet. Andererseits ist er pädagogisch interessiert." Als weitere Kandidaten nach Prantl hatte Klein ebenfalls zwei Ingenieure, Leiter von Versuchslabors der Industrie vorgeschlagen, UAG ebd. 39 Bis dahin gab es ebenfalls auf Initiative der G. V. einen Lehrauftrag für darstellende Geometrie und graphische Gebiete. 40 Vgl. Iris Runge, Carl Runge und sein wissenschaftliches Werk, a. a. 0., s. 116 :ff. 41 Klein an Kultusminister, 28. 6. 1904, UAG ebd. 42 Vgl. Iris Runge, a. a. 0., S. 119.

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigur!g

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einen Neubau oder ein wesentlicher Teil der Errichtungskosten aufgebracht, das andere Mal die innere Einrichtung, die Ausstattung mit Maschinen und Apparaten. Man streckte die notwendigen Mittel ganz oder teilweise vor, verpflichtete sich zu langjähriger Beteiligung an den laufenden Unterhaltskosten, spendete kostbare Hilfsmittel und Materialien zu Versuchszwecken, ermöglichte die Abhaltung bestimmter Praktika, und sorgte für die umfassendere Anschaffung und Vervollständigung technischer und naturwissenschaftlicher Literatur. Fast immer ging die Initiative von der Vereinigung, das hieß vor allem von Klein aus. Während insbesondere Böttinger durch weitreichende Beziehungen zu Hofkreisen, zu den staatlichen Stellen und in den Ausschüssen des Parlaments sich mit großer Energie und auf mannigfache Weise für die Vorhaben und Projekte einsetzte. Wiederholt machte er selbst außerordentliche Zuwendungen, übernahm oft im großen Umfange die persönliche Haftung, bis das Ministerium neue Lehrstühle bestätigte oder der Finanzminister die notwendigen Gelder und Staatszuschüsse bewilligte. Die vielfältige und ganz bedeutende Aktivität Böttingers spiegelte sich vor allem in den Sitzungsprotokollen der Vereinigung und in seiner Zusammenarbeit mit Klein. Wenn er auch von persönlicher Eitelkeit, der Empfänglichkeit für Ehrungen, Titel und Prädikate, dem Drang eine Rolle zu spielen nicht immer frei gewesen sein mag, so hatte Klein in ihm doch für seine Ziele einen kongenialen Partner auf seiten der Industriellen gefunden. Klein selbst hat mit Zähigkeit die Vermehrung der mathematischnaturwissenschaftlichen Lehrstühle betrieben und, wie schon erwähnt, mit weitreichendem Einfluß die größte Sorgfalt auf die Berufungspolitik verwandt. Hier und in der Organisation des wissenschaftlichen Betriebes, in der ständigen Fürsorge für die neuen Institute, die er immer von neuem mit seinem Geiste zu erfüllen suchte, in der Zusammenarbeit mit seinen Kollegen auch in den ihm scheinbar fern liegenden Fächern hat sich immer wieder seine Position eines "wissenschaftlichen Führers", wie ihn Courant genannt hat, bestätigt. Durch enge "Kooperation" mit den neu gewonnenen Fachvertretern, durch wohlüberlegte Zusammenarbeit und Arbeitsteilung sämtlicher mathematisch-naturwissenschaftlicher Dozenten unter seiner Führung, damals noch keineswegs etwas Selbstverständliches43, durch gemeinsame Seminare und nicht zuletzt durch seine eigene Lehrtätigkeit verstand es Klein, die neuen Einrichtungen organisch in das Gesamtgefüge von Fakultät und Universität einzugliedern und seine Kollegen mitzuziehen44 • In diesen Jahren ergab Vgl. Iris Runge, a. a. 0., S. 120. "Wie Klein uns durch seinen prachtvollen Optimismus mit sich fortriß und zu Leistungen brachte, an die wir selbst gar nicht einmal den richtigen Glauben hatten." So schrieb später Ludwig Prantl, Sonderheft der "Naturwissenschaften" Jg. 1919, S. 309. 43 44

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

sich in Göttingen ein bis dahin einzigartiges Zusammenwirken, angefangen von den Vertretern der technischen Anwendungen45 bis zu den Höhen mathematischer Theorien, wie sich sie hier jetzt mit so bedeutenden Namen wie Ludwig Prantl, Carl Runge, David Hilbert und Hermann Minkowski verbanden. Die unermüdliche Aktivität Kleins im Dirigieren und Organisieren, seine unerschöpflichen Pläne, sein großes Geschick und seine Zähigkeit in deren Ausführung gehörten zu den prägenden Zügen der Fakultät. Einen ersten glanzvollen Höhepunkt für die Leistungen Kleins und der Göttinger Vereinigung bildete im Jahre 1905 die Einweihung der neuen physikalischen Institute der Universität. Nach Plänen, die sich über eine längere Zeit hingezogen hatten, war es wesentlich durch die Verhandlungen Böttingers und durch seine Intervention in den Ministerien zur Bewilligung der Mittel für den Neubau des für damalige Verhältnisse großartigen physikalischen Hauptinstitutes gekommen. Zugleich konnte durch die Initiative Kleins mit Hilfe der Vereinigung der Neubau eines eigenen Institutes für angewandte Elektrizität errichtet werden. Wie schon die Institute für technische Physik und angewandte Mathematik war es ebenfalls das erste seiner Art an einer deutschen Universität48 • Diese Neugründung läßt sich als ein charakteristisches Beispiel für Art und Weise des Vorgehens der Vereinigung anführen. Bald nach ihrer Gründung war die Förderung des elektrotechnischen Unterrichts an der Universität mit in ihr Programm aufgenommen worden. Für den zunächst durchgesetzten Lehrauftrag am physikalischen Institut wurde die erste eigene Ausstattung an Apparaten und Hilfsmitteln beschafft und ein regelmäßiger Jahrszuschuß ausgeworfen. Durch die Angriffe Slabys schien es zunächst ausgeschlossen, bereits im Zusammenhang _mit dem 1902 in Angriff genommenen neuen physikalischen Hauptinstitut die Elektrotechnik mit einzuplanen. Nachdem der Widerspruch der Techniker gegen Kleins Bestrebungen aber allmählich abnahm, betrieb man auch erneut energisch den Ausbau der "angewandten Elektrizität", stellte die Mittel für die gesamte innere Einrichtung eines eigenen Institutes zur Verfügung und sagte darüber hinaus für eine Reihe von Jahren auch die Übernahme von laufenden Unterhaltskosten zu. Als daraufhin die staatliche Bewilligung der Baukosten in Aussicht gestellt wurde, streckte man die volle Summe vor, Böttinger übernahm die persönliche Haftung für den Betrag47 • Damit wurden die staatlichen Stellen 45 Der "Fakultät Schmieröl", wie Prantls Maschinenlaboratorium genannt wurde, Iris Runge, a. a. 0., S. 123. 46 H. Th. Simon, Das Institut für angewandte Elektrizität, in: Festschrift der G. V. Die physikalischen Institute der Universität Göttingen, a. a. 0., S. 69 ff. ·17 Sitzungsprotokoll der G. V., UBG.

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gewissermaßen zur Genehmigung gezwungen, mit dem Bau konnte sofort begonnen und das Institut in kürzester Frist, zusammen mit dem neuen physikalischen Hauptinstitut, eröffnet werden. Durch den Neubau des letzteren ergab sich gleichzeitig die Möglichkeit, das Institut für technische Physik erneut zu erweitern, mit der angewandten Mathematik wurde es jetzt zum "Institut für angewandte Mathematik und Mechanik" vereinigt. Das alles war auch über den engeren Bereich der Göttinger Universität hinaus ein Vorgang von großer allgemeiner Bedeutung, und jetzt fehlte es auch nicht mehr an vielseitiger, wenn auch noch keineswegs ungeteilter Anerkennung der von der Vereinigung erzielten Leistungen. Reichskanzler Bülow, den Böttinger ebenso wie den Kaiser selbst unter Vermittlung Althoffs über die Ziele der Göttinger Vereinigung informiert hatte, betonte sein Interesse an dem Vorgehen der Vereinigung. Der Verzicht auf spekulative Ziele, so bekundete er, werde mehr als ersetzt durch die Beherrschung der wirklichen Welt48. Kultusminister Studt versicherte nun offiziell seine volle Anerkennung und weitere Unterstützung. Ein reicher Ordenssegen ergoß sich auf die wissenschaftlichen und industriellen Mitglieder. Böttinger wurde durch eine ungewöhnliche Ehrung ausgezeichnet: "Von Staats wegen" wurde seine Marmorbüste im physikalischen Institut aufgestellt49. In einer Andresse, die Klein und Böttinger im Namen der Vereinigung aus Anlaß der Einweihung der neuen Institute an Althoff sandten, spiegelten sich in bezeichnenden Wendungen Weg und Zweck des bis dahin Erreichten, ebenso die Hindernisse auf diesen Wegen und die Rolle Althoffs, sie zu überwinden: "Die Anfänge unserer Vereinigung sind von großen Schwierigkeiten begleitet gewesen", so hieß es hier. "Indem wir versuchten, zwischen Universität und Technischer Hochschule, deren Interessen zum Schaden des Ganzen unvereinbar auseinanderzugehen drohten, ein verbindendes Glied herzustellen, waren wir Mißverständnissen von beiden Seiten ausgesetzt." Althoff habe die "eigenartige Bedeutung" dieser Ziele von vornherein erkannt, die Vereinigung durch drohende Fährnisse hindurchgeleitet und für Ihr Wirken an der Universität Göttingen die günstigsten Vorbedingungen geschaffen. Die Göttinger Vereinigung sei eine Gesellschaft, die ganz auf der freien Betätigung und vertrauensvollen und freundschaftlichen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder beruhe. Auf der gleichen Grundlage hätten sich auch die Beziehungen zur Staatsregierung entwickelt, und dann hieß es höchst treffend: 48 Bülow an Böttinger 8. 9. 1906, Anlage zum Sitzungsprotokoll der G. V. über ihre Nürnberger Tagung 5./6. 7.1907. 49 Schon vorher war er wegen seiner Verdienste um die G. V. und die Wissenschaftsförderung zum Geheimen Regierungsrat ernannt worden, bald darauf wurde er ins Herrenhaus berufen und schließlich geadelt.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

"Wollte jemand unternehmen, aus den ihm vorliegenden Einzelheiten eine Abgrenzung der Kompetenzen zu konstruieren, es würde ihm schwerfallen, hierfür eine logische Formel zu finden. Daß innerhalb des straffen Organismus der Unterrichtsverwaltung sich solcherweise individuelle Beziehungen haben ermöglichen lassen, die gerade die Vorbedingung für einen Erfolg unserer Arbeit bilden, das verdanken wir Ihnen in allererster Linie5°." Althoff, der 1907 vom Amte zurücktrat, sagte der Vereinigung zu, auch nach seinem Abgang für sie einzutreten. "Los werden Sie mich nicht", so schrieb er an Klein und versprach, dessen Pläne und Wünsche weiterhin nach Kräften zu fördern, "nun sogar fortiter in re - wenn ein suaviter in modo keinen Erfolg haben sollte", und es war jedenfalls nur ein Zeichen ihrer engen Beziehungen zueinander, wenn Althoff andererseits betonte, daß er selbst auch künftig mit Kleins Rat und Unterstützung rechne51 • Er wurde Ehrenmitglied der Vereinigung und die enge Verbindung ist bis zu seinem Tode bestehengeblieben52• c) Weitere Göttinger UnternehmungenKlein als Pionier auf dem Gebiete der Wissensdlaftsorganisation

Was bei Gründung der Vereinigung noch in wenig bestimmter Form vorschwebte, hatte spätestens mit den im Jahre 1905 eröffneten Instituten eine konkrete Ausgestaltung gefunden, die nach der offiziellen Anerkennung Dauer versprach und dann auch zur Grundlage eines fortgesetzten organischen Wachstums geworden ist. Es ist nicht notwendig, die gesamte, den hier gegebenen thematischen Zusammenhang ebenso wie den gesteckten Zeitraum übersteigende Tätigkeit in der fast fünfundzwanzigjährigen Geschichte der Göttinger Vereinigung darzulegen. Aus den Akten und Sitzungsprotokollen ergibt sich die Fülle der Unternehmungen und Pläne, die noch bis nach dem Ende des ersten Weltkrieges UBG Cod. MS Nachlaß Klein. Althoff an Klein 13. 9. 1907, UBG Cod. MS Nachlaß Klein IV E. 52 Althoff starb bereits ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Ministerium am 20. Okt. 1908, kurz zuvor galt ein besonderer Gruß Klein und der G. V.: "in stolzer Freude derselben anzugehören." Zu seinem Testamentsvollstrecker hatte er Böttinger eingesetzt, mit dem er ebenfalls freundschaftlich verbunden gewesen war. Vgl. Sachse, a. a. 0., S. 60 f. Klein selbst gab eine dankbare Würdigung seiner entscheidenden Verdienste, daß die G. V. nicht müde werde, laut zu verkünden, daß gerade sie ihn von seiner schöpferischen Seite kennengelernt habe: "wie er die Anforderungen, welche die Neuzeit an die Hochschulen stellt, mit großem überblick umfaßt, wie ihn das Ungewohnte der dabei vorkommenden Probleme nur anfeuert, wie er es versteht, aus dem einzelnen, dem er das Vertrauen geschenkt, die höchste Leistungsfähigkeit herauszuholen und dann wieder die finanziellen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, die sich der Durchführung der anzustrebenden Einrichtung entgegenstellen, schließlich doch siegreich überwindet", UBG Cod. MS. Nachlaß Klein. 50 51

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von Klein und der Vereinigung ausgingen. Es müssen aber doch einige Linien kurz weitergeführt werden, um im Hinblick auf die "technischen" Interessen und Ziele ihr weiteres Wirken und die Spannweite von Kleins Absichten zu verdeutlichen und damit das Bild des schließlich auf diesem Gebiet durch seine wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Erreichten abzurunden. Klein ließ keine Gelegenheit vorüber, auf dem beschrittenen Weg weiterzugehen. Als man sich an der Technischen Hochschule Charlottenburg in bezug auf Pläne des Kriegsministeriums zunächst gegen die Errichtung einer Professur für Ballistik wehrte, und kein Bedürfnis dafür sah, hatte er im Jahre 1903 vorgeschlagen, ein "ballistisches Labor" nach Göttingen zu verlegen, da es sich hier ausgezeichnet an die bestehenden technischen Lehreinrichtungen anschließen werde53• Ein charakteristisches Beispiel für eine "Kooperation" aller beteiligten Kreise, auf die es ihm so sehr ankam, sah er selbst in dem bereits außerhalb der Göttinger Vereinigung erörterten Plan einer "Göttinger Mechanikerschule", für die er nachdrücklich eingetreten ist. Eine solche Schule war nach seiner Überzeugung gleichermaßen von großer Bedeutung für Handwerk und Industrie, vor allem im Hinblick auf die Bedürfnisse der physikalisch-technischen Institute der Universität, und ihre Gründung lag schon deshalb in dem "natürlichen Interesse" der Göttinger Vereinigung. Es sollte keine verbesserte Gewerbeschule, vielmehr eine "Mechaniker Hochschule" sein, und Klein sprach in diesem Zusammenhang von einer "Mechaniker-Wissenschaft"54. Bemerkenswert aber war das Projekt deshalb, weil Klein eine Zeitlang weitgehende Gedanken daran knüpfte. Er dachte an ein "viel unmittelbareres Zusammenwirken der neuen Schule mit der Universität". Es mußte sich erreichen lassen, so fand er, daß die jungen Mechaniker auf einer "Oberstufe" der Schule die Bedürfnisse der naturwissenschaftlichen Universitätsinstitute aus eigener Anschauung kennenlernten und umgekehrt die Studenten der Naturwissenschaften die für sie dringend erforderliche praktische Ausbildung in "unmittelbarem Verkehr" mit der neuen Schule fänden55• Es war klar, hier tauchte in neuer Form sein altes Anliegen enger Wechselbeziehungen mit der Technik auf, und dahinter stand die Hoffnung, daß die Schule sich in engster Verbindung mit der Universität zu einer Art Technischen Hochsc.'lule entwickeln werde. DZA Rep. 92 NA. Vgl. Sitzungsprotokoll der G. V. 1904/07, UBG. In Zusammenarbeit mit der Schulverwaltung und der Stadt Göttingen wurden Ende 1906 die untersten Klassen der Schule mit finanzieller Hilfe der G. V. eingerichtet, vor allem aber hatten erst wieder Verhandlungen Böttingers mit dem Ministerium die Gründung ermöglicht. Als "im Sinne der Göttinger Bestrebungen liegend" war er auch im Abgeordnetenhaus dafür eingetreten. ss Klein, Festbericht der G. V. 1908, S. 18. 53

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

Wichtiger als solche vorübergehenden Projekte, die nur die Breite der von Klein verfolgten Ideen und Ansätze beleuchtete, war ein anderer Gedanke Kleins, der dann auch in großartiger Weise verwirklicht worden ist: Die Göttinger Aerodynamische Versuchsanstalt (AVA). Im Jahre 1906 war unter Mitwirkung Althoffs, der sich speziell für Fragen der Luftschiffahrt lebhaft interessierte56 in Berlin eine Motorluftschiff-Studiengesellschaft gegründet worden57• Durch dessen Vermittlung trat Böttinger für die Göttinger Vereinigung in den Aufsichtsrat der Gesellschaft ein, und Klein wurde zusammen mit den Professoren Lexis, Linde und Prantl in den "technischen Ausschuß" berufen58• Auf Kleins Betreiben ließ die Gesellschaft nach anfänglichem Widerstand nach Plänen Ludwig Prantls in Göttingen eine "Modell-Versuchsstation für Luftwiderstandsversuche" einrichten. Böttinger und die Göttinger Vereinigung stellten dafür eigens ein großes Grundstück in unmittelbarer Nähe des physikalischen Institutes zur Verfügung, und Prantl wurde zum Leiter der Anstalt ernannt. Sie nahm dann in enger Verbindung mit dem Institut für augewandte Mechanik ihre Arbeit auf, wobei die Betriebsmittel zu einem Teil von der Göttinger Vereinigung getragen wurden. Als Prantl bald darauf eine auswärtige Berufung ablehnte, beantragte die Vereinigung die größere Unterstützung der "aerodynamischen Versuchseinrichtungen" und erreichte in direkten Verhandlungen mit dem Kultusminister, daß Prantls Lehrauftrag ausdrücklich auf das Fach "Aerodynamik" erweitert wurde. Mit besonderem Stolz konnte man hervorheben, daß damit auf Initiative der Vereinigung Göttingen die erste deutsche und europäische Hochschule war, an der dieser künftig so sehr im Vordergrund stehende Zweig wissenschaftlicher Forschung als eigenes Lehrfach anerkannt und eingerichtet wurde, und daß damit Göttingen überhaupt die erste Hochschule war, "an der die Luftfahrt mit einer eigenen Professur bedacht ist" 5P. Neben allem anderen war Klein jetzt bestrebt, Göttingen zu einem wissenschaftlichen Mittelpunkt für die Luftfahrt zu machen. Auf seine Anregung fand hier im Herbst 1911 eine von den beteiligten und interVgl. Sachse, a. a. 0., S. 279 ff. Mit dem Zweck der Förderung der Luftfahrttechnik, insbesondere der wissenschaftlichen und konstruktiven Erforschung von Motorluftschiffen nach dem Patent des Majors v. Parseval, dem "Parseval-Luftschiff". Initiatoren waren zum Teil militärische Stellen, die finanziellen Mittel wurden vor allem durch private Zeichnungen aufgebracht. 58 Sitzungsprotokoll der G. V. 5./6. 7. 1907, ebd. 5' Sitzungsprotokoll der G. V. 16./17. 10. 1908 und Rundschreiben an die Mitglieder vom 11. 1. 1909, UAG Phil. Fakultät 4 V h/30. Zur gleichen Zeit wurde durch die Marine und Heeresverwaltung im Anschluß an das neue Institut für "angewandte Elektrizität" eine "Versuchsanstalt für drahtlose Telegraphie" begründet, von Klein ebenfalls als "interessante und wichtige Ausdehnung unserer Tätigkeit" begrüßt. 58 57

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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essierten Kreisen aus ganz Deutschland besuchte "Versammlung von Vertretern der Flugwissenschaft" statt80• Als ein "Kind der Göttinger Vereinigung" kam es im Anschluß daran zur Gründung der "Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt". Klein ist aber noch darüber hinausgegangen. Inzwischen war die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften gegründet worden, und der Kaiser selbst berief Böttinger in den Senat der Gesellschaft61 • Da war es nun wiederum Kleins Gedanke, die ungleich bedeutenderen Möglichkeiten der neuen Gesellschaft auch für die Göttinger Bestrebungen zu nutzen. Es sollte versucht werden, mit ihrer Hilfe die bestehende Modell-Versuchsanstalt zu einem großen Kaiser-Wilhelm-Institut für Aerodynamik und Hydrodynamik auszubauen. In seinem Auftrag erarbeitete Prantl eine entsprechende Denkschrift. Er konnte darauf verweisen, daß in Göttingen bereits eine bestimmte "technische" Tradition und eine beachtenswerte Summe von Erfahrungen vorlag, die zusammen mit anderen Göttinger Einrichtungen die denkbar besten Voraussetzungen für ein großes Institut erfüllten. Böttinger unterstützte den Antrag im Senat der Gesellschaft und vermochte hier vor allem die grundsätzlichen Bedenken zu überwinden, ob eine solche "technische" und "angewandte" Gründung überhaupt in den Rahmen der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft passe. Durch sein Eingreifen waren die Verhandlungen fast abgeschlossen, als sie bei Kriegsausbruch zunächst unterbrochen werden mußten. Im Frühjahr 1915 wurden sie auf Initiative Kleins erneut aufgenommen und wiederum durch das besondere Eintreten Böttingers erfolgreich zum Abschluß gebracht. In den Kriegsjahren 1915-1917 ist dann unter wesentlicher Beteiligung der Göttinger Vereinigung jene berühmte aerodynamische Versuchsanstalt gebaut worden, aus der unter Prantls langjährigem Direktorat die bedeutenden Arbeiten für die Luftfahrttechnik hervorgegangen sind&2 • Klein hatte schließlich sein Ziel weitgehend erreicht. Noch ein anderes großes Projekt, das ihn jahrelang stark beschäftigt hat, muß hier wenigstens erwähnt werden: Die Begründung eines umfassenden mathematischen Institutes. Nicht ohne innere Berechtigung konnte Klein in seinem 1910 an das Kultusministerium gerichteten, darauf bezüglichen Antrag von der geschlossenen Einheitlichkeit der Göttinger mathematisch-physikalischen Lehr- und Forschungsmethodik sprechen, die unter Einbeziehung der Anwendungen und auch im Hinblick auf die Technik ein "ideelles Gut" der Göttinger Universität dar80 Vgl. Verhandlungen der Versammlung von Vertretern der Flugwissenschaft am 3. bis 5. 11. 1911 zu Göttingen, München 1912. n Viele Mitglieder der G. V. gehörten in der Folgezeit zugleich der KaiserWHhelm-Gesellschaft an. 62 Akten und Denkschriften zu den Verhandlungen, zur Vorgeschichte, Begründung und Entwicklung der Anstalt, UBG Cod. MS Nachlaß Klein IV und VAG Phil. Fak. 4 V h/30, ferner Sitzungsprotokolle der G. V. 1906--1918, UBG.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

stelle63• Er vermochte jetzt, auf dem Hintergrund des großen Aufschwunges im mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehr- und Forschungsbetrieb der Universität, einer beträchtlichen Vermehrung der Lehrstühle und der Berufung bedeutender Gelehrter, die Tatsache ins Feld zu führen, daß sich seit der Aufnahme seiner Tätigkeit in Göttingen hier die Zahl der Mathematikstudenten mehr als verdoppelt hatte, und daß ein sehr beträchtlicher Teil der Gesamtfrequenz der Universität jetzt überhaupt aus solchen bestand, jeder vierte Student sei Mathematiker84• In Gegenwirkung zu Tendenzen, die reine Mathematik als ein sich selbst genügendes abstraktes Gebiet von allen Nachbardisziplinen und Anwendungen zu isolieren, wollte Klein den Göttinger "mathematischen Betrieb" in einer weitausgreifenden, für ganz Deutschland bedeutungsvollen Weise ausgestaltet wissen. Dazu sollte der Aufbau eines großen mathematischen Institutes in Angriff genommen werden. Dieser Plan war bis zum Beginn des ersten Weltkrieges schon fast zur Ausführung gereift. Die Göttinger Vereinigung verpflichtete sich, rund 200 000 Goldmark zur Verfügung zu stellen, Böttinger hatte ihr bereits ein entsprechendes Baugelände gesichert, wenn das Kultusministerium das Projekt innerhalb einer bestimmten Zeit verwirklichen werde und unter der kennzeichnenden Bedingung, daß dabei die Bedürfnisse der Anwendungen in ihrem ganzen Umfange berücksichtigt werden müßten65• Der Krieg zögerte die Begründung freilich hinaus, und die Verhältnisse der ersten Nachkriegsjahre setzten ihr zunächst unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, obgleich man einen bedeutenden Fonds für diesen Zweck angesammelt hatte. Noch kurz bevor die Göttinger Vereinigung im Zusammenhang mit der Gründung der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft in der Helmholtzgesellschaft und im Göttinger Universitätsbund aufging, hatte Böttinger in seinem letzten Brief an Klein die Hoffnung ausgesprochen, das Institut als bedeutendstes Werk und als "Krönung" gemeinsamer Arbeit noch zu erleben00 • Auch während des Krieges ist Klein bemüht geblieben, seine Bestrebungen weiter voranzubringen. Die Erfahrungen aus dem Kriegsgeschehen hatten ihn darin nur bestätigt und immer stärker die Notwendigkeit erwiesen, die mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Sitzungsprotokoll der G. V. 1910. Inzwischen war Göttingen bereits zur Hochburg der Mathematik geworden. Bei einer Gesamtzahl von rund 3000 Studenten fand sich zu den großen Kursus-Vorlesungen Kleins und Hilberts die für die Zeit unerhörte Zahl von 200--300 Hörern ein, vgl. Runge, a. a. 0., S. 148. 85 Sitzungsprotokoll der G. V. 1910 und 1911, UBG. 86 Böttinger an Klein 22. 5.1920, UBG Cod. MS Nachlaß Klein V c. Böttinger ist kurz darauf, am 9. 6.1920, gestorben. Erst Jahre später ist dann das Institut gleichsam als Anerkennung des in Göttingen Erreichten als Stiftung des Rockefeller Education Board tatsächlich errichtet worden. Vgl. SeHe, a. a. 0., s. 329. 83

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8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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Fächer mehr auszubauen und gezeigt, daß sie vor allem "in den führenden Schichten einen viel höheren Einfluß erlangen" mußten als ihnen bis dahin zugestanden wurde. So war er, wie einst Werner Siemens nach dem Krieg von 1870/71, überzeugt, wieviel bei den außerordentlichen Leistungen der französischen Offiziere dem seit einhundertzwanzig J ahren bestehenden Unterrichtssystem der Ecole Polytechnique zu danken war, dem Deutschland, wie Klein meinte, noch immer nichts an die Seite stellen konnte67 • Er hat sich auch bemüht, mit höheren militärischen Stellen in Heer und Marine darüber Verbindung aufzunehmen und Böttinger zu bewegen versucht, dem Kaiser darüber persönlich Vortrag zu halten. Hier sollte nach Kriegsschluß Entscheidendes getan werden, und die Göttinger Vereinigung erschien ihm infolge ihrer Zusammensetzung ganz besonders geeignet, dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Unter der Not der Nachkriegsverhältnisse kam es Klein aber vor allem darauf an, soweit es seine eigenen Kräfte noch zuließen, daß die wissenschaftliche Höhe Göttingens erhalten blieb. Nach dem Tode von Böttinger bemühte er sich noch einmal, einen bedeutenden Industriellen zum Vorsitzenden der Vereinigung zu gewinnen und sie unter den veränderten Umständen weiterzuführen. Vergeblich wandte er sich an Krupp von Bohlen und Halbach und an Albert V ögler68, schließlich übernahm Carl Duisberg den Vorsitz8', aber nur, um die Vereinigung in die jetzt auf Reichsebene gegründete Helmholtzgesellschaft zur Förderung der physikalisch-technischen Forschung überzuführen70 • Im Laufe ihres Bestehens hatte die Vereinigung dem Staat und der Universität Zuwendungen von mehr als einer Million Goldmark gemacht. Ihr eigentliches Verdienst ging freilich darüber weit hinaus. In seiner Antwort auf die ihm anläßlich der Instituteröffnungen im Jahre 1906 übermittelte Adresse hatte Althoff seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß die Arbeit der Vereinigung, "ein bis jetzt noch einzigartig dastehender Vorgang", überall Nachahmung finden möge71 • Das war ja auch Kleins Hoffnung gewesen, der von Anfang an von einer in Gang zu setzenden allgemeinen "Bewegung" gesprochen hatte. Eine solche "Bewegung" ließ allerdings zunächst auf sich warten, dennoch müssen die Bestrebungen Kleins und der Göttinger Vereinigung als grundlegend und vorbildlich für andere Universitäten und Hochschulen angesehen werden. Vor allem nach den ersten Erfolgen sind An Böttinger 5. 12. 1916, UBG Cod. MS Nachlaß Klein V g. Briefwechsel darüber UBG Cod. MS Nachlaß Klein. 69 Ebd. 70 Schlußprotokoll der G. V. vom 3. 7. 1922. Auf Kleins Verlangen wurde ein besonderes Schlußprotokoll ausgefertigt, um die Vereinigung "historisch zu besiegeln". 71 Anlage zum Sitzungsprotokoll der G. V. 13./14. 7. 1907. 37

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16 Manegold

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1!1. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

vielfach auch an anderen Universitäten ähnliche Pläne ins Auge gefaßt worden, und nach den weitbeachteten Institutsgründungen versuchte man immer häufiger, mit Klein und Böttinger darüber in Verbindung zu treten72• Wenn Klein in der Ausbreitung seiner Ideen keinen schnellen Erfolg hatte, so lag es daran, daß er mit ihnen offensichtlich noch zu früh gekommen war. Erst der Krieg brachte die von ihm angeregten zahlreichen Absichten und Pläne an anderen Hochschulen der Verwirklichung näher, und es konstituierten sich ähnliche Organisationen als Universitätsbünde, Hochschulgemeinschaften, Stifterverbände und Förderungsgesellschaften73. Mit vollem Recht konnte Felix Klein 1923, ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Vereinigung und zwei Jahre vor seinem Tode, feststellen: "Inzwischen hat die historische Entwicklung meinen Auffassungen zum vollen Siege verholfen74." Der Ausgang des Krieges hatte die wechselseitige Verbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Hochschule zur unabweisbaren Notwendigkeit gemacht und Kleins Gedanken einer privatwirtschaftliehen Förderung der staatlichen und öffentlichen Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen zur Selbstveständlichkeit werden lassen. Jetzt handelte es sich nicht mehr um eine Förderung bestimmter wissenschaftlicher Institute, sondern um eine Lebensfrage der Forschung überhaupt. "Das deutsche Wirtschaftsleben muß der deutschen Wissenschaft durch diese schweren Jahre helfen", so hieß es 1920 in dem Aufruf des "Stifterverbandes der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft'5." Erst jetzt war jene Erkenntnis, die Klein bereits dreißig Jahre zuvor ausgesprochen hatte, allgemein geworden, die einer der Initiatoren der Notgemeinschaft, Professor Fritz Haber, in die Formulierung brachte: "Die Leistung, die die Gegenwart für die Aufrechterhaltung des Wissenschaftsbetriebes auf sich nimmt, ist der Versicherungsbeitrag für die Existenz unserer Wirtschaft für die Zukunft78." Eine direkte Linie führte aber schließlich von dem Göttinger Unternehmen Kleins, mit seinem Einfluß auf die Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie des Jahres 1899, über die Pläne Althaffs zu den Ideen, die im Jahre 1910 zur Gründung der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften geführt haben77 • Klein und Böttinger sind 7! Insbesondere mit entsprechenden Plänen und Anfragen aus Erlangen, Leipzig, Dresden, Frankfurt und Bonn haben sich Klein und Böttinger längere Zeit beschäftigt. Sitzungsprotokoll der G. V. und Anlagen der Jahre 1905 ff. 73 Vgl. Carl Duisberg, Hochschule u. Wirtschaft, Das Akademische Deutschland, Bd. 1!1, Berlin 1930, S. 575. 74 Autobiographische Skizze, a. a. 0., S. 28. 75 Vgl. Schmidt-Ott, a. a. 0., S. 174 ff. 7° Carl Duisberg, Hochschule und Wirtschaft, a. a. 0 ., S. 585. 77 Das ist in den Veröffentlichungen zur Vorgeschichte und Begründung der Gesellschaft aus unvollständiger Kenntnis der Akten bisher völlig unberücksichtigt geblieben.

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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sich immer bewußt gewesen, gerade in diesem Zusammenhang mit Hilfe Althoffs hier bahnbrechende Pionierarbeit geleistet zu haben. Erst sie haben Althoff in den Gedanken so gearteter Wissenschaftsförderung wirklich eingeführt. Gegenüber der weitausgreifenden Entwicklung, die mit der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft einsetzte, waren Klein und Böttinger sogleich darauf bedacht, die Bedeutung der Göttinger Vereinigung zur Geltung zu bringen, und man war darin einig, die Selbständigkeit der Vereinigung zu wahren, aber auch angesichts der in Aussicht stehenden umfassenden Entwicklung Sitz und Stimme in der neuen Gesellschaft anzustreben78 • Zur Tagung der Göttinger Vereinigung 1911 in Essen hatten dann Krupp von Bohlen und Böttinger auch Vertreter der neuen Gesellschaft eingeladen, im "Bewußtsein der gleichartigen Bestrebungen der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft mit den Aufgaben, die sich die Göttinger Vereinigung gestellt hat" 70 • Was man in Göttingen auf einem verhältnismäßig überschaubaren Gebiet begonnen und entwickelt hatte, wurde durch die Kaiser-WHhelmGesellschaft auf die breiteste Grundlage gestellt als eine Art Dauerunion zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Klein hat später freilich im Hinblick auf die neue Förderungsgesellschaft etwas bitter vermerkt, daß sie ihre Tätigkeit lediglich im "Geldsammeln" erschöpfte und sich nicht "organisatorisch" betätigte. "Organisieren" hieß aber für ihn, dem organischen Zusammenhang der Wissenschaft nachspüren, und so hat er dann auch bedauert, daß der Zusammenhang mit den Technischen Hochschulen bei der Gründung der Kaiser-WHhelm-Gesellschaft zu kurz gekommen sei. Sich für den Geltungsbereich der Wissenschaft einzusetzen war ja der Ausgangspunkt für ihn gewesen. Das Prinzip, die Wissenschaft um ihrer selbst willen zu treiben, um der wissenschaftlichen Wahrheit "als solcher" einseitig verfolgt, mußte nach seiner Auffassung zu gefährlichen Mißständen führen. Das Ganze der Wissenschaft umfaßte aber auch die angewandten Wissenschaften, die selbst wiederum nicht von dem großen Bereich der modernen Technik abzutrennen waren. Hier sollte auch keine Rangordnung und Hierarchie anerkannt werden. So stand das große Problem der Beziehungen zwischen reiner und angewandter Wissenschaft und Technik über allen seinen wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen, ein Problem, das sich für ihn vor allem in der Stellung der angewandten Wissenschaften auf der Universität und deren Beziehungen zu den Technischen Hochschulen konkretisierte. Sein reales Ziel, durch die Wissenschaft Technik und Industrie zu befruchten und dadurch umgekehrt die Industrie am Gedeihen der Wissenschaft zu interessieren, hat auch, nachdem die Anfangsschwierigkei78 Sitzungsprotokoll der Generalversammlung 1910. Böttinger wurde Senator und zweiter Schatzmeister der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. n Sitzungsprotokoll 24./25. 4. 1911.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

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ten längst überwunden waren, an der Universität selbst noch lange Zeit nur höchst geteilte Aufnahme gefunden. Zur Einweihung der neuen Institute 1905 mußte er Althoff mitteilen, mit "Rücksicht auf die Eigenheiten unserer akademischen Kreise" sei es geraten, der Feier selbst nur den Anstrich lokaler Bedeutung zu geben, um die Gegner nicht herauszufordern. Die von Althoff angeregte Einladung des Kultusministers fand Klein deshalb nicht ratsam, um die Verstimmung der Gegenseite nicht noch mehr zu provozieren80 • In der Festansprache des Dekans der philosophischen Fakultät war dann auch unschwer die Reserve gegenüber den Unternehmen der Göttinger Vereinigung herauszuspüren. Noch am zehnten Jahrestag des Bestehens der Göttinger Vereinigung mußte der Prorektor der Universität im Hinblick auf die "abweichende Anschauung eines Teiles der Kollegen" einräumen, daß er in seiner offiziellen Begrüßungsansprache nicht in der Lage sei, im Namen der Universität zu sprechen81 • Erst auf der Feier zum zwanzigjährigen Bestehen der Vereinigung, 1918, konnte der derzeitige Rektor, darauf bezugnehmend, ausdrücklich betonen, daß er nun im Namen und Auftrag der ganzen Universität die Glückwünsche überbringen könne82 • d) Kleins "Göttinger System des Universalismus"

Die unterschiedlichen Anschauungen trafen vor allem innerhalb der philosophischen Fakultät aufeinander. Sie führten nach lange schwebenden Meinungsverschiedenheiten schließlich zu einem von den Mehrheitsvertretern der philologisch-historischen Fächer eingebrachten Antrag an das Ministerium auf Teilung der Fakultät83• Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen begannen sich durch Kleins Wirken "zu einer solchen Stärke auszuwachsen", so fürchtete der Antragsteller, daß sie gegenüber der traditionellen Vorherrschaft der humanistischen Wissenschaft in der philosophischen Fakultät in ein drückendes Übergewicht umzuschlagen drohten. Mit wachsender Besorgnis, hieß es, habe man diesen Zustand sich immer mehr festigen sehen, in dem Bewußtsein der Verpflichtung inmitten dieser antihumanistischen Strömung des naturwissenschaftlich-technischen Realismus die ewigen Rechte der humanistischen Bildung zu verteidigen: "Es müßte denn anders das in der Geschichte eines halben Jahrtausends wurzelnde Wesen der deutschen Universität preisgegeben werden84." Die hier in prinzipiellen Anschauungen divergierenden Parteien sollten sich noch lange unversöhnt 8

° Klein an Althoff, UBG Cod. MS Nachlaß Klein IV.

Festbericht 1908, a. a. 0., S. 23. Festbericht 1918, S. 32. 83 UAG, Phil. Fak. Dekanatsakten, Bde. 185 a, 188 a, 189 a. 84 Antrag "Dilthey und Genossen (14 Professoren) auf Teilung der Fakultät an den Kultusminister vom 21. 12. 1903, UAG ebd. Bd. 189 a. 81 82

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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gegenüberstehen, und Klein mußte im Hinblick auf seine Maßnahmen feststellen, daß die eine Hälfte der Fakultät diejenigen Maßregeln, welche die andere Hälfte im Interesse der Universität für notwendig hielt, unbedingt und prinzipiell ablehnte85• Aus dem gleichen wissenschaftlichen Gesamtdenken, aus dem heraus er die Einbeziehung der Technik und die Annäherung zu den technischen Hochschulen betrieb, bekämpfte er auch die Teilung der philosophischen Fakultät88 und auch hierin fand er die Unterstützung Althoffs. Mit dem naturwissenschaftlich-technischen Realismus als "moderner Zeitströmung", als einer "zu bejahenden immer weitergehenden Ausbreitung und Differenzierung der geistigen Kultur" mußte ganz besonders die philosophische Fakultät auf alle Weise Fühlung nehmen, mit dem Ziel einer Vermittlung und wechselseitigen Durchdringen von Altem und Neuem im positiven Sinne: Nicht grundsätzliche Negierung des Hergebrachten, sondern Einbeziehung neuer Gebiete der an dem alten Stoff gewonnenen wissenschaftlichen Grundsätze und Fähigkeiten. Die guten und bewährten Traditionen der Universität sollten sich in einem wesentlich erweiterten Kreise bewähren, die Entfremdung zwischen reiner und angewandter, Klein sprach in diesem Zusammenhang auch von "alter" und "neuer" Wissenschaft, mußte überwunden werden. Die Ziele seines eigenen Strebens charakterisierte er selbst als "durchaus fortschrittlich, aber keineswegs radikal", als "praktisch mit den gegebenen Verhältnissen rechnend, aber nicht utilitaristisch" 87 • Indem sie gleichmäßig nebeneinander aber aufeinander bezogen zur Entwicklung kommen, sollten sich die verschiedenen Ausprägungen und Differenzierungen der Wissenschaft zu einem umfassenden Ganzen zusammenschließen, und in diesem Bezug sprach Klein von seinem "Göttinger System des Universalismus" 88• Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen innerhalb der philosophischen Fakultät erschienen zwar von der "modernen Strömung" viel unmittelbarer betroffen als die philologisch-historischen Fächer, aber auch ihre Aufgabe konnte nach Kleins Überzeugung nicht Separation und Abschluß gegenüber der Entwicklung der modernen Kultur sein, wie er sie selbst verstand89 • Deshalb konnte er auch nicht die Spaltung der Fakultät akzeptieren, die ihm als "Inbegriff der verschiedenen Gebiete des theoretischen WisKlein an den Dekan 19. 11. 1899, UAG ebd. Bd. 185 a. Besondere mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultäten gab es bis dahin nur in Tübingen, Straßburg und Heidelberg. 87 F. Klein, Zur Frage der Teilung der phil. Fakultät, Universitätsrede zum Geburtstag des Kaisers, Göttingen 1904, S. 7. 88 UBG Cod. MS Nachlaß Klein 21. 89 Auch für diese Fächer mit Einschluß der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen hielt er es im übrigen für möglich und notwendig, von privater Seite Förderung und Unterstützung zu finden. 85

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111. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

sens" galt, er mußte vielmehr ihre Abrundung und die Angliederung seither noch abgetrennter aber zu diesem Inbegriff gehöriger Teile als ein zeitgemäßes Unternehmen angesehen werden. Darüber hinaus äußerte er klipp und klar: "Ich stehe nicht an, dem Wunsch nach Spaltung der Fakultät vom Standpunkt der theoretischen Wissenschaft als nicht mehr zeitgemäß zu betrachten80." Das war zweifellos eine ebenso bedeutsame wie eigenwillige Argumentation und sie beleuchtete vor allem auch erneut den Ausgangspunkt seiner auf die Einbeziehung der Technik gerichteten Ziele und seine Auffassung vom Verhältnis zwischen den beiden Hochschulen. Von seiner Einstellung zur Technik aus ist Klein zur Betonung der "sozialen Aufgabe" von Wissenschaft und Hochschule gekommen. Hier lag ein weiterer, wenn auch weniger sichtbarer Antrieb seiner wissenschaftsorganisatorischen Wirksamkeit. Gelegentlich hat er dabei von einer notwendigen "Demokratisierung" der Universität gesprochen. Die Unfruchtbarkeit bloßer Negation, wie er sie bei den entschiedenen Verfechtern der idealistischen Universitätsidee gegenüber neuen wissenschaftlichen und sozialen Anforderungen vielfach festzustellen meinte, schien ihm unbezweifelbar. Er war überzeugt, daß damit die Verteidiger der so verstandenen humanistischen Wissenschaften und des von ihm so bezeichneten "naturwissenschaftlich gerichteten Humanismus" 91 sich selbst und der Wissenschaft und Lehre zum Schaden, nicht nur auf neue Impulse und entscheidende Anregungen verzichteten, sondern sich ebenso um jede ernsthafte positive Einwirkungsmöglichkeit brachten und jedenfalls eine auf die Dauer unvertretbare, längst anachronistische Haltung einnahmen. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, die mit dem Ziel auf eine an innerem Wert und sozialer Geltung gleiche Hochschule in Gang gekommene Bewegung könne aufgehalten oder in andere Bahnen gelenkt werden. Die Frage war für ihn nicht, wie die neu sich regenden Forderungen und Bedürfnisse den alten Zwecken der Hochschule unterzuordnen seien, wie dies etwa in den älteren Hochschuldis90 Zur Frage der Teilung der phil. Fakultät, a. a. 0., S. 11. Den zu Kleins Position entgegengesetzten Standpunkt legte in einer öffentlichen Stellungnahme der Göttinger Staatswissenschaftler Gustav Cohn dar, einer der Antragsteller auf Teilung der Fakultät. Die Sache selbst verlange die Trennung, schrieb er, weil es zwei getrennte Welten der Wissenschaft und ihrer Lehre seien. Gustav Cohn, über die Fakultäten, deren Vereinigung und Trennung, Schmollers Jahrbuch, 29. Jg. 1905, H. 1, S. 1 ff. Cohn vertrat die Ansicht, daß eine im Sinn Kleins erfolgende Erweiterung und Ausweitung der Universitäten zur Technik hin, nur um so näher dem Punkte zutreibe, wo eine gründliche und prinzipielle Auseinandersetzung von Universität und T. H. erfolgen müsse. 91 Darunter verstand Klein, daß die einst revolutionären Naturwissenschaften gegenüber den Anwendungen und der Technik selbst in das Gebiet verfestigter Traditionen u. einseitiger Anschauungen gerückt seien, und - von jener Seite einst bekämpft - sich selbst auf den neuhumanistisch-idealistischen Wissenschaftsbegriff zurückzogen.

8. Entwicklung und Bedeutung der Göttinger Vereinigung

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kussionen bei vielen Befürwortern einer Verbindung von Universität und Technischer Hochschule der Fall gewesen war, sondern umgekehrt, wie die alte Hochschule den ihr gestellten neuen Zwecken gerecht werden konnte. Die Bedürfnisse schienen ihm unabweisbar vorhanden zu sein und mußten notwendig Befriedigung finden 9z. Die Tätigkeit der Göttinger Vereinigung muß als ein sehr wesentliches, bisher fast völlig unbeachtetes Kapitel in der neueren Geschichte der Göttinger Universität angesehen werden. Wenn Paul de Lagarde im Zusammenhang mit seinen Vorschlägen zur Reform der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften aus dem Jahre 1887 die Forderung erhoben hatte, Göttingen müsse aufhören, eine Provinzuniversität zu sein und wieder, wie einst im 18. Jahrhundert, eine "Universität für Europa und mehr als Europa" werden, so ist es Klein gewesen, der mit Hilfe der Vereinigung jene große Entwicklung eingeleitet und ermöglicht hat, die schließlich für mehrere Jahrzehnte diese Forderung, freilich auf andere Weise als es Lagarde vorgeschwebt haben mochte, erfüllen sollte. Darüber hinaus bildet deshalb die Vereinigung zugleich auch ein höchst wichtiges Kapitel in der Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik und der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland. Endlich aber umgreift die Geschichte der Göttinger Vereinigung einen bedeutsamen Abschnitt in den Beziehungen und im Verhältnis zwischen Universität und Technischer Hochschule. Klein hatte zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt aus den auch von anderen erkannten Strukturveränderungen der Wissenschaft und den organisatorischen Veränderungen der Forschung Folgerungen gezogen, die notwendig Lehre und Leben der Universität verwandeln mußten. Selbst mitten in diesen Wandlungen des Wissenschaftsbetriebes und der Hochschule stehend, hat er sie nicht nur bejaht, sondern aus einer Position des Überganges heraus nach Kräften angestrebt. Aufstieg, Bedeutung und Auswirkungen von Naturwissenschaft und wissenschaftlicher Technik forderten eine Veränderung des Verhältnisses von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Leben, eine Veränderung der Aufgabenstellung der Universität und damit schließlich eine Überwindung ihrer "Sozialblindheit". Nach Kleins Auffassungen hatten die Naturwissenschaften nicht den Sinn, die Natur zu erklären, das könnten sie, so war er überzeugt, letzten Grundes gar nicht, sondern sie hatten die Aufgabe, die Natur zu beherrschen93. Daraus ergab sich von vornherein die Verbindung mit der Tech92 Vgl. hierzu Kleins Ausführungen in den Schriften des Deutschen Ausschusses für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht, H. 10, 1911, S. 9. Hier bezog er sich auf ähnliche Auffassungen des Leipziger Philosophen Wilhelm Wundt. 93 Felix KLein, Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jh., Teil I, Berlin 1926, S. 199.

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III. Die wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen Felix Kleins

nik, der Zusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis, technischer Anwendung und industrieller Auswertung lag damit schon in der Natur dieses Prozesses. In seinen Bestrebungen rundete sich bereits eine Fülle von Entwicklungen, wie sie etwa schon zu seiner Zeit mit dem Begriff "Großwissenschaft" und "Großbetrieb der Universität'' bezeichnet wurden, und die über eine gewissermaßen vorindustrielle Produktionsform von Wissenschaft und Lehre, wie sie das idealistisch-humanistische Leitbild darstellte, in die Kooperationsweisen des modernen Wissenschaftsund Forschungsbetriebes einmündeten und in die "Vergesellsc.'laftung" der Hochschule94 • Klein konnte hier nicht die Kultursynthese schaffen, um die es ihm letztlich zu tun war, wenn es überhaupt möglich und durchführbar gewesen wäre, zu dieser Zeit Universität und Technische Hochschule zu verschmelzen oder technische Fakultäten an den ersteren zu begründen, so hätte jedenfalls seine Wirksamkeit im Bunde mit der mächtigen Stellung Althoffs dies wenigstens in Ansätzen erreichen können. Es war indessen, wie sich deutlich genug herausgestellt hatte, das eine nicht mehr und das andere noch nicht möglich.

04 Vgl. hierzu Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, Idee u. Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Harnburg 1963; vor allem das Kapitel : Die sozialen Wandlungen der Wissenschaft und der Universität,

s. 197 ff.

IV. Der Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht 1. Die "Technikerbewegung" auf ihrem Höhepunkt a) Alois Riedler: Unsere Hochschulen und die Anforderungen des 20. Jahrhunderts

Egon Zöllers im Jahr 1891 erschienenes Buch: "Die Universitäten und Technischen Hochschulen" war der Auftakt gewesen zu einem neuen Abschnitt in der Diskussion über die Stellung der Technischen Hochschule und ihr Verhältnis zu den Universitäten. Vor dem Selbstbewußtsein verleihenden Hintergrund greifbarer technisch-industrieller Erfolge war hier versucht worden, die Forderung nach vollständiger Gleichstellung und Gleichberechtigung der Hochschulen mit der Universität zusammenfassend zu begründen. Oie folgenden Jahre brachten für die Technischen Hochschulen, wesentlich als Auswirkungen der Chikagoer Weltausstellung und der Anregungen des Vereins Deutscher Ingenieure in den "Aachener Beschlüssen", Gründung und Ausbau der technischen Laboratorien und die Auseinandersetzung über die zweckentsprechende Ingenieurausbildung. In engem Zusammenhang mit der immer lauter und energischer vorgetragenen Gleichberechtigungs- und Titelfrage kam es dabei, wie schon dargelegt, zu stärkerer Betonung der Forschungsaufgabe der Technischen Hochschulen als der inneren Voraussetzung ihrer wissenschaftlichen Gleichberechtigung und Höherentwicklung mit dem Ziel des Promotionsrechtes. Kleins Göttinger Bestrebungen schoben sich in diese Diskussion der Kernprobleme der Hochschulentwicklung hinein, sie von der Seite der Universität her entfachend und verstärkend. Sein Vorgehen hatte das Signal gegeben für zahlreiche Stellungnahmen und Erörterungen über das Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule. Dies Thema beherrschte jetzt in den Jahren vor der Jahrhundertwende die aktuelle Hochschuldiskussion. Nach den Flugschriften und Reden Alois Riedlers, die sich mit der Ingenieurausbildung, mit Ausgestaltung und Zielen der Hochschulen befaßten und in denen Kleins Unternehmungen ebenso wie der traditionelle "Universitätsgeist", sekundiert von vielen tonangebenden Tech-

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

nikernt, scharf und polemisch bekämpft wurde, griff Riedler im Frühjahr 1898 erneut in die Diskussion ein. In der bis dahin umfangreichsten und am meisten beachteten seiner Schriften nahm er das Thema "Universität und Technische Hochschule" in einer Weise auf, die den Versuch bedeutete, gegenüber Kleins Ideen jetzt von der Seite der letzteren aus die möglichen und notwendigen Alternativen ihrer Entwicklung darzulegen. Riedlers Buch mit dem programmatischen Titel: "Unsere Hochschulen und die Anforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts" 2 ging insofern über den Rahmen seiner früheren Äußerungen hinaus, als es die Universitäten ausdrücklich in die Betrachtung einbezog. Er stellte hier die schon bekannten Prämissen voran, daß die Lebens- und Kulturgrundlagen der Nation jetzt insgesamt vom technischen Fortschritt abhingen und daß Pflege und Entwicklung der Technischen Hochschulen deshalb jetzt schlechthin ein Gebot der Selbsterhaltung sei. Von solchen Überlegungen ausgehend, stellte Riedler die Frage nach den "Universitäten im neuen Jahrhundert". Niemand dürfe ihre bisherige überragende Bedeutung leugnen oder ignorieren. Allein, in ihrer überlieferten Gestaltung und Wissenschaftsauffassung standen sie nicht auf der Höhe der Zeit. Sie seien den neuen Aufgaben nicht mehr gewachsen und würden aufhören, ein Brennpunkt des geistigen und nationalen Lebens zu sein, wenn sie sich weiterhin den eigentlich weltbewegenden Potenzen des modernen Lebens verschlössen. Es waren also durchaus gleiche oder ähnliche Gedanken, wie sie Klein ausgesprochen hatte. Riedler bezog seine Maßstäbe jetzt aber ganz und gar aus dem "inneren Wesen" der Technischen Hochschule. Der Schutz der mächtigen Vorrechte, über die die Universität noch gebiete, so erklärte er, solle sie nicht über den zerklüfteten Boden täuschen, auf dem ihre überlieferte Organisation ruhe3, und er kam zu dem Ergebnis: Nicht die Technischen Hochschulen müssen sich den Universitäten, sondern umgekehrt, die Universitäten müssen sich den Technischen Hochschulen angleichen. Sie haben ein Jahrhundert lang die wissenschaftliche Technik unbeachtet gelassen und treten in das neue Jahrhundert entsprechend unvorbereitet ein. Riedler bezog sich auf Kleins Bestrebungen, wenn er ausführte, daß die Erkenntnis des Zurückbleibens an den Universitäten erst jetzt begonnen habe. Der Gedanke der Vereinigung aller Wissenschaftsgebiete tauche jetzt in Kreisen der Universität auf. "Einsichtige" suchen 1 Der VDI hatte Riedler 1897 mit der Verleihung der Grashof-Denkmünze diP. höchste Ehrung des Vereins zugesprochen, .,in dankbarer Anerkennung der großen Verdienste, die er sich um die deutsche Technik in Wissenschaft und Praxis als einer der Führer des Fortschrittes in der Ausbildung unserer jungen Fachgenossen erworben hat". Zs. d. VDI, Jg. 1897, S. 957, desgl. Peters, a. a. 0., S. 13. 2 Berlin 1898. 3 Unsere Hochschulen, a. a. 0 ., S. 21.

1. Die "Technikerbewegung" auf ihrem Höhepunkt

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Fühlung mit der Technik. Da sich die wissenschaftliche Technik aber von den mächtig gewordenen Technischen Hochschulen nicht mehr abtrennen lasse, müßte die Universität nunmehr die Gesamtheit der technischen Wissenschaften, die ganze Technische Hochschule in sich aufnehmen. Nur dann könne sie auch den "Aufgaben des zwanzigsten Jahrhunderts" gewachsen sein. Riedler sah selbst deutlich genug und sprach unmißverständlich aus, daß eine solche Erweiterung der Universität die größte Umgestaltung bedeuten mußte, die sich bis dahin in ihrem Wesen vollzogen hatte, und als Voraussetzung und Folge eine vollständige Änderung ihrer ganzen Geistesrichtung bedingte4 • Sein Grundgedanke lief auf die Feststellung hinaus: die höchsten Bildungsstätten, Technische Hochschule und Universität, sind in ihrer heutigen Organisation den künftigen Anforderungen nicht ausreichend gewachsen. Während auf der einen Seite die Technischen Hochschulen Gefahr laufen, sich zu sehr zu Fachschulen auszubilden und sich im Spezialistentum zu verlieren, stehen andererseits die Universitäten in keinem lebensvollen Zusammenhang mit den praktischen Anwendungen und sozialen Aufgaben, mit ihrer "doktrinären" Wissenschaftsauffassung nicht im Einklang mit den Forderungen des modernen Lebens und der kommenden Zeit. Am Ende des Jahrhunderts lasse sich aber von keiner Seite mehr bestreiten, daß die Geschicke der Völker von technisch-wirtschaftlichen Einrichtungen und von technischer Bildung unmittelbar abhängen, und dies wiederum mache eine Umgestaltung des Hochschulwesens notwendig. Die Technischen Hochschulen ließen sich verhältnismäßig leicht den Bedürfnissen entsprechend ausbauen, die Universitäten dagegen nicht. Sie müßten vollständig mit ihrem bisher vertretenen und als unantastbar gepriesenen Grundsatz der "reinen", um "ihrer selbst willen" betriebenen Wissenschaft brechen. Nur unter dieser Voraussetzung könne sich die wissenschaftliche Technik ihrer Eigenart entsprechend im Verbande der Universität entfalten. In der Hochschulfrage sah er demgemäß nur zwei mögliche Wege, entweder die ganze Technische Hochschule mit der Universität zu vereinigen, dab.ei die selbständige, freie Entwicklung der Eigenart technischer Bildung zu sichern, oder die bisherige Trennung aufrechtzuerhalten, aber die Hochschulen "den Aufgaben des zwanzigsten Jahrhunderts entsprechend" auszubauen5 • Im ersteren Falle lag nach Riedlers Ansicht der Gewinn, aber auch alle Schwierigkeiten vor allem bei den Universitäten. Nicht als einzelne Fakultät, dazu bilde die Technische Hochschule längst einen viel zu großen Körper, sondern- zunächst unverändert in ihrer 4

5

a. a. 0., S . 25. a. a. 0., S . 75.

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Organisation- als Gruppe der technischen Fakultäten und getrennt in Verwaltung und Etat könnte die Vereinigung erfolgen. Den traditionellen vier Fakultäten stände dann im "technischen Zweig der Universität" gleichberechtigt die Gruppe von vier technischen Fakultäten, den Abteilungen der Technischen Hochschule entsprechend, gegenüber8 • Gewissermaßen dazwischen wollte Riedler eine besondere Kunst-Fakultät und eine von der philosophischen getrennte mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät gestellt wissen, hier sollten die allgemeinen Abteilungen der Technischen Hochschule eingegliedert werden. In dieser neuen Form der Hochschule, so glaubte Riedler, wäre endlich "doktrinäre und fachliche Einseitigkeit" ausgeschlossen. Kleins Bestrebungen an der Göttinger Universität wertete er in diesem Zusammenhang erneut als im Universitätsinteresse durchaus begreiflich, sah in ihnen aber jetzt einen völlig unzureichenden Schritt. Wenn Kleins Absichten die Herstellung oder Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Universität und technischen Wissenschaften bezwecken und diese Bestrebungen tatsächlich die ganze wissenschaftliche Technik umfassen sollten, dann waren, wie Riedler nun meinte, die von ihm selbst hier verfochtenen Ziele nur mehr in der Form von denen Kleins verschieden. Der einzig richtige Weg könne dann aber tatsächlich nur die vollständige Vereinigung beider Hochschulen in der von ihm vorgeschlagenen Weise sein. Die technischen Wissenschaften hätten inzwischen eine solche Bedeutung erlangt, daß nur ein voller Schritt zum Ziele führe. Mit der Frage des akademischen Studienabschlusses als Diplom und Promotion für den Ingenieur kam Riedler auf den eigentlichen Hauptpunkt seiner Darlegungen. Ausführlich zog er eine Bilanz der "Kulturaufgaben des Ingenieurs", der sich aus eigener Kraft gegen die "mächtigen Vorrechte" und die sozialen Privilegien einer "überlieferten Klassenherrschaft" einseitiger Universitätsbildung die Anerkennung zu erkämpfen habe. Die Universität verharre bisher auf einer überholten Wissenschaftsauffassung und einem lebensfremden Bildungsbegriff, von denen aus sich gegenüber den Leistungen der Techniker und der Technischen Hochschulen nirgends mehr das Recht einer sozialen Vorrangstellung ableiten ließe. Riedler wiederholte nur die in den voraufgegangenen Jahrzehnten zahllos oft vorgebrachte Klage der Techniker: Deutschland ist die einzige große Nation, die den Ingenieurberuf weder formell noch tatsächlich so würdigt, wie er es verdient7 • Es wäre ein unzumutbares Verfahren, so interpretierte er Kleins Absichten, wenn der Absolvent der Technischen Hochschule am Ende eines jedem anderen akademischen Studiengang gleichwertigen Studiums erst an der Universität den Doktortitel erwerben könne. Die einfachste Lösung des 8 1

a. a. 0., S. 77 ff..

Unsere Hochschulen, a. a. 0., S. 82 ff.

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Problems sah er in einer Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule in der von ihm vorgeschlagenen Weise. In jedem Falle müsse für den wissenschaftlich gebildeten Ingenieur, der die Bedingungen erfüllt, der Doktortitel in seinem Fach erreichbar sein wie in jeder Fakultät der Universität. Wie die Verhältnisse liegen, bringe hier nur diese überlieferte Form die Gleichwertigkeit seines wissenschaftlichen Studiums zum Ausdruck. Hinzu komme der durch keine andere Beziehung zu kompensierende soziale Wert dieses Titels. Nicht zuletzt weil diese Form den Technischen Hochschulen bisher fehlte, werde das technische Studium für minderrangig gehalten, ungeachtet der eindeutigen Sprache der Ingenieurwerke selbst. Die Gleichberechtigung spreche sich nun einmal wesentlich im Titel und in akademischen Graden aus. Mit seinem ganzen Ansehen als Ingenieur und Hochschullehrer hatte Riedler jetzt die Forderungen der Techniker erneut sehr vernehmlich und mit großer Öffentlichkeitswirkung vorgetragen. Es kennzeichnete die Brisanz seiner Darlegungen, daß zunächst mehrere Verlage - aus gebotener Rücksicht auf Universitätskreise - ablehnten, sein Buch zu verlegen. Innerhalb weniger Monate erlebte es trotzdem mehrere Auflagen. Das Streben nach voller Gleichberechtigung mit der Universität und nach der "Gleichwertigkeit" der Ingenieure, führte im letzten Jahrfünft des Jahrhunderts, von Klein ausgelöst, zunächst zum Streit um bestimmte Lehrgebiete, deren Abgrenzung um so schwieriger erschien, da bei dem bedeutenden Aufschwung der technischen Fächer und der naturwissenschaftlichen Disziplinen sich durch ihre ständige Ausweitung in den beiderseitigen Interessensphären Verschiebungen ergaben, die jetzt vielfach in die Frage einmündeten, ob ein Nebeneinanderbestehen oder die Vereinigung der Hochschulen sinnvoller sei, und wie schließlich Kompetenzkonflikte und ein höchst unfruchtbarer Dualismus zu überwinden wäre. Aus der Beantwortung dieser Frage ergab sich auch die Argumentation für den "technischen Doktor". Die nach dem Erscheinen von Riedlers Schrift sogleich einsetzenden heftigen Diskussionen leiteten unmittelbar über zu dem mit Erbitterung geführten Kampf um die endgültige Durchsetzung des Promotionsrechtes für die Technischen Hochschulen. b) Die wissenschaftliclte Ebenbürtigkeit der Technischen Hochschule und die soziale Stellung der Ingenieure

Schon im März 1898 kamen Riedlers Forderungen auf einer Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses zur Sprache, in der vor allem Rudolf Virchow sich scharf gegen dessen Auffassungen wandte8• Der Berliner Philosoph und Pädagoge Friedrich Paulsen stimmte Riedler da8

Vgl. Stenographische Berichte, 44. Sitzung, 11. 3. 1898, S. 1349 ff.

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gegen in einer ausführlichen und abgewogenen Rezension "in vielen Punkten" zu. Eine Vereinigung der Hochschulen könnte allerdings, so fand er, bei ihrer tatsächlichen räumlichen Trennung nur eine formelle Verbindung sein, die den Technischen Hochschulen immerhin Teil an allen Universitätsprivilegien verschaffen werde. Das Promotionsrecht, gegen das nach Faulsens Ansicht prinzipiell nichts einzuwenden war, müsse sich aber auf andere Weise erreichen lassen8• Riedler hatte seine Vorschläge nicht zuletzt mit dem Blick auf die neu geplanten Technischen Hochschulen im Osten Preußens vorgebracht, und in diesem Zusammenhang erklärte auch Klein, daß er mit der "neuen Wendung" Riedlers, die Technische Hochschule als Ganzes an die Universität anzuschließen, vollständig übereinstimme. Von der Universität her gesehen, blieb er damit freilich allein, und in seiner bereits angeführten Rede vor der Düsseldorfer Naturforscherversammlung erwähnte er gerade Riedlers Vorschläge nicht, um die Vertreter der Universitäten nicht von vornherein zu "verprellen". Der harte Widerspruch, den Riedler auf seine Vorschläge und Forderungen erwarten mußte, ist nicht ausgeblieben. Der Rektor der Berliner Universität, der Anatom Professor WaZdeyer, machte sich zum Sprecher der Gegenseite. Mit ausdrücklichem Bezug auf Klein und Riedler, die sich damit in eine gemeinsame Front eingereiht fanden, wies er jeden Angriff auf das Ideal "der reinen wissenschaftlichen Erkenntnis" zurück. Er lehnte die Riedlerschen Vorschläge ab und erinnerte die Technischen Hochschulen daran, daß gerade der Fortschritt der Technik nur auf die Grundlage jener "reinen Erkenntnis" möglich gewesen sei. Alte Vorwürfe und Urteile wieder aufnehmend, kennzeichnete er die Technischen Hochschulen als bloße Fachschulen, als Unterrichtsstätten, die im Gegensatz zur Universität ausschließlich in der unmittelbaren Vorsorge für den künftigen praktischen Beruf ihr einziges und letztes Ziel erkennen lassen, um dann schlicht zu konstatieren: "Die Universitäten brauchen die Fachschulen nicht, wohl aber brauchen diese die Universitäten." Wenn sie für sich zur vollen Höhe wissenschaftlicher Entwicklung gelangen wollten, so müßten sie sich "mit einer Kopfanstalt versehen, auf welcher in der Universitätsweise doziert wird". Jede Fachschule aber, die sich der Universität nähern wolle, müsse das "rein Technische" abstreifen. Wissenschaftliche Bildung und technische Ausbildung schienen Waldeyer unvereinbare Gegensätze10• Die hier von hervorragender Seite zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die Bezeichnung eines grundsätzlichen Unterschiedes zur Techni8 Fr. Paulsen, in der Deutschen Literaturzeitung Nr. 44 u. in den Preußischen Jahrbüchern Bd. 94, 1898, S. 552 ff. 10 Wilhelm Waldeyer, über Aufgaben und Stellung unserer Universitäten seit der Neugründung des deutschen Reiches. Rede zum Antritt des Rektorates der Universität Berlin, Berlin 1898, S. 9.

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sehen Hochschule war und blieb charakteristisch für die meisten öffentlichen Stellungnahmen an den Universitäten zu Riedlers Schrift und überhaupt zum Problem der Vereinigung11 • Man wandte sich gegen eine Verbindung mit der Technischen Hochschule zu einem "ungeheuerlichen Ganzen". Die Universität müsse Zentrum einer Bildung durch Wissenschaft bleiben. Der engere Fachbereich der Technischen Hochschule solle sich dagegen nach eigenem Wesen entwickeln und sich dabei nicht eines von der Universität erborgten Glanzes bedienen. Es blieben die gleichen prinzipiellen Argumente, die von den Verfechtern des humanistischen Universitäts- und Wissenschaftsideals auch Klein immer wieder entgegengehalten wurden. Gegenüber Riedler und anderen Stimmen der Technischen Hochschule waren allerdings hier die Nuancen noch um einige Grade schärfer. Eine genauere Auseinandersetzung mit Riedlers Vorschlägen im einzelnen erfolgte nicht, und von vielen Ingenieuren wurde die an den Universitäten hier zumeist beobachtete Zurückhaltung als geflissentliche Ignorierung bezeichnet und mit Recht als generell abweisend gedeutet. Mit um so größerer Aufmerksamkeit beachtete man deshalb einzelne öffentliche Stellungnahmen, in denen sich Universitätslehrer weniger grundsätzlich ablehnend äußerten, auf einen Ausgleich bedacht waren oder Zustimmung ausdrückten. Der Greifwalder Historiker Professor Bernheim machte auf die Gefahren aufmerksam, die nach seiner Ansicht vor allem durch das Verhalten der Universität selbst, ihre hohe Stellung und die wertvollen und notwendigen Wechselbeziehungen mit allen Schichten der Bevölkerung ernsthaft bedrohten12• Im Hinblick auf das Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule warnte er vor einer allzu scharfen Haltung und Exklusivität gegenüber den durch bahnbrechende Leistungen ausgewiesenen Technischen Hochschulen, eine Haltung, die nur der wohlverstandenen Sache der Universität selbst schaden werde. Die Universität dürfe nicht passiv den durch den Aufstieg und Anspruch der Technischen Hochschule ausgelösten Rückwirkungen zusehen, und er verlangte "gemeinsame zielbewußte Arbeit". Vielleicht sei angesichts dieses passiven Zuwartens bereits eine Entscheidung von weittragender Bedeutung gefallen, befürchtete Bernheim, vielleicht habe man bereits beschlossen, die Technischen Hochschulen zu ermächtigen, einen Doktorgrad zu verleihen, ohne daß gleichzeitig Maßregeln getroffen seien, den einschneidenden Rückwirkungen auf die Universitätsverhältnisse vorzubeugen13• Er gab hier die Gefahr, ein 11 Vgl. Karl Ritter von Holzinger, Das Verhältnis der deutschen Universitäten zu den Bildungsbestrebungen der Gegenwart, Prag 1899, ferner Hochschulnachr., Nr. 90, 1898, S. 150 ff. 1z Ernst Bernheim, Die gefährdete Stellung unserer deutschen Universitäten, Rede zum Antritt des Rektorates, Greifwald 1899. 13 a. a. 0., S. 23.

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solcher Schritt werde jede Erweiterung der Universität in "universaler Richtung" beeinträchtigen, ihren eigenen Wirkungskreis zu sehr beschränken, sie darin bestärken, sich selbstgenügsam auf den humanistischen Standpunkt zurückzuziehen und damit jeder Einwirkung auf wichtige "Sphären der modernen Kultur" zu entsagen. Hier einen rettenden Mittelweg zu finden, bezeichnete er als das "schwere Problem unserer Zeit", den Ausgleich der Gegensätze "Berufsbildung und allgemeine Bildung" als "nationale Aufgabe". Ihr teilnahmslos gegenüberstehen, bedeute für die Universität abdanken von der führenden Stellung im Geistesleben der Nation, sie muß daher den erweiterten Bildungsbestrebungen der Zeit entgegenkommen. Nur von einer wesentlichen Veränderung der inneren Organisation erhoffte Bernheim sich eine Besserung oder wenigstens Verhinderung eines Rückganges von Popularität und Bedeutung der Universität. Er vermißte hier, wie schon an anderer Stelle14, vor allem eine freiwillige Vereinigung, eine korporative Vertretung aller Universitäten zur Verfolgung gemeinsamer Interessen gegenüber dem, wie er nicht zu Unrecht meinte, im ganzen zielbewußten Zusammenwirken der Technischen Hochschulen. Im gegenseitigen zeitgemäßen Entgegenkommen sah der Tübinger Theologe, Professor Paul Schanz, die einzige Möglichkeit eines für beide Teile ersprießlichen loyalen Ausgleiches15• Schanz betrachtete die Bedingungen zur Gleichstellung der Hochschulen und ihrer Lehrmethoden als durchaus gegeben. Die entscheidende Frage bestand für ihn darin, in welcher Weise beide Hochschulen ohne Aufgabe ihrer spezifischen Eigenart nebeneinander oder miteinander zu wirken hätten. Als im Mai 1899 Deputierte sämtlicher Technischer Hochschulen des Reiches anläßlich der Einweihungsfeier von Neubauten der Hochschule in Karlsruhe zusammentrafen16, kam es dem Prorektor der Universität Heidelberg, Professor Osthoff, darauf an, in einer Begrüßungsrede ausdrücklich festzustellen, daß kein prinzipieller Unterschied zwischen Universität und Technischer Hochschule mehr anzuerkennen sei. Die letztere müßte nur als vollbürtige Schwester und nicht länger als Stiefschwester der älteren Universität betrachtet werden, sie seien "entschieden und zweifellos Fleisch von unserem Fleische und Blut von unserem Blute." Der Redner mußte freilich gleichzeitig einräumen, daß in der Tat "andere meiner Universitätskollegen anders darüber denken" 17• 14 E. Bernheim, Der Universitätsunterricht und die Erfordernisse der Gegenwart, Berlin 1898. 15 Faul Schan;;~, Universität und Technische Hochschule, Tübingen, Rektoratsrede 1899. 16 Vgl. Festschrift Karlsruhe, 1899. 17 Die Festlichkeiten der Technischen Hochschule zu Karlsruhe, 17.-19. 5. 1899. Hochschulnachrichten H. 104, 1899, S. 156 ff.

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Professor Osthaffs Ausführungen auf der Karlsruher Feier wurden von den Technikern besonders lebhaft begrüßt und sogleich entsprechend verbreitet18• Die in Karlsruhe versammelten Abgesandten der Technischen Hochschulen verständigten sich hier erneut über ein gemeinsames energisches Vorgehen, um die volle Ebenbürtigkeit, das hieß jetzt, das Promotionsrecht zu erreichen. Die längst schwebenden Verhandlungen drohten geradezu zu diesem Zeitpunkt ins Stocken zu geraten, und die auch im preußischen Kultusministerium aufmerksam registrierten Stellungnahmen19 des Heidelberger Prorektors konnten die Delegierten in ihren Beschlüssen nur bestärken. Niemand konnte indessen übersehen, daß dies- wenigstens als öffentlich geäußerte Auffassung eines Vertreters der Universität- noch ein sehr einsamer Vorgang war. Wie nun schon seit Jahrzehnten entzündete sich auch jetzt der Widerspruch der Technischen Hochschulen nicht zuletzt daran, daß man sich dagegen wehrte, als reine Fachschulen lediglich mit dem Ziel unmittelbar praxisbezogener Berufsausbildung zu gelten und von den Universitäten beurteilt zu werden. Nachdem Professor Waldeyer als Rektor der Universität Berlin in Erwiderung auf Riedlers Schrift gerade hierin erneut den wesentlichen Unterschied zwischen den Hochschulen gesehen und als den notwendigen Grund ihrer Disparität bezeichnet hatte, war es nicht erstaunlich, daß die zahlreichen Entgegnungen, die seine Rede wiederum bei den Ingenieuren hervorrief, sich eben vor allem darauf bezogen. Wiewohl im ganzen durchaus maßvoll und bemüht, die Technischen Hochschulen in ihren besonderen Leistungen anzuerkennen, brachte Waldeyers Charakterisierung, daß der Universität die wissenschaftliche Forschung gebühre, den Technischen Hochschulen aber die Rolle aufblühender Fachschulen zufalle, eine zusätzliche Schärfe in die Diskussion. Nicht ·völlig zu Unrecht warfen ihm viele Professoren der Ingenieurfächer mangelnde Einsicht in die nötigen geistigen Voraussetzungen und in die hohen wissenschaftlichen Anforderungen des technischen Studiums und der Arbeit der Technischen Hochschulen vor, überhaupt fehlende Kenntnis über das Wesen der modernen wissenschaftlichen Technik20 • Man suchte auf alle Weise die durch Waldeyers Ausführungen zum Ausdruck gebrachte verbreitete und übliche Anschauung zu widerlegen, daß es sich in den technischen Fächern lediglich um mechanische Anwendung von Ergebnissen und Formeln der Mathematik und der NaturVgl. Akademische Mitteilungen 1899, Nr. 20. u Vgl. weiter unten. 20 Vgl. Max Kraft, Universität und Technische Hochschule, Hochschuh.achrichten Nr. 99, 1898, S. 49 ff. 18

17 Manegolei

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wissenschaft handele, als ob die Technischen Hochschulen überhaupt nur durch Häufung von Erfahrungsdaten und praktischen Ausführungsregeln ihr Ziel zu erreichen suchten. Es galt demgegenüber klar darzulegen, daß das spezifisch technisch-wissenschaftliche, zwischen mathematisch-naturwissenschaftlicher Grundlage und technischer Ausführung anzusetzende eigenständig technische Moment, wie es Prechtl einst in seiner "technischen Methode" zu umschreiben versuchte, und das Techniker seit Fraunhofer und Redtenbacher exakt zu erfassen trachteten, wissenschaftlich von keinem geringeren Rang war als die Disziplinen und Arbeitsweisen der Universität. Die Schwierigkeit, dies Verhältnis verständlich zu machen und zu bezeichnen, sie kam allein schon in dem unterschiedslosen und wechselnden Sprachgebrauch der Begriffe "technische Wissenschaft" und "Wissenschaftliche Technik" zum Ausdruck, die, wenngleich zumeist mehr unklar gefühlte als klar erkannte Tatsache, daß Technik auch in diesem Verstande eben doch nicht völlig identisch war mit Wissenschaft, konnte die Position der Technischen Hochschule im Urteil der Universität nicht gerade verbessern. Von größtem Einfluß für die Bewertung der Wissenschaftlichkeit der Technischen Hochschule blieb die Auffassung über den Wert und die Schwierigkeit "rein wissenschaftlicher" oder spekulativer Studien gegenüber solchen, die in Verfolgung praktischer Zwecke betrieben wurden. Auch die Techniker gestanden in der Regel zu, daß die ersteren voranzugehen hatten, daß nur derjenige in der Lage war, technische Aufgaben wissenschaftlich zu lösen, der die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer als Grundlage beherrschte. Man verwahrte sich gegen die Annahme, die Technische Hochschule gehe in diesen grundlegenden Fächern weniger wissenschaftlich vor als an der Universität und es läge bereits hier ein für sie nachteiliger Unterschied zu jener vor. Die Techniker wehrten sich aber vor allem dagegen, daß nur in der Anwendung der Naturwissenschaft, gewissermaßen in dem exakten Kern ihrer Arbeit allein deren Wissenschaftlichkeit begründet sei und betonten, daß gerade in jenem spezifisch technisch-wissenschaftlichen Moment der schwierigste Teil des Ganzen gesehen werden müsse. Der Ingenieur sehe sich vor einen wissenschaftlichen Bankrott gestellt, schrieb einer der angesehendsten Professoren der Technischen Hochschule, wenn "wissenschaftlich" hier so viel wie ausschließlich und einseitig "mathematischnaturwissenschaftlich" bedeute21 • Es ging letztlich, wie Riedler es formulierte, um die "Vollwertigkeit unserer Studien und wissenschaftlichen Arbeiten, auch mit dem Maßstab der überlieferten gelehrten Studien gemessen" 22 • Prof. A . StodoZa, Zs. d. VDI Jg. 1897, S. 1257. A. RiedZer, Die Technische Hochschule und die wissenschaftliche Forschung, Rede bei Übernahme des Rektorates der T. H. Berlin, 1. 7. 1899, Zs. d. VDI, Jg.1899, S. 841. 21

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Es war wiederum vor allem Riedler, der die Klassifikation der Technischen Hochschule· als Fachschule von geringerer Wissenschaftlichkeit am lautstärksten öffentlich zurückwies. Weder nach der Art des Unterrichts und des Wissenschaftsbetriebes, so erklärte er, jetzt als Rektor der Berliner Hochschule der am stärksten beachtete Sprecher der Ingenieure, noch nach der "Wertigkeit der Studierenden" könne ein Zurückstehen hinter den Universitäten behauptet werden. Man finde nur Gleichartigkeit der Bildungselemente und Gleichwertigkeit in den wissenschaftlichen Bestrebungen, und es könne nur auf Vorurteile zurückgeführt werden, wenn zwischen beiden Hochschularten ein Unterschied zuungunsten der Technischen Hochschule aufzustellen versucht würde23 • Mit Nachdruck betonte er, "wir werden mit berechtigtem Selbstbewußtsein unsere eigene Tätigkeit und die Bedeutung unseres Arbeitsgebietes zur Geltung bringen". Forschungsaufgabe und Forschungszweck stellte Riedler in diesem Zusammenhang nun als wesentliche Aufgabe der Hochschule heraus. Daß die Technischen Hochschulen, um sich weiterhin zu behaupten, nicht nur Unterrichtsanstalt, sondern auch "Führerin in der technischen Forschung" sein müsse2\ wurde jetzt zur allgemein von den Ingenieuren vertretenen Forderung. Der Rektor der Technischen Hochschule Karlsruhe, Professor Engler, der vor den Abgesandten der Schwesternanstalten ebenfalls den Äußerungen Waldeyers entgegentrat, hatte bündig erklärt, die Technische Hochschule werde künftig auch Stätte wissenschaftlicher Forschungsarbeit sein müssen, oder überhaupt aufhören, Hochschule genannt zu werden25• Die Hervorhebung der Forschungsaufgabe, die Verbindung von Forschung und Lehre, wurde künftig in steigendem Maße als konstitutiv auch für die Technischen Hochschulen angesehen und ergab gleichzeitig das entscheidende Argument für die Forderung nach dem Promotionsrecht. Für alle, freilich auf beiden Seiten nicht sehr zahlreichen Befürwortern einer Vereinigung mit der Universität war der Grad eines Doctor rerum technicarum" die selbstverständliche Folge eines solchen Schrittes. Die Reaktion auf Kleins Ideen und jetzt vor allem auf die Vorschläge Riedlers zeigte aber hinlänglich, daß dieser Weg nicht zum Erfolg führen konnte. Bei den Technikern überwog bei weitem die Überzeugung, daß die Technische Hochschule, zumal bei der abweisenden Haltung der Universitäten, sich ihrer Eigenart gemäß wie bisher allein besser entwickeln werde. Solange der Selbstzweck der WissenEbd., S. 843. So formulierte es der Mathematiker E. Czuber, der Kleins Ideen besonders schätzte, und dessen Stellungnahme zur Rede des Rektors Waldeyer sich aus dem Chor der Entgegnungen durch besondere Sachlichkeit und fehlende polemische Schärfe hervorhob. E. Czuber, Zur Hochschulfrage, HN, H. 103, 1899, s. 138. 25 Hochschulnachrichten, a. a. 0., S. 157. 23

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schaften als allein berechtigter ideeller Grundsatz auf den Universitäten herrschte, hielt man es für unmöglich, daß die technische Bildung dort Geltung erlangen könnte. Bei einer Verbindung von Organismen, die in ihren Grundlagen einander fremd gegenüberstanden, konnte die Vereinigung nur äußerlich sein und man befürchtete geradezu schädigende Auswirkungen für das technische Studium. Die Diskussion über eine Vereinigung von Universität und Technischer Hochschule ist auch weiterhin nicht mehr abgerissen. Mit Klein waren zunächst viele Techniker der Meinung, wenn es schon untunlich war, die bestehenden Hochschulen zu vereinigen, man immerhin be1 Neugründungen einen solchen Versuch machen könne. Bei der anstehenden Neugründung einer Technischen Hochschule in Breslau und entsprechenden Erörterungen in bezug auf Würzburg, Erlangen, Kiel lag aber stets der Fall vor, daß eine neu zu gründende Technische Hochschule mit einer seit langem bestehenden Universität zu verbinden war. Dabei bestand immer die Gefahr, so fürchtete man, daß es zu keiner echten Integration kommen werde, vielmehr dem Schwergewicht und Beharrungsvermögen alter Anschauungen und Vorurteile entsprechend, trotzdem zur Vormundschaft von "Nur-Theoretikern" und auch hier zur Vorherrschaft literarisch ästhetischer Bildungskategorien, eine Gefahr, der, wie man meinte, die selbständige Technische Hochschule glücklich entgangen sei26 • Nachdem der Senat der Breslauer Universität die Angliederung einer technischen Fakultät abgelehnt hatte und ähnliche Pläne an anderen Universitätsorten zu keinem Ergebnis führten, fühlte man sich aufseitender Techniker in dieser Skepsis bestätigt. Unter den öffentlichen Stellungnahmen an den Universitäten zum Verhältnis zu den Technischen Hochschulen blieben auch weiterhin Stimmen wie die des Würzburger Professor Martin von Schanz27 oder des Leipziger Professors Karl Büche.,ZS noch sehr vereinzelt, die in warmer Würdigung des technischen Studiums und der Aufgaben der Technischen Hochschulen sich von der Eingliederung einer technischen Fakultät, ganz im Sinne Kleins, einen wissenschaftlichen und geistigen Gewinn für die Universitäten versprachen21 • 28 Vgl. 0. Kammerer, Technische Hochschulen oder technische Fakultäten? Zs. d. VDI, J g. 1904, S. 1177 ff. 27 Die neue Universität und die neue Mittelschule, Universitätsrede, Würzburg 1902. 28 Über alte und neue Aufgaben der deutschen Universitäten, Universitätsrede, Leipzig 1903. 29 Nach Beratungen der Hochschulprobleme faßte der VDI im Jahre 1904 den Beschluß: "Es empfiehlt sich, für absehbare Zeit nicht dem Bedürfnis nach neuen Technischen Hochschulen durch Angliederung technischer Fakultäten an Universitäten zu entsprechen, vielmehr ist es durch Errichtung selbständiger Anstalten zu befriedigen; denn die Technischen Hochschulen würden in ihrer selbständigen Entwicklung durch Angliederung an Universitäten be-

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Die lebhaften Diskussionen in den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende über Rang und Bedeutung der technischen Studien in ihrem Verhältnis zum Universitätsstudium führte den alten Streit um die Ebenbürtigkeit zum Höhepunkt und schienen zugleich die Fronten zu verhärten. Von den nicht zu leugnenden technischen Erfolgen und ihrer eigenen beruflichen Qualifikation genährt, entfaltete sich das Selbstbewußtsein der Ingenieure. Sie beriefen sich dabei vor allem auf das potentielle Leistungsvermögen, erworben auf dem Wege über die Hochschule, des ebenbürtigen "Studiums" und empfanden nur um so stärker die Diskrepanz zwischen dem eigenen sozialen Selbstbewußtsein und ihrer Bewertung durch die alten Hochschulen und die gesellschaftliche Umwelt oder- was auf das gleiche hinauslief -von ihrer eigenen Vorstellung von dieser Bewertung. Man sah nur die Möglichkeit der Identifikation mit der festen und unangefochtenen sozialen Position der traditionellen, von der Universität kommenden akademischen Berufe, in die es galt, eingeordnet zu werden und sozial gleichbewertet zu sein. Die tatsächliche oder scheinbare Abwehrstellung dieser Berufe und Kreise, die eigene Selbstwertproblematik der Ingenieure durch mangelnden Berufsschutz und fehlende Titel, durch das oft empfundene Minderwertigkeitsgefühl im Bereich der geltenden "allgemeinen Bildung" und gegenüber den alten "Kulturberufen", alles dies mußte naturgemäß diese Statusunsicherheit verstärken. Die Fähigkeit zur eigenen Standortbestimmung war aber zweifellos die Voraussetzung, sich über seine Stellung gegenüber der Gesellschaft klarzuwerden. Die Forderung nach Gleichstellung der Technischen Hochschule mit den Universitäten, in der alle Erörterungen über das soziale Ansehen des Ingenieurs gipfelten, die Forderung nach entsprechenden Titeln und Berechtigungen war wesentlich Ausdruck des Bestrebens nach Überwindung jener Unsicherheit, ihre Erfüllung erschien als notwendige Voraussetzung für die einzig angemessene Integration des "höheren Technikers" in der Gesellschaft. Die "Technikerbewegung" erschöpfte sich zwar nicht in dieser Standesbewegung der Ingenieure, wie Klein bereits erkannt hatte, bildete aber jedenfalls das sichtbarste und empfindlichste Moment in der Frage nach dem Verhält.., nis von Technischer Hochschule und Universität. Neben oder über dem Streben nach Gleichstellung und gesellschaft.:. licher Integration waren indessen schon Stimmen hörbar geworden, die von einem autonomen Geist der Technik als eines Kulturgebietes sui generis und von der Vorstellung einer sozialen Herrschaft des Ingeeinträchtigt werden." Es war schließlich Kleins Verdienst, wenn wenigstens festgestellt wurde: "Diese Scheidung soll jedoch die in erfreulicher Zunahme begriffene geistige Fühlung zwischen beiden Anstalten nicht hemmen." Zs. d. VDI,Jg.1904,5.1473.

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nieurs bestimmt waren, die ihn als geeignet ansahen, auf Grund der ihm aus seiner Berufstätigkeit erwachsenden Fähigkeiten der wichtigste und letztlich verantwortliche Stand zu sein, Stimmen also, die bereits an das spätere Ideal der "Technokratie" erinnern. Das alles unterstrich und bestärkte nur den Kampf um die volle Gleichberechtigung mit der Universität. Die Auseinandersetzungen zeigten, daß die beiderseitigen Anschauungen im ganzen unausgeglichen und, wie es schien, unvereinbar gegenüberstanden. Das Promotionsrecht wurde jetzt - auf beiden Seiten- zum "Kern der Frage".

2. Die Titelfrage als Hauptproblem a) Die Forderung nach dem .,Doktor der Chemie" als Ansatz für ein allgemeines Promotionsrecht

Es war bezeichnend, daß bereits auf der ersten gemeinsamen Versammlung von Vertretern aller deutschen Technischen Hochschulen an ihr hatten auch die Österreichischen Anstalten und das Züricher Institut teilgenommen - auf der Berliner Konferenz des Jahres 1880, als Hauptergebnis der Verhandlungen der Beschluß gefaßt wurde, darauf hinzuwirken, daß den Technischen Hochschulen das Recht auf Verleihung des Doktorgrades zuerkannt werde. Er war vorgebracht worden in dem Bewußtsein, daß die einstigen "Polytechnika" inzwischen Status und offizielle Anerkennung von wirklichen Hochschulen erreicht hatten. Schon fast fünfundzwanzig Jahre zuvor hatte Karl Karmarsch, einer der bekanntesten der älteren "Polytechniker", von den "Doktoren der tech.,. nischen Universität" gesprochen1, aber auch er war nicht der erste gewesen, der solche Wünsche und Forderungen in den Diskussionen um die "Titelfrage" erkennen ließ, die ihrerseits nahezu so alt waren, wie die technischen Anstalten selbst. Zu den für die Hochschulgeschichte so wichtigen Beschlüssen des Vereins Deutscher Ingenieure über Organisation und Einheit der Technischen Hochschulen aus den Jahren 1864 und 1875, war die Forderung nach dem Promotionsrecht zwar noch nicht offiziell gestellt worden, hatte aber gleichwohl in den vorausgegangenen Erörterungen eine Rolle gespielt1. Insofern die Technische Hochschule sich in ihrem akademischen Rang am unangefochtenen Maßstab der Universität zu messen.hatte und ihre organisatorische Entwicklung als eine fortlaufende Annäherung an 1 Karl Karmarsch, Festrede .zur Feier des 25jährigen Bestehens der Polytechnischen Schule Hannover 1856, in: Die Polytechrusche Schule zu Hannover, Hannover 1856, S. 219. 1 Vgl. Zs. d. VDI, Jg. 1876, S. 640.

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universitäre Formen anzusehen war, erschien der gemeinsame Beschluß im Jahre 1880 nur als folgerichtige, ja notwendige Konsequenz aus dem bis dahin Erreichten. Es ist deutlich geworden, daß in der Frage des Promotionsrechtes untrennbar verschiedene Beziehungen, innere und äußere, verwoben waren, das alte Problem des Titel- und Berufsschutzes der Ingenieure, ihre soziale Standortbestimmung und Selbstwertproblematik ebenso wie die wissenschaftliche Ebenbürtigkeit der Hochschule und deren Stellung zur Forschungsaufgabe. Dem ersten entsprechenden Vorstoß der Hochschulen konnte, wie schon erwähnt, nur ein bestimmter programmatischer Charakter zugesprochen werden. Damals schien eine solche Forderung noch als ein unerhörter und für die meisten undenkbarer Einbruch in die traditionsgeheiligten Bereiche der Universitäten ohne reale Aussicht auf Verwirklichung. Die zuständigen Staatsbehörden hatten keinen Anlaß gesehen, dieser Angelegenheit ernsthaft näherzutreten. Das blieb auch in dem folgenden Jahrzehnt so. Mit der inneren Konsolidierung und dem weiteren Ausbau der Hochschulen, parallel zum Aufstieg und zur Entfaltung der Industrie in dieser Zeit, spielte indessen die "Titel- und Standesproblematik" für die Ingenieure eine immer zentralere Rolle. Angeregt von dem "ernsten Wort eines Österreichischen Fachgenossen", rief Adolf Slaby im Jahre 1889 alle Professoren der Technischen Hochschulen auf3, jetzt energischer für die bisher versagte vollständige Gleichstellung der Ingenieure mit den anderen "gelehrten Berufen" einzutreten. Er traf die Auffassung der meisten "höheren Techniker", wenn et auf den amtlichen und außeramtlichen Mißbrauch der "vogelfreien" Bezeichnung "Ingenieur" hinwies, der seinen Träger nicht als Akademiker kennzeichne und keine entsprechende soziale Geltung besitze und wenn er folgerte: "Es bleiben also nur ,Doktor' und ,Assessor' als Titel, deren sich der Ingenieur mit akademischer Bildung zu bedienen haben WÜrde, um mit einem Schlage in die Stellung einzurücken, die ihm in der Gesellschaft gebührt." In Deutschland werde jeder, der einen dieser Titel führe, als "gelehrt" anerkannt. Der "Assessor" sei nur im Staatsdienst zulässig, es komme demnach nur der Doktorgrad in Betracht. Da dieser Titel gegebenenfalls auch an den Technischen Hochschulen nur für wissenschaftliche Leistungen auf dem eigenen technischen Fachgebiet verliehen werde, entfalle damit der Einwand, es handele sich um einen ungebührlichen "Schmuck mit fremden Federn". Man verleihe also der Hochschule das Promotionsrecht für ihre den Fakultäten der Universität entsprechenden Abteilungen, "die durch den Doktor Ingenieur, Doktor der Mechanik, Doktor der Chemie und Doktor der Architektur verkörpert werde", so lautete die Forderung Slabys. 3

Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen, 1889, S. 235 f.

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IV. Kampf der Technischen Horhschulen um das Promotionsrecht

Nach jenem länger als zehn Jahre zurückliegenden Beschluß derBerliner Konferenz und der sich von da ab steigernden Diskussionen mußte es eigentlich erstaunlich sein, daß es erst zu Beginn der neunziger Jahre wieder zu einem gemeinsamen Vorgehen der Technischen Hochschulen in der "Titelfrage" kam. Erst jetzt schien aber die innere Berechtigung dafür erreicht und überdies ein zwingender Ansatz gegeben zu sein, der einem solchen Vorstoß gegenüber dem Widerstand der Universitäten auch Erfolg versprach. Im Juni 1894 sandte der Rektor der Dresdener Anstalt im Namen des dortigen Professorenkollegiums ein Rundschreiben an sämtliche deutschen Technischen Hochschulen4 • Hier wurde auf die seit langem an den Hochschulen als schweren Übelstand empfundene Diskrepanz aufmerksam gemacht, daß mit allen Schlußexamen an der Universität entweder eine Anwartschaft auf bestimmte Staatsstellen oder die Führung eines Titels verbunden sei, während das gleiche nur bei dem geringsten Teil derjenigen Prüfungen der Fall war, mit denen die Studien an der Technischen Hochschule abgeschlossen werden konnten. Man knüpfte an die Berliner Versammlung des Jahres 1880 an, deren diesbezügliche Forderungen bis dahin ohne praktisches Ergebnis geblieben waren und forderte die Professorenschaft aller deutschen Technischen Hochschulen auf, sich erneut gemeinsam mit diesem entscheidenden Problem zu befassen. Das Fehlen eines befriedigenden äußeren Studienabschlusses, so hieß es, habe sich bisher am schärfsten in der chemischen Abteilung der Hochschule bemerkbar gemacht. Tatsächlich war es hier trotz mancher Bemühungen bis dahin nicht gelungen, ein chemisches Staatsexamen einzuführen. Die Technische Hochschule gewährte dem Chemiker zwar ein Abschluß-Diplom, mit dem aber weder eine Berechtigung noch ein Titel verbunden war und das außerdem an den einzelnen Hochschulen sehr uneinheitlich gehandhabt wurde. Im Gegensatz dazu erwarb der Chemiker an der Universität in der Regel den Doktortitel, der ihn für sein ganzes Leben als einen Mann kennzeichnete, der höhere Studien mit einem gewissen Erfolg betrieben hatte. Es sei dies ein gewichtiges und bedeutungsvolles Vorrecht, so vermerkte man in dem Rundschreiben, da in der Praxis die chemischen Prozesse von Menschen mit allen möglichen Graden der Ausbildung ausgeführt würden. Ein innerer wissenschaftlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung von Studierenden der beiden Hochschularten könne nicht länger anerkannt werden, solle nicht die bloße historische Überlieferung als solcher gelten. Unbestreitbar besitze die Technische Hochschule in bezug auf Vorbildung und Fähigkei4 Beigefügt dem stenographischen Bericht über die "Verhandlungen von Delegierten der deutschen Technischen Hochschulen am 28. u. 29. 7. 1894 zu Eisenach, Protokoll nur zur Kenntnisnahme der Professoren der Technischen Hochschulen, Dresden 1894, Bibliothek der T. H. Hannover.

2. Die Titelfrage als Hauptproblem

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ten längst das gleiche Schülermaterial wie die Universitäten. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß die wissenschaftliche Durchbildung des Chemikers der Hochschule jener an der Universität nicht nachstehe, sie in manchen Punkten dagegen übertreffe, da der Chemiker eine Reihe wichtiger Studien überhaupt nur an der Technischen Hochschule betreiben könne5 • Bis dahin hatten zahlreiche Chemiker der Technischen Hochschule ihre Abschlußarbeiten anschließend an einer Universität als Dissertation verwertet. Auf diese Weise war eine große Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten unter der Benennung verschiedener Universitäten gedruckt worden, die aber ihre Entstehung lediglich den Forschungen an einer Technischen Hochschule verdankten. Das wurde jetzt als ein unhaltbarer Zustand angesehen. Inzwischen hätten nun auch Universitäten, an denen bis jetzt eine Promotion von der Technischen Hochschule aus ohne sehr erheblichen Zeitaufwand erfolgen konnte, so argumentierte man, durch Änderung der Vorbedingungen eine Promotion für Absolventen der Technischen Hochschule erheblich erschwert, oder unmöglich gemacht. Keine Universität rechne die Studienzeit an der Technischen Hochschule voll an, eine entschiedene Zwangslage der chemischen Abteilungen an den Hochschulen und die beträchtliche Schädigung ihrer Studenten sei die Folge. Das Dresdener Rundschreiben kam von hier aus zu dem Schluß, daß diese Mißstände lediglich dadurch beseitigt werden könnten, wenn mit der Diplomprüfung der Technischen Hochschule die Erlangung eines Titels verknüpft werde, entweder der Doktortitel mit der Modifikation "Doktor der Technik" oder eines anderen, der die Garantie biete, binnen kurzem zu gleichem Ansehen zu gelangen. In der Tat lagen die Verhältnisse in den chemischen Abteilungen noch schwieriger als in den übrigen Abteilungen der Technischen Hochschule. Dort entfiel die unmittelbare Konkurrenz mit den Universitätsabsolventen in der Industrie, andererseits gab es zumindest die Möglichkeit von Staatsprüfungen, die mit dem Titel des "Regierungsbauführers" und "Regierungsbaumeisters" verbunden waren. Die entsprechenden Examina wurden aber naturgemäß nur von der vergleichsweise geringen Zahl der Studenten abgelegt, die wirklich beabsichtigten, in den Staats'dienst einzutreten8 , während man sich den auch hier abgehaltenen 5 Gemeint waren technische Chemie, Metallurgie, chemische Technologie, Elektrotechnik u. ä., Fächer, die an den Universitäten zu dieser Zeit entweder gar nicht, oder nur ausnahmsweise vertreten waren. 8 Ursprünglich war in den meisten deutschen Staaten ein Staatsexamen auch nur in den Baufächern - in Preußen vor deren Vereinigung mit dem Gewerbeinstitut 1879 nur an der Bauakademie - möglich und für Absolventen, die nicht in den Staatsdienst gingen, schon deshalb wenig verlockend, da es analog zu dem juristischen Examen aus 2 Teilen bestand mit dazwischen liegender praktischer Tätigkeit, etwa bei Behörden.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

Diplomprüfungen als Studienabschluß nur vereinzelt unterzog, da kaum ein praktischer Vorteil damit verbunden war7 • Für manche besonders junge Disziplinen der Technischen Hochschule, die gleichwohl, wie etwa die Elektrotechnik inzwischen große Bedeutung erlangt hatten, war ebenso wie in der Chemie noch kein staatliches Examen eingeführt wor~ den. Unter solchen Umständen mußte sich den Technischen Hochschulen die. Verpflichtung aufdrängen, Prüfungen einzurichten, die mehr auf die Bedürfnisse des Studiums und der künftigen Berufsstellung der Studen~ ten abgestellt waren. Gerade diese Verpflichtung konnte die Bestrebun~ gen nach einem für alle Abteilungen der Hochschule einheitlichen Ab~ schluß und Titel nur unterstützen. Nicht nur für die Anwärter auf Staatsstellen spielte die Titelfrage so sehr eine eminente Rolle. Gerade für die anderen schien es unabweisbar, sich eine Standesbezeichnung zu sichern, die einerseits die Identifikation mit der sozialen Position der übrigen akademischen Berufe erlaubte und zum anderen ermöglichte, sich deutlich genug von jener großen Menge zu unterscheiden, die von der ungeschützten Bezeichnung Ingenieur, Techniker, Chemiker oder Architekt Gebrauch machten, ohne "studiert" zu sein. Von solchen Erwägungen ausgehend, lud die Technische Hochschule Dresden zu einer gemeinsamen Konferenz nach Eisenach ein, um jetzt geschlossen die notwendigen Schritte einzuleiten. Jede Hochschule sollte zwei Vertreter8 entsenden. Als ausschließlicher Verhandlungsgegen.,.. stand wurden die Fragen vorgeschlagen: "Ist es wünschenswert, daß an allen Abteilungen der Technischen Hochschule ein Titel als Folge des bestandenen Diplomexamens erstrebt wird, oder ist es wünschenswert, daß dies nur an der chemischen Abteilung stattfinde? Ist der Titel "Dok~ tor der Technik" zu erstreben oder ein anderer der Technischen Hoch~ schule in seinem ganzen Umfange eigentümlicher Titel"? Man ließ aber schon in den Einladungsschreiben keinen Zweifel daran, daß nur der Doktortitel in Frage kommen könne, und zwar unter den gleichen wis~ senschaftliehen Voraussetzungen wie an der Universität. Das Studium der Chemie, an dem sich jetzt das Problem des Promo~ tionsrechtes für die Technische Hochschule erneut entzündete, hatte schon lange vorher zu Diskussionen geführt, und es war nicht zufällig, daß schon in der Vergangenheit nicht nur .von Mathematikern, sondern gerade von Chemikern das Verhältnis der Hochschulen zueinander er~ örtert und häufig ihre Gleichstellung oder Vereinigung gefordert wor~ den war•. Hier hatten sich von Anfang an die engen Wechselbeziehun~ 1 Vgl. A. Lang, Die Entstehungszeit der Institution des Diplomingenieurs, Zs. d. VDDI, Jg. 1914, S. 265 ff. . 8 Einer davon sollte jeweils ein Professor aus der chemischen Abteilung sein. 9 So insbesondere Liebig, Lotbar Meyer und der Erlanger Chemiker Gorup~ Besanez.

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gen von Wissenschaft, Technik und Industrie besonders deutlich gezeigt und gerade hier ließen sich Gemeinsamkeiten der Hochschulen und ihrer wissenschaftlichen Gleichrangigkeit besonders eindringlich darlegen. Rektor und Senat der Technischen Hochschule Hannover hatten bereits 1881 in einer ,,gutachtlichen Vorstellung" 10 an Kultusminister von Goßler über die Gründe des damaligen starken Rückganges der Frequenzen darüber Klage geführt, daß die ausschließliche Promotionsmöglichkeit für Chemiker an der Universität diese von den Technischen Hochschulen abziehe, wenngleich die technische· Chemie speziell nur dort gelehrt werde. Die Chemiket würden sich erst dann der Technischen Hochschule zuwenden und damit eine für die chemische Industrie zweckmäßige Bildung erhalten, so wurde dargelegt, wenn zumindest die dort verbrachte Studienzeit- generell und vollständig bei einer Promotion angerechnet werde. Manche Universitäten verwahrten sich in diesem Zusammenhang dagegen, ihr Ansehen zu "gefährden" und zur "Examinieranstalt für Polytechniker" zu werden, wehrten sich aber auch bereits vorsorglich gegen die zu Recht hinter den Klagen der Technischen Hochschule vermutete Absicht, selbst das Promotionsrecht als wesentliehen Teil des Strebens nach Gleichstellung zu erhalten11 • Nach einer. vorausgegangenen privaten Petition an die Reichsregierung, in derfür alle Chemiker-ein obli~atorisChes Universitätsstuclium gefÖrdert. wurde, war es _im Jahre -1886 auf Initiative der Karlsruher Chemiker zu einer Eingabe der Laboratoriumsvorstände und Vertreter. der "Reinen und technischen Chemie" -der Technischen Hochschulen an Bismarck gekommen, in der mit großem Nachdruck dargelegt wurde, daß hier das Studium der Chemie "auch in der höchsten, rein wissenschaftlichen Bedeutung" mit dem an den Universitäten vollständig ebenbürtig seP2 • Schließlich hatte sich auch bereits der 1887 gegründete Verein Deutscher Chemiker, der bedeutende Chemiker beider Hochschulen zu seinen Mitgliedern zählte, von Anfang an mit diesen Fragen beschäftigt13. Jedenfalls waren die Verhältnisse des Studiums der Chemie, bei dem man jetzt gewissermaßen den Hebel ansetzte, um das Promotionsrecht für die Technischen Hochschulen zu erkämpfen, schon vorher häufig erörtert worden, als die von der Dresdener Hochschule eingeladene Ver.:. sammlungEnde Juli 1894 in Eisenach zusammenkam14• Die Beratungen ergaben, daß der vorgeschlagene Verhandlungsgegenstand von allen Technischen Hochschulen als brennendes Problem an10 Vom 5. 9. 1881, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I Nr. 1. Stellungnahmen der preußischen Universitäten, DZA Rep. 76 V b, ebd. tz Archiv der T. H. Hannover, Abt. 111, Nr. 29. 13 Vgl. Bernhard Rassow, Geschichte des Vereins Deutscher Chemiker in den ersten 25 Jahren seines Bestehens, Leipzig 1912, S. 65. 14 Nur die Münchener Hochschule hatte keine Vertreter entsandt. --· tt

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

gesehen wurde und daß nach der Überzeugung aller Delegierten insbesondere für die chemischen Abteilungen eine Notlage vorlag, die jetzt unabweisbar eine Lösung forderte. Man einigte sich deshalb sehr schnell auf die Formel, daß an allen Abteilungen der Technischen Hochschule ein Titel als Folge der bestandenen Diplomprüfung zu erstreben sei und eine einheitliche Regelung dieser Prüfung zu erfolgen habe; ferner darauf, daß dieses Ziel zunächst für die chemische Abteilung erreicht werden müsse15• Die Art des zu erstrebenden Titels konnte nicht zweifelhaft sein. Man verschloß sich zwar nicht den Überlegungen, daß ein für die Technische Hochschule "eigentümlicher" Titel manche Berechtigung für sich habe, schon weil man damit den "gewaltigen Widerständen" aus dem Weg ging, die man von den Universitäten zu erwarten hatte. Es zeigte sich in der lebhaften Diskussion aber bald, daß es für den "Doktor" kein ernsthaftes Äquivalent gab, daß man nicht gegen den Strom des sozialen Ansehens altangesehener traditioneller Titel schwimmen konnte und daß tatsächlich nur übrigblieb, sich hier an die gegebenen Verhältnisse in Deutschland anzulehnen. Um den klar vorauszusehenden großen Schwierigkeiten und einer unmittelbaren Konkurrenz mit der philosophischen Fakultät der Universitäten wenigstens in etwa auszuweichen, wurde der Vorschlag angenommen, den Titel "Doktor der Chemie" anzustreben. Demgemäß einigte man sich für die chemische Abteilung der Technischen Hochschule auf die Formulierung: "Den vorhandenen Mißständen kann nur durch die Verleihung des Titels Dr. der Chemie wirksam begegnet werden18." Dieses gewissermaßen eingeschränkte Promotionsrecht sollte nun zunächst als Nahziel erreicht werden. Man war überzeugt, daß die zuständigen Staatsregierungen sich hier am wenigsten leicht einer positiven Entscheidung verschließen konnten und daß hier am wahrscheinlichsten ein baldiger Erfolg zu erzielen war. Der Vertreter der Technischen Hochschule Karlsruhe, Professor Brauer, brachte bündig zum Ausdruck, welche Konsequenzen man darüber hinaus erwartete, wenn er ausführte: "Ist dies erst geschehen und damit der Widerstand der Universitäten an einer Stelle überwunden, so dürfte es keine sehr großen Schwierigkeiten mehr haben, das neue Recht der Technischen Hochschulen, dem nachzuweisenden Bedürfnis entsprechend, auf andere Abteilungen auszudehnen17." Nach eingehenden Erwägungen verständigte sich die Versammlung darüber, den gesamten Komplex zunächst vertraulich zu behandeln. Die erstrebte Regelung mußte "reichseinheitlich" erfolgen. Von einer gemeinsamen Eingabe aller Technischen Hochschulen an den Bundesrat sah man jedoch ab, da die Organisationsfragen der 15

18 17

Verhandlungen der Versammlung, a. a. 0., S. 19.

a. a. 0 ., S. 29. a. a. 0., S. 24.

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Hochschulen dem Recht der Einzelstaaten unterlag. Man beschloß dagegen, daß alle deutschen Hochschulen sich mit gleichlautenden Eingaben und zum gleichen Zeitpunkt an ihre vorgesetzte Regierung wenden sollten. Um dafür eine übereinstimmende Grundlage zu erhalten, beauftragte man die Vertreter von Berlin und Dresden, die Chemiker Witt und Hempel, eine entsprechende Denkschrift auszuarbeiten. Die Beratungen hatten gezeigt, daß zur Erlangung des Promotionsrechtes eine Reihe von Voraussetzungen zu erfüllen waren, die an sich wiederum Probleme darstellten, so alt wie die Hochschulen selbst: eine gleichmäßige Regelung der Aufnahmebedingungen und der Prüfungsordnungen, gegenseitige Anerkennung der Examen. Hier mußte zunächst eine weitgehende Vereinheitlichung oder wenigstens Annäherung erfolgen, beides war bis dahin trotz vieler Bemühungen noch immer gescheitert an den unterschiedlichen Schularten der einzelnen Staaten, die zum ordentlichen Studium an der Technischen Hochschule berechtigten und an den vielfach verschiedenen Auffassungen und Bestimmungen sowohl bei den Regierungen als auch bei den Hochschulen selbst. Die "Vorbildungsfrage" und viel diskutierte "Berechtigungsfrage" der verschiedenen Höheren Schulen waren aber mit dem Promotionsrecht unmittelbar verknüpft18• Hierüber und über einheitliche Prüfungsordnungen wollte man sich deshalb in einer weiteren Delegiertenversammlung aller Technischen Hochschulen einigen, und der Rektor der Darmstädter Hochschule, Professor Richard Lepsius, wurde beauftragt, das notwendige Material zu erarbeiten und eine weitere Konferenz vorzubereiten. Den Beschlüssen der Eisenacher Versammlung gemäß und ausgehend von der Denkschrift der Professoren Hempel und Witt, stellten im Laufe des folgenden Jahres die einzelnen Hochschulen jeweils gleichlautend an die betreffenden Staatsregierungen den Antrag, es möge ihnen für die chemischen Abteilungen das Recht eingeräumt werden, den Titel "Dr. der Chemie" zu verleihen. Die Eingabe der Berliner Hochschule an das Kultusministerium war datiert vom 31. Juli 1895, ihr folgten bald danach die anderen preußischen Anstalten10• In ausführlicher Begründung wurde hier die ebenbürtige wissenschaftliche Qualifikation des chemischen Studiums an den Technischen Hochschulen dargelegt, und unter Berufung auf berühmte Universitätslehrer, die zuvor Professoren an Technischen Hochschulen gewesen waren, wie von Baeyer, Hertz, Ostwald, Wislicenus, Lothar und Victor Meyer und andere festgestellt, daß sich kein prinzipieller Unterschied in 18 Sie bildeten bekanntlich auch an den Universitäten ein seit langem erörtertes und umkämpftes Problem. Auch dort gab es darüber sehr unterschiedliche Auffassungen. 19 DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1 Tit. 5, Nr. 4 I.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

der Art und Weise erkennen lasse, wie der Chemiker an Universität und Technischer Hochschule ausgebildet werde. Die bis jetzt fehlende Möglichkeit für den Chemiker, den notwendigen Doktortitel auch auf den Technischen Hochschulen zu erwerben, bedeute dementsprechend eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Studierenden und eine gefährliche, auf die Dauer unerträgliche Schädigung der Hochschule selbst. Erst der Doktortitel verleihe dem Chemiker eine sichtbare und wirksame Bekundung über seine Vor- und Ausbildung und gebe ihm ohne weiteres diejenige Stellung und sichere ihm jene Autorität, die für ihn in der Industrie notwendig sei. Schließlich wurde in diesem Zusammenhang auch auf "bereits vielfach erörterte und zu entwickelnde Ideen"das hieß auf Kleins Pläne - aufmerksam gemacht, technische Chemie, einzelne technische Fächer und endlich technische Fakultäten in die Universität zu integrieren und auf diese Weise Universität und Technische Hochschule zu vereinigen. Andererseits wies man darauf hin, daß "allgemeine Fächer" längst auch an den letzteren gehört werden konnten. Beigefügt waren den Anträgen eine eigens von den Professoren Hempel und Witt vorgenommene statistische Untersuchung, aus der hervorging, daß nur 42 Prozent der in der Industrie beschäftigten Hochschulchemiker ausschließlich an den Universitäten studiert hatten, während die Mehrzahl entweder nur an Technischen Hochschulen oder zum Zweck der Promotion lediglich für eine gewisse Zeit an Universitäten ausgebildet worden war:o. Damit sollte nachgewiesen werden, daß die Technische Hochschule die größere Bedeutung für die Ausbildung der in der Industrie tätigen Chemiker besaß. Im Dezember 1895 ersuchte die sächsische Regierung bereits um eine preußische Stellungnahme zu der prinzipiellen Frage des Promotionsrechtes und insbesondere für den geforderten "Dr. der Chemie". Sie gab zu verstehen, daß sie selbst von den "beachtlichen Gründen", die für eine Genehmigung des Antrages sprächen, überzeugt sei, wies indessen auf die Notwendigkeit hin, "reichseinheitliche" Regelungen zu treffen21 • Die Entscheidung hing definitiv von dem Vorgehen in Preußen ab. Althoff, der den Wünschen der Technischen Hochschule - durch Klein zo Die Verfasser hatten ihre Ergebnisse durch Fragebogen an die chemische Industrie ermittelt. Von 187 Werken, die Hochschulchemiker beschäftigten, hatten 123 die vorgelegten Fragen beantwortet. Von den 932 hier beschäftigten Chemikern besaßen 631 den Doktortitel, aber von der Gesamtzahl hatten nur 390 ausschließlich auf einer Universität studiert, und von diesen waren 80 °/o Promovierte. Diese Statistik fiel also eindeutig zugunsten der T. H. aus. Wortlaut und Auswertung der Befragung: W. Hempel u. N. Witt, Beiträge zur Beurteilung der Frage nach der Vorbildung der Chemiker für die Industrie in der Zs. "Chemische Industrie", Jg. 1896, Nr. 1. Gegen die Ergebnisse dieser Untersuchung und ihre Interpretation wandte sich Carl Duisberg in der Zs. f. Angewandte Chemie, 1896, S. 97 ff. 21 Anfrage über das Auswärtige Amt an den Kultusminister v. 13. 12. 1895, DZA Rep. 76 V b, Tit. 5, Nr. 4 I.

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beraten - von vornherein aufgeschlossen gegenüberstand, informierte sich über die Promotionsordnungen der einzelnen Universitäten und ihre mögliche Geltung für Kandidaten der Technischen Hochschule. Als Hindernis ergab sich dabei, daß die technische Chemie als wichtigstes Fach innerhalb des chemischen Studiums an den Technischen Hochschulen, von den Universitäten nicht als Prüfungsfach zugelassen wurde, und daß überdies an manchen von ihnen eine Prüfung in Philosophie obligatorisch war. Auf Althaffs Veranlassung forderte das Ministerium, "da die Interessen der Universität entscheidend berührt werden", Gutachten über die Anträge der Technischen Hochschulen von den Berliner Universitätslehrern Emil Fischer und Landolt sowie von Adolf von Baeyer (München) an, alles hervorragende Chemiker, die, wie es hieß, durch ihre Lehrwirksamkeit an beiden Anstalten zur Würdigung der einschlägigen Verhältnisse besonders geeignet waren2t. Während von Baeyer in einem sehr eigenwilligen Gutachten mit dem Hinweis darauf, daß die Technische Hochschule, "diese nützliche und bewährte Schöpfung der Neuzeit, dem Ehrgeiz einiger Professoren zum Opfer fiele", das Promotionsrecht für sie ablehnte, da der Doktortitel lediglich der traditionellen Eigenart der Universität gemäß sei, urteilten Fischer und Landalt zustimmend. Emil Fischer gab in seinem Gutachten eine ausführliche und warme Würdigung von Wesen und Leistung der Technischen Hochschule. In ihrem wissenschaftlichen Charakter sei sie der Universität "vorbehaltlos ebenbürtig und gleichrangig", in speziellen Dingen ergänzten sie sich gegenseitig. Man solle daher in "liberalster Weise" den abwechselnden Besuch beider Anstalten gestatten und ihr das Promotionsrecht verleihen. Er wandte sich auch ausdrücklich gegen den ablehnenden Standpunkt seiner eigenen Fakultät, die sich entschieden dagegen aussprach. Landalt schloß sich voll und ganz den Auffassungen Fischers an und vertrat sie ebenso wie dieser auch gegenüber der Berline~ philosophischen Fakultät23• Als fast ein Jahr später die sächsische Regierung erneut um Auskunft ersuchte, ob die Frage inzwischen einem Abschluß nähergekommen war\ ließ Althoff mitteilen, daß er der "prinzipiellen Frage" des Promotionsrechtes nicht entgegentreten wolle, wenn es auch praktisch schwer durchzusetzen sei und sich andererseits künstliche Titel schlecht einführen ließen. Diese Frage sei inzwischen aber hinter der anderen zurückgetreten, ob es sich statt dessen nicht empfehle, den Wünschen der Chemikervereine entsprechend für die Chemiker ein einheitliches Staatsexamen an Technischer Hochschule und Universität einzuführen. DZA Rep. 76 V b ebd. DZA Rep. 76 V b ebd. 24 Anfrage über das Auswärtige Amt an das Kultusministerium vom 7.12. 1896 ebd. 22

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht b) Der Antrag der Technischen Hochschulen und der Streit um das allgemeine Chemikerexamen

Das Problem des Chemie-Examens, schon vorher seit langem erörtert, war an den Hochschulen und in Fachzeitschriften seit einiger Zeit besonders aufgegriffen worden, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten als in den Anträgen der Technischen Hochschulen. Nach Ansicht vieler führender Chemiker an den Universitäten wurde das Chemie-Studium zu locker gehandhabt, und das Fehlen aller Vorexamen und Zwischenprüfungen, die an den einzelnen Universitäten sehr unterschiedlichen Anforderungen und Voraussetzungen bei der Promotion25 hatten zahlreiche Ausbildungsmängel entstehen lassen, so daß keine Gewähr für ein gleichmäßiges Wissensniveau der in die Industrie eintretenden Hochschulchemiker gegeben war. Vor allem auf Initiative Karl Duisbergs vertrat der Verein Deutscher Chemiker daher die Forderung, dem Chemie-Studium durch ein allgemeines Staatsexamen einen einheitlichen Abschluß zu geben, und auch hierbei spielten selbstverständlich "Standesfragen" eine Rolle28 • Die meisten Fachvertreter an den Universitäten sprachen sich freilich gegen die Einführung eines Staatsexamens der Chemiker aus, und es kam darüber zu ausgebreiteten und scharfen Diskussionen~. Nach Karl Duisberg, dem entschiedensten Kämpfer für das Examen, sollte es ein für Universitäten und Technische Hochschulen gleichmäßig geltendes, einheitlich geregeltes, verbessertes Doktor- bzw. Diplomexamen sein, ohne mit der Verleihung des Doktortitels verbunden zu werden28 • Der Streit um das Chemikerexamen mußte die Bemühungen der Technischen Hochschule um den "Doktor der Chemie" unmittelbar berühren. Ihnen ging es primär nicht um irgendein mit den Universitäten gemeinsames Examen, sondern um das Promotionsrecht, und deshalb trat man hier zum Teil gegen das Staatsexamen auf, wenn auch aus anderen Eine Diplomprüfung für Chemiker gab es an den Universitäten nicht. Vgl. Karl Duisberg, Über die Ausbildung der technischen Chemiker und das zu erstrebende Staatsexamen für dieselben, Zs. f. angewandte Chemie, 1896, s. 97 ff. 27 Seit 1894 häuften sich Aufsätze und Beiträge zu dieser Frage in der Fachpresse, in der Zs. "Chemische Industrie" hier insbesondere Victor Meyer: Über das chemische Studium an der Universität, (1894); in der Zs. für angewandte Chemie vor allem der Bericht über die Staatsprüfungen der Chemiker auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Chemiker (1898); ferner in der "Chemikerzeitung" u. in der Zs. f. Elektrochemie. Dazu erschien eine große Anzahl Einzelpublikationen, vgl. Ferdinand Fischer, Das Studium der techn. Chemie an Universitäten und T. H. Deutschlands u. das Chemikerexamen, Berlin 1897. 28 So Karl Duisberg in einer großen Auseinandersetzung über diese Frage mit einem der bedeutendsten Vertreter der physikalischen Chemie, Wilhelm Ostwald; Prof. v. Ostwald und das Staatsexamen für Chemiker, Zs. f. angewandte Chemie, Jg. 1897, S. 531 ff., S. 617 ff. 25 26

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Gründen als an den Universitäten, wo man eine Beeinträchtigung der Studienfreiheit und eine stärkere Einflußnahme des Staates befürchtete und darüber hinaus eine Entwertung des Doktortitels für die Chemiker29. Wenn Wilhelm Ostwald im Zusammenhang mit seiner Ablehnung des Staatsexamens in Abwandlung eines berühmten Wortes gesagt hatte, "solange das Ausland uns unseren Dr. phil. nicht nachmachen kann, behalten wir die Oberhand in der Wissenschaft" 30, so war dies auch gegen das "Liebeswerben" der Technischen Hochschule um das Promotionsrecht gemünzt, und in den Auseinandersetzungen um die Staatsprüfung fand - deutlich ausgesprochen - nun auch der Antagonismus zwischen Hochschule und Universität seinen Niederschlag. Die meisten Chemiker der Universität wehrten sich gleichzeitig gegen das einheitliche Staatsexamen und gegen das Promotionsrecht für die Chemischen Abteilungen der Technischen Hochschulen, während die Befürworter des ersteren - insbesondere Duisberg - dessen Kompromißcharakter hervorhoben, der Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit des Studiums an Universität und Technischer Hochschule herbeiführe, ohne das Doktorprivileg der Universität anzutasten. Duisberg, der bereits zu dieser Zeit im Verein Deutscher Chemiker einen beachtlichen Einfluß besaß31, hatte auf den Versammlungen des Vereins wiederholt betont, daß es ein "veralteter Standpunkt" sei, die Trennung von Wissenschaft und Technik insoweit aufrechtzuerhalten, daß die erstere lediglich an der Universität und die letztere nur an den Technischen Hochschulen gelehrt werden solle32• So wollte er Lehrstühle für technische Chemie und chemische Technologie auch an den Universitäten errichtet wissen und kam dabei, angeregt durch Böttinger, für die Chemie zu ähnlichen Forderungen wie Klein für die augewandte Mathematik und Physik33 • Andererseits sprach sich Duisberg im gleichen Zusammenhang aber gegen das Promotionsrecht der Technischen Hochschulen aus. Sie sollten davon ablassen, dieses Recht erwirken zu wollen, da es nicht möglich sei, dies "ohne Schädigung der Fakultäten und ohne Erregung derselben" 29 Vgl. 0. Witte, Beiträge zur Beurteilung der Frage nach dem Staats-, Doktor- und Diplomexamen der Chemiker, Chemische Industrie, 1897, S. 374 ff. 30 über wissenschaftliche und technische Bildung, Zs. f. Elektrochemie,

1897, s. 5 ff. 31 Vgl. Flechtner, a. a. 0., S. 244 f.

32 Hauptversammlung des Vereins Deutscher Chemiker zu Darmstadt

1898, Zs. f. augewandte Chemie 1898, S. 383 ff.

33 Mit Kleins Ideen war Duisberg durch Böttinger bekanntgeworden, neben dem er in diesen Jahren zum maßgebenden Leiter der Farbenfabriken Bayer aufstieg, vgl. Flechtner, S. 121 ff. Unterstützt und in engem Einverständnis mit Klein setzte Böttinger sich als Landtagsabgeordneter für die Einrichtung entsprechender Lehrstühle an den Universitäten ein, nachdem er schon entscheidend für die Einrichtung des Nernstschen Institutes in Göttingen eingetreten war und damit einen Auftakt der Göttinger Bestrebungen im Sinne Kleins ermöglicht hatte.

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durchzusetzen34• Er sagte den Mißerfolg solcher Bestrebungen voraus und riet den chemischen Abteilungen der Hochschulen statt dessen, in ein "Kartellverhältnis" mit den Universitätsfakultäten zu treten, um die dort verbrachten Semester bei einer Promotion voll anerkannt zu erhalten, und er mahnte, damit müsse die Technische Hochschule sich dann aber auch begnügen und nicht ständig "Öl ins Feuer gießen" 35• Mit der Auseinandersetzung um das Chemikerexamen, in die sich die Frage des Promotionsrechtes der Technischen Hochschulen mit hineingeschoben hatte, waren naturgemäß auch die Interessen der chemischen Industrie berührt worden, und auch hier beteiligte man sich an der Diskussion36. Als auf Antrag des Vereins Deutscher Chemiker im Oktober 1897 vom Reichsamt des Inneren zu diesem Problem eine Enquete-Kommission unter Vorsitz des Direktors des kaiserlichen Gesundheitsamtes einberufen wurde, nahmen neben sechs Vertretern der Universitäten unddreiender Technischen Hochschulen auch fünf Vertreter der chemischen Industrie an den Kommissionsberatungen teil37• Eine abschließende Entscheidung darüber, durch welche staatlichen Maßregeln die auch von der Kommission ausdrücklich anerkannten Mängel in der Ausbildung und im Prüfungswesen der Chemiker zu beseitigen waren, konnten hier allerdings schon deshalb nicht getroffen werden, weil dies in das Ermessen der Staatsregierungen fiel, denen aber die Ergebnisse der Beratungen übermittelt wurden. Das einheitliche Staatsexamen an Universität und Technischer Hochschule wurde von der Kommission nicht befürwortet. Inzwischen hatte sich auf Initiative Professor von Baeyers, neben Ostwald der entschiedenste Gegner des Examens, auf der Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte in Braunschweig im Jahre 1896 ein "Verband der Laboratoriumsvorstände der deutschen Hochschulen zur Pflege und Förderung des chemischen Unterrichtes an den Universitäten und Technischen Hochschulen" gebildet, dem sich in der Folge fast alle Laboratoriumsvorstände beider Hochschulen anschlossen. Ziel dieser Vereinigung war es, in erster Linie das einheitliche Staatsexamen zu verhindern und das Problem gewissermaßen auf privater Vereinbarung unter den Chemikern der Hochschulen durch eine Zs. f. angewandte Chemie, 1897, S. 540. Entgegen der Darstellung in der neueren Biographie von Ftechtner, (a. a. 0., S. 250) hat Duisberg die Verleihung des Promotionsrechtes an die T. H. nicht befürwortet, sondern bekämpft, wenn er es nachträglich auch begrüßt hat, daß sie das Ziel dann doch erreichten. 38 Vgl. Hauptversammlung des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands zu Baden-Baden, 1897, Die Chemische Industrie, 1897, S. 480 ff. 37 Bericht über die Staatsprüfungen der Chemiker, Zs. f. angewandte Chemie, 1898, S. 831 ff. 34

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allgemeine Zwischenprüfung zu lösen, über deren Anforderungen man sich ebenso wie über gleichmäßige und ~trengere Bedingungen zur Promotion beziehungsweise Diplomprüfung zu einigen suchte. Das danach benannte "Verbandsexamen", das bald eingeführt wurde und sich offensichtlich bewähren sollte, hat dann schnell die Frage nach einem Staatsexamen zurückgedrängt, wenn die Erörterungen darüber auch nicht aufhörten. Die Enquete-Kommission empfahl jedenfalls abzuwarten, welche Erfolge der Verband mit dieser Maßregel haben würde. Eine weitere Aufgabe sah der Verband außerdem darin, den Chemie-Studenten der Technischen Hochschule die Zulassung zur Promotion- an der Universität- zu erleichtern, und es fehlte nicht an Stimmen, die ihn als ein einigendes Band begrüßten, das sich zum ersten Male in der beiderseitigen Entwicklung um beide Hochschulen schlinge, um die trennende Kluft zwischen ihnen zu überwinden. Wichtiger war, daß durch die vorausgegangene Gründung und Zielsetzung des Verbandes der Laboratoriumsvorstände die Beschlüsse der Enquete-Kommission insofern beeinflußt wurde, daß man dort einstimmig anerkannte, Universität und Technische Hochschule seien in gleichem Maße für die Ausbildung von Chemikern geeignet. In der chemischen Industrie selbst herrschten sehr verschiedene Ansichten darüber, ob die Ausbildung ihrer Chemiker an der Universität oder an der Technischen Hochschule vorzuziehen sei. Hier war man sich hinreichend klar darüber, daß man die hervorragende Stellung vor allem der hohen wissenschaftlichen Qualifikation ihrer Chemiker verdankte, die das "geistige Capital repräsentieren, die vornehmste und sicherste Grundlage unserer blühenden Industrie, die den Weltmarkt beherrscht und deren Überlegenheit vom Auslande selbst widerspruchslos anerkannt wird", wie es in einer Eingabe des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands an den preußischen Kultusminister hieß38, und in der man den Ausbau der Lehreinrichtungen an beiden Hochschulen forderte. Die Enquete-Kommission empfahl darauf hinzuwirken, Lehrstühle für technische Chemie auch an den Universitäten einzurichten und stellte bestimmte Forderungen auf, um eine Verbesserung des Chemie-Studiums an beiden Anstalten zu erreichen. In der Promotion für die Ausbildung der Chemiker, die anschließend in der Industrie tätig waren, blieben auch hier die Auffassungen geteilt. Die Praxis zeigte allerdings, daß der promovierte Chemiker in der Regel bevorzugt wurde. Insgesamt ließen die Auseinandersetzungen über das Chemikerexamen :insbesondere klar erkennen, welcher Widerstand von seiten der Universität dem Begehren der Techniker entgegengesetzt wurde. Die anhaltende Diskussion enthob andererseits das preußische Kultusministerium zunächst einer definitiven Entscheidung über die An38

Zs. Chemische Industrie, 1896, S. 402 u. 487.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

träge der Technischen Hochschule, und Althoff konnte mit Recht darauf hinweisen, daß hier vorerst eine ~ösung abgewartet werden sollte. c) Die zweite Eisenacber Delegiertenversammlung - Ausweitung der Forderung und vergebliche Vorscbläge zum "Doktorkompromiß"

Wie in der Delegiertenversammlung vom Juli 1894 beschlossen, kam im April1896 in Eisenach erneut eine Versammlung von Vertretern aller deutschen Technischen Hochschulen zusammen. Diesmal waren auch die Abgesandten der Münchener Anstalt erschienen, und von den meisten Hochschulen waren die Rektoren gekommen, um über einheitliche Aufnahmebedingungen und Prüfungsbestimmungen als wichtige Voraussetzungen für das Promotionsrecht zu beraten39• Dem Techniker die gleiche soziale Stellung zu erringen wie dem Absolventen einer Universität, das erklärte der Darmstädter Rektor Richard Lepsius zum Grundgedanken, von dem dabei auszugehen war. Bisher wisse man vielfach in Deutschland gar nicht, was auf den Technischen Hochschulen gelehrt und gelernt werde, so stellt er in seiner Einführung fest, "wenn wir dieselbe Vorbildung verlangen, wie die Universitäten, so wird sich die Position der Technischen Hochschule im Bewußtsein der in Betracht kommenden Stände heben". Lepsius wiederholte auch damit nur alte Forderungen und Argumente, die nun bereits seit Jahrzehnten von den Technikern vorgebracht wurden und schon zwanzig Jahre früher in den Beschlüssen des Vereins Deutscher Ingenieure gültig formuliert worden waren40 • Man war sich grundsätzlich einig, daß man aber hier auch nicht über die Anforderungen der philosophischen Fakultät hinaus zu gehen brauche. Dabei wurden Statistiken diskutiert, aus denen hervorging, daß auch an manchen philosophischen Universitätsfakultäten bis zu dreißig Prozent der Studenten mit sogenannter "kleiner Matrikel", das hieß, ohne Abiturexamen studierten, ein Prozentsatz, im Vergleich zu dem die Technischen Hochschulen vielfach günstiger abschnitten. Das Verhältnis von Abiturienten und "Immaturen" auf Universität und Technischer Hochschule wurde jetzt ein immer wieder vorgetragenes Argument für eine nach ihrer Vorbildung ebenbürtige Zusammensetzung der Studentenschaft an den letzteren. Die statistischen Vergleiche Hempels und Witts, vor allem aber Duisbergs stellten für die Naturwissenschaften eine ständige Zunahme von "Immaturen" an den 39 Verhandlungen der Versammlung der. Delegierten der T. H. des Deutschen Reiches am 11. u. 12. April 1896 zu Eisenach, nach stenographischen Aufzeichnungen, nur zur Kenntnisnahme der Professoren der T. H., Darmstadt 1896, Bibliothek T. H. Hannover. 40 Schon in den mehrfach erwähnten Aussprüchen des VDI von 1864/65 und 1876.

2. Die Titelfrage als Hauptproblem

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Universitäten fest41 , und Riedler suchte bei solchen Vergleichen bald zu beweisen, daß hier eine entschiedene Überlegenheit der Technischen Hochschule vorlag4!. Die Beratungen der Eisenacher Versammlung zeigten indessen, daß es noch immer recht verschiedene Auffassungen gab über die gebotene und zweckentsprechende Vorbildung für die Hochschulen und wie sehr die bisherige Praxis der einzelnen Anstalten differierte. Ein Teil der Deigierten wollte nicht von der Maturität als alleinige Bedingung für die Zulassung zum Studium abgehen, während ein anderer Teil grundsätzlich an der Aufnahme von "Immaturen" festhielt. Daraus folgte, daß sich auch in der Frage der Diplom-Prüfungsbestimmungen verschiedene Anschauungen gegenüberstanden und zeitweilig der Eindruck vorherrschte, daß man vor unlösbaren Gegensätzen stand. Hier wirkten sich jetzt in starkem Maße die internen Schwierigkeiten der Hochschule, der Streit zwischen "Praktikern" und "Theoretikern" aus43 • Die Konferenz verabschiedete schließlich, wenn auch nicht einstimmig, den Beschluß, daß zur Aufnahme des Studiums an einer Technischen Hochschule das Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums, eines Realgymnasiums oder einer deutschen Oberschule berechtige. Den einzelnen Regierungen sollte es überlassen bleiben, für ihre höheren gewerblichen Lehranstalten Ausnahmen zu gestatten. Darüber hinaus stellte es sich als notwendig heraus, wie bisher und "bis auf weiteres" als Zuhörer oder Hospitanten" auch "immature" Bewerber aufzunehmen und bei entsprechender Befähigung, diese ebenfalls zur Diplomprüfung zuzulassen44 • Zu klaren und einstimmigen Entschließungen gelangte die Versammlung nicht. Man verzichtete auch auf die Beratung einer gemeinsamen Stellungnahme zu Kleins Göttinger Plänen, die kurz vorher ebenfalls auf die Tagesordnung gesetzt worden waren. Im ganzen mußte das höchst unbefriedigende Ergebnis gegenüber früheren Erklärungen der Techniker und im Hinblick auf das gemeinsame Ziel als bedauerlicher Rückschritt erscheinen. Auf Anregung des Stuttgarter Professors .von Bach ergriff deshalb jetzt der Vorstand des Vereins Deutscher Ingenieure die Initiative und u Nach Duisberg stieg seit 1894 (dem Zeitpunkt der Erhebungen Witts und Hempels) bis 1899 der Anteil der "Immaturen" Chemiker von 30 Ofo auf über

50 Ofo, wobei das Verhältnis von Nichtabiturienten zu den Abiturienten für die T.H. wesentlich günstiger aussah. Für die ersteren berechnete er 37 Ofo, für die Universitäten dagegen 56 Ofo Nichtabiturienten und schloß daraus auf eine Abnahme der allgemeinen Bildung vor allem bei den Chemikern der Universität. "Die Abnahme der allgemeinen Bildung bei den Chemie-Studenten", Zs. f. angewandte Chemie, 1900, S. 131 ff. u Die.T. H. und die wissenschaftliche Forschung, Rektoratsrede 1899, a. a. 0. 43 Der Münchener Delegierte, der Mathematiker Prof. Dyck, hatte Klein schon vor der Versammlung ausführlich darüber berichtet, UBG Cod. MS Nachlaß Klein 8. 44 Zu den Staatsprüfungen wurden in den meisten deutschen Staaten nur Abiturienten zugelassen.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

lud noch im gleichen Jahr eine größere Anzahl Professoren der Technischen Hochschule und hervorragende Vertreter der Industrie zu weiteren Beratungen über die Immatrikulationsbedingungen ein45 • Hier wurde jetzt mit größerer Entschiedenheit und mit mehr Nachdruck das Reifezeugnis als Bedingung für die Zulassung zum ordentlichen Studium herausgestellt und die Aufnahme von Nichtabiturienten als außerordentliche Hörer durch schärfere Bestimmungen sehr eingeschränkt. Mit der dringenden Forderung nach einheitlicher Regelung wurden die Ergebnisse der Beratungen den einzelnen Hochschulen übersandt und gleichzeitig den deutschen Staatsregierungen eingereicht. Es kam den Beteiligten darauf an, gerade in dieser Frage den Eindruck der Geschlossenheit zu machen und hier jedem Argument gegen die Ebenbürtigkeit mit den Universitäten soweit wie möglich zu begegnen. Bald darauf erfolgte in der Promotionsfrage ein neuer Vorstoß. Von der Münchener Hochschule waren zur ersten Eisenacher Delegiertenversammlung des Jahres 1894 keine Vertreter entsandt worden, und an den Beschlüssen über den "Doktor der Chemie" hatte man sich hier nicht beteiligt. Auf der folgenden Konferenz nahmen ihre Abgesandten eine betont eigenständige Position in den anstehenden Fragen ein und beharrten auf den besonderen Verhältnissen in Bayern. So erschien es nicht sehr erstaunlich, daß es jetzt gewissermaßen zu einem Alleingang der Münchener Anstalt kam. Anfang Februar 1897 teilte die bayerische Regierung dem preußischen Kultusministerium mit, die Technische Hochschule München habe an sie das Ansuchen gestellt, über den "chemischen Doktor" hinausgehend ihr das Promotionsrecht überhaupt zu erteilen und dazu den Titel eines "Doktor der technischen Wissenschaften" vorgeschlagen. Im Hinblick auf die Zweckdienlichkeit eines gleichen Vorgehens bat man um Information über den Stand dieser Sache in Preußen40 • Hier war die Angelegenheit inzwischen keineswegs weitergekommen. Althoff wartete in bezug auf den "chemischen Doktor" ab, und Kultusminister Bosse nahm in seiner Antwort eine strikt ablehnende Haltung ein. Nach seiner Auffassung lag für die Fachabteilungen der Technischen Hochschule kein Bedürfnis vor, die "charakteristische Bezeichnung" eines Architekten, Baumeisters oder Bau- und Maschineningenieurs aufzugeben und für diese den "abstrakten Titel" eines Doktors der technischen Wissenschaften einzutauschen. Sollten die preußischen Technischen Hochschulen das gleiche Ansuchen stellen, erklärte er, so werde er sich nichtdarauf einlassen47 • 45

Sie fanden am 29. 12.1896 in Frankfurt am Main statt. Zs. d. VDI, Jg.

1897, s. 150 ff.

48 Note der bayerischen Regierung über das Auswärtige Amt an Kultusminister Bosse vom 4. 2. 1897, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 4, Nr. 4 I. 17 Antwort Bosses vom 25. 2. 1897 ebd.

2. Die Titelfrage als Hauptproblem

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Wenn auch noch nicht von den Hochschulen, so ließ ein entsprechendes Gesuch nun aber auch in Preußen nicht mehr auf sich warten. Nachdem der Abgeordnete Paasche, Vertrauensmann des Architekten- und Ingenieurvereins, die Titelfrage bereits im preußischen Abgeordnetenhaus vorgebracht hatte48, stellte der Verband Deutscher Architekten und Ingenieurvereine am 25. Mai 1897 an das Preußische Kultusministerium den Antrag, den Technischen Hochschulen möge unter ähnlichen Vorbedingungen wie auf den Universitäten das Recht zugestanden werden, den Doktortitel zu verleihen. Die umfangreiche Begründung hatte auch hier die bekannten Argumente zum Inhalt, daß nur durch das Promotionsrecht den Hochschulen die wissenschaftliche und durch den Doktortitel den Architekten und Ingenieuren die soziale Gleichberechtigung mit der Universität und ihren Akademikern eingeräumt werde. Der Verband richtete den Antrag gleichzeitig an das preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten49• Seine Mitglieder setzten sich vor allem aus staatlichen Baubeamten und Beamten der technischen Dienste zusammen, die in ihrem Kampf gegen den Vorrang der Juristen in der Staatsverwaltung und überhaupt in allen Standes- und Prestigefragen im allgemeinen weit empfindlicher reagierten als die anderen Techniker. Der Doktortitel für die Chemiker der Technischen Hochschule mußte ihnen von vornherein als völlig unbefriedigend erscheinen, und hier lag der eigentliche Anlaß für den Antrag des Verbandes. Kurze Zeit später erneuerte die chemische Abteilung der Technischen Hochschule Berlin ihr Ansuchen auf den "chemischen Doktor" 50 • Noch vor den Beratungen der erwähnten staatlichen Enquete-Kommission über das Chemikerexamen sollte herausgestellt werden, daß es keine Kompensation für den erstrebten Titel geben konnte und daß die Hochschule auf dem Antrag beharrte. Angesichts des Widerstandes der Universitäten und der notwendigen Verhandlungen mit den anderen deutschen Regierungen war man dieser Frage im Ministerium noch nicht nähergetreten. Zunächst bemühte man sich, einen Ausweg zu finden, indem man die Promotion von Studenten der Technischen Hochschule an der Universität, entsprechend den Empfehlungen der Kommission, generell zu erleichtern suchte und die philosophische Fakultät ermächtigte, deren Studiensemester ganz oder teilweise - wenigstens aber vier Semester - auf das bei der Promotion geforderte Triennium anzurechnen. Das war freilich keine Lösung der drängenden Forderungen, und auch darüber kam es zu Einsprüchen von seitender Universitäten51 • 77. Sitzung des Hauses der Abgeordneten vom 6. 5. 1897. DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. 50 Eingabe vom 16. 7. 1897, ebd. 51 DZA Rep. 76 V ebd. und UAG Dekanatsakten, Phil. Fak., Allgemeine Akten, Bd. 182 a, 1896/97. 48 49

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

Die folgenden langwierigen und schwierigen Verhandlungen gingen noch immer davon aus, beide Seiten durch einen Kompromiß zu befriedigen. Noch schien es dem Kultusminister ebenso wie den meisten Beamten des Ressorts undenkbar, den Technischen Hochschulen gegen den Widerstand der Universitäten das Promotionsrecht einzuräumen, und man verbarg hier auch keineswegs seine Abneigung gegen die "leidige Titelfrage", mit Ausnahme Althoffs, der hier für das Ministerium allein federführend wurde. Neben Klein, den das Ganze selbstverständlich auf das stärkste beschäftigte52, hatte Althoff den Göttinger Staatswissenschaftler Professor Lexis mit der Angelegenheit betraut53• Lexis, der in seinem Auftrag bei den einzelnen Hochschulen zu sondieren suchte, inwiefern ein Kompromiß zustande gebracht werden konnte, machte dabei die Erfahrung, daß die gegensätzlichen Anschauungen, der Antagonismus von Universität und Technischer Hochschule sich weitaus am schärfsten in Preußen bemerkbar machte54• Nach Althaffs Ansicht mußte, wenigstens zunächst, der für die Chemiker geforderte Doktortitel im Vordergrund der Bemühungen stehen, auch er meinte, daß hier noch am ehesten eine Lösung zu finden war. Würde es aber gelingen, den begehrten Titel lediglich in einer Abteilung der Technischen Hochschule zu etablieren und dabei einen Modus zu finden, den allgemeinen "technischen Doktor" noch zu verhindern? Ein von Lexis unterstützter Vorschlag ging dahin, analog zu einer Regelung zwischen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der dortigen Universität, Hochschullehrer als Honorarprofessoren an die Universität zu delegieren und auf diese Weise den Absolventen der Technischen Hochschule formell unter dem Namen der philosophischen Fakultät zum "Doktor der Chemie" zu promovieren. Es war freilich zu erwarten, daß die Fakultäten, zumindest in Preußen, einem solchen Verfahren widersprechen würden, zumal es bei ihnen keinen "Dr. ehern.", auch keinen "Dr. der Naturwissenschaften", sondern nur einen "Dr. phil." gab. Althoff hielt den Vorschlag indessen für einen gangbaren Weg und veranlaßte Klein und die naturwissenschaftliche Sektion der Göttinger philosophischen Fakultät zu einem Gutachten über "das Doktorcompromiß", wie er es bezeichnete55. Unter dem Einfluß Kleins zwar konziliant in der Form, aber sachlich nicht weniger eindeutig, war die Mehrheit jedoch gegen eine Heran52 In seinen persönlichen Notizen schrieb er über die Zeit 1898/99, die für ihn mit der Gründung der G. V. eine Zeit von besonderer Aktivität war, knapp: "Das ganze Jahr über Dr. rerum technicarum." UBG Cod. MS Nachlaß · · · Klein22 L. 53 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 179. 54 Bericht Lexis a. Althoff April1898, DZA Rep. 92 NA B 115 Bd. 55 Mai 1898, DZA Rep. 92 NA Al, Nr.179.

2. Die Titelfrage als Hauptproblem

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ziehung Technischer Hochschulprofessoren und sah keine Möglichkeit; auf solche Art zu einer befriedigenden Regelung zu kommen. Es konnte sich dabei doch nur um einen Übergang zum "Dr. rer. techn." handeln, und man fürchtete, die Universität würde in ein falsches Licht geraten, als hätte sie sich mit Opfern bemüht, diese Entwicklung abzuwenden und sei dann doch düpiert worden. Klein machte vergeblich geltend, daß es sich gerade hier zeige, wie notwendig und vorteilhaft es für die Universität sei, in ein enges Verhältnis zu den Technischen Hochschulen zu kommen und Einfluß auf deri wissenschaftlichen Charakter der Promotionen zu erhalten5°. In dem von dreizehn Göttinger Professoren der Naturwissenschaften und schließlich auch von Klein selbst unterzeichneten Gutachten hieß es, einfacher und sinnvoller werde es gegebenenfalls sein, den Technischen Hochschulen unabhängig von den Universitäten, wenn auch vorbehaltlich einer genauen Festlegtlng der· erforderlichen Anforderungen, das Promotionsrecht für den "Doktor rerum technicarum" zu verleihen57• Über einen bestimmten Modus, den Technikern den Zugang zur Promotion zu erleichtern, habe man sich aber nicht einigen können. Klein hatte vorgeschlagen, positiv die Erteilung des allgemeinen Promotionsrechtes an die Technischen Hochschulen zu empfehlen, soweit wollten aber seine naturwissenschaftlichen Kollegen nicht gehen. Lexis' Vorschlag wurde abgelehnt. Das Recht der Technischen Hochschulen auf den Dr. rer. techn. sei vermutlich eine geringere Gefahr für die gesamte Entwicklung als die Schaffung von zwitterartigen Neueinrichtungen an der Universität, deren Folgen nicht übersehbar seien, so schrieb dazu der Göttinger Chemiker Otto Wallach an Althoff58 • Ein "Doktorkompromiß" war auf diese Art nicht zu erzielen, das zeigten auch die Stellungnahmen von Chemikern an anderen Universitäten. Vor allem aber war man auf den Technischen Hochschulen selbst nicht damit einverstanden. Die · Erwägungen über ein eingeschränktes. Promotionsrecht, nur für die chemischen Abteilungen, traten daher jetzt in den Hintergrund. Klein und Lexis bedeuteten Althoff angesichtsdieser Sachlage zu Recht, daß es doch nur auf den allgemeinen "Dr. rer. techn." hinauslaufe und daß es nun galt, eine zweckentsprechende Form zu finden, um vor allem die wissenschaftliche Höhe zu garantieren. Klein machte in diesem Zusammenhange auf Vorschläge seines ehemaligen Schülers und Assistenten Professor Dyck aufmerksam, der, im Anschluß an Einrichtungen Carl Lindesund Professor Föppls und im engen Ideenaustausch mit ihm, an. der allgemeinen Abteilung der Technischen Hochschule München die technische Physik in einer Weise zu organisieren 58 "7

58

Bericht Lexis an Althoft', 8. 6. 1898, DZA ebd. Gutachten vom 11. 6. 1898, DZA ebd. Ebd.

282

IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

suchte, wie es Klein selbst in Göttingen anstrebte59• Klein hatte, wie schon bekannt, bei seinen entsprechenden Universitätseinrichtungen ursprünglich daran gedacht, damit für qualifizierte Techniker die Möglichkeit der Promotion zum Dr. phil. zu schaffen. Nach der Vorstellung Dycks sollte umgekehrt auf der gleichen Grundlage jetzt der allgemeinen Abteilung an der Technischen Hochschule das Promotionsrecht übertragen und sie somit zu einer Art mathematisch-naturwissenschaftlicher Fakultät ausgestaltet werden, der auch zugleich die interessierten Studenten der Ingenieurfächer angehören könnten~0• Solche Absichten mußten naturgemäß den Widerstand der technischen Abteilungen hervorrufen. Gerade von München aus ist es auch tatsächlich zu scharfen Attacken auf Dycks Vorstellungen gekommen61 •

3. Die Erlangung des Promotionsrechts a) Der Kaiser und die Bestrebungen der Tedmischen Hochscltulen Die Bedingungen für ein Promotionsrecht

Von entscheidendem Einfluß auf den Fortgang der Verhandlungen über das Promotionsrecht wurde jetzt die Haltung des Kaisers. Seine Vorliebe für die moderne Technik, sein besonderes Wohlwollen gegenüber den Technischen Hochschulen waren hinreichend bekannt. Nun sollte er durch ihre neuerliche Auszeichnung unzweideutig seinen Willen bekunden, ihnen die erstrebte Anerkennung zu verschaffen. Im Juni 1898 verlieh er den preußischen Technischen Hochschulen auf eine allenthalben als demonstrativ angesehene Weise das in Preußen bis dahin allein von den Universitäten ausgeübte Präsentationsrecht und berief die Rektoren der drei Hochschulen Aachen, Berlin und Hannover in das Herrenhaus'. Die Berufung geschah "kraft allerhöchsten Vertrauens" und stellte insofern kein gleiches Präsentationsrecht dar, wie es die Landesuniversitäten auf Grund bestehender Gesetze inne hatten, da dies verfassungsmäßig ebenfalls nur durch Gesetz hätte geschehen können. Gerade deshalb aber erschien dieser Schritt als ein spontaner, selbständiger und demonstrativer Akt des Monarchen, der von den Hochschulen und der Technikerschaft mit Begeisterung begrüßt und mit Recht als Wendepunkt in ihrem Kampf um die Gleichberechtigung, um den "Platz an der Sonne" gefeiert wurde. 50

Vgl. W. Dyck, Zur Frage der Ingenieurausbildung, Zs. d. VDI, Jg. 1898,

s. 1276 ff. 8° Klein und Lexis an Althoff, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 179.

61 Unter dem Schlagwort "Die T. H. den Technikern", vgl. Hochschulnachrichten Nr. 100, 1898, S. 75 ff. und ebd. Nr. 101, S. 98 ff. 1 DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. I adh. A.

3. Die Erlangung des Promotionsrechts

283

Der Kaiser war hier zwar keineswegs ohne Kenntnis des Kultusministers vorgegangen2 , wie manche Pressemeldungen zu wissen glaubten3, aber doch, bestärkt durch Slaby und den Chef des geheimen Zivilkabinetts Lucanus, unbekümmert um vorausgegangene Bedenken, Einwände und Proteste4 • Die spektakuläre Art, wie er den Hochschulen die Auszeichnung selbst mitteilte, wurde von den Technikern als ein um so deutlicheres Zeichen kaiserlicher Anerkennung und Ermunterung aufgefaßt. Wilhelm II. hatte Slaby, der zu seinem engeren Freundeskreis gehörte, mitten in dessen stark besuchte Vorlesung hinein, telegraphisch seine Berufung ins Herrenhaus mitgeteilt\ eine Nachricht, die die ganze Hochschule sogleich in "freudigen Aufruhr" versetzte6 • In seiner Erwiderung auf die überschwengliche Dankadresse der Rektoren sprach er von seiner bereitwilligen Förderung und Anerkennung der an den Technischen Hochschulen errungenen Leistungen und sicherte ihren "Bestrebungen und Erfolgen" auch künftig sein besonderes Interesse zu7 • Durch Slaby, der seine engen Beziehungen zu ihm jetzt nicht ungenutzt ließ8 , wurde der Kaiser über die Wünsche der Hochschulen und der Ingenieure genau informiert. Gerade jetzt kam es öfter vor, daß er selbst, zum Teil mit großem Gefolge aus Heer und Marine, aber auch zusammen mit der Kaiserin und seinen älteren Söhnen, in der Charlottenburger Hochschule zu Slabys Vorträgen, Experimenten und Demonstrationen neuer technischer Entwicklungen erschiene. Er beteiligte sich selbst an den funktelegraphischen Versuchen Slabys10, und man hat zu Recht bemerkt, daß er die Technische Hochschule sehr viel häufiger aufsuchte, als die Universität, die ihn nur höchst selten in ihren Mauern gesehen hat11 • Auf das durchaus ernsthafte und lebendige Interesse Wilhelm li. an der modernen Wissenschaft und Forschung ist oft hingewiesen worden und ebenso darauf, daß ihm, etwa in seiner Anteilnahme an einer zeitDZA Rep. 76 V b, ebd. V gl. HN Nr. 94, 1898, S. 217. 4 Vgl. hierzu auch Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten, a. a. 0., S. 217. 5 "In Anerkennung der Stellung, die sich die Technik am .E nde unseres Jahrhunderts erworben hat und in tiefer Achtung vor den exakten Wissenschaften überhaupt", so hieß es in dem Telegramm. • So erinnerte er sich später selbst, Ereignisse und Gestalten, a. a. 0. 7 DZA Rep. 76 V b, ebd. 8 Wilhelm II. schrieb später selbst über sein Verhältnis zu Slaby: "Er hat bis zu seinem Tode in regem Verkehr mit mir gestanden und mich über die neuesten Erfindungen auf. dem laufenden gehalten. Das geschah nicht nur in Laboratorien, sondern auch im stillen Jagdhaus im märkischen Walde. Auch als Mensch hat er mir nahegestanden und mir durch seine schlichte klare Auffassung über alle möglichen Dinge dieser Welt ... manch geistigen Genuß verschafft. Slaby ist mir viel gewesen." Ereignisse und Gestalten, a. a. 0., S.163. 9 DZA Rep. 76 V b, Sekt. 4 Tit. 6, Nr. 22. 10 Hans Helfritz, Wilhelm II. als Kaiser und König, 1954, S. 169. 11 Vgl. Conrad Bornhack, Deutsche Geschichte unter Kaiser Wilhelm II., Leipzig 1921, S. 177 f. 2

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das·Promotionsrecht

gemäßen Wissenschaftsförderung, eine bestimmte eigene Initiative und ein eigenes Verdienst nicht abgesprochen werden können, und es war nicht zufällig, daß Althoff als "moderator scientiarum" sein besonderes Vertrauen besaßu. Wenn dem Kaiser hier ein Verdienst zukommt, so galt dies nun in erster Linie von seiner Aufgeschlossenheit für die moderne Technik überhaupt und gegenüber der Technischen Hochschule. Sie vor allem hatte dem "persönlichen Regiment" vieles zu verdanken und das sollte sich, wie noch zu zeigen sein wird, nicht zuletzt auf die Promotionsfrage beziehen. Slaby und Riedler traten gegenüber Althoff und dem Ministerium unangefochten als Wortführer der preußischen und damit weitgehend aller deutschen Technischen Hochschulen auf, und die Gewißheit der kaiserlichen Unterstützung bestärkte sie jetzt naturgemäß in ihren energischer vorgebrachten Forderungen, die nun klar auf das allgemeine Promotionsrecht für die technischen Abteilungen der Hochschulen hinausliefen. Unmittelbar nach der kaiserlichen Berufung der Rektoren in das Herrenhaus kam es auf Anforderung Althoffs bereits Anfang Juli 1898 zu einem von Professor Lexis unter Kleins Mitwirkung erarbeiteten Gutachten über die Gesamtfrage der Diplom- und Doktorprüfungen an den Technischen Hochschulen. Hier wurde neben dem "Dr. ehern." für Ingenieure und Architekten der "Dr. rer. techn." vorgeschlagen und die grundlegenden Bedingungen dargelegt, die eine vergleichbare wissenschaftliche Höhe mit dem examenrigorosumder Universität sichern sollten13. Die Notwendigkeit eines besonderen wissenschaftlichen Ranges wurde vor allem von Klein hervorgehoben. Gegenüber dem Ingenieurwesen, den technischen Hauptdisziplinen, hatten sich die Universitäten bisher abweisend oder jedenfalls gleichgültig verhalten, und nach Kleins Ansicht sah man hier im Augenblick nur den unbequemen Konkurrenten im Fache der Chemie, der nach den herrschenden Vorurteilen die soziale Stellung der Universitätschemiker zu bedrohen schien. Im Hinblick auf ein uneingeschränktes Promotionsrecht der Technischen Hochschulen stellte er demgegenüber fest: "Es darf nicht mehr länger übersehen werden, daß das gesamte Ingenieurwesen um seine Gleichberechtigung mit den anderen gelehrten Berufen ringt und dieses Ziel zur Zeit nicht innerhalb der Universität erreichen kann14." Der einzige Weg, der unter den gegebenen Verhältnissen Erfolg verspreche, sei deshalb die von ihm seit langem befürwortete Politik der wissenschaftlichen Hebung der Hochschulen. Althoff war jetzt selbst von der Notwendigkeit einer baldigen Lösung der Promotionsfrage überzeugt. Wenn die Dinge in den nächsten Mona12

ta 14

Vgl. Sachse, a. a. 0., S. 75.

DZA Rep. 92 NA Al, Nr. 179. DZA Rep. 92 ebd.

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ten von ihm nun beschleunigt vorangetrieben wurden, so stand aber nicht zuletzt Wunsch und Billigung des Kaisers dahinter. In den folgenden Verhandlungen und Beratungen wurden, auf der Grundlage von Lexis' und Kleins Gutachten, im Ministerium die Voraussetzungen für ein mögliches Promotionsrecht festgelegt und von Althoff schließlich einer Reihe von "Vertrauensleuten" der Berliner Hochschule, neben Slaby und Riedler den Professoren Hauck und MiUler-Breslau, als "Grundvoraussetzungen" mitgeteilt, unter denen die preußischen Technischen Hochschulen Aussicht hätten, das Promotionsrecht zu erlangenu. Diese Bedingungen waren in erster Linie darauf abgestellt, bei möglichst strengen Maßstäben und Anforderungen einen Modus zu finden, geeignet, von vornherein den Einwänden der Universitäten über eine wissenschaftliche Entwertung des Doktortitels zu begegnen. Dieselben "Vertrauensleute" wurden von Althoff nun gleichzeitig beauftragt, ganz auf dieser Basis die Grundzüge einer allgemeinen Promotionsordnung für die Technischen Hochschulen auszuarbeiten15• In ständiger enger Bezugnahme mit ihm selbst konnten sie auch alsbald in einer Form vorgelegt werden, von der zu erwarten stand, daß sie in der Lage waren, die wesentlichsten Befürchtungen der Universitäten zu entkräften. Diese "Grundzüge" erklärte Althoff gegenüber den Ingenieuren zur "conditio sine qua non", auf die sich auch die außerpreußischen Hochschulen zu einigen hätten. Von den zuvor gestellten strengen Bedingungen beherrscht, wurde hier für die Zulassung zur Promotion die vorangegangene und mit gutem Erfolg bestandene Diplomprüfung verlangt. Für die in Druck zu legende Dissertation und das mündliche Examen sollten Bestimmungen analog zu denen an der Universität gelten. Eine besondere Verschärfung mußte demgegenüber die Bestimmung bedeuten, daß ein Vertreter des Kultusministeriums oder ein eigens bestellter Regierungskommissar zu jeder Promotion einzuladen war, darüber hinaus aber - und dies war vor allem charakteristisch - sollte jedem Professor einer anderen Technischen Hochschule oder Universität die Anwesenheit bei der Prüfung gestattet sein. Endlich sollten im Gegensatz zum Brauch an den Universitäten die gesamten Promotionsgebühren nicht den Examinatoren, sondern allgemeinen Hochschulzwecken zugeführt werden. Alle wesentlichen Momente des Promotionsaktes, wie Personalien, Vorbildung, Studiengang des Kandidaten, Name des Referenten und Korreferenten waren im Reichsanzeiger oder in anderen amtlichen Organen bekanntzumachen17. DZA Rep. 92 NA AI, Nr. 180. o DZA Rep. 92 ebd. 17 DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. 15 1

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

Der Berliner Chemiker Professor Emil Fischer, den Althoff ebenso wie Klein um ein Gutachten über die "Grundzüge" ersuchte, erklärte ohne Einwände seine volle Zustimmung. Aus dem sehr abgewogenen Gutachten Kleins ging zwar hervor, daß die "allgemeine Tendenz" der Promotionsordnung, an den Technischen Hochschulen ein wirklich wis~ senschaftliebes und von allen Nebenabsichten unabhängiges Doktorexamen zu schaffen, seinen Beifall fand, er stellte aber die Frage, ob man in diesem Bestreben nicht teilweise zu weit, das hieß zu wenig liberal vorgegangen war und Bestimmungen aufgestellt hatte, die in der Praxis auf große Schwierigkeiten treffen würden. Vor allem lehnte er, wie nicht anders zu erwarten, die große Ausdehnung des zum Examen zuzulassenden Kreises von Hochschul- und Universitätslehrern als ungernäße und diskriminierende "Kontrollmaßregel" ab. Statt dessen forderte er Vertrauen für die Abteilungen der Technischen Hochschule, denen die Durchführung des Statutes wie den Universitätsfakultäten selbständig überlassen werden müsse18• Diese Maßregel war indessen gerade als entscheidende Bestimmung darauf abgestellt, den Widerstand der Universitäten wenigstens eine Spitze zu nehmen. Wenn auch mit erheblichen Einschränkungen im einzelnen, so beurteilte Klein die "Grundzüge" doch als "im großen und ganzen" annehmbar. Er schlug in diesem Zusammenhang gleichzeitig vor, einer allgemeinen Rektorenkonferenz der Universitäten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Rektoren sollten dann den akademischen Senaten referieren. Unter Hinweis auf die "herrschenden Vorurteile" empfahl Klein hier, sehr behutsam vorzugehen und die Beteiligten ausführlich über die "Vorgeschichte" zu unterrichten. Zu Recht meinte er, daß manche Vorurteile an der Universität letztlich einfach aus mangelnder Kenntnis der "tatsächlichen Verhältnisse" resultierten. Es war freilich ein bemerkenswertes Beispiel seiner eigenen "sachlichen Naivität", wenn er glaubte, daß die Senate nach sachlicher Kenntnisnahme dem Begehren der Technischen Hochschulen schließlich nicht nur zustimmen müßten, sondern im Hinblick auf die strengen Bestimmungen der Grundzüge für den "Dr. rer. techn." von sich aus manche Übelstände des Promotionswesens an den Universitäten selbst daraufhin beseitigen und ebenfalls ähnlich strenge Bedingungen stellen würden10• Auf jeden Fall sollte nach Althoffs Absicht auf der Basis der "Grundzüge" eine gemeinsame Vereinbarung unter allen Technischen Hochschulen des Reiches erreicht werden. Nur die vollständige Einmütigkeit ts DZA Rep. 76 V b, ebd.

Tatsächlich argumentierte man an den T. H. in der Folgezeit immer wieder mit einem Vergleich dieser sehr viel strengeren Bedingungen zu den auch von zahlreichen Universitätslehrern beklagten Mißständen und "Doktorfabriken" an manchen kleineren Universitäten. 19

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konnte hier nach seiner realistischen Überzeugung einen Erfolg nach sich ziehen. Tatsächlich gelangten die Hochschulen dank der geschickten Regie Althaffs noch vor Ende des Jahres 1898 zu einer Verständigung. Nur München lehnte die geforderten Voraussetzungen wiederholt ab und stellte dadurch ein gemeinsames Vorgehen in Frage. Verärgert schrieb Althoff, der jetzt auf möglichste Beschleunigung drang, an Klein, daß man dessen Protege Dyck und die Münchener Hochschule sich selbst überlassen solle. Er ließ keinen Zweifel daran, daß das Vorgehen in Preußen in der ganzen Frage entscheidend sein müßte. "Je weniger wir Verständigungsfanatiker sind, desto besser für den schließliehen Ausgang der Sache~0 ." Auf seinen Wunsch hin reisten dann aber doch Riedler und Hauck eigens von Berlin in die bayerische Hauptstadt, um in direkter Verhandlung mit ihren dortigen Kollegen die Münchener Anstalt zu bewegen, sich der gemeinsamen Vereinbarung aller deutschen Technischen Hochschulen anzuschließen. Das Argument, mit dem die Emissäre schließlich den Beitritt Münchens zu erreichen glaubten, machte sowohl die Eile als auch die als unbedingt notwendig angesehene Gemeinsamkeit verständlich. Käme eine solche zustande, so hatten sie erklärt, dann werde das preußische Kultusministerium eine Vorlage an den Kaiser machen und dieser werde sie bei seiner betonten und wiederholt bewiesenen Vorliebe für die technischen Wissenschaften, wie man sicher zu wissen glaubte, auch genehmigen. In diesem Falle würden sich vermutlich schon zu "Kaisers Geburtstag" 21 die Wünsche der Technischen Hochschule erfüllen, denn bei der betonten Vorliebe des Kaisers, an seinem Geburtstag selbst als Geschenkgeber aufzutreten, sei dies für ihn eine willkommene Gelegenheit für den Gnadenerweis an die Technischen Hochschulen2%. Tatsächlich waren solche Argumente nicht völlig unberechtigt. Der Kaiser hatte unter dem Drängen der Ingenieure daran gedacht, ähnlich wie in der Frage des Präsentationsrechtes, in selbständigem Vorgehen den Technischen Hochschulen. wenn nicht den "Gnadenerweis" selbst, so doch zumindest die baldige Aussicht darauf persönlich zu eröffnen. Die Verhältnisse lagen in der Promotionsfrage doch freilich schwieriger. Es mußte zwar einerseits eine "reichseinheitliche" Regelung getroffen werden, andererseits fiel das ganze Problem aber in die verfassungsmäßigen Kompetenzen der jeweiligen Einzelstaaten, und es zeigte sich. daß hier Wünsche und Möglichkeiten, zu einer schnellen Regelung zu kommen, weit auseinandergingen. 20

21

Althoff an Klein Dezember 1898, UBG Cod. MS Nachlaß Klein li A.

27. Januar 1899.

n Bericht Haucks an Althoff 10. 1. 1899, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 180.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht b) Der gleichzeitige Vorstoß aller Technischen Hochschulen und der Einspruch der Universitäten

Am 2. Januar 1899 richteten die preußischen Technischen Hochschulen, jede für sich, mit Bezugnahme auf die Schwesteranstalten an das Kultusministerium das Gesuch auf "Erwirkung des Rechtes der Doktorpromotion"23. Zur selben Zeit stellten auch die außerpreußischen Hochschulen den gleichen Antrag an ihre Regierungen. Nur München schloß sich dieser Eingabe nicht unmittelbar an, hier war man mit dem Ansuchen aus dem Jahre 1897 ja auch bereits vorausgegangen. Federführend für die Hochschulen Aachen und Hannover gab die Berliner Anstalt alle bisher vorgebrachten wissenschaftlichen Argumente zusammenfassend, die ausführliche Begründung des Antrages, verbunden mit den eindringlichen Hinweisen auf den Einfluß des geforderten Rechtes auf die Technischen Hochschulen und damit auf die "vaterländische Industrie", auf die "Macht des Staates und das Ansehen des Reiches in der Welt". Als alleiniger Titel wurde der "Doktor rerum technicarum (Dr. rer. techn.) vorgeschlagen. Zusammenfassend brachte man die bestimmte Erwartung zum Ausdruck: "daß die von allerhöchster Stelle bei den verschiedensten Anlässen in so erleuchteter Weise anerkannte Ebenbürtigkeit der technischen Wissenschaft ihre weitere Bestätigung finden möchte durch die von uns angelegentlich ersehnte Ausdehnung des Promotionsrechtes auf die Technischen Hochschulen". Beigefügt waren jeweils die erwähnten "Grundzüge" einer Promotionsordnung. Mit dem Bezug auf die vorausgegangenen Anträge auf den "Doktor der Chemie" aus den Jahren 1895 und 1897 und den diesbezüglichen Anfragen Sachsens und Bayerns ließ Kultusminister Bosse den beteiligten Regierungen jetzt mitteilen, daß er "vorbehaltlich der Anhörung der in Betracht kommenden Universitätskreise" nunmehr nicht abgeneigt sei, den Wünschen der Technischen Hochschule näherzutreten und bat seinerseits um beschleunigte Stellungnahmen zu den jüngsten Anträgen14. Die Hoffnung der Techniker, daß der Kaiser noch zu seinem Geburtstag, Ende Januar 1899, die Genehmigung ihres Antrages verkünden werde, sollte sich indessen nicht erfüllen. Die Verhandlungen mit den Bundesregierungen zogen sich hin. Derbayerische Gesandte beschwerte sich im Namen seiner Regierung darüber, daß die Emissäre Riedler und Hauck, wie er meinte, im amtlichen Auftrag ihres vorgesetzten Ministers unmittelbar mit der Münchener Hochschule verhandelt hatten. Es war direkt gegen die von diesen dargelegten Absichten des Kaisers gerichtet, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. Note vom 13. 1. 1899 über A. A. an die Regierungen Bayern, Sachsen, Hessen, Braunschweig, Württemberg u. Baden, DZA Rep. 76 V b, ebd. 23 24

3. Die Erlangung des Promotionsrechts

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als "Geschenkgeber" an alle deutschen Technischen Hochschulen aufzutreten, wenn er unmißverständlich darauf hinwies, daß das Recht der Krone Bayerns auf Verleihung akademischer Würden unter allen Umständn gewahrt bleiben müsse, und man um formelle Verhandlungen zwischen den Regierungen ersuche25 • Während die sächsische Regierung sehr bald mitteilte, daß sie geneigt sei, dem Antrag der Dresdener Hochschule ohne wesentliche Bedenken stattzugeben und auch Braunschweig sich sogleich einverstanden erklärte26 , ließ sich vor allem die württembergische Regierung mit einer Stellungnahme Zeit. Erst Mitte Mai teilte sie mit, daß sie keineswegs mit dem Antrag der Hochschulen einverstanden sei. Was hier mit dem Doktortitel für die Techniker erreicht werden solle, das könne auch durch andere, ihrer Eigenart mehr angepaßte Titel oder Bezeichnungen erzielt werden27 • In dieser Ablehnung machte sich nun bereits der energische Widerstand der Universitäten gegen das Begehren der Technischen Hochschulen bemerkbar. Unbeschadet der heftigen öffentlichen Diskussion über das Verhältnis zwischen Universität und Technischer Hochschule und dem Gleichberechtigungsanspruch der Techniker, war von der Verständigung der Hochschulen untereinander, von den vorausgegangenen Verhandlungen und von Althaffs entsprechenden Bemühungen bis dahin kaum etwas in die Öffentlichkeit gedrungen. Nach der gemeinsamen Eingabe der Hochschulen häuften sich jetzt aber Presseartikel über die Promotionsfrage mit ablehnenden und zustimmenden Stellungnahmen. Hier wurde auch bereits die Centenarfeier der Berliner Hochschule im Oktober als angemessener Termin genannt, zu dem man die Verleihung des Promotionsrechtes an die Technischen Hochschulen verkünden werde28 • Eine entsprechende Anfrage des Vereins Deutscher Ingenieure wurde vom Ministerium allerdings abschlägig beantwortet21 • Tatsächlich waren die Verhandlungen ins Stocken geraten, die Möglichkeit einer reichseinheitlichen Lösung schien in weite Ferne zu rücken. Als zur Feier der Karlsruher Anstalt vom 17. bis 19. Mai, wie schon erwähnt, Abgesandte aller deutschen Technischen Hochschulen in der badischen Residenz zusammenkamen, wandte man sich an den als Förderer der Karlsruher Hochschule bekannten Großherzog Friedrich von Baden mit der Bitte, in der Promotionsfrage zu vermitteln. Die badische Regierung hatte sich seit den Tagen von Carl Friedrich Nebenius stets als besonders fortschrittlich in der organisatorischen und akademischen 25 Note des bayerischen Gesandten vom 21. 1. 1899 vom A. A. dem Kultusminister übermittelt, ebd. 26 DZA Rep. 76 V b, ebd. 27 Note vom 15. 5. 1899, DZA Rep. 76 V b, ebd. 28 Vgl. Hochschulnachrichten, Nr. 104,1899, S. 153 f. 29 17. 4. 1899 ebd.

19 Manegold

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Entwicklung ihrer Hochschule gezeigt, sie unterstützte auch jetzt vorbehaltlos die Bestrebungen der Hochschulen nach dem "Dr. rer. techn.", und der Großherzog erklärte sich sofort bereit. Ende Mai teilte er selbst Reichskanzler HohenLohe mit, daß Baden die Anträge der Technischen Hochschule sehr befürworte, der erstrebte Titel unterscheide sich genügend von dem Doktor der Universität. Er wisse, daß Hessen, Bayern und Sachsen die Sache auch unterstützten. Die königlich württembergische Regierung habe sich zwar öffentlich dagegen ausgesprochen, um die Universität Tübingen zu befriedigen, habe ihn aber vertraulich wissen lassen, wenn Baden dafür sei, stimme sie ebenfalls zu. Er bat den Reichskanzler, sich dieser wichtigen Sache anzunehmen und seinen Einfluß geltend zu machen30• An Hohenlohe mitübersandt hatte der Großherzog die auf seine Anregung verfaßte Denkschrift des Karlsruher Rektors Professor Engler, der das Promotionsrecht als die "Lebensfrage der deutschen Technik" bezeichnete und hier besonders massive wirtschafts- und machtpolitische Argumente heranzog. Da in den wichtigsten Konkurrenzländern Deutschlands für den Techniker die Promotion möglich sei, liege der Nachteil für die deutsche Industrie und für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft klar auf der Hand. Ein "Gnadenakt des Herrschers" entspreche deshalb einer unabweisbaren Forderung der Zeit. Ein Vorsprung anderer Länder auf diesem Gebiet, und besonders England und Amerika mache hier die größten Anstrengungen, würde unübersehbare Folgen haben, die später nicht mehr eingeholt werden könnten. Engler machte darauf aufmerksam, daß Äußerungen ausländischer Staatsmänner wiederholt klar erkennen ließen, daß man die Ursachen der wirtschaftlichen Macht Deutschlands begriffen habe: die Höhe der technisch-wissenschaftlichen Bildung, daß nur Technik und angewandte Wissenschaften Deutschland zu einer Macht auf den Weltmarkt gemacht haben. Die Gewährung des Promotionsrechtes würde nun für die Technischen Hochschulen und die gesamte deutsche Technik einen neuen Vorsprung und einen wesentlichen neuen Impuls bedeuten.

Solche Gründe blieben nicht ohne Einfluß auf den Kanzler, er sandte die Denkschrift und die Äußerungen des Großherzogs sogleich an das preußische Kultusministerium und ersuchte dringend um sofortige Information über den Stand der Angelegenheit in Preußen31• Während eines Aufenthaltes in Wildbad im Juli 1899 traf er dort selbst mit dem Großherzog von Baden zusammen. Inzwischen hatte sich aber der stärkere Widerstand bei den Universitäten erhoben. Beide Seiten erklärten jetzt die Promotionsangelegenheit 30

Großherzog von Baden an Hohenlohe, 20. 6. 1899, DZA Rep. 76 V b, Sekt.

1, Tit. 5, Nr. 4 I. st DZA Rep. 76 V b, ebd.

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jeweils für die eigene "Lebensfrage". Bereits Ende April war die Universität Bonn offiziell im Ministerium gegen ein Promotionsrecht der Technischen Hochschulen vorstellig geworden. Zwei Monate später kam es zu einer Protesteingabe von Rektor (Professor Waldeyer) und Senat der Universität Berlin32, in der mit Bezug auf die zahlreichen Pressemeldungen feierlich Verwahrung eingelegt wurde gegen die mit solchen Plänen offenbar beabsichtigte Beeinträchtigung alter Universitätsrechte, die "Alteration der akademischen Würde" und die völlige Entwertung des Doktortitels. Dieser solle seinem Inhaber die Würde der wissenschaftlichen Forschung im Bewußtsein erhalten, hieß es hier, und dürfe nicht um praktischer sozialer Vorteile willen erstrebt werden. Der Zweck, den die Technische Hochschule mit dem Titel verfolge, sei aber lediglich ein praktischer: das soziale Ansehen, das sich nun einmal an den Titel knüpfe, solle dem Ingenieur zuteil werden. Nur dies sei das Ziel der maßlosen Agitation der Techniker. Demgegenüber erklärte der Berliner Universitätssenat: "Unser Doktorgrad hat mit praktischen Fertigkeiten nichts zu tun, während diese für den Techniker allein im Vordergrund stehen." Es komme nicht auf den Nachweis konstruktiver Geschicklichkeiten an, vielmehr auf theoretisch-wissenschaftliche Qualifikation. Während bisher der Titel in der Welt geachtet und begehrt sei, würden auf diesem Wege unhaltbare Zustände herbeigeführt werden, "wie wir sie in den USA vor uns sehen". Das Ergebnis werde eine völlige Konfusion der Begriffe sein, schwerwiegende Schädigung der altbewährten Einrichtung der Universitäten, "um die uns die Welt beneidet", die Folge. Das war nun genau die Einschätzung der Ingenieure als "höhere ouvriers", gegen die sie sich bereits seit einem halben Jahrhundert zur Wehr setzten. Ihre Eingabe brachte die Berliner Universität zugleich allen anderen Landesuniversitäten zur Kenntnis, um auch diese zur Protestaktion zu veranlassen. Daraufhin kam es jetzt zur Intervention der Senate sämtlicher preußischen Universitäten, die nun jeweils einzeln bei Minister Bosse vorstellig wurden33• Einmütig wurde das Ersuchen der Technischen Hochschulen abgewiesen und die entsprechenden Eingaben unterschieden sich nur durch eine abgestufte Schärfe in der Formulierung dieser Ablehnung. Der härteste Widerspruch kam aus Königsberg34 • In der Kantschen Verpflichtung stehend, lege man feierlich Verwahrung ein gegen das Bestreben der Technischen Hochschule, so hieß es in dem Schreiben des Senats. In der Übertragung des traditionellen Universitätsgrades auf Techniker sah man hier das "Jahrhunderte hindurch als das teuerste der Universität bewahrte und auch ferner hochzuhaltende 32 33 34

t9•

Eingabe vom 24. 6. 1899, DZA Rep. 76 V t, ebd. Protesteingaben zwischen dem 25. 7. und 5. 8. 1899, DZA Rep. 76 V b, ebd. Rektor und Senat der Universität Königsberg an Bosse 30. 7. 1899.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

Palladium", die Wahrheit um ihrer selbst willen zu suchen, Wissenschaft allein um ihrer selbst willen zu treiben, tödlich gefährdet, damit den Wesenskern der Universität schlechthin. Die auch im Vergleich zu der entschiedenen Sprache der anderen Eingaben extrem scharfe Verurteilung und völlige wissenschaftliche Disqualifizierung der Technischen Hochschule veranlaßte selbst einige Senatsmitglieder, sich von der hier zum Ausdruck kommenden Haltung in Separatvoten zu distanzieren, wenngleich auch sie das Promotionsrecht für die Techniker eindeutig ablehnten. In Göttingen war die Protesteingabe des Berliner Senats vom Verwaltungsausschuß zur Begutachtung an die philosophische Fakultät verwiesen worden35• Hier hatte Klein vergeblich zugunsten der Hochschulen gesprochen und ebenso vergeblich den Vorschlag gemacht, die Fakultät möge darauf hinwirken, daß sich eine allgemeine Sachverständigenkonferenz aller Universitäten in ruhiger Abwägung, unter Vorlage des "vollständigen Materials", mit der Frage beschäftigen solle. Die prinzipielle Ablehnung des Promotionsrechtes für die Techniker durch die Mehrheit36 war noch verschärft worden durch den gleichzeitigen Antrag Kleins auf Zulassung der Oberrealschüler zur Promotion an der Göttinger Fakultät37• Der Standpunkt der Majorität wurde auch vom Senat mit großer Mehrheit angenommen. Die Eingabe an den Minister wich freilich von der Schärfe der in den Fakultätsgutachten gebrauchten Formulierung ab und fiel im ganzen auch gemäßigter aus als die Erklärung der Berliner Universität, war aber in der Ablehnung nicht weniger eindeutig. Klein, gab ein Separatvotum ab38, in dem er von den "erwünschten Folgen" eines durch strenge Statuten geregelten Promotionsrechtes der Technischen Hochschulen sprach. Er sah dadurch das Prinzip der selbständigen wissenschaftlichen Leistung auf wichtigen Gebieten zur Geltung gebracht, die von dem herkömmlichen Universitätsbetrieb abgetrennt waren. Die Universität, so fand er, solle weniger auf ihre historische Abgeschlossenheit als auf Förderung und Entwicklung des gesamten höheren Unterrichtes bedacht sein. Er vergaß nicht den Hinweis, daß manche polemische Äußerungen von seiten der Technischen Hochschule den Universitäten andererseits eine positive Stellungnahme nicht gerade erleichterten. UAG Dekanatsakten, Phil. Fak. 1899/1900, Allgem. Akten, Bd. 185 a. Der neue Titel würde eine mißlungene Nachahmung des Originals sein, welcher durch die eigene Minderwertigkeit das Original herabsetze, so hieß es in dem Gutachten an den Senat vom 22. 7.1899, ebd. 37 Entgegen der Auffassung der Mehrheit, die den Satz aufstellte, niemanden zuzulassen, der nicht sein Doktordiplom lesen, also nicht Latein könne. Diese Frage trug bald danach bei zu dem von Klein bekämpften Antrag der "Humanisten" auf Teilung der Fakultät. 38 Separatvotum v. 28. 7. 1899, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. Nr. 4 I. 35

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Die Universitäten beharrten einhellig auf dem Standpunkt des historischen Rechtes und der akademischen Tradition, zogen aber auch insgesamt die wissenschaftliche Ebenbürtigkeit der Technischen Hochschulen grundsätzlich in Zweifel. Eine mögliche Verleihung des Promotionsrechtes an die Hochschulen erschien ihnen nicht nur als ein tiefer und entscheidender Eingriff in ihre Rechte und Interessen, sie erblickten darin auch durchweg eine direkte Gefahr und Schädigung des wissenschaftlichen und sozialen Wertes der bisher allein von ihnen gehüteten Institution, damit einen Angriff auf die Universität als solche. Treffend und originell zugleich charakterisierte Wilhelm Lexis in einem seiner vielen Berichte an Althoff die Haltung der Universitäten: "Sie hatten wie alte Marquis die emporkommende roture der Technischen Hochschule gar nicht beachtet, da die vorkommenden Plänkeleien bisher nur einige Naturwissenschaftler und Mathematiker betrafen. Jetzt sehen sie sich plötzlich in dieser Bewegung des tiers etat und fassen nun dem kommenden napoleonischen Adel gegenüber ihren ganzen Ahnenstolz zusammen39." c) Häufung.von Widerständen und die Entscheidung des Kaisers

Mit der Übernahme des Rektorates der Berliner Technischen Hoc.'lschule durch Alois Riedler Anfang Juli 1899 kam es von dieser Seite zu verstärkter Initiative. Riedler verhandelte mit dem Chef des geheimen Zivilkabinetts Lucanus und fand bei ihm volles Verständnis. Lucanus stand in der Promotionsfrage selbst ganz auf der Seite der Hochschulen und hatte insbesondere Slaby zugesichert, sich auch beim Kaiser dafür einzusetzen40 • Riedlers vom Senat der Hochschule gebilligter Plan, dem Kaiser die Würde des "Rektor magnificentissimus" anzutragen, ließ man wieder fallen, um sich allein auf die Promotionsfrage zu konzentrieren. In immer neuen Eingaben an Althoff und den Minister drängte Riedler ungeduldig auf eine Entscheidung. Seine Absicht, ein neues Gesuch um Verleihung des Promotionsrechtes im Namen aller Hochschulen diesmal direkt an den Kaiser zu richten, wurde von Althoff als "unzweckmäßig" erklärt, statt dessen stellte Minister Bosse unter solchem Druck noch kurz vor der Intervention der Universitäten, nach persönlicher Unterredung mit Riedler und Slaby, selbst ein Immediatgesuch in Aussicht41 • Lexis an Althoff 30. 7. 1899, Rep. 92 NA AI, Nr. ebd. Notizen Althoffs, DZA Rep. 92 NA AI Nr. 179. Als ehemaliger Unterstaatssekretär im Kultusministerium unterhielt er auch als Chef des geheimen Zivilkabinetts sehr enge persönliche Beziehungen zu Althoff, vgl. Sachse, a. a. 0., S. 76. 41 DZA Rep. 92 NA AI Nr. 179. ao

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Der harte Widerspruch der Universitäten war indessen im Ministerium nicht ohne Rückwirkung geblieben. Kultusminister Bosse war jetzt weniger als vorher geneigt, dem Drängen der Ingenieure nachzugeben und suchte nun nach Auswegen, wie man Riedler als den lautstärksten und einflußreichsten Sprecher der Hochschulen vertrösten und hinhalten konnte. Von wichtigen Beamten des Ministeriums wurde er in seiner ablehnenden oder doch ausgesprochen abwartenden Haltung bestärkt42 , während Althoff sich in seinen Bemühungen, zu einer Lösung zu kommen, nicht beirren ließ. Als er sich im Juli wie gewöhnlich in einem Harzer Sanatorium zur Kur aufhielt, beriet er mit Klein, mit dem zusammen er einen großen Teil seines Aufenthaltes dort verbrachte, unter Hinzuziehung von Lexis über ein weiteres Vorgehen. Hier wurde noch einmal der Kompromißvorschlag erörtert, als weitere Bedingung einer Promotion an Technischen Hochschulen ein vorangehendes zweisemestriges Studium der Kandidaten an einer Universität zu verlangen, mit dem Nachweis allgemein wissenschaftlicher Vorlesungen43• Damit wollte man den Universitäten noch weiter entgegenkommen. Als ein in der Öffentlichkeit sehr beachteter Verfechter der Universitätsgerechtsame hatte inzwischen zum besonderen Erstaunen und Verdruß Kleins von Göttingen aus Professor Walter Nernst seine Stimme erhoben. In einem im Ministerium sorgfältig registrierten Leitartikel der "Nationalzeitung"44 hatte der zu dieser Zeit vor allem als Erfinder der Nernstlampe weitberühmte Chemiker in sehr scharfer Form gegen die Technische Hochschule Stellung genommen und ihre Bestrebungen als "illegale Konkurrenz" bezeichnet. Er wiederholte den Ausspruch seines Lehrers Wilhelm Ostwald: Solange das Ausland unseren "Dr. phil" nicht nachmachen kann, behalten wir die Oberhand, und prophezeite für den Fall, daß den Technischen Hochschulen das Promotionsrecht eingeräumt würde, eine "schwere Schädigung der wissenschaftlichen Physik und Chemie". Dadurch werde "überflüssiger- und bedenklicherweise die blühende deutsche Naturwissenschaft in ein neues Entwicklungsstadium gedrängt". Als einen nach seiner Ansicht das Verhältnis von Universität und Technischer Hochschule treffend charakterisierenden Vergleich zog er die Parallele zwischen der chemischen Großindustrie und der Elektrotechnik. Beides Kinder der neueren Zeit, sei die erstere ausschließlich und unmittelbar aus der Arbeit der Universitätslaboratorien entstanden, das gesamte wissenschaftliche Rüstzeug, von Universitätsprofessoren in jenen Labors geschaffen, konnte die Industrie "ohne 42 Notizen Althaffs über die Auffassung des Ministers, ebenso über Friedr. Schmidt-Ott, der den Minister wiederholt auf das fehlende "ideale Streben" derT. H. und der Ingenieure aufmerksam machte, DZA Rep. 92 NA, ebd. 43 UBG Cod. MS Nachlaß Klein II A. •t Vom 28. Juli 1899.

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weiteres fruktifizieren". Von den elektrotechnischen Labors, bisher gänzlich eine Domäne der Technischen Hochschule, könne das dagegen ganz und gar nicht behauptet werden. Kein einziger Vertreter der Elektrotechnik am "Polytechnikum" habe sich hier überhaupt bisher nennenswert hervorgetan45• Hier sei Deutschland deshalb vom Ausland weit überholt worden. Das war nun zweifellos falsch und mußte beinahe bösartig genannt werden. Aus der Feder eines Universitätsgelehrten, dessen Arbeiten aber gerade in bedeutendem Maße unmittelbar industriell ausgewertet wurden, blieb dieser Angriff indessen nicht ohne Wirkung. Es folgten sogleich nicht weniger scharfe Erwiderungen von Verteidigern der Leistungen der Technischen Hochschule46 • Eine besonders harte Replik, die Riedler veröffentlichen wollte, zog er auf dringenden Wunsch Althoffs zurück, der die ohnehin höchst explosiven Auseinandersetzungen keineswegs noch mehr erhitzt wissen wollte. Einer als sensationell empfundenen Pressemeldung zufolge sollte in Österreich die Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutze des Titels "Ingenieur" und die Verleihung des Promotionsrechtes an die Technischen Hochschulen der Monarchie unmittelbar bevorstehen47• Auf Anfrage des Ministeriums stellte sich dies freilich als Falschmeldung und als ein von interessierter Seite lancierter Artikel heraus. Kultusminister von RarteL ließ auf Anfrage aus Wien mitteilen, daß man der Sache in Österreich nur nähertreten werde, "wenn wir durch die Vorgänge in Deutschland dazu gedrängt werden" 48 • In dramatisch zugespitzten Wendungen forderte Riedler unmittelbar nach den offiziellen Protesten der Universitäten erneut eine Entscheidung und erinnerte daran, daß der Minister eine Immediateingabe bestimmt versprochen habe, da die Hochschulen sich nicht selbst unmittelbar an den Monarchen wenden sollten. Für den Fall, daß diese "Lebensfrage der Ingenieure" nicht bis zur Centenarfeier der Berliner Hochschule positiv gelöst werde, sagte er jetzt, "auf das bestimmteste eine nicht mehr zu beherrschende böse Verstimmung" und "allerschwerste Rückwirkungen" voraus. Daß dann alle hervorragenden Kräfte der Technischen Hochschule resignieren und sich im Lehrbetrieb auf eine möglichst mühelose Tätigkeit zurückziehen würden, sei sicher. Die wich45 Nach einem Bericht von Lexis an Althoff {DZA Rep. 92 NA AI, Nr. 179) richtete sich dieser Angriff Nernsts vor allem gegen den von ihm nicht genannten Slaby, der die Elektrotechnik an der Berliner Hochschule vertrat und der, im Gegensatz zu seinem Ansehen beim Kaiser, bei manchen Fachleuten in keinem besonderen Ruf stand. 48 Nationalzeitung vom 1. 8. 1899. 47 Nordd. Allgem. Ztg. vom 22. 7. 1899. 48 12. 8. 1899, DZA NA AI, Nr. 179.

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tigsten Aufgaben der Technischen Hochschule würden jedenfalls nicht mehr erfüllt werden. "Solche unübersehbare Schädigung droht, das wäre die naturgemäße Folge des Umstandes, daß überlieferte Geistesrichtungen bevorzugt, neue mühsamere hingegen für nicht gleichwertig gehalten werden49." Noch hatten die süddeutschen Hochschulen nach Auffassung Riedlers große Disziplin gehalten, alles hing jetzt aber von der Entscheidung in Preußen ab. Ende August kam es schließlich zu dem "bestimmt versprochenen" Bericht des preußischen Kultusministers an den Kaiser. Er fiel freilich anders aus, als es Riedler und die Hochschulen erwarteten50• Erst jetzt teilte der Minister offiziell mit, daß die Technischen Hochschulen wegen der Verleihung des Promotionsrechtes vorstellig geworden waren. Er halte den Antrag insoweit für berücksichtigenswert, hieß es dann, daß die Technische Hochschule in Anerkennung ihrer Bedeutung in die Lage versetzt werden sollte, akademische Grade zu verleihen. Den erstrebten Doktortitel müsse man hier aber als ungeeignet ansehen. Für die Universitäten würde dies ein tiefer Eingriff in ihre Rechte bedeuten. Sie befürchteten, und hier bezog sich der Bericht ausdrücklich auf die Äußerungen Walter Nernsts, nicht zu Unrecht besonders eine Schädigung ihrer naturwissenschaftlichen Studien. Die chemische Industrie verdanke aber hauptsächlich der Universität ihre Bedeutung. Sie seien darüber hinaus stark beunruhigt, daß ihre Stellung im Kulturleben beeinträchtigt werde. Jedenfalls sei eine Neuerung dieser Art nicht angängig und die Einführung des beantragten Doktortitels nicht zu befürworten. Wünschenswert erscheine es dagegen, daß den Technischen Hochschulen das Recht auf Grade erteilt werden, die "ihrer Eigenart" entsprechen. Die Aussicht darauf möge der Kaiser gegebenenfalls beim Jubiläum der Berliner Technischen Hochschule aussprechen. Zunächst aber könne man dem Rektor der Berliner Anstalt, wie den Rektoren der Universitäten den Rang eines Rates II. Klasse beilegen und für seine amtlichen Beziehungen den Titel "Magnifizenz" verleihen. Das schien nun wirklich in erster Linie darauf abgestellt zu sein, die Hochschulen weiter hinzuhalten und Riedler zu "vertrösten". Inzwischen war aber der Kaiser, nicht ohne Zutun Slabys und bestärkt von Lucanus, gewillt, das Ansuchen der preußischen Technischen Hochschulen zu erfüllen. Als Slaby im August 1899 nach einer Einladung im privaten Kreise die Gelegenheit benutzte, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß es ein bemerkenswertes Zeichen von "Partikularismus" sei, wenn die bayerische Hochschule München sich nicht an einer gemeinsamen Eingabe der deutschen Technischen Hochschulen zum Promotionsrecht 49

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Riedler an Althoff, 10. 8. 1899, ebd. Immediatbericht vom 24. 8. 1899, DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4

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beteiligt hätte, äußerte der Kaiser entschieden: "dann machen wir es ohne München" und brachte zum Ausdruck, daß er jetzt entschlossen sei, den Hochschulen gegen alle Widerstände das von ihnen erstrebte Recht zu verleihen51 • Nach den ablehnenden Darstellungen im Immediatbericht des Kultusministers fiel jetzt die Entscheidung ganz dem Kaiser selbst zu. Kurz darauf ließ er durch Lucanus dem Minister mitteilen, er wünsche dringend, auf der Centenarfeier der Berliner Hochschule nicht nur die Aussicht, sondern in jedem Falle "den Gnadenakt selbst" zu eröffnen und forderte rechtzeitige und definitive Vorschläge52• Wenige Tage später trat Bosse, wenn auch nicht in ursächlichem Zusammenhange mit der Promotionsfrage, vom Amt zurück53• Sein Nachfolger Studt und damit Althoff stand jetzt vor der Aufgabe, in kürzester Zeit, die Jubiläumsfeierlichkeiten waren für Mitte Oktober angesetzt, zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Bald nach dem Amtsantritt des neuen Ministers war es von sehr beachtenswerter Seite erneut zu einer Intervention gekommen. Der Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Professor Kohlrausch, protestierte im Namen einer Reihe von ehemals an Technischen Hochschulen tätigen, jetzt aber an Universitäten lehrenden Professoren gegen das Promotionsrecht der Technischen Hochschulen54 • Vorausgegangen war ein Rundschreiben Kohlrauschs55, in dem er zusammen mit dem Tübinger Mathematiker Professor BriH56 und dem Leipziger Chemiker Professor Wislicenus57, alle früher an Technischen Hochschulen lehrenden Universitätskollegen aufforderte, ihr Votum zu unterstützen58 • Die Motive der Beteiligten - zu ihnen gehörte auch Franz Reuleaux50 - waren sehr unterschiedlich. Ihr Protest richtete sich in erster Linie gegen einen für die Technischen Hochschulen "un51 Niederschrift Althaffs über einen mündlichen Bericht Slabys an den Dezernenten Naumann, DZA Rep. NA AI Nr. 179. 52 Chef des geheimen Zivilkabinetts Lucanus an den Kultusminister, 31. 8. 1899. 53 2. 9. 1899. Bosse stand den Konservativen nahe und konnte sich im Zusammenhang mit der "Kanalvorlage" über den Bau des Mittellandkanales nicht mit der Maßregelung der Kanalgegner einverstanden erklären. Zu den "Kanalrebellen" hatte aber auch ein Beamter des Kultusministeriums gehört. Vgl. Hannelore Horn, Der Kampf um den Bau des Mittellandkanales, Köln 1964. 54 19. 9. 1899. DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. 55 Früher ETH Zürich und TH Darmstadt. 56 Früher TH Darmstadt, Brill hatte sich schon vorher in heftigen Zeitungsartikeln gegen das Ziel der TH geäußert. 5 7 Früher ETH Zürich. 58 Auf diese Weise forderte man auch Klein dazu auf. UBG Cod. MS Nachlaß Klein VII. 59 Er beteiligte sich offenbar aus persönlicher Animosität gegenüber Riedler, der ihn an der Hochschule völlig beiseite gedrängt hatte.

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angemessenen" Titel. Ein von der Universität entlehnter akademischer Grad sei den Hochschulen nicht würdig, so hieß es. Sie müßten einen "unhistorischen" von fremden Traditionen unbelasteten Titel finden. Das war auch ein von den Universitäten vorgebrachtes Argument. Man erblickte einen Mangel an Folgerichtigkeit darin, daß die jüngsten Hochschulen einen lateinischen Titel auf das moderne Gewand ihrer Lehrinstitute heften wolltenft0 • Die Diskussionen über "eigenartige" Grade und Titel für die Technischen Hochschulen waren nicht neu. Darüber war es vonseitender Techniker selbst schon seit langem immer wieder zu teilweise sehr kuriosen und geradezu abenteuerlichen Vorschlägen gekommen61 • Man hatte indessen immer wieder feststellen müssen, daß es nach Lage der Sache keine mögliche Alternative zum "Doktor" geben konnte. Riedler erklärte in einer langen Gegendenkschrift zum Votum "Kohlrausch und Genossen" 62 , der "Dr. rer. techn." sei keine grundsätzliche Neuerung, vielmehr eine "selbstverständliche Konsequenz". Im übrigen bezeichnete er die Techniker, die sich dem Protest Kohlrauschs anschlossen, mit Recht als "hoffnungslose Minderheit". Althoffs Aufforderung, andere Titel zu benennen, ließ Kohlrausch unbeantwortet. Während seines schon erwähnten Sommeraufenthaltes im Harz hatte Althoff mit Klein und Lexis auch die Möglichkeit eines anderen Titels als den des "Dr. rer. techn." erörtert. Klein hatte dabei von einem angeblich in Italien verliehenen "dottore ingegnere" gesprochen°3 • Von privater Seite war dem Ministerium zur gleichen Zeit neben zahlreichen anderen6 ~ auch der Titel "Doktoringenieur" vorgeschlagen wordenu. Diese Bezeichnung nahm Althoff jetzt auf. Er machte den Vorschlag, sie als Titel und Abkürzung, jedoch in deutscher Schrift "Doktor Ingenieur" (Dr. lng.), entsprechend ebenso dem Diplom-Ingenieur, (Dipl.-Ing.) einzuführen. Damit sollte die nichthumanistische Herkunft des Titels deutlich herausgestellt und im Sinne der Universitäten eine schärfere Unterscheidung von den Universitäts-Doktorgraden erreicht werden. Er 00 So hieß es z. B. in dem Gutachten der Göttinger phil. Fakultät für den Senatsausschuß. u Vgl. Akademische Mitteilungen 1897, Nr.l7, 18. 62 Vom 20. 9. 1899, DZA Ebd. Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5 Nr. 4 I. 63 Den es, wie sich nach Erkundigungen durch Althoff herausstellte, aber amtlich nicht gab. 64 z. B. "Duktor", "Construktor", "Tector", "Meister der Technik", "Technologe", "Technolognost", "Technosoph", "Staatsingenieur", "Reichsingenieur", "Staatstechniker". 65 Dies war durchaus keine neue Bezeichnung. Schon in den Erörterungen des Jahres 1880 hatte man vom "Doktoringenieur" gesprochen. Slaby hatte 10 Jahre vorher in seinem vom "ernsten Wort eines Österreichischen Fachgenossen" angeregten Aufruf neben den Dr. mech. und Dr. ehern. auch den Dr. ing. genannt.

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konnte also durchaus einerseits als "eigenartiger" Titel angesehen werden, andererseits stand zu erwarten, daß er die von den Technikern erstrebte soziale und wissenschaftliche Aura des traditionellen akademischen Grades behielt. Außer Professor Hauck von der Technischen Hochschule Berlin beauftragte Althoff wiederum Lexis und Klein um gutachtliche Äußerungen darüber. Während Hauck diese Bezeichnung als unzulänglich ablehnte und auch betonte, dies sei bereits ein sehr alter Vorschlag, stimmte Lexis zu. Ihm erschien es als einleuchtende Lösung des Problems. Die Antwort Kleins war charakteristisch für ihn selbst: Ihm mißfiel an diesem Titel, daß er die Gleichwertigkeit und den notwendigen Zusammenhang mit den "Fakultätsstudien" nicht so unmittelbar hervorhob wie der Dr. rer. techn. Es bleibe zuviel von dem Gegensatz von "Neu und Alt", so schrieb er und sah darin zugleich eine Art Anerkennung dessen, daß die Technische Hochschule sich nicht als einzelne Fakultät der alten Universität einfügte, sondern ihr als eine "neue Universität" entgegentrat. Auch Klein räumte allerdings ein, daß der Vorzug dieses Titels als einer Art Kompromiß zwischen dem geforderten "eigentümlichen" Grad und dem lateinischen Doktor der Universität durchaus für ihn sprach66 • Althoff glaubte jedenfalls, damit eine "optimale" Lösung gefunden zu haben, von der er hoffte, sie werde die Technischen Hochschulen und den Kaiser befriedigen, und andererseits den Widerstand der Universitäten abflauen lassen. Die von ihm vertraulich befragte Repräsentanz der Hochschulen, das hieß wieder vor allem Slaby und Riedler, erklärte sich schließlich zögernd und nach manchen Einwendungen einverstanden67 • Mit der Bitte um größte Beschleunigung ersuchte Minister Studt Anfang September die beteiligten Regierungen um ihre Stellungnahme. Württemberg antwortete, dem neuen Titel .stünden immerhin geringere Bedenken gegenüber, machte aber darauf aufmerksam, daß die Techniker sich nicht schlechthin "Doktor" nennen dürften, sondern stets den vollen Titel "Doktor Ingenieur" führen müßten. Sachsen hielt die Lösung für "unglücklich" und fand den Dr. rer. techn. geeigneter. Hessen behielt sich eine Entscheidung noch vor, war aber grundsätzlich dafür. Braunschweig und Baden stimmten ohne Vorbehalte zu. Bayern gabtrotz Erinnerung keine Antwort auf die Anfrage, würde aber "zufolge Privatnachricht wohl zustimmen", wie Studt an Lucanus berichtete68 • Nach der formellen Zustimmung des preußischen Staatsministeriums kam es nunmehr erneut zur Immediateingabe des Kultusrninisters, in der dem Kaiser jetzt offiziell vorgeschlagen wurde, er möge den preußi66 67

68

DZA Rep. 92 NA Al Nr. 179. DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. Ebd.

300

IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

sehen Technischen Hochschulen das Promotionsrecht für den Dr. Ingenieur (in deutscher Schrift geschrieben) verleihen69 • Kurz darauf übermittelte der bayerische Gesandte die Stellungnahme seiner Regierung70. Sie lehnte den vorgeschlagenen Titel ab. Bayern bestand weiter auf dem Dr. rer. techn. oder doch auf dem Titel mit Beifügung des Faches (Dr. ehern., Dr. agr., Dr. arch. usw.) Zwei Tage später, am 11. Oktober 1899, unterzeichnete der Kaiser den ersehnten Erlaß: "Auf den Bericht vom 6. dieses Monats will Ich den Technischen Hochschulen in Anerkennung der wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie in den letzten Jahrzehnten neben der Erfüllung ihrer praktischen Aufgaben erlangt haben, das Recht einräumen: 1. Aufgrund der DiplomPrüfung, den Grad eines Diplom-Ingenieurs (abgekürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dipl.-Ing.) zu verleihen, 2. Diplom-Ingenieure aufgrund einer weiteren Prüfung zu Doktor-Ingenieuren (abgekürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dr. Ing.) zu promovieren, und 3. die Würde eines Doktor-Ingenieurs auch Ehren halber als seltene Auszeichnung an Männer, die sich um die Förderung der technischen Wissenschaften hervorragende Verdienste erworben haben, nach Maßgabe der in der Promotionsordnung festzusetzenden Bedingungen zu verleihen. Auf den Bericht vom 24. August dieses Jahres will Ich dem Rektor der Technischen Hochschule Berlin für seine amtlichen Beziehungen den Titel "Magnifizenz" beilegen71 . " d) Die Jahrhundertfeier der Berliner Technischen Hochschule 1899

Die Centenarfeier72 der Berliner Technischen Hochschule vom 18. bis

21. Oktober 1899 sollte den höchst eindrucksvollen Rahmen abgeben, in

dem Wilhelm II. den preußischen Hochschulen und damit praktisch allen deutschen Schwesteranstalten die neue Berechtigung verkündete. Sie bildete den Höhepunkt der das Jahrhundert umfassenden Entwicklung und des Aufstiegs der Hochschulen und wurde zu einer wichtigen Manifestation ihrer nun erreichten machtvollen Stellung. Nach fast zwanzigjährigem, sich steigerndem Kampf war das nach Auffassung der Techniker entscheidende und wesentlichste äußere Merkmal wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Gleichstellung und Ebenbürtigkeit mit den alten, den Maßstab setzenden Universitäten erreicht, das nach Rang und Bedeutung längst verdiente Attribut höherer akademischer Würde endlich errungen. Es war zweifellos richtig, wenn es in der Festschrift hieß, niemals zuvor habe eine Unterrichtsanstalt technischer Wissenschaften ee Immediatbericht vom 6. 10. 1899, ebd.

9. 10. 1899, ebd. DZA Rep. 76 V b, Sekt. 1, Tit. 5, Nr. 4 I. 72 Als Gründungszeitpunkt wurde historisch anfechtbar nungsjahr der Berliner Bauakademie 1799 angesehen. 10 71

das Eröff-

3. Die Erlangung des Promotionsrechts

301

ein Ereignis innerhalb ihrer eigenen Entwicklung in gleicher Weise zu einer öffentlichen Feier gestalten können73 • Das äußere Bild entsprach der Bedeutung, die man diesem Ereignis von allen Seiten beimaß. Es widerspiegelte zugleich höchst sinnfällig Gewicht und Einfluß der Technischen Hochschulen im akademisch-wissenschaftlichen Leben ebenso wie im Bereich von Industrie und Wirtschaft, von Militär und Politik. Abordnungen aller deutschen und vieler ausländischen Hochschulen, Vertreter fast aller deutschen Universitäten, der verschiedenen Akademien und der bedeutendsten wissenschaftlichen und technischen Gesellschaften und Vereine waren erschienen. Aber nicht weniger eindrucksvoll war die Anteilnahme der Industrie, die ihre Verbindung mit den Technischen Hochschulen durch die "Jubiläumsstiftung der deutschen Industrie zur Förderung der technischen Wissenschaften", die erste große Industriestiftung dieser Art und Größe in Deutschland, sehr greifbar zum Ausdruck brachte. Ein hervorragendes Zeichen dafür, welchen "Heroen" man sich an diesem "größten Ehrentage der deutschen Technik" verpflichtet fühlte, war die der Feier vorausgehende Enthüllung der Denkmäler von Krupp und Siemens vor dem Hochschulgebäude. Andererseits waren die preußischen Staatsminister und viele Vertreter der oberen Reichsbehörden anwesend. Wenn man zehn Jahre später bei der Centenarfeier der Berliner Universität bemerkte, wie sehr während dieser, in ihrem äußeren Gepränge weit weniger glänzenden Feierlichkeit die "Verbindung von Militarismus und Wissenschaft imponierte" 7 \ so war dies dem äußeren Bilde nach bei der Jahrhundertfeier der Technischen Hochschule bereits eindrucksvoller vorweggenommen worden. Formationen der technischen Einheiten der Armee sollten der Feier auf Anordnung des Monarchen ein besonderes Gepräge geben, ebenso wie die Anwesenheit des Kriegsministers von Goßler und zahlreicher Generale, hoher Offiziere der Marine und der Kommandeure der technischen Truppen. Der Kaiser selbst tat alles, um diesen Eindruck noch zu verstärken, wenn er selbst in der Uniform des Ingenieurcorps und mit bedeutendem militärischem Gefolge auftrat. Er erschien zusammen mit der Kaiserin und seinen Söhnen, und es kam ihm darauf an, die Feier und die Verkündigung des Promotionsrechtes zu einer hallenden Kundgebung kaiserlicher Wertschätzung und Auszeichnung der Technik und der Technischen Hochschulen zu machen. "Die Technischen Hochschulen haben sich ebenbürtig den obersten Bildungsstätten des Landes, unseren Universitäten, an die Seite ge73

Die Hundertjahrfeier der kgl. T. H. zu Berlin 18.-21. 10. 1899, Berlin

74

Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff, Erinnerungen 1848-1914, Leipzig

1900, s. 3.

1929, s. 318.

802

IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

stellt", so hieß es in seiner Ansprache vor der Festversammlung75• Dies erkenne er mit besonderer Genugtuung noch dadurch an, daß er ihnen das Recht zur Verleihung akademischer Grade beilege. Er betonte aber auch, daß durch die wissenschaftlichen Bestrebungen der Hochschulen der innige Zusammenhang mit der Praxis nicht beeinträchtigt werden dürfe, und stellte Krupp und Siemens als hehre Vorbilder hin für die staunenerregenden Erfolge der Technik im Wettkampf der Nationen. Auf die vorangegangenen Auseinandersetzungen war es bezogen, wenn er zum Verhältnis Universität und Technische Hochschule ausführte: "Es gibt keine Interessengegensätze und keinen anderen Eifer als den, daß ein jeder von Ihnen und jedes Glied derselben an seinem Teile den Forderungen, die das Leben an die Wissenschaft stellen, voll gerecht werde", und das von einem Beamten des Kultusministeriums in den Entwurf der Rede eingeführte Goethezitat hinzufügte: "Gleich sei keiner dem anderen, doch gleich sei jeder dem höchsten! Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich76 !" Damit war nun in der gewünschten Klarheit von "allerhöchster Stelle" die Ebenbürtigkeit ausgesprochen, rund achtzig Jahre, nachdem eine solche Forderung überhaupt zum ersten Male erhoben worden war und fast vierzig Jahre nach den von Franz Grashof und dem Verein Deutscher Ingenieure aufgestellten "Prinzipien". Kein Wunder, daß diese Feststellung bei den Technikern mit größter Befriedigung und enthusiastischer Begeisterung aufgenommen wurde77 • Bezeichnend hieß es im Hinblick auf die Rede des Kaisers pathetisch: "Es war, als spräche der Zeitgeist selbst, als rausche über diesen vor ihrem kaiserlichen Herrn versammelten Scharen der Flügelschlag einer großen Zukunft: Das war der Eintritt der Technischen Hochschule in das zwanzigste Jahrhundert78." Der Rektor Professor Riedler wußte, wie sehr er alle Ursache dazu hatte, als er dem Kaiser 'i m Namen der Hochschulen überschwenglich dankte. Ohne Zweifel war es in erster Linie die Entscheidung Wilhelms II. selbst, sein "persönliches Regiment", die ihnen jetzt den ersehnten Erfolg beschert und ihnen gegen alle Widerstände jene "lang und schmerzlich entbehrten Privilegien dauernd verliehen" hatte. In Riedlers Äußerungen und in den Reden der einzelnen Abordnungen der Technischen Hochschulen und Universitäten schwang, kaum verhüllt, der vorausgegangene Meinungskampf der beteiligten Interessen und der keineswegs überwundene Antagonismus noch immer deutlich 75 Die Hundertjahrfeier, a. a. 0., S. 56. 78 Vgl. Friedrich Schmidt-Ott, a. a. 0., S. 47. 77 "Die mit lauter Stimme und scharfer Betonung der wesentlichen Stellen vorgetragene Rede wurde wiederholt von grenzenlosem Jubel unterbrochen", so berichtete Max Geitel in Glasers Annalen, 1899, Nr. 537, S.164. 78 Die Hundertjahrfeier, a. a. 0., S. 59.

3. Die Erlangung des Promotionsrechts

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genug mit. Während auf dem Festkommers der Straßburger Professor Ziegler in einer abgewogenen Rede "im Namen der alten Hochschulen" die notwendigen Wechselbeziehungen von reiner Wissenschaft und Technik darlegte und einen Rangstreit ablehnte, war die Distanz in den Ausführungen des Rektors der Universität Berlin, Professor Fuchs, der auf dem Hauptfestakt im Namen der deutschen Universitäten die Glückwünsche überbrachte79, ebenso wie in den Worten mancher Vertreter der einzelnen Universitäten für den aufmerksamen Beobachter nicht zu überhören. Die Forderung Felix Kleins nach einer Verbindung zwischen "Altem und Neuem", sein Bekenntnis zur gegenseitigen Annäherung von Universität und Technischer Hochschule, von universitärer und technischer Wissenschaft blieb in dem großen Kreis der verschiedenen Redner eine Ausnahme80• Professor Riedler, der als Rektor und neue "Magnifizenz" auf die jeweiligen Reden im Namen der Hochschule antwortete, betonte zwar, daß die Technischen Hochschulen nur durch das Vorbild der Universitäten, die erst den Begriff einer deutschen Hochschule fest begründeten, selbst Hochschulen mit gleichem wissenschaftlichem Gepräge werden konnten, unterließ es aber andererseits nicht, auf die "natürlichen Gegensätze" hinzuweisen. In seiner Erwiderung auf den Sprecher der Universitäten hieß es: "Der konservative Sinn der Universitäten kann auf die technische Wissenschaft nicht übertragen werden81 ", und er sprach von der neuen "universitas der technischen Wissenschaften" 82• Wenn Karl Karmarsch ebenfalls bei einem Jubiläum vier Jahrzehnte früher von der "technischen Universität" gesprochen hatte, so schien jetzt mit dem "Doktor Ingenieur" tatsächlich der Weg zur "Technischen Universität" offenzustehen83 • Einen besonderen und von den Ingenieuren in der Vergangenheit häufig angesprochenen Aspekt in bezug auf die Stellung der Technischen Hochschulen und ihr Verhältnis zu den Universitäten betonte der Kaiser nach der Jubiläumsfeier in seiner Erwiderung auf den Dank der drei Rektoren der preußischen Anstalten, als er, diesmal ohne ministeriellen Redeentwurf, erklärte84 • "Ich wollte die Technischen Hochschulen in den Vordergrund bringen, denn sie haben große Aufgaben zu lösen, nicht 78 Ausgenommen München, Königsberg und Göttingen, die weder der Einladung zur Entsendung von Vertretern nachgekommen waren, noch eine Adresse geschickt hatten, a. a. 0 ., S. 92 ff. 8° Klein und Böttinger hatten die Glückwünsche im Namen der G. V. überbracht. 81 Ebd. S. 98. 8! a. a. 0., S. 115. ~3 Auch Klein hatte davon schon gesprochen und tatsächlich ist dieser Begriff in der Folgezeit immer wieder diskutiert worden. 84 Am 5. 12. 1899 in der Technischen Hochschule Berlin vor einer vom Kaiser besuchten Sitzung der Schiffbautechnischen Gesellschaft. Vgl. Die Jahrhundertfeier, a. a. 0., S. 180 f.

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IV. Kampf der Technischen Hochschulen um das Promotionsrecht

bloß technische, sondern auch große soziale, die sind bisher nicht so gelöst, wie ich wollte", und wenn er auf die Möglichkeiten der Technischen Hochschulen und der Ingenieure hinwies, dank ihrer engen Beziehungen zur Industrie und zur Arbeiterschaft auf die sozialen Verhältnisse einzuwirken. "Sie sind deshalb in der kommenden Zeit zu großen Aufgaben berufen", so versicherte er. "Die bisherigen Richtungen haben ja leider in sozialer Beziehung vollständig versagt. Ich rechne auf Sie. An Anerkennung wird es nicht fehlen. Die besten Familien, die sich anscheinend sonst ferngehalten haben, wenden ihre Söhne der Technik zu, und ich hoffe, daß das zunehmen wird85. " Im Vollgefühl des errungenen Erfolges und der kaiserlichen Billigung konnte Riedler bald darauf diese im kleinen Kreis vorgetragenen Äußerungen des Kaisers in seiner Festrede zur Jahrhundertwende zitieren. Er nahm sie zum Anlaß, die "herrschende" Bildungs- und Wissenschaftsauffassung scharf anzugreifen, gerade im Hinblick auf deren "soziales Versagen", und verlangte jetzt als weitere Konsequenz die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Realanstalten mit den humanistischen Gymnasien, eine Forderung, die auf vielfältige Weise mit dem Aufstieg der Hochschulen verbunden gewesen war. "Im ganzen Jahrhundert war nur eine Geistesrichtung in der Jugenderziehung alleinherrschend", so stellte Riedler fest, "unsere technische Richtung hat nie Einfluß genommen, keine äußere Gewalt hat eingegriffen. Diese herrschende Richtung muß daher auch die Verantwortung für die üblen Seiten der Bilanz an der Jahrhundertwende ganz allein tragen." Wenn die Forderung des Kaisers erfüllt werden solle, dann müsse die Stellung der "gelehrten", das hieß, der humanistischen Bildung eine Veränderung erfahren. Die Gleichstellung der höheren Schulen, nach dem das ganze Jahrhundert durchziehenden Kampf zwischen Realismus und Humanismus, erschien nun die logische Folge aus der Gleichstellung von Technischer Hochschule und Universität. Tatsächlich ist die Gleichberechtigung der höheren Schulen, nicht ohne bahnbrechende Mitwirkung der Ingenieure und nicht zuletzt im Hinblick auf den Antrag der Technischen Hochschule unmittelbar darauf erreicht worden. Nach den Verhandlungen der Schulkonferenz des Jahres 190086, an der auch Klein maßgeblich beteiligt war, kam es noch im gleichen Jahr zum entsprechenden Erlaß des Kaisers87• Nach dem Vorangehen Preußens und analog zu den dortigen Bestimmungen erhielten im Laufe des folgenden Jahres alle deutschen Techa. a. 0 ., ebd. Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts, Berlin 6.-8. 6. 1900, Halle 1902, S. 153 ff. 87 Allerhöchster Erlaß vom 26. 11. 1900, vgl. Gerhard Giese, Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, Göttingen 1961, S. 215 ff. 85

86

3. Die Erlangung des Promotionsrechts

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nischen Hochschulen das Promotionsrecht, daran anschließend auch die Österreichischen Anstalten und das Züricher Institut. Bayern machte unter den deutschen Staaten insofern eine Ausnahme, als es bei dem "Doktor der technischen Wissenschaften" blieb88• In einem großen Verwaltungsbericht, den Kultusminister Studt über die ersten Jahre seiner Amtstätigkeit dem Kaiser vorlegte88 , gab er eine überschwengliche Darstellung von dem neuen Aufschwung, den die Technischen Hochschulen durch ihre Gleichstellung mit den Universitäten erführen, und zitierte ausländische Stimmen, die das deutsche Technische Hochschulwesen nunmehr als unerreichtes Muster an die Spitze stellten und den Rang der technischen Bildung in Deutschland als Hauptfaktor seiner wirtschaftlichen Stärke beurteilten. Im Hinblick auf das Promotionsrecht der Techniker und mit ausdrücklichem Verweis auf die Göttinger Bestrebungen Kleins hieß es, bei den Universitäten treffe diese wichtige Neuerung in zunehmendem Maße auf das richtige Verständnis, und die Auffassungen von einer notwendigen Fühlungnahme der Universitäten mit den technischen Wissenschaften finde immer mehr Anerkennung. Das war sicher mit den notwendigen Einschränkungen durchaus der Fall; noch für lange Zeit aber mochte der Rektor der Universität Heidelberg mit seinem angesichts der imposanten Berliner Centenarfeier formulierten Vergleich die zwiespältigen Empfindungen der Universitäten besser getroffen haben, wenn er bemerkt hatte, die Universitäten müßten sich jetzt vorkommen wie die entthronten Könige im Zuge eines Triumphators90 • Kleins Erfahrungen konnten hier allgemein gelten. Erst durch den Weltkrieg sind hier die meisten Verstimmungen und Vorbehalte gegenstandslos geworden, und wie erst nach 1918 die letzten organisatorischen und amtlichen Unterschiede zwischen Universität und Technischer Hochschule fielen und die nie abgerissene Diskussion über ihre Vereinigung einen neuen Höhepunkt erreichte, so ist es auch erst in der Notzeit nach dem Kriege, trotz mancher vorangegangener vergeblicher Versuche, allgemein zu einer wirklichen praktischen Zusammenarbeit zwischen ihnen gekommen.

88 Wenngleich mit der Möglichkeit für die Inhaber, sich Dr.-Ingenieur zu nennen. 89 Verwaltungsbericht a. S. Majestät vom 8. 4. 1902, Rep. 92 NA AI, Nr. 13. 90 Vgl. Hertwig, a. a. 0., S. 16.

20 Manegold

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Wintersemester

1830/31 1831/32 1832/33 1833/34 1834/35 1835/36 1836/37 1837/38 1838/39 1839/40 1840/41 1841/42 1842/43 1843/44 1844/45 1845/46 1846/47 1847/48 1848/49 1849/50 1850/51 1851/52 1852/53 1853/54 1854/55 1855/56 1856/57 1857/58 1858/59 1859/60 1860/61 1861/62 1862/63 1863/64

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Anhang b.O

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Wintersemester 1864/65 1865/66 1866/67 1867/68 1868/69 1869/70 1870/71 1871/72 1872/73 1873/74 1874/75 1875/76 1876/77 1877/78 1878/79 1879/80 1880/81 1881/82 1882/83 1883/84 1884/85 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90 1890/91 1891/92 1892/93 1898/94 1894/95 1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03

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