(un)documented: Was bleibt vom Dokument in der Edition? 9783110692631, 9783110656008

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(un)documented: Was bleibt vom Dokument in der Edition?
 9783110692631, 9783110656008

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B E I H E F T E

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Herausgegeben von Winfried Woesler

Band 48

(un)documented Was bleibt vom Dokument in der Edition? Herausgegeben von Mira Berghöfer, Anne-Elisabeth Beron, Fabian Etling, Gianna Hedderich, Melanie Stralla und Anne Wilken

De Gruyter

ISBN 978-3-11-065600-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069263-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069286-0 ISSN 0939-5946 Library of Congress Control Number: 2020936584 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber ........................................................................................ VII Johnny Kondrup Materialtext und Textur .............................................................................................. 1 Matthias Grüne Das Studienheft als Dokumententyp und Editionsgegenstand. Am Beispiel von Otto Ludwigs Romanstudien ......................................................... 21 Sien De Groot Byzantine Book-Epigrams: From Manuscript to Edition ......................................... 39 Leif Scheuermann und Astrid Schmölzer Saxa loquuntur. Über die Bedeutung der Materialität römischer Inschriften in virtuellen Zeiten .................................................................................................... 61 Claudia Kroke „Johann Friedrich Blumenbach – Online“: Welten verbinden ................................. 77 Katharina Krüger Weiterschreiben, überschreiben: Wie der Kommentar zu den Statuten des Militär-Knaben-Erziehungsinstituts entsteht. Einblicke in die Genese von Wolfgang Koeppens Jugend ....................................... 95 Anne-Elisabeth Beron (un)interessant? Glossen als eigener Apparat am Beispiel der Handschriften zur 1. Ekloge des Calpurnius Siculus ...................................................................... 105 Görge K. Hasselhoff Wie bildet man eine offene Überlieferungstradition ab? ........................................ 129 David R. Herbison Textual editing and Documentary Continuity: Marking of Old Testament Quotations in Editions and Manuscripts of the Greek New Testament .................. 139 Camilla Rossini Is There Life in our Critical Apparatuses? For a Psycholinguistic Categorization of Copists’ Errors ....................................... 157

VI

Inhaltsverzeichnis

Vera Mütherig Dokumente hören. Editions- und literaturwissenschaftliche Herausforderungen akustischer Texte .................................................................................................... 181 Die Autorinnen und Autoren .................................................................................. 197

Vorwort

Tontafel, Handschrift, Druck, Typoskript: Eine Vielzahl unterschiedlicher Überlieferungsträger dient Editionen als Gegenstand und Arbeitsgrundlage. Auch wenn nicht in allen Disziplinen das ‚Dokument‘ als Fachterminus in Gebrauch ist, kann dieser Begriff durchaus als Sammelbezeichnung für diverses Überlieferungsmaterial verwendet werden. Lange Zeit wurden Dokumente jedoch lediglich als reine Textträger wahrgenommen, deren eigenständiger Gestalt, Entstehung, Kompilation und Layout über eine meist kurze Beschreibung hinaus wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. In den letzten Jahren erfährt der Wert des ‚Dokuments‘ als Überlieferungsträger für eine Edition in der philologischen und kulturwissenschaftlichen Forschung einen grundlegenden Wandel. So wird es hinsichtlich seiner Materialität Teil des zu edierenden Gegenstands und s e i n e spezifischen Eigenschaften wie z. B. Nutzerspuren, Glossen, Annotationen, Beschädigungen o. ä. rücken in den Fokus des Forschungsinteresses. Die von den Kollegiatinnen und Kollegiaten des DFG-Graduiertenkollegs 2196 „Dokument – Text – Edition“ im Oktober 2018 geleitete internationale Tagung „(un)documented – Was bleibt vom Dokument in der Edition?“ an der Bergischen Universität Wuppertal knüpfte mit ihrer Leitfrage an diesen Wandel an. In den vorliegenden Band wurden sowohl auf der Tagung vorgestellte und anschließend weiterentwickelte Beiträge als auch Artikel, die durch die Tagungsdiskussionen angeregt wurden, aufgenommen. Es ist kein Zufall, dass viele der hier gesammelten Beiträge die teils komplexe Überlieferung ausgewählter Texte in den Blick nehmen: Ohne Dokumente keine Überlieferung, ohne Überlieferung keine Edition. Wie auf der Tagung liefert der Beitrag von Keynote-Speaker Johnny Kondrup das begriffliche Fundament für die Bearbeitung editionswissenschaftlich relevanter Gegenstände. Johnny Kondrup stellt in seinem Aufsatz ausgehend von einer Zusammenschau verschiedener Auffassungen des Textbegriffs in der Entwicklung der Editionsphilologie die Frage nach durch den ‚Text‘ bedingten und damit editorisch ggf. relevanten Dokumenteigenschaften. Zur Differenzierung des Textbegriffs führt er die Kategorien ‚Materialtext‘, ‚Realtext‘ und ‚Idealtext‘ ein, indem er von der Materialität der Zeichen hin zur konzeptuellen Vorstellung einer korrekten Zeichenfolge als Emendationsgrundlage abstrahiert. Um auch das materielle Zusammenspiel zwischen Zeichen und Substrat fassen zu können, fügt Kondrup seinem Textbegriff eine vierte Ebene ‚Textur‘ hinzu. An die Entwicklung dieses Modells knüpft er die Anschlussfrage, wie nicht-linguistische Textelemente in wissenschaftlichen Neuausgaben adäquat repräsentiert werden können. Dem Versuch der Anfertigung möglichst exakter physischer Kopien hält er die Konzeption von Edition als Modell entgegen,

https://doi.org/10.1515/9783110692631-001

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Vorwort

wobei er die Frage danach, wie die Aspekte der jeweiligen bedeutungstragenden Ebenen des Originals in das Modell zu transponieren sind, als zentrale Aufgabe sieht. Matthias Grüne problematisiert und beleuchtet in seinem Beitrag die definitorische Wandlung des Dokumentbegriffs durch die unterschiedliche Berücksichtigung der Materialität vor und nach der materiellen Wende. Anhand des Studienhefts als Dokumenttyp, das er zunächst klassifiziert, stellt er heraus, dass dokumentnahes Edieren nicht zwangsläufig eine umfassende Abbildung des Materials erfordert. Den Wert des Einbezugs dokumententypologischer Überlegungen sieht er vielmehr in einer umfassenden Analyse der Relationen von Material und verbalsprachlichem Text. Die Ausarbeitungen von Sien De Groot, Leif Scheuermann und Astrid Schmölzer, Claudia Kroke sowie Katharina Krüger thematisieren die Überführung von Dokumenten in digitale Präsentationen. Sien De Groot verdeutlicht in ihrer Abhandlung die Probleme, vor denen eine Edition dynamischer Texte steht. Dabei zeigt sie am Beispiel byzantinischer Buchepigramme auf, welche Möglichkeiten digitale Datenbanken bieten und stellt dabei besonders die ‚Database of Byzantine Book Epigrams‘ vor. Die so herausgearbeiteten methodischen Aspekte zur Edition instabiler Texte versprechen auch interdisziplinär Anregungen zur weiteren Erforschung zu geben. Leif Scheuermann und Astrid Schmölzer setzen sich in ihrem Beitrag mit der Bedeutung der Materialität römischer Inschriften im digitalen Zeitalter auseinander. Dabei betrachten sie nicht nur die historische Entwicklung von Inschrifteneditionen und beleuchten deren Standards, sondern gehen auch auf die Aufgaben der digitalen Editorik ein, die der mediale Wandel bedingt. Claudia Kroke berichtet über die Herstellung einer Online-Edition von publizierten Schriften des Göttinger UniversitätsProfessors für Medizin und Naturgeschichte Blumenbach (1752–1840), angereichert durch Abbildungen und Informationen zu naturhistorischen bzw. ethnologischen Sammlungsobjekten. Zunächst werden die Planungsschritte zur Erarbeitung der elektronischen Edition dargestellt, daran anknüpfend erläutert sie die technische Tiefenerschließung des Materials, d. h. die Verknüpfung von XML-kodierten Textmaterialien mit den Sammlungsobjekten, und diskutiert die Herausforderungen, die sich aus dem Langzeitprojekt ergeben. Katharina Krüger beleuchtet die besonderen Aufgaben und Möglichkeiten, die sich aus der Abbildung von Materialtexten in der digitalen textgenetischen Edition ergeben. Dabei zeigt sie anhand der komplexen Überlieferungslage von Wolfgang Koeppens Buch Jugend exemplarisch, wie materialbedingte Zusatzbedeutungen Erkenntnisse zur Textgenese hervorbringen und wie editorisch mit ihnen umgegangen werden kann. Anne-Elisabeth Beron und Görge K. Hasselhoff betrachten Fragen der Überlieferung und Autorschaft in Mittelalter und Renaissance. Anne-Elisabeth Beron stellt das für die Klassische Philologie innovative Konzept einer Edition vor, welche Glossen mittels eines eigenen Apparates integriert. Die Verfasserin geht in ihrem Beitrag zunächst auf die handschriftliche Überlieferung der 1. Ekloge des Calpurnius Siculus ein, bevor sie die unterschiedlichen darin befindlichen Paratexte definiert. Der Nutzen von Glossen für die Calpurnius-Forschung liegt insbesondere in ihrer Bedeutung für die Rekonstruktion von Text- und Rezeptionsgeschichte. Görge K. Hasselhoff setzt sich mit dem editorischen Umgang mit einer offenen Überlieferungs-

Vorwort

IX

tradition auseinander. Als Beispiel führt er den katalanischen Dominikaner Ramon Martí an, der als Zensor jüdische Literatur auf ihren vermeintlich antichristlichen Inhalt überprüfen sollte. Aus dieser Erfahrung resultieren seine beiden polemischen Werke ‚Capistrum Iudeorum‘ (‚Zaumzeug der Juden‘) sowie ‚Pugio fidei‘ (‚Glaubensdolch‘), deren Möglichkeiten und Schwierigkeiten der editorischen Bearbeitung Hasselhoff diskutiert. David Herbison und Camilla Rossini betrachten mit Schreibermarkierungen und Schreibfehlern unterschiedliche Aspekte der Entstehungsbedingungen von Handschriften. David Herbison geht in seinem Aufsatz auf die Markierung alttestamentlicher Zitate in griechischen Handschriften des Neuen Testaments ein. Bisher wurden diese Markierungen nicht in Editionen übernommen und dem Manuskript fiel bei der Festlegung, ob es sich um Zitate oder um Anspielungen handelt, keine Rolle zu. Der Verfasser legt nun dar, wie diese Versatzstücke in einer Edition mittels neuer Methoden und digitaler Werkzeuge kenntlich gemacht werden können und welche Bedeutung Schreibermarkierungen für die Rezeptionsgeschichte der untersuchten Texte haben. Camilla Rossini widmet sich den Schreibfehlern in griechischen Handschriften. Die Analyse geht dabei nicht so sehr auf mechanische Fehler des Kopisten ein und dient auch nicht der Rekonstruktion des Originals, wie es sonst üblich ist; stattdessen betrachtet sie vielmehr anhand ausgewählter Beispiele detailliert Fehler semantischer und psychologischer Natur und weist diese verschiedenen psycholinguistischen Kategorien zu. Diese Klassifizierung gewährt einen neuen Einblick in den Arbeitsalltag des Kopisten und in den Überlieferungsprozess griechischer Texte. Im Beitrag von Vera Mütherig gibt die Autorin Einblicke in die Audioproduktion Ein Sommer der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit und geht auf die Herausforderungen ihrer editorischen Bearbeitung ein. Mütherig diskutiert mögliche editorische Lösungsansätze auf dem Gebiet der Audioedition mithilfe paratextueller Elemente. Dabei stellt sie sich immer wieder der Grundsatzfrage, was einen akustischen Text auszeichnet und wie er aufgrund der medialen Repräsentation zu fassen sei. Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Fachtraditionen geben die hier versammelten Beiträge interdisziplinäre Antworten auf die Leitfrage „Was bleibt vom Dokument in der Edition?“ und liefern Denkanstöße zur Erfassung von Dokumenten, deren Vielschichtigkeit die Editionswissenschaft auch in Zukunft beschäftigen wird. Der besondere Dank der Herausgeberinnen und Herausgeber gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die finanzielle Förderung des GRK 2196 sowie dem Herausgeber der ‚Beihefte zu editio‘ Winfried Woesler für die Aufnahme des Bandes in diese Reihe. Mira Berghöfer, Anne-Elisabeth Beron, Fabian Etling, Gianna Hedderich, Melanie Stralla und Anne Wilken

Johnny Kondrup

Materialtext und Textur

Während Uneinigkeit darüber besteht, wie die Phänomene „Text“ und „Werk“ zu verstehen sind, herrscht ein breiter Konsens über den Dokumentbegriff. Das Dokument ist entweder das materielle Medium, das den Text trägt, oder – seit dem Einzug des Computers in den 1990er Jahren – eine Datei. Im Folgenden wird der Begriff „Dokument“, der ersten Bedeutung entsprechend, als gleichbedeutend mit dem materiellen Textträger verwendet. Innerhalb des modernistischen Editionsparadigmas, das im Großteil des 20. Jahrhunderts vorherrschte, war das alles überschattende Ziel, den Text vom Dokument zu lösen und ihn für künftige Nutzer in eine Ausgabe zu transponieren. Dadurch wurden bestimmte Eigenschaften ausgeblendet, nicht ohne Weiteres unbewusst, sondern ausgehend von der Annahme, sie seien unwesentlich. Ein Beispiel dafür ist die in Abbildung 1 dargestellte Doppelseite einer dänischen Handschrift aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert, Marine Jespersdatters Gebetsbuch.

Abb. 1: Marine Jespersdatters bønnebog (ca. 1514/1517), AM 421 12mo, Bl. 44v–45r. Foto: Suzanne Reitz.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-002

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Johnny Kondrup

Sie zeigt ein Gebet an die Jungfrau Maria, die mit einem Besuch bei ihrer Verwandten, der schwangeren Elisabeth, Johannes den Täufer im Leib seiner Mutter erfreute. Die zwei Frauen befinden sich in der Illustration links vom Text. Die nächste Abbildung zeigt eine Seite aus der Ausgabe Dänische Gebetsbücher des Mittelalters.1

Abb. 2: Karl Martin Nielsen et al. (Hrsg.): Middelalderens danske Bønnebøger. Bd. 4. Kopenhagen 1962, S. 224. Foto: Suzanne Reitz.

–––––––— 1

Karl Martin Nielsen et al. (Hrsg.): Middelalderens danske Bønnebøger. Bd. 1–5. Kopenhagen 1946– 1982.

Materialtext und Textur

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Hier wird der Eintrag im obersten Abschnitt der Druckseite wiedergegeben und somit alleine durch den Text repräsentiert. Die Illustration ist verschwunden, der Unterschied zwischen schwarzer und roter Tinte im Text wird auf einen typografischen Unterschied reduziert (die roten Rubriken sind in einem kleineren Schriftgrad gesetzt) und aus der ausgeschmückten Initiale der Handschrift, die in ihrer Höhe drei Zeilen füllte, ist eine zweizeilige Unziale geworden. Die ausgegrenzten Eigenschaften sind nicht im Apparat am Fuß der Seite repräsentiert, sondern werden lapidar im Kommentarband erwähnt, jedoch entgegen aller Anschaulichkeit. Seit den 1980er Jahren hat sich ein postmodernes Editionsparadigma etabliert – unter anderem mit einem Zweifel an der Hegemonie des Textes und einer Verteidigung der bisher ausgegrenzten Eigenschaften, die die Nutzung des Textes über die Zeit hinweg bezeugen (Gebrauchsspuren, Glossen). Die sogenannte New Philology (oder besser: Materialphilologie), die Varianten auf Kosten des Textes feierte, spielte für dieses Paradigma eine wesentliche Rolle. In der Mittelalterphilologie, als dessen Teil die Materialphilologie entstand, sind Varianten und Gebrauchsspuren nicht selten dasselbe. Der skandinavistische Mediävist Matthew Driscoll hat einen der Kernpunkte in der Materialphilologie folgendermaßen formuliert: Literary works do not exist independently of their material embodiments, and the physical form of the text is an integral part of its meaning; one needs therefore to look at ‘the whole book’, and the relationships between the text and such features as form and layout, illumination, rubrics and other paratextual features [...].2

Während dies einerseits eine passende Zusammenfassung ist, so ist es doch andererseits eine Ansicht, der man widersprechen kann und die im Mindesten einer Nuancierung bedarf. Dies wird in Kürze deutlich werden. Vorher möchte ich daran erinnern, dass es bereits in der künstlerisch-literarischen Praxis, die sich im 20. Jahrhundert entwickelte, starke Proteste bzw. Gegenströmungen gegen die Hegemonie des Textes gab. Zwar nicht bewusst gegen die editionsphilologische Methode gewandt, wohl jedoch als spielerischer Protest gegen den Idealismus, der dem Fokus auf den Text zugrunde liegt. Allen voran muss die internationale Avantgarde (ca. 1900–1935) genannt werden – der Futurismus, Expressionismus, Dadaismus, Konstruktivismus und Surrealismus –, deren Parolen über die Revolutionierung der Kunst und die Befreiung der Worte zu einer intensiven Arbeit mit dem Buchmedium selbst und dessen Materialität führten. Der dänische Literatursoziologe Torben Jelsbak3 hat sich mit diesem Thema in seiner Doktorarbeit befasst, in der er sowohl gute Beispiele für die Experimente anführt als auch seine Ansicht zu einem erweiterten Textbegriff deutlich macht. –––––––— 2

3

Matthew J. Driscoll: The Words on the Page: Thoughts on Philology, Old and New. In: Creating the Medieval Saga: Versions, Variability and Editorial Interpretations of Old Norse Saga Literature. Hrsg. von Judy Quinn und Emily Lethbridge. Odense 2010, S. 90. Torben Jelsbak: Avantgardefilologi og teksttransmission. Den historiske avantgardelitteratur som udfordring til moderne filologi og litteraturforskning. Kopenhagen 2008.

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Johnny Kondrup

Abb. 3: David Burljuk et al.: Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack. Moskau 1912. Vordere Umschlagsseite. Foto: Wikimedia Commons.

Ein Beispiel ist das Gemeinschaftswerk Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack aus dem Jahre 1912 (siehe Abbildung 3). Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von David Burljuk und anderen verfasster Gedichte, Prosastücke und Essays, von denen 600 Exemplare verschickt wurden. Das Besondere war, dass der Umschlag aus braunem Sackleinen bestand, der bei einem zeitgenössischen Kritiker Assoziationen an „eine ohnmächtige Laus“ hervorrief.4 Der Umschlag betonte die durch den Titel angekündigte Provokation des verfeinerten Geschmacks der spätsymbolistischen Künstlermilieus und führte einen Duft von Arbeiter- und Bauernrealität mit sich, ebenso wie er einen ironischen Kommentar zu den von Mäzenen bezahlten Luxusausgaben auf Hochglanzpapier darstellte. Das Buch selbst war – wie die meisten Publikationen der Avantgarde – auf grobem, billigem Papier gedruckt, was nicht nur reelle ökonomische Einschränkungen widerspiegelte, sondern auch politische Konnotatio–––––––— 4

Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 76.

Materialtext und Textur

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nen in Richtung von Aktivismus und Revolution beinhaltete.5 – Dem erweiterten Textbegriff wende ich mich in Kürze zu. An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden: Was ist ein Text, und was sind – aus der Perspektive des Textes – Dokumenteigenschaften? Allgemein wird der Text als eine Sequenz aus Zeichen verstanden, ja, als das Sequenzielle in der Zeichensequenz, also als die Beziehung zwischen den Zeichen. So hat der schwedische Druckforscher Rolf DuRietz es in seinem grundlegenden Werk Die gedruckte Schrift definiert: „Ein Text ist […] das sequentielle Element in einem vollständig oder teilweise sequentiellen Produkt“.6 Entsprechend habe ich den Textbegriff in Editionsphilologie definiert: „Ein Text konstituiert sich aus der Zeichensequenz, die die niedergeschriebene oder gesprochene Nachricht trägt. In der Regel ist diese Sequenz alphanumerisch […]“.7 Es ist die Vorstellung des Formalstrukturalismus, hierunter auch des New Criticism, die beinhaltet, dass der Text sich ändert, wenn ein einziges Zeichen verändert wird, wodurch man Varianten oder variierende Texte erhält. Aber sowohl die Experimente der Avantgarde als auch das postmoderne Interesse an der Bedeutung des Dokuments und der Materialität identifizieren den sprachwissenschaftlichen Textbegriff als idealistisch.8 Sie unterstreichen das Bedürfnis nach einer Erweiterung oder Differenzierung des Textbegriffs. Diese Differenzierung kann man meiner Ansicht nach mit der Kombination aus Beachtung von grundlegenden editionsphilologischen Vorgehensweisen und einer von der analytischen Druckforschung inspirierten Terminologie erreichen. Indem man von den Herangehensweisen ausgeht, die Editionsphilologen täglich anwenden, sichert man sich die phänomenologische Grundlage für seine Begriffsbildung, und die Terminologie ist genau genug, um präzise und nuancierte Begriffe hervorzubringen.9 Die grundlegendste Herangehensweise der Editionsphilologie, das Identifizieren und Emendieren von Textfehlern, bildet den Ausgangspunkt für die Unterscheidung zwischen „Realtext“ und „Idealtext“. Sobald man bemerkt, dass der Text fehlerhaft ist und geändert werden muss – im Übrigen zwei Aspekte des Verstehens, die oft –––––––— 5 6 7 8

9

Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 92 und S. 138. „En text utgör [...] det sekventa elementet i en helt eller delvis sekvent produkt.“ Rolf E. DuRietz: Den tryckta skriften. Termer och begrepp. Uppsala 1999, S. 44. „En tekst konstitueres af den tegnsekvens, som bærer den nedskrevne eller talte meddelelse. I reglen er tegnsekvensen alfanumerisk […].“ Johnny Kondrup: Editionsfilologi. Kopenhagen 2011, S. 37. Wenn ich im Folgenden die Wörter ‚Materialität‘ und ‚materiell‘ benutze, geschieht dies in der direkten und ‚naiven‘ Bedeutung, mit der diese innerhalb der Editionsphilologie und der analytischen Druckforschung etabliert sind, und wie sie auch in der alltäglichen Sprache genutzt werden. Ich bin weder inspiriert von der poststrukturalistischen Zeichentheorie (Derrida, Barthes, Kristeva) noch von der so genannten posthermeneutischen Medientheorie (Hans Ulrich Gumprecht, Dieter Mersch), sondern folge Röckens Empfehlung in Per Röcken: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? In: editio 22 (2008), S. 35 und diesem Zitat S. 38: „Im editionsphilologischen Sprachgebrauch sollte der Ausdruck ,Materialität‘ die chemischen und/oder im weitesten Sinne physikalischen Eigenschaften der (Bestandteile der) Überlieferungsträger bezeichnen“ (im Original kursiv). Siehe auch Klaus Müller-Wille: Sezierte Bücher: Hans Christian Andersens Materialästhetik. Paderborn 2017, S. 17–33. Die einleitenden Schritte dieser Untersuchung finden sich in Johnny Kondrup: Tekst og værk – et begrebseftersyn. In: Betydning & Forståelse. Festskrift til Hanne Ruus. Hrsg. von Dorthe Duncker, Anne Mette Hansen und Karen Skovgaard-Petersen. Kopenhagen 2013, S. 65–76, bzw. in Johnny Kondrup: Text und Werk – zwei Begriffe auf dem Prüfstand. In: editio 27 (2013), S. 1–14.

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Johnny Kondrup

miteinander einhergehen, da man den Fehler erst dann sieht, wenn man identifizieren kann, was richtig ist –, teilt sich der Text: in den konkreten, fehlerhaften Text, der vor einem auf dem Tisch liegt, und den korrekten Text, wie man ihn vor seinem inneren Auge sieht. Das letzte Niveau, der Idealtext, soll hier nicht Thema sein, aber da dieser oft Grund für Missverständnisse ist, möchte ich kurz erwähnen, dass es sich bei dem Idealtext um eine Art Abstraktion oder Arbeitshypothese handelt. Er ist nicht eigenständig, sondern nur durch Realtexte zugänglich, und wenn man diese berichtigt, erhält man wiederum neue Realtexte, die prinzipiell mit neuen, noch unbemerkten oder neu entstandenen, Fehlern behaftet sind. Dass es den Idealtext dennoch gibt, ist jedem Editionsphilologen bewusst: Er ist die Instanz, der man sich verpflichtet fühlt, wenn man Fehler emendiert, besonders, wenn es um Konjekturen geht, und sich gewissenhaft fragt, ob die Korrekturen das Richtige treffen. Ohne den Idealtext als Richtschnur und Zielpunkt würde der Emendationsprozess zu reiner subjektiver Einschätzung verfallen. Eine andere fundamentale Herangehensweise, die Transkription, bietet eine Grundlage zur weiteren Differenzierung, nämlich zwischen „Realtext“ und „Materialtext“. Da der Realtext als eine konkrete Zeichenfolge definiert ist, kann er (inklusive seiner Fehler) unverändert von einem Dokument in ein anderes übertragen werden und von einer Schriftform in eine andere, zum Beispiel von einer Handschrift in ein gedrucktes Buch. Die Zeichen in den zwei Dokumenten bezeichnen wir nicht als zwei verschiedene Texte, sondern als zwei Exemplare desselben Textes, was somit bestätigt, dass der (Real-)Text von seinem materiellen Medium gelöst werden und trotzdem sich selbst gleich bleiben kann. Das ergibt sich auch daraus, dass der Realtext, wenn er kurz genug ist, auswendig gelernt und aufgesagt oder sich im Stillen gemerkt werden kann. Der Realtext ist folglich immateriell.10 Der Materialtext ist hingegen das am Text, was an eine bestimmte Schriftform (oder Typografie) geknüpft ist und was die Zeichenfolge im oder auf dem Dokument verankert. Er muss als Bild wiedergegeben werden, also als ein Faksimile, das darauf ausgelegt ist, den Text als ein zweidimensionales visuelles Objekt zu transponieren. Wie soll man den Materialtext definieren? Annika Rockenberger und Per Röcken haben folgenden Vorschlag: [E]in semiotisch komplexes multimodales Artefakt, das neben einem schriftlich fixierten verbalsprachlichen Zeichensystem weitere (non- und paraverbale) materiell-mediale Objekteigenschaften aufweist, wobei diese ursächlich auf das Handeln eines oder mehrerer Produktionsinstanzen des Literatursystems (nicht notwendigerweise des Autors des verbalen Textes) zurückzuführen sind.11

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Es ist mir bewusst, dass ich hier mit Michel Foucault uneinig bin, der in L’Archéologie du savoir (Paris 1969) betont, dass jeder Text in Materialität geschlossen ist und dass selbst unsere unausgesprochenen Gedanken eine materielle Existenz haben. Die Uneinigkeit bedeutet nicht, dass ich abstreite, der Text habe fast immer eine materielle Erscheinung, aber in einigen bestimmten Fällen hat er dies nicht, und der Text überschreitet in jedem Fall seine Materialität. Letzteres würde Foucault auch sagen (siehe Wilhelm G. Jacobs: Materie – Materialität – Geist. In: editio 23 (2009), S. 14 und S. 16). Annika Rockenberger / Per Röcken: Wie ,bedeutet‘ ein ,material text‘? In: Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Hrsg. von

Materialtext und Textur

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Diese Definition ist sprachlich nicht einfach. Problematisch ist auch, dass sie – im Übrigen ganz bewusst – darauf verzichtet, vom Phänomen „Sinn“, d. h. von hermeneutischer Relevanz, zu sprechen und kein Zusammenspiel zwischen dem schriftlich fixierten Zeichensystem und den materiell-medialen Objekteigenschaften voraussetzt. Gewiss sollen sich die Objekteigenschaften auf die Produktionsinstanzen im literarischen System zurückführen lassen, wodurch man zufällige materielle Komponenten ausschließen kann, aber Sinn oder Bedeutung sind nicht das Kriterium. Das ist in einem anderen Definitionsvorschlag der Fall, den Shillingsburg liefert: The union of linguistic text and document: a sign sequence held in a medium of display. The material text has ‘meanings’ additional to, and perhaps complementary to, the linguistic text.12

Diese Definition bringt unwillkürlich eine Unklarheit in Form des Wortes „union“ mit sich, das sowohl „Vereinigungsmenge von“ als auch „Verbindung aus (oder zwischen)“ bedeuten kann. Wählt man die erste Bedeutung, muss der Materialtext sowohl den linguistischen Text als auch das Dokument beinhalten, was auf eine symmetrische Gegenüberstellung der beiden Phänomene auf demselben Niveau hinweist. Sie befinden sich jedoch faktisch auf verschiedenen Niveaus, und die Gegenüberstellung zwischen dem linguistischen Text und dem Dokument ist asymmetrisch, da das Dokument erst seinen Status erhält, wenn es zum Textträger wird. Bis dahin ist es lediglich ein Stück Papier, Pergament, Holz oder Stein. Das Dokument wird also mit anderen Worten aus der Perspektive des Textes heraus „ernannt“. Wählt man hingegen die zweite Bedeutung, also die „Verbindung aus oder zwischen“ linguistischem Text und Dokument, ist die Definition einfach und präzise. Der Materialtext ist somit das, was den linguistischen Text und das Dokument verbindet; das, was den linguistischen Text auf dem Dokument verankert. Noch größere Präzision bietet jedoch die Definition des analytischen Druckforschers Rolf DuRietz, die übersetzt lautet: Der Materialtext macht ganz einfach den Teil (oder die Teile) eines Dokuments aus, der ganz direkt und materiell die Sequenz des [Real-]Textes vermittelt. Das kann zum Beispiel die Druckerschwärze in einem Buch sein, die Tinte einer Handschrift, der eingebrannte Kohlenstoff einer Xerox-Kopie, Farbe, die an eine Hauswand gesprüht wurde, die eingeritzten oder eingravierten Textteile auf einem Grabstein oder einem Monument.13

Diese Definition kann man wie folgt zusammenfassen: ein materielles Medium, angebracht in einem sinnvollen Muster. So habe ich in Editionsphilologie den Materialtext definiert, wo ich betone, dass das Medium an sich kein Text ist, sondern bloß Mate–––––––— 12 13

Wolfgang Lukas, Rüdiger Nutt-Kofoth und Madleen Podewski. Berlin, Boston 2014 (Beihefte zu editio. 37), S. 28–29. Peter L. Shillingsburg: Resisting Texts. Authority and Submission in Constructions of Meaning. Ann Arbor 1997, S. 101. „Den materiella texten utgör helt enkelt den del (eller de delar) av ett dokument som rent direkt och materiellt förmedlar [real]textens sekvens. Det kan t.ex. vara tryckfärgen i en bok, bläcket i en handskrift, det inbrända kolet på en Xerox-kopia, den sprejade färgen på en husvägg, de ristade eller uthuggna/inhuggna textpartierna på en gravsten eller ett monument.“ DuRietz 1999 (Anm. 6), S. 53.

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Johnny Kondrup

rial, aber dass es, angeordnet in einem Muster, das Buchstaben und andere Zeichen bildet, zu einem Teil des Textes wird.14 Wir haben nun also mithilfe zweier grundlegender editionsphilologischer Herangehensweisen den Textbegriff in drei Teilelemente oder Niveaus aufgeteilt, sogar mit unterschiedlichem ontologischem Status. Bevor wir fortfahren, möchte ich gerne hervorheben, dass es von nun an keinen Sinn mehr machen wird, über den Text als ein einzelnes Phänomen zu sprechen. Aussagen wie: „Der Text ist immateriell“ oder „Der Text ist immer materiell“ verbieten sich hiernach selbst, da sie eine Klarstellung dazu erfordern, von welchem Element oder Niveau des Textes die Rede ist. Und Fragen dazu, inwieweit der Text von Goethes Werther derselbe bleibt, abhängig davon, ob man ihn in Fraktur oder Antiqua liest, Schwarz auf Weiß oder Gelb auf Blau,15 lösen sich in Luft auf: Der Realtext bleibt (hoffentlich) derselbe, der Materialtext hingegen nicht. Der Materialtext ist aber noch immer bloß das, was den Realtext in oder auf dem Dokument verankert. Der Begriff kann Dinge wie Typografie und Layout mit einschließen, also die Verteilung des Textes auf der zweidimensionalen Seite. Doch obwohl DuRietz den Materialtext als einen Teil eines Dokuments bezeichnet, das Zeichensequenzen vermittelt, beinhaltet er nicht das Dokument oder den Textträger selbst. Er ist die Druckfarbe auf dem Papier, aber nicht das Papier selbst; er ist die Tinte auf dem Pergament, aber nicht das Pergament selbst. Die Frage ist nun, ob der Textbegriff erweitert werden kann, sodass er auch Dokumenteigenschaften beinhaltet, die wir als Folge der Experimente der Avantgarde als mitbedeutend anerkennen müssen. Der oben erwähnte Torben Jelsbak hat den Begriff „Textur“ vorgeschlagen, „als materialistisches Korrektiv des rein linguistischen Textbegriffs der etablierten Philologie und der idealistischen Vorstellung von der literarischen Produktion, die d[iesem] zugrunde liegt“.16 Textur17 wurde ursprünglich 1912 als eigenständiger ästhetischer Begriff in der futuristischen Kunsttheorie eingeführt (und hieß auf Russisch faktura). Dort bezog Textur sich auf die materiellen und plastischen Eigenschaften der Bildoberfläche. Textur war ein viertes Formelement, das die drei traditionellen – Linie, Fläche und Farbe – ergänzte.18 Zu Beginn wurde der Begriff ausschließlich mit Handgeschrie–––––––—

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Kondrup 2011 (Anm. 7), S. 37. Roland Reuß: Spielarten des Zufälligen. Zum Verhältnis von Edition und Typographie. In: Text. Kritische Beiträge 11 (2006), S. 58. „som materialistisk korrektiv til den etablerede filologis rent lingvistiske tekstbegreb og den idealistiske idé om litterær produktion, som ligger bag det.“ Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 86. Diesen Begriff auch in die Editionsphilologie einzuführen, hat Stephan Kammer vorgeschlagen. Er schlägt Textur als eine nicht-teleologische, „streng relationelle“ Sammelbezeichnung für „sprachliches Material in dessen spezifischen Verbindungen“ vor, was Phänomene beinhaltet, die sonst als der Entstehungsprozess des literarischen Werkes betrachtet werden: Entwürfe, Notizen, Änderungen (interne Varianten), Bearbeitungen usw. Oder mit anderen Worten: Spuren des Schreibprozesses (Stephan Kammer: Textur. Zum Status literarischer Handschriften. In: Schrift – Text – Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Christiane Henkes et al. Tübingen 2003 (Beihefte zu editio. 19), S. 22). Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 82.

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benem und Handgefertigtem verknüpft, im Gegensatz zur mechanischen Reproduktion der Fotografie und des Buchdrucks, aber nach der Russischen Revolution, im Konstruktivismus, wurde faktura auch mit mechanisch hergestellten Gegenständen verbunden.19 Torben Jelsbak ergänzt das ursprüngliche Verständnis um eine analytische Feingliederung, die am Ende des 20. Jahrhunderts von der belgischen „Groupe µ“ vorgenommen wurde. Die Gruppe, die 1967 gegründet wurde, besteht aus Semiotikern an der Universität Liège und hat eine von der Gestaltpsychologie inspirierte Bildsemiotik entwickelt. Diese unterscheidet zwischen zwei Typen visueller Zeichen: ikonischen und plastischen – oder eher zwischen zwei Dimensionen desselben Zeichens, die bloß der Analyse wegen auseinandergehalten werden, um nicht die plastischen Qualitäten des Zeichens zu unterschätzen. Die ikonische Dimension beruht auf einer Ähnlichkeit zu dem, was bezeichnet wird, während die plastische Dimension komplexer und vom Material abhängig ist. Die plastische Dimension des Zeichens besteht laut der Groupe µ aus drei „Untersystemen“: Form, Farbe und Textur. Textur beschreibt hier die Oberflächenqualitäten eines Gegenstands und die besondere taktile Wahrnehmung, die diese visuell hervorrufen können.20 Hier ist also die Rede von einem synästhetischen Phänomen, da der Texturbegriff der Groupe µ mit Hinblick auf die Bildkunst entwickelt wurde, die allein durchs Anschauen erlebt wird; davon kann jedoch abgesehen werden, wenn man den Begriff dahingehend erweitert, dass er auch für Bücher gilt, die physischen Kontakt mit Händen und Körper involvieren. Zuerst nennt Jelsbak zwei Bereiche, die unter seinen Texturbegriff fallen, nämlich „das Papier als Unterlage“ und „die Schrift als Material“. Der erste Bereich entspricht allein der taktilen Wahrnehmung des Buches als Gegenstand,21 während der andere sowohl taktile Unterschiede zwischen den Ergebnissen variierender Buchdrucktechniken (Hochdruck, Tiefdruck, Flachdruck) als auch die Verteilung des Druckes oder der Buchstaben auf dem Papier sowie die Form des einzelnen Zeichens (z. B. Unterschiede zwischen Fraktur und Antiqua) beinhaltet. Auf diese Weise umfasst Jelsbaks Texturbegriff sowohl Dokumenteigenschaften als auch Materialtext (nach DuRietz’ Begriffen). Ebenso enthält sein erweiterter Textbegriff im ersten Versuch lediglich zwei Ebenen: den linguistischen Text und die Textur).22 Als Jelsbak jedoch seine eigene Abhandlung zusammenfassen soll, sieht der erweiterte Textbegriff anders aus; er hat nun drei Ebenen:23 1. Der linguistische Text oder der „alphanumerische Code“ 2. Das Ikon, das heißt der Text als Bild (dem Faksimile entsprechend) 3. Die Plastik, das heißt der Text als physisch-taktiler Gegenstand –––––––—

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Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 85–86. Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 87. Jelsbak erwähnt zwar auch die Farbe des Papiers, aber bezeichnet diese (unverständlich, siehe unten) als einen „wichtigen plastischen Parameter“. Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 89. Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 92. Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 312.

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Anschließend spricht Jelsbak von der dritten Ebene als Textur: „das plastische Zeichenniveau, die Textur und deren semiotischer Inhalt, die in der fotografischen Transponierung [das heißt im Faksimile] verlorengehen“.24 Hier wird also eine Unterteilung der zwei Bereiche vorgenommen, die vorher den Texturbegriff ausmachten: die Verteilung der Schrift auf dem Papier in zwei Dimensionen einerseits und andererseits teils die taktilen Eigenschaften der dritten Dimension der Schrift, teils das Papier als Unterlage. Lediglich der letzte Bereich wird nun als Textur bezeichnet. Torben Jelsbaks Zusammenfassung ist differenzierter als sein erster Vorschlag, und die Bedeutung des Begriffs „Textur“ entspricht nun wieder derjenigen, die er sowohl bei den russischen Futuristen als auch bei der Groupe µ hatte: als eine Bezeichnung der plastischen Eigenschaften der Bildoberfläche (hier des Materialtextes und des Dokuments). Kombiniert man all diese Faktoren, erhält man einen erweiterten Textbegriff mit vier Ebenen: 1. Der Idealtext: die gänzlich immaterielle und fehlerfreie Zeichensequenz, die es uns ermöglicht, Fehler durch Konjekturen zu emendieren. 2. Der Realtext: die konkrete und fehlerhafte Zeichensequenz, die auch immateriell ist, da sie durch Transkription auf ein anderes Medium und in ein anderes Dokument übertragen werden kann. 3. Der Materialtext: das Medium, das, indem es in einem sinnbildenden Muster organisiert ist, den Realtext an das Dokument bindet, und das (im Wesentlichen?) in Faksimileform wiedergegeben werden kann. 4. Die Textur: die taktilen Eigenschaften des texttragenden Dokuments (und des Materialtextes?). Es gibt in dieser Einteilung noch offensichtliche Unklarheiten, nämlich bezüglich der Grenze zwischen Materialtext und Textur. Diese Unklarheiten stammen von Jelsbaks zwei unterschiedlichen Aufstellungen, von denen die erste sich allein mit den Phänomenen (Papier und Schrift) beschäftigt, während die zweite einige Grenzen dahingehend verfolgt, wie sich die Phänomene wahrnehmen und reproduzieren lassen. Und diese Grenzen sind nicht dieselben wie die Grenzen zwischen den Phänomenen. Lässt man den Materialtext das Medium sein, das den Realtext an das Dokument bindet, muss der Materialtext auch taktile Qualitäten beinhalten, z. B. in Form der Vertiefungen, die sich im Papier eines im Bleisatz gedruckten Buches finden. Somit können nur Teile des Materialtextes in Faksimileform wiedergegeben werden. Lässt man stattdessen den Materialtext das sein, was als Faksimile wiedergegeben werden kann, während die Textur das bleibt, was sich nur taktil wahrnehmen lässt, fallen einige Eigenschaften des Mediums, das den Realtext an das Dokument bindet, nun in die Kategorie Textur, die ansonsten Dokumenteigenschaften bezeichnet. Die Definition von Textur als das, was sich nur taktil wahrnehmen lässt, kann aber auch nicht standhalten, was deutlich wird, wenn man Phänomene wie das Buchformat –––––––—

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„det plastiske tegnniveau, teksturen og dens semiotiske indhold, som går tabt i en fotografisk transponering [dvs. en faksimilering].“ Jelsbak 2008 (Anm. 3), S. 313.

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und die Papierfarbe in seine Betrachtungen mit einbezieht. Sowohl Format als auch Papierfarbe sind Eigenschaften des Dokuments, und das Format ist taktil, soweit die Ausdehnung des Dokuments im Raum sich mit den Händen erfühlen lässt. Gleichzeitig jedoch ist das Format visuell und kann im Faksimile wiedergegeben werden, das eigentlich nur den Materialtext wiedergeben können soll. Was die Papierfarbe angeht, so ist sie ausschließlich visuell wahrnehmbar und kann im Faksimile wiedergegeben werden. Ich möchte mich aus diesen Gründen an die erste Definition halten, infolge derer der Materialtext das Medium ist, das den Realtext an das Dokument bindet – und dessen Repräsentationsmittel hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, das Faksimile ist. Eine dementsprechende praktische Definition von Textur könnte dann einfach sein: die relevanten Dokumenteigenschaften (z. B. Dicke und Rauheit), die hauptsächlich taktil sind, sich aber auch teilweise, wie zum Beispiel das Format, oder ausschließlich, wie die Farbe, im Faksimile einfangen lassen. Wenn ich die Textur als die „relevanten“ Dokumenteigenschaften definiere und nicht bloß auf den einschränkenden Begriff verzichte, um stattdessen von „Dokumenteigenschaften“ zu sprechen, liegt das daran, dass das Dokument selbst mehr physisch-chemische Eigenschaften besitzt, als in einer textlichen Perspektive nennenswert sind. Man könnte mit Hinblick auf das Papier zum Beispiel dessen pH-Wert, Saugfähigkeit und Aufreibungsstärke nennen.25 Die Eigenschaften des Dokuments sind nur dann interessant, wenn man ihnen ähnlich wie dem Materialtext eine Mitbedeutung zuspricht. Deshalb bin ich in meiner Untersuchung vom Textbegriff ausgegangen und habe versucht, diesen in materieller Richtung zu erweitern. Ich halte am Begriff Textur fest, um zu verdeutlichen, dass wir mit einer Ebene des Textes zu tun haben, einem Teil des erweiterten Textbegriffs. Nach dieser Begriffsklärung ergibt sich die nächste Frage: Auf welche Weise ist es möglich und wünschenswert, die nicht-linguistischen Textelemente in einer wissenschaftlichen Neuausgabe zu repräsentieren? Wie sollen der Materialtext und die Textur wiedergegeben werden? Es ergeben sich vier Möglichkeiten:26 Die erste ist eine Beschreibung, in der das Layout und die Dokumenteigenschaften des Originals erklärt werden – also eine diskursive und selektive Darstellung, ein Kommentar. Dies ist die übliche Vorgehensweise, jedoch ist sie abstrakt und alles andere als anschaulich. Die zweite Möglichkeit ist eine Wiedergabe der visuellen Eigenschaften des Originals, die als relevant eingeschätzt werden, mit modernen Mittel. Dies kann alles von Illustrationen zu variierenden Abgrenzungszeichen zwischen Abschnitten umfassen, sowie Zwischenräume (freie Zeilen im Text), Einrückungen, Notensysteme und Hervorhebungen. In diesen Fällen muss der Herausgeber versuchen, das zugrundeliegende System oder die „innere Hierarchie“ zu ergründen, beispielsweise das Verhältnis zwischen Sperrung, Schwabacher und Antiqua im Fraktursatz, und dieses in –––––––— 25

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Thorsten Ries: ,Materialität‘? Notizen aus dem Grenzgebiet zwischen editorischer Praxis, Texttheorie und Lektüre. Mit einigen Beispielen aus Gottfried Benns ,Arbeitsheften‘. In: Materialität in der Editionswissenschaft. Hrsg. von Martin Schubert. Berlin, New York 2010 (Beihefte zu editio. 32), S. 162. Die ersten drei stimmen mit Per Röckens Beobachtungen überein (Röcken 2008 (Anm. 8), S. 45).

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moderner Formsprache wiedergeben. Ein wichtiger Teil der Herausgebertätigkeit besteht schließlich darin, einen durchdachten Vorschlag dazu zu liefern, wie diese Wiedergabe aussehen kann, ohne dass Eigenschaften, die wesentlich für das Werkoder Textverständnis sind, verloren gehen. Die dritte Möglichkeit ist ein Faksimile des Originals, gerne parallel zum neu herausgegebenen Text. Dies ist seit Dietrich E. Sattlers Frankfurter Ausgabe von Hölderlins Sämtlichen Schriften27 ein normensetzendes Modell für manuskriptbasierte Ausgaben, aber mittlerweile ebenso übliche Praxis für elektronische Ausgaben ursprünglich in gedruckter Form erschienener Grundtexte. Früher konnte das Faksimile lediglich zwei Dimensionen seiner Vorlage einfangen, heute existieren auch dreidimensionale Scans und somit Faksimiles, die auf dem Bildschirm eine Illusion der Räumlichkeit der Vorlage wiedergeben können. Diese Faksimiles ermöglichen es dem Benutzer, das Objekt rotieren zu lassen, es umzudrehen und dessen Rückseite zu betrachten, es „nach vorne“ und „nach hinten“ zu bewegen. Die Technik ist verwandt mit dem, was man als virtual reality kennt; vielleicht könnte man die Wiedergabe der Materialität des Objekts deshalb als virtual materiality bezeichnen. Diese Bezeichnung impliziert auch, dass die Technik nur die visuell zugänglichen Teile des Materialtextes und der Textur des Originals einfängt; die taktilen Teile liegen außerhalb ihrer Reichweite. Die vierte Möglichkeit ist eine materielle Kopie des Originals, eine Imitation von Typografie, Layout, Format, Papierqualität, Einband usw. Es gibt Verlage, die sich auf solche Imitationen spezialisiert haben, die von Bibliotheken und reichen Sammlern gekauft werden. Im deutschsprachigen Gebiet kann man besonders die ADEVA, die Akademische Druck- und Verlagsanstalt in Graz, nennen. Im Englischen fällt dieses Phänomen unter die Bezeichnung art facsimiles, Kunstfaksimiles, und die schwedische Buchwissenschaftlerin Kristina Lundblad benutzt eben dieses Wort, um Kopien zu bezeichnen, die „eine vollständige Abbildung des ursprünglichen Dokuments erstreben“.28 Um diese jedoch von rein fotografischen Faksimiles (sowohl zwei- als auch dreidimensionalen) unterscheiden zu können, werden sie im Folgenden als physische oder materielle Kopien bezeichnet. Die Abbildungen 4–6 zeigen ein spanisches Manuskript aus dem Jahre 1590 über die Geschichte Perus, die von dem christlichen Missionar Martín de Murúa (gestorben 1616 oder später) zu Papier gebracht wurde. Der Titel heißt übersetzt: Die Geschichte der Herkunft und wirkliche (oder königliche) Abstammung der peruanischen InkaKönige. Die „exakte Reproduktion“ des Manuskripts, die 2004 herausgegeben wurde, enthält Farbfaksimiles des Textes und der 113 Illustrationen. Darüber hinaus imitiert sie eine Reihe von Eigenschaften der originalen Textur – beispielsweise den weichen Pergamenteinband mit Lederverschluss, die variierende Beschneidung der Blätter und –––––––— 27 28

Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe in 20 Bänden. Hrsg. von Dietrich E. Sattler. Frankfurt a. M., Basel 1975–2008. „syftar till ett fullständigt återskapande av det ursprungliga dokumentet.“ Kristina Lundblad: Återge eller återskapa? Faksimilen som verktyg och konstverk. In: Mellan evighet och vardag. Lunds domkyrkas martyrologicum Liber daticus vetustior (den äldre gåvoboken). Studier och faksimilutgåva. Hrsg. von Eva Nilsson Nylander. Lund 2015 (Skrifter utgivna av Universitetsbiblioteket i Lund. Ny följd. 10), S. 83.

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die 22 ganzseitigen Blätter, die über andere, leere Seiten geklebt wurden, wodurch der Text auf den Versoseiten unleserlich gemacht wurde und die Blätter doppelt so dick geworden sind. Sogar Löcher von Bücherwürmern und die Ergebnisse späterer unprofessionell ausgeführter Restaurationsarbeiten sind imitiert worden. Dank der hohen reproduktionstechnischen Qualität ist es auch möglich, einzelne Wasserzeichen des Papiers zu identifizieren. Ein Zertifikat auf der Innenseite des Rückdeckels klärt darüber auf, dass es sich um eine Kopie handelt, von der 980 nummerierte Exemplare hergestellt wurden, und somit nicht um eine Fälschung. In einem Begleitband findet sich eine Transkription des Textes sowie ein allgemeiner Kommentar. Erschienen ist die Ausgabe bei dem spanischen Verlag Testimonio Compañia Editorial, zu einem Preis von 1768 €.

Abb. 4: Códice Murúa,29 vordere Umschlagsseite. Foto: Johnny Kondrup.

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Martín de Murúa: Historia del origen y genealogia real de los reyes Ingas del Pirú. Hrsg. von Juan M. Ossio als Códice Murúa. Bd. 1–2. Madrid 2004.

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Abb. 5: Códice Murúa, Seite mit eingeklebter Illustration. Foto: Johnny Kondrup.

Abb. 6: Códice Murúa, Seite mit „Wurmlöchern“. Foto: Johnny Kondrup.

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Üblicherweise enttäuscht die Genauigkeit solcher Kopien, wenn es um den kodikologischen Aufbau, also um Bogenverteilung und Heftung, geht – das gilt auch hier –, aber prinzipiell lassen sich diese Eigenschaften ebenfalls imitieren, wenn man möchte. Die Frage ist bloß, ob das ein angemessener Weg ist? Methodologisch ist es eine Frage danach, was eine Ausgabe ist und was man von ihr erwarten kann. Sie lässt sich präzisieren und auf zwei Möglichkeiten zuspitzen: Soll eine Ausgabe das Original transponieren oder kopieren? Oder mit besonderem Augenmerk auf unser Thema: Soll die Ausgabe versuchen, eine Brücke über die Kluft, die die Materialität zwischen ihr und dem Original darstellt, zu schlagen? Der italienische Nietzsche- und Hölderlinherausgeber Luigi Reitani hat dieselben Fragen gestellt und letztere mit einem klaren Nein beantwortet: Ich meine, dass gerade die materielle Ungleichheit mit der Handschrift den wissenschaftlichen Status der Edition ausmacht. Sie steht im Verhältnis zu dem Original nicht als Kopie, sondern als Modell da. So gesehen heißt das Problem: Wie lässt sich die Materialität der Handschrift in das Modell der Edition übersetzen?30

Ich bin mit Reitani insofern einer Meinung, als das primäre Ziel einer wissenschaftlichen Ausgabe die Übersetzung ist, das heißt das Transponieren der bedeutungstragenden Ebenen des Originals. Dies gilt sowohl für den Idealtext (dem die Ausgabe sich in Form des emendierten Textes zu nähern versucht), den Realtext (der im kritischen Apparat dokumentiert wird) und den Materialtext (der mit modernen typografischen Mitteln wiedergegeben werden kann) als auch für die Textur (die überwiegend im Kommentar behandelt werden kann). Insofern sind die Mittel der wissenschaftlichen Ausgabe, nicht-linguistische Elemente der Vorlage wiederzugeben, auf die zwei ersten der vier Möglichkeiten in der obigen Aufzählung begrenzt: den Kommentar und die Wiedergabe mit modernen Mitteln. Ich möchte jedoch nicht der Ausgabe die Fähigkeit absprechen, eine Brücke zum Materialtext und zur Textur des Originals in dem Umfang zu schlagen, wie diese als bedeutungstragend angesehen werden („bedeutungsträchtig“ sagt Reitani auf S. 92). Solch eine Brücke schlagen viele Ausgaben bereits, indem sie den edierten Text von Faksimiles begleiten lassen, bei denen es sich um Kopien des Materialtextes (und auch Teile der Textur) der Vorlage handelt. Normalerweise ist ein Faksimile allein keine wissenschaftliche Ausgabe, sondern wird es in Verbindung mit einem textkritischen Apparat und einem Kommentar; aber es kann ein äußerst nützliches Element einer Ausgabe sein, gerade als Brücke zu bedeutungstragenden Ebenen des Originals.31 –––––––—

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Luigi Reitani: Schreiben, setzen, einritzen. Hölderlins Schreibszene im Homburger Folioheft. In: Materialität in der Editionswissenschaft. Hrsg. von Martin Schubert. Berlin, New York 2010 (Beihefte zu editio. 32), S. 93. Ich weiß, dass dies eine modifizierte Wahrheit ist; faktisch ist ein Faksimile immer eine Auswahl von Eigenschaften des Originals, egal ob diese Auswahl informiert geschieht oder nicht. (Siehe dazu z. B. Mats Dahlström: Copies and Facsimiles. In: International Journal of Digital Humanities, Vol. 2 [in Herstellung] (2019), S. 5–8). Aber in diesem Zusammenhang muss die Aussage das Recht haben zu gelten.

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Für eine vorurteilsfreie Betrachtung scheint es keinen kategorischen Unterschied zwischen Faksimile und der physischen Kopie zu geben. Beide sind „Brücken zur Vergangenheit“, die die primären Mittel wissenschaftlicher Ausgaben, die „Übersetzungsmittel“, ergänzen können sollten. Eigentlich könnte man meinen, dass die physische Imitation des Originals imstande wäre, dem Buchmedium eine neue Funktion zu geben, das sonst in der immer digitaler werdenden Ausgabenlandschaft bedroht erscheinen kann. Dennoch hege ich eine Skepsis gegenüber der physischen Imitation. Nicht überwiegend deshalb, weil diese sich an eine kleine Gruppe Spezialisten wendet, die genauso gut oder eher noch mit größerem Nutzen das Original selbst studieren könnte. Es kann sich hingegen als Vorteil erweisen, eine Kopie zur Hand zu haben, falls das Original sich in Privatbesitz befindet und nicht zugänglich ist. Auch nicht überwiegend deshalb, weil die Kopie das Werk zu einer Art Museumsgegenstand macht, statt es an neue Leser weiterzugeben. Denselben Einwand könnte man im Hinblick auf Faksimiles anführen, die von stetig weniger Menschen gelesen werden können, wenn es sich um gotische Handschrift und Frakturdruck handelt, die wir jedoch als praktisches Werkzeug zu schätzen gelernt haben, das oft in bestimmten Forschungsfragen ausreichend ist. Der prinzipiell ausschlaggebende Punkt ist auch nicht die kodikologische Ungenauigkeit der meisten Kopien, da die Nachahmung des Originals – wie bereits erwähnt – weiter verbessert werden kann, wenn man es wünscht und die nötigen ökonomischen Mittel zur Verfügung stehen. Meine Skepsis gegenüber der physischen Kopie beruht vielmehr auf drei Gründen: einem ökonomischen, einem hermeneutischen und einem buchwissenschaftlichen. Der Preis für eine nur annähernd gute materielle Imitation ist hinderlich hoch. Ausgaben dieser Art wenden sich an eine begrenzte Gruppe Bibliotheken und bibliophiler Wohlhabender, weshalb sie auch von einem unangenehmen Snobismus für das Exklusive umgeben sind. Davon kann man natürlich absehen, und wichtiger ist, dass sie ungeeignet sind, um das Überleben des Werkes zu sichern und dieses an neue Leser zu verbreiten. Dies gilt nicht für Ausgaben mit Fotofaksimiles, die mittlerweile besonders in elektronischer Form deutlich billiger geworden sind. Das hermeneutische Bedenken gegenüber einer physischen Kopie bezieht sich darauf, dass sie dem Benutzer die Illusion vermittelt, die Vergangenheit wäre präsent. Deren Fetischisierung der Materialität des Originals kann zu der Auffassung verleiten, der Nutzer habe einen direkten oder unmittelbaren Zugang zur Vergangenheit, wenn er die Kopie in Händen hält.32 Auf der Homepage des bereits erwähnten Verlages ADEVA kann man beispielsweise lesen: „Die Faksimile-Ausgaben der ADEVA sollten das Original für Forschung und Bibliophilie möglichst vollwertig ersetzen.“33 In der englischen Version wird diese Tendenz noch deutlicher: „ADEVA’s fine art facsimile editions, created to the highest qualifications and standards, serve as exact –––––––—

32 33

Ries 2010 (Anm. 25), S. 167. http://www.adeva.com/adeva_geschichte.asp (letzter Zugriff: 4. September 2019).

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replacements of the original manuscript for the use of scholars and bibliophiles alike.“34 Dies gilt nicht im selben Grad dem Fotofaksimile, das mit seinem Medium eine Modernitätsbarriere zwischen sich und dem abgebildeten Gegenstand aufbaut. Die Barriere besteht entweder aus dem glatten Papier und der Gesamtausstattung einer modernen Buchausgabe oder aus dem Bildschirm elektronischer Ausgaben. Natürlich gilt auch hier, dass sowohl die Kopie als auch das Faksimile bloß eine Ergänzung zu einem neu herausgegebenen Text mit Kommentar sein darf. Man kann die Kopie aber unabhängig benutzen – mitunter kann sie auch einzeln gekauft werden –, womit der Verfremdungseffekt moderner wissenschaftlicher Ausgaben „umgangen“ werden kann. Das dritte Bedenken wird hier im Mangel eines besseren Ausdrucks als buchwissenschaftlich bezeichnet. Es bezieht sich darauf, dass die Kopie keinen Zugang zu der Materialität gibt, die man zu reproduzieren oder wiederzuerschaffen wünscht. Die physischen Bestandteile des Originals lassen sich nicht in der physischen Kopie studieren, sondern nur im Original.35 Das Papier, das in der Kopie des Codice Murúa verwendet wurde, ist nicht handgefertigt und von all den Unebenheiten geprägt, die ein Papier aus dem 16. Jahrhundert haben würde, sondern eine moderne, maschinengefertigte Ware. Die Tinte ist keine Tinte, sondern Offset-Farbe, die Heftdrähte sind moderne, industriell gefertigte Garne, und der Pergamenteinband, der den Buchblock umgibt, ist kein Pergament, sondern ein modernes, pappähnliches Material, genauso wie die Bändchen aus neuem Wildleder gefertigt sind. In jeder materiellen Hinsicht ist hier also die Rede von Nachahmung mit modernen Mitteln. Dies ist zwar elementar aber auch ausschlaggebend: Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Textausgabe, die Zugang zum Realtext des Originals gewährt (wenn man den kritischen Apparat mit einbezieht), und im Gegensatz zum Fotofaksimile, das Zugang zum Materialtext des Originals gewährt (zumindest zu dessen visuell wahrnehmbaren Teilen), bietet die physische Kopie keinen Zugang zu einer anderen Textur als ihrer eigenen. Sie ist sozusagen in ihrer eigenen Materialität gefangen, und besonders deshalb muss sie als Sackgasse betrachtet werden.36 (Aus dem Dänischen von Lana Schmitz)

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http://www.adeva.com/adeva_geschichte_en.asp (letzter Zugriff: 4. September 2019). Ich schulde Kristina Lundblad meinen Dank für diesen Hinweis. Lundblad 2015 (Anm. 28), S. 95. Ich schulde Christian Benne, Ivan Boserup und Wolfgang Lukas meinen Dank für anregende Ansichten zum Thema dieses Beitrags.

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Literaturverzeichnis Burljuk, David et al.: Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack. Moskau 1912 Dahlström, Mats: Copies and Facsimiles. In: International Journal of Digital Humanities, Vol. 2 [in Herstellung] (2019) Driscoll, Matthew J.: The Words on the Page: Thoughts on Philology, Old and New. In: Creating the Medieval Saga: Versions, Variability and Editorial Interpretations of Old Norse Saga Literature. Hrsg. von Judy Quinn und Emily Lethbridge. Odense 2010, S. 87–104 DuRietz, Rolf E.: Den tryckta skriften. Termer och begrepp. Uppsala 1999 Foucault, Michel: L’Archéologie du savoir. Paris 1969 Groupe µ: Traité du signe visuel. Pour une rhétorique de l’image. Paris 1992 Hansen, Anne Mette: The Body Language of Text: The Relationship between the Textual Content and the Physical Appearance of Text in the Process of Transmission (Scholarly Editing). In: Creativity and Continuity: Perspectives on the Dynamics of Language Conventionalisation. Hrsg. von Dorthe Duncker und Bettina Perregaard. Kopenhagen 2017, S. 57–81 Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe in 20 Bänden. Hrsg. von Dietrich E. Sattler. Frankfurt a. M., Basel 1975–2008 Jacobs, Wilhelm G.: Materie – Materialität – Geist. In: editio 23 (2009), S. 14–20 Jelsbak, Torben: Avantgardefilologi og teksttransmission. Den historiske avantgardelitteratur som udfordring til moderne filologi og litteraturforskning. Kopenhagen 2008 Kammer, Stephan: Textur. Zum Status literarischer Handschriften. In: Schrift – Text – Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Christiane Henkes et al. Tübingen 2003 (Beihefte zu editio. 19), S. 15–25 Kondrup, Johnny: Editionsfilologi. Kopenhagen 2011 – Tekst og værk – et begrebseftersyn. In: Betydning & Forståelse. Festkrift til Hanne Ruus. Hrsg. von Dorthe Duncker, Anne Mette Hansen und Karen Skovgaard-Petersen. Kopenhagen 2013a, S. 65–76 – Text und Werk – zwei Begriffe auf dem Prüfstand. In: editio 27 (2013b), S. 1–14 Lundblad, Kristina: Återge eller återskapa? Faksimilen som verktyg och konstverk. In: Mellan evighet och vardag. Lunds domkyrkas martyrologicum Liber daticus vetustior (den äldre gåvoboken). Studier och faksimilutgåva. Hrsg. von Eva Nilsson Nylander. Lund 2015 (Skrifter utgivna av Universitetsbiblioteket i Lund. Ny följd. 10), S. 79–102 Müller-Wille, Klaus: Sezierte Bücher: Hans Christian Andersens Materialästhetik. Paderborn 2017 Murúa, Martín de: Historia del origen y genealogia real de los reyes Ingas del Pirú. Hrsg. von Juan M. Ossio als Códice Murúa. Bd. 1–2. Madrid 2004 Nielsen, Karl Martin et al. (Hrsg.): Middelalderens danske Bønnebøger. Bd. 1–5. Kopenhagen 1946–1982 Reitani, Luigi: Schreiben, setzen, einritzen. Hölderlins Schreibszene im Homburger Folioheft. In: Materialität in der Editionswissenschaft. Hrsg. von Martin Schubert. Berlin, New York 2010 (Beihefte zu editio. 32), S. 89–94

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Reuß, Roland: Spielarten des Zufälligen. Zum Verhältnis von Edition und Typographie. In: Text. Kritische Beiträge 11 (2006), S. 55–100 Ries, Thorsten: ,Materialität‘? Notizen aus dem Grenzgebiet zwischen editorischer Praxis, Texttheorie und Lektüre. Mit einigen Beispielen aus Gottfried Benns ,Arbeitsheften‘. In: Materialität in der Editionswissenschaft. Hrsg. von Martin Schubert. Berlin, New York 2010 (Beihefte zu editio. 32), S. 159–178 Rockenberger, Annika / Röcken, Per: Wie ,bedeutet‘ ein ,material text‘?. In: Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Hrsg. von Wolfgang Lukas, Rüdiger Nutt-Kofoth und Madleen Podewski. Berlin, Boston 2014 (Beihefte zu editio. 37), S. 25–51 Röcken, Per: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? In: editio 22 (2008), S. 22–46 Shillingsburg, Peter L.: Resisting Texts. Authority and Submission in Constructions of Meaning. Ann Arbor 1997

 

Matthias Grüne

Das Studienheft als Dokumententyp und Editionsgegenstand Am Beispiel von Otto Ludwigs Romanstudien

1. Das Dokument als Einheit von Material und Text Das editionswissenschaftliche Interesse am Dokument scheint dem Paradigma der Materialität zu folgen, das die disziplinären Debatten seit einigen Jahren dominiert. Dokumentennahes Edieren hieße dementsprechend, den ,Körper‘ eines Textträgers in seiner sinnlich erfahrbaren, individuellen Beschaffenheit und nicht den vom Körper abstrahierten ,Geist‘, den reinen Text, ins Zentrum der Edition zu rücken.1 In der Tat kann man den Eindruck gewinnen, dass die Hervorhebung des Dokuments als Bezugsgröße editorischen Arbeitens und editionswissenschaftlicher Theoriebildung erst mit der Ablösung eines textzentrierten Editionsverständnisses eingesetzt hat. Textzentrierung schließt hier textgenetische Ansätze durchaus mit ein, denn auch wenn statt eines statischen Textes die Dynamiken der Textproduktion erfasst werden, kann das Dokument außer Acht bleiben. Manche Arbeiten gehen sogar von einem Gegensatz beider Aspekte aus: So hält Gunter Martens 1971 in seinem Beitrag für den wegweisenden Sammelband Texte und Varianten fest, dass in einer Edition, die nicht etwa eine Dokumentation archivalischer Bestände, sondern eben die Darstellung von Textdynamik intendiert, […] die materialen Gliederungseinheiten der Handschrift und der Drucke einem Ordnungsprinzip weichen [müssen], das dem […] Anspruch einer [den Textprozess sichtbar machenden, M. G.] Variantendarstellung genügen kann.2

Die textgenetische Herangehensweise fokussiert primär die zeitliche Dimension des Schreibprozesses, dafür spielt die räumliche Wahrnehmung des Überlieferungsträgers nur eine untergeordnete Rolle, sodass auch die Überführung der dokumentspezifischen Raumstruktur in die künstliche, das heißt dokumentenferne Räumlichkeit eines Variantenapparates letztlich unproblematisch bleibt. Zu dieser Vorstellung passt ein Dokumentbegriff, der das Dokument primär als Textzeugen auffasst. Friedrich Wilhelm Wollenberg spricht von der Handschrift als einem „Dokument, das den Text bezeugt“ und das „für die Tätigkeit der Textfest–––––––—

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Zu der Geist-Körper-Dichotomie als leitender editionswissenschaftlicher Denkfigur vgl. Per Röcken: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? Versuch einer Explikation des Ausdrucks und einer sachlichen Klärung. In: editio 22 (2008), S. 23. Gunter Martens: Textdynamik und Edition. Überlegungen zur Bedeutung und Darstellung variierender Textstufen. In: Gunter Martens / Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 177–178.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-003

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stellung immer nur Erkenntnismittel, nicht Erkenntnisziel [ist]“.3 Über die Speicherung des Textes hinaus hat das Dokument demnach keinen Eigenwert, es sichert nur dem Editor die Möglichkeit, einen kritisch geprüften Text und gegebenenfalls auch die textgenetischen Zusammenhänge zu rekonstruieren.4 Nach der „materiellen Wende“5 hat sich die begriffliche Bestimmung des Dokuments und die Beurteilung seines editorischen Wertes erheblich gewandelt.6 Man kann sogar davon sprechen, dass sich inzwischen ein konträrer Dokumentbegriff etabliert hat: Nicht mehr die Eigenschaft, Text zu bezeugen, ist nun das entscheidende Definitionskriterium, sondern die vom Text abzulösende Materialität. In diesem Sinn definiert Peter Shillingsburg7 den Begriff als „Material medium of display“ und ,physikalischen Container‘ eines Textes: The word Document can be used to refer to the physical “container” of the Linguistic Text. It might be paper and ink or a recording of some sort, including for example a Braille transcript which can be just paper. […] Documents are physical, material objects that can be held in the hand.8

Shillingsburg identifiziert ,Dokument‘ begrifflich mit ,Materialgrundlage‘, betont aber zugleich, dass der editorische Wert der Materialität aus der Beziehung auf einen Text hervorgeht: „This physical form not only provides a ‘fixing medium’ […] but it –––––––— 3

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Friedrich Wilhelm Wollenberg: Zur genetischen Darstellung innerhandschriftlicher Varianten. In: Gunter Martens / Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 252, Hervorh. im Orig. Wollenberg empfiehlt deshalb, in der Edition von den „Zufälligkeiten“ der Handschrift, z. B. der grafischen Ausführung von Textersetzungen, zu abstrahieren. Allerdings weist er in einer Anmerkung darauf hin, dass die „figurale Darstellung eines Textes auf dem Papier“, d. h. seine räumliche Verteilung und Anordnung, durchaus von „textlicher Qualität“ und somit editorisch relevant ist (Wollenberg 1971, S. 252). Rüdiger Nutt-Kofoth: Textgenese. Überlegungen zu Funktion und Perspektive eines editorischen Aufgabengebiets. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 37 (2005), S. 112. Als Beleg dieser Entwicklung, die auch in Zusammenhang steht mit einer grundsätzlichen Aufwertung nicht-literarischer Nachlasstexte (wie Briefe, Tagebücher oder Notizbücher), sei hier auf einen Beitrag von Klaus Hurlebusch von 1995 verwiesen. Zwar verzichtet Hurlebusch, der einen primär textgenetisch ausgerichteten Ansatz vertritt, auf den Dokumentbegriff und spricht stattdessen lieber von ,Textzeugen‘, er hebt jedoch mit Nachdruck als Besonderheit eben jener nicht-literarischen „Lebenszeugnisse“ (Klaus Hurlebusch: Divergenzen des Schreibens vom Lesen. Besonderheiten der Tagebuch- und Briefedition. In: editio 9 (1995), S. 22) die Bedeutung ihrer nichtsprachlichen, die äußere Gestalt betreffenden Eigenschaften hervor und stellt, zumindest mit Bezug auf Texte dieser Art, den „Zeugniswert des Textträgers“ (ebd., Hervorh. im Orig.) heraus. Mit Bezug auf den Brief nutzt auch Winfried Woesler (1977) den Dokumentbegriff, interpretiert ihn aber kommunikationstheoretisch (Winfried Woesler: Der Brief als Dokument. In: Wolfgang Frühwald / Hans-Joachim Mähl / Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Probleme der Brief-Edition. Boppard 1977, S. 41–59). Unter ,Dokument‘ will Woesler nicht den Inhalt, sondern die Bedeutung eines Schriftstückes in einer konkreten Kommunikationssituation und für die beteiligten Kommunikationsteilnehmer verstanden wissen. Das ermöglicht ihm, auch das äußere Erscheinungsbild der Objekte als bedeutungsrelevant zu erfassen. Allerdings impliziert dieser Dokumentbegriff, dass Angaben über die Dokumenteigenschaften nur auf dem Weg der Rekonstruktion interpersonaler Beziehungen und kommunikativer Intentionen möglich sind, die sich dem Editor, wenn überhaupt, oft nur spekulativ erschließen. Peter L. Shillingsburg: Text as Matter, Concept, and Action. In: Studies in Bibliography 44 (1991), S. 81. Shillingsburg 1991, S. 54.

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inevitably provides an immediate context and texture for the Linguistic Text“.9 Für diese Verbindung von verbalsprachlichem Text und Dokument, „the union of Linguistic Text and Document“, führt er dann den Begriff „Material Text“10 ein.11 Die begriffliche Reduktion von ,Dokument‘ auf die reine Materialgrundlage oder den physikalischen Container von Information widerspricht sowohl dem älteren editionswissenschaftlichen als auch dem informationswissenschaftlichen12 Begriffsgebrauch, wonach ein Gegenstand erst dann zu einem Dokument wird, wenn er eine zu seiner stofflichen Gegebenheit hinzugefügte Information – zum Beispiel eine mit Tinte aufgebrachte verbalsprachliche Zeichensequenz – trägt. Nach dieser Auffassung kann ein weißes Blatt Papier kein Dokument sein, weil es keine Information trägt und auch nichts bezeugen kann. Dagegen ließe sich zwar einwenden, dass die Materialien an sich möglicherweise bereits etwas bedeuten und insofern der Dokumentbegriff auf sie angewandt werden könnte.13 Allerdings wäre dann die Bedeutung der reinen Materialität von der Bedeutung des später angefertigten Schriftstücks zu unterscheiden: Das leere Blatt und das später beschriebene Blatt sind in jedem Fall zwei verschiedene Dokumente, die auch nicht als ein Dokument in verschiedenen Revisionsständen begriffen werden können. Was das Blatt zu einem Dokument macht, ist also in beiden Fällen die mit ihm explizit oder implizit transportierte Information. Bezieht man den Dokumentbegriff dementsprechend auf die Einheit von Text (Information) und Material (physischem Speicher), lässt er sich nur schwer von Shillingsburgs Begriff des ,material text‘ unterscheiden. In ihrer begrifflichen Präzisierung von Shillingsburgs Ansatz schlagen Rockenberger und Röcken (2014) eine Definition von ,material text‘ vor, die auf den Dokumentbegriff darum auch vollständig verzichtet. Sie bezeichnen mit dem Begriff ein „semiotisch komplexes multimodales Artefakt, das neben einem schriftlich fixierten verbalsprachlichen Zeichensystem weitere (non- und paraverbale) materiell-mediale Objekteigenschaften aufweist“.14 Von ,Dokument‘ ist in diesem Kontext nicht mehr die Rede, weil damit nichts anderes zu bezeichnen wäre, als mit dem Begriff des Materialtextes bereits ausgedrückt wird: Jene ,multimodale‘ Einheit von Material und Text, physischem Speicher und gespeicherter Information. Demzufolge könnte man wahlweise auf den Begriff des Dokuments oder den des Materialtextes ganz verzichten. Im Gegensatz dazu möchte ich hier jedoch vorschlagen, den einmal eingeführten Terminus ,Materialtext‘ in einer anderen Weise nutzbar zu machen, und zwar als Gegenbegriff zum ,linguistischen Text‘ (Shillingsburg), das –––––––— 9 10 11

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Shillingsburg 1991, S. 54. Shillingsburg 1991, S. 54. In Anlehnung an Shillingsburg gebraucht auch Johnny Kondrup den Begriff des Materialtextes, um die Verbindung zwischen Trägermedium und Text zu bezeichnen. Siehe dazu seinen Beitrag im vorliegenden Band. Michael K. Buckland: What Is a “Document”? In: Journal of the American Society for Information Science 48 (1997) Heft 9, S. 804–809. Vgl. dazu Annika Rockenberger / Per Röcken: Wie ,bedeutet‘ ein ,material text‘? In: Wolfgang Lukas / Rüdiger Nutt-Kofoth / Madleen Podewski (Hrsg.), Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Berlin, Boston 2014, S. 28, die allerdings die Frage nach der Eigenbedeutung der Materialien offenlassen. Rockenberger / Röcken 2014, S. 28.

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heißt dem verbalsprachlichen Zeichensystem. Er bezieht sich dann nicht auf die Einheit von Material und Text, sondern nur auf die physikalisch-chemischen Eigenschaften und die nonverbalen beziehungsweise paraverbalen Informationen eines Dokuments. Möglicherweise ist es auch sinnvoll, den Begriff darüber hinaus auf die Menge der materiellen Eigenschaften eines Dokuments einzuschränken, denen im konkreten Fall ein semantischer Wert beigelegt wird – sei es vom Produzenten, dem Rezipienten oder dem Editor eines Textes. Die Menge bedeutsamer Eigenschaften ist potentiell von erheblichem Umfang,15 in der kommunikativen wie editorischen Praxis jedoch wird immer nur eine begrenzte Auswahl davon semantisiert und zu einem Text sui generis verdichtet werden.16 Auf Grundlage dieser Definitionen ergibt sich, dass Dokumentennähe in der Edition nicht zwangsläufig auf ein materialorientiertes Verfahren hinauslaufen muss. Denn der Charakter des Dokuments beschränkt sich nicht auf Eigenschaften des Materialtextes, sondern umfasst das für den jeweiligen Überlieferungsträger spezifische Verhältnis von Material und Text. Ein dokumentensensibles Edieren fragt also nach den Relationen zwischen den (z. B. verbalsprachlich) übermittelten Informationen und ihrer Materialisierung auf einem Überlieferungsträger. Das Augenmerk richtet sich zudem nicht auf das Material an sich, sondern auf den Materialtext in dem hier vorgeschlagenen Sinn, das heißt auf die physischen oder chemischen Eigenschaften des Überlieferungsträgers, die nach Einschätzung des Editors die Struktur und Bedeutung des (verbalsprachlichen) Textes wesentlich prägen, mitbestimmen oder beeinflussen.

2. Das Studienheft als Dokumententyp Inwieweit die materielle Beschaffenheit eines Dokuments für die Erfassung des verbalsprachlichen Textes von Bedeutung ist, kann im Grunde immer nur individuell, am konkreten Objekt bestimmt werden. Obgleich jedes Editionsprojekt in seiner Anlage und Konzeption immer auf die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Gegenstandes und die Idiosynkrasien des edierten Autors zugeschnitten ist, muss es sich doch zwangsläufig von der individuellen Gestalt der Dokumente entfernen – das gilt sogar für die Reproduktion der visuell zugänglichen Eigenschaften der Dokumente in Form von Digitalisaten, die den Gegenstand in ein einheitliches Dateiformat überführen. Bei diesem Vorgang der Abstraktion und Normierung ist zu berücksichtigen, dass Dokumente nicht nur Eigenschaften aufweisen, die sie individuell auszeichnen, etwa, weil sie auf spezifische Praktiken von Schreibern zurückgehen oder aus besonderen Überlieferungsbedingungen (Beschädigung, Mehrfachnutzung etc.) resultieren, sondern auch Eigenschaften, die auf generischen Mustern beruhen. Diese können sich auf –––––––— 15 16

Vgl. dazu die detaillierte Auflistung der editorisch potentiell relevanten materiellen Eigenschaften von Überlieferungsträgern bei Röcken 2008, S. 43–45. Der Materialtext hat im Vergleich zu dem auf einem verbalsprachlichen Zeichensystem basierenden Text einen gewissermaßen prekären Status, da nicht nur die Interpretation der Textelemente, sondern auch die Wahrnehmung ihrer Zeichenhaftigkeit an sich stark vom Rezipienten und vom Rezeptionskontext abhängt.

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die materielle Beschaffenheit von Überlieferungsträgern (z. B. das Papierformat) ebenso beziehen wie auf Materialisierungsspuren, die sich aus dem Nutzungsprozess ergeben (wie etwa die räumliche Verteilung von Niedergeschriebenem auf dem Papier). Die Referenz auf generische Muster tritt nicht nur in gedruckten, sondern auch in handschriftlichen Dokumenten auf. Es sind Zusammenhänge von Konventionen und Normen, welche die Entstehung eines individuellen Dokuments beeinflussen und etwa regulieren, dass in einem Brief andere Formen der Materialisierung von Information als in einem Tagebuch vorliegen. Für die Bezeichnung dieser generischen Muster wähle ich hier den Begriff des Dokumententyps, in bewusster Abgrenzung von terminologisch verwandten Begriffen wie ,Gattung‘ oder ,Medium‘: Der Begriff der Gattung wird nicht genutzt, weil er stärker auf die Klassifikation von Textmerkmalen unter Absehung der materialen Konkretisierung abzuheben scheint, während es an dieser Stelle explizit um die Klassifikation von Dokumenteigenschaften, das heißt um die Identifikation normierter Formen der Materialisierung von Information gehen soll. Der Medienbegriff wiederum erfasst die Materialität in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation, was bei manchen Dokumententypen (wie etwa dem Brief) passender erscheint als bei anderen (wie etwa dem Notizbuch). Der Begriff des Dokumententyps hat demgegenüber den Vorteil größerer Neutralität. Dass unterschiedliche Dokumententypen unterschiedliche Formen der Verbindung von Material und Text aufweisen und aus diesem Grund auch andere editorische Herangehensweisen erfordern, ist anhand einzelner Typen bereits herausgestellt worden. Insbesondere für den Brief17, das Tagebuch18 und seit einigen Jahren verstärkt ebenfalls das Notizbuch19 liegen detaillierte theoretische Analysen und Referenzeditionen vor. Anders sieht es mit einem Dokumententyp aus, der strukturell eine gewisse Nähe sowohl zum Tagebuch als auch zum Notizbuch aufweist, sich aber doch, wie noch zu zeigen ist, in wichtigen Aspekten von ihnen unterscheidet: Für diesen Dokumententyp möchte ich hier die Bezeichnung ,Studienheft‘ vorschlagen – und zugleich einschränkend darauf hinweisen, dass eine umfassende Explikation dieses Typs unter Heranziehung einer quantitativ aussagekräftigen Materialgrundlage im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geleistet werden kann. Stattdessen soll der Versuch unternommen werden, die typischen Eigenschaften – unter dem Vorbehalt, dass die Annahmen an einem breiteren Korpus von Dokumenten zu überprüfen sind – exemplarisch am Gegenstand von Otto Ludwigs nachgelassenen Aufzeichnungen zur Theorie und Technik des Romans zu rekonstruieren. –––––––— 17

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Wolfgang Frühwald / Hans-Joachim Mähl / Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Probleme der Brief-Edition. Boppard 1977; Hans-Gert Roloff (Hrsg.): Wissenschaftliche Briefeditionen und ihre Probleme. Berlin 1998. Hurlebusch 1995, S. 18–36; Ders.: „Überrest“ und „Tradition“. Editionsprobleme von Tagebüchern, dargestellt an Klopstocks Arbeitstagebuch. In: Ders., Buchstabe und Geist, Geist und Buchstabe. Arbeiten zur Editionsphilologie. Frankfurt a. M. 2010, S. 43–58 [zuerst in: Michael Werner / Winfried Woesler (Hrsg.): Edition et Manuscrits. Bern et al. 1987, S. 107–123]. Gabriele Radecke: Notizbuch-Editionen. Zum philologischen Konzept der Genetisch-kritischen und kommentierten Hybrid-Edition von Theodor Fontanes Notizbüchern. In: editio 27 (2013), S. 149–172.

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Strukturell steht das Studienheft zweifellos dem Notizbuch am nächsten. Beide Typen sind, um zwei Begriffe von Klaus Hurlebusch (1995) aufzugreifen, in erster Linie als ,Gebrauchsformen‘ und erst in zweiter Linie auch als ,Ausdrucksformen‘ zu verstehen. Das heißt, dass sie vorrangig als Informationsträger genutzt werden und nicht als „Gestaltungsmedien interpersonalen und personalen Lebens“.20 Werden Brief und Tagebuch aus editorischer Sicht eher als „Lebenszeugnisse“21 wahrgenommen, interessieren Notizbuch wie Studienheft oft zunächst als Arbeitszeugnisse.22 Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Notizbüchern oder Studienheften nichts über das personale oder interpersonale Leben des Schreibers zu entnehmen sei, verrät doch jede Notiz etwas über den Notierenden und jedes Exzerpt etwas über den Exzerpierenden. Nur werden sie nicht primär zum Zweck der Selbstkundgabe oder der privaten Kommunikation angelegt, sondern dienen hauptsächlich als Informationsspeicher. Zudem tritt in Notizbüchern wie Studienheften der kommunikative Bezug in den Hintergrund, der für den Brief konstitutiv ist, aber auch im Tagebuch stark hervortreten kann, etwa in Form der Selbstansprache oder über die Adressierung an ein imaginiertes Publikum – man denke hier an die ironisch-selbstbewusste Anrede an einen künftigen Biographen, die der junge Friedrich Hebbel an den Beginn seines ersten Tagebuchs setzt.23 Eine Gemeinsamkeit aller genannter Dokumententypen liegt darin, dass der Autor „mittelbar durch Wahl oder Gestaltung des materialen Textträgers, insbesondere der Schreibfläche, der Seite, auch die Gestaltung des Textes selbst [beeinflusst]“24. Gerade in dieser Hinsicht bietet es sich jedoch an, noch schärfer zwischen Studienheft und Notizbuch zu differenzieren. Denn gerade in der Relation zwischen materieller Gegebenheit und der Ausrichtung bzw. Gestaltung des Textes werden deutliche Unterschiede erkennbar. Prägend für den Dokumententyp des Studienheftes ist das relativ große Format. Bücher oder Hefte mit Höhen von 30 cm und mehr sind ungeeignet, um sie wie ein kleinformatiges Notizbuch beständig mit sich zu führen. Eintragungen, die unterwegs, möglicherweise auf unebenem oder schwankendem Untergrund vorgenommen wurden, findet man dementsprechend selten. Dafür bieten die großformatigen Hefte Platz für längere, zusammenhängende Aufzeichnungen, deren Niederschrift zeitintensiver ist und die im Rahmen eines kleinformatigen Notizbuches nur sehr mühevoll unterzubringen wären. Zum besonderen „Raumverhalten“25 im Studienheft gehört auch, dass die Platzierung des Textes im Vergleich zum Notizbuch deutlich stärker strukturiert ist, beispielsweise aus Gründen der –––––––—

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Hurlebusch 1995, S. 26. Hurlebusch 1995, S. 22. Hurlebusch beschäftigt sich in erster Linie mit dem Brief und dem Tagebuch, schließt aber das Notizbuch in seine Ausführungen stillschweigend mit ein (Hurlebusch 1995, S. 22). Auf mögliche Differenzen geht er nicht ein, dabei bietet seine Unterscheidung zwischen Ausdrucks- und Gebrauchsform eigentlich eine brauchbare Grundlage für eine weitere Differenzierung der Dokumententypen. Friedrich Hebbel: Tagebücher. Neue historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Monika Ritzer, Bd. 1. Berlin, Boston 2017, S. 1. Hurlebusch 1995, S. 23. Klaas-Hinrich Ehlers: Raumverhalten auf dem Papier. Der Untergang eines komplexen Zeichensystems dargestellt an Briefstellern des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 32 (2004) Heft 1, S. 1–31.

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besseren Nutzbarkeit oder auch aus ästhetischen Erwägungen. Die Raumnutzung weist also weder jene für Notizbücher typische Form der mehr oder weniger zufälligen Verteilung einzelner, rasch hingeworfener Notizen auf, noch folgt sie primär platzökonomischen Erwägungen, das heißt dem Streben nach bestmöglicher Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Raumes. In Ludwigs Heften ist das markanteste Merkmal der räumlichen Strukturierung die Unterteilung der Seite in Haupt- und Marginalspalte. Ludwig lässt fast ein Viertel der Seite am äußeren Rand beim Beschreiben frei, um in diesem Raum später Kommentare oder Korrekturen nachtragen zu können. Mit dem Streben nach größerer Übersichtlichkeit verbindet sich ein Objektivierungsgedanke, insofern die Möglichkeit einer späteren Re-Lektüre und Kommentierung von Beginn an vorgesehen ist. In dieser Form nähert sich das Studienheft dem Dokumententyp des Kollegheftes an, das Mit- oder Nachschriften von Vorlesungen enthält.26 In beiden Fällen verdeutlicht die Anlegung einer Randspalte, dass der Text als Gegenstand des Studiums und der intellektuellen Auseinandersetzung wahrgenommen wird und nicht nur als ein Speicher von Informationen. Eine ähnliche räumliche Strukturierung, gleichfalls verbunden mit der Intention, das Geschriebene später zum Gegenstand der Selbstbeobachtung zu machen, kann auch im Tagebuch vorliegen. Beispielsweise nutzt Friedrich Hebbel (2017) in seinen Tagebüchern Marginalien, um den eigenen Text aus der Distanz zu kommentieren. Ein gewichtiger Unterschied zwischen den beiden Dokumententypen liegt dafür in der Anordnung und Abgrenzung von Texteinheiten. Typisch für das Tagebuch ist die Notatstruktur, es werden also einzelne, in der Regel datierte Eintragungsakte voneinander abgegrenzt, die mitunter auch sehr kurz ausfallen können. Im Studienheft hingegen überwiegen längere Textabschnitte und die Gliederung erfolgt zumeist nach Absätzen. Ob diese Textblöcke unterschiedlichen Eintragungsakten entstammen, ob sie ohne zeitliche Verzögerung oder über mehrere Stunden oder Tage entstanden sind, ist von untergeordneter Bedeutung.27 Fällt die Strukturierung von Textblöcken mithilfe chronologischer Angaben im Studienheft weg, so können stattdessen Überschriften die Funktion der Informationsbündelung übernehmen. Die Auszeichnung eines Textes als Titel oder Überschrift kann, den Konventionen des Buchdrucks folgend, über die räumliche Verteilung des Textes auf dem Papier, etwa über einen Abstand zum Rand oder zum folgenden Text, signalisiert werden, aber natürlich auch durch andere, eher schreibsprachliche Formen der Hervorhebung wie Unterstreichung, Schriftwechsel, grafische Elemente etc. Eine wichtige materiell vorgegebene Struktureinheit kann zudem die Seite selbst darstellen, etwa wenn der Seitenumbruch bewusst als Mittel der inhaltlichen Segmentierung –––––––— 26

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Die Herausforderungen im editorischen Umgang mit Kollegheften thematisiert der rezente Sammelband von Jörn Bohr (Hrsg.): Kolleghefte, Kollegnachschriften und Protokolle. Probleme und Aufgaben der philosophischen Edition. Berlin, Boston 2019. Eine umfassende Beschäftigung mit diesem Dokumententyp ermöglicht die Sammlung digitalisierter Kolleghefte in der Universitätsbibliothek der HumboldtUniversität zu Berlin (online verfügbar unter: [letzter Zugriff: 30. September 2018]). Als eine Mischform der Dokumententypen wäre möglicherweise das Arbeitstagebuch anzusehen, wie es Hurlebusch (2010) am Beispiel Klopstocks beschreibt.

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eingesetzt wird. Solchermaßen funktionalisierte Seitenumbrüche sind sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal von Studienheften, dürften hier aber doch in größerem Umfang zu finden sein als in dem strukturell auf Kontinuität und Stetigkeit ausgerichteten Tagebuch oder in Notizbüchern, bei denen die Seite nicht unbedingt als zentrale Organisationseinheit wahrgenommen wird, weil das kleine Format oft einen schnellen Seitenwechsel bei der Beschriftung erzwingt oder aus platzökonomischen Zwängen heterogenes Material auf eine Seite zusammengezogen wird. Nach der hier vorgeschlagenen typologischen Bestimmung liegt die Spezifik des Studienheftes also im Wesentlichen darin, die verbalsprachlich verzeichneten Informationen nicht einfach nur zu fixieren und zu sichern, sondern bereits durch die Form der Eintragung nach dem Kriterium der Übersichtlichkeit zu strukturieren. In diesem Sinn dient das Studienheft in erster Linie der intellektuellen Auseinandersetzung mit den Textinhalten, es erreicht diesen Zweck aber gerade über seine spezifische Materialität, indem etwa die räumliche Textanordnung eine kontinuierliche ReLektüre oder die Kommentierung des Textes erleichtert. Im Gegensatz zum Notizbuch28 ist für das Studienheft die Ausrichtung auf eine dominant lineare Lektüreweise typisch. Auch die Kopräsenz von Marginalie und Hauptspalte widerspricht dem nicht, da die beiden Textbereiche zumeist in einem hierarchischen Verhältnis zueinanderstehen, sich der Marginaltext auf den Haupttext bezieht (was in der Regel auch durch eine kleinere Schrift ausgedrückt wird) und so visuell bereits nahegelegt wird, das Nebeneinander in das Nacheinander der Lektüre zu überführen. Ob eine lineare Lektüreweise aber durchgehend möglich ist, hängt dann zweifellos vom individuellen Charakter des Dokuments, etwa von der vorgefundenen Korrekturdichte, ab. 29

3. Das Studienheft als Gegenstand der Edition 3.1 Das Beispiel von Ludwigs Romanstudien Wie erwähnt sind die hier dargelegten typologischen Überlegungen aus der Beschäftigung mit einem konkreten Text hervorgegangen, nämlich den Studienheften Otto Ludwigs, die postum unter dem Titel Romanstudien erschienen. Wurde bisher versucht, vom individuellen Charakter dieses Dokuments weitgehend abzusehen, treten nun, vor dem Hintergrund der Frage nach den editionspraktischen Konse–––––––— 28 29

Vgl. Radecke 2013, S. 151. Im Gegensatz zu Roland Reuß: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ,Textgenese‘. In: TEXT. Kritische Beiträge 5 (1999), S. 14–15 gehe ich nicht davon aus, dass das Prinzip der linearen Sukzession in einer Handschrift durch das Auftreten einer einzigen Korrektur oder Ersetzung bereits aufgehoben wäre. Der Vorgang des Streichens und Ersetzens, möglicherweise verbunden mit dem grafisch angedeuteten Hineinsetzen einer Zeichenfolge in den bestehenden Textkörper vermittels Einweisungsschlaufe, lässt sich ja gerade als Transformation eines nicht linear verlaufenden Schreibvorganges in eine lineare Struktur, in Antizipation einer ebenfalls linear verlaufenden Rezeption verstehen. Dieses Prinzip wäre allein beim Auftreten von Alternativvarianten (vgl. Nutt-Kofoth 2005, S. 115) durchbrochen. Allerdings sollte in diesem Fall auch die Häufigkeit des Auftretens solcher ungestrichener Varianten berücksichtigt werden, wie überhaupt die Korrekturdichte ein entscheidender Faktor für die Beurteilung sein dürfte, ob ein lineares Erfassen dem Charakter der Handschrift entspricht oder nicht.

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quenzen, die dokumentspezifischen Eigenschaften notwendigerweise stärker in den Vordergrund. Hervorzuheben ist zunächst, dass Ludwig die Hefte der Romanstudien ähnlich wie die zeitgleich angelegten Hefte der Shakespearestudien überwiegend themengebunden führt. Es handelt sich also nicht um eine Sammlung mehr oder weniger disparater Inhalte, sondern um das Zeugnis einer kontinuierlichen Beschäftigung mit einem Gegenstand, in diesem Fall mit dem Roman beziehungsweise mit den Möglichkeiten und Grenzen erzählender Darstellung. Wenngleich sich der Titel „Romanstudien“ erst später durchgesetzt hat und nicht von Ludwig selbst stammt, so tragen doch die Hefte im Original bereits einen themenbezogenen Titel: Das erste der in einem Band zusammengefassten Hefte überschreibt Ludwig mit „Roman. I“, das zweite „Studieen [sic] über den Roman. II“.30 Begonnen wurden sie Mitte der 1850er Jahre, als Ludwig, der mit dem Drama Der Erbförster und den Erzählungen Zwischen Himmel und Erde und Die Heiteretei unerwartete literarische Erfolge gefeiert hatte, in eine tiefe (und letztlich nie mehr überwundene) Schaffenskrise geriet und an seiner künstlerischen Gestaltungskraft zu zweifeln begann. Von der theoretischen Beschäftigung mit dem Drama und der Erzählung erhoffte er sich eine Klärung und Festigung seiner poetologischen Grundsätze. Die Hefte sind also in erster Linie Mittel zum Zweck, die erstickte kreative Kraft wiederzubeleben. Eine Veröffentlichungsabsicht lag nicht unmittelbar vor, wenngleich sich an einigen wenigen Stellen in den Romanstudien Hinweise darauf finden, dass Ludwig zumindest kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt hat, seine theoretischen Überlegungen in einem Aufsatz zusammenzufassen.. Das Drängen seiner Freunde Berthold Auerbach und Julian Schmidt, die ihn auch zur Publikation von Auszügen aus den Shakespearestudien überreden wollten, dürfte dabei im Hintergrund gestanden haben. Gleichwohl verfolgte Ludwig diese Pläne nicht weiter. Die Studienhefte zum Roman sind folglich private Dokumente und weisen insofern auch die für „Zeugnisse nicht-beabsichtigter Überlieferung“31 typischen Eigenschaften auf: Korrekturspuren, Verschleifungen der Schrift, Verschreibungen, abgebrochene Sätze etc. Der Materialtext, das materielle Erscheinungsbild des Dokuments, spricht dabei für einen relativ konzentrierten Schreib- und Arbeitsprozess: Das Schriftbild ist verhältnismäßig klar und übersichtlich, geprägt von einem gleichmäßigen Schreibduktus. Zwar gibt es Größenunterschiede in der Schrift, aber sie sind entweder strukturell bedingt wie bei Überschriften oder bei der Unterscheidung von Marginal- und Hauptspalte oder sie erklären sich aus der langen, vermutlich rund zehn Jahre umfassenden Entstehungszeit der Studienhefte.32 Die altersbedingte Veränderung der Schrift ist wahrnehmbar, und auch, dass Ludwig das Schreiben aufgrund –––––––— 30

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Aufbewahrt wird das Manuskript im Nachlass Ludwigs im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar unter der Signatur GSA 61/VII 12. Zu den Problematiken der Editionsgeschichte, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen kann, siehe die Darstellung bei Matthias Grüne: Realistische Narratologie. Otto Ludwigs „Romanstudien“ im Kontext einer Geschichte der Erzähltheorie. Berlin, Boston 2018, S. 182–185. Hurlebusch 2010, S. 52. Da konkrete chronologische Angaben fehlen, kann die Datierung nur implizit aus den Erscheinungsjahren der von Ludwig erwähnten Texte erschlossen werden. Auf diese Weise lässt sich angeben, dass Ludwig die Studien mindestens bis in das Jahr 1862 fortgeführt haben muss (vgl. Grüne 2018, S. 179– 182).

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von Krankheit und fortschreitender Entkräftung in den späteren Jahren deutlich schwerer fällt. Allerdings bleibt die Schrift bis zum Ende zwar relativ klein, aber immer noch sauber und größtenteils gut lesbar. Von einer großen Variation im Schreibduktus, wie sie gerade in Notizbüchern oft zu finden ist, kann keine Rede sein. Der Klarheit im Schriftbild entspricht, dass Ludwig auch in anderer Hinsicht an der übersichtlichen Strukturierung seiner Aufzeichnungen interessiert ist. Die räumliche Trennung von Haupt- und Marginalspalte findet sich fast durchgehend realisiert. Nur an wenigen Stellen wird diese Grenze aufgehoben, etwa weil Randbemerkungen aus Platzgründen in die Hauptspalte gleichsam hineinwachsen. Als Muster ist hier erkennbar, dass solche Abweichungen von der Grundstruktur gerade an solchen Stellen auftreten, an denen Ludwig ausgehend von den theoretischen Betrachtungen Ideen zu eigenen Projekten entwickelt. Man könnte bei diesen Stellen von einem Wechsel des generischen Rahmens sprechen; das Arbeitsheft wird hier stellenweise zum Notizoder Skizzenbuch, zum Ideenspeicher und Medium der Ideenentwicklung. Im Ganzen besehen überwiegen jedoch die Passagen, in denen die Auseinandersetzung mit anderen Texten oder die Erarbeitung begrifflicher Systematiken im Vordergrund steht; das Studienheft bleibt mit anderen Worten das dominante generische Muster. Anders als beispielsweise die Studienbücher Gottfried Kellers enthalten sie auch keine Entwürfe fiktionaler Texte oder andere künstlerische Zeugnisse wie Zeichnungen oder Skizzen.33 Dass Ludwig die Hefte ganz bewusst zu Studienzwecken anlegte, eine kritische Re-Lektüre der Aufzeichnungen also bereits antizipierte, zeigt sich auch im Umgang mit der Seite als Gliederungseinheit: Die Paginierung der Hefte stammt zu drei Vierteln von ihm selbst und er nutzt die Seitenzahlen nicht nur zur Orientierung, sondern auch zur Verknüpfung von Textinhalten. An mehreren Stellen finden sich seitenbezogene Querverweise, die ihre Funktion, die Strukturierung der Informationsaufnahme, erst bei einer späteren Durchsicht erfüllen können. Zeugnisse dieser ReLektüren finden sich dann in der Marginalienspalte, in der sich neben Zusätzen, die zeitnah zur Niederschrift des Haupttextes entstanden, an vielen Stellen auch Kommentare finden, die offensichtlich mit größerem zeitlichen Abstand niedergeschrieben wurden. Wo sich die zeitliche Distanz zusätzlich mit einer inhaltlichen Distanzierung verbindet, Ludwig seine früheren Aufzeichnungen kritisch kommentiert oder ihnen sogar widerspricht, tritt die ,strukturelle Räumlichkeit‘34 des Dokuments am deut–––––––—

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In dieser Hinsicht entsprechen Kellers Studienbücher nur bedingt dem hier vorgeschlagenen Typus des Studienheftes. In der historisch-kritischen Keller-Ausgabe wird wohl auch aus diesem Grund zwischen Studien- und Notizbüchern editorisch nicht differenziert, in beiden Fällen werden die Dokumente als Faksimiles mit diplomatischer Umschrift wiedergegeben (Gottfried Keller: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. unter der Leitung von Walter Morgenthaler im Auftrag der Stiftung Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe, Bd. 16.1 (Studienbücher) und 16.2 (Notizbücher). Hrsg. von Walter Morgenthaler, Thomas Binder, Peter Villwock et al. Basel 2001), ergänzt um eine – wegweisende – elektronische Version mit umfangreichen Such- und Bearbeitungsfunktionen (siehe dazu Walter Morgenthaler: Gottfried Kellers Studienbücher – elektronisch ediert. In: Zeitschrift für Computerphilologie 1 (1999), S. 91–100 [letzter Zugriff: 12. Mai 2019]). Herbert Kraft: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978, S. 33; Herbert Kraft: Editionsphilologie. Frankfurt a. M. et al. ²2001, S. 135.

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lichsten hervor.35 Ludwigs viel beklagter Hang zur Selbstbefragung und zur Kritik einmal gewonnener Ergebnisse entfaltet sich mit anderen Worten im relativ stabilen Rahmen der räumlichen Trennung von Haupt- und Randspalte. Er zeigt sich hingegen weniger deutlich in den Überarbeitungsspuren. Ludwig nutzt seine Aufzeichnungen in der Tat primär als Studienmaterial. Er arbeitet mit ihnen, und weniger an ihnen. Die Textkorrekturen beschränken sich daher im Wesentlichen auf Sofort- und Bald-Korrekturen, meist interlinear angebrachte Hinzufügungen, einfache Streichungen und Überschreibungen einzelner Wörter oder Buchstaben. Es finden sich nur wenige Beispiele für Alternativvarianten, bei denen die ältere Textschicht ungestrichen neben einer alternativen Formulierung stehen bleibt und so die Linearität des Textes partiell aufgehoben wird. Ludwig feilt mit anderen Worten nicht lange an seinem Text: Spuren eines umständlichen Ringens um einzelne Formulierungen oder der Überarbeitung ganzer Textpassagen finden sich so gut wie gar nicht. Insofern wäre es auch irreführend, die Handschrift als Entwurf zu bezeichnen und sie – im Sinne von Roland Reuß’36 begrifflicher Differenzierung zwischen Entwurf und Text – als ungeordnete Vorstufe einer unausgeführten finalen Textfassung zu begreifen. Entwurf impliziert die teleologische Ausrichtung auf ein noch nicht präsentes, aber intendiertes fertiges Produkt. Ludwigs Aufzeichnungen aber stehen für sich, sie müssen als abgeschlossen betrachtet werden, wenngleich die Spuren ihrer Genese in Form von Sofort- und Bald-Korrekturen noch sichtbar sind.37 Das Offene und das Tentative der Studien kommt nicht in der Unordnung der Handschrift, in den Korrekturspuren oder in der Alinearität des Schriftbildes zum Ausdruck, sondern im Gegenteil in ihrer Ordnung, in der strukturellen Räumlichkeit von Haupt- und Marginalspalte, die den Blick freigibt für Ludwigs inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Text.     –––––––—

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Nicht das Nebeneinander „semantisch“ (Kraft 1978, S. 32) oder „strukturell äquivalente[r] Texteinheiten“ (Kraft 2001, S. 135) ist strukturprägend für den Dokumententyp des Studienheftes, sondern das Nebeneinander von Ungleichem, von Text und Kommentar, mithin die Kopräsenz von einem Ausgangstext und seiner korrigierenden, bestätigenden, exemplifizierenden etc. Weiterführung in einem extra dafür vorgesehenen Raum. Reuß (1999); Roland Reuß: Text, Entwurf, Werk. In: TEXT. Kritische Beiträge 10 (2005), S. 1–12. Wie oben (Anm. 29) erwähnt, widerspricht dieser Ansatz der von Reuß vorgebrachten Auffassung, dass Überarbeitungsspuren das lineare Erfassen prinzipiell ausschließen würden; er widerspricht ferner der ausschließlichen Bestimmung des Textbegriffs über das Kriterium der Linearität, bei der andere, traditionell mit dem Textbegriff verbundene Aspekte, etwa das Kohärenzkriterium, unberücksichtigt bleiben. Die implizite Teleologie, die dem Gegensatz zwischen Entwurf und Text zugrunde liegt, versucht Stephan Kammer (2003) mit dem Begriff der ,Textur‘ zu umgehen. Handschriften enthalten für ihn keinen Text im strengen Sinn, er beschreibt sie als „singuläre ästhetische […] Schrift-Objekte“ (Stephan Kammer: Textur. Zum Status literarischer Handschriften. In: Christiane Henkes / Walter Hettche / Gabriele Radecke et al. (Hrsg.): Schrift – Text – Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Tübingen 2003, S. 23). Zu beachten ist allerdings, dass sich Kammer auf literarische Handschriften bezieht und eine Unterscheidung zwischen literarischen und nicht-literarischen Handschriften diesbezüglich zu diskutieren wäre. Gerade mit Bezug auf nicht-literarische Manuskripte scheint die emphatische Betonung der Singularität problematisch, da sie Gefahr läuft, generische Muster der Organisation verbalsprachlicher Informationen zu vernachlässigen, die nicht auf das Individuum oder die individuelle Ästhetik des Objektes, sondern auf allgemeine Schreibpraktiken zurückzuführen sind.

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3.2 Was bleibt vom Dokument in der Edition? Geht man von dem hier vorgeschlagenen Verständnis von ,Dokument‘ als der Verbindung von Material und (verbalsprachlichem) Text aus, so ist klar, dass dokumentennahes Edieren nicht einfach mit Materialnähe gleichgesetzt werden kann. Es geht vielmehr um die Aufgabe, am konkreten Fall den Aussagewert der materiellen Eigenschaften des Dokuments, ihre Relevanz für die Erfassung und das Verständnis der verbalsprachlich übermittelten Informationen zu bestimmen und auf dieser Grundlage über ihre editorische Wiedergabe oder Beschreibung zu entscheiden. Im vorliegenden Beispiel wurde versucht, sich dieser Aufgabe über die Differenzierung von dokumententypischen und individuellen Eigenschaften zu nähern. Charakteristisch für den Dokumententyp des Studienheftes ist, wie gezeigt wurde, die Verwendung eines großformatigen Heftes zur Eintragung längerer zusammenhängender Textpassagen, verbunden mit dem Bemühen um eine übersichtliche, die inhaltliche Aneignung unterstützende und spätere Re-Lektüren erleichternde Strukturierung. Ludwigs individuelle Arbeitsweise zielt ebenfalls auf die Erstellung eines möglichst übersichtlichen Erscheinungsbilds der Studienhefte, was nicht besagt, dass sein Text nicht die Spuren eines für den Privatgebrauch bestimmten Dokuments tragen würde; aber die Ordnungs- und Strukturierungsabsicht und auch die thematische Kontinuität prägen den Charakter des Dokuments stärker als die Anzeichen der Unabgeschlossenheit, die Korrekturspuren, die Verschleifungen in der Schrift oder die abgebrochenen Sätze. Aus diesem Grund wurde für die Edition eine Darstellungsweise gewählt, die den Fokus auf die Raumverhältnisse des Dokuments sowie die Konstitution eines ohne größere Hürde rezipierbaren Textes legt. Ziel ist es also, die strukturelle Räumlichkeit (im Sinne Krafts) in der Edition wiederzugeben und gerade dadurch eine auf die intellektuellen Zusammenhänge und Verknüpfungen konzentrierte Lektüre zu ermöglichen.38 Die Darstellung der Textgenese, der Nachvollzug des Schreibprozesses stehen demgegenüber im Hintergrund. Der prägendste Aspekt der räumlichen Struktur, das Nebeneinander von Haupt- und Randspalte, wird im edierten Text konsequent umgesetzt, wobei für die Platzierung der Marginalien, da der Zeilenfall nicht dem Manuskript entspricht, nur eine ungefähre Zeilen-Korrespondenz erreicht werden kann. Auch der dokumentspezifischen Bedeutung der Seite als Gliederungseinheit wird Rechnung getragen, erstens durch die deutliche Markierung von Seitenwechseln im edierten Text, zweitens durch die Übernahme von Seitenumbrüchen, wo sie von Ludwig zur inhaltlichen Strukturierung eingesetzt werden, und drittens durch die Verknüpfung von Apparat und ediertem Text über die manuskriptinterne Paginierung. –––––––—

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Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Printausgabe des Textes. Generiert wird diese Printversion aus einer XML-TEI-Codierung des transkribierten Textes (via XSLT und LaTeX). Die digitalisierten Daten sollen langfristig verfügbar gemacht werden; ob in rudimentärer Form in einem digitalen Repositorium oder im Rahmen einer umfangreicheren digitalen Edition, ist zu diesem Zeitpunkt des Projektes noch nicht endgültig entschieden. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle von der Besprechung der TEI-Auszeichnung sowie einer Diskussion der digitalen Präsentationsmöglichkeiten abgesehen.

Das Studienheft als Dokumententyp und Editionsgegenstand

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Abb. 1: Beispielseite edierter Text.

Gewählt wurde eine klassische Form des Einzelstellenapparates, der räumlich vom edierten Text getrennt ist. Die Zusammenfassung der Einträge zu Blöcken richtet sich dabei nach den Manuskriptseiten, das heißt die textgenetischen Informationen zu den ausgewiesenen Stellen finden sich jeweils gebündelt zur der jeweiligen Seite der Handschrift, die im edierten Text mit der Angabe des Seitenwechsels markiert wird.

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Matthias Grüne

Erst an zweiter Stelle werden die Lemmata auch über eine auf den Drucksatz bezogene Seiten- und Zeilenangabe referenziert. Die Orientierung an den Manuskriptseiten bietet die Möglichkeit für die deskriptive Ergänzung weiterer Informationen zum Dokument. Dazu gehören vor allem Angaben über die Bearbeitungsspuren von fremder Hand, die sich auf vielen Seiten finden. Sie stammen wahrscheinlich von Moritz Heydrich, der Teile des Nachlasses publiziert und dafür die Hefte durchsieht, und von Adolf Stern, dem Herausgeber der ersten eigenständigen (Teil-)Edition der Romanstudien, und beschränken sich größtenteils auf kleine Markierungsstriche mit Bleistift und Rotstift am Textrand. Die Wiedergabe dieser Bearbeitungsspuren im edierten Text würde die Aufmerksamkeit des Lesers unverhältnismäßig stark von den Textzusammenhängen und -inhalten ablenken, ihre deskriptive Darstellung im Apparat, gebündelt zu jeder Manuskriptseite, hat sich hier als der geeignetere Weg erwiesen.

Abb. 2: Beispielseite Apparat.

Der Verzicht auf die Einblendung textgenetischer Informationen im edierten Text bedeutet nicht, dass dem Leser ein in jeder Hinsicht sauberes Schriftbild präsentiert wird, das den privaten Charakter der Studien überdeckt und den irreführenden Eindruck eines druckfertigen Textes erweckt. Syntaktische Unsauberkeiten, fehlerhafte Schreibungen oder abgebrochene Sätze werden grundsätzlich nicht korrigiert. Zudem setzt die Edition bei der Verknüpfung von Apparat und Text auf ein

Das Studienheft als Dokumententyp und Editionsgegenstand

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Prinzip, das eine kontinuierliche Lektüre kaum behindert und dennoch korrigierte Passagen als solche ausweist. Dazu werden Textstellen, die aus Korrekturen hervorgegangen sind, mit Ansatzmarken – dezenten eckigen Klammern – markiert.39 Die Beschreibung der Korrekturvorgänge, der Streichungen, Überschreibungen oder Hinzufügungen, erfolgt dann räumlich gesondert im Apparat. Die Ansatzmarken erleichtern den gezielten Zugriff auf diesen, funktionieren aber gleichzeitig auch als Widerhaken für die Lektüre und rufen auf diese Weise in Erinnerung, dass das zugrundeliegende Dokument keineswegs die glatte Oberfläche eines gedruckten Textes hat, sondern Spuren des Arbeits- und Schreibprozesses erkennen lässt. Auf weitere Details in der Umsetzung von Dokumenteigenschaften, auf den Umgang etwa mit Formen der Auszeichnung durch Schriftwechsel oder Unterstreichung, soll in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden. Wichtiger war es, zu zeigen, dass Dokumentennähe in der Edition nicht zwangsläufig auf eine umfassende Materialschau hinauslaufen muss, dass ferner auch traditionelle editorische Mittel und nicht nur die erweiterten Darstellungsformen der digitalen beziehungsweise hybriden Edition dazu geeignet sind, dem Rezipienten und Nutzer die Qualitäten der edierten Dokumente zu vermitteln. Voraussetzung ist immer die sorgfältige Analyse der spezifischen Relationen zwischen Material und verbalsprachlichem Text, in deren Rahmen sich auch der Einbezug dokumententypologischer Überlegungen als fruchtbar erweisen kann.

 

 

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Ein ähnliches Verfahren der Verbindung zwischen Lesetext und kritisch-genetischem Apparat wird in der Wiener Ausgabe Ödön von Horváths angewandt. Ödön von Horváth: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke. Historisch-kritische Edition, am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek hrsg. von Klaus Kastberger. Berlin et al. 2009–2011.

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Literaturverzeichnis Bohr, Jörn: Kolleghefte, Kollegnachschriften und Protokolle. Probleme und Aufgaben der philosophischen Edition. Berlin, Boston 2019 (Beihefte zu editio. 44) Buckland, Michael K.: What Is a “Document”? In: Journal of the American Society for Information Science 48 (1997) Heft 9, S. 804–809 Ehlers, Klaas-Hinrich: Raumverhalten auf dem Papier. Der Untergang eines komplexen Zeichensystems dargestellt an Briefstellern des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 32 (2004) Heft 1, S. 1–31 Frühwald, Wolfgang / Mähl, Hans-Joachim / Müller-Seidel, Walter (Hrsg.): Probleme der Brief-Edition. Boppard 1977 Grüne, Matthias: Realistische Narratologie. Otto Ludwigs „Romanstudien“ im Kontext einer Geschichte der Erzähltheorie. Berlin, Boston 2018 Hebbel, Friedrich: Tagebücher. Neue historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Monika Ritzer, Bd. 1. Berlin, Boston 2017 Horváth, Ödön von: Wiener Ausgabe sämtlicher Werke. Historisch-kritische Edition, am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek hrsg. von Klaus Kastberger. Berlin et al. 2009ff. Hurlebusch, Klaus: Divergenzen des Schreibens vom Lesen. Besonderheiten der Tagebuchund Briefedition. In: editio 9 (1995), S. 18–36 – „Überrest“ und „Tradition“. Editionsprobleme von Tagebüchern, dargestellt an Klopstocks Arbeitstagebuch. In: Ders., Buchstabe und Geist, Geist und Buchstabe. Arbeiten zur Editionsphilologie. Frankfurt a. M. 2010, S. 43–58 [zuerst in: Michael Werner / Winfried Woesler (Hrsg.): Edition et Manuscrits. Bern et al. 1987, S. 107–123] Kammer, Stephan: Textur. Zum Status literarischer Handschriften. In: Christiane Henkes / Walter Hettche / Gabriele Radecke et al. (Hrsg.): Schrift – Text – Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Tübingen 2003 (Beihefte zu editio. 19), S. 15–25 Keller, Gottfried: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. unter der Leitung von Walter Morgenthaler im Auftrag der Stiftung Historisch-Kritische Gottfried KellerAusgabe, Bd. 16.1 (Studienbücher) und 16.2 (Notizbücher). Hrsg. von Walter Morgenthaler, Thomas Binder, Peter Villwock et al., Basel 2001 Kraft, Herbert: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978 – Editionsphilologie. Frankfurt a. M. et al. ²2001 Martens, Gunter: Textdynamik und Edition. Überlegungen zur Bedeutung und Darstellung variierender Textstufen. In: Gunter Martens / Hans Zeller (Hrsg.), Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 165–201 Morgenthaler, Walter: Gottfried Kellers Studienbücher – elektronisch ediert. In: Zeitschrift für Computerphilologie 1 (1999), S. 91–100 [http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg03/ morgenthaler2.html] (letzter Zugriff: 12. Mai 2019) Nutt-Kofoth, Rüdiger: Textgenese. Überlegungen zu Funktion und Perspektive eines editorischen Aufgabengebiets. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 37 (2005), S. 97–122

Das Studienheft als Dokumententyp und Editionsgegenstand

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Radecke, Gabriele: Notizbuch-Editionen. Zum philologischen Konzept der Genetisch-kritischen und kommentierten Hybrid-Edition von Theodor Fontanes Notizbüchern. In: editio 27 (2013), S. 149–172 Reuß, Roland: Schicksal der Handschrift, Schicksal der Druckschrift. Notizen zur ,Textgenese‘. In: TEXT. Kritische Beiträge 5 (1999), S. 1–25 – Text, Entwurf, Werk. In: TEXT. Kritische Beiträge 10 (2005), S. 1–12 Röcken, Per: Was ist – aus editorischer Sicht – Materialität? Versuch einer Explikation des Ausdrucks und einer sachlichen Klärung. In: editio 22 (2008), S. 22–46 Rockenberger, Annika / Röcken, Per: Wie ,bedeutet‘ ein ,material text‘? In: Wolfgang Lukas / Rüdiger Nutt-Kofoth / Madleen Podewski (Hrsg.): Text – Material – Medium. Zur Relevanz editorischer Dokumentationen für die literaturwissenschaftliche Interpretation. Berlin, Boston 2014 (Beihefte zu editio. 37), S. 25–51 Roloff, Hans-Gert (Hrsg.): Wissenschaftliche Briefeditionen und ihre Probleme. Berlin 1998 Shillingsburg, Peter L.: Text as Matter, Concept, and Action. In: Studies in Bibliography 44 (1991), S. 31–82 Woesler, Winfried: Der Brief als Dokument. In: Wolfgang Frühwald / Hans-Joachim Mähl / Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Probleme der Brief-Edition. Boppard 1977, S. 41–59 Wollenberg, Friedrich Wilhelm: Zur genetischen Darstellung innerhandschriftlicher Varianten. In: Gunter Martens / Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 251–272

   

Sien De Groot

Byzantine Book-Epigrams: From Manuscript to Edition

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Καὶ τήνδ᾿οὐρανίοις σοφίης πολυφράδμονα βίβλον. ἣν διονύσιος ἡρμόσατο πραπίδεσσιν ἑῆσι, κτήσατ᾿ἀλιτρὸς ἐν θύταισι, γρηγόριος προυσαεύς : 1 And this very eloquent book of heavenly wisdom, which Dionysius has composed with his mind, the sinful one under priests has acquired, Gregory of Prousa.2

This short colophon epigram, originating from a fifteenth-century Greek manuscript3, lays out some problems that are still challenging textual scholars today, because they lie at the very heart of how we understand scientific editing. This, for instance, is illustrated by the way in which the poet uses the word βίβλος (‘book’). It is the object both of the verb ἡρμόσατο (‘he has composed’ – v. 2), as well as the verb (ὲ)κτήσατ(ο) (‘he has acquired’ – v. 3). The first verb ἁρμόζω refers to the intellectual activity of composing something in an orderly fashion. The emphasis on the intellectual aspect is further reinforced by the presence of the words ‘πραπίδεσσιν ἑῆσι’ (‘in / with his mind’). In other words, the word ‘book’ here denotes, in the terminology of Matthew Driscoll, the ‘work’: the abstract idea(l) that lies behind every material manifestation.4 On the other hand, ‘book’ as used in the third verse refers to the material copy we have at hand. It designates the very manuscript that was paid for by Gregory of Prousa. This is what Driscoll called the ‘artefact’, i.e. the material object on which a text is inscribed, in this case a manuscript.5 –––––––—

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This text is a diplomatic transcription of the epigram as it is found in the manuscript. A full edition of this epigram, as well as two other book epigrams preserved in the same manuscript, is in preparation. Translation is mine. El Escorial, Real Biblioteca Σ.ΙΙΙ.10. The manuscript contains all the works of Ps.-Dionysius the Areopagite, accompanied by a commentary by George Pachymeres: see Revilla, Alejo. (1936). Catálogo de los Códices Griegos de la Biblioteca de El Escorial (Vol. 1). Madrid: Imprenta Helénica, pp. 360–364. The epigram is situated on f. 219v, after the works of Ps.-Dionysius. Driscoll, Matthew (2010). The words on the page: Thoughts on philology, old and new, Creating the medieval saga: Versions, variability, and editorial interpretations of Old Norse saga literature, ed. Judy Quinn & Emily Lethbridge (Odense 2010), pp. 85–102, pp. 93–94. Driscoll 2010, pp. 94–95. Alternatively, we could also use the term ‘document’ here, defined by Kelemen, Erick. (2009). Textual Editing and Criticism: an Introduction. New York: W.W. Norton & Co, p. 11 as “[…] the actual object held before our eyes as we read, whether a manuscript, a printed book, or a file displayed on a computer screen.”

https://doi.org/10.1515/9783110692631-004

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Thus, the given text is an interesting testimony of how a Byzantine author might think about one of the questions that lies at the heart of the Wuppertal conference and seminar: how do document and text relate to each other? Apparently, the poet did not experience it as problematic to use one word to refer to both the concept of work and the artefact, although he senses that there is a distinction between the two, as is seen through the use of the verbs. The fact that this idea is expressed in a book epigram makes it even more interesting, as this genre is characterised by its close connection to the very artefact on which the texts are inscribed. This paper will focus on Byzantine book epigrams and demonstrate how deeply they are rooted in the materiality of the manuscript. This will lead us to a discussion of the difficulties that are connected to editing them. The paper will connect these issues to the larger picture of unstable transmission of medieval texts in general.

1. What are Byzantine book epigrams? 1.1 The Byzantine period Before we dive into the main topic of this article, we should first set out what exactly ‘Byzantine book epigrams’ are. Let us start with the first part. The Byzantine period can be dated between the fourth century (or the period between 324 and 330 – the foundation of Constantinople by Constantine) and the fifteenth century (or 1453 – the conquest of Constantinople by Mehmed II).6 However, the conquest of Constantinople by Sultan Mehmed II did not cut off all Byzantine intellectual life. Many intellectuals emigrated to Italy, taking with them Greek manuscripts and thus also transferring their knowledge of Greek literature. Some of these scholars sent out missions to Constantinople or other areas of the former Byzantine empire with the explicit aim to bring back manuscripts. A famous example is Bessarion, who actively collected a library of Greek manuscripts through his connection with people who had fled from Constantinople.7 These codices were further copied by hand in the West, but ultimately also formed the basis of the first printed versions of many classical and medieval Greek texts.8 In other words, although the Byzantine period as such was over, the second half of the fifteenth and the sixteenth century were crucial for the transmission of ancient Greek and Byzantine texts. –––––––—

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See, for example, Hunger, Herbert. (1989). Schreiben und Lesen in Byzanz: die byzantinische Buchkultur. München: Beck, p. 17: „Da wir die rund 1100 Jahre zwischen der Neugründung Konstantinopels durch Konstatin der Großen (324–330) und der Eroberung der byzantinischen Hauptstadt durch die Osmanen (1453) als die Epoche des Byzantinischen Reiches ansehen, […].“ See also Mango, Cyril. (1980). Byzantium: the empire of New Rome. London: Phoenix, p. 1: “The Byzantine Empire, as defined by the majority of historians, is said to have come into being when the city of Constantinople, the New Rome, was founded in 324 AD, and to have ended when that same city fell to the Ottoman Turks in 1453.” Hunger gives a more elaborate overview of intellectuals who collected Greek manuscripts: see Hunger 1989, pp. 138–141. Hunger 1989, pp. 139–140.

Byzantine Book-Epigrams: From Manuscript to Edition

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The Database of Byzantine Book Epigrams (henceforth DBBE) sets forward as theoretical boundaries for its texts the period 500–1500 CE. In practice, only a few manuscripts containing book epigrams appear before the ninth century. This can at least partially be explained by the fact that we have in general not inherited many manuscripts from this period9: many of these old majuscule codices have simply not survived the centuries. Thus, we only have a partial view of early Byzantine book production. On the other end of the spectrum, manuscript production did not immediately cease to exist after the invention of the printing press. Both techniques coexisted for quite some time: even in the nineteenth century, handwritten codices were still being produced. However, since the situation was clearly different from the sixteenth century onwards, as the Byzantine government ceased to exist and manuscript production soon became secondary to printed production, we limit the scope of our research to the Byzantine period in se. Although the Byzantine empire was a multi-lingual area, we will concentrate our discussion on Greek. It was the official language of the administration, as well as the main literary language of individuals close to the emperor. In conclusion, when I refer to ‘Byzantine’ book epigrams, this must be understood to be a synonym of ‘medieval Greek’ book epigrams that can be found in manuscripts produced between the fourth and the fifteenth centuries. 1.2 Book epigrams Throughout this period, book epigrams are omnipresent. It has been estimated that about 10% of all Byzantine manuscripts contain at least one book epigram.10 But what are these texts? Athanasios Kominis is the first modern scholar11 to mention the existence of “epigrams in books and on books” (“τὰ ἐν βίβλοις καὶ εἰς βίβλους (…) ἐπιγράμματα”).12 The term is also used without much explanation by Alan Cameron in his conclusions on the Greek anthology.13 But it was Marc Lauxtermann who first theorised the concept in his book about the history of the Byzantine epigram. He –––––––— 9

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At this moment, DBBE contains 39 manuscripts that predate the year 900, with a total of 4143 manuscripts. See “Database of Byzantine Book Epigrams” last accessed 30 September 2019, through: http://www.dbbe.ugent.be/. See Hunger 1989, p. 19 for a description of the most important codices of the early Byzantine period. Hunger 1989, p. 43 estimates that we have about 30 000 extant Greek manuscripts. If we know that DBBE today contains texts from more than 4000 manuscripts, we can deduce that about 13% of Byzantine manuscripts had book epigrams. See also Bernard, Floris, & Demoen, Kristoffel. (2012). Byzantine Book Epigrams from Manuscripts to a Digital Database. In C. Clivaz, J. Meizoz, F. Vallotton, & J. Verheyden (Eds.), From Ancient Manuscripts to the Digital Era : Readings and Literacies, Proceedings. Lausanne: PPUR, pp. 431–432, who base their estimation on a total number of 40 000 surviving Byzantine manuscripts. Byzantine authors knew the concept already, as is obvious from the Bibliotheca of Photius (ninth century), who quotes a book epigram on Lucian and calls it ‘τὸ τῆς βίβλου ἐπίγραμμα’, or, literally, ‘the epigram of the book’. See Photius, Bibl. 128.96b, edited by Henry 1960, p. 103. Kominis 1966, p. 38. Cameron, Alan. (1993). The Greek Anthology. From Meleager to Planudes. Oxford: Clarendon Press, p. 333.

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defines it as follows: “Book epigrams are poems that are intimately related to the production of literary texts and manuscripts”.14 In other words, book epigrams are metrical texts that have a close relationship with either the material production of the manuscript, or the content of the text. Epigrams of the first type are, for example, metrical colophons, in which the scribe tells us about the circumstances in which he wrote the manuscript. This might include the date and the place of production, how long it took him to make the copy, etc. On the other end of the spectrum, we find epigrams that are connected to the content of the texts, or praise the author of the main texts.15 In some cases, epigrams give a detailed summary of a certain text. An example occurs in some manuscripts of the Ladder of John Klimax: a long book epigram (226 verses!) summarises each chapter of the text in six verses.16 This poem, however, is quite exceptional: in the majority of cases, the epigrams focus on an important topic of the main text, which they do not fully develop.17 Book epigrams were previously scattered over different types of publications, such as manuscript catalogues, articles and books, where they were never treated in a systematic way. Over the last decade, however, these texts have been collected in the Database of Byzantine Book Epigrams, an ongoing project hosted at Ghent University.18 At this moment (30 September 2019) DBBE contains 10 756 unique occurrences from 4143 manuscripts (cfr. infra).

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Lauxtermann, Marc D. (2003). Byzantine Poetry from Pisides to Geometres. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, p. 197. This distinction is, however, not always clear cut: some book epigrams refer both to the content of the book and to the production of the manuscript. See example (1). The poem is edited and translated into English in Meesters, Renaat, & Ricceri, Rachele. (2018). A 12th century cycle of four poems on John Klimax: Editio princeps. In A. Rhoby & N. Zagklas (Eds.), Middle and Late Byzantine Poetry. Text and Context. Turnhout: Brepols, pp. 322–343. See example (3) for an example of this. The Database of Byzantine Book Epigrams is freely accessible through this link: http://www.dbbe. ugent.be/. More information on book epigrams can be found in numerous articles and book chapters published by DBBE team members. A small selection: Bentein, Klaas, Bernard, Floris, De Groote, Marc, & Demoen, Kristoffel. (2009). Book Epigrams in Honor of the Church Fathers. Some Inedita from the Eleventh Century. Greek, Roman and Byzantine Studies, 42, 14; Bentein, Klaas, Bernard, Floris, Demoen, Kristoffel, & De Groote, Marc. (2010). New Testament Book Epigrams. Some New Evidence from the Eleventh Century. Byzantinische Zeitschrift, 103, 9; Bernard and Demoen 2012; Bernard, Floris, & Demoen, Kristoffel. (2019). Book Epigrams. In W. Hörandner, A. Rhoby, & N. Zagklas (Eds.), A Companion to Byzantine Poetry (pp. 404–429). Leiden, Boston: Brill; Bértola, Julián. (2018). Book epigrams bizantinos sobre novelas griegas antiguas. Anales de Filología Clásica, 31, 25–36; Boeten, Julie, & De Groot, Sien. (2019). The Byzantine Antiquarian: a Case Study of a Compiled Colophon. Byzantinische Zeitschrift, 112, 31–46; Demoen, Kristoffel. (2019). Literary Epigrams on Authors, Texts and Books. In M. Kanellou, I. Petrovic, & C. Carey (Eds.), Greek Literary Epigram from the Hellenistic to the early Byzantine Era (pp. 66–82). Oxford: Oxford University Press; Meesters and Ricceri 2018; Tomadaki, Maria. (2018). An unpublished poem on Porphyry. Byzantinische Zeitschrift, 111 (3), 777–792; Tomadaki, Maria, & Van Opstall, Emilie. (2019). The Tragedians from a Byzantine Perspective: Book Epigrams on Aeschylus, Sophocles and Euripides. Medioevo greco, 19, 65–92. This is just a selection: an exhaustive list of publications connected to the project can be found on the DBBE about-page, accessible through: http://www.dbbe.ugent.be/about.

Byzantine Book-Epigrams: From Manuscript to Edition

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1.3 Book epigrams as inscriptional texts To be able to fully grasp the concept of the book epigram, we have to situate them within the wider perspective of the Byzantine epigram in general. As opposed to our modern conception of ‘epigram’, which is, for example, based on ancient Latin epigrams of authors such as Martial, the Byzantine epigram is not necessarily a short and witty poem, ending in a pointe.19 As is described by Lauxtermann, the Byzantine understanding of the word ‘epigram’ was very much in line with its etymological origin.20 The Greek word ‘ἐπίγραμμα’ (epigram) is related to the Greek verb ἐπιγράφω: to write upon (something). In other words, the inscriptional nature of epigrams is essential. This is clear from evidence from the Byzantine period: in contrast to our modern habits, Byzantines inscribed metrical texts on a wide variety of surfaces. Poetry, to the Byzantine mind, was not confined to the book. Paul Magdalino, for example, stated that the Byzantines have a so-called ‘epigrammatic habit’: The other factor that predisposed Byzantine writers to break into verse was the ubiquity of what we might call the epigrammatic habit: the practice of inscribing verses, usually in the ‘pure iambs’ of rhythmic dodecasyllables, on works of art both great and small, and in the prefaces to numerous books. 21

The observation that Byzantines were so eager to furnish objects with epigrams lay at the basis of the work of Andreas Rhoby, Wolfram Hörandner and others.22 They have published four volumes of Byzantine epigrams that were written down on objects as –––––––— 19 20

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Lauxtermann 2003, pp. 22–23. Lauxtermann 2003, pp. 26–30. See, for example, the lemma ἐπίγραμμα in the tenth century Byzantine Suda-lexicon Suda, 2270, edited by Adler 1931, p. 352: “Ἐπίγραμμα: πάντα τὰ ἐπιγραφόμενά τισι, κἂν μὴ ἐν μέτροις εἰρημένα, ἐπιγράμματα λέγεται.” (“Epigram: everything that is written on something, even if it is not said in metre, is called epigram” – translation is mine). In practice, however, we see that texts that are called ‘epigrams’ by Byzantines are actually always metrical. Therefore, when modern scholars define the Byzantine epigram, metre is a distinctive characteristic. Magdalino, Paul. (2012). Cultural Change? The Context of Byzantine Poetry from Geometres to Prodromos. In F. Bernard & K. Demoen (Eds.), Poetry and its Contexts in Eleventh-century Byzantium. Farnham: Ashgate, p. 32. See Hörandner, Wolfram. (2003). Byzantinische Epigramme in inschriftlicher Überlieferung. In W. Hörandner & M. Grünbart (Eds.), L’épistolographie et la poésie épigrammatique : projets actuels et questions de méthodologie. Paris: Centre d’études byzantines, néo-helléniques et sud-est européennes for an introduction to the project, the results of which are to be found in the four volumes edited by Andreas Rhoby: Rhoby, Andreas. (2009). Byzantinische Epigramme auf Fresken und Mosaiken. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Rhoby, Andreas. (2010). Byzantinische Epigramme auf Ikonen und Objekten der Kleinkunst. Nebst Addenda zu Band I „Byzantinische Epigramme auf Fresken und Mosaiken“. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Rhoby, Andreas. (2014). Byzantinische Epigramme auf Stein. Nebst Addenda zu den Bänden 1 und 2. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Rhoby, Andreas. (2018). Ausgewählte Byzantinische Epigramme in illuminierten Handschriften. Verse und ihre „inschriftliche“ Verwendung in Codices des 9. bis 15. Jahrhunderts. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Some observations on the function of inscriptional epigrams in Byzantium are brought together in the proceedings of a conference held in Vienna in 2006: Hörandner, Wolfram, & Rhoby, Andreas (Eds.). (2008). Die kulturhistorische Bedeutung byzantinischer Epigramme. Akten des internationalen Workshop. (Wien, 1.–2. Dezember 2006). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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different as jewels, frescoes, mosaics, monuments, small objects of art, etc.23 The last volume in the series is devoted to epigrams that are inscribed in illuminated manuscripts: this partially overlaps with what DBBE would call ‘image related epigrams’ but it is broader: for example, epigrams that are written on or around non-figurative illuminations are also adopted, as well as epigrams that form part of the decoration itself.24 This indicates that book epigrams belong to the category of inscriptional epigrams. This is also true for epigrams that are not related to the decoration of a manuscript. As any other object, a book could be adorned with an inscription that described it or praised its patron. Another element that points in this direction is the fact that many book epigrams are written in a way that sets them apart from other manuscript texts. It is not a coincidence that a well-known script for these epigrams is named Epigraphische Auszeichnungsmajuskel25, as it was adopted from inscriptional texts on stone.26 This further reinforces the connection between book epigrams and other types of inscriptional epigrams.27 I will give one example of an inscriptional epigram, in order to underscore the similarity with book epigrams. The epigram cited below was inscribed in a mosaic on the Hagia Sophia church in Constantinople during the eleventh century. Today, it is no longer preserved in situ, but the epigram is known to us through manuscripts.28 (2)

Καὶ τήνδ΄οὐρανίην ἁψῖδα χρόνῳ μογεύουσαν Ῥωμανὸς ἥδρασεν ὀλβιόδωρος ἄναξ, ὃς καὶ χρυσοῦ πεντήκοντα τάλαντα θεοῖο ὑμνοπόλοισι νέμειν πρόσθετο εὐσεβέως.

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Rhoby 2009, 2010, 2014, 2018. Rhoby 2018, p. 40. The term was coined by Herbert Hunger: see Hunger, Herbert. (1977a). Epigraphische Auszeichnungsmajuskel. Beitrag zu einem bisher kaum beachteten Kapitel der griechischen Paläographie. Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik, 26, p. 195; Hunger, Herbert. (1977b). Minuskel und Auszeichnungsschriften im 10.–12. Jahrhundert. In La Paléographie grecque et byzantine. Paris: Editions du Centre National de la Recherche Scientifique, p. 207; Hunger 1989, p. 116. See Hunger 1977b, p. 207: „Eine dritte Auszeichnungs-Majuskel hat ihr Alphabet eindeutig aus den byzantinischen Inschriften bezogen.“ See also Hunger 1977a, p. 195: „Epigraphische Auszeichnungsmajuskel: Das Alphabet dieser Auszeichnungsmajuskel stammt zweifellos aus den Inschriften, worauf sich die von mir vorgeschlagene Bezeichnung gründet.“ Hunger also mentions other common aspects of inscriptional scripts and the epigraphische Auszeichnungsmajuskel, such as the use of specific abbreviations: see Hunger 1977a, pp. 201–203. See for example Rhoby 2018, p. 55: „Bei diesen Auszeichnungsschriften handelt es sich um Majuskeln, von denen wiederum die sogenannte epigraphische Auszeichnungsmajuskel hervorsticht, da viele Epigrammtexte – wie bereits ausgefürt – tatsächlich wie eine ,Inschrift‘ fungieren.“ See also Rhoby 2018, p. 56: „Dass sie [sc. Epigraphische Auszeichnungsmajuskel] hierbei am häufigsten vorkommt, spricht für die Absicht der Schreiber, den Texten eine ,inschriftliche‘ Funktion zuzuweisen.“ Rhoby 2009, p. 402.

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Und diesen durch die Zeit leidenden himmlischen Bogen hat der glückspendende Herrscher Romanos befestigt, der auch in frommer Weise dafür stimmte, fünfzig Talente göttlichen Goldes den Hymnensängern zuzuteilen.29 The similarity with the colophon epigram of the Escorial-manuscript cited at the beginning of this article (example (1)) is striking, even on a lexical level. Book epigrams and inscriptional epigrams on other objects share some functions, e.g., in this case, introducing the person who is responsible for the creation of the object by paying for it. In studying inscriptional epigrams, the wider context of the object must be acknowledged and examined in combination with the text. The relationship between text and object is essential for the understanding of the epigram and defines its very function.30 The fact that book epigrams are also inscriptional epigrams, implies that the same is true for their study. Their very function depends on the place in which they are transmitted, and they should be studied within the context in which they are transmitted. It was quite common for Byzantines to separate epigrams from their original context and collect them in an anthology, which could either be preserved in a manuscript of miscellaneous content among other, non-poetic texts31, or, in case of a larger collection, in a complete manuscript. One of the most famous examples of this is the so-called Anthologia Palatina, which was collected in the tenth century and preserves both ancient and early Byzantine poems. Some of these poems serve as book epigrams in other manuscripts: as such, we have testimonies of both their in situ and their literary transmission. In other cases, we are not so lucky: some epigrams have characteristics and/or titles that point them out as being book epigrams, but they do not occur in situ. We call these poems ‘potential book epigrams’ because, as they lack the most important criterion of book epigrams, namely being connected to a certain text or a certain manuscript, they cannot be considered to be full book epigrams.32

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Text and translation are cited from Rhoby 2009, pp. 401–402. Emphasis is mine. Rhoby, Andreas. (2008b). Thematische Einführung. In W. Hörandner & A. Rhoby (Eds.), Die kulturhistorische Bedeutung Byzantinischer Epigramme. Akten des internationalen Workshop. (Wien, 1.–2. Dezember 2006). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, p. 15. An example is the codex Par. Gr. 1630 (fourteenth century), which contains a mixture of prose and poetic texts, some of which are to be classified as epigrams. On the manuscript, see Pérez Martín, Inmaculada. (2011). Les Kephalaia de Chariton des Hodèges (Paris, BnF, gr. 1630). In P. Van Deun & C. Macé (Eds.), Encyclopedic Trends in Byzantium? Proceedings of the International Conference held in Leuven, 6–8 May 2009. Leuven: Peeters, p. 361: “Le manuscrit est un recueil, d’ailleurs assez connu, contenant des séries de petites pièces en vers ou en prose, des sentences et des apophthegmes, des épigrammes, des lexiques, des questions et réponses (ἐρωταποκρίσεις) et des extraits touchant divers sujets, à savoir, pour utiliser des catégories contemporaines, les sciences naturelles, la médecine, la géographie et l’histoire, le calcul, la grammaire, l’éthique, la religion et la liturgie.” Of course, it is quite possible that in some of these cases, the epigrams actually did have an in situ transmission history which is simply invisible to us because the manuscripts have been lost.

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1.4 Book epigrams as paratexts But there is a fundamental difference between book epigrams and other types of inscriptional epigrams, namely the fact that book epigrams are transmitted in manuscripts or, in other words, in a primarily textual environment. As a consequence, as opposed to epigrams transmitted on other objects, they interact with surrounding texts. Therefore, another concept that lies at the heart of how we understand book epigrams is their so-called paratextuality. The concept of paratext was defined by Gérard Genette.33 Genette focused his argument on modern printed books, of which the production process is usually fully in the hands of the author and his companions.34 The concept was, later on, also applied to ancient and medieval manuscript books, for which this is hardly ever the case: especially when it comes to classical texts, manuscripts written by or in collaboration with the author are as good as nonexistent. The same holds true for early Byzantine texts, while for later periods, we have somewhat more autograph manuscripts.35 In any case, it is clear that the publication setting intended by Genette is not to be found in ancient or medieval times. Despite this fact, scholars working on premodern periods have adopted the term ‘paratext’ in relation to different phenomena in the manuscript. Patrick Andrist takes important steps in further building a theory about paratexts in premodern books.36 In his view, the concept presupposes a relationship of dependence of either another text in the book, or the book as such.37 When we are dealing with ‘peritext’, i.e. paratext contained in the same volume as the main texts,38 the reader sees both primary and secondary content at once, although both categories are in most cases clearly separated from each other. In other words, the presence of paratexts on a manuscript page creates an interaction between the main content and other pieces of content, which may comment on the main text or give extra explanation for it. For example, scholia that comment on the main text were usually written in the margins of the manuscript page, and thus spatially separated from the main text. Another device to set apart paratexts is the use of a different colour of ink. Titles and pinakes (i.e. tables of content) were often copied in red ink instead of the usual brown or black ink. As we have mentioned before, this applies to book epigrams as well: they were often written in epigraphische Auszeichnungsmajuskel, while the main text was written in a minuscule script. As is clear from the definition of Marc Lauxtermann cited above, book epigrams can, in this respect, be divided into two groups. Some of them are dependent on the main text: these are the so-called text-related epigrams. Others are dependent on the –––––––— 33 34 35 36

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See Genette, Gérard. (1987). Seuils. Paris: Editions du Seuil, p. 7: “Le paratexte est donc pour nous ce par quoi un texte se fait livre et se propose comme tel à ses lecteurs, et plus généralement au public.” Genette 1987, pp. 7–9. Hunger 1989, pp. 109–110. Andrist, Patrick. (2018). Toward a Definition of Paratexts and Paratextuality: The Case of Ancient Greek Manuscripts. In L. I. Lied & M. Maniaci (Eds.), Bible as Notepad. Tracing Annotations and Annotation Practices in Late Antique and Medieval Biblical Manuscripts (pp. 130–149). Berlin, Boston: De Gruyter. Andrist 2018, p. 146. Genette 1987, pp. 10–11.

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codex as a whole and on its production: these are, for example, scribe-related or patron-related epigrams. Based on these observations, we could further refine the definition of a book epigram. It is a metrical text that is defined by a double dependence. On the one hand, since it is an inscriptional epigram, it is related to the very object on which it is described, being the (material) book. On the other hand, it is dependent on one or several items of content within the manuscript book, or on the production of this book.

2. The Transmission of Book Epigrams in Byzantine Manuscripts In his contribution to the volume on the cultural significance of Byzantine epigrams, Andreas Rhoby divides inscriptional epigrams into three categories:39 – – –

Epigrams that were made for a specific object; ‘Standardised’ epigrams that occur on (many) different objects; Poems that were originally part of literary collections and were then re-used as inscriptional epigrams.40

Mutatis mutandis, the same can be said of book epigrams. The category to which they belong has an impact on their transmission history. I will focus here on the first two categories, since these texts are originally intended as book epigrams. Book epigrams that were composed for a single codex are mostly only transmitted in that single codex.41 In other words, the text of these epigrams is very much bound to this single manuscript. For book epigrams of the second category, the situation is more complicated. In some cases, these epigrams were ‘standardised’ in the true meaning of the word, that is: they have a standard text that was copied from one manuscript to another, without much change. This is, for example, the case for text-related book epigrams connected to popular texts. A good example can be found in the Byzantine manuscript tradition of Pseudo-Dionysius the Areopagite, a late fifth or early sixth century corpus of theological writings, consisting of four treatises and a set of ten Epistles. Each of the texts has an epigram which is traditionally connected to the text.42 These texts had a wide transmission throughout the Byzantine millennium: today, 137 so-called corpus –––––––— 39

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Rhoby, Andreas. (2008a). Die auf Fresken und Mosaiken überlieferten byzantinischen Epigramme. Einige grundsätzliche Überlegungen. Akten des internationalen Workshop. (Wien, 1.–2. Dezember 2006). In W. Hörandner & A. Rhoby (Eds.), Die kulturhistorische Bedeutung byzantinischer Epigramme. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, p. 94. In fact, Wolfram Hörandner lay at the basis of this division: see Hörandner 2003, pp. 157–158. It can be noted here that the opposite could also be true: epigrams that were originally inscriptional epigrams could be adopted into literary collections (cf. above). Examples are known, however, in which these epigrams were transmitted into copies of this original codex. In the case of colophon epigrams, this might cause problems, as the date was sometimes copied without adapting it to the new context. The same holds true for names of scribes. In other words, these epigrams might be misleading when dating a certain codex. The Epistles are presented as one text and have, as a consequence, only one epigram.

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manuscripts are extant, or, in other words, manuscripts that transmit the entire corpus: these are the so-called corpus-manuscripts.43 The traditional book epigrams occur in quite a large proportion of these manuscripts.44 I will quote just one example to give an idea what these epigrams look like: (3)

Σύμβολα θεσπεσίων ἱερῶν ἑνοειδέϊ μύθῳ εἰς ἑνικὴν ἀνέλυσας ἑνὸς φάεος μίαν αἴγλην.45 The symbols of the divinely-speaking holy men You have resolved with a single word to the one singular splendour of the one light.46

This epigram is connected to the work De Ecclesiastica Hierarchia. As the title indicates, this treatise deals with the structure of the Church and the hierarchies of people involved in it. It also explores how these earthly ranks are connected to heavenly creatures, and how the heavenly hierarchies are reflected in liturgical practices on earth. The core message of the book epigram cited above is centred around the opposition of the manifold appearances on earth and the unity of the divine. These two levels are not completely separated or mutually impenetrable: through the different ranks of the hierarchy, we can achieve knowledge and contemplation of the divine. For this, we might be helped by perceptible images or symbols. It is obvious that the epigram is not a very detailed reflection of the treatise. It selects some aspects which are seen as central and presents them in a poetical way. The emphasis on the words connected to the One is striking: the short epigram contains four words which are derived from εἷς, μίᾰ, ἕν (one). Moreover, the first verse refers to the divine symbols that the hierarchies use to bring us closer to God. As such, the short poem is a small vignette that introduces the treatise and gives a glimpse of what the main text is about. In total, the manuscript tradition of Ps.-Dionysius has five traditional epigrams that are all similar to the example cited above. They are short (two or three verses) and focus on one or two key aspects of the main text which they accompany. In the majority of the manuscript witnesses, these traditional epigrams were written down immediately before or immediately after the beginning of the text to which they belong. Manuscript producers were usually consistent in their choice: in most cases, all of the epigrams occupy the same position (i.e. either before or after the text). Most commonly, the epigrams precede the main texts and are, as such, similar in function and position to other paratexts such as titles and tables of content. In a minority of –––––––— 43 44

45 46

Suchla, Beate Regina. (1990). Corpus Dionysiacum I. Pseudo-Dionysius Areopagita De Divinis Nominibus (Vol. I). Berlin, New York: De Gruyter, pp. 14–32. For example, DBBE type 2385 (see example (3). The text is accessible through: https://dbbe.ugent.be/ types/2385 – last accessed 3 June 2019) has 71 occurrences. If we take into account the possibility that some of these occurrences might be preserved in witnesses other than the listed corpus manuscripts, we could still say that at least half of the complete manuscripts of Ps.-Dionysius contain this epigram. Cited from: https://dbbe.ugent.be/types/2385 – last accessed 3 June 2019. Translation is mine.

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manuscripts, on the other hand, the epigrams follow after their main text. This is, for example, the case in the eleventh-century manuscript Par. gr. 934.47 The epigrams might also occur together on one page, as a small anthology. Some manuscripts of Pseudo-Dionysius contain a folio on which several epigrams are brought together. An example of this can be found in the manuscript München, Bayerische Staatsbibliothek – gr. 636, written around the year 1500.48 F. 4r of this codex contains a collection of seven hexametrical epigrams on Dionysius. The manuscript contains only one work of Ps.-Dionysius, namely De Divinis Nominibus. As discussed above, the epigrams collected on this separate folio have lost their original function as a ‘vignette’ preceding their own main text: only the epigram on De Divinis Nominibus has preserved its connection to the main text. Strictly speaking, they do not function as book epigrams anymore. When we look at the textual history of these epigrams, we notice that the texts are strikingly stable. Variation is limited to orthographical variants and there are almost no cases in which scribes added or omitted words or verses, or even changed words within a verse. In other words, these book epigrams were perceived to be an authoritative part of the textual tradition, which was not to be altered. As a result, we are dealing with a tradition that has many witnesses but a stable text. But other book epigrams were transmitted in a very different way. Especially scribe-related epigrams such as colophons could be transmitted into other witnesses with extensive adaptations. In these cases, scribes felt comfortable to make any change they wanted. Many scribes who finished copying a manuscript would opt for a traditional ‘cliché’ formula, which could then be adapted at will. Marc Lauxtermann cites two of the most famous scribal formulas, which I quote here to give an idea of what such an epigram could look like: (4)

Ἡ μὲν χεὶρ ἡ γράψασα σήπεται τάφῳ γραφὴ δὲ μένει εἰς χρόνους πληρεστάτους. The hand that wrote rots in the grave, but the writing remains till the end of time.49

(5)

Ὥσπερ ξένοι χαίρουσιν ἰδεῖν πατρίδα, οὕτως καὶ οἱ γράφοντες βιβλίου τέλος. Like travellers rejoice upon seeing their homeland, so too do scribes upon reaching the end of the book.50

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49 50

Omont, Henri. (1886). Inventaire sommaire des manuscrits grecs de la Bibliothèque Nationale (Vol. 1). Paris: Imprimerie Burdin, p. 179. Berger, Frederike. (2014). Katalog der griechischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München / 9: Codices graeci Monacenses 575–650: (Handschriften des Supplements). Wiesbaden: Harrassowitz, p. 251. Text and translation are cited from Lauxtermann 2003, p. 200. Text and translation are cited from Lauxtermann 2003, p. 201.

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Let us confront these two texts with the examples of book epigrams which we have seen earlier. One could state that they belong to the same type of epigram as example (1), namely the colophon epigram. However, the difference is obvious: example (1) is written specifically for the Escorial-manuscript, as is clear from the fact that the person who has financed the manuscript is mentioned. This feature is absent from examples (4) and (5): these two formulas are, as it were, depersonalised. The latter examples share with the epigram on Ps.-Dionysius – example (3) – the fact that they had a very wide distribution in Byzantine manuscripts (see below). But while example (3) is clearly based on the texts that surround it, by which it is limited in its scope to manuscripts of Ps.-Dionysius, the two colophon formulas do not have any connection to a specific text. Thus, they could be added to any manuscript, regardless of its content. This is reflected in the many occurrences of these formulaic epigrams in Byzantine codices.51 As a small case study, let us take a closer look at the ἡ χείρ-formula. DBBE currently has about 150 occurrences that derive from this formula. I will give three examples to demonstrate the possible range of variation. (6)

+ ἡ μ(ὲν) χεῖρ ἡ Γράψασα σείπταιτέ τάφο· εἰ δὲ γραφεὶ μενοι, ἠς χρόνους πληρεστάτους.52

This occurrence differs from example (4) in orthography only. It is striking in how many instances the scribe here deviates from the orthographical norm. For example, the word ‘σείπταιτέ’ (= σήπεται) in itself has three orthographical deviations, which can be explained by phonological reasons. Both ει and η were pronounced as /i:/, while both αι and ε were pronounced /e/: as a consequence, orthographical confusion is very common throughout the Byzantine era. An extreme example like this occurrence adds to the hypothesis that this type of formula was not always copied from an exemplar, but rather from memory: the scribe must have had the sound of the formula in his mind, but was not quite certain how to note it down.53

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Several studies have been published which aim to collect and analyse as many occurrences as possible of the formulas. For the ἡ χείρ-epigram, see Garitte, Gérard. (1962). Sur une formule des colophons de manuscrits grecs. In Collectanea vaticana in honorem Anselmi M. Card. Albareda a Bibliotheca Apostolica edita (pp. 359–390). Vatican City: Bibliotheca Apostolica Vaticana and Atsalos, Basileios. (1991). Die Formel Ἡ μὲν χεὶρ ἡ γράψασα… in den griechischen Handschriften. In G. Cavallo (Ed.), Scritture, Libri e Testi nelle Aree Provinciali di Bisanzio: Atti del Seminario di Erice (18–25 Settembre 1988) (pp. 691–750). Spoleto: Centro Italiano di Studi sull’alto Medioevo. The ὥσπερ ξένοι-formula is discussed in Treu, Kurt. (1977). Der Schreiber am Ziel. Zu den Versen Ὥσπερ ξένοι χαίρουσιν… und ähnlichen. In K. Treu (Ed.), Studia Codicologica. Berlin: Akademie-Verlag. Moreover, DBBE aims to collect all witnesses from the Byzantine period. Text is cited from DBBE occurrence 17178 (accessible through: https://dbbe.ugent.be/occurrences/ 17178 – last accessed 4 June 2019). See, for example, Boeten, Julie, & Janse, Mark. (2018). A Cognitive Analysis of Metrical Irregularities in the ‘Ὥσπερ ξένοι’ Book Epigrams. Byzantine and Modern Greek Studies, 42, p. 83.

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In this case, variation is in fact limited. The meaning of the text is not changed and we could say that both manifestations belong to the same ‘work’. The following example, however, is a bit more complex: (7)

χεὶρ μὲν ἡ γράψασα, σήπτεται τάφω: γραφὴ μόνιμος ἐστὶν ἐνθάδε:54 The hand that has written this, rots in the grave, The writing is here in a lasting way.55

We recognise that this occurrence belongs to the same formula as the previous one. The first verse is almost identical; the second verse is similar in meaning but different in wording. Can we still claim that it belongs to the same ‘work’, or has the scribe made his own creation here? There are multiple cases in which the scribe goes even further and adds several verses to the traditional formula, or blends it together with other scribal epigrams. An example: (8)

ἡ χεὶρ μ(ὲν) ἡ γράψασα, σήπεται τάφῳ. θά|λασσ(αν) καὶ γῆν τ(ὴν) ἅπασαν εἰ δράμοις, τάφος, ἄν(θρωπ)ε | τὸ σῶμα σου καλύψει ·.· Γυμνὸς ἐπέβην ἐν | γῇ· γυμνὸς δ' ὑπὸ γαῖ(αν) ἄπειμι· κ(αὶ) τί μάτην μοχθῶ, | γυμν(ὸν) ὁρῶν τὸ τέλος· ὁ κόσμος σκηνή· ὁ βίος, πάροδος | ἦλθ(ες) εἶδες, ἀπῆλθες +56 The hand that has written this rots in a grave. Even if you’d run over the sea and the entire earth, A grave, human, will cover your body. I came on earth naked, naked I will go under the earth. And why should I toil in vain, if I see the naked end? The world is a stage, life is a performance: you came, you saw, you departed.57

In this case, the scribe fitted the first line of the formula into a longer colophon, in which he speaks about the transience of life and his own death. For this purpose, he combines an adapted version of the ἡ χείρ-formula with two texts from other sources: –––––––—

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Text is cited from DBBE occurrence 18425 (accessible through: https://dbbe.ugent.be/occurrences/ 18425 – last accessed 4 June 2019). Translation is mine. Text is cited from DBBE occurrence 21487 (accessible through: https://dbbe.ugent.be/occurrences/ 21487 – last accessed 4 June 2019). Translation is cited from Boeten and De Groot 2019, pp. 34–35. The article discusses the example at length.

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lines 4 and 5 are in fact a literary epigram, whereas lines 6 and 7 are a prose fragment.58 In this case, and in many other book epigrams, the scribe is not just a faithful reproducer of his exemplar, but he creatively composed a new text by rewriting and re-arranging well-known fragments. Even if we can recognise that the three examples above are somehow related and connected to the formula in example (4), we must conclude that these instances form a continuum, by which some are closer to the prototypical formula, whereas others, even though clearly related, are further removed.

3. Editing book epigrams Now that we have discussed what book epigrams are, it is time to move on to the next step: how should we go from the text in the manuscripts to an edition? What should a good edition of book epigrams look like? Let us zoom out for a moment and examine the question from a broader perspective: what should a good edition look like in general? A crucial issue in this respect is the question of editorial involvement: how far should an editor go in intervening in the text? This is closely connected to the aim set forth by the editor for his or her edition: does he or she want to offer a hypothesis for the reconstruction of the authorial text, or rather stick to editing certain historical documents? Since the nineteenth century, scholars have strived to minimise editorial intervention as much as possible. There are two ways to reduce human judgement in making editions. When an editor wishes to go back to the authorial text, the best option is to objectify the process of collating texts and choosing variants. This was the aim of traditional editorial practice for classical texts, based on the work of Karl Lachmann, which was further elaborated and written down by Paul Maas.59 Editors who use digital tools are able to go even one step further, because they let a computer analyse the data and build a stemma, thus further minimising the role of subjective human judgement.60 These methods are often taken over from biology.61 They might also be called ‘cladistics’.62 But criticism has laid bare several problems with Lachmannian editing. First, since a stemmatic approach can only take us back to the level of the archetype, and Lachmannian editors strive to reconstruct the original, the editor is still required to propose emendations and corrections, which presupposes a fair deal of editorial judgement. Second, by making a proposition for a reconstructed original –––––––— 58 59 60

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Boeten & De Groot 2019, pp. 35–37. Maas, Paul. (1927). Textkritik. Leipzig: Teubner. Alternative terms for this type of edition are ‘stemmatic’ or ‘genealogical’ editions: see, for example, Kelemen 2009, p. 83. See, for example, Heikkilä, Tuomas. (2014). The Possibilities and Challenges of Computer-Assisted Stemmatology. The Example of Vita et Miracula S. Symeonis Treverensis. In T. Andrews & C. Macé (Eds.), Analysis of Ancient and Medieval Texts and Manuscripts: Digital Approaches. Turnhout: Brepols, pp. 20–21: “It is no longer necessary for a scholar to choose (more or less subjectively) a selection of variants or readings considered important, and to eliminate a set of manuscripts or textual versions from his or her material, for computers allow us to scrutinize the whole textual tradition.” Heikkilä 2014, pp. 21–23 offers an overview and a discussion of such tools. See Kelemen 2009, pp. 96–102 for a discussion of the theory.

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based on manuscript witnesses, the editor has in fact created a text that has most probably never existed in history. These observations, combined with other criticism, led to a second method of minimising the editorial judgement: to let go of the aim to reconstruct the authorial text, and rather to focus on editing selected witnesses. The advantage of this practice is that the edited text at least has existed in history. An example of this is the so-called best-text approach of Joseph Bédier, whereby the editor chooses the best witness and publishes it with as little intervention as possible.63 While a best-text edition still requires an editor to judge which text is the best version, a diplomatic edition does not: an editor can simply choose to edit a text as it is transmitted in a manuscript that has a certain cultural or historical importance, e.g. because it was the private copy of a certain scholar.64 Throughout the last century, some scholars have criticised the methods discussed above precisely because they underestimate the personal judgements of the editor and have excluded him or her from decisions about the text. A famous example is A. E. Housman, who saw textual criticism not merely as a science, but also an art65: as such, editorial judgement is highly esteemed. The same high esteem of editorial judgement can be found in so-called eclectic editions.66 Let us now return to the topic of this paper. As I hope to have demonstrated, book epigrams constitute a wide array of texts that are quite different in form, content and function. Still, we can formulate some general caveats and requirements for their edition. Firstly, the editor has to deal with the paratextuality of the book epigrams. As we have seen, paratexts are dependent on the main text and lose their true meaning or function when they are separated from it.67 This implies a hierarchical relationship between the main text and the paratext. It is also important to keep in mind that paratexts play a role in communicating the main text to the reader.68 In other words, it is beneficial for the understanding of the main text and essential for the interpretation of the paratext that they are edited together. Editorial practice, however, has not always done this. Admittedly, this is in some cases hardly tenable. Medieval manuscripts abound in paratext. For many works, different branches of the manuscript tradition contain different sets of paratexts. This basic layer of paratext, which was transmitted from the exemplar into the copy, could be supplemented with paratexts that were unique to the manuscript. How does an editor select which paratexts to edit together with the main text? And how does one design a user-friendly edition that –––––––—

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The best-text approach is discussed by Kelemen 2009, pp. 106–107. Kelemen 2009, pp. 108–111. See Housman, Alfred Edward. (2009). From ‘The Application of Thought to Textual Criticism’. In E. Kelemen (Ed.), Textual Editing and Criticism. An Introduction. New-York, London: W. W. Norton and Company. (Reprinted from: Housman, A. E. (1921). The Application of Thought to Textual Criticism), p. 123: “Textual criticism is a science, and, since it comprises recension and emendation, it is also an art. It is the science of discovering error in texts and the art of removing it.” See description by Kelemen 2009, pp. 102–105. Andrist 2018, p. 146. See the definition by Genette cited above.

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answers to these requirements, without it being overloaded with text? In any case, when book epigrams related to texts are edited separately from their main text, the editor should provide detailed information as to where the epigrams are situated in the manuscript in relation to the main text. Other problems arise from the fact that book epigrams are also inscriptional epigrams. As discussed above, inscriptional epigrams are defined by the very object on which they are inscribed. An edition inevitably requires to separate the text from the object, but somehow, the relationship needs to be preserved. This can be covered at least in part by a careful and systematic description of the object, as is done by Rhoby for each of his items. For book epigrams, a description of the position of the epigram on the manuscript page is required, as well as a palaeographical description of what the epigram looks like: is it written in a different colour of ink from the main text? Are verse endings indicated or was the scribe not aware of the fact that the text he was copying is metrical? Book epigrams are, above all, so-called ‘living’ texts69: most book epigrams are transmitted anonymously, and, as a consequence, were not perceived as authoritative by scribes.70 They were constantly adapted and transmitted to new manuscripts and, consequently, to new contexts. This is especially clear for epigrams like examples (4) and (5). But even if, as in example (3), the textual variation is limited, there were many factors that changed from manuscript to manuscript, such as the exact position of the epigram (before the title? Between the title and the table of content? Between the table of content and the beginning of the text?), the colour of ink that was used, the type of script, etc. Each artefact presents a new manifestation of a book epigram, with all of its variants and idiosyncrasies, which should be studied in the context of the particular artefact. 71 All of these elements combined build, in my opinion, a strong argument for editors of book epigrams to side with textual scholars who emphasise the need to edit documents rather than to strive for an original text. Editing the whole corpus of book epigrams, which has by now (June 2019) over 10 000 occurrences, on paper, is hardly possible or, indeed, desirable. As was predicted by Cerquiglini, digital tools can lead the way in the edition of unstable medieval texts.72

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70 71

72

The term is used, amongst others, by Van Nuffelen, Peter. (2012). John of Antioch: Inflated and Deflated. Or: How (not) to Collect Fragments of Early Byzantine Historians. Byzantion, 82, p. 446: “many of these texts can be dubbed “living”, in the sense that they could often be rewritten and adapted to new needs.” See Van Nuffelen 2012, p. 445: “Indeed, for anonymous texts, the stability that authorship lends to a text, is absent.” See, for example, Kelemen 2009, p. 12: “[…] the document places its text in a specific context that contributes to its meaning. A text that is relatively unchanged from one document to another may nevertheless acquire wildly different meanings because of those contexts […].” Cerquiglini, Bernard. (1999). In Praise of the Variant: A Critical History of Philology (B. Wing, Trans.). Baltimore: Johns Hopkins university press.

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3.1 Editing Book Epigrams Online – An Introduction to the Database of Byzantine Book Epigrams The Database of Byzantine Book Epigrams attempts to meet both the need of providing precise representations of the text of each document and the need for (1) a readable text and (2) an overview of connections between epigrams in different witnesses. In the first place, DBBE collects so-called occurrences. Examples (6), (7) and (8) are cited from occurrence records. These records represent the text of an artefact: each record is linked to a specific folio of a specific manuscript. Ideally, the text offered in DBBE is a diplomatic transcription of the epigram. We indicate abbreviations (while expanding them), as well as manuscript signs, such as crosses, dots, colons, etc. Importantly, we do not change the orthography, accentuation or punctuation of the source. In most cases, these transcriptions are made on the basis of an image that is available online. Other occurrences, however, were transcribed by one of the team members while examining the codex in the library where it is preserved. In cases where we do not have access to the manuscript, we cite the text from a secondary source, which is, in most cases, a manuscript catalogue.73 Apart from the text, occurrence records also contain metadata that are crucial for situating the epigram within the artefact, and as a paratexts in relation to the main texts. This allows users to grasp the crucial relationship of book epigrams with the physical object of the manuscript on the one hand, and with surrounding texts on the other hand. When possible, we indicate whether the epigram was written before or after the beginning of a certain text, if it is written in the margins, etc. When available, we offer some palaeographical information as well as the name of the scribe. Each occurrence relates to a manuscript record, which has information about the content and the date of the manuscript. These records are linked to the Pinakes database of the Institut de recherche et d’histoire des textes in Paris, which gives more detailed information and bibliographical records on each manuscript. 74 Each occurrence is also linked to a type record (see examples (3), (4) and (5)). These records offer a normalised text, which is either cited from a critical edition, or based on one of the occurrences, of which the orthography and punctuation are adapted to current standards. This is important: DBBE types are not intended as archetypes. We do not attempt to reconstruct the original version of an epigram, but simply group together actual texts-of-artefacts and offer a normalised text version that we judge to be representative for this particular group of occurrences. If secondary literature provides a translation, it is added to the record. Type records collect metadata on the level of the work: for example, when we know the name of the poet, it is indicated here. All occurrences of the same epigram are linked to this record. In cases like example (3), this is straightforward: variation here is limited to orthography, which makes it very obvious which occurrences should be linked to the type. It is far more difficult for cases like examples (4) and (5): how do we decide –––––––—

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Today (30 September 2019), DBBE contains 10757 occurrences, of which 7082 are transcribed by a team member and 3675 are cited from other sources. “Pinakes. Textes et manuscrits grecs”. Accessible through: https://pinakes.irht.cnrs.fr/.

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whether or not occurrences belong to the same type? Is it a different type when the writer uses certain synonyms? When he adds words? When he adds a verse? When he changes the metre of the text? For cases like this, the new version of the database, which was launched in June 2019, has introduced the option to link specific verses of different occurrences to each other. This results in an intermediate level between types and occurrences which displays all instances where an (almost) identical verse is to be found. These so-called verse variants are collected on a separate page that, furthermore, indicates the position in which the verse occurs in particular occurrences.75 The new feature helps with establishing philological relationships between epigrams with a complex transmission history. When we look at example (8), the first verse can be linked to the first verse of other occurrences of the formula, such as examples (6) and (7). In this way, users can easily explore the relationship between this case and other occurrences of the formula. By focusing on the level of the verse, we can demonstrate the habit of medieval scribes to reuse parts of poems in order to compose new creations. In other words, DBBE makes use of the ‘linkability’ of digital media to deal with complex cases. Thus, we are able to describe manifestations of texts as they occur in every different artefact, but we also provide users with the necessary means to investigate the relationships between texts in different books. Especially the more unstable cases as outlined above are challenging for editors. In the future, we strive to further develop methods for editing these poems. By reflecting on tricky cases, the project hopes to contribute to larger discussions concerning the concepts of ‘text’ and ‘work’ within the framework of medieval manuscripts.

Conclusion Omnipresent as they are in medieval Greek manuscripts, book epigrams provide an excellent case study of ‘living’ texts. They find their very function in their inscription on the book as an object, in which they are secondary to the main text and mediate this text to the readers. Each occurrence of an epigram shows a text in a unique context and, especially in case of the more unstable epigrams, with a unique text. Editing these epigrams requires a method that values this instability and dependence on the manuscript as an object, as well as the other texts contained in it. A good solution for this is provided by digital, online editing, as is done by the Database of Byzantine Book Epigrams. As such, I hope to have elucidated some of the richness of this corpus of oftenneglected texts, which can, in my opinion, be crucial in studying the production and transmission of Byzantine texts and books, as well as stimulating for researchers working on methodological aspects of editing unstable texts.

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See, for example: https://dbbe.ugent.be/verse_variants/977 – last consulted on 30 September 2019). This page lists all variants of the first verse of the epigram cited in example (3).

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Leif Scheuermann und Astrid Schmölzer

Saxa loquuntur Über die Bedeutung der Materialität römischer Inschriften in virtuellen Zeiten

Im Gegensatz zu den kanonisierten Texten der antiken Literatur stellt die Epigraphik in der modernen Altertumswissenschaft eine Quellengattung dar, die stark an ihre Materialität gebunden ist. Wird die Beschaffenheit der Handschriften in kritischen Editionen literarischer Texte nur in sehr seltenen Fällen herangezogen, so nimmt die Beschreibung des Inschriftenträgers in modernen Editionen eine gewichtige Rolle ein.1 Wie zu zeigen sein wird, ist Epigraphik schon definitorisch als spezifische Methode im Umgang materiell gebundenen Texten zu sehen. Nach einer ersten Bestimmung des Untersuchungsobjektes erfolgt ein Abriss der historischen Entwicklung von Inschrifteneditionen, um die Standards näher zu beleuchten, die sich in der Moderne herausgebildet haben, bevor auf den medialen Wandel und die damit verbundenen Aufgaben der digitalen Editorik einzugehen sein wird. Im Abschluss wird die Frage nach Thesauri mit kontrollierten Vokabularien für eine einheitliche (Nationalsprachen unabhängige) Beschreibung der Materialität von Inschriften und Bildwerken anhand des FERCAN-Projekts schlaglichtartig beleuchtet.

1. Abgrenzung und Definition der Epigraphik Die Epigraphik beschäftig sich nach der weit verbreiteten Definition von Werner Eck mit jeglicher Art von Inschriften und Aufschriften, die nicht „als Literatur oder auf Papyri und Münzen überliefert sind“.2 Mit dieser Definition ist jedoch wenig erreicht, zumal Spezialfälle, wie die auf drei Inschriften erhaltenen Tatenberichte des göttlichen Augustus3 in ihrem Inhalt nicht von anderen historischen bzw. autobiographischen Schriften getrennt werden dürfen und somit auch einen Teil der römischen –––––––—

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Dies könnte sich mit der ‚realitätsnahen‘ digitalen Präsentation von Inschriften in Form von dreidimensionalen Modellen ändern, da hier dem Betrachter anheimgestellt wird, ‚eigene‘ Beobachtungen zu machen. Dieser keinesfalls anzustrebenden Wandel der Beziehung von Beschreibstoff und Inschrift ist jedoch Thema eines eigenen Aufsatzes und kann in der gegebenen Kürze hier nicht weiter behandelt werden. Eck, Werner (1997): Lateinische Epigraphik. In: Mary Beard, Sandro Boldrini, Gian Biago Conte, Josef Delz, Werner Eck, Michael Erler et al.: Einleitung in die lateinische Philologie. Hrsg. von Fritz Graf. Berlin: De Gruyter, S. 92–114, S. 92. Die Res gestae divi Augusti finden sich auf dem sogenannten Monumentum Ancyranum und fragmentarisch auf dem Monumentum Apolloniense und dem Monumentum Antiochenum. Siehe: u. a. Augustus (2007): Res gestae divi Avgvsti. Hauts faits du divin Auguste. Hrsg. von John Scheid. Paris: Les Belles Lettres (Collection des Universités de France Série latine, 386).

https://doi.org/10.1515/9783110692631-005

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literarischen Überlieferung darstellen, zum anderen in ihrer faktischen Ausformung Thema der epigraphischen Forschung sind. Der primäre Beschreibstoff4 ist also das zentrale Kriterium auf das sich die Epigraphik bezieht,5 wobei dieser in einer weiten Palette von Keramik oder Holz über Metall und Stein6 bis hin zu außergewöhnlicheren Materialen wie Leder, Elfenbein oder Glas reicht. Auch die Anbringung der Inschrift variiert vom Aufmalen über Einstempeln oder Kratzen in Ton, das Punzen und Prägen von Metall, das Einmeißeln in Stein bis hin zum Anbringen von (meist metallenen) Lettern. Zuletzt können nicht einmal der Zweck der Inschriften und deren Ausführung gebracht werden: Es finden sich gewaltige Ehreninschriften für die römischen Kaiser ebenso darunter wie kleinste Graffiti auf Keramiken, die einzig den Besitzer des Gefäßes nennen. Die heute in weiten Teilen der wissenschaftlichen Community akzeptierte Einteilung in Bauinschriften, Ehreninschriften, Weihinschriften, Grabinschriften und Kleininschriften hat jedoch nur einen heuristischen Charakter.7 Überschneidungen z. B. zwischen Weihinschriften und Grabinschriften oder Bauinschriften (für Kultanlagen) sind stets gegeben und Kleininschriften sind als Kategorie keinesfalls wesensgleich zu den übrigen anhand ihres Inhalts klassifizierten Gruppen an Inschriften. Noch schwieriger wird es bei stark fragmentierten Funden, so dass zu konstatieren bleibt, dass ein großer Teil des auf uns gekommenen Inschriftenmaterials keiner Gruppe zugeordnet werden kann. Zusammenfassend zeigt sich, dass trotz all diesen (wenn man ins Detail geht) scheiternden Einteilungen Inschriften jedoch gemeinsam haben, dass sie immer auch im Kontext ihrer Materialität gesehen werden (sofern es sich dabei nicht um Papyrus handelt).8 Epigraphik ist somit die Kunde vom materiellen Text, wobei nicht nur der Inschriftenträger und seine Ausmaße, sondern auch bildliche Darstellungen und die Fundumstände in die Untersuchungen mit einbezogen werden müssen, sodass die paradoxe Situation entsteht, dass sich Epigraphiker und Epigraphikerinnen auch mit Bildwerken auseinandersetzen müssen, auf oder an denen der Text nicht mehr erhalten ist.

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Sekundär sind Inschriften oft nur als Abschriften oder Abbildungen in Papierform erhalten. Alison Cooley spricht zuletzt von einer ‚durable surface‘ als Kriterium, führt aber auch die Art der genutzten Buchstaben hinzu, wobei sie selbst einwendet, dass nach dieser Definition Münzen ebenfalls in den Bereich der Epigraphik fallen würden und dass in Wachs eingekratze Texte ebenfalls zu Inschriften zu zählen sind (Alison Cooley (2012): The Cambridge manual of Latin epigraphy. Cambridge: Cambridge University Press, S. 117). Dass dieser Beschreibstoff, sieht man von Kleininschriften ab, den zentralen Bereich der römischen Epigraphik definiert, lässt sich durch seine Materialeigenschaften begründen. So sind große Teile eines potentiellen Corpus an Inschriften aus Holz im Laufe der Jahrhunderte verrottet, während Metall meist eingeschmolzen und neu verwendet wurde. Eine anschauliche Einführung in die Klassifizierung mit zahlreichen Beispielen findet sich auf Wofgang Spickermanns Internetauftritt „Römische Inschriften in Germanien. Eine Einführung“ unter der URL: https://homepage.uni-graz.at/de/wolfgang.spickermann/roemische-inschriften-in-germanien-eineeinfuehrung/klassifizierung-von-inschriften-inschriftentypen/ (letzter Zugriff am 3. April 2019). Dies hat eine Inklusion der Münzkunde – als Sonderform der Epigraphik mit einem spezifischen wirtschaftlich-monetarischen Aspekt – zur Folge.

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2. Historischer Abriss der Inschrifteneditionen Nach diesem ersten Versuch einer Definition von Inschriften bzw. der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen, soll ein zweiter Ansatz in der Skizze der historischen Genese der epigraphischen Editionen bestehen. Bereits in der antiken Literatur finden sich immer wieder Beschreibungen von Inschriften und Bildwerken sowie dem teilweise falschen Umgang mit diesen. So amüsiert sich bereits der Rhetor, Philosoph und Politiker Marcus Tullius Cicero in einem Brief an seinen engsten Vertrauten Atticus vom 20. Februar 50 v. Chr. darüber, dass Metellus Scipio zwei Statuen mit Inschriften versehentlich seinem Urgroßvater Publius Scipio Nasica Serapio zugeschrieben habe, welche ihrer Inschrift nach aber klar Scipio Africanus nennen würden. Infolge dessen habe der Urenkel an einer vergoldeten Reiterstatue eine falsche Inschrift angebracht und sich so zum Gespött der gebildeten Elite gemacht (Cic. Att. VI,1,17)9. Dies mag eine Einzelnotiz sein, jedoch zeigt sie, dass es selbst in der Antike ‚Spielräume‘ im Verständnis von Inschriften gab oder auch nicht. Eine explizite Beschäftigung mit Inschriften und deren Träger findet hier jedoch nur peripher statt. Man erfährt zwar von zwei Statuen auf dem Kapitol und einer vergoldeten Reiterstatue auf dem Forum, jedoch ohne weitere Einzelheiten. Manfred G. Schmidt schreibt hierzu in seiner Einführung in das Corpus Inscriptionum Latinarum: Inschriften wurden im alten Rom freilich nicht um ihrer selbst willen gesammelt; war doch die beschriebene Tafel in der Antike das geläufigste Kommunikationsmedium. So hatte der epigraphische Charakter für diese Sammlungen keinerlei Signifikanz.10

Erst mit dem Aufkommen des Humanismus in der Renaissance wird dieses Sammeln der Inschriften wegen zentral für die Epigraphik.11 Hierbei gilt der Kaufmann Ciriaco d’Ancona (1391–1452) als Vorreiter, der bei seinen Reisen durch den Mittelmeerbereich Inschriftentexte aufzeichnete und mit einer Fundortnennung versah.12 Der Dominikaner und Architekt Giovanni Giocondo (1433–1515) veröffentlichte 1488/89 eine Lorenzo di Medici gewidmete Sammlung von über 2000 Inschriften Roms und Italiens, und unterschied hierbei Inschriften, die er selbst habe und solche, die er aus –––––––— 9

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Cicero (2014): Atticus-Briefe / Epistulae ad Atticum. Hrsg. von Helmut Kasten. Berlin: De Gruyter (Sammlung Tusculum). Schmidt, Manfred G. (2007): Das Corpus Inscriptionum Latinarum. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Online verfügbar unter: https://cil.bbaw.de/fileadmin/user_upload/Das_CIL/ CILBrochuere2007.pdf, S. 4. Diese zum Jubiläum des CIL entstandene Schrift ist auch grundlegend für die weiteren historischen Betrachtungen der Epigraphik. Eine Ausnahme bildet eine im 9. Jh. n. Chr. entstandene topologische Beschreibungen der Stadt Rom, welche als Vorform des Reiseführers an Pilger gerichtet war und in diesem Kontext Beschreibungen von lateinischen und griechischen Inschriften der Ewigen Stadt enthält. [Inscriptiones Urbis Roma: Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Codex 326(1076): Sammelhandschrift http://www.e-codices.unifr.ch/de/ list/one/sbe/0326 – letzter Zugriff am 2. September 2019]. Diese diente wohl auch als Vorlage für die ersten Bemühungen zur Erfassung epigraphischer Quellen im 15. Jh. (siehe hierzu: Schmidt 2007, S. 6). Grundlegend hierzu: Erich Ziebarth (1902): Cyriacus d’Ancona als Begründer der Inschriftenforschung. In: Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum 9, 1902, S. 214–226. Zuletzt: Michail Chatzidakis (2017): Ciriaco d’Ancona und die Wiederentdeckung Griechenlands im 15. Jahrhundert. Dissertation. Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG.

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Leif Scheuermann und Astrid Schmölzer

anderer Literatur entnommen habe.13 Eine erste (immer noch handschriftliche) umfassende Sammlung von Monumenten, Münzen und Inschriften der Antike mit mehr als 40 Bänden schuf hingegen Pirro Ligorio (1513–1583), wobei bereits Hermann Dessau 1883 feststellte: „Wenn auch von den von Ligorio gegebenen Inschriftentexten ein grosser Theil, ja, von den in dem Turiner Werk enthaltenen, der grössere Theil falsch ist, so bleibt noch immer ein ganz erheblicher Rest von Ächtem“.14 Als maßgeblich für das 17. und 18. Jahrhundert erwies sich die von Jan Gruyters und Joseph Scaliger 1602 und 1603 in zwei Bänden mit 12 000 Inschriften erschienene Sammlung Inscriptiones antiquae totius orbis Romanae15 In diesen findet sich eine Zeichnung des Inschriftenträgers samt Text, vorgeschlagene Ergänzungen und Anmerkungen, der Fundort sowie weitere Literatur.16 Eine Umschrift der Texte mit Auflösung sowie die exakte Vermessung fehlen hingegen noch (siehe Abb.1).

Abb. 1: Beispiel aus Jan Gruyters Inscriptiones antiquae totius orbis Romanae. Entnommen aus dem Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek unter dem Permalink: URL: http://mdznbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10211670-6 (zuletzt gesehen am 8. April 2019).

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Siehe hierzu: Cooley 2012, S. 367–368. Hermann Dessau (1883): Römische Reliefs beschrieben von Pirro Ligorio. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 40, 1883, S. 1077–1105, S. 1077. Manfred G. Schmidt formuliert dies noch ausdrücklicher: „Komplette Neuerfindungen und Interpolationen antiker Inschriften stehen in seinem Werk neben Echtem und haben auch den Wert der späteren, auf Ligorio aufbauenden Sammlungen gemindert. So ist sein Name in der Epigraphik zum Synonym für den Fälscher schlechthin geworden.“ (Schmidt 2007, S. 6.) Janus Gruterus, Joseph Juste Scaliger, Marcus Welser (1602): Inscriptiones Antiquae Totius orbis Romani in corpus absolutißimum redactae. 2 Bde. Straßburg. Hinzu kommt ein äußerst ausführlicher Index.

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Als weiteren Meilenstein der Epigraphik ist die 1853 begonnene und bis heute fortgesetzte Sammlung des CIL „Corpus Inscriptionum Latinarum“ zu nennen, als deren Gründervater Theodor Mommsen gilt.17 Es umfasst bis dato 17 mehrfach unterteilte Bände mit annähernd 200 000 Inschriften, samt eines umfangreichen Namen- und Sachregisters. Um den derzeitigen Standard der epigraphischen Forschung unter besonderer Berücksichtigung der Materialität der Inschriftenträger darzustellen, sei im Folgenden kurz die Struktur eines Eintrags des CIL aufgeführt.18 Als Grundlage der Edition erklärt Schmidt 2007 als damaliger Leiter der Arbeitsstelle „CIL“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Mit Hilfe von Zeichnungen, Latex- oder Papierabdrucken (Abklatsch oder Ectypum) und Fotos, einer genauen Vermessung des Inschriftenträgers, der Ermittlung des größeren archäologischen Zusammenhangs und der Berücksichtigung des epigraphischen Environments in den Grenzen städtischer und provinzialer Kultur ist eine umfassende Dokumentation zu erstellen, auf deren Grundlage erst die Schede, schließlich die Textsammlung erarbeitet werden kann.19

In der Umsetzung beinhalten die einzelnen Einträge im Idealfall: – eine laufende Nummer, welche maßgeblich für die Zitation ist, – Fundort, Fundumstände und Aufbewahrungsort, – eine möglichst vollständige Beschreibung unter Benennung der Art der Inschrift, des Materials, der Maße und eventueller Beschädigungen, – eine maßstabgetreue Abzeichnung des gesamten Inschriftenträgers. Seit Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden zudem Fotos als bildliche Dokumentation in den Kanon aufgenommen, – eine Umschrift des Textes mit Auflösungen nach dem aktualisierten Leidener Klammersystem und der Kennzeichnung jeder fünften Zeile sowie Erläuterungen zum Text, – eine möglichst vollständige Fund- und Publikationsgeschichte sowie die bis zum Zeitpunkt der Publikation entstandene Literatur mit Nennung der jeweiligen Inschrift. Eine einheitliche Umsetzung der von Schmidt durchaus normativ geschilderten editio criteria ist allerdings keinesfalls die Regel. Als Minimalkriterien können die laufende Nummer, falls bekannt das Material des Inschriftenträgers, die Fundumstände, der Verbleib und eine Umschrift angesehen werden, was zum Teil bei Altfunden auch den fehlenden Informationen geschuldet ist. Grundlegend besteht also eine enge Anbin–––––––— 17 18

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Näheres zur Gründungsgeschichte siehe: Schmidt 2007, S. 8–11. Ein Gegenentwurf stellt u. a. Hermann Dessaus Inscriptiones Latinae Selectae dar. Hier werden ‚nur‘ 9400 lateinische und ca. 150 griechische Inschriften dargestellt, doch diese (so Dessaus Ansatz) seien zentrale Quellen der römischen Geschichte. Diese werden mit Satzzeichen und Auflösung der selten genutzten Abkürzungen verzeichnet. (Hermann Dessau(1892–1916): Inscriptiones Latinae Selectae. 3 Bde. Berlin: Weidmann) Zu weiteren Editionen siehe: John P. Bodel (Hrsg.) (2001): Epigraphic evidence. Ancient history from inscriptions. London, New York: Routledge (Approaching the ancient world). Online verfügbar unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher &id=1871 (bes. Appendix A). Schmidt 2007, S. 18.

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dung der Edition an die Materialität des Inschriftenträgers. Auch in der Dokumentation der Altfunde wurde versucht, diese zu berücksichtigen, doch stellt die individuelle Geschichte der Monumente – inklusiver deren Zerstörung, Verstümmelung oder Verlust – ein oft unüberwindbares Hindernis dar.

3. Digitale Editionen Mit dem einsetzenden Medienwandel in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts entstanden die ersten digitalen Inschriftensammlungen. So wurde das Projekt „Epigraphische Datenbank Heidelberg“ (EDH)20 bereits 1986 von Géza Alföldy gegründet und 1993 als Forschungsstätte in die Heidelberger Akademie der Wissenschaften aufgenommen, wo sie bis 2020 Förderung finden wird.21 Zur selben Zeit entwickelten parallel dazu Wolfgang Slaby und Manfred Clauss die „Epigraphische Datenbank Clauss-Slaby“22 an der Universität Eichstätt, welche ebenfalls bis heute weitergeführt wird. Beide Projekte müssen als sich ergänzend angesehen werden, unterliegen sie doch – trotz gleichen Inhalts – gänzlich unterschiedlicher Strategien. Ziel von Clauss und Slaby war es, möglichst schnell ein umfangreiches Findmittel für Inschriften zu schaffen, weshalb sie sich auf die Sammlung und Aufbereitung der in der Forschungsliteratur vertretenen Informationen konzentrierten. Dies hat zur Folge, dass sich (nach eigenen Angaben) momentan23 518 225 Inschriften aus 22 232 Orten im System verzeichnet sind, diese jedoch ‚nur‘ Fundort und -provinz, der Text (im erweitertem Leidener Klammersystem), Datierung, Inschriftengattung und Publikationen verzeichnet und damit recherchierbar sind. Die EDH hingegen beinhaltet ‚nur‘ 7880324 Inschriften. Dafür finden sich hier: – der Text in Majuskelumschrift25 und in Transkription sowie abweichende Lesungen, – ein Kommentar mit der Beschreibung des gesamten Monuments, Fotos und Literaturangaben, – eine detaillierte Beschreibung des Fundortes (bis hin zur Fundstelle) mit kartographischer Darstellung sowie die Nennung des derzeitigen Aufbewahrungsortes, – historische Referenzen im Text (wie Götter-, Personen- und Gruppennamen, Datierungen mit Begründung), – eine Vermessung und Materialbestimmung und – die Nennung des Bearbeitungsstandes mit Datum und Bearbeiterin bzw. Bearbeiter. –––––––—

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URL: https://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/ (letzter Zugriff am 9. April 2019). Wie die Zukunft dieser zentralen Quelle zur antiken lateinischen Epigraphik aussieht, ist bis dato ungeklärt. URL: http://www.manfredclauss.de/ (letzter Zugriff am 9. April 2019). Stand 9. April 2020. Stand 9. April 2020. Diese Art der Abschrift stellt eine Zwischenform zwischen Zeichnung und aufgelöster Transkription dar und gibt das Schriftbild der Inschrift wieder.

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Es zeigt sich hier also eine selbst den CIL übertreffende Beschreibung und Kategorisierung, die allerdings den Nachteil hat, dass in vielen Fällen große Teile der Angaben leer bleiben, da die Informationen heute nicht mehr vorhanden sind. Zudem ist der Aufwand eines solch übergreifenden Projektes immer in den Kontext des Mehrwerts zu stellen, zumal die Nachhaltigkeit bei Weitem nicht gesichert ist. Eine Lösung dieser Problematik kann in kleineren abgegrenzten, aber dennoch vernetzten Projekten liegen. Ein gutes Beispiel für eine solche – thematisch und räumlich begrenzte, dafür jedoch inhaltlich sehr tief erschlossene epigraphische – Datensammlung stellt die an der Karl-Franzens-Universität Graz aufgebaute ‚FERCAN‘ Datenbank26 dar. In dieser sind momentan alle Weihinschriften für Götter mit ‚keltischen‘ Namensbestandteilen27 aus der römischen Provinz Niedergermanien ediert. Als aufgenommene Kategorien finden sich hier: – ein eindeutiger Identifikator mit Civitas-Nennung als leitendem Ordnungsprinzip, – mehrere bildliche Darstellungen sowie die den Zeilensatz der Inschrift beibehaltende Majuskel- und aufgelösten Minuskelumschrift, einen „Apparatus criticus“ mit Anmerkungen zu den unterschiedlichen Lesungen sowie Übersetzungen auf Englisch und Deutsch, – eine stellengenaue Beschreibung des Fundortes mit Jahresangabe sowie den derzeitigen Verwahrort und Angaben zur Autopsie durch die Bearbeiter der Edition, – sämtliche Literaturnachweise inklusive der Links ‚Clauss-Slaby‘ und der EDH, – eine Beschreibung des Gesamtobjektes mit Nennung des Materials (meist Gesteinsart), der Ikonographie und einer archäologischen Klassifikation28, – eine Objektbeschreibung der Inschrift unter besonderer Berücksichtigung des Erhaltungszustandes, der Buchstabengrößen, der Technik der Aufbringung der Inschrift (z. B.: ‚gemeißelt‘) und – einen epigraphischen Kommentar zu genannten Orten und Personen sowie gesondert einen Kommentar zu den genannten Göttern mit keltischen Namensbestandteilen. Erst der thematisch und räumlich äußerst begrenzte Rahmen erlaubt es, die 440 Monumente in noch größerem Detail darzustellen, als dies in der Heidelberger Edition der Fall ist. Zudem konnte das Projekt in einem Zeitrahmen von drei Jahren umge–––––––—

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URL: https://gams.uni-graz.at/context:fercan (letzter Zugriff am 18. April 2019). Unter der Projektleitung von Wolfgang Spickermann wurde eine epigraphische Edition (Werner Petermandl) vorgelegt, die durch eine archäologische Bearbeitung und Auswertung des Materials (Astrid Schmölzer) ergänzt wird. Eine Printversion, die eine genaue Analyse des Materials in epigraphischer, archäologischer und sprachwissenschaftlicher Art stellen soll, ist in Arbeit. Hier wird dezidiert nicht mehr von keltischen Göttern im römischen Reich und auch nicht von keltischen Götternamen gesprochen, da es sich bei den Gottheiten besonders in ihrer Nennung auf Inschriften (einer römischen Tradition der Verehrung) um ein genuin provinzialrömisches Phänomen handelt. Siehe hierzu zuletzt: Wolfgang Spickermann (2018): Als die Götter lesen lernten. Keltischgermanische Götternamen und lateinische Schriftlichkeit in Gallien und Germanien. In: Anne Kolb (Hrsg.): Literacy in ancient everyday life. Berlin: De Gruyter, S. 239–260. Auf diese wird im Folgenden noch einzugehen sein.

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setzt werden, was dem allgemein üblichen Zeitraum für Förderungen durch Drittmittelgeber entspricht.29 Eine Vernetzung mit den anderen Datenbanken erfolgt zum einen über die in der Aufzählung bereits genannten Links zu den anderen web-basierten Ressourcen. Zum anderen entspricht die Datenbank den Standards der „Linked Data“-Initiative30 und spezifischer dem „Europeana datamodel“.31 Dies gewährleistet die vollständige Recherchierbarkeit aller Inschriften im Europeana-Portal32 und die Integration in weitere übergreifende Portale wie z. B. in das geographisch strukturierte PelagiosProjekt.33 Über solche graphischen Benutzerschnittstellen, zu denen auch die auf römische Inschriften spezialisierte „Inscription Search Engine“ des EAGLE Projektes34 und das „Trismegistos“-Portal35 zählen, kann nun projektübergreifend gesucht werden, womit eine virtuelle Zusammenführung mit anderen Projekten gewährleistet ist. Eine zukünftige digitale Repräsentation der Epigraphik und von Quellen allgemein kann so vernetzt und verteilt auf verschiedenste Projekte erfolgen, ohne dass bei Beendigung eines Projektes die gesamte Infrastruktur gefährdet ist.36

4. Über die Verwendung von Thesauri und kontrollierten Vokabularien – Grenzen und Möglichkeiten Nach der Beschreibung historischer und moderner digitaler Editionen wird nun, in einem letzten Abschnitt, auf die Frage der Repräsentation der Materialität in digitalen Inschrifteneditionen einzugehen sein. Besonders im Aufbau übergreifender Sammlungen von digitalen Inschrifteneditionen (von ‚einer‘ gemeinschaftlichen Inschriftenedition kann hier nicht die Rede sein) spielen sogenannte kontrollierte Vokabularien, hierarchisch strukturierte Sammlung von Begriffen zu spezifischen Themen, welche in Thesauri verwaltet und zur (so der Anspruch) eindeutigen Beschreibung der Objekte genutzt werden können, eine wichtige Rolle. Um die Grenzen und Möglichkeiten von Thesauri näher zu beleuchten, wird im Folgenden beispielhaft auf die Umsetzung im FERCAN Projekt eingegangen. In den Überlegungen zu seiner prototypischen Erstellung wurde eine spezifisch archäologische Sichtweise gewählt, nach der es sich bei jedem aufgenommenen Monument um einen archäologischen Fund handelt, dessen Bedeutung für die epigraphische –––––––— 29 30

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In diesem Fall der Österreichische Wissenschaftsfonds FWF. Als linked data werden web-basierte, frei verfügbare Daten bezeichnet, welche über einen eindeutigen Identifikator (URI) adressiert sind und so miteinander verknüpft werden können. Näheres hierzu siehe u. a. das European data portal: URL: http://europeandataportal.eu (letzter Zugriff am 21. April 2019). URL: https://pro.europeana.eu/resources/standardization-tools/edm-documentation (letzter Zugriff am 21. April 2019). URL: http://www.europeana.eu/portal (letzter Zugriff am 21. April 2019). URL: http://pelagios.org (letzter Zugriff am 21. April 2019). Eagle vereinigt momentan 350 000 Inschriften in 455 414 Varianten (Stand 21. April 2019). Siehe URL: https://www.eagle-network.eu (letzter Zugriff am 21. April 2019). URL: http://trismegistos.org (letzter Zugriff am 21. April 2019). Hierbei soll allerdings keinesfalls die Notwenigkeit von übergreifenden Projekten wie der EDH bestritten werden. Auch diese werden in Zukunft ein zentraler Bestandteil der Infrastruktur bleiben müssen, da sie nicht zuletzt personell ein Zentrum der Forschungen darstellen und sich nicht nach lokalen Projektstrukturen richten.

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Forschung im Vorhandensein einer Inschrift besteht. Neben der reinen Materialität des Inschriftenträgers (Gesteinsqualität) schließt dies die Beschaffenheit des Fundobjektes ein, also u. a. auch die Ausgestaltung (die Handwerksarbeit). Zudem ist die Erhaltung zu dokumentieren.37 Der FERCAN-Thesaurus ist in zwei große Abschnitte gegliedert.38 Der erste Abschnitt umfasst die „funktionale Beschreibung“, deren Kategorien sich auf das Objekt an sich beziehen, d. h. auch seine Materialität im Sinne von der aktuell vorhandenen Materie bewerten.39 So finden sich unter dem Schlagwort „Material“ auf einer ersten Ebene die drei großen Übergruppen Metall, Stein und Keramik. Da die Objekte unseres Beispiels überwiegend aus Stein bestehen, ist diese Kategorie weiter differenziert: So wird z. B. „Kalkstein“ als Subkategorie von „Stein“ neben „Sandstein“, „Trachyt“ und „Tuff“ unterschieden. Selbstverständlich gibt es weitere Gesteinssorten, die im Kontext des FERCAN-Projektes Materialsammlung derzeit nicht vertreten sind, doch aufgrund der Offenheit des Thesaurus stets ergänzt werden können.40 Wichtig ist dabei nur, dass die Kategorisierung wie die bestehende Struktur unangetastet bleibt und keine Widersprüche auftreten. Andere Gesteinsarten, die nicht genauer bestimmt werden konnten (wie z. B. verschiedenartige Sandsteine), mussten unter der Überkategorie verzeichnet werden. So kann es besonders bei verschollenen oder zerstörten Altfunden mit inexakten Beschreibungen geschehen, dass sie ‚nur‘ als „Stein“ benannt werden konnten. Eine hierarchisierte Aufgliederung war also für die Bearbeiterin oder den Bearbeiter der Edition unerlässlich, da in den wenigsten –––––––—

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Dabei unterscheidet sich die Erhaltung des Inschriftenträgers von der Erhaltung der Inschrift. Letztere kann, trotz eines guten Zustands des Inschriftenträgers, aufgrund von oberflächlicher leichter Verwitterung oder auch schon in der Antike geschehender Umgestaltungen (z. B. Eradierungen) beschädigt worden sein. Bei dieser Beurteilung ist der jeweilige Bearbeiter gefragt bzw. dessen Herangehensweise und Fragestellung. Aus epigraphischer Sicht ist selbstverständlich der Erhaltungszustand der Inschrift vorrangig, während für die Bearbeitung des Bildmaterials das Gesamtobjekt im Fokus steht. Besondere Härtefälle sind z. B. Votivsteine an die Dea Nehalennia (Ein Beispiel hierfür wäre CF-GeI-291: https://gams.uni-graz.at/o:fercan.291 – letzter Zugriff am 25. April 2019). In diesem Fall ist das linke größere Fragment oberflächlich schwer beschädigt, während das schmälere rechte Fragment in seiner Ausführung von Inschrift wie auch Dekor viel deutlicher und detailgenauer auszuwerten ist). Da die Steine aus dem Meer geborgen wurden und teilweise zerbrochen sind, kann es sein, dass ein und derselbe Weihealtar aus mehreren Fragmenten besteht, deren Oberflächen unterschiedlich unter dem Einfluss des Meerwassers gelitten haben. Dieser Umstand erschwert eine herkömmliche Beurteilung des Erhaltungszustandes, da besonders die oberflächlichen Schäden viele Details unkenntlich gemacht haben. Für die Dokumentation des FERCAN-Thesaurus siehe: http://gams.uni-graz.at/archive/objects/o:fercan. arch/methods/sdef:SKOS/get (letzter Zugriff am 25. April 2019). URL: http://gams.uni-graz.at/archive/objects/o:fercan.arch/methods/sdef:SKOS/get (letzter Zugriff am 24. April 2019). Der Thesaurus wurde von Astrid Schmölzer im Zuge der archäologischen Bearbeitung des vorliegenden Materials erstellt und gemeinsam mit Elisabeth Steiner vom Zentrum für Informationsmodellierung (ZIM) an der Karl-Franzens-Universität Graz ausgearbeitet. Vgl. dazu die Sammlung von Vocabularies im Eagle-Projekt unter: https://www.eagle-network.eu/ resources/vocabularies/ (letzter Zugriff am 21. April 2019). Jeder Begriff in diesen hierarchisch strukturierten Sammlungen von ‚Vokabeln‘ ist über einen eindeutigen Identifikator definiert und kann – unabhängig von der Sprache, in der die Edition erstellt wurde – adressiert werden. Ziel ist eine übergreifend vereinheitlichte Beschreibung. Einführend zur Bestimmung und Benennung von Gesteinen: Christian Uhlir, Wolfgang Vetters (2007): Vereinfachte Richtlinien zur Gesteinsbestimmung und Namensgebung. In: Volker Höck (Hrsg.): Akten zum 2. Österreichischen „Römerstein-Treffen“ 2006 in Salzburg. Wien: Phoibos-Verl., S. 17–32.

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Fällen eine exakte Kenntnis der Gesteinsart vorhanden ist. Zudem sind Unterschiede zwischen Gesteinen sind oft nur durch invasive Methoden, wie den Feinschliff oder den Salzsäuretest,41 zu erkennen, was in der Praxis kaum möglich ist. Hinzu kommen die bereits mehrfach erwähnten Altfunde, die verschollen oder zerstört, keine neuen Untersuchungen mehr erlauben. Hier können lediglich die historischen Angaben übernommen werden, bei welchen ganz erhebliche Unschärfen vorausgesetzt werden müssen.42 Über die Aussagekraft des Kriteriums „Gesteinsart“ lässt sich jedoch nicht nur in diesen fast schon als normal zu bezeichnenden Fällen streiten. Während die Bedeutung für Verarbeitung und Verwitterung (und damit die ‚Biographie‘ des Monuments) evident ist, sind Aussagen über die exakte Herkunft des Steins nur in Sonderfällen möglich.43 Da die Steine meist grundiert und bemalt waren, ist eine Steinsichtigkeit, also die visuelle Repräsentanz der Qualität Inschriftenträgers nur sehr begrenzt aussagekräftig. Vor allem im Hinblick auf steinerne Inschriftenträger spielen Dekor44 und Darstellungen eine große Rolle,45 weshalb diesem Bereich im FERCAN-Thesaurus besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.46 So kann im Bereich von Weiheinschriften (dem Themengebiet des FERCANProjekts) eine Gruppe von Gottheiten als Bildmotiv erscheinen, die inschriftlich nicht verehrt wird. Schrift erscheint also neben dem Bild bzw. der Abbildung nur als ein –––––––— 41

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Als Beispiele für invasive Techniken zur Marmorbestimmung nennt Harald Müller neben dem Feinoder Dünnschliff die Analyse der stabilen Isotopen 18O und 13C, für die das Gestein zu Pulver zermalen werden muss, sowie chemische Analysen, bei denen das Pulver mit einem HF-HNO3-HClO3-Gemisch aufgeschlossen wird. Müller, Harald (2007): Der Marmor von Gummern und seine Bedeutung für die römischen Provinzen Pannonien, Norikum und Rätien. In: Volker Höck, s. Anm. 40, S. 33–37. Wie Ekkehard Weber zeigte, sind bis ins 21. Jahrhundert die Gesteinsbenennungen im Rahmen der Inschriftenaufnahme nicht international einheitlich und verbindlich genutzt worden. Siehe: Ekkehard Weber (2007): Die Frage nach international verbindlichen wissenschaftlichen Bezeichungen von Steinmaterial. In: Volker Höck, s. Anm. 40, S. 15–16. Z. B. bei Marmor – siehe Müller 2007. Für ‚einfache‘ Gesteinsarten wird generell angenommen, dass sie aus lokalen Abbaustätten entnommen wurden, ohne dass eine exakte Lokalisierung möglich wäre. Siehe hierzu u. a.: Wolfgang Werner (2005): Auf diese Steine konnte man bauen. Römische Gesteinsnutzung in Südwestdeutschland. In: Susanne Schmidt (Hrsg.): Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Begleitband zur Ausstellung des Landes Baden-Württemberg im Kunstgebäude Stuttgart vom 1. Oktober 2005 bis 8. Januar 2006, S. 393–398. Stuttgart, Esslingen am Neckar: Theiss; Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg. Aufgrund des zeitlich und räumlich begrenzten Untersuchungsgebietes war auch bei der Bildbeschreibung mehr Detailgenauigkeit möglich; dies zeigt sich u. a. auch dadurch, dass diverse aufgenommene Dekorelemente auf der bereits angesprochenen Vocabulary-Liste des Eagle-Projektes fehlen. Selbstverständlich sind auch bemalte Keramik und mit z. B. Punzdekor versehene Metallplatten hier zu nennen, doch das Hauptaugenmerk dieser Bearbeitung liegt auf jenen Votivinschriften, die auf Stein gefunden wurden. Neben der inhaltlichen Ebene werden bildliche Darstellungen oft auch als Datierungshinweis genutzt, da anderweitige explizite Datumsnennungen eher die Ausnahme darstellen. Hierbei steht die Verwendung spezifischer Motive zu gewissen Zeiten bzw. die Vorbildfunktion spezieller Objekte und damit der „Terminus post quem“ bzw. „Teminus ante quem“ im Zentrum. Die herangezogenen Vergleichsbeispiele entstammen höchst selten einem epigraphischen Kontext, sondern sind meist in die Klasse der historischen Reliefs oder in die (lokale) Grabskulptur einzuordnen. Neben einer solchen relativchronologischen Einordnung kann aufgrund der Vergleiche der Motivik auch auf Werkstätten bzw. verschiedene Handwerkshände rückgeschlossen werden. Auch Motiventwicklungen, die ebenfalls eine zeitliche Konstante bedingen, sind Teil dieser Beobachtungen.

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Informationsträger für die Adressierung an Gottheiten. Hinzu kommt, dass nicht nur die prominent z. B. in Altarnischen dargestellten Götter von Bedeutung sind, sondern auch die ganze Reihe weiterer Gottheiten, welche an den unterschiedlichsten Stellen des Monuments (z. T. an den Seitenwangen oder sogar auf der Rückseite) auftreten. 47

Abb. 2a: Aedicula-Altar an die Matronae Boudunneihae, die in der Nische sitzend dargestellt sind und von Victorien gerahmt werden (CF-Gei-50, Foto: CIL-Projekt).

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Z. B. die Victorien in CF-GeI-50 und CF-GeI-339: http://gams.uni-graz.at/o:fercan.50 und http://gams. uni-graz.at/o:fercan.339 (letzter Zugriff am 23. April 2019).

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Abb. 2b: Aedicula-Altar an die Dea Nehalennia, die ebenfalls von zwei als Victorien gedeuteten Figuren gerahmt wird (CF-GeI-339, Foto: Stuart und Bogaers 2001, Tafel 32, A 41).

Es zeigt sich also, dass eine Reduktion auf die Schriftlichkeit hier zu klaren Fehlschlüssen führen kann (wenn nicht sogar muss). Deshalb gehören, wie bereits angesprochen, nicht nur die Beschreibung des Inschriftenträgers bzw. des Beschreibstoffes zur Inschriftenaufnahme, sondern auch die Beobachtung und Beschreibung etwaiger vorhandener bildlicher Darstellungen.

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Im Aufbau eines kontrollierten Vokabulars für diesen zentralen Bereich der Beschreibung ergibt sich jedoch – abgesehen davon, dass aufgrund des Erhaltungszustandes eine Benennung des abgebildeten Objektes nicht möglich ist – das Problem, dass die Bedeutung des Dargestellten keinesfalls eindeutig ist. Es kann sich um bloßes Dekor handeln, um wiederkehrende Reliefmotive, aber auch um sinnstiftende Elemente. Die Palette reicht bei letzterer bis hin zu ganzen Szenen, wie z. B. an den Objekten abgehaltene Opfer handeln kann. Deshalb definiert das FERCAN-Projekt die Kategorie Bildmotiv folgendermaßen: Diese Kategorie ist auf die riesige Variantenvielfalt der teilweise sehr prunkvoll reliefgeschmückten Votivaltare ausgerichtet und wird zwar in Sammelgruppen unterteilt, jedoch nicht mehr nach funktionalen Unterschieden, da dies nicht im Fokus der Untersuchung steht. Daher sind Unschärfen im Bereich einer funktionalen Unterscheidung vorhanden. In den einzelnen Abschnitten wird sehr wohl auf verschiedene Zusammenhänge und funktionale Unterschiede verwiesen, jedoch wird aufgrund des Schlagwortes nicht unterschieden.48

Als pragmatische Konsequenz der Unschärfe (bzw. auch einer in der Antike bereits vorgesehenen Polyvalenz) der Darstellung findet sich im FERCAN-Thesaurus eine Kategorie mit dem Titel „Attribute bzw. Bildmotive“, in welcher alle Objekte verzeichnet sind, die gerade nicht eindeutig definiert werden können. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, steht eine Keule im Regelfall als klares Attribut für Hercules, welcher in der Untersuchungsregion oft mit dem Beinamen Magusanus anzutreffen ist. Sie findet sich jedoch auch auf der Schmalseite eines Matronenaltars aus Gelduba (heute Krefeld),49 ohne dass ein wie auch immer gearteter Bezug auf Hercules ersichtlich wäre, so dass es sich hier um ein Schmuckelement handelt. Es zeigt sich also, dass ein Bildelement, auch wenn es im Normalfall klar einer Gottheit zugeordnet ist, im Einzelfall einfach nur für sich als füllendes Bildelement stehen kann. Als Fazit zeigt sich an der gerade getätigten Betrachtung des FERCAN-Projekts die Möglichkeiten und Grenzen eines Thesaurus in verschiedenen Ausprägungen. Die Festschreibung als ein spezifisches Vokabular bringt zwar auf der einen Seite eine Klärung der Begrifflichkeit über Sprach- und Mediengrenzen hinaus, auf der anderen Seite nötigt es die Bearbeiterin oder den Bearbeiter an vielen Stellen Aussagen zu treffen, die nur zum Teil oder nicht in der Schärfe zu tätigen sind, wobei die hierarchische Granularität (z. B. im Bereich Material) und Mischkategorien (wie im Fall der Bildbeschreibung) hier Möglichkeiten eröffnen, sich nur dann festzulegen, wenn dies auch wissenschaftlich statthaft ist. Über den nötigen Detailgrad einer solchen Beschreibung lässt sich trefflich streiten. So weist eine parallel zum FERCANThesaurus bestehende Liste des Eagle-Projektes im Hinblick auf Gesteinsarten eine größere Tiefe auf, während einige Dekor- und Bildelemente dort nicht vertreten sind. Allerdings muss hier klar sein, dass das Bestreben, einen Thesaurus zu erstellen, stets –––––––— 48 49

http://gams.uni-graz.at/archive/objects/o:fercan.arch/methods/sdef:SKOS/get (letzter Zugriff am 23. April 2019). In der Darstellung des Herkules auf dem Altar CF-GeI 139 (http://gams.uni-graz.at/o:fercan.139) hält der Gott diese mit seiner rechten Hand. Auf dem Altar für die Matronae Octocannae (CF-GeI-84, http://gams.uni-graz.at/o:fercan.84) ist die Keule auf der linken Schmalseite (vom Betrachter gesehen) im unteren Reliefregister dargestellt.

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an den Vorgaben der einzelnen vorhandenen Projekte gemessen werden muss, da Thesauri oder Schlagwortlisten die vorrangigen Fragestellungen der Bearbeitenden bzw. des jeweiligen Projektes folgen und nach deren Bedürfnissen erstellt werden. Hierbei unterscheiden sie sich von Ontologien, die versuchen einen Themenbereich möglichst vollständig abzubilden. Besonders zu betonen ist auch, dass die bearbeitende Person auch immer Interpret des vorliegenden Materials, sei es durch Zeichnung, Beschreibung oder Bewertung, ist. Edition bedeutet dabei nicht reine Abbildung, sondern ist ein hermeneutischer Akt der Aneignung des historischen Objektes. Anders verhält es sich bei der Zurverfügungstellung virtueller Darstellungen von Inschriften und Bildwerken. Diese erheben implizit den Anspruch in dreidimensionaler Form eine Art von objektiver vollständiger Wiedergabe zu ermöglichen. Da dem 3D-Objekt wesentliche Eigenschaften fehlen, die für eine fachliche Bearbeitung zum Teil unerlässlich sind, wie z. B. das Anfassen oder Betasten des Objektes, können sie keinen Ersatz für eine Aufnahme am Objekt bieten. Selbst 3D-Drucke können die eigentliche Materialität nicht nachbilden. So bleibt die klassische epigraphische Edition als Darstellung und gleichzeitig Interpretation der einzig adäquate Zugang für die Altertumswissenschaftlerin bzw. den Altertumswissenschaftler. So sehr die technischen Möglichkeiten uns helfen, epigraphisches Material ein Stück mehr erfass- und begreifbar zu machen, ersetzen sie jedoch nicht die Arbeit am Objekt selbst. In diesem Sinne sei noch einmal auf die oben angesprochene Definition von Epigraphik als materiellem Text verwiesen. Materialität und Material sind nicht von der Inschrift zu trennen, ebenso wenig wie die Betrachtung der bildlichen und schriftlichen Elemente des Objektes, die nur gemeinsam eine annähernd vollständige – und dennoch subjektive – Beobachtung liefern können.

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Literaturverzeichnis Augustus: Res gestae divi Avgvsti. Hauts faits du divin Auguste. Hrsg. von John Scheid. Paris 2007 (Collection des Universités de France Série latine. 386) Bodel, John P. (Hrsg.): Epigraphic evidence. Ancient history from inscriptions. London, New York 2001 (Approaching the ancient world). Online unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin. de/rezensionen/type=rezbuecher&id=1871 Chatzidakis, Michail: Ciriaco d’Ancona und die Wiederentdeckung Griechenlands im 15. Jahrhundert. 2017 (Diss.) Cicero: Atticus-Briefe / Epistulae ad Atticum. Hrsg. von Helmut Kasten. Berlin 2014 (Sammlung Tusculum) Cooley, Alison: The Cambridge manual of Latin epigraphy. Cambridge 2012 Dessau, Hermann: Römische Reliefs beschrieben von Pirro Ligorio. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 40, 1883, S. 1077–1105 Dessau, Hermann: Inscriptiones Latinae Selectae. 3 Bde. Berlin 1892–1916 Eck, Werner: Lateinische Epigraphik. In: Mary Beard, Sandro Boldrini, Gian Biago Conte, Josef Delz, Werner Eck, Michael Erler et al.: Einleitung in die lateinische Philologie. Hrsg. von Fritz Graf. Berlin 1997, S. 92–114 Gruterus, Janus; Scaliger, Joseph Juste; Welser, Marcus: Inscriptiones Antiquae Totius orbis Romani in corpus absolutißimum redactae. 2 Bde. Straßburg 1602 Müller, Harald: Der Marmor von Gummern und seine Bedeutung für die römischen Provinzen Pannonien, Norikum und Rätien. In: Volker Höck (Hrsg.): Akten zum 2. Österreichischen „Römerstein-Treffen“ 2006 in Salzburg, Wien 2007, S. 33–37 Schmidt, Manfred G.: Das Corpus Inscriptionum Latinarum. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2007. Online unter https://cil.bbaw.de/fileadmin/user_upload/ Das_CIL/CIL Brochuere2007.pdf Spickermann, Wolfgang: Als die Götter lesen lernten. Keltisch-germanische Götternamen und lateinische Schriftlichkeit in Gallien und Germanien. In: Anne Kolb (Hrsg.): Literacy in ancient everyday life. Berlin 2018, S. 239–260 Stuart, Piet; Bogaers, Julianus E.: Nehalennia. Römische Steindenkmäler aus der Oosterschelde bei Colijnsplaat. Leiden 2001 (Collections of the National Museum of Antiquities at Leiden. 11) Uhlir, Christian; Vetters, Wolfgang: Vereinfachte Richtlinien zur Gesteinsbestimmung und Namensgebung. In: Volker Höck (Hrsg.): Akten zum 2. Österreichischen „RömersteinTreffen“ 2006 in Salzburg. Wien 2007, S. 17–32 Weber, Ekkehard: Die Frage nach international verbindlichen wissenschaftlichen Bezeichungen von Steinmaterial. In: Volker Höck (Hrsg.): Akten zum 2. Österreichischen „RömersteinTreffen“ 2006 in Salzburg. Wien 2007, S. 15–16 Werner, Wolfgang: Auf diese Steine konnte man bauen. Römische Gesteinsnutzung in Südwestdeutschland. In: Susanne Schmidt (Hrsg.): Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Begleitband zur Ausstellung des Landes Baden-Württemberg im Kunstgebäude Stuttgart vom 1. Oktober 2005 bis 8. Januar 2006, 393–398. Stuttgart, Esslingen 2005 Ziebarth, Erich: Cyriacus d’Ancona als Begründer der Inschriftenforschung. In: Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum 9, 1902, S. 214–226

Claudia Kroke

„Johann Friedrich Blumenbach – Online“: Welten verbinden

Einleitung Das Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“ ist ein seit Januar 2010 laufendes Langzeitvorhaben im Rahmen des Akademienprogramms der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, angesiedelt bei der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.1 Projektziel ist unter anderem die Erarbeitung einer OnlineEdition von Blumenbachs publizierten Schriften (einschließlich der Übersetzungen und Folgeausgaben), angereichert mit digitalen Abbildungen und Informationen zu naturhistorischen bzw. ethnologischen Sammlungsobjekten. Mit der Edition von Blumenbachs Werken wird ein wichtiger Beitrag zu der Erschließung der Primärquellen zur Kulturgeschichte der Spätaufklärung und der Romantik geleistet. Besonders bedeutsam ist dies in Hinblick auf einen entscheidenden Aspekt dieser Periode: das Aufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaften.2 Dieser Beitrag beleuchtet die Gratwanderung bei der Schaffung von maschinenlesbaren Inhalten, der Integration traditioneller Editionspraktiken und der Anbindung von digitalen Objekten an ihre „analogen“ Vorfahren im Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“.

1. Über Johann Friedrich Blumenbach Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) war Professor für Medizin und Naturgeschichte an der Universität Göttingen. Er war einer der führenden Vertreter des sich um 1800 revolutionär verändernden geologischen und biologischen Weltbildes. Sein Werk zeigt exemplarisch die Wechselwirkungen zwischen den Lebens-, Geistes- und Sozialwissenschaften dieser Zeit. Die Publikations- und Übersetzungsgeschichte seiner Schriften ist beispielhaft für die europäischen und transatlantischen Dimensionen der Societas Litterarum der Epoche: Blumenbach stand in engem Kontakt mit vielen

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Projekthomepage: http://www.blumenbach-online.de (letzter Zugriff: 29. März 2019). Homepage der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen: https://adw-goe.de/startseite/ (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Stephen F. Mason: Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen. Stuttgart 1991 (1974), bes. S. 321–627. Eine Einführung in die Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts bietet Kapitel 3 in Anne Mariss: „A world of new things“: Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster. Frankfurt a. M., New York 2015, S. 61–94.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-006

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führenden Naturforschern in den Hauptstädten Europas, wie sich an seinem Briefwechsel belegen lässt.3 Privat und beruflich, in seiner Eigenschaft als Kurator des Göttinger Academischen Museums, war Blumenbach ein unermüdlicher Sammler verschiedenster naturhistorischer Objekte.4 Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass seine Beschäftigung mit diesen Stücken, von denen viele überliefert sind, bedeutende Veränderungen in seinen Konzepten und Theorien zur Naturgeschichte und Anthropologie auslöste.5

2. Korpusbeschreibung Das Blumenbach-Projekt zeigt auf einmalige Weise die auf dem Feld der digitalen Edition mögliche Verbindung zweier Dokumentwelten: Volltexte werden per Hyperlink mit den modernen und wissenschaftshistorischen Beschreibungsdaten sowie den digitalen Abbildungen (2D, Stereoskopien, Animationen) von Sammlungsobjekten zusammengeführt. Das Textkorpus6 bilden Blumenbachs gedruckte Publikationen (Zeitschriften, Monographien, Aufsätze, Rezensionen) in Folgeauflagen, Übersetzungen und Bearbeitungen. Es handelt sich um rund 1090 Texte (ca. 80 000 Seiten) in neun europäischen Sprachen (lateinisch, deutsch, englisch, französisch, spanisch, niederländisch, dänisch, italienisch, russisch), publiziert zwischen 1774 und 1873.

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Johann Friedrich Blumenbach: The correspondence of Johann Friedrich Blumenbach. Hrsg. von Frank William Peter Dougherty, bearb. von Norbert Klatt. 5 Bde. Göttingen 2006–2015. Zu beiden Sammlungen existieren handschriftliche Verzeichnisse Blumenbachs. Eine Liste dieser Verzeichnisse findet sich auf der Homepage des Projektes: http://www.blumenbach-online.de unter dem Menüpunkt „Blumenbach“ – „Online-Ressourcen und Links“. Nach seinem Tod ging Blumenbachs Privatsammlung im Academischen Museum auf. Siehe dazu Mike Reich / Alexander Gehler: Der Ankauf der Privatsammlung von J. F. Blumenbach (1752–1840) durch die Universität Göttingen. In: Philippia 15,3 (2012), S. 169–187. Einen ersten Überblick über Blumenbachs Leben und Werk bieten die Darstellungen von Marx, Ehlers und Dougherty. Siehe Karl Friedrich Heinrich Marx: Zum Andenken an Johann Friedrich Blumenbach: eine Gedächtniss-Rede gehalten in der Sitzung der Königlichen Societät der Wissenschaften den 8. Februar 1840. Göttingen 1840. Siehe Ernst Ehlers: Göttinger Zoologen. In: Festschrift zur Feier des hundertfünfzigsten Bestehens der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. [Tlbd. 3:] Beiträge zur Gelehrtengeschichte Göttingens. Berlin 1901, S. 391–494. Siehe Frank William Peter Dougherty: Commercium epistolicum J. F. Blumenbachii. Aus einem Briefwechsel des klassischen Zeitalters der Naturgeschichte. Katalog zur Ausstellung im Foyer der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 1. Juni–21. Juni 1984. Göttingen 1984. Eine Liste mit weiterführender Forschungsliteratur befindet sich auf der Homepage des Projekts „Johann-Friedrich Blumenbach – Online“ unter dem Menüpunkt „Blumenbach“ – „Forschungsliteratur“: http://www.blumenbach-online.de (letzter Zugriff: 29. März 2019). Ich verwende in diesem Zusammenhang den Begriff „Text“ in seiner traditionell literaturwissenschaftlichen Bedeutung: die Materialgrundlagen des Projekts sind „Texte“ und „Sammlungsobjekte“. Neuere Überlegungen zur Begriffsdefinition von Text und Werk siehe Johnny Kondrup: Text und Werk – zwei Begriffe auf dem Prüfstand. In: editio 27 (2013), S. 1–14.

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Abb. 1: Johann Friedrich Blumenbach. Mezzotinto von F. E. Haid. Credit: Wellcome Collection. CC BY 4.0.

Die noch vorhandenen Objekte aus Blumenbachs naturhistorischen Sammlungen stammen aus den Bereichen Geologie, Mineralogie, Meteoritenkunde, Paläontologie, Zoologie, Botanik, Anatomie, Medizin, Pharmakognosie, Anthropologie, Ethnologie, Kunstgeschichte, Archäologie, Ur- und Frühgeschichte. Es handelt sich um ca. 4500 Objekte, die weitgehend auf einzelne Sammlungen der Universität Göttingen verteilt sind.

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3. Planungsschritte Eine elektronische Edition verlangt z. T. andere und intensivere Vorarbeiten als eine gedruckte Edition. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Das Textkorpus rückt dabei als Ausgangsmaterial der Edition in den Mittelpunkt. Die Arbeitsschritte auf dem Weg zur Edition sind, grob gefasst, die folgenden: Ermittlung und Beschreibung der Werke, Erarbeitung der Metadatenkonzepte, Digitalisierung der Buchseiten und Anfertigung von Volltexten, Erstellung der Regeln für die inhaltliche Bearbeitung der Volltexte (Edition). 3.1. Ermittlung und Beschreibung des Materialkorpus Die Bibliographie Johann Friedrich Blumenbach: Bibliographie seiner Schriften wurde im Herbst 2010 als Printversion veröffentlicht und wird heute online auf der Projekthomepage gepflegt.7 Gegenwärtig sind Digitalisate der gedruckten Seiten und nicht edierte Volltexte von mehr als 99 Prozent aller Publikationen online auf der Projekthomepage zugänglich. Die Bibliographie muss als notwendige Grundlagenforschung betrachtet werden, da der augenfällige Mangel an Vorläuferwerken und die Notwendigkeit eines exakten Mengengerüsts für die geplante Digitalisierung eine detaillierte Ermittlung des Gesamtumfangs von Blumenbachs Publikationstätigkeit erzwangen. Diese Arbeiten begannen bereits vor dem Start der eigentlichen Projektlaufzeit. Im Rahmen der Recherche wurden vor allem zeitgenössische Quellen herangezogen, die zuverlässiger Zeugnis von Blumenbachs Schaffen ablegen als solche jüngeren Datums.8 Die autopsierten9 Titel wurden gemäß der internationalen Beschreibungskonvention AACR210 und zusätzlich nach den Regeln für die Katalogisierung alter Drucke der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek beschrieben. Die Bibliographie ist nicht nur eine chronologische Liste, vielmehr sind die Werke strukturell nach Publikationsform erschlossen und kommentiert, und auch inhaltliche Abhängigkeiten werden aufgezeigt. Auf Basis des sich aus der Bibliographie ableitenden Mengengerüsts konnte das Projekt den Dienstleistern für die Herstellung der Rohdaten vor der Auftragsvergabe Zahlen liefern, mit denen sich die für die Digitalisierung entstehenden Kosten genauer kalkulieren ließen. –––––––— 7

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Claudia Kroke (unter Mitarb. von Reimer Eck und Wolfgang Böker): Johann Friedrich Blumenbach – Bibliographie seiner Schriften. Göttingen 2011 (Schriften zur Göttinger Universitätsgeschichte. 2). Onlineversion auf der Projekthomepage unter dem Menüpunkt „Werke“ – „Blumenbachs Publikationen“: http://www.blumenbach-online.de (letzter Zugriff: 29. März 2019). Hinweise finden sich in Blumenbachs eigenen Schriften und Briefen, ebenso wie in Werken von Pütter und Callisen. Siehe Johann Stephan Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen. 4 Tle. Göttingen 1765–1838. Siehe Adolph Carl Peter Callisen: Medicinisches Schriftsteller-Lexicon der jetzt lebenden Aerzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Apotheker, und Naturforscher aller gebildeten Völker. 33 Bde. Copenhagen und Altona 1830–1845. Der Fachbegriff Autopsie beschreibt die bibliothekarische Formalerschließung der tatsächlich vorliegenden Ressource, deren Ergebnis eine Titelaufnahme ist. Siehe Heidrun Wiesenmüllern / Silke Horny: Basiswissen RDA: Eine Einführung für deutschsprachige Anwender. Berlin 2017 (2015), S. 3, 12. Joint Steering Committee for Revision of AACR of the American Library Association: AngloAmerican cataloguing rules. 2nd ed. 2002 revision, 2004 update. Chicago 2002.

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3.2. Erarbeitung der Metadatenkonzepte Zu Beginn der Laufzeit richtete das Projekt große Aufmerksamkeit auf die Erarbeitung konzeptioneller und infrastruktureller Vorgaben, die mindestens über die gesamte Laufzeit von 15 Jahren tragfähig sein müssen. Von großer Bedeutung für das Projekt, das tausende von elektronischen Objekten erzeugt, ist die Verwendung von Standards und Metadaten. Sie helfen bei der Verwaltung von Daten und sind unabdingbar für deren Identifizierung, Strukturierung, Auffindbarkeit und Austauschbarkeit. Die Metadatenschemata und Anwendungsprofile, die speziell für die Projektmaterialien entwickelt wurden, orientieren sich an folgenden Standards: FRBR11, Dublin Core12, MARC-Relators13, LIDO14, CIDOC CRM15, ISO-Normen16, GND17, GettyThesaurus18, Mime-Types19. 3.3. Anfertigung von Bilddigitalisaten Exemplare der meisten Publikationen Blumenbachs sind im Besitz der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB), und wurden im Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ) digitalisiert.20 Erstellt wurden TIF-Dateien mit 300 dpi in Farbe – diese Qualitätsstufe geht über die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellten Anforderungen an Digitalisierungsvorhaben für Bücher aus diesem Publikationszeitraum sogar noch hinaus.21 Mit seinen Imagedateien möchte das Projekt nicht nur die historische Anmutung der Originalpublikationen vermitteln, sondern auch optimale Grundlagen für die Weiterverarbeitung, d. h. Volltexterfassung, bereitstellen – gute Vorlagen begünstigen eine hohe Erkennungsgenauigkeit. Wegen der –––––––— 11

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Siehe die deutschsprachige Studie der IFLA Study Group on the Funktional Requirements for Bibliographic Records: Funktionale Anforderungen an bibliografische Datensätze. 2009. URL: https://d-nb. info/993023320/34 (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Dublin Core Metadata Initiative. URL: http://dublincore.org (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe MARC Code List for Relators. URL: http://www.loc.gov/marc/relators/relacode.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Lightweight Information Describing Objects. URL: http://network.icom.museum/cidoc/ workinggroups/lido/what-is-lido (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe CIDOC Conceptual Reference Model. URL: http://www.cidoc-crm.org/ (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe ISO 639-2: Codes for the representation of names of languages. URL: http://www.loc.gov/ standards/iso639-2/php/code_list.php (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe ISO 3166-1: Codes for the representation of names of countries and their subdivisions – Part 1. URL: https://www.iso.org/ obp/ui#iso:std:iso:3166:-1:ed-3:v1:en,fr (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Deutsche Nationalbibliothek: Gemeinsame Normdatei (GND). URL: http://www.dnb.de/DE/ Standardisierung/GND/gnd_node.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Getty-Thesaurus of Geographic Names Online. URL: http://www.getty.edu/research/tools/ vocabularies/tgn/index.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe IANA: Media Types. URL: http://www.iana.org/assignments/media-types/index.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Ein digitales Exemplar jeder digitalisierten Publikation aus dem Besitz der SUB wird auch in deren Repositorium vorgehalten, siehe Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen – Göttinger Digitalisierungszentrum: Blumenbachiana. URL: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/ collection/ blumenbachiana (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Praxisregeln „Digitalisierung“. URL: http://www.dfg. de/formulare/12_151/12_151_de.pdf (letzter Zugriff: 29. März 2019).

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anthropologischen und naturhistorischen Ausrichtung von Blumenbachs Werken ist es dem Projekt besonders wichtig, farbige und großformatige Abbildungen auf gefalteten Blättern vollständig und in hoher Auflösung zu zeigen. Diese für wissenschaftliche Arbeit unerlässlichen Kriterien erfüllen kommerzielle Anbieter wie beispielsweise Google Books nicht.22

Abb. 2: Johann Friedrich Blumenbach: Beyträge zur Naturgeschichte. Erster Theil. Göttingen: 1790. Titelblatt. Credit: Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“.

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Siehe Google Books. URL: https://books.google.de (letzter Zugriff: 29. März 2019).

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3.4. Erstellung von Volltexten Der Gesamtumfang und die Formenvielfalt innerhalb des Korpus erforderten den Einsatz eines auf Texterfassung spezialisierten Dienstleisters, der auf der Grundlage der Bilddigitalisate die Rohtexte per double keying erzeugt.23 Diese unedierten Rohtexte enthalten lediglich eine rudimentäre XML-Auszeichnung. Vor der Auftragsvergabe wurden anhand von Mengengerüst und von Probeseiten Angebote verschiedener Dienstleister eingeholt. Die Leistungsfähigkeit des Dienstleisters wurde zunächst an einer Modelledition getestet, bestehend aus 43 Schriften Blumenbachs, die die strukturelle (Publikationsform, Layout) und inhaltliche Bandbreite der Publikationen widerspiegeln. Dazu erhielt er ein vom Projekt erstelltes „Pflichtenheft“ über die zu erfassenden strukturellen und typographischen Textmerkmale. Die verpflichtende Nutzung von TEI-XML war bereits im Projektantrag festgelegt worden.24 TEI ist ein internationaler De-Facto-Standard für Kodierung und Austausch digitaler Texte in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Version P5 beschreibt ein fest definiertes tag set von etwa 500 XML-Elementen, mit denen sich Metadaten, Struktur und Inhalt kodieren lassen. Sie ist innerhalb ihres eigenen Regelwerks sehr flexibel und erlaubt das tagging z. B. eines inhaltlichen Textaspekts auf mehrere gültige Arten. Der Dienstleister wurde angewiesen, die durch double keying erfassten Texte zunächst in TEI-Tite (ein für Dienstleister entwickeltes TEI-Format) zu kodieren und anschließend in vollgültiges TEI P5 umzuwandeln. Ergebnis sind nicht edierte Volltexte, deren Markup die Struktur der gedruckten Seite gemäß „Best Practice for TEI in Libraries“ Level 3–4 enthält.25 Unterstützend erhielt der Dienstleister auch eine im Projekt erarbeitete Buchstabenmustertabelle, in der Buchstaben verschiedener Schriftfamilien und Schriftschnitte nach Unicode aufgelöst sind. Die so erhaltene Basisauszeichnung konzentriert sich auf das Wesentliche, bewahrt aber dennoch größtmögliche Nähe zur gedruckten Buchseite. Im Rahmen der Strukturkodierung werden neben der Binnenstruktur der gedruckten Publikation auch die Absatzgestaltung, Buchschmuck, Zitate, Abbildungstafeln, Corrigenda, Zeilentrennungen, ein Link zur Imagedatei der Druckseite und die verwendeten Schriftarten und Schriftschnitte kodiert. Letztere sind für dieses Korpus wissenschaftlicher Fachliteratur besonders wichtig, da sie Sprachwechsel bzw. Fachvokabular und Lehnworte anzeigen können. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der TEI-Kodierung, durch die die Materialität der Blumenbachpublikationen in quasiforensischer Tiefe maschinenlesbar würde, kommt für die Bearbeitung dieses Korpus im Rahmen des Projekts aus mehreren Gründen nicht in Betracht. Erstens: Ziel des Projekts ist nicht eine historisch–––––––— 23 24 25

Tests mit OCR-Software lieferten insbesondere bei der Erkennung von Frakturschrift, die in vielen Werken Blumenbachs verwendet wird, keine ausreichende Erkennungsgenauigkeit. Text Encoding Initiative (TEI): P5 Guidelines for electronic text encoding and interchange. URL: http://www.tei-c.org/release/doc/tei-p5-doc/en/html/index.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe TEI SIG on Libraries: Best Practices for TEI in Libraries. URL: https://web.archive.org/web/ 20180621205252/http://www.tei-c.org/SIG/Libraries/teiinlibraries/main-driver.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Diese Dokumentation war bis Juli 2018 auf der Webseite der TEI Special Interest Group on Libraries abrufbar. Inzwischen sind diese Empfehlungen in von der community nachnutzbare ODD-Dateien umgewandelt worden. Die Gruppe ist mittlerweile nicht mehr aktiv.

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kritische Edition, sondern vielmehr die Sicherstellung der Überlieferung von Blumenbachs wissenschaftlichem Werk mitsamt der zahlreichen Folgeauflagen und Übersetzungen und dessen Präsenz in der digitalen Welt. Zweitens: Der Fokus liegt bei der Bearbeitung durch das Projekt nicht auf dem Exemplar, sondern auf der Ausgabe. Es handelt sich hier eben nicht um handschriftliches Material oder unikale Druckerzeugnisse, sondern um nichtliterarische gedruckte Publikationen von Gebrauchstexten in unterschiedlichsten Formen und Sprachen aus moderner handwerklicher bzw. maschineller Produktion über einen langen Entstehungszeitraum (1774–1873).26 Drittens: Zusätzliches Markup zur Erfassung weiterer formaler Aspekte der Vorlage durch den Dienstleister erhöht die Herstellungskosten unverhältnismäßig zu dem Erkenntnisgewinn des Nutzers. Viertens: Der Nutzer wird sich der Materialität der Texte durch die parallele Nutzung von Imagedatei und Volltext annähern können. Die nach bibliothekarischen Regeln beschriebenen formalen Aspekte der gedruckten Vorlage sind Bestandteil der Titelaufnahme, die nicht nur in der Werkbibliographie, sondern auch als Quellenbeschreibung im XML-Header jeder Volltextdatei vorhanden ist. Der Dienstleister erarbeitete sukzessive die Volltexte von durch das Projekt definierten Teilmengen des Korpus. Daraus resultierte eine Verfeinerung der Erfassungsanweisung. In der Regel liefert ein Dienstleister die TEI-XML-Volltextdateien ohne Header.27 Daher erarbeitete das Projekt einen spezifischen Header, der nicht nur den Regeln der „Best Practice for TEI in Libraries“ folgt, sondern sich auch am EntitätenRelationen-Modell FRBR orientiert. Dadurch ist eine optimale Identifizierbarkeit und Darstellung der inhaltlichen Abhängigkeiten in einer Suchergebnisliste im späteren Portal möglich.28 Der Dienstleister fügt den Header ein und liefert vollständige Dateien an das Projekt, die vor einer Weiterverarbeitung bzw. Veröffentlichung noch intensiv geprüft, korrigiert und validiert werden.

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Siehe Colin Clair: A history of European printing. London u. a. 1976, bes. S. 312–367. Eine 1817 in London erschienene Übersetzung von Blumenbachs Institutiones physiologicae (1. Aufl. Göttingen 1787) war das erste maschinell gedruckte Buch: The Institutions of Physiology; translated from the Latin of the third and last edition, and supplied with numerous and extensive notes, by John Elliotson … London 1817 (1787). Dateiheader enthalten Metadaten, die für die Verwaltung von Dateien unerlässlich sind, z. B. Dateinamen, an der Herstellung beteiligte Instanzen, Informationen über die dem Volltext zugrundeliegende gedruckte Quelle, Kodierungshinweise u. v. m. Zum zukünftigen Portal siehe Abschnitt 4.3 in diesem Beitrag.

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4. Editionsarbeit Die eigentliche Editionsarbeit, im Projektkontext auch Tiefenerschließung genannt, beginnt nach der Lieferung der durch den Dienstleister mit Strukturkodierung versehenen XML-Volltexte. 4.1. Textaspekte Die Texte werden durch die Bearbeiter des Projekts auf TEI-BP-Level 5 gehoben. Diese Ebene wird im Regelwerk „Best Practice for TEI in Libraries“ folgendermaßen definiert: The text is generated either through corrected OCR or keyboarding and is able to stand alone without page images, […]. In addition, the tagging requires substantial human intervention by encoders with subject knowledge.29

Gemeint ist inhaltliche Erschließung und Textauszeichnung mit den entsprechenden TEI-Elementen. Dadurch werden nicht nur die Strukturen eines Textes, sondern auch seine Inhalte maschinenlesbar gemacht. Die Bearbeitung erfolgt mit dem OxygenXML-Editor, der wegen des eingebundenen TEI-Regelwerks komfortabel und sicher zu nutzen ist.30 Zunächst werden beim in Bearbeitung befindlichen Text HeaderInformationen ergänzt, die auf die bei der Tiefenerschließung zum Einsatz kommenden kontrollierten Vokabulare und Thesauri hinweisen. Zu einem geringen Teil wurde kontrolliertes Vokabular vom Projekt selbst entwickelt (wie die JFBO-Genretypen31), weil die vorhandenen Regelwerke für das Projektmaterial nicht aussagekräftig genug waren. Im Rahmen der Editionsarbeit werden sechzehn Textaspekte ausgezeichnet: Personennamen, Körperschaftsnamen, Namen von Orten, Literaturangaben, Zitate, Sammlungsobjekte32, Originalfußnoten, Datumsangaben, Abbildungsbeschreibungen33, Buchschmuck, Sprachwechsel, Auflösung von Abkürzungen, Druckfehler, Herausgeberfußnoten, unsichere Lesungen und nichtauflösbare bzw. nicht aufgelöste Unklarheiten, Unsicherheiten bei der Editionsarbeit. Auch in diesem Zusammenhang werden Standards und Normdatenbanken eingesetzt: CERL-Thesaurus für Personen- und –––––––— 29 30 31

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Siehe Anm. 25, Abschn. 1 des Dokuments. Siehe Oxygen XML Editor. URL: https://www.oxygenxml.com (letzter Zugriff: 29. März 2019). Mit den zu Projektbeginn über bibliothekarische Regelwerke (RSWK, MARC Genre Terms) verfügbaren Formschlagwörter waren die Textarten der Blumenbach-Schriften nicht ausreichend beschreibbar. Die hierfür auf Basis der Bibliographie (Kroke, Johann Friedrich Blumenbach, siehe Anm. 7) entwickelten Genretypen beschreiben die Erscheinungsweise, den begrifflichen Inhalt, die Art der Darstellung und das Niveau der Darstellung. Bei den Sammlungsobjekten handelt es sich teilweise um menschliche Überreste. Um den respektvollen Umgang mit ihnen zu gewährleisten, hat das Blumenbachprojekt eigens ein entsprechendes Markup entwickelt: Jeder Überrest erhält neben seiner Kennzeichnung als Sammlungsobjekt zusätzlich eine Zuordnung zu einem Individuum, welches im projekteigenen Personenverzeichnis eigens beschrieben wird. Abbildungsbeschreibungen sollen Personen mit eingeschränkter Sehfähigkeit die Nutzung der Edition erleichtern.

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Körperschaftsnamen34, Getty-Thesaurus of Geographic Names35, Iconclass36, GND37, DDC38, MARC-Relators39, ISO-Standards für Datumsangaben40, Sprachbezeichnungen41, Länderbezeichnungen42, W3C43. Dort vorhandene Identifikatoren werden übernommen, und damit die Einbindung der im Projekt erarbeiteten Informationen als Linked Open Data ermöglicht. Für die an der Edition der Blumenbachpublikationen direkt beteiligten Mitarbeiter wurde im Projekt eine TEI-Kodierungsanweisung erstellt, damit die Konsistenz des Markups so weit als möglich sichergestellt ist. Dabei wurde darauf geachtet, projektinterne Definitionen, z. B. von Attributwerten, nicht ausschließlich maschinen-, sondern auch menschenlesbar zu gestalten. Wie bei einer traditionellen analogen Edition ist es auch bei einer elektronischen Edition möglich, ein bestimmtes Erkenntnisziel festzulegen – hier über die Kodierung. Die Kodierung der Blumenbachvolltexte ist hingegen weitestgehend offen gehalten, d. h. sie enthält bewusst nur einen kleinen Anteil interpretativer Elemente, damit Forscher das Material für unterschiedlichste Fragestellungen benutzen können. Im Sinne von Transparenz und Nachhaltigkeit wird eine Dokumentation des für das Blumenbachprojekt eingesetzten Markups erstellt und zukünftig im Onlineportal zur Verfügung stehen.44 Der so aufbereitete Text bietet dem Nutzer die Möglichkeit, die Texte ganz nach eigenem Forschungsinteresse mit den sich fortwährend entwickelnden Werkzeugen der Digital Humanities zu bearbeiten. Das Projekt erarbeitet eigene „TEI-XML-Datenbanken“, sogenannte Kontextdateien, in die aus dem Volltext per Hyperlink verknüpft wird. Es gibt Kontextdateien für die in Blumenbachs Publikationen genannten Personen, Körperschaften und erwähnte Literatur. Auch in diesem Zusammenhang werden bereits erwähnte Standards und Normdatenbanken genutzt. Die projekteigenen Kontextdateien wurden angelegt, weil der Einsatz externer Datenbanken aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu betrachten ist. Sie enthalten z. T. mehrere Datensätze (und damit mehrere Identifikatoren) zur selben Person, oder sie enthalten nicht die Personenbeschreibungen, die das Projekt benötigt, oder sie weisen andere Mängel auf, z. B. unterschiedlich strukturierte, mehrsprachige Informationen gleichen oder ähnlichen Inhalts innerhalb eines Eintrags. Bei manchen Datenbanken besteht die Gefahr, dass die zukünftige Nutzung von einer Gebühr abhängig wird. Die XML-Kontextdateien des Projekts dagegen –––––––— 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Siehe Consortium of European Research Libraries: CERL Thesaurus. URL: https://data.cerl.org/ thesaurus/_search (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Anm. 18. Siehe Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie: Iconclass. URL: http://www.iconclass.nl/home (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Anm. 17. Siehe Dewey-Dezimalklassifikation. URL: https://deweysearchde.pansoft.de/webdeweysearch/ (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Anm. 13. Siehe ISO 8601: Date and time – representations for information interchange. URL: https://www. iso.org/standard/70907.html (letzter Zugriff: 29. März 2019). Siehe Anm. 16. Siehe Anm. 16. Siehe World Wide Web Consortium. URL: https://www.w3.org (letzter Zugriff: 29. März 2019). Zum zukünftigen Portal siehe Abschnitt 4.3 in diesem Beitrag.

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können detaillierte projektspezifische Informationen aufnehmen und werden im unmittelbaren Projektzusammenhang stabil vorgehalten: das Problem der broken links wird vermieden. 4.2. Verknüpfung von Volltexten und Sammlungsobjekten Eine elektronische Edition ist auf besonders effiziente Art und Weise in der Lage eine detaillierte und visualisierbare Analyse von Blumenbachs Werk zu ermöglichen, die Entwicklung und Verbreitung von Ideen und Texten über einen langen Zeitraum sichtbar zu machen und auf diese Art neue Felder für inter- und transdisziplinäre Forschung zu erschließen. Darüber hinaus ist die Verlinkung von Erwähnungs- und Abbildungsoriginalen von naturhistorischen Sammlungsobjekten mit einer modernen wissenschaftlichen Beschreibung und digitalen Fotografien für die Lebens- und Geowissenschaften von zentraler Bedeutung. Aber nicht nur dort: besonders im Zusammenhang mit dem aktuellen material turn gewinnt die materielle Kultur auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften immer stärker an Gewicht. Die noch vorhandenen auf Blumenbach zurückgehenden naturhistorischen Sammlungsobjekte wurden zunächst in den diversen modernen Göttinger Universitätssammlungen, auf die sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach verteilt wurden, lokalisiert und identifiziert.45 Anschließend wurden sie in einer eigens entwickelten Datenbank mittels 120 unterschiedlicher Kategorien für eine wissenschaftliche Beschreibung erfasst. Besonderes Gewicht wurde dabei auf die wissenschaftshistorischen Aspekte (detaillierte Beschreibung, Transkription historischer Etiketten, Fundorte, Besitzgeschichte, Donatoren, historische und aktuelle naturwissenschaftliche Klassifikationen) gelegt. Die Standardisierung von Personen- und Ortsnamen erfolgt mittels CERL- und Getty-Thesaurus. Von allen Sammlungsobjekten werden digitale 2D-Fotografien erstellt. Von ausgewählten Objekten (z. B. den menschlichen Schädeln aus Blumenbachs anthropologischer Sammlung) können Halb- und Vollkugelanimationen angefertigt werden, die als Animationen im HTML5-Format auch die Möglichkeit bieten, in sie hinein zu zoomen.46 Zusätzlich werden von einigen Sammlungsobjekten mit einer Stereokamera Anaglyphenbilder erzeugt. Die Verknüpfung aus dem Volltext zur Sammlungsobjektbeschreibung und den -fotografien soll anhand eines persistent identifier (PID) erfolgen, der dem Beschreibungsdatensatz eines Sammlungsobjekts zugeordnet wird. Für die nachhaltige Verknüpfung von Texten und Sammlungsobjekten ist der Einsatz von persistenten Identifikatoren unabdingbar. Die Auszeichnung der von Blumenbach in seinen Texten erwähnten Sammlungsobjekte mit dem relevanten Markup erfolgt in der laufenden Bearbeitung – die Pfadangabe enthält vorläufig einen Platzhalter, der nach der Vergabe von PIDs durch diese ersetzt werden wird. –––––––— 45 46

Vgl. auch Christine Nawa: Zum ‚öffentlichen Gebrauche‘ bestimmt: Das Academische Museum Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch 58 (2010), S. 23–62. Der PackshotCreator 3D der Fa. Sysnext, eine Art Fotoautomat, wurde zu Projektbeginn beschafft und muss stationär betrieben werden. Seitdem ist die Entwicklung auch auf diesem Gebiet fortgeschritten: inzwischen ermöglicht neuere Scantechnik problemlos den mobilen Einsatz.

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Abb. 3: Backenzahn eines Wollhaarmammuts. Credit: GZG Museum / G. Hundertmark.

4.3. Darstellung im zukünftigen Portal Die aktuelle Homepage des Projekts „Johann Friedrich Blumenbach – Online“ bietet dem Nutzer bereits jetzt Texte (durchsuchbare, aber nicht edierte Volltexte und Imagedateien der gedruckten Werke) und Zusatzmaterialien wie die Bibliographie, Briefregesten, ein Verzeichnis von Blumenbachs Vorlesungen, Vorlesungsmitschriften, eine Liste der von ihm hinterlassenen Bücher und mehr an. Auch Sammlungsobjektbeschreibungen und -fotografien sollen demnächst hier zugänglich gemacht werden. Jedoch sollen die Edition und die dazugehörigen Materialien ihr endgültiges „Zuhause“ in einem Blumenbach-Portal finden. Dieses entsteht seit Dezember 2018 in Zusammenarbeit mit einem Göttinger IT-Kooperationspartner. In Präsentationsansichten, die der Nutzer eigenen Wünschen anpassen können wird (z. B. in einer synoptischen Darstellung), sollen dort die Bilddateien von Texten und Sammlungsobjekten, gerenderte Volltexte samt Zusatzinformationen und die Sammlungsobjektdatensätze im HTML-Format zur Verfügung stehen. Die Volltexte der gedruckten Werke Blumenbachs sollen bequem am Bildschirm lesbar sein. Mit Rücksicht auf das in den letzten Jahren stark gestiegene Interesse internationaler Forscher an Blumenbach soll die Zugangsschwelle möglichst niedrig gehalten werden.47 Das bedeutet,

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Siehe Nicolaas Rupke / Gerhard Lauer (Hrsg.): Johann Friedrich Blumenbach: race and natural history, 1750–1850. London u. a. 2019.

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dass bei der Transformation von TEI-XML nach HTML die kodierten Strukturmerkmale der gedruckten Seite erhalten bleiben, auf die Verwendung der für außerdeutsches Publikum ungewohnten Frakturschrift in HTML-Dateien aber verzichtet wird.

5. Laufzeitbedingte Herausforderungen Die im Vergleich zu einem DFG-Projekt lange Laufzeit eines Akademienprojekts birgt neben Chancen auch Risiken. Für das Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“ besteht die Herausforderung u. a. in der Anpassung an infrastrukturelle und informationstechnologischen Veränderungen. So ist beispielsweise an der Universität Göttingen im Jahr 2013 eine Zentrale Kustodie für die akademischen Lehr- und Forschungssammlungen etabliert worden, mit der sich das Projekt abstimmen muss.48 Die Universität ist Eigentümerin der Universitätssammlungen und somit auch der darin aufgegangenen Sammlungen Blumenbachs und hat sich vor dem Hintergrund des material turn in den letzten Jahren verstärkt um deren Sichtbarmachung bemüht, z. B. durch Ausstellungen und die Planung eines Wissenschaftsmuseums („Forum Wissen“).49 Die Absprachen zwischen zentraler Kustodie und dem Projekt betreffen auch den gegenseitigen Austausch von Sammlungsobjektdaten. Der Beobachtung von unterschiedlich schnell voranschreitenden Entwicklungen im IT-Bereich widmet das Projekt ebenfalls viel Aufmerksamkeit. In der Folge müssen bisweilen bereits getroffene Entscheidungen revidiert werden. Beispielsweise erwies sich die im Projektantrag vorgesehene Nutzung einer damals neuentwickelten „virtuellen Forschungsumgebung“ für die Geisteswissenschaften als schwierig: zum einen wurden die für das Projekt notwendigen Anpassungen nicht vorgenommen, zum anderen konnte die Langzeitverfügbarkeit und -nutzbarkeit der Projektmaterialien auf dieser Plattform nicht als sicher angenommen werden. Ein weiteres Beispiel: Die Firma Adobe stellt ihre Plattform Flash, mit der bislang die 3D-Animationen von Sammlungsobjekten realisiert wurden, zum Jahr 2020 ein.50 Das Projekt wird stattdessen HTML5 einsetzen. Eine weitere Herausforderung stellen die persistenten Identifikatoren für alle vom Projekt erzeugten digitalen Objekte dar. Derzeit gibt es noch keinen universellen Standard für PID, wohl aber parallele und konkurrierende Entwicklungen. Da das Blumenbachprojekt nicht auf eine Standardlösung warten kann, muss es nach bestmöglicher Abwägung der Vor- und Nachteile und in Absprache mit dem IT-Kooperationspartner eines der PID-Modelle für sein Repositorium anwenden. Allerdings –––––––— 48

49

50

Siehe Zentrale Kustodie der Georg-August-Universität Göttingen: Jahresbericht Januar bis Dezember 2014. URL: https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/6c3f210b5bd500e7b67e817b11 af5982. pdf/Jahresbericht%20Zentrale%20Kustodie%202014_web.pdf (letzter Zugriff: 29. März 2019), S. 3. Siehe Peter J. Bräunlein: Material Turn. In: Dinge des Wissens: die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen. Begleitbd. zur Ausstellung anlässlich des 275. Jubiläums der Georg-AugustUniversität 2012, Paulinerkirche, 2. Juni 2012–7. Oktober 2012. Göttingen 2012, S. 30–44. Siehe Martin Holland: Adobe verabschiedet sich von Flash: 2020 ist Schluss. In: Heise online, 25. Juli 2017. URL: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Adobe-verabschiedet-sich-von-Flash-2020-istSchluss-3783264.html (letzter Zugriff: 29. März 2019).

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Claudia Kroke

könnte die Zusammenarbeit mit der Zentralen Kustodie dazu führen, dass die digitalen Versionen von Blumenbachs Sammlungsobjekten zwei PIDs bekommen, nämlich einen in der Datenbank des Projekts und einen weiteren Identifikator in der Datenbank der Göttinger Universitätssammlungen.51 Das TEI-P5-Regelwerk wird durch das TEI-Konsortium immer wieder im Rahmen von Revisionen punktuell verändert. In der Folge kann es bei der Bearbeitung der Textdateien im Projekt dazu kommen, dass bislang valide Syntax nicht mehr als solche von der Editor-Software akzeptiert wird und Fehlermeldungen angezeigt werden. Natürlich können diese Regeländerungen u. a. durch die Anpassung der Schemadatei abgefangen werden. Dennoch stellt der Umstand für ein Langzeitprojekt, das auf Konsistenz angewiesen ist, eine Herausforderung dar. Schnelle, permanente Veränderlichkeit ist ein zentrales Merkmal des Internets. Das Projekt wird der dadurch begünstigten Versuchung widerstehen, unablässig Textversionen zu erzeugen und zu publizieren. Im Sinne der philologischen Nachhaltigkeit werden im zukünftigen Portal lediglich fertig bearbeitete Texte online verfügbar gemacht und damit die Traditionslinie der gedruckten Edition fortgeführt.

6. Zusammenfassung und Ausblick Das Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“ zeichnet sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus. Erstens: Zu Beginn der Projektlaufzeit entstand eine strukturierte, kommentierte Bibliographie, die als Materialgrundlage für die Edition dient. Zweitens: Durch die Verwendung internationaler Standards für Metadaten und Dateiformate, die der Interoperabilität, Nachnutzbarkeit und Langzeitarchivierung dienen, ist das Blumenbachprojekt gezielt auf die weltweite Vernetzung in der wissenschaftlichen community angelegt. Das Projekt leistet innovative Grundlagenforschung bei der Umsetzung von Regelwerken. Die Einbindung von zeitgenössischer Sekundärliteratur und tiefenerschlossenen Sammlungsobjekten in tiefenerschlossene Volltexte unter Berücksichtigung der dazugehörigen Metadaten, Normen und Standards waren bislang weiße Flecken auf der Landkarte der elektronischen Editionen. Drittens: Die vom Projekt betriebene Volltextauszeichnung in XML-TEI liefert Ergebnisse von hoher Qualität. Diese sind nicht nur für die unterschiedlichsten Fragestellungen und Wissenschaftsdisziplinen nutzbar, sondern ausdrücklich auch für die gegenwärtig und zukünftig verfügbaren digitalen Werkzeuge.

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Siehe Sammlungsportal der Georg-August-Universität Göttingen. URL: https://sammlungen.unigoettingen.de (letzter Zugriff: 29. März 2019).

„Johann Friedrich Blumenbach – Online“: Welten verbinden

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Claudia Kroke

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„Johann Friedrich Blumenbach – Online“: Welten verbinden

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Katharina Krüger

Weiterschreiben, überschreiben: Wie der Kommentar zu den Statuten des Militär-Knaben-Erziehungsinstituts entsteht Einblicke in die Genese von Wolfgang Koeppens Jugend

1. Das dossier génétique zu Koeppens Jugend In den frühen 1960er Jahren beginnt Wolfgang Koeppen an Texten zu arbeiten, die schließlich 1976 zusammengestellt in dem Buch Jugend erscheinen.1 Es ist die erste eigenständige Buchpublikation nach 15 Jahren, die der ehemals publikationsstarke Autor vorlegt: Ein schmaler Band in der Bibliothek Suhrkamp mit 146 Druckseiten und somit nicht der erwartete „große Roman“, von dem Koeppen gegenüber seinem Verleger immer wieder gesprochen hatte.2 Stattdessen erscheint ein „vollendetes Fragment“3, das in Sequenzen strukturiert ist. Die Dimensionen des Schreibprojekts Jugend wurden erst durch die Erschließung des Nachlasses sichtbar: Über 1450 Blatt Typoskripte zu Jugend liegen im WolfgangKoeppen-Archiv in Greifswald. Ein näherer Blick in dieses dossier génétique zeigt, dass Koeppen ein prozessorientierter Allesschreiber4 ist, der nicht planvoll und zielgerichtet schreibt (und auch nicht sortiert ablegt), sondern im Schreiben mäandriert. Seine Arbeitsweise erscheint unsystematisch, diskontinuierlich, eruptiv, langwierig, immer wieder neu ansetzend, verwerfend, überschreibend, korrigierend und stagnierend. Im Konvolut befinden sich überwiegend Textstufen und Varianten zum publizierten Text, aber auch über Jugend hinausgehende literarische Entwürfe und poetologische Überlegungen. Planvolle Übersichten zum Text, seinem Aufbau und seinen Figuren finden sich kaum, es sind nur vereinzelte Typoskripte datiert oder paginiert, und viele Sequenzen sind seit den späten 1960er Jahren bereits publiziert worden, ohne als Zusammenhang kenntlich gemacht worden zu sein. Das Schreiben –––––––—

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Wolfgang Koeppen: Jugend. Frankfurt a. M. 1976. Vgl. „Ich bitte um ein Wort …“ Wolfgang Koeppen – Siegfried Unseld. Der Briefwechsel. Hrsg. von Alfred Estermann und Wolfgang Schopf. Frankfurt a. M. 2006. Zu dem Verhältnis zwischen Jugend und dem großen ungeschriebenen Roman sei auf Walter Erharts (Walter Erhart: Wolfgang Koeppen. Das Scheitern moderner Literatur. Konstanz 2012, S. 260) These hingewiesen, für den Jugend „nur die sichtbare Variante und das Kernstück einer sich über Jahrzehnte erstreckenden Anstrengung darstellt, jenen von Koeppen imaginierten und konzipierten umfangreichen Roman zu schreiben, der letztlich nicht zustande kommt, in den Romanvarianten jedoch stets präsent ist“. Vgl. dazu Marcel Reich-Ranicki: Wahrheit, weil Dichtung. Wolfgang Koeppens vollendetes Fragment „Jugend“. In: Ders. (Hrsg.): Wolfgang Koeppen. Aufsätze und Reden. Zürich 1996, S. 63–71, hier S. 64f. (zuerst in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 20. November 1976): „Koeppens Buch ist nicht Dichtung und Wahrheit, sondern Wahrheit weil Dichtung. Und es ist auf seine Weise vollendet, nicht obwohl, sondern weil es als Fragment konzipiert war und es glücklicherweise auch geblieben ist.“ Vgl. Almuth Grésillon: Literarische Handschriften. Einführung in die critique génétique. Bern, Berlin, Frankfurt a. M., New York, Paris, Wien 1999 (Arbeiten zur Editionswissenschaft. 4), S. 132–134.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-007

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Katharina Krüger

scheint kein Ende zu kennen, und die Unvollendetheit scheint dabei sowohl „Signatur der Moderne“, als auch Abbild der Arbeitsweise zu sein.5 Zwar hat Koeppen am Ende eine Satzvorlage zur Abgabe beim Verlag zusammengestellt, diese Aufgabe also nicht, wie lange angenommen, Dritten überlassen – doch stand er dabei wohl unter nicht unerheblichem Druck seitens seines Verlegers. Das rhizomatische Typoskript-Konvolut mit seinen Verästelungen und Verflechtungen konnte seit Bestehen des Wolfgang-Koeppen-Archivs eingesehen werden und war in der Koeppen-Philologie auch bekannt. ArchivnutzerInnen konnten die Typoskripte jedoch in der Regel nur in einer unsystematischen Ordnung als schlecht lesbare Schwarz-weiß-Kopien oder als qualitativ minderwertiges Digitalisat einsehen. Der Fokus lag damit archivarisch auf dem (Real-)Text. Die Beschaffenheit des Dokuments, d. h. die physischen Eigenschaften des Textträgers sowie der Materialtext, d. h. das den Realtext übermittelnde Medium6 – im Falle Koeppens die Farbbänder der Schreibmaschinen und die unterschiedlich farbigen Kugelschreiber – ließen sich kaum erkennen und konnten in die Deutung deshalb nicht einfließen. Bei der digitalen textgenetischen Edition des Konvoluts ist deshalb auf die Materialität der Typoskripte im besonderen Maße Wert gelegt worden.7 Die „materialbedingten Zusatzbedeutungen“8 können zwar auch bei hochwertigen digitalen Reproduktionen, die parallel zu den transkribierten Texten eingeblendet werden, nur begrenzt wiedergegeben werden – aber die Edition ermöglicht dennoch überhaupt die Beschäftigung mit ihnen.

2. Digitale textgenetische Edition und Materialität Auf der Suche nach einer strukturierten, nutzerfreundlichen, die Rechercheinteressen antizipierenden und zugleich praktikablen Darstellung der über 1450 Blatt Typoskript haben sich die EditorInnen für ein Modell entscheiden, dass drei verschiedene miteinander vernetzte Zugänge ermöglicht. Die Sequenzstruktur von Jugend ist dabei zugleich Ordnungsprinzip der textgenetischen Edition. Die Materialität spielt jedoch nur in zwei der drei Zugänge eine Rolle. Der Zugang Lesetext, der die Lektüre des Buchtextes unter Berücksichtigung der Differenzen verschiedener Ausgaben ermöglicht, gibt zwar u. a. die Zeilenabstände zwischen den einzelnen Sequenzen des Buchtextes ausgabengetreu wieder, verzichtet aber sowohl auf Digitalisate der Ausgaben als auch auf die Edition der Paratexte und stellt die Materialität somit gegenüber dem Real- und Idealtext zurück. –––––––— 5

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Almuth Grésillon: Schreiben ohne Ende? Fragen zur Textgenese. In: Katharina Krüger / Elisabetta Mengaldo / Eckhard Schumacher (Hrsg.): Textgenese und digitales Edieren. Wolfgang Koeppens Jugend im Kontext der Editionsphilologie. Berlin, Boston 2016 (Beihefte zu editio. 40), S. 10. Die gewinnbringende terminologische Differenzierung geht zurück auf Johnny Kondrup. Vgl. Johnny Kondrup: Text und Werk – zwei Begriffe auf dem Prüfstand. In: editio 27 (2013) (DOI 10.1515/editio2013-002) sowie den Beitrag von Johnny Kondrup in diesem Band. Wolfgang Koeppen: Jugend. Textgenetische Edition. Hrsg. von Katharina Krüger, Eckhard Schumacher und Elisabetta Mengaldo. Berlin 2016; www.koeppen-jugend.de (letzter Zugriff: 28. September 2019). Kondrup 2013, S. 12.

Weiterschreiben, überschreiben: Kommentar zu den Statuten des Militär-Knaben-Erziehungsinstituts

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Bei dem Zugang Texte hingegen, der alle Textträger zu Jugend erfasst und diese durchsuchbar macht, ist die Materialität in Erfassung und Darstellung berücksichtigt. Jedes Dokument wurde dafür gesichtet, vermessen, auf seine Papierbeschaffenheit und Beschädigungen hin überprüft etc.9 Der Umstand, dass es sich dabei überwiegend um Typoskripte handelt und Koeppens handschriftliche Korrekturen im Vergleich zu anderen Autoren gut lesbar sind, bietet den großen Vorteil der Leserlichkeit und die Möglichkeit der automatischen Zeichenerkennung als Grundlage für die philologische Arbeit der parallel eingeblendeten Transkriptionen. Der Materialtext dokumentiert aber auch verschiedene Überarbeitungsschritte, die in den Transkriptionen transparent dargestellt werden sollten. Deshalb kann der Betrachter wählen, ob er sich die maschinenschriftliche Grundschicht (Maschinenschrift inklusive maschinenschriftlicher Sofortkorrekturen) oder den Endzustand des Textes unter Berücksichtigung aller nachträglichen hand- und maschinenschriftlichen Änderungen (und damit aller Korrekturschichten, die sich ohnehin kaum voneinander trennen ließen) ansehen möchte. Es lassen sich auch alle Änderungen anzeigen, die mit einem bestimmten Medium (z. B. einem roten Kugelschreiber) vorgenommen worden sind. Die unterschiedlichen Schreibmaschinentypen brachten ernüchternderweise kaum Erkenntnisse; Koeppen scheint unsystematisch und zeitlich unabhängig verschiedene eigene, geliehene oder von Schreibkräften mitgebrachte Maschinen genutzt zu haben. Der dritte Zugang Textgenese rekonstruiert die Entstehung. Aufgrund nicht vorhandener Datierungen und der Komplexität der Entstehung ist es nicht möglich gewesen, eine gesicherte chronologische Abfolge der Typoskripte festzulegen. Stattdessen sind für jede Sequenz genetische Pfade rekonstruiert worden, die aus Gruppen von Textträgern gebildet werden. Eine Gruppe besteht aus einer beliebigen Anzahl von Textträgern, die aufgrund ausgewiesener textueller und/oder materieller Eigenschaften als zusammengehörig betrachtet werden. Die Gruppen stehen untereinander in einem textgenetischen Verhältnis (vorangehende und nachfolgende Gruppe), das als genetischer Pfad visualisiert wird. Bedingt durch die Komplexität der Genese entstehen bisweilen mehrere Pfade zu einer Sequenz, die parallel angezeigt werden und von denen viele in Sackgassen enden. Innerhalb der Gruppen sind die Relationen zwischen den einzelnen zugeordneten Dokumenten beschrieben, ebenso die zugrundeliegenden Hypothesen, weshalb Typoskripte zu einer Gruppe zusammenfasst worden sind und wie sich die Gruppe zu den vor- und nachfolgenden Gruppen verhält. Die Genese jeder der 53 Sequenzen wird abgeschlossen mit der Satzvorlage aus dem Siegfried Unseld Archiv, Marbach sowie dem Text der jeweiligen Sequenz im Buch Jugend (mit Verlinkung zum Zugang Lesetext). Virtuell lassen sich die in über 35 Archivmappen verstreuten Typoskripte durch die gewählten Zugänge in neuen Repräsentationszusammenhängen darstellen. Die editorischen Entscheidungen bleiben durch die Digitalisate transparent und zugleich hinterfragbar. –––––––—

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Vgl. die Anzeige der Metadaten im Zugang Texte der digitalen Edition von Koeppens Jugend: www.koeppen-jugend.de (letzter Zugriff: 28. September 2019).

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Katharina Krüger

3. Das Militär-Knaben-Erziehungsinstitut Die archivarische und editorische Arbeit an Koeppens Jugend wurde begleitet von einem close reading der einzelnen Sequenzen, das u. a. auch der Erstellung eines Schlagwortregisters zur inhaltlichen Texterschließung diente. Aufgefallen ist dabei u. a. ein Sequenzkomplex, der durch den Schauplatz, ein Militär-Knaben-Erziehungsinstitut, verbunden ist (Sequenzen 10–22 in der Edition): Die Mutter des jugendlichen Protagonisten erhält zur Zeit des Ersten Weltkrieges eine Einladung auf einen Gutshof, wo sich mehrere Gutsherren versammelt haben, für welche die Mutter Näharbeiten ausführt. Die Gutsherren reden der Mutter ein, dass ihr uneheliches Kind in Kriegszeiten eine Belastung sei. Unter dem gegebenen sozialen und wirtschaftlichen Druck lässt die Mutter gegen ihren Willen eine Militärlaufbahn für ihren Sohn zu. Erzählt wird diese Sequenz in zwei Sätzen; einem kurzen, einleitenden Fragesatz und einem sehr langen, ausufernden parataktischen Satzgefüge, das ohne abschließendes Satzzeichen endet. Es folgen die vergleichsweise kurzen Sequenzen 11 bis 19, in denen das MilitärKnaben-Erziehungsinstitut als Institution beschrieben wird. Dort finden sich Details zu den Aufnahmebedingungen, den Hierarchien und den Strukturen des Instituts, die mit den Koeppen-typischen Reihungen von Assoziationen und Verweisen komplex verdichtet werden. Diese Sequenzen beginnen mit kleingeschriebenen Buchstaben und als Satzzeichen finden sich lediglich Kommata; sie sind durch jeweils eine Leerzeile voneinander getrennt. Die Sequenzen 20 und 21 sind wiederum durch drei Zeilen vom vorangehenden Text separiert. Es spricht nun ein Ich, das vom Fenster des Krankenreviers aus den Kasernenhof beobachtet und den Alltag der „Militärischen Knabenerziehungsanstalt“ vor dem inneren Auge aufleben lässt. Anspielungen auf Träume und das Fieber des Ichs lassen im Unklaren, ob es sich dabei um tatsächlich Erlebtes handelt. In der Sequenz 22 wird schließlich erzählt, wie die Mutter ihren Sohn zu Kriegsende aus dem Krankenrevier abholt. Diese Sequenzen 20 bis 22 haben im Vergleich zu den vorigen Sequenzen den konventionellsten Satzbau und sind am Ende durch drei Leerzeilen von der anschließenden Passage separiert. Eine festzuhaltende formale Besonderheit ist der Mittelteil (Sequenz 11–19), eine Reihe direkt aufeinander folgender vergleichsweise kurzer Sequenzen. Im Kontext des Buches ist eine solche Häufung kurzer Sequenzen einmalig, die Kleinschreibung der Sequenzen scheint formal ein verbindendes Element zu sein; es fällt das Fehlen von Punkten auf, zudem sind diese um viele Fakten angereicherten Passagen in einem prägnanten Nominalstil gehalten. Die Forschung hat sich bislang primär der Frage zugewandt, ob und inwiefern es sich um eine autobiographische Textpassage handelt und wo sich das detailliert beschriebene Institut befunden haben könnte. Zur Beantwortung dieser Fragen ist auch der Nachlass konsultiert worden.10 Zu genau hatte Koeppen das Militär-Erzie–––––––—

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Vgl. Ramona Werner: „Während Hielscher (1988) diese Passage noch für autobiographisch hält, ist sich die Forschung mittlerweile darüber einig, dass es sich um eine Fiktion handelt, die sozusagen ein Tryptichon [sic!] der preußischen Institutionen (Schule, Vormundschaftsgericht, Militär/Instituts-

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hungsinstitut beschrieben, als dass anzunehmen war, diese Passage sei reine Fiktion und ohne realen Bezug. In einem Brief an seinen Verleger Unseld hat Koeppen jedoch deutlich gemacht, dass er selbst eine solche Einrichtung nie besucht hat: Da wieder mal ein Ich berichtet und Lebensdaten des erzählenden Ichs sich manchmal mit meinen berühren, werden Leser den Text für autobiographisch halten. Das stimmt aber nicht. Es ist mehr Dichtung als Wahrheit. Erinnerungen an eine fremde Jugend, eigentlich Kindheit, Albträume von einem anderen. Ich habe diese Wohnung nicht bewohnt, war auch nie in einer Militärerziehungsanstalt, verbrachte meine Schuljahre in Ostpreußen und nicht Pommern, wuchs nicht in einem Milieu extremer Armut auf, aber ich hatte diese Empfindungen, oder sie kamen mir beim Schreiben.11

Dass sich in Jugend „Fakten und Fiktion“ mischen, das Verrechnen von Text und Biographie im Sinne des Autobiographischen Pakts demnach nicht aufgeht, darauf hat bereits der Klappentext der Erstausgabe hingewiesen. Im Falle der Militär-Knaben-Erziehungsanstalt verhält es sich jedoch ganz anders. Koeppen bezieht die Detailinformationen zu dem Institut nicht aus seinen Erinnerungen, sondern aus einer Recherche, die uns Lesern nicht verheimlicht wird. Denn liest man die einleitende 10. Sequenz aufmerksam, so wird ein Buch explizit erwähnt, wenngleich es in die Erzählung verwoben ist und nicht als externer, enzyklopädischer Wissensspeicher markiert ist. Die Rede ist von der Scharteke […], ein unentbehrliches Auskunftsbuch für jedermann in populärer Darstellung, unsere Armee und unsere Marine, der Einband war gewichtig, er war genagelt, Gott mit uns in Gold auf schwarzem Grund und der preußische Aar schwarz auf goldenem Grund und dann gleich Er auf der ersten Dreifachfarbätzung, nein, nicht Er, Er nur, wie Er aussehen wollte oder hatte aussehen wollen und nun schon nicht mehr aussah, ergraut und vielleicht schon untergegangen, seiner Majestät Linienschiff, Kaiser Wilhelm II., wogenumspült, schaumgekrönt, buggepanzert, goldbeschlagen, adlergallioniert […].12

Was hier beschrieben wird, ist zum einen der illustrierte Buchdeckel des Buches Armee und Marine. Unentbehrliches Auskunftsbuch für Jedermann in populärer Darstellung13 und zum anderen eine dem Buch beiliegende Farbabbildung des Linien–––––––—

11 12 13

geistlichkeit) bildet, denen sich das Erzähler-Ich erfolgreich entziehen kann. Während der genaue Ort dieses Instituts im veröffentlichten Text unbenannt bleibt, finden sich in den Typoskripten Überlegungen zu einer möglichen ‚Verortung‘: in Jugend, Mappe 3, wird Wilhelmsburg benannt, in Mappe 7 ist es Augustenburg.“ (Ramona Werner: Das Resonanzfeld Preußen im Werk Wolfgang Koeppens. Greifswald 2012, S. 271; https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-001249-3 [letzter Zugriff: 28. September 2019]). Demnach wäre das Militär-Knaben-Erziehungsinstitut eher als eine protypische Institution zu verstehen, die keiner konkreten Lokalisierung bedarf. Im unübersichtlichen TyposkriptKonvolut findet sich noch ein weiterer Ortsname, Annaburg. Die Entdeckung dieses Namens geht auf Gunnar Müller-Waldeck zurück. Vgl. Gunnar Müller-Waldeck: Der Annaburger Zögling. Eine Anmerkung zu Wolfgang Koeppens Jugend. In: Sinn und Form 56 (2004), Heft 3, S. 392–399. Estermann / Schopf 2006, S. 279. Koeppen 1976, S. 42. Armee und Marine. Unentbehrliches Auskunftsbuch für Jedermann in populärer Darstellung. Bearbeitet von Josef Kürschner und fortgeführt bis auf die Neuzeit unter Mitwirkung von J. L. Algermissen, Oberstleutnant a. D. u. a., mit 300 Text-Illustrationen und 20 farbigen Tafeln, Hamburg o. J. (Signatur im Wolfgang-Koeppen-Archiv Greifswald W.Koe. 4295).

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schiffs Kaiser Wilhelm II. Fast alle genannten Details finden sich wieder. Ein Exemplar dieses Nachschlagewerks befindet sich in Koeppens Nachlass-Bibliothek und führte zu einer besonderen Entdeckung. Denn Koeppen zitiert in Jugend Versatzstücke aus diesem Auskunftsbuch über ein Militär-Knaben-Erziehungsinstitut wortwörtlich, ohne sie als Zitate kenntlich zu machen. Das betrifft jeweils die Anfänge der Sequenzen 11–19, die in Armee und Marine unter der Überschrift „Das MilitärKnaben-Erziehungsinstitut in Annaburg“ zu finden sind. Die auffällige Detailkenntnis des Annaburger Instituts, die Gunnar MüllerWaldeck herausgefunden hatte, ist somit leicht aufzulösen und geht nicht auf eigenes Erleben zurück.14 Dass literarische Schreibprozesse wie in diesem Fall oft verquickt sind mit Recherchen, Exzerpten und Übernahmen, ist literaturtheoretisch kein Novum, spielte bislang in der critique génétique aber offenbar eine untergeordnete Rolle: In allen Schreibvorbereitungsphasen (Material sammeln, Wissen überprüfen, Konzepte klären usw.) ist es mit dem vielzitierten Langzeitgedächtnis meist nicht getan: Externe Informationsquellen werden konsultiert bzw. exzerpiert und verquicken sich so eng mit dem Schreibprozeß, daß man mit gutem Recht behaupten kann, ‘writing ist rewriting’. Diese Idee ist als solche nicht neu, Bachtin z. B. hat sie in seinen Schriften vielfach ausgeführt; in der Schreibforschung jedoch scheint sie bisher noch wenig Beachtung gefunden zu haben.15

Umso spannender ist in diesem Falle der Blick in das dossier génétique.

4. Die Genese der 12. Sequenz Im Folgenden beziehe ich mich auf den avant-texte zur Sequenz 12 und versuche, im Sinne der critique génétique die „graphisch-räumliche(n) Spuren in textgenetischzeitliche Indizien zu verwandeln“. 16 Der Fokus liegt dabei auf dem genetischen Pfad, der zum Text der Sequenz geführt hat. Auf die darüber hinaus bestehenden Sackgassen und Querverweise zu anderen Sequenzen, welche die Prozesshaftigkeit des Schreibens einmal mehr verdeutlichen, wird aus Gründen der Übersichtlichkeit an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Die im Folgenden beschriebene Arbeitsweise steht dabei exemplarisch für die Sequenzen 12–19, die alle in sehr ähnlicher Weise entstanden sind.17 Es gilt vermutlich ebenso für die Sequenz 11, nur haben sich bei dieser die Entstehungsdokumente nicht erhalten. Eine weitere Sequenz in dieser Form könnte zudem angedacht gewesen sein (M355-M014-096)18 – hier gibt es entsprechende Vor–––––––— 14 15 16 17

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Vgl. Müller-Waldeck 2004, S. 392–399. Almuth Grésillon: Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben. In: Sandro Zanetti (Hrsg.): Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte. Berlin 2012, S. 162. Vgl. Grésillon 1999, S. 150. Ob die Sequenzen direkt aneinander anschließend oder verteilt entstanden sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Die ähnliche Vorgehensweise spricht für die zeitliche Nähe, allerdings sind verschiedene Papiersorten und Schreibmaschinen verwendet worden. Die Reihenfolge der zitierten Sequenzanfänge im späteren Buch entspricht nicht exakt, aber beinahe der Abfolge in Armee und Marine. Im Folgenden werden die Signaturen aus dem Wolfgang-Koeppen-Archiv Greifswald angegeben. Unter diesen Signaturen sind die Typoskripte auch in der digitalen Edition zu finden (vgl. Koeppen 2016).

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arbeiten. Schon diese Vorbemerkungen zeigen: Die schriftlichen Spuren, der Realtext, das Dokument wie der Materialtext gewähren nur einen statischen Einblick. Unzugänglich sind hingegen die nicht niedergeschriebenen Gedanken und Einfälle, die dem, was sich auf den Dokumenten wiederfindet, zugrunde liegen.19 Folgende Entstehungsphasen der 12. Sequenz lassen sich anhand der Befunde konstatieren: 1. Die ersten dokumentierten Arbeitsschritte der Genese sind spärliche mit Bleistift vorgenommene Anstreichungen und zwei hinzugefügte Notizen im Buch Armee und Marine. Für Koeppens Nachlassbibliothek sind solche eher marginalen Arbeitsspuren typisch; ebenso der sorgsame Umgang mit den eigenen Büchern. 2. Koeppen tippt nun ein wörtliches Zitat – den späteren Sequenzanfang – ab und nutzt dafür blassgelbes Papier (MID 355-M014-016) – und das mutmaßlich nicht aus Mangel an anderem Papier. Retrospektiv scheint bereits die Wahl des Papiers die Differenz zwischen Fremdtext und eigener Textproduktion zu verdeutlichen. – Die Kleinschreibung der Sequenz ist offenbar von Beginn an intendiert und könnte auch als Markierung verstanden werden. Während der Satz in Armee und Marine mit „Die Knabenschule“ beginnt, nutzt Koeppen hier den Begriff „Die Militär-Knaben-Erziehungsanstalt“, der sich jedoch im unmittelbaren Umfeld des Zitierten (drei Zeilen zuvor in der Überschrift) befindet. – Der ganze Rest der Seite wird freigelassen, ein Durchschlag wird angefertigt. 3. Auf diesen Durchschlag klebt Koeppen ergänzend eine separat getippte Passage, die mit der Schere zuvor ausgeschnitten wurde (MID355-M014-119. Diese Collage markiert durch zwei unterschiedliche Papiersorten die Differenz zwischen Zitat und eigenem Text zusätzlich. Dafür, dass das absichtlich geschieht, spricht auch die Tatsache, dass Koeppen entweder das Blatt hätte erneut in die Maschine einspannen und weiter tippen können oder auch die wenigen Worte neu hätte abtippen können. Schreibökonomische Kriterien, wie ein zu umgehender zeitlicher Mehraufwand oder Materialeinsparungen, sind somit sehr unwahrscheinlich. Vielmehr scheint die Differenz auf Ebene des Dokuments bewusst verdeutlicht worden zu sein. – Die neu hinzugefügte Passage wird zweifach handschriftlich korrigiert, mit einem roten und einem blauen Kugelschreiber. 4. Dass die Differenz zwischen Zitat und eigenem Text bewusst kenntlich bleiben soll, dafür spricht klar die daran anschließende Phase: Koeppen tippt nun den entstandenen Text noch einmal in Reinschrift ab, allerdings schaltet er beim Zitat um auf das rote Schreibband der Maschine (MID355-M014-089). Die Markierung der Differenz verschiebt sich demnach von der Ebene des Dokuments auf die Ebene des Materialtexts. Korrekturen werden mit der Schreibmaschine in Kombination mit einem Kugelschreiber vorgenommen. Vorsicht ist geboten bei dem alleinigen Betrachten des an anderer Stelle gefundenen Durchschlags, –––––––— 19

Vgl. Grésillon 2012, S. 153.

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Katharina Krüger

denn dem Durchschlag sieht man den Wechsel des Farbbands nicht an (MID355-M008-051). 5. Es folgt eine Reinschrift ohne Zitatmarkierung, von der sich ein Durchschlag im Nachlass erhalten hat. Die Großschreibung und die gänzlich fehlenden Kommata irritieren; der ungewöhnlich große Zeilenabstand bietet sich an zum Korrigieren (MID355-M008-038). Es ist zu vermuten, dass Koeppen die Texte einer Schreibkraft diktiert hat, die das mündliche Diktat gemäß dem Gehörtem wiedergegeben hat. Im Nachlass endet der genetische Pfad an dieser Stelle, er wird auf Seite des Verlagsarchivs fortgeführt. 6. Das dazugehörige Original findet sich nämlich im Siegfried Unseld Archiv in Marbach und entspricht der Seite 25 der von Koeppen beim Verlag eingereichten Satzvorlage. Von einer Reinschrift kann kaum die Rede sein, denn es finden sich diverse letzte Korrekturen: Einige sind Koeppen zuzuordnen, andere vielleicht auch dritter Hand, der Lektorin oder dem Setzer. Sie sind maschinenschriftlich sowie mit blauem Kugelschreiber vorgenommen. Ein roter Kugelschreiber dient der Paginierung, mit rot und grün werden die Leerzeilen zwischen den Sequenzen kenntlich gemacht, die eine dritte Hand mit dem Bleistift als „1 LZ“ (eine Leerzeile) ausweist. Die zuvor vorhandene Kleinschreibung und die Kommasetzung werden nun wieder rekonstruiert. Dass erst in den letzten Arbeitsschritten auf dem Weg zur Publikation die materielle Markierung aufgelöst wurde, sie bis dahin im Schreibprozess aber sichtbar bleiben sollte, deutet vielleicht schon an, dass der Status dieser Texte sich von anderen Sequenzen abhebt. Koeppen notiert auf einer undatierten maschinenschriftlichen Notiz unter der Überschrift „Zurückgestellte Texte“ Sequenzen, die er bislang nicht für die Publikation vorgesehen hat, und fügt handschriftlich hinzu: „Verschiedene Versuche“. Darunter finden sich die Texte „Das Militär-Knaben-Erziehungsinstitut soll“ sowie direkt darunter „Kommentar zu den Statuten des Instituts“ (MID355-M018-008). Koeppen selbst bezeichnet seine Ergänzungen zu den Zitaten also mit dem Textsortenbegriff „Kommentar“, demnach als zusätzliche kritische oder persönliche Erläuterung vorhandener Texte. Tatsächlich handelt es sich um den größten Verbund unpublizierter Sequenzen, der erst mit Erscheinen des Buches 1976 öffentlich wurde. Koeppen hat diese Sequenzen im Zuge des Schreibprozesses zwar nicht verworfen, aber er scheint sich auch nicht von Beginn an sicher gewesen zu sein, was mit diesen Texten passieren sollte. Das könnte in Zusammenhang stehen mit ihrem schwierigen Status, denn Fakten und Fiktion mischen sich hier auf zwei Ebenen: Zum einen vermengen sich biographische Fakten mit literarischer Fiktion, zum anderen Fremdzitat und eigene Textproduktion. Ein spannungsvolles Verhältnis – nicht nur für den Entstehungsprozess, sondern auch für die Rezeption –, das Koeppen mit dem Klappentext des Buchs bereits zu antizipieren wusste: „Jugend ist ebensosehr Darstellung der eigenen wie die einer fremden Jugend. Jugend ist ebenso Beschreibung wie Erzählung: Fakten und Fiktion mischen sich.“

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Literaturverzeichnis Erhart, Walter: Wolfgang Koeppen. Das Scheitern moderner Literatur. Konstanz 2012 Estermann, Alfred / Wolfgang Schopf (Hrsg.): „Ich bitte um ein Wort …“ Wolfgang Koeppen – Siegfried Unseld. Der Briefwechsel. Frankfurt a. M. 2006 Grésillon, Almuth: Literarische Handschriften. Einführung in die critique génétique. Bern, Berlin, Frankfurt a. M., New York, Paris, Wien 1999 (Arbeiten zur Editionswissenschaft. 4) – Schreiben ohne Ende? Fragen zur Textgenese. In: Katharina Krüger / Elisabetta Mengaldo / Eckhard Schumacher (Hrsg.): Textgenese und digitales Edieren. Wolfgang Koeppens Jugend im Kontext der Editionsphilologie. Berlin, Boston 2016 (Beihefte zu editio. 40) – Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben. In: Sandro Zanetti (Hrsg.): Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte. Berlin 2012 Koeppen, Wolfgang: Jugend. Frankfurt a. M. 1976 – Jugend. Textgenetische Edition. Hrsg. von Katharina Krüger, Eckhard Schumacher und Elisabetta Mengaldo. Berlin 2016; www.koeppen-jugend.de (letzter Zugriff: 28. September 2019) Kondrup, Johnny: Text und Werk – zwei Begriffe auf dem Prüfstand. In: editio 27 (2013), S. 1–14 (DOI 10.1515/editio-2013-002) Armee und Marine. Unentbehrliches Auskunftsbuch für Jedermann in populärer Darstellung. Bearbeitet von Josef Kürschner und fortgeführt bis auf die Neuzeit unter Mitwirkung von J. L. Algermissen, Oberstleutnant a. D. u. a., mit 300 Text-Illustrationen und 20 farbigen Tafeln, Hamburg o. J. Müller-Waldeck, Gunnar: Der Annaburger Zögling. Eine Anmerkung zu Wolfgang Koeppens Jugend. In: Sinn und Form 56 (2004), Heft 3, S. 392–399 Reich-Ranicki, Marcel: Wahrheit, weil Dichtung. Wolfgang Koeppens vollendetes Fragment „Jugend“. In: Ders. (Hrsg.): Wolfgang Koeppen. Aufsätze und Reden. Zürich 1996, S. 63– 71 (zuerst in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. November 1976) Werner, Ramona: Das Resonanzfeld Preußen im Werk Wolfgang Koeppens, Greifswald 2012; https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:9-001249-3 (letzter Zugriff: 28. September 2019)

Anne-Elisabeth Beron

(un)interessant? Glossen als eigener Apparat am Beispiel der Handschriften zur 1. Ekloge des Calpurnius Siculus

In der Klassischen Philologie beschränkt sich das fachliche Interesse von Haus aus zunächst auf den Text eines Autors, wie er in den Editionen dargeboten wird, um davon ausgehend weitere Studien zu betreiben: z. B. Kommentierung und Übersetzung, Betrachtung der narratologischen Struktur und der Intertextualität, Beleuchtung bestimmter Motive und der Inszenierung des Autor-Ichs usw. Den Text eines antiken Autors zu rekonstruieren stellt natürlich das primäre Movens eines Editors bei der Arbeit an Papyri, Handschriften und frühen Drucken dar, jedoch sieht er sich bei dieser Arbeit mit weiteren Inhalten des Dokuments, d.h. des Textträgers, konfrontiert, die dem Benutzer der Edition in der Regel nicht sichtbar gemacht, geschweige denn erklärt werden. Im Wuppertaler Graduiertenkolleg ‚Dokument – Text – Edition‘ habe ich eine kommentierte Ausgabe der 1. Ekloge des neronischen Bukolikers Calpurnius Siculus besorgt,1 in die Glossen prominent integriert sind. Dieses neue Konzept wird hier vorgestellt, wobei es gilt, zunächst allgemein den handschriftlichen Befund (I.) zu präsentieren und die unterschiedlichen Arten der Paratexte (II.) zu kategorisieren, dann ihre Behandlung in der bisherigen Calpurnius-Forschung und ihren potentiellen Nutzen (III.) zu beleuchten, um schließlich auf ihren Platz in der Neuedition und die damit verbundenen editorischen Entscheidungen (IV.) einzugehen. Da es hier nicht inhaltlich um den Text des Calpurnius geht, liegt es in der Natur der Sache, dass vieles im Folgenden rein deskriptiven und klassifizierenden Charakter haben wird.

I. Der handschriftliche Befund Zunächst zum handschriftlichen Befund: Die 7 Eklogen des Calpurnius Siculus sind in insgesamt 34 Manuskripten und 7 Florilegien überliefert, hinzu kommen einzelne Verse am Rand eines Berner Codex sowie die editio princeps (ρ) von 1471, die auf

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Die Publikation der kommentierten Edition zur 1. Ekloge ist für 2020 geplant. Die folgenden Ergebnisse stammen aus Forschungen im Zusammenhang mit dieser Edition, sind dort jedoch in dieser Form – abgesehen vom Glossenapparat an sich – nicht wiedergegeben. Die Edition fungiert ferner als Grundlage für Text, Übersetzung und Paratexte der 1. Ekloge. Für die restlichen Eklogen wurde die Ausgabe von Maria Assunta Vinchesi (Hrsg.): Calpurnii Siculi Eclogae. Florenz 2014 herangezogen. Andere antike Autoren sind nach dem Thesaurus linguae Latinae (ThLL) abgekürzt und nach den dort angegebenen Editionen zitiert. Die Übersetzungen aus dem Lateinischen stammen von der Verfasserin.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-008

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Anne-Elisabeth Beron

einen codex deperditus zurückgehen dürfte.2 Die älteste Handschrift stammt aus dem zwölften, der Rest lässt sich zumeist in das fünfzehnte Jahrhundert datieren. Die ohnehin übersichtliche Gesamtzahl lässt sich für die Überlieferung der 1. Ekloge auf 33 Handschriften und ein Florilegium weiter reduzieren. Davon können ferner 13 Handschriften sowie das Florilegium als codices descripti eliminiert werden,3 d. h. es handelt sich hierbei lediglich um Kopien anderer Manuskripte, die für die Textkonstitution nicht von Relevanz sind. Überschaubar ist der Befund schließlich dadurch, dass die 1. Ekloge nur 94 Verse umfasst, also nicht zu den längsten Gedichten des Calpurnius zählt.4 In einem Codex nimmt sie – je nach dessen Format – drei bis fünf Seiten ein, so dass auch der verfügbare Raum im Dokument für Zusätze über die Verszahl hinaus begrenzt ist. Schließlich ergibt sich eine weitere Einschränkung: Manche Handschriften bieten nur den eigentlichen Text erster Hand ohne Zusätze (zu Autor, Titel, Sprecherbezeichnungen und Varianten siehe Abschnitt II, Punkte 1 bis 3), etwa der Ambrosianus I 26 sup. (b) oder der Vaticanus Latinus 2110 (c); nur wenige sind im Gegensatz dazu reich glossiert wie der Ottobonianus Latinus 1466 (f) oder der Riccardianus 636 (u).

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Die hier verwendeten Siglen entsprechen prinzipiell Michael David Reeve: The Textual Tradition of Calpurnius and Nemesianus. In: CQ 28 (1978), S. 223–238; unabhängige Codices, für die er die Siglen von codices descripti weiterverwendet, erhalten zur Unterscheidung von den Abschriften ein ° in Nachfolge von Di Salvo (vgl. Lucia Di Salvo [Hrsg.]: T. Calpurnio Siculo, Ecloga VII. Bologna 1990, S. 44 Anm. 10; bei Vinchesi 2014 sind sie jeweils mit einem Apostroph gekennzeichnet, vgl. Vinchesi 2014, S. 54 Anm. 173). Der Patavinus 598 bekommt die Sigle d° in Anlehnung an Tissoni Benvenuti [Antonia Tissoni Benvenuti: Uno sconosciuto testimone delle ecloghe di Calpurnio e di Nemesiano. In: IMU 13 (1980), S. 381–387, insbes. S. 382], die jedoch mit d dieselbe Sigle wie die des als descriptus eliminierten Vaticanus Latinus 3152 (d) vorgeschlagen hat. Für einen Katalog der erwähnten Handschriften und Editionen vgl. Luigi Castagna: I bucolici latini minori. Una ricerca di critica testuale. Florenz 1976, S. 13–105. Weitere Beschreibungen und Übersichten finden sich ferner bei Reeve 1978, S. 236–238; Raoul Verdière (Hrsg.): T. Calpurnii Siculi De laude Pisonis et Bucolica et M. Annaei Lucani De laude Caesaris. Einsidlensia quae dicuntur carmina. Brüssel 1954, S. 76–86; Heather Williams (Hrsg.): The Eclogues and Cynegetica of Nemesianus. Leiden 1986, S. 9–24; Jacqueline Amat (Hrsg.): Calpurnius Siculus. Bucoliques. Pseudo-Calpurnius. Éloge de Pison. Paris 1991, S. XLIV–LII; Vinchesi 2014, S. 56–59. Für den Patavinus 598 (d°) vgl. besonders Tissoni Benvenuti 1980, S. 383–385. Zu den Abhängigkeitsverhältnissen der codices descripti vgl. Verdière 1954, S. 296–297 (teilweise ähnlich schon Heinrich Schenkl [Hrsg.]: Calpurnii et Nemesiani Bucolica. Leipzig, Prag 1885, S. LIV), Castagna 1976, S. 149–151.176–177 und Reeve 1978, S. 223–224 (dort eine nützliche Übersicht, vgl. auch Vinchesi 2014, S. 54 Anm. 172–173). Zum Florilegium, den sog. Excerpta Florentina als Abschrift einer Edition, wohl der sog. editio Aldina secunda, vgl. Luigi Castagna: Per un’edizione delle Ecloghe di Calpurnio e Nemesiano: due nuovi testimoni manoscritti. In: Prometheus 1 (1975), S. 80–94, insbes. S. 84–87 und Castagna 1976, S. 207–208. Die 4. Ekloge ist mit 169 Versen am längsten. Die Gesamtverszahl der sieben Eklogen beläuft sich auf 758 Verse (gezählt auf Grundlage der folgenden Editionen: Dietmar Korzeniewski [Hrsg.]: Hirtengedichte aus neronischer Zeit. Titus Calpurnius Siculus und die Einsiedler Gedichte. Darmstadt 1971; Vinchesi 2014).

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II. Die verschiedenen Paratexte Vor dem Blick auf die unterschiedlichen Zusätze ist es notwendig, knapp die im Folgenden verwendeten Begriffe zu definieren: Mit Text ist das gemeint, was zunächst auf den Autor Calpurnius selbst zurückgeht, dann aber in davon und voneinander abweichenden Fassungen handschriftlich bis in die Frühe Neuzeit tradiert ist.5 Paratext ist im wörtlichen Sinne alles, was sich neben diesem Text als Zusatz fin6 det (abgeleitet von παρά – ‚neben‘), sich inhaltlich auf den Text bezieht und sich letztlich nicht auf den Autor zurückführen lässt,7 wobei die Frage nach der Materialität, also etwa nach Papier/Pergament, Format und Tinte für die folgenden Erwägungen nicht im Vordergrund stehen soll.8 Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette allerdings würde die meisten im Folgenden kategorisierten Paratexte nicht als solche identifizieren, da sich gemäß seiner Theorie nur der Autor oder dessen Vertreter (z. B. ein Editor) für einen Paratext verantwortlich zeichnet,9 während es sich bei den Zusätzen in Handschriften –––––––— 5

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Für die Notwendigkeit dieser Definition in Verbindung mit der des Paratextes spricht sich auch Ugo Rozzo: Il paratesto e l’informazione bibliografica. In: Paratesto 3 (2006), S. 211–231, insbes. S. 213 aus. Eine detaillierte Übersicht über die verschiedenen bei Handschriften verwendeten Textbegriffe mit weiterer Literatur bietet Patrick Andrist: Toward a Definition of Paratexts and Paratextuality: The Case of Ancient Greek Manuscripts. In: Bible as Notepad. Tracing Annotations and Annotation Practices in Late Antique and Medieval Biblical Manuscripts. Hrsg. von Liv Ingeborg Lied und Marilena Maniaci. Berlin, Boston 2018, S. 130–149, insbes. S. 135–138. Der hier vorgeschlagene Textbegriff entspricht aus der Liste bei Andrist einerseits dem Verständnis als „text-as-work/text-as-opus“ (Andrist 2018, S. 135–136), insofern als Text das Original meint, andererseits der Interpretation als „text-as-witness“ (Andrist 2018, S. 136), insofern verschiedene Abschriften des Originals als handschriftliche Zeugen auf uns gekommen sind. Nicht berücksichtigt sind hier daher Zusätze wie etwa Folio-Angaben, da diese keinen Bezugspunkt zum Text haben. Eben dieses Verständnis vom Paratext in Handschriften liegt allen Beiträgen in Jean-Claude Fredouille / Marie-Odile Goulet-Cazé / Philippe Hoffmann et al. (Hrsg.): Titres et articulations du texte dans les œuvres antiques. Actes du Colloque International de Chantilly, 13–15 décembre 1994. Paris 1997 zugrunde. Vgl. ebenso Andrist 2018, S. 132 und 146: „a piece of content whose presence in the manuscript-book is thematically dependent on one or several other pieces of content in the same book“. Zur Materialität bei Paratexten in Handschriften vgl. Giorgio Montecchi: La disposizione del testo nel libro antico. In: I dintorni del testo. Approcci alle periferie del libro. Atti del convegno internazionale, Roma, 15–17 novembre 2004, Bologna, 18–19 novembre 2004. Hrsg. von Marco Santoro und Maria Gioia Tavoni. Rom 2005, S. 191–205; Shane Butler: Cicero’s capita. In: The Roman Paratext. Frame, Text, Readers. Hrsg. von Laura Jansen. Cambridge 2014, S. 73–111; Donncha O’Rourke: Paratext and Intertext in Propertius. In: Jansen 2014, S. 156–175; Andrist 2018, S. 138–139; vgl. ferner den Metatext-Begriff nach Markus Hilgert: ‚Text-Anthropologie‘: Die Erforschung von Materialität und Präsenz des Geschriebenen als hermeneutische Strategie. In: Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 142 (2010), S. 87–126. Ebenfalls ausgespart ist ein von August den Hollander / Ulrich Schmid / Willem Smelik (Hrsg.): Paratext and Megatext as Channels of Jewish and Christian Traditions. Leiden, Boston 2003, S. viii angeführte weitere Kategorie, die Leerräume, Akzente und Zeichensetzung umfasst. Zum Akzent als Vokativmarkierung siehe jedoch unten (Punkt 4c.α). Gemäß Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M. 1993, S. 11 „die im allgemeinen weniger explizite und weniger enge Beziehung, die der eigentliche Text im Rahmen des von einem literarischen Werk gebildeten Ganzen mit dem unterhält, was man wohl seinen Paratext nennen muß: Titel, Untertitel, Zwischentitel; Vorworte, Nachworte, Hinweise an den Leser, Einleitungen usw.; Marginalien, Fußnoten, Anmerkungen; Motti; Illustrationen; Waschzettel, Schleifen, Umschlag und viele andere Arten zusätzlicher, auto- oder allographer Signale“. Später präzisiert er dieses Konzept (Gérard Genette: Paratexts. Thresholds of Interpretation. Cambridge 1997 [ND 2010], S. 9):

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oft um (spätere) Anmerkungen und Erläuterungen Dritter handelt, also eher um Metatexte gemäß Genette.10 Freilich ist seine für gedruckte Bücher etablierte Differenzierung nicht ohne Weiteres auf handschriftlich massenhaft überlieferte Texte übertragbar,11 zumal dort nicht stets ersichtlich ist, was wirklich auf den Autor zurückgeht bzw. von ihm autorisiert ist, und was nicht.12 In der Klassischen Philologie werden in der Regel nur wenige Paratexte aus den Handschriften in Editionen überführt.13 Regelmäßiger erscheinen in den Ausgaben:14 1. Autor/Titel15 Obwohl Autor und Werktitel in jeder kritischen Edition in irgendeiner Form erscheinen (z. B. auf dem Buchumschlag),16 wird dort nicht unbedingt Auskunft darüber gegeben, wie die Handschriften den Verfasser bzw. das Werk benennen. Ohnehin wäre es schwierig, anhand dessen zu rekonstruieren, wie Calpurnius sein Gedichtbuch –––––––— 10

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„By definition, something is not a paratext unless the author or one of his associates accepts responsibility for it, although the degree of responsibility may vary.“ Genette 1993, S. 13: „Dabei handelt es sich um die üblicherweise als ‚Kommentar‘ apostrophierte Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt, ohne ihn unbedingt zu zitieren.“ Freilich bespricht Genette 1997, S. 263–275 u. a. die Vorworte zu frühen Druckausgaben von Ovid und Homer, die – wie er selbst sagt – keineswegs auf den Autor zurückgehen, aber als Paratexte gelten, auch wenn sie sich streng genommen nur als Metatexte identifizieren ließen (Genette 1997, S. 270). Auf das Problem der Anwendbarkeit seiner Theorie auf Handschriften geht er weiter nicht ein. Vgl. die Kritik bei Andrist 2018, S. 131–132.139–140 und den Hollander/Schmid/Smelik 2003, S. vii–viii. Die Übertragung des Konzeptes des Paratextes auf Handschriften antiker Autoren erfreut sich gleichwohl seit Ende der 1990er einer größeren Beliebtheit, wie u. a. zwei Tagungen samt ihren Tagungsbänden Titres et articulations du texte dans les œuvres antiques (Fredouille / Goulet-Cazé / Hoffmann et al. 1997) und jüngst Bible as Notepad. Tracing Annotations and Annotation Practices in Late Antique and Medieval Biblical Manuscripts (2018) bezeugen, in welchem der Beitrag von Andrist 2018 hervorzuheben ist, u. a. aufgrund der Übersicht über die Anwendung des Terminus ‚Paratext‘ auf Handschriften (Andrist 2018, S. 132–135). Mit Paratexten nach Genettes Definition, also vom Verfasser autorisierten Zusätzen, beschäftigen sich allerdings die meisten Kapitel in Laura Jansen (Hrsg.): The Roman Paratext. Frame, Text, Readers. Cambridge 2014. Weil sie sich Paratexten in Handschriften gemäß der hier gebotenen Definition widmen, bilden folgende Beiträge eine Ausnahme: Roy Gibson: Starting with the Index in Pliny. In: Jansen 2014, S. 33–55; Butler 2014; O’Rourke 2014; Irene Peirano: “Sealing” the Book: the Sphragis as Paratext. In: Jansen 2014, S. 224–242; Laura Jansen: Modern Covers and Paratextual Strategy in Ovidian Elegy. In: Jansen 2014, S. 262–281. Freilich gibt es laufende Projekte, die sich der Erforschung von Paratexten widmen: etwa der interdisziplinäre SFB 950 ‚Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa‘ mit dem Teilprojekt A ‚Paratexte‘ oder das ERC-Projekt ‚Paratexts of the Bible: Analysis and Edition of the Greek Textual Transmission‘, das in einer Nachbardisziplin zu verorten ist. Zum Interesse an Paratexten als Teil der sog. New bzw. Material Philology siehe Anm. 64. Gemäß dem Thema des Beitrags sind für die folgenden Beispiele exemplarisch nur Calpurnius-Ausgaben genannt, jedoch lassen sich dieselben Fälle auch in den Editionen beliebiger anderer Autoren finden. Mit Titeln als Paratext beschäftigt sich der Tagungsband von Fredouille / Goulet-Cazé / Hoffmann et al. 1997, vgl. besonders Peter L. Schmidt: Paratextuelle Elemente in lateinischer Fachprosa. In: Fredouille / Goulet-Cazé / Hoffmann et al. 1997, S. 223–232, insbes. S. 223–224 sowie das Schlusswort von Philippe Hoffmann: Titrologie et paratextualité. In: Fredouille / Goulet-Cazé / Hoffmann et al. 1997, S. 581–589. Zur besonderen Rolle der sphragis vgl. Peirano 2014. Vgl. dazu Jansen 2014b.

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überschrieben haben wollte, ob mit Bucolica oder Eclogae,17 zumal die Frage nach dem Originaltitel schon bei seinem Vorbild Vergil nicht geklärt ist.18 Schwer wiegt dabei zusätzlich, dass sich die Quellen über einen Calpurnius Siculus beharrlich ausschweigen.19 Grundsätzlich ist es also unmöglich zu entscheiden, inwieweit es sich bei Werktiteln um einen Paratext handelt oder um einen Teil des Originals und damit um Text. In den kritischen Gesamteditionen des Calpurnius ab 1885 bieten nur Verdière und Korzeniewski die Informationen zu Werktitel und Verfasser im Apparat.20 2. Sprecherbezeichnungen Stets in die Editionen übernommen sind Sprecherbezeichnungen mit ihren Varianten im textkritischen Apparat, bei denen sich streiten lässt, ob sie überhaupt zum Text gehören, also auf den Autor selbst zurückgehen oder einen späteren Zusatz und damit einen Paratext darstellen. Freilich erhöhen sie in einer Edition die Benutzerfreundlich‐ keit immens, auch wenn sie sich gleichermaßen nur inhaltlich rekonstruieren ließen. Bei Calpurnius erscheinen die namentlichen Sprecherbezeichnungen bzw. die Anzeige des Sprecherwechsels nur in zwei Handschriften nicht,21 sie sind also mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso im mittelalterlichen Archetypus zu finden. Was das Origi-

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Für die unabhängigen Handschriften sind folgende Titel tradiert: bucolicum carmen/carmen bucolicum im Harleianus 2578 (H), Vaticanus Latinus 5123 (f°), in den Anmerkungen des Nicolaus Angelius im Riccardianus 636 (uA), im Corsinianus 43 F 5 (q) und in der editio princeps von 1471 (ρ); Bucolicorum liber im Riccardianus 636 (u); poeta Bucolicus im Oxoniensis Bodleianus Canonicianus classicus Latinus (w°); Bucolicon im Ambrosianus O 74 sup. (a) und Patavinus 598 (d°); Bucolica im Vaticanus Latinus 2110 (c), Vaticanus Palatinus Latinus 1652 (g), Laurentianus Aedilis 203 (l), Vratislaviensis Rehdigeranus 59 (r) und im Vindobonensis 305 (y). Eclogae findet sich im Neapolitanus V A 8 (N), Laurentianus Gaddianus Pluteus 90,12 inf. (G) und Riccardianus 724 (n); nach dem Titel kommt die Bezeichnung ecloga für das erste Gedicht vor im Harleianus 2578 (H), Patavinus 598 (d°), Vaticanus Latinus 5123 (f°), Corsinianus 43 F 5 (q), Vindobonensis 305 (y) und Oxoniensis Bodleianus Canonicianus classicus Latinus (w°). Zwar geht der Begriff ‚Bukolik‘ bereits auf Theokrit zurück (vgl. Richard L. Hunter [Hrsg.]: Theocritus. A Selection. Idylls 1, 3, 4, 6, 7, 10, 11 and 13. Cambridge 1999, S. 5–12), aber ecloga für ein kurzes Einzelgedicht findet sich zum ersten Mal bei Statius (in der Vorrede zum 3. Buch der Silven) und später in der Vergilvita des Sueton-Donat in Bezug auf die vergilische Hirtendichtung (Don. vita Verg. l. 30–31: quem secunda Bucolicorum ecloga Alexim appellat – „den er in der zweiten Ekloge der Bucolica Alexis nennt“; l. 175–177: prolatis Bucolicis Numitorius quidam rescripsit Antibucolica, duas modo eclogas – „nach der Veröffentlichung der Bucolica hat ein gewisser Numitorius Antibucolica verfasst, zwei Eklogen bloß“). Da diese Bezeichnung regelmäßig in Vergilkommentaren und -handschriften vorkommt, könnte sie auf die Gedichte des Calpurnius sekundär angewendet worden sein. Vgl. G. Knaack, RE 5,2 (1905), s. v. Ecloga, Sp. 1931; Ernst August Schmidt: Poetische Reflexion. Vergils Bukolik. München 1972, S. 37. Vermutungen über sein Leben werden gemeinhin aus seinem Werk rekonstruiert, vgl. Enrico Di Lorenzo / Bruno Pellegrino (Hrsg.): T. Calpurnio Siculo. Eclogae. Neapel 2009, S. 5–9 und Vinchesi 2014, S. 21–27. Verdière 1954, S. 124; Korzeniewski 1971, S. 9. Keinen Hinweis auf den Sprecher bzw. einen Sprecherwechsel gibt es im Brixiensis Quirinianus C VII 1 (p) sowie im davon abhängigen Gothanus II 55 (t).

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nal betrifft, dürften sie vielleicht auch dort bereits enthalten gewesen sein.22 Es handelt sich bei Sprecherbezeichnungen also wohl um keinen echten Paratext. 3. Variante Sofern ein Paratext eine vom Text abweichende Lesart verzeichnet, ist er natürlich von großem Interesse für die Textkonstitution. Daher wird die Variante in der Regel auch in den kritischen Apparat überführt, sofern sie nicht zu eliminieren ist (das beträfe z. B. orthographische Varianten, offensichtliche Verschreibungen, klaren Nonsens – alles Dinge, die ja eben meist nicht aufgenommen werden, sondern nur Varianten, welche die Aufspaltung der Überlieferung deutlich aufzeigen).23 Allerdings soll es hier weder hauptsächlich um Autor, Titel, Sprecherbezeichnungen oder Varianten gehen, sondern um Glossen, die sich bei einem ersten Blick in den handschriftlichen Befund eindeutig als Paratexte identifizieren lassen, weil sie als Zusatz neben dem Text stehen, sei es interlinear, sei es marginal, und inhaltlich auf ihn Bezug nehmen, jedoch aus der Feder eines Dritten stammen. Gerade deshalb halten sie nur bedingt Einzug in kritische Editionen, weil sie nicht dem Autor zuzuschreiben sind und damit vermutlich unwichtig erscheinen. Gleichwohl sind sie keineswegs uninteressant, wie die folgende Klassifizierung anhand des Befundes bei Calpurnius zeigen möge: 4a. Interessantes Wort In einigen Handschriften wiederholen die Schreiber oder spätere Annotatoren am Rand ein Wort aus dem Text, das ihnen interessant, kurios oder in jedem Falle hervorhebenswert scheint. Etwa handelt es sich im Vaticanus Latinus 5123 (f°) und 3152 (d) um den Schreiber selbst, der in der roten Farbe der Überschrift und dickerem Pinselstrich bestimmte Wörter in margine erneut in derselben Form präsentiert:24 In der 1. Ekloge sind es explicare (Calp. ecl. 1,5), docilis (1,18), littera (1,22) und –––––––—

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Vgl. jedoch die Teubner-Ausgabe von Silvia Ottaviano, welche die Sprecherbezeichnungen nur als Lesehilfe beibehält, da sie in allen Handschriften enthalten sind (Silvia Ottaviano / Gian Biagio Conte [Hrsg.]: P. Vergilius Maro. Bucolica. Georgica. Berlin, Boston 2013, S. 25). Diese Entscheidung begründet sie mit Verweis auf Martin Litchfield West: Textual Criticism and Editorial Technique Applicable to Greek and Latin Texts. Stuttgart 1973, S. 55, gemäß dem Autoren erst ab dem 5. Jahrhundert Sprecher am Rand aufführen anstelle eine Markierung durch Dikola oder Paragraphen zu verwenden. Ferner zieht Ottaviano Jean Andrieu: Le dialogue antique. Structure et présentation. Paris 1954, S. 302 heran, der die Sprecherbezeichnungen in den Handschriften der vergilischen Eklogen einer Vergil-Ausgabe zuschreibt, die wie im Falle von Theokrit-Papyri dem Leser die Lektüre mit Hilfe von Dikola und Siglen für die Sprecher erleichtern wollte (Andrieu 1954, S. 291). Die Verbreitung der calpurnischen Eklogen in Lesezirkeln, die Lektüre z. B. bei Gastmählern und schließlich etwaige szenische Aufführungen wie im Falle Vergils dürften jedoch stärker darauf hindeuten, dass die Sprecherbezeichnungen im Sinne der Benutzerfreundlichkeit auf den Autor selbst zurückgehen. Zu sekundären Sprecherbezeichnungen bei Cicero und ihrer Überführung in Editionen vgl. Schmidt 1997, S. 224. Vgl. die Empfehlungen zur Abwägung der Varianten und der Erstellung des kritischen Apparates bei West 1973, S. 48–53.86–87. Vgl. Andrist 2018, S. 139 zur Beziehung zwischen Paratext und der Tinte, in der er geschrieben steht, mit „paratextual valence“.

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patefactis (1,35),25 alles Wörter, die sich mit Lehren und Schule in Verbindung bringen ließen. Über die wörtliche Wiederholung weniger Wörter geht die gesamte Anlage des Harleianus 2578 (H) hinaus: Es handelt sich hierbei offenbar um ein mit Bedacht und Vorausplanung angelegtes Exemplar, bei welchem der Schreiber in margine nicht nur einzelne Wörter wieder zitiert wie in den beiden oben genannten Vaticani Latini, sondern sogar in der Lernform, d. h. im Nominativ oder Infinitiv nennt: Z. B. setzt er an den Rand neben solis equos (Calp. ecl. 1,1) den Nominativ solis equi, neben die flektierte Form succedimus (1,6) den Infinitiv succedere usw.26 Zusätzlich gibt er in der 1. Ekloge den Versen Schlagworte bzw. gliedernde Überschriften bei (Calp. ecl. 1,1–3 als vindemię descriptio) oder er erklärt Realien (die in Calp. ecl. 1,52 unterjochten Bürgerkriege kommentiert er mit Iani templum).27 Am Ende der Eklogen bietet er schließlich ein Register zu den von ihm in margine gelisteten Begriffen mit Stellenangabe (d. h. Nennung des jeweiligen von ihm unten rechts nummerierten Blattes).28 4b. Synonym Da als Glossen ursprünglich selten vorkommende bzw. nicht leicht verständliche Wörter bezeichnet werden,29 liegt die Erläuterung mit sprachlichen Synonymen nahe. Diese kann, muss aber nicht durch den Schreiber selbst erfolgen; aus den CalpurniusHandschriften gewinnt man den Eindruck, dass eher spätere Annotatoren diese Anmerkungen einfügen. Die Verbindung mit dem zu glossierenden Wort wird dadurch besonders unterstrichen, wenn das Synonym interlinear unmittelbar über dem Wort positioniert wird und nicht weiter entfernt am Rand.30 Der Riccardianus 636 (u) bietet nur wenige Synonyme, die teils durch ein hinzugesetztes pro explizit gekennzeichnet werden:31 So bemerken spätere Hände etwa zu sub ipsa (Calp. ecl. 1,11) pro sub sua, zu implicat (1,12) pro dupplicat (sic), zu properanti (falce notavit) (1,21) pro ipse properans.32 –––––––—

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‚Ausbreiten‘ (vom Sinn her in Calp. ecl. 1,5 gefordert), sonst aber auch ‚erklären‘; ‚gelehrt‘; ‚Buchstabe‘; ‚offengelegt, sichtbar gemacht‘. ‚Sonnenrosse‘; ‚wir gehen unter etwas‘ bzw. ‚unter etwas gehen‘. ‚Beschreibung der Weinlese‘; ‚Tempel des Ianus‘, dessen Türen nur bei völligem Frieden im Imperium Romanum geschlossen werden durften. Siehe auch Anm. 48. Zum Index bzw. Inhaltsverzeichnis und zu Inhaltsangaben als Paratext vgl. auch Schmidt 1997 (er behandelt Inhaltsangaben in lateinischer Fachliteratur, die teils erst sekundär dazukamen) und Gibson 2014 (er bespricht einen vielleicht auf Plinius den Älteren selbst zurückgehenden Index der Naturalis Historia, der nur in einem Codex des späten fünfzehnten Jahrhunderts erscheint). Zu Indices als Paratext mit strukturierender Funktion vgl. Giovanni Ciotti / Hang Lin: Preface. In: Tracing Manuscripts in Time and Space Through Paratexts. Hrsg. von dens. Berlin, Boston 2016, S. VII. West 1973, S. 22; P. L. Schmidt, DNP 4 (1998), s. v. Glossographie I.A, Sp. 1097. Zu den möglichen Gründen für die unterschiedliche Positionierung siehe Anm. 90. Insgesamt wird pro für ein Synonym in den Handschriften zur 1. Ekloge nur an den im Folgenden zitierten Stellen verwendet, d. h. meist steht lediglich das bloße Synonym über dem zu erläuternden Wort bzw. am Rand. ‚Unter (der Wurzel einer Buche) selbst‘; ‚anstelle von unter ihrer (Wurzel)‘; ‚(die Buche) flicht (Schatten)‘; ‚anstelle von (die Buche) vergrößert (den Schatten)‘; ‚mit eilendem (Winzermesser hat er es eingeritzt)‘; ‚anstelle von er selbst (hat es) schnell (mit dem Winzermesser eingeritzt)‘.

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Im Ottobonianus Latinus 1466 (f) fällt hingegen eine exzessive interlineare Glossierung durch den Schreiber mit einer anderen Farbe als der des Textes auf, bei der in der Regel mindestens zwei Wörter pro Vers erklärt werden – nur zwei von 94 Versen der 1. Ekloge sind überhaupt unglossiert.33 Der Annotator kommentiert jedoch nicht nur entlegeneres oder poetisches Vokabular, sondern in geringerem Maße auch nicht besonders schwierige Wörter, z. B. in Calp. ecl. 1,7 quor (= cur) mit qua re und 1,15 sacraria mit templa.34 Daher unterstellt ihm der italienische Forscher Luigi Castagna, der einen Katalog zu den Handschriften der Bucolici minores vorgelegt hat, nur begrenzte Lateinkenntnisse zu besitzen.35 Jedoch könnte der Annotator mit der Erklärung einfacher Wörter ein anderes Ziel verfolgt haben – dazu unten Genaueres (Abschnitt III, Punkt 4b). 4c. Erläuterung (Grammatik, Realien, Parallelen)36 Neben Synonymen stellen Glossen, die den Text z. B. anhand von grammatikalischen Phänomenen, Realien und inter- oder intratextuellen Bezügen erläutern, die häufigste Gruppe bei Calpurnius dar.37 α. Grammatik In puncto Grammatik werden meist die Formen im Vokativ gekennzeichnet: einerseits durch ein interlineares ó, z. B. über dem Namen Ornyte im Vokativ in Calp. ecl. 1,4 und 1,13 im Laurentianus Aedilis 203 (l);38 andererseits durch einen bloßen Akzent direkt über der appellativen Partikel o in Calp. ecl. 1,36 (vos o praecipue nemorum gaudete coloni) im Riccardianus 724 (n).39 Erklärungsbedürftig schien ferner die Form denset (Calp. ecl. 1,9), ein Verbum, das sowohl in der a- als auch in der e-Konjugation existiert.40 So heißt es entsprechend im Riccardianus 636 (u), wo der Schreiber zwar densat tradiert, eine spätere

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Die Verse ohne Anmerkungen sind Calp. ecl. 1,8 (Hoc potius, frater Corydon, nemus, antra petamus – ‚diesen Hain vielmehr, Bruder Corydon, die Grotte wollen wir aufsuchen‘) und 1,80 (numquid utrumque polum, sicut solet, igne cruento – ‚[besprengt] etwa beide Pole, wie gewöhnlich, mit blutigem Feuer‘), die in f leicht abweichend tradiert sind: Hoc potius, frater Coridon, nemus, ista petamus (‚diesen Hain vielmehr, Bruder Corydon, diese wollen wir aufsuchen‘) und non per utrunque polum, sicut solet, igne cremato (‚[besprengt] nicht über beide Pole hinweg, wie gewöhnlich, mit verbranntem Feuer‘). ‚Warum‘; ‚weshalb‘; ‚Heiligtum‘; ‚Tempel‘. Zur Bedeutung von sacrarium vgl. Vinchesi 2014, S. 112 ad loc. Castagna 1976, S. 33. Zu dieser Art von Paratexten mit kommentierender Funktion vgl. Ciotti/Lin 2016b, S. VII. Die Vorliebe für die Erläuterung von Realien war schon im Harleianus 2578 (H) zu beobachten, siehe oben (Punkt 4a). Während Ornyte durch die charakteristische Endung -e für den Schreiber leicht als Vokativ zu erkennen ist, markiert er den Vokativ Corydon in Calp. ecl. 1,8 nicht als solchen. ‚Ihr, o ihr besonders, freut euch, der Wälder Bewohner.‘. Beides heißt ‚verdichten‘. Zu densēre und densare bei Calpurnius vgl. ThLL 5,1, s. v. denseo 2, 543, 29sq.; s. v. denso 3, 545, 8sq.

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Hand jedoch das -a- expungiert und durch ein -e- ersetzt, von einer wiederum dritten Hand: denso, as, et denso, es, secunde: et prime cog.41 β. Realien Realien werden teils mit eigenen Erklärungen eines Annotators versehen, etwa im Falle von prela, den Keltern (Calp. ecl. 1,2): Der Schreiber des Ottobonianus Latinus 1466 (f) umschreibt sie als instrumenta quibus uva premitur botrionibus, eine spätere Hand im Vaticanus Reginensis Latinus 1759 (h) hingegen als pręlum instrumentum est exprimendum mustum in torcularibus.42 Da ebenso in den Glossen mit botrio (auch botryo: ‚Traube, Traubenstängel‘) und torcular (‚Presse, Kelter‘) wieder recht spezielle Wörter bzw. termini technici verwendet werden, ist es fraglich, inwieweit mit ihnen prela für den Laien wirklich erklärt werden – vielmehr scheint es gleichermaßen darum zu gehen die eigene Gelehrsamkeit zur Schau zu stellen. Zu einer anderen Möglichkeit unten (Abschnitt III, Punkt 4b). Teils dienen Passagen anderer antiker Autoren der Erläuterung von Realien: So zitiert der Schreiber des Ottobonianus Latinus 1466 (f) Festus, den Verfasser einer Enzyklopädie aus dem zweiten Jahrhundert, zur Erklärung, um wen es sich bei der nicht allzu geläufigen Göttin Themis handelt:43 [temi]s dea est ut ait Festus [quae] precipit hominibus quod [fas es]t...44 Da man diese Stelle in der FestusEpitome des Paulus Diaconus auch tatsächlich findet,45 ist die Angabe des Autors sehr nützlich, um als Leser den Text dort zu vervollständigen, wo die Seitenränder des Codex beschnitten wurden und die Glosse nicht mehr ganz lesbar ist.46 In einer Glosse im Riccardianus 636 (u), wo der völlige Friede von Calp. ecl. 1,55 mit der Schließung des Ianus-Tempels unter Augustus gegenübergestellt wird, nennt Nicolaus Angelius (zu ihm siehe Abschnitt III, Punkt 3) sogar eine konkrete Stellenangabe bei Sueton: Ianum Quirinum semel atque iterum a condita urbe om̅ a47

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Das zuerst genannte denso und densas repräsentieren die a- bzw. 1. Konjugation (prime cog.), das zweite denso und denses sollen wohl für die e- bzw. 2. Konjugation (secunde cog.) stehen, obwohl die korrekte 1. Pers. Sing. Ind. Präs. Akt. der 2. Konjugation denseo heißen müsste – wohl ein Fehler des Annotators. Kurios ist freilich die Abkürzung cog., die möglicherweise Bezug auf das Konjugieren nimmt. ‚Werkzeuge, mit denen die Traube an den Traubenstängeln gepresst wird.‘ ‚Eine Kelter ist ein Werkzeug zum Auspressen von Most an den Pressen.‘ Dass im Vaticanus Reginensis Latinus 1759 (h) das zu erläuternde prelum nochmals genannt ist, liegt daran, dass sich die Glosse am Rand befindet. Im Ottobonianus Latinus 1466 (f) erscheint die Erklärung hingegen direkt in der Zeile über dem Wort. Themis verkörpert das göttliche wie das menschliche Recht (d. h. was sich ziemt/Brauch ist) und fungiert als Gottheit der Versammlungen. Vgl. L. Weniger, Roscher 5 (1916–1924), s. v. Themis, S. 570, 598–600; P. Karanastassi, LIMC 8,1 Suppl. (1997), s. v. Themis, Sp. 1199–1201. ‚Themis ist eine Göttin, wie Festus sagt, die den Menschen vorschreibt, was Recht ist ...‘ Paul. Fest. p. 367. Die eckigen Klammern dienen also dazu, mechanische Beschädigungen sichtbar zu machen und stellen keine Athetese dar. Die Auflösung der Abkürzung om̅ a ist unklar und wird daher hier wie in der Glosse dargestellt. Sie steht zwar für omnia (‚alles‘), was sich jedoch nicht in die grammatikalische Struktur des Satzes fügt. Etwas wie omnino (‚völlig‘) ergäbe freilich guten Sinn, wenn man annimmt, Angelius habe sich verschrieben.

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clausum terra marique pace parta ter Augustus clausit devicto M. Antonio post victoriam cantabricam tertio pace per omnem orbem composita. sueto 11 5.48 γ. Parallelen Intertextuelle Bezüge finden sich selten in den Glossen. Zwar werden ja teilweise andere Autoren zur Erläuterung der Realien hinzugezogen, aber an echten Parallelen wird nur Vergil verzeichnet, dessen Einfluss auf die Dichtung des Calpurnius schließlich nicht zu verleugnen ist.49 So gibt der Annotator im Vindobonensis 305 (y) für Calp. ecl. 1,8 (Hoc potius, frater Corydon, nemus, antra petamus) eine Parallele zur 5. vergilischen Ekloge mit der Marginalie Virg: egl: 5: an, ebenso in 1,20 (sed quaenam sacra descripta est pagina fago) mit Virg: eglo: 5:.50 In 1,42 (aurea secura cum pace renascitur aetas) schließlich erkennt er eine Parallele zur 4. vergilischen Ekloge, wie Virg: egl: 4: zeigt.51 Und in allen drei Fällen hat er Recht.52 Intratextuelle Bezüge hingegen legen die Annotatoren häufiger offen. So bringt ein Bearbeiter des Riccardianus 636 (u) die in Calp. ecl. 1,15 als Ziel genannten sacraria Fauni mit der zuvor erwähnten pinea silva des Faunus (Calp. ecl. 1,9–10) zusammen: ipsam pineam silvam.53 Oder der Schreiber des Ottobonianus Latinus 1466 (f)

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„Den Tempel des Ianus Quirinus, der einmal und ein zweites Mal seit Gründung der Stadt (völlig?) geschlossen worden war, als zu Land und zu Wasser Frieden errungen war, hat Augustus dreimal geschlossen: nach dem völligen Sieg über Marcus Antonius, nach dem cantabrischen Sieg und zum dritten Mal, nachdem er Frieden in der gesamten Welt gestiftet hatte. Sueton 11,5.“ Folgende lateinische Zitate finden sich bei Sueton: Antonio devicto Cantabricum (sc. bellum gessit) (Suet. Aug. 20) und Ianum Quirinum semel atque iterum a condita urbe […] clausum [...] terra marique parte parta ter clusit (Suet. Aug. 22). Zu den drei Schließungen des Ianus-Tempels unter Augustus vgl. Evelyn S. Shuckburgh (Hrsg.): C. Suetoni Tranquilli Divus Augustus. New York 1979, S. 50–51, John M. Carter (Hrsg.): Suetonius, Divus Augustus. Bristol 1982, S. 116 und Nathalie Louis: Commentaire historique et traduction du Divus Augustus de Suétone. Brüssel 2010, S. 208–209 (jeweils ad Suet. Aug. 22). Zur Vergilnachfolge des Calpurnius vgl. z. B. Denise Joly: La bucolique au service de l’empire: Calpurnius interprète de Virgile. In: L’idéologie de l’impérialisme romain. Ohne Hrsg. Paris 1974, S. 42–65, Werner Friedrich: Nachahmung und eigene Gestaltung in der bukolischen Dichtung des Titus Calpurnius Siculus. Diss. Frankfurt 1976, Giuseppe Soraci: Echi virgiliani in Calpurnio Siculo. In: Atti del convegno di studi virgiliani (Pescara 23.–25. 10. 1981) II. [Ohne Hrsg.] Pescara 1982, S. 114–118 und Niall W. Slater: Calpurnius and the Anxiety of Vergilian Influence: Eclogue I. In: SyllClass 5 (1994), S. 71–78. ‚Diesen Hain vielmehr, Bruder Corydon, die Grotte wollen wir aufsuchen.‘ ‚Aber was sind denn für Zeilen niedergeschrieben auf der Buche trotz ihrer Heiligkeit?‘ ‚Golden wird mit sorglosem Frieden wiedergeboren ein Zeitalter.‘ Calp. ecl. 1,8 greift Verg. ecl. 5,6 auf (… sive antro potius succedimus – ‚… oder ob wir lieber unter das Dach der Grotte flüchten‘), Calp. ecl. 1,20 dann Verg. ecl. 5,13–15 (Immo haec, in viridi nuper quae cortice fagi / carmina descripsi – ‚Lieber will ich diese Lieder versuchen, die ich neulich in grüner Buchenrinde niedergeschrieben habe‘) und Calp. ecl. 1,42 schließlich Verg. ecl. 4,4–6,9 (Ultima Cumaei venit iam carminis aetas; / magnus ab integro saeclorum nascitur ordo. / iam redit et virgo, redeunt Saturnia regna; / […] toto surget gens aurea mundo … – ‚Das letzte Zeitalter des cumaeischen Liedes ist schon gekommen; eine große Reihe der Äonen wird von Neuem geboren. Schon kehrt auch die Jungfrau wieder, es kehrt Saturns Herrschaft wieder; […] überall wird sich ein goldenes Geschlecht auf der Welt erheben …‘). ‚Heiligtum des Faunus‘; ‚Pinienwald‘; ‚den Pinienwald selbst‘ (hier wird der Akkusativ von sacraria auch von der Glosse nachgebildet, ein Phänomen, das oft zu beobachten ist).

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identifiziert arbore sacra (Calp. ecl. 1,34) als die 1,20 präsentierte Buche und bemerkt: id est fago.54 4d. Zeichen oder Zeichnungen Schließlich existieren non-verbale Glossen in Form von Zeichen55 und Zeichnungen, deren Menge in den Calpurnius-Handschriften freilich überschaubar ist. Schwierig zu deuten ist ein Symbol, das nur im Vindobonensis 305 (y) – in Nachbarschaft zur ganz geläufigen Manicula (Zeigehand; Calp. ecl. 1,55) – zweimal am Rand von Calp. ecl. 1,27 und 1,45 erscheint, sonst jedoch in keiner anderen Calpurnius-Handschrift.56 Es wirkt wie eine Palmeninsel, ein Leuchtturm oder ein Asterisk mit Basis. Jedoch passt keine der geläufigen Asterisk-Funktionen wie das Markieren einer Interpolation oder eines Wechsels im Metrum zu den annotierten Versen, die doch inhaltlich und metrisch ganz unterschiedlich sind: procerumque dedit mater non invida corpus (Calp. ecl. 1,27); saecula, maternis causam qui vicit 57 Iulis (Calp. ecl. 1,45). Die einzige Gemeinsamkeit scheint der Bezug auf die Mutter zu sein, den der Annotator wohl aus irgendeinem Grund hervorheben wollte.58 Schlussendlich bleibt aber der Sinn dieses Symbols dem heutigen Rezipienten verborgen.

Abb. 1: ÖNB, Wien, Vindobonensis 305 (y), fol. 1v: Asterisk (?) am Rand von Calp. ecl. 1,27

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‚Auf dem heiligen Baum‘; ‚das ist auf der Buche‘ (auch hier wird der Kasus – Ablativ – in der Glosse erhalten, siehe Anm. 53). Als bloßes Zeichen ließe sich ebenfalls der Strich über der appellativen Partikel o werten (siehe oben, Punkt 4c.α); er ist jedoch unter den Glossen zur Grammatik gelistet, da sich auch ó insgesamt als Glosse findet. Gedankt sei an dieser Stelle allen, die Deutungsmöglichkeiten des geheimnisvollen Zeichens diskutiert haben. ‚… und hochgewachsen hat dir die Mutter – sie war nicht geizig – gegeben den Leib.‘ ‚Auf den Jüngling folgen glückliche Jahrhunderte, der seiner Sache zum Sieg verholfen hat mütterlicherseits durch die Iulier.‘ Freilich kommt mater noch in Calp. ecl. 2,69, 3,77, 6,4 und 6,51 vor, ohne dass sich dort das Zeichen findet.

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An Zeichnungen gibt es schließlich nur eine einzige im Patavinus 598 (d°), wo mit raschen Federstrichen unmittelbar zu Beginn der 1. Ekloge eine Figur dargestellt ist. Möglicherweise handelt es sich um einen Musikanten mit einer Leier, was nur bedingt eine Verbindung mit dem Text der 1. Ekloge aufweist, da dort ein Hirte Flötenspiel lediglich ankündigt, nicht aber umsetzt. Alles oben Präsentierte stellt natürlich nur einen beispielhaften, rein deskriptiven Einblick in die verschiedenen Paratexte in den Calpurnius-Handschriften zur 1. Ekloge dar. Die Gesamtmenge an Glossen ist freilich insofern überschaubar, als nur sechs unabhängige Handschriften sowie vier codices descripti annotiert sind und auch davon nur zwei Manuskripte regelmäßige Anmerkungen bieten, nämlich der Riccardianus 636 (u) und der Ottobonianus Latinus 1466 (f).59

III. Glossen in der Calpurnius-Forschung: Status quo vs. potentieller Nutzen Die Gesamtzahl der oben erwähnten Paratexte wurde mit Ausnahme von Autor, Titel und Sprecherbezeichnungen sowie natürlich den textkritisch interessanten Varianten nicht in die Calpurnius-Editionen integriert. Auch sonst beschäftigt sich keine Publikation gezielt mit den Glossen bei Calpurnius, lediglich ein Aufsatz der italienischen Editorin Lucia Di Salvo listet in den Fußnoten wenige Glossen aus dem Vaticanus Latinus 5123 (f°) auf.60 Dieser Umstand dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Editionen nur auf Kollation weniger Codices beruhen und das Meiste aus älteren Ausgaben übernommen wird,61 also der Editor selbst unter Umständen gar keine annotierte Handschrift eingesehen hat. Dazu kommt, dass es in der Klassischen Philologie

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Einerseits der Laurentianus Gaddianus plut. 90,12 inf. (G), Harleianus 2578 (H), Parisinus Latinus 8049 (P), Riccardianus 636 (u), Vindobonensis 305 (y), Holkhamicus 334 (z), andererseits der Vaticanus Latinus 3152 (d), Ottobonianus Latinus 1466 (f), Vaticanus Reginensis Latinus 1759 (h), und die Bruxellenses 20428 et 20589 (x). Lucia Di Salvo: Alcune osservazioni sulle Ecloghe di Calpurnio Siculo. In: CCC 11 (1990), S. 267–287, insbes. S. 268 Anm. 3. So gibt Di Salvo zu Beginn ihres Aufsatzes an, sie habe die Codices selbst gesichtet (Di Salvo 1990b, S. 267–268). Schenkl 1885 hingegen verließ sich teils auf die Kollation anderer (vgl. z. B. Schenkl 1885, S. XLV für den Harleianus 2578 [H]). Korzeniewski 1971 verwendete die modernen Ausgaben sowie Photokopien des Laurentianus Gaddianus Pluteus 90,12 inf. (G) und des Neapolitanus V A 8 (N), Letzteren jedoch nur für Calp. ecl. 3,84–5,4 (Korzeniewski 1971, S. IX); Di Salvo 1990 benutzte in Kopie den Magliabechianus VII 1195 (M), Vaticanus Latinus 5123 (f°) und Oxoniensis Bodleianus Canonicianus classicus Latinus 126 (w°), und nahm vor Ort Einsicht in den Harleianus 2578 (H), Ambrosianus O 74 sup. (a), Ambrosianus I 26 sup. (b), Sloanianus 777 (k), Brixiensis Quirinianus C VII 1 (p) und die editio princeps (ρ) (Di Salvo 1990, S. 45–46). Bei Vinchesi 2014 findet sich kein Hinweis auf die von ihr kollationierten Handschriften. Reeve 1978 hat für seinen Aufsatz zur Überlieferungsgeschichte des Calpurnius freilich eine beachtliche Anzahl von Codices konsultiert (mit Ausnahme von acht codices descripti nämlich sämtliche; Reeve 1978, S. 223 Anm. 2). Die von mir erstellte Edition beruht auf Sichtung aller Calpurnius-Handschriften zur 1. Ekloge als Digitalisat bzw. Photokopie mit Ausnahme des Bernensis 276 (wo allerdings nur ein Vers überliefert ist); hinzu kommt die Autopsie von 20 Manuskripten.

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kein Bestreben gibt, Glossen in Editionen systematisch zu integrieren;62 bestenfalls finden sich wenige Glossen in den kritischen Apparaten oder in den sog. Similienbzw. Testimonienapparaten. Zwar beschäftigt sich die Klassische Philologie durchaus mit dem Thema Glossierung,63 allerdings eher in gesonderten Publikationen, denn in Editionen, deren Ziel die sichere Textkonstitution ist, für die Glossen eben nicht vonnöten sind.64 Welchen Nutzen hat es dennoch, Glossen in einer Edition systematisch sichtbar zu machen? Folgende fünf Punkte ließen sich anführen: 1. Zunächst ganz basal: Werden Glossen in Editionen gesammelt, sind sie einerseits für weitere Forschungen auf einfachem Wege zugänglich, zumal die jeweiligen Dokumente in der Regel nur mit (finanziellem) Aufwand einzusehen sind. Andererseits stehen sie in einer Edition in unmittelbarer Verbindung mit dem Text, auf den sie sich beziehen, so dass kein Blättern zwischen der Textausgabe und anderen Publikationen notwendig ist. 2. Glossen können eine textkritische Hilfe darstellen, da sie ebenso wie Varianten mögliche Abhängigkeiten der Codices untereinander aufdecken. Das trifft dann zu,

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Vgl. jedoch das aktuelle ERC-Projekt ‚Paratexts of the Bible: Analysis and Edition of the Greek Textual Transmission‘, das in einer Nachbardisziplin der Klassischen Philologie angesiedelt ist. Etliche Treffer finden sich für das Stichwort ‚Glosse‘ in der Année Philologique, darunter z. B. Patrizia Carmassi: Juvenal in Halberstadt: Fragments of a 10th Century Glossed Manuscript (Preserved in cod. Guelf. 84 3 Aug. 2°). In: RPL 15 (2012), S. 140–158; Filippo Bognini: Classical Characters in the First Commentary on the Rhetorica ad Herennium: Unpublished Glosses from ms. München, BSB, Clm 29220.12. In: Forme di accesso al sapere in età tardoantica e altomedievale VI: Raccolta delle relazioni discusse nell’incontro internazionale di Trieste, Biblioteca statale, 24–25 settembre 2015. Hrsg. von Lucio Cristante und Vanni Veronesi. Triest 2016, S. 59–74; Angelo Florano / Nevio Zorzetti: Sulle glosse di Giovanni Boccaccio a Culex 245 e 367. In: Forme di accesso al sapere in età tardoantica e altomedievale VI: Raccolta delle relazioni discusse nell’incontro internazionale di Trieste, Biblioteca statale, 24–25 settembre 2015. Hrsg. von Lucio Cristante und Vanni Veronesi. Triest 2016, S. 237–243. Das Interesse an Glossen dürfte dagegen in der sog. New bzw. Material Philology zu verorten sein, deren Prinzipien Driscoll (Matthew James Driscoll: The Words on the Page: Thoughts on Philology, Old and New. In: Creating the Medieval Saga: Versions, Variability and Editorial Interpretations of Old Norse Saga Literature. Hrsg. von Judy Quinn und Emily Lethbridge. Kopenhagen 2010, S. 87–104, insbes. S. 90) mit Verweis auf drei Beiträge von Nichols (Stephen G. Nichols: Introduction: Philology in a Manuscript Culture. In: Speculum 65 [1990], S. 1–10; ders.: Philology and Its Discontents. In: The Future of the Middle Ages. Medieval Literature in the 1990s. Hrsg. von William D. Paden. Gainesville/Tallahassee 1994, S. 113–141; ders.: Why Material Philology? Some Thoughts. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 116 [1997], S. 10–30) wie folgt auf den Punkt bringt: „Literary works do not exist independently of their material embodiments, and the physical form of the text is an integral part of its meaning; one needs therefore to look ‚at the whole book‘, and the relationships between the text and such features as [...] paratextual features, and, not least, the surrounding texts. [...] These physical objects continue to exist through time, and are disseminated and consumed in ways which are also socially, economically and intellectually determined, and of which they bear traces“. Weiter beschreibt Driscoll 2010, S. 102, was ein Editor, welcher der New bzw. Material Philology nicht abgeneigt ist, tun sollte: „There should also be a greater emphasis on the editing of whole manuscripts [...]. First and foremost, however, he or she must demonstrate an awareness of the manuscript as a cultural artefact which – among other things – serves as a vehicle for a text. The most obvious way to do this is by striving to retain as many features of the original [...] as possible[.]“ Vgl. auch Mariangela Regoliosi: Il paratesto dei manoscritti. In: Paratesto 3 (2006), S. 9–33, insbes. S. 10.

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wenn ein Schreiber dieselben Glossen aus der Vorlage auch in die Abschrift einpflegt: Z. B. erscheinen im Vaticanus Latinus 3152 (d), einem descriptus vom Vaticanus Latinus 5123 (f°) dieselben ‚interessanten‘ Wörter am Rand, auch die marginalen Erläuterungen stimmen überein. Ferner ließe sich möglicherweise bei Neufunden leichter feststellen, ob eine vom Archetyp abweichende Lesart über eine Glosse in der Vorlage in den Text gelangt ist und somit gar keine Variante im eigentlichen Sinne darstellt. 3. Glossen geben einen Einblick in die Textgeschichte, da mancher Annotator bereitwillig Auskunft über die eigene Person und über die von ihm benutzen Quellen gibt, was wiederum hilfreich für das Erstellen von stemmatischen Abhängigkeiten sein kann.65 Im Riccardianus 636 (u) etwa handelt es sich nicht nur um anonyme Anmerkungen, sondern zwei Hände lassen sich historischen Persönlichkeiten zuweisen, da sie eine Notiz am Anfang des Codex bzw. am Ende der Eklogen hinterlassen haben.66 Auf fol. IIIr ist zu lesen: Ego Ludovicus Rogerius quarta die Aprilis 1575 / emi hunc librum liris 2-6-8 / Sed quoniam multa digna correctione in ipso / adinveni idcirco qua maiori diligentia / potero cępi emendare67 Ludovico Rogerio war ein italienischer Jesuit des späten sechzehnten Jahrhunderts (1558–1602), der einige Jahre in Rom Geisteswissenschaften, Rhetorik und Philosophie, später Theologie in Neapel und Posen unterrichtet hatte.68 Dass er auch im Calpurnius-Text Glossen hinterlassen hat, ist von der Forschung bereits festgestellt worden,69 obwohl sich ihm wohl erst Bearbeitungsspuren jenseits der 1. Ekloge zuweisen lassen.70 Freilich verschwindet die Information zu Rogerius als Annotator in Handschriftenkatalogen oder in sehr wenigen Fällen auch in den praefationes der Editionen,71 so dass für den Benutzer nicht erkenntlich ist, welche Variante im kritischen Apparat von Rogerius stammt – von seinen Glossen einmal ganz abgesehen, die in den Ausgaben ohnehin nicht präsentiert werden.

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Zum Nutzen von Paratexten für die Textgeschichte vgl. Vito Lorusso: Locating Greek Manuscripts through Paratexts: Examples from the Library of Cardinal Bessarion and Other Manuscript Collections. In: Ciotti / Lin 2016, S. 223–268, insbes. S. 224. „Am Ende der Eklogen“ meint genauer gesagt nach der 4. Ekloge Nemesians, der im Riccardianus 636 (u) und in den meisten Calpurnius-Handschriften zusammen mit Calpurnius unter dessen Namen überliefert wird. Vgl. Michael D. Reeve: Calpurnius and Nemesianus. In: Texts and Transmission. A Survey of the Latin Classics. Hrsg. von Leighton Durham Reynolds. Oxford 1983, S. 37–38 und Vinchesi 2014, S. 53–54. Zu Notizen und subscriptiones als Paratexte mit dokumentierender Funktion vgl. Ciotti / Lin 2016b, S. VII. ‚Ich, Ludovicus Rogerius, habe am 4. April 1575 dieses Buch für 2-6-8 Lire gekauft. Aber deshalb, weil ich ja vieles, was zu korrigieren würdig war, im Codex selbst noch fand, habe ich begonnen, es mit größtmöglicher Sorgfalt auszubessern.‘ Vgl. Carlos Sommervogel: Bibliothèque de la Compagnie de Jésus VII. Brüssel, Paris 1896, S. 20–21, s. v. Rogerius, Louis; Joseph Fejér: Defuncti primi saeculi Societatis Jesu. 1540–1640 I: Assistentia Italiae et Germaniae (cum Gallia usque ad 1607). Rom 1982, S. 214, s. v. Rogerius, Ludovicus. Schenkl 1885, S. XLIII; Castagna 1976, S. 49–50; Reeve 1978, S. 233; Williams 1986, S. 19.39. Das legt zumindest die Autopsie des Codex nahe. Von den neueren Editionen erwähnen nur Schenkl 1885, S. XLIII und Williams 1986, S. 19.39 Ludovicus Rogerius überhaupt.

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Ähnliches gilt für einen anderen Bearbeiter, der auf fol. 45r am Ende der Eklogen schreibt: Contuli ego Nicolaus Angelius hunc codicem / cum multisque aliis et cum illo vetustissimo codice / quem nobis Thadeus Ugoletus Pannoniae regis / bibliothecae praefectus e Germania allatum / accomodavit in quo multa carmina sunt reperta / Anno Salutis M CCCCLXXXXII72

Nicolaus Angelius oder Niccolò degli Angeli (1448–ca. 1529) unterrichtete ab 1492 am Studio Fiorentino, dem Vorläufer der Universität von Florenz, Latein und Griechisch; zugleich war er Korrektor bei den Giunta, einer berühmten Florentiner Buchdruckerfamilie, d. h. er verbesserte den Text in Handschriften, die als Druckvorlage dienten. Das bezeugt eine bei den Giunta 1504 erschienene Edition des Calpurnius.73 Ferner besorgte er Editionen anderer lateinischer Autoren, z. B. von Plautus, Cicero und Quintilian.74 Interessant sind neben der Person des Annotators Angelius die von ihm benutzten Quellen: einerseits eine sehr alte75 – nicht erhaltene – Handschrift aus Germanien, die er von Taddeo Ugoleto aus der Bibliotheca Corviniana in Buda (Ungarn) erhalten hat;76 andererseits viele andere Handschriften oder Drucke (multique alii sc. codices).77 Zwar zitieren die Calpurnius-Editionen die Notiz des Angelius in den praefationes regelmäßig, aber im Gegensatz zu Rogerius ist Angelius als Annotator sogar im Apparat für den Benutzer sichtbar: Denn weil die Schrift des Angelius recht eigentümlich und daher leicht von der Vielzahl der anderen Hände zu unterscheiden ist,78 sind die von ihm beigebrachten Varianten – nicht aber seine Glossen – in den Editionen seit Schenkl 1885 mit der Sigle A gekennzeichnet und so von anderen –––––––—

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‚Verglichen habe ich, Nicolaus Angelius, diese Handschrift sowohl mit vielen anderen als auch mit jener sehr alten Handschrift, die uns Thadeus Ugoletus, der Vorsteher der Bibliothek des Königs von Pannonien, aus Germanien herbeigebracht und beschafft hat, in der viele Verse enthalten sind. Im Jahr des Heils 1492.‘ Zur Auffassung von carmina als Verse und nicht als poetische Stücke, da Angelius eben dem Riccardianus 636 (u) fehlende Verse nachträgt (z. B. Calp. ecl. 1,51), vgl. Reeve 1978, 232 in Nachfolge von Emil Baehrens (Emil Baehrens [Hrsg.]: Poetae Latini Minores III. Leipzig 1881, S. 66 Anm. *); zum humanistischen Terminus carmen vgl. außerdem Silvia Rizzo: Il lessico filologico degli umanisti. Rom 1973, S. 111–112 Anm. 1. Die Wiedergabe als „Gedichte“ favorisiert hingegen Castagna 1976, S. 215. Geographisch großzügig bemessen ist ferner die Gleichsetzung von Pannonien (Ungarn) mit Germanien, vgl. Castagna 1976, S. 270 und Vinchesi 2014, S. 55 Anm. 178. Zur sog. editio Iuntina oder editio Florentina prior vgl. Castagna 1976, S. 81–82 und Williams 1986, S. 36–38. Vgl. P. Tentori, DBI 3 (1961), s. v. Angeli, Niccolò, S. 199. Beim Alter von Handschriften wird gern übertrieben, vgl. Rizzo 1973, S. 147–52. Taddeo Ugoleto (1448–1513) arbeitete an der Bibliothek des Matthias Corvinus als Bibliothekar. Sein Bruder Angelo Ugoleto war Drucker in Parma (aktiv 1482–1499); bei ihm erschien 1493 sogar eine Calpurnius-Ausgabe, die sog. editio Parmensis. Vgl. Castagna 1976, S. 74–75, Vinchesi 2014, S. 55 mit Anm. 178 (die allerdings die beiden Ugoleti für Vater und Sohn hält), https://data.cerl.org/thesaurus/ cnp01880961, https://data.cerl.org/thesaurus/cnp01880961, http://www.treccani.it/enciclopedia/angelougoleto (letzter Zugriff jeweils: 28. Juni 2019). Bei den Humanisten kann der Terminus codex auch einen codex impressus meinen, vgl. Rizzo 1973, S. 70–71 und Castagna 1976, S. 215. Vgl. Caesar Giarratano (Hrsg.): Calpurnii et Nemesiani Bucolica. Turin 31943, S. XXXIV; Castagna 1976, S. 49.

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Lesarten im Riccardianus 636 (u) abgegrenzt worden. Freilich ging es der bisherigen Forschung nicht darum, einen einzelnen Bearbeiter mit eigener Sigle zu präsentieren; im Vordergrund stand hingegen der Versuch, aus den Anmerkungen den verlorenen Codex aus Germanien zu rekonstruieren, was angesichts der Vielzahl der benutzten Quellen (codex Germanicus und multique alii sc. codices) natürlich unmöglich ist, zumal Angelius nur an zwei Stellen den codex Germanicus als seine Vorlage markiert.79 Gäbe es nun einen Neufund – der etwa aus der Bibliotheca Corviniana stammt oder dem Florentiner Umfeld zuzuordnen ist –, könnte ein Vergleich mit der Kollation des Angelius erkenntnisreich sein. 4. In enger Verbindung mit dem Punkt Textgeschichte ermöglichen Glossen schließlich einen Einblick in die Rezeptionsgeschichte des Textes und hinsichtlich der Person der Annotatoren sowie ihres Wirkens auch in die Kulturgeschichte:80 Von wem und auf welchem Niveau wurde der Autor gelesen, welche Punkte am Text erschienen interessant? Wie intensiv wurde ein Autor gelesen bzw. annotiert? Gerade der Riccardianus 636 (u) mit den Anmerkungen von Rogerius und Angelius gibt dazu einen Anhaltspunkt, zumal die beiden Annotatoren nur zwei von ungefähr zehn verschiedenen Bearbeitern darstellen.81

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Die Sigle A ist zudem problematisch: Seit Caesar Giarratano (Hrsg.): Calpurnii et Nemesiani Bucolica. Neapel 1910, S. 3 (in Nachfolge von Schenkl 1885, S. LXXII) benutzen Editionen mit geringen Abweichungen folgende Auflösung: A = codex Germanicus Th. Ugoleti, cuius scripturas in mg. cod. Riccard. 636 N. Angelius enotavit (‚die Handschrift aus Germanien des Thadeus Ugoletus, deren Lesarten Nicolaus Angelius am Rand des Codex Riccardianus 636 verzeichnet hat‘). Dabei bleiben die multique alii, die Angelius nach eigener Aussage verwendete, außen vor, d. h. jede von Angelius notierte Variante wird automatisch dem nicht erhaltenen Codex aus Germanien zugeschlagen. Das ist umso fragwürdiger, als Angelius an zwei Stellen ausdrücklich auf diesen als Quelle verweist (fol. 27r ad Calp. ecl. 2,18 und fol. 39v, wo er Nemesian als Autor der folgenden Eklogen benennt) und sonst Varianten ohne Angabe der Quelle einpflegt. Siehe dazu die vorbereitete kommentierte Edition zur 1. Ekloge. Zum Nutzen von Paratexten für die Kulturgeschichte vgl. Ciotti / Lin 2016b, S. VIII und Lorusso 2016, S. 225. Schenkl 1885, S. XLIII (wiederholt bei Castagna 1976, S. 49–50) unterscheidet weniger Hände: 0. Grundtext; 1. Abweichungen von der editio Veneta von 1472; 2. Marginalien; 3. Rasuren des Grundtextes und Verbesserungen in einer ähnlichen Schrift; 4. Veränderungen am Grundtext und Erläuterungen am Rand durch Ludovicus Rogerius oder einen anderen Annotator; 5. Varianten und Glossen von Nicolaus Angelius. Weiter beschreibt Schenkl die Hände indes nicht.

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Abb. 2: Biblioteca Riccardiana, Florenz, Riccardianus 636 (u), fol. 25r (mit Genehmigung des Ministero per i beni e le attività culturali): Die verschiedenen Hände in u; die später hinzugefügte Überschrift stammt von Nicolaus Angelius.

Es ist auffällig, dass ausgerechnet diese Handschrift aus Florenz die meisten Bearbeitungsspuren bzw. eine Vielzahl von späteren Händen aufweist, was die Forschung in den Worten von Michael Reeve folgendermaßen gewertet hat: „Like Schenkl and Giarratano, Castagna gives the impression that numerous scholars were fighting to lay their hands on u [= Riccardianus 636] and do different things to it.“82 Unter diesen –––––––—

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Reeve 1978, S. 232.

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„different things“ lassen sich zwei Punkte konkret benennen oder immerhin vermuten: (a) Der Riccardianus 636 (u) fungierte als Druckvorlage, die Angelius in seiner Rolle als Korrektor bei den Giunta verwendete, was die sog. editio Iuntina bzw. editio Florentina prior von 1504 bezeugt, an der Angelius nur zwölf Jahre nach seiner Notiz in u mitwirkte.83 Zu diesem Zweck wurden v. a. Varianten und fehlende Verse eingepflegt. (b) Da Angelius am Studio Fiorentino, also dem Vorläufer der Florentiner Universität Alte Sprachen unterrichtete – ähnlich wie auch Rogerius in Rom –,84 ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Calpurnius-Text auch für ein Hochschulcurriculum mit Anmerkungen versehen wurde, vielleicht nicht nur von Angelius und Rogerius. Denn die verschiedenen Glossen erscheinen für ein Unterrichtsgespräch recht passend, in dem der Lehrer einerseits über Synonyme die Sprachbeherrschung abfragt – und seien sie noch so naheliegend wie im Fall von cur und qua re im Ottobonianus Latinus 1466 (f) (siehe Abschnitt II, Punkt 4b);85 andererseits erweitert er mithilfe von inter- und intratextuellen Parallelen, Realien und Grammatik das Textverständnis. Ein Einsatz im Unterricht trifft neben dem reich glossierten Ottobonianus Latinus 1466 (f) vielleicht besonders auf den Harleianus 2578 (H) zu: Denn dieser mag eine im 15. oder 16. Jahrhundert in Florenz entstandene Reinschrift u. a. des Riccardianus 636 (u) sein,86 bei der die Anlage mit den Lesehilfen am Rand sowie mit dem dazugehörigen Index am Ende auf Calpurnius als ‚Schulautor‘ hinweisen könnte.

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Zur Edition siehe Anm. 73. Vgl. dazu Armando F. Verde: Lo Studio Fiorentino 1473–1503. Ricerche e documenti II: Docenti, dottorati. Florenz 1973, s. v. 181. Nicolaus de Angeliis, S. 502–503. Tatsächlich funktioniert der Ottobonianus Latinus 1466 (f) auch heute noch als gute Lesehilfe und erster Einstieg in den Text des Calpurnius. In den Unterrichtskontext fügt sich vielleicht auch das im Vaticanus Latinus 5123 (f°) und 3152 (d) vom Schreiber selbst in margine wiederholte Schulvokabular der 1. Ekloge: explicare, docilis, littera und patefactis. In den anderen Eklogen wird jedoch u. a. folgendes Vokabular wiederholt, das nicht zum Wortfeld Schule passt, sondern nur der Ungewöhnlichkeit halber erneut aufgeführt zu sein scheint (teils handelt es sich wirklich um entlegene Wörter): z. B. Calp. ecl. 2,10 pecudes ferae (‚Vieh, wilde Tiere‘), 2,79 tonsura (‚Schur‘), 3,49 legulus (‚Traubenleser‘), 4,76 canales (‚Flöte aus Rohr‘). Dabei erscheinen ferner falsch tradierte, sinnlose Wörter wie Calp. ecl. 2,51 (paritaria statt plantaria – ‚Setzlinge‘) und 2,81 (Thyllas statt chias – ‚aus Chios‘). In der subscriptio des Harleianus 2578 (H) auf fol. 49r heißt es nämlich: Collatus accuratissime hic codex cum illo vetustissimo : quem / Thadeus Ugoletus pannonię regis bibliothecę pręfectus e germa/nia secum attulit. et cum illo, quem Iohamnes (sic) boccaccius / propria manu scripsisse traditur bibliothecę sancti spiritus / florentini dicatum. et cum plęrisque aliis : ubi titulum et / operis divisionem multa etiam carmina reperimus – ‚Verglichen wurde diese Handschrift sehr genau mit jener sehr alten, die Thadeus Ugoletus, der Vorsteher der Bibliothek des Königs von Pannonien, aus Germanien selbst herbeibrachte. Und mit jener Handschrift, die Iohamnes Boccaccius eigenhändig geschrieben haben soll, die der Bibliothek von Santo Spirito in Florenz übergeben worden war. Und mit sehr vielen anderen, wo wir den Titel, die Teilung des Werks und auch viele Verse gefunden haben.‘ Das erinnert natürlich an die Notiz des Angelius im Riccardianus 636 (u), teilweise gibt es sogar wörtliche Übereinstimmungen. Allerdings kommt im Harleianus 2578 (H) als neues Element ein von Giovanni Boccaccio geschriebenes Manuskript hinzu, das zusätzlich kollationiert worden sein soll, heute aber verloren ist (ebenso wie der schon in u erwähnte Codex aus Germanien). Ein Vergleich von Riccardianus 636 (u) und Harleianus 2578 (H) für die 1. Ekloge zeigt zudem, dass H keine einfache Kopie von u ist, sondern Lesarten, die nicht zu u passen, aus dem Codex von Boccaccio stammen dürften. Vgl. Williams 1986, S. 30.

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In jedem Falle war Florenz also eine wichtige Station, wo die Eklogen im 15. und 16. Jahrhundert intensiv reproduziert und rezipiert wurden, soweit es sich aus Paratexten und der Person der jeweiligen Annotatoren ableiten lässt.87

IV. Überführung von Glossen in eine Edition: Modell des Glossenapparates Die obigen Ausführungen konnten hoffentlich zeigen, dass Glossen nicht uninteressant oder nebensächlich sind, zumal wenn sie sich mit einer historischen Persönlichkeit in Verbindung bringen lassen. Sie in eine Edition zu überführen, dürfte nicht nur im Fall des Calpurnius nützlich sein. Sofern natürlich sehr viele Paratexte in sehr vielen Handschriften überliefert sind, sprengt das in einer Druckversion leicht den Rahmen – die digitale Edition mag da Auswege bieten. In den Fällen wie bei Calpurnius sollte sich der Mehraufwand für den Herausgeber in Grenzen halten, da er, sofern er die Handschriften als Digitalisat oder im Original gesichtet hat, die Glossen vermutlich ebenfalls in sein Kollationsbuch aufgenommen hat und auf sie zurückgreifen kann; falls er sich natürlich auf Vorgängereditionen beruft, die keine Glossen aufführen, kann auch er nichts von ihrer Existenz wissen. In der kommentierten Neuedition der 1. Ekloge habe ich versucht, die Glossen so in eine Ausgabe zu überführen, dass einerseits die enge Beziehung der Glossen mit dem Calpurnius-Text bewahrt bleibt, sie aber andererseits nicht Gefahr laufen, für ein Produkt des Dichters selbst zu gelten oder für die Textkonstitution unumgänglich und notwendig zu wirken. Das Ergebnis sieht folgendermaßen aus: Auf einer Doppelseite erscheinen links der lateinische Text mit kritischem Apparat und rechts eine deutsche Übersetzung.88 Die Glossen sind nun bewusst nicht auf die Seite von Text und kritischem Apparat gesetzt, sondern – aus den oben genannten Gründen – unter die Übersetzung. Also bilden die aufgeführten Glossen gewissermaßen ein Spiegelbild zum kritischen Apparat, weshalb man von einem Glossenapparat sprechen kann. Ähnlich wie im kritischen Apparat wird dort zunächst das erläuterte Wort aufgeführt und danach die Glosse selbst, um den unmittelbaren inhaltlichen Bezug zwischen Text und Paratext zu gewährleisten.89 Da es bei einer Glosse problemlos möglich ist, –––––––— 87

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Das belegt außerhalb die ‚historische‘ Präsenz des Calpurnius in Florenz, denn in der Biblioteca Medicea Laurenziana ist an einem der Lesepulte, deren beschriftete Ränder als Vorläufer eines Bibliothekskatalogs fungierten, folgende Ausgabe verzeichnet: 14. Silii Italici Punicorum Libri XVII., Caii Calphurnii, et M. Aurelii Olympii Nemesiani Eclogae; Hesiodi Opera et Dies Nicolae de Valle interprete, et Cl. Claudiani de raptu Proserpinae Libri III. membr. in fol. Saec. XV. Bei dieser Handschrift handelt es sich wegen der aufgeführten Werke höchstwahrscheinlich um den Laurentianus pluteus 37,14 (i), einen Pergamentcodex aus dem fünfzehnten Jahrhundert (vgl. Castagna 1976, S. 36). Freilich finden sich in ihm keine Anmerkungen der Benutzer – offenbar war das Annotieren unter den Argusaugen der Aufsicht nicht möglich. Die Aufteilung von lateinischem Text (links) und Übersetzung (rechts) ist fest etabliert. Eine Ausnahme von diesem Schema stellen die Budé-Ausgaben dar. Wichtig ist die Beobachtung von Andrist 2018, S. 137, der die Verbindung eines Paratextes mit einem bestimmten Inhalt hervorhebt, den er als Protext bezeichnet: „Theoretically speaking, if one were to take a paratext out of a codex, the protext would in most cases still make sense. But the inverse does not hold true: if the protext is removed from a manuscript, in most of the cases the paratext would make little sense alone.“ In diesem Sinne auch Rozzo 2006, S. 213. Den Hollander/Schmid/Smelik 2003, S. ix erweitern diese Auffassung des Paratextes um den Megatext: „Megatext is a container term for all text-

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den Fokus stärker auf den inhaltlichen Bezug zum erklärten Wort als auf ihre genaue Position im Dokument zu legen,90 ist der Informationsverlust bei der Transformation in einen Apparat unter dem Text recht gering: Schließlich wird dort auch Auskunft über die interlineare oder marginale Ausführung gegeben, indem nach der Sigle in mg. (in margine) oder s. l. (supra lineam) erscheint. Abgesehen von den Zusätzen, die Varianten darstellen und sich deshalb im kritischen Apparat finden, bietet der Glossenapparat aus der oben gegebenen Klassifikation fast alle Arten von Paratexten, auch die der codices descripti.91 Es fehlen dort hingegen die Angaben zu Autorname und Werktitel, da es für eine Gesamtausgabe passender schien als für eine Teiledition, obwohl diese Paratexte natürlich in der Einleitung besprochen werden. Nicht berücksichtigt wurden ferner die am Rand erneut notierten ‚interessanten‘ Wörter, die ein Schreiber bei der Anlage des Codex teils von vornherein eingeplant hatte:92 Denn eine Wiederholung desselben Wortes im Glossenapparat nach seiner Referenz aus dem Text wirkte sicherlich verwirrend auf den Benutzer, und die Intention des Schreibers, ein bestimmtes Wort hervorzuheben, wäre nicht sofort klar erkennbar. Sofern man diese ‚interessanten‘ Wörter in eine Edition überführen wollte, wäre es vielleicht sinnvoll, sie am Rand des lateinischen Textes zu belassen und somit ihrer Position im Dokument als Textträger besser gerecht werden zu können. Denn hier kommt es im Gegensatz zur erläuternden Glosse nicht primär auf einen inhaltlichen Bezug an, sondern vielmehr auf die Struktur im Dokument. Aufgenommen wurden aber bewusst Symbole wie die ‚Palmeninsel‘ aus dem Vindobonensis 305 (y) bei Calp. ecl. 1,27, in der Hoffnung, dass sich der Sinn dieses Zeichens durch weitere Verbreitung klären möge. Außerdem erscheinen im Glossenapparat zur 1. Ekloge natürlich nur die Glossen, die in einem unmittelbaren Bezug zu diesem Gedicht stehen. Das heißt, dass die Notiz des Angelius, die sich ja erst am Ende der Eklogen befindet, nicht im Apparat, sondern nur in der Einleitung eingehend besprochen wird. Damit die Information, dass es sich um einen konkreten, namentlich bekannten Annotator handelt, jedoch nicht dort verschwindet, sind die Erläuterungen des Angelius mit der Sigle uA statt des bisherigen A gekennzeichnet.93 Hätte auch Rogerius Spuren in der 1. Ekloge hinterlassen, hätte man ihm analog die Sigle uR zuweisen können. –––––––—

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ual artefacts that, textually, help make sense of the text [...]: some texts function purposely in tandem with another text, and cannot be understood without that text, although they do not have to be transmitted together.“ Interessant ist es natürlich trotzdem, warum eine Glosse marginal und nicht interlinear gesetzt ist. Gründe für die Ausführung an einem Ort lassen sich freilich nur erkennen, wenn eine bestimmte Position (z. B. die zwischen den Zeilen) bereits durch Verbesserungen durch den Schreiber oder andere Erläuterungen belegt ist und daher der nächste Annotator auf den Rand ausweichen muss. Weitere Gründe mögen in den persönlichen Vorlieben des Bearbeiters zu suchen sein, möglicherweise auch in seinem Ego: Denn eine Erläuterung am Rand ist freilich besser sichtbar als eine zwischen die Zeilen gepresste Interlinearglosse. Die Varianten der Sprecherbezeichnungen wurden etwa in den Glossenapparat gesetzt, da lediglich zu vermuten ist, dass sie auf Calpurnius selbst zurückgehen dürften (siehe Anm. 22). Freilich wurden nur die unabhängigen Manuskripte miteinbezogen, da die codices descripti dieselben Sprecher aus der Vorlage übernommen haben. Siehe Abschnitt II, Punkt 4a. Siehe Anm. 79.

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Meines Wissens gibt es in der Klassischen Philologie bisher kein etabliertes Konzept, Glossen systematisch abzubilden. Ob ein Glossenapparat in Analogie zum textkritischen Apparat oder zum nicht seltenen Testimonien- bzw. Similienapparat das richtige Modell ist, wird die Reaktion der Benutzer zeigen.  

 

 

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(un)interessant? Glossen als eigener Apparat

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Anne-Elisabeth Beron

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Görge K. Hasselhoff

Wie bildet man eine offene Überlieferungstradition ab?*

1. Einleitung Im Jahr 1992 erschien ein programmatisch anmutender Artikel des italienischen Philosophiehistorikers Loris Sturlese unter dem Titel „Zur Stemmatik der offenen Tradition“.1 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, dass es von einzelnen lateinischen Texten Meister Eckharts drei unterschiedliche, mutmaßlich nicht voneinander abhängige Textfassungen gibt, die auf verschiedene Abschriften des in Arbeit befindlichen „Originaltextes“ hindeuten. Es lasse sich kein „geschlossenes Stemma“ erstellen, folglich sei eine „kritische Edition [...] nach wie vor unmöglich, und es bleibt keine Wahl, als die drei Texte (E, L und CT) in einer synoptischen Ausgabe zu edieren“.2 Sturlese geht dabei von der Annahme aus, dass es sich bei den mit Kürzeln benannten Handschriften um Abschriften eines Autographen handele, der inzwischen verloren ist. Dieser Beitrag will nicht die Annahmen Sturleses auf ihre Richtigkeit überprüfen; vielmehr sei hier die Terminologie ausgeliehen, um sie auf einen etwa vierzig Jahre älteren Zeitgenossen Eckharts, den katalanischen Dominikaner Ramon Martí, anzuwenden.

2. Ramon Martí Der um 1220 in Subirats in Katalonien geborene Ramon Martí, bzw. lateinisch Raymundus Martini, gehört zu den herausragenden Brüdern des Dominikanerordens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.3 Während seine frühen Jahre und seine ersten Studien nicht dokumentiert sind, hat Damien Travelletti gezeigt, dass um 1250 ein Aufenthalt in Tunis als ein frater einer ausgewählten Gruppe von Sprachstudenten wahrscheinlich ist.4 Aus dieser Zeit stammen zwei vornehmlich gegen den Islam gerichtete Schriften Martís.5 Wenige Jahre später gehört Ramon Martí zu einer Gruppe –––––––—

* 1 2 3

4 5

Der Vortragsstil ist weitgehend beibehalten; nur die nötigsten Nachweise sind ergänzt; für detaillierte Ausführungen sei auf meine unten genannten Publikationen verwiesen. Loris Sturlese: Zur Stemmatik der offenen Tradition. Überlegungen zur Edition der drei Fassungen von Meister Eckharts „Opus Tripartitum“. In: editio 6 (1992), S. 26–42. Ebd., S. 30. – Zu den Handschriftenkürzeln s. u., Teil 3 u. 4. Zu seiner Biografie vgl. Raimundus Martini: Texte zur Gotteslehre. Pugio fidei I–III, 1–6. Lateinisch – Hebräisch / Aramäisch – Deutsch. Hrsg., übers. und eingeleitet von Görge K. Hasselhoff. Freiburg u. a. 2014 (HBPhMA. 31), S. 9–13 (mit Nachweisen). Vgl. Damien Travelletti: Front comun: Raymond Martin, al-Gazālī et les philosophes. Analyse de la structure et des sources du premier livre du Pugio Fidei. Ms. Diss. Fribourg/CH 2011. Joseph M. March: En Ramón Martí y la seva ‘Explanatio simboli apostolorum’. In: Institut d’Estudis Catalans, Anuari 2 (1908), S. 443–496; Josep Hernando: Ramon Martí (s. XIII): De seta Machometi o

https://doi.org/10.1515/9783110692631-009

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Görge K. Hasselhoff

Zensoren, die nach der christlich-jüdischen (Zwangs-)Disputation von Barcelona (1263) ausgewählt wurden, um Texte der jüdischen Traditionsliteratur auf ihren vermeintlichen oder tatsächlichen antichristlichen Inhalt hin zu überprüfen. Die Arbeit als Zensor resultiert in zwei polemischen, in erster Linie antijüdischen Werken, die beide eine Art ‚offene Tradition‘ aufweisen, zum einen das Capistrum Iudeorum (‚Zaumzeug der Juden‘), zum anderen der Pugio fidei (‚Glaubensdolch‘). Für beide Werke finden sich in der Sekundärliteratur Daten über ihren jeweiligen Abschluss (Capistrum: 1267, Pugio: 1278), die sich jedoch nicht ohne weiteres halten lassen, was auch mit der Überlieferungslage zu tun hat. Gesichert ist lediglich, dass Ramon Martí zuletzt 1284 bezeugt ist und 1294 bereits verstorben war. Vom Capistrum Iudeorum sind insgesamt drei Überlieferungsträger aus zwei unterschiedlichen stemmatischen Traditionen erhalten; ein Autograph existiert nicht.6 Dieses Werk ist ausschließlich in lateinischer Sprache abgefasst und versucht in zwei Gängen, überwiegend aus jüdischer Traditionsliteratur (in lateinischer Übertragung), den Nachweis zu führen, dass Jesus Christus der erwartete jüdische Messias war. Aus den Überarbeitungen der zweiten Fassung lässt sich erschließen, dass diese erst während der Arbeit am Pugio fidei entstanden ist und sich so das weithin angenommene Datum des Abschlusses (ca. 1267) nicht bzw. lediglich für die Erstfassung halten lässt. Im Sinne Sturleses handelt es sich bei dem Capistrum Iudeorum um ein Werk mit einer ‚offenen Tradition‘ insofern, als die beiden Fassungen in Teilen einen unterschiedlichen Textbestand einzelner Abschnitte überliefern; das deutet darauf hin, dass die eine Fassung (bei Robles Sierra ‚B‘) die erste, eigenständig überlieferte Version wiedergibt, während die zweite Fassung (bei Robles Sierra ‚P‘) die zweite Version vermittelt.7 Sowohl ‚B‘ als auch ‚P‘ sind dabei Abschriften des nicht mehr erhaltenen Autographs. Im Folgenden möchte ich mich jedoch dem eigentlichen Hauptwerk Ramon Martís zuwenden, dem Pugio fidei. Die ‚kanonische‘ Fassung dieses Werks, der von Joseph de Voisin erstmals herausgegebene Druck Paris 1651,8 besteht aus einem Vorwort9 und drei in sich abgeschlossenen Büchern in insgesamt fünf Teilen. Das erste Buch ist –––––––— 6

7 8

9

de origine, progressu et fine Machometi et quadruplici reprobatione prophetiae eius. Introducción, transcripción, traducción. In: Acta Historica et Archaelogica Mediaevalia 4 (1983), S. 9–63. Eine problematische Erstedition liegt vor: Raimundi Martini: Capistrum Iudaeorum. Texto critico y traducción Adolfo Robles Sierra. Würzburg, Altenberge 1990/1993 (Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 3/1 und 5). Eine Neuausgabe ist ein dringendes Desiderat, nicht zuletzt, weil der Herausgeber in den Transkriptionen hebräischer Wörter nicht nachzuvollziehende Konjekturen vornimmt und die Textnachweise größtenteils falsch sind. Vgl. Raimundus Martini: Capistrum Iudeorum, ed. Robles Sierra, vol. 1, S. 150–192; vol. II, S. 226–234. Pugio Fidei Raymundi Martini Ordinis Praedicatorum Adversus Mauros et Iudæos. Nunc primum in lucem editus [...] Ope, et opera [...] D. Episcopi Lodovensis et [...] D. De Mavssac [...] Cum obseruationibus Domini Iosephi De Voisin [...], Paris: Henault 1651; Raymundi Martini Ordinis Praedicatorum Pugio Fidei Adversus Mauros et Judæos cum observationibus Josephi de Voisin, et introductione Jo. Benedicti Carpzovi, Qui simul appendicis loco Hermanni Judæi opusculum de sua conversione [...], Leipzig: Friedrich Lanckis 1687 [ND: Farnborough 1967]. Inzwischen kritisch ediert: Görge K. Hasselhoff / Syds Wiersma: The Preface to the Pugio fidei. In: G. K. Hasselhoff / Alexander Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei. Studies and Texts. Santa Coloma de Queralt 2017 (Exempla Scholastica. 8), S. 11–21.

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überwiegend in lateinischer Sprache abgefasst (lediglich Bibelzitate werden auf Hebräisch mit lateinischer Übersetzung ausgeschrieben); es behandelt eine Grundlegung der Theologie und zugleich eine Ablehnung der aristotelisch-averroistischen Philosophie. Das zweite Buch, das nunmehr sämtliche jüdische Traditionstexte im Original (hebräisch bzw. aramäisch) mitsamt lateinischer Übertragung wiedergibt, ist eine Neubearbeitung des im Capistrum Iudeorum bearbeiteten Materials, also eine Christologie bzw. eine Messianologie aus Quellen des Judentums. Das dritte Buch, das seinerseits in drei sehr unterschiedlich lange Teile gegliedert und wie Buch II mehrsprachig ist, bietet zunächst eine Theologie der Trinität aus jüdischen Quellen (Buch I–III10),11 sodann eine Anthropologie aus jüdischen Quellen (Buch II–III) und schließlich eine Neufassung der Christologie sowie eine Darstellung der christlichen Heilsmittel, erneut belegt aus jüdischer Traditionsliteratur (III–III).12 In den Text eingestreut sind einige wenige arabische Texte (Sprichwörter, aber auch Koranzitate), ebenfalls mit lateinischer Übertragung. Bemerkenswert ist nun, dass dieser Druck des 17. Jahrhunderts auf eine Fassung zurückgeht, die sich so in keiner erhaltenen mittelalterlichen Handschrift findet. Darum sei nun ein Blick auf die Überlieferungslage geworfen.

3. Die Handschriften des Pugio fidei Vom Pugio fidei sind 13 Überlieferungsträger erhalten, zehn unterschiedlich umfangreiche Abschriften aus der Zeit des 13. bis 15. Jahrhunderts sowie ein zweiseitiges Fragment aus dem 14. Jahrhundert, zudem zwei Abschriften aus dem 17. Jahrhundert.13 Die in Paris, Bibliothèque Ste. Geneviève, Ms. 1405, erhaltene Handschrift G weist den umfangreichsten Textbestand auf, sie hat etwa 10 % mehr Textumfang als die Druckfassung des 17. Jahrhunderts. Bei dieser Handschrift handelt es sich allem Anschein nach um Ramon Martís Autograph; entsprechend ist ihre Entstehung auf ca. 1270–1284/94 anzusetzen.14 Die Handschrift selbst ist keine Reinschrift, sondern ein Arbeitsexemplar: Der Haupttext (lateinisch) ist in einer Zeile geschrieben, für sämtliche Zitate aus den anderen genannten Sprachen wird die Zeile in – nicht

–––––––— 10 11 12 13

14

Wie bei der thomasischen Summa theologica werden die einzelnen Teile des dritten Buchs mit vorangestellter lateinischer Ziffer bezeichnet, d.h. ‚I–III‘ bedeutet ‚prima pars tertiae libri‘ usw. Diesen Teil habe ich teilweise bereits ediert und mit deutscher Übertragung herausgegeben (s. oben Anm. 3); der zweite Teil folgt in Kürze. Dieser dritte Teil hat in etwa den gleichen Umfang wie die anderen vier Teile zusammen. Für eine Übersicht über die Handschriften und Kurzbeschreibungen der Handschriften sowie ein Stemma, vgl. Görge K. Hasselhoff: The Projected Edition of Ramon Martí’s Pugio fidei. A Survey and a Stemma. In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 23–38. Für eine Beschreibung der Handschrift vgl. Philippe Bobichon: Le manuscrit Latin 1405 de la Bibliothèque Sainte-Geneviève (Paris). In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 39–101. Bobichons Behauptung, Martí sei Konvertit, lässt sich aus der Handschrift selbst nicht begründen. – Für einen Versuch, die Aufbewahrungsorte der Handschrift nachzuzeichnen, vgl. Hasselhoff: The Projected Edition, S. 24–25.

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Görge K. Hasselhoff

markierte – Spalten unterbrochen,15 wobei der fremdsprachliche Originaltext zumeist zuerst in die ‚rechte‘ Spalte notiert wurde und die Übersetzung ins Lateinische aus dem Stehgreif formuliert und in die ‚linke‘ Spalte ergänzt wurde (zum Teil in den in hebräischen Lettern mitsamt einer fast vollständigen Vokalisierung geschriebenen ‚Quellentext‘). Vervollständigt wird der Text innerhalb des Textkörpers durch Ergänzungen, die entweder auf den Rand des Blattes (bzw. fortlaufend auf der Rückseite oder der nächsten Seite) oder aber auf eigens eingelegte Pergamentstreifen notiert wurden. Neben dieser Handschrift, die alle Textteile enthält, gibt es verschiedene Handschriften, die nur Teile des ‚Originals‘ umfassen; hierbei fallen zwei ‚Gruppen‘ auf. Zum einen entstand im 15. Jahrhundert eine Art Pugio parvus, der ausschließlich die lateinischen Texte der Bücher I und II umfasst. Hierzu gehören insgesamt mindestens vier erhaltene Handschriften. Sie sind alle zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden (zwei datiert auf 1405), aber stemmatisch nicht voneinander abhängig.16 Neben diese Gruppe lässt sich eine zweite stellen, deren Charakteristikum zwar die mehrsprachige Textüberlieferung ist, die zugleich aber ohne das erste Buch überliefert wird. Erhalten sind zwei Handschriften, die vier der fünf Teile, nämlich die Bücher II bis III–III enthalten; sie sind wohl voneinander abhängig. Die ältere Handschrift wird heute in Salamanca aufbewahrt (Salamanca, Biblioteca Universitaria, Ms. 2.352 = S), die von ihr wahrscheinlich abhängige, aus einer nicht mehr zu verortenden spanischen Bibliothek stammende, in Coimbra (Coimbra, Biblioteca Geral da Universidade, Ms. 720 = C).17 Dazu kommt das genannte Fragment (Lanusei, Museo Diocesano dell’ Ogliastra, 2 frag. = L), das seinerseits aus dem gleichen Scriptorium wie die ältere der beiden vollständigen Handschriften C zu stammen scheint: Das Blatt hat exakt den gleichen Aufbau und die gleichen Anfangsworte wie das entsprechende Blatt der vollständigen Handschrift, enthält aber nur Auszüge aus Buch II, Kapitel 3. Erstaunlich ist, dass diesen ‚vollständigen‘ Überlieferungsträgern dieser Handschriftengruppe im Vergleich zu G viele Ergänzungen fehlen, die auch in oben genanntem Druck aus dem 17. Jahrhundert nicht vorhanden sind. Zusätzlich gibt es drei Handschriften, von denen zwei einen ausgeschriebenen lateinischen Text ohne Platz für die hebräischen, aramäischen und arabischen Originaltexte bieten (München, BSB, clm 24.158 = Mc; Tarragona, Biblioteca Provincial, Ms. 99 = T) und die andere eine begonnene Abschrift des lateinischen Textes mit Raum für die nicht ausgeschriebenen Originaltexte (Paris, BnF, Ms. lat. 3.357 = P2). Es besteht keine direkte stemmatische Abhängigkeit der drei Überlieferungsträger. –––––––—

15 16 17

Der Text wird also gleichsam zweispaltig notiert, obgleich es sich um eine einspaltig geschriebene Handschrift handelt. Es handelt sich um die Handschriften Toulouse, Bibliothèque municipale. Ms. 219 (= D), El-Escorial, Ms. K.II.19 (= E), Sevilla, Capitular y Colombina, Ms. 56-2-14 (= H), Paris, BnF, Ms. lat. 3.356 (= P1). Dieses Manuskript weist zudem die Besonderheit auf, dass es eine weitere, nur fragmentarisch gefüllte Spalte für eine kastilische Übertragung aufweist. Zu dieser Übertragung vgl. Alexander Fidora / Eulàlia Vernet i Pons: Translating Ramon Martí’s Pugio fidei into Castillian. In: Hasselhoff / Fidora, Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 241–259.

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Hinzu kommen zwei frühneuzeitliche Handschriften aus dem 17. Jahrhundert, die ihre je eigenen Besonderheiten aufweisen. Zum einen eine dreibändige Abschrift von G, die auf Veranlassung des Hebraisten Johannes Buxtorf in Basel angefertigt wurde und dort auch aufbewahrt wird (Basel, UB, Ms. A XII 9–11 = Bas), zum anderen eine Handschrift, die als Vorlage für den Druck von 1651 diente und die ihrerseits eine Abschrift von insgesamt vier, zu 75 % verlorenen Überlieferungsträgern des ausgehenden 13. sowie des 14. Jahrhunderts darstellt. Diese Handschrift, Paris, Bibliothèque Mazarine, Ms. 796 (= R), stellt also gewissermaßen eine ‚kritische‘ Textausgabe des 17. Jahrhunderts dar, über die die drei verlorenen Handschriften aus Mallorca, Paris und Barcelona teilweise rekonstruiert werden können. Beide Handschriften (Bas; R) sind zwar mehrsprachig abgefasst, aber die mehrsprachigen Texte sind nicht mehr in Kolumnen angeordnet, sondern konsekutiv im Fließtext. Zudem entfällt die Besonderheit der mittelalterlichen Überlieferungsträger G, S, L und C, die den hebräischen Text vokalisiert bewahren. Schon aus dieser Skizze wird deutlich, dass die Handschriften ein uneinheitliches Bild hinsichtlich des Textbestands aufweisen. Das lässt sich auch auf andere Weise darstellen, wenn man sich vor Augen führt, welche Teile des Werks in welcher Art und Weise überliefert sind: – Das Vorwort ist außer im Fragment L in allen Handschriften überliefert. – Buch I ist nicht enthalten in den Handschriften C, L und S, in P2 ist nur knapp die erste Hälfte abgeschrieben. – Buch II ist außer in P2 in allen Handschriften enthalten; nur lateinisch in D, E, H, Mc, P1 und T, mehrsprachig in Bas, C, G, L, R und S. – Buch III mit den Teilen I–III bis IIII–III ist in acht Handschriften erhalten; nur lateinisch in Mc, P2 und T, mehrsprachig in Bas, C, G, R und S. Die Handschrift P2 bricht in III–III, Cp. 6 ab. Überdies fehlen die letzten beiden Kapitel von Buch III–III in den Handschriften C, Mc, S und T. Es hat den Anschein, als habe es vor dem Abschluss des Autographen mindestens zwei Abschriften gegeben, die ihrerseits als Vorlagen für weitere Abschriften gedient haben. In diesen Abschriften fehlt ein Teil der am Rand und auf Extrablättern notierten Ergänzungen, ohne dass sich hier eine Regelmäßigkeit feststellen ließe. Zudem deutet das Fehlen der beiden Schlusskapitel darauf hin, dass sie nur für die zweite Abschriftenstufe zur Verfügung standen (sie sind auch in der Druckfassung erhalten, jedoch mit teilweise anderslautenden lateinischen Übertragungen), Ramon Martí als Autor jedoch danach weiter Ergänzungen zum Haupttext notierte. Was bedeutet das nun für eine Edition des Pugio fidei?

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Görge K. Hasselhoff

4. Edition Bevor ich mich der Beantwortung der Frage nach der Edition des Pugio fidei zuwende, sei noch einmal ein Seitenblick auf die eingangs erwähnte Eckhart-Edition geworfen. Loris Sturlese hatte in dem genannten Artikel die Edition des einen der beiden eckhartschen Genesiskommentare im Blick.18 Konrad Weiß, der seit 1937 mit der Edition der Genesiskommentare betraut war, hatte seiner Edition eine nahezu diplomatische Transkription der Handschrift E (= Erfurt, UB Erfurt, Dep. Erf. CA 2° 181) vorangestellt. Der Grundtext der Handschrift wurde dabei in normaler Type gedruckt, interlineare oder marginale Ergänzungen in Petit-Satz. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass zumindest die Anmerkungen, möglicherweise auch der normale Fließtext, aus der Feder Meister Eckharts selbst stammen. In jedem Fall liegt in dieser Handschrift die erste uns bekannte Fassung des eckhartschen Kommentarwerks vor. Leittexte der kritischen Ausgabe, die in der Eckhartausgabe folgt, waren die beiden Handschriften C (= Bernkastel-Kues, Cod. Cusanus 21) und T (= Trier, Stadtbibliothek, Cod. 72/1056). Die Ausgabe ist nach den zeitgenössisch üblichen Kriterien einer kritischen Edition erarbeitet, die den ‚besten‘ Text in Anlehnung an Ms. T erstellen sollte. Nachdem Loris Sturlese ein Vierteljahrhundert nach Abschluss der Edition noch einen weiteren Textzeugen L (= Oxford, Bodleian Library, Laud misc. 222) entdeckte hatte, entschied er sich für eine synoptische (Neu-)Edition, die den CT-Text und den L-Text einander gegenüberstellte. Es ließe sich also sagen, dass die eckhartschen Genesistexte nach den jeweiligen Fassungen insgesamt dreimal ediert worden sind. Wollte man das nun auf die weitaus umfangreicheren Texte Ramon Martís übertragen, würde der Umfang unübersichtlich; alleine die Handschrift G weist über 400 Blätter auf. Stellte man nun die Textvarianten der handschriftlichen und der Drucktradition synoptisch dar, würde es den Rahmen einer sinnvollen Ausgabe sprengen. Zugleich scheidet aber auch eine klassische Edition mit einer Leithandschrift aus; dies gilt insbesondere dann, wenn die Wirkungsgeschichte, die von den beiden Druckausgaben des 17. Jahrhunderts ausgeht, nicht unberücksichtigt bleiben soll – faktisch handelt es sich um verschiedene Textstufen. Das soll nun an zwei Beispielen gezeigt werden. 4.1 Beispiel: Pugio fidei I–III, 7 nach Druck und Autograph Um ein erstes Beispiel zu geben: Zur Erläuterung eines Satzes aus Jesaja 30, 33 wird eine Erklärung des mittelalterlichen jüdischen Grammatikers David Kimchi angeführt. In der im Allgemeinen zitierten Ausgabe von Benedikt Carpzov wird diese Stelle wie folgt wiedergegeben: –––––––— 18

Diese sind ediert in Meister Eckhart: Lateinische Werke Bd. 1[/1]: Magistri Echardi Prologi, Expositio libri genesis. Liber parabolarum genesis. Hrsg. und übers. von Konrad Weiss. Stuttgart 1964. Bd. 1/2. Magistri Echardi Prologi in opus tripartitum, Expositio libri genesis secundum recensionem [...] (L), Liber parabolarum genesis editio altera, [...]. Hrsg. von Loris Sturlese. Stuttgart 2015.

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Wie bildet man eine offene Überlieferungstradition ab?*

Dixit R. David Kimhi ~nhyg

Xa awh htpt Tophtah in hoc loco est ignis gehennæ.19

An diesem Zitat ist zunächst nichts falsch, es wird wie alle Zitate eingeführt; die zugehörige Übersetzung wäre: „Es hat R. David Kimchi gesagt: ~nhyg Xa awh htpt – Tophtah an dieser Stelle ist das Feuer der Hölle.“ Wenn wir nun aber den Text aus dem Autograph hinzuziehen, dann ergibt sich ein etwas anderes Bild:20 Dixit rabi Qimhi: Tafte in hoc loco, scilicet i. e. ignis gehenne.

21

hT,p.T; 'qi 'ri 'a' '~N"hiygE vae aWh

Zum einen stehen die Texte nicht untereinander, sondern sind (prinzipiell) nebeneinander angeordnet.22 Zum anderen ist die Einleitung des lateinischen Textes anders gestaltet: der Rufname des Autors, ‚David‘, entfällt. Zum dritten fehlt die (abgekürzte) Einleitung des hebräischen Textteils. Zum vierten ist das Hebräische im Druck unvokalisiert, während Ramon Martí den hebräischen Text vokalisiert hatte. Zum fünften ist die Transliteration des hebräischen Wortes anders (Tophtah – Tafte). Zum sechsten schließlich differiert der lateinische Text: Aus der schwer deutbaren doppelten Abkürzung „s“ = scilicet und „i“ = id est wird ein einfaches „est“, hier interpretiert der Herausgeber das Original um. Eine Edition müsste hier einen sehr umfangreichen Apparat liefern oder aber die Texte synoptisch anordnen, was im Hinblick auf die nicht lateinischen Originaltexte zu noch größeren Schwierigkeiten führen würde. 4.2 Beispiel: Pugio fidei prefatio nach Druck und allen Handschriften Ein zweites Beispiel soll eine Passage aus dem Vorwort zum Gesamtwerk sein, das allen erhaltenen Handschriften voransteht.23 Die ‚prefatio‘ ist weitestgehend textstabil, lediglich orthografische Abweichungen wären hier zu notieren. Eine Ausnahme jedoch gibt es und diese bringt in vielerlei Hinsicht Probleme mit sich.

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19 20 21 22 23

Raimundus Martini: Pugio fidei I–III, 7. ed. Carpzov. Leipzig 1687, S. 517. Dieses Beispiel aus dem in Vorbereitung befindlichen zweiten Band in der ‚Bibliothek der Philosophie des Mittelalters‘ findet sich im Ms. G, f. 141r. Jes. 30, 33. Auch wenn im konkreten Fall eine Verschiebung um ein paar Zeilen zu notieren ist, die der Länge der lateinischen Übertragung des voranstehenden Textes geschuldet ist. Für die kritische Edition mit englischer Übertragung s. oben, Anm. 9. – In ihrem Beitrag „Der ,Pugio Fidei‘ des Raymund Martini als ein exemplarischer Versuch kirchlicher Auseinandersetzung mit dem Judentum“ (in: dies. / Thomas Willi: Glaubensdolch und Messiasbeweis. Die Begegnung von Judentum, Christentum und Islam im 13. Jahrhundert in Spanien. Neukirchen-Vluyn 1980, S. 21–83, hier S. 28–33) hat Ina Willi-Plein eine Auswahlübersetzung aus dem Vorwort nach dem Carpzovschen Druck vorgelegt.

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Innerhalb des Vorwortes zitiert Ramon Martí eine Passage aus Hieronymus, Ep. 112 ad Augustinum, in der er seine Übersetzung des Namens der Pflanze, die über den Propheten Jona wächst, erläutert. Im Ms. G findet sich dazu als eine Art mittelalterlicher Fußnote die folgende Marginalie:24 Nota quod qicayon hebraice dicitur, qirua arabice, latjne uero hodie palma xristi uocatur. Habet autem folia ad modum ficus uel pampnj, sed melius extensa, coloris quasi lazulj, i.e. adurij, et calamos, ut arundinis concauos. Est autem cauidum secundum iazzarium, in fine secundi gradus. Facit quos quasi uiuas granis plenas pediculis boum similljmis. Que sunt calida ut dictum est et dissolutjua, purgancia coleram simul et fleuma, superius et inferius, si trita dentur in potum. Fitque ex eis oleum ad multa utile. Curat quoque mendas et pustulas, si de granis eius uel folijs emplaustrentur contritis. (Merke, dass auf Hebräisch qicayon gesagt wird, auf Arabisch qirua, auf Lateinisch freilich wird sie heute Hand Christi [auch: Wunderbaum] gerufen. Sie hat jedoch Blätter nach der Art der Feige oder dem Weinlaub, aber besser ausgestreckt, von der Farbe gleich einem blauen, d. h. gebräunt, und Stängel wie ein Schilfrohr gekrümmt. Sie ist jedoch ausgehöhlt nach iazzarium am Ende der zweiten Stufe. Sie macht diese gleichsam zu lebenden mit Korn gefüllten Rindern ähnlich kleinen Läusen. Diese sind warm, wie gesagt ist, und ein lösliches Reinigungsmittel, der Galle gleich und dem Schleim, höher und tiefer, wenn Geriebenes in ein Gefäß gegeben wird. Und es wird aus diesen Öl gemacht, nützlich für Vieles. Und sie heilt auch Gebrechen und Bläschen, wenn von ihren zerstoßenen Körnern oder Blättern ein Pflaster aufgelegt wird.)

Lediglich die Handschriften S, C und T überliefern einen Teil der Anmerkung: Nota quod qiqayon [C S: qicayon] hebraice dicitur, qirua arabice, latine uero hodie palma xristi uocatur. Habet autem folia ad modum ficus uel pampinj sed melius extensa. (Merke, dass auf Hebräisch qicayon gesagt wird, auf Arabisch qirua, auf Lateinisch freilich wird sie heute Hand Christi [auch: Wunderbaum] gerufen. Sie hat jedoch Blätter nach der Art der Feige oder dem Weinlaub, aber besser ausgestreckt.)

Die übrigen Handschriften (D E H Mc P1 P2 R) und auch die Druckausgabe haben diesen Text nicht. Abgesehen davon, dass es sich um eine Art Fußnote handelt, was eine Verortung innerhalb des Textes schwierig macht (es gibt kein Einfügungszeichen), stellt sich die Frage, wie diese Anmerkung dargestellt werden soll: Als ergänzende Anmerkung, wie ich es in der vorgenannten Edition praktiziert habe, im Haupttext mit einem Hinweis ‚om. D E H Mc P1 P2 R‘, oder in drei Spalten, von denen die eine leer bleibt?

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24

Zit. nach Hasselhoff / Wiersma, The Preface to the Pugio fidei, S. 17.

Wie bildet man eine offene Überlieferungstradition ab?*

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4.3 Die Textausgabe in ‚Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters‘ (HBPhMA) und die geplante kritische Ausgabe im Rahmen der ‚Biblioteca Philosophorum Medii Aevi Cataloniae‘ Für die Textausgabe mit deutscher Übersetzung in ‚Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters‘ wurde entschieden, den Text von G mit Abweichungen zu der gängigen Druckausgabe von Carpzov wiederzugeben. Für das intendierte Publikum der Reihe wurden dabei einige orthografische Anpassungen an das klassische Latein (c/t, e/ae usw.) vorgenommen. Das Schriftbild des Hebräischen in Bezug auf Zeilenwechsel, Vokalisation und Abkürzungen ist dem in der Handschrift angepasst. Für die geplante kritische Ausgabe im Rahmen der ‚Biblioteca Philosophorum Medii Aevi Cataloniae‘ haben die Herausgeber sich ebenfalls dafür ausgesprochen, den Text von G mitsamt Referenzen zu den Druckausgaben des 17. Jahrhunderts wiederzugeben. Inwieweit weitere Handschriften berücksichtigt werden, ist den jeweiligen Herausgebern überlassen. Ob die Entscheidung sinnvoll ist, sei dahingestellt. Die Alternativen mitsamt Vor- und Nachteilen sind oben genannt. Die Edition des Pugio fidei könnte also ihrerseits zu einer Art ‚offener Tradition‘ im Sinne Sturleses werden.

 

 

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Literaturverzeichnis Textausgaben Ramon Martí Hernando, Josep: Ramon Martí (s. XIII): De seta Machometi o de origine, progressu et fine Machometi et quadruplici reprobatione prophetiae eius. Introducción, transcripción, traducción. In: Acta Historica et Archaelogica Mediaevalia 4 (1983), S. 9–63 March, Joseph M.: En Ramón Martí y la seva ‘Explanatio simboli apostolorum’. In: Institut d’Estudis Catalans, Anuari 2 (1908), S. 443–496 Pugio Fidei Raymundi Martini Ordinis Praedicatorum Adversus Mauros et Iudæos. Nunc primum in lucem editus [...] Ope, et opera [...] D. Episcopi Lodovensis et [...] D. De Mavssac [...] Cum obseruationibus Domini Iosephi De Voisin [...]. Paris 1651 Raymundi Martini Ordinis Praedicatorum Pugio Fidei Adversus Mauros et Judæos cum observationibus Josephi de Voisin, et introductione Jo. Benedicti Carpzovi, Qui simul appendicis loco Hermanni Judæi opusculum de sua conversione [...]. Leipzig 1687 [ND: Farnborough 1967] Raimundi Martini: Capistrum Iudaeorum. Texto critico y traducción Adolfo Robles Sierra. Würzburg, Altenberge 1990/1993 (Corpus Islamo-Christianum. Series Latina 3/1 und 5) Raimundus Martini: Texte zur Gotteslehre. Pugio fidei I–III, 1–6. Lateinisch – Hebräisch / Aramäisch – Deutsch. Hrsg., übersetzt und eingeleitet von Görge K. Hasselhoff. Freiburg u. a. 2014 (HBPhMA, Bd. 31) Hasselhoff, Görge K. / Syds Wiersma: The Preface to the Pugio fidei. In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 11–21

Sekundärliteratur Bobichon, Philippe: Le manuscrit Latin 1405 de la Bibliothèque Sainte-Geneviève (Paris). In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 39–101 Eckhart, Meister: Lateinische Werke Bd. 1[/1]: Magistri Echardi Prologi, Expositio libri genesis. Liber parabolarum genesis. Hrsg. und übersetzt von Konrad Weiss. Stuttgart 1964 – Bd. 1/2. Magistri Echardi Prologi in opus tripartitum, Expositio libri genesis secundum recensionem [...] (L), Liber parabolarum genesis editio altera, [...]. Hrsg. von Loris Sturlese. Stuttgart 2015 Fidora, Alexander / Eulàlia Vernet i Pons: Translating Ramon Martí’s Pugio fidei into Castillian. In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 241–259 Hasselhoff, Görge K. / Alexander Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei. Studies and Texts. Santa Coloma de Queralt 2017 (Exempla Scholastica, 8) Hasselhoff, Görge K.: The Projected Edition of Ramon Martí’s Pugio fidei. A Survey and a Stemma. In: Hasselhoff / Fidora (Hrsg.): Ramon Martí’s Pugio fidei, S. 23–38 Sturlese, Loris: Zur Stemmatik der offenen Tradition. Überlegungen zur Edition der drei Fassungen von Meister Eckharts „Opus Tripartitum“. In: editio 6 (1992), S. 26–42 Travelletti, Damien: Front comun: Raymond Martin, al-Gazālī et les philosophes. Analyse de la structure et des sources du premier livre du Pugio Fidei. Ms. Diss. Fribourg/CH 2011 Willi-Plein, Ina: Der „Pugio Fidei“ des Raymund Martini als ein exemplarischer Versuch kirchlicher Auseinandersetzung mit dem Judentum. In: dies. / Thomas Willi: Glaubensdolch und Messiasbeweis. Die Begegnung von Judentum, Christentum und Islam im 13. Jahrhundert in Spanien. Neukirchen-Vluyn 1980, S. 21–83

David R. Herbison

Textual Editing and Documentary Continuity: Marking of Old Testament Quotations in Editions and Manuscripts of the Greek New Testament

Introduction The authors of the New Testament (NT) frequently incorporated portions of the Old Testament (OT) into their compositions by way of explicit quotations and indirect allusions. Such passages are often distinguished from the surrounding text in editions of the Greek NT, either in the main body of the text or with marginal notations. However, this interest in calling attention to citations did not begin with modern editors, but is also evident from the earliest periods of textual transmission where scribes have marked citations in the manuscripts they produced. Therefore, in this paper I will introduce the various methods for marking citations in manuscripts and editions of the Greek NT, propose ways in which greater attention to the manuscript evidence can contribute to research, and finally share some practical ideas for including these data in existing editions.

Marking Citations in Greek New Testament Manuscripts First, a very brief introduction to the way quotations are marked in NT manuscripts is in order. The primary method is by adding small, wedge-shaped marks (>) called ‘diplai’ (sg. diplé) to the left of each line of text which bears quoted material.1 Diplai trace their origins to the famous Alexandrian grammarian Aristarchus of Samothrace (216–144 BCE), who himself built upon and expanded the critical sigla developed by Zenodotus of Ephesus (c. 325–260 BCE) and Aristophanes of Byzantium (c. 265/257–190/180 BCE).2 The diplé is the most general of Aristarchus’ signs and was widely used in Greek manuscripts for a variety of purposes in antiquity, such as marking the onset of a new speech, indicating variant readings or rejected verses, or to indicate the existence of accompanying commentary in another volume.3 Many of its uses are not readily explicable, and it seems to have often merely pointed to some–––––––—

1 2 3

From the feminine substantive ἡ διπλῆ (‘double line’), itself deriving from διπλόος (‘dual, double, folded’); cf. BrDAG, 537. Franco Montanari, Brill’s New Pauly: Critical Signs. Date ranges for each grammarian taken from their respective articles in Brill’s New Pauly. Patrick McGurk: Citation marks in early Latin manuscripts. (With a list of citation marks in manuscripts earlier than A. D. 800 in English and Irish libraries). In: Scriptorium 15 (1961), 4; LSJ, 436; Franco Montanari, Brill’s New Pauly: Diple.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-010

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thing interesting on the marked line.4 The earliest extant Christian use of diplai to indicate quoted material is found in a papyrus copy of Irenaeus, Against Heresies (Pap. Oxy. 3.405) dated to around 200 CE, where diplai are found next to each of seven lines bearing a quotation of Matt 3:16–17.5 The early and famous biblical codices Sinaiticus (‫א‬01), Vaticanus (B03), Alexandrinus (A02), and Ephraemi Rescriptus (C04) all mark OT citations using diplai, as do numerous other majuscule and later minuscule codices.6 A second method for marking such citations is the indention of lines which bear quoted material, most notably found in Codex Bezae (D05).7 While diplai can be temporally ambiguous, potentially having been added in the margin at a later date, indentation makes certain that the scribe was aware of the quotation as they were copying.8 Even so, there are indications that the addition of diplai reaches back to the earliest stages of production for some manuscripts, especially in the case of Codex Vaticanus.9

Marking Citations in Editions of the Greek New Testament The two editions of the Greek NT that are most frequently used by biblical scholars and students today are the 5th edition of the United Bible Society’s The Greek New Testament (UBS5; 2014) and the 28th edition of Novum Testamentum Graece (NA28; 2012).10 Both editions call attention to portions of text which are thought to be in –––––––— 4 5

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Kathleen McNamee: Sigla and Select Marginalia in Greek Literary Papyri. Brussels 1992, pp. 8–11. Ulrich Schmid: Die Diplé. Einführung. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), p. 78. McGurk 1961 (n. 3), pp. 4–5. The use of diplai in each of these manuscripts has been analyzed in the following studies: Ulrich Schmid: Diplés im Codex Vaticanus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 99–113. Ulrich Schmid: Diplés und Quellenangaben im Codex Sinaiticus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 83–98. Marcus Sigismund: Formen und Verwendung der Diplé im Codex Alexandrinus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 115–143; Ulrich Schmid: Diplés im Codex Ephraemi rescriptus – eine Problemanzeige. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 145–147. For those majuscule NT manuscripts which have both letters (Latin or Greek) and numbers (according to the Gregory-Aland system) for sigla, I include both, though otherwise only the numbers. Codex Claromontanus (D06) combines such indentation with the use of red ink for these lines. Krister Stendahl: The School of St. Matthew and Its Use of the Old Testament. Lund 1967, pp. 45–46. Marcus Sigismund: Die Diplé als Zitatmarkierung in den „großen“ Unzialcodices – Versuch eines Fazits. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 149–151. Ronald H. van der Bergh: The Textual Tradition of Explicit Quotations in Codex Bezae Cantabrigiensis of the Acts of the Apostles (PhD diss.). University of Pretoria 2013, p. 5. McNamee 1992 (n. 4), p. 10, n. 10. Schmid: Vaticanus. 2010 (n. 6), p. 99. Barbara Aland, Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos, Carlo M. Martini, and Bruce M. Metzger (eds.): The Greek New Testament. Stuttgart 2014. Barbara Aland, Kurt Aland, Johannes Karavidopoulos,

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some way related to OT texts, either by direct quotation or allusion. This is done in two ways. Typographically, NA28 prints quotations in italics,11 whereas UBS5 prints them in bold font; both editions leave allusions in normal type. Source attributions for both types of references can be found in the margins of both editions, with NA28 italicizing sources of quotations as it does the text in the main body. In cases where NT authors quoted text forms of the OT which differ from those known to us today, both of these editions indicate this by their typographic distinctions, avoiding italicized or bold text within an apparent quotation where the editors have determined that such words cannot be reasonably attributed to the OT source. The use of typography in printed editions of the NT to mark text taken from or closely related to the OT and indicate the degree of adherence to the respective OT source traces its origin, so far as I can tell, to the influential The New Testament in the Original Greek, edited by Brooke Foss Westcott and Fenton John Anthony Hort and published in 1881. In their introduction to the edition, these editors described this feature in the following way: Quotations from the Old Testament are printed in ‘uncial’ type. Under this head are included not only passages or sentences expressly cited in the context as quotations, but sentences adopted from the Old Testament without any such indication, and also all phrases apparently borrowed from some one passage or limited number of passages, and in a few places characteristic single words. The line has been extremely difficult to draw, and may perhaps have wavered occasionally. Words or forms of speech occurring in either the Massoretic [sic] Hebrew alone or the Septuagint alone have been treated as belonging to the Old Testament, as well as those which stand in both texts and the various readings belonging to different states of the LXX, as preserved in its extant MSS, have likewise been taken into account. On the other hand words occurring in the midst of quotations, and not clearly capable of being referred to an Old Testament original, have been left in ordinary type.12

Westcott and Hort’s edition did not include any marginal source attributions for either quotations or allusions, and the description of their system of typographic distinctions makes clear that the use of such “uncial” type constitutes a general-purpose tool for positing a relationship with the OT, though without precisely defining the nature of that relationship (i.e., quotation vs. allusion).13 Future editions would come to rely on Westcott and Hort’s prior determinations in this regard, though they would themselves be revised. Thus in the introduction to NA25 we find the following description: Heavy type for O.T. quotations (Mt 1,23) or allusions (Mt 3,17; 5,3), which at first followed the text of H [= Westcott and Hort], has been revised and cancelled in about 60 cases, where

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Carlo M. Martini, and Bruce M. Metzger (eds.): Novum Testamentum Graece. Stuttgart 2012. In what follows, references to prior editions from the UBS and NA series will be indicated by changing the superscript number of the abbreviation (e.g., NA26 = 26th edition of Novum Testamentum Graece). NA28, pp. 55*, 82*–83*. Brooke Foss Westcott and Fenton John Anthony Hort: The New Testament in the Original Greek. Introduction and Appendix. New York 1882, p. 316 (Introduction). The imprecise meaning of Westcott and Hort’s uncial type was noted already by Henry Barclay Swete: An Introduction to the Old Testament in Greek. Cambridge 1902, p. 381.

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it concerned only questionable allusions, but newly introduced in 35 cases [...]. It seems justifiable in these four formal questions (a–d) [orthography, paragraph division, OT citations, strophic printing of poetry], which do not touch the tradition of the text, that the dependency on the former authorities should have been dropped.14

In other words, one edition need not slavishly preserve the typographic features of former editions. While this is a completely reasonable stance, it is clear that defining these features of the edition is left to the editor, without recourse to the preserved tradition, since they “do not touch the tradition of the text,” meaning that they do not determine actual decisions between variants. With the 26th edition came a newly established text according to a new methodology, and with it revisions to numerous features, including OT citations, which would then appear in italics rather than bold, as in the current Nestle-Aland. The determinations of quotations were likewise revised, about which the introduction tells the user simply “the problems involved here are familiar.”15 Other printed editions made no such typographic distinction, but did place source attributions in the margin, including Tischendorf’s Editio octava critica maior (1869– 1872), the Complutensian Polyglot (1514/1522), as well as the editions of Beza,16 Mill (1707), Bengel (1734), and Tregelles (1857–1872). Hermann von Soden’s edition (1913) enclosed citations in modern fashion within angled quotation marks (« quoted text »). Erasmus’ Novum Testamentum omne used pairs of commas in the margins beside lines which bear quoted text starting in the 3rd edition (1522), resembling diplai use in manuscripts.17 We find the same use of such comma pairs in Stephanus’ 1550 edition, in which marginal source attributions are also given. The two most recently published editions of the Greek NT, namely The Greek New Testament: Society of Biblical Literature Edition (SBLGNT; 2012) and The Greek New Testament, Produced at Tyndale House, Cambridge (THGNT; 2017), do not indicate citations in any form.18 SBLGNT does not mention this decision in its introduction. THGNT lists this choice under its overarching intention to produce a clean text: This edition seeks to present the Greek text with as little interruption as possible. We have avoided scholarly signs within the text as well as brackets, dashes, or marking of perceived citations by special typefaces. Although manuscripts did develop ways of marking extended quotations within the text, this was generally not applied to shorter sequences of words, and we have thought it best to avoid marking the onset of such sequences.19

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NA25, pp. 63*–64*. NA26, p. 44*. For Beza’s edition I have only been able to check the 1565 and 1588 editions. Images of the 1588 have recently been made available on csntm.org. This feature is likewise a part of Erasmus’ fourth edition (1527), though was discontinued for the fifth (1535). Michael W. Holmes (ed.): The Greek New Testament. SBL Edition. Atlanta, GA 2010. Dirk Jongkind and Peter J. Williams (eds.): The Greek New Testament. Produced at Tyndale House, Cambridge. Wheaton, IL 2017. Jongkind and Williams 2017 (n. 18), p. 515.

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Accompanying the publication of the THGNT has also been a series of blog posts designed to explain various editorial goals and features of the edition, as well as demonstrate the editors’ decision-making process through discussion of several significant variation units.20 In a December 2017 blog post, the THGNT’s editor, Dirk Jongkind, discussed several matters one should consider when answering the question “Should I buy the Tyndale House Edition of the Greek New Testament?” Among these thoughts, he comments that “instead of ‘switching off’ when any NT author is citing the OT, we actually read what is quoted since there is no visual separation between citation and the story or the argument.”21 For Jongkind then, the typographic decisions of other editions make for a hindrance to reading and interpretation which is resolved by treating citations in the same way as the main text. This survey reveals similar editorial interests at work in the preparation of both print editions and manuscripts of the Greek NT. To be sure, there are differences between the practices. At no point did scribes develop systems for distinguishing between individual words in a NT quotation which can or cannot be traced back to the OT source — quotations were marked as whole units rather than critically segmented as we see in the use of different typefaces in some print editions. This is not a critique of the use of such typefaces per se — such formatting, when carried out well, can be useful for quickly determining the degree to which a quotation conforms to its source or when one wishes to identify particular authorial adaptations. The point is merely that although modern editions often call attention to quotations, they do so in a fundamentally different fashion than is found in the manuscripts, and they do so apart from the manuscript evidence itself. The THGNT provides a good example of how features of NT manuscripts may helpfully be incorporated into modern critical editions. This shows through most clearly in the structuring of the page layout, where paragraph divisions model manuscript practice by the use of ekthesis (projecting the beginning of a new section into the margin), and these are only used when they can be supported by two or more manuscripts dating to the 5th century or earlier.22 Furthermore, the editors have allowed for certain inconsistencies in orthography across the volume where the variant spellings can be supported by multiple manuscripts for the respective verses or sections.23 Such editorial features are welcome as they actively maintain continuity with the manuscript tradition which extends beyond the textual wording itself and are helpful from a pedagogical standpoint for instructors wishing to introduce their students to the features of early manuscripts. It may be worth considering then, whether a similar approach could be taken regarding scribal practice for OT

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https://academic.tyndalehouse.com/thgnt (last accessed Oct. 30, 2019). This post can now be found at: https://academic.tyndalehouse.com/should-i-buy; it originally was found at: http://www.tyndale.cam.ac.uk/thgnt_blog/2017/12/18/should-i-buy-the-tyndale-house-edition-of-thegreek-new-testament/ (last accessed Oct. 2, 2018). Jongkind and Williams 2017 (n. 18), p. 512. Jongkind and Williams 2017 (n. 18), pp. 508–512.

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quotations. In what follows, I will offer examples of how attention to such matters can elucidate scribal treatment of these quotations, and may even inform how editors reconstruct the earliest text of the Greek NT.

Examples Mark 1:2–3 (Ex 23:20; Mal 3:1; Isa 40:3) Paying attention to the marking of OT quotations in NT manuscripts can provide an important view into the degree to which scribes and readers were aware of such citations and their sources. This can be especially interesting for composite citations which may or may not be attributed to one author in the text. A good example is a citation at the beginning of Mark’s gospel (Mk 1:2–3), where a combination of words from Ex 23:20 (with some influence from Mal 3:1) and Isa 40:3 are given as one citation block, with some manuscripts indeed ascribing the entire citation to only Isaiah, whereas others only attribute the citation to ‘the prophets’ generally.24 Mark 1:2–3 NA28 2 Καθὼς

Ex 23:20 Isa 40:3 

γέγραπται ἐν τῷ Ἠσαΐᾳ τῷ προφήτῃ ἰδοὺ ἀποστέλλω τὸν ἄγγελόν μου πρὸ προσώπου σου, ὃς κατασκευάσει τὴν ὁδόν σου· 3 φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ· ἑτοιμάσατε τὴν ὁδὸν κυρίου, εὐθείας ποιεῖτε τὰς τρίβους αὐτοῦ

NRSV it is written in the prophet Isaiah, “See, I am sending my messenger ahead of you, who will prepare your way; 3 the voice of one crying out in the wilderness: ‘Prepare the way of the Lord, make his paths straight’” 2 As

Several manuscripts mark the entire block (D05, V031, 115, 151, 405, 566, 942, 1582), as do NA28 and UBS5. Other manuscripts only mark the Exodus portion (E07, M021, Δ037, 047, 299, 1684), which comes first, considering the quotation to have ended pre-

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Most scholars see the generic attribution as reflecting a later scribal change on account of the composite nature of the citation; cf. Bruce M. Metzger, on behalf of and in cooperation with the Editorial Committee of the United Bible Societies’ Greek New Testament: A Textual Commentary on the Greek New Testament. Stuttgart 2002, p. 62. Cp. Schmid: Sinaiticus. 2010 (n. 6), pp. 96–97, who questions the traditional reconstructed text according to an observed scribal tendency for adding specific source attributions to generic formulae. Cf. also Martin Karrer and Ulrich Schmid: Old Testament Quotations in the New Testament and the Textual History of the Bible. The Wuppertal Research Project. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), p. 169.

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cisely where the Isaiah portion begins (cf. Figure 1).25 Still another manuscript (L019, ‘Codex Regius’) leaves the Exodus part unmarked, though it does mark the Isaiah portion, despite it standing at some remove from the introductory formula which names Isaiah (cf. Figure 2).

Fig. 1: Codex Campianus (M021), marking only the Ex 23:20 portion of the citation at Mk 1:2–3 with diplai; note the marginal attribution to Isaiah between the columns. Image used by permission of the Bibliothèque nationale de France.

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Cf. Schmid: Sinaiticus. 2010 (n. 6), p. 97.

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Fig. 2: Codex Regius (L019), marking only the Isa 40:3 portion of the citation at Mk 1:2–3 with diplai. Image used by permission of the Bibliothèque nationale de France.

I would argue then that these data can serve as positive evidence for degrees of scribal awareness. Those which mark the whole citation block reveal an awareness at least of its bounds, whatever the understanding of its content. Those which mark only the Exodus section, especially when Isaiah is given as the source, betray a mechanical process for marking this quotation which is prompted primarily (if not exclusively) by the introductory formula, rather than any actual knowledge of the sources. Conversely, Codex Regius suggests a higher level of awareness which goes beyond knowledge of the quotation or source generally, but even accurately distinguishes between particular parts of the citation block.

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2 Cor 9:9–10 (Ps 111:9 LXX; Isa 55:10) It is not uncommon in scholarly literature on the reception of NT quotations of the OT for one to find questions as to whether or not an apparent reference, particularly those which are not introduced by some form of citation formula, was obvious enough to have been recognized by ancient readers or hearers of the NT. Thus scholars have proposed various criteria by which they determine the likelihood that a ‘quotation’ would be recognized, including the use of an interpretive gloss afterward, introduction by a light particle, or syntactical tension with the literary context.26 For example, in his study of Paul’s use of scripture, Dietrich-Alex Koch posits that 2 Cor 9:10 should be read as a quotation of Isa 55:10 on account of its stylistic differences with the surrounding verses.27 However, Christopher Stanley, in his own treatment, points out that “the words in question could well be mistaken for Pauline formulations by the Gentile reader unacquainted with their original source.”28 In 2 Cor 9:6–15, Paul encourages the church in Corinth to generously make donations in support of other churches by developing an agricultural metaphor of sowing/reaping and giving/receiving blessing. 2 Corinthians 9:9 introduces a quotation of Ps 111:9 LXX with the clear and frequently encountered citation formula καθὼς γέγραπται (‘as it is written’). Immediately after the quotation at 2 Cor 9:10, Paul borrows language from Isa 55:10 LXX (σπέρμα τῷ σπείροντι καὶ ἄρτον εἰς βρῶσιν, ‘seed to the sower and bread for food’) in order to help make the point that the general faithfulness of God’s provision applies also to the Corinthians in their giving, though this literary borrowing is not identified as a quotation in the letter. We might then consider how manuscripts could contribute to this discussion. When consulting NT manuscripts here, it is interesting to see how scribes marked these OT references. It is likely that the introductory formula at 2 Cor 9:9 has prompted the scribe of Codex Claromontanus (D06) to indent each of the four lines which bear the Psalms quotation. However, the indentation does not continue for v. 10, thus indicating that the scribe considered the quotation finished and did not recognize the use of Isaiah (cf. Figure 3). The decision to only mark v. 9 is likewise reflected in the use of diplai in B03 G012 L020.29 –––––––— 26 27

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Christopher D. Stanley: Paul and the language of Scripture. Citation technique in the Pauline Epistles and Contemporary Literature. Cambridge 1992, pp. 34–37. Dietrich-Alex Koch: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus. Tübingen 1986, p. 14: “In 2 Kor 9,10 fällt die Gottesprädikation ὁ δὲ ἐπιχορηγῶν σπόρον τῷ σπείροντι καὶ ἄρτον εἰς βρῶσιν aus dem sonstigen, keine bildhafte bzw. vergleichende Rede verwendenden Kontext heraus und gibt sich durch den Parallelismus im Aufbau als vorgeprägte Formulierung zu erkennen.” Stanley 1992 (n. 26), p. 36. The witness of D06 here is especially instructive, since the scribe both indents and changes to red ink for the text of the quotation in v. 9, demonstrating conclusively that it was the scribe themselves, rather than a later user, who made the distinction. One may also note that the Euthalian Apparatus identifies 2 Cor 9:9 as containing a quotation of Ps 111 LXX, though it does not attribute a quotation of any OT text to 2 Cor 9:10. For the excerpted quotation of Ps 111:9 LXX at 2 Cor 9:9, cf. PG 85:736–37. The next excerpted quotation in the Euthalian Apparatus comes from 2 Cor 10:17, which attributes the text to Jeremiah (9:22–24) and 1 Samuel (2:10 LXX). For more on the quotation lists in the Eusebian Apparatus, cf. Louis Charles Willard: A Critical Study of the Euthalian Apparatus. Berlin 2009, pp. 29–46.

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Fig. 3: Codex Claromontanus (D06), indenting 2 Cor 9:9 with its citation of Ps 111:9 LXX. Image used by permission of the Bibliothèque nationale de France.

Current editions are divided in their marking practices here. NA28 sides with Koch, printing the respective words of both vv. 9 and 10 in italics, whereas UBS5 uses bold font for only the Psalms quotation in v. 9, citing v. 10 as an allusion in the margin.30 How one conceives of the nature of 2 Cor 9:10 and its reception by early scribes is likely to have a significant impact on text-critical decision-making here as well. In NT manuscripts, the word for ‘seed’ is one of two synonyms: σπόρον (𝔓46 B03 D06* –––––––—

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While WH likewise print this text in uncials, thereby positing a relationship with the OT, since their system does not distinguish precisely between quotations and allusions, one cannot really align their attribution with either tradition.

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F010 G012 1175) or σπέρμα (‫א‬01 C04 D061 K018 L019 P025 Ψ044 048 0209 0243 33 1739 Majority Text). Both readings are found in early MSS, and while σπέρμα is supported by the vast majority, those which read σπόρον are highly regarded and thus cannot be dismissed easily. The LXX, from which Paul draws, reads σπέρμα without variation, and a well-established text-critical principle amongst NT scholars has been that readings of quotations which make for greater difference with the LXX source are to be preferred, since scribes are thought to have frequently harmonized to the LXX.31 Editions disagree in their reconstructions: NA28/UBS5 and SBLGNT read σπόρον, whereas Westcott and Hort, Tischendorf and THGNT read σπέρμα.32 Much of the decision will come down to whether the critic thinks that scribes changed σπόρον to σπέρμα due to their knowledge of LXX Isaiah, as is at times proposed,33 or if the nearby use of σπόρον in the second half of the verse has resulted in a harmonization to the immediate context.34 It is precisely here that paying attention to MSS becomes important, since the evidence from scribes who were interested in identifying quotations shows that they did not take 2 Cor 9:10 to be a quotation, and the decision to mark v. 9 but not v. 10 makes it less likely that later users would associate v. 10 with the OT to begin with. Whatever the decision regarding this particular word, Paul’s use of Isaiah here is clear to modern scholars who can quickly search for this wording in the LXX. Yet to ancient scribes and readers who did not have such texts readily accessible nor the capability to search them quickly for distinctive phrasing, it may not have been so clear and could have easily been missed, as was apparently the case for the scribes of the MSS just noted.35 Yet the immediate –––––––—

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32 33

34

35

Bruce M. Metzger and Bart D. Ehrman: The Text of the New Testament. Its Transmission, Corruption, and Restoration. New York 2005, pp. 262–263. Kurt and Barbara Aland: The Text of the New Testament. An Introduction to the Critical Editions and to the Theory and Practice of Modern Textual Criticism. Grand Rapids, MI 1989, p. 290. Constantinus Tischendorf (ed.): Novum Testamentum Graece. Leipzig 1849, p. xiv (Tischendorf’s Latin text; for an English rendering, cf. Samuel Prideaux Tregelles: An Account of the Printed Text of the Greek New Testament. London 1854, p. 121). Eldon Jay Epp: Traditional ‘Canons’ of New Testament Textual Criticism. Their Value, Validity, and Viability – or Lack Thereof. In: The Textual History of the Greek New Testament. Changing Views in Contemporary Research. Ed. by Klaus Wachtel and Michael W. Holmes. Atlanta, GA 2011 (Text-Critical Studies 8), p. 123. σπέρμα was also the reading of NA25 and the UBS2. Christian Wolff: Der zweite Brief des Paulus an die Korinther. Berlin 1989, p. 186, n. 162. Margaret E. Thrall: A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians. Edinburgh 2000, vol. 2, p. 583, n. 134. Murray J. Harris. The Second Epistle to the Corinthians. A Commentary on the Greek Text. Grand Rapids, MI 2005, p. 632. Alfred Plummer: A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle of St Paul to the Corinthians. Edinburgh 1915, p. 264. While one could theoretically argue that σπέρμα is the more frequently used word in the NT generally, thus prompting a change from the unfamiliar to the familiar, none of the other NT occurrences of σπόρος (including the latter use at 2 Cor 9:10) show variation, suggesting that relative frequency of the synonyms played no role for scribes. In his apparatus, Tischendorf likewise pointed to the use of σπόρος at Mk 4:26, 27; Lk 8:5, 11 as potentially contributing to such a scribal change. Similar arguments have been made by Schmid: Vaticanus. 2010 (n. 6), p. 108 in response to Bruce Metzger’s treatment of a variation unit at Acts 7:18, where the longer reading is described as a potential harmonization to the LXX (Metzger 2002 (n. 24), p. 302). Schmid points out that Vaticanus, Sinaiticus, and Alexandrinus do not mark this verse as a citation, leading him to conclude: “Es scheint demzufolge selbst beim Lesen und Auszeichen des Textes nicht so einfach gewesen zu sein, dieses Zitat zu bemerken. Wie sollte es dann Schreibern (Mehrzahl!) beim Abschreiben gleichsam natürlicherweise in die Feder geflossen sein?”

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literary context of 2 Corinthians was available to all scribes, and our knowledge that scribes did not take 9:10 to be a quotation should lead critics to give greater weight to the potential influence of the context.36 Thus I support the textual decision made by the THGNT. However, had this edition indicated in some fashion that 2 Cor 9:9 was marked as a citation by scribes, but 9:10 was not, this could provide further documentary support for their decision that the LXX was not a factor in textual change and could direct users who might assert that this reading has come about through harmonization to relevant evidence against such a presumption.

Proposals for Integrating Marked Citation Evidence into Greek NT Editions These examples have hopefully demonstrated the potential benefits to incorporating such evidence into textual research. Following studies of diplai use in codices Sinaiticus, Vaticanus, Alexandrinus, and Ephraemi Rescriptus by Ulrich Schmid and Marcus Sigismund, Sigismund proposed lines along which research could continue forward, namely “sollten fortan die Randmarkierungen (und speziell die Zitatmarkierungen) stärker in den paläographischen Fokus gerückt werden” and “sollte der vorliegende Versuch einer Beschreibung der Auszeichnungspraxis durch die Analyse weiterer Hss. auf eine quantitativ-empirisch breitere Basis gestellt werden.”37 In many ways, the tools for such research have been made available, though through media which are not themselves editions. More and more high quality digital images are becoming freely available online, their access made easier by way of both the New Testament Virtual Manuscript Room hosted by the Institut für Neutestamentliche Textforschung (INTF) in Münster and the Center for the Study of New Testament Manuscripts (CSNTM) in Dallas, TX, with ongoing indexing efforts allowing one to quickly locate specific passages in a given manuscript.38 Furthermore, the Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel hosts a freely accessible online database of textual data regarding these quotations, including not only variant readings for the respective OT and NT verses, but also recording citation markers in many of the earliest and most important NT manuscripts.39 These tools make such data accessible, yet it is likely that only those researchers who are already interested in tracing the history of these practices will search out such tools. By incorporating these data into the editions which are most frequently used by scholars, it is much more likely that they will prompt further research and be incorporated into future studies. Several potential options would be available for including such manuscript data in future instalments of current editions. If one were to update the THGNT in this way, the obvious choice would be to insert marginal diplai next to lines of text bearing –––––––— 36

37 38 39

Though they do not discuss this verse in their “Notes on Readings,” one suspects this was the reasoning behind Westcott and Hort’s reconstruction of σπέρμα, a notable decision given their high regard for B, which reads σπόρον. Sigismund: Diplé als Zitatmarkierung. 2010 (n. 8), pp. 151–152. http://ntvmr.uni-muenster.de (last accessed Nov. 1, 2019), http://www.csntm.org (last accessed Nov. 1, 2019). https://projekte.isbtf.de/easyview_v20 (last accessed Nov. 1, 2019), https://projekte.isbtf.de/lxx-nt/ login.php (last accessed Nov. 1, 2019).

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quotations when they are likewise marked in manuscripts. In order to maintain the edition’s established editorial principles, determining which quotations to mark could follow the same guidelines used for deciding where to place paragraphs, namely the use of a marker in two manuscripts of the fifth century or earlier.40 Otherwise, one could apply the standard used for selecting actual readings, which must have the support of at least two Greek manuscripts, at least one of which must come from the fifth century or earlier.41 The editors could even take Codex Vaticanus as a good starting point, as its diplai appear to date back to the earliest production phases of the codex, produced by a single scribe who exhibits a sustained effort at marking citations, resulting in over 200 such instances.42 The use of marginal diplai along these lines would adhere well to the stated editorial principles of this edition, not only in its use of manuscripts for modeling its layout, but likewise in the editors’ desire “to present a Greek text with as little interruption as possible.”43 The incorporation of diplai not only allows the reader to engage the text itself in an uninterrupted fashion, it also avoids the pitfalls of distinguishing quoted from unquoted text at the word level, all while continuing an editorial tradition reaching back to some of the earliest extant copies of the NT. As a research tool, a table could be included as an appendix which lists the sigla for those manuscripts which mark the quotations so marked in the edition.44 For other editions, marginal diplai may be less feasible given their other features. NA28 includes extensive marginal notations to indicate ancient section numbers, the Eusebian Apparatus (an ancient system for coordinating similar gospel accounts), parallel passages, and the sources of potential allusions and quotations, thus making the addition of further sigla to an already busy margin undesirable. Nevertheless, NA28 does include a list of NT allusions and quotations as its third appendix (‘loci citati vel allegati’). As in the main text, allusions and quotations are distinguished by typeface, with notations for NT verses which include quotations listed in italics. This list is not nearly so crowded as many margins at the corresponding places in the main text, with many lines only occupied by one or two entries. Therefore, a short list of sigla for a selection of manuscripts which mark such quotations could follow the NT verse notation in parentheses. Such sigla could likewise be added to UBS5, as part of its own ‘Index of Quotations’. These lists are often used for studies on quotations, therefore the addition of such manuscript data could not only provide interpreters with the relevant historical data from the manuscript tradition, but might also prompt further inquiries into the development of this practice and direct users to available manuscript images. –––––––— 40 41 42

43 44

Jongkind and Williams 2017 (n. 18), p. 512. Jongkind and Williams 2017 (n. 18), p. 506. Schmid: Vaticanus. 2010 (n. 6), pp. 99–113 provides a full list of the marked citations, as well as numerous observations regarding their use. Notably, Vaticanus is a re-inked codex, though the diplai were not likewise traced over and the appearance of their faded ink is comparable to those characters which the re-inking scribe chose to leave as they were, thereby suggesting the addition of the diplai around the same time that the main text was first written. Jongkind and Williams 2017 (n. 18), p. 515. This could likewise be an online supplement made available through the edition’s designated blog if the editors want to avoid adding more pages to print copies.

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As far as digital tools go, diplai are included in the transcriptions of Codex Sinaiticus on codexsinaiticus.org, though this diplomatic transcription is of limited use when wanting to look at the tradition more broadly. One is able to add diplai in the Transcription Editor of the New Testament Virtual Manuscript Room (NTVMR) hosted by the INTF, though currently this only adds a basic punctuation mark to the transcription (like it would an Ano Teleia or paragraphos).45 In order to take full advantage of the NTVMR platform, ‘Marked Quotation’ would make for a useful feature tag (such as is already available for headpieces, illuminations, colophons, etc.), thus allowing one to quickly pull up images of all tagged instances by page. The addition of a further indexing function which includes the NT verses and OT source would also be very helpful in determining which OT or NT passages were most (or least) frequently marked.

Conclusions One of the fundamental points being argued in this paper is that the question “Would ancient readers have recognized this text as a quotation?” need not be carried out on a strictly theoretical level or only according to criteria which satisfy the modern interpreter as to what would have been more or less likely. On the contrary, NT manuscripts themselves preserve valuable and ancient evidence of both recognition and non-recognition of embedded texts, whether called quotations or allusions by presentday scholars. While even our earliest manuscripts which mark citations stand at some remove from the first readers of the literary works which make up the NT, thus providing little help in answering questions such as “Would the church in Corinth have understood [passage X] as a quotation?”, they still provide valuable clues as to the reception history of such texts – clues left behind by users who were overtly interested in the identification of citations for other users. As has been shown, attention to such evidence sheds new light on not only formal matters of textual layout, but even on the transmission of the text itself. When we ask, then, “Was bleibt vom Dokument in der Edition?”, the answer regarding NT quotations of the OT is two-sided. On the one hand, we can see that, generally speaking, editions of the Greek NT have preserved the impulse for distinguishing quoted material from the surrounding text, continuing a tradition which reaches back to an early stage of the transmission history. This impulse has manifested itself in different forms and by different criteria, and some more recent editions have abandoned the practice entirely. On the other hand, it is not clear that the actual evidence of such ancient editorial techniques has played a role in modern determinations as to what texts to mark or how, nor has the evidence from the manuscript tradition been communicated to users through editions. Therefore, in the same way as any editorial endeavor results in a selection of features which are then (un)documented, established editorial practice regarding quotations reflects (dis)continuity. While one need not argue that modern researchers and interpreters should relinquish all critical –––––––— 45

The corresponding point in the XML transcription records the diplé as >.

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capacity concerning the determination, delimitation, reception and influence of OT quotations to the judgment of a few scribes, I have argued that the evidence of this scribal practice deserves a seat at the table and may contribute to critical inquiry into these matters. To do so effectively, however, requires that the tools most widely used by researchers incorporate such data, otherwise the current state of neglect is likely to persist.

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zer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 145–147 – Diplés im Codex Vaticanus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 99–113 – Diplés und Quellenangaben im Codex Sinaiticus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 83– 98 Sigismund, Marcus: Die Diplé als Zitatmarkierung in den „großen“ Unzialcodices – Versuch eines Fazits. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 149–152 – Formen und Verwendung der Diplé im Codex Alexandrinus. In: Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen. Ed. by Martin Karrer, Siegfried Kreuzer and Marcus Sigismund. Berlin 2010 (Arbeiten zur Neutestamentlichen Textforschung. 43), pp. 115–143 Stanley, Christopher D.: Paul and the language of Scripture. Citation technique in the Pauline Epistles and Contemporary Literature. Cambridge 1992 Stendahl, Krister: The School of St. Matthew and Its Use of the Old Testament. Lund 1967 Swete, Henry Barclay: An Introduction to the Old Testament in Greek. Cambridge 1902 Thrall, Margaret E.: A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians. 2 Vols. Edinburgh 1994–2000 Tischendorf, Constantinus (ed.): Novum Testamentum Graece. Leipzig 1849 Tregelles, Samuel Prideaux: An Account of the Printed Text of the Greek New Testament. London 1854 Westcott, Brooke Foss and Fenton John Anthony Hort: The New Testament in the Original Greek. Introduction and Appendix. New York 1882 Willard, Louis Charles: A Critical Study of the Euthalian Apparatus. Berlin 2009 Wolff, Christian: Der zweite Brief des Paulus an die Korinther. Berlin 1989

 

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Is There Life in our Critical Apparatuses? For a Psycholinguistic Categorization of Copyists’ Errors1

Wrong textual readings are the first victims of the unavoidable selection between what should and should not be printed in a critical apparatus. Moreover, the small minority of scribal errors that make it into the apparatuses is generally ignored, as the removal of the copyists’ mistakes ̶ and not their analysis ̶ is ultimately the goal of textual criticism. And yet, the readings that come from errors of transcription can play a major role in the philological discipline; not only because “il y a de belles fautes”,2 but also because they could be useful themselves. In other words, copyists’ errors can and should be studied for their intrinsic value as well as for emendatory purposes, because the more we study patterns of errors the more we will understand the transmission of texts, the scribes’ original contributions, and, finally, the reasons and mechanisms that cause written lapses. In the next pages I will argue that a psycholinguistic approach to the copyists’ activity – with special regard to their errors – would provide a better understanding of the transcription process, of the copyists’ minds involvement in it, and of the recurring typologies of slips. To do so, I will employ some examples of scribal errors taken from witnesses of Greek classical texts.

1. The Errors and Their Uses As is common knowledge, the Greek and Latin texts have come to us in witnesses that have been copied an undefinable number of times. Each passage has left in the text itself some personal contribution of the copyists, their personality, or their sociocultural environment, making the texts in the surviving manuscripts a product of innumerable subjectivities from different ages and places. Textual criticism has always had to deal with the fact that the ‘authorial will’ of the classical writers is at best hidden under layers and layers of voluntary or involuntary modifications, physical damages, and rewritings, and that different witnesses always carry different texts.3 –––––––— 1

2 3

My most sincere gratitude goes to professor Federico Condello and professor Walter Lapini, for their patient revisions and precious suggestions, and to Sam Douglas, for his competent and thorough proofreading. Any mistake, either in the form or in the content of this paper, shall be exclusively regarded as mine. Alphonse Dain: Les manuscrits. Paris 1949, p. 50: “some errors are beautiful”. Where not stated otherwise, the translations are mine. Martin L. West: Textual Criticism and Editorial Technique Applicable to Greek and Latin Texts. Berlin, New York 1973, p. 32: “unless, perhaps, the text is very short”.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-011

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Textual criticism has had opposing attitudes towards the textual diversity of each manuscript tradition. Unlike philological schools of more recent tradition (that find theories as New Philology’s more suitable to the fluid, non-authorial kind of literary products they deal with), still to this day classical philology is generally inclined to use the stemmatic method to get closer to previous versions of the extant texts, namely closer to the original.4 For works as old as the classical ones, even to take a glance at the medieval archetype is sometimes a reconstructive goal of utopic proportions. Nevertheless, the so called Lachmannian method has been from time to time responsible for a flattening attitude towards the manuscript tradition, especially when aspects of it considered marginal – such as the material features, the visual appearance of the manuscripts, the habits of the copyists, their marginal notes and their personal contributions – have been neglected in favour of a dichotomic division into ‘useful’ readings and ‘useless’ ones, that are thus to be thrown away. The critical apparatus itself, together with some more or less thorough introductions, is usually the only part of the critical editions that conveys the complexity of the manuscript tradition. But again, always within the logic of ‘right’ and ‘wrong’, of ‘original’ and ‘spurious’.5 –––––––— 4

5

Especially but not exclusively in the last decades, more and more counterexamples have cast some doubts over the stemmatic method. The suspect influence of arbitrary base texts, the late and often insufficient theorization of primary concepts like ‘original’ and ‘variant’, the often underestimated influence of contamination and copyists’ emendation, Bédier’s provocations on bipartite stemmas: they are just some reasons why the so called New Philology claims that, as ‘the’ original is often a purely theoretical notion (especially for medieval texts), more importance should be given to the material history of the manuscripts and to their status of artefacts, as springs of a specific socio-cultural context and products of innumerable subjectivities. According to B. Cerquiglini “medieval writing does not produce variants; it is variance. The endless rewriting to which medieval textuality is subjected, the joyful appropriation of which it is the object, invites us to make a powerful hypothesis: the variant is never punctual” (Bernard Cerquiglini: Éloge de la variante: Histoire critique de la philologie. Paris 1989, p. 111. Translated as: In Praise of The Variant: A Critical History of Philology. Trans. by Betsy Wing. Baltimore 1999, p. 78). See e. g. Matthew James Driscoll: The Words on the Page: Thoughts on Philology, Old and New. In: Judy Quinn / Emily Lethbridge (eds.): Creating the Medieval Saga, Odense 2010, pp. 85–102; Eldon Jay Epp: It’s All about Variants: A Variant-Conscious Approach to New Testament Textual Criticism. In: The Harvard Theological Review 100/3 (2007), pp. 275–308; Suzanne Fleischman: Philology, Linguistics, and the Discourse of the Medieval Text. In: Speculum 65/1 (1990), pp. 19–37; Stephen G. Nichols: Introduction: Philology in a Manuscript Culture. In: Speculum 65/1 (1990), pp. 1–10; Lee Patterson: On the Margin: Postmodernism, Ironic History, and Medieval Studies. In: Speculum 65 (1990), pp. 87–108; Siegfried Wenzel: Reflections on (New) Philology. In: Speculum 65/1 (1990), pp. 11–18. See also Sebastiano Timpanaro: La genesi del metodo del Lachmann. Padua 3 1985, pp. 123–150 (Appendice C: Stemmi bipartiti e perturbazioni della tradizione manoscritta). Transl. as: The Genesis of Lachmann’s Method. Ed. and trans. by Glenn W. Most. Chicago 2005, pp. 157–188 (Appendix C: Bipartite Stemmas and the Disturbance of the Manuscript Tradition). Furthermore, see pp. 207–215 of Most’s edition, that translated and printed some unpublished writings by Timpanaro (Additional Materials A: Final Remarks on Bipartite Stemmas), later published in their original version as Glenn W. Most, Osservazioni sugli stemmi bipartiti. In: Belfagor 61/4 (2006), pp. 452–465. For a critical point of view on some ideological a priori of New Philology, and a defence of the NeoLachmannian method’s validity, see Paolo Trovato: Critica testuale e ideologia. Riflessioni ed esperienze di un filologo italiano. In: Fulvio Ferrari / Massimiliano Bampi (eds.): Storicità del testo, storicità dell’edizione. Trento 2009, pp. 23–42. “Over time, variants have been valued differently by various textual critics depending largely upon their views of the goal of textual criticism. When that goal is defined as restoring the original text of the various authors, variants tend to have a binary character ̶ they are either in or out, that is, accepted or rejected. If accepted they assume a position in the privileged critical text that often has been labelled ‘original’, but if rejected, variants are relegated to the apparatus at the foot of the page (in much smaller

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The apparatus-centred approach to textual diversity, indeed, has been criticized much before the New Philology, and ‘from the inside’ ̶ or better still, from the twentieth century’s champion of the stemmatic method, Paul Maas, who in 1927 wrote, about the opportunity of naming the scholars’ conjectures and interventions in the apparatuses: A selection only need be given; on the other hand at times a brief justification of the course taken should be offered, e. g. changes made purely metri causa should be indicated and marked as such. Our present apparatus critici have too little life in them.

On the other hand, an over-comprehensive account of the textual tradition could be fatal for the usability of the apparatuses themselves, as brilliantly synthetized by Martin L. West: Critical apparatuses have more than one use. The most essential one is to inform the reader which parts of the printed text depend on emendation and which parts are subject to uncertainty. But apparatuses are also what most people depend on for instruction about the character of particular manuscripts and scribes, and of manuscripts and scribes generally. Unfortunately, the more fully an apparatus caters for the latter need, the less handy it is for the former; the important variants have to be discerned amid crowds of unimportant ones.6

Even so, a look at any critical apparatus or manuscript collation will prove the existence of a great number of different instances of textual variation, and especially of many different readings that can be all called ‘errors’, although with various meanings.7 Besides orthographical variations, misspelled or grammatically flawed words, wrong or senseless constructs, there can be found also many substitutions, especially at a lexical level, where the replaced word is perfectly sound and often rightly adjusted to the syntactic context, but that can nonetheless be proven wrong, either by stemmatic deductions or content-related concerns. Some of them may be voluntary modifications of the text, but some others must be ascribed to the involuntary mental reworking under which the span of text goes between being read and being written.8 In simpler terms, this is what modern readers also do when we transcribe a text; we read some–––––––— 6 7

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type)” (Epp 2007, pp. 275–308: 275). See also e. g. Paolo Chiesa: Una letteratura sbagliata: i testi mediolatini e gli errori. In: Ecdotica 9 (2012), pp. 151–161: 151. Quotes respectively from: Paul Maas: Textkritik. Leipzig 21957, p. 16. Translated as: Textual Criticism. Trans. by B. Flower. Oxford 1958, pp. 23–24; West 1973, p. 86. Pietro Beltrami: A proposito di errori nella critica del testo romanza. In: Ecdotica 9 (2012), pp. 162–171: 162: “l’errore può essere certo, cioè almeno in certi casi si può dimostrare che una lezione non può essere d’autore, ma le buone lezioni, a rigore, certe non sono mai, ovvero non si può mai essere certi che non siano lezioni plausibili subentrate in qualche momento della tradizione. Paradossalmente, dunque, l’errore è la parte più solida della critica del testo” (“the error can be certain, namely in some cases a reading can be demonstrably not authorial, whereas valid readings, truthfully, are never certain, namely one can never be positive that they are not plausible readings intruded at some point of the transmission. Paradoxically, thus, the error is the soundest part of the textual criticism”). Dain 1949, p. 44: “quand le copiste a lu le texte, il le retient. Dans l’acte de copie que nous analysons, ce jeu de la memoire n’a qu’une durée imperceptible” (“when the copyist has read the text, he memorizes it. In the copying activity that we are considering, this mnemonical passage is almost imperceptible”).

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thing and then end up writing something different, which is well-adjusted to the surrounding sentences but nonetheless different from our model. We can’t properly explain why we made an error. Such errors happen also when the starting text is perfectly readable, we are native speakers in the language, and we know the words we miscopied. In some cases, the correct text and our incorrect output are semantically related;9 often, we can notice a phonetical similitude between them. This kind of “involuntary deviation in performance from the speaker’s current phonological, grammatical or lexical intention” has been studied by linguists under the name of ‘slip’, or ‘semantic error’.10 Its recognized features perfectly match the kind of scribal errors we are dealing with. They happen in a language the speaker/ writer is fluent in, as they are very different from actual ‘ignorance’ mistakes; they happen at a lexical or sub-lexical level and the substituting word fits totally or partially the content and the syntax of the sentence they are part of; finally, the error often originates from a graphical-phonetical similitude between the ‘target’ (the word/s meant to be said) and the production (the word/s actually said), but it always has a psycholinguistic nature, as testified by the (complete or less so) coherence of the wrongfully produced word/s with the surrounding text.11 The double nature of many mistakes, at once conceptual and graphical, has often been stated by philologists regarding scribal errors too: Dʼordinaire, les fautes sont psychologiques en même temps que graphiques. Cʼest quʼelles supposent non une lettre au lieu dʼune lettre, mais un mot lu au lieu dʼun mot.

As we can see, then, it is assumed by many that copyists, like modern speakers and writers, incurred slips.12 Nevertheless, the study of copyists’ slips has often been hin–––––––— 9

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Sieb G. Nooteboom: The Tongue Slips into Patterns. In: Victoria A. Fromkin (ed.): Speech Errors as Linguistic Evidence. Berlin, New York 1973, pp. 144–156: 154–155 defines ‘errors of selection’ those “errors […] that result from choosing the wrong word. […] the very fact that a mistakenly selected word always or nearly always belongs to the same word class as the intended word, indicates that the grammatical structure of the phrase under construction imposes imperative restrictions on the selection of words”. The definition comes from Donald S. Boomer / John D. M. Laver: Slips of the Tongue. In: British Journal of Disorders of Communication 3 (1968), pp. 120–131: 123. On the slips of the pen and tongue see e. g. Isabella Chiari: I limiti del lapsus: una ricognizione. In: Bollettino di italianistica 2 (2004), pp. 17–43; Victoria A. Fromkin (ed.): Speech Errors as Linguistic Evidence. Berlin, New York 1973. The word ‘slip’ is hereby intended as they mean it. For a discussion of Freudian slips see § 2.5. An example of a totally coherent slip is: “a thing you put on a glass of milk … on uh, a bottle of milk” (Nanda Poulisse: Slips of the Tongue in First and Second Language Production. In: Studia linguistica 54 [2000], pp. 136–149: 138); a partially coherent slip, where the grammatical cohesion is preserved even with the intrusion of non-existing words: “my runny is munning out* [my money is running out]” (Victoria A. Fromkin: Introduction. In: Fromkin 1973, p. 15). See the quote from Louis Havet: Manuel de critique verbale appliquée aux textes latins. Paris 1911, p. 126 above (“usually, errors are at the same time psychological and graphical. Copyists misread word for word, and not letter for letter”). The same idea can be found as early as 1697 in Jean Leclerc: Ars critica. Amsterdam 1697, pp. 10–11: potuit alter dictare quod cogitabat, non quod erat in libro, aut alter scribere id quod animum ejus avocabat (“one could dictate what was in their mind, not in the book, another would write whatever their thought suggested”); see also e. g. Luciano Canfora: Il copista come autore. Palermo 2002, p. 20: “quasi tutti gli errori sono errori concettuali [...]. Uno degli errori di prospettiva che i filologi commettono, quando studiano la tipologia degli errori, è dunque quello di

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dered by some factors. Firstly, the very nature of mistaken readings. Once a reading is certainly wrong, it is most likely that, even when it is registered in the critical apparatus, its traits and properties won’t be further studied, because it doesn’t pertain to what could be authorial. In opposition to this, though, many repertoires of the copyists’ errors have been published, whose purpose is well indicated by Walter G. Headlam: There is only one way of acquiring a sure hand in textual criticism, and that is to observe what the transcribers do, and what they do not do. A certain knowledge of palaeography is necessary of course, and easy to acquire; but palaeography is only the first foundation for emending texts; sound judgment in that region cannot be attained except by constantly observing variant readings.13

This brings us to the second reason why the copyists’ semantic slips have not been frequently made subjects of specific, systematic studies. From the first repertoires of errors up to many contemporary textbooks, the categories drawn from the observation of variant readings are for the most part of graphical-phonetical nature; they involve what has been repeatedly called the ‘mechanical’ aspect of scribal errors, that is, the visual or auditive similitude between the alternative readings. Traditionally, the graphical-phonetical resemblance between the existing variant(s) and the prompted conjecture(s) has been regarded as the only solid ground for a prudent emendation, because of its proven usefulness on a practical level and because of the fact that graphical-phonetical patterns of mistakes can be traced quite easily and effectively,

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classificarli assiologicamente in «meccanici» e «concettuali»” (“almost every error is a conceptual error. The philologists, studying the types of errors, make the error of perspective of axiologically classifying them into ‘mechanical’ and ‘conceptual’”). Walter G. Headlam: Transposition of Words in MSS. In: The Classical Review 16/5 (1902), pp. 243– 256: 243. This concept emerges several times throughout the history of philological treatises. See e. g. Leclerc 1697, p. 2: cognita enim morborum causa et origine, facilius et certius curari poterunt (“once we understand the cause and the origin of the textual fallacies, we will cure them more easily and firmly”); Carel G. Cobet: Variae lectiones quibus continentur observationes criticae in scriptores Graecos. London 1873, p. 475: est in Codicibus Graecis et, ut suspicor, in Latinis quoque quaedam peccandi veluti constantia solentque τὰ αὐτὰ περὶ τὰ αὐτὰ ἁμαρτάνειν, et quo quis plura de genere hoc aut ipse repererit aut ab alio reperta in promptu habeat, eo ad verum inveniendum accedit paratior (“in the Greek manuscripts and ̶ I suspect ̶ in the Latin ones too, there is a certain recurrence in mistaking, and they usually make similar mistakes in similar conditions, and the more data on this one will collect himself or read from someone else’s collection, the more he will be ready to discover the truth”). See also Havet 1911 and its description in Timpanaro 2005, pp. 129–130: “he […] aspires to turn [textual criticism] into a rigorous science, a ‘pathology and therapy of errors’: the study of the genealogy of manuscripts is replaced by the study of the genesis of corruptions”. Of the existing repertoires, though, Maas 1958, p. 14 criticized that “we still have no standard for judging which errors are to be regarded as probable in individual cases. The collections of common errors that have been made so far simply give examples of specific types of errors which no one has ever denied; they give no picture of the varying frequency of errors and, worse still, they do not show which types of error do not occur”. The forerunners of the modern repertoires like that of Louis Havet or Carel G. Cobet are the late-renaissance treatises on the ‘ars critica’, that listed textual variations according to categories, usually from those that involved a single letter, to a syllable, to entire words. See Klara Vanek: “Ars corrigendi” in der frühen Neuzeit: Studien zur Geschichte der Textkritik. Berlin, New York 2007 on Francesco Robortello’s, Willem Canter’s and Caspar Schoppe’s works.

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whereas psycholinguistic slips, though mostly recognized as existing, can hardly be traced down to a system.14 Some broadly known and broadly used categories of error, though, are significant exceptions, being properly psycholinguistic in nature. The two more common and more emblematic cases are the polar error and the Christianism. The latter happens when a word or an expression of the Christian liturgy or doctrine is inserted by mistake in a – usually pre-christian – text. For example, in E. Al. 126–128 the Chorus says: “for he used to raise the dead, until the two-pronged goad of the lightning-fire killed him (πρὶν αὐτὸν εἷλε διόβολον / πλῆκτρον πυρὸς κεραυνίου)”.15 For the verse 128, instead of the adjective διόβολον (‘two-pronged’), the Par. 2713 has the reading διάβολον (‘the devil’). The substitution of an adjective with a substantive leaves the text without a fluid syntax. The Christianism intrudes into the text in an allusive, automatic way, starting from expressions that belonged to the copyist’s cultural environment.16 Christianisms have often been recorded as interesting curiosities, but are actually very significant, because they comprise a sound proof of the influence of extra-textual factors on the copy, and on the relationship between the copyist’s mind and the text. The polar error is a subtler, more text endangering phenomenon. It happens whenever a copyist writes exactly the opposite of what the text said. Its causes, frequency and triggering factors haven’t been positively determined, but it is recorded or suggested in the widest range of philological schools, from Greek texts, to Shakespeare witnesses, to autograph manuscripts of different ages. Just an example. Pi. O. 6.91 defines the bard as “a sweet mixing-bowl of loud-sounding (ἀγαφθέγκτων) songs”. In the Ambr. C 222 inf. we read instead ἀφθόγγων (voiceless).17 –––––––— 14

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See e. g Havet 1911; Maas 1958, pp. 12–17; West 1973, pp. 15–29 (Chapter: Various causes of textual discrepancy). Many repertoires of errors list non-mechanical conjectures, but they are organized as collections of exemplar cases. See e. g. Gian B. Conte: Ope ingenii: Experiences of Textual Criticism. Berlin, New York 2013; Roger D. Dawe: Corruption and Correction. A Collection of Articles. Amsterdam 2007; John Jackson: Marginalia scaenica. Oxford 1955; Robert Renehan: Greek Textual Criticism. A Reader. Cambridge, Mass. 1969; James Willis: Latin Textual Criticism. Champaign 1972. Translation from David Kovacs (ed.): Euripides. Cyclops; Alcestis; Medea. Cambridge, Mass. 1994, p. 173. Greek text and apparatus, here and later, from Antonio Garzya (ed.): Euripides. Alcestis. Berlin, New York 1983. For an interesting repertoire of Christianisms see, between many, Robert M. Ogilvie: Monastic Corruption. In: Greece & Rome 18/1 (1971), pp. 32–34. In the Christian production in Greek language, the Devil is often linked with the verb αἱρέω (‘to take’) (e. g. D. Chr. Hom. in Mt., PG LVIII 773, 14: τότε αὐτὸν ὁ διάβολος εἷλεν, “then the devil took him”) and to the action of throwing lightning bolts (e. g. Bas. Hom. in Ps., PG XXIX 248, 16: τὰ πεπυρωμένα βέλη τοῦ διαβόλου, “the Devil’s lightning bolts”). Translation from Diane A. Svarlien (ed.): Pindar. Odes. Perseus Digital Library 1990. Greek text and apparatus from William H. Race (ed.): Pindar. Olympian Odes, Pythian Odes. Cambridge, Mass. 1997. The polar error was first named by Douglas Young: Some Types of Scribal Error in Manuscripts of Pindar. In: Greek, Roman, and Byzantine Studies 6/4 (1965), pp. 247–274: 267, regarding a substitution between μέν and δέ. The error had been known “for centuries”, according to Ward W. Briggs: Housman and Polar Errors. In: The American Journal of Philology 104/3 (1983), pp. 268–277: 268, f. 2 (see his work for further bibliography). A polar error had been suggested by Hieronymus (Hier. epist. 106,30): he maintained that due to distraction (vitium librarii dormitantis) a copyist had written et instead of nec. Famously, Freud wrote about antithetical substitutions. On this see Briggs 1983, p. 270 and Sebastiano Timpanaro: Il lapsus freudiano. Psicanalisi e critica testuale. Turin 42003, pp. 124–129. Translated as: Freudian Slip. Psychoanalysis and Textual Criticism. Trans. by Kate Soper. London 1976, pp. 147–153.

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Those two categories reunite errors that are kindled by a ‘conceptual’ aspect, and not by a ̶ nonetheless often existing ̶ graphical-phonetical similitude. They trace properly ‘psycholinguistic’ patterns of error, into which the graphical-phonetical component and the mental causes equally and inseparably concur, but only the latter is relevant for their definition. The polar error especially shows us one of the reasons for the importance of the study and classification of psycholinguistic errors. The more the slip fits with the surrounding words, the more dangerous it is; if it is coherent enough with the morpho-syntactic and semantic context, it is likely to give birth to plausible variants or even univocal ‘good’ readings. Nevertheless, the psycholinguistic aspect of errors has often been underestimated. Moreover, some philologists have denounced their colleagues’ over-mechanical consideration of the copying business. This prejudice is shown whenever the effectively working categorization in graphicalphonetical groups is – consciously or less so – interpreted as a hermeneutical paradigm for explaining the reasons for the mistakes themselves. In other words, the visual similitude between two words is regarded as the reason, and not as a trigger, for a wrongful substitution, regardless of any copyists’ mental activity whatsoever.18 This attitude has many consequences. In the first place, whenever a lexical substitution is commented in a critical edition, it is often assumed to be an intruded gloss, a phenomenon that implies a voluntary intervention on the text. Simply stated, in some editors’ opinion, the copyists will poorly understand their antigraph’s writing or else they will voluntary modify it, there is no in-between. In its harder forms, the over-mechanical attitude has significant consequences on the judgement of the cause and the polygenetic probability of many readings.19

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It is important to remind, as Timpanaro does, that most of the oppositional substitutions are influenced by a combination of “conceptual complementarity” and “acoustic persistence”. For further examples see Leon Kellner: Restoring Shakespeare. A Critical Analysis of the Misreadings in Shakespeare’s Works. New York 1925, p. 164: “contrasting words substituted” and on this James C. Maxwell: “Polar Errors” in Shakespeare. In: The American Journal of Philology 97/2 (1976), pp. 170–171; see also James N. O’Sullivan: Herodotus 7.9.b: A Polar Error? In: The American Journal of Philology 97/2 (1976), pp. 168–169. See e. g. Alfred E. Housman: The Classical Papers of A. E. Housman. Ed. by James Diggle and Francis R. D. Goodyear. Cambridge 1982, pp. 1064–1065: “there is one foolish sort of conjecture [...]. The practice is, if you have persuaded yourself the text is corrupt, to alter a letter or two and see what happens. If what happens is anything which the warmest goodwill can mistake for sense and grammar, you call it an emendation; and you call this silly game the palaeographical method”). Two examples. S. OT 942: οὐ δῆτ᾽, ἐπεί νιν θάνατος ἐν τάφοις ἔχει (“No indeed, since death holds him in the grave”, Patrick J. Finglass [ed.]: Sophocles. Oedipus the King. Cambridge 2018, p. 457). For ἐν τάφοις the variant ἐν δόμοις (‘in the house’) is attested by three manuscripts (FacHN). Roger D. Dawe (ed.): Sophocles. Oedipus Rex. Cambridge 32006, p. 155 writes: “the variant δόμοις for τάφοις is stylistically superior, and it is easy to see how τάφοις could have started life as a gloss”. To τάφοις is undisputedly attributed the nature of gloss for its graphical distance to δόμοις and its semantical pertinence with the concept of death. S. El. 1460: ὡς εἴ τις αὐτῶν ἐλπίσιν κεναῖς πάρος (“so that, if any one of them were once buoyed by empty hopes”, Richard C. Jebb [ed.]: Sophocles. Plays and Fragments VI: Electra. Cambridge 1894, p. 195). The common ancestor of the Laur. Conv. Soppr. 152 and the Vat. gr. 2291 writes μάτην (‘in vain’) instead of πάρος (‘once’) with an adverbial substitution that emphatically repeats the previous concept. According to Patrick J. Finglass (ed.): Sophocles. Electra. Cambridge 2007, p. 533 it is “an attempt to improve the text by inserting a more vigorous word”.

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A round, comprehensive examination of the act of copying and of the personal involvement of the copyist in it can be achieved through the search for more psycholinguistic patterns like the Christianism and the polar error, where the mental activity of the copyists, their understanding of the text and ultimately its graphical aspect are all involved in the error’s genesis. To judge if a plausible variant reading can have originated from a ‘psycholinguistic slip’, we firstly need to examine how and to what extent this kind of scribal error happened. To do so, as mentioned above, we need to put back on the table what has been traditionally regarded as the leftovers of the study of manuscripts, that is to say, copyists’ slips.

2. An Attempted Categorisation of Some Lexical Slips In the following pages, I will try to identify some broad types of scribal errors that may properly pertain to the super-class of the ‘psycholinguistic slips’. Some of the following examples – as we will see – can be proven to be slips, whereas, for some other, phenomena like the gloss intrusion can’t be denied, although the resemblance with the ones that are definitely slips may be a hint to consider them as probably involuntary too. It needs to be specified again that the mechanical process of mistakes is not hereby denied; most of the examples in the next pages can doubtlessly be listed in one of the ‘traditional’ mechanic categories of error description. Nevertheless, it will be assumed that the mechanical similitude is often the trigger that eases and starts a mental and conceptual ‘error of selection’. Where not explicitly stated otherwise, the examples are extracted from critical apparatuses that will be each time pointed at. For most of them, the philologists have not discussed the typology of error. As said before, this usually lies outside of the purposes of critical editions and commentaries. 2.1. Wherever Sense Is, There Is a Mental Process The psycholinguistic pattern doesn’t only apply to major textual divergencies. The Greek particles can be a fruitful field to spot semantic errors, because they are extremely prone to corruption, and often two of them can approximately fit in the same position. The next example, although trivial, shows how semantic factors can be relevant in the smallest variations. The enclitic τοι20 was probably, in the users’ perception, untied from the surrounding co-text and thus it has been subject to voluntary and involuntary modifications that resulted in a plainer syntax. It may be turned into similar monosyllables like το, τε or τι. The text those modifications create is not only acceptable, but plain and well running; thus, every conjecture aimed at restoring it is exposed to the accusation of being unnecessary. In S. El. 307–309 (ἐν οὖν τοιούτοις οὔτε σωφρονεῖν, φίλαι, / οὔτʼ εὐσεβεῖν πάρεστιν· ἀλλʼ ἐν τοῖς κακοῖς / πολλή ʻστʼ ἀνάγκη κἀπιτηδεύειν κακά), –––––––— 20

LSJ9: “prop. ethical dative of σύ (q. v.), but used as an enclit. particle, let me tell you, mark you, look you”.

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Gottfried Hermann’s conjecture τοι instead of τοῖς is refuted by Jan C. Kamerbeek for this very reason: G. Hermannʼs ἔν τοι κακοῖς, adopted by many editors, would be very good Greek, but the change is not necessary, since ἐν τοῖς κακοῖς means ʽin these evil circumstancesʼ. The sentence need not have the character of a general truth.21

The best way to establish how and with what frequency the particle τοι is to be restored in a Greek text seems to be that of systematically scan real traditions. For example, in Hdt. I-II-III, τοι appears 77 times according to the TLG. In Haiim B. Rosén’s critical edition of the Historiae, for 28 of them one or more witnesses are listed to have different readings, of which many involve the modification into τι, τε and το or the omission.22 From a ‘mechanical’ perspective such modifications are simple itacisms or vowel losses; even so, such small errors are not devoid of semantic relevance, because the larger part of the modifications results is a syntactic simplification, like in Hdt. 3.36.1 (ἀγαθόν τοι πρόνοον εἶναι, σοφὸν δὲ ἡ προμηθίη, “it is good to exercise forethought, and intelligent to look ahead”),23 where the loose particle between two neuter singular terms undergoes a few changes. In different witnesses it is turned into the indefinite pronoun τι (ἀγαθόν τι, ‘something good’, being a quite fixed expression in Greek), το (thus an article adjusted to πρόνοον), τε (a conjunction, ‘and prudence is good’). An obvious, but still relevant proof of the non-only mechanical nature of the mistake is that μοι is sometimes turned into με (this, too, is an itacism), but never into the vox nihili μι (cf. 1.30.2). Those errors too follow semantic paths. This example is deliberately meant to be basic. Though further studies into this could usefully contribute to the judgment of controversial conjectures, it is here solely used as a case study of what I mean by psycholinguistic reworking of texts. In the following paragraphs, I will list some more examples, divided into groups that ideally range from those more to those less adherent to the ‘traditional’ mechanical categories.

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“In such a case, then, friends, there is no room for moderation or for reverence; rather, the stress of ills leaves no choice but to follow evil ways” (Jebb 1894, p. 49, adapted). The conjecture comes from Gottfried Hermann (ed.): Sophoclis Tragoediae Septem. London 1827, p. 458 and is accepted by: Jebb 1894; Lewis Campbell (ed.): Sophocles. The Plays and Fragments II. Oxford 1873; Jan C. Kamerbeek (ed.): The Plays of Sophocles V. The Electra. London 1974, p. 55. It is rejected by: Roger D. Dawe (ed.): Sophoclis Electra. Berlin 31996 (from whom the Greek text is taken), Hugh Lloyd-Jones / Nigel G. Wilson (eds.): Sophocles I. Cambridge, Mass. 1994. The edition taken into account is Haiim B. Rosén (ed.): Herodoti Historiae I. Berlin, New York 1987. A detailed account of the different readings: τοι becomes το three times (1.9.2, 3.36.1, 3.119.5); it becomes τι seventeen times (1.89.2 (1), 1.89.2 (2), 1.108.4, 1.108.5, 1.116.1, 1.206.1, 1.207.1, 2.115.6, 2.120.3, 2.181.3, 3.36.1, 3.40.4, 3.62.9, 3.63.1, 3.63.4, 3.140.4, 3.145.2); it is omitted eight times (1.38.2, 1.212.3, 2.115.5, 2.115.6, 2.181.3, 3.3.10, 3.134. 6, 3.145.2); it becomes τε four times (1.155.4, 1.212.3, 1.207.3, 3.36.1). Singular modifications are in τοιν (1.11.2), τοιαύταισι (3.40.4), ὄτι (3.62.3), τις (3.63.1). See Carolyn Dewald / Robin Waterfield (eds.): Herodotus. The Histories. Oxford 1998, p. 184 for the translation and Rosén 1987 for details on the apparatus.

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2.2. Hyponyms, Hypernyms, Antonyms Many of the lexical substitutions in the manuscripts have been explained with the concept of ‘banalization’ or ‘trivialization’, a process due to which copyists substitute a difficult word with one that sounds more familiar to them. The phenomenon has been explained either as an unconscious simplification in a copyist’s mind or as an intrusion of an explicative gloss. Today the very concept of ‘banalization’ is deprecated as it often implies a prejudicial opinion on what was easier for a given copyist in a given period.24 Nonetheless, the concept of trivialization itself could be re-read, so to speak, in psycholinguistic terms. Instead of a shift from ‘difficult’ to ‘easy’, we can speak of a movement from a more specific meaning to a broader one: in semantic terms, from a hyponym to a hypernym.25 The result of such variations is a text with a similar, though less sharp, meaning. For example, in the Hypothesis of E. Hipp. the participle καταμαθοῦσα (l. 16, ‘having come to know’) is replaced by the Laur. 3110 with ἰδοῦσα (‘having seen’). Had we been only in possess of that manuscript, the text would have not been suspected of trivialization, especially because it is a short and non-authorial prose, thus lacking metrical constraints and stylistic remarks. We must bear in mind that hyponymous relations change according to contexts, periods, ages, languages; we must thus look for extremely generic words, that may have been written to inadvertently replace their correspondent hyponyms, due to the inevitable simplification the span of text would undergo between the memorization and the transcription. For example, the verb λέγω (‘to speak’, ‘to say’) can be regarded as an umbrellaterm for every mode of the speech act, and it is often found to replace these, in variants that can be proven (or strongly suspected) to be wrong. It can be found to replace verbs like καλέω (‘to call’, ‘to define’) or δείκνυμι (‘to explain’).26 What makes it all less linear is that, often, λέγω can be used with specific meanings. In E. Alc. 425–426 (πᾶσιν δὲ Θεσσαλοῖσιν ὧν ἐγὼ κρατῶ / πένθους γυναικὸς τῆσδε κοινοῦσθαι –––––––— 24

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Giorgio Pasquali: Storia della tradizione e critica del testo. Florence 1952, pp. 122–123 defines ‘trivialization’ the phenomenon for which a copyists “tende inconsciamente a sostituire la parola o il costrutto non noto con parola e costrutto noto” (“unconsciously tends to replace the unknown word or construct with a familiar one”), even though “facile e difficile non sono termini assoluti, e quel che è difficile, cioè inconsueto, per noi, può essere stato facile per uomini di altre età” (“easy and difficult are not absolute concepts, and what is difficult, namely unfamiliar, to us, may have been easy for persons of other times”). The terms point at the relationship between a specific (or subordinated) lexeme and a generic (or superordinate) one. They were coined by John Lyons: Structural Semantics an Analysis of Part of the Vocabulary of Plato. Oxford 1963, pp. 68–71 (partial revision in John Lyons: Semantics I. Cambridge 1977, p. 291). See David Crystal: A Dictionary of Linguistics and Phonetics. Hoboken 2011, s. p., s. v. ‘Hyponymy’. ‘To call someone something, to define’: Ar. Nu. 452 (καλοῦσʼ R] καλοῦσιν V : λέγουσʼ ENΘ. See Kenneth J. Dover: Aristophanes. Clouds. Oxford 1968), Ath. 3.79, 34 = 113d (καλούμενα] λεγόμενα B. See Georg Kaibel: Athenaei Naucratitae Deipnosophistarum Libri XV. Leipzig 1887). ‘To explain’: S. El. 1305 (δεξαίμην Fac Os PZg] λεξαίμην L : βουλοίμην Nc, et idem fere rell. See Giuseppina Basta Donzelli (ed.): Euripides. Electra. Stuttgart, Leipzig 1995); S. El. 560 (λέξω codd. ] δείξω Morstadt). The same happens with the highly polysemic noun λόγος (see Walter Lapini: Il P. Oxy. 664 di Eraclide Pontico e la cronologia dei Cipselidi. Florence 1996, p. 116 for examples).

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λέγω),27 the common ancestor of the Par. 2713 and the Laur. 3110 has θέλω (‘I want’) instead of λέγω. But the verb λέγω is attested in the specific sub-meaning of ‘order, tell someone to do something (τινὰ ποιεῖν τι)’. In this very case, the use of a verbum voluntatis could have been itself an involuntary simplification of λέγω, which happens here to have the more specific meaning. The semantic concept of hyponymic relation can be usefully applied also to other kinds of substitutions. It happens that copyists write synonyms of a word they found in the antigraph. Much of this might as well have to do with the intrusion of marginal explicative glosses, but it has often been ascribed to an ‘interpretative’ style of copying too. Nevertheless, in some lexical substitutions synonymy is not perfectly achieved28, because the two alternative readings couldn’t possibly have glossed one another. It is here that the hyponymic paradigm really proves more effective than the ‘traditional’ categories. The relation of ‘similarity of meaning’ can be translated into the semantic concept of co-hyponymy, namely the relationship between two terms that are hyponyms of the same hypernym. In those cases, the substitutions are perfectly explained as slips. The two terms τέλος and μόρος, both meaning ‘death’, point at two different facets of the same concepts, respectively, ‘end, completion’ and ‘destiny, fate’. Maybe the different nuance of meaning is the reason that prevented them from being reciprocally used as glossing terms. Yet, the substitution between the two in minor branches of many manuscript traditions is quite common.29 Probably the metrical and semantic equivalence, together with their assonance, has favoured their interchangeability; but the existence of a gloss that has not survived to our repertoires cannot be totally denied. In other cases, a gloss intrusion can be more firmly rejected. E. Ph. 10 is: Κρέων τʼ ἀδελφὸς μητρὸς ἐκ μιᾶς ἔφυ. The verse, that has been judged redundant and thus expunged, defines the family relationship between Creon and Jocasta. The reading ἐκ μιᾶς γαστρός, which is though metrically impossible, conveys the same meaning, but the two alternative words are co-hyponyms only in the strict sense of ‘maternal origin’, and not in their core meaning.30 The verses 2–3 of A. Nu. are: ὦ Ζεῦ βασιλεῦ, τὸ χρῆμα τῶν νυκτῶν ὅσον· / ἀπέραντον. The night is a difficult time for Strepsiades. He cannot sleep, tormented as he is by his reckless son’s debts. On the final adjective, the manuscripts disagree. Some have ἀπέραντον, an adjective connected to περαίνω (‘to complete, to put an end to something’), some others have ἀπέρατον, an adjective linked to περάω (ʻto cross, to step on the other sideʼ). Such an error is so easily polygenetic that stemmatics couldn’t possibly help solve this, and the words are metrically equivalent. Its –––––––— 27 28 29 30

“I command all the Thessalians in my realm to join in the mourning for my wife” (Kovacs 1994, p. 203). See the examples where “la sinonimia si sfiora (ma, in effetti, non si raggiunge)” (“the synonymy is grazed (but, actually, not reached)”) in Lapini 1996, p. 115. See for example schol. Pi. N. 8.85.6, O. 24.124, Opp. H. 3.115. “Creon is my brother by the same mother” (Whitney J. Oates / Eugene O’Neill [eds.]: The complete Greek drama. New York 1938, p. 171). The reading ‘from the same wombs’, lit. ‘stomach’, is found in AaRf et vol. Pr2 (see Donald J. Mastronarde [ed.]: Euripides. Phoenissae. Cambridge 2004 for the apparatus and about the reasons for the expunction).

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meaning, though, makes the philologists lean towards the adjective with ν, despite a pronouncement against it in Suid.;31 ἀπέρατος in classical Greek is used for something that cannot be crossed, while ἀπέραντος is applied to time and air, thus more suitable.32 The stance in Suid. and the frequent oscillation in the manuscripts hint to the fact that, at some point in the history of Greek language, they must have been felt like interchangeable. They were, in other words, hyponyms of ‘unbearable’, ‘immense’, but they are not synonyms per se. The classes of hyponymic and co-hyponymic substitutions are only re-grouping types of mistakes that have been known to philologists, but whose nature has been seldom theoretically investigated. The concept of ‘banalization’ is the result of an excessive amount of theoretical approximations. The texts are indeed simplified in the copyists’ minds; to study them according to semantic paradigms means to define more precisely the types of those mistakes and the directions they follow. The banalization is not suitable for explaining many of them because they are not going from ‘easy’ to ‘difficult’. They are selecting from related semantic groups. One last phenomenon can be associated with the hyponym-hypernym paradigm; it is the antonymic substitution. The antonyms are words that point to opposite concepts. We might say that every polar error that happens at a lexical level fits the definition. We can find patterns of substitution where a term is replaced by its antonym, with diverse consequences on the meaning of the invested passage. In Greek, some forms of the verb κτείνω and θνῄσκω are quasi-homographs, like the aorist infinites θανεῖν and κτανεῖν. Between κτ and the letter θ, in return, there is no direct palaeographic interchange. The error is not a mechanical one, strictly speaking. The conjectural substitution of θανεῖν with κτανεῖν has been suggested at least twice in the critical editions of tragic texts: by August Seidler for E. El. 685, and by Robert A. Morstadt for S. Aj. 821–822. The two conjectures, as it appears, have never been accepted in the later editions; Seidler commented on his own textual hypothesis “sed neutro opus”.33 And yet, they touch on what appears to be a very likely exchange. The substitution does not influence the overall meaning when the verb is in an infinitive sentence, where a noun in the accusative case can be both the subject and the object of the verb in the infinitive form. In E. Andr. 810 (ἢ κατθάνῃ κτείνουσα τοὺς οὐ χρὴ κτανεῖν)34 some manuscripts bear the reading τοὺς οὐ χρὴ θανεῖν. In the –––––––— 31

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“Zeus, king of the gods, how I hate the dead of the night. The time feels endless.” (Stephen Halliwell [ed.]: Aristophanes. Clouds, Women at the Thesmophoria, Frogs. Oxford 2015, p. 21). On the matter, see Suid. α 3035 (I 272 A.): Ἀπέρατον: ἄπειρον, μέγα, οὗ πέρας οὐκ ἔστιν. οἱ δὲ μετὰ τοῦ ν γράφοντες ἁμαρτάνουσιν. Ἀριστοφάνης Νεφέλαις· τὸ χρῆμα τῶν νυκτῶν ὅσον ἀπέρατον. See respectively A. Supp. 1049–1050 (Διὸς οὐ παρβατός ἐστιν / μεγάλα φρὴν ἀπέρατος) and Pl. R. 302a (χρόνον ἀπέραντον), Ar. Nu. 393 (τὸν δʼ ἀέρα τόνδʼ ὄντʼ ἀπέραντον). The conjectures are respectively from: August Seidler (ed.): Euripidis Iphigenia in Tauris. Leipzig 1813, p. 95; Robert A. Morstadt: Beiträge zur Exegese und Kritik der Sophokleischen Tragödien Elektra, Aias und Antigone. Schaffhausen 1864, p. 45. See E. El. 685: καί σοι προφωνῶ πρὸς τάδʼ Αἴγισθον θανεῖν. S. Aj. 821–822: ἔπηξα δʼ αὐτὸν εὖ περιστείλας ἐγώ, / εὐνούστατον τῷδʼ ἀνδρὶ διὰ τάχους θανεῖν. “Or put her to death for trying to kill those she should not” (David Kovacs [ed.]: Euripides. Children of Heracles: Hippolytus; Andromache; Hecuba, Cambridge, Mass. 1995). In the version with θανεῖν,

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first version of the text, τοὺς is the object of κτανεῖν, while in the second version it is the subject. In other occurrences, the substitution can alter ̶ sometimes radically ̶ the meaning of the verses. A few verses later, in E. Andr. 823–824 (δωμάτων γὰρ ἐκπερᾷ / φεύγουσα χεῖρας προσπόλων πόθῳ θανεῖν),35 Hermione’s death drive becomes a desire to kill (κτανεῖν) according to the Par. gr. 2712. The interchange is indeed very frequent. The TLG reports that in E. Andr., κτανεῖν appears eleven times and θανεῖν six. The critical apparatuses register three cases of the variation from κτανεῖν to θανεῖν, and one of the reverse. Of the three occurrences of κτανεῖν in Sophocles’ Electra, the antonymy is registered twice in the apparatuses.36 Doubtlessly, the statistical probability is not relevant in the resolution of the uncertain passages; nevertheless, the peculiar frequency of the exchange is worth considering. It is not easy to determine why it happens so often. Probably, the difficulty of the initial group κτ- was the phonetic trigger for a reduction to a syntactic ‘simplex ordo’.37 Where the accusative is placed before the verb, it may have been perceived as the subject of the infinitive. In those cases, the lexical substitution can be read as the polar exchange between two antonyms, but it can be considered the result of a syntactic simplification as well. 2.3. Slips Influenced by the Immediate Co-text The lexical substitutions mentioned so far are all influenced by what we could call an ‘internal semantic factor’, because the psycholinguistic cause for the substitution must be sought for in the meaning of the substituted word itself. Indeed, I have grouped them according to the kind of relationship between ‘target’ and ‘production’: hyponymic, cohyponymic, antonymic. For a significant number of lexical substitutions, though, there seems to be very little to no semantic relationship between the two involved terms. Sometimes, we can find links between the wrong transcription and some other passages in the co-text.38 In this macro-category too, we may be able to trace some sub-groups for which a ‘cotextual influence’ can be pointed at. With this expression I mean that the main reason for the replacement cannot be found in the replaced word, but somewhere else in the text that is under transcription. –––––––—

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transmitted by HLP, the text should mean ‘those who should not die’. It is worth mentioning that the verse is rejected by many editors as an interpolation. See e. g. Michael A. Lloyd (ed.): Euripides. Andromache. Warminster 1994 (contra Antonio Garzya [ed.]: Euripides. Andromacha. Leipzig 1978). See also E. Andr. 660–661, E. Andr. 804–810, E. Ph. 1375–1376. “For here she comes out of the house fleeing the hands of her servants and longing to die” (Kovacs 1995, p. 349). See also E. Andr. 685–686, S. El. 1487–1489, S. OT 307–309. The corruption happens in other verbal forms and other tragedies too. See E. Ph. 362 (κτάνῃ] θάνη Zc), S. El. 821 (κτάνῃ] θάνω Σ ad v. 925). George Thomson: Simplex Ordo. In: The Classical Quarterly 15/2 (1965), pp. 161–175 called ‘simplex ordo’ the plainer sequence of grammatical elements, that copyists are inclined to reproduce while transcribing. For the expression, used to point at the linguistic context as opposed to the situational context, see Yehoshua Bar-Hillel: Aspects of Language. Jerusalem 1970; János S. Petöfi: Transformationsgrammatiken und eine ko-textuelle Texttheorie. Grundfragen und Konzeption. Frankfurt a. M. 1971.

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Hermann Fränkel claimed that the most frequently occurring type of error he found while collating the manuscripts of A. R. was the Echoschreibung, the phenomenon due to which the copyists wrongfully insert in the text a word they had transcribed previously, usually a few verses earlier but sometimes even at a great distance. Louis Havet, in his Manuel de critique verbal, went even further and took for granted that copyists can write wrong words through the influence of the general topics of the work they are transcribing. E. g., the so-called Palatine family of the Plautine tradition in Epid. 14 replaces curriculo with Curculio, the name of the eponymous character of another comedy.39 Both of these examples can be labelled as being due to the influence of the co-text, even though at a different point on a hypothetical ‘scale of mechanicity’. The Echoschreibung is based on the direct repetition of a term that has been materially copied, while the second example refers to the copyist’s awareness of Plautus’ works, that may have slipped into the text. The co-textual influence can convincingly explain some lexical substitutions. Of them, as stated above, we must consider two different factors: the co-textual reason for the mistake, and the internal, often graphical-phonetical, ‘trigger’. In S. El., Orestes, disguised as a stranger, has brought to his sister the urn allegedly containing the remains of Orestes himself. As a condition to reveal his own identity, the stranger insists at length (ll. 1171–1231) that she pushes the urn away. At l. 1205, he says: μέθες τόδʼ ἄγγος νυν, ὅπως τὸ πᾶν μάθῃς. According to the Laur. Conv. soppr. 152 and the Vat. gr. 2291, Orestes insists for the sister to push ‘the sorrow’ (ἄλγος), and not the urn (ἄγγος) away. The slip can be considered as an Echoschreibung of l. 1201 (μόνος γὰρ ἥκω τοῖσι σοῖς ἀλγῶν κακοῖς). Nonetheless, in the wrong version, Orestes’ request makes sense plot-wise, as he is going to reveal that Electra’s sorrow for losing her brother has no reason to exist. In other words, the slip ̶ to use a term from Havet’s classification ̶ is an ‘anticipation’, but of an ideative kind.40 Some evidence for co-textual slips exists also in the absence of specific repetition of a term. There are cases where the general meaning of the immediately previous span of text can have influenced, at a purely conceptual level, the transcriber. In S. OT 1319–1323, the choir has just discovered Jocasta’s suicide and Oedipus’ subsequent self-blinding. Oedipus, back on stage, praises the choir’s unwavering devotion to him, even in such harsh events: σὺ μὲν ἐμὸς ἐπίπολος ἔτι μόνιμος (l. 1322). The word ἐπίπολος is as far as we know a Sophoclean coinage based on ἀμφίπολος and πρόσπολος, to mean the idea of someone that stands by someone else. A scholium to the Laur. 32, 9 witnesses the variant ἐμοῖς ἐπὶ πόνοις (‘in my sufferings’). The variant insists on an extremely rare term, with a minimal ̶ though metrically unacceptable ̶ graphical-phonetical change. The Echoschreibung cannot be invoked, because the term πόνος doesn’t appear anywhere near l. 1322. A triggering factor for the slip must –––––––— 39 40

See Hermann F. Fränkel: Einleitung zur Kritischen Ausgabe der Argonautika des Apollonios. Göttingen 1964, pp. 38–40; Havet 1911, p. 144. “Give up this urn, then, and you shall know everything” (Jebb 1894, p. 163, adapted). On the anticipations see Havet 1911, p. 471.

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have been the theme of sorrow and pain, constantly iterated in the previous verses (ἐν τοσοῖσδε πήμασιν l. 1319, πενθεῖν, θροεῖν κακά l. 1320).41 The copyist of the Rav. 429, containing Aristophanes’ comedies, has left in the text many self-corrections, probably simultaneous to the transcription. This is a precious source of ‘live recorded’ slips, and their corrections. In Ar. Nu. 1117–1118, the Clouds themselves promise to the jury a preferential treatment in exchange for a favourable sentence. Among the many privileges, there’s also that of raining on their fields first: πρῶτα μὲν γάρ, ἢν νεᾶν βούλησθʼ ἐν ὥρᾳ τοὺς ἀγρούς, / ὕσομεν πρώτοισιν ὑμῖν. At first, probably anticipating the image of the rain at l. 1118, the copyist wrote ‘τοὺς ὑγρούς’ (‘the wet’) at the end of l. 1117. Then, seeing his own slip, he emended it.42 E. Alc. 1089 is τί δʼ; οὐ γαμεῖς γὰρ ἀλλὰ χηρεύσῃ λέχος; The second half of the verse is, for some manuscripts, χηρεύεις μόνος. The editors’ opinion is unanimous: “LPQʼs χηρεύεις μόνος clearly will not do: we need a future, not a present, and μόνος is absurdly redundant”. The reading may have a co-textual origin: this part of the verse, only vaguely retained by a copyist’s memory, was replaced with some words that reiterated and specified the concept of ‘οὐ γαμεῖς’.43 2.4. The Influence of the Ideal Co-text In the previous examples, the co-textual influential factor was lying somewhere in the surrounding text. The next examples suggest that some slips can be influenced by the copyist’s awareness of the work under copy in general, thus inserting words and concepts that couldn’t be found in the surrounding verses but related with its plot or main topic. In E. Ba. 451–452, Pentheus gives an order to untie Dionysus’ hands: μέθεσθε χειρῶν τοῦδʼ. The verb μέθεσθε is, in fact, a conjecture.44 The manuscript tradition is unanimous in writing μαίνεσθε (Laur. 32, 2, Vat. Pal. gr. 287). Their common antigraph must have accidentally written a verb that was coherent with the main theme of the tragedy. This is unequivocally a slip, because the structure of the sentence as it is transmitted does not fit. In Ar. Av. 120–122, Piseterus and Euelpides reveal the reasons why they went looking for Upupas: they want him to recommend them a pleasant city, where they might lead a quiet life (ταῦτʼ οὖν ἱκέται νὼ πρὸς σὲ δεῦρʼ ἀφίγμεθα, / εἴ τινα πόλιν φράσειας ἡμῖν εὔερον / ὥσπερ σισύραν ἐγκατακλινῆναι μαλθακήν). The comedy will then evolve with the foundation of Nubicuculia, the town floating halfway between –––––––— 41

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“Iô, my friend, you still stay as my attendant” (Finglass 2018, p. 574) For an analysis of the word ἐπίπολος see Franz Ritter (ed.): Sophokles. König Oidipus. Leipzig 1870, p. 231; Dawe 2006, p. 187. For the scholium to the Laur. 32, 9 see schol. S. OT 1322, 1.209 Xenis. “First of all, whenever you think the time is right to plough your fields / Yours will be the ones we Clouds will rain on first” (Halliwell 2015, p. 67). On the Rav. 429 see now Pasquale Orsini: L’Aristofane di Ravenna. Genesi e formazione tecnica e testuale di un codice. In: Scriptorium 65/2 (2011), pp. 321–337. “What? Will you never marry but keep a widower’s bed?” (Kovacs 1994, p. 269). The quoted critical opinion is taken from Laetitia P. Parker: Euripides. Alcestis. Oxford 2007, p. 268. See e. g. Eric R. Dodds (ed.): Euripides. Bacchae. Oxford 1960; Richard Seaford (ed.): Euripides. Bacchae. Liverpool 1996; Gilbert Murray (ed.): The Bacchae of Euripides. London 1920.

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the sky and the earth. The idea of the aerial foundation won’t be suggested for another sixty verses. And yet, some copyist must have had this plot turn in mind. Instead of εὔερον (lit. ‘woolly’, fig. ‘cozy’), the Par. gr. 2712 and the subfamily q read εὐάερον (with good air), whereas the Vat. Urb. 141 and the Par. gr. 2715 (in a marginal note) define the city ἀέριον (high in air).45 One last example, from S. OT 870–872. The choir is expressing praise for “reverent purity in all words and deeds” (l. 864) that are divine and not human: “their parent was no race of mortal men (θνατὰ φύσις ἀνέρων), no, nor shall oblivion ever lay them to sleep (οὐδὲ μήποτε λάθα κατακοιμάσῃ)”. Some manuscripts (LacGacRZc) replace λάθα (‘oblivion’) with λάθρα, the adverb that means ‘inadvertently, by stealth’. This way, the subject of the second sentence is missing, and the overall meaning becomes: “No race of mortal men was their parent nor shall it ever lay them to sleep inadvertently”. The wrong reading has probably been inspired by the central role of the concept of ‘inadvertent impiety’ throughout the tragedy, making unconsciously explicit what the copyist knew about the plot that was, at this point of the drama, still unknown on stage. These examples corroborate the idea that the copyists’ role is more than that of a mechanical transcriber. They are mentally involved in their activity, and they form involuntary anticipatory thoughts, recalling links and general ideas on both the structure and the content of the works under copy. So far, the copyist’s personal and inner life has not been considered, because this aspect of the matter would raise particular problems. 2.5. Slips without Freud In an ideal list of copyists’ slips, from the more ‘mechanical’ ones to those less so, slips like the Christianisms would find a place at this point. After examining the syntactic simplifications and the lexical substitutions due to lexical and co-textual factors, the abstraction from the text leads us to consider the slips whose trigger is external from the text itself. Except for the codices descripti, it is difficult or even impossible to determine where and by whom mistakes were made. The influence of the sociocultural environment on copyists can be ascertained only in general cases. In the case of the Christian world, we know for a fact that the transcribers of Greek and Latin texts were, from the late antiquity on and by a large majority, of Christian religion, and often even monks. It is thus easy to infer that this must have been an influential semantic field in their human experiences. A properly psychological subconscious influence on other fields is harder to determine. Against us stands the impossibility to “psychanalyser un sujet inconnu, mort depuis deux mille ans”.46 Nevertheless, not unfrequently, some philologists hint –––––––— 45

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“That’s why we’ve come as suppliants to your door, / To ask if you know a city that’s warm and wolly” (Stephen Halliwell [ed.]: Aristophanes. Birds and Other Plays. Oxford 1998, p. 19). The q family stands for “consensus codicum PHC (vel duorum ex his) et VV17LB (vel duorum ex his)” (Nan Dunbar [ed.]: Aristophanes. Birds. Oxford 1995, p. 53). “Psychoanalysing an unknown subject, dead for more than two thousand years”: so Robert Marichal: La critique des textes, dans l’histoire et ses méthodes. Paris 1961, p. 1257 quoted by Timpanaro 2003 / 1976, pp. 28–29: 14. About it see Federico Condello: Sul testo di Soph. OT 1025, con alcune osservazioni

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at what they regard as Freudian lapses: “κατέχευας] κατέχεσας C2, perhaps explicable in terms of the scribe’s subconscious feelings at the moment”; “ἐλελίζων] ἐγχελίζων G, perhaps thinking of eels for lunch”; “we seem to see before us the original Freudian scribal error”; “possibly the scribe who wrote ἱμείρω, seeing the words ʻlonging for sexʼ, at once thought of his own longing”.47 To this we need a small digression. The idea of slips of the tongue and of the pen was born and defined on the subtle edge between philology, linguistics and psychoanalysis, and the modern notion of psycholinguistic slips was defined, partially by contrast, from Freud’s theory on lapses.48 In particular, many doubts have been cast on the possibility of tracing backwards the deep and by definition hidden mental processes that would result in a Freudian slip. This criticism applies even to liverecorded speech lapses, let alone to scribal slips, for which we do not even know who is responsible. The lighthearted tone used by contemporary philologists in denoting alleged Freudian lapses seems to confine their statements to the field of interesting curiosities with no hermeneutical fallouts on the copying activity. Nonetheless, they imply serious consequences in terms of the consideration of the scribal process. Following what was said about the over-mechanization, we could find ourselves with copyists that are considered in one place to be copying machines, incapable of semantically coherent modifications unless voluntary (see f. 19), and in another patients in a psychoanalytical session. Both this latter attitude and the former are to be traced back to the lack of studies on the psycholinguistic implications of copyist’s slips. Much like linguists did after Sebastiano Timpanaro’s criticism on Sigmund Freud (see f. 48), we need to define the conceptual distance between psycholinguistic slips and Freudian lapses, particularly regarding the influence of the co-text, be it syntactic, lexical or thematic. The textual suggestions and similarities that according to Freud were “ponti associativi” that favoured the slip, according to Timpanaro were “vere cause (e, nella stragrande maggioranza dei casi, sole cause) di lapsus e amnesie”.49 –––––––—

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sul Lapsus di Timpanaro. In: Sileno: omaggio a Sebastiano Timpanaro, 2013, pp. 59–96: 47, who notes that, although Timpanaro is making a reference to the copyists, the original sentence points at the authors. Respectively Young 1965, pp. 247–274: 267 on Pi. P. 1.8; and 269 on Pi. O. 9.14; Dawe 2006, p. 161 on S. OT 1025; West 1973, pp. 108–109 on Hes. Th. 176–177. The first repertoire of speech errors was published in 1895 by Rudolph Meringer, an indoeuropeist with a classical background, who used some ‘traditional’ categories of philology, namely transpositions, anticipations, perseverations, substitutions. (cf. Rudolph Meringer / Karl Mayer: Versprechen und Verlesen: eine psychologisch-linguistische Studie. Stuttgart 1895). His work was well known to Sigmund Freud who, a few years later, would append to Meringer’s formal classification a deeper interpretation, focused on the role on the speaker’s unconscious thoughts on the production of the slip. Freud’s theory was brilliantly discussed by Timpanaro 2003 / 1976 (for a summary of his objections, see Condello 2013, pp. 83–84) as arbitrary and non-falsifiable. His examples could be easily explained as some processes, like trivialization and simplification, well known to philologists. See also Pasquali 1952, p. 472 and Giorgio Pasquali: Filologia e storia. Florence 1964, p. 294 for the discussion of Freudian lapses from a philological point of view. Sebastiano Timpanaro: La “fobìa romana” e altri scritti su Freud e Meringer. Ed. by Alessandro Pagnini. Pisa 22006, p. 196: “associative links”, “true (and most of the times, only) causes for slips and amnesias”.

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Many of the so called ‘inexplicable’ substitutions, for which Freud’s name is invoked, are inexplicable only according to the paradigm of the mechanical substitutions. The existence of Freudian lapses in scribal production is not here aprioristically denied. Conversely, once plausible psycholinguistic influences have been excluded, and the copyist’s slips still look inexplicable, then it is admissible to infer an influence that is external to the text, coming from the copyist’s socio-cultural environment (i. e. groups of errors that are proved to exist, like Christianisms), or even to his inner thoughts and subconscious drives. It needs to be remembered, then, that many causes concur to most mistakes:50 to the mechanic and to the psycholinguistic one could add the subconscious drives, if it seems the case. Was it an unconscious wishful thinking that lead a copyist to write that pleasures happen to men πολλάκι (‘often’), instead of παυράκι (‘seldom’)? What was another copyist thinking, who wrote that the Greek are rich due to an ἀργύρου πυγή (‘silver buttock’) instead of an ἀργύρου πηγή (‘silver mine’)? Was a third copyist worried about his payment, as he wrote μισθός (‘wage’) instead of μῦθος (‘story’)?51 Even though, arguably, the category of Freudian lapses may always be too shady and unprovable to have repercussions on philological theory or diagnostic, its existence is worth questioning in these and other cases, even only because “il y a de belles fautes” (see f. 2).

3. Conclusion Despite their known succinctness and the elimination of most errors from it, critical apparatuses still convey the multifacetedness of the textual variations that can happen in texts. Nevertheless, an approach solely attentive to the reconstruction of the ‘correct’ text has led to a simplification of the real complexity and diversity of the textual traditions, which may have depleted not only the study of the tradition itself, but also the diagnostic method in philology. A practical attitude towards errors, although useful on many real-life examples, has eventually simplified our common understanding of the process of textual transmission. Despite many theoretical arguments in the opposite direction, the discipline’s ‘practical guidelines’ have often suggested taking into account only the mechanical nature of copyists’ slips. In other words, the flatten–––––––— 50

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Timpanaro 2003 / 1976, p. 84 f. 3: “the explanation of errors of transcription […] nearly always refers us to a conjuncture of several causes (palaeographic, psychologic-cultural, and so on); […] virtually all errors are multi-determined”. See also Timpanaro 2006, p. 45. See respectively Marc. gr. 774 (olim 520) at Thgn. 859 (ἢν δέ τί μοί ποθεν ἐσθλόν, ἃ παυράκι γίνεται ἀνδρί), Laur. 86, 3 at A. Pers. 239–240 (ΒΑ. καὶ τί πρὸς τούτοισιν ἄλλο; πλοῦτος ἐξαρκὴς δόμοις; / ΧΟ. ἀργύρου πηγή τις αὐτοῖς ἐστι, θησαυρὸς χθονός); Vat. gr. 123 at Hdt. 2.45.2 (ὅδε ὁ μῦθος). These examples were suggested to me by professor F. Condello, whom I thank. See also e. g. Walter Lapini: Fattori fuorvianti e tutele negli errori ermeneutici e negli errori di copia. Repliche moderne di fenomeni antichi. In: Giuseppe Crimi / Luca Marcozzi (eds.): Tutto il lume de la spera nostra. Studi per Marco Ariani. Rome 2018, pp. 239–253: 240, who points out that in Thphr. HP 3.9.3 (“the substance which the torch-cutters of Mount Ida call the ‘fig’, […] is redder in colour than the resin”, transl. by Arthur Hort [ed.]: Theophrastus. Enquiry into Plants. Cambridge, Mass. 1916, p. 215), while P and the Aldine write τῆς δᾳδός (‘the resin’) UM have τῆς παιδός, ‘the girl’, coming from “uno scriba disattento e annoiato, e con in testa pensieri evidentemente piú interessanti che un trattato di botanica” (“a bored, unfocused scribe, clearly caring about more interesting businesses than a botanical treatise”).

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ing simplification useful for concrete purposes (the ‘prudent’ working paradigm of emendation) is sometimes likely to favour hermeneutical bi-dimensionality. The semantic or mental nature of scribal errors (what, according to modern linguistics, we have called psycholinguistic slips) has been theorized multiple times during the centuries-long history of the philological discipline. Nevertheless, the impossibility of tracing it to a system of analogical patterns has often prevented philologists from elaborating the properly psycholinguistic categories of scribal error that exist and that have been applied for diagnostic opinions on corrupted passages. The case studies provided in the previous pages are nothing more than examples, and their suggested aetiologies are just hypothetical. Their main goal is to open questions, and not necessarily to solve them. They have explored some different levels of co-textual influence on the lexical substitutions, from the syntactic simplification to the influence of the lexical or thematic co-text. The overall assumption underneath them results in: for every group of adiaphorous variants, the palaeographic probability is less a criterion for the utrum in alterum than the psycholinguistic probability is. This claim may have repercussions on some of the common assumptions regarding scribal errors, such as when an innovation is to be regarded as polygenetic, how syntactic comprehension influenced the copyist’s understanding of textual meanings and how this comprehension changed as language changed, what univocal readings are to be more suspected of being the result of a well-adjusted error, which kind of modifications are more likely to be coming from intruded glosses and which can be due to semantic errors. One may argue that the risks outreach the benefits in this type of study, that could support the kind of interpretative emendation that relies only on the philologists’ genius, rightfully rejected as arbitrary: the kind of textual attitude that lead Haupt to claim “if the sense requires it, I am prepared to write Constantinopolitanus where the MSS have the monosyllabic interjection o” or Richard Bentley to write “Nobis et ratio et res ipsa centum codicibus potiores sunt”.52 Indeed, quite the opposite, the examples provided insofar should be read as the first sample of what should be an extensive classification on a rigorous method, as Paul Maas suggested: To reach firm ground in this field it would be necessary to prepare a catalogue of all peculiar errors […] arranged in classes according to the different periods of history, types of literature, and the scripts used in the different localities, using such witnesses as derive from surviving exemplars (in consequence of which their peculiar readings are not normally found in critical editions).53

It is undeniable: an extensive cataloguing and categorization of scribal errors will never provide automatic solutions to troublesome passages; each case is unique. This is true for psycholinguistic categories as it was true for every past repertoire of examples. Nonetheless, the psycholinguistic tendencies that this kind of categorization –––––––— 52 53

Housman 1982, pp. 1064–1065 and Richard Bentley (ed.): Q. Horatius Flaccus II. Cambridge 1711 ad Hor. carm. 3.27.15. Maas 1958, p. 14. See also Alfred E. Housman’s “application of thought to textual criticism” in Housman 1982, pp. 1058–1069, particularly 1065–1069.

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could highlight, may provide a more focused picture of how the textual transmission and the copyists’ activity worked. The study of errors may also be considered as an apt response to New Philology’s urge to put the ‘marginal aspects’ of the discipline back into the middle of the studies. Analysis of the slips is useful for their detection and correction as well as for philologies whose aim is not that of restoring ‘the’ original. For them as well, the research of the nearest-to-the-original form of a text is ultimately the only way to discern what can actually be ascribed to later copyists. Not only is the error the “soundest part of philology” (see f. 7); it also can be seen as the copyist’s original ̶ though inadvertent ̶ contribution to the texts. The paths that govern it could, if extensively and analogically studied, prove useful both for our knowledge of the text and of the copyists’ activity.

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1. Einführung Akustische Texte spielen eine zunehmend große Rolle in unserem Alltag. „Hörbücher sind inzwischen so populär, dass einige Verlage das Produkt ‚Buch‘ überspringen und direkt eine Audioproduktion anstoßen.“1 Ein prominentes Beispiel für ein solche direkte Audioproduktion ist das Hörbuch Ein Sommer der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit.2 Als „Meisterstück mündlicher Literatur“3 bejubelt, gilt die Produktion als Geburtsstunde einer zeitgenössischen Poetik akustischer Literatur, beziehungsweise genauer des Hörbuchs, weil die 290 Minuten dauernde Erzählung, die exklusiv für diese Veröffentlichung eingesprochen wurde, auf keiner schriftlichen Vorlage beruht. Peter Kurzeck formuliert offenbar allein aus der Erinnerung heraus Geschichten und Anekdoten über seine Kindheit im Dorf Staufenberg in Hessen. Der Text erscheint den ersten Rezensenten deshalb als ein Beispiel für Literatur „in ihrer ursprünglichen, oral tradierten Überlieferungsform.“4 Dass es sich bei diesem Titel allerdings nicht um eine spontane, autobiographische Erzählung handelt, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. So erzählt Kurzeck hier natürlich nicht aus dem Stehgreif vier Stunden lang Geschichten, sondern der akustische Text beruht auf verschiedenen Interviewsitzungen mit dem Verleger und Herausgeber Klaus Sander. Insofern entsteht der Eindruck einer lückenlosen Erzählung erst durch eine minutiöse Postproduktion, die nicht nur die Fragen von Klaus Sander unterschlägt, sondern die Aufnahmen durch insgesamt 5000 Schnitte5 – das entspricht im Durchschnitt etwa einem Schnitt alle 3,45 Sekunden – genauestens inszeniert. Das Hörbuch selbst gibt darüber allerdings keine Auskunft – mehr noch: durch seine paratextuelle Gestaltung wird der Eindruck der Oralität sogar gestärkt und nicht zuletzt die erhebliche Bearbeitung der Originaltonaufnahmen verschwiegen. Das ist in erster Linie eine einfallsreiche Vermarktungsstrategie. Darüber hinaus macht dieses Beispiel jedoch eins deutlich: Die Grundlage der literaturwissenschaft–––––––— 1 2 3 4 5

Michael Kozlowski: Warum das Hörbuch der stärkste Motor des digitalen Marktes ist. In: dpr. das digitale magazin zur digitalen transformation der medienbranche. H. 2 (2018), S. 4–12, hier S. 7. Siehe Peter Kurzeck und Klaus Sander: Ein Sommer, der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit. Berlin: Supposé 2007. http://www.suppose.de/texte/sommer.html (letzter Zugriff: 1. Mai 2019). Ebd. Vgl. Korinna Janz-Peschke: Hörbuch und Mündlichkeit. In: Jürg Häusermann, dies., Sandra Rühr (Hrsg.): Das Hörbuch. Medium, Geschichte, Formen. Konstanz 2010, S. 233–347, hier S. 334.

https://doi.org/10.1515/9783110692631-012

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lichen Beschäftigung mit Audiotexten ist eine höchst prekäre, denn dies ist kein Einzelfall. In der Regel enthalten die Veröffentlichungen nämlich kaum bis gar keine Informationen über Ursprung und Entstehungskontext. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eigens produzierte Titel oder Zweitverwertungen aus Rundfunkarchiven handelt. Textgrundlagen von Lesungen werden nicht transparent gemacht, Regie- und Produktionsmanuskripte von Hörspielproduktionen – falls überhaupt noch vorhanden – nicht veröffentlicht oder genutztes Originaltonmaterial wird nicht ausgewiesen. Inwieweit und wie stark die einzelnen an der Produktion beteiligten Akteure die veröffentlichte Textgestalt arrangiert, verändert oder korrigiert haben, ist somit nicht nachvollziehbar. Ob es sich also jeweils um eine im editorischen und literaturwissenschaftlichen Sinn zuverlässige Textgestalt handelt, ist deshalb nur schwer nachzuvollziehen und eine auf produktionsästhetische Fragen fokussierte Textanalyse nur mit einigem detektivischen Spürsinn möglich. Welche Standards sollten also Audioeditionen erfüllen, um eine textkritische Analyse zu gewährleisten? Und welche Herausforderungen gilt es dabei zu meistern? Wie können die Dokumente der Textgenese in der Edition sicht- und hörbar gemacht werden? Im Rahmen dieses Beitrags ist es jedoch nur möglich, einige knappe Gedanken aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive vorzustellen, um die Bedingungen und Voraussetzungen für textkritische Audioeditionen näher einzukreisen. Ansatzpunkte dafür liefert zunächst der audiomediale Paratext.

2. Akustischer Text – audiomedialer Paratext Für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Literatur bedarf es Editionen, die einen vertrauenswürdigen Text präsentieren. Diese editorische Binsenweisheit scheint im Hinblick auf digitale Medienformate, in denen Texte jederzeit und vor allem einfacher als jemals bevor zugänglich gemacht werden können, wichtig zu betonen.6 Allerdings heißt ‚vertrauenswürdig‘ im Hinblick auf akustische Textualität nicht unbedingt abgeschlossen oder einheitlich – sowohl in materieller als auch inhaltlicher Hinsicht. Nichtsdestoweniger muss ein gewisses Maß an Rahmung stattfinden, um Text als solchen identifizieren zu können. Die editorische Konsequenz ist die Aufteilung in die Präsentation eines (kanonischen) Textes und eines Apparats, der kommentierende Informationen bereithält. In einem allgemeineren Sinn ist der Apparat also als paratextuelle Rahmung aufzufassen. „Gerade Paratexte und Metadaten sind grundlegende Elemente für die editorische Erschließung, Beschreibung und Kommentierung, unabhängig davon, ob man in stemmatologischen oder werkgenetischen Kategorien denkt.“7 Audiomediale Paratexte können in diesem Sinn die Fragen nach der Textualität des akustischen Dokuments beantworten, nach seiner möglichen Kohärenz, nach der –––––––— 6

7

Vgl. Bodo Plachta: Der ‚edierte‘ Text: Grundpfeiler der Edition oder ‚Zugeständnis‘ an den Leser? In: Roland S. Kamzelak, Timo Steyer (Hrsg.): Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft. 2018 (Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften, 2). text/html Format. DOI: 10.17175/sb002_002 (letzter Zugriff: 1. Mai 2019). Toni Bernhart: Bücher, die man hören kann, oder: Über das Fehlen editionswissenschaftlich informierter Audioeditionen. In: Stephanie Bung, Jenny Schrödl (Hrsg.): Phänomen Hörbuch. Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel. Bielefeld 2017, S. 59–67, hier S. 66–67.

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Bedeutung seiner formalen Einheiten, nach dem Zusammenhang verschiedener Fassungen, möglichen internen Varianzen und dem Verhältnis zu Vorstufen und Manuskripten.8 Aber: Was ist eigentlich der ‚akustische Text‘? Nicht nur aus editorischer Sicht müssen dabei die veränderten medialen Bedingungen berücksichtigt werden. Ein Hindernis auch für die literaturwissenschaftliche Übertragung des Textbegriffs auf akustische Dokumente scheint die immer noch implizite Parallelisierung von Text und Schrift zu sein. Der Textbegriff bezeichnet in der Regel schriftlich fixierte Dokumente und/oder deren Wortlaut.9 Oralen und damit akustischen Texten wird dieser Status in der Regel nicht zugeschrieben, weil die Vorstellung von Fixiertheit die Ablösung vom Entstehungskontext, an den orale Texte durch ihre Performativität immer gebunden sind, voraussetzt. Deshalb bleibt eine medientheoretische Öffnung des Textbegriffs schwierig. Die Entwicklung der akustischen Aufzeichnungs-, Speicherungs- und Wiedergabemedien ermöglicht aber genau diese Fixierung auch für die Gesamtheit der akustischen Zeichen, inklusive gesprochener Sprache, als Text. Was sich ändert, ist lediglich der medial-materielle Speicher. Die höchst unterschiedlichen Arten von Texten/Dokumenten, die Komplexität ihrer Überlieferung – die einfachen Textverständnissen zuwiderläuft – und die nicht zuletzt daraus erwachsenen abweichenden Editionskonzepte, haben den Blick dafür geschärft, dass es immer schon divergierende Textkonzepte gab.10

Denn akustische Texte begegnen uns in vielfältigen Erscheinungsweisen. Neben originären Hörfunk-Genres, wie Hörspielen, Features oder Klangkunst, ist die Lesung – auch in ihrer spezifischeren Form der Autorenlesung – das zentrale Genre im Medium Hörbuch. In historischer Perspektive sind unter anderem Rezitationen, Deklamationen oder Hörbilder dazu zu zählen. Auch die Produktions- und Distributionswege beschränken sich längst nicht mehr auf die CD mit Booklet, sondern finden über digitale Kanäle den Weg als Datei oder Podcast in die Ohren der Hörer11 und sind in historischer Perspektive auf Kassetten, Schallplatten, Tonbänder und andere analoge Tonträger zu erweitern. Es handelt sich also um einen bunten Strauß an generischen und –––––––— 8

9 10

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Roland Reuß benennt dies als die grundlegenden Aufgaben einer textkritischen Edition. Vgl. Roland Reuß: Kritische Textkritik. In: Gunter Martens (Hrsg.): Editorische Begrifflichkeit. Überlegungen und Materialien zu einem „Wörterbuch der Editionsphilologie“. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 36), S. 103–112, hier S. 103. Textkritische Editionen beinhalten dabei in der Regel Vor- und Nachworte, Abhandlungen über die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Textes und Kommentare, die nicht selbsterklärende Bezüge des Textes erläutern. Vgl. Siegfried Scheibe: Zu einigen Grundprinzipien einer historisch-kritischen Ausgabe. In: Gunter Martens, Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 1–44, hier S. 9. Vgl. Clemens Knobloch: Text/Textualität. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 6. Stuttgart 2001, S. 23–48, hier S. 24. Patrik Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 3: Textbegriffe und Recodierung. Norderstedt 2013; https://kups.ub.uni-koeln.de/ 5013/1/DigEditionen_3_online.pdf (letzter Zugriff: 1. Mai 2019), S. 3. Allerdings zeichnet sich der deutsche Hörbuchmarkt durch eine Besonderheit aus: den anhaltend hohen Anteil physischer Datenträger. Über die Hälfte des Umsatzes wird noch darüber erzielt. Vgl. Kilian Kissling: Großes Jahr für story-telling podcasts. Kilian Kissling zum deutschen Hörbuchmarkt. In: dpr. das digitale magazin zur digitalen transformation der medienbranche, H. 2 (2018), S. 13, hier S. 13.

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medialen Formen, die in historischer und systematischer Perspektive unterschiedliche Produktionskontexte und literaturbetriebliche Rahmenbedingungen mit sich bringen. Deshalb lässt sich zunächst lediglich festhalten, dass es sich beim ‚akustischen Text‘ um ein System akustischer Zeichen handelt, das Sprache, Geräusche, Musik bzw. Klang und deren medientechnische Aufzeichnungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten beinhaltet. Der akustische Text ist insofern eng mit dem materiellen Dokument verknüpft, das ihn präsentiert, beziehungsweise mit den unterschiedlichen produktionsästhetischen Medien, aus denen er hervorgegangen ist. Denn die Physik des Trägermaterials hat intrinsischen Wert für den Text und seine Edition, wie ja bereits für schriftliche Editionen die Unterscheidung von Handschriften und Drucken impliziert. Diese Verknüpfung ist sogar so eng, dass die unterschiedlichen Genres der Hörspielgeschichte anhand der technischen Voraussetzungen unterschieden werden.12 Im Hinblick auf eine Systematik der Audioedition betrifft diese Materialorientierung logischerweise auch die editionswissenschaftlich relevanten Dokumente des Produktionsprozesses. Daher kann es im Kontext von textkritischen Audioeditionen nicht nur darum gehen, schriftliche Manuskripte zu Rate zu ziehen, sondern auch die spezifischen medientechnischen Voraussetzungen sind integrale Aspekte des textgenetischen Produktionsprozesses. „Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Material nicht nur als technische Gegebenheit hinzunehmen, sondern als ästhetische Kategorie zu bewerten.“13 Insofern muss eine Edition berücksichtigen, „welche Aufgaben einzelne Materialien in konkreten historischen Zusammenhängen übernehmen und was sie erzählen“.14 Historische Audioaufnahmen können zudem Kratzer, Sprünge oder Risse beinhalten, die gerade das Musealische und Archivische des Materials ausmachen.15 Aber häufig stehen ältere Texte nur noch in ihrer digitalen Version zur Verfügung, was eine materielle Zuordnung des akustischen Materials unmöglich macht.16 Da aber „aus zeichentheoretischer Perspektive [...] sämtliche Elemente als Material im Sinne der physischen Präsenz des Ausgedrückten“,17 also als Träger von Bedeutung aufzufassen sind, ist auch die Bestimmung des Störsignals relevant für die texthistorische und poetologische Verortung – zumal die Störung in einigen Audiotexten auch ästhetisch bewusst eingesetzt wird. Die medial-materiellen Dokumente der Textgenese schrei–––––––—

12 13 14 15

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17

So ist beispielsweise die Blende ein zentrales Charakteristikum des literarischen Hörspiels, das durch das Neue Hörspiel abgelöst wurde, in dem Schnitt und Stereophonie die Textgestalt beherrschen. Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. Brosch. Sonderausg. München 2002, S. 12. Ebd., S. 13. Für die an dieser Stelle folgenden Überlegungen vgl. den Vortrag von Britta Herrmann, Vera Mütherig: Analog/digital. Materialität und Ästhetik audiomedialer Texte (am Beispiel einiger Hörspiele), gegeben im Rahmen der 48. Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Materialitäten – An den Schnittstellen von Rundfunk- und Technikgeschichte, Mannheim 28.–29. Juni 2018. So lässt sich aus der digitalisierten Variante des Hörspiels Weekend (Regie: Walter Ruttmann, 13. Juni 1930) nicht heraushören, dass dieser Text eigentlich ein photographischer Hörfilm ist, der auf einem Lichttonspur-Aufnahmesystem, dem sogenannten Tri-Ergon Verfahren, beruht. Was die digitale Variante bewahrt, ist das paratextuelle Rauschen des Materials. Allerdings bleibt eine spezifische Zuordnung des Geräuschs zu seiner Quelle ohne zusätzlichen Kommentar reine Spekulation. Götz Schmedes: Medientext Hörspiel. Ansätze einer Hörspielsemiotik am Beispiel der Radioarbeiten von Alfred Behrens. Münster 2002 (Internationale Hochschulschriften. 371), S. 53.

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ben sich also buchstäblich in den akustischen Text ein und bestimmen dessen Poetik und literaturwissenschaftliche Verortung.18 Anders gesagt: Die genutzte Medientechnik ist einerseits wichtig für die akustische Textgestalt, andererseits ist das Trägermaterial ein wichtiges Dokument der Überlieferungsgeschichte. Im Hinblick auf ein immer rasanteres Fortschreiten digitaler Techniken muss dieses Hör-Wissen um das analoge Erbe überhaupt erst einmal festgehalten werden. Der Paratext ist dabei das geeignete Instrumentarium um literatur- und editionswissenschaftliche Fragestellungen zu kombinieren. Denn beim Paratext handelt es sich um einen durchlässigen Grenzbereich, „um eine ‚unbestimmte Zone‘ zwischen innen und außen, die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und nach außen (dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist.“19 So kann der Paratext in einer doppelten Geste gelesen werden. Im Kontext einer ‚intrinsischen‘ Lesart hält der Paratext Informationen für eine hermeneutische Textanalyse bereit, welche die semiotische und ästhetische Struktur des genutzten Zeichenmaterials und dessen semantische Funktion verdeutlicht. Eine ‚extrinsische‘ Lesart legt den Fokus dagegen auf die produktionsästhetischen und außertextuellen Bezüge des Textes und kann so editorische Informationen liefern.20 Mit der Frage nach den haupt- und nebensächlichen Informationsebenen eines Textes sind auch die Richtlinien für unterschiedliche Editionsmodelle gegeben: Was überhaupt recodiert werden soll und was getrost ignoriert werden kann, welche Informationen welchen Status haben und deshalb wie verarbeitet werden müssen.21

Während in der Regel der Paratext von Audioeditionen auf das schriftliche und visuelle Begleitmaterial beschränkt wird,22 deutet Genette dagegen selbst schon die Möglichkeiten einer medienspezifischen Systematik an. „In unserem Jahrhundert werden die Lesungen an Ort und Stelle oder im Studio aufgezeichnet, und auch hier ruht, wie bei der Musik, ein ganzer Schatz an paratextuellen Informationen.“23 Und Genette hat sogleich im Sinn, welche paratextuellen Informationen dies sein könnten, wenn er Aspekte der Lesung aufzählt, die durch „ihre Sprechgeschwindigkeit, ihre Betonung, und Satzmelodien, durch ihre unterstreichende Gestik und Mimik“24 den Text interpretieren und – führt man diesen Gedanken weiter – als eigenständigen Text präsentieren. Audiomediale Paratexte sind aber nicht auf Stimmparameter beschränkt: Bei–––––––—

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Bodo Plachta ist also mit Nachdruck zu widersprechen, wenn er meint, dass „[t]extgenetische Lektüren [...] allein die Domäne von Editoren [bleiben] und [...] die Kluft zwischen Literaturwissenschaft und Editorik durch sich immer weiter voneinander entfernendes Spezialistentum [vertieften].“ Plachta 2018 (Anm. 6). Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt a. M. 1989, S. 10. Für die Unterscheidung einer ‚extrinsischen‘ und ‚intrinsischen‘ Lesart des Paratextes siehe Till Dembeck: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul). Berlin 2007. Sahle 2013 (Anm. 10), S. 6. Siehe Sandra Rühr: Eine (kleine) Mediengeschichte des Hörbuches unter technologischen und paratextuellen Aspekten. In: Natalie Binczek, Cornelia Epping-Jäger (Hrsg.): Literatur und Hörbuch. München 2012, S. 14–25, hier S. 14. Genette 1989 (Anm. 19), S. 353. Ebd.

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spielsweise können Geräusche im akustischen Text auf die Postproduktion verweisen oder Vorworte im Booklet integrieren den Text in einen bestimmten Epochenzusammenhang. Im Hinblick auf den medial-materiell veränderten Kontext können Paratextelemente von akustischen Texten deshalb nicht auf schriftliches Begleitmaterial reduziert werden. Vielmehr ist der Paratext auf drei unterschiedlichen Ebenen von Audioeditionen zu berücksichtigen: erstens auf der akustischen Ebene, wo die Paratextelemente der Zeichensysteme Stimme, Geräusch und Musik anzusiedeln sind; zweitens auf der medientechnischen Ebene, die unterteilt ist in einen produktionsbedingten Paratext – z. B. Studiotechnik wie das Mikrophon und Bearbeitungen wie Schnitt, Blende oder (digitale) Mischung – und einen formatbedingten Paratext, der Aspekte des Trägermediums beinhaltet, wie z. B. die Trackeinteilung auf CD; und drittens auf der Ebene des Begleitmaterials, das Elemente wie Titel, Bildmaterial oder Vorworte im Booklet beinhaltet. Demzufolge ist die Annahme – hier akustischer Text, da schriftlicher Paratext – nicht aufrechtzuerhalten. Vielmehr ist die Grenze zwischen Text und Paratext auf allen drei Ebenen fließend und nicht immer leicht zu bestimmen, denn dabei handelt es sich „um eine Schwelle [...] um ein ‚Vestibül‘, das jedem die Möglichkeit zum Eintreten oder Umkehren bietet.“25 Somit stehen die einzelnen Paratextebenen sowohl untereinander als auch zum Text in einem komplexen Wechselverhältnis, das zudem widersprüchliche Informationen bereithalten kann. Wie ein spezifisches Element gelesen wird, hängt deshalb nicht zuletzt vom Erkenntnisinteresse und der konkreten Ausgestaltung der Untersuchung ab. Um diese paratextuellen Informationen im Hinblick auf eine mögliche editorische Systematik zu lesen, sind dabei vor allem zwei Fragestellungen ausschlaggebend: erstens gilt es herauszufinden, wo und wie paratextuelle Informationen Hinweise auf eine essentielle Veränderung beziehungsweise produktionsästhetische Bearbeitung der präsentierten Textgestalt bereithalten. Damit zusammen hängt die Frage, wie diese Informationen im akustischen Medium aufbereitet und für Hörer transparent gemacht werden können. Zweitens gilt es anhand der paratextuellen Informationen zu klären, ob es sich bei (wieder-)veröffentlichten Audioproduktionen tatsächlich um die originäre Textgestalt handelt. Das eingangs vorgestellte Hörbuch Ein Sommer, der bleibt gibt beispielsweise innerhalb des akustischen Paratextes einige eher unfreiwillige editorische Hinweise. So sind z. B. in einzelnen Tracks26 Geräusche zu hören, die situationale Voraussetzungen der Aufnahme verdeutlichen und anzeigen, dass während der Herstellung der akustischen Einspielungen nicht nur Kurzeck anwesend ist. Demnach lassen die Aufnahmen ein wiederkehrendes Rascheln hören, das sich möglicherweise auf Reibung von Kleidung auf Gegenständen (Tisch, Stuhl?) zurückführen lässt. Darüber hinaus ist ein Klopfen,27 als wenn jemand versehentlich seine Füße gegen Tisch- und –––––––—

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Ebd., S. 10. Vgl. Peter Kurzeck, Klaus Sander: Ein Sommer, der bleibt, CD 2, Track 9 und 10. Insgesamt scheinen die Aufnahmen über mehr Hall als die sie umgebenden Tracks zu verfügen. Möglicherweise ist dies ein Hinweis auf falsch eingestellte oder defekte technische Produktionsmittel. Vgl. ebd., CD 2, Track 10: Min. 00:27–00:29.

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Stuhlbeine geschlagen hätte, oder das Knarzen eines Stuhles28 beim Verlagern der Sitzposition zu hören. Nicht zuletzt nimmt der aufmerksame Hörer im Hintergrund Husten29 oder Lacher30 einer oder mehrerer anderer anwesender Personen wahr. Wer und wie viele anwesend sind, bleibt allerdings unklar. Auch der begleitende Paratext gibt darüber keine Auskunft. Für eine textkritische Audioedition bedürfte es hier also weiterer editorischer Kommentierung, beispielsweise kurzer Erklärungen im Booklet. Im Hinblick auf die durch den Schnitt erfolgte Bearbeitung des Originaltonmaterials wären zudem Bonus-Tracks hilfreich, in denen die ungeschnittenen Versionen des Materials zu hören sind; idealerweise in der chronologischen Reihenfolge ihrer Aufnahme, da der endgültige Text auch hier Umstellungen aufweist.31 Wie eine wissenschaftliche Audioedition aussehen könnte, zeigt dagegen das Hörbuch Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften. Remix.32 Der Komplexität des ursprünglich für die Hörspielabteilung des Radiosenders Bayern 2 produzierten Audiotextes, in dessen Hörspielprogramm er auch zum ersten Mal veröffentlicht wurde, kann an dieser Stelle nicht annähernd Rechnung getragen werden.33 Für die hier zu verhandelnde Fragestellung ist allerdings die durch den Paratext erfolgte editorische Rahmung von Interesse, vor allem, weil das Beispiel zwei wesentliche Aspekte der zeitgenössischen Audioproduktion auf komplexe Weise illustriert. Erstens beruht die akustische Textversion auf einem schriftlichen – und in diesem Fall sogar kanonischen – Text, zweitens ist der Text Ergebnis einer spezifischen Hörspielästhetik beziehungsweise von kollektiven Produktionsprozessen. Denn die Hörbuchfassung von Musils Der Mann ohne Eigenschaften baut auf unterschiedlichen Text-Quellen auf: Während die Teile von CD 1 bis 11 im Wesentlichen auf die zu Lebzeiten veröffentlichten Texte Musils zurückgreifen, basiert der Text von CD 12 bis 20 auf dem digitalisierten Nachlass, der vom Robert-MusilInstitut Klagenfurt veröffentlicht wurde. Die Grundstruktur der Klagenfurter Ausgabe, die sich selbst als historisch-kritische Ausgabe versteht, ist dem Hypertext nachempfunden: Werke, Nachlass und Briefe sind durch Links miteinander verknüpft. Die –––––––—

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Vgl. ebd., Min. 02:25–02:28. Dezenter auch am Anfang folgender Tracks zu vernehmen: Ebd., CD 1, Track 7 und 9. Vgl. ebd., CD 2, Track 9: Min. 04:00–04:05. Vgl. ebd., CD 2, Track 10: Min. 01:33. Ähnliche Geräusche von Reaktionen anwesender Zuhörer kann man zu Beginn der vierten CD im Hintergrund dezent vernehmen. Allein schon an der Anfangssequenz lässt sich die sorgsame Gestaltung daran erkennen, dass Klaus Sander Peter Kurzeck gleich zu Anfang des erstens Tracks den Untertitel präzisieren lässt: „Das Dorf meiner Kindheit ist Staufenberg im Kreis Gießen.“ Peter Kurzeck, Klaus Sander: Ein Sommer, der bleibt, CD 1, Track 1: Min. 00:00–00:06. Siehe dazu auch Maren Jäger: „Ich fange noch einmal von vorn an“. Erzählanfänge und Neuanfänge bei Peter Kurzeck. In: Matthias Bauer, Christian Riedel (Hrsg.): Peter Kurzeck. München 2003, S. 36–46, hier S. 42. Zur Rolle von Klaus Sander bei der Textgestaltung siehe zudem: Frank Schäfer: Staufenberg Homesick Blues. Peter Kurzeck. In: ders.: Rumba mit den Rumsäufern. Noten zur Literatur. Münster 2001, S. 130–141, hier S. 136. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von Katarina Agathos und Herbert Kapfer. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005. Siehe u. a. Vera Mütherig: „Vorläufig definitv?“ Der Remix als Form akustischer Literatur. In: Robert Matthias Erdbeer, Florian Kläger, Klaus Stierstorfer (Hrsg.): Literarische Form / Literary Form. Theorien – Dynamiken – Kulturen. Beiträge zur literarischen Modellforschung / Theories – Dynamics – Cultures. Perspectives on Literary Modelling. Heidelberg 2018 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 371), S. 269–301.

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Ausgabe verzichtet dabei ausdrücklich auf eine Unterscheidung von Textstufen, Werk und Kommentar, was der Spezifik des Materials geschuldet ist. Denn Musil, der den Roman nie fertigstellen konnte, hat ein mehrere 1000 Seiten umfassendes Konvolut von handschriftlichen und gedruckten Manuskripten hinterlassen, das einen schier unübersichtlichen Komplex zu unterschiedlichen Romanprojekten, Vorstufen, Veröffentlichungskontexten und endgültigen Textfassungen darstellt. Im Hinblick auf diesen einzigartigen Entstehungskontext ging es den Hörbuchmachern deshalb nicht darum, eine abgeschlossene Rekonstruktion des Romans zu erstellen, „die sich anmaßend über den Autor und seine Intention erheben würde, sondern um die Entwicklung einer offenen Struktur, in der Musils Erzählvarianten, Entwürfe und Überlegungen vorgestellt werden.“34 Sehr deutlich wird die intendierte Wirkung der Offenheit und Unabgeschlossenheit in der Gestaltung der akustischen Trackansagen, die von Klaus Buhlert, dem Regisseur, eingesprochen werden. Neben ihrer paratextuellen Funktion, die einzelnen Textabschnitte zu identifizieren, sind sie zusätzlich durch ein Geräusch, das an das An- und Abschalten eines Mikrophons erinnert, gerahmt. Damit wird Werkstattatmosphäre imitiert und suggeriert, dass der Regisseur sich direkt aus dem Regieraum meldet und die Textteile sozusagen ‚live‘ mischt. Dieses ‚Sampling‘ unterschiedlicher textueller und editorischer Bausteine lässt sich auch an den übrigen paratextuellen Strukturen ablesen, wobei das außergewöhnliche Format hier die Grundstruktur vorgibt. Denn bei diesem Hörbuch handelt es sich um eine bimediale Edition. So ist der ‚eigentliche‘ Text nicht nur in akustischer Form gespeichert, sondern auch noch einmal als komplette Verschriftlichung vorhanden. Dass es sich dabei um gleichberechtigte Textteile handelt, verrät das einheitliche paratextuelle Format von Begleitbuch und Verpackung der CDs. Denn die CDs, die nochmals einzeln durch eine Kartonstecktasche geschützt sind, liegen in einer Papphülle, die dem Groß-OktavFormat des Begleitbuches nachempfunden ist. Von außen weisen beide Teile, Begleitbuch und CD-Verpackung, deshalb exakt dieselben Maße in Größe und Umfang bzw. Dicke auf. Insofern geben sich die zwei Teile allein schon durch ihr identisches Format als ein und demselben Werk zugehörig zu erkennen. Darüber hinaus lässt der formatbedingte identische Paratext keinerlei Rückschlüsse auf eine Schwerpunktsetzung zu: Weder der akustische noch der schriftliche Text sind als Haupttext ausgewiesen, vielmehr stehen sie – und dies ist auch wörtlich zu nehmen – gleichberechtigt nebeneinander. Textkritische Editionen akustischer Literatur können also auch berücksichtigen, dass der ‚eigentliche‛ Text nicht nur akustisch sein kann, sondern sich medial erweitern kann. Zusätzlich beinhaltet das Begleitbuch Texte, die einem klassischen Kommentar-Teil entsprechen: Vorworte und einführende Bemerkungen der Herausgeber und des Regisseurs, einen detaillierten Quellennachweis, –––––––— 34

Katarina Agathos, Herbert Kapfer: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Vorwort. In: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von dens. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005, S. 9–12, hier S. 11. Vor allem mit der Integration des Nachlassmaterials stelle der Remix so den unverwirklichten Schlussteil des Romans als „Spiel mit Möglichkeiten“ vor, betont Fanta. Vgl. Walter Fanta: Zur Textauswahl im Remix. Ein Kommentar. In: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von Katarina Agathos und Herbert Kapfer. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005, S. 51–66, hier S. 62.

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Faksimiles und Transkriptionen von Musils handschriftlichen Entwürfen, sowie Interviews und Kommentare mit ausgewiesenen Musil-Kennern zu Musils Schaffen und Werk, die teilweise auch in der akustischen Version zu hören sind. Das Zusammenspiel von schriftlichem und akustischem Text und Kommentar soll den Leser/Hörer dabei in die Lage versetzen, sich seinen Text aus schriftlichem und akustischem Material eigenständig und immer wieder neu zu remixen. Die paratextuelle Rahmung gibt insofern auch Aufschluss über die Poetik des Textes bzw. dessen hermeneutische Lektüre. Diesem Schema folgen nämlich alle übrigen Paratextelemente wie beispielsweise die stereophone Anordnung der Sprecher auf der produktionsbedingten Ebene. Denn die Hörbuchmacher verzichten auf eine dramatische Bearbeitung des essayistischen, reflektierenden Stils Musils und lassen die jeweiligen Sprecher zwischen Erzählerund Figurenstimme hin- und herwechseln, indem die einzelnen Figuren den Text abschnittweise untereinander aufteilen. Die Sprecher und Sprecherinnen übernehmen dabei nicht nur die wörtliche Rede der eigenen Figur, sie sprechen auch Textabschnitte, die dem Erzähler zuzurechnen sind und sogar direkte Rede anderer Figuren. Das wird nicht nur durch den angepassten intonatorisch-prosodischen Paratext deutlich, sondern im Wesentlichen durch den stereophonen Paratext. Denn wenn die Figuren aus der Perspektive des Erzählers sprechen, sind sie in der Mitte positioniert. Von dieser Position sprechen sie auch die Parts der anderen Figuren, während die eigene Figur von rechts oder links eingesprochen wird. Damit wollen die Hörbuchmacher dreierlei hervorheben: erstens die Vielstimmigkeit des österreichischen Kaiserreichs Anfang des 20. Jahrhunderts, die Musil im Text eingefangen hat, zweitens Musils Poetologie des Essayismus und Möglichkeitssinns und drittens die Form des Remixes. Das Zusammenspiel der drei Paratextebenen übernimmt damit sowohl eine intrinsische Funktion, indem sie die einzelnen Texteinheiten im Hinblick auf die produktionsästhetischen Intentionen der Hörspielabteilung arrangieren, als auch eine extrinsische Funktion, indem sie den akustischen Text an die werkhistorischen Diskurse im Kontext von Musils eigenem Schaffensprozess anbinden. Darüber hinaus verdeutlicht der Paratext nicht nur die kollektiven Produktionsbedingungen akustischer Texte, sondern auch die spannungsreiche Beziehung der akustischen Textfassung zum Erstveröffentlichungskontext des Rundfunks, so dass sich die Frage nach der ‚originalen‘ Textfassung unvermeidlich stellt. Nicht zuletzt liefert die Audioedition nicht nur Antworten für die eigene Textgenese der Hörbuchproduktion, sondern auch für die der schriftlichen Vorlage von Musil. Die Audioedition Der Mann ohne Eigenschaften. Remix spielt also bewusst mit der Grenze von Text und (editorischem) Kommentarteil und ist möglicherweise ein Beispiel dafür, wie kritische Audioeditionen erfolgen könnten. Nur kurz sei noch darauf hingewiesen, inwieweit im digitalen Zeitalter die Grenzen unterschiedlicher Künste verschwimmen und akustische Texte mit visuellen Aspekten erweitert werden. Auch hier ist die (editorische) Grenze zwischen Text und Begleitmaterial nicht so eindeutig wie es auf den ersten Blick scheint. Frank Witzels OriginalHörspiel Die apokalyptische Glühbirne (Regie: Leonhard Koppelmann, BR, 27. Ok-

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tober 2017) wird auf der Mediathek-Seite des Bayerischen Rundfunks mit einem zugehörigen Film präsentiert.35 Die von Frank Witzel gemalten Tusche-Zeichnungen und Aquarelle sowie kurze Filmsequenzen sollen Bilder des Protagonisten Christoph Wendel darstellen, der zur Zeit des Nationalsozialismus von seinem Vater in eine Anstalt eingewiesen wird und trotz veränderten politischen Verhältnissen und kontinuierlichen Versuchen bis zu seinem Lebensende nicht mehr entlassen wird. Einerseits sind die filmischen Bilder also eine Visualisierung der akustischen Geschichte und Teil des fiktionalen Geschehens. Andererseits soll dies nicht als intermediales Zusammenspiel missverstanden werden, sondern der Film ist eine sekundäre Textfassung zum Hörspiel, das auch ohne den Film funktioniert – wie der Autor selbst betont. Es war wichtig, dass das Hörspiel die Grundlage bildet und diese Bildebene, die im Internet eben zu sehen ist, die hat [...] keine illustrierende Funktion, sondern sie soll eine zusätzlich eigenständige Ebene sein, die aber aufgrund des Hörspiels, die Grundlage, funktioniert und auch mit ihr zusammengeht.36

Konsequenterweise kann man deshalb auf der Seite des Bayerischen Rundfunks auch nur das Hörspiel ohne das filmische Zusatzmaterial aufrufen. Während auch in diesem Beispiel die Ebenen von Text und Kommentar verwischen, könnte darüber hinaus sogar ein wesentliches editorisches Prinzip in Frage gestellt werden, dass nicht nur für den digitalen Hypertext gilt: die Abgeschlossenheit des Textes. Zu fragen ist, wie im digitalen Raum der Text von seiner paratextuellen beziehungsweise editorischen Rahmung zu unterscheiden ist, wenn dies nicht mehr durch unterschiedliche Trägermedien oder Materialien möglich ist. Die Doppeldeutigkeit des Textstatus wird im digitalen Raum, wo über Verlinkung eine potentielle Gleichwertigkeit erzielt wird, nochmals potenziert. Denn es ist zumindest theoretisch möglich, unendlich viele intermediale (akustische, bildliche, schriftliche) Textbausteine auch nachträglich an das Hörspiel zu annotieren, ohne dass eine editorische Hierarchisierung erfolgen muss. Die Frage, was ein Dokument sei und was ein Text, lässt sich im Digitalen zumindest nicht mehr an der materiellen Frage entscheiden, sondern nur anhand diskursiver oder inhaltlicher Kriterien. Die zumindest theoretisch denkbare, unendliche hypertextuelle Vernetzung erfordert dann eine eigene Systematik, wie eine möglichst verbindliche (akustische) Textgestalt ermittelt werden kann, die aus der Schriftlichkeit entwickelte editorische Standards an die neuen medialen Bedingungen anpassen kann. All diese Beispiele deuten an, wie vielfältig editorische Fragen im Feld der akustischen Literatur sein können. Das Wissen um die produktionsästhetischen Kontexte ist dabei der Schlüssel zum Verständnis der Texte. Dies sind aber nicht nur entscheidende Informationen für eine literaturwissenschaftlich fundierte Textanalyse und –––––––— 35 36

https://www.br.de/mediathek/video/film-zum-hoerspiel-die-apokalyptische-gluehbirne-von-frankwitzel-av:59fc5a7bb4ad720018f7db98?t=1s (letzter Zugriff: 1. Mai 2019). Frank Witzel: Hörspiel- und Filmexperiment: Die apokalyptische Glühbirne. Bayern 2. 27. Oktober 2017, https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/hoerspiel-gespraech-witzelapokalyptische-gluehbirne-100.html (letzter Zugriff: 1. Mai 2019), Min. 23:18–23:44.

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-interpretation, sondern auch grundlegende Voraussetzungen für eine medien- und literaturwissenschaftlich fundierte Editionspraxis. Erst wenn ich den Gegenstand dieses Untersuchungsfeldes mit all seinen Fachtermini überschaue, habe ich die Möglichkeit, die Überlieferungsbedingungen eines gedruckten [und akustischen] Werkes mit all seinen Eigenheiten, Beschränkungen, Fehlermöglichkeiten abzuschätzen.37

3. Audioedition – grundlegende Aspekte textkritischer Editionen Was wären also grundlegende Standards einer Theorie und Systematik der Audioedition, die dem akustischen Text und Dokument angemessen Rechnung trägt? Dafür gilt es in einem ersten Schritt den Kompetenzbereich der Editionswissenschaften „auf alle kulturellen Artefakte“,38 die in jeder denkbaren medialen Form überliefert sein können, auszuweiten. Der Bereich der Audioedition im Besonderen beschäftigt sich dann „mit der Sichtung, Erschließung, Kommentierung, Herausgabe und Zugänglichmachung auditiver Quellen.“39 Zu einer textkritischen Edition gehört dabei eine angemessene Darstellung des Verhältnisses von ediertem Text und dessen Vorlage – unabhängig davon, ob es sich dabei um ein (Audio-)Manuskript, ein Typoskript oder einen bereits gedruckten Text handelt. Insofern vermittelt eine textkritische Edition auch immer etwas von den Produktionsbedingungen, dem Überlieferungsprozess und den (institutionellen und materiellen) Veröffentlichungskontexten. Das gilt insbesondere für akustische Texte, weil sie durch kollektive Produktionsbedingungen entstehen, an denen viele verschiedene Akteure beteiligt sind, die jeweils eigene Vorstufen der Textgestalt hervorbringen. Ein Autor schreibt einen Text, der von einem Regisseur inszeniert wird, der unter anderem mit Sprecher, Musiker oder Tontechniker zusammenarbeitet. Die Orientierung an der Autorintention,40 die häufig als editorisches Argument für den vertrauenswürdigen Text herangezogen wird, ist deshalb im akustischen Bereich nicht möglich, mithin auch nicht sinnvoll, so dass der Fokus auf den Produktionsprozess und -kontext rückt. An Audioeditionen wird somit deutlich, dass die Autorschafts–––––––—

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Gunter Martens: Wörterbuch der Editionsphilologie. In: ders. (Hrsg.): Editorische Begrifflichkeit. Überlegungen und Materialien zu einem „Wörterbuch der Editionsphilologie“. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 36), S. 11–26, hier S. 17. Toni Bernhart: Audioedition. Auf dem Weg zu einer Theorie. In: Anne Bohnenkamp (Hrsg.): Medienwandel/Medienwechsel in der Editionswissenschaft. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 35), S. 121–128, hier S. 121. Ebd. Wenn eine solche überhaupt rekonstruierbar ist. „In Schwierigkeiten kommt diese gängige Ordnung des literarischen Feldes immer dann, wenn ihre Voraussetzungen nicht gegeben sind, also – und so ließe sich die Problematik vorläufig benennen – wenn die Struktur des zu betrachtenden bzw. zu edierenden Werkes diese Ordnung unterläuft.“ Rüdiger Nutt-Kofoth: Autorschaft, Werk, Medialität. Editionstheoretische Annäherungen an pluriautorschaftliche und plurimediale Werkkomplexe – mit einem germanistischen Blick auf das Phänomen Oper/Libretto. In: Thomas Betzwieser, Norbert Dubowy, Andreas Münzmay (Hrsg.): Perspektiven der Edition musikdramatischer Texte. Berlin, Boston 2017 (Beihefte zu editio. 43), S. 25–38, hier S. 28.

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leistung des Editors dagegen eine unerlässliche Voraussetzung jeder Editionspraxis ist.41 Die noch zu entwickelnden Standards für Audioeditionen sollten dabei ähnlich einem textkritischen Apparat zur Kommentierung funktionieren und einerseits Produktionsschemata und -schritte rekonstruieren, andererseits das vorhandene Textmaterial identifizieren. Dabei ist zu bedenken, dass akustische Texte nicht unbedingt auf eine einheitliche Textvariante eines ‚Originals‘ reduziert werden können. Denn nicht erst durch die digitale Verfügbarkeit verliert die kanonische Version an Bedeutung. Im Rundfunk ist es durchaus gängige Praxis, Hörspiele in unterschiedlichen Anstalten auszustrahlen – mit entsprechenden unterschiedlichen Veröffentlichungskontexten und Eingriffen in die Textgestalt, beispielweise durch Kürzungen. Ein Lösungsansatz, der aus den Überlegungen zum Film übernommen werden kann, besteht darin, das ‚Original‘ in einem materiellen oder konzeptionellen Sinn zu definieren.42 Demgemäß ist die zentrale Voraussetzung für Audioeditionen die Unterscheidung von auditiven Formaten, die als Gattungen definiert werden können – also Textgenres wie Lesung, Hörspiel, Feature oder Klangkunst – und auditiven Medien: also den technischen Dokumenten zur Übertragung und Speicherung des eigentlichen Textes.43 Anders gesagt: Einerseits kann ein Audiotext in konzeptioneller Hinsicht anhand der diskursiven Strategien der Historisierung und/oder Abgeschlossenheit erkannt werden. Andererseits sind Audiotexte auf der Grundlage ihrer Materialität in analoge oder digitale zu unterscheiden, was an entsprechenden technischen Maßstäben der Klangqualität abgelesen werden kann. Diese Differenz lässt sich nach der konkreten Art der Speicherung weiter in mechanische, magnetische oder optische Tonträger unterteilen.44 Entsprechende Anmerkungen sollten so Aufschluss geben über Art und Anzahl der archivierten Quellen und deren technische Veränderungen durch Digitalisierung und Restaurierung des Materials. Für eine Edition auf CD oder DVD sollte man unter anderem folgende Aspekte in Betracht ziehen:45 die Analyse des Ton- und Trägermaterials, Spuren von Übertragung auf ein anderes Trägermaterial oder Spuren von Beschädigung. Es geht also sowohl um die Identifizierung einer originalen Textgestalt als auch deren Textgenese. Dabei sind solche kommentierenden Informationen nicht nur als schriftliches Begleitmaterial zu denken. So wäre zum Beispiel die Einbindung von akustischen Kommentaren zu ermöglichen, indem der Hörer am Ende –––––––—

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Vgl. Bernhart 2013 (Anm. 39), S. 127. Die Filmwissenschaft hat ähnliche Schwierigkeiten, den originalen Status festzulegen, weil Filmfassungen ebenfalls von Veröffentlichungskontexten und dem jeweiligen Trägermaterial abhängen. Vgl. die Überlegungen von Ursula von Keitz: Historisch-kritische Filmedition – ein interdisziplinäres Szenario. In: Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft, H. 27/1 (2013), S. 15–37, hier S. 20. Vgl. Bernhart 2013 (Anm. 39), S. 122–123. Ebd., S. 122. Vgl. die entsprechenden Überlegungen zu Film-Editionen: Natascha Drubek-Meyer, Nicolai Izvolov: Textkritische Editionen von Filmen auf DVD. Ein Diskussionsbeitrag. In: montage/av. H. 16/1 (2007), S. 183–199, hier 194–195. Vgl. auch den Vortrag von Britta Herrmann, Vera Mütherig: Analog/digital. Materialität und Ästhetik audiomedialer Texte (am Beispiel einiger Hörspiele), gegeben im Rahmen der 48. Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte Materialitäten – An den Schnittstellen von Rundfunk- und Technikgeschichte, Mannheim 28.–29. Juni 2018.

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von Tracks selbst bestimmen kann, ob er im nächsten Track den Text weiterhören oder in einem anderen Track einen Kommentar dazu hören möchte.46 Nichtsdestoweniger bleibt es fragwürdig, ob die Rekonstruktion eines ‚Originals‘ bei diesen medientechnisch bedingten literarischen Formaten, die stärker als schriftliche Texte an ihre medialen Aufführungsbedingungen geknüpft sind, überhaupt Sinn macht. [D]ieses Unterfangen stellt danach immer eine Utopie dar, denn jedwede Rückführung zu einem vermeintlichen Original würde suggerieren, dass Zeit reversibel und Geschichte abschaffbar ist.47

Auf der Grundlage dieser Überlegungen scheint also die Vorstellung einer einzigen zuverlässigen Textgestalt zumindest problematisch. Daraus folgt, daß es den festen, den einmaligen, den endgültigen ‚Text‘ eines Werkes gar nicht gibt. Der ‚Text‘ eines Werkes setzt sich vielmehr zusammen aus der Summe der ‚Texte‘ der jeweils vorhandenen, historisch genau fixierbaren Textfassungen, die zu dem Werk überliefert sind; sie insgesamt bilden das, was im editorischen Sinne als ‚Text‘ eines Werkes zu bezeichnen ist.48

Aufgrund dieser Vielseitigkeit ist zu diskutieren, ob nicht „mehr oder weniger jede Ausgabe eines Tonträgers als eine Edition verstanden werden kann.“49 Ein textkritischer Apparat zum Audiotext sollte in diesem Kontext zudem Material enthalten, das nicht in den Endfassungen verwendet wurde, Dokumente zur Geschichte des akustischen Textes und gegebenenfalls Aussagen des Herausgebers, des Regisseurs und der an der Produktion beteiligten Akteure, insofern sie Hintergrundinformationen zur Produktion und poetologischer Programmatik liefern. Mögliche Dokumente könnten sein: das Hörspiel- oder Lesemanuskript, die Partitur oder Notation; Produktions-, Regie-, oder Sprechermanuskripte und bei Rundfunktexten das endgültige Sendemanuskript, das die tatsächlich gesendete Textversion bereithält,50 Notizen der Techniker aus den Bereichen Ton, Schnitt, Mischung, Aufnahme; ausgemusterte Aufnahmen; Programmplanung oder Kontexte von Hörspiel- oder Verlagsreihen, um nur einiges zu nennen.

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Ein ähnliches Prinzip findet man im interaktiven Hörspiel Die Drei. Hotel Luxury End, bei dem der Hörer am Ende jeden Tracks selbst entscheiden kann, wie die Geschichte weitergeht, indem ihm vom Erzähler immer zwei Auswahlmöglichkeiten, also zwei unterschiedliche Tracknummern, angeboten werden. Siehe: Ivar Leon Menger (Buch), Heikedine Körting (Regie): Die Drei. Hotel Luxury End. 2 CDs. Sony BMG Music 2006. von Keitz 2013 (Anm. 42), S. 18. Auch wenn die Überlegungen hier im Hinblick auf den Film artikuliert werden, kann diese Aussage uneingeschränkt auf den Kontext akustischer Literatur übertragen werden – unabhängig davon, ob es sich um Texte aus dem Hörfunk oder um auf Speichermedien übermittelte Texte handelt. Siegfried Scheibe: Zum editorischen Problem des Textes. In: ders.: Kleine Schriften zur Editionswissenschaft. Berlin 1997 (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft. 1), S. 54–67, hier S. 61. Bernhart 2017 (Anm. 7), S. 61. Reinhard Döhl: Hörspielphilologie. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Jg. 26 (1982), S. 489–511.

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4. Fazit Der Blick auf den audiomedialen Paratext eröffnet somit erste Hinweise und Ansätze für die Bedingungen und Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Audioedition, die ein dringliches Desiderat der Forschung darstellt. Paratextuelle und damit editorische Elemente akustischer Quellen lassen sich dabei aus zwei Richtungen erarbeiten: sowohl induktiv aus den Spezifika akustischer Quellen und vorhandenen Audioeditionen, als auch deduktiv aus den Überlegungen einer erst zu entwickelnden editorischen Überlieferungstheorie und -praxis von akustischen Quellen.51 Aufgrund der veränderten medial-materiellen Speicherung der Texte und ihrer textgenetischen Dokumente gilt es dabei, zentrale literatur- und editionswissenschaftliche Begriffe in Bezug auf den akustischen Gegenstand zu überdenken und den veränderten Bedingungen anzupassen. Dies kann allerdings nur im Rückgriff auf bereits etablierte und erprobte Standards der literatur- und editionswissenschaftlichen Disziplinen erfolgen. So könnte eine Literatur- und Editionsgeschichte der auditiven Medien und ihrer akustischen Textgenres zu ganz anderen Ergebnissen kommen als eine, die sich nur auf stumme Schrifttexte konzentriert. Im Mindesten ist sie eine spannende und vielversprechende Ergänzung, die womöglich nicht zuletzt überraschende Erkenntnisse auch für schriftliche Texte und deren Editionspraktiken bereithält.

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Vgl. dazu Bernhart 2017 (Anm. 7), S. 67.

Dokumente hören. Editions- und literaturwissenschaftliche Herausforderungen akustischer Texte

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Literaturverzeichnis Agathos, Katarina / Kapfer, Herbert: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Vorwort. In: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von dens. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005, S. 9–12 Bernhart, Toni: Audioedition. Auf dem Weg zu einer Theorie. In: Anne Bohnenkamp (Hrsg.): Medienwandel/Medienwechsel in der Editionswissenschaft. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 35), S. 121–128 – Bücher, die man hören kann, oder: Über das Fehlen editionswissenschaftlich informierter Audioeditionen. In: Stephanie Bung / Jenny Schrödl (Hrsg.): Phänomen Hörbuch. Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel. Bielefeld 2017, S. 59–67 Dembeck, Till: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul). Berlin 2007 Döhl, Reinhard: Hörspielphilologie. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Jg. 26 (1982), S. 489–511 Drubek-Meyer, Natascha / Izvolov, Nicolai: Textkritische Editionen von Filmen auf DVD. Ein Diskussionsbeitrag. In: montage/av. H. 16/1 (2007), S. 183–199 Fanta, Walter: Zur Textauswahl im Remix. Ein Kommentar. In: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von Katarina Agathos und Herbert Kapfer. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005, S. 51–66 Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt a. M. 1989 https://www.br.de/mediathek/video/film-zum-hoerspiel-die-apokalyptische-gluehbirne-vonfrank-witzel-av:59fc5a7bb4ad720018f7db98?t=1s (letzter Zugriff: 1. Mai 2019) http://www.suppose.de/texte/sommer.html (letzter Zugriff: 1. Mai 2019) Jäger, Maren: „Ich fange noch einmal von vorn an“. Erzählanfänge und Neuanfänge bei Peter Kurzeck. In: Matthias Bauer / Christian Riedel (Hrsg.): Peter Kurzeck. München 2003, S. 36– 46 Janz-Peschke, Korinna: Hörbuch und Mündlichkeit. In: Jürg Häusermann, dies., Sandra Rühr (Hrsg.): Das Hörbuch. Medium, Geschichte, Formen. Konstanz 2010, S. 233–347 Keitz, Ursula von: Historisch-kritische Filmedition – ein interdisziplinäres Szenario. In: editio 27 (2013), S. 15–37 Kissling, Kilian: Großes Jahr für story-telling podcasts. Kilian Kissling zum deutschen Hörbuchmarkt. In: dpr. das digitale magazin zur digitalen transformation der medienbranche, H. 2 (2018), S. 13 Knobloch, Clemens: Text/Textualität. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 6. Stuttgart 2001, S. 23–48 Kozlowski, Michael: Warum das Hörbuch der stärkste Motor des digitalen Marktes ist. In: dpr. das digitale magazin zur digitalen transformation der medienbranche. H. 2 (2018), S. 4–12 Kurzeck, Peter / Sander, Klaus: Ein Sommer, der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit. Berlin 2007 Martens, Gunter: Wörterbuch der Editionsphilologie. In: ders. (Hrsg.): Editorische Begrifflichkeit. Überlegungen und Materialien zu einem „Wörterbuch der Editionsphilologie“. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 36), S. 11–26

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Vera Mütherig

Menger, Ivar Leon (Buch) / Körting, Heikedine (Regie): Die Drei. Hotel Luxury End. 2 CDs. Sony BMG Music 2006 Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix. Hrsg. von Katarina Agathos und Herbert Kapfer. Bimediale Edition. 2. Aufl. München 2005 Mütherig, Vera: „Vorläufig definitv?“ Der Remix als Form akustischer Literatur. In: Robert Matthias Erdbeer / Florian Kläger / Klaus Stierstorfer (Hrsg.): Literarische Form / Literary Form. Theorien – Dynamiken – Kulturen. Beiträge zur literarischen Modellforschung / Theories – Dynamics – Cultures. Perspectives on Literary Modelling. Heidelberg 2018 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. 371), S. 269–301 Nutt-Kofoth, Rüdiger: Autorschaft, Werk, Medialität. Editionstheoretische Annäherungen an pluriautorschaftliche und plurimediale Werkkomplexe – mit einem germanistischen Blick auf das Phänomen Oper/Libretto. In: Thomas Betzwieser / Norbert Dubowy, Andreas Münzmay (Hrsg.): Perspektiven der Edition musikdramatischer Texte. Berlin, Boston 2017 (Beihefte zu edito. 43), S. 25–38 Plachta, Bodo: Der ‚edierte‘ Text: Grundpfeiler der Edition oder ‚Zugeständnis‘ an den Leser? In: Roland S. Kamzelak, Timo Steyer (Hrsg.): Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft. 2018 (= Sonderband der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften, 2). text/html Format. DOI: 10.17175/sb002_002 (letzter Zugriff: 1. Mai 2019) Reuß, Roland: Kritische Textkritik. In: Gunter Martens (Hrsg.): Editorische Begrifflichkeit. Überlegungen und Materialien zu einem „Wörterbuch der Editionsphilologie“. Berlin, Boston 2013 (Beihefte zu editio. 36), S. 103–112 Rühr, Sandra: Eine (kleine) Mediengeschichte des Hörbuches unter technologischen und paratextuellen Aspekten. In: Natalie Binczek, Cornelia Epping-Jäger (Hrsg.): Literatur und Hörbuch. München 2012, S. 14–25 Sahle, Patrik: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 3: Textbegriffe und Recodierung. Norderstedt 2013; https://kups.ub.uni-koeln.de/5013/1/DigEditionen_3_online.pdf (letzter Zugriff: 1. Mai 2019) Schäfer, Frank: Staufenberg Homesick Blues. Peter Kurzeck. In: ders.: Rumba mit den Rumsäufern. Noten zur Literatur. Münster 2001, S. 130–141 Scheibe, Siegfried: Zu einigen Grundprinzipien einer historisch-kritischen Ausgabe. In: Gunter Martens, Hans Zeller (Hrsg.): Texte und Varianten. Probleme ihrer Edition und Interpretation. München 1971, S. 1–44 – Zum editorischen Problem des Textes. In: ders.: Kleine Schriften zur Editionswissenschaft. Berlin 1997 (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft. 1), S. 54–67 Schmedes, Götz: Medientext Hörspiel. Ansätze einer Hörspielsemiotik am Beispiel der Radioarbeiten von Alfred Behrens. Münster 2002 (Internationale Hochschulschriften. 371) Wagner, Monika: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. Brosch. Sonderausg. München 2002 Witzel, Frank: Hörspiel- und Filmexperiment: Die apokalyptische Glühbirne. Bayern 2. 27. Oktober 2017, https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/ hoerspiel-gespraech-witzel-apokalyptische-gluehbirne-100.html (letzter Zugriff: 1. Mai 2019)

Die Autorinnen und Autoren

Anne-Elisabeth Beron: Akademische Mitarbeiterin im Polonsky-Stiftungsprojekt zur Erschließung griechischer Handschriften an der Bibliotheksuniversität Heidelberg. Zuvor Kollegiatin des DFG-geförderten Graduiertenkollegs 2196 ‚Dokument – Text – Edition‘ an der Bergischen Universität Wuppertal. Studium der Fächer Griechisch, Latein und Klassische Archäologie an den Universitäten Erlangen und Heidelberg. 2019 Promotion an der Universität Wuppertal im Fach Klassische Philologie mit der Arbeit ‚Calpurnius Siculus, 1. Ekloge: Edition und Kommentar‘. Publikationen (Auswahl): Tagungsbericht Hyblaea avena, in: Bollettino di Studi Latini (2019) (zusammen mit Stefan Weise), repotia (zusammen mit den Teilnehmenden des Thesaurus linguae Latinae Summer Workshops 2018); repugnantia; repto, in: Thesaurus linguae Latinae. Sien De Groot: Wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Projekten ‚A reader’s perspective on early Christian texts. Book epigrams in the Byzantine manuscript tradition of pseudo-Dionysius the Areopagite‘ und ‚Poetry from the margins. Literary, linguistic, philological and cultural-historical analysis of a new corpus of Byzantine book epigrams (800–1453)‘ an der Universität Gent, Belgien. Publikationen (Auswahl): The Byzantine Antiquarian: A Case Study of a Compiled Colophon, in: Byzantinische Zeitschrift (2019, zusammen mit Julie Boeten), ‚I Am a Grammatical Textbook‘ (DBBE Type 5248): Towards a Critical Edition of a Deceivingly Simple Book Epigram, in: Tine Scheijnen und Berenice Verhelst (Hrsg.): Parels in Schrift: Huldeboek Voor Marc De Groote (zusammen mit Ilse De Vos u. a.), Hij Die Ons Allen Zonder Dwaling Verlichtte: Boekepigrammen in De Byzantijnse Manuscripten Van PseudoDionysius De Areopagiet, in: Roxane Vandenberghe (Hrsg.): Handelingen van de Koninklijke Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal- en Letterkunde en Geschiedenis (2018). Matthias Grüne: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Neuere deutsche Literaturgeschichte der Bergischen Universität Wuppertal. Zuvor Lehrbeauftragter und Mitarbeiter im Editionsprojekt zur historisch-kritischen Edition von Otto Ludwigs ‚Romanstudien‘ am Institut für Germanistik der Universität Leipzig. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Mittleren und Neueren Geschichte an der Universität Leipzig und der Université Lumière Lyon II, Frankreich. 2016 Promotion an der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig. Publikationen (Auswahl): ‚Aus Trümmern von Daseyn und Ueberlieferung sich eine Zweyte Gegenwart verschaffen‘ – Das Sesenheim-Erlebnis bei Ludwig Tieck, August Ferdinand Näke und Johann Christoph Freieisen, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen

https://doi.org/10.1515/9783110692631-013

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Die Autorinnen und Autoren

Literatur (2019), Realistische Narratologie. Otto Ludwigs ‚Romanstudien‘ im Kontext einer Geschichte der Erzähltheorie (2018), Traditionslinien der Erzähltheorie von der Antike bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Martin Huber und Wolf Schmid (Hrsg.): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Erzählen (2018). Görge K. Hasselhoff: Privatdozent am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Studium der Evangelischen Theologie, Philosophie und Jüdischen Studien an der Kirchlichen Hochschule Bethel, der Philipps-Universität Marburg, der Ruprecht-Karls-Universität sowie der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2003 Promotion zum Dr. theol. in Heidelberg im Fach Evangelische Kirchengeschichte. 2015 Habilitation an der Technischen Universität Dortmund. Seit 2017 Vorstandsmitglied des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts an der Universität Duisburg-Essen. Publikationen (Auswahl): Ramon Martí’s Pugio fidei – Texts and Studies (2017, Mithrsg.), Raimundus Martini, Texte zur Gotteslehre: Pugio fidei I–III, 1–6; Lateinisch, Hebräisch/Aramäisch, Deutsch (2014, Hrsg., übers. und eingeleitet), Johannes Calvin interkulturell gelesen (2012). David R. Herbison: Von 2016 bis 2019 Kollegiat des DFG-geförderten Graduiertenkollegs 2196 ‚Dokument – Text – Edition‘ an der Bergischen Universität Wuppertal. Studium der Fächer Religion, Biblische Sprachen und Bibelwissenschaften an den Universitäten Pepperdine (Kalifornien), Lipscomb (Tennessee) und Trinity Western (Kanada). Promotion 2019 mit der Arbeit ‚As it is Copied: Textual Transmission of the New Testament Quotations of the Old Testament in Codex Washingtonianus‘. Johnny Kondrup: Professor für Skandinavische Literatur am Department of Nordic Studies and Linguistics der Universität Kopenhagen und Leiter des Forschungsprojekts ‚The History of Editing in Denmark‘. Vorher u. a. Leiter der Digitalen Edition von N. F. S. Grundtvig’s Gesamtwerk an der Fakultät für Theologie der Universität Aarhus. Studium der Skandinavischen Sprachen und Literaturen an der Universität Odense, Dänemark. 1985 Ph.D. in Skandinavischer Philologie an der Universität Kopenhagen und 1994 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Odense. Publikationen (Auswahl): The Danish Golden Age as an Age of Crisis, in: John Stewart und Nathaniel Kramer (Hrsg.): The Crisis of the Danish Golden Age and Its Modern Renaissance (2020), Materialtekst og tekstur, in: Katarzyna Kapitan u. a. (Hrsg.): From Text to Artefact: Studies in Honor of Anne Mette Hansen (2019), Det fremmede. Om den historiske betragtning af litteratur. [Tiltrædelsesforelæsning], in: Kritik (2013). Claudia Kroke: Wissenschaftliche Mitarbeitern im Projekt ‚Johann Friedrich Blumenbach – online‘ an der Georg-August-Universität Göttingen. Zuvor u. a. wissenschaftliche Angestellte am dortigen Institut für Wissenschaftsgeschichte sowie in mehreren Bibliotheken. Studium der Englischen Philologie, der Kunstgeschichte und der Publizistik und Kommunikationswissenschaften. 2001 Promotion in Göttingen. Postgradu-

Die Autorinnen und Autoren

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ales Fernstudium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften. Publikationen (Auswahl): Renardus – An Academic Subject Gateway Service in Europe, in: Ninth International Conference ‚Crimea 2002‘. Libraries and Associations in the Transient World: New Technologies and New Forms of Cooperation. Conference Proceedings (2002, zusammen mit Heike Neuroth), Subject Gateways – An Approach to Cataloging Scientific Online Ressources, in: Ninth International Conference ‚Crimea 2002‘. Libraries and Associations in the Transient World: New Technologies and New Forms of Cooperation. Conference Proceedings (2002, zusammen mit Heike Neuroth), ‚Unter den Händen der Barbaren‘: Indian Captivity Narratives des kolonialen Nordamerikas in deutscher Sprache, 1675–1774 (2004). Katharina Krüger: Ehemalige Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt ‚Wolfgang Koeppens Jugend – Nachlasserschließung, textgenetische Untersuchung, Digitalisierung und Edition‘ an der Universität Greifswald. Publikationen (Auswahl): Wolfgang Koeppen: Jugend. Textgenetische Edition (2016, Mithrsg.), Textgenese und digitales Edieren. Wolfgang Koeppens ,Jugend‘ im Kontext der Editionsphilologie (2016, Mithrsg.), ‚welch ein Brief, welch ein Dokument, welch ein Schreiber‘. Wolfgang Koeppens Briefe, in: Dies. und Eckhard Schumacher (Hrsg.): Text+Kritik 34 – Wolfgang Koeppen (2014). Vera Mütherig: Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Neuere deutsche Literatur am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neugermanistik III der Ruhr-Universität Bochum und im Anschluss als Lehrbeauftragte des dortigen Germanistischen Instituts tätig. Studium der Germanistik, der Angewandten Sprachwissenschaft und der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Siegen. 2018 Promotion zu audiomedialer Paratextualität. Publikationen (Auswahl): Sonale Semantik. Otto Nebels Runen-Fugen-Dichtung, in: Britta Herrmann und Lars Korten (Hrsg.): Diskurse des Sonalen (2019), Der ‚Mehrwert‘ des Hörbuchs. Die Beurteilungskriterien des Deutschen Hörbuchpreises auf dem Prüfstand, in: Klaus Schenk und Ingold Zeisberger (Hrsg.): Literarisches Hören. Geschichte – Vermittlung – Praxis (2019), Akustisch, Aural, Authentisch? Die Autoren-Stimme als Stimm-Text, in: David-Christopher Assmann und Nicola Menzel (Hrsg.): Textgerede. Interferenzen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Gegenwartsliteratur (2018). Camilla Rossini: Graduate Student am Departement für Digital Humanities der Università degli Studi di Genova. Publikationen (Auswahl): A Digital Review of Critical Editions: A Case Study on Sophocles, Ajax 1-332. Leif Scheuermann: Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Zentrum für Informationsmodellierung der Karl-Franzens-Universität Graz und Projektleiter des durch die österreichische Akademie der Wissenschaften finanzierten Projektes ‚Becoming Urban – Reconstructing the city of Graz in the long 19th century‘. Studium der Geschichte und der Philosophie an der Universität Stuttgart. 2010 Promotion

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Die Autorinnen und Autoren

am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. 2019 Habilitation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Publikationen (Auswahl): Image of the Urbs. Raumwahrnehmung der Stadt Rom im ersten vorchristlichen Jahrhundert (2019), Religiöse Praktiken in der Antike. Individuum – Gesellschaft – Weltbeziehung (2016, Mithrsg.), Religion an der Grenze. Provinzialrömische Götterverehrung am Neckar- und äußeren obergermanischen Limes (2013). Astrid Schmölzer: Doktoratsstudentin der Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät (klassische und provinzialrömische Archäologie) und assoziierte Doktorandin an der Internationalen Graduiertenschule ‚Resonante Weltbeziehungen in sozio-religiösen Praktiken in Antike und Gegenwart‘ der Universität Graz. Studium der Alten Geschichte und Altertumskunde sowie der klassischen und provinzialrömischen Archäologie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Publikationen (Auswahl): Zum Start des FWF-Projekts ‚Die keltischen Götternamen in den Inschriften der römischen Provinz Germania Inferior‘. Mercurius Gebrinios: Ein Fallbeispiel, in: Franziska Beutler und Theresia Pantzer (Hrsg.): Sprachen – Schriftkulturen – Identitäten der Antike. Beiträge des XV. Internationalen Kongresses für Griechische und Lateinische Epigraphik, Wien 28. August bis 1. September 2017 (2019, zusammen mit Werner Petermandl und Wolfgang Spickermann).