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German Pages 236 Year 1981
FRANZ HÄUSER
Unbestimmte "Ma6stäbe" als Begründungselement richterlicher Entscheidungen
Schriften zum Wirtschaftsrecht
Band 38
Unbestimmte .,.,Maßstäbe" als Begründungselemen t rieh terlieher En tseheid UD gen dargestellt anhand von Entscheidungf'n des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zum Recht der Personalgesellschaften
Von
Dr. Franz Häuser
DUNCKER & HUMBLOT /
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1981 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04984 5
Meinen Eltern
Vorwort Die Untersuchung ist im Sommersemester 1978 von dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität als Dissertation angenommen worden. Rechtsprechung und Schrifttum sind, soweit es von den angesprochenen Fragen her geboten erschien, auf den Stand Anfang 1981 nachgetragen. Zu danken habe ich in erster Linie meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Walther Hadding, der das Thema angeregt und mich immer wieder ermutigt hat, die Untersuchung auf dem eingeschlagenen Weg zu Ende zu führen. Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Dr. Alfons Kraft für das Zweitgutachten und die darin enthaltenen Anregungen. Mainz, im Mai 1981 Franz Häuser
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
13
1. Der Bedeutungszuwachs der Rechtsprechung ....................
13
2. Unbestimmte "Maßstäbe" als Begründungselemente ..............
17
3. Beschränkung auf das Recht der Personalgesellschaften ..........
19
a) Der Einfluß der Kautelarjurisprudenz ........................
20
b) Das Altern der Kodifikation ..................................
22
B. Allgemeine Funktion und Bedeutung unbestimmter "Maßstäbe" als Begründungsform .................................................. 26 1. Zur "Spannung ... zwischen festumrissenem Einzelrechtssatz und
unbestimmter Generalklausel" ..................................
26
a) Der Wandel in der Beurteilung bei Hedemann ................
26
b) Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. . . . . . . .. . . . . .... . ..
28
2. Die Begründungselemente aus den zu untersuchenden Entscheidungen..........................................................
29
a) Die Formulierungen in den Entscheidungen ..................
30
b) Keine "Präzisierung" des § 242 BGB ..........................
31
c) "Treu und Glauben-Jurisprudenz" ............................
33
d) Klassische "Anwendungsfelder" des § 242 BGB ................
33
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung ......... . .... . .... . ..
36
a) Kritik an der Begründungsform ..............................
36
b) Richtermeinung ..............................................
37
aa) Stellungnahmen R. Fischers ..............................
39
bb) Exkurs: Fehlerhafte Gesellschaft ........................ ce) Die Bedeutung der Rechtssicherheit ......................
44 46
dd) Einfluß A. Huecks ........................................
48
c) Zur Begründungspflicht ......................................
48
aa) Unterscheidung zwischen Zustandekommen und Begründung einer Entscheidung ...................................... 49
Inhaltsverzeichnis
10
c.
bb) Anforderungen an die Entscheidungsbegründung
51
ce) Begründungsrationalität beim Rückgriff auf unbestimmte "Maßstäbe" ..............................................
55
dd) Usurpatorischer Gebrauch unbestimmter "Maßstäbe"
61
d) Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Richters
63
Zur Untersuchungsmethode
68
1. Gegenstand und Methode
69
2. Fragestellungen zur Urteilskritik
70
a) Revisionsrichterliche Methode
70
b) Bezugnahme auf außergesetzliche Maßstäbe ..................
75
c) Wirtschaftsverfassungsrechtliche Betrachtungsweise
..........
80
3. Eigene Untersuchungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
86
D. Die ausgewählten Entscheidungen des 11. Zivilsenats ................
91
I. Die Ausgleichspflicht in BGHZ 22, 186 ..........................
91
1. Vorbemerkung ..............................................
91
2. Das Urteil -
BGHZ 22, 186 ..................................
93
a) Sachverhalt der Entscheidung ............................
93
b) Die wesentlichen Entscheidungsgrunde ....................
95
c) Präzisierung des Treu und Glauben-Argumentes ..........
98
d) Das Urteil vom 10.2. 1977 -
99
II ZR 120/75 ................
3. Kritik am Treu und Glauben-Argument .................... 100 4. Der Ausgleichsanspruch im Spiegel der Literatur ............ 101 a) Ablehnung jedes Ausgleichs .............................. 105 b) Eingeschränkter Ausgleich über §§ 2050 ff. BGB .......... 106 aa) bei Rechtsgeschäft unter Lebenden .......... . ....... 107 bb) bei erbrechtlicher Nachfolge .......................... 109 ce) Sondermeinung Huber und Reuter . ................... 111 c) Genereller Ausgleich, insbesondere über §§ 2050 ff. BGB .. 114 aal bei Rechtsgeschäft unter Lebenden .................. 114 bb) bei erbrechtlicher Nachfolge .......................... 116 ce) Wertung aus § 2301 BGB ............................ 117
Inhaltsverzeichnis
11
d) Allgemeinere zivil rechtliche Begründung eines generellen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 aal Gedanke der Treuhand .............................. 118 bb) Teilungsanordnung
.................................. 119
cc) Analogie zu § 1417 BGB .............................. 121 dd) "Schöpferische Rechtsentwicklung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 5. Ergebnis des Schrifttumsüberblickes ..................... . .. 123
6. Auswertung und Stellungnahme ............................ 126 a) Die "wahre" Bedeutung von Treu und Glauben in der Entscheidung ................................................ 126 b) Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund des § 139 HGB .... 129 c) Würdigung unter methodischem Aspekt .................. 130 aal Gewohnheitsrecht?
.................................. 131
bb) Rechtspolitische Fehlentscheidung?
.................. 132
cc) Beschreibung der Regelungslücke .................... 134 dd) Bedeutung von Treu und Glauben unter methodischem Aspekt .............................................. 135 II. Die Einschränkung der actio pro socio in BGHZ 25, 47 .......... 138 1. Vorbemerkung .............................................. 138
2. Das Urteil -
BGHZ 25, 47 .................................. 141
a) Sachverhalt der Entscheidung ............................ 141 b) Die wesentlichen Entscheidungsgründe .................... 142 c) Präzisierung des Treu und Glauben-Argumentes .......... 144 3. Kritik am Treu und Glauben-Argument .................... 146 4. Die Einschränkung der Einzelklagebefugnis im Spiegel des Schrifttums ................................................ 148 a) Unbeschränkte Zulässigkeit der actio pro socio ............ 150 b) Einschränkung der actio pro socio aus dem Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht ...................... 151 c) Einschränkung aus objektiver Interessenabwägung ........ 154 d) Einzelklagebefugnis nur bei "wichtigem Grund" oder bei "berechtigtem eigenem Interesse des Gesellschafters" .... 155 e) Tatbestandlich bestimmte Fälle einer Einzelklagebefugnis .. 157 5. Ergebnis des Schrifttumsüberblickes ........................ 161
12
Inhaltsverzeichnis 6. Auswertung und Stellungnahme ............................ 162 a) Funktion der "Treuepflicht" .............................. 162 b) Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund
165
c) Würdigung unter methodischem Aspekt aal Richterrechtlicher Lösungsvorschlag bb) Umschreibung des methodischen Problems ............ ce) Bedeutung der Treuepflicht .......................... dd) Würdigung des Treuepflicht-Argumentes in der Entscheidung ............................................
170 171 174 176 183
IH. Der Gesellschafterregreß in BGHZ 37, 299 ...................... 185 1. Vorbemerkung .............................................. 185
2. Das Urteil -
BGHZ 37, 299 ................................ 188
a) Entscheidungssachverhalt
................................ 188
b) Die wesentlichen Entscheidungsgründe .................... 189 c) Präzisierung des "Gerechtigkeits"-Argumentes ............ 191 3. Kritik am "Gerechtigkeits"-Argument ...................... 192 4. Der Rückgriffsanspruch des zahlenden Gesellschafters gegen die Mitgesellschafter im Spiegel des Schrifttums ............ 193 a) Der Erstattungsanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft .............................................. 194 aa) § 100 Abs. 1 HGB? .................................. 195 bb) §§ 105 Abs. 2 HGB; 426 Abs. 2 BGB? ................ 197 b) Der Rückgriffsanspruch gegen die Mitgesellschafter ...... aa) § 128 S. 1 HGB ...................................... bb) § 426 Abs. 1 und 2 BGB .............................. ce) Ohne bestimmte Anspruchsgrundlage ................
198 199 201 204
5. Ergebnis des Schrifttumsüberblickes ........................ 204 6. Auswertung und Stellungnahme ............................ 205 a) Verdeutlichung des Begründungsweges der Entscheidung .. 205 b) Charakterisierung des Rechtsproblems .................... 206 c) Würdigung unter methodischem Aspekt .................. aa) Interpretation von Anspruchsgrundlagen ............ bb) Methodische Versäumnisse............................ ce) Bedeutung der "Gerechtigkeit"........................
209 209 210 211
E. Zusammenfassung
214
Literaturverzeichnis
216
A. Einleitung 1. Der Bedeutungszuwachs der Rechtsprechung
In der "Einleitung" seiner "Kritik des Zivilurteils" begründet Hattenhauer seine Absicht, dem Defizit "an einer allgemeinen Einleitung in
die Technik der Urteilskritik" abzuhelfen, u. a. mit dem Argument: "Die Judikatur hat im Laufe der letzten Jahrzehnte für den akademischen Unterricht sehr an Bedeutung gewonnen"l. In dieser unmittelbar nur für die Juristenausbildung getroffenen, gerade deshalb freilich um so gewichtigeren Feststellung spiegeln sich allgemeine Beobachtungen wider, die für unsere geltende Rechtsordnung über das Zusammenwirken zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gerade auch im Bereich des Zivilrechts anzutreffen sind 2 • So hat Kübler zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14.2. 1973 - 1 BvR 112/65 _3, in dem das Gericht die zivilgerichtIiche Anerkennung eines Schmerzensgeldanspruches bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts4 - das "Schulbeispiel der Grundsatzdiskussion"5 - als verfassungsgemäß angesehen hat, während sie in der Literatur6 und oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung 7 bis zuletzt umstritten war, angemerkt: "Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts demonstriert eindrücklich, wie weit sich unsere Rechtsordnung auch und gerade in den Kernbereichen des Privatrechts von den Kodifikationsideen des bürgerlichen Die Kritik des Zivilurteils, S. 9. Mit diesem Phänomen hat sich Fikentscher in rechtsvergleichender Methode und mit rechtsquellentheoretischem Interesse in seinem fünfbändigen Werk über "Methoden des Rechts" befaßt. 3 BVerfGE 34, 269 ff. Vgl. dazu auch unten C. 2. a. 4 Vgl. die Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung des BGH bei Nüßgens, in: 25 Jahre Bundesgerichtshof, S. 93, 96 f. und zusammenfassend v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 26 f. Ferner zuletzt: Ehlers, Der Geldersatz für immaterielle Schäden bei deliktischer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Schwerdtner, JuS 1978, 289, 295; Mincke, JZ 1980, 86. 5 So Kübler, Kodifikation und Demokratie, JZ 1969, 645, 650 mit ausführlichen Nachweisen. Als "Modellproblem" liegt diese Rechtsprechung auch der umfangreichen Untersuchung von Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, zugrunde. 6 Giesen, NJW 1971, 801 (Anm. z. BGH, NJW 1971, 698); Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 11, 2 d, Rdnr. 615, S. 292; Flume, Richter und Recht, S. K 6 ff. 7 OLG München, AfP 1970, 966 m. Anm. Kuner (Berufungsentscheidung zu BGH, NJW 1971, 698); OLG Frankfurt und OLG Karlsruhe, NJW 1962, 2062. 1
2
14
A. Einleitung
Liberalismus fort und auf ein legislatorisch ferngesteuertes case-lawSystem hin entwickelt hat, ..."8. Diese, auch von anderen beschriebene Konvergenz der bisher weitgehend als gegensätzlich beurteilten Rechtssysteme 9 fördert einen deutlichen Bedeutungszuwachs der Rechtsprechung zutage, der sich in der richterlichen Praxis so auswirken soll: "In der Revisionsinstanz wird nicht um Rechtsanwendung im Sinne richtiger Subsumtion unter eine zweifelsfreie Norm gestritten, sondern regelmäßig um die Frage, wie die anzuwendende Norm lautet, welches ihr Inhalt ist. Die Frage aber wird heute auch in unserem Rechtssystem, das vom Kodifikationsgedanken ausgeht, weitgehend nur durch Richterrecht beantwortet. Es genügt nicht, das Gesetz aufzuschlagen, man muß vielmehr die einschlägige Judikatur ermitteln"lO. Der gerichtlichen Gesetzesanwendung wird mithin ein maßgeblicher rechtsbildender Eigenwert beigemessen, der bei funktionierender Handhabung wohlwollende Beurteilungen verständlich macht l l •
Esser, der vorrangig die richterliche Teilhabe am Rechtsbildungsprozeß mit wacher Aufmerksamkeit begleitetl2 , kennzeichnet "die Rolle der Rechtsprechung als Initiator von Systemverbesserungen, ja, als eigentlicher Motor der Aktualisierung des Rechts und seiner Bewährung von stets wandelnden Erwartungs- und Verständnishorizonten •.• "13. Diederichsen schließlich resümiert in einem Rückblick auf 25 Jahre Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiet des Zi8 JZ 1973, 667, 668; vgl. auch dens., über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, S. 14 Fn. 18. o Vgl. nur Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 15; Müller-Freienfels, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 39, 40; v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 24; Mühl, Festschrift für Raiser, S. 159, 178. Vgl. auch die Warnung vor rechtstheoretischen Konsequenzen aus solchen Beobachtungen bei H. H. Rupp, NJW 1973, 1769, 1771; ders., ORDO 23 (1972), 175, 178 und die Antwort Essers, NJW 1974, 921 zu Fn. 4. Skeptisch gegenüber der übernahme der englischen Theorie auch Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, Rdnr. 3 S. 31; ders., ZRP 1978, 83, 85. Zu den strukturellen Unterschieden beider Rechtssysteme anschaulich Schlüter, Das Obiter dictum, S. 88 ff. Zur Strukturverwandtschaft des römischen mit dem englischen Recht vgl. Kaser, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 3, 14, aber auch S. 27. 10 So v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 37; ferner R. Fischer, Festvortrag 52. DJT, S. H 21 f., 32; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 515. Vgl. dazu die anschauliche Anleitung "Zur Ermittlung von Sätzen des Richterrechts" bei Coing, JuS 1975, 277 ff.; ferner Larenz, Methodenlehre, S. 347; Kötz, über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 21. 11 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 514 ff., vgl. auch die Kritik, S. 531; kritisch ferner Hattenhauer, ZRP 1978, 83, 85. 12 Vgl. nur: Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, und zuletzt: In welchem Ausmaß bilden Rechtsprechung und Lehre Rechtsquellen?, ZfvglRw. 1975, 67. 13 Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 174; ähnlich Kötz, über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 20 = DRiZ 1974, 183, 184.
1. Der Bedeutungszuwachs der Rechtsprechung
15
vilrechts: "Anders, aber jedenfalls viel stärker als die Judikatur zur Zeit des RG, beherrscht die Rechtsprechung des BGH das Rechtsleben 14
Von diesen Beurteilungen der gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisse ausgehend läßt sich freilich auch ein Bogen zu den Ursprüngen des Kodifikationszeitalters schlagen und nicht selten Übereinstimmung mit der Auffassung Oskar Bülows feststellen, der ausgangs des letzten Jahrhunderts das Zusammenspiel von Gesetzgebung und Rechtsprechung aufklärerisch dahin umschrieben hatte: "Deshalb hat auch durch das Emporkommen der Gesetzgebung die rechtsschöpferische Macht des Richteramtes nicht verdrängt, sondern nur unter die Leitung der Gesetzgebung gestellt werden können" 15. Die Orientierung auf Gegenwartsprobleme läßt ferner allzu leicht in Vergessenheit geraten, was schon das Reichsgericht im Jahre 1889 in selbstbewußter Diktion über das Verhältnis von gesetzgeberischer und richterlicher Aufgabe ausführte: "Es ist eine für den Gesetzgeber nicht erfüllbare Aufgabe, jedes allgemeine Gesetzesprinzip mit solcher Klarheit in einem Satz auszusprechen, daß sich aus diesem Satz durch einfache Schlußfolgerung die Konsequenzen für alle besonders gearteten, von dem betreffenden Prinzipe beherrschten Fälle entwickeln lassen. Es ist ferner nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, für jedes sich gestaltende Lebensverhältnis eine besondere Norm zu setzen. Es ist schließlich nicht des Gesetzgebers Sache, an alle juristisch-technisch möglichen Formen zu denken, vermöge welcher (einer Rechtsprechung, welche an dem Buchstaben des Gesetzes haftet, gegenüber) die Ziele des Gesetzes vereitelt werden können. Es ist vielmehr Sache der Jurisprudenz und vor allem Pflicht der (die Jurisprudenz mit unmittelbar in die Lebensverhältnisse eingreifende Kraft bethätigenden) Judikatur die (nicht in einer allgemeinen Norm konzentriert in dem Gesetz ausgesprochenen) Grundprinzipien des Gesetzes zu Tage zu fördern und auf die im Leben hervortretenden, im Gesetz nicht besonders hervorgehobenen, unter das betreffende Prinzip fallenden Fälle anzuwenden, namentlich aber nicht zu dulden, daß im öffentlichen Interesse wurzelnde Rechtsprinzipien in ihrer lebendigen Wirkung, sei es absichtlich vereitelt, sei es auch nur objektiv gelähmt werden ..."1~. 14 NJW 1975, 1801 (Hervorhebungen nicht im Original). Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 530 hebt als Unterschied zum RG insbesondere das "Verhältnis zum Gesetzeswort" hervor. 16 Gesetz und Richteramt, S. 47. Aufschlußreich ist auch der Hinweis auf o. Bülow bei R. Fischer, Festvortrag 52. DJT, S. H 22 Fn. 36. Der auch heute noch anzutreffenden Einordnung als "Vorläufer" der Freirechtsbewegung (vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 65) ist Bülow bereits selbst entgegen getreten, in: Das Recht 1906, Sp. 769 ff. In seinem Sinne freilich Manigk, Formalismus und Freirechtsschule, in: Handwörterbuch des Rechtswiss., Bd. 11, S. 474, 481; Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 181 f., Säcker, ZRP 1971, S. 145, 148; Berkemann, Festschrift für Geiger, S. 299. 18 Urteil vom 2.2. 1889, RGZ 24, 45, 49. Die Entscheidung wird von Esser, Grundsatz und Norm, S. 3, als revolutionärer Akt eingestuft. Zur Analyse
16
A. Einleitung
Unter Berücksichtigung der vielfältigen Aufgaben moderner Rechtsgestaltung gelangt man heute schließlich offen zur pragmatischen Forderung nach "Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung"17 und analysiert lobend den gegenwärtigen Zustand im Sinne "einer funktionierenden Kooperation zwischen gesetzgebender und rechtsprechender Gewalt" 18. Gegenüber überlieferten Vorstellungen bleibt am Ende derzeit zwar noch eine Regelungsprärogative zugunsten des Gesetzgebers übrig, einher geht damit aber die Anerkennung der Rechtsprechung als "Setzer von Rechtsnormen freilich mit unterschiedlichen Aufgaben, unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen Zielbereichen"19. Eine realistische Gegenwartsbetrachtung kann aber gegenüber dem beobachteten Bedeutungszuwachs der Rechtsprechung nicht daran vorbeisehen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch nunmehr seit 80 Jahren in Geltung ist und die gesetzlichen Grundlagen des Handelsgesetzbuchs noch weiter zurückreichen, Gesetze, die trotz zahlreicher Reformen "weiterhin zu den Fundamenten unserer Rechtsordnung" zählen und mit ihrer "technischen Klarheit und Präzision und einer Fülle von wohl durchdacht gelösten Sachproblemen im Grundaufbau unverändert den so völlig gewandelten Erfordernissen unserer heutigen Zeit zu genügen" vermögen 20 • Wird letztlich sogar diese Tatsache wiederum der dieses neuen Selbstverständnisses des Richters vgl. Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, Rdnr. 24 S. 26 f. Ähnlich RG, JW 1922, 910. Zur Rechtsprechung des RG vor Inkrafttreten des BGB insb. auch unter methodischen Aspekten H.-G. Mertens, AcP 174 (1974), 333. 17 v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 38. Ähnlich R. Fischer, in: Ansprache, S. 8: Ständige Wechselwirkung; ders., Festvortrag 52. DJT, S. H 22; vgl. auch Duden, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 32. 18 v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 39. Zum Anteil der Rechtswissenschaft vgl. L. Raiser, Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, NJW 1964, 1201. 19 So Zweigert, Die rechtsstaatliche Dimension von Gesetzgebung und Judikatur, 51. DJT, S. K 5. Ähnlich R. Fischer, Festvortrag 52. DJT, S. H 24 f.; ferner Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, § 14, S. 60. Zur Konvergenz von Rechtssetzung und Rechtsanwendung vgl. Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, S. 40 - 52. 20 So v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 45/46. Damit bestätigt sich die Auffassung Dölles, 50-Jahrfeier des Deutschen BGB, S. 14, 23: "Daß gerade unser bürgerliches Gesetzbuch mit seiner rationalen Sachlichkeit, mit seiner weltanschaulichen Neutralität, mit seinem Respekt vor den überlieferten Kulturwerten geeignet ist, unser Gemeinschaftsleben durch die Epochen des Suchens, der Zweifel und der Entwicklung ungefährdet hindurchzusteuern" . Zu den Gründen vgl. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsordnung, S. 24 ff.; ferner H. Hübner, in: Beiträge zum dt. und israelischen Privatrecht, S. 31 ff. über 80 Jahre BGB berichtet Laufs, JuS 1980, 853 ff. Vgl. aber auch die rechtssoziologische Analyse über "Gesetzesrationalität im Kodifikationszeitalter und heute" von Esser, in: 100 Jahre Oberste deutsche Jusitzbehörde, S. 13 ff.
2. Unbestimmte "Maßstäbe" als Begründungselemente
17
Rechtsprechung zugute gehalten 21 , wenn auch gewiß nicht im Sinne Hedemanns, daß "kein Gesetz ... so schlecht [sei], daß nicht etwas aus ihm zu machen wäre"22, so bedarf die beabsichtigte Befassung mit höchstrichterlichen Entscheidungen und insbesondere deren Begründungen in einer bestimmten Erscheinungsform keiner weiteren Rechtfertigung, ist doch "die Untersuchung der juristischen Argumentationsweise ... eine ureigene Aufgabe der Rechtswissenschaft ... "23 und die der Begründung von Entscheidungen gleichwohl "ein ganz vernachlässigter Forschungsbereich" 24. In der Konsequenz des wiedergegebenen Bedeutungszuwachses liegt aber auch - dem Bild kommunizierender Röhren vergleichbar - ein gesteigertes Maß an Verantwortung der Rechtsprechung. Dies macht es verständlich, daß mit kritischem Blick auf die Entscheidungen des BGH und deren Begründungen geschaut wird. 2. Unbestimmte "Maßstäbe" als Begründungselemente Die in Angriff genommene Untersuchung befaßt sich nur mit einem allerdings wohl nicht selten 25 anzutreffenden Ausschnitt richterlicher Entscheidungsbegründung, der sich einleitend dadurch kennzeichnen läßt, daß er auf eine Anknüpfung an klare, insbesondere gesetzlich oder rechtsgeschäftlich fixierte Tatbestände verzichtet und statt dessen auf überaus unbestimmte und vieldeutige "Maßstäbe" zurückgreift. Solches Fehlen begrifflich erfaßbarer Merkmale eines rechtsgeschäftlichen oder eines gesetzlichen Tatbestandes dient namentlich zur Charakterisierung sog. "Generalklauseln"26. 21 v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 46; Esser, in: 100 Jahre Oberste deutsche Justizbehörde, S. 13, 19; auch schon Dölle, in: 50-Jahrfeier des Deutschen BGB, S. 14, 18. Vgl. auch den Hinweis bei Kübler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechts theorie, S. 41 auf "die - sehr viel weniger beachtete judizielle Ausgestaltung des Personalgesellschaftsrechts". 22 Werden und Wachsen im bürgerlichen Recht, S. 7. 23 Esser, Das Bewußtwerden wissenschaftlichen Arbeitens im Recht, S. 97. 24 Adomeit, ZRP 1970, 176, 180. Vgl. aber Diederichsen, Festschrift für Larenz, S. 155 ff.; ders., Festschrift für Klingmüller, S. 65 ff. und neuerdings Rittner, Die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise in der Rechtsprechung des BGH. Zu Formen juristischer Argumentation insbesondere Scheuerle, Das Wesen des Wesens, AcP 163 (1964), 429; ders., Die Logik der Logik, ZZP 78 (1965), 32 ff.; ders., Formalismusargumente, AcP 172 (1972), 396. Ferner Esser, Juristisches Argumentieren im Wandel des Rechtsfindungskonzepts unseres Jahrhunderts, mit weiteren Nachweisen insbesondere auch zu argumentationstheoretischen Bemühungen. 25 Vgl. Diederichsen, NJW 1975, 1801. 26 E. Wolf, DB 1971, 1863. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 118, stellt enger der Generalklausel als Gegenbegriff eine "kasuistische" Tatbestandsbildung gegenüber; ebenso Werner, Zum Verhältnis von gesetzlichen Generalklauseln und Richterrecht, in: Recht und Gericht in unserer
2 Häuser
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A. Einleitung
Die allgemeine rechtliche Problematik des so angesprochenen Elementes in der Begründung richterlicher Entscheidungen wird schlaglichtartig deutlich, wenn man auf der einen Seite die Bewertung des von Hattenhauer sog. "Billigkeitsargumentes" zur Kenntnis nimmt: "Der Grad des Unbehagens, den ein Jurist bei der Verwendung empfindet, entspricht ziemlich genau dem Grad des Respekts, den er dem anzuwendenden Gesetz entgegenbringt"27. Und dem auf der anderen Seite die "im Spiegel richterlicher Erfahrung" geschöpfte Auffassung Heusingers gegenüberstellt: "Der § 242 BGB ist zu einer Art prätorischer Zauberformel gegenüber dem Gesetz geworden, ohne auf das Gebiet des Schuldrechts beschränkt zu sein. Diese Bedeutung des § 242 BGB hat zunehmend allgemeine Anerkennung gefunden"28. Nachdenklich sollte gegenüber solchen Ausführungen schon jetzt stimmen, daß man sich nur wenige Jahrzehnte zuvor mit gleicher und im Ergebnis unheilvoller Ausrichtung zwar nicht auf den honorigen römischen Prätor berief, jedenfalls aber die Auffassung vertrat, "daß § 242 BGB der Art. 48 des Privatrechts ist, der es gestattet, auf legalem Weg das BGB von Grund auf zu erneuern, umzugestalten und damit fortzubilden"29. Zeit, S. 196, 197. Diese für eine Normengruppierung vorgeschlagene Gegenüberstellung ist hier wenig hilfreich. Dazu auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 213; zu Definitions- und Beschreibungsversuchen ferner Wurehe, Generalklausel und Kasuistik, S. 3 ff., 9 ff. und Garstka, Generalklauseln, S. 96 ff. Zuletzt: Teubner, Generalklauseln als sozionormative Modelle, S. 13 f.
Die Kritik des Zivilurteils, S. 101 Rdnr. 236. Rechtsfindung, S. 109. Exemplarisch BGHZ 12, 154, 157: "Jede Rechtsausübung muß nicht nur auf die eigenen Belange und die Belange des Volksganzen, sondern auch auf die jedes einzelnen Rücksicht nehmen (RGZ 169, 180, 182), denn sie ist dem für die ganze Rechtsordnung maßgebenden Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen, wie es in § 242 BGB niedergelegt ist". Zurückhaltender BGH, NJW 1977, 1234, 1235: "Doch muß die Anwendung des § 242 BGB, soweit sie von der gesetzlichen Regelung abweicht, auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben". Vgl. dazu die Kritik am "alles beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben" von E. Wolf, DB 1971, 1863, 1864 und schon Achim v. Arnim an v. Savigny über das preußische ALR ZRG Germ. Abt. 13 [1892], S. 228: "Und da möchte ich wohl fragen, wie es anders zu erreichen war, daß im Preussischen selbst der Bauer das Rechtswesen nicht mehr wie in Hessen für eine geheimnisvolle Geisterbeschwörung und Glücksspielerei, sondern für etwas Treues, Ehrliches und Würdiges hält, gern sich die Stellen im Landrecht zeigen läßt und sich fast immer damit vor törichten Prozessen zurückhalten läßt" . 29 So Barz, JW 1936, 3530, 3531. Wie das in der Folgezeit dann auch tatsächlich geschehen ist, wird eindrucksvoll bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 210 ff., bezeugt. Zu dieser Parallele auch Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 51. Vor der Gefahr, daß sich im Richterrecht ein ungeschriebener Artikel 48 Abs. 2 WRV herausbilde, hat eindringlich Herschel, DB 1973, 2298 gewarnt. Im Gesellschaftsrecht scheint die Rechtsprechung nur wenig hinzugelernt zu haben. Schon 1948 formulierte der OGH (für die brit. Zone): bei § 117 HGB handele es sich "somit letzten Endes um die Sondergestaltung eines Falles unzulässiger Rechtsausübung oder, noch 27
28
3. Beschränkung auf das Recht der Personalgesellschaften
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Dies rückt den Untersuchungsgegenstand als Realanalyse sogleich in den eingangs schon erwähnten Problembereich der seit je diskutierten und immer aktuellen Frage nach dem Verhältnis des Richterspruches zum Gesetz 30 . Denn je nach der Auffassung über den Bindungsumfang, ja über die Möglichkeiten der Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz überhaupt, lassen sich diejenigen Bereiche ausgrenzen, innerhalb derer ein Rückgriff auf andere, im Gesetz tatbestandsmäßig nicht erfaßte Maßstäbe und diesen dann entsprechenden Entscheidungsbegründungen für zulässig und sogar für erforderlich gehalten werden kann. Damit ist die Vielfalt der Fragestellung einleitend angerissen und das Unbehagen keimt, ob dies nicht zugleich eine eingrenzende Bearbeitung ausschließt. Jedenfalls ruft dies bei aller Kritik jeweils Zurückhaltung wach, "trägt der Kritiker doch nicht, wie der Richter, die Verantwortung für die Entscheidung des konkreten Falles"31.
3. Beschränkung auf das Recht der Personalgesellschaften Mehrere Gesichtspunkte sind dafür ausschlaggebend, die Untersuchung auf Entscheidungen zum Recht der handelsrechtlichen Personalgesellschaften zu beschränken. Einmal liegt dieses Rechtsgebiet seit Beginn der Tätigkeit des Bundesgerichtshofs unverändert in der Zuständigkeit des 11. Zivilsenats 32 . Das Prädikat als sog. "Fachsenat" pflegt aber gerade als Voraussetzung besonders qualifizierter Rechtsprechung hervorgehoben zu werden33 . Auch läßt sich auf diese Weise das Forschungsergebnis Rittners über "Die sog. wirtschaftliche Betrachtungsallgemeiner gesagt, des Prinzips des § 242 BGB" (SJZ 1948, Sp. 751, 753 mit zustimmender Anm. A. Hueck, SJZ 1948, Sp. 755). 30 Vgl. die entsprechende Verdeutlichung der Frage bei Flume, 46. DJT, S. K 6; im Untersuchungszusammenhang auch RUtner, Ermessensfreiheit, S. 21; ferner Staudinger / Keßler, Vorbem. zu § 705 BGB Rdnr. 40: "Das Grundproblem einer Generalklausel betrifft somit das Verhältnis zum geschriebenen Recht". Ebenso Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 21. In rechts geschichtlicher Betrachtung Laufs, Die Generalklausel, DRiZ 1973, 145. 31 So Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S. 14. Vgl. auch Hilger, überlegungen zum Richterrecht, Festschrift für Larenz, S. 109: "Die Richter fühlen sich oftmals durch die ihnen zugeschobene Verantwortung belastet ..."; ferner R. Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 27. 32 Vgl. Stimpel, in: 25 Jahre Bundesgerichtshof, S. 13; Haidinger, DRiZ 1960, 309. Da schon beim Reichsgericht dessen II. Zivil senat für gesellschaftsrechtliche Fälle zuständig war, blickt der 11. Zivil senat auf die älteste Tradition der Senate des BGH zurück. Dazu Keßler, DRiZ 1975, 294, 299. 33 So bei R. Fischer, Festschrift für Kunze, S. 95, 101, 102 und schon ders., Die Rechtsprechung des BGB, S. 13; ferner Kötz, AcP 175 (1975),361,364 hinsichtlich der Verläßlichkeit und Zulässigkeit von "obiter dicta"; kritisch aber Schulte, Festschrift für H. Westermann, S. 525, 534/5. 2'
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weise in der Rechtsprechung des BGH" berücksichtigen, daß eine bestimmte Argumentationsart in der Rechtsprechung weniger von der Art des behandelten Rechtsgebiets als von dem Senat abhängt, der zur Entscheidung aufgerufen ist 34 • Mit der Beschränkung auf das Recht der Personalgesellschaften wird ferner der häufig geäußerten Auffassung Rechnung getragen, daß sich über den richterlichen Gestaltungseinfluß keine einheitliche Beurteilung abgeben lasse, sondern zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten zu unterscheiden sei3 5 • Für das Recht der Personalgesellschaften werden unter diesem Gesichtspunkt regelmäßig zwei Aspekte hervorgehoben: a) Der Einfluß der Kautelarjurisprudenz
Einmal wird auch von richterlicher Seite als charakteristisch die hervorragende Rolle der Vertragspraxis, der sog. Kautelarjurisprudenz, betont: "Beste Vertreter des Anwaltsstandes haben als rechtliche Berater von Unternehmen mit einem erfahrenen Blick für die Bedürfnisse der Wirtschaft die erforderlichen Verträge entworfen und dabei von jeher eine lebhafte Phantasie, aber auch ihre große Kenntnis gesellschaftsrechtlicher Probleme bei der Gestaltung einzelner Vertragsbestimmungen bewiesen"36. Die allgemeine Aufgabe des Vertragsjuristen, nämlich "die Gestaltung von Lebensverhältnissen für die Zukunft mit A.a.O., S. 18 ff. Ein eklatantes Beispiel solcher "Senatsabhängigkeit" stellt aus jüngster Zeit die Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in entsprechender Anwendung des § 89 b HGB dar. Jeweils der Änderung der Geschäftsverteilung folgte eine Änderung der Rechtsprechung auf dem Fuße: bis 1969 11. Zivilsenat (BGHZ 29, 83 ff.), bis 1976 VII. Zivilsenat (BGHZ 34, 282 ff.; LM Nr. 34 a zu § 89 b HGB) und nunmehr I. Zivilsenat (Urt. v. 11. 2. 1977, BB 1977, 511 = DB 1977, 860). Vgl. dazu Stumpf / Zimmermann, BB 1978,429; Sandrock, Festschrift für R. Fischer, S. 657. 35 Vgl. nur BVerfGE 34, 269, 288: Die Grenzen schöpferischer Rechtsfindung ließen sich nicht in einer Formel erfassen, die für alle Rechtsgebiete und für alle von ihnen geschaffenen oder beherrschten Rechtsverhältnisse gleichermaßen gelte. Ebenso Pehle, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 3; Stimpel, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 15, 24; Rittner, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 26; v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 33; Esser, Methodik, S. 5. 36 So R. Fischer, Festschrift für Kunze, S. 95, 96. Vgl. auch Stimpel, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 15; ders., in: 25 Jahre BGH, S. 13, 14; v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 32; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 1 IV 2, S. 78 f. Zu den daraus für die Juristenausbildung zu ziehenden Konsequenzen, aber auch zu den damit aufgeworfenen und klärungsbedürftigen "Grundlagenproblemen" E. Rehbinder, AcP 174 (1974), 265 ff., insbes. 278. Zur Frage, "in welcher Weise im Gesellschaftsrecht einer freien Verkehrswirtschaft Vertragsgestaltung und Rechtsprechung ineinandergreifen" vgl. H. P. Westermann, AcP (1975), 375 ff., zu den Rollen des Vertragsgestalters und des Richters insbesondere S. 386 ff. 34
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den Mitteln und in den Grenzen von Recht"37, führt nicht zuletzt auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts aber auch zu besonderen Anforderungen an die Rechtsprechung. Der Vertragsjurist, der von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen diejenige anzuraten hat, "die die sichere und gefahrlosere ist"38, wird dadurch zu einer Interpretation im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung gedrängt, er "prognostiziert die künftige Entscheidungspraxis in einem möglichen Konfliktsfall und sucht sich abzusichern"39. Deshalb besteht für die in der Regel auf Dauer eingerichteten Gesellschaften ein elementares Bedürfnis, daß die Rechtsprechung der erforderlichen Zuverlässigkeit vorausschauender rechtlicher Beurteilung in erster Linie durch Kontinuität Rechnung trägt4°. Die höchst richterliche Rechtsprechung ist sich dieser Situation und der daraus erwachsenden Ansprüche offensichtlich sehr wohl bewußt. Die Äußerungen beteiligter Richter veranschaulichen das Bestreben, diese Erwartungen nach Möglichkeit nicht zu enttäuschen: So habe der 11. Zivilsenat des BGH sich "bewußt darum bemüht, den für die Vertragspraxis des Gesellschaftsrechts wichtigen konservativen Charakter der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Möglichkeit zu wahren. Soweit der Senat hierbei in einzelnen Punkten von der Rechtsprechung des RG abgewichen ist, handelt es sich mehr um rechtstechnische oder solche Fragen, die jedenfalls für die Vertragspraxis nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind"41. Auf einer anderen, über den Kontinuitätsgedanken hinausgreifenden Ebene liegen die Bemühungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu gesellschaftsrechtlichen Fra37 So E. Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 286. Vgl. auch den überblick bei Reithmann, Der Beitrag der Notare zur Rechtsentwicklung, DNotZ (Sonderheft) 1977, 13 ff. und Flume, Sonderheft DNotZ 1969, 30. Zur früheren Auffassung: Klausing, DNotZ 1936, 446. 38 So BGH, NJW 1958, 1398; dazu E. Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 288 f., der dies als "Klugheitsregel" bezeichnet. Ferner BGH, NJW 1977, 2073; VersR 1975, 540, 541 (für den Rechtsanwalt); BGH, WM 1974, 172 f. (für den Notar). 39 So E. Rehbinder, AcP 174 (1974), 265, 291; ferner R. Fischer, Festvortrag 52. DJT, S. H 14, H 32. 40 Vgl. dazu H. P. Westermann, AcP 175 (1975), 375, 389; v. Caemmerer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 29, 31. 41 Haidinger, DRiZ 1960, 309; ebenso R. Fischer, Die Rechtsprechung des BGH, S. 10, 11; weniger verfänglich sprechen H. Schneider / Uwe H. Schneider ZGR 1972, 52 von "Stetigkeit" in der gesellschafts rechtlichen Rechtsprechung. Dazu auch R. Fischer, Festschrift für Kunze, S. 95, 96; H. P. Westermann, AcP 175 (1975), 376, 389, 405. Kritisch allerdings Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 1 III 1, S. 48 und neuerdings R. Fischer, ZGR 1979, 251, 262. Vgl. allgemein Hilger, überlegungen zum Richterrecht, Festschrift für Larenz, S. 109, 114: "Das Gesetz gewährleistet die Kontinuität, der jede Rechtsordnung bedarf. übernimmt das Gesetz diese Funktion nicht, muß der Richter in gesteigertem Maße darum bemüht sein"; ferner dort S. 116 f.
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gen, "bei ihren Entscheidungen den Blick für die Rechtswirklichkeit offen zu halten und demgemäß die Fortbildung des Rechts an den sich weiter entwickelnden tatsächlichen Verhältnissen in der Wirtschaft auszurichten"42. Diese Orientierung an den praktischen Bedürfnissen der Wirtschaft, wie sie der Rechtsprechung aus den Vertragsgestaltungen der Wirtschaftspraxis entgegentreten, macht verständlich, daß zum Recht der Personalgesellschaften von seiten der Betroffenen nur selten der Ruf nach dem Gesetzgeber erschallt 43 . Es ist freilich nicht zu übersehen, daß im Wirtschaftsleben aus steuerlichen und/oder finanzierungstechnischen Gründen insbesondere bei der Kommanditgesellschaft 44 mittlerweile auch Vertragsgestaltungen gewählt werden, die an die Grenzen der Problemlösungsfähigkeit der in der gekennzeichneten Weise operierenden Rechtsprechung stoßen. Die daraus entstehende "Spannung zwischen dem wirklichen Rechtszustand und dem geschriebenen Recht"45 droht zu einer Zerreißprobe auszuwachsen46 , die auch nach sachverständigem richterlichen Urteil mit den Mitteln der Rechtsprechung kaum zu lösen sein wird und auf ein gesetzgeberisches Einschreiten hoffen läßt47 . b) Das Altern der Kodifikation
Dies leitet über zu dem anderen als charakteristisch hervorzuhebenden Gesichtspunkt. Das Recht der Personalgesellschaften zählt zu den 42 So R. Fischer, Festschrift für Kunze, S. 95, 96; zustimmend H. Schneider / Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 52. Kritisch Schulte, Festschrift für H. Westermann, S. 525, 534 f. Ferner H. P. Westermann, AcP 175 (1975),375, 389; dort auch zu solchen kritischen Gegenpositionen, die ihrerseits die Hoffnung auf den Richter gründen, zum gemäßigten Standpunkt Westermanns, S. 405 f. Grundsätzlich zu dieser Problematik: Dütz, Funktionswandel des Richters im Zivilprozeß?, ZZP 87 (1974),361 ff. 43 R. Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 15; v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 32. Den Publizitäts aspekt der Rechtsprechung hinsichtlich korrekturbedürftiger Entwicklungen verkennt offenbar Steiner, Die OHG und KG in der deutschen Wirtschaft, S. 2. 44 Vgl. Giering / Hilpert, Die KG als Finanzierungsinstrument; Hopt, Gutachten G zum 51. DJT, S. 24, 28; ferner Sack, DB 1974, 1657. 45 So Plum, Der fortschreitende Strukturwandel der Personalgesellschaft durch Vertragsgestaltung, in: 100 Jahre deutsches Rechtsleben, S. 137, 139. 46 Vgl. H. Schneider / Uwe H. Schneider, Zweite Festschrift für Möhring, S. 271, 272; ferner Großteld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 42 ff. 47 Vgl. dazu Stimpel, in: 25 Jahre BGH, S. 13, 15/16. Anders noch Plum, Der fortschreitende Strukturwandel, S. 137, 191, die 1960 eine gesetzliche Regelung der kapitalistisch orientierten Personalgesellschaft nicht für erforderlich hielt. Steiner, Die OHG und KG in der deutschen Wirtschaft, insbes. S. 71 ff., 120 ff. unterbreitet eine Fülle von Reformvorschlägen "kleiner Münze". Vgl. nun aber den RegE "eines Gesetzes über den Vertrieb von Vermögensanlagen" (BT-Dr. 8/1405) und dazu die Kritik aus gesellschaftsrechtlicher Sicht von P. Ulmer / Dopter, BB 1978, 461.
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Rechtsmaterien, für die unter dem Schlagwort vom "Altern der Kodifikation" eine erweiterte richterliche Anpassungs- und damit zugleich Gestaltungsbefugnis legitimiert wird, da die maßgebenden gesetzlichen Grundlagen über das ADHGB von 1861 seit dem HGB von 1897 und den §§ 705 ff. BGB (1896) weitgehend unverändert gelten48 • Diese Auffassung geht allgemein davon aus, daß jeder Wandel in den Sozial- und Wirtschaftsstrukuren, noch mehr aber im zeitgebundenen Bereich der Wertungen, das Vorstellungsbild eines an den Werten seiner Zeit orientierten Gesetzgebers verwittern lasse, und "eine trügerische Gesetzestreue nur um den Preis von Erschleichungen und verabredeten Fiktionen" gestatte 49 • Zum Verständnis dieser These ist es erforderlich, sich das stringente Normverständnis zu vergegenwärtigen, auf dem sie fußt: Wird nämlich zugleich davon ausgegangen, daß "die Norm, d. h. das Maß und die Richtschnur, unwandelbar sein müsse"50, so versteht sich das Gesetz als eine historisch eingebundene, nur entstehungszeitlichem Verständnis zugängliche einmalige Antwort 5!. Das Altern des Gesetzes bringt es dann mit sich, daß mit diesem Gesetz die vielleicht ganz anders gearteten, neuen Bedürfnisse einer gewandelten Lebenswirklichkeit nicht mehr befriedigt werden können, so daß sich bei dieser Ausgangsbetrachtung notwendig eine Schere zwischen Gesetzeslage und Sozialentwicklung öffnen muß. Diese Überlegung trägt bei extremem Verständnis gefährlich freirechtliche Züge, weil sich danach notwendig "der Bereich der außergesetzlichen Rechtsfortbildung ... ständig erweitert"52. Ihr ist deshalb einmal entgegenzuhalten, daß das soziale Phänomen die Bewertungsmaßstäbe nicht in sich trägt 53 , die aber dann ihrerseits gefunden und angegeben werden 48 Allgemein wird dieser Gedanke w.ohl erstmals bei Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 3, 4 geäußert. Ferner Kübler, JZ 1969, 645, auf den sich das Bundesverfassungsgericht in E 34, 269, 288 beruft; R. Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 16 und besonders, in: Ansprachen, S. 13; v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 31, 43; Esser, ZfvglRw, Bd. 75 (1975), 67, 68/69; Mühl, Festschrift für R. Fischer, S. 509. Zur entgegengesetzten Vorstellung im case-law des common-law vgl. Müller-Freien/eIs, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 40: Diametraler Gegensatz zu unserem Ausgangspunkt; zum römischen Recht: Flume, Gewohnheitsrecht und römisches Recht, S. 9: Das Alter der gewohnten Regel als gewichtiges Argument für ihre Richtigkeit. 49 So Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 4 und ders., über strengere und unstrenge Verfahren der Rechtsfindung, in: Festschrift für Werner Weber, S. 421, 435 unter V. 2 a. Vgl. die Gegenposition bei Bär, Zeitgemäßes Recht, S. 16. 50 So Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 8/9. 51 Nach Reinhardt, Methoden der Rechtsfindung, S. 11/12, sind solche Auffassungen Ausdruck der historischen Rechtsschule. 52 So Wieacker, Festschrift für Werner Weber, S. 421, 435. 53 So zutreffend Esser, Grundsatz und Norm, S. 234.
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müssen. Ferner hat der BGH - wenn auch in anderem Zusammenhang - betont, daß "der Wandel der gesellschaftlichen Auffassung" allein noch kein Grund sei, einer gesetzlichen Vorschrift die Anerkennung zu versagen, hier sich vielmehr regelmäßig eine rechtspolitische und damit vom Gesetzgeber zu entscheidende Frage steIleM. Gegenüber einer undifferenzierten Berufung allein auf "das Altern der Kodifikation" wird aber auch die überzeugendere Auffassung vertreten, daß der Rahmen richterlicher Fortentwicklung entscheidend dadurch abgesteckt werde, ob es sich bei der jeweiligen gesetzlichen Regelung "um ausgereifte Lehren" handele, bei denen die jeweilige Kodifikation "die Summe der abendländischen Rechtsentwicklung bis auf ... [ihre] Zeit ziehen konnte, oder um Neubildungen, die noch nicht ausgereift und zu Ende gedacht sein konnten"55. In den Mittelpunkt der Betrachtung ist darüber hinaus weniger das Alter der Regelung zu stellen als vielmehr die Frage, ob der ihr zugrunde liegende rechtspolitische Gedanke und aus welchen Gründen er veraltet ist. Versteht man schließlich diesen Aspekt unter dem Gesichtspunkt sog. "objektiver" oder besser anwendungszeitlicher Gesetzesauslegung im Sinne des Bundesverfassungsgerichts: "Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehen bleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann. Die Norm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschafts-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muß sich unter Umständen mit ihr wandeln."56, so wird ausschließlich dem Sinn des Rechts Rechnung getragen, nicht auf eine geschichtliche Momentaufnahme festgeschrieben zu sein, sondern "über den Zeitpunkt seiner Genesis hinaus Ordnungsfunktion zu erfüllen"57. Gleichwohl ist von dem Befund auszugehen, "daß in unserer 54 BGHZ 62, 282, 285. In erster Linie ebenso Bär, Zeitgemäßes Recht, S. 8. Zur im Ganzen wohl uneinheitlichen Anpassungsrechtsprechung des BGH Zimmermann, NJW 1953, 484 und Reinicke, NJW 1952, 1153, 1155; Bertelmann, Diss., S. 94 ff. "... da insbesondere die Rechtsprechung bei der Fortbildung des Rechts an sehr viel engere Grenzen gebunden ist als der Gesetzgeber" (so Begründung zum Regierungsentwurf eines GmbHG, BRDr. 595/71, S. 81 r. Sp.), werden auch im Gesellschaftsrecht rechtspolitische Konsequenzen gezogen. So von Erlinghagen, Zur Reform unseres Gesellschaftsrechts, Festschrift für Reinhardt, S. 211. 55 So v. Caemmerer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 30. 56 BVerfGE 34, 269, 288. Ebenso G. Husserl, Recht und Zeit, S. 23 im Sinne einer "geschichtlichen Zeitstruktur der Normen des Rechts", ferner S. 26. 57 So H. H. Rupp, Vom Wandel der Grundrechte, AÖR 101 (1976), 161, 163. Vgl. auch Larenz, Festschrift für Huber, S. 291, 296: Der zeitliche Abstand zur Entstehungszeit lasse die "gegenwartsbezogene" objektiv-teleologische
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Zeit und der industriellen Gesellschaft das grundlegende Verhältnis zwischen Beständigkeit des Rechts und seiner Anpassung und Veränderung schwer gestört ist"58.
Auslegung gegenüber der historischen in den Vordergrund treten. Freilich sollte man dieses Phänomen nicht damit begründen: "Das Gesetz kann eben klüger sein, als die Väter des Gesetzes." (so aber BVerfGE 36, 342, 362), weil dies die "Vorstellungskraft und Erfahrung übersteigt" (so Bär, Zeitgemäßes Recht, S. 14; ferner A. Arndt, NJW 1963, 1276, 1279; ähnlich auch SäckeT, ZRP 1971, S. 145, 146). 5B So H. Huber, Betrachtungen über die Gesamtsituation des Rechts, ZBernJV, Bd. 106 (1970), 393, 396. Fikentscher versucht diese Diskrepanz mit dem systemübergreifenden Begriff der "Fallnorm" aufzufangen, vgl. Methoden des Rechts, Bd. 4, S. 141 f., 233 f., 268 f., 381. Vgl. ferner Rupp-v. BTÜnneck (abweichende Meinung), BVerfGE 32, 129, 139: Ohne Beständigkeit des gesetzten Rechts könne die Glaubwürdigkeit der staatlichen Ordnung in Frage gestellt sein. "Auf der anderen Seite verstärkt jedoch die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft zunehmend das Bedürfnis nach einer laufenden, schnellen Anpassung des Rechts an die gesellschaftlichen Veränderungen und wandelt damit die Bedeutung des Gesetzes, das nunmehr weniger als eine auf Dauer bestimmte, aus allgemein gültigen Regeln entnommene Ordnung des betreffenden Lebensbereichs erscheint, sondern stärker den Charakter einer auf den status quo zugeschnittenen Willensentscheidung des Gesetzgebers über den Ausgleich divergierender Interessen erhält".
B. Allgemeine Funktion und Bedeutung unbestimmter "MaJistäbe" als Begründungsform 1. Zur "Spannung ... zwischen festumrissenem Einzelrechtssatz und unbestimmter Generalklausel"l Es liegt nun nicht im Aufgabenbereich der Untersuchung in die kaum überschaubare Fülle von Äußerungen zu Funktion und Rechtfertigung von Generalklauseln einerseits und zu deren schädlicher Wirkung auf das Rechtswesen andererseits einzuführen. a) Der Wandel in der Beurteilung bei Hedemann
Aus der Literatur reicht es als Warnung und Mahnung zugleich aus, den aufschlußreichen Wandel in der Beurteilung bei Hedemann zur Kenntnis zu nehmen2 • Bald nach Inkrafttreten der großen Kodifikationen hatte er nach herber Kritik, insbesondere am BGB, darauf hingewiesen, daß die Qualität einer Kodifikation nicht zuletzt von ihrer Handhabung beeinflußt werde, dafür aber von entscheidender Bedeutung "das Maß der Bewegungsfreiheit, das den Bearbeitern des Gesetzes belassen ist"3, sei. Unter diesem Gesichtspunkt schienen ihm damals "die Auspizien glänzend zu sein"'. Daran anschließend formulierte er die berühmt gewordene Feststellung: "Jeder Praktiker weiß, daß das Los der einzelnen Paragraphen unserer Zivilrechtskodifikation ein sehr verschiedenes geworden ist. Es gibt Könige darunter, aber daneben viele, viele unbekannte Bettelleute. Ganze Hunderte von Paragraphen spielen überhaupt keine Rolle. Sie leben im Verborgenen wie der arme Mann. Sie müssen es dulden, daß einige wenige weit über sie emporragen ... Was wollen z. B. hundert Paragraphen aus einer Ecke des Erbrechts gegen die eine königliche Regel, daß alle Verträge unter das Zeichen von Treu und Glauben gestellt sind?"5. So Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 3. Vgl. auch den überblick bei Kraft, Interessenabwägung, S. 39 f. und mit rechtstheoretischer Ausrichtung - bei Garstka, Generalklauseln, S. 96 ff. Zur Entfaltung von "Treu und Glauben" nach dem Erlaß des BGB vgl. Strätz, Treu und Glauben, S. 17 ff. 3 Werden und Wachsen, S. 7. 4 Werden und Wachsen, S. 9. 5 Werden und Wachsen, S. 9/10. 1
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1. "Spannung ... zwischen Einzelrechtssatz und unbest. Generalklausel" 27 Als Grund dieser Dominanz führt er die "überraschend weite Formulierung" dieser Vorschriften an und ergänzt: "Es ist das sehr bald als ein Ruhmestitel unserer Kodifikation erkannt worden"6. Kaum 20 Jahre später bekannte sich Hedemann in seiner gleichfalls berühmt gewordenen Schrift über "Die Flucht in die Generalklauseln" zwar noch zur Urheberschaft der mittlerweile zum geflügelten Wort geadelten Kennzeichnung der Generalklauseln "als königlicher Paragraphen"7, hielt aber im übrigen die frühere überschwängliche Beurteilung seiner "jugendlichen Begeisterung" zugute 8 • Warnenden Einwänden von Praktiken gegenüber einer "Treu und Glauben-Jurisprudenz" einerseits eingedenk: Begäbe man sich erst auf diese Bahn, so käme man rasch ins Gleiten, und dann gäbe es kein Halten mehr 9 , sowie die in der Folge freilich nicht voraussehbare Ausbreitung dieser Tendenz gerade in der Rechtsprechung zu einer "wilden Hochkonjunktur des § 242 BGB" dank einer sorgfältigen und beeindruckenden Analyse vor Augen, deren übergreifen auf das Handelsrecht bei der nahen Verwandtschaft mit dem allgemeinen bürgerlichen Recht nicht wunder nehme 10 , hatten nun einen Auffassungsumschwung bewirkt. Am Ende steht die Einsicht in die Gefährlichkeit der Generalklauseln: "Sie wird durch die drei Worte Verweichlichung, Unsicherheit und Willkür gekennzeichnet" 11. 8 Werden und Wachsen, S. 10. Dieser Ansatz fand in der Freirechtsbewegung seinen Höhepunkt in der nicht weniger berühmt gewordenen Formulierung bei E. Fuchs (Justiz I 1926, S. 349): "Gut ist das BGB nur an einer einzigen Stelle, nämlich da, wo es mit seiner abstrakten Kasuistik Halt macht und lediglich einen Wegweiser hinstellt. Er trägt die Aufschrift: Eingang zum freien Rechtsmeer der Verkehrsbedürfnisse. Es ist der § 242 BGB. Dieser ,königliche' Paragraph ... erwies sich in der Folge als der archimedische Punkt, von dem aus die alte juristische Welt aus den Angeln gehoben wurde." Dazu Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 11. Zum Gemeinsamen und Trennenden dieser Gedanken im Verhältnis zur Interessenjurisprudenz vgl. zuletzt F. v. Hippel, Die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz, in: Festschrift für R. Reinhardt, S. 83, 93. 7 Die Flucht in die Generalklauseln, S. 6. Vgl. auch die zitatlose Wiedergabe bei Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung, S. 8. 8 Die Flucht in die Generalklauseln, S. 10. g Die Flucht in die Generalklauseln, S. 10, 76. 10 Die Flucht in die Generalklauseln, S. 12 u. 21. Zustimmend Hattenhauer, Zwischen Hierarchie und Demokratie, S. 231 Rdnr. 563 f. 11 Die Flucht in die Generalklauseln, S. 66. Dazu auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 214/5. Nach Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 9, sind diese Gefahren auch heute keineswegs gebannt. Hedemann hat freilich auch die Leistungen der Generalklauseln nicht verschwiegen (Die Flucht in die Generalklauseln, S. 60 f.). Die "weise Selbstbeschränkung" des Gesetzgebers, die den Richter aber nicht zur willkürlichen oder gefühlsmäßigen Entscheidung ermächtige, hebt Kraft, Interessenabwägung, S. 41/42, hervor. Zur rechtspolitischen Funktion auch Garstka, Generalklauseln, S. 120 f. Zum abermaligen Wandel bei Hedemann vgl. Elsener, Festschrift der Tübinger Juristenfakultät, S. 47 ff.
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung b) Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg
Ebenso wie nach dem Ersten Weltkrieg 12 so wurde dessen ungeachtet auch nach dem Zweiten Weltkrieg den "Generalklauseln im Neuaufbau des Deutschen Rechts"13 von seiten der Rechtsprechung, aus der jeweiligen Notsituation heraus, eine sogar über die Augenblicksbedürfnisse hinausreichende Bedeutung beigemessen14 • Auch war nach dem Zweiten Weltkrieg "in der Rechtsprechung des BGH eine zunehmende Hinwendung zur naturrechtlichen Betrachtungsweise unverkennbar" 15. Diese wegen der jeweils überaus ungünstigen und krisenhaften Ausgangssituationen durchaus verständlichen Erscheinungen ließen sich in der Folge freilich nicht schlagartig abstreifen, sondern prägten vielmehr und wirken auf diese Weise nach. Als "Problem der Gegenwart" bezeichnet es deshalb Hattenhauer ganz allgemein, "daß im Privatrecht, und zwar in der Gesetzgebung ebenso wie in der Judikatur, eine durch die Nachkriegszeit bedingte und damals gerechtfertigte Neigung zum üppigen Gebrauch von Billigkeitsargumenten auch in Zeiten sozialer Stabilisierung festzustellen ist"16. Diederichsen stellt zwar im bereits erwähnten Rückblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes lobend fest, die großzügig gehandhabte Befugnis zur Rechtsfortbildung 16a habe den Rechtsstoff neu strukturiert, bereichert und vertieft. 12 Vgl. nur F. Neumann, Die politische und soziale Bedeutung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung: "Die Nachkriegszeit, die die Rechtsprechung vor völlig neue Probleme stellte, hat mit der dogmatischen Jurisprudenz fast völlig gebrochen ... Das rechtliche Mittel, mit dem die Rechtsprechung den freiheitlichen Gedanken Eingang verschaffte, war der berühmte oder berüchtigte § 242 BGB, der bestimmt, daß der Schuldner seine Leistungen so zu bewirken habe, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dieser § 242 BGB ist nun in der Nachkriegszeit in den Mittelpunkt der Rechtsprechung geruckt. Mit Hilfe dieser Gesetzesstelle beseitigt die Rechtsprechung Rechtsinstitute, hebt sie die klare Gesetzesbestimmungen auf" (S. 117). Ebenso E. Wal!, DB 1971, 1863; ferner ausführlich Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 24 ff. insbesondere S. 48 ff. Vgl. auch v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 23/24 dazu, daß mit dieser Rechtsprechung die Wurzeln gelegt wurden. 13 So der Titel des Aufsatzes von Koehler, SJZ 1946, 165. 14 Koehler, SJZ 1946, 165, 166; ferner Jagusch, SJZ 1947, 296. A. A. schon Kisch, 50 Jahre BGB, NJW 1950, 1,2. 15 So Weinkauf!, NJW 1960, 1689, 1691; als Programm schon ders., NJW 1950, 816, 817. Dazu ferner Fischer, Die Rechtsprechung des BGH, S. 9 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 531, 606 ff.; F. Kübler, AcP 162 (1963), 104, 121 f. und umfassend Lin, Diss. Heidelberg, 1977. Zur Gegenposition eindrucksvoll Rietzler, Der totgesagte Positivismus, Festschrift für F. Schulz, 2. Bd., S. 330 ff.; ferner H. J. Hirsch, JZ 1966, 334. Vgl. auch die Auseinandersetzung zwischen Franssen, JZ 1969, 766 und Weinkauf!, JZ 1970, 54. 18 Die Kritik des Zivilurteils, S. 111, Rdnr. 236. 16a Diese Aufgabe wurde bereits bei der Eröffnung des Gerichts von WeinkaUf!, NJW 1950, 816 hervorgehoben.
2. Die Begründungselemente
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Er verbindet dies allerdings mit dem bedenkenswerten Hinweis, eben diese großzügig gehandhabte Befugnis habe bisweilen auch die Rechtsicherheit in Frage gestellt "durch einen allzu lebhaften Rekurs auf Treu und Glauben"17. Aber auch die gegenläufige Kritik aus Richtermund am "Ausweichen der gesetzgeberischen Organe vor klaren Entsagender Generalklauseln"18 darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Die Untersuchung geht anhand von ausgewählten Entscheidungen des II. Zivil senats zum Recht der Personalgesellschaften exemplarisch dieser Erscheinung nach, die durch die im geltenden Recht angelegte Spannung zwischen dem Nebeneinander von fest umrissenem Einzelrechtssatz und unbestimmter Generalklausel gebildet wird; denn auch auf diesem Rechtsgebiet ist bisweilen die gekennzeichnete Neigung zum Gebrauch unbestimmter Begründungselemente festzustellen. In pathetischer Formulierung hatte schon Hedemann diesen Untersuchungsgegenstand gerechtfertigt: "Denn diese Frage ist - geschichtlich gesehen - wahrscheinlich die wichtigste Frage, die es überhaupt für den Juristen des 20. Jahrhunderts gibt"19.
2. Die Begründungselemente aus den zu untersuchenden Entscheidungen Die Aufgabe der Untersuchung besteht also darin, die ausgewählten Entscheidungen des 11. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes zum Recht der handelsrechtlichen Personalgesellschaften, im wesentlichen also zum Recht der OHG (§§ 105 ff. HGB) und der KG (§§ 161 ff.; 105 ff. HGB), auf ein bestimmtes Element in der Entscheidungsbegründung hin zu analysieren. Wie einleitend schon erwähnt, bereitet eine verallNJW 1975, 1801. So Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 22. Dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 541. 19 Die Flucht in die Generalklausel, S. 3. Als zeitloses, dann freilich in rechtsphilosophischer Fragestellung, kehrt das Problem in der dialektischen Entfaltung der Rechtsidee in Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit (Billigkeit) wieder (dazu unten B. 3. d). Vgl. nur Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, § 33 (S. 419 ff.). Auf verfassungsrechtlicher Ebene wird es im Begriff des Rechtsstaates (Art. 20 Abs.3 GG) aufgefangen. Vgl. BVerfGE 35, 41, 47: "Zur Rechtsstaatlichkeit gehört nicht nur die materielle Gerechtigkeit, sondern auch die Rechtssicherheit. Das Prinzip der Rechtssicherheit liegt mit der Forderung nach materieller Gerechtigkeit häufig in Widerstreit. Es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers, einen solchen Widerstreit bald nach der Seite der Rechtssicherheit, bald nach der anderen Seite der materiellen Gerechtigkeit hin zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so kann die gesetzgeberische Entscheidung aus Verfassungsgründen nicht beanstandet werden." Vgl. auch die übersicht des Schrifttums in der abw. Meinung bei v. Schlabrendorjf, S. 51, 53 ff., der sich gegen diese von ihm sog. "pluralistische These" wendet. 17
18
B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
30
gemeinernde und zugleich aber auch eingrenzende Umschreibung des ausschließlich ins Auge gefaßten Begründungselementes nicht geringe Schwierigkeiten, weil es für die herangezogenen "Maßstäbe" charakteristisch ist, definitorischer Klarheit und Einheitlichkeit zu entbehren. Allgemein läßt sich wohl aber formulieren, daß solche Bausteine der Entscheidungsbegründungen gemeint sind, die nicht auf fixierte gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Tatbestände Bezug nehmen, sondern stattdessen auf generalklauselartige Wendungen wie "Treu und Glauben", die "Treuepflicht" oder allgemeinste Postulate wie "die Gerechtigkeit" zurückgreifen. a) Die Formulierungen in den Entscheidungen
Der Verdeutlichung dieser Umschreibung dient, wenn man sich die entsprechenden Formulierungen in den ausgewählten Entscheidungen vergegenwärtigt: - So heißt es im Urteil vom 22.11. 1956 - 11 ZR 222/55 _20 zur Ausgleichspflicht des allein in die Mitgliedschaft des Erblassers nachfolgenden Miterbengesellschafters gegenber den "weichenden" Erben: "Dieser enge Zusammenhang [sc. zwischen dem "Vollerwerb" der Mitgliedschaft in der Gesellschaft durch den nachfolgeberechtigten Miterben einerseits und dem Ausschluß von Abfindungsansprüchen gegen die Gesellschaft zu Lasten der "weichenden" Miterben andererseits] kann unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auf das Verhältnis unter den Miterben nicht ohne Einfluß bleiben". - Im Urteil vom 27.6.1957 - 11 ZR 15/56 _21 hält der Bundesgerichtshof eine Einschränkung der Einzelklagebefugnis eines Gesellschafters (sog. actio pro socio) für möglich, "wenn sich in einem besonderen Fall die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches durch einen einzelnen Gesellschafter gerade unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Gesellschaft als eine mißbräuchliche Rechtsausübung darstellt" . - Schließlich begründet der 11. Zivilsenat im Urteil vom 2. 7. 196211 ZR 204/60 _22 sein Entscheidungsergebnis, daß ein Gesellschafter einer ORG, der von einem Gläubiger wegen einer Gesellschaftsschuld erfolgreich gern. § 128 S. 1 RGB in Anspruch genommen wird, von einem Mitgesellschafter auch schon vor Eintritt der Gesellschaft in das Liquidationsstadium einen Ausgleich verlangen kann, schlicht mit den Worten: "Vielmehr erfordert die Gerechtigkeit, daß jeder seiner Mit20 21
22
BGHZ 22, 186, 197; dazu unten D. I. BGHZ 25, 47, 50; dazu unten D. 11. BGHZ 37, 301, 302; dazu unten D. IH.
2. Die Begründungselemente
31
gesellschafter den Teil des verauslagten Betrages zu erstatten hat, der nach dem Gesellschaftsvertrag auf die einzelnen Gesellschafter ent-
fällt" .
b) Keine "Präzisierung" des § 242 BGB
Diese Formulierungen verdeutlichen - und dies wird durch die eingehendere Untersuchung bestätigt werden - , daß nicht davon ausgegangen werden kann, es handele sich um Anwendungsbeispiele jener Fallgruppen aus der Rechtsprechung, die im allgemeinen Zivilrecht bei § 242 BGB angesiedelt werden und für die Wieacker den Versuch einer "rechtstheoretischen Präzisierung" unternommen hat 23 • Das Verdienst dieser Untersuchung Wieackers besteht in erster Linie darin, die in der forensischen Praxis auffindbaren Maximen richterlicher Entscheidungskunst bei der Handhabung des § 242 BGB auf die nach seiner Ansicht praktisch unbestrittenen Elementarsätze des gerechten Handeins zurückgeführt zu haben 24 . Auf diese Weise gelingt es, "vagabundierende Elemente der Rechtsgestaltung"25 tatbestandlich zu verfestigen. Obwohl auch Wieacker als Grundproblem einer Generalklausel wie § 242 BGB "das Verhältnis des Richters zum geschriebenen Recht" ansieht, dient ihm aber gerade "das Verhältnis der Rechtsanwendung nach § 242 zu den sonstigen gesetzlichen Regelungen" allein als Gliederungsschema. Kritische Fragen nach dem Umfang des durch § 242 BGB - nach dem ursprünglichen Gesetzesplan - eingeräumten Spielraums26 und einer darüber etwa hinausreichenden Legitimationskraft werden nicht gestellt. Allem Anschein nach wird allein schon der Tatsache des vorgefundenen Materials Legitimationskraft beigemessen27 . Deshalb führt die Untersuchung hinsichtlich der Grundlagen nicht über eine eher unkritische Systematisierung hinaus 28 . 23 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB. 24 So Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 19. 25 Formulierung von Esser, Billigkeit und Billigkeitsrechtsprechung im modernen Privatrecht, in: Summum ius summa iniuria, S. 22, 23 zur "Billigkeit". 26 Vgl. dazu E. Wolf, DB 1971, 1863; ferner Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 50, der unter Bezug auf die Gesetzesmaterialien nachweist, daß der historische Gesetzgeber die Funktion, die die Rechtsprechung dem § 242 BGB zuerkennt, "nicht einmal in vagen Umrissen vorausgesehen hat und legalisieren wollte". Ebenso schon Esser, JZ 1956, 555, 557 und Kriele, Festschrift für J. Ritter, S. 99, 107, der ausführt, man habe aus § 242 BGB ungefähr das Gegenteil dessen, was er ausspricht, hergeleitet. 27 Vgl. die Kritik bei Esser, JZ 1956, 555, 556/7: Sympathien des Historikers. 28 In "Gesetz und Richterkunst" rechnet Wieacker die "Präzisierungen" dann bereits zu den Bestandteilen der "außergesetzlichen Rechtsordnung" (S. 8, 13). Daher ist die Kritik bei Esser, JZ 1956, 555 berechtigt, die Sicht Wieackers beschönige oder verkleinere die für unsere Situation bezeichnende Gefahr des § 242: das überhandnehmen des richterlichen Interventionismus, ferner S. 557. Vgl. auch die Kritik bei R. Fischer, Die Rechtsprechung des BGH, S. 17, dem Richter werde auf diese Weise "kein Bewertungsmaßstab an die Hand gegeben". Dieser ragt vielmehr nach Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung, S. 110 in den Raum des rational nicht mehr Erfaßbaren und Aussagbaren hinein, in den Bereich der "Richterkunst" , des Allgemein-Menschlichen.
32
B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
Den von Wieacker unterschiedenen "drei Funktionsschichten des § 242 BGB"2Q: - Konkretisierung des Gesetzesplanes30 , - Entscheidungen praeter legem31 , - und schließlich solchen contra legem32 kommt daher kein heuristischer Wert zu. Bündig konstatiert Wieacker wenig später seine "Inversionsmethode" bei Anwendung des § 242 BGB mit den Worten, "daß dessen Funktionen bei der richterlichen Konfliktentscheidung sich überhaupt erst aus der Bezugnahme auf im BGB weder formulierte noch angedeutete Grundsätze, Bewertungskriterien und Institutionen erschließen ließen"33. Die Auswahl der hier herangezogenen Entscheidungen orientiert sich vielmehr an der Frage, ob mit den wiedergegebenen Maßstäben eine spezijisch-gesellschajtsrechtliche Fragestellung erfaßt wird. Dies geschieht nicht zuletzt deshalb, weil die Auswirkungen einer bestimmten Rechtsprechungsmethode nur deutlich gemacht werden können, wenn man - wenn auch nur exemplarisch - solche Probleme aufgreift, die gerade für ein bestimmtes Rechtsgebiet kennzeichnend sind. Ob den angeführten Begründungsmaßstäben dabei die Funktion zukommt, die Wieacker dem § 242 BGB in den Fällen der freien Aufwertungsrechtsprechung des RG und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage einräumt, muß erst die Untersuchung ergeben. Da die Anwendung des § 242 BGB in diesen beiden genannten Fällen jede Beziehung zu dem systematischen und institutionellen Zusammenhang, den § 242 in der geschriebenen Rechtsordnung habe, zunächst einmal vermissen lasse, gelangt Wieacker zu der Folgerung: ,,§ 242 ist in dieser Funktion nur eine Geburtshilfe, grober könnte man sagen: eine Eselsbrücke der richterlichen Rechtsschöpfung" 34 • 29 Diese hat Wieacker im Anschluß an die Typenreihe von Siebert im Soergelschen Kommentar gebildet. Vgl. nun die Fallgruppenbildung bei Soergel / Siebert / Knopp, § 242 BGB und zuletzt die vorbildliche übersicht bei Lüderitz, StudK BGB, § 242. 30 Dazu zählt Wieacker, S. 22 f.: das Wie der Leistung, vertragliche Nebenpflichten und Schutzpflichten (positive Forderungsverletzung). 31 Hier ordnet Wieacker, S. 26 f. die exceptio doli als Unzulässigkeit eines gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhaltens ein, ausgedrückt in den Sätzen a) venire contra factum proprium, b) dolo agit qui petit quod statim redditurus est, c) tu quoque (unredlicher Rechtserwerb), d) inciviliter agere ("Rücksichtslose Rechtsverfolgung"). Vgl. auch die Einordnung eines Teiles der Fälle bei § 138 Abs. 1 BGB durch Coing, NJW 1947/48, 213, 215. 32 Hier nennt Wieacker, S. 36 die freie Aufwertungsrechtsprechung und den Wegfall der Geschäftsgrundlage. 33 JZ 1957,701,702. 34 Zur rechtstheoretischen Präzisierung, S. 42/43 und klarstellend in Fn. 94, daß damit nicht das Wort zu freier Handhabung geredet werde, sondern im Gegenteil von einer vorschnellen richterlichen Rechtsneuschöpfung abgeraten werde. Offen bleibt allerdings abermals, wo die Grenzen verlaufen.
2. Die Begrundungselemente
33
c) "Treu und Glauben-Jurisprudenz"
Damit soll freilich nicht der offenkundig falsche Eindruck erweckt werden, die Grundsätze der zu § 242 BGB allgemein ausgebildeten "außergesetzlichen Rechtsordnung" fänden auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts keine Anwendung. Vielmehr liegt es einmal gerade in der Konsequenz einer zur "Treu und Glauben-Jurisprudenz" neigenden Rechtsprechung, auch lege artis aus dem Gesetz begründete Entscheidungen im Ergebnis mit einem Schlenker unter Hinweis auf Treu und Glauben, die gesellschafterliche Treuepflicht oder auch nur die Billigkeit abzurunden 35 • Als unschädlich mag dies beurteilt werden, sofern auf diese Weise die Überzeugungskraft des ausgesprochenen Entscheidungsergebnisses gestärkt und so durch eine Emotionalisierung der Urteilsspruch auch den juristisch nicht geschulten Prozeßparteien oder einer weiteren Öffentlichkeit näher gebracht werden kann. Ob freilich solche Überlegungen bei revisionsrichterlichen Entscheidungen angemessen sind, muß bezweifelt werden. Eine zusätzliche Überzeugungskraft kommt auch der Revisionsentscheidung dann zu, wenn sie mit der Vorinstanz übereinstimmt. Weicht sie aber von dem Urteil des Berufungsgerichts ab, wirkt das absichernde "Treu und Glauben"-Argument als unnötig herbe Kritik an dem Instanzgericht, mit seiner Entscheidung nicht nur im Widerstreit mit dem Gesetz zu liegen (§§ 549, 550 ZPO), sondern nicht einmal den allgemeinen und einsichtigen Anforderungen des common sense zu genügen. d) Klassische "Anwendungsfelder" des § 242 BGB
Auch zu den klassischen "Anwendungsfeldern" des § 242 BGB findet sich gerade aus jüngster Zeit in der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung reichhaltiges Anschauungsmaterial. So hat z. B. der II. Zivilsenat in einer aufsehenerregenden Entscheidung die zwanzig Jahre zuvor von demselben Senat entwickelte und heute als "große" Rechtsprechung gewürdigte Judikatur 36 , Allgemeine Geschäftsbedingungen und Formularverträge nicht nur am Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) zu überprüfen, sondern darüber hinaus auch "an die Grundsätze des § 242 BGB anzuknüpfen"37, auch auf Gesellschaftsver35 Vgl. dazu RittneT, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters im heutigen Recht, S. 21, 47 f.; HattenhaueT, ZRP 1978, 83, 85. Vgl. auch BGH, WM 1976, 809, 810: Einwand unzulässiger Rechtsausübung eines ausgeschiedenen, in Anspruch genommenen Gesellschafters; BGH, WM 1974, 253, 254: unzulässiges widersprüchliches Verhalten beim Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot einer personenidentischen Gesellschaft. Vgl. auc:h "Zur Anwendung der Generalklausel von Treu und Glauben" in der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung Mühl, Festschrift für R. Fischer, S. 509, 527. 36 So v. CaemmeTeT, in: Ansprachen, S. 21, 25/6. 37 So BGHZ 22, 90, 97 mit Anm. FischeT, LM Nr. 1 zu Allgemeine Ge-
3 Häuser
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
träge sogenannter Publikums-Kommanditgesellschaften erstreckt38 . Ebenso wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen, die nicht zwischen den Parteien ausgehandelt werden, bestehe "auch bei Gesellschaftsverträgen der hier vorliegenden Art zum Schutz der Anlagegesellschafter ein Bedürfnis, dem unter solchen Umständen leicht möglichen Mißbrauch der Vertragsfreiheit mit Hilfe einer an den Maßstäben von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgerichteten Inhaltskontrolle durch die Gerichte zu begegnen"39. Da Gesellschaftsverträge normalerweise darauf angelegt sind, die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter auf lange Sicht zu regeln, geraten nicht selten im Laufe der Zeit die Regelungsintentionen der Gesellschafter und die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse in Konflikt zueinander. In solchen Fällen kann auch im Gesellschaftsrecht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsschäftsbedingungen, als Ausgangspunkt in der Rechtsprechung des BGH. Vgl. dazu Fischer, BB 1957,480,485, aber auch schon RG, DR 1941, 1726 mit Anm. Herschel. Zur Kritik: Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, § 37, 2 (S. 671): Damit sei "konkret nichts gesagt"; ferner L. Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in: Summum ius summa iniuria, S. 145, 162 Fn. 44: Das Allheilmittel des § 242 bildet dafür nicht die geeignete Grundlage. 38 BGHZ 64, 238 f. Daran ändert auch das AGB-Gesetz nichts, da es u. a. keine Anwendung findet "bei Verträgen auf dem Gebiet des ... Gesellschaftsrechts" (§ 23 Abs. 1 AGB-Gesetz). Vgl. dazu Ulmer, in: Ulmer / Brandner / Hensen, Komm. z. AGB-Gesetz, § 23 Rdnr. 28. Auf derselben Linie liegt BGH, Urt. v. 4.3.1976 - 11 ZR 178/74 - , BB 1976, 526, 527: Bei Massengesellschaften müßten Gescbäftsführervergütungen "in dem schriftlich festgelegten Gesellschaftsvertrag oder in einem ordnungsgemäß zustande gekommenen und protokollierten Gesellschafterbeschluß aufgenommen werden ... Anderenfalls die entsprechenden Vereinbarungen und die zu ihrer Ausführung vorgenommenen Rechtshandlungen unwirksam sind". 39 So BGHZ 64, 241 im Anschluß an R. Fischer, DRiZ 1974, 209, 213 und deutlicher ders., in: Festschrift für Barz, S. 33, 38 f.; ferner Wiedemann, Festschrift f. H. Westermann, S. 585, 591 und schon Martens, DB 1973, 413, 418 f. Vgl. auch BGH, DB 1980, 1114, 1115. Unter dem Gesichtspunkt der "Eingrenzung der Vertragsfreiheit" hat auf entsprechende Parallelen auch Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 2/3, 109 ff. hingewiesen. Der Entscheidung stimmen im wesentlichen zu: Wiedemann, BB 1975, 1591, 1597 "Begrüßenswertes Grundsatzurteil"; H. P. Westermann, AcP 175 (1975), S. 408 f.; Schulte, ZGR 1976, 97 ff.; ferner ausführlich Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 1; Stimpel, Festschrift für R. Fischer, S. 771, 772 f.; kritisch demgegenüber Kraft, Festschrift für R. Fischer, S. 321, 331 f.; Michalski, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, S. 43 ff. Vgl. aber die kritische Analyse von Martens, Allgemeine Gesellschaftsvertragsbedingungen auf dem Prüfstand der Privatautonomie, JZ 1976, 511 ff., der auf "tiefgreifende Unterschiede von AGB und allgemeinen Gesellschaftsvertragsbedingungen hinweist", eine Inhaltskontrolle nach AGB-Muster für wenig effektiv hält (S. 514) und statt dessen eine Intensivierung der Verhaltens- und Rechtmäßigkeitskontrolle, eine Aktualisierung individueller Entscheidungsbefugnisse und schließlich - systemübergreifend - Regelungsformen öffentlich-rechtlicher Art vorschlägt. Die Untergerichte haben die BGH-Rechtsprechung bereits übernommen, vgl. LG München 11, DB 1977,443 f.; KG, DB 1978, 1922.
2. Die Begründungselemente
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grundlage eine Ergänzung oder Änderung des Gesellschaftsvertrages verlangt werden, "wenn Umfang und Inhalt der aus dem Vertrag sich ergebenden Rechte und Pflichten der Parteien nach dem inneren Sinn und Zweck des Rechtsgeschäfts unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gern. § 242 BGB eine Anpassung an die wirkliche Sachlage erfordern; dabei dürfen nur solche Eingriffe vorgenommen werden, die unumgänglich notwendig erscheinen, um ein mit Treu und Glauben zu vereinbarendes Ergebnis zu erzielen"40. Erst jüngst hat ferner der 11. Zivilsenat seine Rechtsprechung bestätigt, daß bei rechtsgeschäftlicher Umwandlung einer OHG in eine KG durch Beitritt einer Komplementär-GmbH und Änderung der bisherigen Mitgliedschaften in Kommanditbeteiligungen die bisherigen Gesellschafter von einem Gläubiger der KG entgegen § 15 Abs. 2 HGB unbeschränkt in Anspruch genommen werden können: "Unter Umständen setzen sich die Beklagten in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie sich auf den Wegfall ihrer unbeschränkten Haftung und das Handelsregister berufen"41. Diese kursorische Aufzählung soll mit dem Hinweis enden, daß auch im Gesellschaftsrecht die klassische Frage nach der Einschränkung der Nichtigkeitsfolge aus § 125 S. 2 BGB durch § 242 BGB gestellt wird 42 . 40 BGH, Urt. v. 18.3. 1974 II ZR 80/72 - , NJW 1974, 1656, 1657 = WM 1974, 831 (ausführlich). Vgl. auch das Berufungsurteil: OLG Bremen, NJW 1972, 1952. Die Entscheidung hat Reuter, ZGR 1976, 88 f. zum "Anlaß zu einer
grundsätzlichen Diskussion der Lehre von der Geschäftsgrundlage im Gesellschaftsrecht" genommen. Noch allgemeiner betrachtet die Problematik H. P. Westermann, Die Anpassung von Gesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, Festschrift f. Hefermehl, S. 225 ff., zur erwähnten Entscheidung S. 237. Umfassend jetzt Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände. Vgl. zur allgemeinen Kritik Flume, Allgemeiner Teil des BGB, § 26, 3 (S. 50): "In Wirklichkeit ist jedoch mit dem Hinweis auf Treu und Glauben nichts gewonnen". Esser, Vorwort, zu: Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters, S. 9 meint, die Natur dieses Rechtsinstituts lasse es einfach nicht zu, die "EierschaIen des § 242 BGB" abzulegen. 41 So BGH, LM Nr. 4 zu § 15 HGB mit Anm. K. Schmidt, GmbH-Rdsch., 1972, 237; dazu ferner Stimpel, ZGR 1973, 73, 89 f.; schon H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 265: Die Berufung auf die Haftungsbeschränkung könne als ein venire contra factum proprium und damit als rechtsmißbräuchlich erscheinen. Bestätigt erneut durch BGH, DB 1976, 2350 und DB 1978, 78. 42 So zuletzt BGH, BB 1976, 527, 528. Kritisch zu § 242 BGB: Merz, AcP 163, S. 305, 328; Flume, § 15 III, 4 a, aa (S. 277): "Wenn man sich darauf beschränkt, die Nichtigkeitsnorm des § 125 dem Grundsatz von Treu und Glauben zu unterwerfen, verzichtet man darauf, das Problem der Begrenzung der Wirkung der Nichtigkeitsvorschrift in einer rechtlichen Normierung zu lösen .... Der Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben ist für
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung a) Kritik an der Begründungsform
Gegenüber solchen Begründungen, wie sie hier untersucht werden sollen (vgl. o. B. 1. a), werden in der Literatur vielfältige Einwendungen erhoben. Esser kritisiert in plastischer Formulierung: "Der Spruch bleibt gesetzesmüdes Unikum, wenn das Gericht über die ad-hoc-Argumente der ,sozialen Gerechtigkeit' oder der ,Billigkeit' hinaus nicht den ,Grundgedanken', d. h. die Regel aufzeigen könnte, welche in der positiven Systematik schon irgendwo Anerkennung gefunden hat"43. Andererseits schreckt er aber auch an anderer Stelle nicht vor dem Rat an den Richter zurück, er solle "lieber mit Hilfe allgemeinster, undifferenzierter Treu- Glauben-Einreden das Schlimmste verhüten, als daß er neue, sperrige dogmatische Festlegungen seinem Urteil verbindlich zugrunde" legt 44 . Andere warnen vor der damit aufziehenden Gefahr, daß die Gerichte - im Gegensatz zu rationaler Argumentation - sich "in einem unkontrollierbaren subjektiven Meinen" verlieren45 und geben der Befürchtung Ausdruck, "daß die Entscheidungen aus den eigenen Wertvorstellungen des Richters gespeist sein könnten"46. Auf das Thema bezogen werden aus rechts theoretischer Sicht solche Befürchtungen bestätigt durch die Untersuchung Scheuerles über "Finale Subsumtionen", die er im Untertitel als "Tricks und Schleichwege in der Rechtsanwendung" kennzeichnet47 . Ausgehend von einer "emotionalen Theorie der richterlichen Rechtsanwendung" , die er durch die Aufgabe des Richters bestätigt findet, sieht Scheuerle das rechtsanwendende Denken beherrscht von finalen Subsumtionen, deren Kennzeichen im Gegensatz zu sog. kausalen Subsumtionen es ist, daß "das Entscheidungsergebnis die zu vollziehende Subsumtion bestimmt"48. Damit treten die emotionalen richterlichen Zielvorstellungen den Richter in Wirklichkeit keine Hilfe. Daß die rechtliche Entscheidung dem Grundsatz von Treu und Glauben entsprechen muß, versteht sich von selbst" . 43 Esser, Grundsatz und Norm, S. 243. 44 Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S. 19. 45 So Müller-Freien/els, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 42/43. 46 Vgl. v. Caemmerer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 42. 47 AcP 167 (1967), 305 ff. 48 AcP 167 (1967), 305, 308, 315, 344. A. A. Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S. 4. Vgl. auch die z. Tl. scharfe Kritik bei Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 65 f., der insbesondere die Gegenüberstellung von "kausaler" und "finaler" Subsumtion rügt. Dabei wendet er sich gegen die Vorstellung "finaler" Subsumtionen, weil "der sogenannte volitive übergriff in dieser pointierenden Absicht der Gesetzesverdrehung oder der Normverfälschung keineswegs einen eigenen
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
37
in den Vordergrund 49 , deren VeI.virklichung in Konflikt geraten kann mit dem rechtlichen Können. Dabei wird in kognitiver Prüfung gefragt, ob die begehrte Entscheidung auch dem geltenden Recht entspricht50 • Während in der Regel diese Prüfung der endgültigen richterlichen Willensentscheidung vorausgeht, wächst sich diese Frage zum "Dilemma des rechtlichen Könnens" aus, wenn der Richter die Willensentscheidung bereits getroffen hat, bevor die Frage des kognitiven Könnens beantwortet ist 51 • Hinzu kommt, daß das begehrte Entscheidungsergebnis und die kognitive Entscheidungsbegründung in einer eigenartigen Beziehung zueinanderstehen; denn ist das Ziel einer Entscheidung begehrt, so ist es auch das zu ihr hinführende Mittel, die (geeignete) Subsumtion. Daraus folgt als Eigenart finaler Subsumtion eine "Einwirkung des Wollens (des Zieles) auf das Können (der Subsumtion)", mit der Folge, daß bei vielen finalen Subsumtionen die kognitive Richtigkeit überdeckt wird 52 . Als "rechtslogische Methoden der Milderung des Dilemmas finaler Subsumtiun" bietet nu~ nach Ansicht ScheuerIes das Gesetz selbst ein landläufiges Mittel zur Vermeidung der Antinomie in Gestalt der Generalklausel. "Ihre Anwendung gestattet den kognitiven Akten, sich den emotionalen Zielen anzupassen"53. In diesem Fall entscheiden also nicht die kognitiven Akte über das rechtliche Können der begehrten Willensentscheidung. "Die letzteren sind damit erreichbar unter der Devise: (finales) Subsumieren leicht gemacht! Das Dilemma des Könnens ist vermieden, soweit die GeneralklauseI reicht. Meist läßt sie nichts zu wünschen übrig ... Wenn das Gesetz selber keine Generalklausel zur Verfügung stellt, kann sie erfunden ... werden"54. b) Richtermeinung
Die ins Auge gefaßte Untersuchung kann sich nun keineswegs darauf ausrichten, bestimmte Absichten des 11. Zivilsenats des BGH aufzuTypus des Subsumtionsaktes darstellt, sondern ein im Extremfall unkorrekt wertenden allgemeinen Vorgriff auf die syllogistische Vernunft. Eine ,kausale Subsumtion' mit scheinbar uninteressierter ,Wirkung' gibt es schlechterdings nur bei völligem Mißverständnis der richterlichen Verantwortung". 49 Vgl. die Zusammenstellung möglicher richterlicher Zielvorstellungen bei Scheuerle, AcP 167 (1967), 305, 317 ff. 50 AcP 167 (1967), 305, 316. 51 AcP 167 (1967), 305, 316. 52 AcP 167 (1967), 305, 326; dazu schon Scheuerle, Rechtsanwendung, § 66, S. 234 ff. A. A. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 69 und oben Fn.48. 53
AcP 167 (1967), 305, 345; vgl. schon Scheuerle, Rechtsanwendung, § 66,
S. 237 f.
54 So Scheuerle, AcP 167 (1967), 305 ff., 345/6 und schon ders., Rechtsanwendung, § 66, S. 238: Mit der Flucht in die Generalklauseln werde "der kognitive Rigor der derivativen Akte weitgehend vermieden".
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
decken. Im Vordergrund steht allein die Sinninterpretation und die kritische Würdigung des gekennzeichneten Elementes aus den Entscheidungsbegründungen. "Sie richtet sich nicht ad personam, sondern ad rem"55. Freilich erscheint es sinnvoll und zum Verständnis ratsam, die veröffentlichten Selbstbeurteilungen beteiligter Richter - sowohl was die allgemeine Tendenz anbelangt als auch soweit die einzelne Entscheidung betroffen ist -, zur Kenntnis zu nehmen und bei der kritischen Beurteilung mit zu berücksichtigen56 . Im Ergebnis ist aber gleichwohl weniger darauf zu achten, "was dieser über sein Tun sagt, als vielmehr darauf, wie es tatsächlich beschaffen ist"57. Es kann an dieser Stelle auch nicht darum gehen, richterliche Auffassungen über "Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" , wie sie sich "im Spiegel richterlicher Erfahrung" darstellen58 , wiederzugeben. Einmal sind die Aufassungen aus der jeweiligen Erfahrung des Richters zwar anschaulich, aber doch allzu individuell geprägt. Ferner gehen psychologische Gesichtspunkte und methodische Erwägungen vielfältig ineinander über, so wie es eben die Praxis richterlicher Rechtsanwendung mit sich zu bringen scheint. Weil die Fakten im einzelnen zu kompliziert sind, kann das geltende Recht die psychologische Genesis eines Rechtsanwendungsaktes nicht zum Gegenstand seiner rechtlichen Wertung machen 59 . Hier soll vielmehr das Augenmerk in erster Linie darauf gerichtet werden, ob Hedemanns Beurteilung auch heute noch zutrifft, wenn er meinte: "Der Richter muß doch notwendigerweise, wenn er ernsthaft sich selber prüft, ein drückendes Gefühl der inneren Unsicherheit empfinden bei solchem unheimlich zunehmendem Arbeiten mit schwankendeni Maßstäben"60. 55 So Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, S. 12; zu diesem Problem auch Ramm, JZ 1966, 214, 222. 56 So auch Schulte, Festschrift für H. Westermann, S. 525, 529. 57 So Ströker, Einführung in die Wissenschaftstheorie, S. 7 vom Standpunkt der allgemeinen Wissenschaftstheorie aus. Schulte, Festschrift für H. Westermann, S. 525, 529 sieht eine wesentliche Schwierigkeit darin, daß "die Rechtsprechung aus guten Gründen ihr eigenes methodisches Vorgehen nicht zu erörtern pflegt". 58 So der Titel des aufschlußreichen Berichtes von Heusinger, der "die emotionale Theorie der richterlichen Rechtsanwendung" , wie sie Scheuerle, AcP 167 (1967), 305, 315 beschreibt, anschaulich bestätigt: "Rechtsprechung ist nicht so sehr ein logisches Glasperlenspiel, als vielmehr finales Handeln, ausgerichtet auf ein vernünftiges Ergebnis, wie es der Gerechtigkeit entspricht, und der Richter wird bei der Suche nach der Entscheidung in erster Linie von dem Streben geleitet, mit der Entscheidung etwas "Vernünftiges" zustande zu bringen, ... " (S. 5). Zustimmend zu dieser "frischen Unbefangenheit" Haverkate, NJW 1977, 1143. 59 So Scheuerle, Finale Subsumtionen, AcP 167 (1967), 305, 340. 60 Die Flucht in die Generalklauseln, S. 68/69. Zur Gegenwart vgl. aber Rittner, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters im deut-
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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aa) Stellungnahmen R. Fischers In einem kurzen Rückblick auf die ersten zehn Jahre der Tätigkeit des BGH umschreibt R. Fischer, der als langjähriges Mitglied und zuletzt als Vorsitzender die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats entscheidend geprägt hat und dessen Auffassungen gerade für diesen Senat als repräsentativ angesehen werden dürfen, einleitend die allgemeine Aufgabe des BGH als dem obersten Gericht dahin, "die Einheit des Rechts zu wahren und einer gesunden Fortbildung des Rechts zu dienen"61. Bei der Verwirklichung dieses obersten Zieles habe sich das richterliche Urteil im Einzelfall sorgsam auf den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt zu beschränken und davon abzusehen, durch rechtstheoretische Ausführungen über den so gesteckten Rahmen hinauszugreifen 62 . "Die Aufgabe des Revisionsgerichts besteht darin, anhand des jeweiligen Einzelfalles im stetigen Fortgang seine Rechtsauffassung zu entwickeln und dabei das besondere Augenmerk auf die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Rechtswirklichkeit zu richten und so der Rechtswirklichkeit bei der rechtlichen Beurteilung gerecht zu werden"63. Die starke Hervorhebung der "Rechtswirklichkeit" , die in der Auffassung gipfelt, diese müsse sich samt ihren jeweiligen Veränderungen in der Rechtsanwendung widerspiegeln 64 , wirft freilich die Frage auf, welchen Gestaltungseinfluß auf diese Rechtswirklichkeit das Recht seinerseits als der bestimmende Entscheidungsmaßstab der gerichtlichen Entscheidung ausübt. Eine Antwort auf diese Frage zeichnet sich ab, wenn Fischer einerseits feststellt: "Die Gesetzesanwendung ist nicht mehr allein Vollzug des Gesetzes, sondern zugleich eigene Entscheidung", im Sinne einer "Wertverwirklichung" . "Bei dieser Sachlage ist Urteilen nicht mehr bloß Normanwendung, sondern immer neue Entscheidung zum Rechten" 65. Wenn er auch die Rechtsprechung auf "die Wertvorstellungen des Grundgesetzes" als die maßgebenden Prinzipien verweist mit der Maßgabe, "den alleinigen Maßstab für die Wertverwirklichung ihres Urteilens in der sittlichen Idee des Menschen zu finden, dessen Würde unantastbar ist"66, verdeutlicht sich die Auswirkung dieser Auffassung namentlich im Einzelfall - dort nämlich wo regelmäßig schen Recht, S. 21, 50: "Die Entwicklung dürfe vorläufig weiter in die Richtung einer mehr und mehr um sich greifenden Billigkeitsrechtsprechung gehen". 81 Die Rechtsprechung des BGH, S. 10. 62 Vgl. die Bestätigung dieser "kleine Schritte"-Methode bei Heusinger, Rechtsfindung, S. 81 ff. 63 Die Rechtsprechung des BGH, S. 11. 84 Die Rechtsprechung des BGH, S. 11/12. 65 Die Rechtsprechung des BGH, S. 15. 68 Die Rechtsprechung des BGH, S. 17.
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
aus den weiten verfassungsrechtlichen Maßstäben ein konkretes Entscheidungsprogramm nicht mehr ableitbar ist 67 - , wenn Fischer es als Aufgabe des Revisionsgerichts bezeichnet, "dem Zwiespalt zwischen Rechtssicherheit und der notwendigen Berücksichtigung von Treu und Glauben Rechnung zu tragen". Bedeute Rechtsanwendung eine "wirklichkeitsbezogene Bewertung tatsächlicher Verhältnisse nach rechtlichen Gesichtspunkten", so spiele bei solcher Bewertung "das Judiz, das gesunde Urteil, der gesunde Menschenverstand eine besondere Rolle"6B. Als Maßstab zur Feststellung "offenbar unrichtiger Ergebnisse", zieht er "den gesunden Menschenverstand und das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl" heran 69 . Der Freiraum, der so einer "Gefühlsjurisprudenz" eingeräumt wird, läßt sich kaum mit der Mahnung begrenzen, das Revisionsgericht müsse "zugleich den Gründen nachspüren, warum die Anwendung der bisher anerkannten Rechtsgrundsätze und der RechtsregeIn in einem Einzelfall zu einem offenbar unrichtigen und unbilligen Ergebnis zu führen scheint"7o. Bei der Ausrichtung der Entscheidungen auf den gesunden Menschenverstand und das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl überzeugt die Warnung nicht: "Der Hinweis auf Treu und Glauben allein genügt nicht"71. Auch erscheint es für die einzelne zu fällende Entscheidung wenig hilfreich, daß sich - jedenfalls im Laufe der Zeit anhand des sich freilich nicht notwendig häufenden Rechtsprechungsmaterials - allgemeine Grundsätze entwickeln lassen, deren auch die Rechtsprechung des Revisionsgerichts im Interesse der Rechtssicherheit nicht entraten könne 72 . Denn wie, so ist zu fragen, soll der Richter gerade in solchen Fällen seine Entscheidung begründen, wenn er auf sein Judiz und die Impulse seines Rechtsgefühls verwiesen wird? Eine knappe, aber bezeichnende Antwort gibt R. Fischer in der Abhandlung "Zur Methode revisionsrichterlicher Rechtsprechung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts"73. Dort wiederholt er zunächst bezogen auf das Gesellschaftsrecht - die Auffassung, die Rechtsprechung habe "bei der etwaigen Anerkennung solcher neuer Gesell67 Kritisch dazu auch Flume, 46. DJT, S. K 32: "Der alleinige Maßstab, der in der sittlichen Idee des Menschen zu finden ist, ist jedoch kein Maßstab für die Lösung konkreter juristischer Probleme. Es handelt sich vielmehr um eine Leerf.ormel, die mit beliebigem Inhalt gefüllt werden kann, und in Verfolgung von Sachzielen mit dem für diese benötigten Inhalt gefüllt wird. Diese Sachziele mögen an sich durchaus positiv zu bewerten sein. Es sind aber Sachziele und nicht das Recht". 68 Die Rechtsprechung des BGH, S. 13/14. 89 Die Rechtsprechung des BGH, S. 15. 70 Die Rechtsprechung des BGH, S. 14. 71 Die Rechtsprechung des BGH, S. 14. 72 Die Rechtsprechung des BGH, S. 14. Differenzierter aber dazu ders., in: Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 8 Fn. 7. 73 Festgabe für Otto Kunze, S. 95 ff.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegrundung
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schaftsformen zunächst eine besondere Zurückhaltung zu üben und auf die Besonderheiten des zu entscheidenden Einzelfalles abzustellen, also allgemeine, namentlich systematisierende Ausführungen zu unterlassen". Denn es sei eine Erfahrungstatsache, "daß es im Grunde für einen Richter in den meisten Fällen unmöglich ist, schon anhand eines Einzelfalles zu beurteilen und zu entscheiden, welche Bedeutung und Tragweite seine erste Entscheidung für eine sich anbahnende neue Rechtsentwicklung haben wird"74. Er schließt mit der Wiedergabe seiner aufschlußreichen Erfahrung, es habe sich in diesen Fällen bewährt, "wenn die Rechtsprechung ohne besondere Erörterung der rechtlichen Problematik mit dem Versuch beginnt, die im Einzelfall sinnvolle und gerechte Entscheidung zu finden und die Begründung möglichst einfach und anspruchslos zu gestaIten" 75. Solche Gedankengänge konzidiert freilich auch Esser, wenn er einem obersten Gerichtshof "in Extremfällen" das Recht einräumt, sich die mühsame, zeitraubende Konstruktion subsumtionsfähiger Tatbestände zu ersparen und stattdessen einen Fall letztlich mit dicta wie "das könne nicht Rechtens sein" oder dies oder jenes Ergebnis sei "schlechthin untragbar" und dergleichen zu lösen. "Hier werden offene pragmatische Wertungen mit Recht als die eigentlichen Entscheidungsgründe herausgesteIIt" 76. Aus der Sicht rechtsvereinheitlichender revisionsrichterlicher Rechtsprechung, die ständig ihre Befugnis zur Rechtsfortbildung gegenüber alternden Kodifikationen bemüht, legt aber die Anschlußfrage Essers den Finger in die sich öffnende Wunde: "Aber wo ist der Begriff, an dem solche Entscheidungen in der AIItagsarbeit reproduziert werden können?"77. Verbindet man den oben wiedergegebenen Appell Fischers an das richterliche Rechtsgefühl mit der Hoffnung, erst im Laufe der Zeit würden sich allgemeine Rechtsgrundsätze entwickeln lassen, so daß bei der Begründung einer Entscheidung derzeit noch auf die Besonderheiten des zu entscheidenden Einzelfalles abzuheben sei, ohne freilich in eine Erörterung der rechtlichen Problematik einzutreten, so kann der Frage nicht ausgewichen werden, welche Bedeutung der Entscheidungsbegründung dann überhaupt zukommt. Der Widerspruch zwischen dem Ziel der im Einzelfall sinnvollen und gerechten Entscheidung, ohne deren besondere rechtliche Problematik anzusprechen, läßt sich nur dahin auflösen, daß der Richter damit auf irgendwelche unfaßbaren Billigkeitsgesichtspunkte verwiesen wird; zugleich wird der Richter Festgabe für Dtto Kunze, S. 95, 97. Festgabe für Dtto Kunze, S. 95, 108. Vgl. demgegenüber Coing, JuS 1975, 277, 278, der davon ausgeht, daß ohne passende Gesetzesnorm der Richter genötigt sei, von sich aus einen Rechtssatz aufzustellen, ohne freilich den zu entscheidenden Fall aus den Augen zu verlieren. 78 Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S. 14. 77 Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S. 14. 74 75
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
bewußt dazu aufgefordert, diejenigen Begründungen nicht zu geben, die für ihn bei der Entscheidungsfindung den Ausschlag gaben7B . Später hat sich Fischer noch dezidierter zur hier interessierenden Fragestellung geäußert mit dem Hinweis: "Auch die Heranziehung der weitgefaßten Generalklausel, namentlich der §§ 138, 242 BGB bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage für die vielfältigen Fortbildungen des Rechts durch die Rechtsprechung"79. Diese Überlegungen des Praktikers stehen - dies sei hier zur Kontrastierung vorweggenommen - in diametralem Gegensatz zu den "formalen Kriterien", die in der Literatur an die richterliche Rechtsfindung gestellt werden. Dort wird es nämlich als vornehmste Pflicht des Richters bezeichnet, immer selbstkritisch um eine Aufklärung darum bemüht zu sein, wann er den Bereich der eigentlichen Gesetzesanwendung verläßt und rechtsfortbildend voluntative Tätigkeit entfaltet. "Daraus ergibt sich zunächst ein Zwang zur Begründung aller wesentlichen Schritte der Entscheidungsfindung" . Die damit verbundene "Offenlegung der Argumente" ermöglicht sodann eine "Kontrolle durch die fachwissenschaftliche Kritik und allgemeine Öffentlichkeit"Bo. Deshalb kann es nicht verwundern, wenn auch von richterlicher Seite das "Problem der sachgerechten Begründung und der dogmatischen Einordnung neuer Erkenntnisse aufgeworfen wird"Bl. Freilich hatte v. Caemmerer darauf geantwortet, ein Urteil solle - schon um der Prozeßparteien willen (!) - die "kluge Fiktion", es handele sich um Rechtsanwendung, aufrecht erhalten und sich nicht selbst als rechtsfortbildend bezeichnen. Es könne und dürfe im Einzelfall ohnehin nur ergeben, wenn seine Entscheidung sich als unmittelbar zwingend erweise B2 . Nicht beantwortet ist aber damit die Frage, wann sich eine Entscheidung "als unmittelbar zwingend" erweist. Vielmehr verdient der aus praktischer rechtsanwaltlicher Tätigkeit gewachsene Einwand gegen die oben dargestellten Begründungsvorschläge Fischers Beachtung, in dem die Konsequenzen aus der Tatsache gezogen werden, daß die Praxis wegen der großen Bedeutung der höchstrichterlichen Entscheidungen gezwungen sei, diese bei ähnlich gelagerten Fällen zu interpretieren: "Gerade bei den verdeckten und deshalb unerkannt gebliebenen rechtsfortbildenden Entscheidungen ergibt sich - vielleicht notwendigerweise - aus dem schrittchenweisen Vortasten an Vgl. dazu auch Heusinger, Rechtsfindung, S. 35 f. Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 31; zustimmend wohl Redecker, NJW 1972, 409, 410. Dazu schon Esser, Grundsatz und Norm, S. 150: starting points. 80 So Dütz, Funktionswande1 des Richters im Zivilprozeß?, ZZP 87 (1974), 361, 390/391. 81 So Hauß, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 35/36. 82 In: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 38. 78
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3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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Neuregelungen und Richtlinien oder sogar neuen Rechtssätzen, daß Dunkelheiten und Mißverständnisse in den Entscheidungsgründen auftreten, gerade vielleicht aus dem Bemühen heraus nicht zuviel Neues zu sagen"83. Gegenüber solchen Einwänden, die das Bedürfnis der Rechtspraxis nach Rechtssicherheit 84 widerspiegeln, vermag die Entgegnung Fischer nicht zu befriedigen, der beispielhaft an der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur fehlerhaften Gesellschaft die Überzeugung erläutert, "daß sich das RG bei all diesen Entscheidungen nicht von einer systematischen Erfassung eines ihm neu erkannten Rechtsstoffes oder Rechtsgebietes, sondern von dem zutreffenden Instinkt für eine gerechte Entscheidung jeweiliger Einzeltatbestände leiten ließ und daß sich dabei irgendwie - für das Gericht selbst sicherlich auch zunächst nicht erkennbar - der neue Rechtsstoff formte, den wir heute mit dem Rechtsinstitut der fehlerhaften Gesellschaft bezeichnen" 85. Wenn bezogen auf die Rechtsprechung des 11. Zivilsenats zu diesem Fragenkreis angeschlossen wird, auch er habe sich "auf die jeweilige Einzelfrage beschränkt" und "neue Fragenkomplexe mit vorsichtigen im einzelnen noch ausfüllungsbedürftigen Formulierungen abgetastet"86 und als Begründung dieser Methode hervorgehoben wird, dies sei Ausdruck der "so wichtigen und notwendigen Aufgabe" des Revisionsrichters, "die Rechtssicherheit im Auge zu behalten und nicht vorschnell über den Einzelfall hinaus zu judizieren"87, so tritt als Befund ein Verständnis von Rechtssicherheit zutage, das jedenfalls den Gesichtspunkt Voraussehbarkeit als Ausdruck der Rechtsbestimmtheit88 nicht in sich aufnehmen kann. 83 So Nirk, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 45; zustimmend insoweit Rittner, in: Richterliche Rechtsf.ortbildung, S. 48.
84 Im Vordergrund steht aus den Entfaltungen des Rechtssicherheitsgedankens der Gesichtspunkt der Rechtsbestimmtheit, der ein Urteil über die Voraussehbarkeit der Rechtsanwendung erlaubt. Vgl. dazu Wiedemann, Festschrift für Larenz, S. 199, 204, der neben der Rechtsbestimmtheit noch den Rechtsfrieden und die Rechtsmacht nennt. 85 Fischer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 46. Vgl. zu dieser Rechtsprechung den überblick bei Ronke, Festschrift für Laufke, S. 217, 238 ff. 86 Auch Diederichsen, NJW 1975, 1801, 1803 kennzeichnet diese Rechtsprechung zustimmend als "Meisterstück sorgsamer Rechtsfortbildung" . Zur Rechtsprechung des BGH den überblick bei Ronke, Festschrift für Paulick, S. 35 f. und zuletzt Kuhn, WM 1977, 126 (unter 3). 87 Fischer, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 46. Vgl. auch Kuhn, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 29: "Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des BGH, der Rechtssicherheit zu dienen". 88 Dazu Wiedemann, Rechtssicherheit ein absoluter Wert?, Festschrift für Larenz, S. 199, 204; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, § 35 111 1 a, S. 437/8. Dieser Befund verwundert bei der "fehlerhaften Gesellschaft" nicht, wenn als deren gesetzliche Legitimation "der Billigkeitsgedanke und § 242 BGB" genannt werden. So von Hartmann, Festschrift für Schiedermair, S. 257, 258.
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung bb) Exkurs: Fehlerhafte Gesellschaft
Dies wird augenfällig gerade an der Rechtsprechung zur fehlerhaften Gesellschaft, wie die notwendigerweise exkursorischen Bemerkungen verdeutlichen sollen89 • Wegen der in der Rechtsprechung ständig wiederholten unbestimmten Formulierung, die Rechtsprechungsgrundsätze über die richterliche Anerkennung fehlerhafter Gesellschaften fänden dort ihre Grenzen, "wo gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder einzelner schutzwürdiger Personen entgegenstehen"90, ist nicht verläßlich voraussehbar, welche bislang vom BGH noch nicht entschiedenen Fallkonstellationen damit im einzelnen gemeint sind 91 ; denn alle gesetzlich geregelten Unwirksamkeitsgründe verfolgen entweder Interessen der Allgemeinheit oder den Schutz einzelner Personen. An dieser Situation ändert sich auch nichts dadurch, daß der BGH seine zitierte Wendung gelegentlich durch Beispiele konkretisiert; denn die dabei verwandten Formulierungen weisen ihrerseits Unklarheiten auf92 • Dieses Offenhalten fordert ferner die Frage heraus, nach welchen Vorschriften etwa bei Beteiligung eines nicht ordnungsgemäß vertretenen Minderjährigen93 eine Abwir.!dung der fehlerhaften Gesellschaft zu erfolgen habe, deren vermeintlicne Ungeeignetheit gerade zur Entwicklung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft geführt hat 94 • 89 Unter dem Aspekt der Außenbeziehungen hat jüngst gegenüber einer unreflektierten allgemeinen Meinung den Anwendungsbereich der Rechtsfigur der "fehlerhaften Gesellschaft" stärker eingeschränkt Möschel, Das Außenverhältnis der fehlerhaften Gesellschaft, Festschrift für Hefermehl, S. 171 ff. Ebenso Rj. Weber, Zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft,
S. 171 f.
So BGHZ 55, 5, 9 und zuletzt 62, 234, 241. Vgl. Fischer, Großkomm. z. HGB, § 105 Anm. 73: "Diese Formel ist bewußt sehr allgemein gehalten und bedarf im einzelnen noch einer Ausfüllung" . Dazu schon Fischer, Grenzen für die Anerkennung der faktischen Gesellschaft, NJW 1958, 969 ff., der ausführt, die Einschränkung habe aus Gründen der Rechtssicherheit (I?) für die Rechtspraxis erfolgen müssen. Nach Kraft / Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 158, bereitet die Formel der Rechtsanwendung hingegen "Schwierigkeiten". 92 Vgl. BGHZ 55, 5, 9: "Fälle dieser Art bilden der Gesetzesverstoß, eine besonders grobe Sittenwidrigkeit oder der Umstand, daß sich ein Gesellschafter durch Drohungen und Täuschung einen überaus günstigen Gewinnund Liquidationsanteil zugestehen läßt und ein deswegen in der Auseinandersetzung einzustellender Schadensersatzanspruch keinen endgültigen Ausgleich ermöglicht (BGHZ 13, 320, 323)". Zu Ausnahmen selbst bei § 134 BGB vgl. BGHZ 62, 234, 241. Vgl. ferner die Fallgruppen bei Fischer, Großkomm. z. HGB, § 105 Anm. 95 ff. u. Kraft / Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 159. 93 Dazu BGHZ 17, 160 ff., wo zur Abwicklung nicht Stellung genommen wird und schon RGZ 51, 33, 35. Kritisch gegenüber der Rechtsprechung, die den Minderjährigen aus der fehlerhaften Gesellschaft ausnimmt: Kraft / Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 158. 94 Vgl. dazu auch Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, 90 91
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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In einer neue ren Entscheidung hat der BGH einem Gedanken Raum gegeben, der als Ausgangspunkt einer Neubesinnung in der Rechtsprechung dienen könnte. Er führt zur Abwicklung einer Gesellschaft nach den Bestimmungen des fehlerhaften Gesellschaftsvertrages aus: "Der Gesellschaftsvertrag kann aber nicht angewandt werden, wenn und soweit ein Bedürfnis, die Gesellschaft nicht mit rückwirkender Kraft aus dem Rechtsleben zu streichen, für einzelne Bestimmungen nicht besteht und mit diesen Bestimmungen ein mit dem Gesellschaftsvertrag bezweckter Erfolg herbeigeführt würde, den das Gesetz, das bei Vertragsschluß nicht beachtet wurde, mißbilligt" 95. Bei diesem Gedankengang gewinnen die Unwirksamkeitsgründe wieder ihre ursprüngliche Kraft 96 . Diese Tendenz wird noch verstärkt durch die neuere Rechtsprechung des BGH, daß die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft auf nichtige oder anfechtbare Änderungen eines Gesellschaftsvertrages nicht ohne weiteres anzuwenden sind 97 . Vielfach sei es mit befriedigenden Ergebnissen möglich, die Auswirkungen der vorübergehend praktizierten Vertragsänderungen nachträglich wieder auszugleichen. "Nur wenn bei einer Vertragsänderung ausnahmsweise ein Bedürfnis nach Bestandsschutz ... vorhanden ist, besteht ein rechtfertigender Grund, die bürgerlichrechtlichen Vorschriften, nach denen Rechtsgeschäfte von Anfang an nichtig sind, nicht anzuwenden"98. Nicht S. 40; Fischer, Großkomm. z. HGB, 105 Anm. 101 nennt "Vindikations- oder Kondiktionsansprüche" . BGHZ 62, 234, 242 verweist allgemein nur auf "Bereicherungsgrundsätze". Vgl. dazu neuerdings Hj. Weber, Zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, S. 175 ff. 95 So BGHZ 65, 79, 85. Vgl. auch die Urteile des 11. Senats, die im Anschluß an R. Fischer, Großk. z. HGB, § 105 Anm. 90, wohl in Umkehrung des § 139 BGB einzelne, wegen §§ 313, 125 S. 1 BGB unwirksame Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages ausscheiden: BGH, NJW 1972,480; DB 1977, 1249, 1250 (dazu K. Schmidt, DB 1977, 2313; Flume, Personengesellschaft, § 2III, S. 20 Fn.23). 96 Vgl. die ähnlichen überlegungen zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis bei Beuthien, RdA 1969, 161, 162/3. 97 So BGHZ 62, 20 ff. Vgl. dazu die Besprechung von Finger, ZGR 1976, 240 ff. mit instruktiver Literaturübersicht zu diesem Problem der Entscheidung auf S. 244 f. Finger wundert sich zu Recht über die Vehemenz, mit der sich der BGH gegen eine übernahme der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft ausspricht (S. 248). Vgl. ferner dazu Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, S. 138 ff. 98 So BGHZ 62, 20, 27. Dort wird auch verdeutlicht, wie in einem Einzelfall (fehlerhafte Umwandlung der Komplementärstellung in diejenige eines Kommanditisten) die Rechtslage ohne "die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft" beurteilt werden kann: "Auch sonst sind die rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der anfänglichen Nichtigkeit einer die Geschäftsführungsbefugnis ausschließenden Vertrags änderung ergeben, im vorliegenden Fall nicht so erheblich, daß sie nicht befriedigend gelöst werden könnten. Zwingende Gründe, derentwegen es geboten wäre, von den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften abzugehen und die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anzuwenden, sind nach alle dem nicht vorhanden" (S. 29). Ablehnend Finger, ZGR 1976, 240, 246 f.
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
unerwähnt sollte auch die geringe Hilfe aus der Literatur zu diesen Fragen bleiben. So meint A. Hueck, "daß Abweichungen von den allgemeinen Regeln über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes nur zulässig sind, wenn sie durch das Wesen der Gesellschaft unbedingt gefordert werden"99. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit stellt sich die Situation sowohl für die betroffenen Parteien und deren Rechtsberater als auch für den zur Streitentscheidung im Einzelfall aufgerufenen Richter nimmt man alle Gestaltungen zusammen -, einigermaßen verworren war. Die Rechtslage kann nun heute nicht nur zur fehlerhaften Gesellschaft wegen der genannten vagen Grenzen der Rechtsprechung kaum eindeutig und sicher vorausbeurteilt werden. Auch bei fehlerhafter Vertragsänderung ist die Frage zu beantworten, ob wegen "zwingender Gründe" im Einzelfall "ausnahmsweise ein Bedürfnis nach Bestandsschutz" anzuerkennen ist 100 • Schließlich ist noch das Ausmaß der Unwirksamkeit einzelner gesellschaftsvertraglicher Klauseln - ob ex tune oder ex nune - mit der Abwägung belastet, ob ein Bedürfnis an der Aufrechterhaltung der beanstandeten Klausel für die Vergangenheit besteht oder dem in Rede stehenden Unwirksamkeitsgrund uneingeschränkt der Vorrang zukommt. cc) Die Bedeutung der Rechtssicherheit
Dieser notwendig knappe und daher gewiß unvollständige Exkurs über die Rechtsprechung zur fehlerhaften Gesellschaft, der durch die Bemerkung Fischers veranlaßt wurde, bestätigt ein Verständnis von Rechtssicherheit, das sich nicht an der Funktion des Rechts als vorausberechenbarem Verhaltens- und Beurteilungsmaßstab orientiert, sondern sogar in der Lage ist, "das unheimlich zunehmende Arbeiten mit schwankenden Maßstäben" in sich aufzunehmen101 • Die Rechtssicherheit birgt danach nur einen verläßlichen Bestand der Entwicklung in sich und verengt sich in einer rückschauenden Stetigkeitl°2 , ohne aber ausG9 Recht der OHG, § 7 III, 7 c (S. 100). Zum Charakter des Wesensargumentes als "ein der Klarheit entbehrendes Argument" vgl. Scheuerle, Das Wesen des Wesens, AcP 163 (1963), 429, 430 f. Zu Tatbestand und Rechtsfolgen fehlerhafter Gesellschaften vgl. noch Hadding, Die HGB-Klausur, S. 105 f. und Kraft / Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 160 ff. 100 Vgl. dazu auch Finger, ZGR 1976, 240, 248: "In Ermangelung eines klaren Maßstabes nicht eindeutig zu entscheiden". "Dem BGH ist danach vor allem fehlende Prägnanz und Unvorsichtigkeit in der Gewichtsverteilung zwischen Regel und Ausnahme anzulasten" (S. 249). 101 "Die Besorgnis einer überforderung des Richters" rückt nach Esser, Festschrift für Rittler, S. 13, 17 "in den Mittelpunkt unserer Frage nach der Rechtssicherheit" . 102 Vgl. Fischer. Festschrift für Kunze, S. 95, 97 und dens., Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 13.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegrundung
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drücklich eine verwertbare Prognose zu gestatten, wie die Entwicklung weiterlaufen wird 103 • Dies geschieht entweder durch ein Offenhalten für nicht näher qualifizierte Ausnahmen oder dadurch, daß das Gericht "die Begründung möglichst einfach und anspruchslos", mit anderen Worten u. U. nichtssagend gestaltet. Aus den Ausführungen Fischers spricht nun keineswegs "ein drückendes Gefühl der inneren Unsicherheit", wie es Hedemann als Ergebnis ernsthafter richterlicher Selbstprüfung erwartet hatte, sondern es kommt darin eher eine selbstbewußte Haltung zum Ausdruck, die im Großen hinsichtlich der richterlichen Rechtsfortbildung in pragmatischer Ausrichtung "von den heute gegebenen Rechtstatsachen ausgeht, so wie sie sich im Laufe dieses Jahrhunderts entwickelt" haben 104, und sich mit Blickrichtung auf den Einzelfall nicht scheut, die "immer neue Entscheidung zum Recht" nicht allein als Gesetzesvollzug oder Normanwendung, sondern als "eigene Entscheidung" zu charakterisieren105 • In welchem Maße sodann der Rückgriff auf unbestimmte Maßstäbe "notwendig" wird, offenbart sich in der Ausrichtung auf die Rechtswirklichkeit und in dem Rekurs auf den gesunden Menschenverstand und auf das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl. Die Beurteilung dessen, was aus diesen Quellen "fließt", unterliegt aber notwendig wieder richterlicher "Kognition", obwohl der Richter bei der Verfolgung rechtspolitischer Sachziele "nur die gleiche Zuständigkeit wie jeder andere Staatsbürger" hapo6. Damit verblaßt der Gedanke richterlicher Bindungen an vorgezeichnete Maßstäbe. Auch gesetzgeberisch vorgegebene Lösungen liegen daher ständig im Kampf mit dem richterlichen Rechtsgefühl, daß seinerseits eine Nachprüfung nicht gestattet l07 • Mit eigener Stellungnahme läßt sich schließlich Zurückhaltung üben, wenn man die Beurteilung Hermann Isays überträgt, der gerade für die praktische Jurisprudenz eine große Gefahr darin sah, wenn von dieser Seite "Rettung in einer reinen Gefühls- oder Instinkt jurisprudenz" gesucht werde, weil diese weder geschichtlich noch philosophisch fundiert seP08. 103 Vgl. dazu, daß damit den Forderungen der praktischen Gerechtigkeit zuwidergehandelt wird, weil die Gerechtigkeitserwartungen der Rechtsgenossen, die vorgängige Voraussehbarkeit und nachträgliche objektive Einsehbarkeit beinhalten, enttäuscht werden, Wieacker, Festschrift für Gadamer, S. 310, 332. 104 Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 10. 105 Vgl. die aufschlußreiche Kritik an solchen Auffassungen bei Reinhardt, Methoden der Rechtsfindung, S. 15. 106 &! Flume, Richter und Recht S. K 18; zustimmend sogar Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, S. 32. A. A. Redeker,
NJW 1972, 409, 413. 107 Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 9. 108
Rechtsnorm und Entscheidung, S. VII.
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung dd) Der Einfluß A. Huecks
Das wiedergegebene Zitat von A. Hueck 109 zeigt, daß auch die Literatur kaum exaktere Formulierungen anzubieten hat, wenn es darum geht, die tatbestandlichen Voraussetzungen der fehlerhaften Gesellschaft zu umschreiben. Der Hinweis gerade auf A. Hueck geschah freilich nicht ohne Bedacht, sondern sollte die Aufmerksamkeit auf die Frage lenken, welchen Einfluß die Rechtswissenschaft auf die revisionsrichterliche Rechtsprechung hat. Denn nicht zuletzt in den rechtswissenschaftlichen Vorarbeiten sollte die Rechtsprechung Stütze und Anleitung finden 109a • Erst jüngst hat gerade wieder R. Fischer als ein "ungemein eindrucksvolles Bild" umschrieben, "in welcher Weise und in welchem Ausmaß er [sc. A. Hueck] auf die Rechtsprechung überhaupt und auf die Fortbildung des Rechts durch den Bundesgerichtshof insbesondere durch seine Arbeiten unmittelbar eingewirkt hat l1O • Gerade für den hier interessierenden 11. Zivilsenat und das Gesellschaftsrecht betont er ferner, daß man an die Betrachtungs- und Denkformen A. Huecks angeknüpft und manches von ihm übernommen habe 111 • Dieser Gesichtspunkt ist somit bei der Beurteilung der Rechtsprechung im Auge zu behalten. c) Zur Begründungspflicht
Selbst wenn die Auffassung zutreffen sollte, daß "nur eine das Rechtsgefühl befriedigende Entscheidung auch wirklich befriedend wirken könne", und wenn es auch gelegentlich tatsächlich so sein mag, "daß die Parteien auf die rationalen Begründungen gar nicht hinhören"112, so überzeugt doch allein die Überlegung: "Gewiß ist eine auch das Rechtsgefühl befriedigende Entscheidung das Ideal. Aber andererseits können wir uns mit einer nur im Ergebnis befriedigenden Entscheidung nicht begnügen, wenn wir Rechtseinheit, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit als unverzichtbare Ziele verwirklichen wollen" 113. So wird denn 109 Oben B. Fn. 99. 109a Vgl. dazu L. Raiser, NJW 1964, 1201. 110 Gedächtnisreden auf A. Hueck, S. 13. lH Gedächtnisreden auf A. Hueck, S. 13. Im Mittelpunkt steht die Monographie über "Das Recht der ORG". Vgl. schon die überschwängliche und ausführliche Besprechung der 1. Auflage durch Heins, Betrachtungen zum Recht der ORG, NJW 1947/48,252. 112 So Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, S. 10; ferner Heusinger, Rechtsfindung, S. 181. 113 So Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, S. 10. Dazu auch Scheuerle, AcP 163 (1963), 429, 471: "Ein Richter, der gute Entscheidungsergebnisse mit schlechten Rechtsgründen motiviert, mag ein weiser Mann sein, den Rechtsstaat verkörpert er schlecht oder gar nicht". Ferner BTÜggemann, Die richterliche Begründungspflicht, S. 87.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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auch heute angesichts der schon mehrfach angesprochenen zentralen Problemstellung bei der richterlichen Rechtsanwendung: Wenn das positive Gesetz ihn im Stich läßt - unklar, mißverständlich, mehrdeutig oder lückenhaft ist - , wenn ihm durch Generalklauseln oder Rahmenvorschriften ein breiter Entscheidungsspielraum eingeräumt wird, gefordert: "Ihre Entscheidungen müssen Erkenntnisse in dem Sinne bleiben, daß sie nicht Äußerungen eines Willens oder eines Rechtsgefühls sein dürfen, sondern verbindliche Interpretationen des Rechts, das allerdings nicht nur im positiven Gesetz enthalten ist"114. Um bei solch offenkundigem Dilemma zwischen Problemstellung einerseits und Lösungsvermögen andererseits nicht den Eindruck von Willkür oder Selbstherrlichkeit aufkommen zu lassen, gezieme dem richterlichen Gewissen skeptischer Rationalismus und es komme sodann entscheidend darauf an, "daß die Richter die Entscheidungen rational begründen und im Blick auf die sozialen Realitäten einsichtig machen" 115. Damit fällt der richterlichen Entscheidungsbegründung die Aufgabe zu, die gerichtliche Entscheidung dem Bereich richterlichen Fühlens und Empfindens zu entziehen. Nur deshalb kann sie ferner zum Angelpunkt für die Wirkung rechtsprechender Erkenntnisse überhaupt werden; denn: "Eine höchstrichterliche Rechtsprechung kann nur dann wirken und Einfluß auf die Gestaltung des Rechts gewinnen, die Rechtseinheit wahren und das Recht fortentwickeln, wenn die Entscheidungen begründet ... werden" 116.
aa) Die Unterscheidung zwischen Zustandekommen und Begründung einer Entscheidung Für das Verständnis der richterlichen Entscheidungsbegründung ist es freilich unerläßlich sich zu vergegenwärtigen, daß mit der Begründung nur der nach außen dringende, sichtbare Teil der richterlichen Entscheidungstätigkeit erfaßt wird. Bei der Betonung rationaler richterlicher Entscheidungsbegründungen wird daher keineswegs verkannt, daß grundsätzlich bei der Betrachtung richterlicher Entscheidungen "zwischen Herstellung und Darstellung" zu unterscheiden ist 117 • Mit der So Friesenhahn, Der Richter in unserer Zeit, DRiZ 1969, 169, 172. So Friesenhahn, DRiZ 1969, 169, 174; ebenso Dütz, Funktionswandel des Richters im Zivilprozeß?, ZZP Bd. 87 (1974), 361, 390; Rupp, NJW 1973, 1769, 1773 und umfassend BTÜggemann, Die richterliche Begründungspflicht. Auch schon Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 92 und Scheuerle, Rechtsanwendung, S. 146/7. 116 So v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21, 22. Ausführlich Schlüter, Das Obiter dictum, S. 96. 117 Vgl. dazu Schneider I Schroth, Sichtweisen juristischer Entscheidungen, Argumentation und Legitimation, in: Einführung in die Rechtsphilosophie der Gegenwart, S. 262; Schlüter, Das Obiter dictum, S. 98 ff.; kritisch Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, S. 121. 114
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Blickrichtung auf die Begründung wird also nur ein Ausschnitt erfaßt. Der Richter wird nur solchen Überlegungen und Gesichtspunkten in den Entscheidungsgründen Raum geben, die er nach reiflicher Überlegung für geeignet, aber auch erforderlich hält, um das gefundene Ergebnis zu rechtfertigen. Die beim "Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt"118 im einzelnen durchgespielten und erprobten, letztlich aber verworfenen Lösungsmöglichkeiten werden in aller Regel (als obiter dicta) in den Entscheidungsgründen nicht erscheinen. In unterschiedlichem Umfang finden sich Auseinandersetzungen mit den Ansichten der Parteien und der einschlägigen Literatur 119. Vergegenwärtigt man sich ferner die Entscheidungssituation in einem richterlichen Kollegium wie einem Senat beim BGH, wenn von den einzelnen Mitgliedern unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, so wird es sich wohl kaum vermeiden lassen, daß solche Meinungsver~ schiedenheiten als Kompromisse in den Entscheidungsgründen ihren Niederschlag finden 120. "Als Ergebnis kommt dann eine mehr oder weniger in sich widerspruchsvolle, zumindest aber an manchen Stellen unklare schriftliche Begründung heraus"121. Ob dies tatsächlich immer so sein muß, kann dahingestellt bleiben, jedenfalls ist auch hier dem Außenstehenden der Zugang zum "Diskursiven der Beratung" ebenso verschlossen wie zu den "Tendenzen innerhalb des Senats, die sich diesmal noch nicht sichtbar durchsetzen konnten"122. Auf diesem Wege des Richters hin zur Entscheidung, der hinter seiner Stirn verborgen bleibt oder jedenfalls nicht aus dem Beratungszimmer hinausführt, sondern vom Beratungsgeheimnis markiert wird 123 , erfüllt auch das an der praktischen Rechtsanwendung vielfältig geschulte und an Erfahrungen reiche richterliche Gefühl seine natürliche Funktion, die Suche nach richtiger Entscheidung steuernd zu begleiten 124 • In Wechselwirkung 118 So anschaulich Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 15. Dazu allgemein Zöllner, Festschrift der Tübinger JuristenfakuItät, S. 131, 146 f.; ferner Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 197. 119 Dazu allgemein Heusinger, Rechtsfindung, S. 35 f. Vgl. zur strengen Beschränkung auf das Nötigste in Frankreich die Darstellung bei Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 7 f. 120 Vgl. dazu Heusinger, Rechtsfindung, S. 175. 121 So Rittner, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 48. 122 So Esser, Wertung, Konstruktion, Argument im Zivilurteil, S. 4. Vgl. dazu den interessanten Hinweis bei Kuhn, in: Richterliche Rechtsfortbildung, S. 29, daß eine überstimmte Minderheit nicht versuche, bei nächster Gelegenheit, wenn der Senat in anderer Besetzung entscheide, ihre abweichende Ansicht durchzusetzen. Dazu auch Heusinger, Rechtsfindung, S. 32. 123 Vgl. dazu positiv Heusinger, Rechtsfindung, S. 30 f. 124 Vgl. dazu Schlüter, Das Obiter dictum, S. 99 f.; Berkemann, Festschrift für Geiger, S. 299, 307: Rechtsgefühl als heuristisches Regulativ; ferner Heusinger, Rechtsfindung, S. 37.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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dazu hält allerdings allein schon das Bewußtsein, die zu findende Entscheidung auch begründen zu müssen, im Richter die schließlich nur rational zu beantwortende "Frage des rechtlichen Könnens"125 wach 126 . "Nur diejenigen Stufen seines Rechtsfindungsweges, die er bewußt betritt, kann der Richter vor der Welt offenbaren" 127. Auf diesem Gebiet soll aber nicht weiter gefragt werden, "denn das geltende Recht kann die psychologische Genesis eines Rechtsanwendungsaktes nicht zum Gegenstand seiner (rechtlichen) Wertungen machen" 128.
bb) Anforderungen an die Entscheidungsbegründung Die hervorgehobene Rolle der Entscheidungsbegründung ist aus historischer Sicht keineswegs selbstverständlich; denn eine Pflicht zur Begründung revisionsrichterlicher Entscheidungen konnte sich erst zu Beginn des vorigen Jahrhunderts durchsetzen 129 . Während die geltenden Prozeßordnungen sich insoweit auf nur wenige Andeutungen beschränkten und die Zivilprozeßordnung bisher nur für die Beweiswürdigung forderte: "In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind" (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZP0130), heißt es aufgrund der Vereinfachungsnovelle vom 3. 12. 1976 (BGBL I, S. 3281) in § 313 Abs. 3 ZPO: "Die Entscheidungsgründe enthalten eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht". Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber einmal Anforderungen an die 125 Vgl. dazu Scheuerle, Finale Subsumtionen, AcP 167 (1967), S. 305, 316 und schon oben B. Fn. 51. 126 Esser, Wertung, Konstruktion, Argument im Zivilurteil, S. 4; ferner Schneider / Schroth, in: Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 254, 263. Deshalb ist die Auffassung von Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 60 ff., 177 ff., 334 ff., abzulehnen, daß der Richter der allein irrational gefällten Entscheidung erst nachträglich eine rationale Begründung beigibt. Ablehnend auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 49: "Psychologismus in Reinkultur". Jedenfalls erscheint das Problem der Reihenfolge eher als eine Glaubensfrage. 127 So Heusinger, Rechtsfindung, S. 37; ähnlich Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 92. 128 So Scheuerle, AcP 167 (1967), S. 305, 340. Zur richterlichen Entscheidung in psychologischer Sicht vgl. Berkemann, JZ 1971,537. 129 Vgl. dazu die knappen Striche bei v. Caemmerer, in: Ansprachen, S. 21/2. Zum historischen Hintergrund ferner Schlüter, Das Obiter dictum, S. 7; Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, Rdnr. 23, S. 20 f. Ausführlich Sprung, in: Entscheidungsbegründung, S. 43 ff.; R. Fischer, Festvortrag 52. DJT, S. H 6, H 8. 130 Vgl. dazu, daß auch schon bislang als selbstverständlich davon ausgegangen wurde, daß in der Entscheidungsbegründung auch die rechtlichen Erwägungen des Gerichts wiedergegeben werden müssen, BGHZ 39, 333, 337 (zu § 551 Nr. 7 ZPO). Zur Gesetzeslage vor der Vereinfachungsnovelle ferner Grunsky, in: Entscheidungsbegründung, S. 63, 65 f.
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Entscheidungsbegründung gestellt, die auf angemessene Kürze abzielen, ohne freilich damit, nach dem Urteil aus der Praxis, die bereits gehandhabten Qualitätsanforderungen zu ändern: "Wirklich gute Urteile sehen schon jetzt unter dem geltenden § 313 in der Regel so aus, wie es die neue Fassung des § 313 nachdrücklich fordert"131. Aber nicht nur die äußere Form der Entscheidungsbegründung wird angesprochen, sondern auf den Inhalt gewandt besitzt größeres Gewicht die - freilich bei näherem Zusehen selbstverständlich anmutende - Anordnung, daß auch die Erwägungen mitzuteilen sind, auf denen die Entscheidung in rechtlicher Hinsicht beruht. Damit legt das Gesetz nun wahrlich keine neuen Maßstäbe an die Entscheidungsbegründung, sondern wiederholt nur, was auch schon bislang als selbstverständlich - und wohl deshalb als ungeregelt - ga1t1 32 . Ohne entsprechende richterliche Begründungsredlichkeit 133 konnten die Entscheidungsgründe auch schon bisher den Funktionen nicht gerecht werden, die ihnen allgemein zugedacht werden. Zu dem Gesichtspunkt richterlicher Selbstkontrolle hat erst jüngst Putzo geäußert, "daß das Abfassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen die beste, leider oft die einzige wirksame Selbstkontrolle für die vorgenommene tatsächliche und rechtliche Würdigung darstellt" 134. Schließlich ist das wichtige Element der Fremdkontrolle durch die betroffenen Parteien und die juristische Öffentlichkeit zu nennen, die allein auf die veröffentlichten Entscheidungsgründe verwiesen sind 135 . 131 So Putzo, Die Vereinfachungsnovelle, NJW 1977, S. 1, 5. Vgl. auch das Gebot bündiger Kürze für die Urteile des BGH in § 12 Abs. 1 GO-BGH vom 3.3. 1952 (BAnz. Nr. 83) i. d. F. vom 21. 6. 1971 (BAnz. Nr. 114). Vgl. dazu Heusinger, Rechtsfindung, S. 34 und dazu, daß die Rechtsprechung dem nicht Folge leistet, Schlüter, Das Obiter dictum, S. 1 ff.; ferner Berkemann, Festschrift f. W. Geiger, S. 299, 305 Fn. 19. 132 Vgl. den sorgfältigen überblick bei Brilggemann, Die richterliche Begründungspflicht, S. 92, dort auch zur verfassungsrechtlichen Fundierung, S. 109 ff., 129, 171 ff.; ferner Grunsky, in: Entscheidungsbegründung, S. 63, 76 ff.; auch Scheuerle, AcP 163 (1963), S. 429, 431, der im Gebrauch eines sog. Kryptoargumentes einen Widerspruch zu den Anforderungen des Rechtsstaates sieht. Ferner Heusinger, Rechtsfindung, S. 32, der zugleich den Gesetzgeber zur Zurückhaltung bei der Regelung von Anforderungen an die Urteilsgründe auffordert (S. 34 Fn. 7). 133 Vgl. dazu Heusinger, Rechtsfindung, S. 140 ff.; ferner eindringlich Hilger, Überlegungen zum Richterrecht, Festschrift f. Larenz, S. 109, 115. Unter diesem Gesichtspunkt hat man wohl Kriele, Offene und verdeckte Urteilsgründe, Festschrift für Ritter, S. 99, nicht zu verstehen. Ferner Mühl, Festschrift für R. Fischer, S. 509, 511. 134 So Putzo, NJW 1977, S. 1, 3. Vgl. dazu auch Schlüter, Das Obiter dictum, S.97.
135 Vgl. dazu mit teilweise unterschiedlicher Gewichtung hinsichtlich der Parteien und der Öffentlichkeit Dütz, Funktionswandel des Richters im Zivilprozeß?, ZZP Bd. 87 (1974), S. 361, 390/1; Schlüter, Das Obiter dictum, S. 94 f.,
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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Daß insoweit Mängel in der Praxis des 11. Zivilsenats beanstandet werden, verdeutlicht ein jüngst in der Literatur geäußerter Wunsch, "daß der Gesellschaftsrechtssenat des BGH sich entsprechend der ihm zukommenden Funktion der Konkretisierung und Fortbildung des Rechts nicht scheut, die ihn bestimmenden Wertungen auch offen auszusprechen und der Praxis damit die erforderliche Richtschnur zu geben" 136. Von der Begründungsredlichkeit ist die Frage nach der Begründungs-
richtigkeit zu unterscheiden, deren Beantwortung Gegenstand der viel-
fältigen und umstrittenen Rechtsfindungsmethoden ist1 37 •
Wegen dieser Gegenüberstellung sollte man von "Scheinbegründungen" nur reden, wenn bewußt andere als die in Wirklichkeit ausschlaggebenden Gründe vom Gericht angeführt werden138 • über den Gesichtspunkt der Begründungsredlichkeit hinaus läßt sich dem Gesetz positiv nichts über den Inhalt und die Struktur der Entscheidungsbegründung entnehmen. Freilich verlangen die beschriebenen Funktionen, die den Entscheidungsgründen zukommen, auch insoweit allgemeine Anforderungen. Soll die Entscheidungsbegründung den Parteien und der interessierten Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft über die Gesichtspunkte ablegen, aus denen heraus die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts so und nicht anders ausfallen mußte, so bedarf es eines "rational nachvollziehbaren, kontrollierbaren und damit diskutierbaren Begründungszusammenhanges" 139. Diesen Anforderungen kann nur ein Ableitungszusammenhang genügen, der sich unabhängig "vom Wesen und Ausmaß des richterlichen Erkenntnisprozesses" 140 im Rahmen der formalen Logik bewegt. Bei diesem Erfordernis 96; Kötz, über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 23; Berkemann, Festschrift f. W. Geiger, S. 299, 304; Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 93 f. 136 So Ulmer, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 10. 5. 1976 11 ZR 180/74 - , BB 1976, 950, 951. 137 Vgl. dazu den überblick bei Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, S. 637 ff. Zur Legitimationsfunktion einer methodengerechten Urteilsbegrundung aus dem geltenden Recht vgl. Wank, Grenzen, S. 19. Zur entsprechenden Praxis im Gesellschaftsrecht vgl. den überblick bei Mühl, Festschrift für R. Fischer, S. 509 ff. 138 So Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, S. 12 gegen Brecher, Scheinbegrundungen und Methodenehrlichkeit, Festschrift für Nikisch, S. 227, 231. In diesem Zusammenhang findet sich auch der Begriff "Kryptoargument"; vgl. Hattenhauer, Kritik, S. 108 Rdnr. 2357. 1311 So Schlüter, Das Obiter dictum, S. 97; ferner Berkemann, Festschrift f. Geiger, S. 299, 305.
140 Dazu, als Voraussetzung für Inhalt und Umfang der Rechtsausführungen in den Urteils gründen, Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, S. 75 ff.
B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
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spielt es keine Rolle, ob man wegen eines vermeintlichen Mangels der Effektivität der Gesetzesbindung die Notwendigkeit normativer Begründungsabläufe aufgibt und durch eine letztrechtfertigungsfreie "Idee der kritischen Prüfung" im Sinne kritisch rationaler Diskussion der entscheidungsrelevanten Argumente ergänzt1 41 . Denn bei dem Rückgriff auf die Logik muß man sich stets vergegenwärtigen, daß die Einhaltung ihrer Schluß regeln nur den Bereich absteckt, innerhalb dessen sich juristisches Denken - wie jedes beweisende Denken - abspieJt142. Daher werden sie in der Regel auch von denen zutreffend befolgt, die sich der Schluß regeln im Einzelfall gar nicht bewußt sind 143 . Hinter "logischen Fehlern" verbergen sich dann häufig durchaus zutreffende Sachargumente 144 . Die sorgfältigste Beachtung der Denkgesetze vermag den Juristen allerdings nicht zu den einschlägigen Obers ätzen hinzuführen und deren Inhaltsermittlung zu verwirklichen 145 . Die Einhaltung logischer Gesetze gewährleistet nur die Richtigkeit des eingeschlagenen Denkverfahrens, über die Prämissen und damit zugleich über die Richtigkeit des zu findenden Ergebnisses vermögen sie keine Aussage zu treffen146 . "Die formalen Folgerungsmethoden sind unschöpferisch; es kann durch sie nichts gewonnen werden, was nicht schon in den Prämissen implizit enthalten war. Die Logik selbst bietet keinerlei Sacherkenntnisse. Ihre Sätze und Systeme sind informationsleer"147. Das weite Feld der Inhaltsbestimmung wird von den vielfältigen Rechtsfindungsmethoden beherrscht, bei deren Entfaltung im gegenwärtigen Begründungsstil höchstrichterlicher Entscheidungen "Wertung, Konstruktion und Argument" als hervorstechende Elemente in Erscheinung treten14B • Daß sich verallgemeinernd für den rational nachvollziehbaren, kontrolIierbaren und damit diskutierbaren Begründungszusammenhang lediglich formale Regeln angeben lassen, hat seinen Grund in der erwähnten Tatsache, daß die inhaltlichen Anforderungen mit der jeweils vertretenen Auffassung über die Methodik der Rechtsfindung korrespondieren. Und dies ist bekanntlich ein weites Feld. 141 Dazu Berkemann, Festschrift f. W. Geiger, S. 299, 304 m. w. Nachw.
Engisch, in: Studium generale (1959), S. 76, 86. Rumpf, Gesetz und Richter, S. 45 unter Bezugnahme auf Dtto Bähr. Ebenso Bachenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, S. 20. 144 Vgl. Scheuerle, Die Logik der Logik, ZZP Bd. 78 (1965), S. 32. 145 Vgl. dazu ausführlich Schlüter, Das Dbiter dictum, S. 102/3, 107 ff., 113; ferner Zöllner, Festschrift der Tübinger Juristenfakultät, S. 131, 140. 146 Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 51, 57 f.; Diederichsen, Triditionelle Logik für Juristen, JurA 1970, 765, 776; Wank, Grenzen, S. 48. 147 Weinberger, JurA 1971, 553, 567; ebenso Albert, Traktat über die kritische Vernunft, S. 12; Berkemann, Festschrift für W. Geiger, S. 299, 302. 148 So Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, S. 4. 142
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3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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cc) Begründungsrationalität beim Rückgriff auf unbestimmte "Maßstäbe"
Damit stellt sich auf das Thema bezogen die entscheidende Frage, welche Bedeutung dem zu untersuchenden Rückgriff auf die genannten unbestimmten "Maßstäbe" in den Entscheidungsbegründungen vor dem Hintergrund der richterlichen Begründungspflicht beigemessen werden kann. Bei der Beantwortung muß man sich den Ausgangspunkt nochmals vergegenwärtigen, daß es sich in den Entscheidungen jeweils nicht um die Anwendung einer bestimmten gesetzlichen Regelung handelt, die lediglich durch unbestimmte Tatbestandsformulierung gekennzeichnet ist. In den ausgewählten Entscheidungen ist also dem Richter nicht aufgegeben, dem gesetzgeberischen Plan folgend den Rahmen einer gesetzlichen Generalklausel zu füllen oder den Wertungsspielraum eines unbestimmten Rechtsbegriffes auszuschöpfen. Eine Präzisierung der Untersuchung ist freilich zu erwarten, wenn man in die Betrachtung einbezieht, welche Funktion im Rahmen eines Begründungszusammenhanges solchen, im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Generalklauseln, Blankettvorschriften oder auch nur einzelnen wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen zukommt1 49 • "Treu und Glauben" (§ 242 BGB), die "guten Sitten" in § 138 Abs. 1 BGB und § 1 UWG oder der "wichtige Grund" in § 626 Abs. 1 BGB werden in diesem Zusammenhang immer wieder als Beispiele genannt1 50 • Eine allgemein formulierte Abgrenzung gegenüber definierbaren Tatbestandselementen ist freilich nicht möglich. Insoweit kommt es bei der jeweiligen Beurteilung des Tatbestandes einer einschlägigen Vorschrift darauf an, ob sich ihr, wenn auch erst durch Interpretation, ein bestimmter Sinngehalt abgewinnen läßt oder nicht1 51 • 149
Vgl. den Versuch, diese Oberbegriffe gegeneinander abzugrenzen, bei
Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungszwang, S. 37 ff.; ferner die aufstei-
gende Reihung in unbestimmte Rechtsbegriffe, normative Begriffe, Ermessensbegriffe und Generalklauseln bei Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 108 ff. 150 Vgl. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 115 und den ausführlichen überblick über gesetzliche Begriffe und Wendungen, die im Gegensatz zur bloßen Auslegung eine richterliche Ausfüllung notwendig machen, bei Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 26 ff., S. 32 (Gute Sitten), S. 35 (Treu und Glauben). 151 Rittner, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum des Zivilrichters im deutschen Recht, S. 21, 26 und durchgängig ebenso schon Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 13, 17, 18 insbes. 20 f. Der schöpferische Charakter auch der Interpretation wird damit nicht verkannt. Vgl. dazu Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 14 f.; zustimmend Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S. 2; ders., Festschrift für Olivecrona, S. 384, 385 ff. Ausführlich Esser, Grundsatz und Norm, S. 253 ff. Kritisch gegenüber einem rechtsschöpferischen Charakter hingegen Zöllner, Festschrift der Tübinger Juristenfakultät, S. 131, 139 ff., 150 ff.
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Betrachtet man nun unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht die Auffassungen, die zu solchen gesetzlichen Tatbeständen vertreten werden, so verspricht dies eine verallgemeinernde Aussage über die Funktion des Rückgriffs auf unbestimmte "Maßstäbe", in die sodann auch die aus den genannten Entscheidungen wiedergegebenen Begründungen einbezogen werden können. Dies kann den Ausgangspunkt weiterer Überlegungen bilden.
Will die Begründung eines Gerichtsurteils in erster Linie die Entscheidung eines konkreten Streitfalles "rechtfertigen als eine vernünftige und einleuchtende Lösung, die sich im Einklang befindet mit den Bewertungsrichtlinien, welche sich aus den bestehenden Gesetzesvorschriften, aus den Entscheidungen anderer Gerichte, aus den im juristischen Schrifttum vertretenen Meinungen und anderen für den Rechtsfindungsprozeß relevanten Materialien ergeben können"152, so läßt sich die Begründungsfunktion von Generalklauseln, Blankettbegriffen oder wert aus füllungs bedürftigen Rechtsbegriffen nur veranschaulichen, wenn man mit Walther Burckhardt ganz elementar davon ausgeht: "Begründen heißt, methodisch das Besondere aus dem Allgemeinen ableiten"153. Im Einklang mit dieser Definition erachtet Engisch eine gerichtliche Entscheidung, "die das Einzelne im Lichte des Allgemeinen sieht", dann als "richtig", "wenn sie aus Gesetz und Recht heraus zutreffend begründet ist"154. Auch hinsichtlich der unbestimmten "Maßstäbe" wird daher, insbesondere in der Rechtsprechung, nicht selten der Eindruck erweckt, als erlaubten sie im Sinne dieser Formulierungen, das Einzelne des zu entscheidenden Falles im Lichte eben dieser unbestimmten "Maßstäbe" zu sehen 155 . Anschaulich hat Wieacker 156 solche Überlegungen analysiert, die die Anwendung insbesondere des § 242 BGB von derartigen positivistischen Voraussetzungen aus bewerten, also darin eine positive Rechtsnorm, einen allgemeinen Gesetzesbefehl an den Richter sehen: Die Verweisung auf "Treu und Glauben" und auf die "Verkehrssitte" erlaubten dem Richter entsprechende Subsumtionsschlüsse aus diesen Maßstäben. "Auch die GeneralklauseI erscheint hier immer noch als vorweggenommenes (hypotheSo Kötz, über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 6. Methode und System des Rechts, S. 5. Dazu allgemein auch Horak, in: Entscheidungsbegrundung, S. 2 f. 154 Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken, S. 11; ebenso Schlüter, Das Obiter dictum, S. 94. 155 Vgl. dazu den kritischen überblick über die Rechtsprechung des RG und des BGH bei Rittner, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum, S. 21, 42 f.; ferner Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 52. Merz, AcP 163 (1963), 306, 328 bewertet dies zutreffend als "eine naive Betrachtung" . 158 Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 8 ff. 152
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3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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tisches) Urteil, also als ein starrer Vorentwurf des Gesetzgebers" 157. Demgegenüber gelangt Wieacker zu der Erkenntnis, daß eine Sozialethik für soziales Verhalten zwar Richtungstendenzen angeben könne, jedoch keine allgemeingültigen Normschemata, unter die ein gegebener Sachverhalt durch analytische Urteile einfach subsumiert werden könne l5B . Eine Verweisung auf solche oder ähnliche "Maßstäbe" vermag die notwendige Obersatzbildung nicht zu verwirklichen i59 . "Treu und Glauben" oder die "guten Sitten" sind somit keine fertigen Schablonen, "die der Richter einfach auf ein untergelegtes Material durchzeichnet, sondern eine vom Richter selbst zu realisierende einmalige Anforderung in der bestimmten Situation des Rechtsfalles"160. Allenfalls wird ihm die Richtung gewiesen, in der die Entscheidung zu suchen ist l61 . Zu einer ähnlichen Antwort war bereits Hedemann gelangt auf die Frage: "An welche Stelle des Rechtssystems sind die Generalklauseln einzugliedern?" 162. Sie erscheinen ihm als allgemeine Waffe und Mittel der Rechtsgestaltung. Es wohne ihnen der Wille zur Rechtsgestaltung inne, da sie anders als bei der Gesetzesauslegung keine Wegleitung für den Richter enthielten und in ihnen nicht einmal die Entwicklung eines schon vorhandenen Rechtsgedankens zum Ausdruck komme. Da die Generalklauseln vielmehr in unablässiger Erneuerung "das lebendige weiterfließende Recht" begleiteten und beeinflußten, erfaßte sie Hedemann schließlich in der viel zitierten Umschreibung "als ein Stück offengelassener Gesetzgebung"163. 157 So Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 11. Rittner, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum, S. 21, 42 schreibt gerade
diesem gesetzespositivistischen Beharrungsvermögen einen Teil der Hoheit der "königlichen Paragraphen" zu. 158 Ebenso Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 14. 159 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 13. Vgl. die Zusammenstellung und ausführliche Kritik der zahlreichen Rezeptionstheorien bei Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 12 ff.: Sittlichkeit, Sittengesetz, materielle Wertethik, Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, Sozialmoral, soziale Normen. Ferner Ott, Systemwandel im Wettbewerbsrecht, Festschrift für L. Raiser, S. 403, 410 ff.; K. Schmidt, DRiZ 1977,97. 160 So Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 13; zustimmend Schlüter, Das Obiter dictum, S. 116; Scheyhing, SchlHAnz. 1962, S. 113, 115.
161 So Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 27; zustimmend Schlüter, Das Obiter dictum, S. 119.
Die Flucht in die Generalklauseln, S. 57. Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. Zu der vollen Bedeutung dieser Kennzeichnung in einer pluralistischen Gesellschaft, in der unterschiedliche Wertauffassungen miteinander konkurrieren, vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 422 und schon S. 267. Ferner Scheyhing, Pluralismus und Generalklauseln. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen wird auch gelegentlich von einer "Lücke" gesprochen (so von Reinicke, NJW 1952, 1153). Vgl. 162
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
Damit erweist sich - unsere Ausgangsfrage im Auge - die Ansicht Wieackers als zutreffend, daß "das Verhältnis der Generalklausel zum Einzelfall nicht das der logischen Unterordnung des besonderen unter das allgemeine" ist 164 . Diese Gedankengänge werden auch von der sozialwissenschaftlichen Forschung eindrucksvoll bestätigt. Diese gewinnt aus der Tatsache, daß Sprachgebilde wie Generalklauseln, Blankettbegriffe u. ä. einen völligen oder sehr weiten Spielraum haben und daß sie folglich mit allen oder fast allen konkreten Verhaltensformen und Verhaltensregeln vereinbar sind, die Erkenntnis, daß es ihnen an Normgehalt mangelt. Sie charakterisiert sie folglich als "pseudonormative Leerformeln"165. Unter juristischem Aspekt kehrt der weitere sozialwissenschaftliche Ertrag, es handele sich um "Immunisierungsstrategien" , in der Überlegung wieder, daß solche Leerformeln, die für sich allein keinen abgebbaren sachlichen Gehalt haben, die Diskussion dort abschneiden, wo sie erst beginnen müßte 166 . Auch ist die weitere Schlußfolgerung unbestreitbar, weil durch Erfahrung belegt, daß mit solchen leeren Formeln "jede beliebige, bestehende oder erwünschte politische Ordnung oder Einzelmaßnahme verteidigt oder bekämpft werden kann"167. Hattenhauer sieht gar den Wert des Offenkundigkeitsprinzips in Frage gestellt, wenn die richterliche Argumentation sich "auf methodisch nicht aufschließbare Leerformeln" zurückzieht1 68 . Der These von den "pseudonormativen Leerformeln" ist freilich von Larenz die Notwendigkeit eines "wertorientierten" Denkens entgegengesetzt worden. Dies zeige sich u. a. auch an den Maßstäben von Treu und Glauben, bei denen sich das Gesetz zur Umschreibung des Tatbestandes "ausfüllungsbedürftiger Wertungsmaßstäbe" bedient habe. Die Auffassung von Larenz, derartige Maßstäbe seien keineswegs schlechthin inhaltslos, weil sie jeweils einen spezifischen Rechtsgedanken enthielten, widerlegt sich freilich selbst mit dem Eingeständnis, dieser Rechtsgedanke entziehe sich aber "jeder begrifflichen Definidie aktuelle Kontroverse zu § 5 Abs.3 Ziff.3 BetrVG: Rüthers, JZ 1974, 625; BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG unter III, 3. Nach Enneccerus / Nipperdey, § 58 I, 1 (S. 337) handelt es sich um "Lücken intra legern". 164 Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, S. 15. 165 So Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozial wissenschaftlichen Theorienbildung, S. 17,28; vgl. ferner zur näheren Beweisführung Teubner, Stan·· dards und Direktiven in Generalklauseln, S. 20. 166 So Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, S. 23; ebenso Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 22. 161 So Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozial wissenschaftlichen Theorienbildung, S. 28, dort auch die treffenden Beispiele. Ferner die Belege bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 210 ff. 16B Kritik des Zivilurteils, S. 28 Rdnr. 24.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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tion"169. Auch der Ausweg aus diesem Dilemma, diese Rechtsgedanken erhielten "ihre inhaltliche Ausfüllung durch das allgemeine Rechtsbewußtsein der zur Rechtsgemeinschaft Verbundenen", das sowohl durch Tradition geprägt wie in ständiger Neubildung begriffen sei l7O , macht offenkundig, - wie immer man diese Ausführungen sonst noch verstehen mag - , daß den genannten unbestimmten "Maßstäben" selbst kein Sachnormcharakter zukommt, aus dem sich irgendetwas ableiten ließe. Der vorgeschlagene Rekurs auf "das allgemeine (!) Rechtsbewußtsein der zur Rechtsgemeinschaft Verbundenen (!)" führt ferner zu der Frage, wie sich den Gerichten dieses Rechtsbewußtsein mitteilt, als dessen "Sprachrohr" Larenz sie betrachtet l7l . Angesichts der Tatsache, daß das einfache Begründungsmodell eines Ableitungszusammenhangs deshalb nicht anwendbar erscheint, weil Generalklauseln oder sonstige unbestimmte "Maßstäbe" eben nicht die maßgebliche, wenn auch vielleicht interpretationsbedürftige Regel bezeichnen, muß ihnen um der Begründungsrationalität willen eine andere Funktion zugewiesen werden: "Anwenden von Generalklauseln, die nicht die logische Form von festen Regeln haben, heißt nicht logisches Unterordnen des besonderen (eines Lebenssachverhaltes) unter ein allgemeines (die abstrakten Tatbestandsmerkmale einer Norm), sondern selbständiges Gewinnen einer Entscheidungsnorm für den konkreten Fall, allerdings unter Berücksichtigung der in der Generalklausel angegebenen Orientierungspunkte"172. Hierin wird nun abermals deutlich, daß diesen unbestimmten Maßstäben in der Tat kein Sachnormcharakter zukommt, der die Entscheidung des Einzelfalles maßgeblich beeinflussen könnte, sondern daß sie als Ermächtigung oder Delegation an den entscheidenden Richter gedeutet werden müssen, selbst die Maßstäbe zu entwickeln, an denen die Entscheidung ausgerichtet werden SOll173. Ob insoweit eine nähere Differenzierung möglich 169
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Larenz, Methodenlehre, S. 203; ebenso schon ders., JZ 1962, 105, 106. Larenz, Methodenlehre, S. 203.
171 Methodenlehre, S. 203. Ob damit die Lehre "vom gesunden Volksempfinden" wieder aufersteht, soll dahinstehen. Die objektiven Anklänge lassen sich jedoch nicht überhören. Vg1. zum "gesunden Volksempfinden": Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 146/7, 216 ff.; ferner die kritische Auseinandersetzung mit der Auffassung von Larenz über den "Sachnorm"-Charakter des § 242 BGB bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 52 f. 172 So Schlüter, Das Obiter dictum, S. 116; insbesondere auch Reinhardt, Methoden der Rechtsfindung, S. 26: Generalklauseln erfüllen noch nicht die Erfordernisse einer Rechtsnorm; ferner Michaelis, Logische und praktische Richtigkeit bei der Subsumtion, Göttinger Festschrift für das OLG Celle, S. 117, 135. Anschaulich zu § 1 UWG auch Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, S. 22 - 39. 173 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 55; Esser, Grundsatz und Norm, S. 65; Rittner, Ermessensfreiheit und Billigkeitsspielraum, S. 21, 41; Reinhardt, Methoden der Rechtsfindung, S. 26: Aufforderungen an den Richter,
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B. Allgemeine Funktion und Bedeutung
ist und ob man Blankettnormen von Generalklauseln abgrenzen kann, schließlich ob es sich insoweit "weniger um eine sachbedingte Unklarheit" sondern "um einen Mangel an überlegung" handelt174 , soll hier dahinstehen; denn "das bei aller Verschiedenheit dieser unbestimmten Normierung gemeinsam bezeichnende ist die Ermächtigung ..."175. Auch ist dazu das Verständnis des Praktikers aufschlußreich, daß es sich bei Begriffen, zu deren abschließender Umreißung der Gesetzgeber nicht imstande ist, um den Generalklauseln verwandte "Kryptoermächtigungen" handele 176 . Mit diesen Feststellungen ist jedoch offenkundig erst der Ausgangspunkt eines viel schwierigeren Problemkreises angedeutet. Als verhängnisvoll bezeichnet es Merz zu § 242 BGB, "wenn im Grundsatz von Treu und Glauben der Ausdruck richterlicher Ermessensfreiheit zu Billigkeitsentscheidungen i. S. des ,hic et nunc gerade Angemessen' und der Verzicht auf jede weitere dogmatische Verankerung und vor allem auf jede Regel erblickt würde"177. Mit der Ermächtigung an den Richter ist unverrückbar das Problem verbunden, wie der Richter nunmehr die Regel bilden soll; denn es zählt zum "Wesen einer Rechtsentscheidung - im Gegensatz zur bloßen Anordnung - , daß sie an einem Maßstab ausgerichtet ist oder selbst einen Maßstab aufstellt, der in allen gleichliegenden Fällen in gleicher Weise angewandt werden kann und muß"178. Die dem Richter übertragene Gestaltungsaufgabe verwirklicht sich nun in einem eigentümlichen, gegenläufigen Verfahren. Soll die Konkretisierungsaujgabe, die sich dem Gericht immer aus Anlaß von Einzelfällen stellt, in rechtssatzförmiger Weise erfolgen, ist eine Abstrahierung von den nach Ansicht des Gerichts unmaßgeblichen Eigenheiten des Entscheidungsfalles und schon um des Gesichtspunktes der gleichen Behandlung gleichartiger Fälle willen179 eine Verallgemeinerung der als entscheidend angesehenen Fallumstände erforderlich. Dies sich nach Ordnungsgesichtspunkten umzusehen. Berkemann, Festschrift für W. Geiger, S. 299/300; Ott, Festschrift für L. Raiser, S. 403, 417. Deutlich auch schon Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 55. 174 So Esser, Grundsatz und Norm, S. 95 Fn.27. 175 So Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 57, ferner S. 59 ff. 17ft So Heusinger, in: Ansprachen, S. 43. 177 AcP 163 (1963), 306, 328; zustimmend Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S. 9. Dazu auch den überblick bei Ohlmer, Richterfreiheit und Begründungspflicht, S. 53 ff. Zu einigen allgemeinen Aussagen, die der Richter bei der Formulierung seiner konkretisierenden Obersatzbildung zu beobachten habe, vgl. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 116 f. 178 So Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S. 9, ferner S. 13; ebenso Heusinger, in: Ansprachen, S. 42. Deutlich auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 62 f. 179 Dazu Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 62; zu Konkretisierungsproblemen ferner Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 85 ff.
3. Zur richterlichen Entscheidungsbegründung
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führt zur Methode der Fallgruppenbildung, die sich aus der Perspektive der Generalklausel als Konkretisierung, aus der Sicht des Einzelfalles hingegen als Abstraktion darstellt. Das Schwergewicht liegt in der Herausarbeitung generalisierungsfähiger Fallmerkmale 180 • Ob zu diesem Zweck die Methode der Interessenabwägung Ertrag verspricht 181 oder ob es möglich erscheint, solche Regeln anhand von "Ordnungsgesichtspunkten" zu bilden, die in den Grundkräften der geltenden Rechtsordnung beheimatet sind 182 oder ob in bestimmten Fällen der schillernde Gesichtspunkt des "Standard" eine Normbildung gestattet "unter dem Gesichtspunkt nicht kodifizierter Wertprinzipien und mit der (nur von den Gerichten selbst kontrollierten) Bindung an außergesetzliche, oder doch ,objektive', also konventionelle, Maßstäbe von wechselnder empirischer Basis und Dichte" 183, muß hier freilich dahinstehen. Das gilt auch für die Frage, ob nicht der Versuch Teubners, Generalklauseln durch sozialwissenschaftlich-empirische Wert- und Normforschung operationabel zu machen 184 , allein schon an der praktischen Erwägung scheitern muß, daß diese bisher in den Prozeßordnungen nicht institutionalisiert sind 185 • dd) Usurpatorischer Gebrauch unbestimmter "Maßstäbe"
Das Problem gesetzlich vorgesehener Generalklauseln und Blankettnormen war ins Blickfeld gerückt worden, um zu erfahren, wie sich in diesen Fällen Begründungsrationalität verwirklicht. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß dem Rechtsanwender kein nachvollziehbarer Ableitungszusammenhang vorgegeben, sondern dem Richter vielmehr aufge180 Larenz, Methodenlehre, S. 277/8. Vgl. zum Kasuistikerfordernis im Rahmen von Generalklauseln: v. Hippel, Richtlinie und Kasuistik, S. 26 ff. Dazu, "daß die herkömmlichen juristischen Methodenlehren keine Anleitung zur Handhabung von Generalklauseln anbieten", Sambuc, F