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German Pages [235] Year 2020
Marie von Lüneburg
tyrannei und teufel Die Wahrnehmung der Inquisition in deutschsprachigen Druckmedien im 16. Jahrhundert
Marie von Lüneburg
Tyrannei und Teufel Die Wahrnehmung der Inquisition in deutschsprachigen Druckmedien im 16. Jahrhundert
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Diese Arbeit ist zugleich eine Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock, Disputation Juli 2018.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Raimundo Gonzalez de Montes, Der Heiligen Hispanischen Jnquisition/etliche entdeckte/ vnd offentliche an tag gebrachte ranck vnd Practicken. Jtem/ Etliche bsonders gsetzte Exempeln/ vber diejenigen/ so hin vnd wider im buchlein sind angezogen worden/ ... Hinden haben wir etlicher gottseliger marterer Christi herrliche zeugnussen hinzugethan/ ... Alles newlich durch Reginaldum Gonsalnium Montanum in Latein beschrieben/ vnd jetzt erst ... verteutschet, Heidelberg 1559, HAB Sig. A: 180.16 Hist. (1) Korrektorat: Klara Vanek Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51617-8
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Arbeitshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Quellen und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1. Die kaiserliche Tyrannei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.1 Von Augsburg 1530 bis Regensburg 1541 . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2 Reichstag zu Speyer 1542 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.3 Reichstag zu Worms (1545) und die Löwener Artikel . . . . . . . . 51 1.4 Religionsgespräch und Reichstag 1546 . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.5 Kaiserliche Tyrannei im Interimswiderstand . . . . . . . . . . . . 69 1.6 Kaiserliche Tyrannei in den Niederlanden (1550) . . . . . . . . . . 76
2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition . . . . . . . . . 83 2.2 Italienische Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.3 „kein grösser unbarmherziger Blutdürftiger Tyrann ye gewesen“ – ein Inquisitor wird Papst . . . . . . . . . . 105 2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn . . . . . . . . . . 136
3.1 Protestantenverfolgung als Thema auf dem Reichstag zu Augsburg 1559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
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Inhalt
3.2 Rom formiert sich neu: Das Konzil wird beendet . . . . . . . . . 3.3 Der Mythos von Bayonne 1565 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Reichstag zu Augsburg 1566 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden . . . . .
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat? . . . . . . . . . . . . . 171
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590) . . . 171 4.2 Päpstliche Deutschlandstrategien um 1600 . . . . . . . . . . . . 186 4.3 Vom spanischen Winter (1598/99) zum Dreißigjährigen Krieg . . 192
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Danksagung
Die Reise mit der Dissertation, die Themenfindung, begann mit Prof. Dr. Markus Völkel. Prof. Dr. Hillard von Thiessen (Rostock) hat die Arbeit in der Betreuung und als Erstgutachter übernommen und mit Zuspruch zu einem Ende geführt. Prof. Dr. Peter Burschel (Wolfenbüttel/ Göttingen) und Prof. Dr. Mark von der Höh (Rostock) haben die Zweit- und Drittgutachten übernommen – herzlichen Dank allen Beteiligten. Dem Deutschen Historischen Institut in Rom bin ich seit dem Forschungsstipendium 2009/2010 verbunden und danke für die Unterstützung. An der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel haben mich viele Kollegen und Kolleginnen auf meinem Weg begleitet und unterstützt, das gilt auch für das Team des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel – allen, sowie meinen Freunden und meiner Familie sei für das Anfeuern auf dieser langen Reise, gedrückte Daumen – und gelegentlich mehr – gründlich gedankt. Dorothee Rheker-Wunsch und Julia Beenken vom Böhlau Verlag gilt der Dank für die Drucklegung der Arbeit. Peter und Sybille Voss-Andreae haben mich durch Studium und Promotion hindurch sehr großzügig unterstützt, ihnen danke ich dafür von Herzen. Meinen lieben Eltern, Ernst und Susanne von Lüneburg, widme ich diese Arbeit. Braunschweig, Herbst 2020
Einleitung Der Terminus „Inquisition“ hat bis heute in der Presse, im Sprachgebrauch oder auf Bildern eine Negativkonnotation: Inquisition als Teil eines dunklen, unaufgeklärten, rückschrittlichen, von mittelalterlichen Praktiken beeinflussten und repressiven Katholizismus. Der Hass auf die Vorherrschaft der Spanier wurde von den politischen Konkurrenten seit dem 16. Jahrhundert über alle Kanäle mit überspitzten BILDERN verbreitet. Dabei war die Inquisition stets ein Teil dieser Darstellungen und ging daher auch in den folgenden Jahrhunderten in einer allgemeinen antispanischen Färbung der Geschichtsschreibung auf, die 1914 von dem spanischen Soziologen Julián Juderías (1877–1918) unter dem Begriff „Schwarze Legende“ (Leyenda negra) zusammengefasst wurde. Auch im zeitgenössischen papstkritischen Diskurs des 16. Jahrhunderts war die Inquisition der Inbegriff unchristlicher, blutiger Glaubensverfolgung, wie eine deutschsprachige Flugschrift von 1546 deutlich macht: Die Inquisition sei „eine antichristliche pepstliche und kayserliche und teuffellische Tyranney“.1 Hier ist erkennbar, dass unspezifische Vermengungen verschiedener Institutionen und Akteure zu einer generischen Inquisitionspraxis durchaus als zeittypisch anzusehen sind. Wie das Zitat zeigt, war der Inquisitionsdiskurs auch in Deutschland, im Mutterland des Protestantismus, durchaus präsent. Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie die Inquisitionsthematik im frühneuzeitlichen Kommunikationsprozess nach dem Durchbruch der Reformation zwischen politischer Meinungsbildung im Konfessionalisierungsprozess und Ausbildung der Schwarzen Legende Eingang fand. Zentrale Markierungen können dabei als Orientierung dienen: Blickt man auf das 16. Jahrhundert, so fallen einem die großen Zäsuren der Reformation und des Augsburger Religionsfriedens ins Auge, am Anfang des 17. Jahrhunderts steht der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Für die Inquisitionsgeschichte kristallisieren sich bald zwei markante Jahre heraus: 1542 als Neugründungsdatum der (päpstlichen) römischen Inquisitionsbehörde und 1568, als der Achtzigjährige Krieg in den Niederlanden endgültig ausbricht, in dessen Vorgeschichte und Verlauf die (kaiserliche) spanische Inquisition eine zentrale Rolle spielte. So 1
Newe zeytung aus Dem Niderland. Welche anzaygen die grausame vnd vnchristliche Tyranney wider die armen Christen vmb Gotes worts willen [...], o. O., o. Dr. Augsburg 1546, fol. 2.
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Einleitung
sind es grundlegend zwei Inquisitionsmodelle, die den Historiker beschäftigen, wenn er sich entschließt, nach Spuren der Inquisition im Reich zu suchen. Dabei ist zunächst einmal festzustellen, dass im deutschsprachigen Heiligen Römischen Reich der Frühen Neuzeit keine Inquisition betrieben wurde – es existierte weder eine päpstliche noch eine kaiserliche Inquisitionsbehörde.2 Doch kursierten hier sehr intensiv Gerüchte, Mythen, Legenden, Bilder und Ideen über inquisitorische Aktivitäten. Dabei wird dem historischen Blick schnell deutlich, dass es die ersten Akteure und Anhänger der Reformation waren, die – ihrerseits von der Inquisition unbehelligt – mit besonderer Aufmerksamkeit beobachteten und weitergaben, mit welchen Mitteln die katholischen und kaiserlichen Instanzen in den Nachbarländern auf die Reformation reagierten – Berichte, die wiederum für die eigene Propaganda genutzt werden konnten. Glaubensverfolgung im Zuge der Verbreitung der Reformation fand im 16. Jahrhundert in den benachbarten Territorien fast überall statt: in Italien seit 1542 durch die römische Kurie, in Spanien seit 1487 (zunächst gegen Andersgläubige wie die Muslime, später auch gegen Protestanten) durch die vom Papst gebilligte staatliche Inquisition, in den Niederlanden seit 1520 durch scharfe antiprotestantische Edikte, die von den kaiserlichen Behörden erlassen wurden, in Frankreich als breite Verfolgung der Hugenotten durch König und Klerus ab etwa 1540, in England unter den katholischen Tudors gegen die Anglikaner. Wie haben die deutschsprachigen Protestanten diese Verfolgungen wahrgenommen? Wie haben sie zwischen den verschiedenen Akteuren und Formen der Verfolgung unterschieden? Und welche Rolle spielte ihr Diskurs über die Inquisition für ihre eigene konfessionspolitische Entwicklung? Das sind die Fragen, denen die vorliegende Untersuchung nachgehen will. Damit geht eine Reihe weiterer Fragen einher: Wer sprach aus welchem Anlass und mit welchen Motiven zu wem über die Inquisition? Wenn der Diskurs 2
Die päpstliche Inquisition des Hochmittelalters, von Papst Innozenz III. durch die Bulle Ad abolendam 1184 als Institution etabliert, wurde 1542 von Papst Paul III. neu gegründet. Diese päpstlich-römische Inquisition ging (nach verschiedenen inhaltlichen und institutionellen Zwischenstufen) 1965 in der vatikanischen Glaubenskongregation (Congregazione per la Dottrina della Fede) auf. Papst Sixtus IV. approbierte 1478 das spanische Modell, das von den spanischen Königen direkt betrieben wurde und zunächst gegen Muslime (Moriscos) und Juden (Conversos) eingesetzt wurde. Darunter verstehen wir noch heute die „spanische Inquisition“. Zur Unterscheidung siehe den Artikel „Inquisition“ im Lexikon für Theologie und Kirche, S. 527–532. Der Begriff „Inquisition“ (lat. Untersuchung) bezeichnet das rechtliche Ermittlungsverfahren, das im Mittelalter entstanden war.
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über die Inquisition auch als politische Propaganda entziffert werden soll, so ist hierfür der jeweilige konkrete Ereignishintergrund und auch so etwas wie ein großer psychosozialer Kontext zu beschreiben. Die konfessionspolitische Situation im Reich im 16. Jahrhundert dürfte von den Protestanten als sehr unsicher und unvorhersehbar erlebt worden sein, gerade auch wegen der rigorosen Verfolgung in den Nachbarländern. Angst und Unsicherheit könnten also zunächst die zentralen Motivationen für das Hinweisen auf die Zustände im Ausland sein. Der Religionsfrieden von 1555 bewirkte eine provisorische Harmonisierung der Zustände, was jedoch auch mit einer zusehends klareren Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Parteien einherging. Wie wenig befriedet die Verhältnisse tatsächlich waren, offenbarte sich spätestens 1618 mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. So soll in der Untersuchung vor allem beobachtet werden, wie die Protestanten in Flugschriften und Flugblättern den Diskurs um die Inquisition, um Glaubenskontrolle und Glaubenszwang für ihre politische Propaganda nutzten, zunächst als Abgrenzung gegenüber den Katholiken, später aber auch als Instrument zur Vereinheitlichung nach innen: Als sich nach dem Religionsfrieden die Reformierten von den Lutheranern absonderten, spielte der Diskurs über die Inquisition interessanterweise eine nicht unbedeutende Rolle zur Beschwörung einer gleichwohl gemeinsamen Identität, genauer im Kampf der Reformierten um die Anerkennung im Religionsfrieden. Von welchen kirchlichen Parteien ist in der Untersuchung die Rede? Im Groben werden drei große Richtungen unterschieden: lutherisch, katholisch und reformiert. Das konfessionelle Zeitalter begann im 16. Jahrhundert damit, dass 1530 alle drei Gruppen offizielle Bekenntnisschriften herausgaben: Die protestantische Confessio Augustana, die katholische Confutatio und Zwinglis Ratio fidei.3 „Konfessionalisierung“ beschreibt in der Geschichtsforschung die Epoche 3
Die Protestanten hatten die „Mode“ der schriftlichen Erklärungen begonnen, wurden aber in den folgenden Jahrzehnten selbst von innerkonfessionellen Streitigkeiten erfasst. Erst mit der Konkordienformel 1577 wurden die innerlutherischen Streitigkeiten vorerst beendet. Die katholische Kirche bekam den entscheidenden Impuls durch die Abschlusserklärung des Trienter Konzils 1563. Trient hatte das Katholische mehr als betont und die Altgläubigen argumentativ auf eine neue Fährte geführt, so dass sie sich auch gegen die bis dahin starken Lutheraner zur Wehr setzen konnten. Die Reformierten galten auch nach dem Religionsfrieden von Augsburg aus katholischer Sicht als Ketzer und wurden demzufolge in der Trienter Erklärung nicht berücksichtigt; zum Forschungsstand der Konfessionalisierungsforschung siehe sehr prägnant Bremer, Konversionalisierung statt Konfessionalisierung?
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zwischen Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg, genauer eben die Zeit, in der sich die lutherische, reformierte und katholische Auffassung unter dem Dach des Reiches und im Sog des Religionsfriedens weiter entwickelten, bis eine völlige politische Stagnation eintrat und 1618 der Krieg ausbrach. Der Unabhängigkeitskrieg in den Niederlanden und die Religionskriege in Frankreich dominierten auf außenpolitischer Ebene das Geschehen und nahmen Einfluss auf die Konfessionalisierung im Reich.4 Die Gerüchte hielten sich auch nach dem Augsburger Religionsfrieden hartnäckig, weil der spanische König Philipp II. im Zuge der Konfessionalisierung Europas die Außenpolitik immer entschiedener auf gegenreformatorischen Kurs brachte – dabei spielten die Institutionen eine nicht unbedeutende Rolle: Nuntiaturen wurden ausgebaut, Orden neue Zuständigkeitsbereiche erteilt, die Inquisition wurde eine Kongregation.5 Die katholische Kirche bediente sich aller ihr möglichen Institutionen: Orden, Laien, Priester, kurzum all dessen, was von den Protestanten durch die Reformation abgeschafft worden war. Der Inquisitionsdiskurs erstreckte sich im Zeitraum zwischen 1540 und 1618 sowohl auf den aktiven Konfessionalisierungsprozess – das (auch politische) Abgrenzen von den anderen kirchlichen Parteien –, als auch auf die Identifikationsprozesse – das Finden der eigenen neuen Religiosität und des Machtanspruchs.6 Die Gefahr, sich auf den Nebenschauplätzen der Konfessionen und politischen Ereignisse zu verlieren, ist groß. Hält man sich aber an den roten Faden, der sich wirklich nur um Inquisition spinnen soll, so gelingt der Fokus ganz gut. Zunächst aber zu den am Diskurs beteiligten Akteuren und Kommunikationsplattformen. Was genau umfasst also der Inquisitionsdiskurs in der Frühen Neuzeit? Zunächst ist festzuhalten, dass dieser Diskurs sowohl die Äußerungen – von katholischer Seite – zur Erläuterung und Begründung der Inquisition als auch diejenigen – von protestantischer Seite – zur Kritik an ihren Prinzipien und Praktiken umfasst. Er besteht konkret aus den Schriften, ihren Autoren und Vertriebskanä4
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Aufschlussreich für zwischenstaatliche Beziehungen um 1600 im Kontext der Konfessionalisierung ist der Sammelband von Beiderbeck u. a., Dimensionen; darin zu den Niederlanden der prägnante Aufsatz mit Literaturüberblick von Arndt, Die Niederlande. Vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Formierung, S. 595. Auf beispielsweise die Historisierung des eigenen Glaubens im Zusammenhang mit der Konfessionalisierung weisen Schmidt, Spanische Universalmonarchie, S. 23, und Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit, S. 41, hin. Dabei ist der Inquisitionsdiskurs nicht unerheblich, wie sich im Folgenden zeigen wird.
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len sowie ihren Lesern und den Orten der Rezeption. Daraus ergibt sich die Lokalisierung einer protestantischen respektive katholischen Öffentlichkeit. Über Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahrzehnten viel gearbeitet worden, ohne dass dabei ein beispielsweise für die hier relevante Fragestellung griffiges Untersuchungskonzept herausgekommen wäre.7 Daher erwies es sich als fruchtbar, anhand der oben genannten Faktoren einen für diese These passenden Diskursraum zu beschreiben und festzulegen; die einzelnen Faktoren sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Die Schriften geben in der Regel durch ihre Beschaffenheit schon einiges an Information: Wenige, zusammengeklebte Blätter im Oktavformat lassen auch den Leser der heutigen Zeit nicht lange im Unklaren, worum es geht: In der Regel sagt der Titel genau aus, was einen in dem Druck erwartet (also beispielsweise das Thema ‚Krieg‘, ‚Pest‘, ‚Überschwemmung‘ oder eben ‚Inquisition‘),8 die Sprache ist in der Regel deutsch (von der protestantischen Seite), hin und wieder auch Latein (meist von den Katholiken verwendet). Liegt der Name eines Autors oder Druckortes vor, kann man zudem schnell bestimmen, ob es sich um eine protestantische oder katholische Schrift handelt.9 Neben den klassischen deutschsprachigen Flugschriften kursierten im Reich noch die „Zeitungen“, unter denen man meistens Nachrichten aus dem In- und Ausland verstand, die weniger mit einer klar einzuordnenden propagandistischen Aufarbeitung zu tun hatten, als mit dem bloßen Übermitteln von Informationen. Die Augsburger Familie der Fugger baute mit ihren Handelsdependancen ein ausgereiftes Netzwerk dieses Transfers aus, die sogenannten Fuggerzeitungen sind in der Forschung bereits erwähnt.10 7
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Bellingradt, Flugpublizistik, S. 20, beschreibt es wie folgt: „Die medialen Voraussetzungen und Logiken von frühneuzeitlicher Öffentlichkeit skizzieren sich auch nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den ideal-typischen-normativen Thesen Jürgen Habermas’ als nebulös.“ Er führt weiter aus, dass die Diskussion um Habermas’ bürgerliches Öffentlichkeitsmodell deutlich machte, dass es empirisch und theoretisch auf Dauer nicht haltbar war. Diese Einschätzung teilte mir auch Eva-Maria Schnurr mit, die bei der Recherche zu den Druckmedien im Kölner Krieg zum gleichen Ergebnis kam, ich danke ihr für den Austausch darüber. Das massenhafte Verbreiten der oben beschriebenen Schriften war ein Monopol der Protestanten, nicht nur während der Reformationszeit, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten. Die Katholiken machten von den schnell zu verbreitenden Blättern wenig Gebrauch. Siehe vor allem die Studien von Bauer, Zeitungen vor der Zeitung, und ders., Pasquille; zur Einordnung der Fuggerzeitungen in den damaligen Kulturtransferprozess vor allem
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Als Messrelationen bezeichnet man die halbjährlich erscheinenden Publikationen der Messen in Frankfurt, später auch in Köln, Leipzig und Magdeburg (ab 1583). Die Messen fanden in der Regel im Frühjahr und im Herbst statt und veröffentlichten mit diesen seitenstarken Schriften eine Art Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse aus den Monaten zwischen den Messen.11 Zu nennen ist auch noch das italienische Pendant der Zeitung, die Avvisi. Avvisi sind handgeschriebene Nachrichten. Die Autoren waren in der Regel anonym und von geringem sozialen Status, sie verdienten mit dem schnellen Verbreiten von Gerüchten ihr Geld. Die Avvisi kann man als neutral bezeichnen, sie sind wenig konfessionspolitisch geprägt. Rom und Venedig waren die größten Umschlagplätze von verkaufskräftigen Themen. Versuche der Obrigkeiten, den Avvisimarkt zu kontrollieren, gingen erwartungsgemäß schief.12 Dann ist zu fragen, wie sie vertrieben wurden, also beispielsweise welche Drucker und Verteilerkanäle dem Autor zur Verfügung standen. Die zu rekonstruieren ist erfahrungsgemäß nicht immer ganz einfach, anhand des Beispiels des Heidelberger Hofes und seiner Sondersituation im Reich ist es hier dennoch gelungen, Informationstransfer und dessen Umsetzung in Flugschriften zu rekonstruieren, wie sich im Folgenden zeigen wird. Zur Rekonstruktion eines Bildes gehören nicht nur die Flugschriften, der Diskursraum lässt alle Träger von Informationen zu: Reichstagsakten, Edikte, Briefe, ausländische Nachrichten, Gerüchte. Zur Bestimmung des Diskursraumes ist es unabdingbar, nach den verschiedenen Medien zu fragen, der Diskurs bestimmt sich nicht anhand einer Medientheorie, sondern anhand des Motives: Der Diskurs charakterisiert sich durch alle noch vorhandenen Quellen, die im weitesten Sinne mit Inquisition zu tun haben. Die Kommunikationskanäle, sofern sie zu rekonstruieren sind, geben Auskunft über die Vermittlung der Informationen – dabei ist abzuwägen, ob diese der Realität entsprechen oder propagandistisch aufgearbeitet wurden. Bezüglich der Reichsgeschichte ist dieser Aspekt interessant, weil das Reich rechtlich als „freier“ Raum galt, das heißt, Protestanten unterlagen wenigstens in ihren Terri-
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und sehr wichtig Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die wichtigste Sammlung der Fuggerzeitungen ist in der Wiener Nationalbibliothek und umfasst die Jahre 1568 bis 1605. Die Recherche in den Messrelationen ergab allerdings keine relevanten Funde zur Inquisitionsthematik, zu ihrer Gestalt siehe Glüer, Messrelationen und auch Schnurr, Religionskonflikt. Zu den Avvisi siehe auch Zwierlein, Discorso und Lex Dei, S. 381. Zwierlein spricht hier von einem Gegenwartshorizont, der durch die von den Kaufleuten überbrachten Nachrichten geschaffen wurde.
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torien keinerlei Zensurmaßnahmen, im Reich wurden sogar Informationen aus dem Ausland vervielfältigt, wenn es möglicherweise dort technisch nicht möglich war. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der erstmals 1559 vom Vatikan als zentrales Kompendium verbotener Schriften herausgegebene Index librorum prohibitorum: Allerdings war es nicht so, dass der Index auf breites Interesse in der Öffentlichkeit stieß, im Gegenteil, er wurde im Reich überhaupt nur langsam bekannt, und zwar weniger durch das Engagement der Katholiken, als vielmehr durch die Kritik seiner Gegner, die den entsprechenden Schriften so paradoxerweise zu mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit verhalfen. Die Anlässe und Orte der Kommunikation über die Inquisition spielen für diese Arbeit eine besondere Rolle, die bisher von der Forschung nur ansatzweise erfasst wurde. Denn in dem Zeitraum 1540 bis 1618 sticht bald die Quellendichte der ersten Hälfte hervor. Dass dieser Zeitraum mithin als „kommunikationsintensiv“13 im Reich beschrieben wird und eine große Anzahl von Reichstagen, Religionsgesprächen, Fürstentagen, Kreistagen etc. abgehalten wurden, kann in diesem Zusammenhang kein Zufall sein. Die Fülle an Dokumentation, die eben diese Versammlungen begleitet und uns heute erfreut, ist so groß und die bisher geleisteten Vorarbeiten praktisch nicht existent, dass mehr als eine punktuelle Überprüfung in dieser Arbeit nicht geleistet werden konnte. Die drei Religionsgespräche der Jahre 1540 und 1541 werden hier als Glaubensverhandlungen zwischen protestantischen und katholischen Theologen, die vom Kaiser und den Kurfürsten ernannt wurden, verstanden.14 Ziel war eine größtmögliche Annäherung der Standpunkte bis hin zur Einigung. Religionsgespräche fanden meistens aufgrund kaiserlicher Initiative, im Fall von Augsburg 1530, Regensburg 1541 und Worms 1557 während eines Reichstages, statt.15 13
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Ich folge hier der Argumentation von Gotthard, Das Alte Reich, der in den Regierungen von Ferdinand I. und Maximilian II., also von 1558 bis 1576, die kommunikationsintensivste Zeit sieht. Grundsätzlich wurden die Religionsgespräche aber von der Forschung vornehmlich in Hinblick auf die reformationshistorisch-politische Perspektive untersucht, wobei die Funktion der Theologen mit der von „Politikberatern“ verglichen wurde, wie es Luise Schorn-Schütte jüngst formuliert hat: Schorn-Schütte, Eigenlogik und Verzahnung, S. 14–24. Die irenisch-humanistischen Einflüsse beispielsweise um Martin Bucer (1491– 1551) oder Georg Witzel (1501–1573), die stets auf eine friedlichen Lösung des Konfliktes beruhten, untersuchte zuletzt Thomas Fuchs, Konfession und Gespräch. Vgl. zu den Definitionen Dingel, Religionsgespräche IV; Decot, Religionsgespräch und Reichstag; Kohnle, Reichstag und Reformation. Kai Bremer hingegen hinterfragt die „volkssprachliche“ Kontroversliteratur der Reli-
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Einleitung
Stand der Forschung
Zu verorten ist die vorliegende Arbeit zunächst im Umfeld der neueren Forschung über die Inquisition(en). Dem Umstand, dass die Repräsentation „DER Inquisition“ seit jeher in erster Linie das von ihren Gegnern entworfene Bild ist, wird von der Forschung auf (zwei) verschiedene Weisen Rechnung getragen: Zum einen durch die genaue Erforschung der inquisitorischen Realitäten, also der jeweiligen Wirkungsweisen, Verfolgungsdichten, Verfolgungsprofilen etc. der einzelnen, institutionell zu unterscheidenden Sondergerichte in den jeweiligen Ländern. Die spanische Inquisition wurde 1478 als staatliches Organ gegründet: Die Inquisitoren wurden vom König bestellt und vom Papst bestätigt. Anfangs galt ihr Wirken vor allem der Bekämpfung von Maranen und Morisken, mit dem Erstarken der Reformation dann aber auch zunehmend den protestantischen Glaubensanhängern. Die von der Suprema organisierte Verfolgung ist auch deshalb im Fokus des Interesses der historischen Forschung, weil in der Geschichte der spanischen Krone in der Frühen Neuzeit die Kirche bei der Kontrolle der Untertanen unter dem Deckmantel des Kampfes für den wahren Glauben eine besondere Rolle einnahm. Dieses zeigen ältere Studien von Henry Kamen, William Monter
gionsstreitigkeiten. Das wichtige Religionsgespräch in Regensburg 1546 schließlich wurde von Lothar Vogel erstmals ausführlich untersucht. Seit 2000 werden zudem in einem Projekt der Universität Bonn die Akten der Religionsgespräche ediert: Erschienen sind bisher die Bände zu Hagenau, Worms und Regensburg (1540/1541), die Bände zu Regensburg (1546) und Worms (1557) sind in Planung. Bremer, Religionsstreitigkeiten, mit Schwerpunkt auf dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts (Osiander); Vogel, Religionsgespräch; Ganzer/zur Mühlen, Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche (ADRRG), Bd. 1/1–2 Hagenau 1540 (Göttingen 2000), Bd. 2/1–2 Worms 1540/41 (Göttingen 2002), Bd. 3/1–2 Regensburg 1541 (Göttingen 2007). Weniger noch als bei den Reichstagen ist bei Religionsgesprächen die kommunikationshistorische Perspektive ansatzweise erforscht. Einzig Georg Kuhaupts Studie Veröffentlichte Kirchenpolitik geht auf die Außenwirkung der Versammlungen ein und ist für die hier durchgeführte Analyse daher grundlegend. Kuhaupt untersucht die kirchenpolitischen Publikationen von 1538 bis 1541 mit Hinblick auf den historischen Kontext und verbindet damit erstmals die ereignishistorische Ebene mit der inhaltlich-dogmatischen. Sein Fazit belegt eindrucksvoll die bereits beim ersten Religionsgespräch in Hagenau aufgetretene „kirchenpolitische Öffentlichkeit“ beider Konfessionen. Kuhaupt erweitert unter anderem die Gründe für die in der Forschung gängige These, dass ausschließlich die Protestanten volkssprachig, also deutsch, publiziert hätten, vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik.
Stand der Forschung
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oder Charles Lea.16 Mit spezielleren Studien zu einzelnen Regionen oder Motiven der Prozesse wurde die Grundlage für Detailforschung gelegt.17 Die römische Inquisition wurde als Reaktion auf die sich in Italien zunehmend ausbreitende Reformation 1542 neu gegründet. Die Inquisitoren bestellte der Papst; sie operierten als autonomes und keiner Rechtsinstanz untergeordnetes Glaubenstribunal mit der Zustimmung der italienischen Fürsten. Seit der Öffnung der Archive 1998 intensiviert sich die Erforschung von Verfolgungsmechanismen, Prozessen und Urteilen.18 Aber auch schon in den Jahrzehnten davor wurde Forschung zur römischen Inquisition betrieben, beispielsweise von Elio Cantimori, John Tedeschi und William Monter.19 John Tedeschi und James Lattis haben ein Werk mit über 6000 aufgelisteten Titeln herausgegeben, die sich über mehrere Jahrhunderte erstrecken und lückenlos alle Themen und Spektren aufgreifen, die die Reformation in Italien in all ihren Ausprägungen betrafen. Die Liste endet 1997 und beinhaltet daher nicht die aktuellen Werke, die mit der Öffnung der Archive entstanden.20 Neuere Forschungen bieten Überblicke über die Geschichte der Inquisition, vor allem das Dizionario dell’ Inquisizione fasst in drei Bänden unter Schlagworten die Institution Inquisition zusammen.21 16
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Kamen, The Spanisch inquisition; Lea, Geschichte der spanischen Inquisition. Siehe auch Monter, Frontiers of heresy; Henningsen, The Database of the Spanish Inquisition. Schwerhoff, Inquisition bietet eine Übersicht über die europäischen Tribunale und geht dabei genauer auf die spanische Inquisition ein. Zu Toledo: Dedieu, L’administration de la foi; zu Gallizien: El Santo Oficio; zu Valencia: Haliczer, Inquisition and society. Die Entwicklung lässt sich sehr gut nachvollziehen anhand von Del Col/Paolin, L’inquisizione romana in Italia; und einem Sammelband derselben Herausgeber, L’inquisizione romana; zur Inquisition siehe auch den Sammelband von Borromeo, L’inquisizione; die Autoren überschneiden sich teilweise, haben aber an ihre Ausgangspunkte durch den Zugang zu den Dokumenten in den Vatikanischen Archiven neu anknüpfen können. Das zeigt aber auch, dass die Forschung in Italien auf diesem Gebiet seit geraumer Zeit betrieben wird. Vgl. Catimori, Eretici italiani del Cinquecento; Tedeschi, The prosecution of heresy; Monter, Frontiers of heresy; Tedeschi/Monter, Toward a Statistical Profile of the Italian Inquisition. Tedeschi/Lattis, The Italian Reformation of the Sixteenth Century: Hervorzuheben ist vor allem, dass auch die Literatur aus dem 18. und 19. Jahrhundert aufgenommen wurde. Das Dizionario storico dell’Inquisizione, hg. v. A. Prosperi, gibt einen umfassenden Überblick über Themen der Inquisition, inklusive einer umfangreichen Bibliografie
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Einleitung
Andrea Del Col und Adriano Prosperi widmen sich in zahlreichen Werken der Inquisition, ihrem Aufbau, ihrem Vorhaben und ihrer Entwicklung. Vor allem Del Col hat seit der Öffnung der Archive maßgeblich zum Verständnis der Organisationsstruktur der Inquisition beigetragen. Er befasst sich zudem intensiv mit dem Umgang und der Einordnung der Prozessakten als historische Quellen.22 Auch im restlichen Europa gab es Ausprägungen von Repression und Glaubensverfolgung, teilweise staatlich, teilweise kirchlich organisiert, die Gegenstand der Forschung wurden. Isabel Mendes Drumond Braga arbeitete zur Inquisition in Portugal und Alain Tallon analysiert das französische Territorium in Verbindung mit der römischen Inquisition.23 Zum anderen befassen sich einige Studien dezidiert mit der Ausformung des „Negativmythos DER Inquisition“. Für Spanien gibt es verschiedene Studien, die einerseits dem Mythos in Spanien selbst nachgehen24 oder der Schwarzen Legende in Europa bzw. der ganzen Welt.25 Edward Peters hat Ende der 1980er Jahre eine Rezeptionsgeschichte verfasst, die die römische und spanische Inquisitionen in der Wahrnehmung vereint, allerdings nur eine oberflächliche, an der Typisierung der Schriften orientierte Untersuchung mit Schwerpunkt Schwarze Legende ist.26 Michaela Valente untersuchte die imagines der Inquisition in Italien zwischen 1500 und 1800. Ihre Arbeit reflektiert die breite Debatte über Grausamkeiten
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und eines kleinen Abbildungsbandes. Einen Überblick über die europaweite Repressionswelle der mittleren Dekaden des 16. Jahrhunderts liefert Del Col, L’inquisizione in Italia. Hinsichtlich der italienischen Historiografie zur Inquisition siehe: Seidel Menchi, The age of Reformation; Black, The Italian Inquisition. Del Col, L’inquisizione in Italia. Del Col umschreibt die Geschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit und stützt seine Thesen unter anderem auf die jüngst herausgebrachten Prozessakten; Del Col/Paolin, L’inquisizione romana; und auch Prosperi, Tribunali della coscienza. Mendes Drumond Braga, Os estrangieros e a inquisicao Portuguesa; Villani, L’histoire religieuse de la communauté anglaise; Tallon, Inquisition romaine et monarchie. Vgl. dazu Moreno, La invención de la Inquisición; Arnoldsson, La leyenda negra; Hoffmeister, Die ‚leyenda negra‘; Pastore, Il Vangelo, und nicht ganz unumstritten Rawlings, The Spanish Inquisition. Für die spanische Inquisition siehe auch Lynn, Between Court and Confessional. Maltby, The black legend in England. Peters, Inquisition.
Stand der Forschung
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und Ungerechtigkeiten der inquisitorischen Tribunale27 und zeigt, dass die Ablehnung einer kirchlichen Kontrolle groß war bzw. nach dem 16. Jahrhundert die negative Symbolisierung der Inquisition immer größer wurde, der Einfluss der Inquisition allerdings abnahm. Valente ordnete ihre Quellen allerdings weniger einem ereignishistorischen Kontext zu, weswegen die Bedeutung der einzelnen Quellen in ihrem Kontext leider unterbelichtet bleibt. Die Verbindung von Deutschland und Inquisition wurde in der Forschung bisher wenig berücksichtigt. Sicherlich ist hier die Tatsache, dass auf dem Boden des Reichs keine Inquisitionstribunale tätig waren, ausschlaggebend.28 Dieser Umstand wurde mehr als deutlich bei der Tagung „Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit“, die im Oktober 2009 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart stattfand. Erstmals präsentierten Historiker die gesamte Bandbreite der bisher im Hinblick auf das Reich stark vernachlässigten Inquisitionsthematik. Die mittelalterlichen Vorläufer waren ebenso Thema wie deutsche Einzelfälle, die sich vor Inquisitionstribunalen verantworten mussten, oder Einflusssphären der Inquisitionstribunale im Reich, Überschneidungen mit anderen Repressionsmaßnahmen, wie gegen Täufer oder Pietisten, bis hin zur Inquisitionspraxis im 18. Jahrhundert. In der Sektion „Mediale Präsenz im Reich“ wurden in zwei Beiträgen der Zusammenhang zwischen Medien und Inquisition hergestellt, einer von der Verfasserin dieser Untersuchung.29 Die systematische Analyse von deutschsprachigen Flugschriften zur Inquisition – dies wurde auch in Weingarten festgestellt – hat bisher niemand unternommen. Die Untersuchung der Wahrnehmung verschiedener inquisitorischer Aktivitäten in den europäischen Ländern seitens deutscher Protestanten kann als wichtiges Desiderat bezeichnet werden. Einzig Bernd Möller hat sich in einem Aufsatz von 1992 der Frage gewidmet, ob Inquisition eine Randerscheinung in der frühen Reformationszeit war. Er konnte für den Zeitraum zwischen 1523 und 1527 neunzehn Druckwerke mit 72 Auflagen über Inquisitionsverfahren gegen Luther-Anhänger feststellen. Die massenhafte Verbreitung dieser Berichte steht für ihn auch im Zusammenhang mit der Fortsetzung einer Märtyrer-Tradition.30 27 28 29 30
Vgl. Valente, Contro l’inquisizione. Vgl. dazu den Sammelband von Burkardt/Schwerhoff, Tribunal. Vgl. Weiß, Die Inquisition in den Spanischen Niederlanden; v. Lüneburg, Die Inquisition im Medium deutschsprachiger Flugschriften. Vgl. Möller, Inquisition und Martyrium; der Aufsatz ist in einem von Silvana Seidel Menchiherausgegebenen Sammelband erschienen, der ein umfassendes Schlaglicht auf
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Einleitung
Bereits größere Aufmerksamkeit hat der Konfessionskonflikt und in diesem Zusammenhang zum Teil auch die Wahrnehmung der Inquisition in Flugschriften gefunden. Zu nennen sind vor allem die älteren Arbeiten von Hans Joachim Köhler, Harry Oelke und Ruth Kastner.31
Arbeitshypothesen
Die vorliegende Untersuchung geht von der Hypothese aus, dass Deutschland als „Mutterland“ des Protestantismus – trotz der Sondersituation als inquisitionsfreie Zone – einen wichtigen Anteil an der Ausprägung eines Inquisitionsbildes hatte. Drei Gründe sprechen für diese Hypothese. Es liegt erstens nahe, dass in den Fluten der Flugschriften, mittels derer sich die Reformation bekanntlich propagandistisch-politisch den Weg bahnte, durch das europäische Informationsnetzwerk einiges an inquisitorischem Treibgut mit transportiert wurde. Der deutschsprachige Teil des Heiligen Römischen Reiches hatte vor allem mit den als Kommunikations- und Nachrichtendrehscheiben fungierenden süddeutschen Städten Augsburg und Nürnberg einen gewichtigen Anteil an der Streuung von Information, beispielsweise über inquisitorische Maßnahmen im Ausland. Eine solche Annahme wird zweitens auch gestützt durch Studien zur Verbreitung der Schwarzen Legende in den Niederlanden seit 1566. Die Rolle der Inquisition bei der Ausprägung eines antispanischen Feindbildes seit der Herrschaft Karls V. ist in der niederländischen historischen Forschung intensiv untersucht worden.32
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32
die Ketzerverfolgungen in Europa im 16. und 17. Jahrhundert wirft und bis heute seine Relevanz nicht verloren hat, vgl. Seidel Menchi, Ketzerverfolgung. Oelke, Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts, wertet zwar die Flugschriftenliteratur des 16. Jahrhunderts hinsichtlich der Konfessionalisierung aus, geht aber kaum auf die Inquisition ein. Harms, Deutsche illustrierte Flugblätter; Rattay, Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten; Kastner, Quellen zur Reformation; Köhler, Bibliographie der Flugschriften. Arndt, Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit, greift leider erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, trifft aber in der Wahl der Methode eine Kernthese: „Bislang haben Reichshistorie und Mediengeschichtsschreibung kaum Bezug aufeinander genommen. Vergleicht man die Literaturverzeichnisse der einschlägigen Studien, so hat es bislang den Anschein, dass die verschiedenen Richtungen nicht einmal die Namen der Kollegen des anderen Teilgebietes kennen oder sie nicht wahrnehmen. Dies ist umso erstaunlicher, als sie dieselben Zeitalter behandeln“, S. 17. Vgl. Schmidt, Spanische Universalmonarchie; Arndt, Das Heilige Römische Reich; Pollmann, Eine natürliche Feindschaft.
Quellen und Methode
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Die Untersuchungen von Alastair Duke stützen sich auf die Medien, die in den Niederlanden das inquisitorische Vorgehen des Kaisers rezipierten, allerdings stehen diese Fragen stark unter dem Fokus, dass es eine Fremdherrschaft der Spanier war. Dadurch wird die Frage nach Inquisition in einen generellen Horizont feindlicher Propaganda gegen die Obrigkeit eingeordnet.33 Durch die geographische Nähe zu den Niederlanden ist davon auszugehen, dass die Vorgänge in den Niederlanden auch im deutschsprachigen Reich bekannt waren. Und drittens dürfte auch schon vor 1566 die Rezeption der Aktivitäten der Inquisition aus Furcht vor einer repressiven Wende bzw. ihrer Einführung durch den Kaiser eine Rolle gespielt haben. Die religionspolitischen Auseinandersetzungen im Reich intensivierten sich nach dem Bekenntnis der Protestanten auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 und führten spätestens ab 1540 zu Spannungen, da Karl V. seine Repressionsmaßnahmen gegen die Protestanten in den spanisch regierten Niederlanden deutlich verschärfte.34
Quellen und Methode
Es lag für die Bearbeitung des Themas nahe, von Flugschriftenpublizistik, also dem zeitgenössischen tagespolitisch aktuellen Schriftgut auszugehen und darin nach inquisitionsrelevanten Veröffentlichungen oder Inhalten zu fahnden. Flugschriften werden hier als nicht gebundenes, aber gedrucktes, zwischen vier und sechzehn Blatt starkes, sich auf das tagespolitische Ereignis beziehende Schriftgut verstanden. An einer Flugschrift waren neben dem Autor auch der Drucker und Verleger und vor allem ein Distribuent beteiligt, wodurch Flugschriften auch wirtschaftlich eine Funktion innehatten. Charakteristisch ist auch die Textlastigkeit, im Gegensatz zu den illustrierten Einblattdrucken; nur wenige haben ein Titelkupfer.35 Flugschriften sind ein gut erforschtes und inzwischen auch digitalisiertes Quellengut. Diese Arbeit profitiert von der relativ lebhaften Flugschriftenforschung und vor allem von der Erfassung der Bestände. Für die Suche nach inquisitionsrelevanten Flugschriften wurden die Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) und der Staatsbibliothek München (BSB) bemüht, 33 34 35
Vgl. Duke, Salvation; ders., Legend making; ders., The dutch revolt. Vgl. dazu vor allem Fühner, Die Kirchen- und die antireformatorische Religionspolitik. Vgl. Bellingradt, Flugschrift, S. 279; ders., Die vergessenen Quellen. Zur älteren Erforschung; Harms, Forschungsgeschichte der Flugblätter; ders., Das illustrierte Flugblatt.
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Einleitung
ebenso wie das Gesamtverzeichnis deutscher Drucke, VD16 und VD17. Es zeigte sich aber in diesem Fall, dass auch die manuelle Suche nicht hinter die digitale zurücktreten sollte. Beispielsweise sind Flugschriften in der HAB thematisch gebunden. Nicht selten traten bei der Recherche themennahe relevante Schriften zutage, deren Überschriften oder Schlagworte zunächst keine Auskunft über inquisitionsrelevante Inhalte hätten geben können.36 Thomas Brockmann hat die Konzilsfrage in den Flugschriften zwischen 1518 und 1563 untersucht. Diese Studie ist besonders wertvoll für die 1530er Jahre, da der Diskurs um die generelle Ketzerverfolgung in diesen Jahren auch in die Flugschriften Eingang fand, außerdem bietet sie ein überaus umfassendes Verzeichnis der deutschsprachigen Flugschriftenliteratur zwischen 1520 und 1570.37 Öffentlichkeit ist grundsätzlich ein Kommunikationssystem, in dem Informationen und Meinungen ausgetauscht werden und zu dem prinzipiell jeder Zugang haben sollte.38 Signifikant ist dabei die „Unabgeschlossenheit des Publikums“39 und ein Publikum, das nicht (nur) aus Experten besteht.40 Öffentlichkeit wird hier auch als nicht mehr gezielt kontrollierbare politische Kommunikation verstanden. Der Zusammenhang von Reformation und Öffentlichkeit prägte grundlegend Rainer Wohlfeil. Er prägte den Begriff der Medienrevolution, womit er ausdrückte, dass die neuen Druckmedien es nicht nur erlaubten, räumliche und zeitliche Distanz zu überwinden und Wissen dauerhaft zu speichern, sondern auch neue Formen von Öffentlichkeit zuzulassen. Die auf die reformatorische Öffentlichkeit zielende Druckproduktion entwickelte eine neue Massenwirksamkeit und legte den Grundstein auch für die Ausbildung einer protestantischen Identität.41 Neben diesem wichtigsten Bestand werden gelegentlich ergänzende naheliegende Quellen hinzugezogen, wie beispielsweise die aus Italien Nachrichten bringenden Fuggerzeitungen. Herzog Albrecht von Bayern erhielt ab 1552 nicht nur Nachrichtenbriefe von königlich-kaiserlichen Beauftragten. Vielmehr lassen sich mehr als ein Drittel der erhaltenen Fern-Nachrichten aus den Niederlanden (insbesondere Brüssel und Antwerpen) und Italien (vor allem Rom, Venedig, 36 37 38 39 40 41
www.vd16.de; www.vd17.de. Vgl. Brockmann, Die Konzilsfrage. Gerhards/Neidhardt, Strukturen und Funktionen, S. 45f. Vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 98. Vgl. Neidhardt, Öffentlichkeit, S. 13. Vgl. Wohlfeil, Reformatorische Öffentlichkeit.
Quellen und Methode
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Florenz), die den Sendungen seiner Gesandten beigegeben wurden, als Fuggerzeitungen identifizieren. Für diesen italienisch-deutschen Nachrichtenaustausch galt es auch die andere Seite zu betrachten, nämlich die auch von der römischen Inquisitionsbehörde organisierte Pressekontrolle.42 Für den vorliegenden Untersuchungszeitraum gibt es nur sehr wenige Studien, die sich thematisch auf dem hier betretenen Feld bewegen. Thomas Brockmann hat mit seiner umfassenden Studie zur Konzilsthematik in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Grundlagenarbeit geschaffen, die chronologisch aufgebaut ist und eine quantitative Schätzung über die Auflage von Flugschriften bietet.43 Bernd Möller hat sich in seinem Aufsatz zu Inquisitionsmotiven in deutschen Flugschriften mit der Erhebung des Quellenbestandes befasst, analysierte diese aber kaum nach heutigen Standards. Er beschränkte seine Suche auf die Frühzeit der Reformation und zog nach der Untersuchung von zwölf Jahren (1520–1532) das Fazit, dass die Inquisition in der Wahrnehmung der Deutschen allenfalls eine Randerscheinung war.44 Die Quellenlage bietet keine Masse an Flugschriften, wie Thomas Brockmann sie für sein Thema ausfindig machen konnte. Auf den ersten Blick fanden sich nur wenige inquisitionsrelevante Publikationen bzw. Inhalte und keine plakativen Sensationsschriften oder Abhandlungen über die Inquisition. Vielmehr war zu konstatieren, dass die diskursiven Befunde eng an das Geschehen nicht allein nur in den von inquisitorischen Praktiken betroffenen Gebieten, sondern auch und gerade an das tagespolitische Geschehen im Reich gebunden waren. Somit ergab sich ein besonderes methodisches Erfordernis: Diese Quellenzeugnisse sind in ihrem „zeitpolitischen“ Rahmen zu verorten und zu betrachten. Nur so erschließt sich ihre diskursive Bedeutung auch und gerade dann in einer längeren Perspektive. In einer solchen erweiterten methodischen Herangehensweise ist die Untersuchung von einer ganzen Reihe von medienhistorischen bzw. öffentlichkeitshis42
43 44
Zu den Fuggerzeitungen: Bauer, Zeitungen vor der Zeitung; Keller/Molino, Die Fuggerzeitungen im Kontext. Die digitale Erschließung und Bearbeitung des Bestandes der Wiener Fuggerzeitungen erfolgte im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds (FWF) (Projekt P 23080-G18) geförderten Projektes unter Leitung von PD Dr. Katrin Keller im Zeitraum zwischen März 2011 und Februar 2015: http://fuggerzeitungen.univie. ac.at; Hauptstaatsarchiv München Kurbayern Äußeres Archiv 4296. 4305. 4306; Biblioteca Apostolica Vaticana Urb.lat. 1038–1112 (Dezember 1553 bis Dezember 1648); zu Fuggerzeitungen siehe vor allem die Studie von Zwierlein, Discorso und Lex Dei; Hasecker, Quellen zur päpstlichen Pressekontrolle. Vgl. Brockmann, Konzil. Vgl. Möller, Inquisition und Martyrium, S. 22.
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Einleitung
torischen Arbeiten befruchtet worden, die in den letzten Jahren erschienen sind und die gewissermaßen am Konzept von Rainer Wohlfeil zur reformatorischen Öffentlichkeit, deren Strukturen und Entwicklung ansetzen. Die Reformationsgeschichtsschreibung wandte sich zu Beginn der 1980erJahre einem Forschungsfeld zu, das als Reformation in kommunikationsgeschichtlicher Perspektive beschrieben werden kann. Die „reformatorische Öffentlichkeit“ nach Rainer Wohlfeil ist die quantitative und qualitative Veränderung öffentlichen Kommunizierens gegenüber früheren wie späteren Formen öffentlicher Kommunikation: qualitativ hinsichtlich des „gemeinen Mannes“, des gezielten Einsatzes neuer Medien als Mittel und des Bestrebens zur Meinungsbeeinflussung als Zweck, quantitativ hinsichtlich der exorbitant großen Zahl von Drucken.45 Dies widerlegt nicht, aber erweitert entscheidend die jüngst erschienene Habilitationsschrift von Markus Sandl, „Medialität und Ereignis“.46 Dieser erhebt den Anspruch, eine „Zeitgeschichte der Reformation“ geschrieben zu haben, was für ihn vor allem bedeutet, aus der Sicht der Zeitgenossen zu schreiben. Wer diese Zeitgenossen waren, wird nicht genau definiert, doch es geht aus der Studie hervor, dass es sich um die Beobachter des reformatorischen Ereignisses handelte, also all jene Personen, die darüber redeten, schrieben, es interpretierten. Das waren vor allem Gelehrte und Theologen. Der Begriff der Medialität impliziert, die Reformation unter dem medialen Aspekt zu analysieren, das heißt im Kontext der medialen Bedingungen der damaligen Zeit: als Objekt von Printpublikationen wie Büchern und Flugblättern. Medien, Ereignisse und Diskurse werden aber auch insofern in einem engen Zusammenhang gesehen, als Medien dazu beitrugen, die reformatorische Wahrheit zu erzeugen und Differenzen zu setzen. Es stellt sich die Frage, inwiefern sich Marcus Sandls Theorie von den klassischen Darstellungen von Reformation unterscheidet, die auch medienwissenschaftliche Ansätze bedient haben, wie Rainer Wohlfeil und Johannes Burkhardt, bzw. inwieweit sich in diesem Feld auch die vorliegende Untersuchung verorten kann. Der Mehrwert liegt im Fokus auf die mediale Konfiguration der Reformation, also im Zusammenhang von Medium, Ereignis und Diskurs, die er als nicht trennbar einstuft.47 45 46 47
Vgl. Köhler, Flugschriften als Massenmedien der Reformationszeit, S. 41‒54. Vgl. Sandl, Medialität und Ereignis. Vgl. Wohlfeil, Reformatorische Öffentlichkeit, und Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert.
Quellen und Methode
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Abseits der Eruierung der Fakten und der historiografischen Betrachtung bringt die Analyse der Selbstzeugnisse für den Medienaspekt eine neue und wichtige Bedeutung. Der bisherige Fokus der Verbreitung und medialen Schnelligkeit der reformatorischen Ereignisse wird erheblich erweitert, indem die Radien der Ereignisse hinzugefügt werden. Dies kann auch in meiner Arbeit hinreichend belegt werden. Marcus Sandls Habilitationsschrift gibt damit einen Ansatz, der die zuvor angedeutete These unterstützt, nach der es vor allem die enge Verzahnung und Mehrdimensionalität zwischen Medium und Ereignis sei, die auch einem vermeintlich abgearbeiteten Feld, wie dem der Kommunikation des 16. Jahrhunderts, neue Impulse gibt. Für das Verständnis des Diskursraumes im Sinne der Strukturen von Öffentlichkeit und Kommunikation der 1540er Jahre sei auf die grundlegenden Studien von Gabriele Haug-Moritz verwiesen, die sich neben dem Reichstag zu Speyer (1542) vor allem der Publizistik des Schmalkaldischen Krieges widmen.48 Für sie bedeutet der schwammige Begriff „Medien“ vor dem Schmalkaldischen Krieg vor allem eine Verflechtung alter (mündlicher und sozial begrenzter) und neuer (Beginn von massenhaftem Druck und Vertrieb von Schrifterzeugnissen) Strukturen. Flugschriften waren ein günstiges Medium, gut und schnell nachzudrucken und für die aktuelle und tagespolitische Rezeption gedacht. Da sie meist anonym verfasst waren, war die Frage nach dem Inhalt wichtiger als die nach dem Verfasser. Der Inhalt bringt zum Ausdruck, aus welchem „Lager“ der Autor stammte: Kaisertreue, Fürstendiener, Theologen oder Buchdrucker. Gabriele Haug-Moritz leitete daraus die grundsätzliche Erkenntnis ab, dass die Printmedien aus der Reformationszeit damit den Durchbruch in die massenmediale Öffentlichkeit geschafft haben. Die temporäre, lokal und sozial begrenzte Öffentlichkeit des Reichstages wurde somit sozial und räumlich unbegrenzt erschlossen. Der öffentliche Kommunikationsraum erweiterte sich, über dessen „charakteristische Merkmale im 16. Jahrhundert jedoch – nach Verabschiedung der Thesen Jürgen Habermas’ – noch nicht einmal ansatzweise Klarheit besteht“.49 Die gezielt veröffentlichte sogenannte „Kanzleipublizistik“ der Schmalkaldener erreichte vor allem diejenigen, die potenziell Zugang zum 48
49
Haug-Moritz, Wolfenbütteler Zug; dies., Zur Konstruktion von Kriegsniederlagen; dies., Judas und Gotteskrieger. Ich folge hier insbesondere Haug-Moritz’ Ansatz, sich definitorisch bei den Druckerzeugnissen nicht zu sehr einzuengen, um eine möglichst große Kommunikationsebene zeichnen zu können. Vgl. Haug-Moritz, Wolfenbütteler Krieg, S. 261.
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Einleitung
Reichstag hatten, also den Nürnberger Raum. Das machte laut Haug-Moritz zwei Drittel aus. Das letzte Drittel aber wurde territorial unbegrenzt verbreitet und gelangte über die Katalysatoren der Höfe, der Amtsstädte und des kleineren Adels auch an diejenigen, die am militärischen Vorgehen hauptsächlich beteiligt waren, die Söldner. Die Schmalkaldener etablierten so eine territorial unbegrenzte „Versammlungsöffentlichkeit“, d.h., es waren auch Reichskreise über den Nürnberger Reichstag informiert, die nicht persönlich anwesend sein konnten, zum Beispiel der niederrheinisch-westfälische Adel. Die gezielte politische Kommunikation fand hier ihren Anfang. Die vorliegende Untersuchung folgt den herkömmlichen reformationsgeschichtlichen Zäsuren, trägt aber besonders der Entwicklung einer solchen Reichstagsöffentlichkeit Rechnung, indem sie den Eingang von Inquisitionsthematiken in eben diesem engen politischen Zusammenhang analysiert. Von daher wurden auch andere Quellen in die Arbeit miteingespeist, so die erst unlängst edierten Reichstagsakten.50
Aufbau der Arbeit
Viele medienhistorische Arbeiten wählen für die Darstellung eine klassische Aufteilung, die historische Fakten und Quellen meistens voneinander getrennt hält. Flugschriften werden zunächst theoretisch definiert, ein Faktenabriss schafft den Ereignishorizont und dann folgt eine Interpretation der Quellen. Somit sind die 50
Vgl. Gotthard, Das alte Reich, S. 15–17. Die Reichstage sind bisher nur im Hinblick auf ihre politische oder verfassungsrechtliche Relevanz untersucht. Was auf den Reichstagen oder in ihrem Umfeld geschah oder welche Rolle die politische Korrespondenz als Kommunikationsmittel spielte, war daher nur von geringem Interesse. Ein Perspektivenwechsel deutet sich erst in jüngster Zeit an, wovon die unlängst erschienenen Editionen der Akten zu den kleinen Reichstagen zeugen. Vgl. Reichstagsakten (RTA), Jüngere Reihe (1530–1555) unter Leitung von Eike Wolgast, es sind bisher (alle in Göttingen) erschienen: Regensburg 1532 (Bd. 10, bearb. v. R. Aulinger, 1992), Speyer 1542 (Bd. 12, bearb. v. S. Schweinzer-Burian, 2003), Nürnberg 1542 (Bd. 13, bearb. v. S. SchweinzerBurian, 2010), Speyer 1544 (Bd. 15, bearb. v. E. Eltz, 2001), Worms 1545 (Bd. 16, bearb. v. R. Aulinger, 2003), Regensburg 1546 (Bd. 17, bearb. v. R. Aulinger, 2005), Augsburg 1547/48 (Bd. 18, bearb. v. U. Machozek, 2006), Augsburg 1550/51 (Bd. 19, bearb. v. E.v. Eltz, 2005) Augsburg 1555 (Bd. 20, bearb. v. R. Aulinger/E. Eltz/R. Machoczek, 2009). Die Herausgabe der Akten zum Reichstag in Regensburg 1541 befindet sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit im Abschluss. Die Reichstagsakten werden im Folgenden mit RTA und dem entsprechenden Ort und Jahr abgekürzt.
Aufbau der Arbeit
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Teilbereiche meistens deutlich voneinander getrennt, was sich bei einer auf eine quantitative Erhebung abzielende Arbeit womöglich noch anbietet. Aber gerade für die Analyse von Kommunikationsprozessen eignet sich die Verbindung aller Komponenten; das heißt, auch beispielsweise den Publikationsgrund der Quelle nachzuvollziehen. Diese Arbeit unternimmt den Versuch, durch eine stringente Kontextualisierung einen Mehrwert in der methodischen Herangehensweise zu erarbeiten. Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Nach der Einleitung geht es in Kapitel 1 um die Zeitspanne zwischen 1520 und 1548, in der sich die protestantische Publizistik Bahn brach und im Zuge dessen auch die Inquisition erstmals medial in Erscheinung trat. Die ersten Zeugnisse in Flugschriften über die Verfolgung von Protestanten in den Niederlanden sind zu Beginn der 1520er Jahre zu finden, weshalb die Untersuchung mit dem Ausbruch der Reformation und dem gleichzeitig einsetzenden öffentlichen Diskurs über die lutherischen Ketzer beginnt. Der Kontext des Schmalkaldischen Krieges lässt durch dessen Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen einen ersten Schub von Quellen um die Inquisition in Erscheinung treten. Kapitel 2 behandelt die Zeit des Augsburger Religionsfriedens und die gleichzeitige Verschärfung der europäischen Repression gegen protestantische Glaubensanhänger, nicht zuletzt durch einen Papst, der vor seinem Amtsantritt Großinquisitor gewesen war. Kapitel 3 beschreibt die niederländische Revolte und die begleitende Publikationswelle, in der die Rezeption der Inquisition ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Im vierten Kapitel werden anhand der geänderten Quellenlage zur Inquisition und des motivhistorischen Ansatzes Fragen zur Medienlandschaft im ausgehenden 16. Jahrhundert diskutiert. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.
1. Die kaiserliche Tyrannei
1.1 Von Augsburg 1530 bis Regensburg 1541
Ein erstes einschneidendes Datum für die konfessionelle Spaltung des Reiches war der Reichstag in Augsburg 1530, auf dem die protestantischen Stände mit ihrer Confessio Augustana nachdrücklich vor dem Kaiser für ihre Position eingetreten waren. Seither hatten immer mehr Reichsfürsten das lutherische Glaubensbekenntnis offiziell angenommen. Eine rücksichtslose Verfolgung dieser religiösen Abweichler durch die katholische Kirche oder den katholischen Kaiser war auf breiter Front nun politisch nicht mehr durchsetzbar, zumal der Kaiser für seine außenpolitischen Aktionen auf das Geld aller Reichsstände angewiesen war, er konnte daher nicht einfach die Protestanten zur Rekonversion zwingen. Er war in dieser Sache quasi machtlos und das zeigte sich in besonderem Maße ab 1540, dem Zeitpunkt, an dem die Untersuchung ansetzt. Denn mit dem Scheitern der als Einigungsversuche postulierten Religionsgespräche von Hagenau (1540), Worms und Regensburg (1541) nahmen die konfessionspolitischen Spannungen im Reich deutlich zu. Auf den zahlreichen Reichstagen der Jahre 1541 bis 1546 kristallisierte sich immer stärker heraus, wie sehr Kaiser Karl V. (1500–1558) aufgrund anderer Interessen auf taktische Politik setzte, die am Ende die Situation extrem verfahren machte: Die protestantischen Fürsten weigerten sich, an einem Konzil in Italien und unter der Federführung des Papstes teilzunehmen. Der Kaiser konnte sie nicht zwingen. Er machte ihnen sogar weitreichende Zugeständnisse (die er freilich später wieder revidieren wollte), denn er war auf ihre militärische und finanzielle Unterstützung für den Krieg gegen die Türken angewiesen – die sie ihm auch bewilligten. Den katholischen Reichsständen und besonders dem Papst missfiel jedoch die taktierende Haltung des Kaisers. Eine andere Front, die den Kaiser beschäftigte, war der kräfteraubende Krieg mit Frankreich. Der ihn beendende Friede von Crépy (1544) bot dem ungeduldig werdenden Kaiser dann aber die Möglichkeit, sich auf die reichsinternen Angelegenheiten zu konzentrieren und militärische Maßnahmen gegen die protestantischen Reichsfürsten in Erwägung zu ziehen. Diese hatten sich bereits 1531
1.1 Von Augsburg 1530 bis Regensburg 1541
29
im Schmalkaldischen Bund als militärisches Defensivbündnis formiert. Im Vorfeld der ersten Sitzungsperiode des Konzils von Trient (1545–1549) sicherte Papst Paul III. (1534–1549) dem Kaiser zudem finanzielle Hilfe im Kampf gegen die Protestanten zu. Nachdem Karl V. einige protestantische Fürsten auf seine Seite gebracht hatte, insbesondere den Herzog Moritz von Sachsen (der dafür die Kurwürde erhielt), fürchteten die Protestanten, dass dem Kaiser bald größere Truppen zur Verfügung stehen würden, und entschieden sich im Juli 1546 zu einem Präventivschlag. Doch im Mai 1547 erlitten sie in der Schlacht bei Mühlberg eine verheerende Niederlage. Damit glaubte der Kaiser, die religionspolitische Lage im Reich zugunsten der Katholiken und vor allem seiner eigenen Machtposition entschieden zu haben. Die Neuordnung der religiösen Verhältnisse im Reich erwies sich aber trotz des Sieges der kaiserlichen Truppen im Schmalkaldischen Krieg als schwierig. Auf dem im September 1547 nach Augsburg einberufenen „geharnischten“ Reichstag konnte der Kaiser den Reichsständen die Einwilligung abringen, die Lösung des Religionsstreites dem Konzil zu überstellen, das allerdings bereits im März 1547 nach Bologna verlegt worden war und schon im Februar 1548 informell suspendiert wurde (im September 1549 wurde es schließlich offiziell beendet). Bis zu einer Neueinberufung war eine Zwischenlösung nötig. Das von Theologen beider Konfessionen ausgehandelte und im Mai 1548 verabschiedete sogenannte „Augsburger Interim“ stellte jedoch keines der Lager zufrieden. Von den Katholiken unter Druck gesetzt, wollte der Kaiser das Interim nur für die Protestanten gültig machen, was deren Unmut gegen den kaiserlichen Machtanspruch umso mehr schürte. Karl V. sah sich einer wieder erstarkten Opposition der protestantischen Fürsten gegenüber, die maßgeblich von dem im Januar 1552 zwischen dem „reprotestantisierten“ Moritz von Sachsen und dem französischen König geschlossenen Vertrag von Chambord getragen wurde. Der Kaiser verlor den Krieg und musste den Protestantismus im Passauer Vertrag (August 1552) formal anerkennen. Vor diesem ereignishistorischen Hintergrund soll nun in diesem Kapitel zunächst der zeitliche Beginn des Inquisitionsdiskurses markiert werden, um ihn dann bis zum Augsburger Religionsfrieden zu rekonstruieren. Maßgeblich waren die ungeklärten Verhältnisse im Reich, die zu ersten großen Publikationswellen seit Durchsetzung der Reformation führten. Diese zu lokalisieren und das Inquisitionsmotiv für die erste Phase zu differenzieren, ist Ziel des ersten Kapitels.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Die Etablierung einer publizistischen Bühne
Die Reichstage zu Speyer 1529 und Augsburg 1530 markierten die religionspolitischen Kampfplätze neu: Die Protestanten proklamierten ihr für die Zukunft maßgebliches Grundsatzpapier, die Confessio Augustana, und der Kaiser ließ wiederum die Reichsacht gegen Luther erneuern und jeden Versuch der Etablierung reformatorischer Gemeinden als Landfriedensbruch bestrafen. Als wirksamstes Druckmittel der protestantischen Reichsstände gegen die Repression durch Kaiser und katholische Kirche hatte sich bereits auf dem Augsburger Reichstag die umstrittene Finanzierung für die kaiserlichen Feldzüge gegen die Osmanen gezeigt.1 Gleichzeitig positionierten sich während der „reichstagslosen“ Zeit2 die beiden Lager: die Protestanten militärisch und auch dogmatisch im Schmalkaldischen Bund (1531/35) und die Katholiken im Nürnberger Bund (1538).3 Verschiedene Versammlungen versuchten, den Konflikt zu entschärfen: Der Nürnberger Anstand von 1532 widerrief die Erneuerung des Wormser Edikts und die Bestimmungen zum Landfriedensbruch. Der Frankfurter Anstand von 1539 verlängerte die Bestimmungen von Nürnberg 1532 und stellte neue Religionsgespräche in Aussicht. Die ausgehandelten befristeten „Friedstände“ und provisorischen Arrangements der folgenden Jahre stellten die Protestanten jedoch nicht zufrieden, weil sie letztlich eine reichsrechtliche Anerkennung anstrebten. Gleichzeitig formierten die protestantischen Reichsstände ihren Bund von Schmalkalden zwischen 1536 und 1539 zu einer schlagkräftigen Militärorganisation.4 Von Seiten des Kaisers und des Papstes blieb das Ziel jedoch über lange Zeit die Durchsetzung des katholischen Glaubens im gesamten Reichsgebiet. 1
2 3
4
Zur Bedeutung des Reichstages von Augsburg 1530 siehe Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider; Immenkötter/Wenz, Im Schatten der Confessio Augustana. Die katholische Verteidigungsschrift confutatio wurde zwar ebenfalls in Augsburg von hochkarätig besetzten Theologengruppen erarbeitet, war aber unter den Altgläubigen so umstritten, dass sie nicht als Grundlage für folgende Auseinandersetzungen diente. Nach dem Reichstag in Regensburg von 1532 dauerte es neun Jahre, bis 1541 wieder ein Reichstag stattfand, auch er in Regensburg. Der Nürnberger Bund war ein 1538 gegründetes Bündnis der katholischen Fürsten, besonders von Bayern, Sachsen und Braunschweig. Wegen unterschiedlicher Zielsetzungen konnte der Bund zu keiner Zeit großen Einfluss ausüben, vgl. Komatsu, Landfriedensbünde. Zum Schmalkaldischen Bund siehe die wichtige Habilitationsschrift von Haug-Moritz, Schmalkaldischer Bund. Vgl. dazu auch in knapper Form Moritz, Interim und Apokalypse, S. 57–65.
1.1 Von Augsburg 1530 bis Regensburg 1541
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In den 1530er Jahren wurden nach der Wahl Papst Pauls III. die Pläne für die Durchführung eines Konzils intensiviert. Nach der Aussöhnung zwischen Karl V. und Clemens VII. 1529 und damit der Auflösung der engen Verbindung des Papsttums mit Frankreich gegen den Kaiser konkretisierten sich die Konzilspläne. Die katholische Seite erhoffte sich von einer großen Kirchenversammlung, dass sie eine Einigung in der Religionsfrage bringen sollte, dabei sahen weder der Papst noch der Kaiser vor, irgendeinen Kompromiss mit den lutherischen „Ketzern“ einzugehen. Eine weit angelegte Reform sollte der Reformation ihre Erlaubnis nehmen, moralisch und sittlich Kritik zu üben. Dass dabei der Kaiser gegenüber dem Papst einen eigenen Machtanspruch erhob, erkennt man in der von Karl V. seit Mitte der 1520er Jahre aufgestellten Forderung, das Konzil auf „teutschem Boden“ durchzuführen, also außerhalb des päpstlichen Hoheitsgebietes. Die Eröffnung des Konzils wurde zum reichspolitischen Spielball, der Kaiser sah sich in der Lage, viele befristete Interimslösungen einzusetzen und die Protestanten damit zumindest grundsätzlich verhandlungswillig zu halten, wie zum Beispiel mit der Bewahrung des Landfriedens.5 Man plante ein Religionsgespräch, das mit Theologen beider Parteien zur Lösung der religionspolitischen Frage beitragen sollte. Vom Ansatz her scheinbar auf Einigkeit angelegt, waren jedoch bereits bei der Frage des Verfahrens und des Ablaufs die unauflösbaren Widersprüche nicht nur zwischen der katholischen und der protestantischen Seite, sondern auch schon auf der katholischen Seite zwischen Kaiser und Papst sichtbar: Der Kaiser wollte das Machtmonopol behalten, ebenso der Papst. Aus Sicht der Protestanten war dieses Gespann die größte Gefahr.6
5 6
Vgl. Rabe, Karl V., S. 328; Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 304 f.; Vogel, Religionsgespräch, S. 43 f. Auf dem Bundestag der Schmalkaldener 1539 wurde über das Verhältnis zwischen Karl V. und Papst Paul III. diskutiert, Luther war der Meinung, Karl V. sei das „Werkzeug des Papstes“. Vgl. Brecht, Luther, Bd. 3, S. 215. Die publizistische Formierung der Schmalkaldischen Front begann schon vor dem ersten Religionsgespräch im Juni 1540 in Hagenau. Mit dem Bekanntwerden der Konzilspläne nahm auch die Anzahl der Schriften dagegen zu, wie beispielsweise: Warhafftiger Unterricht etzlicher Handlungen, die sich Bapst Pauli, des namens des dritten halben, Concilii halben […], Wittenberg, o. Dr. 1537: „Bisher seien die heimlichen practicken, leute umbzubringen, bey uns inn Deutscher Nation, wenig gehort, die man doch bey andern je zu zeiten höret und vornimpt.“ Siehe dazu Brockmann, Konzilsfrage, S. 655, hier fol. b3a.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Das Religionsgespräch von Hagenau (1540)
In der Forschung wird das Hagenauer Religionsgespräch (18. Juni bis 28. Juli 1540) zu Recht als ergebnislos bezeichnet. Nicht einmal auf das Verfahren der Diskussionen um die Confessio Augustana konnte man sich einigen. Auch wenn die Sitzungen in Hagenau daher inhaltlich keine Neuerungen brachten, bestand doch eine einschneidende Neuheit darin, dass die „öffentliche Bühne“ erstmalig von den Theologen beider Konfessionen betreten wurde. Vor den nachfolgenden Gesprächen in Worms und Regensburg ging es den protestantischen Autoren, meistens an den Beratungen beteiligte Theologen, in ihren Streitschriften nun vor allem darum, deren Teilnehmer gezielt in ihrem Sinne zu beeinflussen. In den publizistischen Auseinandersetzungen dieser Zeit trat als einziger katholischer Autor der Assessor des Reichskammergerichts, Konrad Braun (1495–1563), hervor.7 Zentraler Streitpunkt zwischen den evangelischen Reichsständen und dem Kaiser waren seit 1530 die Prozesse des Reichskammergerichts gegen evangelische Obrigkeiten. Landgraf Philipp von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen hatten mit dem Anschreiben an alle Stände vom 13. November 1538 die Prozesspraxis scharf angegriffen.8 Das Gericht wollte und musste reagieren. Karl V. hatte auf dem Frankfurter Anstand am 19. April 1539 die Suspension der Prozesse angekündigt, um die Protestanten milde zu stimmen. Die Mehrheit des Gerichts schloss sich dem an und wollte auf eine Antwort auf das protestantische Schreiben wie auch auf die Fortsetzung der Prozesse verzichten. Braun lehnte den Frankfurter Anstand ab und trat „als literarischer Einzelautor vor die kirchenpolitische Öffentlichkeit“,9 indem er die Schrift Ain Gesprech aines Hoffraths10 einerseits als Antwort auf das protestantische Anschreiben von 1538 und andererseits als Antwort auf eine von Martin Bucer pseudonym veröffentlichte Schrift Etliche Gesprech vom Nürnbergischen Friedstand herausgab. Martin Bucer war neben dem Hoftheologen Herzog Georg des Bärtigen in Sachsen, Georg von Carlowitz (ca. 1480–1555), einer der Hauptvertreter der Ireniker. Diese Gruppe, die stark unter dem Einfluss erasmianischer Schriften stand, plädierte in der Zeit der Religionsgespräche vor allem für die friedliche Beilegung des Konflikts, indem den Protestanten Zugeständnisse gemacht würden, die eine größtmögliche Einigkeit der beiden Lager zulassen sollten. Weitere Vertreter der erasmianisch7 8 9 10
Zu Konrad Braun siehe die Monographie von Rössner, Konrad Braun. Anschreiben an alle Stände des Reiches […], Wittenberg, o. Dr. 1538. Vgl. zum Zitat und Absatz Kuhaupt, Kirchenpolitik, S. 132. Drucker, Ort und Jahr wurden nicht angegeben, es sind 62 Blatt im 4° Format.
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irenischen Gruppe waren Georg Agricola (1494–1555), Joachim Camerarius (1500–1574) und Gregor Brück (1485–1557).11 Unabhängig davon, ob die Protestanten glaubten, Braun spreche nur für sich oder er vertrete das ganze Reichskammergericht – der Inhalt seiner Auslassungen, nämlich die unnachgiebige rechtliche Belangung der „häretischen“ Lutheraner durch das Gericht, bewegte ganz offensichtlich die Gemüter und trug zur weiteren Ausbildung eines „Verfolgungsgerüchtes“ bei. Laut Kuhaupt sind direkte Zeugnisse der Rezeption von Brauns Streitschrift nicht überliefert, weder von Antworten seitens der Wittenberger noch von solchen der altgläubigen Theologen.12 Braun und Bucer lieferten sich mit den Schriften Vom Tag zu Hagenau13 (Bucer) und Etliche Gespräch (Brauns Antwort) einen zweiten Schlagabtausch in Hagenau.14 Braun konstatiert darin, dass man „wider die Ketzer und Schismaticken […] auch mit der that handlen“ und durch rigorose Maßnahmen wie „heilsame artzney der straff“ vorgehen müsse.15 Bestrafen würde man die „Ketzer“, indem „sie verbannet und von gemainschafft der kirchen ausgeschlossen […] das der selben güter, so sie Laien sein, dem Fisco haimfallen, so sie aber gaistlich sein,
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Martin Bucer war auf der protestantischen Seite einer der hauptsächlichen Befürworter eines vom Papst unabhängigen Nationalkonzils. In der Forschung bisher kaum beachtet ist die Frage, wie Bucer zur Abgrenzung gegenüber Täufern, Spiritualisten etc. stand. Vgl. Ortmann, Einheit der Kirche, S. 129 f. Zu Bucer allgemein vgl. Greschat, Bucer. Zur sächsischen Erasmianer-Gruppe siehe Wartenberg, „Erasmianismus“ am Dresdener Hof. Bei meiner Recherche habe ich keine griffigen Anhaltspunkte gefunden, dass diese Gruppe sich mit Inquisitionsthemen dezidiert auseinandergesetzt hätte. Ausführlich bei Kuhaupt, Kirchenpolitik, S. 25–44. 12 13 Vgl. dazu ausführlich Brockmann, Konzilsfrage, S. 316 f. Auf die Frage, ob ein Konzil darüber entscheiden könne, dass die Auslegung der Römischen Schrift allein der Kirche zustehe, antwortete der Theologe: „Ja, sie haben gwalt. Diser gwalt muß aber von der Römischen Kirchen als dem haupt herfliessen, dann nach dem die Kirch der Leib Christi ist […] so hat sie auch vil glieder […] das ain jedes sein sonder ampt tregt.“ (Gespräch II, fol. e2a). 14 Konrad Braun, Etliche Gesprech, Mainz 1540 [VD16 B 7201]. Die Schrift ist anonym publiziert, wird aber Braun zugeschrieben. Kuhaupt nimmt an, dass Braun in Worms ein Exemplar von Bucers Tag zu Hagenau gelesen habe, in dem Bucer Braun selbst teilweise scharf angreift, vgl. S. 258. 15 Braun, Etliche Gesprech, Teil III, fol. d3b und i1b. In fol. h4a heißt es: „Darumb würdt hie von zwaien dingen zu reden sein. Das ain ist wie die Oberkaiten Ketzerein und Schismaten mit recht und rechtmessiger that abthun sollen. Das ander, so die gegenwürtigen Ketzereien und Schismaten einmal abgeschaffet sein, wie es die Oberkait verhüten sol, das die selben oder andere an die selben stat nicht wider auffwachsen.“
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den Kirchen zugestellt werden sollen“.16 Öffentliche Streitgespräche von Theologen waren keine Erfindung der Jahre 1540/41. Neu war aber, dass ihnen durch die Religionsgespräche ein Forum gegeben wurde, eine Versammlungsebene, bei der nicht nur die Protagonisten der Religionsgespräche selbst am Verlauf des Streits Anteil nahmen, sondern durch die Flugschriften die Meinungen und Standpunkte auch an der „Peripherie“ eines Religionsgespräches wahrgenommen wurden: Die Rezipienten der auf Märkten und in Gaststätten verkauften, in ihrem Inhalt aber auch an öffentlichen Orten durch Vorlesen oder theatralisches Spiel vermittelten Flugschriften waren des Lesens kundige Bürger, aber auch Gaukler, Bettler, Gläubige, Ungläubige, Personal der Reisenden, Kutscher, Wirte und Mägde. Sie waren für den Verlauf der konfessionspolitischen Verhandlungen nicht maßgeblich, doch ist hier ansatzweise zu erkennen, was wenige Monate später als „Reichstagsöffentlichkeit“ bezeichnet werden kann. Wie aber nahmen das protestantische und das katholische Lager die Religionsgespräche wahr und welche Rolle maßen sie ihnen für ihr politisches Agieren bei? Waren sie auch bereit und in der Lage, sie als politische Bühne zu nutzen? Es ist bemerkenswert, dass einzig derjenige Katholik zur deutschsprachigen Publizistik als Mittel der Verteidigung greift, der sich gegenüber seinem eigenen Lager rechtfertigen muss. Was kann man daraus schließen? Die Katholiken empfanden von Anfang an die öffentliche Bühne, und zwar sowohl diejenige der Religionsgespräche als auch die der Reichstage, bezüglich der Religionsfrage für nicht zuständig und verwiesen auf das Konzil. Der katholische Nürnberger Bund nutzte Publizistik als Propagandamittel in den 1530er Jahren nicht, sah vielleicht auch nicht die Notwendigkeit, sich die Druckmedien zu eigen zu machen, um der eigenen Position Nachdruck zu verleihen, weil seine Mitglieder der Öffentlichkeit, die damit angesprochen wurde, keine Relevanz beimaßen. Die vom Schmalkaldischen Bund protegierten Autoren publizierten zwar anlässlich des Religionsgesprächs in Hagenau noch nicht „massenwirksam“, der erste Schritt zur Etablierung der Publizistik als Mittel der tagespolitischen Auseinandersetzung um die Zukunft der Glaubensfrage war aber gemacht. Dabei war die Belangung der Protestanten vor den Gerichten ein zentrales Motiv, mit dem Begriff der Inquisition argumentierten die Autoren jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
16 Braun, Etliche Gesprech, fol. I2a.
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Verfolgung der Protestanten in den Niederlanden – das Brüsseler Edikt (1540)
Im September 1540, also kurz nach Beendigung des Religionsgespräches von Hagenau (Juli 1540) und vor der Eröffnung des Wormser Religionsgespräches am 22. November, ließ der Kaiser in den Niederlanden die Bestimmungen des Wormser Ediktes von 1521 erneuern und die Zensurmaßnahmen und Strafandrohungen gegen die Buchdrucker massiv verschärfen. Die Übersetzung seines Erlasses, Ordnung, Statuten und Edikt von Brüssel,17 erschien bereits am 4. Oktober 1540 auf dem deutschsprachigen Flugschriftenmarkt.18 Im Niederländischen wurde die Schrift schlicht Ordonannz genannt, im Deutschen fügte man die Ortsangabe Brüssel hinzu. So diffus bisweilen das reichspolitische Vorgehen des Kaisers angesichts der Reformation im Reich wirkte, so entschlossen ging er gegen die Ausbreitung der lutherischen Lehren in seinen Erblanden vor.19 Zwischen 1516 und 1529 war die Eingliederung der burgundisch-habsburgischen Territorien in den Niederlanden in das Heilige Römische Reich vollzogen worden, was Karl V. bereits 1519 mit einem Edikt gegen die Verbreitung „häretischer Schriften“ begleitete. Statt seiner regierten in den Niederlanden zunächst Margarete von Österreich (1480–1530) und nach ihrem Tod bis 1556 seine Schwester Maria, Königin von Ungarn (1505– 1558).20 Maria von Ungarn regierte die siebzehn Provinzen zentral aus Brüssel; unter ihrer Regierung erlebten die sehr urbanisierten und wirtschaftlich starken Erblande eine Blütezeit. Maria musste als Statthalterin die politischen Anwei17 18 19
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Ordnung, Statuten und Edict, Wittenberg, o. Dr. 1540 [HAB 293.8.1 Quod., VD16 N 1583]. Vgl. Kuhaupt, Kirchenpoltik, S. 235. In Brüssel waren 1523 unter großem Aufsehen zwei Mönche aus einem Antwerpener Kloster wegen Häresieverdachts hingerichtet worden. Möglicherweise ist die Neuausgabe des Edikts auch noch eine indirekte Reaktion auf diesen Vorfall, der allerdings in der Schrift nicht erwähnt wird. Diese Überlegung trägt Kuhaupt, Kirchenpolitik, auf S. 235 vor; zu den Geschehnissen von 1523 und der medialen Verarbeitung durch die Zeitgenossen vgl. Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 13. Die Religionspolitik Kaiser Karls V. wurde in der deutschsprachigen Forschung neuerdings erarbeitet von Jochen Fühner, Religionspolitik. Dabei ist die Religionspolitik der 1540er und 1550er Jahre allerdings in einem Unterpunkt verhältnismäßig knapp zusammengefasst. Die niederländische Forschung hat schon länger ein Augenmerk auf die Inquisitionsthematik, so Goosens, Inquisitions modernes, die Studien von Violet Soen (in Deutschland leider nicht verfügbar) und die ältere Forschung von Duke, Evangelical Dissent; Tracy, Holland under Habsburg Rule; Monter, Heresy Executions; Augustijn, Ketzerverfolgungen.
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sungen ihres Bruders umsetzen, was für sie gerade in der Unterdrückung der neuen Lehren keine einfache Aufgabe war, zumal Maria in den 1520er Jahren erste Kontakte mit Luther geknüpft hatte und seine Bücher las. Sie wurde auch als „Kryptoprotestantin“ bezeichnet.21 Auf Marias Position innerhalb der streng katholischen habsburgischen Geschwisterkonstellation wird später noch eingegangen. Hervorzuheben ist hier, dass Karl V. auch in Abwesenheit in den Erblanden seit zwei Jahrzehnten eine dezidierte Verteidigung der traditionellen Lehre betrieb, was sich dort vergleichsweise einfach durchsetzen ließ, weil keine reichspolitischen Rücksichten genommen werden mussten. Im Sinne der Bekämpfung von nichtkatholischen Glaubensrichtungen konnte er unter anderem auf ein seit dem Mittelalter etabliertes System von Inquisitoren zurückgreifen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lag in den Niederlanden die Rechtsprechung im Fall von Häresie bei den bischöflichen Gerichtshöfen. Die Bischöfe waren allerdings in ihrer Einflussnahme eingeschränkt durch Klöster, mächtige Kapitel und vor allem durch die katholische Universität Löwen, die im inquisitorischen Diskurs der Niederlande eine bedeutende Rolle spielte.22 Der Papst benannte Inquisitoren, wie in Italien meist Dominikaner, die als „außerordentliche Richter“ die Bischöfe unterstützten. Sie waren direkt dem Papst unterstellt und mit Prozessen und anderen Belangen im Glaubensbereich betraut, während die bischöflichen Gerichte sich auch mit Prozessen jenseits der Religionsfragen befassen mussten. Die päpstlichen Inquisitoren erhielten ihr Amt in der Regel auf Lebenszeit, vorzeitig entlassen konnte sie nur der Papst. Bis zum Beginn der 1520er Jahre arbeiteten so die Inquisitoren und die bischöflichen Instanzen nebeneinander und konnten die häretischen Strömungen weitläufig kontrollieren. Ende der 1530er Jahre traten Protestanten verstärkt durch Publikationen hervor, worauf mit Bücherverbrennungen reagiert wurde. 1540 ließ Karl V. das Edikt von Brüssel verhängen, das die Bestimmungen der früheren Edikte wiederholte, verbotene Autoren auflistete und noch härtere Strafen für die protestantische Glaubensausübung androhte. Interessanterweise verstärkte sich die Ausbreitung des Luthertums in den Niederlanden danach noch erheblich und die ersten calvinistischen Konventikel gründeten sich. Besonders über Straßburg und Genf wurden die Verbindungen zu reformierten Zentren aufrechterhalten. Da Maria von ihren Brüdern unter Druck gesetzt wurde, härter 21 22
Vgl. Walsh, Maria von Ungarn, S. 46: Walsh geht vor allem auf den Einfluss von Erasmus von Rotterdam auf Marias Glaubensauffassung ein. Vgl. dazu Fühner, Religionspolitik, Kapitel VI: Die Rolle der Regentinnen in der Kirchen- und Religionspolitik Karls.
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37 Abb. 1: Das Edikt von Brüssel, Wittenberg 1540.
gegen die Ketzer vorzugehen, wurde auf offiziellem Weg Ordonanz um Ordonanz erlassen. Besonders in den südlichen Gebieten wurde rigoros vorgegangen, woraufhin die meisten Calvinisten ins Ausland flüchteten.23 Zurück zum Brüsseler Edikt. Die Ordonanz Karls V. droht all denen Tod durch Verbrennung an, die sich uneinsichtig weiter den Lehren Luthers anschlössen. Bei Abschwörung vom häretischen Glauben und klar gezeigter Reue seien Männer zu enthaupten, Frauen lebendig zu begraben. Güterkonfiskationen und rechtliche Entmündigung der Ketzer werden als Ahndung neu bestätigt und all denen Strafe angedroht, die Häretiker beherbergen oder ihre Anzeige unterlassen würden. Dazu gehören auch Richter, die zu milde Strafen verhängen. Druckern und Vertreibern der häretischen Schriften werden weitere Visitationen ankündigt. Letztendlich entmachtete der Kaiser mit diesem Edikt auch die weltlichen Gerichte, indem er ihnen beispielsweise verbot, den der Häresie Verdäch23
Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 290–298.
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tigen Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen, was beispielsweise die Kaufleute betraf. Karl V. wies die regierenden Beamten an, die Artikel alle sechs Monate neu bekannt zu machen, außerdem drohte er allen Staatsbediensteten, die diese Anweisungen nicht nachdrücklich genug ausführten, massive Strafen an.24 Die Übersetzung des Ediktes muss schnell in das Wormser Umfeld gelangt sein. In der Übersetzung selbst wird darauf hingewiesen, dass „in unsern […] Niderlanden teglich, ankommen und besuchen vil frembder Kaufleut, und grosse menig von kauffmanßgütern von allen Lendern bringe“. Daher könnte die Vermutung Georg Kuhaupts stimmen, dass nicht nur über die Brüsseler Gesandtenpost, worauf später noch einzugehen ist, auf offiziellem Wege korrespondiert wurde, sondern auch durch die Kaufleute eine flämische Fassung des Textes rechtzeitig genug für eine Übersetzung in Worms ankam.25
Zunächst: Ersatzmotiv „Mordbrenner“
Die deutschen Reaktionen auf das Brüsseler Edikt waren erstaunlich: Anders, als man wohl erwarten würde, findet sich in den deutschsprachigen Flugschriften kein großer Aufschrei gegen die Politik des Kaisers und seiner Statthalterin. Es sind keine massenwirksam aufbereiteten Druckexemplare überliefert, die dem Volk bis hin zu den Söldnern erläutert hätten, wie die Zukunft der Protestanten auch im Reich aussehen könne. Das spricht für die These Kuhaupts, dass die Religionsgespräche zwar eine kirchenpolitische, aber keine massenwirksame Öffentlichkeit darstellten. Doch bedeutender ist die in den publizierten Texten erkennbare Tatsache, dass die Autoren des Schmalkaldischen Bundes deshalb nicht mit multimedialen Protestaktivitäten reagierten, weil sie zunächst nicht glauben konnten bzw. wollten, dass dieses Edikt die Handschrift desjenigen Kaisers trug, der im Reich Religionsgespräche abhalten ließ, und die Handschrift derjenigen Statthalterin, die als verkappte Lutheranerin galt. Stattdessen suchten sie einen anderen Schuldigen: den katholischen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wol24 25
Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 293–294, und auch Goosens, Inquisitions, Bd. 1, S. 59 f. Vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik, S. 236: Die Verbreitung der Neuigkeit vollzog sich auf allen Ebenen der Kommunikation, so berichtete zum Beispiel noch am selben Tag des Erscheinens der Professor Alexander Alesius, Mitglied der brandenburgischen kurfürstlichen Gesandtschaft, seinem Landesherrn, Joachim II., über das kaiserliche Dekret. Zu den einzelnen deutschen Ausgaben siehe S. 238 f.
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fenbüttel (1489–1568).26 Ihm wurde billige katholische Propaganda unterstellt, die gezielt das Gespräch von Worms behindern sollte. Die katholische Seite tat allerdings offensichtlich nichts, um die Haltung des Kaisers zu verschleiern: Noch im Dezember 1540 gaben katholische Theologen in Worms bekannt, dass der Kaiser das Edikt auch offiziell übersetzen lasse, womit formal jeder Zweifel an der Provenienz hätte ausgeräumt sein müssen.27 Dennoch wurde von protestantischer Seite nochmals bei einem Minister Karls V., Nicolas de Granvelle (1484–1550), nachgefragt. Granvelle beschwichtigte zwar, indem er darauf hinwies, dass das Edikt sich allein auf die Niederlande beziehe, aber er verleugnete die Urheberschaft Karls V. nicht.28 Dass das Edikt von Brüssel von protestantischer Seite nicht mit einer breitgestreuten Gegenpropaganda beantwortet wurde, spricht dafür, dass man die Stimmung nicht beschädigen wollte, weil man noch Hoffnung in das Religionsgespräch in Regensburg setzte, an dem der Kaiser persönlich anwesend sein würde. Das bedeutete jedoch nicht, dass die protestantische Publizistik und Satire unproduktiv blieb. Nach der Episode um das Edikt von Brüssel widmete 26
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Die Druckexemplare des Edikts müssen schnell vergriffen gewesen sein, Melanchthon bekam jedenfalls keins mehr, das er mit seinem erläuternden Brief an Luther hätte schicken können. Luthers Reaktion ist jedoch bezeichnend für die Reaktionen auf protestantischer Seite: Er hielt es für unwahrscheinlich, dass der Kaiser zu solch einem brisanten Zeitpunkt das Edikt wirklich selbst erlassen hätte, und verdächtigte stattdessen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, er habe das Edikt in Wolfenbüttel veröffentlichen lassen. Diese Einschätzung zeigen auch weitere Korrespondenzen der lutherischen Theologen und Fürsten. Neben dem Verdacht, dass durch den Braunschweiger Herzog die konstruktive Atmosphäre in Worms gezielt gestört werden sollte, nahm man auch an, dass der Kaiser von schlechten Beratern umgeben war, die sich auf solch ein Niveau hinunter begaben; vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik, S. 240 f. Auf Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wird im Folgenden ausführlicher eingegangen. Das eigentliche Gespräch in Worms fand auf der Grundlage der Confessio Augustana statt, womit die Ausgangsbedingungen klar geregelt waren. Doch die theologische Auseinandersetzung brachte außer marginaler Annäherung keine Ergebnisse. Vor allem in den grundlegenden Punkten zum Sola-Scriptura-Prinzip konnte man sich nicht einigen. Im Wormser Buch wurden die besprochenen Standpunkte festgehalten und auf dem Abschied vom 18. Januar 1541 die Fortsetzung der Gespräche auf dem Regensburger Reichstag bestimmt, den Karl V. schon im September 1540 ausgeschrieben hatte. Vgl. Moritz, Interim, S. 70, und Ganzer/zur Mühlen, Wormser Religionsgespräch 2, Nr. 1.2.113, S. 210 f. Vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik, S. 237 f.; zur beschwichtigenden Haltung Granvelles in der Religionspolitik vgl. Goosens, Les inquisitions, Bd. 1, S. 62.
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man sich aber, wie erwähnt, an der Stelle des Kaisers einer Art Stellvertreter, dem Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Als letzter erbittert kämpfender katholischer Landesfürst in Norddeutschland geriet er 1540 in den Verdacht, Brandstifter angeheuert zu haben, die Orte mit protestantischer Bevölkerung in Südniedersachsen vernichten sollten, wofür er 50.000 Scudi vom Papst erhalten haben soll.29 Dieses Motiv eignete sich hervorragend für die protestantische Publizistik: Man konnte das altgläubige Lager und den Papst kritisieren, ohne sich dabei offensiv gegen den Kaiser zu stellen. Eine rhetorisch besonders raffiniert aufgebaute Flugschrift ist die Newe zeitung von Rom. Woher das Mordbrennen kome?, als deren Autor Erasmus Alberus (1500–1553) angegeben wird. Sie stellt gewissermaßen den polemischen Auftakt des Inquisitionsdiskurses dar.30 Der eigentlichen Flugschrift sind ein Pasquill (Ein neu Te Deum laudamus) und zwei Briefe angehängt. Der erste Brief, unterzeichnet von Petrus Ribaldi, trägt eben den Titel Newe zeitung von Rom. Woher das Mordbrennen kome? und ist auf den 29. Juni 1541, aus Rom kommend datiert.31 Petrus berichtet seinem Bruder Conrad über die Lage in Rom: dass der Papst „viel tausent Ducaten ins Deudschland geschickt hat“ und damit „bestelle, die Lutherischen Stedte zuverbrennen“. Denn der Papst habe „ein gros mitleiden mit der Deutschen Sünden, welche auff kein besser weise auszutilgen sind, denn 29 30
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Vgl. Scribner, Mordbrenner Fear, S. 29–57. Alberus war zum Zeitpunkt des Erscheinens der Schrift, 1541 – übrigens während der Regensburger Religionsgespräche –, Hofprediger in Brandenburg und für seine dialogische und satirische Papstkritik bekannt. Zu Erasmus Alberus siehe neustens Hörner, Evangeliumsharmonie. Alberus schrieb oft seine Traktate in Reimform, benannte das hier zitierte Te Deum selbst als Pasquill, also als eine Spottschrift. Unter dem ersten Brief ist gedruckt, dass die Antwort nach dem Te Deum folge, also ein Hinweis darauf, dass die Flugschrift in der Komposition bereits so angelegt war, das Spottgedicht zwischen zwei ersten Briefen zu positionieren. Newe zeitung von Rom. Woher das Mordbrennen kome?, darin: „Ein new Te Deum laudamus von Babst Paulo dem Dritten, Zu Rom ein Gesetz umbs ander in lateinischer Sprach gesungen, Pasquillus und Marsorius. Verdeutscht durch Bepstlicher heiligkeit guten Freunde, Erasmum Alberum“, Wittenberg 1541 bei Nickel Schirlentz, 14 Seiten, durchgehend paginiert [HAB A: 34.2 Jur. (4)]. Im VD16 wird Alberus als Verfasser angegeben, auf der Hauptseite der Flugschrift findet sich jedoch keine Verfasserangabe. Über die Ribaldi-Brüder liegen keine Informationen vor. Es ist nicht beweisbar, würde aber zu der von Alberus bekannten Form der dialogischen Schreibweise passen, dass er der Verfasser der gesamten Flugschrift ist und die Briefe, gerade um den dialogischen Charakter weiter herauszuarbeiten, also ebenfalls selbst verfasst und mit den Pseudonymen unterschrieben hat.
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durch feuer. Zu dem auch Bebstlicher Heiligkeit von altersher gewonheit ist, die Ketzer mit feuer zu verbrennen.“ Mit den deutschen Ablassgeldern würden quasi die Verbrennungen „refinanziert“. Sie würden ein besonderes Merkmal der päpstlichen Güte darstellen, da der Pontifex sie eben nicht für eigene Zwecke nutze: „Denn solch gelt solle billicher anders nirgend zu dienen denn zu solchem Göttlichen werck, Deudscher Nation zugut.“ Es sei also „gnade, barmhertzigkeit und danckbarkeit“ gegenüber dem Papst auszudrücken. Vorsicht sei geboten im Umgang mit den Lutherischen: „Hüt dich ja beyleib fur dem Lutherischen Glauben, auff das du nicht auch den Mordbrennern zu teil werdest.“ Die ganze Angelegenheit sei überhaupt heimlich zu behandeln, denn sonst könne ja Zweifel an der Rechtschaffenheit des Papstes aufkommen und die Lutheraner „möchten sonst der sachen nachdencken, das Bepstliche Heiligkeit […] so gütlich und freundlich nicht meinet, wie sie furgibt.“32 Als Einschub ist dann das erwähnte Pasquill Te deum eingefügt, ein Dialog in Versform zwischen Pasquillus und Marsorius. Darin wird betont, wie frei der neue Glaube sei: „Deins Götzendiensts und Abgötterey. Sind wir, Gott lob, nu fort bin frey“, und dass nur mit Gottes Beistand gegen das Papsttum vorzugehen sei: „Der liebe Gott wol uns erhörn, Und das verflucht Babstumb zerstörn.“ Der dritte Teil, also die Antwort auf den aus Rom kommenden Brief, ist auf den 10. August 1541,33 aus Nürnberg kommend datiert: Er habe schon oft von den päpstlichen Absichten gehört, habe es aber nicht glauben können, bis sein Bruder nun derart aus Rom berichtete. Die „Deudschen seien nicht wol zufrieden mit des Bapstes guter Meinug von gnediger Straffe“, und so werde es sich letztlich rächen, dass der Papst solche, bereits von Johann Tetzel gehegten, Pläne verfolge. Mit ihrem vielschichtigen Aufbau aus Briefwechsel und Pasquill, der feinen Satire in der vorgeblichen Identifikation mit den Zielen des Papstes und vor allem mit ihrem Titel Newe zeitung von Rom bediente die Flugschrift das Neuigkeits- wie das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums und nutzte die aktuelle Verzweiflung und Wut angesichts der Brandstiftungen, um den Zorn der Be32
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Newe zeitung von Rom. Woher das Mordbrennen kome?, fol. A2a–a3b, darunter steht: „Die antwort auff die Epistel folget nach dem Te Deum Laudamus, ein Hinweis darauf, dass die gesamte Schrift in einem Zug verfasst ist und damit nicht von mehreren Verfassern, sondern von Alberus allein stammt.“ Sicher nicht zufällig der Tag des Märtyrers Laurentius, welcher im 3. Jahrhundert das Vermögen der Kirche, statt es dem Kaiser zu geben, an die Mitglieder der Gemeinde verteilt und die Armen als den Reichtum der Kirche präsentiert haben soll.
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völkerung auf Rom zu schüren. Der Zeitpunkt eines gescheiterten Religionsgespräches konnte dafür nicht günstiger sein. Die Inquisition als Institution wird zwar noch nicht benannt, doch der Papst als „Glaubensverfolger“ im Bündnis mit einem katholischen Reichsfürsten klar benannt und mit der Bezeichnung des Papsttums als Götzendienst und Abgötterei sowie der Betonung der von ihm genutzten Mittel der Brandstiftung auch eine neue Stufe der rhetorischen Zuspitzung beschritten. Da die Edition der Regensburger Reichstagsakten von 1541 noch nicht zugänglich ist, kann hier nicht weiterverfolgt werden, inwieweit die Brandstiftung des Herzogs Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel dort verhandelt wurde.34 Der Regensburger Reichstag endete am 29. Juli 1541. Einzelne Themen wurden auf einen ständischen Versammlungstag in Speyer im Januar 1542 verschoben, wie etwa die Visitation des Reichskammergerichts und die Neugestaltung der Münz- und Polizeiordnung. Der Reichsabschied von 1541 hatte jedoch einen großen Erfolg für die Diplomatie des Kaisers enthalten, denn auch die protestantischen Reichsstände hatten die Türkenhilfe bewilligt. Karl V. hatte dabei mit einem Trick ihren Widerstand gebrochen: Er hatte den Regensburger Reichsabschied in zwei getrennten geheimen Deklarationen – einerseits der katholischen, andererseits der protestantischen Stände – darlegen lassen. Auf dem folgenden Reichstag zu Speyer 1542 kam dies allerdings zur Sprache und ließ beinahe die Verhandlungen um die konkrete Ausgestaltung der Türkenhilfe scheitern.
Die lutherische Geschichtsschreibung über die „päpstlichen Prakticken“
Doch nicht nur in den Flugschriften finden sich die Anfänge des Inquisitionsdiskurses, im Folgenden soll es um ein Beispiel der lutherischen Zeitgeschichtsschreibung gehen, genauer um zwei in der Forschung relativ unbeachtete Schriften des Historikers Johannes Sleidan (1506–1556), in denen er die großen Ereignisse seiner Zeit für die Nachwelt festhielt und ausgiebig kommentierte und deutete. Sleidan war in den 1530er Jahren Diplomat am französischen Hof und studierte ab 1533 Rechtswissenschaften an den Universitäten in Paris und Or34 An Supplication an Kaiserliche Maiestät, der Mordbrenner halben, auff dem Reichstag zu Regensburg überantwortet, Wittenberg, o. Dr. 1541, und an Der Mordtbrenner Zeichen und Losungen, etwa bey Dreyhundert und Vierzig ausgeschickt, o. O., o. Dr. 1540, ist erkennbar, dass die Thematik im tagespolitischen Geschehen stand. Zu Mordbrenner siehe auch Spicker-Beck, Räuber und Mordbrenner.
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léans. Er lebte überwiegend in Straßburg und nahm 1540 und 1541 an den Religionsgesprächen in Hagenau und Regensburg teil. Sleidan wurde der offizielle Geschichtsschreiber des Schmalkaldischen Bundes und ein viel gelesener Autor, der allerdings weder eindeutig der lutherischen Gesinnung noch der Linie Philipp Melanchthons zuzuordnen ist.35 Die Werke Sleidans sind von einer „prophetisch-apokalyptischen Geschichtssicht“ geprägt:36 Gott kämpft gegen den Teufel, die Guten gegen die Bösen, die Auserwählten gegen die Verdammten. Die Orientierung an den prophetischen Vorhersagen der Bibel ist dabei für seine Argumentation stärker leitend als die an den historischen Ereignissen. Generell war die apokalyptische Ankündigung des Erscheinens des Antichristen ein zentraler Punkt des reformatorischen Selbstverständnisses, ebenso, dass „die Papstkirche in unverbesserliche Häresie verfallen sei“.37 Das Bild des römischen Antichristen, der zum Ziel habe, die Endzeit und Apokalypse herbeizuführen, ist in vielen Schriften der frühen, aber auch der späteren Reformationszeit präsent.38 In beiden Reden erwähnt Sleidan explizit die Inquisition als Mittel, mit dem der Antichrist sein Ziel verfolge, und damit als Beweis für die Verderbtheit des Papsttums. 1541 wurde unter dem Pseudonym Baptista Lasdenus in Straßburg die Oration an alle Churfürsten, Fürsten und Stende des Reichs39 veröffentlicht. In Sleidans Schrift ist die Bedrohung durch die Türken als zeithistorische Kulisse sehr zentral, wobei in einer apokalyptischen Naherwartung das Papsttum als Bündnispartner gegen die Türken ebenso ausgeschlossen wird wie katholische Bündnispartner überhaupt. Das Papsttum habe in der Heilsgeschichte die Funktion des endzeitlichen Antichristen. Sleidan ist wie Luther der Meinung, dass der Kaiser vom Papst manipuliert werde.40 Die von ihm wahrgenommene Inquisition malt 35
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Johannes Sleidan ist biographisch noch immer am besten erfasst bei Friedensburg, Johannes Sleidanus; ihm widmet sich aktuell und ausführlich vor allem Pohlig, Identitätsstiftung, S. 161 ff. Pohlig, Identitätsstiftung, S. 167. Schindler, Häresie II: Kirchengeschichtlich, in TRE 14 (1985), S. 318. Dennoch ist der Begriff „antichristlich“ sehr viel präsenter in der lutherischen Publizistik. Vgl. Pohlig, Identitätsstiftung, S. 277–282. Ab 1544 wurde dieser Text mit der im Folgenden genannten Oration an kayserliche Mayestat oft zusammen herausgegeben, in einer Version von 1544 [HAB H:J 165.4° Helmst. (7)] findet sich ein Inhaltsverzeichnis mit dem Eintrag „Der Babst verbietet die hailige Schrift zu lesen und hat seine Inquisitores“, auf Seite 38. 1542 erschien auch eine französische Übersetzung beider Texte. Vgl. Böhmer, Zwei Reden, S. 94.
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er folgendermaßen aus: Der Papst habe „seine Kautzen, Inquisitores genant, in allen provinzen, die zum aller Schärpfsten umbfragen, ersuchen, und mit leiblicher Straffung handeln, wo etwa einer befunden wirdt, der diser bestien bild nit anbettet, wie die schrifft sagt.“41 Angeprangert werden beispielsweise das Denunziantentum und die Bezichtigung der Häresie unter Nachbarn und Bekannten: „Und yetz newlich haben sie dise practick erdacht […] das sie ire gesellen, oder sonst andere mit befleckte (wie sie es nennen), müssen angeben, und helffen verzhaten.“42 Sleidan schrieb vermutlich kurze Zeit später noch eine zweite Schrift, die aber erst 1544 erschien, wahrscheinlich anlässlich des wichtigen Reichstags zu Speyer: die Oration an kayserliche Mayestat.43 Sleidan wendet sich darin direkt an den Kaiser, um ihn über die Praktiken und die mangelnde Einsicht des Papstes aufzuklären und ihn zur Abkehr vom Papst aufzufordern. Er geht hier konkret auf die spanische Inquisition ein: Zunächst widmet er sich den „Spanischen Künigreichen“, wo „die Inquisition zum aller geschwindsten unnd schärpffsten geübt wirt“. Sie sei deshalb gefährlich, weil die Inquisitoren „auch aller dinge ungeschicket, ungeleret und unerfaren sind“ und womöglich falsch urteilen könnten. Demgegenüber habe Gott dem Kaiser die Gnade gegeben, ein gutes Regiment zu führen, und er solle bei „nechst gehaltenen Reichstag und gesprech […] solche gab und wolthat Gottes, nit verachten, sonder auß Keiserliche vätterlichem gemüt, ire Erbland und liebe underlassen, solcher gaben theilhafftig machen“.44 Hier wird die erwähnte Zusage des Kaisers an die Protestanten aufgegriffen, dass 41 Vgl. Oration an alle Churfürsten, Fürsten und Stende des Reichs, fol. e3b. Da Sleidan diese Schrift Ende des Jahres 1541 verfasst und die römisch-päpstliche Behörde erst 1542 neu gegründet wird, steht der Begriff „Inquisitores“ hier vermutlich nicht in Bezug auf die neue römische Institution. Auf dem Regensburger Reichstag gingen Gerüchte über die Finanzierung des braunschweigischen „Mordbrenner“-Herzogs durch den Papst um – wie generell Gerüchte über eine Verschärfung der päpstlichen Politik gegen religiöse Dissidenten. Ob auch schon konkrete Gerüchte aus Rom zur geplanten Wiedereröffnung der römischen Inquisitionsbehörde im Reich kursierten, kann nicht eindeutig beantwortet werden. In jedem Fall ist die Verwendung des Begriffs ein Indiz für die Zuspitzung der Auseinandersetzungen. 42 Vgl. Oration an alle Churfürsten, Fürsten und Stende des Reichs, fol. e3b. 43 Oration an kayserliche Mayestat. Von dem Das der yettzige Religionshandel, kain menschlich sonder Gotteswerck und wunderschar sey, Augsburg, o. Dr. 1544 [VD16 S 6652], im Inhaltsverzeichnis: „Die Spanische Inquisition ist geschwind und scharpff (xvii), Auffgesetzer Inquisition ursach (xviii)“. Vgl. Friedensburg, Johannes Sleidan, S. 23–28. Die Reden wurden 1879 ediert von Böhmer, Zwei Reden. 44 Oration an kayserliche Mayestat, S. xvii.
1.2 Reichstag zu Speyer 1542
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auf dem kommenden Reichstag weiter verhandelt werden würde. Gleichzeitig wird an den Kaiser appelliert, nicht nur seine deutschen Untertanen im Guten zu regieren, sondern auch seine Erblande von jeglicher Gewalt zu verschonen. Direkter Bezug wird auf das Edikt von Brüssel und die kaiserlichen „nieder Erblande, in welchen E.M. neben anderen vorigen Mandaten dise sach betreffend außgehen lassen“, genommen. Das Edikt, „das eben zur zeit, als E.M. die religion sach im Reich zu vergleichen vorgehabt“, solle schnell aufgehoben werden, sonst könne keine Einigung erzielt werden. Am Ende dieses Abschnitts wird der Kaiser noch einmal aufgefordert, in seinen „Erbland […] die verfolgungen des Göttlichen worts abzustellen“.
1.2 Reichstag zu Speyer 1542
Dass das Edikt von Brüssel durchaus auf den Kaiser zurückging, war inzwischen auch den Protestanten deutlich geworden. Doch wie insbesondere aus der Korrespondenz zwischen Karl V., Ferdinand und Maria von Ungarn eindeutig hervorgeht, stand die Verfolgung der Protestanten im Reich nicht mehr auf der Tagesordnung des Kaisers, vielmehr bestimmten die massive Bedrohung der Reichsgrenzen durch Truppen des Osmanischen Reichs und der Bedarf des Kaisers an großer militärischer und finanzieller Unterstützung zu deren Abwehr alle Arten der Verhandlungen. So wandten sich protestantische Flugschriften weiterhin nicht gegen den Kaiser, vielmehr galt die nun einsetzende große Publikationswelle dem Erzfeind der vergangenen Jahre, Herzog Heinrich von BraunschweigWolfenbüttel. Beide Themen bestimmten, oft auch in Verflechtung miteinander, die Auseinandersetzungen zwischen der katholischen und der protestantischen Seite in den nächsten Jahren. Heinrich war schon seit den 1520er Jahren ein klarer Anhänger des Kaisers und bekennender Katholik. Das Land Braunschweig trat jedoch 1531 dem Schmalkaldischen Bund bei und in den folgenden Jahren spitzte sich der Konflikt zwischen katholischem Landesfürsten und protestantischer Bevölkerung immer mehr zu. Einen Monat nach Ende des Regensburger Reichstages im Juli 1541 verschärfte sich zunächst die Lage im Krieg mit den Türken erheblich. Die Truppen König Ferdinands I. wurden nahezu vollständig vernichtet und am 29. August nahm Sultan Süleyman II. die Städte Ofen und Pest ein. Die schnell vom Regensburger Reichstag bewilligte Türkenhilfe 1541 kam zu spät. Ferdinand wandte sich
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1. Die kaiserliche Tyrannei
an die katholischen Stände und verdeutlichte die prekäre Situation. Man entschloss sich, den ständischen Versammlungstag zu einem Reichstag auszuweiten, um mehr Mittel für den Kampf gegen die türkischen Truppen bewilligt zu bekommen. Die protestantischen Fürsten wussten das militärische Dilemma König Ferdinands in ihrem Sinne zu nutzen. Als auf dem Naumburger Fürstentag im Oktober 1541, wo ursprünglich das Vorgehen gegen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wegen seiner protestantenfeindlichen Politik insbesondere in Goslar besprochen werden sollte, sich die schlesischen Stände mit der Bitte um militärische Unterstützung an den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen wandten, sagte dieser unter der Bedingung zu, dass die Schlesier im Falle eines Religionskriegs auf der Seite der Schmalkaldener kämpfen müssten.45 Der Abschied des Naumburger Fürstentages beschloss ausdrücklich die Verhandlungslinie für den Versammlungstag in Speyer. Wichtigster Punkt war dabei, dass die Bewilligung der Türkenhilfe an die Bedingung der Friedstandsverlängerung gebunden war.46 Dies bedeutete einen einschneidenden Erfolg für die Protestanten, die seit inzwischen zwölf Jahren eine zunehmende politische Festigung ihrer Konfession errungen hatten: Mit dem Reichstag zu Augsburg 1530 war die Entscheidungsfindung des Reichsverbandes bezüglich der Glaubensfrage – die gemäß des Willen des Kaisers und der katholischen Stände auf ein einheitliches Bekenntnis zur römisch-katholischen Kirche hätte hinauslaufen sollen – durch die starke Opposition der protestantischen Fürsten blockiert worden, die mit ihrer Confessio Augustana dem Kaiser ihre Verbundenheit mit der lutherischen Lehre darlegten. Auf dem Reichstag zu Regensburg 1532 wurden erstmalig jene Reichsstände von Teilen der Verhandlungen über die Glaubensfrage ausgeschlossen, die 1530 die Confessio Augustana unterzeichnet hatten. Die Verhandlungen über die Glaubensfrage in Regensburg waren demzufolge vor allem durch innerkatholische Diskussionen geprägt. Zwischen 1532 und 1541 fand kein weiterer Reichstag statt. Von der Forschung werden die sieben von 1541 bis zum geharnischten Reichstag in Augsburg 1547/48 stattfindenden Reichstage als „Kleine Reichstage“ bezeichnet, weil sie im Vergleich etwa zu den Reichstagen zu Augsburg 1530 (Confessio Augustana) und 1555 (Religionsfrieden) keine Zäsuren in der konfessionellen Ereignisgeschichte darstellten, in der Regel von kurzer Dauer waren und nicht 45 46
Dazu vgl. RTA XII (Speyer 1542), Bd. 1, S. 56 mit Quellenverweisen; Schweinzer, Vorgespräche, und Rossbach, Türkengefahr und Schlesier. Vgl. dazu die Angaben in RTA XII (Speyer 1542), Bd. 1, S. 56–58.
1.2 Reichstag zu Speyer 1542
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immer in Anwesenheit des Kaisers stattfanden.47 Als wichtigste Themen standen auf den Kleinen Reichstagen vor allem die Türkenfrage und der Konflikt mit Frankreich, die Militärzüge der Schmalkaldener gegen den katholischen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1542 und 1544), die Reichspolizei- und Reichsmünzordnung und generelle Fragen über die Durchführung eines Konzils auf der Tagesordnung. Die Reichsabschiede der Kleinen Reichstage waren dadurch gekennzeichnet, dass insbesondere Entscheidungen über Recht und Religion aufgrund der Uneinigkeit der Fürsten immer wieder auf den nächsten Reichstag verschoben wurden.48
Habsburger Korrespondenz und diplomatische Strategien der Parteien in Regensburg und Speyer
Obwohl der Reichstag in Speyer (9. Februar bis 11. April 1542) ausdrücklich als „Türkenhilfsreichstag“ deklariert wurde, war sich Ferdinand durch die Berichte seiner in Naumburg anwesenden Stellvertreter im Klaren darüber, an welche Bedingungen die Protestanten ihre Unterstützung binden würden.49 Ferdinand erbat mehrmals vom Kaiser klare Anweisungen, wie er sich gegenüber den Re47
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Auf den Reichstagen der Jahre 1530, 1532, 1541 und 1544 waren Kaiser Karl V. und sein Bruder beide anwesend, Ferdinand vertrat seinen Bruder auf den Reichsversammlungen 1542 und 1543. Vgl. Gotthard, Altes Reich, S. 15–17. Die Bearbeiter der Editionen der Reichstagsakten haben in den vergangenen Jahrzehnten kleine Teilergebnisse der Editionen vorab veröffentlicht: Schweinzer-Burian, Vorgespräche; Aulinger, Bild; Aulinger/Machoczek/ Schweinzer-Burian, Ferdinand und die Reichstage. Gänzlich neue Impulse, allerdings noch ohne einen beträchtlichen Teil der neuen Editionsbände berücksichtigt zu haben, liefert der von Maximilian Lanzinner und Arno Strohmeyer herausgegebene Sammelband einer 2003 durchgeführten Tagung, der sich gezielt der Wahrnehmung der Reichstage des 16. Jahrhunderts in der damaligen Öffentlichkeit widmet und daneben einen aktuellen Stand zur Reichstagsforschung gibt sowie die Defizite der bisherigen Geschichtsschreibung kennzeichnet: Lanzinner/Strohmeyer, Reichstag. Dabei geht es um die Entwicklung der Kommunikationsstrukturen, die Kennzeichnung der öffentlichen Sphären und die Wahrnehmung von Reich und Reichstag in Europa. Einzig Gabriele Haug-Moritz widmete sich zuvor den Kommunikationsstrukturen der Reichstage des Jahres 1542, vgl. Haug-Moritz, Wolfenbütteler Krieg. Die Autorin weist ebenfalls darauf hin, dass keiner der Reichstage bisher monographisch aufgearbeitet ist. Ferdinand war nach Naumburg eingeladen worden, ließ sich aber durch Herzog Albrecht von Mecklenburg und Heinrich von Plauen vertreten, vgl. die Hinweise auf die Instruktionen in RTA XII (Speyer 1542), Bd. 1, S. 56 f., Anm. 57.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
ligionsparteien auf dem Reichstag zu verhalten habe. Er versuchte seinem Bruder zu verdeutlichen, dass ohne religionspolitische Zugeständnisse kein positiver Ausgang der Speyerer Verhandlungen zu erwarten sei. Karl V. wies Ferdinand an, die Protestanten hinzuhalten: Er solle eine möglichst hohe Türkenhilfe erhandeln, ohne den Protestanten dabei neue Zugeständnisse zu machen, sie jedoch auch nicht zum Abbruch der Verhandlungen treiben.50 Die Korrespondenz zwischen Ferdinand I., Karl V. und Maria von Ungarn vor dem Reichstag zu Speyer gibt hinreichenden Einblick, an welche Vorstellungen die Habsburger ihre politische Taktik banden. Ferdinand bewegte unter anderem auch die „Protestantisierung“ seiner Erblande, also das Bündnis der Schlesier mit den Schmalkaldenern. Er schrieb darüber in großer Sorge an seinen Bruder und an dessen Stellvertreter im Reich, den Kanzler Granvelle. Dabei ging es auch um die möglicherweise ausfallende Türkenhilfe, weniger um das Religionsproblem im Allgemeinen. Klare Worte fand die Schwester des Kaisers, Maria von Ungarn. Sie schrieb noch im Dezember 1541 an Minister Granvelle, dass in der schlesischen Angelegenheit unbedingt kompromissbereit zu handeln sei. Sie verurteilte die Politik des Papstes und der katholischen Stände, denen es nur und ausschließlich um ihre eigene Macht gehe. Man solle vielmehr das Gemeinwohl der Christenheit im Auge behalten. Die Verhandlungen um Unterstützung für den Kampf gegen die Türken hätten höchste Präferenz, sie seien unter keinen Umständen durch nicht gemachte Zugeständnisse zu gefährden. Ein auf einem Reichstag zugesagter befristeter Friedstand sei nützlich für die Christenheit und auf den Papst sei in dieser Hinsicht keine Rücksicht zu nehmen. Maria verurteilte, dass der Papst den Regensburger Abschied kritisiert hatte. Dennoch nahm sie auch die missliche Lage des Kaisers und den Konflikt mit dem Papst wahr.51 Erstaunlich wenig Niederschlag fand der Konflikt der Schmalkaldener mit Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel in der Korrespondenz der habsburgischen Geschwister. Es entsteht der Eindruck, dass Ferdinand unter dem Druck der Ereignisse in dieser Frage eigenständig handeln musste, ohne, wie im Falle der Türkenhilfe und in der Religionsfrage, genügend Zeit für Rückfragen bei Karl zu haben. Im Interesse beider Brüder lag zu diesem Zeitpunkt die unbedingte Wahrung des Friedens im Reich, um die gesammelten Kräfte 50
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Die Korrespondenz ist verarbeitet bei Schweinzer, Vorgeschichte, S. 261 f.: Ferdinands I. Antwort an seinen Bruder klingt dessen unrealistischen Forderungen entsprechend recht verzweifelt. Zu Speyer 1542 auch Aulinger/Machoczek/Schweinzer-Burian, Ferdinand und die Reichstage, S. 102–117. Vgl. Schweinzer, Vorgeschichte, S. 264.
1.2 Reichstag zu Speyer 1542
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gegen die auswärtigen Feinde Habsburgs – Frankreich und Osmanisches Reich – mobilisieren zu können.52 Ferdinands Agieren in Bezug auf den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel beim Speyerer Abschied erscheint denn, wie gleich zu sehen sein wird, auch erstaunlich eigenmächtig. Ein eigenes Ziel verfolgte die päpstliche Seite mit ihrem Auftreten auf dem Reichstag: Kardinal Giovanni Morone versuchte, instruiert durch Paul III., auf dem Reichstag zu Speyer für ein Konzil zu werben, und schlug dabei fünf mögliche Konzilsorte, darunter Trient, vor.53 Die Katholiken erklärten sich damit einverstanden, während die Protestanten der Rede Morones fernblieben und kurze Zeit später ihre Protestation veröffentlichten: Der Papst als Vorsitzender verhindere ein „unpartheysch concilium“.54 Da Ferdinand den Protestanten im Reichsabschied von Speyer die Anerkennung der „geheimen“ Regensburger Deklaration verwehrte, wollten diese dem Reichsabschied, und also der Türkenhilfe, nur unter Vorbehalt zustimmen. Ferdinand handelte gezwungenermaßen mit dem gleichen Trick wie sein Bruder 1541: Um die Türkenhilfe in vollem Umfang zu erhalten, erließ er zwei unterschiedliche Deklarationen. Die Protestanten bekamen in der ihnen gewidmeten Erklärung Zugeständnisse, die nicht nur den Umfang der Bestechung und also die verzweifelte Lage des Königs deutlich werden lassen, sondern kurze Zeit später die Kritik seitens der Kurie hervorriefen: Verlängerung der Regensburger Deklaration und des Friedstandes um fünf Jahre, Wiederherstellung der Rechtsfähigkeit der Stadt Goslar und bei Misslingen der Vermittlung durch Ferdinand zwischen Herzog Heinrich und der Stadt Goslar ein gerichtliches Verfahren gegen den Herzog.55 Durch die unterschiedlichen Deklarationen galten weiterhin zwei völlig unterschiedliche Rechtsgrundlagen für die Stände, was auf den folgenden Reichstagen verstärkt zum Ausdruck kam. Nach dem Speyerer Reichstag traten große Probleme bei der Einholung der bewilligten Gelder und der Organisation der Truppen auf, weswegen ein weiterer Reichstag in Nürnberg stattfand.56
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Vgl. Aulinger/Machoczek/Schweinzer-Burian, Ferdinand und die Reichstage, S. 111 f. RTA XII (Speyer 1542), Bd. 2, Nr. 153. RTA XII (Speyer 1542), Bd. 2, Nr. 154, und vgl. Schweinzer, Konzil und Kirchenreform. RTA XII (Speyer 1542), Nr. 148; die großen Zugeständnisse Ferdinands bezüglich des braunschweigischen Herzogs brachten Uneinigkeit unter die Schmalkaldener über das weitere Vorgehen und die in Naumburg beschlossenen Angriffspläne. Vgl. RTA XIII (Nürnberg 1542).
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Die Publizistik des Wolfenbütteler Zuges
Ferdinands Versuche, zwischen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und dem Schmalkaldischen Bund zu vermitteln, blieben erfolglos. Im Juli 1542 erreichte Ferdinand die Nachricht, dass Kursachsen und Hessen einen Angriff auf das Braunschweiger Territorium planten. Noch vor dem Nürnberger Reichstag kritisierte Ferdinand die Schmalkaldener, dass sie durch ihr offensives Verhalten nicht nur den Landfrieden brechen, sondern auch die Mobilisierung der Streitkräfte zur Abwehr der türkischen Truppen gefährden würden. Dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel legte er nahe, den Forderungen der Schmalkaldener stattzugeben, damit diese Unterstützung gegen die Türken leisten würden.57 Die weiteren Vermittlungsversuche scheiterten. Die Schmalkaldener beriefen sich auf ihre Bündnispflicht gegenüber den Städten Braunschweig und Goslar sowie auf ihre bereits geleistete Hilfe gegen die Türken und besetzten im Juli 1542 das Territorium des nach Bayern geflohenen Herzogs. Während im Kloster Steterburg bei Braunschweig die Reichsgesandten mit den Schmalkaldischen Hauptleuten über die Zukunft verhandelten, wurde auf dem Reichstag zu Nürnberg (21. bis 26. August 1542) die Causa Braunschweig auf dem Reichstag besprochen.58 Abgesandte der Schmalkaldener publizierten in Nürnberg im Namen sämtlicher Angehöriger ihres Bündnisses in großer Auflagenzahl den Fehdebrief gegen den Braunschweiger Herzog.59 Nach eingehender Verhandlung in Nürnberg ei57 58
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Vgl. RTA XIII (Nürnberg 1542), Nr. 125c. Vgl. RTA XIII (Nürnberg 1542), Nr. 133–146. Die exakte zeitliche Überschneidung der militärischen Besatzung des Herzogtums im Norden mit dem Reichstag in Franken sieht Gabriele Haug-Moritz als besonders gute Möglichkeit, erstmals für die 1540er Jahre den sich wandelnden Formen von Kommunikation und Öffentlichkeit auf einem Reichstag nachzugehen. Dazu beschreibt sie zunächst den Stellenwert der Reichstagsöffentlichkeit: Wurde etwas „öffentlich“ gemacht, so lagen die Assoziationen im Bereich „wahr“, „ehrlich“ und „rechtmäßig“. So argumentierte Landgraf Philipp von Hessen vor dem sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich, dass eben die Koinzidenz des Reichstages und des geplanten Zuges die Möglichkeit biete, vor den offiziell „Zuständigen“ dieses Vorhaben zu rechtfertigen und die Dringlichkeit zu erörtern. Dabei ging es auch darum, dem Herzog nicht die Chance zu geben, auf dem Reichstag die Teilnehmer vom Gegenteil zu überzeugen. Die „Veröffentlichung“ betonte die Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit, vgl. Haug-Moritz, Wolfenbütteler Krieg, im Sammelband von Lanzinner/Strohmeyer, Reichstag. Sie weist darauf hin, dass der Reichstag zu Nürnberg 1542 nicht monographisch aufgearbeitet ist, S. 259 ff. Fehdesbrieff wider Hertzog Heinrichen zu Braunschweig, o. O., o. Dr. 1542 [VD16 S1001 f.].
1.3 Reichstag zu Worms (1545) und die Löwener Artikel
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nigte man sich auf eine Friedensgarantie, die erneut der finanziellen Notsituation im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Türken geschuldet war: Ferdinand sagte zu, dass gegen die Schmalkaldener nichts unternommen werde, wenn sie die Kampfhandlungen im Norden einstellten und die in ihren Diensten stehenden Söldner für mögliche Feldzüge gegen die türkischen Truppen und gegen Frankreich entließen. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen zeigten sich einverstanden, allerdings nur auf der Grundlage einer weiteren rechtlichen Aussprache vor unparteiischen Richtern, nicht vor dem Reichskammergericht.60
1.3 Reichstag zu Worms (1545) und die Löwener Artikel Die Konzilsfrage auf dem Wormser Reichstag 1545
Nach den kleinen Reichstagen von Speyer und Nürnberg kristallisierte sich zunehmend heraus, dass es für die Beilegung des Religionskonfliktes im Reich in der kaiserlichen Politik zwei Möglichkeiten gab: eine militärische Lösung in Form eines Kriegs gegen die Schmalkaldener oder ein Konzil. Bezüglich des Konzils war sich der Kaiser allerdings mit dem Papst alles andere als einig, hatte Paul III. doch die Einberufung eines Konzils immer wieder verzögert. Die bisher vergleichsweise zurückhaltende Kritik der Protestanten am Kaiser nahm ab dem Jahr 1544 erheblich zu. An der Front zu Frankreich beruhigte sich die Lage vorerst durch den Frieden von Crépy (September 1544). Der Vertrag beinhaltete neben Klauseln über Territorien und Machtansprüche auch eine Geheimklausel, in der Franz I. sich zur Stellung von 10.000 Mann und 6.000 Reitern zum Einsatz gegen die Türken verpflichtete, die aber auch gegen die Protestanten eingesetzt werden könnten. Vor allem aber legte der Geheimvertrag fest, dass Franz I. das Konzil mit französischen Teilnehmern beschicken musste. Diese Abmachung sickerte schleppend auch zu den protestantischen Reichsständen durch. Vogel meint, dass diese aber spätestens im April 1545 davon ausgingen, dass der Kaiser militärisch zuschlagen würde. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Bedrohung durch die Osmanen noch zu präsent, der Waffenstillstand an dieser Front kam im Oktober 1545 zustande.61 60 61
Vgl. RTA XIII (Nürnberg 1542), Nr. 146. Die Schwächung des Reichskammergerichtes kann hier nicht ausführlicher behandelt werden. Vgl. Brandi, Karl V., S. 434 f. und 455. Der Waffenstillstand mit den Türken wurde
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Der Reichstag zu Worms wurde am 15. Dezember 1544 eröffnet. Der Kaiser hatte sein Kommen für das neue Jahr angekündigt. Die Konzilsfrage sollte zentrales Thema des Reichstages werden, 1542 waren die Pläne hierfür an dem Konflikt zwischen Frankreich und dem Kaiser gescheitert. Der Reichsabschied von Speyer hatte die Wiederaufnahme der Religionsverhandlungen und eine Diskussion um Verfahren für ein mögliches Konzil als Themen für den nächsten Reichstag in Aussicht gestellt. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollten interimistisch bis zur endgültigen Regelung gültig sein. Die Gutachten, die dafür erstellt wurden, brachten jedoch keinerlei Aussicht auf einen Kompromiss: Die katholischen Theologen schlossen grundsätzliche Zugeständnisse aus und die Protestanten, angeführt von Martin Bucer, erhoben schlichtweg unrealistische Forderungen.62 Im März 1545 war die Lage bezüglich der religionspolitischen Themen aussichtslos, denn die Katholiken beriefen sich auf das für denselben Monat ausgeschriebene Konzil für jede weitere Behandlung der Glaubensfrage. Die Protestanten sahen sich von König Ferdinand getäuscht, als dieser in Worms verkünden ließ, der Reichstag sei nicht zuständig für die Religionssache.63 Der Kaiser äußerte sich weder konfessionell tolerant noch entschieden für eine militärische Lösung, während Gerüchte über deren Planung zunehmend weitere Kreise zogen. Karl V. war vom Papst für die großen Zugeständnisse an die Protestanten im Speyerer Reichstag 1544 kritisiert worden (Tadelsbreve) und wollte sich nicht von der päpstlichen Politik abhängig machen. Der Papst ließ, da in Trient (das inzwischen als Versammlungsort festgelegt worden war) nur wenige Teilnehmer anwesend waren und wegen der Ergebnislosigkeit der Gespräche in Worms, das Konzil auf Dezember 1545 verschieben. Der Kaiser hatte kurz vor dem Wormser Reichstag noch einmal die religionspolitischen Gesetze verschärfen lassen: Am 18. Dezember 1544 wurden die sogenannten Löwener Artikel veröffentlicht. Sie waren in 32 Unterartikel gegliedert, die von Mitgliedern der theologischen Fakultät an der Universität Löwen ausgearbeitet worden waren und sich der orthodoxen Auslegung des Katholizismus widmeten. Karl V. wiederholte hier die Bestimmungen seines Edikts von 1540, ergänzte aber maßgebliche Punkte. Durch alle Bischöfe und Priester, bis in die kleinsten Zweige der Gemeinde sollten diese Grundsätze verbreitet werden, und
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zunächst für ein Jahr geschlossen, im Sommer 1547 um fünf Jahre verlängert. Vogel, Religionsgespräch, S. 131. Vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 291–296. Vgl. RTA XVI (Worms 1545), Nr. 15.
1.3 Reichstag zu Worms (1545) und die Löwener Artikel
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zwar so, dass auch im Nichtöffentlichen davor zurückgeschreckt würde, die katholischen Grundsätze nicht einzuhalten, und all diejenigen angezeigt würden, die ihnen zuwiderhandelten.64
Die Löwener Artikel und die Nachricht von den Kriegsvorbereitungen des Kaisers gegen die Protestanten
Es soll an dieser Stelle nicht ausführlich um die detaillierte Beschreibung der Verhandlungen in Worms gehen, sondern vielmehr um zwei Aspekte, die für den endgültigen Umschwung in der protestantischen Publizistik sorgten: Zum einen trafen vermutlich am 14. März 1545 in Worms die erwähnten Löwener Artikel, die erneute Verschärfung der antiprotestantischen Edikte in den Niederlanden, ein. Am 3. Januar 1545 berichtete der bayerische Gesandte in Brüssel, Bonacorsi de Gryun, dass er durch einen Theologen der Universität in Löwen vom Erlass der Artikel gehört habe.65 Er habe nur kein Exemplar bekommen, weil sie noch nicht öffentlich verhängt worden seien. Es gehe aber um die deutliche Verschärfung der Bestimmungen gegen die „Ketzer“ und vor allem gegen die Buchdrucker.66 Besonders Antwerpen war zu einem Hauptumschlagsplatz der lutherischen Literatur geworden, daran hatten offensichtlich die Bestimmungen des Brüssler Ediktes von 1540 nichts geändert.67 Dem Berichtsprotokoll eines unbekannten Augsburger Gesandten vom Wormser Reichstag ist bezüglich der Religionsverhandlungen und der päpstlichen Absichten zu einem Konzil zu entnehmen, dass die Löwener Artikel in Worms schon bekannt waren, denn es heißt dort, man solle „nit […] glauben, das die cardinäl und bischofen ainer andern maynung sein wurden denn der
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Die genauen Inhalte der Edikte werden im Folgenden noch ausgeführt, vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 298–303. Die Löwener Artikel sind auch Gegenstand bei Vogel, Religionsgespräche, Kapitel 4, und bei Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 300 f. Sofort gingen diese Artikel in die Flugschriften ein, wie beispielsweise in: Keyserlicher Majestat mandat, darinnen mit hohem ernst befohlen wirdt, die Ketzerische Bücher mit zuleiden, unnd die Inquisition widder die, so der Ketzerey verdacht sein, vorzunemmen, o. O., o. Dr. 1545. Am 6. Dezember 1544 sind die 32 Artikel von der Universität bekannt gegeben worden, vgl. RTA XVI (Worms 1545), Nr. 60, S. 444. Vgl. Pfeilschifter, Acta Reformationis Catholicae, Bd. 3, S. 441 f. Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 298–303.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
babst selbst, welchs aus den artickeln dero von Löuen wol abtzunemen“ sei.68 Die Artikel wurden den deutschen protestantischen Reichsfürsten durch den kaiserlichen Kanzler Granvelle im Mai 1545 vorgelegt in der Fassung: 32 Artickel, die allgemeinen religion und glauben belangend, von den theologen der hohen schule zu Löwen gantz neulich außgangen.69 Interessanterweise gab es auf katholischer Seite auch Bedenken, dass diese Artikel der Sache und dem kaiserlichen Ansehen schädlich sein könnten, denn ein kaiserlicher Unterhändler vermerkte: Es „erschreckt mich nit wenigk, das die lovischen artickelh unther ksl. Mt. Nhamen ausgangen, auch die verfolgung darauf in Niderlanden so geschwind furgenommen“.70 Hier wird deutlich, dass die protestantische Reaktion auf die Verfolgung – und in dieser Reaktion waren die Flugschriften sicherlich eine stark vernehmbare Stimme – durchaus schon Eindruck gemacht hatte. Doch die Bedenken des Unterhändlers wurden von oberster Stelle offensichtlich nicht geteilt, vielmehr wurden hier noch durchschlagendere Maßnahmen gegen die Protestanten geplant. Dies ist der zweite Grund für den Umschwung in der protestantischen Publizistik: Im Juni 1545 wurde bekannt, dass Papst Paul III. für den Krieg, mit dem der Kaiser den religiösen Abweichlern im Reich endgültig den Garaus machen wollte, 100.000 Dukaten Hilfsgelder und 12.500 Mann zur Verfügung stellte. Karl V. konnte außerdem durch den Verkauf spanischer Kirchengüter seinen Etat auf bis zu 500.000 Dukaten aufstocken.71 Der Kaiser verschob zwar den Beginn des Krieges noch um ein ganzes Jahr, weil er sich der Unterstützung der katholischen Stände vergewissern musste, aber die Protestanten hatten nun jegliche Zweifel verloren, dass der Kaiser sich gegen sie wandte und ihnen ein Militärschlag drohte. In der Publizistik der folgenden zwei Jahre verbanden die protestantischen Flugschriftenautoren die oben genannten Motive wirksam: Im Falle, dass der Kaiser im Krieg siegen würde, würden die Löwener Artikel und alle Repressionsmaßnahmen der Niederlande auf das Reich ausgedehnt werden. 68 69 70 71
RTA XVI (Worms 1545), Nr. 64, S. 835. Neudecker, Urkundenbuch, Nr. 178, S. 694–702. RTA XVI (Worms 1545), Nr. 182, S. 1286, Bericht des Mag. Franz Burkhard. Der Verhandlungspartner des Kaisers für das Militärbündnis mit der Kurie war der Kardinalnepot Alessandro Farnese. Das Bündnis war vom Kaiser am 6. Juni 1546 in Regensburg und von Papst Paul III. am 26. Juni in Rom ratifiziert worden. Vgl. Friedensburg, Nuntiaturberichte, Abt. 1, Bd. 9, Nr. 4, S. 575–578. Ich folge hier der Argumentation der älteren Literatur: Brandi, Karl V., S. 438 f.; Heidrich, Karl V., Bd. 2, S. 95–97; Nuntiaturberichte, Poggio, Abt. 1, Bd. 8, S. 40 f., Nr. 44.
1.4 Religionsgespräch und Reichstag 1546
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1.4 Religionsgespräch und Reichstag 1546 Das Religionsgespräch
Die Verhandlungen in Worms 1545 über die Religionsfrage waren gescheitert. Nur durch die Vermittlungspolitik des pfälzischen Kurfürsten waren die protestantischen und katholischen Reichsstände davon zu überzeugen gewesen, die Themen erneut auf einen nächsten Reichstag zu verschieben. Davor sollte durch ein Kolloquium versucht werden, alle strittigen Glaubensfragen, über die man sich 1540/41 nicht hatte einigen können, zu beraten und möglichst auch zu lösen. Die katholischen Stände wollten einem neuen Religionsgespräch weiterhin nicht zustimmen, da für sie ein Konzil die einzige Instanz für Glaubensfragen war. Sie stellten es aber dem Kaiser frei, die Teilnehmer zu wählen und zu instruieren, wodurch dieser das Gespräch entscheidend beeinflussen konnte. Allerdings erhielt der Kaiser auch eine Reihe von Absagen seiner Wunschkandidaten, darunter Bischof Julius Pflug.72 Das Handeln der Beteiligten war also insgesamt äußerst ambivalent. Die protestantische Seite beharrte auf dem Augsburger Bekenntnis und war, bis auf wenige Ausnahmen, nicht bereit, einen formalen Anschluss an die schwammigen Interimsregelungen von 1541 zu vollziehen. Die politische Ebene erwartete, wie aus der umfangreichen Korrespondenz hervorgeht, ein Scheitern des Kolloquiums.73 Die Protestanten begannen daher sofort mit der Absprache über ein konsensuales Vorgehen auf dem für den Anschluss geplanten Regensburger Reichstag. Die allgemeine Geringschätzung des Kolloquiums drückte sich auch durch die eher unbedeutenden Delegierten auf beiden Seiten aus.74 Da sich die Anreise der Teilnehmer verzögerte, begann das Gespräch erst am 27. Januar 1546. Der Kaiser bestimmte in seiner Resolution die Augsburger Konfession als Disputationsgrundlage, von den Regensburger Artikeln von 1541 war keine Rede mehr. Der Modus der Verhandlungen wurde durch die dem Wortführer der Katholiken, Petrus Malvenda, übermittelten kaiserlichen Instruktionen bestimmt, die jegliche zuvor gemachten Zugeständnisse an die Protestanten widerriefen. Damit war der Streit vorprogrammiert und nach erneuter Wieder72
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Sowohl die evangelische als auch die katholische Seite sollten je vier Auditoren und vier Kolloquenten bestellen, eine sehr geringe Zahl an Teilnehmern also, was von beiden Seiten kritisch gesehen wurde. Vgl. Vogel, Religionsgespräch, S. 266. Vgl. RTA XVII (Regensburg 1546), S. 39; Vogel, Religionsgespräch, S. 267.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
holung ihrer Forderungen und dem Aufruf, neue Instruktionen vom Kaiser einzuholen, brachen die Protestanten das Gespräch am 10. März 1546 wieder ab. Unterstellt man dem Kaiser, er habe das Religionsgespräch allein unter dem Aspekt, Zeit zur Vorbereitung des „Ketzerkrieges“ zu gewinnen, bewilligt, so erfolgte die Abreise der protestantischen Kolloquenten zu einem für diesen Plan ungünstigen Zeitpunkt.75 Da der Kaiser Zeit brauchte, sich der Unterstützung der katholischen Fürsten, Stände und Städte für einen Krieg zusichern zu lassen, erklärte er Ende März 1546 gegenüber Philipp von Hessen, er wolle die Kolloquenten wieder nach Regensburg bestellen, um dort das Gespräch über strittige Glaubensfragen fortzusetzen. Doch in der Vorbereitung zum Reichstag in Regensburg tauchte dieser Gedanke nicht mehr auf.76 Der Grund dafür dürfte darin gelegen haben, dass ohnehin niemand mehr an einen Erfolg dieser Gespräche glaubte, der Reichstag selbst aber dem Kaiser auch ohne diese Gespräche genügend Zeit verschaffte, um seine Kriegsvorbereitung zu treffen. Nach dem gescheiterten Religionsgespräch erfuhr die protestantische Propaganda eine Initialzündung, die die Hochphase der kriegsvorbereitenden Publizistik einleitete. Auslöser war ein Verbrechen.
„… das beihel auch für ganz Teutsch land gewetzt“ – Der Mord an Juan Diaz als Auslöser einer neuen protestantischen Rhetorik
Am 27. März 1546 wurde der zum Protestantismus übergetretene Spanier Juan Díaz (1510–1546) in Neuburg an der Donau im Auftrag seines Bruders ermordet. Der Vorfall war nicht nur in dieser Phase der Verhandlungen hochbrisant, sondern daraus entwickelte sich das erste mediale Großereignis im Jahr 1546. Die Katholiken versuchten die Tatsachen zu vertuschen und den Fall aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, während die Protestanten alles daran setzten, dieses Geschehen so weit wie möglich bekannt zu machen. Das Motiv war klar: Der Mord konnte von den Protestanten als eine Warnung an die Nation interpretiert werden.77 75 76 77
Vgl. RTA XVIII (Augsburg 1547/48), S. 40 f. Vgl. Pfeilschifter, Acta reformationis catholicae, Bd. 6, Nr. 6 und Nr. 13. Die ältere Forschung zu dem Mord ist detailliert aufgearbeitet, teilweise widerlegt und ergänzt von Stegbauer, Perspektivierungen. Sie weist auf die breite Rezeption in protestantischen Martyrologien und Chroniken hin (S. 371–373), allerdings sei da, wie
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Juan Díaz stammte aus dem spanischen Cuenca und hatte in Paris Griechisch, Hebräisch und Theologie studiert. Er lernte die protestantischen Lehren kennen und trat zum evangelischen Glauben über. Über Genf und ein Treffen mit Jean Calvin (1509–1564) gelangte er 1545 nach Straßburg und kam bei Martin Bucer unter. Diesen begleitete er im Dezember 1545 nach Regensburg zum Religionsgespräch, um an den Verhandlungen teilzunehmen. Díaz traf in Regensburg einen spanischen Bekannten aus der Pariser Zeit, den katholischen Wortführer, Pedro de Malvenda. Dieser versuchte offenbar während des Gesprächs, Díaz wieder zum rechten Glauben zu bekehren. Als dieser ablehnte, informierte Malvenda den Beichtvater Karls V., Pedro de Soto, der die Nachricht von Juans Abtrünnigkeit nach Rom weitertrug, bis schließlich der Bruder von Juan Díaz, Alfonso, davon erfuhr. Alfonso Díaz war Jurist an der Rota Romana, dem obersten päpstlichen Appellationsgericht in Rom. Er reiste in Begleitung eines weiteren spanischen Geistlichen nach Regensburg, um seinen Bruder zur Ordnung zu rufen. Doch Juan war schon Mitte Februar nach Neuburg abgereist, wohin Alfonso ihm nach Gesprächen mit Malvenda folgte.78 In Neuburg versuchte Alfonso zunächst mit Drohungen, seinen Bruder zu bekehren: Der Papst würde einen Bann über ihn legen. Doch Juan zeigte sich weiter unbeeindruckt. Nach weiteren Auseinandersetzungen verabschiedete sich Alfonso am 25. März 1545 offiziell von seinem Bruder und gab vor, die Rückreise nach Italien anzutreten. Doch er drehte wieder um. Sein spanischer Gefährte verkleidete sich als Bote und bekam unter dem Vorwand, einen Brief des Bruders übergeben zu wollen, Einlass bei Juan. Während Juan das Papier las, schlug der verkleidete Bote Juan mit einem Beil nieder. Ungestört verließen der Mörder und sein Auftraggeber die Stadt Neuburg.79 Erstaunlicherweise wurden Díaz und sein Begleiter schon am 27. März in Innsbruck gestellt, verhaftet und an das Landgericht Innsbruck übergeben. Am 12. April wurde bereits der Prozess eröffnet, der durch viele mächtige Protektoren Díaz’ bald sehr klar zu dessen Gunsten ablief. Karl V. blockierte schließlich den Prozess, bis er selbst mit Ferdinand vor allem in seiner Funktion als Tiro-
78 79
auch in der Forschung, stets unter editorischen oder biographischen Gesichtspunkten gearbeitet worden und meist unter Übernahme aller Daten, die von der parteiischen Seite veröffentlicht wurden. Stegbauers Untersuchung widmet sich der medialen Verarbeitung. Ausführlich zu diesen Korrespondenzen und Gesprächen siehe Stegbauer, Perspektivierungen, S. 376, Anm. 31–40. Vgl. Stegbauer, Perspektivierungen, S. 377 f.
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ler Landesherr darüber beraten habe. Mehrere Aufrufe protestantischer Fürsten, den Prozess fortzuführen oder den Angeklagten nach Neuburg zu bringen, blieben erfolglos. Die Protestanten wollten die Angelegenheit auf dem Regensburger Reichstag thematisieren, da es ihnen unter anderem um die Bestimmungen des sicheren Geleits ging: Díaz hatte als Teilnehmer des Religionsgespräches in Regensburg unter Geleitschutz des Kaisers gestanden und die Protestanten verlangten vom Kaiser daher die gesetzmäßige Verurteilung und Bestrafung des Mörders. Die Supplikation, die dem Kaiser am 2. Juni in Regensburg vorgelegt wurde, beinhaltete ausführliche Hinweise auf den Bruch des Friedensgesetzes, wenn der Kaiser den Mörder unbestraft entlasse.80 Damit hoben die Protestanten den Mord auf eine reichspolitisch-juristische Ebene. Doch dann wiesen sowohl der Beichtvater des Kaisers, de Soto, als auch Kardinal Farnese Karl V. und seinen Bruder darauf hin, dass Alfonso Díaz wie auch sein Begleiter als Kleriker nicht unter die weltliche Gerichtsbarkeit fallen würden, sondern einzig ein Kirchengericht für sie zuständig sei. Dies war anscheinend das entscheidende Argument, um den Fall dem Landgericht Innsbruck zu entziehen und auch zu verhindern, dass er vor den Reichstag kam. Schließlich veranlasste der Papst die Überstellung der beiden nach Rom, es kam nie zu einer Verurteilung.81 Seit dem 15. Dezember 1545 tagte in Trient das Konzil. Die Protestanten hatten ihre Teilnahme abgelehnt und in der den Mord an Juan Díaz verarbeitenden Flugblattpublizistik wurde nun der Protest gegen das Konzil mit den unzulänglichen Sicherheitsvorkehrungen verbunden. Hinzu kam, dass beispielsweise von Kardinal Alessandro Farnese bekannt war, dass er die Tat billigte – als Verteidigung der Kirche gegen die „Ketzer“.82 In dem illustrierten Flugblatt Der grewlich Cains mordt83 wird die gesamte „Teutsche Nation“ als protestantische Einheit dargestellt. Der Mord zeige, was der Nation von der „Bäbstlich fromkeit und spanischen list“ drohe. Juan Díaz wird im die Illustration begleitenden Text, der etwas mehr als die Hälfte des Blattes einnimmt, zum vorbildlichen Protestanten stilisiert und zur Identifikations80 81 82 83
Vgl. Stegbauer, Perspektivierungen, S. 380, und RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 98. Zu den Verhandlungen darüber siehe Stegbauer, Perspektivierungen, S. 381 f. (Anm. 66–73). Vgl. Friedensburg, Mitteilungen, S. 439. Cainischer Mord, vgl. Harms VI, 35, Bild: Holzschnitt, Ort: Straßburg?, Jahr: 1546, Text: Typendruck in 4 Spalten, 218 Knittelverse, Verleger: (Jacob Cammerlander?, tätig 1531–1548), siehe Benzing, Buchdrucker, S. 416 f., Format: 38,2 x 25,7, Zustand: geringe Textverluste durch eingerissene Falte, Harms VI, 35a, kolorierter Holzschnitt, Kopie nach siehe oben, Mäntel und Hut der Täter rot, Farben des Papstes.
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Abb. 2: Der grewlich Caims mordt, Straßburg 1546.
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figur für die Glaubensfreiheit erklärt. In der gesamten Darstellung versucht man, den Papst und die römisch-katholische Kirche zu diskreditieren. Dass der Kaiser seinen Geleitschutz nicht erfüllt hat, wird als hochproblematisch beschrieben. Weiterhin heißt es (entgegen den Tatsachen), die Täter seien sehr spät erst verhaftet worden, und auch die Schilderung des Gerichtsverfahrens und der Verzögerungstaktik werden genutzt, um auf das unrechtmäßige Verhalten des Papstes aufmerksam zu machen. Die Illustration ist zweigeteilt: In der linken Bildhälfte steht in einem Zimmer im Inneren eines Hauses ein barfüßiger, nur mit einem Nachthemd, einer Nachthaube und einem Überwurf bekleideter Mann – nach der Erzählung im Textteil eindeutig als Juan Díaz identifizierbar – am Fenster, um einen Brief zu lesen, daneben ein Mann in Reitstiefeln und mit im Gürtel befestigtem Degen, der im Begriff ist, ihm von hinten den Schädel mit einer Axt zu spalten. In der rechten Bildhälfte steht ein dritter Mann, gemäß der Erzählung wohl Alfonso Díaz, vor dem Haus, auf dessen Eingangstreppe die Jahreszahl 1546 zu lesen ist. Die rechte Hand ist zum Degen geführt, dessen Knauf ein Kopf mit Mitra ziert. Der Rezipient, als Augenzeuge des Mordes, sollte durch das Flugblatt zur „richtigen“ Beurteilung der aktuellen politischen Lage kommen: Da der Kaiser sein Versprechen gebrochen und Díaz keinen Geleitschutz gewährt habe, könnten die Protestanten unter keinen Umständen an dem Konzil in Trient teilnehmen. Letztlich aber sei „das beihel auch für ganz Teutsch land gewetzt“.84 Neben mehreren Auflagen des illustrierten Flugblattes kursierten weitere Drucke, die die Nachricht von dem Mord an dem Spanier verbreiteten.85 Die Person Juan Díaz und sein Schicksal wurden damit in publizistische Bestseller übersetzt. Nicht nur, dass man mit seiner Geschichte auf die gravierenden Zustände im 84
85
Siehe auch: Ein warhafftiger berichte vom Colloquio zu Regenspurg, o. O., o. Dr. 1546, fol. a3a–a3b; Bucer: Historia vera de mortesanctii viri, o. O., o. Dr., o. J. [BSB V.ss.246]; Rabe, Historien der Martyrer/Ander Theil, o. O., o. Dr. 1573 [BSB 2 V.ss.c. 105–2]. Neben dem Exemplar bei Harms Deutsche illustrierte Flugblätter VI, 35, existiert eine weitere Ausgabe mit leicht veränderter optischer Darstellung bei Paas, German political broadsheet II, 12/35. Dann beispielsweise von Philipp Melanchthon, Ware Historia Wie neulich zu Neuburg an der Tonauw ein Spanier, genant Alphonsus Diasius, oder Decius, seinen leiblichen bruder Johannem, allein ausz hasz wider die einige, ewige Christliche lehr, wie Cain den Abel, grausamlich ermordet habe, o. O., o. Dr. 1546; Johann Lang, Ein erbermlich geschicht, wie ein Spaniölicher, und Römischer Doctor, umb des Evangelions Willen, seinen leiblichen bruder ermordt hat. Mit einer vorrede Doctor Johan Langen zu Erfurt Ecclesiasten, o. O., o. Dr. 1546. Ausführlich dazu Stegbauer, Perspektivierungen, S. 371 f.
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Reich hinweisen konnte, hier konnte man auch die Feindbilder Rom/Papst und Spanien/Kaiser unterbringen. Ersterer hat den Mörder gesandt und der Kaiser hat seinen Untertanen nicht genügend beschützt. Es stand also Schlimmstes zu befürchten. Die Geschichte von Díaz wurde, wie auch im Folgenden noch zu sehen sein wird, in der protestantischen Flugschriftenpublizistik und Geschichtsschreibung immer wieder aufgenommen.
Der Reichstag wird eröffnet
Als sich kurz nach Eröffnung des Reichstages die Gerüchte um die Kriegspläne des Kaisers immer mehr verdichteten, richteten die evangelischen Stände eine Anfrage an diesen, gegen wen er seine Kriegsvorbereitungen treffe. Der Kaiser ließ erklären, seine Pläne richteten sich nicht gegen die Gesamtheit der protestantischen Reichsstände, sondern gegen diejenigen, die sich gegen seine Autorität auflehnten und den Gehorsam verweigerten.86 Karl V. betrieb damit weiter seine Hinhaltetaktik: In Regensburg führte er Gespräche mit den geistlichen Fürsten, umwarb die evangelischen Reichsstände und -städte in Süddeutschland und hoffte auf deren Unterstützung.87 Aus der Korrespondenz geht hervor, dass er als Motive für seine Strategie nach außen hin vor allem die Schwächung des Schmalkaldischen Bundes angab und die Isolierung Kursachsens und Hessens. Auch wenn einige Fürsten sich weigerten, auf die Seite des Kaisers zu treten, gewann er doch eine Reihe evangelischer Reichsfürsten wie den prominenten Herzog Moritz von Sachsen und, als einziges Mitglied des Schmalkaldischen Bundes, den Markgrafen Johann von BrandenburgKüstrin.88 Nachdem zu den ursprünglichen Eröffnungsterminen des Regensburger Reichstages im März und April 1546 nur wenige Gesandte erschienen waren, forderte der Kaiser nochmals zur Teilnahme auf. Schließlich wurde am 5. Juni 1546 der Reichstag eröffnet. Auf nahezu allen Reichstagen unter Karl V. hatte die Türkengefahr im Osten des Reiches, in Ungarn und an der Grenze der österreichischen Erblande einen 86 87
88
RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 72 und Nr. 73. Zum Vorfeld des Krieges und zum Krieg selbst vgl. Lenz, Kriegsführung; Baumgarten, Schmalkaldischer Krieg; Hasenclever, Politik; und RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 77 und Nr. 78. Vgl. Lenz, Kriegsführung, S. 397 f.
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bestimmenden Einfluss auf die Beratungen gehabt. Die Protestanten hatten stets Bedingungen für eine Finanzierungshilfe erhoben; diese wurden in Regensburg auch mit den Bedenken gegenüber der kaiserlichen Religionspolitik in Verbindung gebracht. Landgraf Philipp von Hessen schrieb in seiner Instruktion an Dr. Tilemann Günterode und Sebastian Aitinger am 14. Juni 1546: „Jagen wir, die reichsstende, nun den Turcken da hinweg, so mocht man villeicht darmit nichts anders thun, dan das man das babsthumb da wider aufrichte.“ Denn wie lasse sich die finanzielle Unterstützung eines Kaisers rechtfertigen, der mit dem Papst paktiere und vor allem in seinen Erblanden die Protestanten bereits verfolge: „Dann man horet, wie sichs in Niderlannden mit verfolgung unserer religion soll erhalten, was auch der konig vor scharpfe mandat in seinen landen derwegen publicirt, das wisset ir vorhin; und sol unser religion in Osterich hart vervolget werden. Derwegen es beschwerlich ist, viel hulf dergestalt ze thun.“89 Die Protestantenverfolgung in den Niederlanden wurde damit argumentativ für das Verhalten innerhalb der politischen Situation im Reich instrumentalisiert. Sofort entbrannte zwischen den Konfessionsparteien der Streit, ob die Religionssache weiter verhandelt werde, denn die Katholischen verwiesen von Anfang an auf die alleinige Kompetenz eines Konzils. Die Situation wurde immer verworrener: Die Protestanten erneuerten ihre Forderungen nach einem Nationalkonzil und der Verlängerung des Reichsfriedens und die kaiserlichen Berater verwiesen auf die Dringlichkeit der Kompromisssuche, da sonst alle weiteren Entscheidungen zu Türkenhilfe und Reichskammergerichtsreform blockiert seien. Die Katholiken lehnten dazu jede Stellungnahme ab. In dieser aussichtslosen Situation schien nur eine Sache als Faktum festzustehen: die kaiserlichen Religionskriegspläne. Auf dem Reichstag sahen darum die Protestanten eine nie dagewesene Möglichkeit, die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes und die protestantische Bevölkerung über die „Wahrheit“ des Krieges aufzuklären, vor allem aber das zu erwartende Szenario im Falle eines Sieges der kaiserlichen Truppen auszumalen.90 An zwei Flugschriften soll das erläutert werden. In der Flugschrift Abtrucke der verwarungs Schrifft91 wird festgehalten, dass Papst und Kaiser „Bündnis-Part89 90 91
RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 35c, Punkt 3. Vgl. Haug-Moritz, Judas; Waldeck, Publizistik, S. 19 ff. Abtrucke der verwarungs Schrifft der Chur und Fürsten, auch Graffen, Herrn, Stette und Stende der Augsburgischen Confession Eynungs verwandten, Irer yetzigen hochgenottrangten und verursachten Kriegsrüßtung halben, an Keyserliche Mayestat außgangen und beschehen, o. O., o. Dr. 1546.
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ner“ seien, denen die „Christliche Augsburgische Confession, und also die reine lere Göttliches worts“, gegenüberstehe. Damit grenzen sich die Schmalkaldener deutlich auch von anderen Gruppen ab bzw. betonen ihre Identifikation über die Confessio Augustana. Diese Abgrenzung wird im Verlauf der folgenden Jahrzehnte immer gewichtiger, auch in der Frage, wie welche konfessionelle Gruppe „Ketzer“ definiert. Zunächst aber bezieht sich die Schrift auf die „Confirmierten unchristlichen Löwischen Artickeln“ und die „fürgenummener Execution und verfolgung der armen Christen in iren Erbniderlanden“. Hier ist die Solidarität mit den Protestanten in den Niederlanden allumfassend, es wird nicht differenziert, ob es sich um Täuferverfolgung oder Verfolgung der Calvinisten handelt. Im Vordergrund steht die Feststellung, „das sich E.M. mit dem Antichrist zum Rom, dem Bapst, dieser Kriegshandlung unnd empörung halben wider uns unnd das Reich Teutscher Nation vereyniget, verglichen und verbunden“. Die Strategien und Taktiken der vergangenen Verhandlungen, die Unklarheit über das Vorgehen des Kaisers, die übergeordnete einigende Kraft der Bedrohung durch die Türken – all das ist in den Hintergrund gerückt, weil den Protestanten jetzt – im Jahr 1546 – „klärlich und offentlich erscheinet“, welches diabolische Bündnis Kaiser und Papst gegen sie getroffen haben: Der Papst als Teufel nutze sein Werkzeug, den Kaiser.92 Die Öffentlichkeit, mit der Papst und Kaiser nun agieren würden, findet auch in der 1546 erschienenen Declaration. Wider Kaiser Carl, […] und Bapst Paulum den dritten Erwähnung. Die Informationen über die „handlunge, Abschied, blutige Edicta, und Verbot“ seien „öffentlich auff viel Reichstagen erzeigt“. Vor allem „Hispanier“ und „Italiener“ würden „alle schendliche unzucht, frevel und mutwillen treiben“. Dieses sei zu erwarten, weil „viel Jar heran [zuvor], viel unschuldiges Bluts, wie oben vermeldet […] im Niederland, der Göttlichen Lere halben vergossen, unter dem Schein, als weren sie die Widerteuffer, auffrürer und dergleiche.“ Aber auch bei aller „straff, leibs und guts“, die einem drohe, wenn man es wagte, die „Göttliche Lere zu verlassen“, dürfe man nicht vergessen, dass Gott gerecht urteile.93 Noch angesichts der schlimmsten Befürchtungen berief man sich auf die Gerechtigkeit Gottes. Ob die allerdings im folgenden Szenario noch helfen würde, war sicher auch den Protestanten nicht ganz gewiss.
92 93
Alle Zitate hier: Abtrucke der verwarungs Schrifft, fol. b2a; vgl. auch Haug-Moritz, Kriegsniederlagen, S. 353 f. Abtrucke der verwarungs Schrifft, fol. c4a–e3b.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Jetzt erst recht: Inquisition als zentrales Flugschriftenmotiv
Neben der bloßen Anklage gegen das kaiserlich-päpstliche Bündnis widmen sich einige Flugschriften den Folgen eines möglichen Sieges des „Teufelspaktes“, so beispielsweise die Neue Zeitung aus dem Niderland.94 Die vom Umfang her kurze dreiseitige Flugschrift besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird einleitend die aktuelle Entwicklung der Lage in den Niederlanden skizziert. Betont wird nicht nur die besonders prekäre Situation der dortigen Protestanten, die sich ohnehin einer harten Repression ausgesetzt sähen. Überdies stehe eine Verschärfung der Verfolgungspraktiken unmittelbar bevor, nämlich die Einführung einer neuen Inquisition, „Sancta Inquisitionis Hispanica genannt“, womit ein „new unglück“ beginnen werde. Mit Zustimmung des Kaisers habe man bereits einen päpstlichen Prälaten als „examinatorem hereticae pravitatis“ eingesetzt und von den Kanzeln werde nun auch allerorten mit der spanischen Inquisition gedroht. „Des Keisers Victori“ werde über die Verwirklichung dieser Absichten entscheiden.95 Eindringlich beschreibt die Flugschrift, welch fatale Folgen die enge Verschränkung der weltlichen und kirchlichen Gerichte für die Lebenssituation der Protestanten hätte. Schließlich könnten die Inquisitoren direkt gegen „einen jeden Hohes und Niedriges standes“ ermitteln: „Stracks ins Gefengnis geworffen, un wo er schuldig befunden, ob er schon provocirt, ime dennoch Leib und Gut nimpt, und die Inquisitores haben Dictatoriam Potestatem, das man sich weder mit worten noch wercken an inen vergreiffeen auch von iren Kentnüß nich Appelieren mag.“ Wie ernst die Lage und wie groß die Furcht vor der Inquisition in den Niederlanden mittlerweile war, wurde durch den Hinweis auf die unmittelbar bevorstehenden Flüchtlingswellen unterstrichen.96 Während der erste Teil der Flugschrift das entschlossene und enge Zusammengehen zwischen Kaiser und Papst in den Niederlanden thematisiert, illus94 95
96
In mehreren Auflagen zum Beispiel in der HAB: 180.16 Hist. (7), 187 Hist (40) und im Folgenden zitiert: Gp 443 (2). Neue Zeitung, fol. A3a: „In den Niderlanden ist noch allwege grosse Persecution der armen Christen und sonderlich hebt sich ein new unglück mit der neuen Inquisition an, Sancta Inquisitionis Hispanica genannt. Damit alda auff allen Predigtstühlen, hefftig gedrawat [gedrohet] wird, und ist einer vom Papst, aus Zulassung des Keisers dahin geschickt, ein großer Prelat, welcher sich nennet, Examinatorem heretice pravitatis. Und beruget die Execution allein auff des Keisers glück un Victori.“ Neue Zeitung, fol. A3a: „Derhalben sitzen die armen Leute in Niederlanden, in grosser angst und furcht, es werden etliche viel hundert, in Kurtzen das Land reumen, viel ehrlicher Leute haben auch alhier bey uns herberge bestaldt.“
1.4 Religionsgespräch und Reichstag 1546
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triert der zweite Teil, über welche Mittel und Wege inquisitorische Kontrolle in absehbarer Zukunft auch im Reich ausgeübt werden würde. Hier wird nicht etwa auf die Tätigkeit der spanischen Inquisition, sondern auf die bereits erwähnte Bedeutung des Konzils von Trient für die Etablierung effizienter Glaubenskontrolle Bezug genommen. Da die Konzilsbeschlüsse (im Falle ihrer Bestätigung durch die weltlichen Potentaten) ja für die gesamte Christenheit Geltung haben sollten, führt die Schrift den deutschen Protestanten eindrücklich vor Augen, mit welchen Verfolgungsmaßnahmen auch sie konfrontiert sein würden, sollte es dem Kaiser gelingen, die konfessionspolitische Lage im Reich zu seinen Gunsten zu wenden. Der zweite Teil der Flugschrift ist tituliert als Predigt eines Antwerpener Pfarrers. Sie bringt Vermutungen vor, wie die Informationen über die Pläne von Kaiser und Papst für das Konzil in die Kommunikationskanäle des Reiches gelangt sein könnten, und wendet sich eingangs gegen ein (angeblich) unlängst auf dem Konzil von Trient verabschiedetes inquisitorisches „Vademecum“.97 Als „Einfallstor“ verschärfter inquisitorischer Kontrolle sollte demnach die Beichte dienen.98 Der bereits erwähnte bayerische Gesandte am kaiserlichen Hof in Brüssel berichtete 1544 nicht nur über die mit den Löwener Artikeln sich verschärfenden kaiserlichen Maßnahmen, sondern auch über die öffentliche Verurteilung des Beichtvaters der Statthalterin Maria von Ungarn, Pierre Alexandre (1510–1563). Nach Studium und Promotion in Theologie an der Pariser Universität wurde Alexandre zunächst Prediger am Karmelitenkloster in Arras, von dort wechselte er in den 1530er Jahren an den Hof in Brüssel. Er wurde bald durch protestantische Auffassungen auffällig und die Statthalterin geriet zunehmend unter Druck. So rigoros sie sich in der Täuferverfolgung gezeigt hatte, so undurchsichtig ist ihre Nachsicht mit dem Kaplan Alexandre. Als dieser 1544 öffentlich in Brüssel zum Protestantismus konvertierte und daraufhin von der Inquisition verhaftet werden sollte, verhalf sie ihm zur Flucht, indem sie ihn von der Verhaftung in97
98
Neue Zeitung, fol. A3b: „Gleich als das unser heiligster Vater, der Babst mit seinen Cardinelen und heiligen Vetern zu Trient hat beschlossen, wie denn solchs die Sancta Inquisitio ferner geben und ausweisen wird, und bis alles (sprach er) sol gedruckt werden zu Löwen, auff das ir euch wisset darnach zurichten und zu schicken.“ Zum zentralen Stellenwert der Beichte im Zusammenhang mit der Inquisition siehe Prosperi, Die Beichte und das Gericht des Gewissens, S. 188–190. Prosperi konstatiert den Missbrauch der Beichte für inquisitorische Zwecke, da die Beichtväter die Büßer nicht nur nach ihren Sünden und Vergehen zu befragen hatten, sondern auch in Erfahrung bringen sollten, „ob sie über andere Personen solche Informationen besäßen“. Vgl. auch Tallon, Le concile de Trente.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
formierte. Er floh nach Straßburg, wo er 1545 als Prediger der französischen Gemeinde verzeichnet ist. Kurze Zeit später muss er aber nach Heidelberg gekommen sein, wo er sich 1545 an der Universität immatrikulieren ließ. Nachdem er in engen Kontakt mit Martin Bucer getreten war, musste er Heidelberg dennoch verlassen, als sich Friedrich III. von der Pfalz dem Kaiser unterwarf. Nach längeren Reisen und weiteren Aufenthalten in Straßburg in den 1550er Jahren starb Alexandre 1563 in London.99 Die Flugschrift richtete sich vor allem gegen den Missbrauch der Beichte durch die katholische Geistlichkeit und die Inquisitoren und prangerte somit die Pervertierung der katholischen Glaubenspraxis an, was durchaus durch das „Opfer“ Alexandre aus Straßburg bzw. Heidelberg über die reformatorischen Kreise überliefert worden sein kann. Entworfen wird in der Flugschrift ein durch Denunziantentum, unerbittliche Verfolgung und Schrecken geprägtes Alltagsszenario. Dabei nutzt die Flugschrift das rhetorische Mittel, eine Art Handbuch zu zitieren, in dem das zu erwartende Prozedere der Inquisition minutiös beschrieben wird:100 Zunächst würde man die Menschen in den Häusern zählen, dann jedem ein Bleistück aushändigen, das den Namen des Besitzers trage und bei der Beichte wieder abgegeben werden müsse.101 Wer also nicht bei der Beichte erscheine, „des Namen soll bestehen bleiben, und er angegriffen verbrand und sein gut confiscirt werden“. Die Pfarrer seien angewiesen, die Gläubigen in der Beichte zu befragen, was sie vom Papst, „den Ceremonien und anderen Satzungen halten“. Die Bürger hätten zudem in der Beichte die Pflicht, über ihre Nachbarn und deren Glauben zu berichten sowie Auskunft zu geben, welche Bücher sie läsen und wer bei ihnen ein und aus gehe.102 Seien dann die Ketzer als solche ausgemacht und verurteilt, „werden sie zum Feuer aus der Stadt geführt“. Die „Bürger sollen verpflichtet sein“, die Straßen mit Bildern zu schmücken und Al99 100 101
102
Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 235, und Drüll, Gelehrtenlexikon, S. 10, dort Verweis auf Lenz, Briefwechsel, S. 322 f. Neue Zeitung, fol. A3b: „Item, in dem Büchlein der Inquisition sind viel Artickel ganz unchristlich und beschwerlich unter welchen dieser einer ist […].“ Neue Zeitung, ebd. „Nemlich, das man in alle Heuser gehen und fragen solle, wieviel Personen darinnen wohnen, und einer jeden Person sol man geben ein Bleien zeichen, und iren Namen auffzeichen, und mit den Bleien zeichen sol ein jeder gehen zur Beicht und Sacrament, denn sol man dem Pfaffen das zeichen wider geben und die selben Namen aus thun.“ Neue Zeitung, ebd. „[…] und was ihre Nachbarn thun, ob sie auch oft zur Kirchen und zur beicht gehen. Item, ob sie auch Deutsche bücher haben, ob sie nicht bisweilen was lesen, auch was für Gesellschaft zu ihnen kome, wo von sie reden etc.“
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1.4 Religionsgespräch und Reichstag 1546
Abb. 3: Von der unchristlichen tyrannischen Inquisition […], Wittenberg 1546.
täre mit Kruzifixen und Kerzen aufzustellen. Dabei sollte der Kult der katholischen Kirche zelebriert und den Häretikern auf dem Weg zum Scheiterhaufen vor Augen geführt werden.103 Um sich von den Ketzern zu distanzieren, wären die Bürger aufgefordert, „ein Stück Holz oder mehr auff den Wagen tragen, oder lassen tragen, und darzu sol der Babst grossen Ablas geben, wer am meisten Holtz den Ketzer zu verbrenne gibt der sol am meisten Ablas haben“. Wie bereits Erasmus Alberus klagt also auch dieser anonyme Verfasser an, dass der Papst den Ablass gegen die Lutheraner einsetzen werde bzw. in diesem Fall die redlichen Katholiken damit belohne.104 103
Neue Zeitung, A3a: „Darzu sollen die Bürger verpflichtet sein, das sie in den Straßen, da die Ketzer hindurch geführt werden, Altar oder Taffeln mit Bildern, Crucifixen, und Lichtern, bauen und setzen.“ 104 Hieran zeigt sich erneut deutlich ein wichtiges Charaktermerkmal der Flugschriften und Flugblätter im 16. Jahrhundert. Traditionelle Bilder und Argumentationsmuster, die in einem historischen Kontext der Vergangenheit entstanden sind, wurden um neue (Feind-)Bilder erweitert. So wurde in diesem Fall der Ablasshandel miteinbezogen, der besonders Anfang der 1520er Jahre florierte und erst 1567 unter Pius V. aufgehoben wurde. Der Missbrauch der Erträge war stets ein Hauptkritikpunkt Luthers und später seiner Anhänger gegenüber der katholischen Kirche.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Der letzte Teil der Predigt wiederholt dann die Aussagen der Einleitung: Der Ausgang des Krieges gegen die protestantischen Reichsfürsten entscheide über die mögliche Einführung der Inquisition in den Niederlanden: Denn „das arme kleine Heufflein der Christen zu Antdorff [sei] seer betrübt und bekümert, alle tage der Execution und bemelten Sancten Inquisition erwartende, welches noch nich gantz ins werck bracht, sondern alein darauff gesehen und gewartet wird, bis sie hören, das des Keisers victori wider die Protestiriden angehe“. Dies kam einem Aufruf zum entschlossenen militärischen Widerstand gleich. Ging es in der Flugschrift vordergründig um die Verschärfung der inquisitorischen Praktiken in den Niederlanden, so endet sie jedoch mit dem klaren Bezug auf den Schmalkaldischen Krieg. In der ersten Rechtfertigung des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und des Landgrafen Philipp von Hessen gegen die vom Kaiser verhängte Reichsacht vom 15. Juli 1546 wird ausführlich über die Rechtmäßigkeit der protestantischen Lehre Auskunft gegeben, ebenso über die Rechtmäßigkeit eines kaiserlichen Religionskrieges: Man würde „die bebstische pfaffen, mönch und nonnen wider einsetzen, die predicanten der reinen christlichen leer jemerlich erwürgen und ire weiber und töchter erbermlich schenden“, aus protestantischer Sicht auch in deutschen Landen lassen und eben keinen Krieg deswegen beginnen.105 Im Falle, dass der Krieg doch ausbrechen würde, hoffte man auf ein „freundlichs und getreulichs mitleiden […] wider uns und unsere einigunsverwandten, weil in den Niderlanden mit grausamer beschwerung und todtung der armen christen der anfang gemacht und darnach die teutschen nation“ die Fortsetzung dieser Maßnahmen erfahren würde.106 Am 20. Juli 1546 verhängte der Kaiser die Reichsacht über die beiden Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen, gleichermaßen eine offizielle Kriegserklärung des Kaisers.107 Der Kaiser kämpfte nun offiziell gegen aufsässige Fürsten, die Protestanten kämpften in diesem Krieg für ihre Glaubensfreiheit. Sie rechtfertigten in ihren Schriften das militärische Bündnis und letztlich auch den Krieg. Im einem offiziellen Anschreiben der Schmalkaldischen Bundesstände an Karl V. aus dem Feldlager an der Donau bei Neuburg vom 11. August 1546 wird die „gotlich und naturlich[] 105 106 107
RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 114 (hier S. 542). RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 114 (hier S. 550). Der Verlauf des Krieges soll hier nicht näher behandelt werden, vgl. dazu grundlegend Haug-Moritz, Schmalkaldischer Krieg; Lenz, Kriegsführung, S. 385–460; Wartenberg, Schlacht bei Mühlberg; Heidrich, Karl V.
1.5 Kaiserliche Tyrannei im Interimswiderstand
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gegenwher“ betont und die Ursachen für den Krieg angeführt:108 Die „confirmirten unchristlichen lovischen artickeln, auch dorauf furgenomener excution und vorfolgunge der armen christen in iren Erbniderlanden, und das sich eure Mt. mit dem antichrist zu Rom, dem babst, dießer krigshandelunf und emporunge halben wider uns und das Reiche deuczscher nation voreinigt, vorglichen und vorbunden.“ Mit der bereits erwähnten endzeitlichen Perspektive „verliehen sie der Niederlage einen transzendenten Sinn“.109 Die Flugschriften betonten daher auch stets, dass der Kaiser zwar militärisch siegen könne, aber der Glaube sich dadurch nicht unterdrücken lasse.110
1.5 Kaiserliche Tyrannei im Interimswiderstand Zur historischen Ausgangslage: Reichstag zu Augsburg 1547/48
Karl V. hatte im Reichsabschied von Regensburg 1546 den nächsten Reichstag auf Februar 1547 festgelegt, ohne einen Tagungsort zu nennen. Durch den direkt nach dem Regensburger Reichstag beginnenden Schmalkaldischen Krieg war die Einhaltung des festgelegten Termins zweifelhaft. Nach Karls V. erstem Sieg über die schmalkaldischen Truppen beim Donaufeldzug im Herbst 1546 konkretisierte er seine Pläne für einen möglichen zukünftigen Reichstag und vor allem eine verfassungsrechtliche Stärkung seiner Position.111 Dabei ging es auch um die endgültige Unterwerfung der Protestanten durch ein Konzil und die Wiedereinrichtung des Reichskammergerichtes – kurz: Karl V. zielte in allen wesentlichen Fragen darauf ab, die Habsburgische Vormachtstellung im Reich zu unterstreichen. Aus der Korrespondenz mit seinem Bruder Ferdinand geht hervor, dass er mehrere Möglichkeiten erwog, wie er seine machtpolitischen Ziele erreichen könne. Offensichtlich war er sich seiner Position gegenüber den Protestanten durch den Sieg der kaiserlichen Truppen sehr sicher.112 Auch unter den kaiserlichen Räten 108 109 110 111 112
RTA XVII (Regensburg 1546), Nr. 117 (hier S. 572). Moritz, Interim und Apokalypse, S. 108. Zu den Wahrnehmungen des Krieges siehe Moritz, Interim und Apokalypse, Kapitel 4.4. Zur Vorbereitung des Reichstages und Karls V. Pläne für eine Reichsreform siehe grundlegend Rabe, Reichsbund und Interim, S. 94–98. RTA XVIII (Augsburg 1547/48), Nr. 3: Karl V. erwog, einfach allen die Rückkehr zur alten Religion zu befehlen oder aber den Krieg bis zur endgültigen Unterwerfung Kursachsens und Hessens auszudehnen.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
und päpstlichen Gesandten kursierte die Meinung, dass ein zügig abzuhaltender Reichstag die beste Voraussetzung für eine endgültige Unterwerfung der Protestanten durch ein Konzil sei, bis zur Einberufung des Konzils sei eine Interimslösung durchzusetzen. Für die Wiederherstellung von Frieden und Recht sei die Wiederherstellung des Reichskammergerichtes dringend nötig.113 Im Januar 1547 hatte der Kaiser das tridentinische Glaubensdekret zur Rechtfertigungslehre veröffentlichen lassen, das für die Protestanten eine inakzeptable Bedingung war. Entscheidender war aber die Tatsache, dass der Papst das Konzil für den 13. März 1547 in das im Kirchenstaat gelegene Bologna hatte verlegen lassen. Seit 1536 argumentierten die Protestanten, dass das Konzil, wenn überhaupt, auf Reichsboden stattfinden müsse. Die Verhandlungen des Kaisers für eine Rückführung nach Trient verliefen erfolglos, denn der Papst koppelte die Möglichkeit der Verlegung nach Trient an den Verlauf des Reichstages. Die Stilllegung des religionspolitischen Konfliktes durch ein allgemeines Konzil war damit beinahe aussichtslos geworden. Während Karl V. seine Räte zu einem Entwurf der Interimslösung anwies, waren seine Truppen militärisch weiter erfolgreich. Das gab der kaiserlichen Seite Anlass zur Hoffnung auf die Ausdehnung ihrer reichspolitischen Macht auf dem nächsten Reichstag. Zur Verdeutlichung dessen ließ der Kaiser seine Truppen vor der Eröffnung des Reichstages im September 1547 in Augsburg aufmarschieren und hob die militärische Besatzung der Stadt Augsburg nicht auf.114 Die religiöse Neuordnung des Reiches erwies sich aber auf dem Reichstag zu Augsburg (1. September 1547–30. Juni 1548) dennoch als schwierig.115 Nach den Plänen des Kaisers sollte die föderative Struktur des Reiches zu Gunsten eines zentralistischen Reichsbundes mit einer starken kaiserlichen Machtposition aufgelöst werden. Die katholischen Reichsstände sahen ihre etablierte Unabhängigkeit in diesem Modell stark eingeschränkt und ließen die Pläne des Kaisers scheitern. Ebenso misslangen die Pläne zur religiösen Einigung.116 Am 15. Mai 1548 113 114 115 116
RTA XVIII (Augsburg 1547/48), Nr. 6. Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, S. 59–62. RTA XVIII (Augsburg 1547/48), bearb. V. Ursula Machoczek. Die Publikation Reichsbund und Interim von Rabe gehört immer noch zu den Standardwerken, aktueller ist der Aufsatzband von Schorn-Schütte, Interim; zur möglichen Unterschätzung der Verhältnisse im Reich sehr präzise Luttenberger, Glaubenseinheit, S. 495–501; zur Religionspolitik Karls V. sei auch hingewiesen auf Schilling, Karl V. und die Religion. Schilling fasst die religionspolitischen Zäsuren gut zusammen, lässt aber die hier relevante Thematik insbesondere in Hinblick auf die Konsequenzen des Krieges beinahe außer Acht.
1.5 Kaiserliche Tyrannei im Interimswiderstand
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ließ der Kaiser den Reichsständen ein Gesetz vorlegen, das die Religionsfrage in den evangelischen Territorien bis zum Abschluss des unlängst aufgelösten Tridentiner Konzils regeln sollte. Das sogenannte „Interim“ wurde in kaiserlichem Auftrag über mehrere Monate zwischen Herbst 1547 und Mai 1548 von unterschiedlichen Kommissionen erarbeitet. Der Entwurf, der unter den teilnehmenden Fürsten des Augsburger Reichstages im Mai 1548 kursierte, war maßgeblich vom Mainzer Bischof Michael Helding, vom späteren Naumburger Bischof Julius Pflug und auf protestantischer Seite vom brandenburgischen Hofprediger Johann Agricola erstellt worden. Zugeständnisse an die Protestanten waren beispielsweise die Billigung der Priesterehe und des Laienkelchs, dennoch war die praktische Durchsetzung des Interims für die protestantischen Territorien unmöglich, da es de facto die Rückkehr in die vorreformatorischen Modalitäten bedeutet hätte.117 Die „misslungene Ausnutzung militärischer Erfolge“118 konnte nicht deutlicher zu Ungunsten des Kaisers ausgegangen sein, wie sich in den folgenden Jahren deutlich zeigen sollte. Die Durchsetzung des Interims war in großen Teilen des Reiches nur mit militärischer Gewalt zu erreichen, der Kaiser drohte den Territorien und Reichsstädten mit der Reichacht. War die politische Propaganda im „Kriegsjahr“ 1546 noch auf dem Produktionshoch gewesen, so ging sie in den Monaten des Augsburger Reichstages deutlich zurück. Der Kaiser hatte, anscheinend aus gewonnener Erfahrung mit den publizistisch starken Schmalkaldenern, jegliche Veröffentlichungen gegen das Interim verboten. Im Reichsabschied wurde den Ständen untersagt, gegen das Interim zu schreiben oder zu predigen. Zur Kontrolle sollten auf den Schriften Drucker, Autor und Ort angegeben werden. Das klang in der Theorie ordentlich, war aber in der Praxis nicht mal ansatzweise durchsetzbar.
Verarbeitung der religiösen Verfolgung: Alberus’ Dialogus
Die Argumente der Protestanten gegen die „tyrannische Politik“ des Kaisers nach dem Krieg blieben gleich, wurden aber nun um die Motive des Interims erweitert. Über das Reich brach in den folgenden vier Jahren eine Flugschriftenflut herein, die quantitativ sogar die Kriegspropaganda übertraf.119 Die Inquisitionsthematik wurde zunächst argumentativ fortgeführt, indem man weiter auf die 117 118 119
Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, S. 121–133. Gotthard, Altes Reich, S. 43. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 124 f.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
kaiserliche Religionspolitik in den Erblanden verwies. Zudem wurden vorerst die wichtigsten Argumente der „Vorkriegspropaganda“ noch einmal verdeutlicht und damit versucht, die Kriegsniederlage thematisch zu verarbeiten. Dieses gelang besonders eindrucksvoll dem schon erwähnten Theologen Erasmus Alber. Direkt nach der Veröffentlichung des Interims im Mai 1548 begann er in Leipzig mit dem Verfassen des Dialogus vom Interim, der am 16. August 1548 erschien.120 Alber hatte in Leipzig den Schmalkaldischen Krieg verfolgt, war bereits davor maßgeblich an der antikaiserlichen Propaganda beteiligt gewesen und brachte mit dem Dialogus als erster protestantischer Autor die thematische Auseinandersetzung mit der Kriegsniederlage und dem Interim zusammen. Die Schrift ist sprachlich und inhaltlich derart scharf gegen Kaiser Karl V., König Ferdinand und auch Moritz von Sachsen gerichtet, dass kein Drucker das Werk drucken wollte und daher nur handschriftliche Versionen im Reich kursierten.121 Wegen seiner Kritik an Moritz von Sachsen verfügte dieser nach der Beendigung der Belagerung Magdeburgs, dass Alber als einziger Theologe die Stadt verlassen musste.122 Der Dialogus beginnt mit einem ausführlichen Gespräch zwischen Albertus, einem evangelischen Laienchristen, Cornelius, einem ernestinischen Hauptmann, und Tertollus, einem altgläubigen Weihbischof, über den Inhalt des Augsburger Interims. Die beiden Erstgenannten argumentieren gegen die Annahme des Interims und fordern zum aktiven Widerstand auf. Albertus und Cornelius kritisieren besonders, dass die Regeln nur bis zum nächsten Konzil gültig sein 120
121
122
Ein Dialogus oder Gesprach etlicher Personen vom Jnterim […], o. O., o. Dr. 1548, 64 Blatt [VD16 A 1485]. Vgl. auch die Edition im von Dingel herausgegebenen Sammelband zum Interim von Hund/Schneider. Das dort verwendete Exemplar stammt aus der HAB, Sig. Ts 96. Im Folgenden werden als Textbelege die Seitenzahlen der Editionsfassung angegeben. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Dialogus findet sich jüngst auch bei Kaufmann, Ende der Reformation, S. 211–230. Kaufmann geht auch auf die geringe Wertschätzung der Gattung des Dialogs im Gesamtdruckwerk der Magdeburger Offizien ein und in diesem Zusammenhang auf die Stellung des Erasmus Alber – Punkte, auf die hier nur in aller Kürze verwiesen werden kann. Ebenso Moritz, Apokalypse und Interim. Erst neun Jahre später druckte ein Augsburger Drucker die Schrift Albers in einer Auflage von tausend Exemplaren. Datiert wurde der Druck auf das Jahr 1548, Alber war 1553 bereits verstorben und erlebte diese Veröffentlichung also nicht mehr, vgl. Hund/ Schneider, Dialogus, S. 552 f.; und Kaufmann, Ende der Reformation, S. 213. Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 554: Alber ging dann nach einer kurzen Station in Hamburg nach Neubrandenburg, wo er eine Stelle als Superintendent annahm. Am 5. Mai 1553 verstarb er an einer Halsentzündung.
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sollen und daher alle Zugeständnisse an die Protestanten eher scheinheilig seien. Tertollus diskutiert den lutherischen Spott mit einer Anspielung auf die Söldner der kaiserlichen Truppen, „sollend die Spanier und Italiener noch einmal kommen?“123 Die Evangelischen antworten darauf, dass der „Teufel“ bereits versucht habe, „durch sovil Reichstäg, durch die Mordbrenner“ und durch „grosse schinderey“ die Lutherischen zu vertreiben, das sei ihm aber nicht gelungen, weshalb es nun zum Interim gekommen sei, das gemeinhin für „Lugen und Morden“ stehe.124 Der belanglose Name „Interim“ sei entstanden, weil es dem Teufel „auß dem hindern gefallen ist“.125 Interessant ist auch die weitere Überlegung zum Terminus „Interim“: Stamme es vom Verbum interimo ab, so könne es auch als „aus dem Weg räumen“ verstanden werden und im Sinne von „ein Blutbad in Teutschlandt anrichten“ gedeutet werden.126 Immer wieder widmen sich Passagen des Dialogus der protestantischen Niederlage im Schmalkaldischen Krieg. Bereits im langen Titel steht, dass der Dialog auch „vom krieg des Antychrists zu Rom, Bapst Pauli des dritten, mit hulff Keiser Caroli des Fünffte“ handele. Der Kaiser als Handlanger des Papstes habe den sächsischen Kurfürsten nur besiegt, weil jenem „von seinen eygnen Räthen und Hauptleuten […] Verrätherey und untrew […] begegnet ist“.127 Die Niederlage erscheint als Strafe Gottes, vor allem gegen den Schmalkaldischen Bund, der das Evangelium missbraucht und unsittliche Zustände gebracht habe. Die göttliche Strafe sei gerecht, man solle sich auf Gottes Wort konzentrieren und aus der Niederlage seine Lehren ziehen.128 Im mittleren Teil des Gesprächs zitieren besonders Albertus und Cornelius Psalme und Sprüche aus der Bibel, um die Niederlage, also Gottes Strafe, zu deuten und zu erklären. Cornelius antwortet, dass dieses ein Zeichen sei, dass die Evangelischen, trotz der Niederlage, Kinder Gottes seien. Sie haben eben „noch nye kein Papisten umb seiner Papisterey verfolgt und ermordet. Aber die Papis123 124 125 126 127 128
Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 565. Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 562. Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 565. Zur Deutung des Wortes Interim vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 218, Anm. 36. Siehe Titelblatt, Hund/Schneider, Dialogus, S. 549. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 223. Nach Tertollus’ Abgang kommt bald ein neuer Gesprächspartner hinzu, der den frommen, patriotischen und christlichen Reichsritter vertreten soll: Froberi von Hutten. Wahrscheinlich eine fiktive Gestalt, er gibt sich zwar als Sohn Ulrichs von Hutten zu erkennen, von diesem sind aber keine leiblichen Nachkommen nachweisbar.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
ten haben ser unsern vil tausent ummbracht und alle Element, sy zu vertilgen, gebraucht. Sy haben die unsern verbrandt, erseufft, erhengkt, geköpft, durch hunger ummbracht, mit grawlicher gefangknus gemartert und getödt, haben Mordbrenner wider uns außgesandt und die uns mit gifft umbbringen solten, haben unsere weyber und kinder geschändt.“129 Die Protestanten seien die, die den Frieden wollten, die sich niemals mit derart martialischen Gebräuchen gegen die Katholiken stellen würden: „Diß ist auch unser trost in unserm Ellend, das wir disen Krieg nicht angefangen noch verursacht haben und stäts umm frid gebetten haben.“ Tröstend sei es auch, dass, obwohl der Papst „sovil Jar practicen understanden, uns zu überziehen“, er es letztendlich nicht schaffen würde, sich Gott zu widersetzen, da „denen, so Got lieben, alle ding zum bessten dienen“.130 Die Stilisierung der Protestanten als Märtyrer steht in lutherischer historiographischer Deutungstradition. Die Strafe Gottes bestehe darin, die Kriegsniederlage und die Tyrannei des Papstes geduldig zu ertragen, da der Prophet Luther ohnehin den Jüngsten Tag vorhergesagt habe. Im letzten Teil des Dialogs werden die zehn Vorzeichen des bevorstehenden Jüngsten Tages aufgezählt und mit Phänomenen der Gegenwart der Gesprächsteilnehmer identifiziert. Zum bevorstehenden Endgericht passt auch die bereits erwähnte Ermordung des Juan Díaz durch einen Beauftragten seines Bruders. Albertus erklärt nämlich, dass der Teufel die Völker dieser Erde bestrafen und Zeichen für die Ankündigung des Jüngsten Tages setzen werde, wie man am Beispiel „des heyligen marterers Johannis Diasij“ erkennen könne. Den habe sein Bruder „umm des Evangeli willen verrätherlich ummbracht, der Kaiser habe von diesem Unrecht gewusst unnd laßts doch ungestrafft, und sein bruder Ferdinandus helts für ein heyligs, Göttliches werck. Hutten bestätigt, dass es unrecht sei: Fromme leut erwürgen ist recht gethon. Disen Brudermorder und den grossen Buben […] Heintz Mordbrenner von Braunschweygk lässt man unschuldig sein und hellt sy für heylige leut.“131 Es sei überhaupt ein „fein Keyserlich Regiment“ und verwunderlich, dass das Volk den Kaiser für „ein frommen Mann“ hielte, der nicht der Religion halber Krieg geführt habe, sondern gegen die ungehorsamen Reichsfürsten. Am Ende des Dialogus fassen die Teilnehmer noch einmal 129
130 131
Kaufmann, Ende der Reformation,, S. 673 und Anm. 897: Die Bearbeiter des Dialoges nennen eine Reihe von willkürlich ausgewählten Ketzerprozessen, die in ganz Europa stattfanden, ohne den direkten Bezug auf die kaiserlichen Erblande auszuführen. Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 675. Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 688 f.
1.5 Kaiserliche Tyrannei im Interimswiderstand
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zusammen, dass das „gantz Bapstumb und Türckenthumb mit iren schändtlichen und scheutzlichen, schrecklichen ungeheurigen, verrätherischen Exempeln […] eytel zeichen des Jüngsten tags“ seien.132 Der Dialogus von Erasmus Alber ist in der Frühzeit der Magdeburger Publizistik entstanden, in der sich der lutherische Protestantismus auf dem existentiellen Tiefpunkt befand. Die Verbundenheit zwischen der Freiheit der deutschen Nation und derjenigen des Evangeliums wird ebenso betont, wie die Position des päpstlichen „Teufels“ und seines Handlangers, des Kaisers verurteilt wird. Alber schafft es, durch seine Figuren und deren Gespräch den „krisenhaften Ordnungsverlust literarisch zu inszenieren“133 und durch die paritätische Rollenbesetzung eine zeitgemäße Diskussion um die Absurdität des Interims darzustellen. Die Argumentation nimmt Motive der Vorkriegspublizistik wieder auf und führt sie in den neuen Diskurs um das Interim ein. Der Zusammenhang zwischen spanischer Besatzung und der Durchsetzung des Interims ist deutlich: Die Spanier wurden als „Interimswächter“ angesehen und der Protest richtete sich – vor allem in den süddeutschen Städten – auch klar gegen die „spanische Servitut“, die der genannten deutschen Freiheit gegenübergestellt wird.134 Es werden hier keine neuen Motive der spanischen Inquisition artikuliert, auch die römische Inquisition wird nicht genannt. Doch wird deutlich, dass durch den Krieg die antikaiserliche und antipäpstliche Propaganda in traditioneller Art und Weise fortgeführt wurde.135 132 133 134
135
Vgl. Hund/Schneider, Dialogus, S. 690. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 230. Schmidt macht in „spanische Servitut“ darauf aufmerksam, dass sich die Debatten in den Flugschriften dem Widerstandsrecht der Reichsstände gegenüber dem Kaiser widmeten. Die Annahme einer „teutschen libertät“, die sich gegen die „spanische servitut“ zu wehren hatte, war darin aufs Engste eingebunden. Freiheitsdiskurs und Widerstandsdebatte verzahnten sich im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges und in den Kontroversen um die Ablehnung des Interims; nicht die Glaubensfreiheit habe im Vordergrund gestanden, sondern die sich zu einem Verfassungsprinzip entfaltende ständische Freiheit. Dies zeigt auch die von Matthias Flacius Illyricus unter dem Pseudonym Johannes Waremundus veröffentlichte Protestschrift Eine gemeine protestation und klagschrift […], Magdeburg [Michael Lotter] 1548 [VD16 F 1406]. Es handelt sich dabei um eine Gerichtsrede, die verdeutlichen soll, dass die Verfolgung der „wahren“ Gemeinde eine offenbare Verletzung des Rechts darstelle. Dabei richtete sich der Autor sowohl an die Feinde als auch an die eigenen Anhänger. Der Bezug zum kaiserlichen Religionsgesetz wird verdeutlicht, indem mehrmals darauf hingewiesen wird, dass eben dieses Gesetz nicht mit der christlichen Kirche zu vereinbaren sei. Ausführlich widmet sich der Inter-
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1. Die kaiserliche Tyrannei
1.6 Kaiserliche Tyrannei in den Niederlanden (1550) Die Lage in den Niederlanden
Der Kaiser war nach dem Augsburger Reichstag in die Niederlande abgereist und konnte sich davon überzeugen, dass weder die Maßnahmen des Edikts von Brüssel (1540), noch die Löwener Artikel (1545) den gewünschten Erfolg gebracht hatten. Noch immer wurden dort verbotene Bücher gedruckt und verkauft, indem die Drucker irreführende Titel auf die verdächtigen Bücher druckten und diese so an den Kontrollen vorbei verkaufen konnten. Die Verwendung von falschen Druckprivilegien und die Angabe von falschen Herausgebern gehörten seit Erfindung des Buchdrucks zu den üblichen Tricks des Gewerbes.136 Im Januar 1548 hatte Maria von Ungarn ein Edikt erlassen, das den Untertanen verbot, Mönche oder Nonnen, die aus ihren Klöstern geflohen waren, zu unterstützen. Ebenfalls wurde die Strafandrohung für Beamte erneuert, die die Bestimmungen von 1540 nicht ordnungsgemäß durchführen ließen und zu kompromiss-
136
pretation der Schrift Kaufmann, Ende der Reformation, S. 240–245. In der Geschlossenheit vor Gott macht Flacius dann, wie Alber, auf die Taten der Tyrannen aufmerksam. Der Kaiser fungiere als langer Arm des Papstes mit seinen Konzilsplänen und dem Interim und lasse zu, dass „Menner und Frauen, uberal von den tyrannen unverhorter sach so jemmerlich ermordet werden“ (fol. D1b). Man erfahre leider viel zu oft, wie die Christen „im Niderlandt, Osterreich unnd zum teil auch im Oberlandt [Schweiz, Süddeutschland] von den Teuffelspauern, den tyrannen so unbarmhertzig durch scharffrichtern gemartert, gequelet und ermordt werden“ (fol. D1b–D2a). Da aber „gantz Europa wisse, welche Lehr die Richtige sei, würde das unsinnig rasen unn toben“ auch dem Papst nichts nützen (fol. D2a–D2b). Die Verfolgungen in den Niederlanden und Österreich waren bekannt, aber hier wurde nun auch ein neues Gebiet von Flacius angeführt, nämlich Territorien der Schweiz und Süddeutschlands. Konkrete Fälle päpstlicher oder kaiserlicher Inquisitionsurteile sind 1548 für diese Regionen bisher nicht nachzuweisen. Solche Fälle werden von Flacius auch nicht explizit angeführt, die bloße Nennung der Gebiete sollte suggerieren, dass die Verschärfung der Situation nicht mehr nur das europäische Ausland betreffen würde, wenn der Kaiser seine Religionspolitik so fortsetzen würde. Kurze Zeit später erließ der Kaiser denn auch das schärfste Mandat in den Niederlanden, es sollte das letzte seiner Amtszeit sein. Zu dem Verweis auf Österreich würde auch ein Druck der neuen Regeln für Inquisition und Visitation vom Wiener Bischof Friedrich Nausea passen: Pastoralium inquisitionum Elenchi tres, Wien 1547. Darin geht es um die Aufgabenverteilung zukünftig einzusetzender Inquisitoren und Visitatoren. Zur Rezeption dieses Textes habe ich leider nichts gefunden, zu Nauseas Schriften siehe auch Fitos, Zensur als Misserfolg. Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 309 f.
1.6 Kaiserliche Tyrannei in den Niederlanden (1550)
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bereit agierten. Nach seiner Rückkehr in die Niederlande im Herbst 1548 wandte sich Karl V. wieder der Religionspolitik zu. In einer Ordonanz vom 29. November 1549 verfügte er die Konfiskation des Besitzes von Häretikern sowie, das war neu, von Personen, die sich der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht hatten. Es galt demnach die generelle Konfiskation, ohne Rücksichtnahme auf entgegenstehende lokale oder provinziale Privilegien. Die Gleichstellung von Häresie und Majestätsbeleidigung führte in vielen Provinzen zu Protest.137
Das „Blutplakat“
Der Kaiser war entschlossen, gegen die nicht enden wollende Ausbreitung des ketzerischen Glaubens erneut rigoros vorzugehen und ein großes umfangreiches Gesetzeswerk, ähnlich wie das von 1540, zu erlassen. Sogar seine spanischen Berater rieten ihm zu einer gemäßigteren Einstellung beim Umgang mit den Abtrünnigen. Längst bestand Grund zur Sorge, dass sich die Stimmung weiter antispanisch aufheizen würde.138 Der Kaiser setzte sich durch und am 29. April 1550 erließ er das bald als „Blutplakat“ bekannt gewordene Edikt, das letzte und strengste seiner Regentschaft. Der Vermerk auf einer der Übersetzungen, „transferit aus einem gedruckten Brabendischen Exemplar“, lässt darauf schließen, dass per Post durch einen Korrespondenten ein Exemplar an die Magdeburger gegangen ist. Die deutsche Übersetzung lautete: Ordenung und Mandat Keiser Caroli V. verneuert im April Anno 1550. Zu außrotten und zu vertilgen die Secten und Spaltung […].139 Flacius schrieb eine ausführliche Vorrede zu der Übersetzung, in der er betont, das Edikt 137 138
139
Dazu ausführlich Fühner, Religionspolitik, S. 313 f., und Goosens, Inquisition, Bd. 1, S. 63. Fühner zitiert hier den Vorsitzenden des Geheimen Rates, Viglius van Aytta, der der Meinung war, man solle die Strafen mit dem Maße des Vergehens in Einklang bringen. Das neue Edikt beruhe, entgegen unseren humaneren Ansichten, vor allem auf den bestehenden Dekreten. Vgl. Fühner, Religionspolitik, S. 315. Hier wird verwendet das Exemplar der HAB [Yv 75.8° Helmst., VD16 N 1581], der Druckort ist geschwärzt, es wird aber bei Michael Lotter in Magdeburg gedruckt worden sein. Von diesem Exemplar sind neun Ausgaben in der HAB vorhanden, insgesamt finden sich Exemplare in zwölf deutschen Bibliotheken, was erneut für die Popularität und den breiten Vertrieb dieses Druckes spricht. Unter VD16 1582 findet sich ein Duplikat, das ebenfalls in acht deutschen Bibliotheken in mehrfacher Auflage erhalten ist. Bei HAB 229.5 Theol. (9) ist der Vermerk des „Brabandischen Exemplars“ zu finden.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
„in gmeine sprache verdometschert“ zu haben, um es „in druck“ zu geben. Denn da „der Keiser sein gemüth ja unverholen gnugsam an tag gibt“ und alle Zugeständnisse an die Protestanten im Interim reine Berechnung gewesen und nicht von Dauer sein würden, müsse man weiter Aufklärung gegen die Absichten des Interims und der falschen Kirche betreiben. Es sei nicht zu entschuldigen, dass solche „gräuliche Verfolgung inn und unter des Keisers namen“ in den Niederlanden stattfände. Es seien dort in den vergangenen Jahren 70.000 Menschen „umb der Religion willen“ umgekommen. So „mögen unsere Deudtschen doch ein mal die augen auffthun“, wenn sie immer noch glaubten, der Kaiser „meine es mit der Religion nicht böse“.140 Das Schlimmste sei aber, dass das Edikt nicht mehr nur für die Niederlande gelten solle, sondern auch für die Oberländer, also für Süddeutschland und die Schweiz. Dass, wie es naheliegt, diese Ausdehnung des Geltungsbereichs im Zusammenhang mit dem militärischen Durchsetzen des Interims in den süddeutschen Gebieten stand, aber vor allem aus der noch aus Kriegszeiten stammenden Söldnerpräsenz der Spanier rührte, kann nicht mit Sicherheit belegt werden, ist jedoch anzunehmen. Nachweise für die Gültigkeit des Edikts in den süddeutschen Territorien gibt es nicht. Flacius beklagt die mangelnde Widerstandskraft der Süddeutschen: „Wenn man von den Oberlendern nur sieben tausent, die besten, umb der Religion willen ermörderte, so sollten die ubrigen nicht allein das Bapsttum annemen, sondern auch was anders.“ Sie seien eben zu gehorsam und würden „fromste Söne des heiligsten Vaters des Bapstes werden“. Es bleibe zu hoffen, dass Gott ihnen irgendwann „starcke reue“ geben werde.141 Im Zuge des Interimswiderstandes und besonders vor dem Hintergrund des Augsburger Reichstages 1550/51, auf dem der Widerstand der Magdeburger verhandelt wurde, war die Argumentation der Schrift besonders brisant. Es ging nicht mehr um die Veröffentlichung von Informationen, was überhaupt in den Niederlanden geschah, sondern um die direkte Verknüpfung von Tatsachen bis hin zur Annahme, dass nun auch deutsche renitente Gebiete davon betroffen seien. Die völlig überzogene Zahl von 70.000 Opfern in den Niederlanden verstärkt diese Argumentationslinie. Der Inhalt des Edikts wird im Folgenden nach der deutschen Übersetzung zusammenfassend wiedergegeben. Die neuen Verordnungen betrafen alle Bereiche des Lebens: Der Glaubensabweichung Verdächtige konnten kein öffentliches Amt mehr ausüben, ihnen durfte auch kein Amt mehr übertragen werden, bei 140 141
Ordenung und Mandat Keiser Caroli V., fol. A2b. Ordenung und Mandat Keiser Caroli V., fol. A3b. Vgl. auch Kaufmann, Ende der Reformation, S. 321, Anm. 546.
1.6 Kaiserliche Tyrannei in den Niederlanden (1550)
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einem Ortswechsel musste man einen vom Pfarrer des letzten Wohnortes ausgestellten sogenannten Katholizitätsnachweis vorlegen. Verstärkt sollten Geistliche, die sich den neuen Lehren affin zeigten, verfolgt werden, nur der Kaiser und die Königin von Ungarn konnten noch Gnadenerlasse erteilen.142 Es wird erneut betont, dass die „Menner mit dem Schwerdt gestrafft unnd die Weiber lebendich sollen vergraben werden, so fern sie iren irrthumb wollen widerruffen unnd davon abstehen. So sie aber in irer irrung unnd Ketzerey verharren, sollen sie gestraft werden mit dem feur.“143 Auch die Fragen der Buchzensur behandelte das „Blutplakat“ ausführlich. Luther, Bucer, Zwingli, Calvin und Oekolampad sind die in dem Edikt inkriminierten Autoren. Ein vom Kaiser in Auftrag gegebenes Iudicium der Universität Löwen vom 26. März 1550, das einem alphabetisch nach den Vornamen geordneten Register der „bösen verbottenen Bücher“ und einem Register der in den Schulen zu gebrauchenden Lehrbücher vorangestellt ist, liefert die Begründung bzw. benennt als Kriterien für das Verbot des privaten Besitzes der entsprechenden Bücher die signifikantesten Merkmale der neueren „Ketzereien“. Die Listen der Löwener Universität führen den bereits erwähnten, schon 1546 publizierten und auf Geheiß des Kaisers aktualisierten Index librorum prohibitorum weiter. Von einzelnen deutschen und schweizerischen Reformatoren (z. B. neben den großen Reformatoren auch Karlstadt, Bullinger, Melanchthon, Vermigli, Rhegius etc.) sind alle Bücher, von anderen einzelne spezielle Titel indiziert. Verbotene anonyme Schriften, lateinische, griechische, französische und deutsche Bibeldrucke sind in langen Listen geführt und unter der Überschrift „Deutsche Bücher“ findet sich eine Aufstellung von katechetischen und Erbauungsschriften. Von den Autoren der sogenannten Hergotts Kanzlei, dem Zentrum der reformatorischen Publizistik um die Magdeburger St. Ulrich und Levin Kirche, wird in dem Löwener Index keiner genannt.144 Die deutsche Übersetzung des „Blutplakats“ führt alle die Listen in einer Art übersetztem Anhang auf. 142 143
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Ordenung und Mandat Keiser Caroli V., fol. A2b. Ordenung und Mandat Keiser Caroli V., fol. a3a. Eine Sache war neu an dem Mandat: Im Gegensatz zu den vorhergehenden Religionsgesetzen wurden die Inquisitoren nun expressis verbis „inquisiteurs de la foy“ bzw. „inquisiteurs van’t geloeve“ genannt. Insofern hatte Flacius Recht, als er hervorhob, dass der Kaiser nun die Funktion seiner Institution nicht mehr verheimlichte, sondern sie beim Namen nannte. Dazu Fühner, Religionspolitik, S. 317. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 324 f. Zur Verbindung zwischen dem Löwener Index und der 1556 einsetzenden Arbeit Pauls IV. am römischen Index siehe Kapitel 3 und Reusch, Index, Band I, S. 113–128, und Fitos, Zensur, S. 29–32.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Magdeburg als Publikationszentrum
Als das ursprüngliche Zentrum der Reformation, Wittenberg, durch kaiserliche Truppen besetzt wurde, flohen viele Gelehrte von dort nach Magdeburg und versammelten sich um den dortigen Superintendenten und Prediger an St. Ulrich, den engen Vertrauten Luthers Nikolaus von Amsdorf. Magdeburg wurde gerade für die öffentlich sichtbar Widerständigen zum Sammelort. Eine Vielzahl von Aktiven – Theologen, Juristen, Satiriker und Drucker – schrieben die Stadt in eine Art „Ausnahmezustand“. Waren die Religionsgespräche und Reichstage noch von den Verhandlungen um ein Konzil, vom Thema der finanziellen und militärischen Unterstützung gegen die türkischen Truppen und vor allem schließlich von der Kriegsfrage beherrscht gewesen, war durch das mit dem kaiserlichen Edikt von 1550 verhängte Publikationsverbot eine veränderte Situation entstanden. So war der Augsburger Reichstag von 1550/51 mit Sicherheit eine breite Vertriebsplattform für die Flugschriften der Magdeburger. Denn wie die Zahlen bei Kaufmann zeigen, stieg die Produktion der Flugschriften just um diese Zeit wieder an, und da alles „geheim“ Produzierte noch reizvoller war, ist anzunehmen, dass das Geschäft florierte.145 Die Informationen, die die Magdeburger aus den benachbarten Territorien erhielten, sprechen für ein besonders gut ausgebautes Netzwerk. So verwundert es nicht, dass Korrespondenten in die aktive Diskussion im Widerstand wirksame Informationen einschleusten, seien es „altbekannte“, wie die religionspolitischen Erlasse aus den Niederlanden, oder neue, wie die Informationen über die Vorgänge in Italien. Da von den niederländischen und italienischen Originalen unterschiedliche deutschsprachige Übersetzungen zirkulierten, ist davon auszugehen, dass ein großes Interesse an der Thematik existierte.146 Auch die Forma Inquisitionis Hispanicae, die in engem Bezug auf das „Blutplakat“ die 1550 erlassenen Inquisitionsinstruktionen für die habsburgischen Niederlande bestimmten, wurde in Magdeburg neu gedruckt und von dort aus vertrieben, allerdings in der lateinischen Sprache des Originals. Der Druck ent145
146
Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 44. Kaufmann erkennt kaum quantitative Auswirkungen, bei den wichtigsten Druckzentren sei nur während des Krieges die Produktion merklich eingebrochen. Für die Niederlande sind die Korrespondenten oft anonym geblieben, für Italien lassen sich die Informationskanäle durch die prominenten Glaubensflüchtlinge und deren zurückgebliebene Informanten bestimmen, wie im Fall des Bischofs Vergerio und Curione im Folgenden zu zeigen sein wird.
1.6 Kaiserliche Tyrannei in den Niederlanden (1550)
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hält eine ebenfalls lateinische Vorrede ohne Angabe eines Verfassers.147 Während Kaufmann sie einem niederländischen Korrespondenten zuschreibt, geht die ältere Forschung davon aus, dass sie von Flacius selbst stammt.148 Kaufmann argumentiert, dass der niederländische Korrespondent vos Saxones direkt anspreche, wenn er sie auffordere, mit starkem Glauben dem Teufel zu widerstehen. Diese Argumentation passt allerdings auch zu Flacius, der gerade im Zusammenhang mit dem adiaphoristischen Streit mit den Wittenbergern sich an die Saxones wenden könnte.149 Die Forma Inquisitionis Hispanica bezog sich auf die auf den 31. Mai 1550 datierte Instructio pro Inquisitoribus und enthielt einen 38 Fragen umfassenden Katalog, der den Inquisitoren bei der Befragung von Verdächtigen als Leitfaden dienen sollte.150 Die Instruktion stellte die Rechtsbefugnisse der zu rekrutierenden „inquisitores haereticae pravitatis“ dar, begründete diese mit der Territorialherrschaft Karls V. in den Niederlanden und regulierte die in engster Tuchfühlung mit den habsburgischen Beamten durchzuführende Inquisition, bei der auch die Kontrolle und Zensur der Buchproduktion und des Buchhandels eine wichtige Rolle spielte. Die Fragen, die die Inquisitoren den in den Verdacht der Ketzerei geratenen Pastoren und Laien stellen sollten, zielten vor allem darauf ab, „luterani“ und „bucerani“, aber auch „similes Sectarios“ aufzuspüren und ihrer „gerechten Strafe“ zuzuführen. Der Abdruck dieser Akten brachte auch ohne eigene Kommentare der Magdeburger innerhalb des Textes quasi dokumentarisch zum Ausdruck, worauf die Religionspolitik des Kaisers da, wo er über die entsprechende politische Macht verfügte, hinauslief: auf die vollständige Zerstörung des Protestantismus und die Restitution der römisch-katholischen Kirche in ihrer tradierten Gestalt.151 An dem Beispiel der Inquisitionsdokumente aus den kaiserlichen Erblanden bestätigt sich, dass die Magdeburger mit der Verbreitung der originalgetreuen 147 148 149
150 151
Nach dem Titelblatt folgt ein Blatt mit der Überschrift: Epistola pii cuiusdam viri scripta ex celebri urbe inferiores Germaniae, de Hispanica inquistione (fol. A2a). Vgl. Gilly, Buchdruck, S. 374, Anm. 387. Kaufmann bringt als Vergleich die „köstliche Osterpredigt aus Antwerpen“, bei der es sich um den gleichen Überlieferer handeln könne. Dass Antwerpen aber schon früher als Ursprungsort inquisitorischer Tätigkeiten in die Schriften Eingang fand, wie in Kapitel 1 erläutert, lässt er dabei außer Acht. Die Ortsangabe kann also auch bewusst in Relation auf die Vergangenheit gewählt sein. Zur älteren Forschung vgl. Duke/Pollmann, Dissident identities, S. 129. Forma Inquisitionis Hispanicae, 1550 erschienen bei Lotter in Magdeburg am 4.10.1550. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 320.
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1. Die kaiserliche Tyrannei
Dokumente zur Aufklärung über die Absichten des Kaisers beitragen wollten. Es zeigt sich aber auch, dass die Kommunikationskanäle fruchtbar gemacht wurden, um Informationen aus den benachbarten Territorien zu erlangen. Und schließlich wird deutlich, wie viel Vorwissen um die Vorgänge in den Niederlanden und die dortigen repressiven Maßnahmen gegenüber den Protestanten bei den Lesern vorausgesetzt wurde. Denn der bewusst bloße Abdruck von Dokumenten ohne erklärende Vorreden lässt einerseits auf die ausdrücklich gewählte Entscheidung der Magdeburger für die Originaltexte schließen, aber auch auf eine sachverständige Kenntnis der Leser in Dingen, die nicht nur sie selbst betrafen. So sorgten die Lutheraner, darunter so prominente Autoren wie Alberus und Flacius, vor allem im Umfeld der Religionsgespräche und Reichstage und unmittelbar nach dem Krieg dafür, dass der Bevölkerung deutlich wurde, dass das Interim keine für sie akzeptable Situation geschaffen hatte. Doch nicht nur bereits Bekanntes wurde in der Propaganda verwendet, sondern auch bisher unbekannte Motive neuerlicher Repressionsmaßnahmen in Nachbarländern angeführt.
2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition
In der durch den Schmalkaldischen Krieg und den Protest gegen das Interim ausgelösten Flugschriftenwelle, die Ende der 1540er Jahre über das Reich hereinbrach, wird ein neues Motiv konfessionspolitischer Polemik deutlich erkennbar, das sich nun in erster Linie gegen das Papsttum richtete. Prägte die protestantische Propaganda der frühen Reformationszeit zunächst das Bild des Antichristen und dann das Bild des moralisch verdorbenen, dem Luxus frönenden und seiner geistlichen Berufung nicht gerecht werdenden „Papstesels“ (oder der „Papsthure“),1 so ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Ablasskritik seit den frühen 40er Jahren zunehmend mit den inquisitorischen Absichten Pauls III. in Bezugn gesetzt wurde. Die verstärkten Aktivitäten der römischen Inquisition während des Pontifikats Julius’ III. Ciocchi del Monte (1550–1555) stießen im die Neueinberufung des Konzils erwartenden „Interims-Deutschland“ auf reges Interesse.2 In dieser Zeit wurde das Bild des Papstes als „Mörder der Christen“ propagiert. Maßgeblichen Anteil an der Verbreitung dieses Bildes hatten die neu etablierten Kommunikationskanäle und „Erfahrungsberichte“ prominenter Glaubensflüchtlinge, die Italien in Anbetracht der konsequenter werdenden Verfolgungsstrategie der römischen Inquisition bereits seit den 40er Jahren verlassen
1 2
Kaufmann, Ende der Reformation, S. 233. Vgl. auch Oelke: Konfessionsbildung, und Ecker: Einblattdrucke. Unter Julius III. kam es zu ersten öffentlichen Abschwörungen vor der Kirche Santa Maria sopra Minerva und auch zu ersten Hinrichtungen. Dennoch erfährt dieser Papst in der Historiographie bezüglich der Inquisition ein eher mildes Urteil, da er 1551 die Wiedereröffnung des Konzils veranlasste und die vom Kardinal Giovanni Pietro Carafa geführte römische Inquisitionsbehörde bezüglich ihres Vorgehens gegen hohe Prälaten und Kurienkardinäle in die Schranken wies. Zudem weisen die Archivbestände bezüglich der Repression des Pontifikats Julius’ III. durch die Zerstörung des Inquisitionspalastes 1559 große Lücken auf. Vgl. Simoncelli, Inquisizione romana e riforma, und Kaufmann, Das Ende der Reformation, S. 321 ff.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
mussten.3 Als sich in Modena, Lucca und Neapel Ende der 1530er Jahre verstärkt die lutherischen Lehren durch katholische Gläubige verbreitete, sah sich die Kurie zum Handeln gezwungen. Die römische Behörde, die allein dem Papst unterstellt war, gründete sich 1542 offiziell neu, Grund war die zunehmende Verbreitung lutherischen Gedankenguts in Italien. Offiziell hieß die neue, am 21. Juli 1542 durch die Bulle Licet ab initio gegründete Behörde Congregatio Sanctae Inquisitionis haereticae pravitatis und ging aus einer Kardinalskommission hervor, die sich schon seit 1538 der Erhaltung der katholischen Lehre widmete. Aus der Kongregation des Heiligen Offiziums wurde dann 1964 schließlich die bis heute bestehende Glaubenskongregation. Die Kommission bestand aus sechs Kardinälen, darunter auch der spätere Papst Paul IV., der als größter und brutalster Verfechter der Inquisition galt. Die Kardinäle kümmerten sich um die Bistümer, verdächtige Priester und Bischöfe, die Luthers Lehren lasen und verbreiteten. Es ist allerdings nur wenig bekannt aus den ersten Jahren der Inquisitionsbehörde in Rom, da das heutige Archiv erst 1548 beginnt, ältere Dokumente waren bei einem Brand 1559 vernichtet worden. Die Behörde schaffte es, die wenigen und schwachen Kreise möglicher Lutheraner vollständig zu vernichten oder in den Untergrund zu zwingen. Dabei machte sie auch vor hohen Kurien-Mitgliedern, wie Giovanni Morone oder Pietro Carnesecchi nicht halt.4 1559 wurde der erste Index für verbotene Bücher erlassen, der im Laufe der Arbeit noch näher betrachtet werden wird. Interessant wäre die Analyse der Inquisitionspropaganda sicherlich auch für die Gebiete der Schweiz oder Graubünden als Korridor zwischen dem Reich und Italien.5 Südlich grenzte Graubünden an das Herzogtum Mailand und östlich an 3
4 5
Seit den 1530er Jahren kursierten in Italien die übersetzten Schriften Luthers und Calvins und verbreiteten sich schnell unter Adligen, Geistlichen, Beamten und Handwerkern. In den 1540er Jahren erreichte die Verbreitung ihren Höhepunkt vor allem in norditalienischen Städten und Regionen nahe Venedigs, das auch für die „verbotenen“ Schriften der wichtigste Umschlagsplatz war. Einzelne Gruppen, wie die Protestanten der Stadt Lucca, verließen geschlossen das Land und flüchteten in die Schweiz, andere zerschlugen sich, um in vorläufiger Unauffälligkeit weiter in Italien zu leben, wie der Kreis der spirituali um den spanischen Reformator Juan de Valdés. Dazu siehe die Überblickdarstellung von Ganzer, Die religiösen Bewegungen. Siehe zur römischen Inquisition und diesen Fällen: Del Col, Inquisizione. Zu den konfessionellen Gegebenheiten und Konflikten siehe Pfister, Konfessionskirchen.
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition
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die Republik Venedig. Mailand war seit 1535 spanisch beherrscht und ein wichtiges Gebiet, um die Alpenpässe zu kontrollieren. Seit 1554 residierte in Mailand der Herzog von Alba, der sich die vollständige Unterdrückung der protestantischen Lehren auf die Fahnen schreiben wollte. Im Herzogtum Mailand ließ er Lutheraner und Häretiker aufs Schärfste verfolgen und umbringen und wollte dann auch in das benachbarte Bündner Land eingreifen. Inwieweit die Taten der spanischen und römischen Inquisition rezipiert wurden, ist nicht untersucht und spielt in dieser Arbeit auch eine nebensächliche Rolle: Die Bünde gehörten nicht zum deutschsprachigen Teil des Reiches und waren daher auch nicht vornehmlich Inhalt der Flugschriften im Reich. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Gerüchte über das harte Vorgehen gegen die Protestanten bis ins Reich hallten.6
Verbreitung von Luthers Schriften
In Italien zirkulierten spätestens ab 1530 die Schriften Luthers in italienischer Übersetzung. Von den neuen Gedanken angesteckte Prediger brachten die Botschaft aus den Städten aufs Land, man fertigte Übersetzungen der lutherischen Bücher an oder verfasste – einige wenige – eigene protestantische Traktate. Auffällig war in dieser Bewegung, von der Silvana Seidel Menchi sagt, „die Geschichte der Reformation in Italien war vor allem eine Geschichte der Verfolgung“,7 dass sich bald kleine individuelle Gruppen zusammenfanden, denen auch Mitglieder höherstehender Gesellschaftsschichten angehörten. Besonders Modena, Lucca und Venedig sind hier hervorzuheben. In diesen Orten waren hauptsächlich Adlige von den neuen Ideen nachhaltig erfasst. Wirklichen Einfluss, gar im Sinne grundsätzlicher religiöser Reformen, hatten diese Gruppen zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort.8 Die bischöfliche Inquisition, die noch in der Tradition der mittelalterlichen Ketzerinquisition stand, war jedoch gegen die Ausbreitung der neuen Lehren beinahe 6 7
8
Vgl. Giannini, Per beneficio della Città e Religione. Seidel Menchi, Ketzerverfolgung, S. 193, und dies., Italy. Zu der Verbreitung und Verfolgung der Schriften siehe (mit weiterführender Literatur) Niccoli, Rinascimento anticlericale. Eine knappe Einführung in die Geschichte der Reformation in Italien bietet Ganzer, Bewegungen; immer noch aktuell ist Simoncelli, Evangelismo, und auch Welti, Geschichte der italienischen Reformation, sowie Seidel Menchi, Le traduzioni italiane. Zur Inquisition ist die Literatur reichhaltig.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
machtlos. Gegen das, was man als Magie bzw. Hexerei bezeichnete, hatte man erfolgreich gekämpft, doch diese neue Entwicklung, die sich der nötigen Reformen der Kirche annahm, war eine „Gefahr“. 1532 wurde ein Generalinquisitor für die italienische Halbinsel eingesetzt, Callisto Fornari, über den leider kaum Informationen bekannt sind. Er scheint in seinem Kampf gegen die neue Bewegung nicht sonderlich erfolgreich gewesen zu sein, jedenfalls wurde Anfang 1542 in der Hochphase der Verbreitung lutherischen Gedankenguts die Neuorganisation der Inquisition in die Hände der Kardinäle Gian Pietro Carafa und Girolamo Aleandro gelegt.9 Am 21. Juli 1542 erließ Paul III. die Bulle Licet ab initio, das Gründungsdokument für eine eigene Institution zur Sicherung des rechten Glaubens, die Glaubenskongregation.10 Die Behörde wurde in ihren Grundzügen nach einem neuen zentralistischen Prinzip ausgebaut und anfangs von einem sechsköpfigen Kardinalskonsistorium unter Vorsitz des Papstes geleitet. Das Heilige Offizium, wie die Behörde fortan genannt wurde, wurde das oberste Glaubenstribunal in Rom und als strenger Bewacher des katholischen Glaubens innerhalb der gesamten Christenheit inszeniert. Seine Techniken waren eine Mischung aus mittelalterlichen Ketzerprozessordnungen und neuen Methoden wie die Förderung des Denunziantentums sowie neue Kommunikationswege innerhalb der Behörde, zu denen beispielsweise sehr regelmäßige Sitzungen des Konsistoriums in Anwesenheit des Papstes gehörten.11 Die ersten konkreten Maßnahmen der neuen Behörde richteten sich gegen Bischöfe, die der lutherischen Reformation nahe standen. Der erste inquisitorisch belangte Bischof war Pier Paolo Vergerio (1498–1565), einst als päpstlicher Nuntius im Heiligen Römischen Reich eingesetzt und dann mit dem Bistum von Modrus (im heutigen Kroatien) und Capodistria betraut.12 Die Verdächtigen stammten 9
10 11
12
Carafa wird der spätere Paul IV. (1555–1559); auf die Wahl der jeweiligen Päpste in Beziehung zum Konzil von Trient und zu den Habsburgern werde ich im Folgenden noch genauer eingehen. Vgl. dazu den Text der Bulle in Mirbt/Arland, Quellen zur Geschichte des Papsttums, Bd. 1, S. 537–539. Zur Entstehung der Behörde siehe Ganzer, Bewegungen, S. 42 f. Vgl. Del Col, Strutture territoriali, S. 345–380: Die spanische Inquisition herrschte in den spanischen Territorien Neapel, Sizilien und Mailand. Die originale römische Inquisition operierte vor allem in Rom und in den Gebieten rund um den Kirchenstaat, im restlichen Italien wirkten zumeist eine lokale bischöfliche Inquisition und ein Abgesandter der römischen Inquisition zusammen. Vgl. zum Prozedere auch Tedeschi, Prosecution, Kapitel 5, und Grundmann, Ketzerverhöre. Zum Personalapparat der Inquisition siehe Schwedt, Die römischen Kongregationen. Zu Vergerio immer noch Jacobson Schutte, Vergerio; vgl. auch Cavazza, Vergerius, und Rozzo, Pier Paolo Vergerio.
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition
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überwiegend aus nördlichen Gebieten, wie Vittore Soranzo (Bergamo), Giovanni Morone (Modena) oder Giovanni Grimani (Aquileia).13 Das erste überhaupt dokumentierte Jahr der Arbeit des Heiligen Offiziums ist das Jahr 1548, in dem 92 imputati gezählt wurden, von denen ein Drittel kirchliche Ämter bekleideten.14 Wie auch im Reich war von Anfang an die Zensur des Buchdrucks ein Hauptanliegen der kirchlichen Behörde – und wie dort waren fast alle Bemühungen vergebens. In Italien wurde von nun an im Geheimen geschrieben, gedruckt und verkauft, was die Verbreitung der Bewegung sicherlich, anders als im Reich, beeinträchtigte.15 Nachdem die Bedeutung des Konzils von Trient erläutert wurde, soll es nun um die institutionelle Konsequenz des protestantischen Erstarkens gehen. Für die katholische Kirche stellte die Erstarkung des Protestantismus eine viel größere Herausforderung dar, als die einzelnen häretischen Gruppen, die ohne rechte Führung und Organisationsstrukturen in den Ländern verteilt waren. Sie waren wirkliche Minderheiten. Inwieweit sie ohne Inquisition überhaupt in die Strukturen der katholischen Kirche in Italien eingedrungen wären, sei dahingestellt. Es ist nur für das Verständnis der Vorgehensweise des Sant’Uffizio und auch der verschiedenen Päpste wichtig, sich dieses Faktum vor Augen zu führen. Der negative und zerstörerische Ruf, den die Protestanten hatten, war stärker als alles andere, was die katholische Kirche zuvor hatte bekämpfen müssen. Auf Italien bezogen kann man sagen, dass dieser Kampf verhältnismäßig kurz und einfach war. Es galt unter allen Umständen zu verhindern, dass die Protestanten sich auch in Italien ausbreiteten. Hinsichtlich Roms und des Kirchenstaats war immer wieder betont worden, dass man wenigstens im eigenen Territorium die Gefahr bannen müsse, um die Einheit der katholischen Kirche zu gewährleisten. Dass eine alleinige Unterdrückung der reformatorischen Bestrebungen nicht ausreichte, merkten die Päpste schnell. Diese dogmatische Erneuerung sollte das Konzil von Trient bringen. Doch reichte die inhaltliche Auseinandersetzung nicht aus, es ging auch um die organisierte Kontrolle und Macht.
13 14 15
Vgl. zu Soranzo Firpo, Il Vescovo; Firpo/Pagano, I processi inquisitoriali; zu Morone Firpo, I processi inquisitoriali. Vgl. Del Col, La Repressione, S. 488, und Borromeo, Il dissenso religioso, S. 470–473. Bald wurden Listen mit verbotenen Büchern eingeführt, wie beispielsweise in Venedig im Jahr 1549. Die Stadt war der Hauptumschlagsplatz für Bücher aus nördlichen und westlichen Territorien.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Neugründung der Behörde
Am 4. Juli 1542, also ein Jahr nachdem der letzte Einigungsversuch auf dem Reichstag zu Regensburg gescheitert war, konstituierte sich durch die Bulle Pauls III., die den Titel licet ab initio trug, die Glaubenskongregation und das Sant’Uffizio mit dem offiziellen Titel „Heilige Römische und Universale Inquisition“.16 Es ging um die Wiederherstellung und Kontrolle des einzig wahren Glaubens und den Anspruch auf das Monopol der päpstlichen Kirche. Sechs Kardinäle17 stellten den Stab an Generalinquisitoren, darunter auch Gianpietro Carafa. Dazu gehörten außerdem noch Beisitzer, ein Generalkommissar und weitere Kommissare, Kustoden von Gefängnissen, Rechts- und Notariatskundige und verschiedene andere Berater. An dieser ‚Erstaufstellung‘ ist bereits zu erkennen, dass die Kirche damals ein ernstes Vorhaben hatte, nämlich die Kontrolle und Strafverfolgung der Ketzer.18 Dieses Vorhaben war in den 1540er Jahren nicht neu. Es gab beständige Relikte aus dem Mittelalter, als die Inquisition ihre Existenz durch die Verfolgung von Ketzern und Hexen rechtfertigte. Einen Generalinquisitor hatte es auch Anfang 1530 in Italien gegeben, aber er hatte wenig Machtbefugnisse und keine exekutiven Institutionen. Durch die Rehabilitierung 1542 formierte sich nicht nur ein Stab an ernannten Inquisitoren und Mitarbeitern, sondern durch die neue Zentralisierung der Macht der Anspruch auf die einzige rechtmäßig wirksame Hoheit der katholischen Kirche. Zensur, Bestrafung, Verfolgung und Bewertung waren in diesen Prozess inkorporiert, der den Menschen schnell als neu geschaffene Inquisition geläufig wurde.19 Die Person Gian Pietro Carafas stand wie bereits erwähnt eng im Zusammenhang mit der Inquisition und ihren Anfangszeiten. Er brachte es soweit, dass er seinen Kollegen aus den Zeiten des Consilium de emendanda ecclesia, Giovanni Morone, der Häresie bezichtigte und unter Anklage stellte.20 Morone zählte zweimal zu den Kandidaten auf das Pontifikat, hatte sich in seiner Kardinalslauf16 17
18 19 20
Vgl. Wolf, Index, S. 24. Vgl. Schwedt, Die römischen Kongregationen, S. 93. Die Zahlen schwanken: Schwedt spricht von sechs Kardinälen, bei Del Col sind es von Anfang an 15 Kardinäle (Del Col, Inquisizione Friuli, S. 19). Diese Zahl wurde aber erst erreicht, nachdem Paul IV. den Apparat mit mehr Personen ausstattete, und das Sant’Uffizio zur wichtigsten Behörde in Rom machte. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts sind es zwölf Kardinäle. Vgl. Del Col, Inquisizione Friuli, S. 19. Vgl. Schwerhoff, Inquisition, S. 98. Siehe Firpo/Marcatto, Processo Morone.
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition
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bahn im diplomatischen Dienst sehr verdient gemacht und galt als überaus beliebt beim Volk. Doch er war besonders geächtet bei den Päpsten Paul IV. und Pius V.21 Carafa verhinderte die Wahl und schaffte es selbst, den Heiligen Stuhl zu besteigen. Damit und mit seinem Prozess gegen Morone schwächte er zwar die Position des Kardinals, schaffte es aber nicht, ihn gänzlich untätig zu machen. Der Machtkampf und die internen Entscheidungen und Manipulationen im Rahmen der damaligen Papstwahlen waren enorm. Kardinal Pole wurde von Paul IV. nach England versetzt.22 Nicht zu unterschätzen war die Rolle der Kardinäle im Generellen. Sie waren Machthaber, die einen Hofstaat hatten, ebenso über teils beträchtliche finanzielle Mittel verfügten und nach wie vor versuchten, ihre Familie in das System der römischen Kurie einzubringen.23 Unter Pius IV. wurden die Kompetenzen der Inquisition wieder beschränkt. Er war aber sehr von seinen Beratern abhängig, mischte sich kaum in die Angelegenheiten ein und ließ die Behörden selbstständig handeln. In dieser Zeit wuchs der Einfluss von Michele Ghislieri, der sich als Großinquisitor unter Pius IV. einen Namen im Zeichen der Inquisition gemacht hatte und später als Pius V. den Heiligen Stuhl bestieg.24 Was waren damals die Hauptanklagepunkte, nach denen die Inquisitoren ihre Verhöre aufbauten und die am Verwerflichsten waren? Abgesehen von Luthers Rechtfertigungslehre durch den reinen Glauben, der Vorbestimmung, der freien Willensbildung, der Botschaft der Bibel bzw. des Neues Testaments nach Luther, der Ablehnung der Hölle und der nicht vorhandenen Existenz der Heiligen, ging es den Inquisitoren um die praktische Ausübung des Glaubens. Hierzu gehörten der Besuch der Messe im Allgemeinen, das heilige Zölibat, der Gebrauch von Weihwasser, Fasten und Abstinenz, etc. Ging es um das Gewissen, war zum Beispiel die Zeugenbefragung anders aufgebaut und gestaltete sich schwieriger, als wenn es um Praktiken oder Traditionen ging, die jeder Bürger schnell erkannte und die sich in den Strukturen der damaligen Städte auch schnell herumgesprachen. Die Strukturen und die Organisation des Sant’Uffizio gingen weit über das Ermorden und Foltern der Ketzer hinaus. Es ging vielmehr auch um die Anhäufung von Informationen, um die Durchdringung von Netzwerken und um die 21 22 23
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Vgl. Jedin, Trient IV/1, S. 14 f. Siehe dazu auch Kapitel 2.2. Vgl. McClung Hallman, Italian Cardinals, S. 98 f. und 164 f.: McClung Hallman macht insbesondere auf die Haushalte und Finanzen der Kardinäle aufmerksam, die beweisen, über welche finanziellen Ressourcen sie verfügten. Vgl. Jedin, Trient IV/1, S. 19.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Schwachstellen von verborgenen Gruppierungen. Um dieses möglichst lückenlos zu gestalten, entstand vor allem im Norden ein dichtes Gefüge aus Tribunalen. In der Literatur ist man sich einig, dass die grundsätzlichen Strukturen der Inquisition aus dem Mittelalter stammen und in der Geschichte der Frühen Neuzeit kaum oder nur zeitgenössisch verändert wurden. Insbesondere die Modalitäten waren aus dem Mittelalter bekannt, wie zum Beispiel die Errichtung eines eigenen Gebäudes für das Sant’Uffizio, oder die Aufbewahrung der Prozessprotokolle. Ebenso war bereits aus dem Mittelalter bekannt, dass sich um die Inquisitoren, deren besondere Stellung durch direkte Abgesandtschaft des Papstes hervorgehoben war, eine Gruppe von Helfern bestellte, die rechtliche, theologische oder administrative Aufgabenbereiche hatte. Worin bestand also bei der ersten Betrachtung der Inquisition der Neuzeit der Unterschied zu der des Mittelalters? Es ist schlicht gesagt der Hintergrund der Handlungen.25 Nachdem unter Paul III. die formalen Akte abgeschlossen waren, setzte das Pontifikat Pauls IV. die theoretischen Erneuerungen in die Tat um. Er verschärfte sofort die Regeln und setzte sein persönliches Misstrauen in die Bearbeitung der verdächtigen Fälle. Dabei ging es darum, jede Art von Irrglauben oder falscher Theorie aus dem Weg zu schaffen. Er machte das Sant’Uffizio zur wichtigsten römischen Behörde. Sein Misstrauen ging so weit, dass er seine alten Weggefährten verfolgen ließ, Kardinäle und Ordensbrüder. Er traute keinem und machte auch keinen Unterschied zwischen Ketzer und reform-orientierten Katholik. Wie wenig diese Art bei den Zeitgenossen anerkannt war, zeigte sich, als nach dem Tod Paul IV. ein regelrechter Sturm auf die Gebäude der Inquisition stattfand, bei dem viele der Protokolle und Akten vernichtet wurden.26 1571 wurde durch Pius V. neben der Kongregation des Glaubens noch eine weitere Institution in Rom geschaffen: Die Indexkongregation der verbotenen Bücher, die die erste eigene Behörde für die Zensur war.27 Ihr standen nur fünf Kardinäle vor, die eine stark variierende Anzahl an Beratern hatten. Durch die kleine Zentrale war diese Zweigstelle der Inquisition besonders agil und reagierte schnell auf neu erscheinende Bücher. Diese wurden im Prinzip schon seit der Erfindung des Buchdrucks mit Argwohn betrachtet. Man befürchtete, dass die Menschen durch das Studium der Literatur und vor allem auch der Bibel die 25 26 27
Siehe dazu auch Seidel Menchi, Origine e origini del Santo Uffizio, S. 291–301. Vgl. Schwerhoff, Inquisition, S. 98 f.; zu diesem Komplex Simoncelli, Il caso Reginald Pole, und auch Siebenhüner, Bigamie und Inquisition. Sie wurde erst 1966 während des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder aufgelöst; dazu und zu ihrer gesamten Geschichte: Lagatz/Schratz, Censor Censorum.
2.1 Italienische luterani und der Beginn der Inquisition
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Existenz und Berechtigung der Priester anzweifeln könnten. Spätestens seit der Herausgabe der Schriften Martin Luthers war man in Rom nicht nur auf irrgläubige Personen fixiert, sondern auch auf die Bücher. Seitdem sahen sich Buchhändler und Buchdrucker der Zensur ausgesetzt. Es ist also wenig verwunderlich, dass in dieser Zeit in Rom auch eine Behörde für die Kontrolle dieser Vorgänge geschaffen wurde.28 Die Indexkongregation tagte am Anfang alle zwei Wochen, was bald deutlich weniger wurde und sich auf durchschnittlich drei bis sechs Treffen im Jahr einpendelte. Im Zusammenhang mit den Treffen der Kongregationen könnte man annehmen, dass die Kardinäle alle dauerhaft in Rom lebten. Doch die meisten der Kardinäle hatten ihren Wohnsitz an anderen Orten. Es wurden zudem im Laufe der Zeit immer häufiger ausländische Kardinäle Mitglieder der Kongregationen. Auch nachweisbar ist die Tatsache, dass in der Glaubenskongregation der Altersdurchschnitt der Mitglieder höher war, da man offensichtlich mehr Wert auf erfahrene Mitglieder legte. Waren die Mitglieder noch keine Kardinäle, so wurden sie im besten Fall später aus dem Amt eines Assessors, Kommissars oder Konsultor in den Kardinalsstand erhoben.29 Es gab vor allem an den Universitäten schon Listen, auf denen die verbotenen Bücher standen. Seit 1540 wurde diese ständig erweitert. Paul IV. veröffentlichte 1559 den ersten allgemeinen Index, auf dem fast die gesamte reformatorische Lektüre zu finden war. Auf den Index wurde zum Beispiel auch Erasmus von Rotterdam gesetzt, der damit noch näher auf die reformatorische Seite gestellt wurde. Der Index enthielt unterschiedliche Gruppen. Die Liste blieb weitgehend auf Italien beschränkt und somit äußert sich auch hier, dass die Inquisitoren der römischen Kurie der damaligen Zeit vor allem in ihren eigenen Ländern die richtige Ausübung des Glaubens kontrollieren wollten und auch nur hier konnten. In den deutschen Ländern hätte sich eine Liste wie diese nicht durchsetzen können. Das heißt nicht, dass es hier keine Zensur gab. Gerade im erstarkenden Betrieb der Buchmessen in Frankfurt und Leipzig war Zensur lange Zeit ein umstrittenes, aber besonders wichtiges Thema. Begrifflich umschreibt das Wort „Inquisition“ ein ‚juristisches Ermittlungsverfahren‘30, das sowohl eine Untersu28
29 30
Vgl. Schwerhoff, Inquisition, S. 99; Godman, The saint as a censor, S. 74. Godman betont, dass die Kongregation für den Index administrativ weitaus schlechter ausgestattet war als die Kongregation des Glaubens. So hatten sie zum Beispiel nur einen Sekretär. Vgl. Schwedt, Kongregationen, S. 93 ff. Schwedt macht vor allem auf das sich daraus ergebende interessante Muster der Beamtenbeförderung aufmerksam. Wolf, Index, S. 21.
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chung (inquisitio) implizierte als auch ein Verfahren mit Beweisaufnahme und Zeugenbefragung. Das war vorerst nicht nur auf die Ketzer beschränkt, sondern allgemein im Kirchenrecht einsetzbar.31 In den Anfangsjahren des Sant’Uffizio fand mindestens eine der drei monatlichen Sitzungen in Anwesenheit des Papstes statt. In der Hierarchie folgten auf den Papst die Kardinal-Inquisitoren, wobei der ranghöchste Kardinal als unus ex Inquisitoribus Generalibus bezeichnet wurde. Ihm standen die Beamten (officiales) und Kommissare zur Seite, die sich vor allem mit den Fragen an Zeugen, Angeklagte und mit der Gefängnisverwaltung befassten. Assessoren beaufsichtigten die Geschäfte der Kongregation und berichteten über die Entscheidungen. Sie waren im 16. Jahrhundert noch nicht so wichtig und rangierten hinter dem Kommissar und den Konsultoren. Unter Pius V. war das Amt des Kommissars bedeutend aufgewertet worden. Der Kommissar hatte alle Vollmachten, um einen Prozess führen zu können. Sein Assistent war ein socius, eine Art Stellvertreter. Das Sant’Uffizio hatte immer mindestens zwei Anwälte (advocatus fiscalis) unter den Mitgliedern, wobei einer davon die Bedeutung etwa eines Staatsanwaltes hatte. Dazu kamen die Pflichtverteidiger (procurator pauperum oder advocatus reorum). Um sie sammelten sich zahlreiche weitere Beamte: scriptores, Archivare, Registratoren, Protokollführer, Buchhalter, Boten, Aktenträger, Pförtner – das Sant’Uffizio entsprach im Grunde einer modernen Behörde mit guter finanzieller und lokaler Ausstattung, die sich anfangs noch zurückhaltend gestaltete, aber in wenigen Jahren immer offizieller wurde.32 Das Amt der Konsultoren wird weitgehend mit dem Begriff „Berater“ übersetzt. Zu ihnen gehörten die bereits erwähnten Kommissare, Anwälte, etc., aber auch eine Gruppe von Personen, die dem öffentlichen Leben angehörten und meistens vom Papst selbst ausgesucht wurden. Ein Konsultor war zum Beispiel ein wichtiger Theologe (Magister Sacri Palatii), der dem Papst und der Behörde beratend zur Seite stand. Im 16. Jahrhundert hatte die Inquisition nicht mehr als zehn Konsultoren, die Indexkongregation hingegen hatte Ende des 16. Jahrhunderts schon mehr als 50 Ratgeber. Sie waren meist auch bei den Sitzungen der Kongregationen anwesend.33 31
32 33
Vgl. Wolf, Index, S. 23: „Die Römische Inquisition […] gehört dagegen in den Kontext der (verspäteten) Reaktion der katholischen Kirche und speziell der Römischen Kurie auf die protestantische Reformation.“ Vgl. Schwedt, Kongregationen, S. 96 f., 100. Vgl. Godman, Saint as a censor, S. 7 f.; Schwedt, Kongregationen, S. 98.
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Bezahlt wurden weder die Konsultoren noch die Inquisitoren, was eine gewisse Unparteilichkeit voraussetzen sollte. Außerdem war das Amt eines Inquisitors und seiner Mitarbeiter der heiligen Mission unterstellt, die dann eben auch göttlich geleitet ohne Geld auskommen musste. Das Amt eines Konsultors in der Glaubenskongregation war dennoch attraktiver, denn die Chancen, dass man direkt dem Papst beratschlagend zur Seite stand, waren weitaus höher als bei der Indexkongregation. Diese war unter den römischen Institutionen nicht besonders angesehen und brachte für die gesellschaftliche Position der Mitglieder keine besonderen Aufstiegschancen.34 Die Inquisitoren und ihre Mitarbeiter waren in der Regel Dominikaner, manchmal auch Franziskanermönche, wie zum Beispiel in Teilen der Toskana. Die Inquisitoren waren die Glaubensrichter, und so wurden auch ihre Angehörigen zu einem wichtigen Bestandteil des Verfahrens, wie zum Beispiel die Nuntien oder die Beamten. Normalerweise waren die Bischöfe der jeweiligen Stadt nicht mit einem Amt betraut, sie wurden selten zum Inquisitor ernannt. Doch konnte es zu einigen Schwierigkeiten kommen, wenn die bischöfliche Instanz anderer Meinung war als die römische. Und gerade die Stadtrepubliken wie Genua, Lucca und Venedig beanspruchten ein größeres Mitspracherecht als die übrigen Staaten. Mailand und Neapel gehörten territorial zum Habsburger Reich, unterstanden aber ebenfalls dem Sant’Uffizio in Rom. Die Brutalität der spanischen Inquisition hatte sich auch in Italien herumgesprochen, und so kam es, dass zum Beispiel Neapel richtiggehend darum bat, die Einführung der spanischen Methoden zu verhindern.35 Die Tribunale funktionierten mit der Unterstützung der weltlichen Gerichte (braccio secolare), durch die eigentlich die Möglichkeit für die jeweiligen Staaten bestanden hätte, die Verfolgung und Strafen zu kontrollieren. Dieses war aber unrealistisch, nur in der Republik Venedig wollte man so lange wie möglich die Unabhängigkeit wahren und wehrte sich mit abnehmendem Erfolg gegen die Abgesandten aus Rom und deren Urteile.36 Die Inquisitoren in Italien verstanden sich nicht als reine Verfolger oder Richter wie in Spanien. Sie verstanden ihr Amt oft unter pastoralem Aspekt bzw. ging es ihnen weniger darum, möglichst viele Leute zu beseitigen, als eine ‚heilende‘ Wirkung auf die Häretiker zu haben.37 34 35 36 37
Vgl. Schwendt, Kongregationen, S. 98, und vor allem De Biasio, L’eresia protestante in Friuli, S. 83. Vgl. Schwerhoff, Inquisition, S. 103. Vgl. Del Col, Inquisizione Friuli, S. 20 f. Vgl. Schwerhoff, Inquisition, S. 104.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Inquisitoren unterstanden mit ihrem Amt dem Sant’Uffizio und damit dem Papst, der der Aufsichtsbehörde vorstand. Nachdem sie in die Diözesen geschickt wurden und dort mit der Untersuchung der fraglichen Fälle beauftragt waren, waren sie auch für die Kontrolle der Finanzen und das Berichtswesen zuständig.38 Sie mussten dem Sant’ Uffizio Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ablegen und ebenso genau darlegen, wie die Untersuchung sich entwickelte. Die Rolle der Inquisitoren war unterschiedlich, zum Beispiel konnten sie in ‚städtischen‘ Angelegenheiten, die über religiöse Fragen hinausgingen, ratgebend fungieren. Dies hing auch davon ab, wie der Inquisitor selbst seine Rolle interpretierte.39
2.2 Italienische Märtyrer
Die Überlieferung über die ersten Jahre der Inquisition in Italien ist nicht sehr üppig. Vollstreckte Urteile sind vor allem für die Gebiete im Norden zu verzeichnen: 31 erlassene päpstliche Breven betrafen hauptsächlich „Abtrünnige“ in der Republik Venedig, im Herzogtum d’Este und in wenigen anderen kleinen Gebieten wie zum Beispiel Modena. Dort wurden mit Fanino Fanini, Domenico Cabianca und Giorgio Siculo drei luterani hingerichtet, von deren Tod auch alsbald im deutschsprachigen Reich zu lesen war.40 Weitere Nachweise über durchgeführte Prozesse finden sich für Turin, Genua, Siena und vor allem Bologna. Kam es nicht zum Äußersten, der Todesstrafe, wissen wir entweder von einer Abjuration von den neuen Lehren oder von einer „niederen“ Strafe wie Ausschluss aus Gemeinde und Gesellschaft. 38
39 40
Vgl. Tedeschi, The prosecution of Heresy, S. 131. Durch diese Korrespondenz mit Rom und die Kopien der Protokolle, die nach Rom geschickt wurden, hat sich eine erhebliche Fülle an Material ergeben, die heute noch zu einem überraschend großen Teil vorhanden ist. Tedeschi macht auf die kontroverse Diskussion in der Forschung aufmerksam, wie weit diese behördlichen Akten historisch brauchbar sind. Vgl. Tedeschi, The prosecution of Heresy, S. 129. Insofern ist die Tatsache, dass wir von wenigen Verurteilungen in Italien wissen, vielleicht weniger Folge einer mangelhaften Überlieferung, als wirklich des erst langsamen Inkrafttretens der Inquisition nach einer Art Konsolidierungsphase. Berichte über die Morde an den oben Genannten sind auf schnellem Wege ins Reich getragen worden. Es ist davon auszugehen, dass das auch schon früher geschehen und in der Propaganda aufgenommen worden wäre – wenn es solche Fälle gegeben hätte. Zu der Beobachtung der vergleichsweise wenigen von der Inquisition in Italien verfolgten Protestanten passt auch das Fazit des vorigen Abschnitts, dass nämlich die römische Inquisition als Behörde erst ab 1548 wahrgenommen wurde.
2.2 Italienische Märtyrer
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Der bereits erwähnte Bischof von Capodistria, Pier Paolo Vergerio (1498– 1565), floh 1548 nach einem gescheiterten Versuch der Reformation in seinem Bistum vor der venezianischen Inquisition nach Graubünden. Seit seiner Teilnahme am Religionsgespräch von Worms 1540 wurde ihm eine Affinität zu Luther nachgesagt, den er in Wittenberg persönlich traf. Von 1550 bis 1553 war er Pfarrer in Vicosoprano, prägte mit seinen evangelischen Einstellungen das Engadin und das Veltlin, knüpfte in Basel, Straßburg, Genf und Zürich Beziehungen zu den Reformatoren und verfasste zahlreiche Schriften gegen das Papsttum. 1553 zog Vergerio an den Hof des Herzog Christoph von Württemberg nach Tübingen, für den er ebenfalls diplomatisch tätig war.41
Der Fall Spiera
In Graubünden erreichte ihn anscheinend 1548 auch der Bericht über den Juristen Francesco Spiera. An seinem Beispiel lässt sich nicht nur die neuerliche Präsenz der Inquisition in Italien überhaupt verdeutlichen, sondern auch die eigenen Bedingungen, unter denen die luterani in Italien lebten. Denn während es im Reich Ende der 1540er Jahre nach der Durchsetzung der Reformation faktisch – wenn auch, wie gezeigt, noch nicht auf höchster Ebene anerkannt – um die Zukunft der Bikonfessionalität ging, blieb in Italien „die Geschichte der Reformation eine Geschichte der Verfolgung“.42 Verfolgung und Repression wurden dabei von italienischen, im Ausland publizierenden Protestanten weitgehend als „Auserwähltheit“ durch Gott verstanden; es ging in den frühen Schriften auch darum, den Verfolgten Verhaltensregeln für ihre jeweilige Situation an die Hand zu geben.43 Der Jurist Francesco Spiera aus Citadella soll im Sommer 1548 im Rahmen seines Inquisitionsprozesses zum öffentlichen Widerruf seiner evangelischen Überzeugung gezwungen worden sein. Aus Verzweiflung und Wahnsinn habe er Selbstmord begangen, war in den deutschen Übersetzungen der Berichte über die Ereignisse zu lesen. Vergerio hörte an der Universität Padua von dem Vorfall und verfasste mit Matteo Gribaldi die Historia Francisci Spiera.44 Melanchthons deutsche Übersetzung des Berichts von Gribaldi erschien 1549 bei Joseph Klug in Wittenberg unter dem Titel Warhaftige Historia von einem 41 42 43 44
Vgl. Campi, Briefwechsel. Vgl. Seidel Menchi, Verfolgung, S. 193. So die Interpretation von Seidel Menchi, Verfolgung, S. 197 ff. Die deutsche Version hieß dann Eine erschröckliche Historia von Francisco Spiera.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Doctor in Italia welchen die feind des heiligen Evangelii gezwüngen die erkandt warheit zu verleugnen.45 Wann Melanchthon auf den Text des Paduaner Juristen Matteo Gribaldi stieß, ist nicht bekannt, vermutlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1549. Es scheint sicher, dass Flacius und Melanchthon den Bericht durch Vermittlung Vergerios über eine von Curione herausgegebene und in Basel gedruckte lateinische Version kennenlernten.46 Vergerio hatte, nachdem Spiera sechs Monate nach seinem Widerruf nach Padua gereist war und dort einen Zusammenbruch erlebte, mit Gribaldi und anderen Männern an dessen Krankenlager gestanden und ihn vergebens „auff aller ley weis zu trösten“ versucht. Gribaldi schilderte danach in einem italienischen Bericht minutiös die inneren Kämpfe des Mannes bis hin zu einem gescheiterten Selbstmordversuch. Das Interesse, das Flacius mit dem Abdruck der Geschichte des italienischen Juristen verband, ist vermutlich eher politischer Natur: Man bekam über die Glaubensflüchtlinge nun Nachricht, was wirklich im Land des Papstes geschah, und bezog das Schicksal Spieras auf die eigene religionspolitische Situation – die Interimisten würden die Strafe Gottes auch noch zu spüren bekommen. Gribaldi hatte von Vergerio, der keinesfalls ein Augenzeuge war, die Nachricht bekommen, dass Spiera versucht habe, sich mit einem Messer zu erstechen, dieses sei ihm aber von seinen Söhnen aus der Hand genommen worden. Vergerio hatte „dieses von seinen Freunden erfaren“. Man geht jedoch davon aus, dass Spiera am 27. Dezember 1548 eines natürlichen Todes gestorben ist.47 Flacius’ briefliche Kontakte zu Vergerio sind für das Jahr 1549 eindeutig gesichert. In der Schrift Widder den auszug des Leipsischen Interims, oder das kleine Interim teilt Flacius mit, neulich einen Brief vom Bischof von Capodistria erhalten zu haben, der „nu gar verdampt und veriagt“. Vergerio sei jetzt in Graubünden „und lest drücken widder den Bapst, hat mir auch eins seiner Bücher geschickt, darin er beschreibt, das teufflische wüten, grausamkeit und verfolgung, welchs die gesandten von dem Bapst zu Justinopoli angericht haben, nach seiner veriagung“. Vergerio war offenbar die Hauptinformationsquelle für die Magdeburger.48 45 46 47 48
An den Schluss stellte Melanchthon eine namentlich nicht gekennzeichnete Additio, die in die Wiener Sammelausgabe von 1564 einging. Dazu ausführlich Kaufmann, Ende der Reformation, S. 323, Anm. 557. Vgl. Kaufmann, Ende der Reformation, S. 325. Dieses ist zitiert nach Kaufmann, Ende der Reformation, S. 324, Anm. 557. Es handelt sich hier um eine erhebliche Erkenntnis zur Rekonstruktion der Informationskanäle, die bei Kaufmann in der fast anderthalb Seiten umspannenden Fußnote marginal wirkt. Der Kontakt zwischen Flacius und Vergerio schien intensiv gewesen zu sein und
2.2 Italienische Märtyrer
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Flacius hatte nicht nur durch Vergerio Kontakte zum italienischen Geheimprotestantismus, sondern auch durch einen gewissen Civilius. Von diesem soll die Schrift: Eine freidige vermanung, zu klarem und öffentlichem bekentnis Jhesu Christi […] sehr nützlich zu lesen. Gestel durch Civilium einen Italiener stammen.49 Civilius spricht die „in gantz Italia zerstreuten Brüder“ an und fordert sie auf, zum Martyrium bereit zu sein – wobei er sich auf das Beispiel Daniels berief.50 Flacius stellte Civilius und Vergerio als hehre Beispiele dar, an denen man den wahren Glauben erkenne, da sie bereit waren, für ihren Glauben ihren Reichtum aufzugeben und sogar das Land zu verlassen. Die Rezeption dieser Schriften verfehlte nach Silvana Seidel Menchi komplett ihre ursprüngliche Intention, denn während die italienischen Autoren in ihrer Darstellung Spieras Schicksal in den Vordergrund stellten, ging es den deutschen Autoren und Druckern vor allem darum, durch die Bekanntmachung der italienischen Vorfälle im Reich weiter über die Machenschaften der katholischen Kirche aufzuklären und damit für eine Auflehnung gegen das Interim zu werben. Am 10. November 1549 starb Papst Paul III. Farnese.51 Nach einem schwieri-
49 50 51
mit regem Austausch von Druckschriften verbunden. Flacius könnte demnach auch den Bericht Gribaldis über Francesco Spiera über Vergerio erhalten haben, den er 1549 mit einem Vorwort in eigener Übersetzung bei Lotter unter dem Titel Eine Erschreckliche Historia von einem, den die feinde des Evangelii in welsch Land gezwungen haben, den erkanten CHRistum zu verleugnen herausgab. Eine weitere deutsche Übersetzung, um eine Apologie Vergerios erweitert, erschien gleichfalls 1549 unter dem Titel: Ein Epistel oder sendtbrieff des weitberümbten D. Matthei Gribaldi. Hubert, Vergerios publizistische Thätigkeit, S. 224 f., merkt an, dass Vergerio die Oktavformate bevorzugte, weil sie sich leicht in Briefe einlegen ließen, bei größeren Sendungen brauchte man einen eigenen Boten, der per se schon Misstrauen erregte – eine interessante Detailbeobachtung, die einen Einblick in die Art der damaligen Kommunikation gibt. Gedruckt bei Lotter in Magdeburg am 4.10.1550 [VD16 C 3966]. Fol. A2b. Zum Tod Pauls III. erschienen zahlreiche Flugschriften, die in der traditionellen antipäpstlichen Propaganda stehen. Interessant ist auch der Zusammenhang mit dem Jubeljahr 1550, das von Pauls Nachfolger Julius III. ausgerufen wurde und von den Magdeburgern sofort in Zusammenhang mit Papst Bonifaz VIII. gesetzt wurde. Dieser hatte 1300 das erste Jubeljahr ausgerufen, um die Pilger in Erwartung des Ablasses ihrer Sünden die Kassen in Rom füllen zu lassen. Bonifaz VIII. ließ er von der Inquisition umbringen und so heißt es denn auch in der Flugschrift Von dem frölichen Ablas auff das güldene Jahr von Antonius Herzberger, gedruckt bei Rödinger in Magdeburg 1550: „es were denn ein solcher Bonifacius octavus odder wie jtzt unsere Bepste sein, die das Evangelion unnd Gottes Wort wissentlich lestern und verfolgen mit der höchsten macht und gerne auff eine stunde austilgen wolten.“
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
gen Konklave wurde der Kardinal Giovanni Maria del Monte (1487–1555) zum Papst Julius III. gewählt. Er hatte vorher als Präsident der ersten Sitzungsperiode des Trienter Konzils (1545–1548) fungiert und berief es 1551 auf Drängen des Kaisers, aber auch aus eigenem Interesse, wieder ein. Julius III. hatte gleichzeitig gute Kontakte zu den reformorientierten Kreisen der Kurie und ein bisher von der Forschung wenig herausgestelltes Interesse an der Rekatholisierung nach der Reformation. So förderte er die Wiederangliederung der anglikanischen Kirche 1554 und begünstigte auch das Inquisitionsgremium, indem er den Kardinälen große Entscheidungsfreiräume ließ. So muss noch einmal verdeutlicht werden, dass mit dem Ende des Pontifikats Pauls III. Farnese 1549 bzw. mit dem Ende der Konsolidierungsphase der Inquisitionsbehörde bereits während des Pontifikats von Julius III. die Repression der italienischen Reformierten deutlich zunahm.52 Ein bereits erwähnter Informationskanal zwischen Italien und der Schweiz bzw. dem Reich waren die zahlreichen Briefkorrespondenzen Vergerios.53 Darin forderte er die deutschsprachigen Gläubigen immer wieder auf, für die in Italien verbliebenen Brüder zu beten, die der „päpstlichen“ und „teuflischen“ Tyrannei ausgesetzt seien. Ob bzw. wie diese Informationen öffentlich verbreitet wurden, kann hier nicht eindeutig nachvollzogen werden.54 In einem Brief vom 7. Januar 1551 schrieb Vergerio an Bullinger aus Vicosoprano, dass der Papst Satan selbst sei und dass die Wiedereröffnung des Konzils unmittelbar bevorstehe.55 Der Brief52 53
54
55
Vgl. Ganzer, Julius III., TRE 17 (1988), S. 447f.; Del Col, Inquisizione, S. 321. Campi, Briefwechsel. Campi zählt die unterschiedlichen Quellen sowie deren uns nun vorliegenden Editionen auf, aus denen Informationen über Vergerios Leben hervorgehen: Die Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–1536 (Bd. 1), dann der Band von Hubert, Vergerios publizistische Thätigkeit, ebenso die Amerbachkorrespondenz und der Briefwechsel mit Herzog Christoph von Württemberg. Der Briefwechsel mit Heinrich Bullinger ist hier am aufschlussreichsten, siehe dazu die Edition von Schieß, Bullingers Korrespondenz mit den Graubündnern. Vergerio aus Vicosoprano an Bullinger am 17. September 1550, S. 179. Heinrich Bullingers (1540–1575) Briefwechsel beinhaltete, ähnlich wie derjenige der Fugger, viele handschriftliche Zeitungen seiner Korrespondenten, die sicher in seinem Umkreis weitergegeben wurden. Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 6, S. 163, bezieht sich ebenfalls auf diesen Briefwechsel, speziell auf das Jahr 1553. So betont er, dass Vergerio in diesem Jahr vor allem darauf hingewiesen habe, dass in Italien bislang keine Hinrichtungen stattfänden, nur „an einigen Orten eine mäßige Verfolgung entstanden ist“. Pastor weist auch auf die im Reich zirkulierenden Flugschriften hin, die seiner Auffassung nach jedoch stets falsch, da konfessionspolitisch gefärbt, über die Verhältnisse in Italien berichteten. Vgl. Bullinger Korrespondenz, Nr. 142, S. 189.
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wechsel mit Heinrich Bullinger gibt einen präzisen Einblick in die Gedanken eines aus Italien geflohenen Konvertiten. Nicht nur das Interesse an aktiver Aufklärung über die päpstliche Politik wird deutlich, sondern immer wieder tauchen Zeichen auf, dass Vergerio seine in Italien verbliebenen Glaubensbrüder durch Zusendung von übersetzten Schriften, die Meinungen über das Konzil und die Reformation beinhalteten, ermutigen wollte. Über das Konzil spottete er in satirischer Form, machte aber auch auf die absolute Misswirtschaft des Papstes aufmerksam, die man an der Kornverknappung erkennen könne.56 Vergerio setzte sich für Flüchtlinge ein, indem er sie Bullinger und seinen Freunden zur Aufnahme empfahl. Er vermittelte Luthers Übersetzung des neuen Testaments an italienische Protestanten. Schließlich berichtete er auch besorgt über die Verhaftung seines Weggefährten, Vittore Soranzo, des Bischofs von Bergamo: „Episcopus Bergomi est nobili Sorantia familia Veneta Romam profectus, ut se ab heresis crimine defenderet, in carcerem coniectus est magno totius Italiae metu.“57 Da Vergerius in kurzen Abständen präzise über die italienische Lage berichtete, können seine Briefe heute sehr gut verdeutlichen, wie rasant sich die Zustände für die Protestanten in Italien verschärften. Die 1554 in Wittenberg erschienene anonyme Schrift Warhafftige Historia vom Montalcino berichtet über die Hinrichtung des vermutlich aus Montalcino stammenden Franziskanermönchs Giovanni Buzio,58 der in den 1530er Jahren erst in Bologna und dann in Neapel in Kontakt mit protestantischen Predigern gekommen war. Nachdem diese Kreise durch die Inquisition zerschlagen worden waren, wurde Buzio nach Jahren im Untergrund schließlich 1553 in Ravenna von der Inquisition verhaftet und in Rom ermordet.59 Elf Männer seien Anfang September 1553 als Ketzer vor die „Minerva Kirchen“ geführt worden, „auff das sie alda im beisein der Cardinel […] iren glauben verleugneten“. Das Ganze habe unter großem Andrang des römischen Volkes stattgefunden. Bis auf den Franziskanermönch Buzio hätten alle „andern iren glauben verleugnet, er allein [sei] in seinem gethanen bekentnis vest verharret“. 56 57
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59
Vgl. auch Campi, Briefwechsel, S. 24 f. Vgl. Bullinger-Korrespondenz, S. 201. Soranzo erhielt nach seiner Abjuration von Julius III. die Absolution, wurde aber von Paul IV. erneut verhaftet und starb kurz vor seiner Hinrichtung 1558 an Krankheit. Warhafftige Historia vom Montalcino, welcher zu Rom umb des Glaubens bekentnis getödtet ist worden den 5. Septembris im jar 1553, Wittenberg 1554, erschienen bei Peter Seitz [HAB A: 466.38 Theol. (3)]. Vgl. hierzu Del Col, Inquisizione, S. 314. Vgl. Dall’Olio, Eretici e inquisitori, S. 202 ff.
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Daraufhin sei er ins Gefängnis geworfen und zum Tode verurteilt worden.60 Dort habe er einen anderen Lutheraner, nämlich den Seidenweber Perugino, getroffen. Beiden wurde das Verleugnen des Fegefeuers, die Ablehnung der päpstlichen Macht und Kritik am Ablass vorgeworfen. Zudem hätten sie die Kardinäle beleidigt, sie seien „gleich den Schrifftgelehrten und Phariseern, theten auch nichts anders, denn das sie mit irer falschen irrigen Lehr die leut zum ewigen verdammnis füreten“.61 Am 5. September seien Buzio und Perugino mit weiteren Angeklagten in Rom auf den „Campo florae“ geführt worden, wobei die „zween Martyres mit frölichem hertzen“ gewesen wären. Perugino sei als erster gehängt worden und Buzio habe daraufhin erst gebeten, ihm schnell nachfolgen zu können, „da in seinem herzen begunte eine Furcht anzukomen“, doch schließlich habe er noch laut um Gottes Gnade gefleht und die eine einzige Kirche ausgerufen, „denn die Kirch Christi were nicht geteilt in die Römische, Neapolitanische, Venedische und Meylendische Kirche“, also in Kirchen, die von unterschiedlichen Obrigkeiten – nämlich vom Papst, vom spanischen König oder vom Dogen – beherrscht wären. Daraufhin habe es Tumult bei den Anwesenden gegeben. Buzio habe drei Mal laut „Jesus“ geschrien und wurde dann enthauptet. Der Feststellung, dass ein „grosser Lutherischer Bube“ hingerichtet worden sei, folgt der letzte Satz der Flugschrift: „Und ist öffentlich, das der Babst ein unfletiger Tyrann ist.“62
Die Rezeption von Julius III.: „Denn ein Babst sol kein mörder sein“
Am 13. Februar 1551 schrieb Vergerio an Bullinger, dass ein gewisser Franciscus Niger ihm ein Buch in italienischer Sprache habe zukommen lassen, das im Zusammenhang mit den Plänen zur Wiedereröffnung des Konzils besonders interessant sei.63 Es ist also anzunehmen, dass die im Folgenden ausgeführte Geschichte zweier von der Inquisition hingerichteter Italiener über Vergerio in die deutschsprachige Rezeption gelangte. 1550 erschien in Zwickau die Erschreckliche New Zeitung, so der itzige Babst Julius 3. an zweien Christen geübt, die er jemerlich und erbermlich und unschuldig
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Warhafftige Historia vom Montalcino, fol. A2a. Warhafftige Historia vom Montalcino, fol. A2b. Warhafftige Historia vom Montalcino, fol. A2b–A3b. Vgl. Bullinger-Korrespondenz, Nr. 144, S. 191.
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ermordet hat.64 Es handelt sich um die deutsche Übersetzung einer Schrift des Italieners Francesco Negri,65 als Flugschrift erstellt von dem sächsischen Theologen Bartholomäus Wagner.66 Wie Wagner in den Besitz der Schrift gelangte, kann nicht nachvollzogen werden. Die Schrift kursierte ebenso in weiten Teilen Frankreichs und in der Schweiz.67 Darin geht es um den dreißigjährigen Bäcker Fanino Fanini, der im August 1550 in Ferrara von der Inquisition wegen Häresie verurteilt und hingerichtet wurde, und um den gleichaltrigen Dominikanermönch Domenico Cabianca aus Bassano (1520–1550), dem selbiges am 10. September 1550 in Piacenza widerfuhr.68 In der deutschen Übersetzung erläutert Wagner in einer Vorrede mit drei Gründen, warum es ihm „billich, recht und Christlich“ erscheine, die Schrift zu übersetzen, die ihm „von sehr guten Freunde zukomen“. Wagner habe „mit grossem Erschrecknus unnd warlich mit weinenden hertzen gelesen, das dieser mörder und blutseuffer der Babst, die fromen und unschuldigen Christen so jemerlich und schendtlich ermordet und getödtet hat“. Im Mittelpunkt der Kritik steht Papst Julius III., der als „ein Pastor und Hirt der Christen genennet und gerühmt werden“ wolle und der die Christen eigentlich „sol lieb haben und schützen“, sie stattdessen aber „hasset und ermordet […] und die er henckt und lest sie darnach vom Galgen nehmen und zu pulver verbrennen“, wie er im Folgenden ausführen werde.69 Als zweiten Grund nennt Wagner die Notwendigkeit, dem deutschsprachigen Publikum zu erklären, wen genau der Papst für Ketzer halte. Ketzer seien die, die an Jesus Christus als „Seligmacher des gantzen Menschlichen geschlechts“ glaubten. Aus Sicht des Papstes seien die wahren Christen eben nur diejenigen, 64
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Erschreckliche Newe Zeitung, so der itzige Babst Julius 3. an zweien Christen geübt, die er jemerlich und erbermlich und unschuldig ermordet hat. Auf dem Titel ist weiter vermerkt: Verdeudscht durch M. Bartholomeum Wagner, Pfarrherr zu Glauchaw, mit einer schönen Vorrede. 1551 erschienen bei Wolfgang Meyerpeck in Zwickau [BSB 4 H. eccl. 852]. Die Flugschrift umfasst 23 Seiten. Francesco Negri, De Fanini Faventini et Dominici Bassanensis morte brevis historia, Wittenberg, o. Dr. 1551 [HAB A. 1163.11 Theol. (4)]. Vgl. dazu Seidel Menchi, Simbologia della rottura, S. 439. Bartholomäus Wagner stammte aus dem sächsischen Weißenfels, war Theologe und evangelischer Superintendent in Schönburg, Übersetzer zahlreicher Schriften und theologischer Erzieher in Sachsen. Er starb 1562. Siehe Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen. Darauf weist schon Pastor, Geschichte der Päpste, S. 162 ff., hin. Vgl. Del Col, Inquisizione, S. 327. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. A2b.
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die glauben, dass der „Babst das Heupt der Gemein Gottes“ sei. Dieses müsse den wahren Christen deutlich erläutert werden.70 Am Beispiel von Jan Hus erläutert Wagner die Unrechtmäßigkeit des Papstes schon in vergangenen Jahren.71 Jan Hus sei 1415 „verretterlich, unschuldiglich und jemerlich ermordet und verbrennet“ worden. Aber auch der „hochlöbliche Keyser Maximilian“ habe gesagt, „sie haben dem fromen man unrecht gethan“. So habe man schon an diesem Fall gesehen, wie der Papst mit den Kritikern umgehe.72 Zuletzt macht Wagner auf die Größe der beiden hingerichteten italienischen Protestanten aufmerksam: Bewundernswert sei ihre „standhafftigkeyt“, dass sie nämlich so „mutig, frölich, getrost und freydig gewesen sind umb Jhesu Christi willen und umb ihres Glaubens und bekentnis willen zu leiden und sterben“. Sie seien doch „tausentmal lieber gestorben, denn Christum zu verleugnen“. Die Deutschen sollten sich an ihnen ein Beispiel nehmen und vor allem Trost darin finden, sollte es „heute oder morgen dahin geraten“. Denn „thut der Babst solchs“ an seinen „unterthanen und volck“, was „würd er denn an uns Deudschen und Evangelischen thun“.73 Die Mutmaßung, den Deutschen könne bald etwas Ähnliches geschehen, ist vor der nahenden Wiedereröffnung des Konzils von Trient besonders brisant. Illustrierte das Schicksal Faninis und Cabiancas den Anhängern des neuen Bekenntnisses anschaulich die päpstliche Politik, so sei dies insbesondere in Anbetracht der geplanten Neueinberufung des Konzils und dessen Stoßrichtung äußerst aufschlussreich. Darauf weist Wagner in einem zur Vorrede gehörenden Zwischenabsatz noch einmal deutlich hin. „Julius der Dritte […] verheißt itzt aller Welt mit vollem mund ein frey offentlich Concilium.“ Doch habe er bereits alle von Papst Paul III. eingesperrten Gläubigen „jemerlich und unschuldig umbbringen und tödten lassen“. Dies müsse man wissen, denn nur so könne man verstehen, welche Absicht hinter dem Konzil stecke: „Dieweil solche Exempel sind als praeiudicia und zuvor urteylung des Concilii, welches umb Gemeinen Christlichen Glauben Leer und fried angefangen werden sol.“74 70 71
72 73 74
Erschreckliche Newe Zeitung, fol. A3a. Die Geschichte des tschechischen Reformers Johann Hus und seines Todes auf dem Scheiterhaufen wurde in der protestantischen Polemik sowohl in den schriftlichen Werken als auch in den Illustrationen ja bereits seit der frühen Reformationszeit verarbeitet. Vgl. Hoyer, Jan Hus, S. 295. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. A4a. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. A4a, A4b, B1a. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. B1b–B2a: Paul III. wird hier als „unbarmhertziger Wolff“ bezeichnet, interessant ist aber vor allem, dass er offenbar eben nicht als Mör-
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Die politische Absicht der Flugschrift, nämlich die Propaganda gegen ein Konzil, tritt hier in vollem Umfang hervor. Bezogen sich die während der ersten Konzilsperiode erschienenen protestantischen Flugschriften nur auf schemenhafte Inquisitionsbilder, nämlich auf Drohungen oder Angstbilder, so wurden aus Italien nun unumstößliche Fakten referiert, die die schlimmsten Vorwürfe gegen die römische Inquisition und das Papsttum bestätigten. Unter diesen Umständen schien die friedfertige Zielsetzung eines einigenden und ausgleichenden Konzils als unglaubwürdige Fiktion. Der letzte Teil der Flugschrift widmet sich schließlich den Opfern der Inquisition. Fanino Fanini sei von den „Inquisitoribus des Antichrists“ drei Jahre lang wegen seines Glaubens ins Gefängnis gesteckt worden. Dann sei er von den „Dienern und Inquisitoribus des Widerchrists“, nämlich des neu gewählten Papstes Julius III., „zum tode verurteilt worden“, das Urteil habe die Enthauptung vorgesehen. Ausführlich wird darauf eingegangen, wie Fanini seine Überzeugungen bezüglich der Ehe und Sakramentslehre verteidigte und den mehrmaligen Aufforderungen zur Abjuration trotzte. Fanini habe lange geschwiegen im Gefängnis, sonst würde „sein Weib und arme Kinder arme Witwen und waisen und von jederman verachtet und verlassen werden“.75 Die Angehörigen der hingerichteten Personen wurden völlig aus der Gesellschaft ausgeschlossen, meist sogar exkommuniziert. Fanini habe sich dann aber besonnen und gesagt, „er habe sein Weib und Kindlein wol versorgt“, und wolle „mit freudigkeyt […] die Kron der Merterer getrost empfangen“.76 Wagner bringt immer wieder kurze Abschnitte unter, in denen er auf die Notwendigkeit des Bekenntnisses zum „wahren Glauben“ hinweist. Das habe Fanini im Gefängnis vielen Menschen gepredigt. Als ein Mönch zur Beichte gekommen sei, habe er ihm ein „Christlich gesprech“ angeboten. Sie hätten daraufhin lange über die „Artickel des Glaubens“ verhandelt, das habe aber nichts an dem Todesurteil geändert.77 Am 22. August 1550 wurde Fanini öffentlich in Ferrara gehängt und verbrannt. Ferrara galt damals aus Sicht der römischen Inquisition als besonders gefährdetes Gebiet wegen der Herzogin Renée von Frankreich, die enge Kontakte mit Protestanten pflegte und im Jahr 1536 keinen Geringeren als Jean Calvin an ihren Hof
75 76 77
der der Christen wahrgenommen wurde, sondern als „Vorbereiter“ für die grausamen Taten seines Nachfolgers. Fanino Fanini war offenbar durch Paul III. bereits gefangen genommen worden. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. B3a. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. B3b. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. B4a.
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gerufen hatte. Dieses „häretische Potential“ veranlasste den Papst vielleicht auch, die Inquisitionsbehörde zu besonders hartem Durchgreifen gegen die Dissidenten Fanini und Cabianca anzuhalten, um ein öffentliches Exempel zu statuieren.78 Über den Dominikaner aus Bassano79 wird hingegen berichtet, er sei „mit dem Keyser Carlo V. im vergangenem zuge oder Krieg in Deutschland gewesen und [habe] bey den Deudschen das Evangelium gehort“. Diese Feststellung lässt sich zwar durch die historische Forschung nicht belegen, unterstreicht aber (umso mehr) die propagandistische Absicht der Flugschrift. Schließlich handelte es sich demnach um einen ursprünglich zum Kampf gegen die Protestanten angetretenen Dominikanermönch, der sich dann in Deutschland vom Evangelium habe läutern lassen.80 Domenico habe das Heer des Kaisers bald verlassen und sei stattdessen Gottes „ewiger Kriegsman“ geworden. In Neapel habe er sein „Predigampt angefangen und in viel Stedten Italie mit grosser freuwidkeit unerschrocken Christum gepredigt“.81 Er habe die Wahrheit über die „Beicht, das Fegfeuer“ und die „Ablasbrieffe“ verbreitet. Dann aber sei eines Tages der Voigt oder „Marctmeister“ mit Knechten gekommen und habe ihn verhaftet. Auf Lateinisch habe man ihn befragt, er aber habe in der deutschen Sprache geantwortet, „er sey kein Papistischer Pfaff nicht“.82 Die Aufforderung abzuschwören habe er mehrmals abgelehnt, trotz eindringlichem Einreden durch „viel Münch […] er wolt tausentmal lieber sterben, denn Christum verleugnen und die warheit widerrufen“.83 Cabianca wurde, wie Fanini, erhängt und seine Leiche verbrannt. Die von Wagner übersetzte Schrift führte den deutschen Protestanten nicht nur vor Augen, dass der Papst und die Kurie den aktiven Kampf gegen die Ketzer nun auch in Italien aufgenommen hatten, wobei die Rolle der „Dominikaner Mönche, welche sonderlich itziger zeyt die Christen nur getrost verfolgen“, besonders herausgestrichen wurde. Die Berichte von den Hinrichtungen demonstrierten der deutschen Öffentlichkeit erstmals, wie rigoros die Maßnahmen gegen die Dissidenten tatsächlich waren.84 Dabei werden Paul III. und Julius III. als 78 79 80 81 82 83 84
Vgl. Belligini, Renata di Francia, S. 363–379. Fol. B4a „[…] von dem Haus und Geschlecht Alba ein Bürger zu Bassan“. Ebd. „[…] und bey den Deudschen das Evangelium gehort“. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. C2a. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. c2b–c3a. Erschreckliche Newe Zeitung, fol. c3b. Vgl. Del Col, Inquisizione, S. 314, der bestätigt, dass abtrünnige Priester bereits unter Julius III. systematisch verfolgt und mit Prozessen überzogen wurden, wobei es entweder zu Ausgrenzungen aus der Glaubensgemeinschaft oder im schlimmsten Fall zu Todesstrafen kam.
2.3 „kein grösser unbarmherziger Blutdürftiger Tyrann ye gewesen“ – ein Inquisitor wird Papst
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„Tyrannen“ bezeichnet, ihre Diener als „Inquisitores“. In Wagners Übersetzung taucht jedoch die Rede von einer römischen Behörde nicht auf. In Hinblick auf ihren Aktualitätsbezug dürfte die Flugschrift ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Ist die Vorrede Wagners auf den 20. April 1551 datiert, so ließ Julius III. am 1. Mai 1551 die zweite Tagungsperiode des Tridentinums eröffnen, derweil sich die Lage im Reich erneut zuspitzte. Der französische König Heinrich II. hatte den Frieden von Crépy annulliert und im September 1551 einen Krieg gegen den Kaiser begonnen. Karl V. sah sich zudem einer wiedererstarkten protestantischen Fürstenopposition gegenüber, die maßgeblich von dem Vertrag von Chambord getragen wurde, den im Januar 1552 der „reprotestantisierte“ Moritz von Sachsen und der französische König geschlossen hatten. Der Kaiser verlor den Krieg und musste die Protestanten im Passauer Vertrag (August 1552) formal anerkennen.85 Bereits im April 1552 wurde das Konzil nach nur fünf Sitzungen auf unabsehbare Zeit unterbrochen. Die dringend notwendige Klärung der konfessionspolitischen Lage in Deutschland musste somit auf einem Reichstag erfolgen. Es war voraussehbar, dass der Papst über seine diplomatischen Vertreter und die Entsendung von Legaten auf die Entscheidungsfindung maßgeblichen Einfluss nehmen würde. Dies wurde seitens der Protestanten mit größter Sorge erwartet, zumal Julius III. den Kardinal Reginald Pole 1554 zu Maria I. (die im Juli 1554 Philipp II. angetraut wurde) nach England gesandt hatte, um deren gewaltsam betriebene antiprotestantische Politik zu unterstützen.86
2.3 „kein grösser unbarmherziger Blutdürftiger Tyrann ye gewesen“ – ein Inquisitor wird Papst
Die Diskreditierung der katholischen Kirche durch die Bekanntmachung der päpstlichen Repressionsmaßnahmen in der konzilsbegleitenden Propaganda trug im Vorfeld des schließlich am 5. Februar 1555 eröffneten Augsburger Reichstages entschieden dazu bei, das Bild eines kompromissbereiten oder gar einlenkenden Papsttums nachhaltig zu demontieren.87 85 86 87
Zur Rolle Moritz’ von Sachsen und zu Sachsens Geschichte bis zum Augsburger Religionsfrieden siehe den sehr guten Ausstellungskatalog Glaube und Macht (2004). Die Rezeption dieser Vorgänge in Deutschland ist noch nicht ausführlich untersucht worden. Vgl. dazu Seidel Menchi, Italy, S. 189 ff. Gotthard, Augsburger Religionsfrieden, hier besonders das Kapitel: „Zur Wahrneh-
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Die markanteste Zäsur des 16. Jahrhunderts war der Augsburger Religionsfriede, ein bis heute vielfältig dargestelltes und bewertetes Ereignis. Doch was bedeutete diese nur provisorischen Frieden schaffende Maßnahme für die Weiterentwicklung des Inquisitionsdiskurses? Die Lutheraner waren nun reichsrechtlich anerkannt und den kaiserlichen Untertanen war die freie Religionsausübung gewährt worden. Die Landesfürsten legten fest, welcher Konfession sich das jeweilige Territorium anschloss, und stellten den Bewohnern frei, auf Grund dessen ihren Wohnort zu wechseln. Zwar glaubten einige der Katholiken immer noch, dass die Protestanten auf Dauer zur katholischen Kirche zurückkehren würden, und die Protestanten ihrerseits trauten wohl dem Frieden nicht immer, aber nach den Schmalkaldischen und fürstlichen Unruhen war zumindest der Friedstand im Reich gesichert. Gleichzeitig wurde nach dem Tod von Julius III. am 23. März 1555 in Rom ein neuer Papst gewählt, vielleicht der ärgste Feind, den die Lutheraner in diesen Zeiten haben konnten. Paul IV. erkannte in der Tradition der Ablehnung jeglichen Entgegenkommens gegenüber den Protestanten den Augsburger Religionsfrieden nicht an und schickte seine Legaten mit abstrusen Ideen nach Augsburg. Ihnen wurde dort jedoch eher wenig Gehör geschenkt und die römischen Interventionen nicht berücksichtigt. Paul IV. war Inquisitor der ersten Stunde, ein Fanatiker, der in Rom ein strenges und unerbittliches Regime unterhielt. Die diplomatischen Beziehungen zum Reich brachen in dieser Zeit völlig ab, denn der Papst erkannte auch die nach der Abdankung Karls V. erfolgte Wahl Ferdinands I. zum Kaiser nicht an, hatte dieser doch mit den feindlichen Protestanten verhandelt und galt in den Augen des Papstes eigentlich selbst als solcher. 1559 starb der Papst. Sein Tod löste eine historische Revolte aus. Sein Nachfolger, Pius IV., schaffte die Behörde zwar nicht wieder ab, entschärfte aber die von seinem Vorgänger erlassenen Regeln. Im Reich hielt die Diskussion um den Religionsfriedensvertrag weiter an, insbesondere indem man auf die anhaltenden Repressionsmaßnahmen gegenüber den Protestanten in den Nachbarterritorien aufmerksam machte, wie auf dem Reichstag zu Augsburg 1559. Was war vom Vatikan nach der Anerkennung des Protestantismus im Passauer Vertrag noch zu befürchten bzw. zu erwarten? Die katholischen Reichsstände konnten weder auf Hilfestellungen für ihre Verhandlungsposition noch auf ein näheres Verständnis für die Sondersituation im Reich hoffen. Die Tatsache nämmung des Religionsfriedens in Fachliteratur und volkstümlichem Schriftgut“, S. 587– 651.
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lich, dass König Ferdinand bereits im Sommer 1554 Papst Julius III. mehrfach vergeblich bat, einen Legaten zum anstehenden Augsburger Reichstag zu schicken, kennzeichnet die Einstellung der römischen Kurie und insbesondere dieses Papstes zum Reich vor dem Augsburger Religionsfrieden 1555.88 Es war nicht nur der Erfolg des Fürstenaufstandes, mit dem sich die katholische Fraktion zu Zeiten der Friedensverhandlung auseinandersetzen musste. Die zunehmenden Spannungen mit Rom bzw. das „Auseinanderleben“ mit den Vorstellungen der Kurie, deren passives Verhalten in politischen Belangen und die fehlende Unterstützung Papst Julius’ III. für die katholischen Stände im Reich führten zu einer beinahe vollständigen Separierung zwischen Kurie und Reich vor den Verhandlungen in Augsburg 1555.89 Die Protestanten hatten demnach im Umfeld des Augsburger Reichstages 1555 von einem erneuten kaiserlich-päpstlichen Bündnis zur Unterdrückung ihrer Konfession nicht viel zu befürchten, zumal Karl V. die Durchführung und Verhandlung seinem Bruder Ferdinand überließ und sich mehr und mehr aus den Reichsgeschäften zurückzog. Insofern stand der in den letzten Jahren als Verbindungsfigur zwischen Rom und Reich fokussierte Kaiser nicht mehr zur Verfügung.
Bedeutungslos in Augsburg: die römische Kurie
Die Kurie war auf dem Reichstag, der am 5. Februar 1555 in Augsburg eröffnet wurde, personell spärlich vertreten.90 Als Kardinal Giovanni Morone nach 88
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Kardinal Otto Truchsess von Waldburg wurde von Ferdinand zur Vermittlung aufgefordert und schlug dem Papst die Kardinäle Giovanni Morone oder Reginald Pole vor und bekräftigte seine Vermutung, dass die Verhandlungen ohne päpstliche Präsenz zu Ungunsten der Katholiken ausgehen könnten und man in religionspolitischen Belangen zu große Zugeständnisse werde machen müssen. Vgl. Repgen, Römische Kurie, Bd. 1.1, S. 77; RTA Augsburg 1555, S. 87 f. Darüber sind sich auch Pastor, Ranke und Joseph Grisar einig, letzterer schreibt in einem Aufsatz auch aus katholischer Sicht bemerkenswert kritisch. Vgl. Päpste und Augsburg. Im Vertrag von Passau war festgehalten worden, dass spätestens ein halbes Jahr nach der Vereinbarung der Reichstag stattfinden müsse, doch der Reichstag wurde erst am 5. Februar 1555 in Augsburg eröffnet. Am 12. März wurde mit den Beratungen über den Religionsfrieden begonnen. Die Vorbereitungen für den Reichstag dauerten ungewöhnlich lange. Es kam zu zähen Auseinandersetzungen zwischen Karl und Ferdinand. Der Kaiser war bei schlechter Gesundheit und offenbar bereit, seinem Bruder
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weiteren drängenden Bitten schließlich am 24. März 1555 Augsburg eintraf, war Papst Julius III. bereits tot.91 Seine erneute Abreise zum Konklave nach Rom war also absehbar. In seinen Unterredungen mit Ferdinand und dessen Beratern wurde Morone vor Augen geführt, dass die Verhandlungen eine Befriedung des Landes auf Kosten der Religionseinheit vorsahen. Morone verstand, wie ernst die Lage im Reich für die katholischen Stände war, und versuchte Zeit zu schinden, indem er König Ferdinand aufforderte, den Reichstag abzubrechen und zu verschieben. Die Kurie war in ihren Vorstellungen offenbar weit von der religionspolitischen Realität nördlich der Alpen entfernt. Am 1. April reiste Morone wieder gen Süden ab, nicht ohne vor seiner Reise voller Sorge über die deutschen Zustände nach Rom zu berichten.92 Was sich in den Akten des Reichstages ausdrückt, wird auch in der Sekundärliteratur gespiegelt: dass die Kurie in Augsburg kaum wahrgenommen wurde. Das lag nicht nur am Fehlen eines Legaten schon bei der Vorbereitung, sondern äußerte sich vielmehr auch darin, dass die katholischen Reichsfürsten für ihre Verhandlungsposition eine reelle politische Unterstützung der Kurie nicht in Anspruch nehmen konnten und daher auch keine päpstlichen Einflussnahmen in den Beschlüssen des Augsburger Reichstages erkennbar sind.93 Bei der Suche nach einem Nachfolger für Papst Julius III. wurden von den kaiserlichen, französischen und kurialen stimmberechtigten Kardinälen verschiedene Kandidaten favorisiert. Die Kurie wollte einen Papst, der zum reformorientierten Zirkel gehörte, die kaiserlichen und französischen Parteien einen Kandidaten, der ihnen wohlgesonnen war und vor allem keine Gefahr in der Italienfrage bzw. in Hinsicht auf Besitzansprüche darstellte.94 Der am 9. April 1555 als Marcello II. gewählte Kardinal Marcello Cervini verstarb nach nur zweiund-
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die Leitung des Reichstages zu überlassen. Die Literatur zum Reichstag ist ein großes Feld, ich habe mich an die Reichstagsakten (RTA Augsburg 1555) und an die prägnante Monographie von Gotthard, Religionsfrieden, gehalten. Julius III. starb am 24. März 1555, vgl. Repgen, Römische Kurie, Bd. 1.1, S. 68 f., und besonders Grisar, Die Sendung des Kardinals Morone, S. 345 f. Morones Bericht nach Rom an Kardinal Monte vom 26. März 1555 liegt vor in Nuntiaturberichte, Bd. 17, Nr. 29. Beispielsweise Gotthard widmet der Rolle der Kurie vier knappe Seiten, Augsburger Religionsfriede, S. 68–71, und endet: „Ich durfte es kurz machen, die Rolle der Kurie war nicht der Rede wert.“ Vgl. Sägmüller, Papstwahlen; Petrucelli della Gattina, Histoire diplomatique des conclaves, Bd. 2, S. 114–118. Wenig Erwähnung findet die Tatsache, dass Cervini langjähriges Mitglied des Inquisitionskollegiums war.
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zwanzig Tagen Amtszeit am 1. Mai 1555. Für die katholischen Stände bedeutete das in Augsburg einen erneuten Rückschlag in Bezug auf die päpstliche Unterstützung.95 Es musste also innerhalb kürzester Zeit wieder ein Konklave abgehalten werden. Der größtmögliche Kompromiss war anscheinend Gianpietro Carafa (1476–1559), der seit 1539 Kardinal in Chieti war und 1549 zum Erzbischof von Neapel ernannt worden war. Zwar waren die kaiserlichen Kardinäle explizit gegen ihn, da seine Familie aus Neapel stammte und mit den Habsburgern dort seit langer Zeit in Konkurrenz stand bzw. den Franzosen sehr wohl gesonnen war.96 Doch es gab offenbar keinen Gegenkandidaten, der eine klare Mehrheit für sich zusammenbringen konnte. Die verhältnismäßig schnelle Wahl Gianpietro Carafas wurde zu einer Art Notlösung, um zu einem Ergebnis zu kommen. Damit fiel die Entscheidung für einen Mann, dem der Ruf vorauseilte, er sei ein besonders rigider und kompromissloser Katholik. Paul IV., wie er sich dann nannte, war zum Zeitpunkt seiner Wahl am 22. Mai 1555 bereits neunundsiebzig Jahre alt, es gab also keine Aussicht auf ein allzu langes Pontifikat.97 Aus Augsburg berichtete Dr. Franz Kram am 2. Juni 1555 an den Kurfürsten August von Sachsen, dass Carafa, „ein Neapolitaner und bisdahero des collegii cardinalium decanus gewesen und Theatinus genant worden, zum bapst elegiert ist“.98 Er sei schon alt und „ein arger und harter papist“, der den Deutschen in Religionssachen nie habe Zugeständnisse machen wollen. In Augsburg habe man am 28. Mai eine Messe gefeiert, in der „mit grossem leutten und frolocken das tedeum laudamus“ gesungen worden sei. Am selben Tag sei nämlich „frue 95
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Zu Marcello II. siehe die Biographie von Quaranta, Marcello II. Cervini; die Amtszeit war zu kurz, um publizistisch im Reich verarbeitet zu werden oder gar Cervinis Karriere als Inquisitor zu betonen, direkte Hinweise in deutschsprachigen Medien liegen nicht vor, dafür dauerte der Informationstransfer von Rom nach Augsburg zu lang. Carafas Onkel, Kardinal Oliviero Carafa, hatte die Karriere des jungen Geistlichen maßgeblich gefördert. 1524 gründete er mit Cajetan von Thiene den Orden der Theatiner. Zur Wahl Pauls IV. siehe Ricerche su Papa Paolo IV., S. 322–333; bei Brandi, Römische Korrespondenz, S. 188 ff., sind die in spanischen Archiven verwahrten Schreiben verzeichnet, die Karl V. zur Zeit der Papstwahlen 1555 verfasst hat. Zur Auseinandersetzung mit seinen Gegenkandidaten Giovanni Morone und Reginald Pole vgl. Simoncelli, Reginald Pole, S. 113 ff. Zu Carafa erschien jüngst die Monographie von Vanni, Fare diligente inquisitione, die sich Carafa ausschließlich im Umfeld des Theatinerordens widmet. Paul III.hatte Carafa 1542 neben dem Erzbischof von Toledo zum Vorsitzenden des Inquisitionskollegiums gemacht, das hier gemeint sein könnte.
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ankhommen die zeittung“ aus Rom.99 Zwischen der Wahl des Papstes und dem Ankommen der Nachricht aus Rom in Augsburg lagen demnach neun Tage. Angesichts des noch laufenden Reichstages wurde die Nachricht offenbar schnell für die breite Masse aufbereitet, und zwar in der Schrift Newe zeytung auß Rom.
Der neue Papst: „ein böser, tückischer und trutziger bluthund“
In Rom war der neue Papst bereits zu Kardinalszeiten verspottet worden, wobei sein Amt als Großinquisitor immer eine wichtige Rolle gespielt hatte. Die Drucke begannen mit Zeilen wie „O Chieti, Inquisitore“ oder spielten auf seine Rolle als möglicher Papstkandidat an: „Il cardinal di Chieti chiama il diavolo per avere il papato.“100 Leider kann hier nicht nachvollzogen werden, ob eine dieser Schriften auch Vorlage war für die deutschsprachige Flugschrift, die in Augsburg anlässlich der Wahl Pauls IV. erschien; es bleibt aber gerade durch die Aussage von Franz Kram über die eingetroffene römische „Zeitung“ die Überlegung anzustellen, ob Angaben von italienischen Flugschriften in die deutsche Fassung eingegangen sind. Zumindest die Übernahme der diskreditierenden Spottnamen lässt eine auffallende Ähnlichkeit zwischen italienischen und deutschsprachigen Schriften erkennen. Die erwähnte Flugschrift Newe zeytung auß Rom zur Papstwahl verbarg zudem nicht die Vergangenheit des neugewählten Papstes: Mit Paul IV. sei ein bekannter „Inquisitor Haeresios“ in das Amt des Pontifex Maximus gewählt worden.101 In der Flugschrift wird eingangs auf die Rolle des Teufels bei der Wahl des Papstes eingegangen, welche Art „Gesinde“ der Teufel nämlich brauche, um für das Papsttum das Regiment zu bestimmen: „Mestsäue“, die „Epicurer“ und „Gottlosen“ und „abergläubische Heuchler“. Wenn der Teufel sich zu lange von der einen Sorte bedient habe, greife er zu der anderen, damit man das „unselige Regiment“ nicht sofort bemerke.102 Dieses habe sich in der Vergangenheit mehr als bewahrheitet: Hadrian VI. habe wieder richten müssen, was Alexander VI. zerstört habe, die Untaten von Julius II. und Leo X. seien so groß gewesen, dass 99 RTA XX (Augsburg 1555), Nr. 325, S. 2858. 100 Vgl. zu den Zitaten Firpo, Pasquinate romane, S. 601–621, und dazu auch Valente, Inquisizione, S. 56 f. 101 Newe zeytung auß Rom. Vom newe Babst Paulo, dem Vierdten dises namens, in disem Jare erwelet, Nürnberg, o. Dr. 1555 [HAB A:198.13 Hist. (28)]. 102 Vgl. Newe zeytung auß Rom, fol. A2a.
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das Papsttum beinahe gefallen wäre „und sein authoritet bey vilen hingehen, von wegen gräulicher laster und sünden“.103 Clemens VII., Paul III. und Julius III. seien auch nur „Mestsäue“ gewesen, und zwar „drey nacheinander“.104 Marcellus II. und nun also Paul IV. sollten „dem zerfalnen Stul zu Rom wider auff helffen und an sein vorige stat setzen, das Babstumb reformieren unnd in sein rechte ordnung bringen“.105 Anschließend wird in der Flugschrift darauf eingegangen, was der neue Papst für seine große Aufgabe aus seiner bisherigen Karriere denn mitbringe. Er sei „zerbrochen alters und wesens“, in seinen jungen, blühenden Jahren sei er Bischoff von Theatin gewesen und habe dann ein Kloster und eine „Secte“ gegründet, die der „Chietini zu Teutsch aber Jesuiter genant“, im Kloster habe er „vil jar des Almusens gelebt“, obwohl er als Carafa aus Neapel eigentlich „reych genug gewesen“ sei. Dass Carafa hier als Gründer des Jesuitenordens genannt wird, ist aus zwei Gründen erstaunlich: Erstens war er ein erbitterter Gegner des eigentlichen Gründers Ignatius von Loyola (1491–1556), der von Carafa mehrmals vor ein Inquisitionsgericht zitiert wurde. Carafa wollte die von Paul III. 1540 genehmigte Societas Jesu mit weniger Kompetenzen ausstatten und kritisierte ihren Lebensstil.106 Zweitens ist interessant, dass die Jesuiten als Orden in Verbindung mit einem Inquisitionspapst bereits hier genannt werden, obwohl sie zu dieser Zeit nördlich der Alpen erst in kleinen Schritten Fuß zu fassen begannen.107 Das Schlimmste aber sei die inquisitorische Vergangenheit des neuen Papstes. Was solle also dieser neue Papst „guts in der Christenheit“ anrichten, der über zwanzig Jahre „Inquisitor Haeresios“ gewesen ist? Unter allen Feinden der 103
Alexander VI. Borgia (1492–1503), Julius II. della Rovere (1503–1513), Leo X. Medici (1513–1521), Hadrian VI. Utrecht (1522–1523). 104 Clemens VII. (1523–1534), Paul III. Farnese (1534–1549), Julius III. Chiochi del Monte (1550–1555). 105 Vgl. Newe zeytung auß Rom, fol. A2b. 106 Vgl. dazu knapp Hartmann, Jesuiten, S. 13, 18. Loyola traf Carafa wohl erstmalig in Venedig, wo er die Arbeit und Lebensweise des von Carafa gegründeten Theatinerordens kritisierte. Seitdem war Carafa ein erbitterter Gegner des Spaniers. 107 Ignatius von Loyola (1491–1556) kam 1538 nach Rom und erhielt die päpstliche Approbation (Regimini militantis ecclesiae) für die Gesellschaft Jesu am 27. September 1540 durch Papst Paul III. Loyola gründete 1556 die oberdeutsche (Wien 1552, Ingolstadt 1556, Prag 1556, München 1559, Innsbruck 1561/64) und niederdeutsche Provinz seines Ordens. Jesuit war anfangs ein Spottname, wie Canisius am 15. Februar 1545 schreibt: „Der schlechte Wille und die Bosheit mancher Leute hat uns den Namen „Jesuiten“ gegeben“, zitiert nach Haub, Geschichte der Jesuiten, S. 31. Vgl. zu den Anfängen der Jesuiten Schatz, Zwischen Rombindung und landesherrlichem Interesse.
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Christen sei „kein grösser unbarmherziger Blutdürftiger Tyrann ye gewesen, der mehr frommer leut ins elend vertriben, durch gefencknuß zum abfall gedzungen, ins Schwert, Wasser, und feuer geliffert hab, denn eben diser verlorener Bub“.108 Unter Julius III. war der Einfluss Carafas in der Inquisitionsbehörde schon gewachsen; so riet er 1551 dem Papst, den Bischof von Bergamo, Vittore Soranzo, gefangen zu nehmen und wegen schweren Häresieverdachts zu verurteilen.109 Zunächst, so vermutet der Autor der Flugschrift, werde er die „neu Sect“ und „greweln erweittern“. Dann wird er die „auserwälten Kinder Gottes“ mit Schwert und Feuer ausrotten und danach seine Untertanen und Hofschranzen „etlicher laster halb“ mustern. Dass dieser Papst nicht davor zurückschreckte, auch altgediente Mitglieder der Kurie zu belangen, zeigen die Prozesse gegen Giovanni Morone und Reginald Pole.110 Die oft zitierten Laster der Stadt Rom werden erwähnt und als unmöglich bekämpfbar beschrieben: „Wie wil er bey seinen zarten jünckerlein, unnd geschmürten ölgötzen, hurerey, unnd andere Römische unzucht abschaffen, und wil inen die Ehe nicht zulassen.“ Ernsthafte Reformen oder Besserung für das Papsttum gehen über die Vorstellungskraft, denn „sol etwas guts von im außgericht werden, kan ichs nit gedencken, wie es zugehen müst“.111 Der Autor mutmaßt weiter, dass der Papst, „der nu mehr auff xiii Jar komen, bogenruket, alt und schwach ist, der massen das er den herbst schwerlich erleben mag“, also bald verstirbt. Dennoch sei er ein „böser, tückischer und trutziger bluthund, der da tobt und wüt, als man kaum ein andern unter den Bäpsten hat finden mögen“. Nur mit so einem Regiment glaube der Teufel das Papsttum wieder aufrichten zu können und zu neuem Ansehen zu bringen. Die wahren Christen, denen von Gott das „hell liecht seines ewigen worts auffgesteckt“ ist, kann der Teufel mit seiner Auswahl sowieso in keiner Weise anfechten.112 Aus mehreren Gründen ist die hier vorgestellte Flugschrift bemerkenswert. Über keinen Papst findet sich eine derart scharfe Kritik anlässlich seiner Wahl. Es ist anzunehmen, dass die Informationen und die Ausführungen über die Vergan108 Vgl. Newe zeytung auß Rom, fol. A3a. 109 Vgl. Firpo, Processi Soranzo. Julius III. setzte sich in diesem Fall über die Meinung seines beratenden Kardinals hinweg und entließ den Bischof nach der offiziellen Abschwörung in die Freiheit. Während des Pontifikats Pauls IV. sollte es zu einem neuen Prozess kommen, seinem Todesurteil entging Soranzo durch seinen Tod 1558. 110 Vgl. Firpo/Marcatto, Processo Giovanni Morone, und Simoncelli, Del processo Morone. Dazu auch ein älterer Aufsatz von Schenk, Cardinal Pole and Gianpietro Carafa. 111 Newe zeytung auß Rom, fol. A3b. 112 Newe zeytung auß Rom, fol. A4a.
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genheit des Papstes aus einer italienischen Vorlage stammen. Die Punkte bieten gewissermaßen ein 360°-Panorama der zu erwartenden Politik: Nicht nur gegen die luterani wird der neue Papst strenger als all seine Vorgänger vorgehen, sondern mit dieser Strenge auch die Verhältnisse in Rom unter Kontrolle zu bringen versuchen. Aus dem Jesuitenorden, dem postulierten Feindbild der Protestanten ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, werde er sein Personal rekrutieren und so versuchen, das Papsttum auf neue Beine zu stellen.
Der Augsburger Reichsabschied
Mit Paul IV. sollte sich der bisher eher passive politische Kurs der Kurie in aktive Feindschaft gegen die Habsburger ändern. Er gab dem im Juni neu ernannten Nuntius in Polen, Luigi Lippomano, die Anweisung, bei seinem kurzen Aufenthalt in Augsburg Ferdinand dazu zu bringen, den Reichstag ohne Abschied aufzulösen.113 Zwischen dem 26. Juli und dem 7. September scheiterte Lippomano jedoch schnell mit diesem Vorhaben und verstand, wie schwierig die Lage für die Altgläubigen war, an der, wie er an Paul IV. schrieb, nichts mehr zu ändern sei.114 Seine Position war bei den Verhandlungen bedeutungslos, ebenso wie die des Nuntius am Hof Ferdinands, Zaccaria Delfino. Dieser war von Beginn an in Augsburg dabei und berichtete nach Rom nicht nur über die aufmüpfigen evangelischen Reichsstände, sondern auch über die Uneinigkeit der katholischen Partei. Delfino bat den neuen Papst schon im Juni 1555 um seine Abberufung aus gesundheitlichen Gründen; am 14. August 1555 reiste er nach Rom ab.115 Der Reichsabschied von Augsburg beinhaltete die Regelung, dass kein Stand die Untertanen eines anderen Standes zu seiner Religion drängen oder gegen die eigene Obrigkeit unterstützen darf. Der Frieden galt bis zur endgültigen Ver113 114
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Lippomano war von Juli bis September 1555 als außerordentlicher Nuntius in Augsburg. Das Sachregister in Band 17 der Nuntiaturberichte (Nuntiatur Delfinos, Legation Morones und Sendung Lippomanos in den Jahren 1554–1556) führt zwar einige Einträge zum Schlagwort „Inquisition“, doch beziehen sich die Hinweise meistens auf Benennungen von Kardinälen, die auch dem Inquisitionskollegium angehörten. Die äußerst überschaubare Anzahl der Einträge überhaupt bestätigt die Vermutung, dass es in den diplomatischen Verwirrungen zwischen Reich und Kurie nicht um Inquisition ging, mit der kleinen bayerischen Ausnahme, die im Folgenden noch Erwähnung findet. Dieses berichtet Delfino nach Rom. Vgl. Nuntiaturberichte, Bd. 17, Nr. 34. S. 63 ff. Delfino war von Dezember 1554 bis August 1555 und noch einmal von Dezember 1555 bis Oktober 1556 am Kaiserhof.
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gleichung. Wenn diese nicht zustandekommen würde, bliebe er weiter in Kraft. Weiter hieß es, dass auf der nächsten Reichsversammlung ein neues Religionsgespräch abgehalten werden solle. Dieser Beschluss war Bestandteil des Friedensvertrages, daher waren alle Stände zu diesem Gespräch verpflichtet.116 Die katholische Kirche hingegen tat sich mit den Bestimmungen des Religionsfriedens weitaus schwerer, waren doch die Umstände für eine weitere Ausbreitung des Protestantismus und die Zurückdrängung ihrer eigenen Kirche durch den Vertrag von Augsburg noch günstiger geworden.117 Immer deutlicher kristallisierte sich auf den Reichstagen zudem ein Problem heraus, das in Luthers Reformation den Anfang genommen hatte, nämlich dasjenige der beiden miteinander nicht kompatiblen Ebenen der Theologie und der Politik. Die theologische Diskussion wurde von den Reichstagen immer wieder auf die Religionsgespräche vertagt. Die Kirche war aber auch rechtlich, wirtschaftlich und politisch in die Ordnung des Reiches eingebunden; Fragen darüber konnten durchaus auf einem Reichstag geklärt werden. Die Zuständigkeitsfrage wurde ab 1555 evident, denn die Protestanten sahen die Religionsfrage – eng verflochten mit politischen Aspekten – auf einem Reichstag richtig aufgehoben. Die Katholiken beriefen sich noch immer auf ein einzuberufendes Konzil als Entscheidungsinstanz.118 Das Reich glich einer Art Vakuum, denn begleitet von einem provisorischen Friedensvertrag war der Kriegszustand zwar aufgehoben, das seit Jahrzehnten gärende Problem der konfessionellen Auseinandersetzung aber noch immer nicht geklärt. Dennoch war es vermutlich gerade die nur provisorisch zugunsten einer Befriedung eingerichtete Konfessionsregelung, die bei den Protestanten die Wahrnehmung der omnipräsenten Glaubensverfolgung in fast allen Nachbarländern des Reiches schärfte und so das Vertrauen in die politische Ebene der Auseinandersetzung schwächte. Ein Papst, der jahrelang als Inquisitor tätig war und seine Antipathien gegen die Habsburger nicht verhehlte, wirkte auch für die Katholiken nicht unbedingt stabilisierend. Dass die Beziehungen zur Kurie mit der Abreise der beiden Vertreter Lippomano und Delfino vollends abgebrochen waren, war eine schwierige Ausgangslage für die Altgläubigen im Reich. Es fehlte eine klare Orientierungslinie und so ging die propagandistische Offensive der Protestanten ohne Pause weiter. 116 117 118
Vgl. dazu ausführlicher Bundschuh, Wormser Religionsgespräch, S. 71 ff. Zu den Auseinandersetzungen innerhalb der protestantischen Kirche vor dem Regensburger Reichstag siehe sehr prägnant Bundschuh, Wormser Religionsgespräch, S. 76 ff. Vgl. dazu Decot, Katholische Stände, S. 357–360.
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Eine Betrachtung der römischen Zeitungen, der Avvisi, zeigt, dass Nachrichten über die Inquisition in den Jahren 1556 bis 1559 äußerst spärlich waren, d. h. über den Informationskanal Copia-lettere-Funktion der Fuggerzeitungen auch nichts ins Reich gelangte. Woran könnte das gelegen haben? Die Zensurmaßnahmen des „grandissimo terrore“, der von diesem Papst ausging, könnten so streng gewesen sein, dass es schlichtweg nicht mehr möglich war, offenherzig die Verhältnisse zu beschreiben.119 Hat also Paul IV. als personifizierte Inquisition im Reich keinerlei Niederschlag in der Publizistik gefunden? Klärung bringt ein Blick auf die Verhältnisse im Reich unmittelbar nach dem Religionsfrieden: Nicht nur Gerüchte um ein mögliches neues Konzil kursierten in den Monaten des Reichstages und Religionsgespräches 1556, sondern auch die profranzösische bzw. antihabsburgische Politik des Papstes schien einiges Aufsehen zu erregen.120 Anlässlich des Krieges zwischen König Philipp II. von Spanien (1527–1598) und Paul IV. 1556/1557 kursierte sogar die Nachricht, Paul IV. wolle aufgrund seines Hasses auf die Habsburger das Kaisertum auf Frankreich übertragen, da das Haus Habsburg offensichtlich die Suprematie des Papsttums nicht anerkannte. Die französisch-päpstliche Liga beunruhigte auch das Reich; Ferdinand soll erste konkrete Überlegungen angestellt haben, wie man sich dieser entgegenstellen könne.121 Doch der Papst verlor das kurze militärische Intermezzo hoffnungslos gegen den spanischen Herzog von Alba, der für Philipp II. in Italien kämpfte.122 Der sogenannte Friede von Cave-Palestrina (12. September 1557) zwischen Paul IV. und Philipp II. wurde auch in deutschsprachigen Flugschriften verarbeitet. 123 Luttenberger deutet den Frieden positiv als Umsetzung der Reichsfriedenswah119 120
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Urb.lat.1039, fol. 11r. (18. Februar 1559), dieser Ausdruck findet sich also am Ende der Politikbeschreibung des Papstes. Diese so prägenden Jahre sind vor allem aus verfassungsrechtlicher Perspektive von der älteren Literatur weitgehend erschlossen, aus kommunikationshistorischer Perspektive besteht aber noch eine deutliche Lücke. Vgl. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, S. 81. Zum Konflikt sehr ausführlich, aber teilweise überholt: Riess, Politik Pauls IV. Zum Beispiel: Warhafftige neue zeütung: Erstlich von dem friden in was massen der zwüschen dem Bapst Paulo dem Vierten, Und Künig Philippo ist uffgerichtet. Demnach von dem ausßsprechlichen Schaden, den das Wasser Tyberis zu Rhom der Statt zugefügt hat […], o. O., o. Dr. 1557 [HAB A: 265 Quod. (23) und H:1001.4°Helmst. (3)]. Interessanterweise befinden sich hinter beiden in der HAB vorhandenen Exemplaren Flugschriften über die Glaubensverfolgung in den Niederlanden, also den Erblanden Philipps II. Auf diese Verbindungen wird in einem späteren Abschnitt ausführlich eingegangen.
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rung bzw. in dem Sinne, dass sich kein päpstlich-französisches Bündnis gegen das Reich formierte.124 Aus Sicht der Protestanten war aber im Hinblick auf die Glaubensverfolgung, die unter Heinrich II. in Frankreich und unter Philipp II. in den Niederlanden ab 1556 deutlich verschärft wurde, weder das eine noch das andere Bündnis willkommen. Auf dem Frankfurter Kurfürstentag 1558 spitzte sich nämlich der Konflikt zwischen den Habsburgern und der Kurie erneut zu.125 Der Übergang der Kaiserherrschaft von Karl V. auf Ferdinand I. vollzog sich ohne Wahl und Krönung, nicht einmal eine kirchliche Festivität fand statt. So wurden nicht nur Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken bei der Gottesdienstgestaltung vermieden, sondern auch die katholischen Stände nicht in die Bredouille gebracht, dass der Papst die Wahl nicht anerkannte. Karl V. übergab die Kaiserkrone nicht an den Papst, sondern an seinen Bruder bzw. die Kurfürsten, die Ferdinand krönen sollten.126 Papst Paul IV. erkannte weder die Abdankung Karls V. noch die Nachfolge Ferdinands I. an. Luttenberger fasst die Gründe prägnant zusammen, wenn er schreibt, der Hintergrund seien ein „übersteigertes Bewusstsein von der Bedeutung der Macht des Papsttums, der Hass Caraffas auf das Haus Habsburg, der tief verletzte Stolz des Neapolitaners, die Neigung zu emotionalisierten Extremreaktionen und rücksichtsloser, radikaler Grundsätzlichkeit“.127 Zu erweitern wären diese Punkte um die religionspolitischen Aspekte, da der Papst mit seiner beschriebenen Radikalität nicht nur den neuen Kaiser als Häretiker ansah, sondern auch die Mitglieder des Kurkollegs. Wenn nicht die Verbindung zwischen Papst und Herrscherhaus sowieso schon defekt war – nach dieser Nichtigkeitserklärung war sie vorerst zerstört.128 Mit der Nachricht über den Tod Pauls IV. erfuhren die Deutschen allerdings in präzisester Form, welche Art von Politik der Papst betrieben und welche Konsequenzen ihm das eingebracht hatte. Der Papst starb am Ende des Reichstages, am 18. August 1559, am 19. August wurde der Reichsabschied verlesen. Das be124 125
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Vgl. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, S. 81. Zu den Kurfürstentagen der Frühen Neuzeit siehe die Habilitationsschrift von Gotthard, Säulen des Reiches, darin Kapitel I/2 und II/1–3. Die Akten des Kurfürstentages liegen ediert vor: Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556–1662, in drei Teilbänden, hg. von Joseph Leeb, Göttingen 1999; zur Vorbereitung, zum Ablauf und zum Wahlvorgang auf dem Kurfürstentag siehe Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, Kapitel 1. Vgl. dazu sehr prägnant Neuhaus, Von Karl V. zu Ferdinand I. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, S. 82. Vgl. dazu Sutter Fichtner, The Disobedience of the Obedient.
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deutet, dass die Teilnehmer sich noch in Augsburg befanden, als Paul IV. starb. Und geht man davon aus, dass die Flugschrift Wahrhafftige Newe Zeittung ca. eine Woche später in Augsburg verbreitet wurde, so könnte der eine oder andere Teilnehmer noch von ihr erfahren haben.129 In der Flugschrift heißt es: „Denn gestern umb 22 Uhr ist Babst Paulus 4. aus diesem leben geschieden. Welches Todts aber seine Leut nit hefftich erschrocken, sondern sich desen viel mehr gefreut.“ Am folgenden Tag habe sich eine Menschenmenge vor dem Gebäude der Inquisition versammelt, wo „die Gefangenen der Lutherischen Lehr halben gelegen, welcher nicht eine kleine zal“. Paul IV. hatte der Inquisition einen eigenen Palazzo einrichten lassen, in dem Administration, Gefängnis und Archiv untergebracht waren.130 Es seien „viel Rotten und Partheyen“ zusammengekommen, die schnell den Palast der Inquisition stürmten: „das Volck ist hinein kommen an die Ort, da die verbotene Bücher gelegen, diese unschuldige Bücher, hat das Volck alle zu den Fenstern hinaus geworffen, damit jederman davon trage, was im gefelt“. Hier bestätigt sich Vergerios Annahme, gerade die „Giftschränke“ interessierten das Volk, es trug die verbotene Literatur schlichtweg nach Hause. Paul IV. galt als besonders asketisch, daher erstaunt die Aussage, sie hätten „drey Weinkeller mit dem allerbesten Wein“ geplündert. Als alles ausgeräumt war, wurde das „Haus der Inquisition“ angezündet und abgebrannt. Besonders die „proces“, also die Prozessakten, hätten im Feuer gelegen und mehrmals wird erwähnt, dass das Gefängnis ebenfalls abgebrannt sei.131 Danach habe sich die Menge zur Kirche Santa Maria sopra Minerva begeben, vor der die reuigen Häretiker üblicherweise ihrem Glauben abschworen. Man habe auch das Kloster abbrennen wollen, es seien aber keine Mönche darin gewesen, daher sei „auff solche Antwort…das Volck gestilt worden, unnd haben also der Gottes Heusser verschont“. Von Santa Maria sopra Minerva sei man zum Kapitol gestürmt, wo die für den Papst errichtete Ehrenstatue, welche „von schönen Alabaster auffgericht worden, gar groß bey fünftausent Dukaten wert“, geschändet wurde, indem man ihr „Bart unnd Nasen abgeschnitten“. Das Volk habe des Weiteren alle sichtbaren 129
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Warhafftige Newe Zeittung/Was sich für Empörung nach des Babstes Pauli des iiii. Todt/ welcher den 18. Augusti dises 1559. Jars verschiden/zu Rom zugetragen hat/Deßgleichen innerhalb 200. Jaren nicht geschehen sein soll. Nürnberg 1559, erschienen bei Georg Kreydlein [HAB A: 240.64 Quod. (11)]. Dazu beispielsweise Aubert, Paolo IV. Für die heutige Forschung ist so eine Lücke der Inquisitionsdokumentation entstanden.
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Zeugnisse Pauls IV. geplündert, zerstört, geschändet und die nahen Vertrauten und Mitarbeiter das Papstes verfolgt. Die Unruhen waren so groß, dass der Senat Wachen an den Toren der Stadt aufstellte, um Zulauf von außen zu unterbinden.132 Der in der Peterskirche aufgebahrte Leichnam des Papstes „hat ein elenden Bischoffs Hut auff, unnd vier brennende Kerzen umb ihn stehen“. Es kämen sogar Menschen in diese Kirche, vor allem um zu sehen „auff welchs Todt sie so lang gewartet“. Der Papst wurde vorerst in St. Peter an einem sehr tief gelegenen Ort begraben, um den Leichnam vor der tobenden Menge zu schützen. Erst unter Papst Pius V. Ghislieri, auch er ein starker Beförderer der Inquisition, wurde 1566 das Grabmal in Santa Maria sopra Minerva eingeweiht, nachdem es jahrelange Diskussionen um dessen Standort und Gestaltung gegeben hatte. Auch die Familie Carafa hatte einen schlechten Stand unter den Römern, einerseits wegen des missglückten Krieges gegen die Spanier und der damit verbundenen schlechten Umstände, andererseits wegen der Unredlichkeit der Nepoten: „Der Cardinal Caraffa […] darff sich jetzund nach seinem Todt nicht sehen lassen. Es haben im alle Burger geschworen, ihn umb zu bringen“, heißt es in der erwähnten „Zeitung“ über Pauls IV. Tod. Alle Wappenschilder und Inschriften, die die Familie erwähnten, wurden per Dekret entfernt.133 Tumulte waren nach dem Tod eines Papstes zwar durchaus an der Tagesordnung. Die Handgreiflichkeiten und die Zerstörungswut, mit denen das Ende der auf der Inquisition beruhenden Terrorherrschaft des Carafa-Pontifikats begangen wurde, sind jedoch als außergewöhnlich zu bezeichnen. Die Nachricht vom Sturm auf die römische Inquisition dürfte sich dann auch wie ein Lauffeuer in Europa verbreitet haben. In der Tat handelt es sich bei dieser Episode sicherlich um das bis heute noch bekannteste Ereignis aus der Geschichte des römischen Glaubenstribunals.134 Paul IV. schien gegen jedes diplomatisches Einwirken resistent zu sein, es widersprachen ihm aber offensichtlich auch nicht viele Berater.135 Ferdinand war beunruhigt über die Haltung des Papstes und bat die Kurfürsten auf dem nächsten anstehenden Reichstag (Augsburg 1559) zur Beratung. Um sicherzugehen, dass 132
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Vgl. fol. A2b „Heut aber, damit nicht frembt Volck auch etwa in die Stadt kome, Auffrhur zu machen, hat der Rath des Capitels die Thor eingenommen, und die mit Leuten besetzt […].“ Vgl. dazu Büchel, Grabmahl, S. 138. Vgl. Valente, Inquisizione, S. 58. Der Sturm auf den Palast wird von ihr zwar kurz erwähnt, auf die Rezeption dieses Ereignisses außerhalb Italiens geht sie jedoch nicht ein. Vgl. Valente, Inquisizione, S. 83: Allein Johannes Gropper und Kardinal Pacheco rieten dem Papst zur Vorsicht.
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Abb. 4: Warhafftige Newe Zeittung, Nürnberg 1559.
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an der Kompetenz der wahlberechtigten Kurfürsten und somit an der Übertragung der Kaiserwürde kein Zweifel bestand, beauftragte Ferdinand den Reichsvizekanzler Dr. Georg Sigmund Seld, ein Gutachten über die Kompentenzen zu erstellen.136 Seld beschreibt aus seiner Sicht die Verbindungslinien zwischen dem Heiligen Römischen Reich und der römischen Kirche. Dabei geht es nicht nur um Kritik, der Papst würde den neuen Kaiser und die Fürsten als Ketzer bezeichnen, sondern auch um die Inquisition des Papstes und hier besonders um die Buchzensur. Der Papst habe „sich neulich angemast, durch Mittel einer vermeynten Inquisition, viel treffliche gelehrte Leute, sampt deroselben Schrifften unnd Büchern für Ketzerisch zu verdammen“.137 Die Haltung des Papstes und sein Monopolanspruch ging offenbar auch den Katholiken im Reich zu weit, denn die Verfolgten seien „doch bißhero von männiglich für Catholisch und Recht gehalten worden“. So kann eine Verfolgung durch die Inquisition nur den Grund haben, dass „Ihrer Heiligkeit vielleicht allein darumb mißfällig, daß sie dem Röm. Babst nicht allweg in allen Dingen liebkosen, noch denselben über Gott selbst erheben wöllen“.138 Dem Papst wird von Seld eine äußerst überhebliche Haltung unterstellt. Sicherlich zielt sein Gutachten auch von vornherein darauf ab, die Gültigkeit der Kaiserwahl durch die Kurfürsten zu unterstreichen.139
Der Index
Interessant ist auch der von Seld erwähnte neu erstellte päpstliche Index. Seit 1556 ließ Paul IV. eine Liste von Büchern und Autoren zusammenstellen, die 1557 als Index auctorum et librorum prohibitorum im Probedruck veröffentlicht wurde. Der Protest war offenbar groß, denn aufgelistet waren auch Bücher, deren Entfernen aus dem Angebot viele Drucker wohl die wirtschaftliche Existenz gekostet hätte. Wie Seld darlegt (das Gutachten erschien noch vor der Veröffentlichung 136
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Dazu ausführlich Reichsversammlungen, Kurfürstentag Frankfurt 1558, S. 180–192; das Gutachten liegt im Wiener HHStA, hier wird jedoch auf dessen Darstellung bei Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, zurückgegriffen. Vgl. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, S. 84, Anm. 280. Vgl. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich, S. 84, Anm. 281. Das Gutachten kann hier nicht in Gänze berücksichtigt werden, Luttenberger nennt es „humanistisch inspiriert“. Vgl. RTA Augsburg 1559.
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des offiziellen Index 1559), waren auch Gelehrte der katholischen Seite nicht einverstanden mit der Liste, da Bücher darauf standen, die ihnen als Arbeitsgrundlage dienten. Diese Kritik fand offensichtlich Gehör, denn die Liste wurde überarbeitet und 1559 erschien ein erster offizieller Index, der zwar eine gemäßigtere Form des Probedrucks von 1557 war, aber auf Seiten der deutschen Katholiken noch immer auf Protest stieß.140 Ein immanentes Problem war aus Sicht der Kurie der Druckbetrieb in Deutschland und die damit nach Italien einströmenden Übersetzungen. Nuntius Delfino berichtete aus Wien bereits im Januar 1556, dass er durch einen guten Freund von weiteren propagandistischen Drucken erfahren habe, die das Volk verderben würden. Auch seien neue Schmähschriften gegen den Papst und häretische Bücher in italienische Sprache übersetzt und gedruckt worden. Ebenso würde man nun auch in Spanisch und Französisch drucken lassen.141 Vergerio war sich offenbar bewusst, was er mit seinen Schriften zumindest in Italien auslöste. Er mutmaßte, dass der römischen Kurie seine Schreiberei ein Dorn im Auge sei, er würde aber erst mit dem Schreiben aufhören, wenn sie mit ihren „Verfolgungen und Bekehrungen und mit dem Hinschlachten unserer christlichen Brüder“ aufhören würden. Vergerio hat sich in verschiedenen Schriften allen Ausgaben des Index gewidmet, dem Venezianischen Katalog von 1549, dem Mailänder Index von 1554 und schließlich dem Römischen Index von 1559.142 Erstaunlich ist dabei jedoch, dass keine dieser Schriften ins Deutsche übersetzt wurde und dass Vergerio als eifrigster Beobachter der römisch-päpstlichen Index- und Inquisitionspolitik im Reich anscheinend kaum Gehör fand. Aktuelle Recherchen zu deutschsprachigen Flugschriften, die die päpstliche Zensurpolitik und die Rolle der Inquisition dabei thematisieren, laufen ins Leere. Wie alle Zensurmaßnahmen vorher brachte allerdings auch der päpstliche Index keine Eindämmung der Schriften. Das über hundert Seiten lange Traktat von Vergerio, A gl’Inquisitori che sono per l’Italia. Del catalogo di libri eretici, stampato in Roma nell’Anno presente, war bezeich140 141
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Vgl. Fitos, Zensur, S. 29 f. Nuntiaturberichte, Bd. 1,17, Nr. 120, S. 245. „Un dottore, gran cattolico et mio buono amico, m’ha nuovamente scritto da Ratisbona che si stampano ogni giorno nuove cose per più corrompere li popoli, che sonno usciti nuovi libelli contra il santo nome et sant’opere di V.B.ne, che, oltre ad un numero grande de libri heretici che si stampavano in lingua italiana, si è cominciato similmente a stamparne infiniti in lingua francese et spagnuola; et creda V.S.ta che il dottore, che mi ha dato questo avviso, è huomo pio et di gran prudenza.“ Vgl. Hubert, Vergerios publizistische Tätigkeit, S. 143.
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nenderweise König Maximilian gewidmet, mit dem Vergerio in Kontakt stand.143 Die gegen den Index von 1559 (Vergerio erhielt ein Exemplar davon offenbar im Mai 1559, im September 1559 war seine Antwort fertig) gerichtete Schrift beginnt mit einer historischen Einleitung, in der der Index Pauls IV. als die Summe der Kataloge von Löwen (1546), Venedig (1549) und Mailand (1554) bezeichnet wird. Vergerio widmet sich dem Katalog, macht auf Ungenauigkeiten aufmerksam und spottet über die Unwissenheit der Indexverfasser, die sich darin ausdrücke, welche Personen genau sie auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt – und welche sie nicht berücksichtigt hätten. Dann gibt er reichlich Ratschläge, wie die indizierten Personen überhaupt korrekt anzureden seien. Man habe im Übrigen vergessen, das Interim auf den Index zu setzen, vielleicht weil gerade in diesen Zeiten die kaiserlichen Handlungen Rom weniger interessierten. Einziger sinnvoller Grund, warum Rom es versäumt habe, das Interim zu verbieten, könne nur sein, dass man tatsächlich hoffte, durch lächerliche Zugeständnisse wie Laienkelch und Priesterehe die Protestanten wieder einfangen zu können. Doch so leicht seien diese nicht bestechlich.144 Vergerio endet mit einer Auflistung auf dem Index „vergessener“ Bibelübersetzungen und prophezeit den Römern, dass sie mit ihrem Index keinerlei Erfolg haben würden, denn Verleger und Händler würden sich nun gerade der verbotenen Literatur annehmen. Warum Rom sich damit noch vor einem Konzil in eine diplomatisch so wenig vorteilhafte Situation manövriere, sei ihm ein Rätsel.145 Das Wenige, das in Deutschland über die Verfolgungspolitik Papst Pauls IV. zu lesen war, findet sich in den Berichten Pier Paolo Vergerios, des möglicherweise einzigen noch existierenden funktionierenden Informationskanals zwischen Reich und Italien in den 1550er Jahren. Nach der Wahl Pauls IV. entlud Vergerio seinen ganzen Zorn in publizistischer Weise, wobei sich seine Schriften gerade nicht nur gegen die Person Pauls IV., sondern auch gegen die Institution der Inquisition richteten. Vergerio war selbst Opfer der Inquisition und beobachtete das Erstarken der römischen Zentralbehörde mit wachem Blick. Bei der Recherche zu Druckerzeugnissen dieser Zeit entsteht der Eindruck, dass Vergerio und seine Schriften der einzige wirklich aktive Kanal zwischen Italien und dem Reich war, einige seiner Schriften aber erstaunlicherweise nicht einmal aus dem Italienischen übersetzt wurden.146 143 144 145 146
HAB 1216.14 Th. (4), es existiert auch in lateinischer Sprache. Sixtus V. nahm das Interim dann tatsächlich in den Index auf. Vgl. Hubert, Vergerios publizistische Tätigkeit, S. 145–150. Über Vergerios Schriften zwar alt, aber unumgänglich: Hubert, Vergerios publizistische Tätigkeit.
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„Aus dem Latein ins Teutsch verdolmetschet“ ist allerdings eine Vergerio zugeschriebene Flugschrift, die Radtschläg ettlicher Bischof, wie dem Römischen Stul widerum auff zuhelffen wäre.147 Der Verfasser nimmt hier fiktiv die Position der dem Papst wohlgesonnenen Kritiker ein, die von Paul IV. selbst aufgefordert worden seien, Ratschläge zu verfassen. So handelt es sich gewissermaßen um ein fiktives Gutachten über den Zustand der römischen Kirche: Nachdem der „Römische Stul so zu dieser zeit, von den Lutterischen Ketzern so hoch bekümmert angefochten und geschwecht würdt“, müsse er nun wieder zur „herlichkeit“ gebracht werden.148 Vergerio zieht Bilanz über die Politik des Papsttums und bringt nebenbei durch sprachliche Tricks die hauptsächlichen Schwachstellen des Pontifikats Pauls IV. unter. Die Radtschläg betreffen die Bereiche der katholischen Kirche, die am reformbedürftigsten seien. Die Stärkung neuer Orden – erwähnt werden als Beispiele „die neuen Pfaffen, die Chietiner oder Jesuiter“ – sei nichtig. Sie würden der Reform der Kirche keinen Nutzen bringen.149 Der Text widmet sich in weiten Teilen der klerikalen Praxis, wie also die Taufe, die Messe und die Seelsorge korrekt abzuhalten seien und wie enorm wichtig die Residenzpflicht für die Bischöfe sei. Mit großer Ironie stachelt aber Vergerio die Katholiken verbal an, nur weiterhin so entgegen den gegebenen Ratschlägen alles falsch zu machen, dann sei es um die katholische Kirche gut bestellt. „Den höchsten unnd aller notwendigsten rath“ geben die als Verfasser eingeführten Bischöfe am Ende des Traktats: „Nämlich das gar wenig unns so wenig es müglich auß dem Evangeli, besonders in gemeiner Landtsprach in den Stetten, so under euer Herrschaft seien, gelesen werde […] Unnd soll keinem weiters darin zulesen zugelassen werden.“150 Hier wird der zentrale Aspekt der lutherischen Praxis berührt, die Über147
Bapst Paulo dem vierdten übergeben, gedruckt im Januar 1559, 14 Blätter. Der Verfasser schreibt im Namen jener Kritiker, der Name Vergerio kommt nicht vor. Sein knapp über hundert Seiten umfassender Traktat Actiones duae secretarii Pauli Papae, huius nominis IIII. widmet sich zunächst vor allem dem Konzil von Trient [1216.14 Theol. (1)., 1559 erschienen]. Die Schrift ist unterschrieben mit den Namen Thomas Stella, Bischof von Justinopolis, Antonius Helio, Bischof von Pola und Gerardus Busdragus, Bischof von Argolicensis. 148 Vgl. Radtschläg ettlicher Bischof, fol. A2a. 149 Vgl. Radtschläg ettlicher Bischof, fol. A5b. Mit den „Chietinern“ wird der von Papst Paul IV. gegründete Theatiner-Orden gemeint sein, der schon in der oben vorgestellten Flugschrift zur Wahl Pauls IV. mit dem Jesuitenorden gleichgesetzt bzw. verwechselt wurde. 150 Vgl. Radtschläg ettlicher Bischof, fol. B2a.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
setzung der Bibel ins Deutsche, also in die Volkssprache, um sie für jedermann zugänglich zu machen. Die Ironie setzt sich fort: Völlig unverständlich sei es, dass „man so gräulich schand und übel“ vom Papst rede, niemals sei mit Schrift und Wort so schlecht berichtet, ja sogar Feindschaft artikuliert worden. Die Ursache liege „hell und bar am tag“: Zu keiner Zeit sei ein Papst gewählt worden, „zu dem unnd von dem man sich mehr rhum und fridens und einer ernstlicheren Reformation der Kirchen versehen hab, denn von Paul IV.“. Dieser habe gleich am Anfang seines Pontifikats einen großen Krieg angefangen – womit sicherlich der gegen König Philipp II. gemeint ist. Bezüglich der Reformation aber sei „alle hoffnung verlorn und gar dahin“. Der Papst solle den die Ratschläge verfassenden Bischöfen diese Wahrheit nicht übel nehmen.151 Die letzten Abschnitte schließlich sind der Wahl Kaiser Ferdinands gewidmet. Es sei ihnen unverständlich, dass der Papst diesen nicht anerkenne, wo keiner „die Keiserliche Wirde und Staat wirdiger und vom heiligen Bäpstlichen Stuhl bösser verdient“. Er habe alles getan, um der katholischen Kirche wieder „auff die füsse zuhelffen, mit unsern Widersachern er gantz hefftig gekämpft unnd gestritten hat“.152 Der Papst könne sich selber keinen größeren Schaden beibringen, als diesen Kaiser nicht anzuerkennen. Die Nichtanerkennung Kaiser Ferdinands I. dürfte auch auf dem Reichstag zu Augsburg Thema gewesen sein.
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
Der erste katholische Territorialfürst, der einen Versuch unternahm, aktiv aus der defensiven Rolle der Reichsstände herauszukommen, war Herzog Albrecht V. von Bayern (1528–1579). Er wollte durch eigene Reformen und Visitationen sein Gebiet vor der Ausbreitung des Luthertums bewahren. In der Interimszeit gewährte Zugeständnisse wie die Priesterehe und der Laienkelch drohten die religionspolitische Lage außer Kontrolle des bayerischen Herzogs geraten zu lassen.153 Dem Ausbau protestantischer Kirchenstrukturen hatten die bayerischen Herzöge schon am Anfang der Reformation entgegengewirkt und beispielsweise durch die strenge Einhaltung des Wormser Edikts von Anfang an die Ablehnung der Reformation deutlich gemacht.154 151 Vgl. Radtschläg ettlicher Bischof, fol. B4b–B5a. 152 Vgl. Radtschläg ettlicher Bischof, fol. B5a–B5b. 153 Zu Herzog Albrecht V. siehe die große Monographie von Heil, Reichspolitik Bayerns. 154 Auf der Grünwalder Konferenz am 10. Februar 1522 bestimmten die Herzöge Wil-
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
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Kurz nach seinem Regierungsantritt 1550 hatte Herzog Albrecht V. bei den Verhandlungen von Passau und Augsburg eine vermittelnde Haltung eingenommen. Auch sein größtes Anliegen war zunächst der Schutz des Reichsfriedens. Als dieser durch die Vereinbarungen von Augsburg 1555 weitgehend gesichert war, konzentrierte sich Herzog Albrecht auf die Erhaltung und Stärkung des Katholizismus in seinem Gebiet. Doch das war durch die passive Haltung der Kirche nicht ganz unkompliziert. Durch das Interim von 1548 waren auch in Bayern die communio sub utraque und die Priesterehe gebilligt worden.155 Nach dem Vertrag von Passau und der Aufhebung des Interims forderten die Stände auf dem Landtag zu Landshut die Manifestierung der sogenannten „Kelchbewegung“.156 Der Herzog geriet unter Druck. Am 4. September 1555 schrieb der von Paul IV. für Polen ernannte Nuntius Luigi Lippomano an den Neffen des Papstes, Carlo Carafa, dass ein Ratgeber Albrechts V. bei ihm in Augsburg zu Besuch gewesen sei.157 Er wolle sich für die Zulassung der Priesterehe und des Laienkelchs einsetzen. Der Nuntius befürchte eine Rebellion, da der Papst dieses eben niemals gewähren würde und der Herzog selbst es eigentlich auch ablehne. Der Ratgeber stehe dagegen auf dem Standpunkt, wenn der Herzog diese beiden Forderungen zugestehen würde, würden die Bayern alle anderen katholischen Grundsätze akzeptieren. Außerdem wolle er eine „inquisitione“ durchführen lassen, um die generelle Christlichkeit zu überprüfen und diejenigen zu bestrafen, die sich vom katholischen Glauben entfernt haben.158 Albrecht V. musste unter dem Druck der Stände 1556 die Praxis des Laienkelchs straffrei stellen, obwohl der Nuntius Delfino ihm die Ablehnung des Papstes zuvor überbracht hatte.159 Zwei Schritte hatte der Herzog inzwischen
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helm IV. (1508–1550) und Ludwig X. (1516–1545) die Linie der bayerischen Religionspolitik. Vgl. dazu u. a. Weiß, Katholische Reform, S. 32 f. Bayern erhielt durch staatlichen Glaubenszwang die katholische Kirchenordnung, auch auf das Mittel der Visitationen wurde ab 1524 in regelmäßigen Abständen zurückgegriffen. Vgl. Scherbaum, Bayern und der Papst, S. 33 f. Vgl. Ziegler, Altbayern, S. 33. Vgl. Nuntiaturberichte 1,17, Nr. 84, S. 173: Es war wohl Hofrat Wiguleus Hundt. „Anzi, poneria un’inquisitione in tutto il suo stato et castigeria quelli che non fussero buoni christiani“, vgl. Nuntiaturberichte 1,17, Nr. 84, S. 174. Scherbaum bilanziert, dass die große Visitation ansonsten kaum Gegenstand der Nuntiaturberichte war und ohne Unterstützung der Kurie ablief, zumal die Nuntiatur am Kaiserhof zwischen 1558 und 1560 nicht besetzt war. Vgl. Scherbaum, Bayern und der Papst, S. 44. Vgl. Nuntiaturberichte 1,17, Nr. 95, S. 194, die Instruktionen für Delfino vom Januar 1556. Vgl. dazu Lutz, Bayern und der Laienkelch. Nach weiteren Verhandlungen erteilte Papst Pius IV. 1564 endlich die Konzession, doch zu diesem Zeitpunkt war die ständi-
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
eigenmächtig eingeleitet. Er erreichte erstens durch Verhandlungen mit der Kurie und dem Jesuitenorden, dass 1555/56 in Ingolstadt ein Jesuitenkolleg gegründet wurde.160 Der für Deutschland wichtige Theologe Petrus Canisius (1521–1597) stammte aus Nijmegen, trat 1543 dem Orden bei und setzte sich maßgeblich für die katholische Reform im Reich ein.161 Viel zitiert wird in der Literatur ein Brief von Loyola an Canisius vom 13. August 1554, in dem er sich über die möglichen Konsequenzen für renitente Prediger, nämlich schwere Strafen, äußerte:162 „Und wenn es schiene, dass sie mit Kerker oder Verbannung oder manchmal sogar mit dem Tod bestraft werden könnten, wäre dies vielleicht das Angeratenste.“ In der Regel wird aber der hier relevanteste Satz des Briefes ausgelassen: „Doch von Hinrichtung und einer dortigen Einsetzung der Inquisition rede ich nicht, weil dies über der Fassungskraft von Deutschland läge, so wie es jetzt gestimmt ist.“163 Canisius war für die deutschen Belange in Religionssachen nicht unerheblich und stand in der großen Gunst Ferdinands, der sich persönlich für seine Teilnahme am Religionsgespräch einsetzte. Die Bischöfe im Reich hatten offenbar einen Mangel an geeigneten Theologen, die sich auch als Berater eigneten.164 Canisius war einerseits Theologe, andererseits ein vom Papst gebilligter religionspolitischer Berater und auch noch Teil eines wirkungsvollen Ordens. Canisius diente also dem Papsttum, wollte aber im Reich, wie das Zitat oben zeigt, keine
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sche Opposition schon so weit unterdrückt worden, dass die Zustimmung des Papstes gar nicht erst bekannt gegeben und 1571 wieder zurückgenommen wurde. Erstmals waren die Jesuiten 1549–1552 in Ingolstadt tätig gewesen, dann wieder 1555/56 berufen worden und schließlich ab 1559 auch in München. Vgl. Ziegler, Altbayern, S. 40; Buxbaum, Petrus Canisius; Schade, Berufung der Jesuiten. Scherbaum, Bayern und der Papst, macht darauf aufmerksam, dass in den Nuntiaturberichten über die Bestellung der Jesuiten nicht viel zu lesen ist, da der Herzog mit der Kurie direkt verhandelte (S. 43). Canisius war erster Provinzial der oberdeutschen Provinz und wirkte federführend bei den Kollegiengründungen in Wien und Ingolstadt, hatte engste Beziehungen zu den katholischen Höfen und zur Kurie. Vgl. zu ihm Berndt, Petrus Canisius. „Es schiene, die Prediger von Häresien und Häresiarchen und überhaupt alle, die dabei ertappt werden, andere mit dieser Pest anzustecken, müssten mit schweren Strafen bestraft werden. Überall müsste öffentlich erklärt werden, das diejenigen, die innerhalb eines Monats vom Tag der Veröffentlichung zur Einsicht kämen, in beiden Foren gnädige Lossprechung erlangen würden und dass nach dieser Zeit diejenigen, die in der Häresie ertappt würde, künftig ehrlos und für alle Ehren unfähig sein sollten.“ Zitiert aus der Quellenedition von Luttenberger, Katholische Reform, S. 300. So beispielsweise bei Weiß, Katholische Reform, S. 92. Canisius war auch schon auf dem Religionsgespräch von Worms 1545 anwesend gewesen und sollte später auch an den Reichstagen der Jahre 1566 und 1567 teilnehmen.
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
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Gewalt anwenden, er hatte offenbar eine Art Sensibilität für die dortigen Sonderverhältnisse. Die deutschen Katholiken standen ihm allerdings zunächst skeptisch gegenüber.165 Zweitens schlossen sich am 1. Juni 1556 König Ferdinand I., Erzbischof Michael von Kuenburg (1554–1560) und das Domkapitel von Salzburg, Herzog Albrecht V. von Bayern und die Reichsstadt Augsburg zu einem katholischen Bündnis zusammen, dem sogenannten Landsberger Bund. Offiziell erklärter Grund war die Wahrung des Landfriedens. Der Bund wurde für zunächst sieben Jahre geschlossen.166 Damit war die Einstellung des bayerischen Herzogs mehr als eindrucksvoll bestätigt. Der Landsberger Bund sollte im Umfeld des Augsburger Reichstages von 1566 noch mehr Beachtung bekommen, symbolisch für eine beginnende katholische Offensive war dessen Gründung allemal. Größtes Aufsehen erregte aber die große Landesvisitation, die Herzog Albrecht 1558/60 in seinem Territorium durchführen ließ. Das Herzogtum Bayern bestand zu der Zeit aus den Diözesen Freising, Regensburg, Passau und Salzburg und grenzte nach außen hin an Eichstätt, Augsburg und Chiemsee. Zur Hälfte mit herzoglichen Kommissaren und zur anderen Hälfte mit klerikalen Kommissaren wurde die große Visitation durchgeführt.167 Nuntius Delfino berichtete im März 1556 an Kardinal Carlo Carafa, dass er mit dem Erzbischof von Salzburg über eine Reform gesprochen habe. Man müsse aber eine gründliche Visitation (bona visita) der Klöster durchführen, die die Fürsten nicht gerne zuließen, weil sie sich in ihrer Macht eingeschränkt sähen. Delfino und der Erzbischof hätten sich drauf geeinigt, dass die Visitationen von drei Obersten durchgeführt werden sollten, einem päpstlichen, einem herzöglichen und einem bischöflichen des zu visitierenden Ortes. Anscheinend kam es aber letztlich nur zum Einsatz der beiden letztgenannten.168 Die Protestanten reagierten prompt auf die Maßnahmen Albrechts V.: In der 165 166 167
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Decot, Katholische Reichsstände. Später wurde auch noch Nürnberg Mitglied. Zur Geschichte des Landsberger Bundes siehe Heil, Reichspolitik Bayerns, S. 126–131, und Lanzinner, Der Landsberger Bund. Vgl. Ziegler, Altbayern, S. 4 f.: „Das landesherrliche Kirchenregiment als staatskirchenrechtliches Instrument war ein besonderes Merkmal Bayerns. Die Kirchen wurden dem entsprechend weitgehend in ihrer Autonomie unterdrückt, d. h. die Gerichtsbarkeit wurde eingeschränkt, Visitationen regelmäßig durchgeführt mit herzöglichem Personal und die Bischöfe weitgehend dem Befehl des Herzogs unterstellt.“ Scherbaum hat für die Abwesenheit des päpstlichen Visitators in den Nuntiaturberichten keine Begründung gefunden. Vgl. Scherbaum, Bayern und der Papst, S. 45 und Anm. 159.
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laut der Angabe in ihrem Titel von Melanchthon verfassten Flugschrift Die Abgöttische Artickel: Gestellet von einem Mönch in Bayern, darauff die Inquisitio sol fürgenomen werden, steht der Terminus „Inquisition“ in seiner ursprünglichen Bedeutung, der „Untersuchung“.169 Die Kirche werde „missbraucht von den Bebstlichen zur sterckung vieler öffentlichen Abgötterey“.170 Man müsse die Christen trösten, die dadurch zu sehr geängstigt werden. „Und ist gewislich war, das die Verfolger erkanter Warheit nicht Gottes Kirche sind, sondern sind solche leut, davon der son Gottes spricht: Ir seid aus eurem Vater dem Teuffel.“171 Wer nun diese Artikel lesen würde, „die ein ungelerter rasender Mönch in Bayern gestellet hat“, solle nicht dessen Betrug verfallen, sondern auf der Basis der vorliegenden Vorrede sollten die „Christlichen Pastores“ dem Volk erzählen von diesen Artikeln und die Wahrheit kundtun.172 Aufgezählt werden dann 31 Artikel zur wahren „heiligen Christlichen Kirch“, woran man sie erkenne (Art. 2), ob ein allgemeines Konzil bezüglich des Glaubens alle betreffen solle (Art. 15), wie man zum Abendmahl stehe (Art. 16), wie zu Laienpriestern (Art. 18) und ob der alleinige Glaube gerecht mache (Art. 22). Ein Jahr später erschien die Anleitung Philippi Melanthonis, wie Christlich zuantworten sey auff die abgöttischen Artickel in Baiern gestellet.173 Es ist eine Art theologisches Handbüchlein von immerhin 128 Seiten, wie man mit der „inquisitio“ umzugehen habe. Darin sind die lutherischen Glaubensstandpunkte eindeutig formuliert und die vielen Gegensätzlichkeiten zwischen päpstlicher und protestantischer Kirchenauffassung konturiert. Neben Bayern waren auch die österreichischen Erblande König Ferdinands von der Ausbreitung lutherischer Glaubenspraktiken stark betroffen. Der Augsburger Religionsfrieden hatte bei den Ständen der Erblande große Erwartungen ausgelöst, auch für ihre Gebiete die Religionsfreiheit einführen zu können. 169
Die abgöttische Artickel: Gestellet von einem Mönch in Bayern, darauf die Inquisitio sol fürgenomen werden, die Gott gnediglich abwenden wolle, mit einer kurzen Erinnerung Philippi Melanthonis, Wittenberg 1558, gedruckt bei Georg Rhau [HAB A: 463.22 Theol. (10)]. 170 Vgl. Die abgöttische Artickel, fol. A2a. 171 Vgl. Die abgöttische Artickel, fol. A2b. 172 Welches ich mit Gottes hülff auch zu thun für habe. Wittemberg, 3. Oktober 1558, vgl. fol. A3b. 173 Anleitung Philippi Melanthonis, wie Christlich zuantworten sey auff die abgöttischen Artickel in Baiern gestellet, dem Christlichen leser zu gut verdeudscht durch Jacobum Eysenberg. Wittemberg durch Hans Lufft, 1559 [HAB S 238 Helmst.]. Im Text unterschreibt Melanchthon am 15. April 1559.
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
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Die fünf niederösterreichischen Länder (Enns, Steiermark, Kärnten, Krain und Görz) forderten auf dem Landtag 1556 Religionsfreiheit als Bedingung für die umfassende Bewilligung der Türkenhilfe, andernfalls würden sie weniger Geld zur Verfügung stellen. Ferdinand lehnte dieses zwar ab, billigte den Ständen aber zu, die Protestanten nicht gewaltsam aus dem Land zu vertreiben und vertröstete sie auf einen nächsten Reichsabschied, offenbar auch hier im Glauben, man werde noch zur Einigung kommen.174 Die Fragen von der Christlichen lehr, in einem teil der Land Osterreich, von den Inquisitorn, den Predigern fürgehalten175 bezogen sich auf Visitationen, die in den Jahren 1558 bis 1560 auch in Österreich durchgeführt wurden. Aufgelistet sind achtzehn Punkte, nach denen die Befragung abgehalten werden sollte. Offenbar war das Ziel herauszufinden, ob der katholische Glaube rechtmäßig praktiziert werde. Die Schrift enthielt also „Artickel auff welche ein jder Pfarherr und Seelsorger sein sag und schrifftlichen Bericht geben und stellen soll“.176 Die Pfarrer wurden gefragt, ob sie den „Catholischen brauch“ in ihrer Kirche anwenden würden. Wie man zur Ehe, zum Fasten und zu den Feiertagen stünde, ob in der Liturgie die Heiligen besonders erwähnt würden, was man vom Fegefeuer halte – die einzelnen Punkte lesen sich wie eine konzentrierte Fassung dessen, was den katholischen Glauben ausmacht.177 Die „Christliche antwort darauff, etlicher Gottförchtiger Pastorn in Osterreich nicht fern von Wien“, die dem ersten Teil angehängt ist, ist eine ebensolche konzentrierte Formulierung der lutherischen Glaubensauffassung: Der Gottesdienst werde streng nach „Christi ordnung und bevelch“ gehalten, die Ehe würde für „erlich“ gehalten, Fasten und Feiertage würden eingehalten, es würden zwar Fürbitten gehalten, die Heiligen aber ungenannt bleiben, man orientiere sich stattdessen am „Wittembergischen Psalmbüchlein“, das Fegefeuer gebe es im Übrigen nicht. Obwohl es in Österreich im 16. Jahrhundert noch nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten kam, wurden die Visitationen wohl als eine starke Einschränkung der Glaubensausübung gesehen. Das vehemente Bekenntnis zum Luthertum und die Kritik an Visitationen stehen hier in direktem Zusammenhang. 174 175
Vgl. dazu alt, aber mit Darlegung der Quellen Stülz, Ausschußtag. Weiter heißt es auf dem Titel: Christliche antwort darauff, etlicher Gottförchtiger Pastorn in Osterreich nicht fern von Wien. Das Jahr 1559 steht auf dem Titelblatt, die Flugschrift umfasst nur vier Seiten. 176 Siehe Fragen von der Christlichen lehr, fol. A2a. 177 Vgl. Fragen von der Christlichen lehr, fol. A2a–A2b.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Bezüglich der Terminologie offenbart sich an diesen Beispielen aber noch etwas ganz anderes: In beiden Fällen wird der Begriff inquisitio in der lateinischen Wortform und im rechtshistorisch tradierten Sinn gebraucht, also als „Untersuchung“. Ruft man sich in Erinnerung, wie wenige Jahrzehnte vorher die im Zeichen der Inquisition in den spanischen Erblanden von den Protestanten erlebten Verfolgungen und Gräueltaten in den Flugschriften thematisiert worden waren, so kann man sich vorstellen, dass der Begriff inquisitio im Titel der neuen Flugschriften dennoch für allerhand Diskussionsstoff in der Öffentlichkeit geführt haben dürfte.
Reginald Pole in England
Die Glaubensfrage war aus theologischer Perspektive nach dem Religionsfrieden keinesfalls gelöst. Schon die Vorbereitungen des Regensburger Reichstages, der am 5. Juli 1556 eröffnet wurde, zeigen, dass der Religionsfriede als Provisorium eine schwierige Verhandlungsbasis werden sollte. König Ferdinand ließ für eine zahlreiche Teilnahme umfangreich werben, die katholischen Amtsträger hatten dennoch ihre Zweifel. Aus Rom war aufgrund der Haltung Pauls IV. keine Unterstützung zu erwarten; dort war man offenbar der Ansicht, die deutschsprachigen Katholiken hätten bezüglich der Erhaltung des Glaubens im Reich versagt. Gefördert wurde dieses Bild durch die Berichte der Legaten, die Katholiken hätten sich den Protestanten gegenüber nicht ausreichend zur Wehr gesetzt. Den Altgläubigen fehlte eine offensive Strategie, man verhielt sich passiv und defensiv. Aus Sorge, Ferdinand könnte aus finanzieller Not den Protestanten noch mehr Zugeständnisse machen, blieben sie in großer Zahl dem Reichstag von Regensburg 1556/57 fern.178 In Regensburg sollten die unerledigten Punkte des Augsburger Reichstages verhandelt werden.179 Die Situation erinnerte stark an die der 1540er Jahre. Die Altgläubigen stritten sich über vom römischen König gemachte Zugeständnisse an die Protestanten, auf die dieser für die militärische Aufrüstung angewiesen war. 178
Vgl. Decot, Katholische Stände, S. 360 ff. Decot widmet sich der Unterredung des kaiserlichen Rates Zasius mit dem Mainzer Kurfürst-Erzbischof Daniel Brendel von Homburg (Regierungszeit 1555–1582) im Vorfeld des Regensburger Reichstages aus kommunikationshistorischer Perpektive. 179 Zum Reichstag als vorbereitende Instanz des Wormser Religionsgespräches 1557 vgl. Bundschuh, Wormser Religionsgespräch, und mit stark theologischem Untersuchungsansatz: Slenczka, Wormser Schisma. Slenczka weist nach, dass immerhin 34 von insgesamt 89 Artikeln in Regensburg die Religionsfrage betrafen (S. 40).
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
131
Aus Rom war außer Nichtanerkennung der Abkommen nicht viel zu vernehmen. Ein Religionsgespräch sollte Klärung bringen – zu diesem Zeitpunkt eine noch aussichtslosere Idee als in den 1540er Jahren. Etwas war allerdings anders: Die Protestanten agierten stärker als je zuvor als politische Gruppe und hatten so die (vorerst) befristete Anerkennung ihrer Konfession erreicht. Die politische Gruppe war auch auf den Reichstagen präsent, nicht zuletzt durch die Publizistik. Erst allmählich wurden auch die Katholiken „in die Rolle einer Partei“180 gedrängt.181 Die Protestanten hatten offenbar den Schmalkaldischen Krieg, das Interim und die ablehnende Haltung des Papstes gegenüber dem Religionsfrieden nicht vergessen und begannen anlässlich des Regensburger Reichstages erneut mit antipäpstlicher, aber auch dezidiert antikatholischer Publizistik.182 Zentral hier: die Rekatholisierung Englands und deren Hauptprotagonist, Kardinal Reginald Pole (1500–1558). Pole war 1554 maßgeblich an der Rekatholisierung Englands unter Maria Tudor (1553–1558) beteiligt, die Eduard VI. (1547–1553) im September 1553 auf den englischen Thron folgte.183 Kurz danach kehrte die katholische Klerikerelite an den Hof zurück, darunter auch Marias Cousin, Reginald Pole.184 Die Rekatholisierung war das Hauptanliegen von Maria Tudors Regierung. Sie sorgte kurz nach ihrem Amtsantritt für die Restitution der katholischen Ordnung, machte Gesetze rückgängig, entließ protestantische Bischöfe aus dem Rat und ließ hohe Würdenträger der protestantischen Kirche verfolgen. Die Kirchengüter allerdings wollten die meisten Parlamentarier nicht wieder hergeben. Ein Gesetz im Jahr 1554 bestätigte den Papst als Oberhaupt der englischen Kirche, aber auch die Säkularisierung der Kirchengüter. Insgesamt sind während der Rekatholisierungsmaßnahmen ca. dreihundert Protestanten hingerichtet worden.185 180 181 182 183 184
185
Decot, Katholische Stände, S. 374. Vgl. Slenczka, Wormser Schisma, S. 42–46, und Decot, Katholische Stände, S. 362. Die Rezeption des Augsburger Religionsfriedens streift die Sekundärliteratur in der Regel nur, etwas ausführlicher widmet sich dem Gotthard, Augsburger Religionsfriede. Maria Tudor wird in der Historiographie als populäre Protestantenverfolgerin dargestellt, dieses kritisiert nicht zuletzt Eßer, Die Tudors, S. 67. Grundlegend zu ihm Simoncelli, Il caso Reginald Pole. Dort wird beispielsweise die Papstwahl 1549 thematisiert, bei der Pole nur eine Stimme fehlte (S. 62 ff.). Carafa sammelte damals als Inquisitionsmitarbeiter schon Beweise, dass Pole der Häresie verdächtig sei, und zog die Rechtgläubigkeit stets in Zweifel. Pole starb am gleichen Tag wie Maria Tudor, am 17. November 1558 in London, womit die Katholisierung in England wieder ein Ende genommen hatte, denn nun kam Marias Schwester Elisabeth auf den Thron, die alle zur Katholisierung getroffenen Maßnahmen wieder rückgängig machte. Vgl. Eßer, Die Tudors, S. 67–71. U. a. der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489–1556), der Bischof von Worcester, Hugh Latimer (1485–1555) und der Bi-
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
Pole war den Protestanten offenbar bekannt. Eine in Dillingen erschienene Flugschrift beschreibt die Ankunft Poles in England, den Auftakt also zu seiner Mission der Wiederangliederung der von Heinrich VIII. eingerichteten anglikanischen Konfessionsform an die katholische Kirche.186 Die Protestanten im Reich waren über die Ereignisse in England gut informiert, „auß etlichen brieffen“ bezogen sie „gantz treulich“ ihre Informationen. Pole sei mit dem Schiff angereist und von der Königin sehr pompös empfangen worden. Sie habe vorher schon ihre Hoffnung geäußert, dass „durch des herrn Cardinals fürbit“ die Vereinigung „der waren Christlichen Religion, unnd der hayligen Römischen kirchen“ geschehen sollte.187 Ein Jahr nach der Wahl Pauls IV. erschien die Flugschrift Ein new jahr,188 die sich inhaltlich zwar auf den neuen Papst, ereignishistorisch aber auf die vom Papst gebilligte Rekatholisierung Englands bezog. Die Flugschrift besteht aus drei Teilen und stellt ein satirisches Glanzstück dar: Im ersten, als dessen Autor Reginald Pole fingiert wird, wird beschrieben, wie der neue Papst nach einer Lösung für sein größtes Problem, die Ketzer, gesucht habe, im zweiten wird ein Rückblick auf die Geschichte vorgenommen, der alle bisherigen Lösungen, also schof von Lincoln, Nicholas Ridely (1503–1555) widersetzten sich der Rückgabe der Kirchengüter. Die Verfolgung wurde auch im Reich thematisiert, siehe beispielsweise The Lambe speaketh. Why do you crucifie me [Incipit], Harms Bd. II, Historica, fol. 8. Das Blatt kursierte wohl auch in deutscher Übersetzung und stellt einen Wolf da, der die Lämmer auffrisst. 186 Ein kurtze warhafftige anzeygung der ding so sich inn nechst verschinen tagen, in Engellandt, zwischen den Königlichen Maiestaten, König ung Königin, und dem hochwirdigsten Cardinal Polum, auch allen fürnembsten herren, und allem volck in ersetzung und widerbringung der rechten waren, allgemeynen Christlichen Religion verlassen haben, Dillingen, o. Dr. 1554. 187 Vgl. Ein kurtze warhafftige anzeygung der ding, fol. a3b: Es sei laut die Supplikation aller Stände des Königreiches England verlesen worden: „Wir bezeugen, das uns höchlich und hertzlich reuet des Schismatischen zwitrachts und der ungehorsam, so wir in disem Reych unnd herschafften begangen wider den Apostolischen stul“. Der Kardinal habe dieses zur Kenntnis genommen und darauf denen, die „zu der zeyt irer ketzerey verbotener weiß und wider die Gaistlich recht gemacht“, die Absolution erteilt. Das Recht zur Erteilung der Absolution erteilte er auch den Geistlichen und Ordinarien, damit sie in Zukunft den Prozess der Restitution begleiten könnten. 188 Ein new Jar, So Bapst Paulus der vierde, unser aller heiligster Vater, aus besonder milder väterlicher liebe und barmhertzigkeit (und nicht um geldt oder gut, wie vor zeiten geschehen ist) den Lutherischen gedenckt mit zuteilen. Von Gnad, Heilthumb, und Ablas, welchs der heilige Vater Bapst alles aus der heiligen Schrifft genomen hat, Eisleben, o. Dr. 1556 [HAB 375.17 Theol. (21)].
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
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Ablass, Interim und Konzil disqualifiziert, und im dritten wird dann die Lösung präsentiert. „Reginaldus Polus Anglus“ schreibt „von wegen des aller heiligsten Vaters Bapsts Pauli des vierden“ und eben über die Maßnahmen, wie der katholischen Kirche geholfen oder wie sie wenigstens erhalten werden könne. Der liebe „mitbruder der Bepstlichen heiligkeit“ mache sich Gedanken, wie sie wieder „zu iren vorigen ehren und wirden komme“.189 Oberste Priorität habe dafür, nach Meinung des Papstes, dass die Ketzer „endlich gantz und gar getilget und ausgerottet, und widerumb die alte Religion, beide im Deutschen Reich [vorhanden], und auch in viel andern Landen und Nationen möcht angerichtet werden“. Dafür müsse also zweitens dringend nachgedacht werden, denn es sei noch keine Antwort parat, wie und auf welche Weise „dennoch den armen Scheflin Petri möcht zu helffen sein“. Der Papst habe dafür bereits hart gefastet, viel gebetet, unzählige Heilige angerufen, Fürbitten gehalten, Messen halten lassen, den heiligen Geist angerufen und viel Kollekte einsammeln lassen, um herauszufinden, „was zu erhaltung und förderung der heiligen Catholischen Kirchen möcht dienstlich sein“. Nun endlich seien die guten Werke und Gebete erhört worden und „durch sonderliche einsprechung des heiligen Geistes offenbaret worden“, mit welchen Mitteln und Wegen den Ketzern zu begegnen sei. Es sei ja allseits bekannt, dass der Papst vor seinem Amtsantritt ein sehr strenges und heiliges Leben geführt habe, in dem er einen „heiligen und zuvor unbekannten ungehörten neuen Orden der Jesuiter erdacht und erfunden“ hat. Es bedürfe schon eines ganz besonders heiligen Geistes und Begabung, einen solchen Orden zu schaffen, der der Welt vorher tausend Jahre verborgen war, und es bleibe nur zu hoffen, dass diese Idee nicht nur dem Menschenkopf entsprungen sei, sondern durch „obgedachtes heiligen Geistes eingeben und einblasen ursprünglich herkome“.190 Zum zweiten Mal werden die Jesuiter als eine vom Papst geschaffene „Geheimwaffe“ beschrieben. Der Rückblick auf die vergangenen Jahre stellt bei der Bekämpfung der Ketzerei Jan Hus, Savonarola und Martin Luther auf eine Stufe. Das alles sei von der katholischen Kirche mit großer Unachtsamkeit behandelt worden und mit den vorgeschlagenen Mitteln, haben sie „selbst mehr schaden dan nutz geschafft“.191 Auch die Initiativen der Vergangenheit, wie Ablass, Konzil oder Interim, hätten den Ketzern nichts entgegengesetzt. Es sei äußerst leichtsinnig gewesen, was 189 Vgl. Ein new Jar, fol. a2a–a2b. 190 Vgl. Ein new Jar, fol. a2b–a3a. 191 Vgl. Ein new Jar, fol. a3b.
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2. Vom Papstesel zum Mörderpapst: die päpstliche Tyrannei
„Johan Tetzel mit seinem Abblas hat furgeben“. Die Menschen seien natürlich darauf gekommen, dass Leo X. damit seine Kasse aufbessern wollte: „Darumb nu hinfurt mit solchen Abblas bey den Deutschen nicht viel wesens gemacht.“ Das Pilgern zu „Heiligen und ihrem Gebein“, das durch Bruderschaften angeregt worden sei, hätte nur noch mehr „schimpff und verachtung“ als Ehre gebracht. Der fiktive Autor Pole berichtet weiter, dass die Katholiken sich bezüglich der Konzilien wunderten, warum man sie den Deutschen überhaupt zugesagt habe, „so sie doch nie dergleichen eins, wie die Deutschen begert, zu halten in willens gewesen“ seien. Die Zusagen seitens der katholischen Kirche seien so nichtig gewesen, dass logischerweise der heilige Römische Stuhl für „betrieglich, falsch, unwar, lügenhafftig und meineidig“ gehalten wurde. Das Interim und die Religionsgespräche hätten der katholischen Kirche zu viele Zusagen abgerungen, worauf die Lutherischen nur noch halsstarriger geworden seien. Man habe ihnen so „das Schwerd in die hand gegeben“ mit der Frage, warum die katholische Kirche, statt zu ihren Fehlern zu stehen, „viel umb leib und leben gebracht?“192 Paul IV. hatte offenbar nie vor, ein Konzil abzuhalten bzw. das suspendierte fortzusetzen. Dass Konzilsgerüchte im Reich kursierten, ist dennoch anzunehmen.193 Der Papst habe bereits in der Stadt Rom „durch vleissig nachforshung solche statliche, schöne, grosse unzeliche viel partickel funden, desgleichen fur dieser zeit zum teil nicht offenbaret, zum teil mit seinem rechten namen nicht genennet“.194 Das Wort „Nachforschung“ bezog sich wohl auf die Recherche zu den nachfolgenden Artikeln; die Liste mit den Anweisungen für ihre Behandlung wolle der Papst den lutherischen Ketzern „verkündigen, anbitten, schencken, geben, appliciren und auch mit gewalt auffdringen lassen“. Sie seien auf der Grundlage der Bibel entstanden, aus dem Alten und Neuen Testament, und der Papst hoffe, dadurch mehr auszurichten als durch „Concilia, Ablass, Walfart, Bann und Reformen“.195 Der dritte Teil der Flugschrift führt sodann sechsundsechzig Gründe auf, durch die die katholische Kirche gerettet werden soll, welche durch die Güte des Papstes auch den Lutheranern zu Teil werden soll.196 Die Liste versammelt Bibel192 Vgl. Ein new Jar, fol. a4a. 193 So beispielsweise auch Lutz, Christianitas Afflicta, S. 469–473. 194 Vgl. Ein new Jar, fol. a4a. 195 Vgl. Ein new Jar, fol. b1a. 196 Vgl. fol. c1a „Zettel und verzeichnung des Heilthumbs, so Bapst Paulus der 4. unser allerheiligster Vater, aus besonder, milder veterlicher liebe, den Lutherischen sie zu recht zu bringen, gedenckt mit zu teilen, oder mit gewalt auffzudringen“.
2.4 Mobilisierung: Jesuiten in Bayern
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stellen und Gleichnisse, in denen Sünde, Schuld und Verbrechen vorkommen: Als erster Punkt wird die Keule genannt, mit der Kain seinen Bruder Abel erschlug. Unter Punkt acht werden „Tugend, zucht, und Erbarkeit der Leute zu Sodama und Gomorra“ genannt, davon habe man überaus viel in Rom, ebenso „der Frösche, Leuse und unziffer“, das habe Gott schon in großen Mengen nach Ägypten geschickt. Die Stricke des Simson, das Schwert des Nemroth, das Feuer von Nadab, das Gemurre der Arbeiter, die den ganzen Tag im Weinberg gewesen waren, und die verfluchten Blätter des paradiesischen Feigenbaums – all das „wil Bepstliche heiligkeit in besonderen gnaden und reicher Indulgents an allen und jglichen in sonderheit erkennen“.197 Wie von den Autoren der Flugschrift prophezeit, brachte das Wormser Religionsgespräch keinen Fortschritt bezüglich der Religionsfrage.198 Die Flugschrift zeigt ein Jahr nach dem Augsburger Religionsfrieden zudem, dass die Skepsis der Protestanten aufgrund der Ereignisse im übrigen Europa durchaus bestehen geblieben ist. Hier wird aber auch deutlich, was sich für die folgenden Jahre bestätigen soll: Weder der administrative Apparat der Inquisition, noch die Prozesse in Rom, noch die Verfolgung der italienischen luterani außerhalb Roms finden Eingang in die deutschsprachige Flugschriftenliteratur, sondern medienwirksame „Massenverfolgungen“ bzw. „Massenrekatholisierungen“. Ob sich hier auch die These bewahrheitet, dass italienische luterani in der assoziativen Wahrnehmung wahrer Glaubensbrüder von den deutschen Protestanten anders bewertet wurden, wird im Laufe des nächsten Kapitels noch einmal zu diskutieren sein.
197 198
Ein new Jar, Fol. b1a–b4a. Vgl. Bundschuh, Wormser Religionsgespräch, und Slenczka, Wormser Schisma.
3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
3.1 Protestantenverfolgung als Thema auf dem Reichstag zu Augsburg 1559
Der bereits erwähnte Reichstag zu Augsburg war der erste unter der kaiserlichen Leitung Ferdinands. Die Eröffnung des Reichstages zog sich lange hin. Ursprünglich für November 1558 geplant, wurde der Beginn immer wieder verschoben wegen Absagen verschiedener Fürsten und wohl auch wegen eines strengen Winters, der die Anreise der Teilnehmer verzögerte. Beim Einzug des Kaisers schließlich am 31. Dezember 1558 waren lediglich Ludwig von Trient und Herzog Albrecht von Bayern anwesend. Es kursierte auch das Gerücht, Paul IV. habe den katholischen Kurfürsten die Teilnahme verboten, solange er den Kaiser nicht anerkannt habe.1 Der Reichstag begann letztendlich am 3. März 1559. Der Reichstag zu Augsburg 1559 ist insofern bedeutend, als sich erstmals protestantische Vertreter der von der Verfolgung betroffenen Nachbarländer Frankreich, Niederlande und Italien in offiziellen Supplikationen an die – nun offiziell anerkannten – evangelischen Stände wandten.2 Dieses wurde von den deutschen Protestanten sehr genau wahrgenommen. 1 2
Vgl. RTA, Reichsversammlungen, Reichstag 1559, S. 230 ff. In den edierten Akten liegen die Originale nicht vor, lediglich eine Auflistung und vom Bearbeiter erstellte Zusammenfassungen des jeweiligen Inhalts. Es handelt sich um Nr. 798 Protestantische Bürger der Stadt Metz, Nr. 799 Protestantische Christen in den Niederlanden und Nr. 800 Protestantische Christen (Waldenser) im Piemont. Die Supplikation der Protestantischen aus dem Piemont beinhaltete einen Dank für die Gesandtschaft deutscher Fürsten zum französischen König aus dem Jahr 1557 mit der Bitte, die protestantischen Christen nicht weiter zu verfolgen. Die Folge war offenbar, dass danach frei „das Evangelium gepredigt“ werden konnte. Viele Adlige würden sich zum Protestantismus bekennen. In den Gebirgsorten sei die Lage für die Protestanten immer noch am günstigsten. Im erzbischöflichen Turin werde allerdings weiter verfolgt und im Übrigen erwarte man die Restitution an das Herzogtum Savoyen, weswegen die CA-Stände aufgefordert seien, ihre Botschaften mit der Bitte um Schonung sowohl an den König von Frankreich als auch an den Herzog Philibert von Savoyen zu erneuern, damit die Verfolgung eingestellt werde.
3.1 Protestantenverfolgung als Thema auf dem Reichstag zu Augsburg 1559
137
Zur Lage in Frankreich: König Heinrich II. hatte 1547 die Chambre ardente in Paris eingerichtet, nachdem sich die Hugenotten von der Schweiz aus in immer mehr Gebieten in Frankreich auszubreiten drohten. Die Chambre ardente war zunächst für die Verfolgung der hugenottischen Mitglieder im französischen Parlament zuständig. 1551 erließ der König das Edikt von Châteaubriant, das das Prinzip der Chambre ardente auch auf die Provinzparlamente ausdehnte. Ab 1557 wurden diejenigen Protestanten der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt, die die politische Ordnung störten. Vorwürfe der Häresie wurden noch direkt durch die Kirche geahndet. Ab 1559 allerdings besagte das Edikt von Écouen, dass bei Vorwurf der Häresie nur noch die Todesstrafe verhängt werden dürfe. Bereits auf dem Kurfürstentag in Frankfurt 1558 hatte eine französische Gruppe unter der Leitung von Theodor Beza eine Supplikation eingereicht mit dem Wunsch, die protestantischen Stände mögen Heinrich II. bitten, die Verfolgung der Hugenotten einzustellen. Hintergrund war das bereits erwähnte Edikt.3 Man verhandelte offenbar über diese Supplikation und sagte den Franzosen statt einer Gesandtschaft die Abordnung einer Person zu, die dem König ein Schreiben der Kurfürsten und Fürsten übergeben sollte. Die Bürger der Stadt Metz brachten am 28. April 1559 in Augsburg durch eine Supplikation an die sogenannten CAStände vor, dass der Kaiser sich für die Zulassung evangelischer Prädikaten in deutscher und französischer Sprache beim König von Frankreich einsetzen möge. Nach Beratungen bereits am 29. April lehnten das die Stände ab, da Metz in dieser Zeit gar nicht Reichsgebiet sei. Die Bittsteller mögen auf die Restitution der Stadt warten, bis man sich darum kümmern könne.4 Zu den Verhältnissen in den Niederlanden: Am 25. Oktober 1555 hatte Kaiser Karl V. seinem Sohn Philipp die burgundischen Niederlande und am 16. Januar 1556 die Gebiete in Spanien übertragen. In seinem Testament wies Karl V. seinen Sohn ausdrücklich und mit hoher Priorität darauf hin, dass die Fortführung der Inquisition die wichtigste Aufgabe der erbländischen Politik sei.5 Philipp hielt sich zwischen 1555 und 1559 in Brüssel auf. Auf dem Frankfurter Kurfürstentag wurde auch aus den Niederlanden eine Supplikation überbracht, die auf die Verfolgung der dortigen Protestanten aufmerksam machte und gleich3 4
5
Heinrich II. und das Edikt von Chateaubriant (1552) waren auch schon Thema auf dem Reichstag zu Regensburg 1556/57. Vgl. Slenczka, Wormser Schisma, S. 353. Es sollte ohnehin eine Reichsgesandtschaft wegen der Restitutionsverhandlungen nach Frankreich entsandt werden, die Supplikation wurde offenbar bis zu deren Durchführung zurückgestellt. Vgl. RTA Reichsversammlungen (Augsburg 1559). Vgl. Kohler, Karl V.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
zeitig freies Emigrationsrecht für die Verfolgten forderte. Der Adressat in Frankfurt war Wilhelm von Oranien, er sollte das Schriftstück an Philipp II. weitergeben.6 Durch den Herrscherwechsel war es seit 1550 zu keinem neuen Edikt gekommen, doch die strenge katholische Haltung von König Philipp II. war kein Geheimnis. Es zeichnete sich während Philipps Aufenthalt in Brüssel aber auch ab, dass der burgundische Adel mehr Selbstständigkeit forderte, als er ihnen zugestehen wollte. Die Niederlande sollten komplett seiner Herrschaft unterstehen und es sollte ihnen keinerlei Eigenständigkeit gewährt werden. Auf dem Reichstag zu Augsburg wurde dann tatsächlich die Supplikation der Niederländer vom Kurfürstentag 1558 erneuert. Philipp setzte die traditionellen Streitigkeiten mit den Franzosen um italienische Besitzansprüche fort und demonstrierte die Wehrhaftigkeit Spaniens: Nach dem bereits erwähnten Frieden von Cave-Palestrina (1557) schlug der Herzog von Alba erfolgreich den französischen Vorstoß im Mittelmeer nieder, dabei standen den Spaniern stets die Truppen des Herzogtums Savoyen zur Seite.7 Schließlich kam es am 3. April 1559 zum Frieden von Cateau-Cambrésis, der die spanische Vorherrschaft in Italien und Korsika manifestierte. Der Friedensvertrag enthielt einen Zusatz über spanischfranzösische Einigkeit im Kampf gegen die Lutheraner.
Die Bluttaten in Valladolid und Sevilla 1559
Philipp II. verließ 1559 Brüssel, um in sein Stammland Spanien zurückzukehren. Die Nachfolge im Kaisertum war endgültig entschieden und nach dem Tod seiner zweiten Frau Maria Tudor auch die Bindung an England obsolet geworden. Die Niederlande übergab Philipp an seine Halbschwester, Margarete von Österreich, Herzogin von Parma (1522–1586), eine legitimierte Tochter Karls V. Der spanische König kam nie wieder in die Niederlande zurück. Er folgte in seiner Religionspolitik der Haltung seines Vaters Karl V. In seinen eigenen Ländern sollte ein strikter Katholizismus herrschen, wobei er im Reich den Protestantismus duldete bzw. im Kontakt mit einigen protestantischen Reichsfürsten zumindest dessen Existenz nicht ablehnte oder gar verfolgen ließ.8 In Spanien hatte 6 7 8
Die Supplikationen lagen offenbar den Akten des Kurfürstentages nicht bei, wie Leeb vermerkt (RTA, Reichsversammlungen, Nr. 84, S. 532). So in der Schlacht von St. Quentin (10. August 1557) und in der Schlacht von Grevelingen. Vgl. dazu Edelmayer, Philipp II., S. 91–97. Vgl. Edelmayer, Philipp II., S. 99.
3.1 Protestantenverfolgung als Thema auf dem Reichstag zu Augsburg 1559
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sich der Protestantismus nie etablieren können, die wenigen Anhänger emigrierten oder tauchten unter.9 Gegen einige war die spanische Inquisition vorgegangen, grundsätzlich aber hatte die Institution nicht mit einer großen Bewegung der Lutheraner zu kämpfen. Erstaunlich ist deshalb, dass offensichtlich gerade in den wichtigen und königlichen Städten Sevilla und Valladolid kleine lutherische Enklaven übrig geblieben waren. Philipp II. erfuhr davon noch in den Niederlanden und gab Befehl zur bedingungslosen Verfolgung und Tötung.10 Am 21. Mai 1559 wurden die Verdächtigen, unter ihnen Mitglieder des Klerus, Mönche, Nonnen und Angehörige des hohen Adels, auf die Plaza Mayor in Valladolid geführt. In der Flugschrift Kurzer Bericht, was sich für ein kläglich Schauspiel mit etlichen frommen Christen zu Valladolid zugetragen11 wurde das Szenario eindrucksvoll beschrieben. Die Flugschrift ist sehr ausführlich und besonders hinsichtlich der zeitgenössischen Einordnung der Inquisition von Interesse. Denn nach Darstellung des Verfassers sei es die „Bäpstliche Inquisition, die die Gläubigen wegen des Lutherischen und waren Christlichen glaubens halb beschuldiget“. Nicht die spanische oder kaiserliche Inquisition wurde hier erwähnt, also keine Assoziation zwischen den in den Niederlanden vom spanischen König angeordneten Repressionsmaßnahmen und den Ereignissen in Spanien wahrgenommen, sondern explizit die päpstliche Inquisition galt als Akteurin. Es ist zu vermuten, dass schon die bekannte inquisitorische Aktivität von Paul IV., der zu dieser Zeit noch lebte, bei der Deutung der Geschehnisse eine Rolle spielte. Das Szenario, das in der Flugschrift beschrieben wird, erscheint wie eine sehr eindrucksvolle Prozession, die übrigens einen dramaturgisch weitaus stärker ausgearbeiteten Charakter hat als die römischen „Gruppenabschwörungen“. In Valladolid waren „alle heuser und fenster, gassen und der Marckt gantz dicht und vol personen“. König Philipps Frau und Sohn, Johanna und Carl, waren anwesend, daneben Hofmeister, Präzeptoren, Fürsten, Admiräle, Markgrafen und Grafen.12 In der Aufzählung der bei der Hinrichtung anwesenden Geistlichen wurden neben Bischöfen und „geystlichen“ Richtern auch die „Räthe der Bäpstischen Inquisition“ genannt. Diese differenzierte Aufzählung lässt vermuten, dass die Menschen wussten, dass der Papst die Inquisitoren auch in Spanien offiziell 9
Vgl. dazu Burgos, El luteranismo; Edelmayer, Philipp II., S. 204–214; und New, Die spanische Inquisition. 10 Zitiert nach Edelmayer, Philipp II., S. 101. 11 O. O., o. Dr. 1559 [HAB 350.4, Theol. 4° (5)]. 12 Vgl. Kurzer Bericht, was sich für ein kläglich Schauspiel, fol. a2b–a3a.
140
3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Abb. 5: Hispanissche Inquisition, o. O. 1559. Das querformatige Flugblatt zeigt die Prozessionsteilnehmer, die im unten stehenden Text beschrieben sind.
einsetzte. Dreißig Gefangene seien dann in gelben Mänteln mit einem roten Kreuz auf den Platz geführt worden, in den Händen trugen sie brennende Kerzen. Den zum Tod Verurteilten waren „Papieren Bischoffs hütte auffgesetzt“ worden und man habe vor ihnen „auch ein groß Cruzifix, so mit schwarzer Leynwat bedeckt hergetragen“. Ein Dominikaner habe „ein lange predigt“ gehalten, danach seien die Urteile gesprochen worden. Die Flugschrift nennt alle dreißig Angeklagten namentlich und zudem eine bereits verstorbene Frau, deren Bildnis in der Reihe der Angeklagten getragen worden sei. Laut hätten die Offiziellen die Namen aller Angeklagten herausgerufen. Bei der Aufzählung fällt auf, dass die meisten Angeklagten höhere Beamte, Magistrate, Fiskale, Ritter oder auch Mit-
3.1 Protestantenverfolgung als Thema auf dem Reichstag zu Augsburg 1559
141
glieder des Adels waren. Dreizehn Angeklagte wurden zum Feuertod verurteilt, sie seien allerdings vorher erwürgt und nicht lebendig verbrannt worden, weil sie Einsicht gezeigt hätten. Die Übrigen wurden enteignet, mussten ihrem Irrglauben abschwören und wurden aus der Gemeinde ausgeschlossen. Am 24. September 1559 wurden in Sevilla mehr als hundert Menschen wegen schwerer Häresie verurteilt, einundzwanzig von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Philipp II. war bei beiden Autodafés nicht anwesend, im Mai war er noch in den Niederlanden und im September hielt er sich in Valladolid auf. Dort war die Inquisition in vollem Gange und dem zweiten Autodafé in Valladolid am 8. Oktober 1559 wohnte Philipp II. persönlich bei. Vierzehn Menschen wurden auf dem
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Scheiterhaufen verbrannt.13 Am 22. September 1560 wurden auch in Sevilla noch einmal in einem Autodafé Protestanten hingerichtet. Bezüglich der Berichte über die Hinrichtungen in den deutschsprachigen Flugschriften ist hervorzuheben, dass sie diese Morde, obwohl sie in Spanien geschahen, institutionell mit der römischen Inquisition, also auch mit dem Papst verbunden sahen.
Nach dem Reichstag
Der Reichsabschied, der am 19. August 1559 in Augsburg verlesen wurde, gab bezüglich der Religionsverhandlungen Folgendes als Ergebnis des Reichstages wieder: eine generelle Ablehnung von weiteren Kolloquien zum Religionsvergleich. Man hatte offenbar aus dem abermals gescheiterten Versuch in Worms 1557 gelernt. Überhaupt seien Religionsvergleichsverhandlungen bis auf Weiteres eingestellt und auf bessere Zeiten und Gelegenheiten verschoben. Daher seien weiter gültig sowohl die Vereinbarungen des Passauer Vertrages als auch die des Augsburger Religions- und Landfriedens.14 Die Situation spitzte sich zu: Weitere Religionsgespräche waren also abgelehnt, die Religionsfrage blieb ferner offiziell ungeklärt. Die CA-Stände waren von verfolgten Protestanten in den Nachbarländern um Hilfe gebeten worden, womit ihnen gleichzeitig die omnipräsente Bedrohung vor Augen geführt wurde. Das Einzige, was wohl weitgehend auszuschließen war, auch wegen der gemäßigten Doppelspitze aus Kaiser Ferdinand und König Maximilian, war ein erneuter Krieg zwischen Protestanten und Katholiken innerhalb des Reiches. Dennoch gab es für die Protestanten Gründe genug zu fürchten, die katholischen Mächte Europas könnten sich zu einem Bündnis gegen sie zusammenschließen. Wie die Supplikationen der Augsburger Reichstagsakten gezeigt haben, hatte sich – durch die eigene vermeintlich sichere Situation sicherlich gefördert – der Blick der deutschen Protestanten auf die Bedrohung ihres Glaubens auf europäischer Ebene ausgeweitet. Kurz gesagt: Rechtlich bestand der Status quo immer noch in der in Passau und Augsburg zusammen mit dem provisorischen Frieden be13
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Vgl. Edelmayer, Philipp II., S. 102 f. Generalinquisitor war damals Fernando de Valdés (1483–1568), wohl der Bruder von Juan Valdés, der in Italien den spiritualismo eingeführt hat. Vgl. RTA Reichsversammlungen (Augsburg 1559), Nr. 806, Reichsabschied, hier die Paragraphen 3–5.
3.2 Rom formiert sich neu: Das Konzil wird beendet
143
schlossenen Vereinbarung, dass man auf die Wiedervereinigung der beiden Konfessionen hinarbeite. Faktisch war dieses aber längst ausgeschlossen, und so stand zu befürchten, dass Klärung über den Weg der Gewalt gesucht würde.
3.2 Rom formiert sich neu: Das Konzil wird beendet Die politischen Hinterlassenschaften Pauls IV.
Nach dem Pontifikat Pauls IV. galt es für seinen Nachfolger, die Schäden in den römisch-habsburgischen Beziehungen zu reparieren und die Reputation des Papsttums aufzubessern. Noch im Dezember 1559 konnte das Konklave in Rom erfolgreich beendet werden. Mit der Wahl Pius’ IV. de Medici (1559–1565) änderte sich denn auch der Kurs der römischen Politik. Eine deutschsprachige Flugschrift berichtet über den neuen Papst, indem sie das Krönungszeremoniell detailliert darstellt: Mit „Pracht und Gespreng“ sei der neue Papst in sein Amt gehoben worden. Er sei auf einem goldenen Stuhl sitzend in die Kirche St. Peter eingezogen, wo ihm vier Kardinäle die Krone aufgesetzt hätten. Es werden das Feuerwerk und die lange Prozession nach San Giovanni in Laterano beschrieben, aber es wird kein Wort über seinen Vorgänger oder dessen Politik verloren.15 Pius IV. ließ Giovanni Morone, der unter Paul IV. verhaftet und in der Engelsburg festgehalten worden war, frei.16 Obwohl der neue Papst den unter seinem Vorgänger enormen Einfluss des römischen Glaubenstribunals deutlich beschränkte, setzte sich in seinem Pontifikat die Verfolgung des religiösen Dissenses mittels der Inquisition weiter fort. Denn der Glaubenskampf hatte auch für Pius IV. oberste Priorität.17 Bezüglich der Inquisition hatte es Pius IV. nicht 15
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Gewisse zeyttung mit was Pracht und Gespreng im anfang dises 1560. Jars zu Rom gekrönt sey der yetzige Pabst Pius iiii. zuvor genannt, Johannes Angelus de Medicis, Cardinalis S.Stephani in Coelio Monte, o. O., o. Dr. 1560 [HAB 32.22 Pol. (33)], fol. a2a–a2b: Am 6. Januar sei der Papst von einem „Zymmer […] inn einem gulden Sessel in S. PetersKirchen getragen worden. […] Alda haben ir vier Cardinal dem Bapst die Bäpstlich Kron auffgesetzt.“ Als man Geld in die Menge geworfen habe, seien durch das Gedränge zweiundzwanzig Personen zu Tode gekommen. Dazu siehe Firpo/Marcatto, Il processo inquisitoriale. Hinsichtlich der inquisitorischen Tätigkeiten Pius’ IV. siehe Paschini, Venezia e l’inquisizione. Da auch Pius IV. vor allem mit dem Abschluss des Konzils in Verbindung gebracht wird, erfährt er – ähnlich wie Julius III. – ein nachsichtiges Urteil in der Ge-
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
besonders einfach, den Imageschaden der Kurie wiedergutzumachen, das galt aber vor allem für ihr Ansehen in der Stadt Rom. In einer Bulle aus dem Jahr 1562 forderte er das römische Volk auf, die beim Sturm auf den Inquisitionspalast erbeuteten Gegenstände an die Behörde zurückzugeben, was vor allem die Bücher betraf.18 Weiter war die Behörde offenbar so unbeliebt, dass sich bei der Personalrekrutierung größere Schwierigkeiten ergaben. So wurde 1562 fieberhaft nach Notaren gesucht.19 Die römische Inquisition war durch das Pontifikat Pauls IV. im stadtrömischen Wahrnehmungshorizont äußerst präsent geworden. In den römischen Avvisi heißt es kurz nach Amtsantritt Pius’ IV.: „S.S.ta ha pur voluto ternire in piedi l’inquisitione ma solo circa le cose della religione per mantenimento della S.ta Sede Appostolica.“20 Dass direkt nach der Wahl diese Bemerkung über die zu erwartende Inquisitionspolitik gemacht wurde, zeigt noch einmal, wie sehr Paul IV. es offenbar mit seinem Regiment übertrieben hatte. Man nahm erleichtert zur Kenntnis, dass die Inquisition nur noch für Religionsangelegenheiten zuständig sein sollte, und dass sie nicht mehr als allumfassende Kontrollinstanz über das Leben der Römer wachte. Die Absichten Pius’ IV. dürfen aber nicht unterschätzt werden, denn ein den Protestanten zugeneigter nach Kompromissen suchender Papst war Pius IV. keineswegs.21
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schichte der Inquisition. Vgl. Romeo, Predicazione e Inquisizione; siehe auch Carcereri, Appunti e documenti. Pastoris esterni, 1562 – Motus proprius S.D.N.D. Pii divina providentia Papae IIII. In favorem Inquisitorum hereticae pravitatis, Quod procedere possint contra Regulares. Pius Papa quartus, ad futuram reio memoriam. Für den Hinweis auf diese beiden päpstlichen Bullen danke ich herzlich Hermann H. Schwedt. Die „Stellenausschreibungen“ finden sich in den Litterae apostolicae pro officio sanctissimae inquisitionis, 1585, Biblioteca Casanatense [Q VI. 37]: Pastoralis officii, 1561 – Bulla Sanctissimi Domini Nostri Pii divina providentia Papae quarti Concessionis facultatis eligendi Notarios in causis officio Inquisitionis spectantibus. Biblioteca Apostolica Vaticana (BAV), Urb.Lat. 1039, fol. 144r. Pius IV. beauftragte eine Kardinalskommission, den ersten Index von 1559 zu überarbeiten. Der zweite offizielle Index trug den Namen Index librorum prohibitorum und sollte bis zum 20. Jahrhundert Gültigkeit behalten. Darin enthalten sind auch zehn allgemeine Indexregeln, die Vorzensur, Bücherverbot, Korrektur und Expurgation (Reinigung) von verbotenen Werken betreffen und generell eine gemäßigtere Sichtweise als die Pauls IV. erkennen lassen. Grundsätzlich wird dem Pontifikat Pius IV. der Beginn einer neuen Haltung in der Auseinandersetzung mit den Protestanten zugeschrieben, die darin bestand, einerseits auf jegliche Versuche der Annäherung oder gar Wiedervereinigung mit den Abtrünnigen – wie sie während des Religionsgesprächs von 1541 noch unternommen worden waren – zu verzichten, aber andererseits die eigene Kirche durch Reformen zu erneuern. Vgl. Fitos, Zensur, S. 31, und auch Ganzer, Aspekte der katholischen Reformbewegung, S. 28–31.
3.2 Rom formiert sich neu: Das Konzil wird beendet
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Protestanten verweigern das Konzil endgültig
Wie stand es um das Konzil, dessen Weiterführung und Beendigung unter Paul IV. keine Rolle mehr gespielt hatte? Die Teilnahme deutscher Protestanten an einem wiedervereinigenden Konzil erwies sich Anfang der 1560er Jahre nur noch als bloße Utopie.22 Anlässlich der päpstlichen Werbung im Reich für das Konzil erschien 1562 in Tübingen eine Vergerio zugeschriebene Flugschrift, die sich direkt an den päpstlichen Legaten wandte.23 Daraus geht deutlich die Angst der Protestanten hervor, dass das von Pius IV. wiedereröffnete Konzil einzig den Sinn der Revision des Augsburger Religionsfriedens haben würde. Die „widersacher“ des Papstes würden nicht am Konzil teilnehmen, denn das Konzil sei falsch, da es einzig der Beratung diene, wie man die Protestanten mit Krieg und Blutvergießen niederzwingen könne: „Damit ir uns das Evangelium wider mit gwalt nemet unnd euch wider inn euern alte stand einsetzet.“24 Ein Konzil wäre nur sinnvoll, wenn die katholische Kirche den „bitter Hass unnd eiffer wider uns [die Protestanten] nach liesse“ und die Kurie den Nutzen der protestantischen Kirche erkennen würde. Ein Zeichen für die Anerkennung wäre es, wenn „es also soweit käme, dass die Protestanten in Rom den Papst mitwählen“. Erst dann „würde die gantz Christenheit […] grosser lob und ehr verliehen“.25 22
Am 2. Dezember 1560 ging die Berufungsbulle Ad ecclesiae regimen aus, die das allgemeine Konzil ausschrieb. Pius IV. wollte unter allen Umständen einer Nationalsynode in Frankreich entgegenwirken, da er eine zunehmende Protestantisierung fürchtete. Die französische Regierung versprach sich hingegen von einem Nationalkonzil dessen Eindämmung. 23 An den hochwirdigen und durchleuchtigen herren, Herrn Hippolyten Estensem, des Babsts in Teutschland und Franckreich Legaten. Vom Trientischen Concilio Unnd furnemlich von den ayden, mit welchn die Bischöff im Babstumb verstrickt werden, Tübingen, o. Dr., Februar 1562. Vgl. dazu außerdem Brockmann, Konzilsfrage, S. 385–388. Brockmann erwähnt hier ausführlich die bekannte Schrift Vergerios, Actiones duae secretarii Pauli Papae, die 1559 erstmals erschien. Vergerio verfasste drei an Paul IV. gerichtete fiktive Gutachten, die den Widerspruch zwischen Konzil und Religionsfrieden sowie zwischen Kirchenrecht und Reichsverfassung diskutieren. Vgl. dazu auch Lutz, Christianitas, S. 470–474. 24 Vgl. Vom Trientischen Concilio, fol. b4a: „Dann zu einem verdechtigen Concilium das ir unverschempt an stellet, wede eure widersacher nicht kommen. Aber ein unverdechtig one allen falsch Concilium wurd wider euch sein, ich wais auch will das ir radtschlaget under einander krieg und blutvergiessen anzurichten.“ 25 Vgl. Vom Trientischen Concilio, fol. b4b: „[…] und dargegen E.H dieser groß unnd unausprechlich nutz entstehn möchte.“
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Die protestantischen Fürsten lehnten also eine Beteiligung an einem päpstlichen Konzil ab. Aufgrund der vertraglichen Absicherung des Religionsfriedens bestand für eine Teilnahme auch wenig Veranlassung. Am 7. Februar 1561 sagten sie den päpstlichen Gesandten ab und begründeten dann wenig später auch vor Ferdinand I. ihre Nichtteilnahme.26 Der Papst habe vor, uns „mit nichts anders dann mit einer Condemnation unserer Religion“ zu begegnen, und er würde mit einem Konzil nur neue Planungen anregen wollen, „wie er die reine lehr des hailigen Evangelii mit feindtlichen anschlegen, feuer und schwerdt vertilge, und sein Antichrist wesen, macht und gewalt, Gott und der Welt zu trotz erhalten möge“.27 Dann folgten etliche Punkte, die die ursprüngliche Argumentation der Konzilskritik wieder aufnahmen, beispielsweise dass der Papst den Vorsitz des Konzils selbst übernehmen wollte. Dann wurden drei zentrale Punkte aus der bisherigen Geschichte der Konzilien überhaupt genannt, die für die hier relevante Fragestellung von zentraler Bedeutung sind: Schon Papst Leo X. habe eine Bulle erlassen, die alle der Confessio Augustana Zugehörigen „excommuniciert und verbannet“ hat. Zweitens habe Paul III. schon Karl V. sehr schlecht beeinflusst, indem er ihn zum Krieg gegen die Protestanten verleitet habe, und schließlich sei „auch viel Edict noch vorhanden, darinnen die Römische Bischoffe gepotten die jhenige so gedachter Stend lehr annemen mit grausamen peenen zu belegen und anzugreiffen“.28 Die Nennung der in der Folge des Schmalkaldischen Krieges erlassenen Edikte lässt die Vermutung zu, dass es sich hier um eine Anspielung auf die Politik Karls V. in den niederländischen Erblanden handelt, die die bischöfliche Inquisition stützte. Die oben erläuterte „Doppelstrategie“ des Kaisers in den 1540er Jahren, einerseits durch die Planung von Religionsgesprächen den Wunsch nach Ausgleich zu suggerieren, andererseits in seinen Erblanden die protestantischen Glaubensbrüder zu verfolgen und schließlich einen Krieg gegen die deutschen Protestanten anzuzetteln, ist den Protestanten offenbar nachdrücklich in Erinnerung geblieben. Für ihre Ablehnung der Teilnahme an dem Konzil zählten die protestantischen Kurfürsten noch einen weiteren Grund auf, der über die bloße Frage der Konfessionen hinausging. Die Fürsten standen auf dem Standpunkt, „das auch dem 26
Gründtlicher bericht und warhafftige erklerungh deren ursachen, warumb die Durchluchtigsten Chur und fursten und sonst die Stende der Augspurgischen Confession zugethon, das verdechtigh vermeint von Bapst Pio Quarto verkundigt Tridentinisch Concilium nith haben besuechen wollen, An die Rom.Kay.Maiest.geschrieben, o. O., o. Dr. 1564. 27 Gründtlicher bericht, fol. a4b–b1a. 28 Vgl. Gründtlicher bericht, fol. c1a.
3.2 Rom formiert sich neu: Das Konzil wird beendet
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Römischen Bischoffe uber die Stend des Reichs und also auch uber die Augspurgischs Confession verwandte kaine Jurisdiction oder Obrigkeit zustehe“. Auch dem derzeitigen Papst, dem „Römisch Bischoff Pius Quartus“, sei in dieser Hinsicht jedes Recht abzusprechen, weil er „mit anderer seiner vorfaren dem Gottlichen wort zu widder gemachten traditionen fortgefaren“.29 Im letzten Absatz der Flugschrift baten die Fürsten den römischen Kaiser, dass „kain Tyranney widder unschuldige Christen des Christlichen Glaubens halben geübt [...] und fürgenommen werde“.30 Die Anfrage war eindeutig: Ob der zunehmenden Bedrohung für evangelische Gläubige in mittlerweile fast allen Nachbarländern bittet man den Kaiser als obersten Schutzherrn der Kirche um Hilfe. Die Angst der Zeitgenossen vor einem gewaltsamen Vorgehen gegen Protestanten war allgegenwärtig.
Eine neue Maxime für die Katholiken
Am 18. Januar 1562 wurde die dritte Tagungsperiode des Konzils in Trient eröffnet. Im folgenden Jahr wurden von ihm Dekrete zu allen Bereichen des kirchlichen Lebens erlassen. Am 4. Dezember 1563 wurde das Konzil in Trient feierlich beendet. Die Durchsetzung der Dekrete fand in sehr verschiedener Art und Weise statt, am meisten zeigten sich die Ergebnisse in einer Vielzahl von Neugründungen (Universitäten, Kollegien und Seminare), in der optimierten Seelsorge und zunehmenden Visitationen.31 Wichtiger als die kirchliche Praxis war aber der „Mythos“ Trient, der der katholischen Partei neue Richtlinien und Verhaltensmuster lieferte.32 Am 30. Juni 1564 traten die Konzilsdekrete in Kraft.33 Die Annahme der Dekrete durch das gesamte Reich, wie der Papst es gewünscht hatte, war ausgeschlossen, so blieben allein die katholischen Stände, die sich mit der Durch29 Gründtlicher bericht, fol. c2a und c4a. 30 Vgl. Gründtlicher bericht, fol. h3a: Die Schrift endet mit dem Satz: „Unterschrieben mit Chur und Fürsten Augspurgischer Confession zugethane“. 31 Ausführlicher zu der Wirkungsgeschichte des Konzils siehe den von Wolfgang Reinhard und Paolo Prodi herausgegebenen Sammelband Das Konzil von Trient und die Moderne. Vgl. Reinhard, Modernisierung, S. 41: „Im 16. Jahrhundert aber gab der ‚Mythos Trient‘ 32 der alten Kirche das, was die am nötigsten brauchte, eine neue Selbstgewissheit.“ 33 Die Bulle Benedictus Deus enthielt ein Monitorium, das den weltlichen Obrigkeiten nahelegte, die Konzilsdekrete durchzusetzen – auch unter den Häretikern. Vgl. Repgen, Reich und Konzil, S. 69, und auch Ganzer, Konzil.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
setzung befassen mussten. Im Reich war ein bevorstehender Reichstag bereits Gesprächsthema, zunächst starb aber am 25. Juli 1564 Kaiser Ferdinand I. und der Nachfolger, sein Sohn Maximilian, musste gewählt werden. Maximilian II. stand in vielem den Protestanten nahe und war, darin seinem Vater ähnlich, ein friedliebender Kaiser, der stets bemüht war, Konflikte im Dialog zu lösen. Sein Anliegen war es nicht, auf die unbedingte und, wenn nötig, gewaltsame Durchbringung der Konzilsdekrete zu pochen. Diese Tatsache gab der Kurie Anlass zur Sorge, wie den Nuntiaturberichten zu entnehmen ist.34 Die diplomatische Mission des Kardinals Morone (1563) und des päpstlichen Nuntius am Kaiserhof, Zaccaria Delfino (1561–65), die für den Abschluss des Konzils bzw. für die Bestätigung der Konzilsdekrete zu werben hatten, war schwierig: Allerorten wurde geargwöhnt, dass Rom auf eine gewaltsame Durchsetzung der Beschlüsse und auf eine Revision des Augsburger Religionsfriedens hinarbeiten würde.35 Verkompliziert wurde die Situation zusätzlich dadurch, dass sich die Protestanten nach dem Augsburger Frieden 1555 anschickten, in vier einzelne Lager zu divergieren, was sich nicht unbedingt positiv auf die Stabilität der Konfession auswirkte.36 Zudem war durch die unterschiedlichen Lehrmeinungen eine Einigung mit den Katholiken noch undenkbarer geworden. Die eigene Unstimmigkeit schwächte die Lutheraner in diesen Zeiten enorm. Den Zeitgenossen war aber offenbar klar, dass nur der Verzicht auf Einigung „die politische Stabilität und die Handlungsfähigkeit des Reiches“ wahren konnte.37
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Der erste Nuntius, der unter Pius IV. wieder im Reich stationiert wurde, war Stanislaus Hosius (erste Audienz beim Kaiser am 23.4.1560). Im September wurde ihm Zaccaria Delfino als außerordentlicher Nuntius zugeordnet, der nach einer Reise durch Süddeutschland ab Juni 1561 die ordentliche Nuntiatur am Kaiserhof innehatte. Vgl. Caravale, La polemica protestante; Krasenbrink, Die Congregatio Germanica, insbesondere S. 18; Squicciarini, Die apostolischen Nuntien in Wien, S. 61–65; Nuntiaturberichte aus Deutschland. Nuntius Delfino 1562–1563; Nuntiaturberichte aus Deutschland. Nuntius Delfino 1564–1565. Lanzinner/Heil machen in der Einleitung zu den Reichstagsakten 1566 folgende Unterscheidung: Gnesio-Lutheraner in Sachsen, Philippisten in Kurbrandenburg und Kursachsen, orthodoxe Lutheraner in Württemberg und Reformierte in der Pfalz, vgl. S. 105. Vgl. Heil, Reichspolitik Bayerns, S. 305.
3.3 Der Mythos von Bayonne 1565
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3.3 Der Mythos von Bayonne 1565 Wie alles begann
Das Herunterreden einer brisanten Sache im Vorfeld führt in der Regel zu Misstrauen. Als Philipp II. am 1. Februar 1565 aus Madrid an Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz schrieb, dass das für Juni/Juli geplante Treffen in Bayonne an der spanisch-französischen Grenze einen rein familiären Hintergrund habe (seine Ehefrau Isabella war die Tochter der französischen Königin Katharina von Medici) und man keine weiteren Absichten hege, war der Argwohn des Pfälzers geweckt: Ein Treffen zwischen spanischer und französischer Krone an der Grenze zu den Niederlanden konnte auch ganz andere Ziele haben. Damit erreichte Philipp also genau das Gegenteil dessen, was er mit seinem Brief bezweckt hatte, denn er fürchtete ganz zu Recht, dass im Reich angesichts dieses Treffens sofort andere Absichten unterstellt werden würden, und gerade dem, so schrieb er an Friedrich, wolle er mit der frühzeitigen Information vorbeugen. Friedrich III. solle die Gerüchte abfangen und im Reich die wahren Gründe für die Zusammenkunft erklären.38 Offenbar hatte Philipp seinen Brief zunächst an seine Tante Margarete von Parma in Brüssel gesandt, sie jedenfalls fügte dem weitergeleiteten Brief ein Schreiben bei, das die freundschaftlichen Absichten Spaniens betonte. Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz (1515–1576) trat spätestens seit der Erlangung der Kurwürde im Jahr 1559 energisch für die Sache der Protestanten ein. Durch die geographische Nähe zu den französischen Hugenotten und den Einfluss der Calvin’schen Schriften im Südwesten des Reiches formierte sich am Heidelberger Hof immer stärker eine reformierte Bastion. Seit Erscheinen des Heidelberger Katechismus 1563, in dem sich der Pfälzer Kurfürst zum reformierten Glauben bekannte, weshalb er seither als „Pionier-Calvinist“ unter den deutschen Kurfürsten galt, wurden auch Rufe nach deren expliziter Anerkennung im Augsburger Religionsfrieden laut.39 Die zahlreichen sich ausbreitenden Jesuitenkollegien im Rheingebiet und die zunehmende Präsenz der Spanier in den Niederlanden lösten bei den pfälzischen Reformierten zunehmend ein Gefühl der Angst aus. Zweifellos war der pfälzische Protestantismus der exponierteste 38 39
Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 296. Vgl. Kluckhohn, Zur Geschichte, S. 154: „[…] (auf die Liga) weist Friedrich wie auf ein die ganze protestantische Welt bedrohendes Ereignis hin, wenn er die Mitfürsten immer und immer wieder zur Wachsamkeit im eigenen Vaterlande auffordert.“
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
im Reich.40 Kurfürst Friedrich war dennoch misstrauisch geworden. Er schickte den Brief Philipps II. an den Landgrafen Philipp von Hessen mit den Worten: „Obwohl in die großen Herren solcher Zusammenkunft wegen kein Mißtrauen zu setzen, so kann doch nicht schaden, daß man derselbigen etwas Nachdenkens habe, was sie endlich anspinnen und zu Wege bringen möcht, in Betrachtung, daß Vielen bewußt, welchher Gestalt die alte Königin von Frankreich gesinnet und wie sie sich bisher verhalten.“41
Erste Tumulte in Frankreich
Warum war das Misstrauen gegenüber Katharina von Medici so groß? Der französische Konflikt hatte neben religiösen Aspekten auch dynastische Hintergründe. Im Religionsgespräch von Poissy 1561 kam es nicht zu einer Einigung, allerdings 1562 zum hugenottenfreundlichen Edikt von Saint-Germain, in dem den Hugenotten freie Religionsausübung außerhalb der Städte zugesichert wurde. Katharina von Medici hatte sich zur Entmachtung der Guisen auf die Seite der Hugenotten geschlagen. Ihr Sohn Franz II. von Guise wollte diese Toleranzpolitik ebenso wie seinen Machtverlust mit allen Mitteln verhindern und griff 1562 in Vassy die Hugenotten an, daraufhin brach der sogenannte erste Hugenottenkrieg in Frankreich aus. Nachdem sich Louis I. de Bourbon, Fürst von Condé, auf der Seite der Hugenotten und die Herzöge von Guise für die katholische Front formiert hatten, kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Franz II. von Guise starb im Februar 1563 bei der Belagerung von Orléans.42 Katharina von Medici wollte die Lage des Landes wieder stabilisieren und schloss einen Waffenstillstand und einen daraus stammenden vorläufigen Religionsfrieden, der im Edikt von Amboise manifestiert wurde. 40 41 42
Zu Friedrich III. siehe immer noch Kluckhohn, Friedrich der Fromme; und auch Birma, The doctrine. Friedrich am 1. März an Philipp von Hessen, zitiert nach Kluckhohn, Briefe, Nr. 296, Anm. 1. Franz II., der mit der schottischen und katholischen Königin Maria Stuart verheiratet war, deren Mutter wiederum eine Guise war und daher auch Franz II. von Guise ein Onkel von ihr, starb nach einjähriger Regentschaft 1560, woraufhin Katharina von Medici für ihren minderjährigen Sohn Karl IX. die Regentschaft übernahm. Die Mutter von Maria Stuart war Mary von Guise, die Königin von Schottland. Ihre Verwandtschaft in Verbindung mit der strengen katholischen Politik soll später noch eine Rolle spielen, vgl. die Biographie von Ritchie, Mary of Guise.
3.3 Der Mythos von Bayonne 1565
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Das Religionsgespräch von Poissy 1561 hatte noch den Eindruck erweckt, dass Katharina den Hugenotten entgegenkommen wollte. Dann aber drehte sich mit dem „Blutbad von Vassy“ am 1. März 1562 das Blatt und man meinte, die wahren Absichten der Regentin erkannt zu haben, nämlich die „Ketzer“ alle zu töten, wie der Kurtze bericht der Greulichen wütereien und niderlag, so der Hertzog von Guise sampt den seinen in der stat Wassy wider die frommen Christen begangen demonstriert.43 Schnell wurde dem Anführer und Verteidiger der Hugenotten, dem Fürsten von Condé, die Solidarität der deutschen Glaubensgenossen bekundet, wie beispielsweise die Schrift Grundtliche ursach zeigt.44 Es könne nur zur Befriedung des Konflikts kommen, wenn „niemand mehr von wägen beyder parthey Religon yemandt für ein auffrürigen unnd ungehorsammen verdammen solle“. Es dürfe keine Gewalt mehr angewandt werden und für ein sicheres Leben sollen auch „die Richter in den Provinzen unnd landtschafften nit leyden dass yemand auß disen so der Reformierten lehr unnd dem Evangelio anhengig verfolget werde“. Es sollte ein Religionsgespräch geben, das Katharina von Medici anberaumt habe, weil „sie understanden in der Kirchen frid unnd einigkeit anzurichten“, man habe also die Bischöfe und Prelaten zusammenbestellt und auch „ettliche Theologos auß der hohen Schul von Pareyß, unnd ettliche Münch wölche der Cardinal von Ferrar auß Rom mit ihm harzu gebracht dazu genommen“. Es seien auch „zwölff Evangelische Kirchendiener“ anwesend gewesen, damit sie ihre Lehre „mitt den Bäbstischen sich freundtlich ohn allen zanck, 43
44
Hinzu kamen verwandtschaftliche Verstrickungen: Charles de Guise (1524–1574) war Kardinal von Lothringen und der Bruder von Marie de Guise (1515–1560), die wiederum die Mutter Maria Stuarts (1542–1587) und damit Schwiegermutter von Franz II. von Frankreich war. Ebenfalls ein Bruder von Charles war François de Guise (1519– 1563), der mit Anna d’Este (1531–1607) verheiratet war, einer Tochter von Renée von Frankreich (1510–1575) und des Herzogs Ercole II. von Ferrara (1508–1559). Hier waren also durch eine Familie Dynastien dreier Länder miteinander verbunden: Frankreich, Italien und Schottland, nähme man die Schwägerin Maria Stuarts, Isabella von Spanien, noch hinzu, die wiederum eine Tochter Katharina von Medicis war, käme ein viertes, urkatholisches Territorium hinzu. Zu den Guise siehe Carroll, Martyrs and Murderers. Vgl. dazu auch den Aufsatz von El Kenz, Mediale Inszenierung, der sich der französischen Rezeption der Ereignisse in Vassy widmet. Grundtliche ursach von erster ursprung der ietzschwäbenden französischen kriegen und empörungen mitt wölchen Franckreych schwerlichen geängstigt: den hochwürdigsten und Durchleuchtigsten deß heyligen Römischen Reichs und Teutscher Nation Churfürsten von deß Durchleuchtigen Fürsten Ludwig von Conde Legaten zu Franckfurdt, in deß heyligen Reichs gesessenem Rath für getragen, an dem iiii tag Wintermonat Anno 1562, gedruckt am 22. März 1563, o. O., o. Dr.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
neyd oder Hass erspraachen möchten“.45 Katharina von Medici wurde hier also wieder als den Protestanten wohlgesonnen wahrgenommen, was, wie man sich erklärte, allein von den Guisen gegenteilig beeinflusst worden sei. Der Kardinal von Lothringen sei hingegen den Evangelischen mit Hochmut begegnet, „nur dass er dem Bapst zu Rom sein schuldige pflicht leystet und der Künigin ehrlich fürnemmen verhinderet“, und die Gerichte und politisch ehrlichen Menschen seien vom Papst beeinflusst, nur so habe es zu den blutigen Auseinandersetzungen kommen können.46
Gab es also das Heilige Bündnis?
Bezüglich des Treffens in Bayonne liest man interessanterweise in den römischen Avvisi im April 1565, dass über diplomatische Verbindungen verhandelt werde und darüber, ob auch ein Vertreter des Papstes an dem Treffen in Bayonne teilnehmen solle.47 Nicht nur, dass das Treffen in den Avvisi überhaupt erwähnt wurde, sondern auch die Tatsache, dass der Papst offenbar in das Treffen involviert war, gab im Reich Anlass zu den allergrößten Spekulationen. Das Treffen 45 Vgl. Grundtliche ursach von erster ursprung, fol. b2b: „Es ist auch beschlossen dass nun fürohin der sachen halben niemandt mehr von Gemeinen oder besonderen personen solle gewalt beschähen.“ 46 Zwierlein widmet sich in Discorso und Lex Dei den französischen Religionskriegen, allerdings weniger den Kommunikationsprozessen als der Entstehung politischer Denkrahmen. Für die Rezeption in Frankreich sei verwiesen auf Racaut, Hatred in print; Palliers, Recherches sur l’imprimerie; Racaut, Persecution. Nicht zuletzt sei hingewiesen auf das Nachschlagewerk von Jouanna, Histoire et Dictionnaire. An der Universität Mainz entsteht gerade ein Dissertationsprojekt zur Rezeption der französischen Religionskriege im Reich. Ich danke Alexandra Rohschürmann für den hilfreichen Austausch. 47 Bibliotheca Apostolica Vaticana (BAV), Urb. Lat. 1040, Rom (3. April 1565), fol. 3r: „Il Re Christianenismo ha richiamato il Cardinale della Bordesiera et si dice che sua M.ta Ha concesso al suo Ambasciatore che non communichi piu le facende il detto Cardinale M.Lodovico Antinori va a portar la cosa alla Regina di Spagna il qual intravenira andes per nome del Papa all’abboccamento, che si farà a Baiona.“ Der nächste Eintrag findet sich am 7. April, fol. 9v: „Hieri arrivo un corier di Francia porta eben la Regina andaria presso all’abboccamento a Baiona, et che havea mandato a chiamar L’Amiraglio et Principe di Conde, per cavarli di sospetto.“ Im gleichen Band findet sich eine genaue Beschreibung des Treffens von Aonio Paleareo (fol. 170ff.), der allerdings nur sehr detailliert das Zeremoniell erklärt, beispielsweise mit Ausführungen zu den Kleidern der Königinnen.
3.4 Reichstag zu Augsburg 1566
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selbst scheint hingegen tatsächlich eher harmlos verlaufen zu sein, jedenfalls wurde das große Bemühen der protestantischen Historiker, in den Quellen Beweise für ein „Heiliges Bündnis“ zu finden, nicht belohnt.48 Doch spätestens mit dem harten Vorgehen der Spanier in den Niederlanden und der Bartholomäusnacht gab es für die Zeitgenossen (und auch für die Geschichtsschreibung) Gründe genug, dem Treffen große Bedeutung zuzuerkennen.49 Warum begab sich Friedrich III. in die Position des stimmungsmachenden Propagandisten? Zunächst verfügte der Heidelberger Hof bereits Anfang der 1560er Jahre über erstklassige Informanten – nicht zufällig wurde Friedrich direkt vom spanischen König informiert und nicht die anderen lutherischen Kurfürsten im Reich. Auch kamen die Gesandten des Fürsten von Condé schon aus geographischen Gründen zunächst an den Heidelberger Hof. Friedrichs Sohn Johann Casimir sagte den Condé’schen Fürsten militärische Unterstützung zu.50 Die übrigen lutherischen Fürsten zu informieren, sah Friedrich als seine Aufgabe. Aber dahinter steckte mehr. Glaubt man den Berichten der Gesandten, die am Hof des Pfälzer Kurfürsten im September 1565 über das Treffen in Bayonne berichten, so handelte es sich um ein friedliches, schönes Fest, das da gefeiert wurde. Man habe zwar über Religionssachen gesprochen, sich aber darauf geeinigt, dass sich alle an die bereits erlassenen Edikte halten mögen.51 Das mochte zwar den Kurfürsten fürs Erste beruhigen, die Gerüchte im Vorfeld des Augsburger Reichstages schienen sich allerdings zu überschlagen.
3.4 Reichstag zu Augsburg 1566 Zur Vorgeschichte
Es war dann auch Friedrich, der über den Heidelberger Hof die Bittschrift der niederländischen Protestanten erhielt, und zwar über einen Abgesandten, der 48
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Kluckhohn betont Mitte des 19. Jahrhunderts, dass die Geschichtsschreibung dem Treffen in Bayonne traditionsgemäß viel zu viel Bedeutung beigemessen habe. Erst durch die Analyse der Briefe von Alba an Philipp II. würde die Forschung langsam zu dem Schluss kommen, dass weder ein Bündniss geschlossen noch europaweite Protestantenverfolgungen vertraglich manifestiert wurden. Vgl. Kluckhohn, Zur Geschichte, S. 153. Zu diesem Urteil kommt Kluckhohn, Zur Geschichte, S. 166. Vgl. Kluckhohn, Zur Geschichte, S. 159 f. Kluckhohn, Briefe, Nr. 311.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
auch den Reichstag zu Augsburg besuchte. Die Gerüchte, dass auch die französische Krone ein neues Blutbad gegen die Protestanten plane, gingen mit den Berichten im Vorfeld des Augsburger Reichstages einher.52 Der „einhalt der Hispanischen Inquisition und des concilii zu Trient“ war das brisanteste Thema bei der Vorbereitung des Augsburger Reichstages. Die niederländischen Protestanten hatten keinen Zweifel, dass hinter dem Willen Königs Philipps II., die spanische Inquisition in den Niederlanden einzuführen, der Papst steckte.53 Die Lage in den Niederlanden hatte sich seit 1559 deutlich verschärft. Kurz nach Amtsantritt von Philipps Halbschwester Margarete von Parma als Generalstatthalterin der Niederlande war 1559 mittels päpstlicher Bulle noch durch Papst Paul IV. die territoriale Neuordnung der niederländischen Diözesen veranlasst worden.54 In den Bistümern sollten je zwei Inquisitoren aktiv werden, die aus dem Personal des jeweiligen Domkapitels rekrutiert wurden. Damit knüpfte Philipp II. an die Tradition der Ketzeredikte seines Vaters, Karls V., an. Die Verschärfung der inquisitorischen Glaubenskontrolle durch neue Inspizienten, für deren Einsetzung Kardinal Granvelle als Hauptverantwortlicher angesehen wurde, provozierte die entschiedene Opposition des niederländischen Adels. 1564 musste Philipp II. Kardinal Granvelle nicht nur auf Druck des Adels, sondern auch auf Verlangen Margaretes von Parma entlassen. Nichtsdestoweniger zeigte sich der König jedoch unnachgiebig hinsichtlich der Ketzeredikte, die er im Oktober 1565 ausdrücklich bestätigte. Bis zur Einberufung der Generalstände durch seine Statthalterin sollten sie Gültigkeit haben.55 Im April 1566 erging daraufhin eine Protestschrift des reformierten Adels an Margarete von 52 53
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Dies macht ein Brief vom 16. Januar 1566 deutlich, den Johann Casimir aus Heidelberg an Kurfürst Friedrich schrieb. Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 327. Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 327. Im Anhang an diesen Brief findet sich auch die Bittschrift der niederländischen Protestanten an Kurfürst Friedrich, die von der Inquisition berichtet und betont, dass der „gnedigste könig durch anreizung der papisten gar sehr eylet, die thyrannische Hispanische inquisition und daraus erwachsende gräuliche persecution einzurichten“. Mit der von Paul IV. 1559 erlassenen Bulle Super universas vom 12.5.1559 (abgedruckt in: Editio Bullarum Romanorum, hg. v. Augustae Taurinorum, Bd. 4, 1860, S. 559–565) wurde die Neuordnung der niederländischen Diözesen festgelegt. Die Niederlande wurden in drei Erzbistümer und vierzehn Bistümer unterteilt. Glaubwürdige Copeyen eines schriftlichen befehls so die Herzogin von Parma und Placentz, Regentin in den Niederlanden, an die Gubernator und Rath derselben Landt, von wegen vollziehung der Inquisition gethan, samt Extract eines Schreibens, so die Kön.Majestat in Hisspanien deßhalben an sie die Regentin zuvor hat ausgehen lassen, o. O., o. Dr. 1566 [HAB M:Gp 443(10)].
3.4 Reichstag zu Augsburg 1566
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Parma, dass sie die Inquisition zurückzunehmen habe. Die adligen Vertreter (die sich als „geuzen“, also als Bettler bezeichneten) verschafften sich mit Gewalt Zugang zum Palast und zwangen die Statthalterin dazu, ein entsprechendes Schreiben zu unterzeichnen und damit den Forderungen stattzugeben. Dies wurde sofort, also während des Augsburger Reichstages, mittels einer Flugschrift in Deutschland publik gemacht.56 Eine Eskalation stand zu befürchten.57 Die Pfälzer nahmen an, dass auf dem Reichstag ein Vorgehen gegen die Protestanten geplant würde. Denn wenn man schon im Nachbarland angefangen habe, dann sei ja wohl das eigene Land nicht mehr weit.58 Die Befürchtungen wurden nicht eben abgeschwächt durch die Tatsache, dass mit Pius IV. während des Augsburger Reichstages ein neuer Papst gewählt wurde, der ein langjähriges Mitglied des Inquisitionskollegiums war.59 Maximilian II. plante wohl während der Vorbereitungen für den Augsburger Reichstag 1566 noch, die Religionssachen tatsächlich zu thematisieren, doch im weiteren Verlauf rückten diese Themen hinter der Bedrohung durch die in Ungarn anrückenden Türken zurück und der Reichstag sollte anscheinend nur kurz
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Supplication etlicher Niderlendischer Herrn und vom Adel, der vorgenommen Inquisition Instellung halben […], o. O., o. Dr. 1566 [HAB M:Gp 443(10)]. Siehe dazu Edelmayer, Philipp II., S. 214 ff. Zur Entwicklung der Lage in den Niederlanden vgl. Goosens, Les inquisitions modernes; Duke, The „Inquisition“ and the repression; Beemon, The Myth. Johann Casimir schreibt an seinen Vater am 23. Januar 1566 aus Heidelberg, dass in den Niederlanden nun ernsthaft durch die Inquisition die gewaltsame Durchsetzung der Konzilsdekrete betrieben werde, auch in Frankreich plane man gewaltsames Vorgehen und im Falle, dass „man in währendem Reichstag jetzigem Reichstag (da man von Abschaffung der Secten, darunder ohne Zweifel unsere wahre christliche Religion gemeint, handeln soll) mit der Persecution bei den Genachbarten wollt den Anfang machen, so müsse man bedenken, wer die nechsten im Reich sein möchten, die solche Gefahr von den Papisten und Andern gewärtig sein.“ Maßgeblich unterstütze nämlich Erich von Braunschweig mit seinen Söldnern die Einführung der Inquisition. Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 329. Auf Letzteres weist auch noch ein Brief der Reichstagsgesandten an den Kurfürsten Friedrich hin, aus Augsburg am 12. März 1566, vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 345. Der Gesandte Jakob Rehlinger schreibt dazu aus Augsburg an Kurfürst Friedrich am 29. Januar 1566, „man sage, der neue Papst stamme aus geringem, schlechtem Geschlecht und sei unser Religion aus der Maßen feind und gehässig, und wie man vermeint und besorgt, werde er große Verfolgung der Christenheit anrichten, wie er sich dann von der Zeit, als er inquisitor hereticae pravitatis gewesen, blutgierig genug erzeigt […].“ Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 333.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
und knapp – wie gewohnt – die Gelder für die Türkenkriege bewilligen.60 Der Kaiser plante offenbar, den Religionsfrieden anerkennen zu lassen, um dem ihm suspekten Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. mit seinen Plänen für die Anerkennung der Reformierten einen Riegel vorzuschieben. Das Tridentinum jedenfalls spielte bei Maximilian II. keine Rolle.61 Das aber konnten die Protestanten nicht wissen. Den Briefen des Kurfürsten Friedrich entnehmen wir, dass die Gerüchte sich überschlugen. Anlässlich der Papstwahl wurde zum Beispiel verbreitet, dass der Papst seinen Nuntius veranlasst habe, bezüglich der Religionsfrage dem Kurfürsten zu Köln einen Vorschlag zu machen.62 Im Gegensatz zu den oben erwähnten Mühen Ferdinands I., für den Reichstag in Augsburg 1559 ausreichend Teilnehmer zu mobilisieren, fand der Reichstag 1566 unter großer Beteiligung statt. Es waren achtundzwanzig Reichsfürsten, darunter fünf Kurfürsten, neun geistliche und vierzehn weltliche Fürsten anwesend.63
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Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556–1662. Der Reichstag zu Augsburg 1566; Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566. Maximilian II. war 1562 zum römischen König gewählt worden und 1564 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Vgl. zu ihm Edel, Kaiser und Kurpfalz. Ich folge hier unter anderem der Argumentation von Repgen, Reich und Konzil. Vgl. Kluckhohn, Briefe, Nr. 347. Nikolaus Mameranus, Chronist des Reichstags, ließ sich von der kaiserlichen Kanzlei Teilnehmerlisten geben und kommt auf knapp achttausend Teilnehmer. Vgl. Verzeichnis der Röm.Kais.Majestät, zitiert nach Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 57, dort auch mehr zum An- und Abreiseverhalten der Fürsten und ihres Gefolges. Augsburg hatte zu dieser Zeit ca. 40.000 Einwohner, die Reichstagsteilnehmer reisten allerdings gestaffelt an und ab, sonst wären die Quartierkapazitäten wohl schnell erschöpft gewesen. Der Reichstag fand unter anderen kommunikativen Bedingungen statt als die Reichstage zuvor. So nutzte Maximilian II. im Vorfeld des Augsburger Reichstags 1566 eine Art persönlichen Nachrichtenaustausch mit den Ständen, der von dem gut ausgebauten Informationsnetzwerk zwischen Gesandten und Agenten der Habsburger profitierte. Auch die Post- und Botenwege wurden schneller und die Öffentlichkeit besser erreicht. Von dieser vielschichtigeren Verständigung profitierte nicht zuletzt die Propaganda der seit 1555 festgelegten konfessionellen Lager. Vgl. Lanzinner/Strohmeyer, Der Reichstag 1486–1613; Heil, Der Reichstag des 16. Jahrhunderts. Heil zeigt anhand der Reichstage von 1505 und 1566 besonders die Entwicklung der modernisierten Kommunikationsstrukturen.
3.4 Reichstag zu Augsburg 1566
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Die inquisitorische Dreifaltigkeit des Wilhelm Klebitz
Wie aber sah das inquisitorische Dreigestirn der protestantischen Propaganda nun aus? Um die Zeit des Augsburger Reichstags fand die immer bedrohlicher wirkende Verfolgung der Protestanten in den Nachbarländern Niederschlag in einer außergewöhnlichen rhetorischen Volte innerhalb der protestantischen Propaganda, und zwar in dem von Wilhelm Klebitz (um 1533–1568) übersetzten Traktat Drey Babstum. Das ist Ein verklerung vilfeltiger, listiger und böser Practicken, antreffende die Inquisition.64 Klebitz war reformierter Theologe am Hof des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz.65 Er galt als großer Polemiker und verfasste besonders im Streit mit dem Theologen Tilemann Heshusen viele satirische Werke, daneben aber auch Politisches, Naturhistorisches und Theologisches. Klebitz gehörte zu einem damals auftretenden neuen Typus von Autoren, nämlich Männern, die mit ihren Publikationen auch ihre wirtschaftliche Existenz sicherten. Sein Kampf um seine eigene Existenz betraf seine eigene Person (Friedrich entließ ihn mehrmals aus den Diensten am Hof ), wie auch seinen Glauben, wie die folgende Schrift eindrucksvoll zeigt. Da die Protestation der geuzen um Wilhelm von Oranien vom April 1566 in der Schrift Erwähnung fand, ist es fraglich, ob sie noch vor dem im Mai 1566 erfolgten Reichsabschied ihre propagandistische Wirkung entfalten konnte.66 Sie dürfte jedoch als propagandistische Stütze der in Augsburg anwesenden niederländischen Calvinisten aus dem Umkreis Wilhelms von Oranien gedacht gewesen sein, die dort vorsprachen, um den Anspruch der niederländischen Provinzen 64
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Drey Babstumb. Das ist Ein verklerung vilfeltiger, listiger uns böser Practicken, antreffende die Inquisition […], Straßburg, o. Dr. 1566, übersetzt von Wilhelm Klebitz [BSB 4 H.ref.769]. Die Schrift umfasst zehn Blätter und überschreitet damit das Format einer kleinformatigen Flugschrift von vier bis fünf Seiten. Zu Klebitz sind wenig gesicherte Informationen überliefert. Lebensdaten sowie Angaben zu seiner Karriere als Diakon bei Friedrich III. von der Pfalz bis 1559 in: Deutsches Biographisches Archiv (DBA): I 656, S. 184–187; Janse, Der Heidelberger Zwinglianer Wilhelm Klebitz; ders.: Die Melanchthonrezeption. Vgl. die Flugschrift „Die Niderlendische Herren mit den Edelen und mechtigen Bundtgenossen ir tyrannisch und mörderisch fürnemen erkennende, haben den 15. Aprilis […] ein Supplication der Hertzoginne von Parma und Regentin der Niderlande übergeben, sie gewarnet, das sie von solcher tyrannischen inquisition absiehe.“ Zur Präsenz der Niederländer auf dem Reichstag siehe Mörke, Wilhelm von Oranien, hier S. 77. Vgl. auch Arndt, Reich, und zur Rolle des Adels im Aufstand siehe Soen, Between dissent and peacemaking.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
auf die im Augsburger Religionsfrieden festgesetzten Schutzmaßnahmen geltend zu machen, wie es der Burgundische Vertrag von 1548 begründete, und um beim Kaiser und bei den Reichsfürsten für Unterstützung bezüglich der Abschaffung der Inquisition zu werben.67 Als eigentlicher Motor und Koordinator der antiprotestantischen Repression stand das Papsttum zwar im Mittelpunkt der Argumentationsstruktur der Schrift. Weder Pius IV. noch Pius V. wurden jedoch namentlich erwähnt. Vielmehr ging es um die vom Papsttum in engem Einvernehmen mit den Kronen von Spanien und Frankreich etablierten Repressionsapparate und insbesondere die dafür verantwortlich zeichnenden hohen Prälaten, nämlich um den französischen Kardinal Charles de Guise sowie Kardinal Granvelle.68 Die in der von Klebitz übersetzten Schrift enthaltenen Ausführungen zur Hugenottenverfolgung in Frankreich bezogen sich hauptsächlich auf die Gefangennahme des bourbonischen Fürsten von Condé (1530–1569). Er war Anführer der calvinistischen Partei in Frankreich, den die Katholiken aber aus Mangel an Beweisen „nit durften tödten“. Als der bedeutendste Ratgeber Karls V. war Kardinal Granvelle den deutschen Protestanten schon mit seinem langjährigen Engagement in den Glaubensausei67
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Vgl. ebd. „Derhalben solte es sich sehr wol gebüren das alle Kauffleut, Bürger und weltliche Personenden Herren gehorsam, getreu, günstig und behülfflich weren […] und ihr manigfaltige Edele und mechtige Bundtgenossen ihnen grossen beystandt thun […] wie gantz Niderlandt dem Reich verbunden […] [das Reich] habe zugesagt vorgemeltes Niderland wider solche tyranney zu beschirmen.“ Ebenso wie die calvinistische Oppostion berief sich hingegen Philipp II. auf die Schutzbestimmungen der Exekutionsordnung von 1555, woraufhin Kaiser Maximilian II. ihm Truppen sowie die Veröffentlichung von Aushängen, die jegliche Unterstützung der niederländischen Calvinisten verboten, zusagte. Vgl. Kohler, Vom Habsburgischen Gesamtsystem, S. 33; Arndt, Das Heilige Römische Reich, S. 258. Nicht ganz zu Unrecht wurde auch eine unmittelbare Reichsbedrohung nicht ausgeschlossen: 1556 hatte sich als Bündnis zur Wahrung des Landfriedens der schon erwähnte Landsberger Bund zwischen katholischen Territorien und der Stadt Augsburg für zunächst sieben Jahre gegründet. Federführend dabei war Herzog Albrecht V. von Bayern, der das Bündnis auch verlängerte und in den 1560er Jahren angesichts der drohenden Erstarkung der Protestanten eine Erweiterung erwirken wollte. Der spanische König Philipp II. wandte sich an diesen Bund, um Verstärkung für seinen Krieg in den Niederlanden zu bekommen. Dieser Zusammenschluss wurde aber durch den auf Ausgleich bedachten Kaiser Maximilian II. verhindert. Vgl. Lanzinner, Friedenssicherung, S. 160 f. Siehe beispielsweise die Flugschrift: Historia, wie jämmerlich die Christen der reformierten evangelischen Kirchen in Sens aus heimlichen Praktiken des Erzbischofs daselbst umgebracht worden sind, o. O., o. Dr. 1562 [HAB Alvensleben Lh 163 (7)]. Vgl. Nicklas, Gegen und für das Tridentinum. Siehe auch Tallon, Inquisition romaine.
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nandersetzungen (so besonders im Schmalkaldischen Krieg) kein Unbekannter. Im Frühjahr 1545 hielt er sich für kurze Zeit in Trient auf, um dort als kaiserlicher Vertreter eine bedeutende Ansprache zu halten.69 In der Schrift wurde Kardinal Guise vornehmlich als Herzog tituliert. Charles de Lorraine-Guise (1524–1574) war Herzog von Chevreuse und seit 1547 Kardinal. In Hinblick auf seine Teilnahme am Konzil von Trient, wo er während der letzten Sitzungsperiode eine zentrale Rolle spielte, sowie als großer Bekämpfer der Hugenottenbewegung war er nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland Zielscheibe von polemischen Schriften. Gebe der Papst als „Gottvater“ die Richtung des Glaubenskampfes vor, so fungierten Guise („Gott der Sone“) und Granvelle („der heilige Geist“) als dessen dermaßen effiziente Adjutanten oder Vertreter, dass es wohl angebracht scheine, sie ebenfalls zu Päpsten zu ernennen, denn auf diese Weise könnten sie noch „besser über die Landsherren, Edelleut und weltliche Oberkeit herrschen […] und können newe Bischoff machen“. Die Schrift kreierte somit die rhetorische Figur einer heiligen inquisitorischen Dreifaltigkeit der Repression und des Terrors. Schließlich seien es die drei Päpste, die „die Römische Kirche wollten wider uffrichten, gleich wie erstlich gewesen, sollte sie hier gleich hundert tausent off einer stunde verbrennen […] wie sie auch willens die inquisition einzusetzen und die exequieren in allen denen Landen, die vor zeiten unter der Römische Kirche gewesen“.70 Als Dreh- und Angelpunkt der diesbezüglichen Initiativen habe das Konzil von Trient zu gelten, wo die drei Päpste „alle listige anschlege fürgenommen, umb ir Tyrannisch fürnemen zu volbringen, [sie] haben im Concilio von Trident befunden ungefehrlich noch siebenzig tausent Clöster, und verordnet das jeden Closter zwo personen sollte außmachen und underhalten“.71 Die Rede von der Ernennung von Bischöfen und zweier 69
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Vgl. ebd. „Granvelle sei bey dem Künig in grosser gnaden und bey den Pfaffen in Italia und Hispania in grossem ansehen und bey der Herzoginne von Parma […] hocgeachtet […] haben ihn darumb zum Cardinal gemachet, das sie endtlich aus ihme ein Babst creierten.“ Zu Granvelle ist die Literatur größtenteils veraltet. Vgl. van Durme, El Cardenal Granvela. Zu Granvelles großem Einfluss auf die Spanienpolitik Karls V. siehe Rabe, Karl V. Wie gewissenlos vor allem die spanische Inquisition auch mit Ausländern sei, zeige beispielhaft, dass man einen „Son des Fuckers von Augspurg, einen Jüngeling von vierzehn oder fünffzehn jaren, den Paygen des Künigs in beysein des Künigs gantz gräulich exequiert“ habe. Es ist zwar (noch) nicht zu ermitteln, um welche Person es sich genau handelte, dennoch wurde mit dem Namen Fugger ein prominentes Beispiel in der Schrift untergebracht. Zur Teilnahme von Guise und Granvelle am Konzil von Trient vgl. Jedin, Trient, S. 135 ff.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Abb. 6: Drey Babstumb, o. O. 1566.
ihnen jeweils beigeordneter Ordensleute als Inquisitoren nahm eindeutig auf die Diözesanreform der Niederlande sowie deren inquisitorische Implikationen Bezug. Angst bestand auch davor, dass die neu geschaffenen Inquisitorenposten letztlich doch mit Spaniern besetzt werden würden: die „Spanischen Pfaffen“ hätten zudem „vil Jünger auß Hispanien gehn Leuen [Löwen] gesandt, das sie sollten die Lateinische und Niderlendische sprach lernen, das sie also mit der zeit im Nider-
3.4 Reichstag zu Augsburg 1566
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land möchten Bischoff werden“. Darüber hinaus wurde in der Schrift herausgestrichen, dass bereits Granvelle militärische Interventionen in Erwägung gezogen habe, um den Widerstand gegen solche Maßnahmen gewaltsam zu brechen.72 Kaum eine Flugschrift dieser Zeit ließ das Thema der Niederlande unberührt. In der Newe[n] zeitung73 von 1566, die ebenfalls Klebitz zugeschrieben wird, ging es um die Verordnungen des Jahres 1566, bei denen die Strafen angekündigt wurden, die all denen zuteil werden sollten, die sich gegen die Inquisition zur Wehr setzten. Am 28. August 1566 sei ein Mandat publiziert worden, nach dem „die straff des galgens“ jeder zu erwarten habe, der die Mönche und „pfaffen beschedige oder iren wider erlaubten Gottesdienst verhindere“. Infolgedessen habe sich eine Karikatur (ein „pictur“) verbreitet, „in welcher das Placat oder Mandat des Königs und inquisition an einem gekrümten bogen gehangen“. Die Protestanten wollten es mit Stricken herabziehen, der „Bapst mit den münche will es auffrichten“. Die Protestanten hätten einstimmig gesagt, „Reissen wir das Placat und die Inquisition“, der Papst und seine Anhänger hingegen hätten gesagt, mit „macht und auch mit gutem raht behalten wir die Inquisition und das placat“.74 Als Instrumente oder Emanationen des unseligen „päpstlichen Dreigestirns“ werden sowohl die römische als auch die spanische Inquisition explizit angeführt, denn „ferner seien die fürnembsten Herren Italia die Tyrannisch Inquisition auch einsetzen, wie sie die fürnembsten und größten Herren von Hispanien davon gerne erledigten“. Dies lässt vermuten, dass das politische Einverständnis für die Etablierung und Wirksamkeit der kirchlichen Inquisitionsbehörden als zentral erachtet wurde. 72
Hier wird auf den 1547 konvertierten katholischen Söldnerführer Erich von Braunschweig (1528–1584) Bezug genommen, der schon 1557 auf Spaniens Seite gegen Frankreich mit seinen Truppen stand: „Darnach hat der Cardinal Grandvella Herzog Erich von Braunschweig erlaubt, das er solt mit gewalt in Brabandt kommen auff das er in und seine newe Bischoff sollte einsetzen.“ Wilhelm von Oranien habe durch die Heirat mit der protestantischen Anna von Sachsen 1561 Granvelle zudem provoziert, die Inquisition gegen seine eigene Frau einzusetzen: „und wenn er gleich hundert tausent auff einer stund verbrennen solt und das er von oberste erstlich beginnen wolte, als nemlich von der vorgenannten Princessin von Orangen“. In welcher kürtzlich ordentlich und warhafftiglich nach aller umbstendigkeit erzelet wird, 73 was sich in der berhümbten Kauffstat Antorff zwischen den 18. und 28. August dieses 1566. Jars in Religion Sachen und anderen grossen hendlen zu getragen und verlauffen hat, o. O., o. Dr. 1566 [HAB 238. Quod. (9)]. 74 Vgl. Newe zeitung, fol. c2a.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Abb. 7: Raimundo González de Montes, Der Heiligen Hispanischen Jnquisition/ etliche entdeckte/ vnd offentliche an tag gebrachte ränck vnd Practicken, Nürnberg 1569.
Hatten sich die Pfälzer mit den hier vorgestellten Schriften bereits im Vorfeld des Augsburger Reichstages 1566 durch ihre Federführung in der protestantischen Propaganda hervorgetan, so sollte sich dieses auch in den Jahren der religionspolitischen Eskalationen in den Nachbarländern nicht ändern. Dafür ließen sie auch die inhaltlichen Differenzen zwischen Lutheranern und Reformierten
3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden
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in den Hintergrund treten. Kurpfalz hatte nicht zufällig auch die Beziehungen zu den ausländischen Reformierten intensiviert und auf eine gemeinsame Bekenntnisgrundlage mit der reformierten Landeskirche hingewiesen. Es lag auf dieser Linie, wenn Heidelberg in den folgenden Jahren die Initiative für ein Engagement der deutschen Protestanten in den ausländischen Konfessionskriegen federführend übernahm. Abbildung 7 zeigt den Titel einer größeren antiinquisitorischen Publikation, über deren Autor sich die Forschung nicht ganz einig ist, bzw. darüber, wer sich hinter dem Pseudonym Reginaldus Gonsalvius Montanus verbirgt. Vermutlich war es Casiodoro de Reina (um 1520–1594), ein spanischer Theologe und Publizist. Die erste deutsche Version erschien 1569 in Heidelberg und wie die Schrift von Wilhelm Klebitz prägte die Darstellung der inquisitorischen Tätigkeiten - und vor allem der Akteure dahinter – ein anti-obrigkeitliches Inquisitionsbild.75
3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden Der Achtzigjährige Krieg beginnt
Der 1567 vom Herzog Alba zur Bekämpfung des niederländischen Fürstenaufstandes eingesetzte Blutrat, der bis 1573 für unzählige Hinrichtungen von Aufständischen (calvinistischen Bekenntnisses) verantwortlich zeichnete, kam dem Modell der spanischen Inquisition sehr nahe, so dass die „Leyenda negra“ nicht zufällig hier ihren Anfang nahm und sich fortan die Gerüchte hielten, dass die Spanier die Inquisition auch im restlichen Europa einführen wollten.76 Knapp neuntausend Menschen verloren zwischen 1567 und 1572 ihr Leben im Zusammenhang mit der Revolte und dem militärischen Vorgehen des Herzogs von Alba. Albas Terrorherrschaft war überall gefürchtet, am meisten in den an die niederländischen Provinzen angrenzenden Reichsteilen Westfalen sowie den Gebieten am Niederrhein. Viele protestantische Fürsten und niederländische Ex75
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Vgl. Gerd Schwerhoff, Montanus als Paradigma: zur Anatomie der antiinquisitorischen Publizistik in der Frühen Neuzeit, in: Ders./Burkhardt, Albrecht (Hg.), Tribunal der Barbaren? Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit, Konstanz 2012, S. 113–133. Vgl. beispielsweise: Neue Erschröckliche und Tyrannische Zeittung auß den Niderlanden, nemlich, wie der König von Hispanien, durch seinen mit Tyrannen den Hertzogen von Alben, […], allen armen Christen inn den Niderlanden, so sich der Reformirten Christlichen Religion anmassen und bekennen, bey fewrstraff fürhalten lassen, o. O., o. Dr. 1568 [HAB Gp 443(18)].
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
ulanten beteiligten sich an der Aufstellung einer militärischen Gegenoffensive. So entstand ein Heer, das für die Spanier ein wirklicher Gegner war. Im Jahr 1572 fanden während Albas Gegenwehr die grausamsten Massaker in den Städten Mechelen, Zutphen und Naarden statt – danach gab es kaum noch Gegner für die Spanier. Die Lage veränderte sich allerdings in den Jahren darauf, als die finanzielle Lage der spanischen Krone beispielsweise die Ausbezahlung der Söldner nicht mehr zuließ. Es begann ein zähes Ringen der beiden Parteien um die königstreuen und rebellischen Gebiete. Die an die Niederlande angrenzenden Gebiete, also der Nordwesten des Reiches war vom Krieg am meisten betroffen. Hier waren zudem die Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern, Calvinisten und Katholiken um teilweise kleine Splittergebiete am erbittertsten. 1582 unternahm der Kölner Erzbischof, Gebhard Truchsess von Waldburg, den Versuch, in seinen Gebieten die Reformation einzuführen. Der Papst setzte statt seiner Ernst von Bayern als neuen Erzbischof ein, ein sechsjähriger Krieg zwischen Protestanten und Katholiken folgte. Der Bayer gewann diese Auseinandersetzung und der Katholizismus befand sich ab da, vor allem unter Einfluss des Jesuitenordens, auf stetigem Vormarsch. Die Interessen des Reiches waren durch die Ereignisse innerhalb wie außerhalb seiner Grenzen stark berührt. Die Niederlande waren formell auch trotz des Burgundischen Vertrages von 1548 noch Teil des Reiches und als Burgundischer Reichskreis auch Glied im Friedenssystem der Exekutionsordnungen von 1555. Darüber hinaus waren die angrenzenden deutschen Territorien zwangsläufig als Truppenreservoir, Versorgungs- und Quartierplatz bzw. Durchmarschgebiet in den Konflikt involviert. Alba setzte den Herzog von Jülich-Kleve-Berg unter Druck, indem er seine Truppen im Juni 1568 in das Herzogtum einmarschieren ließ und durch Geiselnahmen den Herzog zu einer strengen katholischen Reichspolitik erpresste.77 Die Politik Albas richtete sich aber vor allem gegen die Aufnahme von niederländischen Exulanten im Herzogtum. Alba demonstrierte damit auch mangelnden Respekt vor Reichsterritorien. Somit stellte er eine Gefahr für alle an die Niederlande angrenzenden evangelischen Reichsterritorien dar. Auf der einen Seite von den Niederlanden bedrängt, auf der anderen Seite von der aus Bayern kommenden Bewegung der Katholiken bestand für die protestantischen Reichsfürsten mehr als je zuvor die Gefahr einer katholischen Liga.78 77 78
Zu Alba siehe Álvarez, El ducque; zur Revolte selbst und insbesondere zur Rolle Philipps II. siehe Soen, Geen pardon zonder paus. Edel macht in Der Kaiser und Kurpfalz auf diesen Umstand sehr prägnant aufmerksam (S. 294), lässt aber auch den Eindruck entstehen, die Gefahr einer katholischen Liga sei
3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden
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Man war sich sicher, dass die Liga ihr Ziel der Stärkung des Katholizismus nach den Niederlanden und Frankreich demnächst im Reich durchsetzen wolle. Doch die Realität sah anders aus. Dafür, dass die spanische und die französische Krone in neuem Einvernehmen und jenseits der traditionellen Konkurrenz gemeinsam für den Erhalt des Katholizismus in Europa kämpfen würden, unterschieden sich die Kirchenvorstellungen in beiden Ländern zu sehr voneinander. Aber die Gerüchteküche brodelte: In die gemeinsame Front aus Rom, Spanien und Frankreich sah man in den Flugschriften auch den Kaiser und die katholischen Reichsstände mit eingebunden. Maßgeblich verantwortlich für die Verbreitung neuer Flugschriften, die gegen dieses Bündnis zielten, waren die Pfälzer.79 Vielleicht liegt auch in der territorialen Nähe ein Grund dafür, dass Kursachsen sich weniger engagiert zeigte als die „Konflikt-Nachbarn“.80 Theologisch begründete Antipathien der übrigen Protestanten gegen die Reformierten traten aus politischen Gründen zurück, die außenpolitische Situation der späten 1560er Jahre ließ die protestantischen Reichsstände zunächst wieder zusammenrücken. Das beweist auch, als wie groß die Gefahr einer katholischen Liga wahrgenommen wurde.81 Die Rolle der Inquisition in der antispanischen Publizistik, die den Achtzigjährigen Krieg begleitete, ist in verschiedener Weise in der Forschung behandelt worden und soll hier nicht noch einmal ausgeführt
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aus Sicht der Protestanten erst durch das Eingreifen Albas bzw. die sich verschärfenden Auseinandersetzungen in Frankreich wahrgenommen worden. Hier sei noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass dieses früher stattgefunden hat. Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 295, meint, dass die pfälzische publizistische Strategie, die Angst weiter zu schüren, nicht immer erfolgreich war. Lanzinner ist in Friedensicherung, S. 83–85, anderer Meinung. Wen genau in welcher Art und Weise die Flugschriften erreicht haben, kann man heute – wie immer – schwierig nachvollziehen, wohingegen einigermaßen klar sein dürfte, dass propagandistische Flugschriften gegen eine katholische Liga ob der Kriege in Frankreich und den Niederlanden ihre Wirkung nicht verfehlt haben dürften. Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken war erst streng antireformierter Gesinnung und stellte sich in die Dienste Philipps II. Die Gerüchte über eine katholische Liga ließen ihn dann aber umkehren und er nahm Anfang 1568 Kontakt zu den französischen Hugenotten auf. Er sollte im Folgenden einer der aktivsten Parteigänger der Hugenotten in Frankreich werden. Herzog Christoph zu Württemberg war ebenfalls zu einer ausgleichenden Politik bereit und agierte im Sinne einer Harmonisierung der Frankreich- und Niederlandepolitik der protestantischen Reichsstände. Markgraf Karl II. von Baden-Durlach agierte als Lutheraner durch und durch. Zu all dem Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 292–307.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Abb. 8: Her nympt mit Gewalt, o. O. um 1570.
3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
werden.82 Im Folgenden soll jedoch ein Beispiel angeführt werden, das zeigt, wie Texte in Bildern wieder aufgenommen werden und wie das Stereotyp der spanischen Gewalt dargestellt wurde.
„Her nympt mit Gewalt ...“ – die publizistische Verarbeitung
Was Klebitz in seinem Traktat schon mutmaßte, sollte sich in den folgenden Jahren immer stärker bewahrheiten: Der Einmarsch des Herzogs von Alba 1568 in den Niederlanden war der Beginn einer gewaltsamen und folgenreichen Schreckensherrschaft. Auf diese Realität antwortete die protestantische Publizistik mit der Fortsetzung des Bildes vom Dreigestirn bzw. einer inquisitorischen Dreifaltigkeit. In verschiedenen Druckserien wurde um das Jahr 1570 diese Metaphorik auch tatsächlich bildlich umgesetzt. Zwei unterschiedliche Serien sind bekannt: Das Original ist mit deutschen und französischen Bildüber- und -unterschriften versehen und zeigt den Herzog von Alba und König Philipp von Spanien als zentrale Figuren.83 Das Bild ist zweigeteilt: Auf der linken Seite sitzt auf einem Thron in der Bildmitte der Herzog von Alba, dem von einer Teufelsgestalt mit Rosenkranz und Blasebalg die Gedanken eingehaucht werden. Alba hält in der rechten Hand ein Bündel Geldsäckchen, die symbolisch für die konfiszierten Güter und Gelder der niederländischen Protestanten stehen, welche durch eine betende Gestalt am linken Bildrand dargestellt sind. In der Textzeile über der Illustration heißt es folgerichtig: Her nimpt mit gewalt dem rychtum. 82
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Es sei noch einmal zusammenfassend auf die wichtigsten deutschsprachigen Studien hingewiesen: Schmidt, Spanische Universalmonarchie (für die Geschichte des Begriffes der „Leyenda negra“); Arndt, Spanische Niederlande (die Studie ist etwas älter, aber eng an die Reichsgeschichte gebunden); Pollmann, Eine natürliche Feindschaft. Sehr hilfreich ist auch Rittersma, Egmont da capo. Die Studien sind sich in der grundsätzlichen Deutung jener Publizistik alle einig, lassen aber Hintergründe zur Reichsgeschichte weitgehend außer Acht. Die vier Drucke sind abgebildet in Tanis/Horst, Images. Es scheint sich um variable Drucke zu handeln, denn ein Exemplar bestehend aus der Graphik mit Alba auf dem Thron und den drei Figuren befindet sich im Besitz der Kunstsammlungen der Veste Coburg (Inv.Nr. XIII, 419, 394; Format: 18,7 x 27,2 cm) und ist abgedruckt in einem Ausstellungskatalog hg. v. Harms, Kunstsammlungen, Nr. 68. Eine spätere Kopie liegt heute im Historischen Museum in Rotterdam. Sie sind datiert auf 1572 und als Serie von vier Bildern (seitenverkehrt zu dem Exemplar in Coburg) vorhanden.
3.5 Die Angst wird Wirklichkeit: Alba in den Niederlanden
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Abb. 9 und 10: Her nympt mit Gewalt, zweite Serie, Rotterdamer Version, o. O. um 1570.
Alba ist dabei, ein Kind zu verspeisen (symbolisch für seine Gewalt), an dem er selbst und ein als „Granvelle“ betitelter Kopf herumbeißen. Die Figur Granvelles wiederum gehört zu einer dreiköpfigen Bestie, deren andere Köpfe als „Guyse“ und „Loreyne“ bezeichnet sind. Damit sind die beiden Brüder de Lorraine gemeint, Louis I. (1527–1578) und Charles (1524–1574), die beide den Titel Cardinale de Guise trugen. Die Figur eines Bauern rahmt das Bild an der rechten Seite, am unteren Rand – Alba tritt auf die Figuren – sind die beiden Märtyrerfiguren der protestantischen Verfolgung in den Niederlanden zu sehen: die Grafen Egmont (1522–1568) und Hoorn (1518–1568).84 In diesem Bildteil richtet sich der Hass also gegen Spanien und Frankreich. In der zweiten Bildhälfte ist das Dreigestirn klarer zu erkennen. Es besteht aus einem Bischof, dem spanischen König und einem Inquisitor. Philipp II. empfängt zwei niederländische Mönche, die ihre Beschwerden vorbringen. Als Berater stehen ihm ein Bischof und ein Inquisitor bei. Im Hintergrund zerstören Männer eine Kirche, indem sie mit einem Seil die Skulpturen herunterreißen und sie mit einem Hammer zerschlagen (Anspielung auf den Bildersturm von Antwerpen 1566). Außerdem ist im Hintergrund eine große Predigtszene („Heckenpredigt“) 84
Zur Darstellung des Schicksals des Grafen Egmonts siehe die wichtige Studie von Rittersma, Egmont da capo.
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3. Die Angst vor dem inquisitorischen Dreigestirn
Abb. 11 und 12: Her nympt mit Gewalt (um 1570), zweite Serie, Rotterdamer Version, o. O. um 1570.
unter freiem Himmel abgebildet. Diese Versammlungen außerhalb der Stadtmauern waren bei den Calvinisten in den Niederlanden sehr beliebt. Die linke Bildhälfte in der zweiten Druckserie (Abb. 9) stellt erneut, jedoch spiegelverkehrt die oben beschriebenen Figuren dar. Auf der rechten Bildhälfte sehen wir den Herzog von Alba, wie er von Pius V. beauftragt wird, die Obermacht der Kirche zu verteidigen, die Geldschätze am Boden stehen für die finanzielle Unterstützung seiner kriegerischen Mission durch die Kurie und in der Graphik sieht es so aus, als ob Pius V. Alba auch das Schwert in die Hand drückt. Margarete von Parma und Kardinal Granvelle stehen hinter Alba und halten ihm eine Schlange – Symbol des Teufels – ins Ohr. Der auf dem Thron sitzende Herzog von Alba hat sich in der Rotterdamer Version in der linken Bildhälfte (Abb. 11) ein wenig von seinem Sitz erhoben, um mit der babylonischen Hure zu tanzen und Küsse auszutauschen, um sie herum ist das siebenköpfige Biest zu sehen. Die drei weiteren Figuren in der Illustration symbolisieren die schwierige wirtschaftliche Lage der Niederlande: ein Händler, ein Kaufmann mit leeren Händen und ein am Boden liegender Bettler. Die Inschrift sagt, diese Missstände seien die logische Konsequenz von Albas „morden, brennen und rauben“.
4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590) Bedroht ein Inquisitionsstaat nun endgültig die „teutsche libertät“?
„Madrid, Rom und Jesuitenorden arbeiteten an der ‚monarchia universalis‘, modern gesprochen: an der Hegemonie eines spanischen Inquisitionsstaates über Europa, so die teutsche libertät zerstörend.“ Mit diesem Satz fasst der Historiker Axel Gotthard die Situation in der Mitte des 16. Jahrhunderts zusammen, wie sie die deutschen Protestanten wahrnahmen.1 Nach dem Tod Maximilians II. 1576 nahm die Konfliktbereitschaft offenbar wieder zu. Unter Maximilians Nachfolger Rudolf II. erlebte das Reich auch einen Generationenwechsel: Die Akteure der Schmalkaldischen Liga und des Religionsfriedens waren abgetreten und eine neue „kampfbereite“ Generation stand bereit. Die Konfessionalisierung brachte im Reich eine eigene publizistische Begleiterscheinung hervor, die sich gezielt gegen die Jesuiten richtete. So erschien 1572 an Ostern eine Schrift des lutherischen Pfarrers Georg Codonius, die ankündigte, vier und zwaintzig Gottloser Artickel der Jesuiter vorzustellen. Sie tat das unter dem Titel des ersten Teils der Newen Papistischen Inquisition. Die Unterstellung, dass die Jesuiten die Inquisition einrichten wollten, war nicht neu, laut Codonius sei es sogar normal, weil der katholischen Partei nichts anderes mehr übrig bliebe. Täten sie das nämlich nicht, so müssten die „landreumig oder sonst verfolget werden“. Es sei ein „hertzen wunsch“ der Jesuiten, „auß der Inquisition eine solche persecution zumachen, die der Niderlendischen nit fast ungleich sein sollte“.2 Ausführlich wird von schrecklichen Verfolgungen und der Vertreibung frommer
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Gotthard, Altes Reich, S. 81. Der Erste Theil. Der Newen Papistischen Inquisition, darinn vier und zwaintzig Gottloser Artickel der Jesuiter, auß heiliger Schrifft, Alten und Neuen bewehrten Lehrer, auch um theil des Bapsts Decret, selbs gründlich widerlegt werden. Durch M. Georg Codonium, Laugingen, o. Dr. 1572.
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Christen im Papsttum berichtet.3 Die Jesuiten waren im Reich angekommen als katholischer Reformorden, als neue Personifikation des Papsttums. Nachdem die Protestanten lange den Blick auf die Verfolgungen in den Niederlanden und die Religionskriege in Frankreich gerichtet hatten, sahen sie sich nun im eigenen Reich stärker durch die Katholiken bedroht, als es seit langem der Fall gewesen war. Und so gerieten die Jesuiten bald in den Fokus ihrer publizistischen Aufmerksamkeit.
Jesuiten und Inquisition im Reich
Der publizistische Schlagabtausch zwischen Protestanten und Katholiken hatte eine neue Ebene erreicht. Während im Reich trotz aller Spannungen weiter die Waffen schwiegen, kam die verbale Offensive der beiden Lager nicht zum Erliegen. Ein neues Merkmal war allerdings, dass die Flugschriften ein umfangreicheres Format annahmen, also nicht mehr wenige Blätter mit Informationen über Bündnisse oder Edikte, sondern ausführliche theologische oder politische Abhandlungen umfassten. Der Hintergrund war aber, wie bereits erwähnt, immer noch der Augsburger Religionsfrieden, den die Protestanten in Gefahr sahen. Die Katholiken meinten, dass das Zustandekommen des Religionsfriedens nicht rechtens war.4 Dass allerdings auch eine Trennung zwischen Jesuiten und Inquisition bestehen konnte, zeigt das Flugblatt Lutherus Triumphans aus dem Jahr 1568.5 Im Blickzentrum des Bildes sind Martin Luther (stehend) und Papst Leo X., auf einem Thron sitzend, einander gegenüber positioniert. Um sie herum sind die jeweiligen tragenden Glieder der beiden Konfessionen dargestellt: Auf der protes3
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Vfl. Fol. 5b: „Also werden heutigs tags an etlichen orten im Bapstumb gutherzige Christen, auff diese vier und zwaintzig Artickel examiniert und gefragt, welche inn diesem Büchlin einverleibt und verzaichnet sind.“ Damit wird unterstrichen, dass im Papsttum diese Praktiken bereits angewandt wurden. Der Rezeption des Augsburger Friedensvertrages bis in das Jahr 1648 widmet sich ausführlich Gotthard, Religionsfrieden, S. 598 ff. 1567 publiziert der Ingolstädter Jesuit Vitus Jacobäus das illustrierte Flugblatt Anatomia M. Lutheri, in dem er die innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten thematisiert. 1568 erscheint derselbe Holzschnitt mit einem anderen Titel und veränderten Text herausgegeben von dem Franziskaner Johannes Nas (1534–1590). 1568 antwortet ein Flugblatt aus Wittenberg mit dem Titel Lutherus Triumphans auf die Anatomia. Vgl. Oelke, Konfessionsbildung, S. 335.
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590)
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Abb. 13: Lutherus triumphans, o. O. um 15686
tantischen Seite steht ein Grüppchen Theologen dicht beisammen, wobei sehr auffallend ist, dass es hier keine Hierarchie gibt, nur Luther steht als erster Widersacher des Papstes der Gruppe voran bzw. über ihr. Die katholische Seite ist 6
Es existieren zwei unterschiedliche Auflagen, die das Bild zum einen in der abgebildeten Form, zum anderen leicht verändert und spiegelverkehrt zeigten.
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
vertikal dreigeteilt: Unten stehen die Jesuiten mit ihren bekannten traditionellen Gewändern und Hüten. Sie stützen den Papstthron mit Heugabeln. Andere von ihnen stechen mit ihren Schreibfedern einem dreigliedrigen Tier, das sich aus einem Löwen, einem Drachen und einer Geiß zusammensetzt, ins Hinterteil. Dadurch angestachelt geht das Tier in Richtung lutherischer Theologengruppe, der Melanchthon voransteht. Darüber sieht man die Gruppe der Dominikaner, die mit Schwertern und Feuer ausgestattet und damit als hauptsächliche Werkzeuge und möglicherweise Agitatoren der Inquisition interpretiert sind. Der der Gruppe voranstehende Mönch hält eine Feuerfackel besonders dicht an den Thron Leos X., ein symbolisch unzweifelhaftes Zeichen. Schließlich sind als dritte Gruppe die Prälaten sichtbar, die Heiligenbilder und Reliquienschreine mit sich tragen, dazu weitere katholische Machtsymbole. Das Flugblatt wird auf die späten 1560er Jahre datiert. Dem Text des Blattes konnte man entnehmen, worin der unbekannte Verfasser die spezifische historische Bedeutung der Jesuiten sah.7
Viel Lärm um nichts? – Georg Eders Evangelische Inquisition 1573/79
Kaiser Maximilian II. hatte seine Politik auf Aussöhnung hin ausgerichtet: Er kommunizierte, integrierte und verbesserte – trotz der Vorwürfe, er sympathisiere mit dem Protestantismus – die Beziehungen zwischen Rom und dem Reich. Nach dem Tod Pius’ V. 1572 bekannte sich Maximilian II. mehr zu einer katholischen Haltung, indem er die Forderungen der evangelischen Reichsstände verurteilte.8 Umso erstaunlicher muss es für die Katholiken gewesen sein, dass er das 1573 erschienene Werk Evangelische Inquisition9 des katholischen Reichshof7
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Die Trennung ist auch sichtbar auf dem illustrierten Flugblatt Quando obstetricabitis hebreus et partus, das offenbar 1604 bei Hendrik Hondius in Den Haag erschien. Abgebildet ist die Erzählung vom Salomonischen Urteil (1 Kön 3,16–28). Die Jesuiten beraten den König und demonstrieren das Schwert und den Strick als Strafen. Aqua und ignis sind im Hintergrund und so wird die Bandbreite der Tötungsformen der Inquisition sehr anschaulich präsentiert. Vgl. dazu Niemetz, Antijesuitische Bildpublizistik, S. 46. Hierzu ausführlich Edel, Kaiser und Kurpfalz, S. 278 f. Evangelische Inquisition Wahrer und falscher Religion. Wider Das gemain unchristliche Claggeschray, Daß schier niemands mehr wissen künde, wie oder was er glauben solle: In forma aines Christlichen Rathschlags, wie ein jeder Christen Mensch seines Glaubens halben gäntzlich vergwißt und gesichert sein möge: Dermassen, das er leichtlich mit künde betrogen noch verfürt werde. Durch Röm. Kay. Mayest. ReichsHofrath H. Georgen Eder D. Getruckt
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rates Georg Eder sofort konfiszieren ließ und Eder Schreibverbot erteilte.10 Auf dem kursierenden Exemplar verwies Eder allerdings auf das ihm 1569 zugedachte kaiserliche Druckprivileg der Dillinger Drucker.11 Zunächst war natürlich der Titel besonders brisant, es gab wohl keinen explosiveren – und auch verkaufsanregenderen – Titel als „Inquisition“12 – und hier nun wurde sie – zumindest auf den ersten Blick – derjenigen Seite zugeschrieben, die sich seit jeher von der Inquisition bedroht fühlte. Dabei ging es nicht um die Institution, ein Tribunal oder eine geplante Untersuchung. Das ausführliche Werk Eders griff neben den Protestanten auch die unklare Einstellung des kaiserlichen Hofes zu Religionssachen an. Eder stellt in seiner Vorrede, in der er die Entstehung und den Grund für sein Buch erklärt, ganz richtig fest, „dass der teutschen Catholischen Bücher vil weniger als der Sectischen“ gebe. Daher habe er „zwo reden“ verfasst, „darinnen der gantz handel des nunmehr langwirigen Religionstrits, als inn einer Summa kurtzlich begriffen“. Es sei wegen der vielen Unklarheiten dringend nötig, dass der Zustand mit allen Umständen „auff das fleissigste erforscht und bewegen werde“. Damit wird deutlich, dass der geradezu effekthascherische Titel der Inquisition eigentlich im Wortsinn des Erforschens gemeint ist, da es Eder darum gehe, herauszufinden, „welliches aigentlich die wahre oder falsche Religion seye“. Eder hielt sich nicht an das ihm vom Kaiser auferlegte Schreibverbot und veröffentlichte 1574 den zweiten Teil seines Werkes, Das gulden Flüß.13 Er wurde
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zu Dilingen durch Sebaldum Mayer. 1573. Das Werk umfasst 427 Seiten. Vgl. dazu vor allem Schrauf, Briefsammlung. Eder hatte Philosophie, Jura und Theologie in Köln studiert und war danach über eine Station in Bayern nach Wien gegangen. 1557 wurde er zum Hofrat ernannt. Vgl. Edel, Kaiser und Kurpfalz, S. 279. Schrauf macht hier auf ein Beispiel aufmerksam, in dem in einer vom Salzburger Erzbischof verfassten Akte die Wörter „Inquisition“ und „inquisirieren“ gestrichen werden mussten, weil ihre Verwendung so heikel war. „Im erbitterten Kampfe der Meinungen und Ueberzeugungen, der damals ganz Deutschland in Aufruhr brachte, verhallte gar leicht die Stimme des Einzelnen, mochte er auch noch so laut, noch so wohlgerüstet und waffenklirrend auf den Plan treten. […] Dr. Eder hingegen wusste sich mächtig durchzusetzen, sich Gehör zu verschaffen.“ Schrauf meint, dass Eder sich erst ganz am Schluss seiner Arbeit an dem Werk entschlossen habe, die Schrift so zu betiteln. Vgl. Schrauf, Georg Eder, S. III (Vorwort). Das guldene Flüß Christlicher Gemain und Gesellschaft, das ist ain allgemeine richtige Form der ersten uralten Prophetischen und Apostolischen Kirchen gleich als ain kurtze Historia, von der hailigen Statt Gottes, wie es umb dieselbe vor dieser Spaltung ein Gestalt gehabt, und wie sich das jetzig Religionswesen darmit vergleicht, Für den anderen
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
dafür nicht mehr belangt, zu viele Druckereien hatten sich über das kaiserliche Zensurdekret hinweggesetzt. Es war dem Kaiser also nicht gelungen, durch seine Amtsgewalt die Publizistik zu beeinflussen. Maximilian II. hatte mit seinem Verbot des Buchs versucht, die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten zu entschärfen – und dabei seinem Ansehen bei den Katholiken mehr geschadet, als er bei den Protestanten gewinnen konnte.14 Im Jahr 1576 starb Maximilian II. und bereits 1579 wurde Eders Werk neu aufgelegt.
Die Antwort: Georg Nigrinus’ Papistische Inquisition (1582)
Im Folgenden soll es als letztes Beispiel für den jesuitisch-lutherischen Streit um das Werk des lutherischen Theologen und Alsfelder Superintendenten Georg Nigrinus (1530–1602) gehen, genauer um seine Papistische Inquisition.15 Der Titel suggeriert bereits, dass es sich um eine direkte Antwort auf Georg Eders Evangelische Inquisition handle. Außer im Vorwort beschäftigt Nigrinus sich aber wenig mit Eders Streitschrift. Dabei gebraucht Nigrinus das Wort „Inquisition“ wie Eder zunächst im Wortsinn der „Untersuchung“, bei dieser Untersuchung aber handelt es sich um eine historische Darstellung der Inquisition: Nigrinus verfasst eines der ersten ausführlichen Geschichtswerke, in dem die Inquisition zwischen 1540 und 1580 beleuchtet wird, womit wir einen Eindruck erhalten, wie die Zeitgenossen kurz nach der Hochphase der spanischen und römischen Inquisition über diese dachten. Der Papistischen Inquisition ist auch ein Index beigegeben, in dem der Eintrag „Inquisition“ in einer Weise erläutert ist, die sich ausschließlich auf die Institution bezieht.16
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Thail Evangelischer Inquisition, mit angehäffteter Erinnerung […], Ingolstadt, Sartorius, 1579. Eine Ironie des Schicksals bestand darin, dass das Druckerprivileg, auf das sich Eder für sein erstes Werk berufen hatte, bei den Protestanten den Eindruck erweckt hatte, als habe der Kaiser dieses Buch gebilligt, wenn nicht sogar in Auftrag gegeben. Vgl. Edel, Kaiser und Kurpfalz, S. 279. Dem Aspekt der fehlgeleiteten Strategie des Kaisers widmet sich Edel ausführlich auf S. 281 ff. ,Geschrieben 1582, gedruckt, o. O., o. Dr. 1589 [HAB 166 Hist 2°]. Zu Nigrinus gibt es wenig Literatur, siehe Mahlmann in NDB, Art. Nigrinus, Georg, und die unter nationalsozialistischem Einfluss entstandene Studien von Müller, Nigrinus. Pohlig, Identitätsstiftung, macht auf S. 403 darauf aufmerksam, dass der Titel nur als „Untersuchung“, das Werk als direkte Antwort auf Eders Schrift zu verstehen sei. Auf die weitere Verwendung des Wortes „Inquisition“ geht Pohlig nicht ein.
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590)
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Nigrinus hält sich in seiner Darstellung stark an das Geschichtswerk von Johannes Sleidan. Das geht aus den am Rand vermerkten Quellenzitaten hervor. Die Ausführungen sind sehr detailliert und greifen Stereotype der bisherigen lutherischen Geschichtsschreibung wieder auf, wie zum Beispiel die Hinweise auf den Antichristen und die Rettung des Evangeliums durch Luther. Das Werk beginnt mit Papst Leo I., also im Jahr 441, und endet mit dem Tod Papst Sixtus’ V. im Jahr 1590.17 Das Buch ist nach den einzelnen Pontifikaten gegliedert und die einzelnen Kapitel meist in „merkwürdige Dinge“, die der Autor für erzählenswert hielt. Am Schluss der Darstellung eines Pontifikats werden die „Religionssachen“ besprochen, für die der jeweilige Papst verantwortlich gemacht wird, aber auch die Reaktionen der Gläubigen beschrieben. Man bekommt beim Lesen den Eindruck, dass der Autor seine Themen auch aus den Flugschriften nahm, denn neben den Religionssachen ging es um verkaufsfördernde andere Themen wie etwa Wunder, Kometen, Hochwasser, Tod von Personen oder Hexen. In der Vorrede begründet Nigrinus ausführlich, warum er dieses Werk verfasst habe, ausschlaggebend sei die Schmach der Bücher Georg Eders gewesen, dessen „Inquisition auff eitel lügen und Calumnias erbauet ist“. Nigrinus’ Werk hingegen „besteht [...] inn warhafftigen geschichten und Historien, meistlich auß ihren Büchern genommen“. Entsprechend dem zeitlichen Rahmen der vorliegenden Studie soll hier mit der Betrachtung von Nigrinus’ Darstellung des Pontifikat Pauls III. (1535–1549) begonnen werden. Die Konzilseröffnung wird naturgemäß erwähnt, sehr ausführlich aber auch die überdehnten Konzessionen des Kaisers an die Protestanten auf dem Reichstag zu Speyer (1544) beschrieben. Auch der Mord an Johann Díaz wird geschildert: „In diesem jar (1546) ward Johannes Diazius ein Hispanier von einem Mörder den sein bruder Alphonsus noch ein Papist abgericht zu Neuburg jämmerlich ermordet weil er unser Religion zugefalln.“18 Durchgehend präsent ist die Geschichte der hugenottischen Glaubensgenossen in Frankreich, 1543 „entstund ein greuliche verfolgung in Franckreich uber die so man der Lutherischen lehr verdechtig“, außerdem wurde ein „Inquisitio angericht und Artickel gestelt“, also auch hier eine Art Fragenkatalog.19 Gleiches 17
Pohlig, Identitätsstiftung, S. 404, geht auf Nigrinus’ Werk eher knapp ein und befindet: „Im Wesentlichen zeichnet er die Grundlinien nach, die schon oft dargestellt worden sind“, um weiter festzustellen, dass „dies alles in keiner Hinsicht originell ist, ja es aus dem orthodox-polemischen Grundimpetus heraus auch nicht sein kann“. 18 Papistische Inquisition, S. 642 f. und S. 650. 19 Vgl. Papistische Inquisition, S. 652 und S. 657 zu 1542/43: „Es ließ abermahl der König
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
sei wenig später in den Niederlanden erfolgt.20 Italien kommt auch in Nigrinus’ Papstgeschichte erstaunlich wenig vor. Für erwähnenswert wird die Geschichte von Franziskus Spiera gehalten, und dass die Venetianer durch die Inquisition den Buchmarkt fortan kontrollieren wollten, hier ist zwar kein Jahr genannt, aber der Eintrag liegt nahe bei der Erwähnung von Spiera, also rund um das Jahr 1550.21 Der Abschnitt über Julius III. geht vor allem auf die Konzilspolitik ein, aber auch auf die Verfolgungen der protestantischen Glaubensbrüder in Frankreich und England22 wird regelmäßig hingewiesen. Bei der Beschreibung von Marcellus II., der nur zweiundzwanzig Tage Papst war, wird immerhin erwähnt, dass Paul III. ihn zum „General oder Obersten der Ketzermeister“ gemacht hat, weil er „je und allweg ein strenger Feind gewesen unserer Religion“. Sein Nachfolger, Paul IV., „ward Cervini Gesell im Ketzermeister ampt“ und außerdem der Gründer des Theatinerordens. Die Theatiner hätten „sich darnach zu den Jesuitern gethan, die nicht allein in Italia sondern auch allenthalben in Teutschland sich weit und breit umbthun unnd einnisten bei den Bischöffen und andern Stifften da sie feißte Kuchen finden“.23 1556 seien Gerüchte (ein „geschrey“) umgegangen, dass der Papst „mit neuen Practicken schwanfer wider die verwandten der Augspurgischen Confession“ und auch den Kaiser ermahnt haben soll, den Frieden wieder abzuschaffen.24 Der strenge gebott wider die Lutherischen außgehn, und verbott das Parlament zu Pariß allerley bicher ihrer Religion zuentgegen sonderlich Calvini Institutiones, und ward ein darauff die Verdächtige zufragen, wie Francisco Landro (anno 1543) damals geschehen der doch nit beständig blib. Sleidan lib. 15.“ 20 Vgl. Papistische Inquisition, S. 659, mit dem Hinweis auf die Löwenschen Artikel und den Reichstag zu Worms. Papistische Inquisition, S. 661: „Die Venetianer liessen auch ein gebot außgehn wider der 21 unsern bücher wirdt die Inquisition getrauet, daß ja allenthalben der Satan sen Reich stercke wider die Wahrheit und Francisco Spiera so in verzweifelung fiel und darinn starb weil die erkandte warheit verläugnet hatte.“ 22 Papistische Inquisition, S. 673: „Im Franckreich gieng ein scharpff verbott auß wider die Lutheraner unnd ward auch den Richtern straffe getrauet so nicht streng fortfuhren.“ S. 676: „Anno 1554 ließ die Königin Maria gesetz außgehn zum schutz der Bäpstlichen Religion und ward also der Bapst gantz und gar wider eingesetzt inn Engelland mit grossem frolocken des Röm. Babylons wie droben gesagtkam darnach Polus ihr Apostel unnd absolviert sie und versönte sie wie er meinte Gott und dem Bapst. Hier geht auch draus hervor, dass Morone als Legat dann die Mission gehabt haben soll, das gleiche wie Pole in England zu tun […] und in Teutschland eben das understehn das Polus inn Engelland außgericht.“ 23 Vgl. Papistische Inquisition, S. 679. 24 Vgl. Papistische Inquisition, , S. 681.
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590)
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Ruf dieses Papstes sei auch in Rom so schlecht gewesen, dass alle Wappen und Bilder nach seinem Tod entfernt wurden, erst Pius V. habe ihn wieder vollständig rehabilitiert.25 Interessanterweise sind die Ausführungen über Paul IV. nicht besonders umfangreich, was sich mit der bereits geäußerten These deckt, dass die Wahrnehmung Pauls IV. als der Inquisitionspapst im Reich auch später nicht stattfand. Nachdem auf die für die Protestanten schlechter werdenden Zustände in Frankreich, England und Österreich hingewiesen wurde – interessanterweise nicht auf die Niederlande –, kommen die bereits erwähnten Supplikationen ausländischer Protestanten auf dem Reichstag zu Augsburg 1559 zur Sprache.26 Große Aufmerksamkeit findet allerdings wieder der Bayonne-Mythos, also die Erzählung, dass bei dem Treffen 1565 an der französisch-spanischen Grenze das päpstlich tolerierte Zusammengehen der Kronen Englands und Spaniens und eine verschärfte Verfolgung der Protestanten beschlossen worden seien: „Auff dieser reise ist der König aus Franckreich kommen Anno 65. gehn Bayona da sein Schwester Elisabeth Königin aus Hispanien zu ihm kam, und ward beschlossen daß man den alten glauben erhalten (so nennen sie den Römischen) und die neue lehr (das ist das Evangelium) gar abstellen solte und ist die Hispanische Inquisition in Niderlanden hat und streng angangen so unzehlich unglück veruracht davon hernach.“27 Neben den ausführlichen Berichten über den Kriegsausbruch in Frankreich beschreibt Nigrinus auch den Konzilseifer von Pius IV. und die gescheiterte Werbung seiner Legaten im Reich. Pius V. wird als Inquisitor ebenso erwähnt wie die Tatsache, dass Paul IV. ihm dieses Amt zugesprochen hatte.28 Die Beschreibung des Ausbruchs der niederländischen Revolte hält sich an die Stereotype der Flugschriften: „Anno 1566 kam die Hispanische Inquisition herauß und war in gantz 25 Vgl. Papistische Inquisition, , S. 682. 26 Papistische Inquisition, S. 687: Die Rekatholisierung Englands wird mehrmals erwähnt, auch dass nach Marias und Poles Tod sich sehr viel veränderte. Der König in Frankreich ließ auch ein „gebott außgehn an seine beampten daß sie richten sollen alle so von Inquisition oder den Ketzermeistern verdampt werden ohn einige außrede oder Appellation beschwerte sich dieses Edicts der Rath zu Pariß als der Cardinal von Lothringen fürbrachte wolten diesen unmäßlichen gewalt den Geistlichen nicht gestatten.“ Erwähnung der Supplikationen auf S. 687. 27 Vgl. Papistische Inquisition, S. 699. 28 Papistische Inquisition, S. 699: „Er war vorhin ein Leser und Commissarius des amptes der H. Inquisition […] und es hatte in Bapst Paulus 4. zum obersten Inquisitor gemacht […].“
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Braband durch die Regentin von Parma in des Königs namen publiciert und vermeinte der König dadurch die Bäpstliche Religion mit Gewalt zu schützen und in dem man also anfing mit gewalt zu wehren dem lauff des Evangelii gieng das feur je lenger je mehr auff hat seidher der zeit dermassen in Niderlanden gebrandt, daß es unmüglich gut und enzehlich Volck gekostet hat.“29 Interessanterweise wird hier die Supplikation der Geusen so dargestellt, als hätten sie gebilligt, das Konzil von Trient anzuwenden, wenn dafür die Inquisition abgeschafft werde: „Im Aprilen ward ein Supplication Schrifft von den Evangelischen in Niderlanden an Keyser Maximil: gestalt und ubergeben zu Augsburg, daß er Ire My beim König wolle anhalten die Inquisition abzuschaffen dadurch er das Concil zu Trident wolle ins werck richten daß nicht so viel unschuldiges bluts vergossen werde.“30 Ausführlich wird die Bitte der niederländischen Protestanten dargestellt, ebenso die Hilfsbereitschaft der deutschen Fürsten. Margarete habe die Inquisition abschaffen wollen, sei aber von ihren Beratern angehalten worden, dieses nicht zu tun, schließlich seien die bittstellenden Geusen arm.31 Gründlich wird auch die Kriegssituation in Frankreich beschrieben, denn „es hatten sich die Könige unnd viel grosser Herrn zusammen verbunden, das Concilium zu Trident ins werck zurichten, und den neuen Glauben (wie sie ihn nennen) auszurotten, und nantens den heiligen bund“, weil der Papst eben das Personal für die Implementierung der Konzilsdekrete stelle: „Cardinäl und viel Bischoff“.32 Dass für den Sinneswandel der den Protestanten zunächst wohlgesonnenen Regentin Katharina von Medici der Kardinal von Guise verantwortlich war, steht für Nigrinus offenbar außer Frage.33 29 30 31
Papistische Inquisition, S. 709. Papistische Inquisition, S. 711. Papistische Inquisition, S. 710: „Darnach ward an die Regentin zu Prüssel supplicieret daß sie die Inquisition wolle einstellen biß sie an König supplicierten zu disem mahl hat ein grosser Hans und Ritter des gulden fluß zu ir gesagt sie solle sich nicht scheuen für inen es seien nur Geusen das ist Bettler daher man sie Geusen biß auff disen tag nennet.“ Der Bildersturm sei die logische Konsequenz gewesen: „Nach disem Bilderkrieg ward den bundgenossen oder Geusen sicherheit, unnd einstellung der Inquisition zugesagt von der Regentin, biß der König anders befehle doch sollen sie dem König treu und hold sein, unnd solche Bilderstürmerey abschaffen […].“ Papistische Inquisition, S. 713. 32 33 Vgl. Papistische Inquisition: „Die Königin [Katharina] zwar nam sich ein zeitlang an, sie werde den Hugenotten (wie sie sie nennen) günstig unnd nam sich grosser genaden an, gegen dem Printz von Conde, dem Admiral von Andelot: Aber sie wussten wol umb die H. Bündnis (sagt die Französische Chronic) und hörten so vil und schwere klage der Evange-
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Nach der Bestandsaufnahme der Kriegswirren in den Nachbarländern weist Nigrinus wieder auf die Verhältnisse unter Pius V. für das deutsche Reich hin, wo sich nämlich „dieweil allenhalben in Teutschland die Jesuiter niderthun und mit iren Schulen vil der jugent an sich bringen und die Bäpstische lehr mit sonderlicher neuer heucheley […] den einfeltigen einreden“. Auch Gregor XIII. habe seinen Vorgängern in seinen Aktivitäten gegen die Protestanten in nichts nachgestanden: Er habe den Jesuiten ein Kolleg in Rom eingerichtet und den „Krieg inn Franckreich un Niderlanden hat er mit raht und that helffen befördern wider die Evangelische wie seine Vorfahrn“.34 Die Beschreibung des Pontifikats Sixtus’ V., mit dem Georg Nigrinus’ Papstgeschichte endet, fasst in Kürze zusammen, wie die Sicht der deutschen Protestanten auf die politische Lage um 1589 gewesen sein dürfte: Den Katholiken gehe es einzig und allein um die Stärkung der „heiligen Liga“ und den Erhalt des Papsttums. Dieses geschehe unter Mithilfe der Jesuiten, „der Geistlichen Heuschrecken lehr, so sich inn alle Welt nider gethan alles was noch grün an heiliger Schrifft ist, zu benagen, das Evangelium Christi außzutreiben und alle Bäpstliche greuel und Teuffelische Tyranney den Bann dadurch sie für dieser zeit alle gewaltigen erschreckt und bezwungen haben“.35 Nigrinus fasst die weiteren relevanten Themen dieser Zeit zusammen: die Religionskriege, die Türkenbedrohung, die Auseinandersetzung in Köln, die Konkordienformel und den Tod der Königin von Schottland am 17. Februar 1587. Anlässlich des Jubeljahres 1600 werden in der identitätsstiftenden lutherischen Historiographie ähnliche Schemata der Erzählung verwendet.36 Nigrinus’ Werk ist ein eindrucksvolles Zeugnis der zeitgenössischen Wahrnehmung. Eine Frage drängt sich bei der Auseinandersetzung mit der Inquisition im Reich – zumal angesichts der Titel der beiden zuletzt vorgestellten Schriften gelische, daß sie wol merckten, es gelte ihn diese Kriegsrüstung. Wie auch der Cardinal von Lothringen die breden zu diesem Feuer geschüret, weist die Historia weitläuffig auf.“ 34 Papistische Inquisition, S. 714 ff.: „Anno 73 hat er zu Rom das neue Teutsche Collegium der Jesuiter begabet mit grossem einkommen.“ 35 Vgl. Papistische Inquisition, S. 726, davor steht: „Damit nun Sixtus sich bald beweise einen rechten Bapst unnd Antichrist hat er sobald im anfang seines Bapstthumbs den heiligen Bund (Sanctam ligam) wie sie ihn nennen zu stercken, und ir Bapstthumbs zu schützen angefangen mit allerhand Practicken […].“ 36 Beispielsweise bei Daniel Cramer, Zwo Historische Jahrpredigten, In welchen Aus glaub und denckwirdigen Geschichten kürtzlich widerholet wird, was Gott in nechst verwichener HundertJähriger zeit, für ein wunder […], o. O., o. Dr. 1600 [HAB H: S 309 4° Helmst. (2)].
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
radezu auf: Ob die Lutheraner auch eine wie auch immer gestaltete Inquisition – beispielsweise gegen die Calvinisten – in Erwägung zogen? Konkrete Hinweise darauf wurden nicht gefunden, Überlegungen zu dieser Frage hingegen auch von anderen Forschern angestellt.37 Die Lutheraner zeigten im Umgang mit Abweichlern in ihren eigenen Reihen wenig Gnade. Das ursprüngliche Luthertum galt es zu erhalten, das war nach der Reformation ebenso wichtig wie die Bekämpfung des Antichristen.38 Die Lutheraner schienen auf die Gerechtigkeit Gottes zu vertrauen, was die Bestrafung der Ketzer angeht: „Und nach vilfeltigen Ermanungen unnd Warnungen nicht davon absehen wollen, im Hellischen Feuer immer und ewiglich straffen, und inen bezahlen nach ihren Wercken.“39 Sachsen als Hochburg des Luthertums tat jedoch einiges, um die Orthodoxie aufrechtzuerhalten.40 Conrad Schlüsselburg, Superintendent in Stralsund, veröffentlichte zwischen 1597 und 1601 den Catalogus haereticorum. In dreizehn Bänden führt er auf, was aus Sicht der Protestanten überhaupt Ketzer sind. Hier tauchen erstaunlicherweise vor allem innerprotestantische Abweichler auf. Den Jesuiten ist übrigens als einziger katholischer Partei ein ganzer Band gewidmet, in dem vor allem theologisch die unrechte Auffassung der Katholiken beurteilt wird.41 Aus Sicht der Calvinisten waren, wie an der kursächsischen Publizistik eines Wilhelm Klebitz gezeigt werden konnte, Jesuiten, Papst und Spanier eine so drohende Gefahr, dass man innerprotestantische Einigkeit auf alle Fälle wah37
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In den von mir gesichteten Archivalien waren keine konkreten Hinweise zu finden; es bleibt jedoch nicht ausgeschlossen, dass dieser Aspekt unter der Lutheranern erörtert wurde. Wilde, Die Zauberei- und Hexenprozesse, thematisiert die Hexenprozesse in Kursachsen, gibt aber auch keinerlei Anhaltspunkte für diesen Aspekt. Siehe Pohlig, Konfessionelle Identitätsstiftung, S. 277: „Die Verketzerung des Luthertums mußte genauso bekämpft werden wie der altgläubige Versuch, es in eine häretische Tradition zu stellen.“ Pohlig gibt zu bedenken, dass es „keine zentrale Instanz gab, die über Häresie hätte entscheiden können“ (S. 278). So zu lesen in: Pierus Urban (1546–1616), Der Bericht von dem Büchlein, […] Gestelt durch etlicher Fursten Augspurgijscher Confession Theologen. Gedruckt zu Jena: durch Donat Richtzenhan, 1592, S. 71. Handtbuch, Darinnen zu finden, was sich fast teglichen, bey Gerichte zutreget, und was die Bepstische, Keyserliche und Sächsische Rechte davon sagen […] Neben der Instruction deß Churfürstlichen Sächsischen Inquisition Processes. Magdeburg, Johann Francken 1603 [HAB 123.1 Jur. (1)]. Zu frühneuzeitlichen Strafverfahren siehe Härter, Strafverfahren. Die Peinliche Gerichtsordnung des Reiches von 1532 stellte im 16. Jahrhundert die erste Vereinheitlichung des Rechts dar. Vgl. auch Blauert/Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte, allerdings auch ohne eindeutige Spuren von Inquisition. Vgl. dazu knapp Pohlig, Lutherische Identitätsstiftung, S. 281.
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590)
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ren musste. Die Protestanten wiederum sahen in den Calvinisten die eigentlich Schuldigen für die verfahrene Situation im Reich.42 Der Schlagabtausch zwischen diesen beiden Parteien war sehr heftig und so liegt es nahe, auch hier Inquisitionsmotive zu vermuten. Mussten aber nicht gerade angesichts der Vorgänge im benachbarten Ausland die Lutherischen und Reformierten eng zusammenarbeiten?43
Der Gifftspinnen-Streit
Die Fronten verhärteten sich im Reich zunehmend. Die gewaltsame Rekatholisierung Aachens beherrschte den Reichstag 1582 und die Protestanten machten die inzwischen wirksam in den Medien als Machteinheit inszenierte Troika aus Jesuiten, Papst und Spaniern allein dafür verantwortlich.44 Ein Gemälde sorgte in der Mitte der 1580er Jahre für eine neue publizistische Welle. Kaiser Rudolf II. erhielt 1585 den Orden vom Goldenen Vlies, was die Prager Jesuiten zu der Veröffentlichung eines illustrierten Flugblattes veranlasste.45 Lucas Osiander erhielt 1585 ein Exemplar der Versschrift aus Prag. Es sei ein „Gemäld“, das sie zu „beiden Seithen lateinische Verß angehängt“, beschreibt er das Flugblatt in seiner Abhandlung Warnung Vor der Jesuiter blutdürstigen Anschlägen und bösen Practicken.46 Es folgte ein publizistischer Schlagabtausch zwischen den Ingolstädter Jesuiten und Lucas Osiander.47 42 43 44 45
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Calvin war aus lutherischer Sicht offensichtlich nicht weniger als der Papst ein Antichrist, dieses begründete sich allerdings eher theologisch. Zu „Etappen gedächtniskultureller Aneignung des Religionsfriedens im Luthertum“ siehe Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 392 f. Vgl dazu Press, Kriege und Krisen, S. 161–167. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 291: Die wachsende politisch-konfessionelle Konfliktbereitschaft, die sich vor allem an der Beurteilung der Jesuiten manifestierte, trat, wenn ich recht sehe, verstärkt erstmals in der Mitte der 1580er Jahre hervor; dazu auch schon Oelke, Konfessionalisierung, S. 393 ff. Warnung Vor der Jesuiter blutdurstigen Anschlägen unnd bösen Practicken. Durch welche sie die Christliche, reine, Evangelische Lehr, sampt allen denen, so sich zu derselben offentsichtlich bekennen, auffzutilgen, unnd des Römischen Antichristes tyrannisch Joch der Christenheit widerumb auffzutringen understehn. Lucas Osiander D. Getruckt zu Tübingen, bey Georgen Gruppenbach, Anno 1585 [HAB 171.18 Quod. (4) und 207.5 Theol. (1)]. Dazu ausführlich Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 291 ff. Scherer richtete gegen Lucas Osiander drei Schriften: Rettung der Jesuiter Unschuld wider die Giftspinne Lucam Osiander (1585), Triumph der Warheit, wider Lucam Osiandrum
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Osiander lässt außer Zweifel, dass die Jesuiten die Hauptverantwortlichen seien, die den Augsburger Religionsfrieden im Reich revidieren wollten. Er sieht die Jesuiten nicht als Personal der Inquisition, aber als verantwortlich für deren drohende Einführung im Reich.48 Besonders deutlich ist dieses in Osianders Verantwortung, wider die zwo Gifftspinnen49 beschrieben: „Es ist ja land, und zwar weltkündig, was für grosse Verfolgungen uber fromme Christen ettliche wenig Jar (nachdem die Jesuiter bey Päpstlichen grossen Herrn, in ein hohes ansehen kommen) im Niderland, Hispania, und an anderen Orten fürgegangen, da man einfältige fromme Christen gehenckt, ertrenckt, geköpft, erstochen, verbrent hat, mehr, dann zuvor in dreymal sovil Jaren geschehen. Ich rede aber jetzt nicht von solchen Personen, die umb auffrührerischer thaten, oder anderer mißhandlung willen, sein hingerichtet worden, sondern von denen, die allein, allein sag ich, darumb sein erwürgt worden, dass sie vom Papstumb (dessen sie billich müd worden) auß antrib ihres Gewissens, abgetretten, und des heiligen Evangelii begürig gewesen sein, sonsten aber in allen andern Sachen, weder den schuldigen Gehorsam verweigert, noch andere Unthaten begangen. Wievil hat, in Hispania un in Niderland, die Hispanische Inquisition Bluts gekostet? Seidt der Teuffel die Jesuiter (des Römischen Antichrists Verzähter und Blaßbälg) außgebrüttet, und inen auff die Füß geholfen hat?“50 Das katholisch-spanische Bündnis hatte also einen neuen Motor: „Die Jesuiter sagen, man soll die Ketzer verbrennen.“51 Die von spanisch-jesuitischen
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(1587) und Fortsetzung Deß Triumphs der Warheit, wider Lucam Osiandrum (1588). Osiander verfasste nach seiner Warnung von 1585 Verantwortung wider die zwo Giftspinnen (1586) und eine Endtliche Abfertigung (1589). Vgl. dazu auch Traitler, Konfession und Politik, S. 120–130. Es verwundert, dass die neue Literatur zu diesem Themenkomplex dazu wenig bringt, teilweise kommt die Inquisition gar nicht vor, wie bei Paintner, Antijesuitische Flugpublizistik, S. 127. Verantwortung, wider die zwo Gifftspinnen, Georgen Scherern, un Christophorum Rosenbusch, beide Jesuiter: welche aus der trewherzige, fridfertigen „Christliche Warnung“, vor der Jesuiter blutdurstigen Anschlägen, und bösen Practicken als aus einer wolrüchenden Rosen, lauter Gifft gesogen […] Lucas Osiander, getruckt zu Tübingen, bey Georgen Gruppenbach, Anno 1586 [HAB 207.5 Theol. (2)]. Verantwortung, S. 71. In der Biblioteca Casanatense in Rom ist der Schlagabtausch zwischen Scherer, Rosenbusch und Osiander in deutschen Fassungen zu finden. Randnotiz (S. 21) in Osiander, Endtliche Abfertigung der beider Jesuiter, Christoffen Rosenbuschen und Georgen Scherers. Darinnen erwiesen würdt, daß den Jesuitern nicht ungütlich beschehen, in dem meniglich (hohes und niders Stands) vor ihnen, als vor den Zerstörern des Religionsfridens, unnd Anstiftern der Verfolgungen (wider die Evangelischen
4.1 Religionsfriede und publizistisches Kreuzfeuer (1570–1590)
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Akteuren geplante Inquisition stelle eine massive Bedrohung für das Reich dar und auch darüber hinaus für die Nachbarn von Frankreich. Auf dem Reichsdeputationstag zu Worms 1586 wurde unter den protestantischen Ständen darüber beraten, wie man den französischen Glaubensbrüdern helfen könne. Solidarität untereinander sei unbedingt erforderlich, weil sonst die Gefahr bestehe, dass der Papst im Falle eines Sieges in Frankreich „darnach mit gewalt an unns Teutsche setzen und das papstumb uffzutrinen unterstehen wurde.“52 Als Begründung für die hier vorgetragenen Sorgen wurde noch immer das ominöse Treffen von Bayonne ins Feld geführt, ein deutliches Indiz, dass die katholischen Gerüchte über Bündnisse unter den verschiedenen katholischen Parteien ein vorherrschendes Angstmotiv unter den Protestanten waren. Man habe eben gesehen, „wie der duc de Alba heraus getzogen unnd die baionische liga angangen, auß wohlbegrundten ursachen unnd motiven vor augen gesehen, das der Pabst unnd sein anhang damit umbgehe, die execution des tridentinischen concilii ins werck zu setzenn und die bekenner der wahrheit, auch weitere vortsetzung und propagierung unser allein seligmachenden religion außzutilgen“.53 Die Traktate und Pamphlete der protestantischen Autoren wurden immer radikaler. Möglicherweise sollte durch diese polemisierende Rhetorik ein breiteres Publikum anzogen werden, so dass möglichst alle Schichten im Reich erreicht würden. Ein sich durchziehendes Motiv dieser Rhetorik ist die Rede von der bedrohten Freiheit der deutschen Nation. Die katholische Seite hielt inzwischen mit nicht minder scharfen publizistischen Waffen dagegen, wobei auch sie das Motiv des Patriotismus aufzugreifen begann.54
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Christen) treulich gewarnet werden, Tübingen, Gruppenbach, 1589 [HAB Alv. U 143 (3)]. Randnotiz auf S. 22: „Rosenbusch will auch die ketzer (er versteht aber die Lutherisch) todt haben.“ RTA, Reichsversammlungen 1556–1662, Der Reichsdeputationstag zu Worms 1586, Nr. 37a, Hessische Instruktion für die Verhandlungen im Konfessionsrat betreffend die Gesandtschaft der C.A-Stände nach Frankreich, vgl. S. 851. Vgl. Nr. 37a, S. 850 f. „Man müsse auch aus den Erfahrungen des Kölner Krieges lernen, wie unsere papisten in Teuschlandt durch allerhand practicken dem Pabst die hand ungescheut böten, unnd das collnische werck, anders zu geschweigen, gnugsamb außweisete.“ Ein stichprobenartiger Blick in die Messrelation des gleichen Jahres brachte übrigens keine Ergebnisse bezüglich der Ligagerüchte. Michael von Aitzing, Kurtzer Historischer begriff und Inhalt, der Hendel, so sich im Niederlandt unnd Ertzstifft Cöln, die nechsten sechs Monat hero, und etwas davor, zugetragen, biss auff jetz ablauffendts Monat Septembris Anno 1589, o. O., o. Dr. [HAB 198.1.1 Hist (1–5)]. Schmidt beschreibt es in Die Union und das Heilige Römische Reich, S. 15, sehr treffend: Die Medien deuteten die Krise vorwiegend konfessionell, sorgten aber zugleich
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
4.2 Päpstliche Deutschlandstrategien um 1600 Nach Trient: Wo stand Rom?
„Der Katholizismus schloss die Reihen und formierte sich zum Kampf“, fasst Gotthard die vom Papsttum eingeleiteten Maßnahmen im Zuge der Gegenreformation zusammen.55 Der Jesuitenorden war dabei, wie beschrieben, die erste Instanz, die im Reich wirkte. Es gab aber noch weitere Aktionen Roms, die der Durchsetzung der tridentinischen Dekrete dienen sollten.56 Wie gingen die Päpste nach dem berüchtigten Pius V. mit dem Thema Inquisition um? Die Inquisition hatte sich in Rom institutionell verankert und etabliert. In der gegenreformatorischen Politik war sie eine wichtige Instanz für die Kontrolle der Gesellschaft und beschränkte ihr Tätigkeitsfeld in der Theorie nicht mehr nur auf Italien. Reformierte und lutherische italienische Enklaven im Reich wie beispielsweise in der Stadt Nürnberg sollten im Austausch mit Italien behindert werden. Die Päpste kritisierten nicht selten die Passivität der deutschen Katholiken, die ihrer Meinung nach überhaupt dazu geführt habe, dass sich der Protestantismus so weit durchsetzen konnte.57 Als Kontrollinstanzen vor Ort dienten die Nuntien, die päpstlichen Vertreter. Die Nuntien waren nach wie vor der wichtigste Faktor bei der
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mit motivierenden Signalbegriffen wie „deutsche Freiheit“ oder „Vaterland“ dafür, dass der Einheitsgedanke nicht völlig verschwand. Auch katholische Publizisten griffen den meist protestantisch gedeuteten Patriotismus auf. Gotthard, Altes Reich, S. 67. Die Hauptaufgabe der römischen Inquisitionsbehörde und ihrer Zweigstellen bestand nun in der Kontrolle über die religiöse Praxis, in der Ahndung von Verstößen gegen die öffentliche Moral und gegen das Kirchenrecht, die als Glaubensdelikte begriffen wurden, sowie in der Aufsicht über das Geistesleben mittels Zensur. Vgl. Zunckel, Kaufleute, mit weiterführender Literatur. So auf dem Reichstag zu Augsburg 1582: Man sehe auch mit Sorge, dass die Anzahl der protestantischen Vertreter am Reichskammergericht zunehme und freie Stellen in Domkapiteln mangels Personal mit Calvinisten oder Protestanten besetzt würden. Die Bischöfe würden zudem ihr Amt vernachlässigen. Die katholischen Reichsstände wehrten sich gegen den Vorwurf der Nachlässigkeit und übergaben Madruzzo eine Schrift, in der sie auf ihre geringe Einflussmöglichkeit hinwiesen. Außer den Gerichtsrechten seien nicht viele Möglichkeiten geboten, wolle man die Gewalt aussparen. Die Erzbischöfe sollten Landesvisitationen durchführen lassen. Vgl. RTA XXX (Augsburg 1582), Nr. 368, Vortrag des Kardinallegaten Ludovico Madruzzo vor den geistlichen Fürsten und Ständen. Vgl. RTA XXX (Augsburg 1582), Nr. 369, Antwort der geistlichen Reichsstände zum Vortrag von Kardinallegat Madruzzo.
4.2 Päpstliche Deutschlandstrategien um 1600
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Ausdehnung der kurialen Macht.58 Dabei ging es weniger um Glaubensüberzeugungen als um politisches Machtkalkül.59 Wie sehr die Kurie dabei ihre eigene Lage überschätzte, geht aus den Hauptinstruktionen der Päpste an die Nuntien hervor.60 Hauptaufgabe der Nuntien war es, die Realisierung der Tridentinischen Dekrete zu überwachen und zu fördern. Dafür wurden auch neue Nuntiaturen gegründet, und zwar in Luzern, Köln und Graz. Besonders Graz spielte eine wichtige Rolle als katholischer Stützpunkt gegenüber der Präsenz der Lutheraner in den österreichischen Erblanden. Zur generellen Aufgabe eines Nuntius hat die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten gründlich gearbeitet:61 Der Nuntius war der Vertreter des Papstes vor Ort. Durch ein ihm am Anfang seiner Mission ausgehändigtes Breve waren seine Aufgaben und Rechte definiert. Der Schwerpunkt lag in der Überwachung der geistlichen Vertreter vor Ort durch Visitationen, Kontrolle und Anleitung der Bischöfe, Gründungen von katholischen Universitäten und Buchdruckereien und schließlich die genaue Berichterstattung nach Rom. Es ging eher um den Erhalt der katholischen Bereiche als um ein nachhaltiges Wirken in protestantischen Gebieten. Die Bestimmungen von Trient und der neue römische Zentralismus sollten sich auch bei den deutschen Katholiken etablieren.62
Dauerhaftes Problem: Der Buchmarkt
Die Nuntiaturberichte sind innerinstitutionelle Texte, die nicht für die Masse publizistisch aufgearbeitet wurden. Daher finden sich in Bezug auf die Inqui58 59
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Zum Wesen des Nuntius allgemein vgl. Koller, Prudenza, zelo e talento. Dieses wird jedenfalls in der älteren Literatur diskutiert, auf die hier verwiesen, aber nicht umfangreich eingegangen werden kann: Vgl. Lutz, Konfessionsproblematik. Schmidt, Inquisition und Zensur, S. 32, macht auch auf die spärliche Bearbeitung der Inquisitionsfragen in den Hauptinstruktionen an die Nuntien aufmerksam. Beispielsweise Jaitner, Instructiones. Das Deutsche Historische Institut in Rom hat durch die traditionelle Herausgeberschaft der Nuntiaturberichte diese Tatsache gefördert. Vgl. zu den Aufgaben eines Nuntius vor allem Koller, Prudenza, zelo e talento. Vgl. Koller, Prudenza, zelo e talento, S. 59, zur Bedeutungslosigkeit der Nuntien: „Im Prozess der Konfessionalisierung waren die Nuntien Akteure, sie wurden zu zentralen Vermittlern des gegenreformatorischen Programms, allerdings mit der Konsequenz, dass sie gleichzeitig selbst von der Konfessionalisierung erfasst (konfessionalisiert) wurden und dadurch einen gravierenden politischen Bedeutungsverlust erlitten.“
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
sition vor allem Berichte über besorgniserregende Zustände oder den nicht zu kontrollierenden Buchmarkt. Eng an die Aufgabe der Nuntien war die Buchzensur gekoppelt.63 Papst Clemens VIII. erließ 1596 einen neuen Index der verbotenen Bücher und zeigte insgesamt während seines Pontifikats großes Interesse an der Kontrolle des Buchmarktes. Die Buchmesse in Frankfurt blühte um die Zeit ab 1580 immer mehr auf. Vor allem das Geschäft mit indizierten Büchern florierte. Die vom Kaiser zur Kontrolle des innerdeutschen Marktes ernannten „Bücherkommissare“ arbeiteten auch für den Papst. Der erste in diesem „Doppel-Amt“ war Valentin Leucht (1550–1619).64 Um seine Autorität auch institutionell formal legitimieren zu lassen, wandte er sich an die römische Inquisition, um eine päpstliche Approbation für Bücherverbote zu bekommen.65 Es gibt anscheinend keine Flugschriften, die die Vereinigung der kaiserlichen und der päpstlichen Buchzensur in einer Person thematisieren oder auch nur die Tatsache, dass die Inquisition in Rom sich mit den Bücherverboten befasste.66 In Bayern war 1566 ein Zensurkatalog für Bücher erschienen, an dem sich die dortigen Nuntien orientierten. Er war wohl an dem Kölner Index von 1564 orientiert, der von Papst Pius IV. herausgegeben worden war. Protestantische Territorien, in denen keine Nuntien wirkten, sollten sich an der Reichspoliceyordnung orientieren und an den jeweiligen Zensurbestimmungen des Territoriums. Aber weder diese noch der kaiserliche Bücherkommissar konnten den äußerst lukrativen Markt für verbotene Bücher unter Kontrolle bringen, vielmehr galt nach wie vor: Je mehr verboten wurde, desto interessanter wurden die Schriften. Den Päpsten dürfte es vor allem darum gegangen sein, die Einfuhr „ketzerischer“ Literatur nach Italien zu verhindern, wobei auch diese Kontrolle als schwierig galt und der Schwarzmarkt blühte. 63 64
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Zu den Messrelationen siehe Glüer, Meßrelationen, allerdings eher germanistisch als historisch betrachtet. Aus der älteren Forschung Eisenhardt, Kaiserliche Aufsicht. Vgl. Eisenhardt, Kaiserliche Aufsicht, S. 82: Der erste Nachweis eines Kontakts zwischen Leucht und der Kurie war ein Brief von Leucht an den Prager Nuntius Ferreri am 26. Kuli 1604. Vgl. Eisenhardt, Kaiserliche Aufsicht, S. 83: Am 25. Januar 1605 erhielt Leucht eine Urkunde, mit der er nach eigenem Ermessen mit „apostolischer Autorität“ Bücher verbieten konnte. In den Nuntiaturberichten finden sich ebenfalls wenige Angaben dazu. Genannt sei ein Brief vom Prager Nuntius Ferreri an die Inquisition in Rom vom 22. Mai 1606: Ferreri beschwert sich über Leucht, seine unzureichende Sorgfalt und Verzögerung in der Zensur, siehe Nuntiaturberichte, Meyer, Nr. 769, S. 751, und Eisenhardt, Kaiserliche Aufsicht, S. 84.
4.2 Päpstliche Deutschlandstrategien um 1600
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Kaufleute und Inquisition
Betrachtet man die Wege, über die traditionell Literatur die Grenzen überschritt, so spielten traditionell – wie beispielsweise schon bei der Verbreitung der Nachrichten über die Löwenschen Artikel deutlich werden konnte – besonders die Kaufleute eine wichtige Rolle. Insofern müssten, so eine wohl naheliegende Vermutung, deutsche protestantische Kaufleute, die Italien bereisten, von der Inquisition besonders ins Auge gefasst worden sein. Im Inquisitionsarchiv ist zwar die Dokumentation über in Rom anwesende protestantische Kaufleute aus unterschiedlichen Ländern erhalten, jedoch wurden Informationen darüber anscheinend nicht in Deutschland weiterverbreitet.67 Ein Dokument der immer stärker werdenden Institutionalisierung der Inquisition in Bezug auf die Glaubenskontrolle im Reich ist die zunehmende Kommunikation zwischen Nuntien und Inquisition, von der allerdings keine Zeichen in der Öffentlichkeit zu finden sind.68 Seit 1580 nimmt die Dichte der Korrespondenz deutlich zu, das Interesse 67
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Die Spezialisten auf diesem Gebiet, Julia Zunckel und Peter Schmidt, bestätigten meinen Eindruck, dass in dieser Hinsicht wenig überliefert (wie beispielsweise eine Art Handbuch für das Verhalten im katholischen Ausland) oder schlichtweg wenig dokumentiert ist (wie viel wissen wir über die Sicherheit deutscher Kaufleute in Italien?). Dazu Schmidt, Fernhandel und römische Inquisition: Schmidt macht deutlich, dass die Inquisition zwar Anlass gegeben habe, vorsichtig zu sein (das galt auch für die Italiener in Deutschland, wie etwa in der bereits erwähnten Enklave in Nürnberg), die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen und bzw. zwischen den Ländern seien allerdings trotz versuchter Sanktionierung unberührt geblieben, S. 119. Vgl. auch Schmidt, Eintrag „Stranieri“ im Dizionario storico dell’Inquisizione. Peter Schmidt machte mich auf einen Band (Germanica) im vatikanischen Inquisitionsarchiv aufmerksam (ACDF, St.st. TT 1–a), der die Korrespondenz von Nuntien, Bischöfen und Kurienmitgliedern der Jahre 1557–1619 enthält. Es handelt sich um den ersten Band der bislang noch nicht umfassend ausgewerteten Deutschland betreffenden Serie. Ein analoger Band dürfte auch für Nordwestdeutschland angelegt worden sein, ist aber verloren gegangen. Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass die römische Inquisitionsbehörde ähnliche Sammelbestände auch für andere Länder anlegte. Einen Hinweis darauf, wie eng das europaweite Informationsnetz für inquisitionsrelevante Angelegenheiten war, liefert ein Punkt in der am 20. September 1592 ausgestellten Hauptinstruktion für den spanischen Nuntius Camillo Caetani, in dem dieser angewiesen wird, dem König mitzuteilen, dass der Papst über seine Minister und fromme Männer in Niederdeutschland informiert sei, dass Calvinisten aus Holland und Zeeland sich gegenüber ihren Freunden damit brüsteten, Bücher ihrer Sekten nach Spanien zu schicken, wo die Inquisition nicht mehr so rigoros vorginge wie einstmals. Vgl. Jaitner, Die Hauptinstruktionen, S. 86.
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
der Kurie und also auch der Inquisition an der Lage im Reich schien zu steigen. Auch der Nachfolger Clemens’ VIII., Papst Paul V. Borghese, wollte entschlossen die einstige Autorität der katholischen Kirche wiederherstellen, Indexkongregation und Inquisition waren dabei behilflich.69 Unter dem Pontifikat Pauls V. Borghese (1605–1621) bestand dieser direkte Kommunikationskanal weiter fort. Dies betont auch Peter Schmidt in einem Aufsatz zur Kölner Nuntiatur und zum Tätigkeitsbereich des dort wirkenden, apostolisch approbierten Inquisitors. Es muss aber festgehalten werden, dass das Ausgreifen der römischen Inquisition ins Reich substantiell lediglich über die in der Regel mit inquisitorischen Fakultäten ausgestatteten Nuntien möglich und dass deren Handlungsspielraum in Deutschland mangels Unterstützung der weltlichen Obrigkeiten sehr gering war, so dass die Inquisitionsfakultäten gewissermaßen lediglich in abgeschwächter Form bezüglich der Kontrolle des Klerus, in Zensur- und Konversionsangelegenheiten wirksam werden konnten.70 Das seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts – ungefähr zeitgleich mit der strategischen Wende der Inquisitionsbehörde – zu verzeichnende steigende Interesse der römischen Glaubenshüter am Reich dürfte für die Dynamik der Deutschlandpolitik Roms dennoch von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen sein. Welchen Anteil die römische Inquisition bei der Ausarbeitung der Deutschlanddirektiven konkret hatte, ist in Anbetracht einer Reihe von Forschungsdefiziten bislang jedoch nicht zu ermessen.
Der Tod Giordano Brunos 1600
Der spektakuläre Tod Giordano Brunos fand im Reich kaum Erwähnung.71 Dass keine deutsche Flugschrift aufzufinden war, die sich dem Tod Brunos widmet, ist umso erstaunlicher, als ein Gesandtschaftsmitglied, Kaspar Schoppe, aus Rom 69
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Schmidt, Inquisition und Zensur, und Alexander Koller, War der Papst, behandeln die neuerdings erforschte Zäsur der päpstlichen Politik unter Paul V. Das Pontifikat Pauls V. ist hervorragend erforscht, vgl. Koller, Außenbeziehungen. Schmidt, Inquisition und Zensur. Beim in Köln operierenden Inquisitor handelte es sich vermutlich um ein Unikum. Es ist zu betonen, dass der Borghese-Papst als Kardinal Mitglied der Inquisitionskongregation gewesen war, als deren Leiter er nach dem Tod (1602) Giulio Antonio Santoris fungiert hatte. Das Schicksal Giordano Brunos dürfte heutigen Lesern hingegen gut bekannt sein: Nach langem Gefängnisaufenthalt wurde er am 17. Februar 1600 in Rom auf dem Campo de’ Fiori hingerichtet.
4.2 Päpstliche Deutschlandstrategien um 1600
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an einen Freund in Deutschland über den Tag der Hinrichtung berichtete.72 Schoppe war Augenzeuge der Verbrennung auf dem Campo de’ Fiori. Er führt in seinem Brief aus, dass normale Betrachter hätten meinen können, Bruno sei als Ketzer, also als Lutheraner, verbrannt worden. Die Italiener könnten eben nicht Ketzer voneinander unterscheiden und setzten alles Ketzerische mit lutherisch gleich.73 Dabei müsse kein Lutheraner oder Calvinist in Rom fürchten: „Ut autem veritatem ipsam ex me accipias, narro tibi, idque ita esse fidem do testem: nullum prorsus Lutheranum aut Calvinianum, nisi relapsum vel publice scandalosum, ullo modo Romae periclitari, nedum ut morte puniatur.“74 Schoppe betont, dass der Papst selbst wolle, dass die Lutheraner in die Stadt kämen und freundlich empfangen würden.75 In den römischen Avvisi heißt es: „Giovedì fu abbrugiato vivo in Campo di Fiore quel frate di san Domenico, da Nolla, heretico pertinace, con la lingua in giova per le brutissime parole che diceva, senza voler ascoltar né confortatori né altri. Sendo stato dodici anni prigione al S. Officio, dal quale fu un’altra volta liberato.“76 Sucht man propagandastarke Flugschriften über die Verbrennung Giordano Brunos, so wird man enttäuscht. Wohingegen dem Todesurteil gegen einen evangelischen Pfarrer in der Steiermark eine ausführliche Flugschrift gewidmet wurde.77 72
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Im Oktober 1598 kommt im Gefolge des deutschen Gesandten Wacker von Wackenfels Kaspar Schoppe nach Rom und schreibt am Tag der Hinrichtung an Rittershausen; der Text liegt ediert vor bei Firpo, Il processo, S. 348–355. Ebd. „Ut vero nun etiam scriberem, hodierna ipsa dies me instigat, qua Iordanus Brunus propter haeresin visus vidensque publice in Campo Florae ante Theatrum Pompeii est combustus. […] Si enim nunc Romae esses, ex plerisque omnibus Italis audires Lutheranum esse combustum. […] Italos nostros inter haereticos alba linea non signare neque discernere novisse, sed quicquid est haereticum, illud Lutheranum esse putant.“ Zitiert nach Firpo, Il processo, S. 349. Ebd. „Haec sanctissimi Domini nostri mens est, ut omnibus Lutheranis Romam pateat liber commeatus, utque a cardinalibus et praelatis Curiae nostrae omnis generis benevolentiam et humanitatem experiantur.“ Biblioteca Apostolica Vaticana (BAV), Urb. Lat. 1068, fol. 131r–v (Da Roma vom 19. Februar 1600). Siehe auch eine ähnliche Nachricht im gleichen Band, fol.110v vom 19. Februar 1600. Kurtze und warhafftige Historische erzehlung, Wie und welcher gestalt Paulus Odontius gewesener evangelischer Prediger zu Waltstein in Steyermarck, wegen der Lehr und Predigt des heiligen Evangelii, von der Grätzerischen Inquisition gefenglich eingezogen auch umb desselben standhafftigen bekentnis, zweymahl zum Tod verurteilt, o. O., o. Dr. 1603 [HAB 510.4 Theol. (5)].
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Selbst die Protestanten mutmaßten, „die Papisten sind jetziger zeit so übermütig, weiln unter den Evang. Ständen keine rechte zusammensetzung eine gute zeit hero gewesen“.78 Kurzum: Es lässt sich zwar eine Intensivierung der Kommunikation zwischen Inquisition und den Nuntien im Reich beobachten sowie eine unverändert antiprotestantische Haltung der Päpste. Doch wird das Agieren der Inquisition in deutschen Flugschriften kaum noch thematisiert. Dass dies nicht als Beleg für ein Nachlassen der inquisitorischen Glaubensverfolgung gelten kann, wird in Kapitel IV dieser Untersuchung en détail an einem einzelnen Fall gezeigt werden.
4.3 Vom spanischen Winter (1598/99) zum Dreißigjährigen Krieg Was seit Alba geschehen ist
Johannes Arndt hat Recht mit der Annahme, dass nach 1566 die spanische Inquisition zwar in der antispanischen Literatur stets eine Rolle spielte, aber durch zwei Ereignisse besondere Aufmerksamkeit erfuhr. Zum einen durch den Rekatholisierungsversuch des Generals d im rheinisch-westfälischen Reichskreis 1598/99, zum anderen während des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges.79 Der Aufstand der protestantischen Fürsten in den Niederlanden stellte die Protestanten im Reich vor eine Solidaritätsfrage, denn in erster Reihe kämpften die Pfälzer, die von Beginn an unter der Leitung von Kurfürst Friedrich III. die Aufständischen militärisch unterstützten – und sie waren bekanntlich Calvinisten. Die oben erwähnte Supplikation Wilhelms von Oranien hatte zunächst nicht den gewünschten Erfolg gebracht, so konnte er die großen protestantischen Fürstenhäuser nicht gewinnen. Das änderte sich allerdings im Laufe der Jahre. Ab 1590 bekundeten auch Hessen-Kassel und Kurbrandenburg ihre Solidarität mit den Niederländern. Hinzu kamen kleinere Grafschaften, vor allem im westfälischen und rheinischen Gebiet. Hier zeigte sich neben der territorialen Nähe auch insofern Solidarität, dass diese Gebiete die meisten Flüchtlinge aufnahmen. 78
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Wolmeinende Warnung. An alle Christliche Potentaten und Obrigkeiten, Wider Deß Bapsts unnd seiner Jesuiten hochgefehrliche Lehr und Prackticken: Auß Bäpstlichen und Jesuitischen Büchern gezogen, o. O., o. Dr. 1606 [HAB Pol.54 (1)], S. 33. Zum Dreißigjährigen Krieg sei für die hier verhandelten Zusammenhänge auf die Studien von Peer Schmidt verwiesen.
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Der „konfessionalistische Internationalismus“80 war zu einem großen Teil den Glaubensflüchtlingen geschuldet81 und sah sein Zentrum nicht umsonst am Rhein, wo Frankreich, die Niederlande und die Pfalz dicht beieinander lagen. Während die reichsinterne publizistische Auseinandersetzung mit den Jesuiten eher von den lutherischen Schreibern geführt wurde, widmeten sich die Pfälzer in der Tradition Wilhelm Klebitz der allgemeinen vor allem außenpolitischen Lage.82
Der spanische Winter 1598/99
Als „spanischer Winter“ wird in der Geschichtsschreibung bekanntlich der Einmarsch des spanischen Heeres im niederrheinisch-westfälischen Reichskreis im Winter 1598/99 bezeichnet.83 Als maßgeblich verantwortlich dafür wurde der Admiral Mendoza angesehen. Mendoza hatte 1598 von Erzherzog Albrecht VII. von Österreich, seit 1598 Nachfolger Philipps II., das Kommando über das spanischniederländische Heer übertragen bekommen. Die Spanier hatten Gebiete an die Aufständischen verloren und sollten nun zu einer ausgedehnten Militäraktion ausrücken, um sie wieder zu besetzen. 80
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Schilling, Konfessionalisierung und Formierung, S. 597. Wie schon Arndt betont Schilling das dichte Netzwerk von Druckern, Verlegern und humanistischen Intellektuellen, die ein ausgedehntes Kommunikationsnetz über die reformierten Gebiete spannten. Johannes Arndt beschreibt das sich entwickelnde „internationale calvinistische Netzwerk“ aus Fürsten, Gelehrten, Beamten und Pfarrern. Er weist zu Recht auf die bedeutende Rolle der Theologen und Gelehrten hin, wie beispielsweise den hier relevanten Philipp von Marnix: Ihre Ausbildung und Gelehrsamkeit, besonders aber die mehrfachen Wechsel der Wirkungsstätten und ihr Briefwechsel mit Korrespondenten in ganz Europa machen sie zu Multiplikatoren einer dynamischeren Entwicklung der politischen Kultur. Vgl. Arndt, Die Niederlande, S. 210. Auch über die Zustände in Spanien selbst wird im Reich weiterhin berichtet: Neue Zeitung auß Hispanien. Warhaffte verzeychnußder Personen, welche inn Hispania, auff der Heyligen Inquisition Järlichen Peinlichen Gerichtstag […] seind offentlich fürgeführt und gestrafft worden, Augsburg, o. Dr. 1580 [HAB, 198.14 Hist., Bd. 3, (130)]. Darin heißt es: „die Inquisitoren handeln unter dem Schein der Heyligkeyt. Denn sie schleichten auch in die Häuser , die Weiblein zu hindergehn, und mit mancherley lüsten fahren. Innmassen solch heutigen tag die Reformation inn Niderland erweisen, allda man um allerley unzucht und die unmenschliche Sodomi etlich vil von den genanten Geystlichen hat müssen straffen“. Neben der alten Darstellung bei Ritter, Deutsche Geschichte, und Schmidt, Der spanische Winter, siehe auch Nicklas, Macht oder Recht.
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Im September 1598 zogen ca. 20.000 spanische Söldner in den niederrheinisch-westfälischen Reichskreis. Es folgte im Oktober die Besetzung von Rheinberg und weiterer kleinerer Städte wie Moers. Die Burg Broich und das Stift Essen wurden belagert und geplündert. Dabei soll es zu wilden Übergriffen der spanischen Soldaten auf die Bevölkerung gekommen sein. Hintergrund war auch, dass die spanischen Söldner seit Jahren auf ihren Lohn warteten, Meutereien und Plünderungen waren daher auch die Folge der spanischen Geldknappheit. Die spanischen Truppen breiteten sich in den anliegenden Gebieten aus und schon im Oktober wurde die Stadt Rheinberg eingenommen.84 Nach einem kurzen Zusammentreffen mit niederländischen Truppen bei Doesburg entschloss sich Mendoza offenbar zum Rückzug. Der bevorstehende Winter zwang ihn, im rheinisch-westfälischen Gebiet Quartier zu beziehen. Die Besetzung der Grafschaft Mark und des Herzogtums Kleve hatte großen Protest im Volk zur Folge. Man beschwerte sich beim Kaiser. Die Truppen der Calvinisten, unterstützt von Hessen und Braunschweig, drängten die spanischen Truppen schließlich in jülichische Gebiete zurück.85 Philipp von Marnix war einer der federführenden Autoren im niederländischen Aufstand. Er war seit 1571 Privatsekretär bei Wilhelm von Oranien und verfügte über beste Kontakte zu den Humanisten und anderen Geistesgrößen der Zeit. Marnix gilt als Autor der ausführlichsten Flugschrift zur spanischen Invasion.86 Besonders hervorgehoben wird in dieser Flugschrift, dass das einfache 84 85 86
Vgl. Ritter, Deutsche Geschichte, S. 136 f. Vgl. Arndt, Die Niederlande, S. 110. Hispanischer Arragonischer Spiegel, Darin mit gutem grund der warheit abgebildet zu was ende und effect, das etzige Spanische Kriegsvolck (so in dem Westphalischen Creiß auff des heiligen Reichs grundt und bodem sich noch an jetzo enthelt unnd nicht dann der Feind Christliches nahmens jemals gethan, daselbst herumb Thyrannisiert) sein vornehmen eigentlich gerichtet, o. O., o. Dr. 1599. Mehr als einhundert Seiten Quellenanhang dokumentierten die Politik der Spanier, darunter beispielsweise Akten der Brüsseler Zentrale. Auch diese Schrift: Ein sehr Nothwendige, Trewhertzige vnd Wolgemeinte warnung vnd Vermanungs Schrifft. Darinne der Spanier Tyranney, List, anschlege, und Practicken wider die Christen nentdecket, vnnd bey zeite jhre Gewalt zu brechen sey Ahn alle Chur vnd Fuersten Stende vnnd Staedte des Heiligen Reichs Deutscher Nation […] Vmb Den gemeinen Nutz […] der gantzen Christenheit zuerhalten./Erstlich durch ein fuerneme AdelsPerson in Latein beschrieben Jetzundt aber […] ins Deutsch gebracht, o.O., o. Dr. 1599, 20 Blatt [HAB Alv. Li 206 (2)] stammt von Philipp von Marnix. Die weitere Recherche nach Flugschriften mit Inquisitionsgerüchten blieb ergebnislos, wobei die hiesigen Archive des ehemaligen Herzogtums Jülich dazu nicht konsultiert wurden. Vgl. zu Marnix auch Hoffmeister, Hispanisch Arragonischer Spiegel.
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Volk besonders unter den Spaniern gelitten habe und dass es eben nicht nur um ein Winterquartier ginge, sondern um die Einführung der spanischen Inquisition im Reich.87 Marnix malte das Schreckensbild eines spanisch-päpstlichen Inquisitionsstaats, der demnächst eingeführt werden könne: „Daß nemblich, [...] der werden löblichen Teutschen Nation wohlfart und freyheit zu unterdrucken, alle gute ordnung und policey, mit auffhebung des Religion- und Landfriedens umbzukehren unnd mit gewaltsamer einführung der spanisch Inquisition, eine neue Kirchen Reformation und Reichsverfassung in Teutschland ihres gefallens anzustellen.“ Ziel der spanischen Offensive sei es vor allem gewesen, die „Evangelische Pfarherr und Kirchendiener abzuschaffen unnd das Bapsthumb wider anzurichten“.88 Es folgt eine ausführliche Beschreibung der Taten des Herzogs von Alba und seiner spanischen „Practicken“ in den Niederlanden, die einen Vorgeschmack dessen geben könnten, was durch den Einfall Mendozas nun zu erwarten sei. Marnix zitiert ein Schreiben der Kurfürsten von Kursachsen an Kaiser Rudolf II., in dem „umb Abschaffung der Spanier“ sowie das sofortige Stoppen von „Fangen, Rantjoniren, Todtschlagen und andern mehrern Vergewaltigungen“ gebeten wurde.89 Wenn den Spaniern in Jülich das „Tridentinische Concilium ins Werck zu stellen unnd zu exquiren“ gelingen sollte, dann drohe eben dieses auch dem gesamten Reich, nämlich die „Teutsche Freyheiz in die untregliche Dienstbarkeit der Spanischen Inquisition zu setzen, unnd gantz Teutschlandt unter ihr Spanisches Joch zu bringen“. Man habe bereits die Messe wieder eingeführt und die Kirchen neu geweiht, Mendoza handele nicht nur im Auftrag des spanischen Königs, sondern auch im Sinne des Papstes.90 Die in der Publizistik heraufbeschworene Gefahr eines spanisch-päpstlichen Rekatholisierungsmodells war mit dem „spanischen Winter“ 1599 in sehr greifbare Nähe gerückt.
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Vgl. dazu Arndt, Das Heilige Römische Reich, S. 262: Schon das Titelblatt suggerierte, dass der eigentliche Zweck des spanischen Einfalls nicht das Winterlager, sondern die Einführung der spanischen Inquisition im Reich sei. Arndt nimmt nur sehr knapp Bezug auf den Inhalt der Flugschrift. Hispanischer Arragonischer Spiegel, S. 7. Hispanischer Arragonischer Spiegel, S. 22, 40. Hispanischer Arragonischer Spiegel, S. 138.
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4. Ein spanisch-päpstlicher Inquisitionsstaat?
Bekannt: Das Ende des provisorischen Friedens
Seit den 1580er Jahren war die Situation im Reich immer verfahrener geworden. Die großen Themen Recht und Religion ließen sich nicht zufriedenstellend dauerhaft lösen. Nachdem der Kaiser sogar einen Krieg geführt hatte, war im Augsburger Religionsfrieden vor allem durch die Anerkennung der Protestanten zwar immerhin eine provisorische Lösung gefunden worden, doch angesichts der Verfolgung der Protestanten im westlichen Ausland sowie durch die Aktivitäten der Nuntien und der Jesuiten innerhalb des Reichs blieb immer zu befürchten, dass die Konfessionsfreiheit wieder in Frage gestellt werden könnte. Die Reichsstände hatten also viel Verantwortung für dieses Abkommen zu tragen und waren dafür auf einen flexiblen und integrativen Kaiser angewiesen. Nicht verwunderlich ist daher, dass mit dem Regierungsantritt Kaiser Rudolfs 1576 das Gerüst des Reiches langsam ins Wanken geriet, verfolgte Rudolf doch eine „katholische Politik“ ohne Kompromisse. Die Gründungen der protestantischen Union und der – in den protestantischen Flugschriften schon lange ideell vorweggenommenen – katholischen Liga 1608/09 waren logische Konsequenzen.91 In der Forschungsliteratur wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, wie das Motiv der Inquisition in der Publizistik als Beweis für den katholischen Eifer der Spanier, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckten, genutzt wurde.92
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Ich folge hier der Argumentation von Schmidt, Union und das Heilige Römische Reich, S. 9 f. Aus der riesigen Forschungsliteratur zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges sei hier auf die reichhaltigen Angaben bei Schmidt verwiesen. So auch ausführlich Schmidt, Spanische Universalmonarchie, ab S. 250. Er beschäftigt sich intensiv mit der Flugschrift Spanisch Muckenpulver, die um 1620 anhand der Geschichte der Inquisition auf die spanischen Greueltaten hinwies.
Fazit Inquisition taucht als Argument in Flugschriften zunächst immer dann auf, wenn konfessionelle und politische Spannungen im Reich dies den Verfassern von Flugschriften und Traktaten angebracht erscheinen lassen. Gerade die Flugschriftenproduktion mochte stark von Konjunkturen abhängen und an aktuelle politische Ereignisse gebunden bleiben, sie konnte aber auf etablierte Wahrnehmungsmuster zurückgreifen. Erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts lässt sich eine wachsende Wahrnehmung des Konfessionskonflikts im Reich als Teil eines europäischen Ringens nachweisen. Dabei verdrängen die Jesuiten als transnationale Akteure zunehmend die Inquisition als relevantestes Negativstereotyp, ohne dass diese aber gänzlich verschwindet. Die Reaktivierbarkeit dieser Stereotypen bringen ein Element gewisser Dauerhaftigkeit in den öffentlichen konfessionspolitischen Diskurs. Inquisition ist in den heutigen Medien eine gängige Metapher, die verwendet wird, wenn Kontrolle durch die Mächtigen oder eine besondere Art der institutionellen Zensur verübt wird. Die Ursprünge für diese wie auch immer geprägten Bilder liegen im 16. Jahrhundert. Wie sich gezeigt hat, beruhen die Ursprünge dieser Assoziationen aber nicht auf einer erfundenen Grundlage, die sich an Gerüchten oder Falschmeldungen orientierte. Die Bilder, die die deutschsprachigen Flugschriften wiedergaben, entstanden in einer politischen Ausnahmesituation, einer Bedrohungslage, einer für die Verfasser dieser Schriften elementaren Zukunftsentscheidung. Das Ziel dieser Arbeit war, durch eine enge Kontextualisierung zu zeigen, dass die Entstehung dieser Bilder einen Grund hatte bzw. sich der Wahrnehmungshorizont aus der politischen Situation, einer Information aus dem Ausland und der dementsprechenden Reaktion des jeweiligen Verfassers zusammensetzte. Die Studie zeigt, dass die Wahrnehmung von Inquisition als Teil der später so benannten Schwarzen Legende weit vor 1568 im Reich begann, wodurch die Annahme bestätigt wird, dass der deutschsprachige Teil des Reiches auch ohne eigenes Inquisitionstribunal einen gewichtigen Anteil an der Ausprägung der Wahrnehmung bzw. Etablierung der Inquisitionsthematik in der antispanischen Propaganda hatte. Ziel war das Aufkommen des Inquisitionsdiskurses aufzuzeigen sowie die Rekonstruktion seiner kommunikativen Verbreitung und Nutzung (und phasen-
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Fazit
weise auch auffallender Nichtnutzung) sowie der mit ihm verbundenen Wahrnehmungen im Reich. Kapitel 1 fand den Einstieg in die Untersuchung mit dem Aufkommen der Reformation und der damit beginnenden Massenkommunikation. Erste Märtyrerdarstellungen, wie das bekannte Beispiel der beiden lutherischen Antwerpener Mönche aus dem Jahr 1523, hielten sich in der Tradition der antipäpstlich-antikatholischen Propaganda, waren aber noch nicht Teil einer gezielten politischen Kommunikation. Gleichwohl wurden die wenigen Beispiele von repressiven Maßnahmen gegen lutherische Glaubensanhänger gerade im Vorfeld des Augsburger Reichstags über die Flugschriften verbreitet, nicht zuletzt um die eigene Position zu stärken. Denn das politische Klima änderte sich 1530 maßgeblich mit der Confessio Augustana, nach der sich die Spaltung des Reichs in zwei theologische Lager immer deutlicher abzeichnete. Die die päpstlichen Konzilspläne ab Mitte der 1530er Jahre begleitende Flugschriftenpropaganda der Protestanten nahm zwar die Debatte auf und äußerte, dass bei Erfolg des Konzils im Sinne einer Rückführung der Protestanten zur alten Kirche jenen die gewaltsame Verfolgung drohen könnte. Allerdings geschah das noch vor der Neugründung der römischen Inquisition 1542, weshalb hier noch nicht die gezielte päpstliche Repression einer Institution gemeint sein konnte. Auch die kaiserliche strenge Religionspolitik in den Niederlanden sickerte zwar zunehmend in die Informationskanäle des Reiches, wurde aber in den 1530er Jahren noch nicht als konkrete Bedrohung im deutschsprachigen Reich wahrgenommen. Der Zusammenhang zwischen der Wahl Karls V. und seiner sofort beginnenden scharfen Religionspolitik in seinen Erblanden, die Transformation der Reichstage zur konfessionspolitischen Entscheidungsbühne und die Etablierung von Flugschriften als masseninformativem Medium fand hier seinen bzw. ihren Anfang. Eine deutliche Verschärfung trat 1540 ein, als die kaiserliche Religionspolitik in den spanisch regierten Niederlanden die publizistische Bühne betrat: Auf dem Religionsgespräch in Worms 1540 wurden Gerüchte kolportiert, dass der Kaiser in den ihm direkt unterstehenden Niederlanden die Inquisition einführen oder inquisitionsähnliche Maßnahmen gegen die Protestanten ergreifen wolle. Die Wahrnehmung der kaiserlich-spanischen Religionspolitik als repressiv setzte demnach deutlich früher ein als mit dem Ausbruch des Achtzigjährigen Krieges 1568, mit dem der eigentliche Mythos der Schwarzen Legende begann. Es entstand ein konkretes Bedrohungsszenario, das den Protestanten durch das ambivalente Verhalten ihres Kaisers auf den ab 1541 in dichter Reihenfolge stattfindenden Reichstagen zunächst nicht klar war.
Fazit
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Kennzeichnend für diese Periode war vor allem die Ausprägung einer Reichstagsöffentlichkeit, die durch die große Dichte der Versammlungen zustande kam und in der die religionspolitischen Aktivitäten vor dem Hintergrund des Konfessionsstreits innerhalb des deutschsprachigen Teils des Reiches eine bedeutende Rolle spielten. So zeigt die Schrift von Johannes Sleidan aus dem Jahr 1544 ein beindruckendes und vor allem detailreiches Wissen um das Wirken der „Inquisitoren“ in den Niederlanden, was in dieser Phase der politischen Auseinandersetzung im Reich klar darauf zielte, die möglichen Folgen eines gewaltsamen Durchgreifens des Kaisers aufzuzeigen. Als dann 1545 öffentlich bekannt wurde, dass Papst Paul III. Farnese die Kriegspläne Karls V. finanziell unterstützen wollte, war das Szenario, das sich bei einer möglichen Niederlage abspielen könnte, für die Protestanten klar. Es ist hier deutlich festzuhalten, dass im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges für die protestantischen Zeitgenossen die mögliche Einführung einer Inquisition im Reich ein höchst reales Bedrohungsszenario war. Insofern ist den historischen Studien zu widersprechen, die diese Möglichkeit für den deutschsprachigen Raum als völlig abwegig ansahen und daher nie die Frage danach stellten, oder die den Inquisitionsdiskurs und dessen öffentliche Ausprägung ausschließlich mit dem Beginn des Krieges in den Niederlanden 1568 assoziierten. Auch wenn der Krieg für die Protestanten mit einer Niederlage endete, erfüllte sich das damit verbundene Bedrohungsszenario nicht, denn die Inquisition wurde nicht eingeführt. Dennoch war inmitten einer weiterhin vollkommen ungeklärten konfessionspolitischen Situation ein Präzedenzfall kaiserlichen Verrats geschaffen, der sich tief im Bewusstsein der protestantischen Erinnerungskultur festsetzte und in dem die Inquisition eine zentrale Rolle spielte. Dies betrifft zum Beispiel das Aufkommen des Inquisitionsdiskurses in der Flugschriftenpublizistik, bzw. zunächst des Ausbleibens eines solchen Diskurses. Auffallend ist nämlich, dass trotz scharfer Verfolgungsdrohungen gegen die Protestanten in den Niederlanden durch den Kaiser und die Bestellung von außerordentlichen Richtern als Inquisitoren für die niederländischen Diözesen durch den Papst die Flugschriftenpublizistik im Reich diese potenziell bedrohlichen Vorgänge ignorierte und sich stattdessen auf Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel einschoss, der als Mordbrenner dargestellt wurde. Zwar tauchte der Vorwurf auf, er erhalte finanzielle Unterstützung vom Papst, womit auch der Papst direkt als Verfolger Andersgläubiger gebrandmarkt wurde – aber ein Bezug zur spanischen Inquisition und damit zum Kaiser wurde nur selten hergestellt. Generell ist das Bestreben zu erkennen, den Kaiser nicht direkt anzugreifen.
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In dieser frühen Phase stand das Inquisitionsnarrativ offenbar schlichtweg noch nicht als konfessionspolitisches oder gar antikaiserliches Propagandainstrument bereit. Mit dem allmählich wachsenden Bedrohungsszenario allerdings, einerseits durch die Nachrichten von Repressionen gegen Protestanten in den Niederlanden, andererseits infolge der zunehmenden Spannungen im Reich, wuchs die Angst vor einem Durchgreifen des Kaisers im Reich und vor dem Einsatz der Inquisition. Es war folglich primär die gespannte Lage im Reich, welche die Nutzung der Inquisitionsthematik durch Medien auslöste. Die Verdichtung der Nachrichtenkommunikation als Resultat der engen Abfolge von Reichstagen tat das übrige, um die Inquisition als Schreckbild zu popularisieren. Im zweiten Kapitel ging es zunächst um die 1542 wiedergegründete Inquisition in Rom, die in ihrem Wirken nicht sofort in das Bewusstsein der protestantischen Öffentlichkeit trat. Doch der Papst stand als Urheber allen antiprotestantischen Handelns des Kaisers für die zeitgenössischen Autoren bereits fest. Erste Glaubensflüchtlinge vor der römischen Inquisition machten sich auf den Weg gen Norden und brachten so die Informationen über die katholische Reaktion auf Luther mit. Zu Zeiten des Augsburger Interims waren es vor allem die Magdeburger, die sich einer Flut antikaiserlicher aber auch antipäpstlicher Publizistik widmeten. In diesem Rahmen kam es auch zur Veröffentlichung von Fällen prominenter Opfer der römischen Inquisition, die somit in die deutschsprachige Öffentlichkeit gelangten. An der Wahl Pauls IV. zum Papst einerseits und dem Augsburger Religionsfrieden und dessen Wahrnehmung im Reich andererseits zeigte sich aber auch, wie marginal die von Rom angenommenen realen Einflussmöglichkeiten auf das konfessionspolitische Geschehen im Reich waren und wie der Papst dennoch als Feindbild transalpin weiter wirkte. Das von den Reformatoren geprägte, auf älterer Kritik aufbauende Musterbild der Kurie als dem Luxus frönender babylonischer Sündenpfuhl wandelte sich in ein Bild Roms als Zentrale der gewaltsamen Unterdrückung der Protestanten mit der Inquisition als besonders gefürchtetem Mittel. Dabei wurde zwar die Einrichtung der römischen Inquisition im Jahr 1542 kaum beachtet, wohl aber ihre Aktivitäten ab den späten 1540er Jahren, und vor allem dann unter dem Pontifikat Julius’ III. Wiederum war es vor allem die politische Situation im Reich, die das Interesse an Nachrichten vom Wirken des Sant’Uffizio beförderte, in diesem Fall einerseits das Interim und andererseits die Wiedereröffnung des Konzils von Trient.
Fazit
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Die Polemiken gegen das Interim und das Tridentinum ließen sich gut mit der Warnung vor der römischen Verfolgungsbehörde plausibilisieren; und das Musterbild vom Papst als Urheber allen antiprotestantischen Handelns war ja längst etabliert. Das auch mit dem Augsburger Religionsfrieden nicht weichende Gefühl der Unsicherheit auf protestantischer Seite führte dazu, dass die Nachricht von der Wahl Pauls IV. allein schon deshalb auf Interesse stieß, weil er als vormaliger Inquisitor als Gefahr wahrgenommen wurde. Bezeichnenderweise war es aber wiederum die Entwicklung im Reich – die relative Entspannung im interkonfessionellen Verhältnis nach 1555 –, die das Schreckbild Inquisition etwas einschlafen ließ. Gleichzeitig stieg aber ein neuer Bedrohungsfaktor auf: Die Ankunft der ersten Jesuiten im Reich wurde registriert, wobei bezeichnenderweise Paul IV. in Flugschriften wiederholt fälschlich als Jesuit bezeichnet wurde – damit traten die bis dahin mit der Inquisition assoziierten Dominikaner in der Wahrnehmung zurück angesichts der Verschmelzung der Schreckensbilder „Inquisition“ und „Jesuiten“, die mitunter als neue Geheimwaffe des Papsttums bezeichnet wurden. Das dritte Kapitel widmete sich dem Inquisitionsdiskurs ab den 1560er Jahren, der endgültig ein europäischer war und auch als solcher wahrgenommen wurde. Hintergrund war das sich durch den Augsburger Religionsfrieden veränderte Selbstverständnis der Protestanten. Die Lagerbildung Europas in katholisch und protestantisch war vollzogen und die Repression und gewaltsame Verfolgung des „falschen Glaubens“ durch den Einmarsch der Spanier in den Niederlanden zur blutigen Realität geworden. Die Flugschriften, die das Terrorregime des Herzogs von Alba im Reich in grellen Farben darstellten und anprangerten, griffen bereits früher entwickelte antispanische Stereotype wieder auf. Bisher wenig Bedeutung in der Publizistik wurde dabei der Rolle Frankreichs beigemessen, das aber durch die Religionskriege im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit sehr präsent war. Auch wenn die historische Forschung bei der Ausprägung eines wie auch immer gearteten Inquisitionsbildes vor allem vom spanischen Einfluss ausgeht, ist bei der Untersuchung der deutschsprachigen Flugschriften der 1560er Jahren auch deutlich geworden, dass im Kontext der für die konfessionspolitische Situation der deutschen Territorien relevanten Thematik Frankreich ebenso eine Rolle beigemessen wurde wie dem Inquisitionspapst Pius V. Mit der Regentschaft Rudolfs II. veränderte sich die Kommunikation im Reich maßgeblich, es fanden bedeutend weniger Reichstage statt. Der Inquisi-
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tionsdiskurs veränderte sich, indem sich die protestantischen Autoren vor allem den Jesuiten widmeten, die mittlerweile im Reich als Stellvertreter des Papstes angekommen waren. Das vierte Kapitel skizziert diesen Streit und stellt dabei die beginnende Historisierung der Ereignisse zwischen 1540 und 1570 hervor. Der Schmalkaldische Krieg und das drohende Inquisitionsszenario von 1546 standen dabei klar im Zentrum der Argumentation. Interessant ist, dass die Episode der spanischen Söldner im westfälisch-rheinischen Reichskreis 1598 sofort die Schreckensszenarien eines spanisch-päpstlichen Inquisitionsstaates hervorrief, die publizistisch auf dem Reichstag zu Regensburg 1598/99 verbreitet wurden. Damit lässt sich nicht nur zeigen, dass die Flugschriften in ihrer Funktionalität nicht in irgendeiner Weise abgeschafft waren, sondern bei eben diesen politisch brisanten Situationen weiterhin verwendet wurden. Das bestätigt auch die Vielzahl antispanischer Flugschriften vor dem Dreißigjährigen Krieg, die in ebensolcher Weise die spanische Inquisitionsmacht demonstrierten. Hier lagen zudem die einzigen Beispiele illustrierter Flugblätter vor. Somit enthält das vierte Kapitel nicht nur die Analyse der Jahre nach den Flugschriftenwellen, sondern auch für die Geschichte der Medien eine wichtige Untersuchung, die zeigt, wie differenziert Flugschriften zweckgebunden eingesetzt wurden. Mit der Verfestigung der konfessionellen Lagerbildung und den scharfen Repressionen gegen Protestanten in den Niederlanden (mit dem Höhepunkt des Wirkens des Herzogs von Alba), die zunehmend als bedrohlich für den Protestantismus im Reich wahrgenommen wurden, dazu der anwachsenden Präsenz der Jesuiten und dem Abschluss des Konzils von Trient war eine Situation entstanden, in der sich die deutschen Protestanten zunehmend als Partei in einem europäischen Konflikt sahen. Entsprechend entstand ein Markt für Nachrichten über konfessionelle Konflikte und Verfolgungsaktivitäten in verschiedenen Ländern, namentlich in Spanien (womit dann doch die dortige Inquisition ins Spiel kam und bereits entwickelte antispanische Stereotypen aktualisiert wurden) und in Frankreich. Flugschriften befeuerten die Sorge vor einer großen antiprotestantischen Liga, etwa anlässlich des Zusammentreffens von Bayonne. Insgesamt lässt sich eine Radikalisierung des Diskurses erkennen, die unter Rudolf II. nochmals deutlich zunahm. Dabei verschmolzen die als feindlich wahrgenommenen Akteure regelrecht, wenn Pamphlete und Traktate die Jesuiten als im Auftrag des Papstes tätige Agenten zur Herstellung eines spanischfranzösischen Bündnisses darstellen, das die Inquisition auch im Reich einführen wolle und danach trachteten, seine Freiheiten ebenso wie den Protestantismus
Fazit
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auszulöschen. Gerade diese Vermengung aber – auch dies ein interessanter Befund – ließ die Inquisition als Schreckensgespenst etwas verblassen. Vielleicht waren die im Reich unmittelbar präsenten Jesuiten auch einfach konkretere Schreckensgestalten.
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Editionen Deutsche Reichstagsakten
Reichstagsakten (RTA), Jüngere Reihe (1530–1555) unter Leitung von Eike Wolgast, es sind bisher (alle in Göttingen) erschienen: - Regensburg 1532 (Bd. 10, bearb. v. R. Aulinger, 1992) - Speyer 1542 (Bd. 12, bearb. v. S. Schweinzer-Burian, 2003) - Nürnberg 1542 (Bd. 13, bearb. v. S. Schweinzer-Burian, 2010) - Speyer 1544 (Bd.15, bearb.v. E. Eltz, 2001) - Worms 1545 (Bd. 16, bearb.v. R. Aulinger, 2003) - Regensburg 1546 (Bd. 17, bearb. v. R. Aulinger, 2005) - Augsburg 1547/48 (Bd. 18, bearb. v. U. Machozek, 2006) - Augsburg 1550/51 (Bd. 19 bearb.v. E.v. Eltz, 2005) - Augsburg 1555 (Bd. 20, bearb. v. R. Aulinger, E. Eltz, R. Machoczek, 2009) Reichsversammlungen 1556–1662
Der Reichstag zu Augsburg 1566, erster Teilband, bearb. von Maximilian Lanzinner und Dietmar Heil, München 2002. Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556–1662, Der Reichstag zu Augsburg 1582, zwei Teilbände, bearb. v. Josef Leeb, München 2007. Lanzinner, Maximilian (Bearb.), Der Reichstag zu Speyer 1570, 2 Teilbde., Göttingen 1988.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Ordnung/ Statuten/ vnd Edict/ Keiser Karols des Fünfften/ publicirt in der namhafften Stat Brüssel/ in beysein jrer Maiestet Schwester vnd Königin/ Gubernant vnd Regent seiner Niderland/ den vierden Octobris/ Anno Christi, Wittenberg 1540, HAB Sig. A: 243.23 Quod. Abb. 2: Der grewlich Caims mordt, Straßburg 1546, Detail, HAB Sig. H: Yv 486.8° Helmst. (2) Abb. 3: Von der Vnchristlichen tyrannischen Jnquisition den Glauben belangend Geschrieben aus Niderland. Gedruckt bei Nickel Schirlentz, Wittenberg 1546, HAB Sig. A: 180.16 Hist (7) Abb. 4: Warhafftige Newe Zeittung/ Was sich für Empörung nach des Bapsts Pauli des iiij. Todt welcher den 18. Augusti dises 1559. Jars verschiden/ zu Rom zugetragen hat/ Deßgleichen jnnerhalb 200.Jaren nicht geschehen sein soll. Von Rom geschriben an einen guten Freundt in Deudtschland, Nürnberg 1559, HAB Sig. A: 240.64 Quod. (11) Abb. 5: Hispanissche Inquisition, o. O., o. J., Bibliothèque nationale de France, Paris Abb. 6: Wilhelm Klebitz, Drey Bapstumb/ Das ist Ein verklerung vilfeltiger/ listiger vnd böser Practicken/ antreffende die Jnquisition vnd Obseruation der Blutgirigen Placaten vom Cardinale Granduella vnd seinem anhang erfunden/ auff daß er vber Keiser/ König/ ... vnd alle weltliche personen herrschen möchte/ ... Wider welchen Tyrannischen fürnemen/ die Herrn vom Adel vnd Staten des Niderlands/ ... opponiret haben. Auß Niderlendischer Spraach newlich in vnser Hochteutsch vertieret/ Durch Wilhelmum Klebitium Brennopolitanum, o. O. 1559, HAB Sig. A: 44.2 Pol. (12) Abb. 7: Raimundo González de Montes, Der Heiligen Hispanischen Jnquisition/ etliche entdeckte/ vnd offentliche an tag gebrachte ränck vnd Practicken. Jtem/ Etliche bsonders gsetzte Exempeln/ vber diejenigen/ so hin vnd wider im büchlein sind angezogen worden/ ... Hinden haben wir etlicher gottseliger märterer Christi herrliche zeugnüssen hinzugethan/ ... Alles newlich durch Reginaldum Gonsalnium Montanum in Latein beschrieben/ vnd jetzt erst ... verteutschet, Heidelberg 1559, HAB Sig. A: 180.16 Hist. (1) Abb. 8: Her nimpt mit gewalt dem rychtom von dem lant …, um 1570, Kupferstich, Coburg, Kunstsammlungen der Veste Abb. 9–12: Her nympt mit Gewalt (um 1570), Stichting Atlas Van Stolk, Historisches Museum Rotterdam Abb. 13: Lutherus triumphans, o. O. um 1568, HAB Sig. Cod. Guelf. 38.25 Aug. 2°
Personenregister A Agricola, Georg 33 Aitinger, Sebastian 62 Alberus, Erasmus 40, 67, 72, 75 Albrecht V., Herzog von Bayern 124, 125, 127 Albrecht VII., Erzherzog von Österreich 193 Aleandro, Girolamo, Kardinal 86 Alexander VI., Papst 110 Alexandre, Pierre 65 Álvarez de Toledo, Fernando, Herzog von Alba 163, 164, 168, 169, 170, 185, 195, 201, 202 Álvarez de Toledo, Fernando, Herzog von Alba 163 Amsdorf, Nikolaus von 80 August von Sachsen, Kurfürst 109 B Beza, Theodor 137 Braun, Konrad 32 Brück, Gregor 33 Bruno, Giordano, Priester 190, 191 Bucer, Martin 32, 33, 52, 57, 66, 79 Bullinger, Heinrich 79, 98, 99, 100 Buzio, Giovanni, Mönch 99, 100 C Cabianca, Domenico, Mönch 94, 101, 102, 104 Calvin, Jean, Reformator 57, 79, 103, 149 Camerarius, Joachim 33 Canisius, Petrus, Theologe 126
Carlowitz, Georg von, Theologe 32 Carnesecchi, Pietro 84 Charles de Lorraine-Guise, Herzog 159, 169 Charles de Lorraine-Guise, Kardinal 158 Christoph von Württemberg, Herzog 95 Clemens VIII., Papst 188 Clemens VII., Papst 31, 111 Codonius, Georg, Pfarrer 171 D Delfino, Zaccaria, Nuntius 113, 114, 121, 125, 127, 148 Diaz, Johannes 177 E Eder, Georg, Reichshofrat 175, 176, 177 Eduard VI., König von England 131 Egmont, Lamoral von 169 Ernst von Bayern, Erzbischof von Köln 164 F Fanini, Fanino 94, 101, 102, 103, 104 Farnese, Alessandro, Kardinal 58 Ferdinand I., Kaiser 48, 116, 127, 146, 148 Flacius, Matthias, Theologe 77, 78, 81, 82, 96, 97 Fornari, Callisto, Generalinquisitor 86 Franz II., König von Frankreich 150 Franz I., König von Frankreich 51
232 Friedrich III. von der Pfalz, Kurfürst 66, 149, 153, 156, 192 G Gebhard Truchsess von Waldburg, Erzbischof von Köln 164 Georg von Sachsen, Herzog 32 Granvelle, Antoine Perrenot de, Kardinal 154, 158, 159, 161, 169, 170 Granvelle, Nicolas Perrenot de 39, 48, 54 Gregor XIII., Papst 181 Gribaldi, Matteo 95, 96 Grimani, Giovanni 87 Gryun, Bonacorsi, bayer. Gesandter 53 Günterode, Tilemann 62 H Hadrian VI., Papst 110 Heinrich II., König von Frankreich 105, 116, 137 Heinrich VIII., König von England 132 Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog 39, 40, 42, 45, 46, 47, 48, 50, 199 Helding, Michael, Bischof 71 Heshusen, Tilemann, Theologe 157 Hus, Jan, Reformator 102 I Isabella, Königin von Spanien 149 J Johann Friedrich von Sachsen, Kurfürst 32, 46, 51, 68
Personenregister
Johann von Brandenburg-Küstrin, Kurfürst 61 Julius III., Papst 98, 104, 105, 106, 107, 108, 111, 112, 178, 200 Julius II., Papst 110 K Karlstadt, Andreas Bodenstein von, Reformator 79 Karl V., Kaiser 21, 28, 29, 31, 32, 35, 36, 38, 42, 45, 48, 52, 54, 57, 58, 61, 68, 69, 70, 72, 77, 105, 107, 116, 137, 138, 146 Katharina von Medici, Königin v. Frankreich 149, 150, 151, 152, 180 Klebitz, Wilhelm, Theologe 157, 158, 161, 168, 182, 193 Klug, Joseph 95 Kram, Franz 109, 110 Kuenburg, Michael von, Erzbischof 127 L Lasdenus, Baptista, Synonym für Johannes Sleidan 43 Leo X., Papst 110, 134, 146, 172 Leucht, Valentin, Bücherkommissar 188 Lippomano, Luigi, Nuntius 113, 114, 125 Louis I. de Bourbon, Fürst von Condé 150 Louis I. de Lorraine-Guise, Kardinal 169 Loyola, Ignatius von, Theologe 111, 126 Luther, Martin, Reformator 30, 36, 43, 74, 95, 133, 134, 172, 173, 200
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Personenregister
M Malvenda, Petrus 55, 57 Marcello II., Papst 108 Margarete von Parma, Statthalterin d. Niederlande 149, 154, 155, 170 Maria I., Königin von England 105 Maria von Ungarn, Königin 35, 45, 48, 65, 76 Marnix, Philipp von 194, 195 Maximilian II., Kaiser 155, 156, 174, 176 Melanchthon, Philipp, Reformator 43, 79, 95, 96, 128, 174 Mendoza, César 192, 193, 194, 195 Montmorency, Philippe de, Graf von Hoorn 169 Moritz von Sachsen, Herzog 29, 61, 72, 105 Morone, Giovanni, Kardinal 49, 84, 87, 88, 89, 107, 108, 112, 143, 148 N Negri, Francesco 101 Nigrinus, Georg 176, 177, 178, 179, 180, 181 O Oekolampad, Johannes, Theologe 79 Osiander, Lucas 183, 184 P Paul III., Papst 29, 49, 51, 54, 86, 90, 97, 102, 104, 111, 146, 178, 199 Paul IV., Papst 84, 89, 90, 91, 106, 109, 110, 111, 113, 115, 116, 117, 118, 120, 123, 124, 125, 134, 136, 139, 143, 144, 145, 154, 178, 179, 201
Paul V., Papst 190 Perugino, Seidenweber 100 Pfalz, Johann Casimir von der 153 Pflug, Julius, Bischof 55, 71 Philipp II., König von Spanien 105, 115, 116, 124, 138, 139, 141, 149, 154, 169 Philipp von Hessen, Landgraf 32, 51, 62, 68, 150 Pius IV., Papst 89, 106, 143, 144, 145, 155, 158, 179, 188 Pius V., Papst 89, 90, 92, 118, 158, 170, 179, 181, 186, 201 Pole, Reginald, Kardinal 105, 112, 131, 132, 134 R Renée von Frankreich, Herzogin 103 Rhegius, Urbanus, Reformator 79 Ribaldi, Conrad 40 Ribaldi, Petrus 40 Rotterdam, Eramsus von, Theologe 91 Rudolf II., Kaiser 171, 183, 195, 196, 202 S Savonarola, Girolamo 133 Schlüsselburg, Conrad 182 Schoppe, Kaspar 190, 191 Seld, Dr. Georg Sigmund, Reichsvizekanzler 120 Seld, Dr.Georg Sigmund, Reichsvizekanzler 120 Siculo, Giorgio 94 Sixtus V., Papst 177, 181 Sleidan, Johannes 42, 43, 44, 177, 199 Soranzo, Vittore, Bischof 87, 99, 112
234 Soto, Pedro de, Beichtvater 57, 58 Spiera, Francesco 95, 96, 97, 178 Süleyman II., Sultan 45 T Tetzel, Johann, Prediger 134 V Vergerio, Pier Paolo, Bischof 86, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 117, 121, 122, 123, 145 Vermigli, Peter Martyr, Theologe 79 W Wagner, Bartholomäus 101, 102, 103, 104, 105 Wilhelm, Herzog von Jülich-KleveBerg 164 Wilhelm von Oranien, Fürst 138, 157, 194 Z Zwingli, Ulrich 11, 79
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