Typologische Züge des Japanischen [Reprint 2010 ed.] 9783110924794, 9783484304536

The aim of the study is to provide a typological description of the essential features of Japanese and a detailed analys

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German Pages 355 [356] Year 2002

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Table of contents :
Vorwort
1. Einleitung
2. Wesentliche Züge der japanischen Morphosyntax
3. Adnominalität und Adverbalität
4. Nomen und Adverb
5. Markierung nominaler Satzkonstituenten
6. Markierung von Adjunkten und Hierarchie der Zentrizität der Kasusmarkierungen
7. Transpersonalität der Referenz
8. Verbale Deixis, Referenz von Partizipanten und Orientierung zwischen Agens und Empfänger
9. Zusammenfassung und typologische Fragestellungen
Anhang 1: Transkription
Anhang 2: Abkürzungen und Symbole
Literatur
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Typologische Züge des Japanischen [Reprint 2010 ed.]
 9783110924794, 9783484304536

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Linguistische Arbeiten

453

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Yoshiko Ono

Typologische Züge des Japanischen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme , Yoshiko: Typologische Züge des Japanischen / Yoshiko Ono. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Linguistische Arbeiten; 453) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-484-30453-7

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Inhalt

Vorwort 1. Einleitung 1.1. Charakteristika des Japanischen aus dem Blickwinkel bisheriger typologischer Hauptthemen 1.1. I.Überblick 1.1.2. Morphologische Typologie 1.1.2.1. Allgemeines 1.1.2.2. Morphologische Charakteristika des Japanischen 1.1.3. Numeralklassifikation 1.1.4. Wortstellungstypologie 1.1.4.1. Grundwortstellungstypologie l. l.4.2. Feste vs. freie Wortstellung und kommunikative Satzgliederung.... l. l .4.3. Typologie der Verbstellung und der Reihenfolge von Kopf und Dependens 1.1.5. Subjekt und Topik 1.1.6. Kasusmarkierungstypologie (Ergativität), Rollen- und ReferenzDominanz 1.1.7. "Unergativität", "Unakkusativität", "Antikausativ", "Endo-/Exoaktiv" 1.1.8. Diathese und Kausativierung 1.1.9. "Pro-Drop"-Typologie 1.2. Schwerpunkte und Methodologie 1.2.1. Themenauswahl und Ziele der Untersuchung 1.2.2. Modelle und methodologische Grundlage 1.2.3. Zur Methodologie typologischen Vergleichs 1.2.4. Hermeneutischer Zirkel als linguistische Methodologie 1.3. Terminologische Erläuterungen 1.3.1. Dependenzrelation, Kopf, Dependens und Dependenzmarkierung 1.3.2. Adjunkt, Argument, Aktant, Partizipant 1.3.3. Partizipantenrollen und semantische Rollen 1.3.4. Kasusmarkierung 1.3.5. Grammatische Funktionen, grammatische Relationen, syntaktische Funktionen, syntaktische Relationen, Grammatik und Morphosyntax 2. Wesentliche Züge der japanischen Morphosyntax 2.1. Strikte Endstellung des Kopfes 2.2. Morphosyntaktische Unterscheidung von Wortarten 2.3. Flexionskategorien 2.4. Explizite Dependenzmarkierung am dependenten Prädikat

IX l l l 4 4 9 13 16 16 17 20 22 23 27 30 31 33 33 37 40 43 47 47 48 50 53 53 55 55 57 58 65

VI

3. Adnominalität und Adverbalität 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

67

Die "Adnominalform" der Prädikate Argumente für und gegen die "Adnominalform" Probleme der Behandlung der Markierung pränominaler Nomina Versuche einer einheitlichen Behandlung der Markierung pränominaler Nomina. 3.4.1. Konvertierbarkeit mit Prädikationsversion 3.4.2. Nominalität der Formalnomina 3.5. Ein Kontinuum zwischen Nominalprädikator und Nomen-Nomen-Konnektor 3.6. Adnominalität und Adverbalität nominaler Satzelemente 3.7. Adnominalität und Adverbalität von Prädikaten 4. Nomen und Adverb 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6

Adverbien: Inhärent adprädikative Dependenten Adverbien mit nominalem Verhalten und Nomina mit adverbialem Verhalten Mengenangaben: Nomina oder Adverbien? Kontinuum zwischen Adverbien und Nomina Ein Kreis von Wortarten: Adverb - Nominaladjektiv - Nomen - Adverb Von einzelsprachlichen zu übereinzelsprachlichen Erscheinungen und zurück

5. Markierung nominaler Satzkonstituenten

67 69 74 79 79 81 84 87 95 97

97 99 106 118 126 131 134

5.1. Definition und Charakterisierung von Nomina 134 5.2. Funktionale Korrelationen nominaler Eigenschaften 136 5.2.1. Implikative Verhältnisse zwischen nominalen Eigenschaften 136 5.2.2. Nominale Eigenschaften relationaler, modaler und prädikativer Nomina .... 138 5.2.3. Eigenschaften prädikativer Nomina 143 5.2.4. Prädikativität, Generalität, Intensionalität und Extensionalität der Nomina 145 5.3. Unterscheidung zwischen nominalen Adjunkten und Nominalprädikat 147 5.4. Nomen mit Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator 152 5.5. Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator und Analyse der Nominalprädikate 156 5.6. Annahme des Wegfalls der Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator 164 5.7. Wegfallerscheinung der Kasusmarkierung und Analyse des Kasusmarkierungssystems 171 5.8. Funktion der Kasusmarkierung und funktionale Korrelate der Kasuslosigkeit 177 5.9. Ein Kontinuum der kasuslosen Prädikatsnomina zwischen zwei Polen 184 6. Markierung von Adjunkten und Hierarchie der Zentrizität der Kasusmarkierungen

194

6. l. Grad der Prädikatsabhängigkeit der Kasusmarkierungen und Bedingungen für ihr Vorkommen bei Abwesenheit eines Prädikates 194 6.2. Grad der Gebundenheit der Kasusmarkierungen an Prädikate und grammatische Konstruktionstypen 199 6.3. Grad der Prädikatsabhängigkeit lokaler Angaben 206

VII

6.4. Grad der Abhängigkeit der Prädikate von Adjunkten und Kasusmarkierung als dessen Widerspiegelung

211

7. Transpersonalität der Referenz

216

7.1. Fehlen von Personen-Indizierung und Transpersonalität verbaler Referenz 7.1.1. Weglassbarkeit von Adjunkten und Null-Anapher 7.1.2. "Pronomina" und Transpersonalität 7.2. Art und Ausmaß der Transpersonalität nominaler Referenz 7.3. Referenz relationaler Nomina

216 216 220 224 232

8. Verbale Deixis, Referenz von Partizipanten und Orientierung zwischen Agens und Empfänger 8.1. Deiktische Alternation von "geben"-Verben und Kodierung von Partizipanten: Einüberblick 8.2. Deiktische Prinzipien, implizite Kategorie der Person und die "geben"-Verben als Mittel der Obviation 8.3. Skala der Sprechernähe als Grundlage für die natürliche Wahl der "geben"-Verben 8.4. Einengung der Transpersonalität und der Referenz von Partizipanten durch die "geben"-Verben 8.5. Leistung der "geben"-Verben für die Referenzfestlegung von Partizipanten 8.6. Asymmetrie in der Proximativbehandlung der sprechernahen Partizipanten und Benefaktivität 8.7. Beschränkungen in der Benefaktiv-Markierung am Nomen und Kodierung der Benefaktivität am Verb 9. Zusammenfassung und typologische Fragestellungen 9.1. 9.2. 9.3. 9.4.

Ist Japanisch eine Sprache mit inverser Flexion? Hat Japanisch doch einen "Head-marking"-Mechanismus? Ist Japanisch eine Sprache ohne Rektion? Ist Japanisch eine agglutinierende Sprache? 9.4. I.Bildung der Prädikatskomplexe 9.4.2. Kasusmarkierung und andere postnominale Markierungen 9.5. Welches Kasusmarkierungssystem hat das Japanische? 9.5.1. Kasuslosigkeit, Null-Kasus und "Nominativ" 9.5.2. Bestand der Kasusmarkierungen und historische Hintergründe 9.5.3. Abstufungen im positionsbedingten Verhalten der Kasusmarkierungen 9.5.4. Die pragmatische Funktion von ga und dessen Stellung im Partikelsystem 9.6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Anhang 1: Transkription Anhang 2: Abkürzungen und Symbole Literatur

239 239 242 246 249 253 257 266 272 272 279 281 286 286 291 294 294 297 302 310 315

325 327 .....329

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner 1995 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommenen Inaugural-Dissertation. Den Referenten Prof. Dr. Dres. h.c. Hansjakob Seiler und Prof. Dr. Hans-Jürgen Sasse möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen. Zu großem Dank bin ich ferner den Herren Prof. Dr. Heinz Vater und Prof. Akio Ogawa verpflichtet, die meine Dissertation in Hinblick auf deren Publikation begutachtet haben. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich auch bei meinen Kölner Lehrern Prof. Dr. Jürgen Untermann, Prof. Dr. Wolfgang Blümel, Prof. Dr. Georg Heike, Prof. Dr. Ursula Stephany und PD Dr. Fritz Serzisko wie bei Prof. Dr. H.-J. Sasse nicht nur für ihre anregende Lehre, die auf meine wissenschaftliche Orientierung wesentliche Einflüsse ausübte, sondern auch für die Übernahme der Aufgabe als Referenten des Rigorosums im Sommer 1995. Meinem Doktorvater Prof. Dr. H. Seiler bin ich aber einen besonderen Dank schuldig, der meinen wissenschaftlichen Werdegang entscheidend beeinflusst und mich seit dem Beginn meines Studiums in Köln bis heute mit viel Verständnis und väterlicher Geduld begleitet hat. Zu danken habe ich noch zahlreichen Personen und Institutionen, angefangen bei denjenigen, deren Arbeiten für meine Beschäftigung mit der Sprache von außerordentlicher Wichtigkeit waren, ohne dass ich sie persönlich kennengelernt habe, bis zu denjenigen, die mir während dieser langen Zeit starke Unterstützungen gegeben haben, auch ohne dass sie etwas mit dem Fach Linguistik zu tun haben. Ihnen allen gebührt mein Dank, auch wenn ich hier nicht alle ihre Namen nennen kann. Namentlich nennen möchte ich trotzdem: Prof. Eiichi Chino, ehemals an der Tokyo University of Foreign Studies, der mich in die Linguistik einführte und mit seiner funktional-strukturellen Ausrichtung nachhaltig beeinflusste; Prof. emer. Dr. G. R. Solta vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, der mir vor allem anderen das gewissenhafte Arbeiten eines Wissenschaftlers einprägte; Dr. Werner Drossard, stellvertretend für alle meine Kolleginnen und Kollegen vom DFGProjekt "UNITYP" am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Köln, bei dem ich von 1983 bis 1989 offene und anregende Diskussionen genießen konnte; Takayuki Matsubara, mit dem ich nicht nur einige gemeinsame Arbeiten im Rahmen des obengenannten Forschungsprojektes verfasste, sondern auch eine Lektorenstelle am Institut für Sprachwissenschaft der Universiät Köln 1984-87 teilte - ohne seine Arbeiten und ohne die Diskussionen mit ihm wären mir manche Problematiken und Einsichten, von denen viele in der vorliegenden Arbeit diskutiert werden, entgangen oder unerkannt geblieben -. Auch den folgenden Personen, die als meine Vorgesetzten mich stets unterstützt und zur baldigen Fertigstellung bzw. Publikation meiner Dissertation ermahnt haben, möchte ich an dieser Stelle namentlich meinen Dank aussprechen: Yukuo Suzuki, Central Chemical, Tokyo; Dr. Fritz Opitz, ehem. Leiter des Japan-Kollegs der Universität Tübingen; Prof. Dr. Klaus Kracht, ehem. Direktor des Seminars für Japanologie der Universität Tübingen; Prof. Dr. Elmar Holenstein von der Eidgenössischen Technischen Hochschule ( ) Zürich; Prof. Dr. Eduard Klopfenstein und Suishü Tomoko Klopfenstein-Arii vom Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich, Prof. Dr. Viktoria Eschbach-Szabo vom Seminar für Japanologie

der Universität Tübingen, Prof. Dr. Marga Reis vom Deutschen Seminar der Universität Tübingen. Zwar nicht namentlich, aber genannt haben möchte ich die Teilnehmer der Japanisch-Kurse an den Universitäten Köln und Tübingen, ohne deren Fragestellungen ich auf viele der in der vorliegenden Arbeit behandelten Probleme erst gar nicht aufmerksam geworden wäre. Schließlich war es ihr ernsthafter Eifer bei der Beschäftigung mit der japanischen Sprache, der mich dazu motivierte, mich mit dieser Sprache sowohl didaktisch als auch wissenschaftlich gründlicher auseinanderzusetzen. Waldfried Premper verdanke ich vor allem die Textverarbeitung und Korrekturen, für die er einen enormen Zeitaufwand auf sich nahm. Ohne seine Hilfe und Unterstützung, nicht nur in technischen und fachlichen Angelegenheiten, sondern in allen persönlichen Bereichen, wäre die Fertigstellung dieser Arbeit wesentlich schwieriger gewesen. Meinen Sohn Jonas Ko möchte ich um Verständnis dafür bitten, dass ich zu oft nicht zu Hause war. Zum Schluss möchte ich Herrn Prof. Dr. H. Vater für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe Linguistische Arbeiten und für seine unermessliche Geduld nochmals meinen tiefen Dank bezeugen. Ausdrücklich danken muss ich auch Frau B. Zeller-Ebert und Frau C. Luna vom Max Niemeyer Verlag für ihre freundliche, großzügige und aufmerksame Betreuung.

l. Einleitung

1.1. Charakteristika des Japanischen aus dem Blickwinkel bisheriger typologischer Hauptthemen

1.1.1. Überblick Das Ziel dieser Arbeit ist, die wesentlichen Merkmale der japanischen Sprache aus typologischer Sicht zu schildern und einige Probleme, die in diesem Zusammenhang sichtbar werden, im Detail zu analysieren. Werfen wir als Einstieg einen Blick auf vier Kurzbeschreibungen des Japanischen, darunter eine allgemeine Einführung ohne spezifische Zielgruppe und drei aus linguistischen Fachlexika: Ähnlich einfach wie die lautliche ist auch die grammatische Struktur des Japanischen. Das Japanische ist eine agglutinierende Sprache und fügt somit grammatische und syntaktische Ordnungselemente als unselbständige Suffixe und Postpositionen an die selbständigen sinntragenden Wörter an. Da es mit den altaischen Sprachen die Strukturregel teilt, daß das Bestimmende nach dem Bestimmten steht, »bestimmen« diese Ordnungselemente etwa beim Verb Tempus, Aspekt, Modus usw. und beim Substantiv dessen »Kasus«, d.h. sein Verhältnis zum zugehörigen Prädikat oder seine Beziehung zu anderen Satzteilen. Die gleiche Regel erzwingt, daß Attribute vorangestellt werden und Nebensätze vor den Hauptsätzen stehen. Weiterhin legt sie den Schwerpunkt der generell in der Abfolge Subjekt-Objekt-Prädikat konstruierten Sätze auf das Satzende, auf das Prädikat und seine möglichen Modifizierungen. Die Wortklassen des Japanischen lassen sich nach dem Kriterium ihres selbständigen Auftretens im Sprechakt als selbständige (Nomen, Verb/Adjektiv) und unselbständige (Verbalsuffixe und Postpositionen), nach dem Kriterium der Flektierbarkeit in flektierbare (Verb/Adjektiv, Verbalsuffixe) und unflektierbare (Nomen, Postpositionen) einteilen. Das Nomen besitzt weder Genus noch Numerus, auch bestimmte oder unbestimmte Artikel existieren nicht. Die Verba kennen mehrere Konjugationsweisen, deren je 6 Einzelformen jedoch nicht durch die (im Japanischen unbezeichnete) grammatische Person, sondern durch Funktionsfelder (Satzschluß, Imperativ usw.) bestimmt werden. Die den Verben syntaktisch ähnelnden Adjektive - sie können wie die Verben »allein« (d.h. ohne Kopula) Prädikate bilden - kennen keine verschiedenen Genusformen, keine Numerusunterschiede und besitzen keine eigene Komparativform. (Schneider 1995: 464) [...] Spezifische Kennzeichen: relativ einfaches Lautsystem und einfache Silbenstruktur, aber zahlreiche morphophonemische Alternationen (Palatalisierung, Affrizierung). Morphologischer Typ: agglutinierend. Reiche Verbalflexion (Tempus, Aspekt, Modus, Diathesen, Negation, Höflichkeit, aber keine Kongruenz). Keine Numerusdistinktion; in Zählkonstruktionen werden Klassifikatoren eingesetzt. Verschiedene »Kasus« werden durch Postpositionen angezeigt [...] Das Topik wird durch die Postposition wa markiert und muß kein Argument des Verbs sein; dies führt zu fälschlich so genannten Doppelsubjekt-Sätzen wie sakana wa taiga /V>Fisch-TOP Redsnapper-SUBJ gutWas Fisch betrifft, so schmecken die Redsnapper gut Plural > Singular. Vgl. auch Hawkins 1983: bes.!9ff., Croft 1990: 44ff., Whaley 1997: 23ff., Plank 1999: 319ff. Vgl.: "Universal 4. With overwhelmingly greater than chance frequency, languages with normal SOV order are postpositional." (Greenberg 1963/66: 79)

17 Charakteristika des Japanischen im Hinblick auf die Wortstellungstypologie nach Greenberg, vgl. auch Vennemann 1974: bes.349).30 Mit der Wortstellung hängen einige morphologische (oder morphosyntaktische) Eigenschaften zusammen. So gilt neben der Neigung zur Suffigierung und der damit zusammenhängenden, in 1.1.2 erwähnten Beschränkung der Präfigierung auch das Vorhandensein eines Kasussystems als ein Charakteristikum der SOV-Sprachen (Greenberg 1963/66: 96).31

1.1.4.2. Feste vs. freie Wortstellung und kommunikative Satzgliederung Während die Grundwortstellungstypologie eben das Vorhandensein einer mehr oder weniger festen Grundwortstellung (z.B. normale Wortstellung bei einem Aussagesatz) voraussetzt, geht die andere Wortstellungstypologie in die Richtung einer Herausstellung funktionaler Zusammenhänge zwischen grammatischen Gegebenheiten einer Sprache und deren kommunikativen Strategien. Schon in der frühesten Phase der morphologischen Typologie wurde 30

31

Die große Resonanz der Wortstellungstypologie in der linguistischen Fachwelt hatte u.a. damit zu tun, dass eine gewisse Reihenfolge nach der damals dominierenden generativ-transformationellen Theorie auszuschließen gewesen wäre, zumindest als zugrunde liegende Struktur ohne Anwendung einer Transformation, so z.B. die Reihenfolgen VSO und OSV, wegen der "konfigurationellen" Definition der "grammatischen Relationen" (bzw. "syntaktischen Funktionen") von Satzteilen: S -» NP VP (S steht für "Satz", NP für "Nominalphrase" und VP für "Verbalphrase"); VP -> V NP oder NP V. Die erste NP, die zusammen mit der VP einen Satz bildet (bzw. "unmittelbar vom Satzknoten dominiert ist"), ist S(ubjekt), und die zweite, die zusammen mit V(erb) die VP bildet (oder "von dem VP-Knoten unmittelbar dominiert ist"), ist O(bjekt). U.a. aus der Einsicht, dass es Sprachen mit VSO gibt (anders als OSV, die laut Greenberg 1963/66: 76 nicht gefunden wurde; nicht oder selten gefunden wurden aber auch Sprachen mit VOS und OVS, die nach der oben skizzierten konfigurationellen Voraussetzung möglich wären), wurden zum einen ernsthafte Diskussionen über Subjekt und Objekt entfaltet, aus denen sich vor allem die Relationale Grammatik herausbildete. Diese nimmt keine phrasenstrukturbezogene konfigurationelle Hierarchie der oben skizzierten Art mehr an, sondern fasst die "grammatischen Relationen" Subjekt, Objekt u.a. als unanalysierbare "Primitive" auf, die in Bezug auf grammatische Operationen wie z.B. Relativsatzbildung eine Hierarchie im Sinne einer Rangordnung der Anwendbarkeit ("accessibility") aufweisen (vgl. z.B. Permutter 1978, 1984, vgl. auch Abraham 1978, Anderson 1978, Blake 1994: 75ff.). Im Rahmen der Phrasenstruktur-orientierten generativen Linguistik wurde demgegenüber die Konfigurationalitätstypologie entwickelt, die die Sprachen in konfigurationelle und nichtkonfigurationelle, d.h. mit und ohne (unmittelbar vom Satz dominierten) VP-Knoten (zu dem die Objekt-NP gehört), klassifiziert; m.a.W.: nichtkonfigurationeUe Sprachen lassen mehr als eine unmittelbar vom Satz dominierte NP, nämlich eine Objekt-NP neben der Subjekt-NP, zu (vgl. z.B. Anderson & Chung 1977, Comrie 1990; Vater 1996: 172 mit dem Terminus "flache Struktur"). Japanisch wird je nach Sichtweise als konfigurationell oder als nichtkonfigurationell betrachtet (vgl. Miyagawa 1989: 9ff.). Eine entgegengesetzte Weiterentwicklung der Wortstellungstypologie ist das Beiseitelassen des Subjektes, vertreten vor allem von W. Lehmann (1973) und Vennemann (1974), s. 1.1.4.3. Vgl. u.a. Croft 1994: 4809, Burridge 1994. Anderson (1985b: 167) und Carstairs-McCarthy (1992: 158ff.) sind hingegen der Auffassung, dass keine signifikanten typologischen Zusammenhänge zwischen der Wortstellung und der Morphologie bestehen.

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konstatiert, dass für formenlose ("isolierte") oder formenarme Sprachen die Wortstellung als grammatisches Mittel von Wichtigkeit ist, so dass diese Sprachen grundsätzlich eine feste Wortstellung zeigen (vgl. z.B. Skalicka 1966: 339, Mel'cukl988: 4, vgl. auch Hockett 1958: 181). Da die Wortstellung in diesen Sprachen funktional oft der Kasusmarkierung (ob mit morphologischen Endungen oder mit Prä-/Postpositionen u.a.) in anderen Sprachen entspricht, kann man nicht zu Unrecht die Wortstellung in diesen Sprachen auch als einen Exponenten der Kasusmarkierung betrachten (vgl. z.B. Blake 1994: 15, Plank 1986: 30). Demgegenüber neigen formenreiche ("synthetische") Sprachen zu einer recht flexiblen Wortstellung, die zu kommunikativen oder stilistischen Zwecken ziemlich frei eingesetzt werden kann. So ist die Voranstellung des Objektes vor dem Subjekt in diesen Sprachen, z.B. im Deutschen und Russischen und auch im Japanischen, ohne weiteres möglich. Obwohl auch die Annahme besteht, dass eine solche Wortstellung durch informationelle Wichtigkeit, z.B. "neue Information" des vorangestellten Elementes, veranlasst wird (z.B. Mithun 1986: 199, Givon 1995: 305ff, vgl. auch Greenberg 1963/66: 103f.), was mindestens teilweise auch im Deutschen und im Japanischen bestätigt werden kann, ist die Grundannahme, die die Typologie der kommunikativen Wortstellung vorantrieb, diejenige, dass in einem Satz zuerst das Thema der Aussage, das eine den Gesprächsteilnehmern gemeinsam bekannte und daher grundsätzlich alte Information darstellt, genannt wird, dem dann eine neue Information dazu folgt. Dieser Satzteil wird von der Prager Schule, die diese Theorie und Typologie entwickelte, "Rhema" genannt, und die kommunikativ organisierte Satzgliederung dieser Art "Thema-Rhema-Gliederung" bzw. "aktuelle Satzgliederung", bekannter jedoch als "funktionale Satzperspektive" (vgl. z.B. Firbas 1974; vgl. auch Vennemann 1974:340ff.). Die augenfälligsten typologischen Zusammenhänge, die in diesem Ansatz herausgefunden wurden, sind die folgenden (Sgall 1992: 204f.): Der "analytische" Typ mit einer armen Morphologie führt, weil die Kongruenz fehlt, zu einer festen Wortfolge (vgl. auch Kilby 1981) und, weil die Wortfolge nicht zur Themakennzeichnung herangezogen werden kann, zur Wahrscheinlichkeit des Artikels als Mittel der Kennzeichnung der Bestimmtheit, "die mit der Kontextgebundenheit inhaltlich verwandt ist" (Sgall 1992: 205).32 "Agglutination" weist trotz ihres Reichtums an Affixen und Wortformen keine Kongruenz auf und korreliert daher mit fester Wortfolge, oft mit Artikeln in der Form von Affixen. "Flexion" geht mit Kongruenz einher und daher auch mit freier Wortfolge, die der Thema-Rhema-Gliederung unmittelbar dient, oft ohne Artikel. 32

Vgl. Chafes (1976) Charakterisierung der Definitheit: "The speaker assumes that the addressee is able to identify the referent" (p.55). Die Definitheit in diesem Sinne ist wohl ein Merkmal des Themas als Information, die beiden Gesprächsteilnehmern bekannt ist (so wird vom Sprecher zumindest angenommen), und auf der der Sprecher einen Satz aufbauen kann. Sein "givenness", das auch für "old information" steht, ist "that knowledge which the speaker assumes to be in the consciousness of the addressee at the time of the utterance". Kuno (1980: 126) definiert folgendermaßen: "Old (predictable) information" ist "recoverable from preceding context", "new (unpredictable) information" dagegen nicht; "Theme is what the rest of the sentence is about"; "focus" ist "that element in a sentence which represents the newest information". Das Kriterium Vorhersagbarkeit ("predictable/unpredictable") ist im Übrigen ausschlaggebend für den Gebrauch von wa und ga im Japanischen (vgl, Kuno 1973: 37ff.).

19

Ein weiterer typologischer Zusammenhang betrifft die Verwendung des Passivs sowie pragmatische Eigenschaften des grammatischen Subjektes. Wenn das Satzthema nicht vom grammatischen Subjekt, sondern von einem anderen Satzglied wie z.B. vom Objekt getragen wird, entsteht in Sprachen mit fester Wortstellung ein Konflikt zwischen der funktionalen Satzgliederung, nach der das Thema den Satz einleiten soll, und der grammatischen Wortstellungsbeschränkung, die die Stellung des Subjektes vor dem aktuellen Satzthema verlangt. Die Lösung dieses Konfliktes wird in diesen Sprachen bevorzugt durch Passivierung erreicht (vgl. z.B. Garvin 1963). Die Möglichkeit des Passiveinsatzes ist wiederum eng mit der thematischen Natur des grammatischen Subjektes verbunden, das nicht sehr viel mit einer bestimmten kognitiven Rolle wie Agens zu tun hat (vgl. z.B. Mathesius 1930 zum Englischen).33 Demgegenüber brauchen Sprachen mit flexibler Wortstellung an sich kein zusätzliches Verfahren wie die Passivierung zur "Konfliktlösung", so dass der Passivgebrauch in diesen Sprachen, vor allem in den slawischen Sprachen, recht beschränkt ist (vgl. z.B. Comrie 1981a: 75f., Sgall 1986). Hinzu komme eine stärkere Verbindung des Nominativs mit der Rolle Agens, die die Anwendung des Passivs erschwere, weil der Nominativ in einem Passivsatz der Rolle Patiens entsprechen müsse (vgl. z.B. Vachek 1966: 90ff.). Was das Japanische in diesem Zusammenhang betrifft, scheint es diesen Ansichten, wiewohl sie attraktiv erscheinen und gewiss für viele Sprachen, vor allem für europäische, zutreffen, eher zu widersprechen. Denn es hat keine Kongruenz, aber auch keinen Artikel, die Wortstellung von Satzgliedern ist bis auf die Endstellung des Prädikates frei. Da jedes Satzglied außer diesem zur Themaposition gebracht werden kann, entsteht gar nicht erst ein Konflikt in der linearen Satzfolge. Es hat über die flexible Wortstellung hinaus ein Extra-Mittel für die Kennzeichnung des Satzthemas, nämlich die postpositionelle Partikel wo. (vgl. (l.lh)), die gewöhnlich das erste Satzglied unabhängig von dessen grammatischer oder kognitiver Rolle erhält, z.B.:35 (1.9)

33 34

35

(a) Taroo {wa/ga} Ziroo o Taro {TOP/NOM} Jiro AKK Taro ließ Jiro hingehen.'

ik-ase-ta. gehen-KAUS-PRÄT

Anderson (1978: 669) vertritt allerdings eine entgegengesetzte Ansicht zum Subjekt im Englischen. Laut Kuno (1973: 4, 1978a: 59) müsse SOV trotzdem die zugrunde liegende Wortstellung im Japanischen sein, weil zum einen SOV statistisch 17-mal häufiger vorkommt als OSV, und zum anderen in einem nominalisierten Satz mit zwei Nomina mit ga, z.B. Taroo ga Hanako ga suki-na koto 'dass Taro Hanako mag' (Nominalisierung von Taroo ga Hanako ga suki-da Taro mag Hanako'), das erste als Subjekt und das zweite als Objekt verstanden werde. Auch Shibatani (1990: 259) sagt: "the basicness of the SOV order is beyond question (as indicated by text frequency and native speaker's intuition)." Vgl. auch seine ausführliche Behandlung von Nominativ-NominativKonstruktionen auf p.298ff. Vgl. auch Jakobson 1963/71: 584f. zum ikonischen Aspekt der Wortstellung (u. a. mit dem russ. Beispiel mat' ljubit doc' 'die Mutter liebt die Tochter') sowie Firbas 1974 und DeLancey 1981 zur Natürlichkeit der Reihenfolge von Quelle (+ Agens) - Ziel. Obwohl es nicht unproblematisch ist, die Partikel ga 'Nominativ' zu nennen (vgl. 1.2.3f. und 9.5), übernhemen wirShibatanis (z.B. 1994: 1810, zitiertoben in 1.1.1) Morphemübersetzung.

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(b) Ziroo o

Taroo{wa/ga}

ik-ase-ta.

Jiro AKK Taro {TOP/NOM} gehen-KAUS-PRÄT '(Den) Jiro ließ (der) Taro hingehen.' (c) Ziroo wa Taroo ga ik-ase-ta. Jiro TOP Taro NOM gehen-KAUS-PRÄT '(Was) Jiro (betrifft,) ließ (der) Taro (ihn) hingehen.' Nichtsdestotrotz ist der Gebrauch des Passivs im Japanischen häufig (vgl. Ono 1991: 367), das nicht nur auf ein rein thematisches Nomen mit wa, sondern durchaus auch auf ein Nomen mit ga angewendet wird, das laut Shibatani (1994) in dem Zitat oben eng mit der Agensrolle verbunden sein soll (was allerdings m.E. nicht stimmen muss, vgl. 1.1.6), z.B.: (1.10) Ziroo {wa / ga} Taroo ni ik-ase-rare-ta. Jiro (TOP/NOM}Taro DAT gehen-KAUS-PASS-PRÄT 'Jiro wurde von Taro gezwungen, hinzugehen.'

1.1.4.3. Typologie der Verbstellung und der Reihenfolge von Kopf und Dependens Während der Begriff Subjekt bei den beiden obengenannten Ausrichtungen der Wortstellungstypologie von besonderer Wichtigkeit ist, wird er bei Lehmann (1973) und Vennemann (1974) bewusst außer Acht gelassen. So spricht Lehmann von "OV"- und "VO"-Sprachen und Vennemann sogar unter Verzicht auf O von X, also von "XV"- und "VX"-Sprachen (wobei X auch O sein kann, aber nicht muss), vgl.: As we may note from consistent OV languages like Japanese and from consistent VO languages like Hebrew, subjects are by no means primary elements in sentences. Including them among the primary elements, as in the attempt to classify SVO and VSO languages as major types in the same way as VO and OV languages, has been a source of trouble for typologists as well as for linguistic theories in general. Other evidence in favor of excluding subjects from the basic phrase-structure rules has been given in many recent grammatical studies, [...] Typological study accordingly supports this point of view by illustrating that the S in SVO formulae is far less significant than are the categories represented by V and O. (Lehmann 1973: 51) Bei Lehmann gilt das Hauptinteresse der Position von Verbalmodifikatoren (z.B. Negation, Interrogation, Kausation), wobei das fundamentale Prinzip wie folgt lautet: Die Verbalmodifikatoren und der primäre Konkomitant des Verbs, d.h. das Objektnomen, stehen auf den entgegengesetzten Seiten des Verbs. In den OV-Sprachen stehen die Verbalmodifikatoren also nach dem Verb, was zu der agglutinativen Struktur führt, während die VO-Sprachen zur flektiven (fusionierenden) und weiter zur isolierenden Struktur neigen.36 Nach dem an

36

Lehmann (1973: bes.64) versucht zu erklären, warum die VO-Sprachen nicht zur präfixalen Agglutination der Verbalmodifikatoren analog der Suffigierung in den OV-Sprachen neigen, und vermutet, dass in erster Linie die Stellung des Subjektes dies verhindert, weil die Modifikatoren vor diesem stehen können.

21

sich gleichen Stellungsprinzip werden Modifikatoren des Objektnomens auf der anderen Seite seines primären Konkomitanten, nämlich des Verbs, platziert, d.h. Nominalmodifikatoren (z.B. Adjektiv, "Genitiv" und Relativsatz) vor dem (Objekt-)Nomen in den OV-Sprachen und nach ihm in den VO-Sprachen. Als Folge beobachtet man bei jedem Typ scheinbar umgekehrte Stellungsregeln der Modifikationsrelationen: Nominalmodifikatoren vor dem Nomen und Verbalmodifikatoren nach dem Verb in den OV-Sprachen, und umgekehrt in den VO-Sprachen. Bei Vennemann wird die Korreliertheit der Reihenfolge der verschiedenen Relationen nicht in der Konstellation dreier Elemente wie bei Lehmann, sondern nur in Bezug auf zwei unmittelbar an der betreffenden Relation beteiligte Elemente erklärt. Das, was Vennemanns Ansatz außerdem auszeichnet, ist die Berücksichtigung der absoluten Verbstellung neben der relativen Reihenfolge von Verb und Objekt o.a. So wird bei ihm eine XV-Sprache als diejenige definiert, in der das Verb im Normalfall am Satzende steht, während dies für eine VX-Sprache nicht zutrifft (1974: 350).3? Nun werden die Stellungskorrelationen unter Verwendung eines einzigen Prinzips geschildert, dem der "natürlichen Serialisierung", das die Reihenfolge Operator-Operand in XV-Sprachen und die umgekehrte in VX-Sprachen beinhaltet. Als Operand gilt dasjenige Glied, dessen syntaktische Kategorie die Gesamtheit des Syntagmas repräsentiert (Endozentrizität, vgl. 1.3.1 unten). Daher kann man Operand durch "Kopf und Operator dementsprechend durch "Dependens" ersetzen (vgl. auch Hawkins 1983: 31ff., bes. zu den Termini "Modifier" bzw. "Specifier" anstelle von "Dependent"). Hier wird also angenommen, dass allein die Position des Prädikates und dessen Objektes (bzw. eines anderen Erweiterungselementes des Prädikates) ohne jegliche Beeinflussung durch die Position des Subjektes mit den anderen Wortreihenfolgen wie G und N, A und N, sowie Prä-/Postposition in Zusammenhang steht, vgl.: in a constituent structure [AB], A is operator and B is operand if the entire construction [AB] is in the same syntactic category as B [...] Thus, an object noun phrase is an operator on a (transitive) verb because the result of its application is an (intrasnsitive) verb and not a noun phrase; a noun phrase is an operator on a preposition, which is a transitive adverb, because the result of its application is an intransitive adverbial rather than a noun phrase; an infinitive is an operator on a finite transitive modal verb because the result of the operation is a finite intransitive modal verb rather than an infinitive; etc." (Vennemann 1974: 347)

Den Ausdrücken Operand und Operator entsprechen auch die Termini Regens und Rectum und das Prinzip "Rectum ante Regens" vs. "Regens ante Rectum" erfasst neben der Relation zwischen dem Verb und Objekt auch diejenige zwischen dem Genitiv und dem Kopf-Nomen (Ch. Lehmann 1983b, 1985a, Comrie & Lehmann 1985; vgl. 1.3.1 unten). Dieses Prinzip wird als eines der "höheren" Prinzipien hinter dem typologischen Bündel betrachtet, nach denen es in 1.1.4.1 zu suchen galt (vgl. z.B. Hawkins 1993 und Siewierska 1997: 7f. zu kritischen Meinungen gegenüber dieser Position). In dieser Sichtweise werden allerdings die bei Greenberg klar festgestellten Unterschiede zwischen den SVO- und VSO-Sprachen nicht mehr erkennbar (vgl. auch Hawkins 1983: bes. 30).

37

Vgl. Greenberg 1963/66:103: "in rigid subtype III [= SOV], the verb marks the end of the sentence".

22

Unmittelbar mit dem "Subjekt" hängt aber die morphologische Typologie zusammen, über die Vennemann einige interessante Aussagen im Hinblick auf deren Korrelation mit der Wortstellung macht. Wie der in 1.1.4.2 beschriebene Ansatz der Funktionalen Satzperspektive nimmt Vennemann (1974: bes. 355ff.) an, dass die Thema-Rhema-Reihenfolge die natürliche ist und dass das Thema bzw. das Topik am Anfang eines Satzes steht. Wenn das Objekt das Topik ist, wird es also zur Satzanfangsposition gebracht. Während sich in den VX-Sprachen die so gewonnene OS-Reihenfolge von der SO-Reihenfolge durch die Stellung des Verbs unterscheidet (SVO vs. OSV in den "SOV-Sprachen" und VSO vs. OVS in den "VSO-Sprachen"), kann die Verbposition in den XV-Sprachen nicht zu einer analogen Unterscheidung beitragen. Hier stellen SOV und OSV beide das gleiche Muster NP NP V dar, so dass ein Mittel hinzukommen muss, um S und O auseinander zu halten. Ein dominantes Mittel dafür ist die Kasusmarkierung an den Nomina selber. Das ist Vennemanns Erklärung zu Greenbergs Beobachtung (1963/66: 96), dass die SOV-Sprachen meistens ein Kasussystem haben. Ein typisches Korrelat damit ist, dass die VX-Sprachen, die zur SO-Unterscheidung keine morphologischen Mittel brauchen, eher isolierende Sprachen sind, während die XV-Sprachen synthetische, vor allem agglutinierende Struktur aufweisen. Die letztere Korrelation wäre eigentlich nicht zwingend, weil die Kasusmarkierung nicht immer mittels morphologischer Kasus gegeben sein muss, sondern durchaus durch analytische Mittel wie Prä- oder Postpositionen realisiert sein kann. Dass die XV-Sprachen trotzdem zur Agglutination neigen, hat wohl mit ihrer allgemeinen Bevorzugung der Suffigierung zu tun. Diese hängt unmittelbar mit der XV-Reihenfolge zusammen, die einer der konkreten Fälle der Operator-Operand-Reihenfolge ist. Denn Satzqualifizierer wie Tempus, Aspekt, Modalität und Negation werden üblicherweise als Operanden des Hauptverbs konstruiert, d.h. nach diesem platziert, wobei sie durchaus suffixal sein können (Vennemann 1974:358, 365f.) bzw. eben wegen ihrer Position dazu neigen, suffixal zu werden (vgl. Lehmann 1973; vgl. auch Kritiken z.B. von Carstairs-McCarthy 1982: 158ff.). Die hier referierte Sichtweise ist nicht nur theoretisch, sondern hinsichtlich der einzelsprachlichen Beschreibung des Japanischen von großer Wichtigkeit, und mit Rücksicht darauf werden wir u.a. in Kap. 2 und 4.3 die in (l.le) präsentierte wortstellungsbezogene Eigenschaftsbeschreibung des Japanischen kritisch überprüfen.

1.1.5. Subjekt und Topik Die Topik-Diskussion steht mit der Wortstellungstypologie nicht nur wegen der besonders in 1.1.4.2 beschriebenen funktionalen Korrelation, sondern auch deswegen in einem engen Zusammenhang, weil diese untrennbar mit der Subjekt-Frage verbunden ist (vgl. diesbezügliche Zitate aus Bußmann (hg.) 1990 und Shibatani 1994 in 1.1.1 oben; vgl. auch Keenan 1976, Foley & Van Valin 1977, Anderson 1978: 661ff.) und der Begriff Subjekt, obzwar noch ziemlich unreflektiert, ein zentraler Bestandteil der Wortstellungstypologie ist.38 Aus 38

Das Wort "topic", das mit "comment" korrelativ verwendet wird, wurde von Hockett (1958:191ff.) bewusst als Terminus technicus eingeführt: "The terms used [...] are largely new, since traditional

23

dieser Diskussion wurde die Typologie der Topik- und Subjektprominenz entwickelt (vor allem Li & Thompson 1976; vgl. auch Sasse 1982). Nach diesem Ansatz wird das Subjekt vom Prädikat her bestimmt und hat daher immer eine Selektionsrelation mit dem Prädikat; dagegen braucht das Topik kein Argument39 des Prädikates zu sein, wird nicht vom Prädikat bestimmt, seine Wahl ist daher vom Prädikat unabhängig. Subjekt-prominent sind solche Sprachen, die subjektbezogene grammatische Verfahren wie Passivierung, Reflexivierung, Imperativierung und Koreferentialtilgung (sog. "Equi-NP") aufweisen. Topik-prominent sind demgegenüber solche Sprachen, in denen das Topik klar im Satz als solches kodiert wird (entweder als erstes Satzelement oder, wie im Japanischen, mit einem eigenen Kennzeichen), während das Subjekt nicht in gleicher Dezidiertheit kodiert zu werden braucht und sogar im Satz fehlen darf. Als eines der Charakteristika dieser Sprachen gilt die sog. Doppelsubjekt-Konstruktion, die im obigen Zitat aus Bußmann (hg.) 1990 genannt war. Die repräsentative Topik-prominente Sprache ist Chinesisch.während die indo-europäischen Sprachen als Subjekt-prominent gelten (vor allem wegen der Subjekt-Kongruenz am Verb, vgl. u.a. Heger 1982b).40 Japanisch wird nach dieser Typologie als eine Topik- und Subjektprominente Sprache eingestuft, weil es hier solche grammatischen Verfahren wie Reflexivierung und Honorifikation gibt, die sich auf das "Subjekt" zu beziehen scheinen (vgl. Shibatani 1977, Tsunoda 1991: 165ff„ bes. 204ff.; vgl. 6.2 unten).

l. l .6. Kasusmarkierungstypologie (Ergativität), Rollen- und Referenz-Dominanz Weitere typologische Themen in diesem Zusammenhang, die zwar in den Zitaten oben nicht angesprochen sind, aber im letzten Vierteljahrhundert vehement diskutiert wurden, sind Ergativität bzw., noch genereller, Kasusmarkierungstypologie sowie Rollen- und Referenz-Dominanz. Unter den Sprachen der Welt gibt es hinsichtlich der Kasusmarkierung (genauer: Kodierung von Rollen nominaler Mitspieler an diesen selber) drei Haupttypen: grammar, based on the languages of Europe, affords few terms of sufficient generality" (p.191), "the speaker announces a topic and then says something about it. [...] In English and the familiar languages of Europe, topics are usually also subjects, and comments are predicates [...] But this identification fails sometimes in colloquial English, [...] and more generally in some non-European languages" (p.201). "Topic" und "comment" in diesem Sinne sind insoweit deckungsgleich mit "Thema" und "Rhema" des Prager Ansatzes der funktionalen Satzperspektive (vgl. u. .a. Danes' et al. 1974). Man muss jedoch bei "topic" und "Thema" darauf achten, dass sie zum einen je nach Ansatz für zwei unterschiedliche Konzepte stehen können, und zum anderen "topic" in einem Ansatz nicht "topic", sondern "Thema" in einem anderen Ansatz entsprechen kann. So wird "Theme" bei Dik (1980: 66f.) als "clause-external" definiert im Gegensatz zum als "clause-internal" definierten "Topic". Bei Foley & Van Valin (z.B. 1984: 124ff.) ist es demgegenüber "Topic", das als "clauseexternal" definiert wird (bei ihnen wird das, was "clause-intern" ist, "Pivot" genannt). Man vergleiche u.a. auch Chafe 1976, Heger 1982b. Zu erwähnen wäre auch "Theme" als eine der "thematischen Rollen", die jedoch nichts mit der pragmatischen Thematizität zu tun hat, s. Fußnote 45 unten. 39

Vgl. obiges Zitat aus Bußmann (hg.) 1990: 360 in 1.1.1; zu "Argument" vgl. 1.3.2 unten.

40

Reis (1982) betrachtet hingegen den Nominativ als maßgebend für die Kongruenz, so dass sie den Begriff Subjekt, mindestens fürs Deutsche, für unnötig hält.

24 (Nominativ-)Akkusativisch, Ergativ(-Absolutiv-)isch und Aktiv(-Inaktiv / Stativ-)isch (vgl. z.B. Fillmore 1968: 53ff., Anderson 1971: 52f., Klimov 1974, 1979, Kibrik 1985: 273, Lazard 1986, Drossard 1991c). Im akkusativischen Typ, wie z.B. in den indo-europäischen Sprachen in Europa, wird das intransitive Subjekt wie das transitive Subjekt, das den Agens bezeichnet, gegenüber dem als Akkusativ markierten transitiven Objekt gleichermaßen im Nominativ kodiert. Dasselbe wird aber in den Ergativsprachen, z.B. im Baskischen, gleich wie das transitive Objekt und anders als das transitive Agens-Nomen markiert. Ergativ ist der Name der Markierung des letzteren, die erstere Markierung wird Absolutiv (oder auch Nominativ) genannt,41 z.B. (aus Brettschneider 1979: 371): (1.11) (a) ni-k gizona-0 ikusi d-u-t I-ERG the man-ABS seen 3sg.-abs.-AUX-lsg.erg.

have seen the man'

(b) gizona-0 etorri d-a the man-ABS come 3sg.abs.-AUX

'the man has come'

(c) gizona-0 zaara d-a the man-ABS old 3sg.abs.-AUX

'the man is old'

Während das Ökonomieprinzip den minimalen Aufwand zur unterschiedlichen Markierung des Agens- und des Objekt- (oder Patiens-)Nomens beim transitiven Verb verlangt, so dass das intransitive Subjekt nur entweder gleich wie das erstere, d.h. nominativ-akkusativisch, oder gleich wie das letztere, d.h. ergativ-absolutivisch, kodiert zu werden braucht (vgl. Comrie 1981 a: 117ff., Heger 1982b: 88f.), wird es im Aktiv-Inaktiv-(/ Stativ)-Typ genau so wie bei einem transitiven Verb in Agens und Patiens geteilt und dementsprechend entweder wie der transitive Agens oder wie das transitive Objekt (Patiens) markiert,42 z.B. im Lakota (aus Pustet 1992: 93): (1.12) (a) ma - ya' - kte 1SG.PAT - 2SG.AG - töt(en)

41

42

'du tötest mich'

(b) i - ya' - psica V - 2SG.AG - spring(en)

'du springst' (V = Bestandteil des Verbstammes)

(c) ma-ka'kiza l.SG.PAT-leid(en)

'ich leide'

Linguisten in der ehemaligen Sowjetunion pflegten den Terminus Nominativ zu benutzen, so z.B. Kibrik (1985). Vgl. auch Heger 1982b, Anderson 1985b: 181, Klimov 1985. Dieses System wird daher auch "Split S System" (S = Intransitiv-Subjekt) (vgl. Foley & Van Valin 1984: 95ff., Pustet 1992: 91ff.) oder "Split intransitivity (Merlan 1985) genannt. Die Beispiele aus Lakota zeigen im Übrigen die Kodierungsart, die oft "Cross-Reference/-ing" (s. 1.1.9) genannt wird und ein Zwischenstadium zwischen klitischem Anhängen von Pronomina an das Verb und affixaler Personenkongruenz darstellt. Hier ist es nicht so eindeutig, ob es sich um Kasusformen von Pronomina oder um Verbformen handelt, vgl. auch Anderson 1985b: 194.

25 Dieser Typ wird oft auch als "semantische" Kasusmarkierung bezeichnet und repräsentiert den Rollen-dominanten Sprachtyp, auch wenn dieser nicht auf den Aktiv-Inaktiv-Typ beschränkt ist. Diesem gegenüber stehen Referenz-dominante Sprachen, in denen pragmatische Faktoren wie Topik-Status oder Topikalität bzw. Thematizität usw. die nominale Markierung beeinflussen. So ist das Vorhandensein eines Diathesensystems (Aktiv-Passiv-Konversion u.a.) ein Merkmal des letzteren Typs (vgl. u.a. Van Valin 1980, Van Valin & Foley 1980, Foley & Van Valin 1984: 107ff.; vgl. auch Sasse 1982).43 Was das Japanische betrifft, so ist es auf keinen Fall eine aktivisch-inaktivische Sprache, weil das intransitive Subjekt immer einheitlich (mit ga) markiert wird, wie z.B.: (1.13) Taroo ga tabe-ta.

Taro hat gegessen.' (tabe- "essen")

(1.14) Taroo ga hasit-ta.

'Taro ist gerannt.' (hasir- "rennen")

(1.15) Taroo ga i-ta.

'Taro war da.' (i- "dasein")

(1.16) Taroo ga sin-da.

Taro ist gestorben.' (sin- "sterben")

Aufgrund der Aussage von Shibatani (1994: 1811) oben, dass ein mitga markiertes Nominal den Agens ausdrücke, wäre Japanisch eine eindeutig akkusativische Sprache. In Wirklichkeit gibt es aber viele transitive Verben, bei denen das Nomen mit ga nicht Agens, sondern eher Patiens (oft Wahrgenommenes bzw. Stimulus zur Wahrnehmung) darstellt, z.B.: (1.17) (a) Watasi ni (wa) Taroo ga mie-ta. ich DAT (TOP) Taro NOM sehen-PRÄT 'Ich habe Taro gesehen.' vgl.

43

(b) Watasi {wa/ga} Taroo o mi-ta. ich {TOP/NOM} Taro AKK ansehen-PRÄT 'Ich habe Taro angesehen.'

Oft wird über die Affinität des Passivs zur Ergativität diskutiert (z.B. Heger 1982b). Entscheidend für die Unterscheidung ist aber, dass das Passiv gegenüber dem Aktiv mehr morphosyntaktischen Aufwand zeigt, d.h. "markierter" ist, während das Ergativ-Muster das merkmallose ("unmarkierte") Grundmuster einer Transitivkonstruktion in den Ergativsprachen darstellt (vgl. z.B. Comrie 1988). Ein Spiegelbild des Passivs repräsentiert das sog. "Antipassiv" in Ergativsprachen, bei dem der Transitiv-Agens nicht (mehr) im Ergativ, sondern im Absolutiv steht und das Verb, wie die Passivform in Akkusativsprachen, mehr morphosyntaktische Mittel benötigt. Indem das Verb mehr Markierung trägt, nehmen sowohl der Patiens im Passiv als auch der Agens im Antipassiv den merkmallosen Kasus, den Nominativ bzw. den Absolutiv, an (vgl. z.B. Seiler 1988a: 35f.). Der Patiens im Antipassiv kann wie der Agens im Passiv zwar mit einer bestimmten Kasusmarkierung (meist in einem Obliquus, aber je nach Sprache auch im Ergativ, vgl. z.B. Hopper & Thompson 1980) auftreten, kann aber auch gänzlich ausbleiben. Wenn der Agens im Absolutiv bzw. im Nominativ in einem Satz ohne Patiens steht, ist es ein Fall des sog. "Unergativs", s. 1.1.7. Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang ist die sog. "Anti-Impersonalität", bei der es sich um transitive Konstruktionen ohne Patiens im Absolutiv in Ergativsprachen handelt, vgl. Lazard 1985.

26 (1.18) (a) Taroo ni (wa) (doitu-go no) hon ga yom-e-ru. Tare DAT (TOP) (Deutsch N.ADN) Buch NOM lesen-POT-PRÄS Tare kann (deutschsprachige) Bücher lesen.' vgl.

(b) Taroo {wa/ga} (doitu-go no) hon o yom-u. Taro {TOP/NOM} (Deutsch N.ADN) Buch AKK lesen-PRÄS Taro liest (deutschsprachige) Bücher [entweder Futur oder Gewohnheit].'

(1.19) (a) Hannin {wa/ga} keesatu ni tukamat-ta. Täter {TOP/NOM} Polizei DAT ins.Netz.gehen-PRÄT 'Der Täter ist von der Polizei gefangen worden.' vgl.

(b) Keesatu {wa/ga} hannin o tukamae-ta. Polizei {TOP/NOM} Täter AKK fangen-PRÄT 'Die Polizei hat den Täter gefangen.'

Das Beispiel (1.19 a) zeigt Ähnlichkeit zu einer Ergativkonstruktion. Jedoch macht die Existenz des Musters des Beispiels (1.19 b), nebst (1.17/18 b), klar, dass Japanisch keine reine Ergativsprache sein kann. Diese Situation ähnelt der so genannten gespaltenen Ergativität ("Split Ergativity"), bei der es sich um Vorkommen akkusativischer Markierungen in sonst ergativischen Sprachen handelt. Faktoren hierfür sind vor allem der Topikalitätsgrad (bzw. Grad der Ego-Nähe) oder Belebtheit zum einen und Faktivität / Effektivität (oder der sog. Transit!vitätsgrad) einschließlich Tempus, Aspekt und Modalität zum anderen (vgl. z.B. Silverstein 1976, Hopper & Thompson 1980, Comrie 1981a: 122ff, DeLancey 1981). Die japanischen Beispiele oben zeigen Parallelen zur gespaltenen Ergativität in erster Linie aufgrund der Modalität und des Transitivitätsgrades (vgl. Tsunoda 1981, 1983, vgl. auch Drossard 1991a/b). Diese Erscheinung im Japanischen, wie im Übrigen auch im Deutschen, Italienischen, Russischen usw., könnte eher "gespaltene Akkusativität" genannt werden, weil bei höherer Transit!vität, z.B. einer reell vollzogenen Handlung mit Patiens-Affizierung, doch das Nominativ-Akkusativ-Muster dominiert, m.a.W.: Verben wie im Beispiel (1.19 a) sind nicht sehr zahlreich, auf keinen Fall dominanter als solche mit dem Nom.-Akk.-Muster (vgl. auch Perlmutter 1984). Tsunoda (1981) und Shibatani (1982, 1983) haben in diesem Zusammenhang die Tendenz festgestellt, dass sowohl das Nom.-Akk.-Muster in den akkusativischen Sprachen als auch das Erg.-Abs.-Muster in den ergativischen Sprachen bei höherer Transitivität bevorzugt werden, und dass die beiden Sprachtypen bei niedrigerer Transitivität (z.B. ohne PatiensAffizierung) ein mehr oder weniger typenneutrales Schema wie die Nom./Abs.-Dat.Konstellation zeigen, in dem der jeweils den Kasusmarkierungstyp kennzeichnende Kasus Akkusativ und Ergativ nicht auftritt. M.a.W.: Bei niedrigerer Transitivität neigt der Unterschied zwischen der Akkusativität und der Ergativität dazu, neutralisiert zu werden. Auf den Themenkomplex um die Kasusmarkierung wird unten in Kap. 6 und 9 nochmals eingegangen.

27 1.1.7. "Unergativität", "Unakkusativität", "Antikausativ", "Endo/Exoaktiv" Im Zusammenhang mit der Ergativität seien auch sog. "ergative", "unergative" und "unakkusative" Verben erwähnt, weil sie recht irritierend wirken. Diese Termini beziehen sich nicht auf Kasusmarkierung, sondern auf Verb- bzw. Satz- ("clause'^Typen.44 "Ergative" Verben, die auch "unakkusativ" genannt werden, sind Intransitiva, deren Subjekt einem Transitiv-Objekt bzw. Patiens entspricht, z.B. brechen, fallen im Deutschen oder: (1.20) (a) le ga tat-ta. Haus NOM aufstehen-PRÄT vgl.

'Ein/Das Haus ist errichtet worden.'

(b) Taroo {wa/ga} ie o tate-ta. Taro hat ein Haus gebaut.' Taro (TOP/NOM} Haus AKK errichten-PRÄT

Demgegenüber sind "unergative" Verben diejenigen Intransitiva, deren Subjekt Agens entspricht, z.B. spielen, sprechen, gehen usw. sowie tabe- "essen" und hasir- "rennen" in (1.13/14) (vgl. z.B. Perlmutter 1978, Miyagawa 1989: 41ff.; vgl. auch Dowty 1991: 605ff., Drossard 1991a/b, 1998). Diese Unterscheidung hat zwar ursprünglich nichts mit der Kasusmarkierungstypologie zu tun, zeigt aber enge Berührungspunkte zum Aktiv-Inaktiv-System.45

44

45

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Ergativitätstypologie durchaus auch den Verbalbereich wie vor allem die Kongruenzart (bzw. "Cross-Referencing", s. 1.1.9) betrifft (vgl. z.B. Mallinson & Blake 1981: 55f, S. Anderson 1985b: 194ff.), so dass es nicht immer angebracht ist, die Ergativität als Kasusmarkierungstypologie zu bezeichnen. Die Situation ist trotzdem eine ganz andere als die semantische Verbsubkategorisierung in "Ergativ / Unakkusativ-Verben" und "Unergativ-Verben". Zu erwähnen wäre außerdem, dass die Termini je nach Ansatz auch konträr gebraucht werden. So stehen "ergative verbs" bei J. Anderson (1971: 41ff.) für Intransitiva mit einem Agens-Subjekt, also für "Unergativ-Verben" hier, und "non-ergative verbs" für "Unakkusativ(d.h. Ergativ-)Verben". Das, was mit dem Inaktiv dargestellt wird, ist wohl vergleichbar mit dem, was der Andersonsche "Nominativ" (1971: 37ff.) oder die so genannte thematische Rolle "Thema" abdecken (zu "thematischen Rollen/Relationen" bzw. "Theta-Rollen" vgl. u.a. Jackendoff 1972: 29ff., Chomsky 1981: 5f., 35ff., Foley & Van Valin 1984: z.B.53ff., Abraham 1988: 876f., Dowty 1991, Fanselow & Felix 1987/93: 76ff, Vater 1996: 176). Jedoch ist die Domäne des "Themas" größer als die des Inaktivs, weil jenes auch Partizipanten umfasst, die sich willentlich bewegen, z.B. das Subjekt bei gehen, rennen usw. (vgl. Gruber 1976: 38). So stünde die Rolle 'Thema" dem Deckungsbereich des Absolutivs in einer Ergativsprache recht nah. Demgegenüber schließen "unergative" Prädikate nach der Klassifikation von Perlmutter (1978: 162f.) nicht nur den Bereich des Agens, sondern auch einen Teil des "Themas" ein, der in einer Aktiv-Inaktiv-Sprache mit dem Inaktiv markiert wäre. Daher sind "Unakkusative" in der Relationalen Grammatik nach Perlmutter und "Unakkusative" im generativen Rahmen (z.B. Miyagawa 1989) nicht deckungsgleich. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass auch ihre Definitionen dem jeweiligen theoretischen Grundansatz entsprechend unterschiedlich formuliert werden: "a. A transitive stratum contains a 1-arc and a 2-arc. b. An unaccusative stratum contains a 2-arc but no 1-arc. c. An unergative stratum contains a 1-arc but no 2-arc." (Perlmutter 1978: 160); "intransitive verbs whose subject NP [...] originates in the VP", "the subject [...] is in fact the object of the verb at D-structure, [...] is moved to the subject position by Move- at S-structure" (Miyagawa p.42f.).

28 Ein weiterer Terminus der dem "Unakkusativ" sehr nahe steht, ist "Antikausativ", das als intransitivisches Spiegelbild des Kausativs gilt (vgl. z.B. Haspelmath 1987, Kulikov 1998). Das Kausativ, das grammatisch-paradigmatisch gebildet wird, wird mit mehr morphosyntaktischen Mitteln als ein lexikalisches Transitiv gebildet (z.B. fallen lassen vs. fällen) und kann auf der Basis eines Intransitivs, wie im Übrigen auch eines Transitivs, gebildet werden (z.B. eben fallen lassen). Dementsprechend wird ein Antikausativ mit mehr Mitteln auf der Basis eines Transitivs gebildet (bzw. abgeleitet), wie z.B. sich öffnen von öffnen in Die Tür öffnet sich zu Jemand öffnet die Tür (vgl. Haspelmath 1987: 2f.). Die Antikausativa sind demnach morphosyntaktisch gebildete Unakkusative. Japanisch verfügt bei den meisten effizierenden und stark affizierenden Verben, d.h. denjenigen Verben, deren Bedeutung die Entstehung oder eine Zustandsänderung des Patiens impliziert, über ein Paar aus einem Transitiv und einem unakkusativischen Intransitiv, wie täte- "errichten, (auf-/hin-) stellen" und tat- "aufstehen" in (1.20), ake- "öffnen" und ak"sich öffnen", sime- "schließen" und simar- "sich schließen", otos- "fallen lassen" und oti"fallen", taos- "fällen, demolieren" und taore- "(hin-)fallen (z.B. Mensch, Haus, Baum)", usw. Die "Unakkusative" im Japanischen sind insofern keine Antikausativa, als sie nicht mit einem paradigmatischen Mittel von einem Transitiv abgeleitet werden. Sie zeigen auch nicht immer mehr morphologischen Aufwand als ihr transitives Pendant, wie die obigen Beispiele zeigen. Es gibt zwar durchaus gewisse Tendenzen in der morphologischen Beschaffenheit, wie -s- für Transitiva und -r- für Intransitiva, aber die Markierungs- und Markiertheitsverhältnisse (Tr. = Intr. + oder Intr. = Tr. + oder Tr. = Wurzel + und Intr. = Wurzel + y) sind nicht vorhersagbar, zumal ein und dasselbe Lautelement wie -e- als sowohl beim Transitiv (z.B. Tr. ake- "öffnen" zu Intr. ak- "sich öffnen") als auch beim Intransitiv (z.B. Tr. nuk- "wegziehen, entfernen", Intr. nuke- "(ab-/weg-/aus-)fallen") auftreten kann (vgl. Bloch 1946/70: 93ff., Okutsu 1967, 1989a, Sasaki 1971: 62, Makino & Tsutsui 1986:585ff.,Onol991:359ff.). Mit diesen Transitiv-Intransitiv-Paaren stehen Verbpaare wie tukamae- "fangen" und tukamar- "sich erwischen lassen, gefangen werden" in (1.19) in einem organischen Verhältnis. Trotz der Ähnlichkeit kann man tukamar- "gefangen werden" nicht "Unakkusativ" nennen, weil es kein Intransitiv ist; d.h.: während die Unakkusative zwar die Angabe eines Instrumentes oder der Ursache, aber keine Mitkodierung des Agens erlauben und daher mindestens syntaktisch als Intransitiva zu klassifizieren sind, ist dies bei tukamar- nicht nur möglich, sondern gilt auch als Grundmuster. Man vergleiche (1.21) mit (1.19): (1.21) (a) ({Kaze / Kagi} de / *Taroo ni / de) doa ga ai-ta. ({Wind / Schlüssel} INSTR / Taro DAT/INSTR) Tür NOM aufgehen-PRÄT '({Durch den Wind / Mit einem Schlüssel} ist die Tür aufgegangen.' vgl.

(b) Taroo {wa / ga} (kagi de) doa o ake-ta. Taro (TOP/NOM) (Schlüssel INSTR) TürAKK aufmachen-PRÄT Taro hat (mit einem Schlüssel) die Tür geöffnet.'

Zu solchen Verben wie tukamar- würde die Bezeichnung "ergativ(isch)" eigentlich ganz gut passen, vielleicht in der Version "ergativisches Transitiv", um sie nicht nur vom Ergativ

29 als Kasusmarkierung, sondern auch vom "Ergativ" als Synonym des "Unakkusativs" zu differenzieren. Allerdings gibt es im Japanischen noch eine mit diesen Verhältnissen eng verwandte Erscheinung, für die auch eine passende Bezeichnung gefunden werden müsste (vgl. Ono 1991: 341f.): (1.22) (a) Sobo{wa/ga} hahaoya kara kodomo o azukat-ta. Großmutter (TOP/NOM) Mutter ABL Kind AKK annehmen-PRÄT 'Die Großmutter hat von der Mutter das Kind zur Betreuung aufgenommen.' vgl.

(b) Hahaoya { w a / g a } kodomo o sobo ni azuke-ta. Mutter (TOP/NOM} Kind AKK Großmutter DAT an vertrauen-PRÄT 'Die Mutter hat der Großmutter das Kind zur Betreuung abgegeben.' (= 'Die Mutter hat der Großmutter die Betreuung des Kindes anvertraut.')

Bei diesen Beispielen bleibt das Objekt in beiden Fällen im Akkusativ, mit o, und das, was verschoben wird, ist die Markierung des Empfängers von ni in (b) zu ga in (a). Dementsprechend wird das, was in (b) mit ga markiert ist, auf eine andere Markierung wie kara in (a) verschoben. Die Verschiebung auf ni wie in (1.19a) ist hier zwar auch möglich, ist kara aber in diesem Fall vorzuziehen. Die Verwendung von ni ist im folgenden Fall genau so gut wie kara: (1.23) (a) Watasi {wa/ga} Taroo {ni / kara} purezento o morat-ta. ich {TOP / NOM} Taro {DAT / ABL} Geschenk AKK bekommen-PRÄT 'Ich habe von Taro ein Geschenk bekommen.' vgl.

(b) Taroo {wa / ga} watasi ni purezento o kure-ta. Taro {TOP/NOM} ich DAT Geschenk AKK geben-PRÄT Taro hat mir ein Geschenk gegeben.'

Unter den Verben, die wie moraw- "bekommen" sowohl ni als auch kara für den Geber zulassen, befinden sich kari- "ausborgen, mieten" und osowar- "unterrichtet werden", die mit ihrem (b)-Pendant käs- "ausleihen, vermieten" und osie- "unterrichten, sagen" jeweils eine gleiche Wurzel teilen. Wenn man die Parallelität zwischen (1.22) und (1.23) sieht, wird einem sofort klar, dass es sich bei (1.22) um ein an sich sehr vertrautes Verhältnis zwischen den Geben- und Nehmen-Verben handelt. Für die Nehmen-Verben brauchten wir eigentlich keine besondere Klassenbezeichnung analog zu "unakkusativ" und "ergativ". Aber die Tatsache, dass die formale Beziehung zwischen den beiden Transitiva azuke- "(zur Aufbewahrung / Betreuung) abgeben" und azukar- "an-/aufnehmen" eine Parallelität zu den Transitiv-Intransitiv-Paaren aufweist, gibt uns einen Anlass dazu, nach einem geeigneten Terminus zu suchen, der in der Lage ist, sowohl die "unakkusativen" Intransitiva als auch die Transitiva nicht nur vom Typ (1.19), sondern auch vom Typ (1.22) zu subsumieren. "Endoaktiv", das von Lewin (1959: 118) für die japanischen Verbpaare vorgeschlagen wurde, wäre wohl eine Möglichkeit, dem "Exoaktiv" gegenübersteht. Eine ähnliche Konnotation hat auch der Terminus "zentripetal" gepaart mit "zentrifugal", der von Guchman (1976) in Bezug auf generelle Genus-

30 verbi-Relationen vorgeschlagen wurde. Die Korrelation zwischen den beiden Verbtypen wäre dementsprechend zu benennen, aber eine bündige Bezeichnung dafür ist nicht einfach zu finden.

1.1.8. Diathese und Kausativierung Während es im Japanischen kein systematisch-grammatisches Mittel zur AntikausativBildung gibt, wird das Kausativ sowohl vom Intransitiv, z.B. (1.9), als auch vom Transitiv, z.B. (1.24) unten, regelmäßig morphosyntaktisch gebildet: (1.24) (a) Taroo {wa / ga} hon o yon-da. Taro {TOP/NOM} Buch AKK lesen-PRÄT

'Taro las ein Buch.'

(b) Hanako {wa/ga} Taroo ni hon o yom-ase-ta. Hanako{TOP/NOM} Taro DAT Buch AKK lesen-KAUS-PRÄT 'Hanako ließ Taro ein Buch lesen.' Die Kausativbildung bzw. Kausati vierung war eines der viel diskutierten Themen der Typologie seit den 1970er Jahren (vgl. u.a. Shibatani 1976, Comrie 1981a:158ff., Seiler 1988a:89ff., Matsubara 1991). Nicht minder war die Diathese, vor allem das Passiv, Gegenstand typologischer Diskussionen (vgl. z.B. Shibatani 1985, 1988a/b u.a.), wovon schon in 1.1.4 ~ 6 die Rede war. Allerdings wird die Diathese seltener in einem Zusammenhang mit dem Kausativ behandelt. Die morphosyntaktische Parallelität zwischen dem Passiv und dem Kausativ, wie zwischen (1.24) und (1.25) sowie zwischen (1.9) und (1.26), ist jedoch das, was im Japanischen augenfällig ist:46 (1.25) Hanako {wa/ga} Taroo ni tegamio yom-are-ta. Hanako {TOP/NOM} Taro DAT Brief AKK lesen-PASS-PRÄT 'Hanako ist davon betroffen, dass Taro den Brief las.' (1.26) Taroo {wa/ga} Ziroo ni ik-are-ta. Taro {TOP/NOM} Jiro DAT gehen-PASS-PRÄT Taro ist davon betroffen, dass Jiro gegangen ist.' Die Passiva wie (1.25/26), deren Subjekt nicht dem Objekt des transitiven Satzes entspricht, werden oft "Adversativpassiv" oder "indirektes Passiv" genannt (vgl. Ono 1991 für Näheres). Wenn das Transitivobjekt zum Passivsubjekt wird ("direktes Passiv"), beschränkt sich die Parallelität zwischen dem Passiv und dem Kausativ auf die Verbformbildung:

46

Im Vergleich zur Betonung der Parallelität zwischen Passiv und Kausativ im Japanischen (z.B. Sasaki 1971, XolodoviC 1974: 342, Martin 1975: 287ff., Hayashi 1984, Kishitani 1989, vgl. Ono 1991: 368f.) ist ähnlichen Aussagen zu einem übereinzelsprachlichen Zusammenhang zwischen beiden zwar wesentlich seltener, jedoch durchaus zu begegnen, z.B. Foley & Van Valin 1984: 102f., Seiler 1988a: 99f., Keenan 1985: 261ff., Shibatani 1985: 840ff.

31

(1.27) (a) Taroo {wa/ga} Zirooo Taro {TOP / NOM} Jiro AKK Taro lobte Jiro.'

home-ta. loben-PRÄT

(b) Ziroo {wa/ga} Taroo ni home-rare-ta. Jiro {TOP/NOM} Taro DAT loben-PASS-PRÄT 'Jiro wurde von Taro gelobt.' (c) Hanako {wa/ga} Taroo ni Zirooo home-sase-ta. Hanako {TOP / NOM} Taro DAT Jiro AKK loben-KAUS-PRÄT 'Hanako ließ Taro Jiro loben.' Passiv und Kausativ sind auch insofern asymmetrisch, als Kausativierung eines Passivs im Gegensatz zur Passivierung eines Kausativs wie (1.2) und (1.10) grundsätzlich nicht möglich ist. Das Thema Passiv und Kausativ wird in 6.2 im Zusammenhang mit der Kasusmarkierung nochmals kurz behandelt.

1.1.9. "Pro-Drop"-Typologie Wie die meisten bisher skizzierten typologischen Themen sind auch die Eigenschaften (b ii/iii) und (d) in (1.1) meist im Zusammenhang mit der Subjekt-Frage diskutiert worden. Die jüngere Ausrichtung der Beschäftigung mit diesem Thema benutzt den Terminus "ProDrop" (vgl. z.B. Chomsky 1981: 240ff, Comrie 1990: 141f., Fanselow & Felix 1993: 21 Off.), der dafür steht, dass die Pro-Form eines Nomens, daher an sich ein Pronomen, gänzlich wegfällt, so dass die betreffende Position ("slot") auf der Oberfläche unbesetzt bzw. leer bleibt. Diese Erscheinung ist besonders in solchen Sprachen zu finden, die eine klare formale Subjekt-Indizierung ("indexing", vgl. z.B. Klaiman 1992: 235),47 d.h. sog. "Kongruenz" am Prädikat aufweisen, z.B. Italienisch: (1.28) (a) (i) Non te lo posso dire nicht 2.SG.OBL 3.SG.MASK.AKK können:l.SG.PRÄS sagen 'Ich kann es dir nicht sagen.' (ii) Non posso dir-te-lo. nicht könnenrl.SG.PRÄS sagen-2.SG.OBL-3.SG.MASK.AKK 'Ich kann es dir nicht sagen'. (b) (i) Devo. 'Ich muss (es).' ((b i / ii) aus Eco 1980: 454) müssen: l.SG.PRÄS (ii) Dovete? 'Müssen Sie (es)?' müssen:2.PL.PRÄS

47

Oder Indizierung der Person und Numerus des Nomens bzw. des Pronomens, das im Nominativ steht oder, im Fall dessen Vorkommens auf der Oberfläche, zu stehen hat; vgl. Reis 1982 (vs. Heger 1982b, Sasse 1982).

32 Eine andere Art der Partizipanten-Indizierung, die sich vom indoeuropäischen Typus klar unterscheidet und daher auch "Cross-Referencing" (indexartige Markierung der Referenz von Partizipanten am Prädikat, vgl. z.B. Mallinson & Blake 1981: 41ff., Blake 1994: 14, Nichols 1986: z.B. 97) genannt wird, ist z.B. im Baskischen realisiert (aus Brettschneider 1979:371,373): (1.29) (a) d-a-kar-kio-t 'ich bringe es ihm/ihr' 3.SG. ABS-TEMPUS-bringen-3 .SG.DAT-1 .SG.ERG (b) (i) eman gegeben

d-io-t 3.SG.ABS-3.SG.DAT-1 .SG.ERG

'ich habe es ihm/ihr gegeben'

Vgl.: (ii) ni-k gizona-ri polota-0 eman d-io-t ich-ERG derMann-DAT derBall-ABS gegeben 3.SG.ABS-3.SG.DAT-1.SG.ERG 'ich habe dem Mann den Ball gegeben.' Im Baskischen werden bis zu drei Partizipanten am Prädikat indiziert - vgl. (1.11 b/c) in 1.1.6 für die Indizierung eines einzigen und (1.11 a) von zwei Partizipanten - und alle indizierten Satzglieder sind weglassbar. Man sieht hier im Übrigen, dass die pronominale Objektkodierung im Italienischen, bes. die Version (1.28 a ii), eine starke Affinität zum Cross-Referencing zeigt. Japanisch, wie Chinesisch und andere ostasiatische Sprachen (vgl. Kameyama 1988: 51f., Fukui 1995: 334f.),48 weicht von diesen Pro-Drop-Prototypen insofern ab, dass es hier zum einen keine Kongruenz-Erscheinung gibt und zum anderen der gänzliche Wegfall nicht auf das Subjekt beschränkt ist, sondern für jedes Satzglied möglich ist (vgl. Rickmeyer 1983: 197ff., Hinds 1986a: 107). So können z.B. die Beispiele (1.2- 6) ohne nominale oder pronominale Satzglieder genau so wie (1.9) u.a. einen selbständigen Satz darstellen. Daher sind Zweifel angebracht, ob es sich beim Wegfall vom Typus indo-europäischer Kongruenzsprachen und vom Typus ostasiatischer Sprachen um eine funktional einheitliche Erscheinung handelt. Es sieht vielmehr danach aus, dass der Wegfall vom letzteren Typus eine der Anaphorisierungstechniken, nämlich "Null-Anapher" ist, die der Pronominalisierung in den ersteren Sprachen entspricht.49 In diesen ist hingegen die Weglassung eines personalen 48

49

Das Fehlen der Kongruenz bzw. des Cross-Referencing und die freie Weglassbarkeit der Satzglieder gelten als arealtypologisches Merkmal der ost- und südost-asiatischen Sprachen, die sowohl hinsichtlich der genetischen Beziehung als auch hinsichtlich des morphologischen Charakters, der sich auf die Typologie zwischen den synthetisch-aggulutinierenden und analytisch-isolierenden Sprachen bezieht (vgl. 1.1.2), heterogen sind. Neben dem Japanischen zeigt das Koreanische, dessen genetische Beziehung wie die des Japanischen bis jetzt noch ungeklärt ist, als "agglutinierende" Sprache dieses Merkmal. Auch in den "isolierenden" Sprachen, die genetisch vor allem zur sinotibetischen und zur austro-asiatischen Gruppe gehören, hat das Fehlen der Kongruenz u.a. nicht dazu geführt, dass das Vorkommen nominaler oder pronominaler Satzglieder obligatorisch würde. Vgl. auch Hockett 1958: 202f., Nichols 1986: 115, Lazard 1995: 154. Auf der Grundlage einer Studie von Takubo (vgl. z.B. 1992: 27) berichtet Kamio (1997: 165ff.), dass die sog. Pronomina der 3. Person im Japanischen nicht anaphorisch gebraucht werden können ("in Japanese third-person overt definite pronoun such as kare (he) cannot be used unless the

33

oder anaphorischen Pronomens grundsätzlich nur dann möglich, wenn dessen Referenz auch anderswo, nämlich am Prädikat kodiert ist. Allerdings zeigt Russisch, dass auch Satzglieder, die kein Subjekt sind und daher nicht am Prädikat indiziert werden, durchaus weglassbar sind: (1.30) (a) (i)Ty emu pereda-1-a moe pis'm-o? 2.SG:NOM 3.SG.MASK:DAT geben-PRÄT-FEM.SG mein:NT.SG.AKK Brief-AKK 'Hast du ihm meinen Brief gegeben?' (die angeredete Person ist weiblich) (ii) Pereda-1-a.

'(Ja,) Ich habe ihn ihm gegeben.' oder 'Ja, habe ich.'

geben-PRÄT-FEM.SG

(iii) Da, pereda-1-a

emu.

'Ja, ich habe ihn ihm gegeben.'

ja geben-PRÄT-FEM.SG 3.SG.MASK:DAT ((a i / ii / iii) aus Nichols 1993: 168)

(b) Ne soglasen! Ne mog-u! Ne zela-ju! nicht einverstanden:MASK.SG nicht können-l.SG.PRÄS nicht wollen-l.SG.PRÄS 'Ich bin (damit) nicht einverstanden! Ich kann (es) nicht! Ich will (es) nicht!' (der Sprecher ist eine männliche Person) (aus Rozental' & Telenkova 1972: 218, ursprünglich von A.P. Tschechov) Nichols (1993: z.B. 168) spricht von "anaphoric zeros" im Russischen.50 Die "Pro-Drop"Erscheinung hat also nicht unbedingt mit der Partizipanten-Indizierung, zu der auch die Kongruenz in Person/Genus und Numerus als Verbflexionskategorie gehört, zu tun (vgl. Comrie 1990: 142). Diese Problematik wird in 6.4 sowie in Kap. 7 und 8 unten ausführlicher diskutiert.

1.2. Schwerpunkte und Methodologie

1.2.1. Themenauswahl und Ziele der Untersuchung Die Probleme, die in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich behandelt werden, beziehen sich auf Flexionskategorien, Wortarten, Kasusmarkierung, Personenreferenz und verbale Deixis. Diese Probleme sind nicht willkürlich von der Verfasserin ausgewählt worden, sondern haben sich im Prozess der typologischen Betrachtung des Japanischen ergeben. Als Grundlage hierfür galten zum einen die allgemeinen Tendenzen der typologischen Blickrich-

50

speaker already knows the referent of the pronoun before a discourse begins" p. 165) und der Funktion der Pronomina wie he im Englischen die Null-Anapher im Japanischen entspricht, Vgl.: "It can be argued [...] that in colloquial Russian zero is the natural anaphor for the theme of the paragraph, and the form shifts to overt only when there is a shift in temporal reference, in the syntactic function of the subject, or in other factors" (Nichols 1993: 168).

34 tungen, die oben skizziert wurden, und zum anderen das Modell der Dimension der PARTIZIPATION, das vom Kölner Forschungsprojekt UNITYP entwickelt wurde (s. 1.2.2). Nicht zuletzt haben aber die Eigenschaften der familiären europäischen Sprachen zur Herauskristallisierung dieser Schwerpunkte beigetragen. So ist die Andersartigkeit der Wortarten und der Flexionskategorien im Japanischen im Vergleich zu den wesentlichen Merkmalen der europäischen Sprachen mit ein Anlass der ausführlichen Diskussion darüber. Auch für die Personenreferenz und die verbale Deixis gilt Entsprechendes. Die Eigenschaft des Japanischen, wie in den Zitaten in 1.1.1 und in 1.1.9 oben beschrieben, keine Kategorie Person und folglich keine Personenindizierung ("Kongruenz") am Prädikat zu haben und trotzdem eine ersatzlose Weglassung von Satzgliedern zu erlauben, widerspricht der allgemeinen Erwartung aus der Sicht europäischer Sprachen.51 Um die Mechanismen verständlich zu machen, warum die Kommunikation im Japanischen trotzdem erfolgreich stattfindet, haben die Autoren der obigen Zitate das Vorhandensein der Honorifikationsformen betont (auch Lehmann 1985a: 48). Jedoch ist die Honorifikation kein obligatorischer Bestandteil der Sprache, sondern stellt eine überlagerte Schicht dar, die nur bei Bedarf eingesetzt wird. M.a.W.: Die Sprache für die familiäre Kommunikation, die die Kinder zuerst lernen und auch die Erwachsenen in ihrer familiären Umgebung gebrauchen, hat keine Honorifikation, spart aber auch nicht mit Weglassungen ("Null-Anapher"). Ähnliches gilt auch für die geschlechtsspezifischen Sprachelemente. Daher ist entweder die Null-Anapher ein Verfahren, das ohne Kompensationen der beschriebenen Art kommunikativ leistungsfähig ist, oder Japanisch hat eine andere Kompensationsstrategie als die Honorifikation u.a. Eine Kandidatin hierfür ist die lexikalisch angelegte Deixis eines Verbs, die darauf hinweist, in welche Richtung eine Handlung stattfindet: vom Sprecher weg oder zum Sprecher hin. Dieser Aspekt, der aus welchem Grund auch immer von den Autoren der obigen Zitate unerwähnt blieb,52 wird ein wichtiger Gegenstand im Kap. 8 sein. Auf diese Weise werden eben solche Aspekte der Eigenschaften des Japanischen schwerpunktmäßig behandelt, die sich von denen der meisten indo-europäischen Sprachen unterscheiden. Diese spielen also als Vergleichsbasis eine wichtige Rolle, nicht nur wegen des europäischen Kontextes, sondern

51

52

Aus der Sicht ostasiatischer Sprachen wären die Indizierung eines einzigen Satzgliedes am Prädikat sowie weitgehende Nichtweglassbarkeit (pro-)nominaler Satzglieder trotz kontextueller Identifizierbarkeit erklärungsbedürftige Eigenschaften der meisten europäischen Sprachen; vgl. Bechert et al. 1990, Dahl 1990. Eine Ausnahme stellt die folgende Bemerkung von Coseriu (1980b: 206) dar, die die verbale Deixis gleichrangig wie die Honorifikation bewertet: "Das Japanische drückt [...] regelmäßig nur den 'pragmatischen' (die am Gespräch oder am gesprochenen Tatbestand beteiligten Personen betreffenden) Kontext aus, der im Deutschen lediglich eine Komponente (und bei weitem nicht die wichtigste) des Komplexes 'Situation - Kontext' darstellt. Daher im Japanischen u.a. das komplexe Honorativsystem, die Schattierungspartikeln am Ende einer Äußerung, das Vorhandensein von verschiedenen Verben für 'geben' je nach der Richtung des Gebens und dem Verhältnis zwischen den daran beteiligten Personen, die Empfängerdiathese: alles Fakten, die im Deutschen überhaupt nicht vorkommen oder nur schwach entwickelt sind. Dies ist übrigens auch ein eindeutiges Beispiel dafür, daß auf den ersten Blick ähnliche Funktionen und Verfahren zu sehr verschiedenen typologischen Zusammenhängen gehören können."

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auch deswegen, weil sie die Sichtweise der westlichen Linguistik geprägt haben, in deren Tradition auch die moderne Sprachtypologie steht (vgl. z.B. Rickmeyer 1983: 197). Wegen dieser Themengewichtung können einige Punkte, die durchaus typologische Wesenszüge des Japanischen ausmachen, nicht ausführlich behandelt werden. Hierzu gehören unter anderen die Topik-Subjekt-Frage (vgl. 1.1.5), Tempus/Aspekt/Modalität (vgl. (1.1 b i)), insbesondere Evidentialität (vgl. z.B. Kamio 1997), die untrennbar mit Person zu tun hat, sowie eben die Honorifikation. Gegenüber dieser gewissen Einseitigkeit in der typologischen Beschreibung einer Sprache würde es manchen, besonders denjenigen, die ihr Hauptinteresse an Typologie und übereinzelsprachlichen Betrachtungen haben, auffallen, dass diese Arbeit in einigen Punkten übermäßig auf einzelsprachliche Detailfragen eingeht. Dies hat vor allem zwei Gründe. Erstens hat die Verfasserin nicht die Ambition, ein fast alle Bereiche der Sprache umfassendes Werk zu schreiben, das mit den vielen exzellenten und umfangreichen Publikationen über die japanische Sprache konkurriert (z.B. Kuno 1973 mit generativem Ansatz, Wenck 1974 aus strukturaler Sicht mit stärkerer Berücksichtigung japanischer Linguistiktradition, Martin 1975 mit deskriptivem Ansatz, Rickmeyer 1985 und 1995a aus deskriptiv-struktureller Sicht, Hinds 1986a mit deskriptiv-diskursorientiertem Ansatz, Makino & Tsutsui 1986 und 1995 mit didaktischer Perspektive und Shibatani 1990 aus typologischer und integrativer Perspektive). Vielmehr möchte sie Lücken in solchen Bereichen schließen, denen in den bisherigen Publikationen entweder wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde oder die wegen der jeweiligen Zielsetzung keine explizite Erwähnung fanden oder denen keine systematische Analyse gewidmet wurde. Sicherlich müssen mindestens einige von ihnen bisher schon in verschiedenen Studien genauer analysiert worden sein und sind auch in einigen der oben genannten Werke, vor allem bei Martin 1975 und Rickmeyer 1995a, in deskriptiver Form behandelt. Die Bereiche der Kasusmarkierung im syntaktisch-semantischen Kontext sowie der Deixis wurden bisher von vielen Linguisten besonders intensiv untersucht. Die Lücken bestehen daher nicht unbedingt in den untersuchten Gegenständen, sondern eher in der kritischen methodologischen Sichtweise und in Versuchen, eine Korreliertheit zwischen den verschiedenen Eigenschaften der Sprache herauszufinden und als solche darzustellen.53 Die Verfasserin möchte versuchen, auf typologischem Hintergrund solche Eigenschaften in einer kohärenten Art darzustellen, zu analysieren und in einen Zusammenhang zu bringen. Der zweite Grund liegt in der Absicht der Verfasserin, eine auch für ein linguistisch nicht geschultes Publikum lesbare und brauchbare Arbeit zu liefern, um zum besseren Verständnis der japanischen Sprache bei denjenigen beizutragen, die sich ernsthaft mit dieser Sprache beschäftigen. Ihnen ist bisher meistens keine Alternative zur traditionellen Schulgrammatik oder zur auf didaktische Zwecke orientierten Lehrbuchgrammatik gegeben. Im Fall der Schulgrammatik wird eine Liste von Paradigmen und Verbindungsregeln vorgegeben, und damit ist die Sache meistens erledigt. Es wird nicht nach dem Warum und Wieso gefragt. 53

Selbst solche Abhandlungen, die "typologische Charakteristika des Japanischen" o.a. im Titel führen (z.B. Kuno 1973 Kap.l, 1978a, Fukui 1995), gehen selten über eine Auflistung einzelner Eigenschaften des Japanischen, meist im Vergleich nur zum Englischen, hinaus und stellen keinerlei kohärenten Zusammenhänge dar.

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Man muss sie als gegeben hinnehmen. Und die Schulgrammatik erklärt in der Tat grundsätzlich nichts, sondern listet nur klassifizierte Kategorien und Regeln auf. Es ist selbstverständlich, daß sie überhaupt keine Rücksicht auf die Eigenschaften der japanischen Sprache als solche nimmt, geschweige denn auf den Vergleich zu anderen Sprachen. Dies ist wiederum verständlich, denn die Eigenschaften eines Gegenstandes sind für sich allein betrachtet nicht konstatierbar, sie sind erst durch Vergleich mit anderen Objekten auffindbar. Daher werden in der Schulgrammatik viele für objektive Augen interessante und auch seltsame Erscheinungen in der japanischen Sprache gar nicht erst erwähnt. Die Lehrbuchgrammatik, so wollen wir die Art des sukzessiven Aufbaus der Grammatikdarstellung nennen, bietet zwar eine bessere Einsicht in Struktur und Eigenschaften, aber keinen Überblick und keine bündige Darstellung an. Da sie das Erlernen der Sprache in der effektivsten Weise bezweckt, schweigt sie über auf diesen Zweck störend wirkende Erscheinungen. Diejenigen, die im Prozess des Erlernens der japanischen Sprache auf verschiedene Fragen stoßen, sind darauf angewiesen, in einem Grammatikband danach zu suchen. Die bisher vorhandenen Grammatiken, die oben genannten einschließlich, werden diesem Bedürfnis nicht gerecht. Entweder sind sie zu modellspezifisch, so dass man ohne Kenntnisse des theoretischen Apparatus schwer damit umgehen kann (z.B. Kuno 1973). Oder sie sind zu umfangreich, beispielreich und unübersichtlich, so dass man gezwungen ist, mit übermäßiger Geduld und Ausdauer nach dem zu suchen, was man finden will (z.B. Wenck 1974, Martin 1975; dies trifft in gewisser Weise auch für Rickmeyer 1985 u. 1995a und Hinds 1986a zu). Diese haben außerdem den Nachteil, gerade wegen ihrer Genauigkeit und Ausführlichkeit keinen Überblick über die Sprache mehr zu bieten. Oder sie bieten zwar einen sehr guten Überblick über die groben Züge der Sprache, sind aber als Referenzgrammatik zu knapp gefasst (z.B. Shibatani 1990). Oder aber sie sind als Referenzgrammatik par excellence aufgebaut, so dass man zuerst ein bestimmtes Wort bzw. eine bestimmte Form als Stichwort haben muss, bevor man nachschlagen kann, auch wenn es sich bei der gesuchten Antwort nicht um ein Wort, sondern um eine Struktur u.a. handelt (z.B. Makino & Tsutsui 1986, 1995). Die meisten dieser Grammatiken und einführenden Werke machen außerdem nur Englisch als Koine der Gegenwart zum Vergleichsgegenstand. D.h. solche Eigenschaften, die entweder in beiden Sprachen nicht zu finden sind oder sich bei beiden nicht wesentlich unterscheiden, werden grundsätzlich nicht in Erwägung gezogen. Dass in der vorliegenden Arbeit gerade solche Bereiche als Schwerpunkte behandelt werden, die Japanisch-Lernenden besondere Schwierigkeiten bereiten, ist mit Sicherheit kein Zufall. Erstens sind sie deswegen schwierig, weil sie anders als die familiäreren europäischen Sprachen, vor allem als das Deutsche sind (vgl. u.a. Rickmeyer 1983). Zweitens ist die besondere Aufmerksamkeit der Verfasserin auf diese Bereiche erst durch ihren Umgang mit den Problemen bei Japanisch-Lernenden geweckt worden. Es ist daher ihr Wunsch, mit der vorliegenden Arbeit einen Beitrag dazu leisten zu können, dass JapanischLernende einen besseren Überblick über diese Sprache gewinnen und zugleich Lösungsvorschläge für viele Probleme bekommen. Es ist natürlich für eine Arbeit mit begrenztem Umfang nicht möglich, den Anspruch zu erheben, ein Referenzwerk zu sein. Gleichzeitig ist es aber für eine Arbeit, die als wissenschaftliche Publikation gelten soll, nicht möglich,

37 gänzlich auf linguistische Theorien und Termini sowie auf konzeptionelle Voraussetzungen dieses Fachgebietes zu verzichten. Die Verfasserin möchte versuchen, eine trotzdem lesbare und verständliche Darstellung des Untersuchungsgegenstandes herzustellen. Trotz der oben beschriebenen Einschränkungen wird in dieser Arbeit durchaus versucht, die wesentlichen Züge der japanischen Sprache aus typologischer, interlinguistischer und allgemein sprachwissenschaftlicher Sicht zu beschreiben. Es ist nicht ihr Zweck, besondere Eigenschaften dieser Sprache als sprachspezifische Eigenart zu charakterisieren, geschweige denn zu stigmatisieren. Auch nicht, wie bei manchen japanischen Linguisten und Kulturwissenschaftlern, die betreffenden Eigenschaften als "in der Welt einzigartige Besonderheit" der japanischen Sprache betrachten zu wollen (vgl. kritische Bemerkungen zu diesen Neigungen z.B. in Tsunoda 1991: 225ff., Eschbach-Szabo 1996a: 218f., Ikegami 2000: 19ff.). Es ist ihr Zweck, beobachtete Eigenschaften, die auf den ersten Blick als Eigenarten erscheinen mögen, in den typologischen Kontext zu integrieren und nach zwischen Sprachen wiederkehrenden Prinzipien zu suchen. Auch wenn einige Bereiche mit besonderer Ausführlichkeit behandelt werden, sind sie immer sowohl im Kontext des Gesamtsystems der japanischen Sprache als auch in dem der interlinguistischen Betrachtung zu platzieren. Die Integration der beiden Aspekte ist in dieser Arbeit von besonderem Interesse. Soweit das Literaturstudium der Verfasserin reicht, sind bisher selten Studien gemacht worden, die sowohl der ganzheitlichen Behandlung dieser Sprache als auch dem typologischen bzw. interlinguistischen Interesse gerecht werden. Der ganzheitliche Ansatz war bisher meistens entweder vom strukturalistischen Dogma beherrscht oder vom rein einzelsprachlichen Interesse bestimmt. Typologische Studien sind andererseits bisher meistens nur in typologischen Einzelgebieten wie Wortstellungstypologie, Kasusmarkierungstypologie u.a. durchgeführt worden. Es ist natürlich ambitiös, solch ein großes Vorhaben wie die linguistische Charakterologie (Mathesius 1930) auf der Grundlage der holistischen Typologie (vgl. z.B. Shibatani 1988b:114f., Coseriu 1990) für eine umfangsmäßig begrenzte Arbeit als Ziel zu setzen. Die Verfasserin wäre aber froh, wenn mit dieser Arbeit ein erster Schritt gemacht werden könnte.54

1.2.2. Modelle und methodologische Grundlage Aufgrund der oben genannten Absichten ist die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit bewusst Modell-unspezifisch. Sie ist es aber auch, damit tiefer gehende Nachprüfungen der 54

Klimov (1990) hegt Zweifel daran, ob Charakterologie, die sich mit einer Einzelsprache befasst, Typologie sein kann. Demgegenüber vertritt Coseriu (z.B. 1980a) die Ansicht, dass die Typologie zuallererst charakterologisch ausgerichtet sein müsse, vgl.: "Der Sprachtypus [...] ist zunächst Gegenstand der einzelsprachlichen Beschreibung, und die Sprachtypologie ist eine - übrigens für das richtige und vollständige Verstehen einer Sprache notwendige - Sektion der beschreibenden strukturellen Linguistik, die sich ja jeweils nur mit einem Sprachsystem befaßt" (Coseriu 1980b: 202). Vgl. u.a. auch Gabelentz (1981/)1901(/1984): 481, Seiler 1979, 1996: 39ff., Lehmann 1983a, 1985a: 41, Ramat 1986, Sgall 1986, Shibatani & Bynon 1995: 7ff., Bartsch 1996: 91f., König 1996: 188.

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beobachtbaren Phänomene sowie grundlegende Erörterungen darüber, ferner unvoreingenommene Überprüfungen bisheriger Theorien unternommen werden können, ohne eine vorgefertigte Theorie unkritisch zu übernehmen und möglicherweise ad hoc vorzugehen. Aber natürlich nimmt sie die wichtigsten bisherigen Erträge der typologischen und interlinguistischen Forschungen als Grundlage der Untersuchung auf. Die linguistischen Modelle, die hier von besonderer Relevanz sind, sind die sogenannte "Markiertheitstheorie" von Jakobson (z.B. 1932a, 1936, 1957);55 der darauf aufbauende hierarchisch-implikative Ansatz von Greenberg (1966; vgl. 1.1.4.1), das Dependenz- und Rektionsmodell sowie die Relationalitätstheorie von Lehmann (1983b, 1985b, 1991a, vgl. 1.3.1 unten), die "Head-marking"/ "Dependent-marking"-Typologie von Nichols (1986) und das Modell funktionaler Dimensionen von Seiler (vgl. besonders 1988b, 1990, 1992, 1993 und 1995a für einen Überblick über sein Modell), insbesondere die Dimension der PARTIZIPATION (vgl. u.a. Seiler 1988a, Premper 1991). Diese Dimension wird wie folgt charakterisiert: The notion of Participation pertains to the cognitive-conceptual level. It is a relation between a participatum and its participants. The participation, 'that which is participated in', can be, e.g. a situation or a process. The participants can be, e.g. actants or circumstants, or more complex entities. The mental representation of this relation is brought about by a number of different options which we call techniques. The techniques can be arranged in a continuous order progressing from minimal to maximal elaboration on the relation of participation — or, in the reverse sense, from minimal to maximal condensation of the relation. (Seiler 1994: 34)

Als Techniken der PARTIZIPATION gelten die folgenden (Seiler 1994: 35): 1. Posited Participation (holophrastic expressions, nominal clauses) 2. Distinction participants /participatum (noun/verb distinction) 3. Generally implied participants (verb classes) 4. Specifically implied participants (valence) 5. Orientation (voice) 6. Transition (transitivity and intransitivity) 7. Role assignment (case marking) 8. Introduction of new participants (serial verbs) 9. Cause and effect (causatives) 10. Complex propositions (complex sentences)

Innerhalb dieser Techniken konzentrieren sich die schwerpunktmäßigen Themenbereiche der vorliegenden Arbeit insbesondere auf Nr. 2: die Unterscheidung von Partizipanten ("Mitspielern") und Partizipatum. Diese betrifft nicht nur die Wortartenfrage, sondern auch Flexionskategorien, weil die Partizipanten/Partizipatum-Unterscheidung, auf syntaktische Beziehungen übertragen, die Dependens/Kopf-Unterscheidung darstellt und die Flexion im Japanischen wohl danach angelegt ist. Auch das zentrale Interesse der Kasusmarkierungsfrage gilt hier vielmehr für das Vorkommen und Nicht-Vorkommen der Kasusmarkierung, das unmittelbar mit der Partizipanten/Partizipatum-Unterscheidung im Zusammenhang steht. 55

Zur terminologischen Explikation der sogenannten "Markiertheit", die eine Rückübersetzung von "Merkmalhaltigkeit" aus dem englischen "markedness" ist, sowie "Merkmal" / "mark", "Eigenschaft" / "feature", vgl. Jakobson 1974a/b.

39 Die Kategorie Person andererseits bezieht sich auf den Ausdruck der Identität des/der Partizipanten in Bezug zu dem Sprecher (allgemeiner: Enkodierer des betreffenden Sprachausdruckes). Wegen des Fehlens der Person als Flexionskategorie bzw. des Verfahrens der Personenindizierung am Prädikat kann die Personenreferenz der Partizipanten im Japanischen nicht an das Partizipatum "angehängt" werden. Jedoch ist nicht anzunehmen, dass die Person im Japanischen völlig ohne Relevanz ist. Es gilt herauszufinden, wie sich die Person im Japanischen ausdrückt und welche Erscheinungen für die Person sensitiv sind. Weitere Ansätze, die hier nicht gerade im Mittelpunkt stehen, auf die aber als Gemeingut der typologischen Forschungen in den letzten Jahrzehnten Bezug genommen wird, sind die Wortstellungstypologie seit Greenberg 1963 (vgl. 1.1.4) und die Kasusmarkierungstypologie seit Fillmore 1968 (vgl. 1.1.6). Der Ansatz, der zwar nicht unmittelbar im typologischen Kontext steht, aber nachkommende Modelle (zum Beispiel die Kasusgrammatik Filimores) und die auf diesen aufbauende typologische Ausrichtung maßgebend beeinflusst hat, war die Dependenzgrammatik von Tesniere,56 auf die hier auch mittelbar Bezug benommen wird.57 Einer der wesentlichen Aspekte des Dependenzmodells, die Valenztheorie, nimmt 56

57

Vgl. u.a. Vater 1976: 70f„ 1978, 1996: 174ff., Feuillet 1995, Lazard 1995, Engel 1996. Zur Weiterentwicklung des Dependenzmodells vgl. u.a. Anderson 1971, Vater 1976, Abraham 1978 (bes. 698ff.), und zu der Valenztheorie vgl. z.B. Heibig 1996, Vater 1981, 1996. Vgl. auch Nichols 1986: bes. 56, Feuillet 1995: bes.180 zur Bedeutung des Dependenz- und Valenzmodells, und Sengoku 1976 insbesondere für das Japanische. Mel'Cuk (1988: 4ff.) zählt die Vorzüge der Dependenzsyntax insbesondere für die Beschreibung einer Sprache wie Russisch (mit viel Morphologie und freier Wortstellung) auf, indem er sie mit der Phrasenstruktursyntax und deren Weiterentwicklung kontrastiert, für die die Struktureigenschaft des Englischen maßgebend war (vgl. auch Abraham 1978: 703). Er nennt als einen der Fälle, die dem Phrasenstrukturmodell Schwierigkeiten bereiten, einen Ein-Wort-Satz, d.h. einen Satz, der aus einem Prädikat allein besteht, im Russischen, Japanischen u.a.; solch ein Satz lässt sich mit dem Dependenzmodell, das das Verb als (einzigen) Kern eines Satzes behandelt (als den höchsten, sozusagen "alles dominierenden" Knoten im Baumdiagramm), unproblematisch beschreiben. Hingegen gibt Fillmore (1995), obwohl auch er einen EinWort-Satz als wichtiges Beispiel nennt, dem Phrasenstrukturmodell den (mindestens persönlichen) Vorzug, vgl.: "Dependency trees are capable of displaying the dependents of a lexical head, but they are not directly capable of representing constituent structure. Constituent-structure trees are capable of representing word- and phrase-grouping relationships, but, without some auxiliary device, they are inherently incapable of representing dependency relations" (Fillmore 1995: 94). Er nennt jedoch (p. 103) jüngere Entwicklungen der generativen Grammatik, die die Kopf-Relation ("headedness") und die Valenz zu repräsentieren vermögen (z.B. "X-bar theory", vgl. auch Hawkins 1983: 39f.). Sein Modell ist insgesamt eine Konstituentenstruktur-Grammatik mit Valenz als einer Komponente. Ähnlich ist die Sichtweise von Vater (1996); von ihm (z.B. 1976, 1981) wurde die Position vertreten, dass sich die Dependenz- und die Phrasenstruktur unschwer ineinander übersetzen lassen. Abraham (1978: 697) hingegen äußert sein Bedenken gegenüber der Mischung beider Modelle (bes. in der Art der Kasusgrammatik von Fillmore 1968). Dass das Dependenzmodell für die Beschreibung der japanischen Morphosyntax besonders geeignet ist, wird auch von Rickmeyer (1985, 1995a/b) betont. Auch Ikegami (1981/91: 98f.) erwähnt, dass für die Beschreibung des Typus der Sprachen wie Japanisch das Dependenzmodell besser zu sein scheine als die Phrasenstrukturgrammatik. Er versucht Ausdrucksweisen von Sachverhalten in zwei Haupttypen zu typologisieren; im einen Typus wird ein Argument mit einer konstanten Identität (z.B. ein Mensch, der handelt) aus dem Sachverhalt herausgestellt und der Ausdruck wird

40 auch im dimensionalen PARTIZIPATIONsmodell eine zentrale Stellung ein (vgl. Nr. 4 der Liste aus Seiler 1994: 35 oben). Von den in den Arbeiten Matsubaras über die japanische Syntax (z.B. 1984b) vertretenen Ansichten, die vor allem auf den beiden oben genannten Ansätzen von Greenberg und Fillmore basieren, wurde die vorliegende Arbeit in manchen Punkten beeinflusst. Viele wertvolle Beobachtungen und Einsichten verdankt sie ihnen. Ferner ist die "Viewpoinf'-Theorie seit Kuno & Kaburaki 1977 für Kap. 8 dieser Arbeit von besonderer Wichtigkeit. In diesem Zusammenhang steht eine Reihe von Arbeiten, die die Phänomene um Diathese und Subjekt im zwischensprachlichen Rahmen behandeln, z.B. Comrie 1980ff., Foley & Van Valin 1977ff., DeLancey 1980f. und Shibatani 1985, 1988a/b, um nur einige zu nennen. Die methodologische Grundlage für konkrete Analysen von Daten ist vor allem die Distributionsbeschreibung. Aber für die Interpretation der deskriptiv festgestellten Distributionen wird neben den eingangs genannten hierarchisch-implikativen und dimensionalen Modellen auch eine generativ-prozessuale Methode angewandt. Die Anwendung der letztgenannten beschränkt sich in dieser Arbeit aber auf die Interpretation der Distribution der segmentalen Mittel für die Markierung nominaler Satzelemente.

1.2.3. Zur Methodologie typologischen Vergleichs Obwohl die vorliegende Arbeit eine Einzelsprache als Untersuchungsgegenstand hat und daher nicht unmittelbar mit der Methodologie einer typologischen und zwischensprachlichen Studie konfrontiert ist, seien hier einige Bemerkungen dazu gemacht. Eine zwischensprachliche Studie würde einen besonderen Ansatz erfordern. Sie braucht eine andere Vorgehensweise als die Analyse einer Einzelsprache, für die die präzise strukturalistische Methode wie auch der auf eine kohärente Art angewandte generativ-prozessuale Ansatz durchaus angemessen ist. Für eine zwischensprachliche Studie lässt sich diese präzise Art von Methoden aber schwer anwenden. So tendieren manche bisherige typologische Studien zu einer "Schubladenmethode". Sie basieren zwar auf genauen Strukturanalysen von Einzelsprachen, aber sie nehmen nur solche Eigenschaften aus den jeweiligen Strukturen heraus, die sie interessieren oder die ihre Theorie stärken, und stellen diese dann gegenüber, wobei auf die jeweiligen Strukturen, aus denen die betreffenden Eigenschaften stammen, kein Bezug mehr genommen wird (vgl. Shibatanis Kritik an dieser Tendenz in 1988b: 114f.). Metaphorisch ausgedrückt: Nachdem man jeweils aus einer Schublade verschiedener Schränke einen Gegenstand genommen hat, der den anderen entnommenen Gegenständen mehr oder weniger ähnelt, denkt man nicht mehr daran, wieviele Schubladen diese Schränke jeweils hatten, wie groß die jeweiligen Schubladen waren und ob einer oder mehrere der herausgenommenen Gegendementsprechend mit dem Fokus auf diesem konstruiert (z.B. Englisch); in dem anderen wird ein Sachverhalt als Ganzes, ohne Fokussierung auf ein besonderes Argument, erfasst und dementprechend ausgedrückt. Japanisch gehöre zum letzteren Typus (vgl. Coseriu z.B. 1979, s. 1.3.2, 7.1). Auch Tsunoda (1991: bes. 213, 222) betont, obwohl er weder von der Dependenz- noch von der Phrasenstruktursyntax spricht, die ausgeprägte Asymmetrie zwischen Subjekt und Objekt im Englischen, während sie im Japanischen hinsichtlich ihrer grammatischen Prominenz recht ausgewogen seien.

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stände nicht zwischen zwei Schubladen eingeklemmt waren, und ob man bei der Herausnahme möglicherweise einen oder sogar mehrere der Gegenstände beschädigt hat. Im Fall von Dingen erkennt man eventuell entstandene Schädigungen, aber wenn es sich um sprachliche Mittel handelt, weiß man, besonders wenn man die betreffenden Daten nicht selber erstellt hat, nicht (mehr) so genau, ob ein Mittel, das mit einer bestimmten Funktion da steht, die ganze Kategorie vertritt oder nur einen Bruchteil von ihr darstellt. Aber man geht mit dem gegebenen Sprachmittel als Vergleichsgegenstand unkritisch um, ohne Rücksicht auf dessen Stellenwert an seinem Ursprungsort zu nehmen. Freilich wurden aus Studien mit merklicher Tendenz zu der oben genannten methodologischen Gefahr viele wertvolle Einsichten gewonnen. Hierzu zählt vor allem die Kasusmarkierungstypologie (vgl. 1.1.6) mit ihren unschätzbar wertvollen Ergebnissen (z.B. unter anderen Silverstein 1976, Hopper & Thompson 1980, Tsunoda 1981, Shibatani 1982, Foley & Van Valin 1984). Trotz der für die gegenwärtige Typologie unersetzbaren Einsichten, die aufgrund von Generalisierungsversuchen dieser Studien erbracht wurden, hat man als Linguist immer noch ein ungutes Gefühl, ein Mittel in einer Sprache wegen einer bestimmten Ähnlichkeit mit einem Mittel einer anderen Sprache gleich wie das letztere zu bennenen und dann beide als gleichwertig zu behandeln, weil sie eben einen gleichen Namen tragen. Inwieweit können wir z.B. die postnominale Markierung mit ga im Japanischen, die von vielen (aber nicht allen) Linguisten "Nominativ" genannt wird, mit dem Nominativ im Deutschen u. a. vergleichen? Oder inwieweit dürfen wir den Dativ im Deutschen für mit dem Dativ im Lateinischen, dem Namensgeber, Paten des ersteren, gleichwertig halten und beide auf eine Ebene stellen? Während der Dativ im Lateinischen, in dem es neben dem Dativ auch noch den Ablativ gibt, nie mit einer Präposition vorkommt, ist der Dativ im Deutschen einer der beiden Kasus, die zusammen mit Präpositionen viele oblique Funktionen übernehmen. Es wäre femer für das lateinische Kasussystem nicht angemessen, nur den Ablativ als den obliquen Kasus abzutun, während der Akkusativ als einer der zentralen Kasus betrachtet wird, denn der Ablativ steht in einem systematischen Zusammenhang mit dem Akkusativ im Bereich der semantischen Obliquusbildung mittels Präpositionen. Das ist einer der Punkte, die bei einem kritischen Linguisten Unbehagen hervorrufen, wenn er in Schemata von Kasuskonstellationen der gängigen Art der oben genannten und anderen typologischen Arbeiten solche Klassifizierungen wie NOM-AKK und NOM-OBL findet. Ferner ist es bezüglich des Lateinischen sehr fraglich, den Akkusativ mit seiner semantischen obliquusbildenden Funktion für zentraler als den Dativ zu halten, der sich wie der Nominativ und der Genitiv an der präpositionalen Obliquusbildung nicht beteiligt. Auch für das deutsche Kasussystem gibt es nur wenige Anhaltspunkte dafür, den Akkusativ für zentraler als den Dativ zu halten, weil sie sich beide mit einem vergleichbaren Anteil an der präpositionalen Obliquusbildung beteiligen. Auch in Anbetracht dessen, dass der Dativ im Deutschen mehr Chancen als der Akkusativ hat, als alleinige nominale bzw. pronominale Konstituente in einem Satz aufzutreten. So ist der Dativ für Wahrnehmer ("Experiencer") recht paradigmatisch verwendbar (z.B. Mir ist kalt / übel usw.) und dem sog. freien Dativ sehr nahe, während die Möglichkeit des alleinigen Vorkommens des Akkusativs gänzlich von der Idiosynkrasie einzelner Verben abhängt (z.B. Mich friert / ekelt, die Liste der hier

42 möglichen Verben ist nicht lang; man achte auch auf das dominante Vorkommen des Dativs z.B. in Mir/Mich schaudert). Der Akkusativ ist nur insofern zentral, als er im Betrachtungsfeld der Typologie der Agens/Patiens-Markierung, die die Hauptdomäne der bisherigen, ergativitätsorientierten Kasusmarkierungstypologie ausmachte, neben dem Nominativ dominant auftritt. D.h. die Zentralität des Akkusativs gegenüber dem Dativ gilt nur für einen Teilbereich der Kasusmarkierungstypologie, nämlich für die Typologie der Agensund Patiens-Markierung. Die Bewertung der Zentralität eines Kasus ist daher von den ausgewählten Untersuchungsgegenständen abhängig. Wenn es sich um solche bekannteren bzw. vertrauteren Sprachen wie Deutsch und Latein handelt, kann jeder Linguist den strukturellen Kontext zur Untersuchung heranziehen, aus dem die behandelten Kasus stammen, und selber die Adäquatheit ihrer typologischen Behandlung nachprüfen. Wenn es sich aber um eine "exotische" bzw. weniger familiäre Sprache handelt, ist es meistens nicht möglich, die Adäquatheit der Darstellung und der Kategorisierung solcher Sprachmittel wie der Markierung von Partizipantenrollen bei einer Studie irgendwie zu beurteilen. Gleichermaßen ist es sehr schwierig für einen Linguisten, der eine weniger bekannte Sprache erstmalig zu beschreiben versucht, einer aufgrund einer soliden Analyse gewonnenen morphosyntaktisehen Kategorie einen passenden Namen zu geben, ohne dass der Name zu Missverständnissen führt oder von nachfolgenden Arbeiten sozusagen ignorant missbraucht wird (vgl. Coseriu 1996: bes. 5f., Weydt 1996: 193f.). Nehmen wir einmal an, das Deutsche wäre eine bis dahin noch nicht beschriebene Sprache und das Lateinische eine wohl für die meisten bekannte und traditionell mit festen Termini beschriebene Sprache. Sollten wir die morphosyntakti sehe Kategorie, die wir im Deutschen aufgrund einer deskriptiven Analyse herausgefunden haben und die als eine ihrer Funktionen die Markierung des Empfängers hat, Dativ nennen oder nicht? Einerseits wäre diese Benennung gerechtfertigt, weil mindestens eine der Funktionen dem Inhalt der Bezeichnung Dativ entspricht und sich außerdem mit der Funktion des Dativ genannten Kasus im Lateinischen soweit deckt. Andererseits wäre diese Benennung angesichts der funktionalen Verschiedenheit der beiden Kategorien in den zwei Sprachen doch irreführend. Sollen wir dann die Kategorie lieber "dritten Fall" nennen? Dann würde ein eventuell entstehendes Missverständnis dieser Kategorie von vornherein ausgeschaltet. Aber was sagt dieser Name aus? Höchstens die Drittheit. Aber "dritt" in bezug auf welches Ordnungsprinzip? Was sind der erste und der zweite Fall? Und bis zum wievielten soll es gehen? Angenommen, wir haben alle diese Fragen in unserer Beschreibung des Deutschen genau beantwortet. Wir können dann das deutsche Markierungssystem Kasus nennen, weil es dem der lateinischen Kategorie Kasus entspricht. Wir vergleichen nun die einzelnen Kasus der beiden Sprachen genau und konstatieren, dass der dritte Fall im Deutschen weitgehend dem Dativ und dem Ablativ, aber auch in einigen Bereichen allen anderen Kasus funktional entspricht. Hingegen scheint der lateinische Dativ nur dem dritten Fall des Deutschen zu entsprechen. Sollen wir dann den dritten Fall im Deutschen "Dativ-Ablativ" nennen oder beim "dritten Fall" belassen? Solange es sich um die kontrastive Beschreibung von nur diesen beiden Sprachen handelt, ist es ziemlich gleichgültig, wie man die Kategorien der beiden Sprachen benennt. Wichtig ist vielmehr, dass die beiden Sprachen jeweils auf eine

43 kohärente Weise beschrieben und die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede bekannt und als solche genau dargestellt sind. Wenn aber eine dritte, eine vierte usw. Sprache zu diesem Vergleich hinzutritt und wenn man alle diese Sprachen gleichzeitig vergleichen will, ist die Grenze der Handhabbarkeit einzelsprachlicher Kategoriennamen in Sicht. Wir müssen irgendwelche gemeinsamen Bezeichnungen für die vergleichbaren Kategorien dieser verschiedenen Sprachen finden. Also nennen wir dann den dritten Fall im Deutschen doch Dativ, weil er eben kürzer als DativAblativ ist und den Gesamtbereich des lateinischen Dativs einzuschließen scheint. Auf eine analoge Weise nennen wir die formalen Kategorien in den anderen Sprachen auch jeweils "Dativ", wenn sie vergleichbare Funktionen haben. Man muss sich aber immer dessen bewusst sein, dass der gemeinsame Name keine universale Kategorie darstellt, sondern nur darauf hinweist, dass die Träger dieses Namens eine funktionale Schnittmenge haben. Es könnte durchaus sein, dass die Schnittmenge zwischen den Sprachen sehr klein ist, so dass eine Generalisierung, die bezüglich einer die betreffenden Kategorien involvierenden Erscheinung gemacht wird, nur einen winzigen Bereich bei den Einzelsprachen betrifft. Es ist jedenfalls kaum denkbar, dass so eine übereinzelsprachliche Generalisierung für den ganzen Bereich der mit einem gemeinsamen Namen benannten Kategorie jeder Einzelsprache zutrifft. Die Verfasserin hat den Eindruck, dass bei in der poststrukturalistischen Phase unternommenen typologischen Studien diese methodologische Voraussetzung ziemlich vernachlässigt wurde. Ein Punkt, der hier erwähnt werden muss, ist, dass die Art der Versuche der Kategorisierung einzelsprachlicher Mittel und deren Ergebnisse ziemlich anders hätten aussehen können, wenn als Modellsprache nicht das Lateinische, sondern z.B. das Chinesische genommen worden wäre. So hängt die Ausprägung verschiedener typologischer Ansätze manchmal von einem Zufall ab. Die Kasusmarkierungstypologie hätte nicht das wirklich erreichte Ausmaß angenommen, wenn nicht als Modellsprachen zum einen Latein mit ausgeprägter nominaler Morphologie, mit Nominativ-Akkusativ-Unterscheidung und freier Wortreihenfolge und zum anderen Englisch mit magerer Flexionsmorphologie und fester Wortreihenfolge gedient hätte.58

1.2.4. Hermeneutischer Zirkel als linguistische Methodologie Halten wir fest, dass wir bei einer typologischen Betrachtung eine morphosyntaktische Kategorie einer Sprache zugunsten einer theoretisch aufgestellten, abstrakten "Kategorie" (z.B. Tiefenkasus bei Fillmore oder sog. "thematische Rollen", vgl. 1.3.2ff.) nicht zerschneiden, sondern als eine Einheit, als Ganzheit, behandeln sollten. Wie sollen wir verfahren,

58

Mel'Cuk (1988: 4) macht eine analoge Annahme bezüglich des Dominanzverhältnisses der Syntaxmodelle: "I am fairly sure that PS [= Phrase structure]-Syntax could not have been invented and developed by a native speaker of Latin or Russian. [...] To promote PS-representation in syntax, one has to be under the overall influence of English, with its rigid word order and almost total lack of syntactically driven morphology."

44 wenn wir mit dieser methodologischen Grundhaltung eine Typologisierung und, soweit machbar, eine interlinguistische Generalisierung eines bestimmten Aspektes der Sprachen beabsichtigen? Um an den oben bezüglich der Kasussysteme im Deutschen und im Lateinischen geschilderten Aspekt anzuknüpfen und außerdem eine Alternative zu der fast bis zur Vollkommenheit durchgeführten Typologie der Agens-/Patiens-Markierung anzubieten, nehmen wir noch einmal den Dativ als Beispiel. Wir müssen aber vorher wissen, was wir diesbezüglich wissen wollen. Das Verlangen nach besserem Wissen setzt aber voraus, dass man darüber schon etwas weiß. Und dieses Vorwissen formt und richtet die Fragestellung auf eine bestimmte Weise aus und in eine bestimmte Richtung. In unserem Fall wissen wir, dass der Dativ sowohl im Deutschen als auch im Lateinischen zu einer bestimmten nominalen Flexionskategorie gehört, die Kasus genannt wird und mindestens eine funktionale Gemeinsamkeit in der Markierung des Empfängers hat. Wir wissen außerdem, dass der Kasus sich in den beiden Sprachen aber sonst in seiner morphosyntaktischen und semantischen Funktion ziemlich stark unterscheidet und einen anderen Stellenwert hat. Durch Hinzufügung einer weiteren Sprache, z.B. des Englischen, gewinnen wir die neue Einsicht, dass eine an sich gleiche Funktion von einem anderen sprachlichen Mittel getragen wird. Also fragen wir uns, ob es sich bei diesem Mittel um Kasus handelt. Ferner fragen wir uns, welche Variationsmöglichkeiten für die Markierung des Empfängers noch vorhanden sein können, und so fangen wir an, in anderen Sprachen nach weiteren Möglichkeiten zu suchen. Wir fragen uns weiter, wieweit sich sprachliche Mittel dafür, die in den untersuchten Sprachen gefunden werden, voneinander unterscheiden und ob sie eine Gemeinsamkeit aufweisen. Ob ja oder ob nein, wir suchen dann nach dem Grund der Gemeinsamkeit oder Nicht-Gemeinsamkeit. Bei dieser Verfahrensweise handelt es sich um einen hermeneutischen Zirkel auf der Grundlage der abduktiven Methodologie.59 Die gesamte Vorgehensweise würde ungefähr wie folgt aussehen: (1.31) Hermeneutischer Zirkel (a) Generelles (I) Intuitive Annahme bzw. Übernahme einer verbreiteten bzw. allgemeinen Annahme (II) Überprüfungen anhand einzelsprachlicher Daten (III) Generalisierungsversuche und kritische Auseinandersetzung mit der ersten unkritischen Annahme (b) konkrete Vorgehensweise für "Dativ" (I) Ausgangsannahme: Der Dativ ist der Kasus, dessen prototypische Funktion Kodierung bzw. Markierung des Empfängers bei einem donativen Transfer ist 59

Diese methodologische Sichtweise beruht auf den Ansätzen von Seiler (vgl. z.B. 2000: 137, 176, 189ff.) sowie von Sasse. Der "hermeneutische Zirkel" ist besser als eine "Spirale" vorzustellen, auf dem man dem Ziel immer näher kommt. "Abduktion" steht reiner Induktion und Deduktion gegenüber und kann weitgehend als zyklische Anwendung der letzteren beiden verstanden werden, vgl. Peirce 1955, Seiler 1996: 40ff., 2000: u.a. 41. Eine ähnliche Methodologie wird in Bezug auf experimentelle Untersuchungen von Schwarz (19925/96: 30) genannt.

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) ( ) Wie wird in der gegebenen Sprache der Empfänger bei einem donativen Transfer kodiert? (ß) Wird der Empfänger beim donativen Verb ("geben"-Verb) und anderen Transferverben gleich kodiert oder gibt es Unterschiede? ( ) Gibt es nur ein Mittel oder mehrere Mittel für die Kodierung des Empfängers? Wenn es mehr als eine Kodierungsmöglichkeit gibt, müssen die folgenden Fragen beantwortet werden: (i) Welche Faktoren bedingen bzw. beeinflussen die Variation der Empfängerkodierung? (ii) Welche semantischen oder pragmatischen Eigenschaften reflektieren die Unterschiede in der Empfängerkodierung? ( ) Werden weitere Rollen mit dem Mittel bzw. den Mitteln für die Empfängerkodierung markiert? Wenn ja, welche Rollen? ( ) Gibt es eine Überlappung bzw. teilweise Deckungsgleichheit der Kodierung des Empfängers und einer anderen Rolle? ( ) Wie sieht das gesamte Rollenkodierungssystem der gegebenen Sprache aus? ( ) Wie ist der Stellenwert des/der Mittel(s) für die Empfängerkodierung in dem betreffenden gesamten Rollenkodierungssystem? (IIB) (a) Gibt es Phänomene in der gegebenen Sprache, die von der Natur des Empfängers beeinflusst werden? - Die Modelle hierfür sind vor allem die inkonsequente Ergativität ("Split Ergativity", vgl, 1.1.6) und die inverse Flexion (vgl. 9.1), für die bestimmte Eigenschaften der Partizipanten, insbesondere ihre pragmatischen Eigenschaften, eine entscheidende Rolle spielen (ß) Wie sieht das Zusammenspiel zwischen der Partizipantenmarkierung und den Prädikatseigenschaften, z.B. den Diathesen aus? ( ) ( ) Ist es für die gegebene Sprache sinnvoll, eine morphosyntaktische Kategorie Dativ anzunehmen? (ß) Ist es für die gegebene Sprache sinnvoll, eine grammatische Kategorie Kasus anzunehmen? Wenn ja, besitzt die Kategorie Kasus den Dativ als ihre Komponente, m.a.W.: Hat die betreffende Sprache den Kasus Dativ? (IIIB) (a) Ein gleiches Vorgehen wie (IIA/B) und (IIIA) oben anhand weiterer Einzelsprachen (ß) Gibt es generalisierbare bzw. gemeinsame Tendenzen in den behandelten Sprachen? ( ) Gibt es typologische Zusammenhänge? ( ) Sind festgestellte Gemeinsamkeiten in der Typologie anzusiedeln oder als sprachübergreifende Faktoren zu betrachten? Auch für den "Nominativ", der für die Beschreibung des Japanischen eine besonders schwerwiegende Frage aufwirft (vgl. 5.3ff), gilt eine vergleichbare Vorgehensweise:

46

(1.31) (c) Hermeneutischer Zirkel f r "Nominativ" (I) Ausgangsannahme: Der Nominativ ist der Kasus f r Nennfunktion bzw. er ist die Nennform eines Nomens60 (ΠΑ) (α) Wie wird das Nomen beim Nennen kodiert? ( ) Gibt es eine besondere Kodierungsart f r Ausrufe (z.B. Vokativ)? (γ) Wie werden beide Nomina einer Gleichheitsaussage (d.h. X = Y) kodiert? Werden X und Υ auf gleiche Weise oder unterschiedlich kodiert? (δ) Wie wird das einzige Nomen (= "Subjekt") bei einem intransitiven Verb kodiert? Ist es gleich wie (a) bzw. eines der beiden in (γ)? (ε) Gibt es ein Nomen mit einer bestimmten Kodierungsart, das in jedem Satz auftreten muss, damit der Satz grammatisch ist? (ζ) Gibt es eine bestimmte Kodierungsart, die, wenn der Satz ein Nomen hat, dieses Nomen tragen muss? (η) Gibt es eine bestimmte Kodierungsart, die eines der Nomina tragen muss, wenn der Satz zwei oder mehr Nomina beinhaltet? (IIB) (a) Wenn es mehr als eine Kodierungsart f r das einzige Nomen bei einem intransitiven Verb gibt (vgl. die sog. "Aktiv-Inaktiv"-Sprachen, s. 1.1.6), was bestimmt bzw. beeinflusst die Kodierungsart? ( ) Wird eines der beiden Nomina bei einem transitiven Verb gleich wie (ΠΑ α), (γ) und/oder (δ) kodiert? (IIIA) (a) Wenn sich die Kodierungsarten unter (IIA) unterscheiden, welche soll bzw. kann "Nominativ" genannt werden? ( ) Ist die Kodierungsart f r das Nomen beim Nennen in der gegebenen Sprache als Bestandteil des Kasusparadigmas zu betrachten? (γ) Ist es f r die gegebene Sprache berhaupt sinnvoll, eine grammatische Kategorie Kasus anzunehmen? (IIIB) bekannte Kasusmarkierungstypologie, allerdings unter Heranziehung der Frage, was in den jeweiligen Sprachen mit dem "Nominativ" / "Absolutiv" u.a. noch kodiert wird61 Die vorliegende Arbeit ist im Prozess der Schritte (I), (II) und (IIIA) in Bezug auf die Einzelsprache Japanisch in der Form entstanden, die sie jetzt hat, obwohl das Endprodukt seinen Schwerpunkt viel mehr auf die Darstellung miteinander zusammenh ngender typologischer Merkmale dieser Sprache legt als auf die oben dargestellten spezifischen Fragestellungen um den Dativ oder den Nominativ. berhaupt ist die abduktive Vorgehensweise bzw. der kritische Fragenzirkel ihre zentrale Verfahrensweise bei den linguistischen Analysen.

60

61

Vgl. Jakobson 1936/71: 32f.: Nominativ als "Tr ger der reinen Nennfunktion", "nackter Gegenstandsname ohne die Verwicklungen, die durch die Formen der brigen Kasus hineingetragen werden". Vgl. z.B. Heger 1982b; laut Klimov (1985: 252f.) gibt es viele Ergativsprachen, in denen der Absolutiv nicht der Nennform gleich ist.

47 1.3. Terminologische Erläuterungen

1.3.1. Dependenzrelation, Kopf, Dependens und Dependenzmarkierung Lehmann (1983b: 340) schildert die Dependenzrelation, die zusammen mit der Soziationsre62 lation zwei Haupttypen von syntaktischen Relationen bildet, wie folgt:' Eine Dependenzrelation ist ein Unterordnungsverhältnis zwischen zwei Kategorien, derart, daß die Konstruktion in einem semantischen Sinne und meist auch in einem mehr oder weniger strengen syntaktischen Sinne endozentrisch ist; die abhängige Konstituente ist oft optional; die kontrollierende bildet den Kern und bestimmt die syntaktische Kategorie und andere strukturelle Eigenschaften der Gesamtkonstruktion. In einer soziativen Relation dagegen besteht keine Unterordnung; ihre Relata sind gleichberechtigt. Die Soziation umfasst Koordination und Apposition, während die Dependenzrelation sich in Rektion und Modifikation teilt. Die beiden letzteren unterscheiden sich nach Lehmann (p.344) wie folgt: Vorausgesetzt, daß in einer Dependenzrelation Konstituente B von Konstituente A abhängt: so liegt Rektion vor, wenn A eine Leerstelle für B eröffnet; und es liegt Modifikation vor, wenn B eine Leerstelle für A eröffnet. Eine Konstituente B, die von einer anderen Konstituente A abhängt, wird in dieser Arbeit "Dependens" genannt, während die letztere, die den Kern bildet, grundsätzlich "Kopf, aber manchmal auch "Head" genannt wird. Die Übernahme des englischen Terminus wird gewählt, wenn diese Version als Terminus technicus leichter verständlich ist. Die wichtigsten Dependenzrelationen bestehen laut Nichols (1986: 57) zwischen den folgenden "Heads" und Dependenten : (1.32) LEVEL: Phrase

Clause Sentence

62

63

HEAD: possessed noun noun adposition63 predicate auxiliary verb main-clause predicate

DEPENDENT: possessor modifying adjective object of adposition arguments and adjuncts lexical ('main') verb relative or subordinate clause

Ich verdanke Prof. H. Vater bibliographische Hinweise zu dependenzgrammatischen Definitionen, die der von Lehmann vorausgingen; vgl. u.a. Vater 1978, 1981. "Adposition" steht hier für Prä-bzw. Postposition (vgl. 1.1.4).

48 In der vorliegenden Arbeit werden alle diese Dependenzrelationen behandelt, wobei die vorletzte, die Auxiliarrelation, die in 1.1.2 kurz beschrieben wurde, nur sehr knapp in die Diskussion einbezogen werden kann (bes. in 9.4.l).64

1.3.2. Adjunkt, Argument, Aktant, Partizipant Nach Nichols (1986, s.o. (1.32)) werden "adjuncts" und "arguments" voneinander unterschieden. Argumente entsprechen Ergänzungen bzw. Komplementen in der gängigen deutschen Terminologie und daher den "Aktanten" in der Dependenzgrammatik, und "Adjunkte" dann "(freien) Angaben" sowie "Zirkumstanten".65 Die ersteren sind nominale Satzglieder, die vom Prädikat verlangt werden. Ihr Vorkommen und ihre Form sind vom Prädikat her bestimmt, d.h. regiert, so dass sie auch Recta genannt werden können. Die letzteren sind grundsätzlich von individuellen Prädikaten unabhängig, ihr Vorkommen und ihre Form werden nicht vom Prädikat bestimmt, d.h. sie sind nicht regiert. Sie sind daher Modifikatoren zum Prädikat als Modifikandum/Modifikatum. Sie sind also "freie" Angaben, die nicht auftreten müssen. 64

65

Zu ausführlichen Diskussionen über "Head" vgl. u.a. Hawkins 1983: 35ff., 1993, Fräser et al. 1993, vgl. auch Whaley 1997: 142. Der Terminus "Argument" stammt aus der Prädikatenlogik (vgl. z.B. Menne 1973: 8, Vennemann 1974: 346, Vater 1981: 225ff., Bußmann (hg.) 1990: 96f., Blake 1994: 196ff., Lemarechal 1995) und wird vor allem in der generativen Tradition als Gegenstück von "Adjunkt" gebraucht (vgl. u.a. Bußmann (hg.) ibd., Fanselow & Felix 1993: 45ff„ 79). In der mittlerweile klassisch gewordenen Version der Rektions- und Bindungstheorie ("GB") werden sie in erster Linie konfigurationell definiert, d.h. durch die Art des "dominierenden Knotens", nämlich "S", d.h. Satz, oder "VP", d.h. Verbalphrase, als unmittelbar dominierende Knoten für Argumente, andere Arten für Adjunkte; ferner erhalten Argumente ihren Kasus und ihre "thematische Rolle" (s. I.n45) vom Verb, während Adjunkte diese nicht vom Verb her, sondern von einer anderen Quelle - z.B. "PP", d.h. Prä- oder Postpositionalphrase - bekommen (vgl. z.B. Miyagawa 1989: 2ff., vgl. 5.nl9). "Argument" wird je nach Ansatz als Synonym zu "Komplement" verwendet oder von diesem unterschieden, z.B.: "A predicate is a relational term signifying a property of an entity or a relation between entities. The entities are the arguments of the predicate" (Blake 1994: 204); "a complement is taken to be a dependent representing an argument. [...] some prepositional phrases are also complements" (Blake 1994: 198); "adjunct: A dependent that is not a complement, i.e. a dependent not representing an argument and so not implied by the governing predicate" (Blake 1994: 197); "complement as used here is distinct from the notion of argument. The former but not the latter includes the preposition in this case" (Fillmore 1986: 106). Eine ein wenig andere Unterscheidung zwischen "Argument" und "Ergänzung (/Komplement / Aktant / Partizipant)" findet man bei Bußmann (hg.) 1990 (96f., 218); demnach soll ein Argument ein referenzfähiger Ausdruck sein (ein expletives es, d.h. ein "Dummy", ist z.B. kein Argument), vgl. auch Dowty 1991: 549, Fanselow & Felix 1993: 45ff, 79, Vater 1996: 175ff. "Aktant" und "Zirkumstant" beruhen auf Tesnieres Termini "actant" und "circonstant", die eigentlich rein syntaktisch zu verstehen sind, während für die semantsche Seite "acteur" und "circonstance" eines "proces" benutzt werden sollen, vgl. Lazards (1995: 151ff.) und Feuillets (1995: 177) kritische Bemerkungen zu Inkonsequenzen bei Tesniere selber.

49 In der vorliegenden Arbeit werden jedoch, Martin (1975) folgend, die beiden Arten meistens unter dem Terminus "Adjunkt" zusammengefasst,66 weil es im Japanischen vor allem wegen der ersatzlosen Weglassbarkeit (vgl. 1.1.9) oft sehr schwierig ist, "Ergänzungen" und "Angaben" u.a. voneinander zu unterscheiden (vgl. Ono 1991:313, 316; s. Kap. 6 unten).67 Diese Schwierigkeit ist aber keineswegs auf Japanisch beschränkt. Im Rahmen der Dependenz- und Valenztheorie wurden viele Studien zur Aktant (Komplement usw.) / Zirkumstant-Unterscheidung gemacht, aber selbst in den europäischen Sprachen, die für die Entwicklung dieses Modells maßgebend waren, ist diese Unterscheidung nicht immer leicht (vgl. u.a. Vater 1978, 1981, Mosel 1991, Feuillet 1995, Lazard 1995). Vor allem ist ein Aktant nicht immer ein obligatorisches, d.h. nicht weglassbares, Satzglied (vgl. Storrer 1996; vgl. auch Seiler 1988a: 5ff., Beckmann 1994, Heger 1996: 203ff., Heibig 1996: 45ff., Vater 1978, 1996: 177; vgl. auch Feuillet 1995: bes. 178 und Lemarechal 1995: bes. 166 für das Französische). Sgall (1992: 201f.) schlägt sogar die Unterscheidung zwischen Obligatorietät und Auslassbarkeit als Kriterien vor, so dass insgesamt 6 Möglichkeiten bestehen: (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi)

obligatorische unauslassbare Ergänzungen obligatorische auslassbare Ergänzungen (z.B. Adressat bei lesen) fakultative Ergänzungen (z.B. Patiens bei lesen) obligatorische Angaben fakultative, aber typisch vorkommende Angabend untypische fakultative Angaben

Vater (1981:226) betont demgegenüber die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen kommunikativer und rein syntaktischer Weglassbarkeit (vgl. auch RuziCka 1978, vgl. Fillmore 1986 zur parallelen Problematik im Englischen). Unter Wirkung beider Möglichkeiten sei

66

Benötigt wird ein Begriff, der Aktant/Komplement/Argument u.a. und Zirkumstant/Adjunkt u.a. umfasst. Nichols (1986: 57) schlägt "actant" als einen solchen Oberbegriff vor, aber dies scheint im europäischen Kontext nicht zweckmäßig zu sein, wo die dependenzgrammatische Tradition stärker und deren Termini daher verbreiteter sind. Genau so missverständlich ist auch die Wahl von "Komplement" als Oberbegriff wie in der Verwendungsweise "complement circonstanciel" bei Feuillet (1995: z.B. 179), auch wenn er in dieser Verbindung keiner Zweideutigkeit ausgesetzt wäre. Andererseits ist die Wahl von "Adjunkt" angesichts der heutigen Verbreitung dieses Terminus als Entsprechung von "Zirkumstant" natürlich nicht gerade günstig. Möglich wäre die präzisere Version "nominales Dependens des Prädikats", sie ist aber für ständige Verwendung zu lang. So wird hier vor allem der Kürze wegen zugunsten von "Adjunkt" entschieden, zumal dieser Ausdruck in Martin 1975, einer der meist zitierten Referenzgrammatiken des Japanischen, als Oberbegriff benutzt wird.

67

Coseriu (1979, vgl. auch 1980b: 202, 1996: 21ff.) vertritt sogar die Ansicht, dass alle japanischen Verben nullstellig seien (vgl. 7.1 unten), so dass die nominalen Mitspieler allesamt nur Adjunkte im Sinne von Nicht-Argumenten wären. Trotz der genannten Schwierigkeit gibt es Ansätze, insbesondere im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie (z.B. Miyagawa 1989, vgl. I.n45 oben und 5.n 19), auch für das Japanische eine klare Unterscheidung zwischen "Argument" und "Adjunkt" zu treffen. Auch in Dependenz-orientierten Ansätzen wie bei Sengoku (1976) wird eine grundsätzliche Klassifizierung unternommen, mit manchmal zu kategorisch erscheinender Zuordnung z.B. von Nomina m'itga und o ausschließlich zu den Ergänzungen (Sengoku 1976: 138f.).

50 fast alles im Deutschen weglassbar. Vater (bes. 1978) prüft außer der Weglassbarkeit weitere Kriterien für die Aktant/Zirkumstant-Unterscheidung wie z.B. Hinzufügung (freie Hinzufügbarkeit bei Zirkumstanten), morphologische Unabhängigkeit von anderen Satzkonstituenten (bei Zirkumstanten), Verbsubkategorisierungsbestimmung (Eigenschaft von Aktanten) und Position im Satz (Ausklammerung, d.h. Möglichkeit der Nachfeldposition, für Zirkumstanten) und kommt zu dem Schluss, dass bei keinem der Kriterien eine klare Unterscheidung gewonnen werden kann, so dass man hier eher von verschiedenen Graden von Verbdependenten sprechen müsse. Ähnlich betont Feuillet (1995: 179) einen kontinuierlichen Übergang zwischen Aktanten und Zirkumstanten, indem er vor allem die Abhängigkeit des Status einer bestimmten Form von individuellen Verben aufzeigt, z.B. ein Pronomen im Dativ als Objekt-Aktant, Zirkumstant, Modalisator (und "Adnominal"). Oder ein Nomen mit ä bei obeir u.a. vs. bei penser, das neben der Obligatorietät eine weitere Abstufung bei der Pronominalisierung zeigt: je lui obeis vs. je pense ä lui (Lazard 1995: 154), ferner ein Nomen mit dans oder en bei habiter vs. bei anderen Verben (Lazard 1995: 155, Feuillet 1995: 178f.) usw.68 Die "Adjunkte" sollen also als nominale Satzkonstituenten auf der morphosyntaktischen Ebene verstanden werden, die PARTIZIPANTEN (vgl. 1.2.2) eines Sachverhaltes repräsentieren. Nach Seiler (1984a: If., 1988a:2, 1994, vgl. 1.2.2 oben) sind linguistische Begriffe und Termini nötig, die morphosyntaktische "Aktanten" (bzw. "Adjunkte") und semantische sowie pragmatische "Kasusrollen" zu integrieren vermögen. Der Terminus "Partizipant" soll diese integrierende Rolle spielen. Vgl: Ein und dasselbe sprachliche Phänomen kann von einem morphologisch-syntaktischen, einem semantischen und einem pragmatischen Standpunkt her betrachtet werden. Andererseits darf die Verschiedenheit auch nicht den Blick für das zusammenhängende Ganze verstellen. [...] Das Partizipatum (P'TUM) - also das Verb - bezeichnet den Ausdruck für den Kern (eines Sachverhaltes), an dem die auf den verschiedenen Ebenen zu erfassenden Partizipanten (P'ANTEN) — also die NPs - teilhaben. (Seiler 1984a:lf.)

1.3.3. Partizipantenrollen und semantische Rollen In dieser Arbeit soll auf solche Funktionen wie Agens, Patiens und Empfänger (Rezipiens), die in linguistischen Arbeiten üblicherweise "semantische Rollen" genannt werden69 (z.B. Comrie 198la; vgl. auch "semantic relations" bei Foley & Van Valin 1984), mit dem Ausdruck "Partizipantenrollen" Bezug genommen werden. Der Grund dafür ist, dass das, was semantisch ist, zur sprachlichen Designation einer bestimmten Sprache gehören müsste

68

Trotz der terminologischen Differenzen stimmen die grundlegenden Kriterien für Aktanten bei Feuillet und Lazard soweit überein: 1) vom Verb bzw. von der Verb-Valenz her bestimmt ("non-libre" vs. "libre" bei Feuillet und "regi" bei Lazard), 2) nicht weglassbar beim gegebenen Verb ("nonomissible" bzw. "obligatoire" bei Feuillet und "requis" bei Lazard; "obligatoire" bezieht sich bei ihm auf einen Aktanten, der in jedem Satz stehen muss, z.B. das Subjekt im Französischen).

69

bzw. "thematische" Rollen, s. I.n45 oben.

51 (vgl. Coseriu 1969, 1996: 3ff., Seiler 1988a: 30ff., 1995b, 1996: 45, 2000: bes. 21f., vgl. auch Sgall 1992, Heibig 1996: 46f.). Während Agens, Patiens usw., die zuerst als "Tiefenkasus" von Fillmore (1968) eingeführt wurden, gerade als über die Grenzen der einzelsprachlichen Bezeichnungsebene hinausgehende, übereinzelsprachliche Rollen konzipiert sind, betrifft die Semantik eine der beiden Seiten eines sprachlichen Zeichens im Designationssystem einer Einzelsprache. Daher möchte die Verfasserin vermeiden, dass "semantisch" etwa mit "kognitiv" oder "konzeptuell" gleichgesetzt wird. So wird der Terminus "semantische Rolle" in dieser Arbeit selten gebraucht.70 In diesem Zusammenhang seien einige kritische Bemerkungen zu bisherigen Ansätzen gemacht, die mit dem linguistischen Instrument "semantische Rollen", "Kasusrollen", "Tiefenkasus" u.a. arbeiten: Die Tiefenkasus bei Fillmore sind einerseits als Instrumentarium einer universellen Grammatik konzipiert und insofern konzeptuelle, also nicht semantische Rollen, die Anspruch auf eine über die individuelle Kognition(sfähigkeit) hinausgehende Gültigkeit erheben und dementsprechend nie von einzelsprachlichen Kodierungseigenschaften beeinflusst werden dürften. Andererseits sind diese Tiefenkasus, zumindest bei Fillmore 1968, jeweils nur in Bezug auf ein bestimmtes Prädikat zu identifizieren (vgl. auch Foley & Van Valin 1984: 27); insofern operieren sie auf der durchaus einzelsprachlichen Satzebene. Zum Beispiel ist die Beschränkung (constraint), dass in einem Satz ein bestimmter Tiefenkasus nur einmal vorkommen darf, keine kognitive Angelegenheit (vgl. z.B. Dowty 1991: bes. 550f., vgl. auch Plank 1995a: bes. 35). Typisierung (vgl. u.a. Seiler 1988a: 116) wie diese ist wahrscheinlich erst durch die einem Menschen vorgegebenen Muster der Sprache, meist der Muttersprache bzw. Erstsprache, möglich. Man vergleiche hierzu Foleys und Van Valins (1984: z.B. 27ff.) Überlegungen diesbezüglich und ihren kritischen Vergleich der Ansätze. Sie plädieren dafür, die Relevanz der einzelsprachlichen Kodierungsart für die Bestimmung der Rollen, z.B. der Rolle "Thema", anzuerkennen. Diese Ansicht ist einerseits positiv besonders aus der Sichtweise der strukturalistischen Semantik -, läuft aber zugleich Gefahr, sehr schnell in einen Teufelskreis zu geraten, wenn man damit eine universelle Grammatik zu konzipieren beabsichtigt. Die Gefahr, zugunsten einzelsprachlicher Daten die vermeintlich übereinzelsprachlichen Kasusrollen fast beliebig zu verschieben, zu modifizieren usw., kann man in lingustischen Arbeiten überall zur Genüge beobachten. Soll andererseits ein Ansatz eine "als ob"-Erklärung bzw. Metaphoriktheorie zugunsten der übereinzelsprachlichen Konstanz der angesetzen Kasusrollen erlauben? D.h. man stellt Betrachtungen an, dass eine bestimmte Rolle "eigentlich" nicht einem Tiefenkasus X zuzuschreiben sei, aber sprachlich bzw. in einer bestimmten Sprache so behandelt werde, als ob sie X darstellte. Vom anfänglichen Ansatz der Kasusgrammatik her wäre solch eine metapherbezogene Erklärung abwegig, weil er eben nach übereinzelsprachlicher Invarianz suchte. Bei den Gegenständen der Metaphoriktheorie handelt es sich eigentlich nicht um eine "als ob"-Strategie, sondern gerade um semantische Rollen, die in Bezug auf eine individuelle Sprache ihre Konstanz aufweisen. Angesichts der indiskreten, kontinuierlichen Natur der reellen Rollen von Partizipanten (vgl. Dowty 1991, vgl. auch Comries (1981a:52f.) Aussage, 70

Zu den Beziehungen zwischen Kognition und Semantik vgl. u.a. Bierwisch 1982, 1983, Lang 1994, Schwarz 1992a/b, 1994., Coseriu 1996: 16ff., Trabant 1996.

52 dass semantische Rollen, mindestens wenn es sich um Agens und Patiens handelt, ein Kontinuum der Kontrolle darstellen), stößt jeder Ansatz, der mit einem von einzelnen Linguisten konzipierten Instrumentarium vorgeht, irgendwann an die Grenze der Stringenz und der methodologischen Sauberkeit (vgl. Dowty 1991, Coseriu 1996: 19). Eine weitere Bemerkung ist bezüglich Hyperrollen (vgl. z.B. Foley & Van Valin 1984: 28ff.) bzw. "Proto-Rollen" (Dowty 1991) zu machen. Es handelt sich bei Hyperrollen um Rollen wie ACTOR und UNDERGOER, ACTOR und GOAL, oder SOURCE und GOAL, die "kleinere" Tiefenkasus bzw. "thematische" Rollen umfassen. Bei vielen Arbeiten werden auch Agens und Patiens als Hyperrollen behandelt. Sie wurden zum Zweck klarer Unterscheidung von typologischen Parametern und besserer Typologisierbarkeit von Rollenmarkierungsstrategien eingeführt, weil zum einen die Termini "Subjekt" und "Objekt" leicht zu Missverständnissen führen und zum anderen die Darstellung anhand von Tiefenkasus oder "thematischen" Rollen oft auf Generalisierungen eher störend wirkt, die sonst durchaus machbar erscheinen. Der Terminus "S(ubjekt)", der für den einzigen Aktanten eines intransitiven Satzes steht, hatte neben den "semantischen" Rollen Agens und Patiens für das bessere Verständnis der Ergativität eine wesentliche Rolle gespielt. In dem Moment, als man einsah, dass es sich bei der Ergativität eigentlich um nicht mehr als eine Zusammengruppierung von "S(ubjekt)" und "P(atiens)" für eine gemeinsame Markierung und eine gesonderte Behandlung des "A(gens)" mit einer eigenen Markierung handelt, war diese Erscheinung nicht mehr so seltsam und exotisch wie vorher. Das ergativische Verhältnis zeigt nichts anderes als das Spiegelbild des Verhältnisses der vertrauteren Sprachen, bei denen statt des "P(atiens)" der "A(gens)" zusammen mit dem "S(ubjekt)" des intransitiven Satzes gleich markiert wird (vgl. Comrie 1981a: 117ff.). Aber der Terminus "Subjekt" war doch leicht mit dem "Subjekt" im herkömlichen Sinne zu verwechseln. Ebenso war "Objekt", das neben "Patiens", d.h. in vielen Arbeiten statt "Patiens", in gleicher Weise für die Ergativitätsanalyse herangezogen wurde, als Terminus ungünstig, obzwar weniger gefährlich als "Subjekt". So haben sich doch die Fillmoreschen Tiefenkasusnamen "Agens" und "Patiens" durchgesetzt, obwohl man besser für den einzigen Aktanten eines intransitiven Satzes eine Extrabezeichnung beibehalten hätte (insofern es nur um eine Ergativitätsdiskussion ging, die nicht das Aktiv/ Inaktiv-System berücksichtigt). Aber die Termini in der Fillmoreschen Tradition haben eigene Implikationen, weil sie aus dem seinerzeit von Fillmore aufgestellten "System" einer Anzahl von Tiefenkasus stammen. Um eindeutiger zu machen, um welchen Patiens, den Fillmoreschen Patiens oder den Patiens, der den Terminus "Objekt" im Kontext der Ergativitätsdiskussion ersetzt, es sich bei einem als "Patiens" dargestellten Nomen handelt, hat man für den letzteren den Terminus "Undergoer" bzw. "Goal" eingeführt. Dasselbe gilt auch für "Agens". So weit, so gut. Aber bei der praktischen Handhabung dieser Hyperrollen sieht es oft so aus, dass man nur bei dem einzigen Aktanten eines intransitiven Satzes diese Hyperrollen als Rollen behandelt, die von der einzelsprachlichen Kodierungsart nicht beeinflusst werden. Dagegen werden sie bei den beiden Aktanten eines transitiven Satzes oft lediglich als Ersatz für die herkömmlichen grammatischen Begriffe Subjekt und Objekt verwendet, solange kein Diatheseverfahren involviert ist (z.B. Foley & Van Valin 1984). Bei dieser Handhabung ist das

53 einzige Kriterium für die Unterscheidung zwischen UNDERGOER und Nicht-UNDERGOER (Obliquus), d.h. zwischen "Core" und Peripherie, eben die einzelsprachliche Kodierungsart, z.B. Objekt vs. Präpositionalphrase im Englischen. So verwischt sich wieder der anfangs beabsichtigte übereinzelsprachliche Charakter eines solchen Instrumentariums.

1.3.4. Kasusmarkierung Die Bezeichnung "Kasusmarkierung" entspricht dem englischen Ausdruck "case marking" im gängigen typologischen Gebrauch (vgl. z.B. Comrie 1981: 117ff., Seiler 1994: z.B. 35). Daher umfasst die "Kasusmarkierung" sowohl morphologische Kasus als auch syntaktische Mittel wie Adpositionen (Prä- und Postpositionen) und ferner weitere Mittel, die zur Kodierung von Partizipantenrollen am Partizipanten dienen. In diesem Sinne entspricht "Kasusmarkierung" dem "direct case marking" bei Mallinson und Blake (1981), die die Kodierung der Partizipantenrollen am PARTIZIPATUM (z.B. am Verb) "indirect case marking" nennen.71 "Kasusmarkierung" soll also als Markierung der existierenden Relation zwischen dem PARTIZIPATUM und dessen PARTIZIPANTEN am letzteren verstanden werden.72 Dieser klaren Definition zum Trotz ist der Bezug der Bezeichnung "Kasusmarkierung" wie der von "case marking" auch in der vorliegenden Arbeit nicht immer eindeutig. Sie kann sich auf das Verfahren, auf die von einzelnen Exponenten abstrahierte Technik, aber auch auf individuelle sprachliche Mittel wie Kasusendungen oder Adpositionen beziehen. Das letztere könnte zwar durch Verwendung von "Kasusmarkierer", das "case marker" (vgl. z.B. Kilby 1981, Blake 1994:2, 198) entspricht, eindeutig gemacht werden, aber da dieser Ausdruck im Deutschen fremd klingt, möchte die Verfasserin darauf verzichten.

1.3.5 Grammatische Funktionen, grammatische Relationen, syntaktische Funktionen, syntaktische Relationen, Grammatik und Morphosyntax In verschiedenen Arbeiten werden Subjekt und Objekt im herkömmlichen Sinne "grammatische Relationen" (z.B. in der Relational Grammar, vgl. z.B. Perlmutter 1978, 1984, Cole & Sadock (eds.) 1977), "syntaktische Funktionen" (z.B. in der generativen Grammatik und in der Functional Grammar von Dik, vgl. Dik 1980), "syntaktische Relationen" oder "grammatischen Funktionen" genannt, und folglich werden diese dann auch im Sinne von "Subjekt und Objekt" verstanden. In der vorliegenden Arbeit werden solche Termini aber wörtlicher 71

72

"Direct case marking" entspricht "dependent-marking" bei Nichols (1986) und "indirect case marking" entspricht "head-marking", vgl. auch Blake 1994: 13f. zum letzteren Typus. Plank verwendet den Ausdruck "relational marker" (1992) bzw. "Relationsmarkierung" (1995b) im Sinne unserer "Kasusmarkierung", wohl wegen der Tradition, unter Kasus die morphologischen (Flexions-)Kasus zu verstehen. Trotz des Vorzuges der Eindeutigkeit in dieser Hinsicht ist seine Terminologie in Hinblick auf Head- vs. Dependent-Marking zu vage. Vgl. Blake 1994: l "Case is a system of marking dependent nouns for the type of relationship they bear to their heads."

54 verwendet: "Syntax" ist "Zusammen-binden, -fügen", also "Verbindung" (von Sprachelementen), "Funktion" ist "Leistung" u. ä., "Relation" ist "Beziehung". So ist z. B. "syntaktische Funktion" als Funktion eines Morphems, eines Wortes oder einer Konstruktion in syntaktischen Relationen im buchstäblichen Sinne, d. h. in Verbindungsbeziehungen, zu verstehen, z.B. die Funktion eines Rektums, das die betreffende Konstruktion vollständig macht, wobei es sich um die syntaktische Relation der Rektion handelt (vgl. Lehmann 1983b), oder die Funktion eines Modifikators in einer Modifikationsrelation. Analog werden "grammatische Relationen" und "grammatische Funktionen" in einem wörtlicheren Sinne gebraucht, obzwar in dieser Arbeit sehr selten von "Grammatik" die Rede sein wird. Die "Grammatik", die sich auf die Regeln von Ausdrucksmitteln, z.B. Kasusflexion, Kongruenz, Rektion usw. im Deutschen, bezieht, wird hier "Morphosyntax" genannt, die die Morphologie und die Syntax sowie den Grenzbereich zwischen den beiden umfasst. Aber im Gegensatz zur normativen Prägung der Bezeichnung "Grammatik" ist die "Morphosyntax" in erster Linie deskriptiv.

2. Wesentliche Züge der japanischen Morphosyntax

2.1. Strikte Endstellung des Kopfes

Japanisch ist eine strikt Kopf-finale Sprache (vgl. (l.lf)), in der das zu modifizierende Element, das Modifikandum, am Ende eines Modifikationsgefüges steht (Sprache mit Modifikator-Modifikandum-Reihenfolge). So stehen alle Determinatoren und Attribute eines Nomens vor diesem Nomen (AN- und GN-Sprachtyp, vgl. 1.1.4.1). Auch Relativsätze (z.B. 'die Geschichte, in der der Nordwind mit der Sonne eine Wette eingeht') und Inhaltssätze (z.B. 'die Geschichte, dass der Nordwind mit der Sonne eine Wette eingeht1) stehen vor dem Bezugsnomen (z.B. 'Geschichte' in den genannten Bespielen).1 Nach demselben Prinzip stehen adverbiale Modifikatoren, sowohl Adverbien wie auch adverbiale Nebensätze, vor dem zu modifizierenden Prädikat. Das Prädikat ist überhaupt immer das letzte Element eines japanischen Satzes. Alle Satzglieder, ob Modifikatoren oder Aktanten/Argumente, stehen vor dem Prädikat (Sprache mit Rectum-Regens-Reihenfolge bzw. SV- und OV-Sprachtyp). Auch eingebettete Komplementsätze gehen dem Hauptsatzprädikat voraus, ebenso modifikatorische Adverbialsätze. Die einzigen Satzelemente, die nach dem Hauptsatzprädikat vorkommen können, sind enklitische Partikeln, die die Satzmodalität hinsichtlich Illokutivität, Evidentialität und Interrogativität mitbestimmen (vgl. (1.1 i), z.B. -voam Ende des Beispielsatzes (2.l)). 2 Das Prädikat eines Nebensatzes tritt in einer bestimmten Flexionsform mit oder ohne Begleitung durch eine enklitische Konjunktionspartikel auf, durch die die semantischsyntaktische Relation des Nebensatzes zum Hauptsatz spezifiziert wird. Die Endstellung des Prädikates innerhalb einer Satzeinheit (clause) wird aber nicht vom Satztyp beeinflusst: Jede Satzeinheit endet dort, wo das Prädikat vorkommt, so dass die Satzglieder, die zu derselben Satzeinheit wie das gegebene Prädikat gehören, alle vor diesem zu finden sind. Geben wir ein Beispiel an, welches alle bisher genannten Eigenschaften demonstriert:3 Der folgende Satz hat beide Lesungen (vgl. 3.n7): kitakaze ga taiyoo to kake o si-ta Nordwind NOM Sonne SOZ Wette AKK tun-PRÄT

hanasi Geschichte

Die Konnotation von -yo ist etwa: "ich weiß das, weil ich es selber erlebt habe, und ich weiß, dass du davon nichts Sicheres weißt, weil du es bisher nicht selber erlebt hast". Demgegenüber impliziert die Partikel -ne etwa: "ich gehe davon aus, dass du ein gleiches Erlebnis bzw. einen gleichen Wissensstand wie ich hast" (zur Evidentialität, die die Modalpartikeln ausdrücken, vgl. Kamio 1989). Die Modalpartikeln sind funktional z.B. mit gel(l) in den süddeutsch-österreichischen Mundarten vergleichbar. Die Partikeln im Japanischen sind jedoch enklitisch, d.h. sie bilden mit dem vorangehenden Wort bzw. Wortgefüge eine prosodische (u.a. akzentbezogene) Einheit, so dass vor einer Partikel keine Pause eingelegt werden kann. Vgl. 2.n4 unten. Zur theoretischen Grundlage der Wortreihenfolge im Bereich der Determination, an die u.a. auch das Beispiel (2.1) anlehnt, vgl. Seiler 1978b, 2000: 41ff.

56 (2.1) Ima (watasi ga) (anatani) age-ru kono hako no jetzt (ich NOM) (du DAT) geben-PRÄS dies:ADN Schachtel N.ADN

naka Innen

{i) no / ii) ni ar-u} kiree-na aka-i ki no tama {N.ADN/DATdasein-PRÄS} schön-PRÄS:ADN rot-PRÄS Holz N.ADN Kugel AKK zenbu alle(s)

tukat-te nekkuresu tukut-te verwenden:ADV-CJ Halskette AKK machen:ADV-CJ

okaasan ni age {-ru-to / -reba} (okaasan {ga / wa}) Mutter DAT geben{-PRÄS-CJ(KOND) /-KOND} (Mutter {NOM/TOP}) kitto sicherlich

totemo sehr

yorokob-u ((-wa)-yo)4. sich.freuen-PRÄS ((-SEMP:ILLOK)-SEMP:ILLOK)

'Wenn du die schönen roten Holzkugeln (i) in dieser Schachtel / ii) die in dieser Schachtel sind}, die ich dir jetzt gebe, alle verwendest und (daraus) eine Halskette machst und (sie / diese) deiner Mutter schenkst, wird sie sich bestimmt sehr freuen (bestimmt, das sage ich dir).' 5 In diesem Beispiel kommt eine Wortstellung vor, die anscheinend dem Prinzip der strikten Endstellung des Kopfes widerspricht. Es geht um die Position von zenbu 'alle(s)', die andeutet, dass es auch im Japanischen eine Ausnahme von diesem Prinzip gibt, wenn es sich um Quantoren handelt. Entweder erkennt man diese Ausnahme als solche an (so z.B. Shibatani 1977),6 oder man betrachtet die Quantoren als eine Art Adverbien (so z.B. Kuno 1973: 26). In 4.3 unten werden wir uns mit dieser Problematik ausführlicher beschäftigen. Wir dürfen ansonsten die Endstellung des Kopfes als das wichtigste Prinzip der japanischen Syntax betrachten und die typologische Charakterisierung der Wortstellung dahingehend revidieren: Obwohl das Japanische üblicherweise als eine SOV-Sprache klassifiziert wird, ist die relative Reihenfolge von S, O und V weniger von Belang; entscheidend ist nicht die Position von V nach S und O, sondern dessen (absolute) Satzendstellung (vgl. 1.1.4.3).7

-wa ist eine Assertionspartikel in der Frauensprache (vgl. (1.1 i)) und hat nichts mit der Topik-Partikel wa zu tun. -yo hat hier die folgende Konnotation: "Du bist dir (vielleicht) nicht sicher, aber ich bin mir sicher, also hör' mir zu und glaub' mir". Wie in der deutschen Übersetzung, so ist es auch im Japanischen ambig, auf welches Nomen, hako 'Schachtel' oder tama 'Kugel', sich der erste Relativsatz ('(die) ich dir jetzt gebe') bezieht. Die Ambiguität würde nicht, wie im Deutschen, aus morphosyntaktischen, sondern aus semantischpragmatischen Gründen reduziert, wenn hier statt hako z.B. teeburu Tisch' stünde, weil es wahrscheinlicher ist, dass man jemandem nicht den ganzen Tisch, sondern die Kugeln darauf gibt. Diese Erscheinung wird "Quantifier Floating"genannt und z.B. im Deutschen bei Wörtern wie alle und beide beobachtet, vgl. z.B. Vater 1980, Reis & Vater 1980. Vgl. Shibatani 1990: 257ff.: "Japanese is an 'ideal' SOV (Subject-Object-Verb) language in the sense that the word order of 'dependent-head' is consistently maintained with regard to all types of constituent" (p.257); "The important consideration [...] is that the verb must not move from sentencefinal position. This strict verb-final requirement sets Japanese from other SOV languages like Turkish in which the verb can also be scrambled" (p.259).

57

2.2. Morphosyntaktische Unterscheidung von Wortarten

Oben wurde die Endstellung des Kopf-Elementes (Modifikandum und Regens) als das grundlegende Prinzip der japanischen Syntax hervorgehoben. Da nun das Prädikat immer die Endposition im Satz einnimmt, kann es als Kopf des ganzen Satzes betrachtet werden, was sowohl theoretisch (vgl. z.B. das Dependenzmodell von Tesniere u.a., das Rektionsmodell von Lehmann 1983b, die "Head/dependent-marking"-Typologie von Nichols 1986, das PARTIZIPATIONsmodell von Seiler, vgl. 1.2.2 und 1.3.1 oben) als auch bezüglich einzelsprachlicher Erscheinungen im Japanischen (vgl. Fußnoten l.n56/57 oben und Kap. 5ff. unten) durchaus gerechtfertigt werden kann. Somit erweist sich das Prädikat als das Kernelement jedes Satzes im Japanischen. Nur flektierbare Wortarten treten im Japanischen als Prädikat auf.8 Flektierbare Wörter werden je nach der formalen Beschaffenheit ihrer Flexionsendungen in Verben, Adjektiva und Nominalprädikatoren (sog. "Kopulae") klassifiziert. Im Beispiel (2.1) oben sind age-ru 'geben', ar-u 'dasein', tuka(w)-u (oben in der Form tukat-) 'verwenden', tukur-u (ebenfalls in der Form tukut- oben) 'herstellen' und yorokob-u 'sich freuen' Verben.9 kiree-da (oben in der adnominalen Präsens/Imperfektiv-Form kiree-na) 'schön sein' und aka-i 'rot sein' sind Adjektiva, von denen der erstere Typ wegen seiner besonderen Adnominalform auf -na 'na-Adjektiv' bzw. wegen seiner nahen morphosyntaktischen Verwandtschaft mit dem Nominalprädikat, das aus einem Nomen und einem der Nominalprädikatoren besteht, 'Nominaladjektiv' genannt wird. Demgegenüber wird der letztere Typ auf -i meistens einfach 'Adjektiv' genannt.10 Geben wir Beispiele der Adjektiva als Hauptprädikate:

8

9

10

Die Frage, ob ein Nomen ohne Begleitung eines flektierbaren Wortes (z.B. einer sog. Kopula) Prädikat sein kann, wird in Kap. 5 ausführlicher behandelt. Von den genannten Verben ist age-ru ein vokalischer Stamm, die anderen sind konsonantische Stämme. Während die Stammform der vokalischen Verben konstant ist, weisen die konsonantischen Verben kombinatorische Stammformänderungen auf, z.B. die Stammform auf -t- vor der Konjunktionspartikel -te bei den -w- und -r-Stämmen. Der Stammkonsonant -w- der -w-Stämme ist außer vor dem Vokal a latent, so dass er sich vor -u nicht zeigt (kaw- + -u > kau). Die konsonantischen Stämme beeinflussen darüber hinaus in bestimmten Fällen auch den Anlaut des nachfolgenden Enklitikums, z.B. die Konjunktionspartikel -de statt -te, die Präteritalform -da statt - jeweils nach einem der stimmhaften konsonantischen Stämme auf -b-, -m- und -n-. Diese werden dann ihrerseits vor dem Anlaut -d- der Enklitika zu -n- assimiliert, z.B. yon-de aus yom- 'lesen' + -le sowie aus yob- 'rufen' + -te. Vgl. z.B. Kuno 1973: 28f. zu 'nominal adjective'. Shibatani 1994 (s. das Zitat in 1.1.1) nennt diese Klasse "adjectival nominal". Nach der japanischen Schulgrammatik wird diese Adjektivklasse aber gerade nicht Womina/adjektiv', sondern 'Adjektivalverb' genannt. Lewin (1959: 40ff.) nennt die /-Adjektiva 'Qualitativa' und die «a-Adjektiva 'verbale Qualitative', die ersteren werden in Lewin et al. 1983 auch 'Eigenschaftsverben' genannt (vgl. auch Anderson 1971: 37ff. zur Behandlung der Adjektiva als Verben in einem allgemeineren Rahmen). Die rca-Adjektiva sind sehr produktiv, während die /-Adjektiva eine nicht produktive, zahlenmäßig kleine geschlossene Klasse bilden.

58 (2.2)

(a) Kono tama {wa/ga} kiree-da.11 dies:ADN Kugel {TOP/NOM} schön.sein-PRÄS 'Diese Kugel(n) ist (/sind) schön.' (b) Kono tama {wa/ga} aka-i. dies:ADN Kugel {TOP/NOM} rot.sein-PRÄS 'Diese Kugel(n) ist (/sind) rot.'

Wie die bisherigen Beispiele zeigen, können die Verben und die Adjektiva allein, ohne Begleitung durch irgend ein anderes Element, als Prädikat auftreten. Hingegen bilden die Nominalprädikatoren nur zusammen mit einem unmittelbar vorangehenden Nomen ein Prädikat. M.a.W.: Die Nominalprädikatoren können nicht allein ohne Nomen auftreten, und Nomina, die nicht flektierbar sind, sind ohne Begleitung durch einen Nominalprädikator grundsätzlich nicht prädikatfähig. Geben wir Beispiele der Nominalprädikate: (2.3)

Köre {wa/ga} ki no tama da. dieses {TOP/NOM} Holz N.ADN Kugel NPRÄD:PRÄS 'Das hier ist eine Holzkugel / sind Holzkugeln.'

(2.4)

Ki no tama wa hako no Holz N.ADN Kugel TOP Schachtel N.ADN 'Die Holzkugel(n) ist (/sind) in der Schachtel.'

naka da. Innen NPRÄD:PRÄS

An der Form des Nominalprädikators da in diesen Beispielen kann man wohl die oben erwähnte formale Verwandtschaft zwischen dem Nominalprädikat und dem Nominal(na-)Adjektiv wie in (2.2 a) erkennen.

2.3. Flexionskategorien Die drei flektierbaren Wortarten weisen bis auf die Imperativform, die auf Verben beschränkt ist, gemeinsame Flexionskategorien auf. Diese Kategorien sind entweder modal (Imperativund Konditionalform) oder beziehen sich auf syntaktische Relationen (finite, adprädikative

11

Während (2.1) ein Beispiel der (außer -wa vor -yo am Satzende weitgehend geschlechtsneutralen) gesprochenen Sprache ist, sind die Beispiele (2.2 ~ 4) wegen der Verwendung von -da entweder schriftsprachlich oder dem männlichen Stil der gesprochenen Sprache zuzuordnen (vgl. 5.3). Die meisten assertiven Beispiele sind hier grundsätzlich auf dieser letzteren Stilebene gehalten, weil dort die Differenz zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache am kleinsten ist.

59 und adnominale Form).12 Da die modalen Kategorien aber auch auf den syntaktischen Status des betreffenden Prädikates hinweisen, wie umgekehrt die Kategorien der syntaktischen Relationen ihrerseits mit der Modalität korrelieren, dürfte man sagen, dass die japanischen Flexionskategorien eine Amalgamierung der modalen und der syntaktischen Komponenten bilden. So zeigt die Konditionalform age-reba (geben-KOND) im Beispiel (2.1) neben der konditionalen Modalität gleichzeitig die syntaktische Abhängigkeit, d.h. den Nebensatzstatus, des Satzes mit dem Prädikat in dieser Form an.13 Auch die Imperativform ist syntaktisch gesehen eine der finiten Formen im Sinne der Formen der Beendigung einer Prädikationseinheit, wie dies folgendes Beispiel zeigt:14 (2.5)

(a) (i) Nekkuresu o tukur-e (-yo). Halskette AKK machen-IMP (-SEMP1LLOK) 'Mach eine Halskette!'

12

Vgl. Shibatani 1990: 221 ff. zur ausführlicheren Darstellung der Probleme um die Analyse der Prädikatsflexion mit einer informativen Gegenüberstellung verschiedener bisheriger Ansätze. Shibatanis Übersetzungen für die Namen der Flexionskategorien entsprechen den Bezeichnungen in der vorliegenden Arbeit, die in erster Linie auf den Termini der Arbeiten von Matsubara (z.B. 1984b) beruhen, wie folgt: 'Hypothetical' = Konditionalform, 'Conclusive' = finite Form, 'Adverbial' = adprädikative bzw. adverbale (aber nicht 'adverbiale', vgl. Sengoku 1976: 116ff., vgl. auch Kuryiowicz 1964: 179ff. zum Unterschied zwischen 'adverbal' und 'adverbial') Form, 'Attributive' = adnominale Form. Vgl. auch Kuno 1978a: 64ff., Rickmeyer 1985, 1989, 1995a, vgl. 1.1.2 oben.

13

Die Schulgrammatik des Japanischen (z.B. Taniyama et al. 1977/91: 340ff.) behandelt -ba in age-reba (geben-KOND) usw. als eine Konjunktionspartikel, die nach der flexivischen Konditionalform des Verbs -re auftrete. Aber da -re (bzw. -e bei den konsonantischen Stämmen wie ar'dasein') nie allein ohne -ba für die Konditionalitat verwendet werden kann, wäre es wohl besser, wie in der Analyse von Bloch (l946/70:8f.), -(r)eba insgesamt als Konditionalendung (nach dem Terminus von Bloch: 'Provisional') zu betrachten. Ein Argument für die schulgrammatische Behandlung hingegen ist die Tatsache, dass -ba in bestimmten Fällen durchaus weglassbar ist, so dass die Konditionalität allein durch die Flexionsform ohne -ba getragen werden kann. Es handelt sich um die perfektive Konditionalform (Blochs 'Conditional') aller konjugierbaren Wortarten -tara(ba) sowie um die imperfektivische (präsentische) Konditionalform des Nominalprädikators nara(ba). Hinzu kommt eine weitere Tatsache aus der Diachronie, die für die klassik- und geschichtsorientierte Schulgrammatik relevant ist, dass -ba in der klassischen Sprache nicht nur nach der Entsprechung der heutigen Konditionalform, sondern auch nach einer anderen Flexionsform vorkommen konnte und dass die Semantik der Gefüge mit -ba je nach der diesem vorangehenden Flexionsform des Prädikates unterschiedlich war (vgl. Shibatani 1990: 223f., 229). Für das moderne Japanisch ist es allerdings nicht von hohem Belang, ob -ba als Partikel oder als Endungsbestandteil analysiert wird. Die Imperativendung ist bei den Verben der konsonantischen Stämme -e und bei denjenigen der vokalischen Stämme -ro. Der Ausdruck des Befehls mittels dieser Flexionsform eines Verbs wie in den (i)-Beispielen unter (2.5) ist jedoch nicht nur eindeutig männersprachlich, sondern auf einige besondere Stile beschränkt und wird in der normalen Umgangsprache selten gebraucht, in der stattdessen die analytische Konstruktion wie in den (ii)-Beispielen die Norm ist. Rein deskriptiv übt jedoch die Verbform mit -te die Imperativfunktion aus (vgl. Ono 1993: 150, 2.n 18 unten).

14

60 (ii) Nekkuresu o tukur-i nasai (-yo). Halskette AKK machen-ADV tun:IMP (-SEMP:ILLOK) 'Mach eine Halskette!' (b) (i) Nekkuresu okaasan ni age-ro (-yo). Halskette AKK Mutter DAT geben-IMP (-SEMP:ILLOK) 'Gib d(ein)er Mutter die/eine Halskette!'

(ii) Nekkuresu

okaasan ni

age-0

nasai (-yo).

Halskette AKK Mutter DAT geben-ADV tuniIMP (-SEMP:ILLLOK) 'Gib d(ein)er Mutter die/eine Halskette!' (c) (i) Nekkuresu tukut-te okaasan ni age-ro (-yo). Halskette AKK machen:ADV-CJ Mutter DAT geben-IMP (-SEMP:ILLOK) 'Mach eine Halskette und gib sie d(ein)er Mutter!' (ii) Nekkuresu o tukut-te okaasan ni age-0 nasai (-yo). Halskette AKK machen:ADV-CJ Mutter DAT geben-ADV tun:IMP(-SEMP:IL.) 'Mach eine Halskette und gib sie d(ein)er Mutter!' Die Kategorien der syntaktischen Relationen stehen insofern zu der Modalität in Beziehung, als sie in der Korrelation zu den obengenannten, in erster Linie modalen Flexionskategorien den merkmallosen Modus darstellen. So weist die Flexionsform des jeweils letzten Prädikates in den Beispielen (2.1) bis (2.4), yorokob-u 'sich freuen', kiree-da 'schön sein', aka- 'rot sein' und da 'sein', die nach der Schulgrammatik "finite" Form im Sinne der Form der Satzbeendigung genannt wird und die zugleich die Form des merkmallosen Tempus/Aspekts, nämlich Präsens/Imperfektiv ist,15 auf das Fehlen einer besonderen, merkmalhaltigen Modalität hin, so dass Blochs Terminus "(Non-past) Indicative" für diese Form durchaus gerechtfertigt zu sein scheint. Dieses Verhältnis wird von der funktionalen Unspezifizität der folgenden Beispiele im Vergleich zum Beispiel (2.5 a) verdeutlicht: (2.6)

15

(i) Nekkuresu o tukur-u. Halskette AKK machen-PRÄS 'Eine Halskette (zu) machen' oder 'Man macht eine Halskette.'

Während die "finite" Form der Adjektiva, der Nominalprädikatoren und der Zustandsverben (z.B. ar-u 'dasein') in erster Linie den imperfektivischen Aspekt des Zustandes darstellt, designiert dieselbe Form der Vorgangs- und Handlungsverben vor allem einen inchoativen Vorgang, der noch nicht geschehen ist. Daher entspricht die "finite" Form der letzteren Verben nicht den imperfektiven, sondern den perfektiven Verben im Präsens im Russischen als repräsentativer Aspektsprache. Insofern ist die Bezeichnung "Imperfektiv" ein wenig irreführend, aber da andererseits die Termini "Imperfekt" oder "Aorist" konventionell als Präteritaltempora verstanden werden, möchte die Verfasserin die Aspektbezeichnung beim "Imperfektiv" belassen. Das Gegenstück des Imperfektivs wird im folgenden grundsätzlich "Perfektiv" genannt, obwohl es manchmal, vor allem bei Hauptsatzprädikaten, angemessener zu sein scheint, "Perfekt" statt "Perfektiv" zu nehmen. Vgl. Fußnote 3.n6 unten. Für eine ausführlichere Diskussion über Tempus, Aspekt und Prädikatsarten vgl. Nakau 1976, Jacobsen 1982b, 1990, Eschbach-Szabo 1986, Kudo 1995.

61 oder 'Ich mache / er/sie macht / wir/sie machen (/du machst / ihr macht) eine Halskette.' bzw. 'Ich würde/werde/will eine Halskette machen.' (ii) (Saa) nekkuresu o tukur-u! (INTERJ) Halskette AKK machen-PRÄS 'Ich werde (nun) jetzt eine Halskette machen!' oder: 'Du machst / ihr macht (nun) jetzt eine Halskette!' (im Sinne von 'Mach / Macht eine Halskette!') Die "finite" Form ist, wie an diesen Beispielen gezeigt wird, in Bezug auf Modalität unspezifisch und kann nur dann eine spezifische Modalität repräsentieren, wenn ihr ein modales Element folgt wie die Konjunktionspartikel -to nach age-ru 'geben' oder die illokutive Partikel -yo nachyorokob-u 'sich freuen' in (2.1). Genauer gesagt: Eine besondere Modalität wird nicht von dieser Flexionsform selber, sondern von dem darauf folgenden Modalelement getragen, und die Kompatibilität der "finiten" Form mit den Trägern einer besonderen Modalität beruht auf ihrer modalitätsbezogenen Unspezifizität. 16 Wenn dem Prädikat in dieser Form kein solches Element (oder auch ein Nomen, siehe die Erläuterung der Adnominalsätze in Kap. 3 unten) folgt, muss der gegebene Satz (sentence) mit diesem Prädikat enden. Auf dieser Eigenschaft beruht die Bezeichnung "finite Form" (vgl. Matsubara 1984a). Besonders wichtig ist die Tatsache, dass ein Prädikat in dieser Form kein Prädikat eines Teilsatzes wie eines Nebensatzes sein kann, solange diesem keine explizite Konjunktionspartikel wie -to bzw. kein Nomen folgt. Das heißt: Ein Prädikat in der "finiten" Form ohne darauf folgende Konjunktionspartikel muss das Hauptsatzprädikat sein, und das Vorkommen eines solchen Prädikates kennzeichnet folglich das Ende eines Hauptsatzes (Grenzsignal eines Satzes im Sinne von sentence). Daher ist ein Satz wie das folgende Beispiel, in dem Prädikate in der "finiten" Form ohne Konjunktionspartikel aneinander gereiht werden, ungrammatisch (zu einer ausführlicheren Darstellung dieses Sachverhalts vgl. Ono 1993):17

16

17

Die Flexionsform eines Prädikates vor einem Modalitätsträger wird vom letzteren rektionsartig bestimmt. Die Situation ist in gewisser Weise vergleichbar mit dem Unterschied in der Verbform zwischen den Nebensätzen mit um und mit damit im Deutschen. Allein die Partikeln für die Aussagemodalität, wie z.B. -yo, kommen zu dem Prädikat hinzu, ohne seine Flexion zu beeinflussen. Wie die Konjunktionspartikel -to, die eine doppelte Funktion ausübt, sowohl eine solche als Modalitätsträger als auch eine solche als syntaktischer Relationierer, bestimmen auch andere Konjunktionspartikeln die Flexionsform des Nebensatzprädikates, und zwar unabhängig davon, ob sie eine bestimmte Modalität signalisieren oder nicht. Im Beispiel (2.1) ist die Form der Verben tukat- (von tuka(w)-u 'verwenden') und tukut- (von tukur-u 'herstellen') von der Partikel -te her bestimmt (es gibt allerdings auch Ansichten, dass es sich beim Verb mit -te um eine Flexionsform, d.h. bei -te um eine Flexionsendung handelt, z.B. Blochs "Gerund", 1946/70: 8f.; vgl. Ono 1993). Vgl. 9.3f. In der gesprochenen Sprache geht es um Prosodie: (2.7 i) steht für die Aussprache des ersten Teilsatzes ohne den für einen einfachen Satz typischen sinkenden Ton, der aber nicht möglich ist (im Fall eines Fragesatzes mutatis mutandis ohne den für diesen typischen klar steigenden Ton). Wenn der erste Teilsatz kein formales Mittel für Satzverbindung aufweist, muss er mit der Prosodie eines selbständigen Satzes ausgesprochen werden, d.h. mit der für den betreffenden Satztyp typischen Intonation (sinkend bei Assertion, steigend bei Fragestellung) und mit einer Pause danach. Die

62

(2.7) (i) *Kono dies:ADN

tama o

tuka-u,

(sosite) nekkuresu o

Kugel AKK verwenden-PRÄS, (und)

tukur-u.

Halskette AKK machen-PRÄS

Wenn die Form der Prädikate gleich bleiben soll, muss diese Sequenz zwei Hauptsätze enthalten: (2.7) (ii) Kono tama o tuka-u. (Sosite) nekkuresu o tukur-u. 'Man verwendet diese Kugeln. (Und) man macht eine Halskette.' (oder ich usw. statt man) Wenn aus dieser Sequenz zweier Hauptsätze ein Satz mit zwei Teilsätzen entstehen soll, muss das Prädikat außer demjenigen am Satzende eine besondere Flexionsform annehmen, die anzeigt, dass der Satz noch nicht zu Ende ist und das Vorkommen des Hauptsatzprädikates noch auf sich warten lässt ('v.' = 'verwenden'): (2.7)(iii) Kono tama o {tuka-i/tukat-te} nekkuresu o tukur-u. dies:ADN Kugel AKK (v.-ADV/ v.:ADV-CJ) Halskette AKK machen-PRÄS 'Man verwendet diese Kugeln und macht eine Halskette (daraus).' bzw. 'Man macht eine Halskette, indem man diese Kugeln verwendet.' (oder ich usw. statt man) Die Formen des ersten Prädikates, tuka-i und tukat-, werden "adprädikative" (bzw. "adverbale", aber nicht "adverbiale") Form genannt, wobei die letztere Form auf -t- eine kombinatorische Variante vor der Konjunktionspartikel -te ist. Bei den vokalischen Stämmen wie age- 'geben' gibt es diese Varianten nicht. Bei jenen gleicht die adprädikative Form immer, d.h. mit oder ohne Begleitung von -te, der Stammform, z.B. age-0(-te). Im Beispiel (2.1) oben sind nur die Formen mit -te zu finden, die aber abgesehen von stilistischer Nuancierung ohne semantischen Unterschied durch die Formen ohne -te ersetzt werden können, wie tuka-i statt tukat-te, und tukur-i statt tukut-te ('herstellen'). Das heißt, diese Flexionsform ist in der Lage, allein, ohne die Hilfe einer Konjunktionspartikel, die Abhängigkeitsrelation des betreffenden Prädikates zum Hauptsatzprädikat zu kennzeichnen; wenn ein Satz mehrere Prädikate beinhaltet, wie das Beispiel (2.1), muss die Relation nicht unbedingt zum Hauptprädikat am Satzende, sondern nur zu einem der nachfolgenden Prädikate bestehen. Demgegenüber konnte die finite Form nur mit Hilfe einer Konjunktionspartikel als Nebensatzprädikat auftreten. Die finite Form war aber in der Lage, das Ende eines Satzes (sentence) zu signalisieren, während die adprädikative Form auf keinen Fall einen Satz abschließen kann.18 Diese Form ist der Anzeiger einer existierenden Dependenzrelation zwischen den Prädikaten, Intonation kann daher im Japanischen nicht als alleiniges Mittel zur Satz- und Prädikatsverbindung eingesetzt werden. Vgl. Matthews 1981: 32, Ono 1993: bes. 138. 18

Eine Ausnahme ist die Verwendung der Verbform mit -te für den Ausdruck der Bitte in der familiären Umgangssprache (vgl. Fußnote 2.nl4 oben). Diese Verwendung beruht auf der Verbindung mit dem Verb kure-ru 'geben' u.a., vor allem mit dessen Imperativform, die dann weggelassen wird (vgl. 8.6 unten, Ono 1993: 150).

63

wobei der Träger dieser Form den Status eines Dependens eines anderen Prädikates hat. Geben wir auch Beispiele für die nicht-verbalen Wortklassen (vgl. (2.2-4)): (2.8) (i)

Kono

tama

{wa/ga}

kiree-de

aka-i.

dies:ADN Kugel {TOP/NOM} schön.sein-ADV rot.sein-PRÄS 'Diese Kugel(n) ist(/sind) schön und rot.'

(2.9) (i)

Kono

tama

{wa/ga}

aka-ku-te

kiree-da.

dies:ADN Kugel {TOP/NOM} rot.sein-ADV-CJ schön.sein-PRÄS

'Diese Kugel(n) ist(/sind) rot und schön.' oder 'Diese Kugel(n) ist(/sind) schön, weil sie rot ist(/sind).' (2.10) (i)

Köre {wa/ga}

ki

no

tama de,

dies {TOP/NOM} Holz N.ADN Kugel NPRÄD:ADV

sore {wa/ga}

garasuno

das {TOP/NOM} Glas

tama da.

N.ADNKugel NPRÄD:PRÄS

'Das hier ist eine Holzkugel (sind Holzkugeln) und das bei dir ist eine Glaskugel (sind Glaskugeln).' oder 'Während das hier eine Holzkugel ist (Holzkugeln sind), ist das bei dir eine Glaskugel (sind das bei dir Glaskugeln).' (2.11) (i)

Ki

no

tama {wa/ga}

hako

no

naka de,

Holz N.ADN Kugel {TOP/NOM}Schachtel N.ADN Innen NPRÄD:ADV garasu no tama { w a / g a } teeburu no ue da. Glas N.ADN Kugel {TOP/NOM(Tisch N.ADN Oberseite NPRÄD:PRÄS

'Die Holzkugel(n) ist(/sind) in der Schachtel und die Glaskugel(n) ist(/sind) auf dem Tisch.' oder: 'Während die Holzkugel(n) in der Schachtel ist(/sind), ist(/sind) die Glaskugel(n) auf dem Tisch.' Genau wie es bei den Verben der Fall ist, können auch die Adjektiva und der Nominalprädikator in der finiten Form ohne Konjunktionspartikel nicht Teilsatzprädikat sein. In diesem Fall muss mit dem jeweils ersten Prädikat ein Satz (sentence) abgeschlossen sein: (2.8) (ii) *Kono tama {wa/ga} kiree-da, (sosite) aka-i. (iii) Kono tama {wa/ga} kiree-da. (Sosite) Aka-i. 'Diese Kugel(n) ist(/sind) schön. (Und) Sie ist(/sind) rot.' (2.9) (ii) *Kono tama {wa/ga} aka-i, (sosite) kiree-da. (iii) Kono tama {wa/ga} aka-i. (Sosite) Kiree-da. 'Diese Kugel(n) ist(/sind) rot. (Und) Sie ist(/sind) schön.' (2.10) (ii) *Kore {wa/ga} ki no tama da, (sosite) sore {wa/ga} garasu no tama da. (iii) Köre {wa/ga} ki no tama da. (Sosite) Sore {wa/ga} garasu no tama da. 'Dies ist eine Holzkugel. (Und) Das ist eine Glaskugel.'

64

(2.11) (ii) *Ki no tama {wa / ga} hako no naka da, (sosite) garasu no tama {wa / ga} teeburu no ue da. (iii) Ki no tama {wa / ga} hako no naka da. (Sosite) Garasu no tama {wa / ga} teeburu no ue da. 'Die Holzkugel(n) ist(/sind) in der Schachtel. (Und) die Glaskugel(n) ist(/sind) auf dem Tisch.' Die adprädikative Form (Adverbalform) ist neutral bzw. unspezifisch in Bezug auf Tempus, Aspekt und Modus; das Tempus, der Aspekt sowie die Modalität des Wortes in der adprädikativen Form hängen jeweils von denen des Hauptprädikats bzw. eines der Prädikate ab, auf das es sich unmittelbar bezieht.19 In den Beispielen unter (2.5 c) ist die Modalität des Verbs in der adprädikativen Form, tukut-(te) ('herstellen'), der des Hauptprädikates gleich, nämlich dem Imperativ. Im Beispiel (2.1) gleicht die Modalität des Verbs tukut-(te) ('herstellen') der Konditionalität des Verbs age{-ru-to/-reba] ('geben'), von dem es unmittelbar abhängt. Das Prädikat in der adprädikativen Form, dessen Modalität durch die des Prädikates bestimmt wird, von dem es syntaktisch abhängt, weist sozusagen die Null-Modalität auf (vgl. die Jakobsonsche Merkmaltheorie, z.B. Jakobson 1932a). Auch Blochs (1946/70: 7ff.) Bezeichnung "Infinitive" für diese Form (allerdings nur für die Form ohne -te', die mit -te wird bei Bloch synthetisch aufgefasst und "Gerund" genannt) ist in diesem Zusammenhang leichter nachvollziehbar. Besonders infinitivhaft ist das Vorkommen der adprädikativen Form in einer analytischen Konstruktion wie in den Beispielen (ii) unter (2.5). Wie die Modalität hängt auch der Zeitbezug des Prädikates in der adprädikativen Form von dem des Kopf-Prädikates ab, so dass man sagen dürfte, dass das Prädikat in dieser Form das Null-Tempus repräsentiert. So bleiben die Nebensatzprädikate z.B. in (2.7)ff. unverändert in der gleichen adprädikativen Form, auch wenn das Tempus der Hauptsatzprädikate geändert wird:20 19

Vgl. Ono 1993 zur ausführlicheren Darstellung dieser Eigenschaften der adprädikativen Form, insbesondere zum Grad ihrer Abhängigkeit im Aspekt und in der Modalität, der hier des Themas wegen nicht ausführlich behandelt werden kann.

20

Wie die Morphemübersetzung des jeweils letzten Prädikates der Beispiele andeutet, wird die Präteritalform nach der Schulgrammatik als Syntagma aus der adprädikativen Form des Prädikates und dem Präteritalauxiliar -ta analysiert, wobei die adprädikative Form des Prädikates vom Auxiliar als Finitheitsträger her rektionsartig bestimmt wird. Einer der Anhaltspunkte für diese Analyse ist die formale Konstanz der Verben der vokalischen Stämme, des konsonantischen -i-Stammes und der unregelmäßigen Verben, die als adprädikative Form ohne Partikel, mit -te und vor dem Präteritalmorphem -ta die gleiche Form aufweisen, z.B. age, age-te, age-ta ('geben'), si, si-te, si-ta (unregelmäßiges Verb 'tun'), ki, ki-te, ki-ta (unregelmäßiges Verb 'kommen') und hanas-i, hanas-i-te, hanas-i-ta (konsonantisches Verb 'sprechen'). Hinzu kommt das besondere Segment -hat- vor -ta bei Adjektiven, das weder zum Stamm noch zum Präteritalmorphem gehören kann, obwohl man solchen Analysen doch oft begegnet, z.B. Blochs (1946/70: 14ff.) Analyse von -kaqta [= -katta] als Adjektivendung für "Past Indicative". Wenn man es als zur Präteritalendung gehörig betrachtet, wird die saubere formale Konstanz des Präteritalmorphems gestört. Andererseits bereitet eben dieses Segment der Adjektiva, neben der besonderen Form der Nominaladjektive und des Nominalprädikators (-)dat- vor -ta, Schwierigkeiten für die Analyse, weil es eine andere

65 (2.7) (iv) Kono

tama

{tuka-i/tukat-te}

nekkuresu

tukut-ta.

dies:ADN Kugel AKK {v.-ADV/v.:ADV-CJ} Halskette AKK machen:ADV-PRÄT 'Man hat diese Kugeln verwendet und eine Halskette gemacht.' (oder ich usw.)

(2.8) (iv) Sono

tama {wa/ga}

kiree-de

aka-kat-ta.

das:ADN Kugel {TOP/NOM} schön.sein-ADV rot.sein-ADV2-PRÄT 'Die Kugel(n) war(en) schön und rot.'

(2.9) (iv) Sono

tama {wa/ga}

aka-ku-te

kiree-dat-ta.

das:ADN Kugel {TOP/NOM} rot.sein-ADV-CJ

schön.sein-ADV2-PRÄT

'Die Kugel(n) war(en) rot und schön.' oder 'Die Kugel(n) war(en) schön, weil sie rot war(en).' (2.11) (iv) Ki no

tama {wa/ga}

hako

no

naka de

Holz N.ADN Kugel {TOP/NOM} Schachtel N.ADN Innen NPRÄD:ADV

garasu no

tama {wa/ga}

teeburu no

ue

dat-ta.

Glas N.ADN Kugel {TOP / NOM} Tisch N.ADN Oberseite NPRÄD:ADV2-PRÄT

'Die Holzkugel(n) war(en) in der Schachtel und die Glaskugel(n) war(en) auf dem Tisch.'

2.4. Explizite Dependenzmarkierung am dependenten Prädikat

Die Eigenschaft des Prädikates in der adprädikativen Form, im Tempus/Aspekt und Modus vom Kopf-Prädikat abzuhängen, verstärkt somit den Dependens-Status des Teilsatzes, dessen Prädikat es ist. Der syntaktische Dependens-Status des betreffenden Satzes wird durch diese Form des Prädikates morphologisch eindeutig gekennzeichnet. Auch bei einem Teilsatz, dessen Prädikat eine andere Flexionsform als die adprädikative Form aufweist, wird dessen Dependens-Status entweder durch ein morphologisches Mittel wie die Konditionalform oder durch ein morphosyntaktisches Mittel wie die Verbindung von finiter Form und enklitischer Konjunktionspartikel to ebenfalls explizit am Prädikatskomplex markiert. Die Existenz einer syntaktischen Dependenzrelation wird also am dependenten Satz selber, nämlich an dessen letztem Satzelement, dem Prädikatskomplex, enkodiert. Der Kopf zeigt hingegen keinerlei Indizes für die Existenz einer Dependenzrelation. Weder das Prädikat noch irgendein anderes Satzelement des Hauptsatzes bzw. des Teilsatzes, von dem der

Form als die adprädikative Form auf-A« (bzw. (-)de bei den Nominaladjektiven und dem Nominalprädikator) darstellt. Nur die Verben zeigen keinen formalen Unterschied vor -te und vor -ta (vgl. Mattissen 1995: 15f.). Für diejenigen, die -ta bzw. -katta als Präteritalendung betrachten, statt -ta für ein Auxiliar zu halten, verhalten diese sich paradigmatisch zu den Endungen der finiten Form, -(r)u, -i und (-)da, die dementsprechend als unmittelbare Träger des Tempus Präsens gelten, statt dass diese den sekundären Status eines Präsens par excellence wegen ihres Null-Tempus-Status bekämen.

66

gegebene Dependentsatz unmittelbar abhängt, weisen ein Kennzeichen für eine existierende Dependenzrelation auf. So enthält z.B. der Hauptsatz des Beispiels (2.1), (okaasan {ga / wo}) kitto totemo yorokob-u ((-wa) -yo) 'die Mutter wird sich bestimmt sehr freuen' überhaupt kein Kennzeichen für die Existenz eines dependenten Satzes; er kann an sich ein vollständiger einfacher Satz (simple sentence bzw. one-clause-sentence) sein. Der vorletzte Teilsatz, okaasan ni age{-ru-to / -reba} 'wenn du (bzw. ich/wir/ihr/er/sie/sie) (es) der Mutter gibst' zeigt ein morphosyntaktisches Mittel für seinen Dependens-Status, enthält jedoch keinen Index dafür, dass von ihm selber irgendein Teilsatz abhängen könnte. Dieser Teilsatz kann daher zwar kein selbständiger Satz sein, kann aber zusammen mit dem letzten Satz einen vollständigen komplexen Satz bilden: Okaasan ni age{-ru-to /-reba} (okaasan {ga/wa}) kitto totemo yorokob-u ((-wa) -yo). 'Wenn du (bzw. ich usw.) es der Mutter gibst, wird sie sich bestimmt sehr freuen.' Der drittletzte Teilsatz, nekkuresu o tukut-te (etwa: 'eine Halskette machend / gemacht habend'), enthält ebenfalls nur das Kennzeichen für seinen Dependens-Status und keinen Index für die Existenz eines von ihm abhängigen Teilsatzes. Er kann daher mit den darauf folgenden Sätzen einen vollständigen Satz bilden: Nekkuresu o tukut-te okaasan ni age{-ru-to/-reba} (okaasan {ga/wa}) kitto totemo yorokob-u ((-wa) -yo) 'Wenn du eine Halskette machst und sie der Mutter gibst, wird sie sich bestimmt sehr freuen.' (bzw. 'wenn ich/wir/ihr/er/sie/sie ...') Der vorausgehende Teilsatz auftukat-te (etwa: 'verwendend') zeigt wiederum ein Kennzeichen für seinen eigenen Dependens-Status, jedoch keins für die mögliche Existenz eines von ihm abhängigen Teilsatzes, welcher vor ihm auftreten könnte. Da Möglichkeit dafür aber in der Tat gegeben ist, kann der Satz (sentence) theoretisch unendlich nach vorne erweitert werden, wobei es nur zwei verbindliche Bedingungen gibt, nämlich erstens, dass ein Teilsatz vor dem Satz vorkommen muss, von dem er abhängt (Dependens-KopfReihenfolge), und zweitens, dass jeder Teilsatz ein explizites Kennzeichen für seinen Dependens-Status enthalten soll, welches am Ende jedes solchen Teilsatzes auftreten muss (vgl. Matsubara 1984a). Somit ist Japanisch eine Dependens-markierende Sprache (dependent-marking language, vgl. Nichols 1986) ohne jegliche Kopf-markierende (headmarking) Strategie im Bereich der Relation zwischen den Teilsätzen eines komplexen Satzes, wobei der Kopf (head) aber immer am Ende einer Einheit der geltenden Relation stehen muss. D.h. die syntaktischen Status von Kopf und Dependens werden sowohl morphosyntaktisch durch segmentale Mittel als auch syntaktisch durch die Position unterschieden.

3. Adnominalität und Adverbalität

3.1. Die "Adnominalform" der Prädikate

Wie im Überblick über die Flexionskategorien oben am Anfang des Abschnittes 2.3 erwähnt wurde, nimmt die traditionelle Grammatik des Japanischen eine gesonderte Kategorie "Adnominalform" für Prädikate in der Funktion von Attributen eines Nomens an. Die Adnominalform hatte im klassischen Japanisch bis auf einige Verbstämme ein eigenes morphologisches Kennzeichen, das sich von den anderen Flexionsformen eindeutig unterschied (vgl. z.B. Miyagawa 1989: 199ff., Shibatani 1990: 222; Shibatani übersetzt diese Kategorie als "Attributive"). In der modernen Sprache unterscheidet sie sich jedoch bei den Verben und den Adjektiva nicht von der finiten Form (bei Verben auf -(r)u im Präsens und (ADV>ia im Präteritum/Perfektiv, bei Adjektiven auf -/' im Präsens/Imperfektiv und auf -kat-ta im Präteritum). Allein bei den Nominaladjektiva und Nominalprädikatoren im Präsens hat sie eine eigene, nicht mit der finiten Form identische Gestalt: -na gegenüber -da bei den Nominaladjektiva, wie kiree-na lschöne(/-es/-er)' als Attribut von tama 'Kugel' in (2.1) gegenüber kiree-da 'schön sein' als Hauptsatzprädikat in (2.2a); no gegenüber da beim repräsentativen Nominalprädikator,1 wie (hako no) naka no 'vom Inne(re)n (der Schachtel)' bzw. '(im) Inne(re)n (der Schachtel) seiende(/-es/-er)' als Attribut von tama 'Kugel' in (2.1) gegenüber (hako no) naka da '(im) Inne(re)n sein' als Hauptsatzprädikat in (2.4). Aber auch bei diesen Wortarten ist die Form für die Attributivfunktion im Präteritum/Perfektiv mit der finiten Form identisch: (3.1)

(a) Ano hito {wa/ga} (ima) kiree-da. jen:ADN Person {TOP/NOM} (jetzt) schön.sein-PRÄS 'Jene Person (= sie/er) ist hübsch.' (b) (i) (ima) kiree-na hito (jetzt) schön.sein-PRÄS:ADN Person 'eine/die Person, die (jetzt) hübsch ist'

1

Die Wortklasse der Nominalprädikatoren besteht aus dem Hauptrepräsentantentfa, dessen höflicherer Version des-u und dem schriftsprachlichen Gegenstück dear-u. Das letzte lässt sich in ein analytisches Syntagma aus der adprädikativen Form von da, nämlich de (vgl. (2.10/11 i)), und dem Verb ar-u (etwa 'sein', vgl. (2.1)) zerlegen. Die Adnominalform im Präsens ist bei allen diesen drei no bzw. deren positionsbedingte Variante na (vgl. (3.11) und 3.n3). Das schriftsprachliche dear-u erlaubt auch diese Form, die der finiten Form dear-u gleich ist, neben no (bzw. na) für die Attributivfunktion. Auch der Gebrauch von des-u als Attribut in dieser der finiten Form gleichen Gestalt ist zwar als Hyperkorrektismus in der gesprochenen Sprache oft zu hören, gehört aber noch nicht zu der Norm der Standardsprache.

68 (ii) *(ima) kiree-da (jetzt) schön. sein-PRÄS (3.2)

hito Person

(a) Ano hito {wa/ga} (mukasi) kiree-dat-ta. jen:ADN Person {TOP/NOM} (früher) schön.sein-ADV2-PRÄT 'Jene Person (=sie/er) war (früher) hübsch.' (b) (mukasi) kiree-dat-ta hito (früher) schön.sein-ADV2-PRÄT Person 'eine/die Person, die (früher) hübsch war'

(3.3)

(a) Ano hito {wa/ga} (ima) koosi jen:ADN Person {TOP/NOM} (jetzt) Lektor 'Jene Person (=sie/er) ist (jetzt) Lektor(/Dozent).'

da. NPRÄD:PRÄS

(b) (i) (ima) koosi no hito (jetzt) Lektor N.ADN Person 'eine/die Person, die (jetzt) Lektor ist' (ii) *(ima) koosi (jetzt)

Lektor

da

hito

NPRÄD:PRÄS Person

(3.4) (a) Ano hito {wa/ga} (mukasi) koosi dat-ta. jen:ADN Person {TOP/NOM} (früher) Lektor NPRÄD:ADV2-PRÄT 'Jene Person (= sie/er) war (früher) Lektor.' (b) (mukasi) koosi dat-ta hito (früher) Lektor NPRÄD:ADV2-PRÄT Person 'eine/die Person, die (früher) Lektor war' Man vergleiche dieses Verhältnis mit dem zwischen der attributiven und der prädikativen Form beim Adjektiv und Verb, die durchgehend gleich sind, wie aka-i 'rot sein' als Attribut von tama 'Kugel' in (2.1) und als Hauptsatzprädikat in (2.2b); siehe auch die folgenden Beispiele: (3.5)

(a) Ano hito {wa/ga} (ima) hoso-i. jen:ADN Person {TOP/NOM} (jetzt) dünn.sein-PRÄS 'Jene Person (= sie/er) ist (jetzt) mager.' (b) (ima) hoso-i hito (jetzt) dünn.sein-PRÄS Person 'eine/die Person, die (jetzt) mager ist'

(3.6)

(a) Ano hito {wa/ga} (mukasi) hoso-kat-ta. jen:ADN Person {TOP/NOM} (früher) dünn.sein-ADV2-PRÄT 'Jene Person (= sie/er) war (früher) mager.' (b) (mukasi) hoso-kat-ta hito (früher) dünn.sein-ADV2-PRÄT Person 'eine/die Person, die (früher) mager war'

69

(3.7)

(a) Ki no

tama {wa/ga}

(ima) hako

no

naka ni

ar-u.

HolzN.ADN Kugel {TOP/NOM} (jetzt) Schachtel N.ADN Innen DAT dasein-PRÄS 'Die/Eine Holzkugel ist / (die) Holzkugeln sind (jetzt) in der Schachtel.' (b) (ima) hako no naka ni ar-u ki no tama (jetzt) Schachtel N.ADN Innen DAT dasein-PRÄS Holz N.ADN Kugel 'die Holzkugel(n), die (jetzt) in der Schachtel ist(/sind)' (3.8)

(a) Ki no tama {wa/ga} (kinoo) hako no naka ni at-ta Holz N.ADN Kugel {TOP/ NOM} (gestern) Schachtel N.ADN Innen DAT dasein:

ADV-PRÄT 'Die/Eine Holzkugel war / (die) Holzkugeln waren (gestern) in der Schachtel.' (b) (kinoo) hako

no

naka ni

at-ta

ki

no

tama

(gestern) Schachtel N.ADN Innen DAT dasein:ADV-PRÄT Holz N.ADN Kugel 'die Holzkugel(n), die (gestern) in der Schachtel war(en)'

(3.9)

(a) (Ima) watasi {wa/ga}

anatani

ki

no

tama o

age-ru.

(jetzt) ich {TOP/NOM} du DAT Holz N.ADN Kugel AKK geben-PRÄS 'Ich gebe dir (jetzt) eine Holzkugel / Holzkugeln.'

(b) (ima) watasi ga

anata ni

age-ru

ki

(jetzt) ich NOM du DAT geben-PRÄS Holz 'die Holzkugel(n), die ich dir (jetzt) gebe'

(3.10) (a) (Kinoo) watasi {wa/ga}

anatani

ki

no

tama

N.ADN Kugel

no

tama o

age-ta.

(gestern) ich (TOP/NOM} du DAT Holz N.ADN Kugel AKK geben-PRÄT 'Ich habe dir (gestern) eine Holzkugel / Holzkugeln gegeben.'

(b) (kinoo) watasi ga

anata ni

age-ta

ki

(gestern) ich NOM du DAT geben-PRÄT Holz 'die Holzkugel(n), die ich dir (gestern) gegeben habe'

no

tama

N.ADN Kugel

3.2. Argumente für und gegen die "Adnominalform" Die Beispiele (3.2) und (3.4) bis (3.10) weisen darauf hin, dass die Adnominalität eines Satzes allein durch ein syntaktisches Mittel gekennzeichnet wird, nämlich durch die pränominale Position des Satzes, der sonst ein selbständiger Satz sein kann, weil sein Prädikat dieselbe Form wie das eines Hauptsatzes zeigt. Die Prädikate aller dieser Beispiele stehen in der fmiten Form (im Präsens in der "finiten" Flexionsform im engeren Sinne und im Präteritum in der finiten Form des Prädikatskomplexes, der aus der adprädikativen Form des semantischen Kopfes und dem Tempus/Aspekt-Formans als Finitheitsträger besteht). Erinnern wir uns daran, dass das Auftreten der finiten Form das Ende eines Satzes (sentence) signalisiert, solange dieser keine Konjunktionspartikel unmittelbar folgt. Nur wenn eine explizite Konjunktionspartikel nach der fmiten Form des Prädikates auftritt, kann der betref-

70 fende Satz eine Dependenzrelation zum Hauptsatz bzw. zu einem der folgenden Sätze haben. Daher wird die Adnominalität eines Satzes durch dessen pränominale Position und durch das Fehlen jeglicher morphosyntaktischen Dependenzmarkierung gekennzeichnet.2 Somit ist die explizite Adnominalform eines Prädikates eigentlich redundant, und ihre Postulierung als eigene Flexionskategorie verliert trotz des Vorhandenseins der besonderen adnominalen Form bei den zwei Wortarten den sicheren Boden. Hinzu kommt der Umstand, dass das formale Mittel für die Adnominalität beim Nominalprädikator, einer der beiden Wortarten mit der expliziten adnominalen Form, identisch ist mit dem Mittel der nominalen Attribution, für die man nicht unbedingt einen zugrunde liegenden Satz anzunehmen braucht. In Beispiel (3.3 b i) wurde die Morphemübersetzung von no daher nicht als 'NPRÄD:PRÄS:ADN', d.h. als Adnominalform des Nominalprädikators im Präsens, sondern als 'N.ADN', d.h. als Adnominalisator eines Nomens bzw. einer Nominalphrase angegeben (vgl. auch Mattissen 1995: 28). Somit ist das Nominaladjektiv die einzige Wortart, für die man eine "Adnominalform" als gesonderte Flexionskategorie annehmen müsste. Aber auch hier findet man eine Übergangszone oder eine Überlappungszone zwischen dem Nominaladjektiv und dem Nominalprädikat Während die Form der pränominalen Nominaladjektiva konstant -na aufweist, ist die Form des pränominalen Gegenstückes des Nominalprädikators nicht immer no, sondern positionsbedingt auch na. Die letztere Form muss dann auftreten, wenn das darauf folgende Wort das Formalnomen no ist oder dieses als den ersten Bestandteil beinhaltet, wie im folgenden Beispiel:3 (3.11) ano hito ga koosi na no (o sir-a-na-kat-ta.) jen:ADN Person NOM Lektor NPRÄD:ADN SKOMP (AKK wissen-ADNEG-NEGADV2-PRÄT) '(Ich habe nicht gewusst,) dass jene Person (= sie/er) Lektor ist.' Man vergleiche das folgende Beispiel mit einem Nominaladjektiv: (3.12) ano hito ga yuumee-na no (o sir-a-na-kat-ta.) jen:ADN Person NOM berühmt.sein-PRÄS:ADN SKOMP '(Ich habe nicht gewußt,) dass jene Person (=sie/er) berühmt ist.'

In der gesprochenen Sprache spielt die Prosodie eine entscheidende Rolle: Erstens darf das Prädikat eines Adnominalsatzes keinen sinkenden Ton wie beim Satzabschluss haben; zweitens darf zwischen dieses Prädikat und das direkt darauf folgende Element keine Pause gesetzt werden. Das Formalnomen no hat in erster Linie die Funktion eines Satzkomplementierers. No wird in stark grammatikalisierten bzw. lexikalisierten Syntagmen wie no(-)ni Obwohl', no(-)de 'weil' (beide sind enklitische Satzkonjunktionen am Ende eines Nebensatzes), und no(-)da/des-u (illokutives bzw. perlokutives Auxiliar) nicht mehr als Formalnomen, sondern als unanalysierbares Segment eines Funktionswortes empfunden. In solchen Syntagmen wird no in der Umgangssprache zu n vor d- (seltener vor i-), z.B. nde 'weil' und nda, ndes-u. Während die Form des Nominalprädikators vor no(-) bzw. n- immer na sein muss, kann man bei bestimmten anderen Formalnomina wie koto und hazu eine Schwankung zwischen na und no beobachten. Vgl. die Beispiele (3.16) und (3.20)ff. in 3.3 sowie 3.5. Vgl. auch Mattissen 1995: HOf.

71

Es gibt außerdem ein Wort wie yoo-da 'aussehen, scheinen', dessen Wortartenzugehörigkeit nicht eindeutig ist (vgl. auch Malussen 1995: 110). Hinsichtlich des morphologischen Verhaltens sieht es wie ein Nominaladjektiv aus, weil die pränominale Form unabhängig von der Art des darauf folgenden Nomens immer -na und nie no lautet. Aber in syntaktischer Hinsicht sieht es eher nach einem Nomen mit dem Nominalprädikator da aus, weil ein Nomen, welches vor yoo-da vorkommt, von no begleitet wird, was typisch für die Verbindung zweier Nomina ist: (3.13) (a) Ano

hito

{wa/ga}

koosi no

jen:ADN Person {TOP/NOM} Lektor N.ADN

yoo-da. scheinen-PRÄS

'Jene Person (= sie/er) sieht wie (ein) Lektor aus / scheint Lektor zu sein.' (b) koosi no yoo-na hito Lektor N.ADN scheinen-PRÄS:ADN Person 'Person, die wie (ein) Lektor aussieht / Lektor zu sein scheint' yoo-da hat die weitere nomenhafte Eigenschaft, dass es mit einem attributiven Demonstrativ determiniert werden kann, was nur vor Nomina möglich ist (vgl. (3.15)): (3.14) Sono yoo-da. das:ADN scheinen-PRÄS

'Es scheint so.';'Es sieht so aus.'

Aufgrund dieser nahen morphosyntaktischen Verwandtschaft zwischen dem Nominaladjektiv und dem Nominalprädikat nehmen nicht wenige Linguisten (z.B. Bloch 1946, Shinmura 1955: 2591f.) erst gar keine selbständige Wortart "Nominaladjektiv" an. Sie betrachten die Klasse von Wörtern, die die konstante Form auf na in der pränominalen Position aufweisen, als eine Unterklasse der Nomina. Damit fällt die letzte Hürde für die Aufgabe der Flexionskategorie "Adnominalform".4 So stellen die amerikanischen Strukturalisten wie Bloch und 4

Die meisten japanischen Linguisten, auch Shinmura, nehmen trotzdem weiterhin die traditionelle Flexionskategorie "Adnominalform" an. Sie pflegen nur na, aber nicht no als Adnominalform von da anzugeben. Für sie ist no eine postnominale Partikel, die nicht zum Paradigma des flektierbaren Nominalprädikators, sondern zu dem der Kasuspartikeln gehört. Der Grund für die Annahme von na als Adnominalform von da scheint im System des Klassischen Japanisch zu liegen, in dem die Adnominalform sowohl des Nominaladjektivs als auch des Nominalprädikators nar-u war, die sich von der "fmiten" Form nar-i bei den beiden Wortarten unterschied. Laut Konoshima (1983: 75ff.) ist die heutige "finite" Form da aus der analytischen Verbindung de ar-u entstanden, die auch heute als schriftsprachliche Variante von da gebräuchlich ist (vgl. 3.nl oben), während die pränominale Form na aus dem Paradigma des ursprünglichen Nominalprädikators nar- stammt. Kuno (1973: 25, 1978a: 83, 87) andererseits betont, dass no in solchen Fällen wie (3.3 b) keine "genitive" bzw. "possessive" Partikel, sondern die attributive Form der "copula" da sei. Mattissen (1995: 28) vertritt demgegenüber die Position, dass die "prädizierende" Funktion nicht mit derjenigen der Kopula gleichgesetzt werden könne, da no keine vorzeitige oder negierte Relation ausdrücken kann. Vgl. hierzu (3.26) in 3.3. Mattissen (ibid. p.36f.) betont außerdem, dass Nomina und Nominaladjektiva ("hilfsflektierte Adjektive" nach Mattissen) hinsichtlich ihrer Kontexte und Paradigmen distinkt sind, so dass sie zwei Kategorien bilden.

72

Martin (1952) konsequenterweise keine solche Flexionskategorie wie "Adnominalform" auf - die beiden genannten behandeln na und no zusammen mit da als "Indicative" der Kopula (s. Bloch 1946/69: 22) -. Diese Behandlung ist sicherlich eine der möglichen Analysen, die eine Lösung zu dem Problem bieten, obwohl man dann mit dem neuen Problem der Subkategorisierung der Nomina konfrontiert ist. Denn es müsste dann zum einen zwei Arten von Nomina geben, von denen die eine die Partikel no und die andere na in der pränominalen Position verlangt. Zum anderen müssen die Nomina hinsichtlich des Kriteriums der Determinierbarkeit durch ein attributives Demonstrativ in zwei Unterklassen geteilt werden, weil diejenigen, die wir Nominaladjektiva nennen, doch nicht wie yoo-da in (3.14) durch einen demonstrativen Determinator näher bestimmt werden können:5 (3.15) *Sono {kiree-da/yuumee-da}. das:ADN schön.sein-PRÄS / berühmt.sein-PRÄS Angesichts all dieser Erscheinungen ist jedenfalls zu beobachten, dass hier eine "Squishiness" der Nominalität vorliegt (vgl. Ross 1972, vgl. auch Mattissen 1995: z.B. 45f, 57ff.). Andererseits gibt es auch Argumente für die Annahme der Flexionskategorie "Adnominalform". Das erste Argument ist die Tatsache in der Diachronie, dass es früher mehr Wortarten und Verbstämme mit einer morphologisch eigens gekennzeichneten Adnominalform gab (hierzu gehörte auch das Formans des Präteritums/Perfektivs, dessen Adnominalform tar-u und dessen "finite" Form tar-i war) als solche, deren Adnominalform sich nicht von der "finiten" Form unterschied. Die beiden Flexionsformen sind dann im Laufe der Zeit außer bei den Nominaladjektiva und den Nominalprädikatoren zusammengefallen. Dass sie aber bei diesen zwei Wortarten auch heute unterschieden werden, ist ein ausreichendes Argument für die Annahme beider Flexionskategorien. Das deskriptiv-synchronistische Gegenstück dieser Synkretismusanalyse ist die Annahme einer defektiven Flexionskategorie "Adnominalform", die nur bei den zwei Wortarten vorhanden ist bzw. von der finiten Form unterschieden wird. Das zweite Argument bezieht sich auf die Tempus/Aspekt-Korrelation. Rein deskriptiv betrachtet ist es nicht zu leugnen, dass das Nominalprädikat wie das Nominaladjektiv voll an der Tempus/Aspekt-Opposition beteiligt ist, wie dies aus den Beispielen (3.1) bis (3.10) ersichtlich sein sollte. Man würde darüber keinen Zweifel hegen, dass sich die Verben, wie in (3.7)~(3.10), unabhängig von ihrer Funktion als Hauptsatzprädikat oder als Prädikat eines attributiven Adnominalsatzes an der Tempus/Aspekt-Opposition beteiligen. Dann gibt es keinen Anhaltspunkt, dasselbe nicht auch für das Adjektiv anzuerkennen. Denn die

5

Neben der demonstrativischen Determinierbarkeit gelten auch die Determinierbarkeit mittels eines Adjektivs und das Vorkommen vor einer Kasuspartikel als wichtigste Unterschiede zwischen Nomina und Nominaladjektiva, vgl: "There is a class of words called nominal adjectives. They are adjectival in meaning, but they do not inflect. They share certain characteristics with nouns. [...] At the same time, nominal adjectives are not real nouns; they cannot be used as subjects and objects of sentences and cannot be modified by adjectives" (Kuno 1973: 28f.). Vgl. auch Mattissen 1995: 13f., 24f., 57ff., sowie die Fußnoten 4.n3, 4.nl3 unten.

73 Korrelation zwischen (3.5 a) und (3.6 a), zwischen (3.5 b) und (3.6 b), zwischen (3.6 a) und (3.6 b), sowie zwischen (3.5 a) und (3.5 b) ist dieselbe wie die zwischen den Verbformen. Wenn man das Bestehen der Tempus/Aspekt-Opposition beim Adjektiv sowohl in der prädikativen als auch in der attributiven Funktion anerkennt, gibt es wiederum kein Argument dagegen, dasselbe auch für das Nominaladjektiv anzunehmen. Dass die attributive Form im Präsens nicht wie beim Adjektiv mit der prädikativen Form identisch ist, ist zu schwach als Argument dafür, diese Form aus der Tempus/Aspekt-Korrelation herauszunehmen. Also ist es plausibler, die Form auf -na als wortartspezifische Präsensform des Nominaladjektivs in seiner Attributivfunktion anzunehmen. Wenn man das getan hat, ist es nun sehr schwierig, nur das Nominalprädikat in der Attributivfunktion von der Tempus/Aspekt-Korrelation auszuschließen. Der Nominalprädikator da verhält sich vollkommen paradigmatisch zur Endung -da des Nominaladjektivs, so dass no, das Gegenstück von -na, auch zum Paradigma gehören müsste, wenn man nur diese Korrelationen in Betracht zieht und die Beziehung des attributiven Nominalprädikats zum Nominalattribut ohne Prädikation außer Acht lässt. Die zuletzt genannte Attributsbeziehung ohne zugrunde liegende Prädikation ist das einzige Argument dafür, ein Nomen mit no vor einem weiteren Nomen von der Tempus/ Aspekt-Korrelation auszuschließen, was dann auch als Argument dafür gelten könnte, das sich dazu paradigmatisch verhaltende Nominaladjektiv auf -na vor einem Nomen auch aus derselben Korrelation herauszunehmen. Dann würde man aber dazu gelangen, auch das Adjektiv auf -i, das sich zum Nominaladjektiv auf-«a sowohl syntaktisch als auch semantisch vollkommen paradigmatisch verhält, als eine Form zu betrachten, die sich an der Tempus/ Aspekt-Opposition nicht beteiligt. Dies ist aber angesichts der sauberen morphosyntaktischen Parallelität zwischen dem Adjektiv und dem Verb weder einfach noch plausibel, es sei denn, man findet irgendeine Eigenschaft, durch die sich die Adjektiva nicht nur morphologisch, sondern auch hinsichtlich der Tempus/Aspekt-Korrelation von den Verben klar unterscheiden. Eine Eigenschaft, die diesbezüglich in Frage kommt, ist der Unterschied im Merkmalhaltigkeitsverhältnis, dass die merkmallose Form des Adjektivs (auf -i) einen Zustand im merkmallosen Tempus, das par excellence dem Präsens entspricht, ausdrückt, während die merkmallose Form des Verbs (auf -(r)u) einen inchoativen Vorgang darstellt (vgl. 2.nl5 oben). Der Zustandsausdruck beim Verb verlangt eine analytische Konstruktion mit der adprädikativen Form des Verbs, der Konjunktionspartikel -te und dem Auxiliarverb i-ru 'dasein, bleiben' (vgl. (1.3)). Beim Adjektiv ist hingegen der Ausdruck eines inchoativ-translativen Vorgangs analytisch zu bilden, der aus der adprädikativen Form des Adjektivs auf -ku und dem Verb nar-u 'werden' besteht (z.B. hoso-ku nar-u 'dünn(-er) werden', vgl. (3.5)). Also zeigt das Merkmalhaltigkeitsverhältnis eine Konversion zwischen dem Adjektiv und dem Verb. Es gibt jedoch auch Wörter, die morphologisch Verben sind, aber in ihrer merkmallosen Form keinen Vorgang, sondern einen Zustand ausdrücken. Das ist eine zahlenmäßig kleine Klasse von Zustandsverben, deren Hauptrepräsentanten i-ru und ar-u 'dasein, vorhanden sein' sind (vgl. (2.1), (3.7/8)). Die Zustandsverben teilen mit den Adjektiva die Eigenschaft, den analytischen Zustandsausdruck mit te i-ru/ta nicht anzunehmen (man vergleiche die Terminologie "Eigenschaftsverben" statt "Adjektiva" bei Lewin et al. 1983, vgl. 2.n 10 oben). Somit stellen die Verben und die Adjektiva ein Kontinuum dar, in dem die genannten

74 zwei Kriterien, die Morphologie und der Aspekt der merkmallosen Form, zwei unterschiedliche Schnittpunkte zeigen.6

3.3. Probleme der Behandlung der Markierung pränominaler Nomina

Das pränominale Nomen mit no ist also, wenn auch nicht als Transformationsprodukt der Adnominalisierung des Nominalprädikates, so doch mindestens als dessen syntaktisch bedingtes Gegenstück zu betrachten (vgl. z.B. Bloch 1946, Kuno 1973: 25, vgl. 3.n4 oben). Es mit dem prädikationslosen nominalen Attribut gleichzusetzen und so aus der Klasse der Prädikate auszuschließen, ist aus einigen Gründen nicht problemlos, auch wenn ein unverkennbarer organischer Zusammenhang zwischen den beiden besteht. Ein solcher Grund ist, dass man die Sequenz aus einem Nomen und no vor einem Formalnomen, z.B. einem Satzkomplementierer, doch der Kategorie Nominalprädikat zuschreiben muss, der man die volle Beteiligung an der Tempus/Aspekt-Korrelation nicht absprechen kann. Bei der Satzkomplementierung handelt es sich nicht um nominale Attribution, sondern um Satznominalisierung, auch wenn das verwendete morphosyntaktische Mittel für beide Arten gleich ist (bis auf den Fall vor dem Satzkomplementierer no wie in (3.11), bei dem die kombinatorisch bedingte Form na statt no vorkommt), weil der Komplementierer zur Wortklasse der Nomina gehört und so das diesem vorangehende Wort entsprechend adnominalisiert werden muss. Auch bei Auxiliarisierung mittels eines Auxiliarkomplexes, der mit einem Formalnomen anfängt, muss das diesem vorangehende Wort adnominalisiert werden; in diesem Fall würde

Stellen wir dieses Verhältnis schematisch dar: Morphologische Klasse: Adjektiva vs. Verben (Zustande- u. Vorgangsverben)

Merkmallose Form für: Zustand (Adjektiva und Zustandsverben) vs. Vorgang (Vorgangsverben)

Eine dem Präsens gleiche Aspektkorrelation gilt auch für das Präteritum bzw. den perfektiven Aspekt mit dem Formans - : Zustand in der Vergangenheit mit -kat-ta (vgl. (3.6)) vs. perfektivisch inchoativ-translativer Vorgang mit -ku nat-ta (z.B. hoso-ku nat-ta [dünn-ADV werden:ADV-PRÄT] 'dünn(-er) geworden sein') beim Adjektiv, und perfektivischer Vorgang (inkl. Handlungen) auf(z.B. ne-ta 'schlafen gegangen sein' oder 'geschlafen haben') vs. Zustand in der Vergangenheit mit V:ADV-te i-ta (z.B. ne-te i-ta [Schlafengehen:ADV-CJ DUR-PRÄT] 'am Schlafen gewesen sein') beim Vorgangs verb. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass im Japanischen trotz des Vorhandenseins der Satzkomplementierer (Satznominalisatoren) ein nominalisierter Satz oder ein adnominaler Inhaltssatz nicht strukturell von einem Relativsatz unterschieden werden kann, weil das zur Verfügung stehende morphosyntaktische Mittel für diese beiden gleich ist. Zum Beispiel haben solche Konstruktionstypen wie zu schreiben bzw. dass man schreibt einerseits und die Sache, die man schreibt bzw. das, was man schreibt (zu schreiben hat) andererseits, die im Deutschen strukturell klar voneinander unter-

75 man das Verfahren noch weniger mit der Attribution gleichsetzen wollen. Vergleichen wir die folgenden Sätze (vgl. (3.Iff.)): (3.16) (a) Ano hito {wa/ga} (ima) koosi no(/na) hazu da. Jen:ADN Person (TOP/NOM} (jetzt) Lektor N.ADN MODFN NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (=sie/er) müsste (jetzt) Lektor sein.' (b) Ano hito {wa/ga} (mukasi) koosi dat-ta hazu da. Jen:ADN Person {TOP/NOM} (früher) Lektor NPRÄDMODFN NPRÄD: ADV2-PRÄT PRÄS 'Jene Person (= sie/er) müsste (früher) Lektor gewesen sein.' (3.17) (a) Ano hito wa (ima) yuumee-na hazu da. jen:ADN Person TOP (jetzt) berühmt.sein-PRÄS:ADN MODFN NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (= sie/er) müsste (jetzt) berühmt sein.' (b) Ano hito wa (mukasi) yuumee-dat-ta hazu da. jen:ADN Person TOP (früher) berühmt.sein-ADV2-PRÄT MODFN NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (= sie/er) müsste (früher) berühmt gewesen sein.' (3.18) (a) Ano hito wa (ima)hoso-i hazu jen:ADN Person TOP (jetzt) dünn.sein-PRÄS MODFN 'Jene Person (= sie/er) müsste (jetzt) mager sein.'

da. NPRÄD:PRÄS

(b) Ano hito wa (mukasi) hoso-kat-ta hazu da. Jen:ADN Person TOP (früher) dünn.sein-ADV2-PRÄT MODFN NRÄD:PRÄS 'Jene Person (= sie/er) müsste (früher) mager gewesen sein.'

schieden werden, im Japanischen, mindestens an der Oberfläche, ein gemeinsames Konstruktionsmuster: (a) kak-u koto schreiben-PRÄS Sache So fallen auch die Entsprechungen von "die Geschichte, dass der Nordwind mit der Sonne eine Wette einging" und "die Geschichte, in der der Nordwind mit der Sonne eine Wette einging" zusammen (s. 2.nl). Die einzige Eigenschaft, die einen Relativsatz von einem nominalisierten Satz bzw. von einem adnominalen Inhaltssatz unterscheidet, ist, dass das Nomen, auf das sich der vorangehende Satz bezieht, ein Satzglied dieses Satzes war (d.h. dass das Bezugsnomen bei der Relativsatzbildung aus dem betreffenden Satz herausgenommen und nach "rechts" versetzt wurde), während ein Formalnomen als Satzkomplementierer oder ein Nomen nach einem Inhaltssatz keine Konstituente (Satzglied) des vorangehenden Satzes sein kann (vgl. Matsubara 1984b: 23ff.). Daher kann z.B. kak-u koto dann keine Relativsatzkonstruktion darstellen, wenn ein explizites Objekt vor das Prädikat gesetzt wird, z.B.: (b) {tegami/nanika} o kak-u koto {Brief/etwas} AKK schreiben-PRÄS Sache '{einen Brief/etwas} zu schreiben' bzw. 'dass man (oder ich/wir/du/ihr/er/sie/sie) {einen Brief/etwas} schreibt' Aber da die Satzglieder wie das Objekt usw. im Japanischen weglassbar sind (vgl. z.B. 1.1.9), sind die betreffenden Typen der syntaktisch adnominalen Sätze oft schwer auseinander zu halten.

76

(3.19) (a) Ki no tama {wa/ga} (ima) hako no naka ni Holz N.ADN Kugel (TOP/NOM) (jetzt) Schachtel N.ADN Innen DAT ar-u hazu dasein-PRÄS MODFN

da. NPRÄD:PRÄS

'Die/Eine Holzkugel müsste / (Die) Holzkugeln müssten (jetzt) in der Schachtel sein.' (b) Ki no tama {wa/ga} (kinoo) hako Holz N.ADN Kugel {TOP/NOM} (gestern) Schachtel at-ta dasein:ADV-PRÄT

hazu MODFN

no N.ADN

naka ni Innen DAT

da. NPRÄD:PRÄS

'Die/Eine Holzkugel müsste / (Die) Holzkugeln müssten (gestern) in der Schachtel gewesen sein.' (3.20) (a) Ki no tama wa (ima) hako no naka no(/na) hazu da. Holz N.ADN Kugel TOP (jetzt) Schachtel N.ADN Innen N.ADN MODFN NPRÄD: PRÄS 'Die Holzkugel(n) müsste(n) (jetzt) in der Schachtel sein.' (b) Ki no tama wa (kinoo) hako no naka dat-ta Holz N.ADN Kugel TOP (gestern) Schachtel N.ADN Innen NPRÄD: ADV2PRÄT 'Die Holzkugel(n) müsste(n) (gestern) in der Schachtel gewesen

hazu da. MOD NPRÄD: FN PRÄS sein.'

Man muss in (3.16 a) und (3.20 a) wie in allen anderen Beispielen den Akt der Prädikation erkennen und somit das Mitwirken der dazu gehörigen Tempus/Aspekt-Komponente, die, auch wenn man no nicht als Adnominalform des Nominalprädikators im Präsens anerkennen wollte, mindestens latent vorhanden ist. Diese Sichtweise gewinnt auch dadurch an Plausibilität, dass selbst so ein modales Auxiliarelement wie hazu da, das unzweifelhaft zum Bereich der Prädikation gehören müsste, sich insofern syntaktisch vollkommen nominal verhält, als seine pränominale Form no (bzw. na vor bestimmten Formalnomina) sein muss: (3.21) (ima) koosi no(/na) hazu no(/?na) hito jetzt Lektor N.ADN MODFN N.ADN Person '(eine/die) Person, die (jetzt) Lektor sein müsste' (3.22) ano hito ga (ima) koosi no(/na) hazu no/na koto jen:ADN Person NOM (jetzt) Lektor N.ADN MODFN N.ADN SKOMP 'dass jene Person (= sie/er) jetzt Lektor sein müsste' Alle diese Beispiele sprechen eher dafür, no, das syntaktisch bedingt mit da und temporalaspektuell bedingt mit dat-ta alterniert, als adnominale Präsensform des Nominalprädikators zu analysieren.

77 Ein weiteres Argument für diese Analyse ist die Tatsache, dass das Nominalprädikat an der Modus-Korrelation wie der Opposition zwischen der Negation und der Nicht-Negation ("Assertion" im Sinne des Gegenteils der Negation) beteiligt und das negierte Gegenstück des pränominalen Nomens mit no keine Nominalphrase, sondern ein Satz (clause) ist.8 Vergleichen wir die folgenden Beispiele mit (3.3/4) oben: (3.23) (a) Ano hito wa (ima) koosi de (wa) na-i. jen:ADN Person TOP (jetzt) Lektor NPRÄD:ADV (TOP) NEG-PRÄS 'Jene Person (= sie/er) ist (jetzt) nicht/kein Lektor.' (b) (ima) koosi de (wa) na-i hito (jetzt) Lektor NPRÄD:ADV (TOP) NEG-PRÄS Person '(die/eine) Person, die (jetzt) nicht/kein Lektor ist' (3.24) (a) Ano hito wa (mukasi) koosi de (wa) na-kat-ta jen:ADN Person TOP (frühr) Lektor NPRÄD:ADV (TOP) NEG-ADV2-PRÄT 'Jene Person (= sie/er) war (früher) nicht/kein Lektor.' (b) (mukasi) koosi de (wa) na-kat-ta hito (früher) Lektor NPRÄD:ADV (TOP) NEG-ADV2-PRÄT Person '(die/eine) Person, die (früher) nicht/kein Lektor war' Für die Zugehörigkeit von no zum Paradigma von da spricht femer die Tatsache, dass z.B. in den Beispielen (3.16)~(3.20) ein Element wie die Topik-Partikel wa vorkommen kann, das zu einem Prädikationsakt im Diskurskontext gehört. Bei einer rein nominalen Attribution ohne zugrunde liegende Prädikation hat so ein prädikationsbezogenes Diskurselement wie wa keinen Platz.9 Auch das Vorkommen der postnominalen Partikel ga in den Beispielen Im Japanischen können einzelne Satzglieder nicht für sich negiert werden (anders als im Deutschen, in dem dies möglich ist, wie in den Übersetzungen der unten stehenden Beispiele), sondern nur am Prädikat des Satzes, der das zu negierende Satzglied enthält. Es gibt zwei Strategien für die Negation eines nicht prädikativen Satzgliedes: Entweder, wie in (a), wird das Satzprädikat mit und ohne Negation wiederholt, wobei das zu negierende Satzglied oft mit der Topik-Partikel hervorgehoben wird, oder der negierte Nominalprädikator wird nach dem zu negierenden Satzglied verwendet, wie in (b): (a)

Okaasan ni (wa) age-na-i-de anata ni Mutter DAT(TOP)geben-NEG-ADV3-CJ du DAT 'Ich gebe es nicht der Mutter, sondern dir.'

age-ru. geben-PRÄS

(b)

Okaasan (ni) de (wa) na-ku-te anata ni age-ru. Mutter (DAT) NPRÄD:ADV (TOP) NEG-ADV-CJ du DAT geben-PRÄS 'Ich gebe es nicht der Mutter, sondern dir.'

Zum modal-temporalen Zusammenhang des "appositiven" no mit dem Nominalprädikator da, vgl. Himeno 1993: 95. Man kann aber das Vorkommen von wa auch so erklären, dass die Nominalphrase mit wa nicht zum Adnominalsatz, sondern zum hierarchisch höheren (Matrix-)Satz gehört, dessen Prädikat der Auxiliarkomplex (hazu da) ist. In diesem Fall wäre das mit der Topik-NP koreferentielle Satzglied des hierarchisch tieferen Adnominalsatzes getilgt.

78 (3.11), (3.16a) und (3.22) spricht für die Analyse von no als Flexionsform des Nominalprädikators, weil ga nach einem Nominalattribut eines Nomens nicht vorkommen kann, auch wenn dabei eine gewisse Prädikativität spürbar ist: (3.25) (a) (i) karutago-zin no koogeki Karthago-er N.ADN Angriff 'Angriff der Karthager' (ii) *karutago-zin {ga/gano} koogeki10 (b) Karutago-zin ga

koogeki

o {su-ru/si-ta}.

Karthago-er NOM Angriff AKK {tun-PRÄS/tun:ADV-PRÄT} 'Die Karthager {machen /machten} Angriffe.'

Angesichts dieser Korrelationen müsste man das no zwischen zwei Nomina, das sich sowohl zur Präteritalform des Nominalprädikators dat-ta als auch zu dessen Negationsform im Präsens de (wa) na-i paradigmatisch verhält, als die Form des adnominalen Nominalprädikators im merkmallosen Tempus und Modus betrachten. Veranschaulichen wir die bestehenden Verhältnisse in Form einer Matrix: (3.26)

_\z

no

da

dat-ta

de (wa) na-i

de (wa) na-kat-ta

pränomininal

+

-

+

+

+

Hauptsatzprädikat

-

+

+

+

+

Präteritum

-

-

+

-

+

Negation

-

-

-

+

+

Wenn wir an diesem Befund festhielten und daraus eine geradlinige Folgerung zögen, müssten no als adnominale Präsensform des Nominalprädikators und no als Kennzeichen eines nominalen Attributes (bzw. als Konnektor zweier Nomina, wobei wegen der strikten syntaktischen Regel der Endstellung des Kopfes das erste das Attribut und das letzte der Kopf sein muss) eine reine Homophonie ohne funktionalen Zusammenhang darstellen, ähnlich wie die Homophonie zwischen no als Adnominalitätskennzeichen der beiden oben genannten Arten und dem Formalnomen no als Satzkomplementierer. Um dieses wirklich anzunehmen, ist die Beziehung der beiden Arten von Adnominalkennzeichen aber allzu 10

Während die Verbindung karutago-zin ga no koogeki gänzlich ungrammatisch ist, ist die Version karutago-zin ga koogeki zwar nicht als eine Nominalphrase, aber als ein elliptischer Satz mit Weglassung des vorhersagbaren Verbs su-ru (bzw. si-ta) 'tun* akzeptabel, z.B. als Überschrift eines Zeitungsartikels. Die Eindeutigkeit der Lesung dieser Sequenz als eines elliptischen Satzes beruht gerade auf der Unmöglichkeit des Vorkommens von ga nach einem nominalen Attribut. Vgl. auch 3.6.

79

organisch, so dass man nach einer Möglichkeit suchen möchte, die beiden irgendwie einheitlich zu behandeln. Schließlich würde man de im Französischen oder o/im Englischen, die dem japanischen no sowohl funktional als auch syntaktisch sehr ähnlich sind (z.B. la ville de Paris, the city of New York = New York City, tookyoo no mati 'Stadt (von) Tokyo', 'Tokyo, die Stadt'), nicht in zwei homophone Wörter teilen wollen und müssen, von denen das eine die adnominale Form des Verbs etre bzw. be und das andere die Präposition wäre.

3.4. Versuche einer einheitlichen Behandlung der Markierung pränominaler Nomina 3.4. l. Konvertierbarkeit mit Prädikationsversion Der Versuch, die formale Einheit von no auch bei der syntaktischen Analyse ohne Spaltung in zwei Wortarten einheitlich zu behandeln, indem man jedem adnominalen Nominalelement mit no eine Prädikation mit dem Nominalprädikator zugrunde legt (vgl. Fillmore 1968: 47ff.), scheitert aber auch, weil nicht jede Verbindung zweier Nomina mittels no sich auf eine Prädikation zurückführen lässt. So kann man die Verbindung hako no naka [Schachtel N.ADN Innen] 'Inneres/Innenraum der Schachtel' im Beispiel (2.1) nicht in einen Satz transformieren, während (hako no) naka no (ki no) tama [(Schachtel N.ADN) Innen N.ADN (Holz N.ADN) Kugel] '(hölzerne) Kugel(n) im Inneren (der Schachtel)' wohl in einen Satz wie (2.4) umgewandelt werden kann. In gleicher Weise kann der Verbindung koosi no hito (Lektor N.ADN Person) 'Person, die Lektor ist' in (3.3 b) ein Satz wie (3.3 a) zugrunde gelegt werden, während für so eine Verbindung wie koosi no kodomo (Lektor N.ADN Kind) 'ein/das Kind des Lektors' keine analoge Satzbildung möglich ist. Um die morphosyntaktische Korrelation zwischen der nominalen Verbindung und der prädikativen Satzversion zu verdeutlichen, geben wir die oben angegebenen Beispiele hier wieder und vergleichen mit diesen die anderen, nicht möglichen S atz Versionen: (3.3)

(b') (a')

(3.27) (a) (b)

koosi

no

hito

Lektor

N.ADN

Person

'eine/die Person, die Lektor ist'

Ano hito {wa/ga} koosi da. jen:ADN Person {TOP / NOM} Lektor NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (=sie/er) ist Lektor(/Dozent).' koosi

no

kodomo

Lektor

N.ADN

Kind

'das/ein Kind des Lektors'

(*) (Ano) kodomo {wa/ga} koosi da.

Der Satz (3.27 b) wird dann akzeptabel, wenn er '(jenes) mein/unser/sein/ihr Kind ist Lektor' bedeuten soll. Dann müsste auch die entsprechende Nominalverbindung (3.27 a)

80 nicht 'das/ein Kind des Lektors', sondern 'das/ein Kind (von mir/uns/dir/euch/ihm/ihr/ihnen), das Lektor ist' bedeuten. Wenn das attribuierte Nomen aber keine Personenbezeichnung ist und eine solche appositiv-äquative Lesung daher nicht zulässt, ist die Satzversion trotz ihrer syntaktischen Grammatikalität ("well-formedness") gänzlich unakzeptabel: (3.28) (a) (b)

koosi

no

hon

Lektor

N.ADN

Buch

*(Ano)

hon

jen:ADN Buch

'das/ein Buch / (die) Bücher des/eines Lektors'

{wa/ga}

koosi da.

{TOP/NOM}

Lektor NPRÄD:PRÄS

Ähnlich wie die Possessionsrelation verhalten sich die Teil-Ganzes-Relation und die dieser nahe verwandten Relationen: (3.29) (a) koosi Lektor

(b) *(Ano)

no

kao

N.ADN

Gesicht

kao

jen:ADN

(3.30) (a) hako Schachtel

{wa/ga}

'das Gesicht des Lektors' koosi

da.

Gesicht {TOP/NOM}

Lektor

NPRÄDrPRÄS

no

'Innen/Inneres der Schachtel'

naka

N.ADN Innen}

(b) (*) (Ano) naka jen:ADN

{wa/ga}

Innen {TOP/NOM}

hako

da.

Schachtel NPRÄD:PRÄS

(3.30 b) wäre akzeptabel, wenn es sich um die folgende Bedeutung handelt: 'Im Inneren jenes/dessen (d.h. des im Satz nicht explizit genannten Behälters) ist eine Schachtel / sind Schachteln'. Aber dann müsste die nominale Entsprechung nicht wie (3.30 a), sondern umgekehrt - also mit Konversion - lauten: (3.30) (c) naka Innen

no

hako

'Schachtel(n) im Inneren'

N:ADN

Schachtel

Die unmittelbare Satzentsprechung von (3.30 c), die dem Muster in (3.3) analog gebildet wird, ist aber nicht (3.30 b), sondern (3.30 d): (3.30) (d) (Ano)

hako

jen:ADN Schachtel

'Jene/die

wa

naka

TOP Innen

da. NPRÄD:PRÄS

Schachtel(n) ist(/sind) drinnen.'

Das Verhältnis zwischen (3.30 c) und (3.30 d) ist gleich wie das zwischen (3.31) unten und (2.4'): (3.31) hako no naka no ki Schachtel N.ADN Innen N.ADN Holz 'Holzkugel(n) in der Schachtel'

no N.ADN

tama Kugel

81

(2.4') Ki

no

tama

Holz N.ADN Kugel

wa

hako

no

naka

TOP

Schachtel N.ADN Innen

da. NPRÄD:PRÄS

'Die Holzkugel(n) ist(/sind) in der Schachtel.' Bei den Sachverhalten von (3.30 c/d) und (2.4 / 3.31) handelt es sich um Lokation, die im Gegensatz zum reinen Relationssachverhalt wie in (3.30 a), der der Teil-Ganzes-Beziehung sehr nahe steht, prädizierbar ist (vgl. Seiler 1983a). Somit scheint die Möglichkeit, eine nominale Verbindung in einen Satz umzuwandeln, von der Art der Relation zwischen den Bezeichneten der beiden mittels no verbundenen Nomina abzuhängen. Eine unmittelbare Folge daraus ist, dass die Verbindung zweier Nomina mittels no kein Transformationsprodukt ist, das erst durch Relativsatzbildung aus einem anfänglichen Satz entsteht, oder zumindest nicht sein muss. Es handelt sich vielmehr um eine sachverhaltsmäßige Entsprechung zwischen einer nominalen Verbindung und einem Satz mit einem Nominalprädikat, die aber nicht bei jeder nominalen Verbindung vorhanden ist, sondern von der jeweiligen Art der Beziehung der Bezeichneten der verbundenen Nomina abhängt. So würde das Beispiel (3.31) mit dreimaligem Vorkommen von no rein formal betrachtet mindestens drei Satzentsprechungen haben, von denen aber nur eine, nämlich der Satz in Beispiel (2.4'), wirklich möglich ist. Somit muss no zwischen zwei Nomina allein wegen des Unterschiedes in der Möglichkeit der Satztransformation nicht in zwei Wortarten geteilt, geschweige denn als Homophonie ohne funktionalen Zusammenhang betrachtet werden. Es gibt einen gemeinsamen funktionalen Nenner für die beiden Arten: Relationierung zweier Nomina, wobei das erste als Dependens des zweiten die Nominalphrase expandiert, deren Kopf das letztere ist.

3.4.2. Nominalität der Formalnomina Diese formal-syntaktische Relation gilt auch für die Satzkomplementierung oder die Auxiliarisierung mittels eines Formainomens, denn dieses ist der syntaktische Kopf einer expandierten Nominalphrase und übt die Funktion einer unmittelbaren Konstituente im hierarchisch höheren (Matrix-)Satz aus. So zeigt das Formalnomen hazu im Auxiliarkomplex in den Beispielen (3.16)ff. einige der typischen Eigenschaften eines vollwertigen Nomens: Es kann durch ein adnominales Demonstrativ determiniert werden (vgl. (3.14)), - es tritt dann nicht als Auxiliar, sondern als Kernelement eines alleinigen Hauptprädikates auf - und es kann zwar in den meisten Fällen keine nominale Adjunktfunktion ausüben, aber in bestimmten Fällen doch von einem postnominalen Adjunktmarkierer wie ga begleitet werden und so doch als quasi-nominales Adjunkt auftreten: (3.32) Sono hazu da. dasrADN MODFN NPRÄD:PRÄS

'Es müsste (so) sein.' ('Es ist bestimmt so.')

(3.33) Sonna hazu {wa/ga} na-i. solch:ADN MODFN {TOP/NOM} nicht.vorkommen-PRÄS 'Es kann doch nicht (so) sein.'

82 Da sono und sonna attributiv determinierende Modifikatoren eines Nomens sind, dürften die Teilsätze vor hazu in (3.16)ff., die denselben Platz (slot) wie sono einnehmen, auch, zumindest rein syntaktisch, als attributive Modifikatoren betrachtet werden. So könnten die von no begleiteten Nomina vor hazu in (3.16 a) und (3.20 a) als solche verstanden werden, die die hazu als Kopf enthaltende Nominalphrase modifikatorisch expandierten (vgl. Mattissen 1995: 95ff., bes. 107f. zu einer ausführlicheren Diskussion dieses Punktes). Evidenz dafür bietet, dass dieselben Teilsätze in den Slot von sonna in (3.33) passen, in dem hazu wegen der Begleitung durch eine postnominale Partikel einen höheren Grad von Nominalität aufweist, z.B.: (3.34) Ano hito {wa/ga} (ima) koosi jen:ADN Person (TOP/NOM) (jetzt) Lektor

no(/na) hazu ga na-i. N.ADN MODFN NOM nicht.vorkom men -PRÄS 'Jene Person (= sie/er) kann (doch) nicht (jetzt) Lektor sein.'

Formalnomina, die die Rolle eines Satzkomplementierers spielen, verhalten sich ähnlich. koto, das in (3.22) als Komplementierer auftrat, zeigt sogar stärkere Nominalität als hazu, denn es kann von jeder postnominalen Partikel begleitet werden und so jede Adjunktrolle in einem Satz spielen, z.B. (vgl. (3.12)): (3.35) ano hito ga koosi dat-ta koto {wa/o} sir-a-na-kat-ta. jen:ADN Person NOM Lektor NPRÄD: SKOMP {TOP/AKK wissen-ADNEGADV2-PRÄT NEG-ADV2-PRÄT 'Ich habe nicht gewusst, dass jene Person (= sie/er) Lektor war.' Wenn der Inhalt des Komplementsatzes anaphorisch aufgenommen wird, wird auf ihn durch einen demonstrativen Determinator wie sono und sonna Bezug genommen: (3.36) (a) Sono koto {wa/o} sir-a-na-kat-ta. das.ADN Sache {TOP/AKK} wissen-ADNEG-NEG-ADV2-PRÄT 'Ich habe das (= die Sache/Angelegenheit) nicht gewusst.' (b) Sonna koto wa(/o) sir-a-na-kat-ta. solch:ADN Sache TOP(/AKK) wissen-ADNEG-NEG-ADV2-PRÄT 'Ich habe so etwas nicht gewusst.' In (3.36) tritt koto nicht als Komplementierer, sondern als Vollnomen auf, das hinsichtlich des semantischen Gehaltes zwar minimal ist, aber ein vollkommen nominales syntaktisches Verhalten zeigt. Daher muss koto in (3.35) nicht unbedingt als Formalnomen in der Funktion eines Satzkomplementierers analysiert werden, sondern kann durchaus als Vollnomen mit der Bedeutung 'Tatsache' oder 'Angelegenheit' betrachtet werden, das durch den vorangehenden adnominalen Inhaltssatz expandiert wird. Diese Annahme wird durch die Austauschbarkeit von koto mit einem noch nomenhafteren Wort wie zizitu Tatsache' im Fall von

83 (3.35) oder mit hanasi 'Geschichte (das, was man erzählt), Angelegenheit, Sache' wie in (3.37) und (3.38) gestützt: (3.37) Ano hito ga jen:ADN Person NOM

koosi dat-ta Lektor NPRÄD:

{koto/hanasi} o ki-i-ta. {Sache/Geschichte} AKK hören-ADV-

ADV2-PRÄT

PRÄT

'Ich habe (die Sache darüber) gehört, dass jene Person (= sie/er) Lektor war.' (3.38) (a) Sono {koto/hanasi} o ki-i-ta. das:ADN {Sache/Geschichte} AKK hören-ADV-PRÄT 'Ich habe die Sache darüber gehört.' (b) Sono das:ADN

{koto/hanasi}

o

{Sache/Geschichte} AKK

{i) kik-/ii) sir-}-a-na-kat-ta. (i) hören-/ii) wissen-J-ADNEG-NEG-

-ADV2-PRÄT 'Ich habe die Sache darüber nicht {i) gehört / ii) gewusst}.' Somit erhält die Analyse des von no begleiteten Nomens vor koto wie in (3.22) als attributivmodifikatorische Erweiterung der Nominalphrase, deren Kopf koto ist, ein starkes Argument. Nur die Möglichkeit des Vorkommens von na neben no vor koto wie in (3.22) stört diese Analyse, weil na, das nicht wie vor dem Komplementierer no durch Dissimilation von no vor dem gleichlautenden Wort erklärt werden kann, doch darauf hindeutet, dass koto nicht den Status als Vollnomen, sondern als satzkomplementierendes Formalnomen hat, und zugleich den Prädikatsstatus von na (vgl. auch Mattissen 1995: 105f.). Der Satzkomplementierer no, vor dem ein Nomen nie von no, sondern nur von na begleitet wird (vgl. (3.11)), ist im Vergleich zu koto noch wesentlich weniger nomenhaft (vgl. Mattissen 1995: 109ff.). Er hat keinen semantischen Gehalt und kommt nie als syntaktisch selbständiges Nomen vor. Es kann daher nicht wie koto und hazu durch ein attributives Demonstrativ determiniert werden. Andererseits zeigt no als Satzkomplementierer insofern einen stärkeren Grad von syntaktischer Nomenhaftigkeit als hazu, als es von jeder postnominalen Partikel begleitet werden und so grundsätzlich jeden Adjunkt-Slot einnehmen kann. Der Satzkomplementierer no funktioniert also als Platzhalter des syntaktisch unentbehrlichen Kopfes einer Nominalphrase im Matrixsatz. Er muss daher verschwinden, wenn ein selbständiges nominales Satzglied als Kopf der betreffenden Nominalphrase auftritt, wie bei der anaphorischen Pronominalisierung des ganzen Komplementsatzes durch sore in (3.39), das syntaktisch Nomen-Status hat: (3.39) Sore {wa/o} sir-a-na-kat-ta. 'Ich habe das nicht gewusst.' das {TOP/AKK} wissen-ADNEG-NEG-ADV2-PRÄT Anders als koto, das wie in (3.36) auch bei der anaphorischen Absorption des Komplementsatzes erhalten bleiben kann, hat no nur diese Möglichkeit, oder die Möglichkeit, durch koto ersetzt zu werden und die Form wie (3.36) anzunehmen. Der letztere Punkt, die Ersetzbarkeit von no durch koto, weist, neben der syntaktischen Eigenschaft der Ausübung jeder Adjunkt-

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funktion, auf die Zugehörigkeit von no zu der paradigmatischen Klasse der Nomina hin. Folglich nimmt das letzte Nomen des Komplementsatzes, das das Prädikatsnomen dieses Satzes ist, die Markierung an, die derjenigen der nominalen Expansion gleich ist, nämlich "eigentlich" no, das, mindestens rein deskriptiv und synchronisch betrachtet, vor dem homophonen Formalnomen no zu na dissimiliert wird (vgl. Fußnoten 3.nl, n3 und n4).

3.5. Ein Kontinuum zwischen Nominalprädikator und Nomen-Nomen-Konnektor Auch wenn wir no als Mittel der Expansion einer Nominalphrase durch ein weiteres Nomen, das eben die no-Markierung erhält, erkennen und die Form na als kombinatorische Variante dieses no behandeln und so alle Verbindungen zweier Nomina Nl no/na N2 der Expansion einer Nominalphrase ohne Prädikationsakt zuschreiben wollen, bleibt das Problem der Behandlung von na doch noch bestehen, weil dieses, wie schon oben erwähnt, auch vor solchen Formalnomina wie koto und hazu vorkommen kann, was durch die lautliche Dissimilation von no nicht erklärt werden kann. Entweder müsste man hier eine Schwankung zwischen no und na annehmen, die, wahrscheinlich wegen der Paradigmatizität zum Satzkomplementierer no, nur vor Formalnomina beobachtet wird. Oder man müsste na doch nicht als kombinatorische Variante des Nomen-Nomen-Konnektors no, sondern als adnominale Präsensform des Nominalprädikators anerkennen, zumal Adnominalsätze vor diesen Formalnomina sonst weitgehend die Eigenschaften eines Satzes aufweisen wie Tempus/ Aspekt/Modus-Korrelation, Vorkommen eines prädikationsbezogenen Diskurselementes wie der Topik-Partikel wa (aber grundsätzlich nicht bei Satzkomplementierung, sondern nur bei Auxiliarisierung, vgl. (3.11/12), (3.22), (3.35), (3.37) vs. (3.13)ff., (3.34)), und Kodierungsart der Partizipanten, die auf deren nicht adnominalen syntaktischen Status hinweist (vgl. (3.25) oben und 3.6f. unten). Wenn man na der adnominalen Präsensform des Nominalprädikators zuschreiben will, stößt man wiederum auf das Problem der Klassifizierung von no nach einem Nomen, da na vor den Formalnomina (außer dem Satzkomplementierer no) mit no weitgehend austauschbar ist (vgl. (3.16 a), (3.20 a), (3.21), (3.22), (3.24)). Außerdem ruft die Tatsache, dass das syntaktisch bedingte pränominale Gegenstück des Nominalprädikators da, wie in Relativsätzen, nicht na, sondern no ist (z.B. (3.3 b i)), einerseits die Frage hervor, ob na wirklich

1

' Die Austauschbarkeit von no und koto hängt aber vor allem vom jeweiligen Matrixsatz-Prädikat ab; z.B. kann koto in (3.37) beim Hauptsatzprädikat kik-u 'hören' nicht durch no ersetzt werden. Ferner hängt die Austauschbarkeit auch vom Tempus des Komplementsatzes ab; z.B. kann koto in (3.35) nach der Präteritalform des Nominalprädikators durch no ersetzt werden, aber ob no in (3.11) nach dem präsentischen Komplementsatz durch koto ersetzbar ist, ist fraglich. Vgl. u.a. Kuno 1973, Nakau 1973, Rickmeyer 1973, Akatsuka 1978, Himeno 1993: 96f.

85 als adnominale Präsensform von da betrachtet werden kann.12 Andererseits weist dieselbe Tatsache doch auf den Prädikatsstatus von no hin. Aber da diese Annahme notwendigerweise zur nicht haltbaren Spaltung von no in zwei Wortarten führen müsste, sollte man sich hier lieber mit einer "squishy" Kategorie bzw., Ross (1972) folgend, mit "der Kategorie Squish" zufrieden geben. Das Kontinuum dieser Kategorie verläuft zwischen dem prädikationslosen Nomen-Nomen-Konnektor no wie in (3.29) und (3.30) und na als adnominalem Gegenstück von da vor dem Satzkomplementierer no wie in (3. 1 1 ), über no als pränominalem Gegenstück von da in Adnominalsätzen wie in (3.3 b i) und no nach einem vollen Teilsatz vor einem Formalnomen wie hazu und koto, vor dem es mit na austauschbar ist. Für dieses Kontinumm ist wiederum ein Kontinuum der Nomenhaftigkeit der beiden betreffenden Nomina maßgebend. Wenn das letzte Nomen, der syntaktische Kopf, einen niedrigeren Grad an Nomenhaftigkeit aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von na vor diesem höher: (3.40) N2 in N l no/na N2 (wobei N l ein Vollnomen sein sollte) (i) N2=

Vollnomen: N2 = Konkretum, z.B.: hito 'Mensch' ((3.3 b), (3.21)) N2 = Abstraktum, z.B.: koogeki 'Angriff ((3.25)) N2 = Relationsnomen, z.B.: naka 'Innen' ((3.31))

(ii) N2 = Formalnomen, das (mindestens teilweise) den Platz (Slot) eines Vollnomens einnehmen kann und durch ein attributives Demonstrativ determinierbar ist: N2 = z.B.:

koto ((3.22), (3.35)ff.) Aazu((3.16)ff.,(3.32)ff.)

(iii) N2 = Formalnomen no, das ohne einen vorangehenden Komplementsatz nicht den Slot eines Vollnomens einnehmen kann und nicht durch ein attributives Demonstrativ determinierbar ist: | Nl naN2 | d.h. Nl na «o, z.B. (3.11) In gleicher Weise ist die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von na höher, wenn das erste, syntaktisch dependente Nomen geringere Nomenhaftigkeit aufweist: 12

Für die Verfasserin sind nicht nur no, sondern auch na vor einem Relativsatzbezugsnomen wie hito akzeptabel, wenn dieses nach bestimmten sehr prädikativen Nomina wie hantai 'Dagegensein' auftritt, vgl. (3.51). Auch vor Formalnomina wie koto und hazu sowie vor yoo zieht die Verfasserin na vor. Ob diese Bevorzugung von na vor no zu den Archaismen gehört, die in Dialekten besser als in der Standardsprache erhalten geblieben sind (die Verfasserin selbst stammt aus dem nordöstlichen Dialektgebiet), oder im Gegenteil zu den Neologismen, für die der Einfluss der Nominaladjektiva wegen der gemeinsamen Prädikatseigenschaft maßgebend sein dürfte, vermag sie zwar nicht zu beurteilen, aber laut Konoshima (1983: 75ff.) soll na die ältere Form gewesen sein, die nach und nach durch no ersetzt wurde. Vgl. 3,n4 oben.

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(3.41) N l in Nl no/na N2 (wobei N2 ein Vollnomen sein sollte) (i a) N l = Vollnomen (vgl. (3.40)): N l no N2 (i b)Nl = koto: Nl no N2, d.h. ... koto no N2 (ii) Nl = hazu: Nl no(/?na) N2, d.h. ... hazu no(/?na) N2 (iii) Nl = yoo: Nl na N2, d.h. ... yoo na N2 (es ist für den Satzkomplementierer no nicht möglich, die Position von N l in Nl no/na N2 einzunehmen) Aus dem Zusammenspiel der Skalen beider Arten ergibt sich ein Kontinuum wie das folgende: (3.42) (i) N l no/*na N2 N l = Vollnomen oder koto N2 = Vollnomen (ii) Nl no/?naN2 N l = hazu N2 = Vollnomen

z.B. (3.3 b) koosi no hito

z.B. (3.21) (koosi no/na) hazu no/?na hito

(iii) N l no/na N2 z.B. (3.22) koosi no/na (koto/hazu/yooj N l = jedes Nomen außer yoo und no N2 = Formalnomen außer no (iv) N 1C ?)no/na N2 N l = hazu N2 = koto (v) N l *no/na N2 (a) Nl = yoo N2 = jedes Nomen (b) Nl = jedes Nomen

z.B . (3.22) (koosi no/na) hazu ( ?)no/na koto

z.B. (3.13 b) (koosi no/na) yoo(-)na hito z.B. (3.1 1) (ano hito ga) koosi na no

Insgesamt ist die Dominanz von no vor na im nominalen Breich unverkennbar. Unverkennbar ist aber auch, dass die Zunahme der Möglichkeit des Vorkommens von na die Zunahme der Prädikativität widerspiegelt.

13

Die Verfasserin empfindet einen semantischen Unterschied zwischen Nl no yoo(-daJna) und Nl na yoo(-da/na). Das erstere, z.B. (3.13), bedeutet, dass etwas/jemand so aussieht, als ob es/er X wäre, z.B. in (3.13) dass er/sie so aussieht, als ob sie/er ein Lektor wäre. Das letztere mit na bedeutet hingegen, dass es so scheint, danach aussieht, z.B. Ano hito wa/ga koosi na yoo-da 'Sie/Er scheint (der) Lektor zu sein; Es sieht so aus, dass er/sie (der) Lektor ist.'

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3.6. Adnominalität und Adverbalität nominaler Satzelemente

Trotz der ganzen "Squishiness" um die postnominale Markierung no ist eines aber alles andere als "squishy", vielmehr ganz und gar kategorial, nämlich dass sie die Adnominalität des vorangehenden Nomens eindeutig kennzeichnet. Das Nomen, das von no begleitet wird, hat syntaktisch keine unmittelbare Beziehung zum Prädikat des gegebenen Satzes. So haben keine der mit no markierten Nomina im Beispiel (2.1) (vgl. auch (3.31) hako no naka no ki no tama [Schachtel N.ADN Innen N.ADN Holz N.ADN Kugel] 'Kugel(n) in der Schachtel') irgendeine unmittelbare Beziehung zu einem der Prädikate, hako 'Schachtel' ist auf naka 'Inneres, Innen' bezogen und ki ' auf tama 'Kugel(n)'. In der (i)-Version von (2.1) bzw. in (3.31) ist auch naka auf tama bezogen. Allein der Kopf der expandierten Nominalphrase, tama, das nicht von no begleitet wird und in (2.1) eine andere postnominale Markierung erhält, hat eine unmittelbare Beziehung zum Prädikat tukat-te 'verwenden' (in der adprädikativen Form mit der Konjunktionspartikel -te). In der (ii)-Version von (2.1) hat naka, das nicht von no, sondern von ni begleitet wird, eine unmittelbare Beziehung nicht zum Nomen tama, sondern zum Prädikat ar-u 'dasein', welches das Prädikat des auf tama bezogenen Relativsatzes ist (vgl. (3.7)). Zu betonen ist, dass naka 'Innen', wenn es nicht von no begleitet wird, ein anderes Nomen wie tama nicht modifizieren kann, m.a.W., dass es die Nominalphrase, deren Kopf tama ist, nicht expandieren kann. Es hat nur zum Prädikat eine Dependenzrelation, aber zu keinem Nomen. Eine postpositionale Partikel wie ni im Japanischen ist also kein bloßes spiegelbildliches Pendant einer Präposition der europäischen Sprachen. Man vergleiche das folgende Beispiel, das analog zu der Erweiterung einer Nominalphrase durch eine Präpositionalphrase in diesen Sprachen gebildet ist: (3.43) hako Schachtel

no N.ADN

naka Innen

ni DAT

ki Holz

no N.ADN

tama Kugel

Wenn diese Sequenz die japanische Entsprechung der Nominalphrase 'Holzkugeln in der Schachtel' sein soll, ist sie inakzeptabel, d.h. als Nominalphrase im Japanischen ist sie ungrammatisch. Dies wird im folgenden Beispiel verdeutlicht, in dem das Prädikat nur ein Adjunkt haben kann, so dass die Lokalangabe zur Nominalphrase mit tama gehören müsste: (3.44) (a) *Hako no naka ni ki no tama wa kiree-da. Schachtel N.ADN Innen DAT Holz N.ADN Kugel TOP schön.sein-PRÄS In diesem Fall muss die expandierte Nominalphrase in (3.31) gebraucht werden: (3.44) (b)

Hako no naka no ki no tama wa kiree-da. 'Die Holzkugel(n) in der Schachtel ist(/sind) schön.'

88 Die Sequenz in (3.43) ist aber dann akzeptabel, wenn sie zwei Nominalphrasen darstellen soll. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn das Prädikat, das nach dieser Sequenz auftreten soll, eine Lokalangabe wie mit ni erlaubt. Dass das bei einem Prädikat wie kiree-da 'schön sein' nicht der Fall ist, wurde in (3.44) bereits festgestellt. Ein mögliches Prädikat für (3.43) ist, worauf (2.1) und (3.7) hinweisen, das Verb ar-u: (3.45) Hako no naka ni ki no tama ga ar-u. Schachtel N.ADN Innen DAT Holz N.ADN Kugel NOM dasein-PRÄS 'In der Schachtel ist eine Holzkugel / sind Holzkugeln.' Auch das negative Gegenstück zu ar-u, na-i 'nicht dasein', erlaubt das gleiche Konstruktionsmuster, aber bei dessen translativem Gegenstück, na-ku nar-u [nicht.dasein-ADV werden-PRÄS] 'verloren gehen', ist nur die Version mit einer durch die Lokalangabe expandierten Nominalphrase möglich:14 (3.46) Hako no naka ni (wa) ki no tama ga na-i. Schachtel N.ADN Innen DAT (TOP) Holz N.ADN Kugel NOM nicht.dasein-PRÄS 'In der Schachtel sind keine Kugeln.' (3.47) (a) *Hako no naka ni ki no tama ga na-ku nat-ta. Schachtel N.ADN Innen DAT Holz N.ADN Kugel NOM nicht.da. werden: ADVsein-ADV PRÄT (b) Hako no naka no ki no tama ga naku nat-ta. 'Die Kugel(n) in der Schachtel ist(/sind) verschwunden.' Eine Eigenschaft, in der sich das Japanische von den indo-europäischen Sprachen grundlegend unterscheidet, ist, dass die postpositionalen Entsprechungen der Präpositionen nur mit Hilfe des Adnominalisators no eine Nominalphrase erweitern können. So müssen z.B. kara 'von, aus', e 'nach, zu' und de 'in u.a.' zwar nicht wie ni gänzlich durch no ersetzt, aber doch von diesem begleitet werden: (3.48) (a) Nihon kara no tegami Japan ABL N.ADN Brief

14

'Brief aus Japan'

Dies ist wahrscheinlich deswegen so, weil es normalerweise nicht vorkommt, dass in einem Behälter etwas verloren geht, m.a.W., dass der Ort des Verschwindens ein Behälter ist. Möglich ist hingegen, dass etwas, das vorher in einem bestimmten Behälter war, nicht mehr dort ist. Der betreffende Behälter ist dann nicht der Ort des Verschwindens, sondern dessen Ausgangspunkt. Daher ist beim Satz mit na-ku nar-u 'verloren gehen' die Spaltung der Nominalphrase mittels der ablativischen postnominalen Markierung kara nach der Lokalangabe im Gegensatz zu einer solchen mit ni möglich. Der Verfasserin scheint, dass die Lokalangabe mit ni bei na-ku nar-u auch dann nicht möglich ist, wenn es sich um Magie handelt und der betreffende Behälter in der Tat der Ort des Verschwindens ist. Auch in diesem Fall scheint die Version mit einer durch die Lokalangabe auf no expandierten Nominalphrase adäquat zu sein.

89 (3.49) (a) (i) Nihon e no tegami Japan DIR N.ADN Brief

'Brief nach Japan'

(ii)Nihon e no ryokoo Japan DIR N.ADN Reise

'Reise nach Japan'

(3.50) (a) Nihon de Japan

no

ryokoo

'Reise in Japan'

LOK N.ADN Reise

Wenn die Lokalangaben in diesen Beispielen nicht von no begleitet werden, gehören sie nicht zu der Nominalphrase, deren Kopf jeweils das letzte Nomen ist, sondern zu einem Satz als eine hierarchisch mit der folgenden Nominalphrase gleichrangige nominale Satzkonstituente (um die Konstituentenstruktur eindeutig zu machen, werden für die folgenden Beispiele Übersetzungen mit vorangestellter Lokalangabe gemacht; im Gegensatz zu den deutschen Übersetzungen stellen die japanischen Beispiele aber eine neutrale Beschreibung der betreffenden Sachverhalte dar):15 (3.48) (b) Nihon kara tegami ga ki-ta. Japan ABL Brief NOM kommen:ADV-PRÄT 'Aus Japan ist ein Brief gekommen.' (3.49) (b) (i) Nihon e tegami o ka-i-ta. Japan DIR Brief AKK schreiben-ADV-PRÄT 'Nach Japan habe ich einen Brief geschrieben.' (ii) Nihon e ryokoo o si-ta. Japan DIR Reise AKK tun:ADV-PRÄT 'Nach Japan habe ich eine Reise gemacht.' (3.50) (b) Nihon de ryokoo o si-ta. Japan LOK Reise AKK tun:ADV-PRÄT 'In Japan habe ich eine Reise gemacht.' Wenn die Sequenzen in den (a)-Beispielen von (3.48/49/50) ohne den Adnominalisator no nach kara, e und de vorkämen, würden sie als elliptische Ausdrücke von Sätzen wie in den (b)-Beispielen oben verstanden (z.B. in Überschriften von Zeitungsartikeln), aber nie als eine Nominalphrase. Eine Ambiguität bezüglich der Adnominalität und Adverbalität (bzw. Attribut- und Adjunkt-Status), die bei Adpositionalphrasen in den indo-europäisehen Sprachen grundsätzlich besteht und nur kognitiv-kontextuell ausgeschaltet werden kann (z.B. eine Reise nach Japan machen oder ein Buch über Japanisch lesen/schreiben sind ambig, während

15

Für viele Beispiele wird in den deutschen Übersetzungen als Subjekt die erste Person Singular 'ich'- für nicht interrogative Sätze und die zweite Person Singular - 'du'- für Fragesätze genommen, auch wenn der betreffende Satz an sich mehrere Möglichkeiten zulässt, vgl. (l.lb ii/iii), 1.1.9, Kap. 7 und 8.

90

eine Reise nach Japan buchen oder ein Buch über Japanisch kaufen eindeutig adnominal sein müssten), ist im Japanischen strukturell nicht gegeben.16 Somit ist no das konstante, invariante Mittel der Adnominalisierung eines Nomens bzw. einer Nominalphrase. Wenn nach einem Nomen (mit oder ohne Postposition) no nicht vorkommt, kann es kein erweiterndes Element einer Nominalphrase sein, sondern muss selber der Kopf einer Nominalphrase sein, die eine unmittelbare Satzkonstituente ist und so als adverbale, genauer gesagt als adprädikative, Konstituente nur zum Prädikat des gegebenen Satzes in einer Dependenzrelation steht. Diese Eigenschaft wird von der Wortklassenzugehörigkeit des jeweiligen Prädikates nicht beeinflusst (daher lieber als "adprädikativ" als als "adverbal" zu charakterisieren). Auch Nominalprädikate nehmen (regieren) wie alle anderen Prädikate Nominalkonstituenten ohne Begleitung von no als ihre Adjunkte, z.B.: (3.51) (a) Ano hito {wa/ga} sore ni hantai da. Jen:ADN Person {TOP/NOM} das DAT Gegenstimme NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (= sie/er) ist dagegen.' Man beachte auch, dass die postnominale Markierung m bei der Bildung eines Adnominalsatzes wie unten (3.51 b) erhalten bleibt, während sie bei der Erweiterung einer Nominalphrase durch no ersetzt werden musste (vgl. (3.44)). Das Beispiel (3.51 b) macht im Übrigen deutlich, dass das Prädikat hier aus einem Nomen und dem Nominalprädikator besteht, weil no vor dem Bezugsnomen hito vorkommt:17 (3.51) (b) sore ni das

hantai

DAT Gegenstimme

no

hito

N.ADN

Person

'Person, die dagegen ist'

Der Ersatz von ni durch no ist in (3.51 b) nicht möglich, d.h. er führt zu einer ungrammatischen Konstruktion. Ähnlich wie ni bleibt auch die Markierung mit o nach dem Adjunkt zu einem Nominalprädikat bei der Satzadnominalisierung (hier Relativsatzbildung) erhalten, während sie bei der Erweiterung einer Nominalphrase wie in (3.53 b) durch no ersetzt werden muss:

16

Man kann diese Ambiguität in den indo-europäischen Sprachen natürlich als eine Oberflächenerscheinung betrachten, weil durch Wortstellungsänderung wie Über Japanisch ein Buch lesen/schreiben Disambuguierung leicht erzielt werden kann. Jedoch zeigt so ein Beispiel wie Von Ludwig van Beethoven haben Sie die Klaviersonate Nr.X... gehört (vgl. Matsubara 1984b), dass die Wortstellung allein nicht als Indiz für die Konstituentenstruktur ausreicht, und dass die Unklarheit oder Vagheit hinsichtlich der Adnominal-Adverbal-Unterscheidung als ein Merkmal der indo-europäischen Sprachen angesehen werden dürfte.

17

Der Verfasserin scheint die Form na neben no nach dem Prädikatsnomen hantai 'Gegenstimme, Dagegensein' durchaus möglich zu sein. Neben hantai verhält sich z.B. auch sansee 'Zustimmung, Dafürsein' auf die gleiche Weise. Vgl. die Fußnote 3.nl2.

91 (3.52) (a) Ano kata {wa/gajsoreo go-{zonzi/syooti} da. jen:ADNPerson {T./N.) das AKK HON-{Wissen/Kenntnisnahme} NPRÄDrPRÄS 'Jene (ehrenwerte) Person (= sie/er) weiß es.' (b) sore o

go-{zonzi/syooti}

no

kata

das AKK HON-(Wissen/Kenntnisnahme} N.ADN Person 'Person, die es weiß'

(3.53) (a) Karutago o {koogeki/hakai}-su-ru. Karthago AKK {Angriff/Zerstörung}-tun-PRÄS 'Man greift Karthago an / zerstört Karthago.' (b) Karutago «o

{koogeki/hakai}

'{Angriff/Zerstörung} Karthagos'

Karthago N.ADN {Angriff / Zerstörung}

In gleicher Weise bleibt die Markierung mit ga nach dem Adjunkt eines Nominalprädikates auch bei der Adnominalsatzbildung erhalten. Erinnern wir uns, dass sie bei der Erweiterung einer Nominalphrase wie in (3.25 a) (karutago-zin {no / *ga / *ga no} koogeki 'Angriff der Karthager') durch no ersetzt werden musste: (3.54) (a) (i) Ano hito no okaasan {wa / ga} nihon-zin da. jen:ADN Person N.ADN Mutter {TOP/NOM} Japan-er NPRÄD:PRÄS 'Die Mutter jener Person (= ihre/seine Mutter) ist Japanerin.' (ii) Ano hito wa okaasan ga nihon-zin da. jen:ADN Person TOP Mutter NOM Japan-er NPRÄD:PRÄS 'Jene Person (= sie/er) hat eine japanische Mutter.' (b) okaasan ga nihon-zin no hito Mutter NOM Japan-er N.ADN Person 'Person, deren Mutter Japanerin ist' bzw. 'Person, die eine japanische Mutter hat' Wie bei ni in (3.51 b) wird die Konstruktion in (3.52 b) ungrammatisch, wenn o durch no ersetzt wird. Auch die Akzeptabilität des Ersatzes von ga durch no in (3.54 b) ist sehr gering. Aus diesen Beobachtungen ist soweit klar, dass die nominalen Satzkonstituenten bei einem Nominalprädikat in einer Dependenzrelation eben zu diesem Nominalprädikat, zu dem ein Prädikatsnomen und der Nominalprädikator gehören, steht und nicht zu dem Prädikatsnomen per se. Mit anderen Worten: Die nominalen Satzkonstituenten bei einem Nominalprädikat erweitern die Nominalphrase des Prädikatsnomens nicht (wenn doch, müssten sie selber zum Prädikat gehören). Sie sind selbständige Nominalphrasen, die die Funktion unmittelbarer Satzkonstituenten, also von Prädikatsadjunkten, ausüben. Sie werden auch durch die Adnominalisierung des Satzes wie bei der Relativsatzbildung nicht zum Status nominaler Erweiterungen der Nominalphrase des Bezugsnomens gebracht. Sie gehören zwar zu dem adnominalisierten Satz, der die Nominalphrase des Bezugsnomens endozentrisch expandiert, sind dieser aber nicht unmittelbar untergeordnet. Vielmehr bleiben sie Adjunkte

92 des hierarchisch tieferen Adnominalsatzes und erhalten eine erst durch das Prädikat des Adnominalsatzes vermittelte Beziehung zum Bezugsnomen. Die Struktur einer Nominalphrase, die durch einen Adnominalsatz expandiert wird, ist daher zweischichtig. Die Adjunkte des Adnominalsatzes stehen in einer unmittelbaren Dependenzrelation zum Prädikat des betreffenden Satzes. Das Prädikat des Adnominalsatzes steht seinerseits in einer unmittelbaren Dependenzrelation zum Bezugsnomen. Die Konstituenten sind alle nur in Bezug auf diese unmittelbaren Dependenzrelationen explizit markiert. Heben wir nochmals hervor, dass die nominalen Adjunkte eines Adnominalsatzes keinerlei Adnominalitätskennzeichen erhalten. Das Prädikat des Adnominalsatzes wird hingegen in Bezug auf dessen adnominalen Modifikator-Status morphosyntaktisch eindeutig enkodiert. Da die nominalen Adjunkte des Adnominalsatzes zu dessen Prädikat und dieses zum Bezugsnomen jeweils in einer unmittelbaren Dependenzrelation stehen, erhalten die ersteren eine vermittelte Dependenzrelation zum letzten. Aber die Kodierungsart darf nicht die hierarchische Schicht überspringen. So dürfen die nominalen Adjunkte eines Adnominalsatzes nur hinsichtlich ihrer Relation zum Prädikat markiert werden. Dieses Verhältnis wird auch durch die Ungrammatikalität der folgenden (b)-Beispiele verdeutlicht (vgl. (3.48)ff.): (3.55) (a) Nihon kara Japan ABL

ki-ta tegami kommen:ADV-PRÄT Brief

'Brief, der aus Japan kam'

(b) *Nihon kara no ki-ta tegami (3.56) (a) Nihon e ka-i-ta Japan DIR schreiben-ADV-PRÄT

tegami Brief

'Brief, den ich nach Japan schrieb'

(b) *Nihon e no ka-i-ta tegami (3.57) (a) Nihon de Japan LOK

si-ta tun:ADV-PRÄT

ryokoo Reise

'Reise, die ich in Japan machte'

(b) *Nihon de no si-ta ryokoo Anders als die Beispiele (3.48 a), (3.49 a i) und (3.50 a), in denen das jeweils von einer Postposition begleitete Nomen Nihon 'Japan' die Rolle einer unmittelbaren nominalen Erweiterung einer Nominalphrase spielt, hat dasselbe Nomen in den Beispielen (3.55)ff. nur eine vermittelte Beziehung zu denselben nominalen Köpfen. Die nominalen Konstituenten eines Adnominalsatzes sind auf der hierarchischen Ebene, für die ihre Markierungen gelten, keine adnominalen, sondern adprädikative Nomina. In der linearen Folge eines Satzes sagen die Markierungen nach den Nomina nichts über deren mögliche Beziehung zu einem Nomen aus, sondern nur darüber, dass die Nomina vor ihnen eine Adjunktsrelation zu einem Prädikat haben müssen. Erst durch das Auftreten eines Nomens nach deren Prädikat stellt sich heraus, dass die ersteren Nomina zu dem letzteren eine bestimmte Beziehung haben müssen. Es gibt aber auch in diesem Bereich eine "squishy" Erscheinung, nämlich die, dass eine nominale Konstituente eines Adnominalsatzes eine hierarchische Schicht überspringt und das Adnominalkennzeichen no erhält. Es handelt sich um von ga begleitete Nomina, die in

93

bestimmten adnominalen Satzkonstruktionen die postnominale Markierung no statt ga erhalten, z.B.: (3.58) watasi {ga/no} ich

ka-i-ta tegami 'Brief, den ich schrieb' schreiben-ADV-PRÄT Brief

Die Akzeptabilität von no wird aber schlagartig geringer, wenn im Adnominalsatz eine zusätzliche Konstituente auftritt: (3.59) (a) watasi [ga/ ich

]

Nihon e Japan

ka-i-ta

tegami

DIR schreiben-ADV-PRÄT Brief

'Brief, den ich nach Japan schrieb' Der Grad der Akzeptabilität scheint nicht von der Entfernung zwischen dem betreffenden Nomen und dem Bezugsnomen abzuhängen, weil eine Permutation der beiden Nominalphrasen des Adnominalsatzes die geringe Akzeptabilität von no kaum beeinflusst: (3.59) (b) Nihon e watasi {ga /?? no] ka-i-ta tegami 'Brief, den ich nach Japan schrieb' Der Grund für die geringe Akzeptabilität von no in (3.59 a/b) scheint daher in den hierarchisch ungleichen Relationsmarkierungen zweier Adnominalsatzkonstituenten zu liegen, die zur gleichen hierarchischen Schicht gehören. Während die Markierung mit no den adnominalen Status des vorangehenden Nomens anzeigt und dieses so zum Bezugsnomen unvermittelt relationiert, bleibt das Nomen mit e bei dessen Status eines Adjunktes des Prädikates des Adnominalsatzes. Die beiden Nomina sind aber in ihrer Beziehung zu diesem Prädikat hierarchisch gleichrangig. So ist die Markierung mit ga, die auf einer mit e gleichen hierarchischen Ebene steht, fast obligatorisch. Die alternative Gleichbehandlung der beiden Nomina, sie beide mit dem nominalen Adnominalkennzeichen no zu versehen, ist, wie (3.56 b), nicht möglich:18 (3.59 ) (c) (i) *watasi no Nihon e no ka-i-ta tegami (ii) *Nihon e no watasi no ka-i-ta tegami Dass trotz dieses Grundsatzes die Kennzeichnung mit no statt ga in betimmten Adnominalsätzen möglich ist, scheint mit einem diachronen Vorgang zu tun zu haben, weil ga früher ein postnominales Possessor-Kennzeichen gewesen sein und so die Funktion gehabt haben soll, die heute weitgehend von no getragen wird. l9 18

(3.59 c ii) wird dann in gewissem Maße akzeptabel, wenn nach Nihon e no eine Pause eingelegt wird; in diesem Fall wird der Satz als Addition von (3.49 a i) und (3.58) verstanden.

19

Vgl. z. B. Syromjatnikov 1980: 107, Sugamoto 1982, Konoshima 1983: 99ff., Miyagawa 1989: 199ff., Shibatani 1990: 333ff., Nomura 1993, Yanagida 1993. Im Klassischen Japanisch gab es keine postnominale Markierung für Adjunkte, die heute mit ga markiert werden. Dass ga früher Possessivitätskennzeichen gewesen sein soll, weswegen ga in Adnominalsätzen heute auch durch

94 Abgesehen von dieser einen Ausnahme ist es eine feste Regel, dass ein Nomen mit no keine Adjunktfunktion ausüben kann. Dieses Prinzip hat in nicht adnominalisierten Sätzen keine Ausnahme. No ist das Adnominalitätskennzeichen der Nominalphrase, die eine andere Nominalphrase endozentrisch erweitert. Betonen wir nochmals, dass Nominalphrasen im Japanischen nur dann in der Lage sind, eine andere Nominalphrase zu erweitern, wenn sie mit no vorkommen. Eine Nominalphrase, die zwar von einer postnominalen Partikel, aber nicht von no begleitet wird, kann keine unmittelbare Konstituente einer anderen Nominalphrase sein bzw. werden. Somit sind die Adnominalität und Adprädikativität eines nominalen Elements im Satz im Japanischen morphosyntaktisch klar voneinander unterschieden.

no ersetzt werden kann, deutet daraufhin, dass in der japanischen Sprachgeschichte eine grundlegende Umbildung des Konstruktionsmusters eines Adnominalsatzes stattgefunden haben muss. Dieser muss früher viel mehr Phraseneigenschaften (z.B. wie in Partizipialkonstruktionen in indoeuropäischen Sprachen) als Satzeigenschaften aufgewiesen haben. Im Übrigen ist es schwierig, die Akzeptabilität von no anstelle von ga wie in (3.58) auf Possessivität oder mindestens auf die Affinität zur Possessivität zurückzuführen und z. B. (3.58) etwa als 'mein geschriebener Brief zu interpretieren (oder bei Annahme einer koreferentiellen Tilgung aus der Ausgangsstruktur watasi no watasi ga ka-i-ta tegami 'mein Brief, den ich schrieb'). Denn es gibt dafür zu viele Beispiele der £a/noKonversion, die wenig mit Possessivität zu tun haben, z. B.: (a) watasi ga/no suki-na tyokoreeto 'Schokolade, die ich mag' ich mögen-PRÄS:ADN Schokolade Dieses Beispiel könnte man zwar mit 'meine Lieblingsschokolade' in Verbindung bringen ((a) ist aber nicht unbedingt restriktiv, sondern durchaus auch appositiv interpretierbar), aber das folgende nicht: (b) tyokoreeto ga/no suki-na watasi 'ich, die ich Schokolade mag' Schokolade mögen-PRÄS:ADN ich Eine possessivische Interpretation wird noch schwieriger, wenn es sich um Satzkomplementierung oder Satzadnominalisierung vor einem Formalnomen handelt, z.B.: (c) (i) watasi go/no i-na-i koto 'dass ich nicht da bin' ich dasein-NEG-PRÄS FN(SKOMP) (ii)watasi ga/no i-na-i aida 'während ich nicht da bin' ich dasein-NEG-PRÄS Zwischenzeit Himeno (1993: 96) berichtet von der Analyse von Tanaka (1964), dass die Ersetzbarkeit von ga durch no vor allem von der höheren Nomenhaftigkeit (Vollnomen-Eigenschaft) der beiden betreffenden Nomina, d.h. sowohl des der Partikel vorangehenden Nomens im Adnominalsatz als auch des Bezugsnomens, und von der relativ einfachen, kurzen Struktur der Prädikatsphrase des Adnominalsatzes abhänge. Aber die Beispiele oben würden als Argumente gegen die Bedingung der höheren Nomenhaftigkeit des Bezugsnomens sprechen. Vgl. auch Shibatani 1975.

95

3.7. Adnominalität und Adverbalität von Prädikaten

Genau so wie das nominale Element wird auch das Prädikatselement im Japanischen in Bezug auf dessen Dependenzrelation zum Kopf morphosyntaktisch eindeutig enkodiert. Wie in Kap. 2 und 3.2 oben bereits ausgiebig diskutiert, wird die Dependenzrelation eines Prädikates zu einem anderen durch eine explizite Markierung und seine Dependenzrelation zu einem nominalen Kopf durch das Fehlen einer expliziten Markierung und die pränominale Position jeweils eindeutig gekennzeichnet. Die Nominaladjektiva und die Nominalprädikate im Präsens haben darüber hinaus ein eigenes explizites Adnominalitätskennzeichen. Daher entsteht keine Vagheit der syntaktischen Relation eines Prädikates, das vor einem Nomen bzw. einer Nominalphrase vorkommt. Wenn es kein explizites Dependenzkennzeichen aufweist, ist es ein adnominales Prädikat, das die nachfolgende Nominalphrase endozentrisch erweitert. Wenn es hingegen mit einem expliziten Adprädikativitätskennzeichen auftritt, hat es keine Dependenzrelation zum nachfolgenden Nomen, sondern zu einem nachkommenden Prädikat. So ist das erste Prädikat age-ru 'geben' im Beispiel (2.1) ein adnominales Verb, also das Prädikat eines Adnominalsatzes, das in einer Dependenzrelation zum nominalen Kopf tama 'Kugel(n)' (oder hako 'Schachtel'; zur Ambiguität des Bezugs zu einem der beiden nachfolgenden Nomina vgl. Fußnote 2.n5) steht. Denn es steht in der "finiten" Form, d.h. in der Form, die sonst einen Satz abschließt, ohne Konjunktionspartikel in der Position nicht am Satzende, sondern vor weiteren nominalen Satzelementen. Es hat keine unmittelbare Dependenzrelation zu einem der nachfolgenden Prädikate. Hingegen ist das vorletzte Verb age'geben' in demselben Beispiel ein unmittelbares Dependens des letzten Prädikates yorokob-u 'sich freuen', weil es mit einem expliziten adprädikativen Dependenzkennzeichen, der Konjunktionspartikel to nach der "finiten" Form auf -ru oder der Konditionalform -reba, vorkommt. Wegen des Vorkommens dieses adprädikativen Dependenzkennzeichens kann es kein adnominales Verb sein, das sich auf das nachfolgende Nomen okaasan bezöge. Ferner kann es wegen der strikten syntaktischen Regel der Dependens-Kopf-Reihenfolge nur zu einem nachfolgenden, in diesem konkreten Fall zum letzten, Prädikat eine Dependenzrelation haben. Wenn ein weiteres Prädikat zwischen ihm und dem letzten Hauptsatzprädikat vorkäme, könnte es zu einem der nachfolgenden Prädikate in einer Dependenzrelation stehen. Das zweite Prädikat ar-u 'dasein' in (2.1) ist aus demselben Grund wie beim ersten age-ru 'geben' ein adnominales Verb, das sich auf den nominalen Kopf tama 'Kugel(n)' bezieht. Das dritte prädikatsfähige Wort in demselben Beispiel, kiree-na, ist sowohl durch die pränominale Position und das Fehlen eines adprädikativen Kennzeichens als auch durch die explizite Adnominalform auf -na hinsichtlich seines Status eines attributiven Dependens eines Nomens, hier tama, eindeutig markiert. Das vierte prädikatsfähige Wort, aka-i 'rot sein', ist nicht wie das vorangehende Nominaladjektiv kiree-na, sondern wie die vorausgehenden Verben durch das Fehlen eines adprädikativen Dependenzkennzeichens als adnominales Attribut markiert.

96 Das fünfte prädikatsfähige Wort in (2.1), tukat- 'verwenden', ist hingegen kein adnominales Verb, sondern ein unmittelbares Dependens eines der nachfolgenden Prädikate, weil es zum einem in der adprädikativen Flexionsform steht und zum anderen von der Konjunktionspartikel -te begleitet wird. Auch wenn wir nur ein Fragment des Textes wie unten (3.60 a) hätten, wäre es wegen des expliziten Adprädikativitätskennzeichens eindeutig, dass das Verb tukatin Dependenzrelation zu einem Prädikat steht, das in einer späteren Stelle im Satz vorkommen muss: (3.60) (a) tama o zenbu tukat-te Kugel AKK alles verwenden:ADV-CJ etwa: 'alle Kugeln verwendend eine/die Halskette'

nekkuresu Halskette

Wenn der Teilsatz vor nekkuresu 'Halskette' als Adnominalsatz dieses Nomen erweitern soll, ist (3.60 a) ungrammatisch. In diesem Fall muss das Prädikat in einer der finiten Formen ohne ein nachfolgendes Konjunktionselement stehen: (3.60) (b) tama o zenbu (i) tuka-u/ii) tukat-ta} nekkuresu Kugel AKK alles {verwenden-PRÄS /verwenden: AD V-PRÄT} Halskette 'Halskette, für die man alle Kugeln (i) verwenden sollte / ii) verwendet (hat)}.' Auch das sechste prädikatsfähige Wort, tukut- 'herstellen', ist aus dem gleichen Grunde kein adnominales, sondern ein adprädikatives Dependens. Auf diese Weise werden die Adnominalität und die Adprädikativität auch bei den Prädikaten wie bei den Nominalphrasen strikt voneinander unterschieden. Ein zusätzliches typologisches Merkmal des Japanischen in diesem Zusammenhang ist, dass die Existenz und die Art einer Dependenzrelation nur am Dependens markiert werden. Das Kopf-Element, ob ein nominaler Kopf oder ein Kopf-Prädikat, erhält hingegen keinerlei diesbezügliche Markierung. Der Kopf gibt daher keinen Hinweis darauf, ob es irgendein Dependens von ihm im gegebenen Satz gibt. Diese Eigenschaft steht sicherlich mit dem anderen typologischen Merkmal des Japanischen, der strikten Endstellung des Kopfes, in Zusammenhang. Da das Element, das von einem anderen Element abhängt, mit der expliziten Kodierung der Art seiner Dependenzrelation zuerst vorkommt, weiß man, welcher Kopf zu erwarten ist. Der Kopf braucht daher nur aufzutreten, ohne von sich aus zusätzlich die Existenz und die Art der geltenden Relation spezifizieren zu müssen. Es muss aber unbedingt auftreten, denn sonst bleibt die vom Dependens angekündigte Relation uneingelöst. Diese schwebt sozusagen in der Luft, bis der Kopf auftritt. Japanisch ist somit eine prototypische Dependens-markierende Kopffinale Sprache.

4. Nomen und Adverb

4.1. Adverbien: Inhärent adprädikative Dependenten Oben wurde die explizite Markierung am Dependens bezüglich der Art der geltenden Dependenzrelation als ein typologisches Merkmal des Japanischen hervorgehoben. Es gibt aber auch in dieser Sprache Wörter, die ohne jegliches explizite Kennzeichen als Dependens vorkommen, z.B.:

(4.1) Sugu gleich

kaer-u.

'Ich komme/gehe gleich zurück.'

zurückkehren-PRÄS

Hierzu gehören auch kitto 'bestimmt' und totemo 'sehr' vor dem letzten Prädikat yorokob-u 'sich freuen' in (2.1). Das sind Adverbien, die kein morphologisches Klassenmerkmal haben und eine zahlenmäßig kleine Klasse bilden. Ihre Funktionen reichen vom Ausdruck der Art und Weise1 (z.B.yukkuri 'langsam') über Ausmaß (z.B. totemo 'sehr') und Modalität (z.B. tabun 'vielleicht', doozo 'bitte') bis zur Explizitmachung des Zusammenhangs des nachfolgenden Satzes mit dem vorangehenden Satz bzw. Kontext (z.B. (nao)katu 'femer, darüberhinaus').2 Sie üben aber stets die Rolle eines adprädikativen Dependens aus, weil 1

Die Art und Weise einer Handlung bzw. eines Vorgangs, die in den europäischen Sprachen durch Adverbien ausgedrückt wird, wird im Japanischen allerdings meistens durch die adverbale, d.h. adprädikative, Form der Adjektiva und Nominaladjektiva getragen (vgl. auch Malussen 1995: 16ff.,21),z.B.: (a)

(i) haya-ku aruk-u 'schnell (zu) gehen' bzw. 'ich gehe schnell' schnell.sein-ADV gehen-PRÄS

Vgl.: (ii) asi Fuß

ga haya-i '(die Füße sind schnell =) man geht (immer) schnell' NOM schnell.sein-PRÄS

Die Adverbalform der Nominaladjektiva in der adverbialen Funktion ist aber nicht wie bei den i'-Adjektiva mit der Form für die Prädikatsverbindung, d.h. mit der Form auf -de (vgl. (2.8)) identisch, sondern hat die Endung -ni, z.B.: (b) kiree-ni schön.sein-ADV3 2

tukur-u machen-PRÄS

'(etwas) schön her(zu)stellen', bzw. 'ich stelle (etwas) schön her' usw.

Die sogenannten (freien, d.h. nicht enklitischen) Konjunktionen im Japanischen, z.B. mata 'ferner', sikasi 'aber', gehören von der syntaktischen Funktion her zu der Klasse der Adverbien (vgl. auch Mattissen 1995: 21), weil sie nicht in der Lage sind, zwei oder mehrere selbständige Sätze zu einem komplexen Satz zu verbinden. Für die Satzverbindung sind Flexionsformen des Prädikates bzw. enklitische Konjunktionspartikeln zuständig (vgl. die Diskussionen in Kap. 2 u. 3). Die "freien Konjunktionen" hingegen, die am Anfang eines Satzes (sowohl eines selbständigen Hauptsatzes als auch eines Teilsatzes) stehen, spezifizieren nur die Art des Zusammenhangs des nachfolgenden Satzes mit dem vorangehenden Satz bzw. Kontext. Sie haben meistens eine transparente morphosyntaktische Struktur z.B. als erstarrte Flexionsform (z.B. oyobi 'ferner' aus der adverbalen

98 sie von sich aus, gerade durch ihr Vorkommen, signalisieren, dass sich ein Prädikat als ihr Kopf erwarten lässt. Sie sind daher lexikalische Adprädikativa, denen der Status eines adprädikativen Dependens inhaliert. Einige Adverbien können zwar in bestimmten Fällen adnominal ein Nomen modifizieren (Matsubara 1984b: 6, Rickmeyer 1985: 349f., 1995a: 366f.), aber diese Möglichkeit scheint sich auf Abstrakta, insbesondere auf Relationsnomina (z.B. ue Oben', mae 'Vorne', yoko 'Seite', tonari 'Nachbar(schaft)', migi 'Rechte') zu beschränken (vgl. Malussen 1995:75ff.): (4.2) (a) le no sugu mae ni suupaa ga ar-u. Haus N.ADN unmittelbar Vorne DAT Supermarkt NOM dasein-PRÄS 'Direkt vor (d.h. gegenüber) dem Haus steht ein Supermarkt.' (b) ie no sugu mae no suupaa Haus N.ADN unmittelbar Vorne DAT Supermarkt 'ein Supermark direkt vor (d.h. gegenüber) dem Haus' Das Adverb sugu 'unmittelbar, sofort' steht ohne jedes Kennzeichen unmittelbar vor dem Nomen, das es modifiziert. Wenn es sich hier statt des Adverbs um ein Nomen gehandelt hätte, hätte dieses mit dem Adnominalitätskennzeichen no vorkommen müssen. Daher scheint es das invariante Merkmal eines Adverbs zu sein, dass es ohne jedes Dependenzkennzeichen vor seinem Kopf, egal ob dies ein Prädikat oder ein Nomen ist, vorkommt, was dann als Klassenmerkmal der Adverbien gilt. Allerdings ist zu fragen, ob es sich bei sugu in sugu mae in (4.2) wirklich um ein Attribut eines Nomens handelt, m.a.W.: ob es sich bei sugu mae um eine expandierte Nominalphrase handelt. Denn es ist durchaus denkbar, dass sugu nicht das Nomen mae an sich, sondern das Prädikat modifiziert, in dem mae als Prädikatsnomen enthalten ist. (4.2 b) wäre dann keine reine expandierte Nominalphrase, sondern eine Art Relativsatzkonstruktion, die mit (3.51/52/54 b) vergleichbar ist und aus dem folgenden Satz abgeleitet worden ist: (4.2) (c) Suupaa wa ie no sugu mae da. Supermarkt TOP Haus N.ADN unmittelbar Vorne NPRÄD:PRÄS 'Der Supermarkt ist direkt vor (d.h. gegenüber) dem Haus.'

Form von oyob-u '(er)reichen'), als ursprüngliche Verbindung einer Flexionsform und einer Konjunktionspartikel (z.B. suruto 'dann, darauf aus su-ru 'tun' und der konditionalen Konjunktionspartikel to, vgl. (2.1)), als Verbindung einer adverbalen Konstituente und einer Flexionsform (z.B. sosite 'und, ferner' aus soo 'so', der adverbalen Form si von su-ru 'tun' und der Konjunktionspartikel -te, vgl. (2.7)ff.), als Nominalprädikat in der adverbalen Form (z.B. sorede 'daher, dann' aus sore 'das' und der adverbalen Form des Nominalprädikators de, vgl. (2.10)f.), oder als Verbindung eines Nomens und einer postpositionalen Partikel (z.B. sorekara 'dann, und' aus sore 'das' und kam 'von, aus"; auch das zuletzt genannte Beispiel sorede 'daher, dann' kann eine Verbindung des Nomens sore 'das' mit der postpositionalen Partikel de für Kausalität und Instrumentalität sein. Diese verschiedenen Möglichkeiten haben aber alle den ursprünglichen adprädikativen DependensStatus gemeinsam. Vgl. Ono 1993.

99 Auch wenn man für (4.2 a/b) nicht unbedingt einen solchen Transformationsprozess voraussetzen müsste, ist es doch anzunehmen, dass die adverbiale Modifikation sich auf die Prädikation bezieht, also eben adprädikativ ist, und nicht zur unmittelbaren Attribution eines Nomens dient. Der nominale Kopf adverbialer Modifikation ist daher kein Nomen per se, sondern ein Prädikatsnomen. Die Adverbien lassen sich morphologisch durch das Fehlen jedes grammatischen Segments definieren, das dazu führt, dass sie kein über die einzelnen Lexeme hinausgehendes gemeinsames formales Klassenmerkmal haben. Durch diese Eigenschaft unterscheiden sie sich zwar von den Verben und den beiden Adjektivarten, aber nicht von den Nomina, bei denen genau wie bei den Adverbien kein flexivisches Element vorhanden ist und somit ein formales Klassenmerkmal fehlt. Die Adverbien unterscheiden sich von den Nomina durch ihre syntaktische Eigenschaft, eben ohne postpositionelle Dependenzmarkierung Dependens zu sein.

4.2. Adverbien mit nominalem Verhalten und Nomina mit adverbialem Verhalten

Wir haben soeben die Adverbien und die Nomina anhand ihrer syntaktischen Eigenschaft definiert.3 Aber hier auch gibt es eine "squishy" Zone zwischen den beiden Wortarten. Es gibt nämlich Fälle, in denen Nomina, die sonst nur mit einer postnominalen Markierung die Adjunktsfunktion ausüben können, ohne jegliches solches Kennzeichen in einem Satz vorkommen. Es handelt sich dabei meistens um Zeit- und Mengenangaben (z.B. ima 'jetzt' und zenbu 'alles' in (2.1), itu 'wann', takusan 'viel', sukosi 'wenig'; vgl. Mattissen 1995: 25, 68ff., 78f.), z.B.: (4.3)

Itu {kaer-u/kaet-ta}? wann {zurückkehren-PRÄS / zurückkehren: ADV-PRÄT} 'Wann {kommst(/gehst) / kamst(/gingst)} du zurück?' (bzw. 'ihr/er/sie/sie' statt 'du', auch in den folgenden Fragesatzbeispielen)

(4.4} Itu-ka {kaer-u / kaet-ta} {i). / ii) ?} wann-INDEF {zurückkehren-PRÄS / zurückkehren: AD V-PRÄT} i) 'Ich {komme(/gehe) / kehrte} irgendwann zurück.' (bzw. 'wir/er usw.' statt 'ich', auch in den folgenden nicht interrogativen Beispielen) ii) '{Kehrst/ Kehrtest} du irgendwann zurück?' 3

"Syntaktische" Definition entspricht hier dem, was Sasse (1993) "distributional" nennt und klar von "syntactic" unterscheiden will. Vgl. auch Mattissen 1995: bes. 3, 5f., 22, 58, 112 (vgl. die Fußnote 4.nl3 unten). Mattissen sagt im Übrigen in Bezug auf Adverbien und Nomina Folgendes: "Im Hinblick auf Flexion ist das Nomen nicht gegen das Adverb und nur negativ gegen Verb und Adjektiv abgrenzbar, durch sein Wortbildungspotential unterscheidet es sich von den übrigen lexikalischen Kategorien jedoch schon auf der lexikalischen Ebene. Das primäre kategorienetablierende Kriterium einer lexikalischen Kategorie Nomen im Japanischen ist die Distribution [...]. Nomina stehen in der Umgebung von Kasus, Determinierern und Quantoren sowie der Kopula." (p.22).

100

(4.5)

{Ima / Kyoo / Asita / Kotosi} kaer-u {i). / ii) ?} {jetzt / heute / morgen / dieses Jahr} zurückkehren-PRÄS i) 'Ich komme/gehe {jetzt/heute/morgen/dieses Jahr} zurück.' ii) 'Kommst/Gehst du {jetzt/heute/morgen/dieses Jahr} zurück?'

(4.6)

{Kinoo / Kyoo / Kotosi} kaet-ta {i). / ii) ?} {gestern/heute/diesesJahr} zurückkehren:ADV-PRÄT i) 'Ich kam/ging {gestem/heute/dieses Jahr} zurück.' ii) 'Kamst/Gingst du {gestern/heute/dieses Jahr} zurück?'

Diese Zeitangaben ohne absoluten Zeitbezug erlauben nicht die Begleitung von ni, die bei der Zeitangabe mit nicht-deiktischen, absoluten Zeitbezeichnungen obligatorisch ist ('z.' in der Morphemübersetzung steht für 'zurückkehren'): (4.7) (i)

Nan-nen (no) nan-gatu nan-niti ni {kaer-u/kaet-ta}? was-Jahr (N.ADN) was-Monat was-Tag DAT {z.-PRÄS/z.:ADV-PRÄT) 'Am Wievielten in welchem Monat in welchem Jahr kehr(te)st du zurück?'

(ii) 1993-nen (no) 12-gatu 31-niti ni {kaer-u / kaet-ta}. 'Ich kehr(t)e am 31. Dezember 1993 zurück.' Ähnlich wie ima 'jetzt' in (4.5) verhält sichgenzai 'Gegenwart' als Zeitangabe: (4.8)

{Ima/Genzai} sigotoga na-i. {jetzt / Gegenwart} Arbeit NOM nicht.vorhanden.sein-PRÄS 'Ich habe {jetzt/gegenwärtig} keine Arbeit.'

Dass die Zeitbezeichnungen, die als Zeitangabe ohne ni auftreten, wie diejenigen mit ni zu der Wortart Nomina gehören, wird vor allem durch das obligatorische Vorkommen des Adnominalitätskennzeichens no in der Position vor einem Nomen, dessen Nominalphrase sie endozentrisch erweitern sollen, belegt, z.B.: (4.9)

{i)Itu/ii)Kyoo} no hikooki de {kaer-u/kaet-ta}? {wann/heute} N.ADN Flugzeug INSTR {z.-PRÄS/z.: AD V-PRÄT} i) wörtl.: 'Mit einem Flugzeug von wann kehr(te)st du zurück?' (d.h.: 'Mit welchem Flugzeug ...?') ii) 'Kehr(te)st du mit dem/einem Flugzeug von heute zurück?'

Damit verhalten sie sich gleich wie die Zeitausdrücke, die als adprädikative Zeitangabe ni benötigen, z.B.: (4.10) {a) i) Nan-niti / ii) 31-niti / b) i) Nan-zi / ii) 12-zi} no hikooki de {kaer-u / kaet-ta}? {a) i) was-Tag / ii) 31-Tag / b) i) was-Uhr / ii) 12-Uhr} a) i) wörtl.: 'Mit einem Flugzeug vom wievielten kehr(te)st du zurück?' a) ii) 'Kehr(te)st du mit dem/einem Flugzeug vom 31. zurück?'

101 b) i) wörtl.: 'Mit einem Flugzeug von welcher Uhrzeit kehr(te)st du zurück?' b) ii) 'Kehr(te)st du mit dem Flugzeug von 12 Uhr zurück?' Wie itu 'wann' und kyoo 'heute' in (4.9) müssen auch die anderen Zeitbezeichnungen, die als adprädikative Zeitangabe im Satz ohne ni vorkommen, als Attribute eines Nomens von no begleitet werden, z.B. ima no sigoto 'die jetzige Arbeit', itu-ka no hanasi 'eine Geschichte/ Angelegenheit von irgendwann', kinoo / asita no hikooki 'ein/das Flugzeug von gestern/ morgen'. Somit erfüllen sie das syntaktische Kriterium der Wortklasse Nomen. Andererseits beobachten wir, dass auch Adverbien manchmal mit dem nominalen Adnominalitätskennzeichen no eine Nominalphrase endozentrisch erweitern, z.B. (vgl. (4.1)f.): (4.11) (a) Sugu no kisya de unmittelbar N.ADN Zug INSTR 'Ich fahre mit dem nächsten Zug zurück.'

kaer-u. zurückkehren-PRÄS

(b) Sugu kisya de kaer-u. unmittelbar Zug INSTR zurückkehren-PRÄS 'Ich fahre gleich mit dem/einem Zug zurück.' (4.11 a) ist nicht synonym mit (4.11 b). MUSS sugu 'unmittelbar, sofort' in (4.11 a) aufgrund dieser Eigenschaft als Nomen betrachtet werden? Dann würde es zu denjenigen Zeitbezeichnungen gehören, die als adprädikative Zeitangabe ohne ni vorkommen. Aber es kann nicht vor jedem zu modifizierenden Nomen mit no vorkommen. So ist eine dem Beispiel (4.11 a) analoge Markierung mit no für (4.2) nicht möglich: (4.2') le no sugu *no mae ni suupaa ga ar-u. Haus N.ADN unmittelbar N.ADN Vorne DAT Supermarkt NOM dasein-PRÄS Ferner kann sugu nicht von einem Nomen mit no endozentrisch erweitert werden. Im Beispiel (4.12 a) unten wird sugu von ima 'jetzt' ohne no erweitert. Anders als (4.12 b) sowie (4.5) ist ima in (4.12 a) keine unmittelbare adverbiale Konstituente des Satzes, solange keine eindeutige Intonation bzw. Pause darauf hinweist, dass ima sich unmittelbar auf das Prädikat bezieht: (4.12) (a) Ima *no sugu no kisya de kaer-u. jetzt N.ADN unmittelbar N.ADN Zug INSTR zurückkehren-PRÄS 'Ich fahre mit dem/einem Zug von jetzt gleich.' (b) Ima sugu kisya de kaer-u. (vgl. (4.11 b)) 'Ich fahre jetzt sofort mit dem/einem Zug zurück.' Sugu kann aber vor allem deswegen kein, oder mindestens kein richtiges, Nomen sein, weil es nicht vor jeder postnominalen Markierung, z.B. o (vgl. z.B. (2.1)) stehen kann. Aber die Markierung mit o ist auch bei denjenigen Nomina, die zwar als adverbiale Zeitangabe ohne

102

Markierung, vor einem Nomen jedoch mit no vorkommen, nur in wenigen, stark idiomatisierten Fällen möglich: (4.13) {ima/kyoo} o iki-ru. (jetzt/heute} AKK leben-PRÄS 'für (das) {jetzt/heute} leben' (im Sinne von: 'auf die Gegenwart bzw. den Augenblick Wert legend leben') (4.14) {asu/asita} o nina-u {morgen/morgen} AKK tragen 'morgen (= die Zukunft) tragen/übernehmen' (z.B. in Bezug auf die Jugend) (4.15) {kinoo/mukasi} o hurikaer-u. {gestern/Vergangenheit} AKK zurückblicken-PRÄS '{(auf) das Gestern / die Vergangenheit} zurückblicken' Wenn ein anderes Verb an derselben Position auftritt, welches an sich keine starken Selektionsrestriktionen nominaler Adjunkte vor o aufweist, wird es für Nomina wie ima, kyoo und kinoo schwieriger, die Adjunktfunktion einzunehmen: (4.16) (a) {??ima / ??kyoo / ?kinoo / (?) asita / asu / genzai / kako / ?mukasi} o mitume-ru {jetzt / heute / gestern / morgen / morgen / Gegenwart / Vergangenheit / Vergangenheit} AKK betrachten-PRÄS

'{den Jetzt / das Heute / das Gestern / das Morgen / die Gegenwart / die Vergangenheit} aufmerksam betrachten' Vgl.: (b) {ima / kyoo / kinoo / asita / asu / genzai / kako / mukasi} no koto o kangae-ru Sache denken-PRÄS 'an {Jetzt/ Heute/ Gestern/ Morgen/ die Gegenwart/ die Vergangenheit} denken' Obwohl diese Zeitbezeichnungen alle die Eigenschaft teilen, als adverbiale Zeitangabe ohne ni (vgl. (4.5)ff.) und als adnominales Attribut mit no (vgl. (4.9) und (4.16 b)) auftreten zu können, zeigen sie eine graduelle Abstufung der Nomenhaftigkeit, wie wir in (4.16 a) beobachten. Es gibt bei Zeitbezeichnungen noch eine Erscheinung der graduellen Abstufung. Kako 'Vergangenheit' in (4.16) z.B. gehört zu solchen Zeitbezeichnungen, die sowohl mit als auch ohne ni als adverbiale Zeitangabe gebraucht werden können. Diese Klasse der Nomina lässt sich ferner in drei Hauptgruppen unterteilen, diejenigen, die als adverbiale Zeitangabe das Fehlen von ni bevorzugen, diejenigen, deren Verwendung mit oder ohne ni gleich wahrscheinlich ist, und diejenigen, die bevorzugt mit ni verwendet werden. Listen wir die Möglichkeiten mit einigen Beispielen auf:

ASM ist die schriftsprachliche Variante von asita 'morgen'.

103 (4.17) Zeitangaben (a) ohne ni: - Fragewort itu 'wann' und Wörter mit itu, z.B. itu-ka 'irgendwann'; - deiktische Zeitausdrücke, z.B. ima 'jetzt'; kinoo 'gestern', kyoo 'heute', asita 'morgen', kesa 'heute morgen', saku-fkon-ban 'gestern / heute abend'; - Relationsnomina mit deiktischem Demonstrativum, z.B.: kono mae 'vor kurzem' (b) mit oder ohne ni: (i) bevorzugt ohne ni: Ausdrücke mit deiktischer Komponente wie z.B. sen-/kon-/rai-getu 'letzter/dieser/nächster Monat', mukasi 'früher', genzai 'Gegenwart', syoorai 'Zukunft', kinoo /asita no ban 'gestern / morgen abend' etc. (ii) fakultativ mit oder ohne ni: - die Relationsnomina mae 'Vorne' und go (oder ato, dieses aber grundsätzlich mit ni) 'Nachher' mit Zahl für einen Zeitraum, z.B.: iti-zikan-mae / -go 'vor / in einer Stunde' - absolute Zeitbezeichnungen mit -goro 'ungefähr' wie 12-zi-goro (ni) 'ungefähr um 12 Uhr'; - Tageszeitbezeichnungen wie asa 'Morgen',yoru 'Abend/Nacht' usw.; - Jahreszeitbezeichnungen wie haru 'Frühling' usw. (iii) bevorzugt mit ni: z.B. kako 'Vergangenheit', ban 'Abend' (vgl. jedoch (a), (b i)); Wochentage, z.B. niti-yoobi 'Sonntag' (c) mit ni: absolute Zeit, vor allem mit Zahlen, z.B. 1993-nen 'Jahr 1993', 12-zi '12 Uhr' Die Zeitangaben unter (b) bilden keine sauber voneinander trennbaren kategorischen Unterklassen, sondern insgesamt ein Kontinuum, an dessen einem Pol die Markierung mit ni an der Grenze der Akzeptabilität liegt (z.B. kyonen 'letztes Jahr', rainen 'nächstes Jahr'), während am anderen Pol dieselbe Markierung sich der Obligatorietät nähert (wenn z.B. ban 'Abend' allein und ohne nähere Bestimmung vorkommt, müsste ni danach stehen). Trotz all dieser graduellen Erscheinungen haben die Zeitbezeichnungen ein zusätzliches syntaktisches Kennzeichen eines Nomens gemeinsam, durch das sie sich von der Wortart Adverb abgrenzen. Sie können nämlich durch to koordinativ verbunden werden. Diese Möglichkeit ist nur der Wortart Nomen eigen (vgl. Ono 1993). Weder prädikatfähige Wörter wie Verben, Adjektiva und der Nominalprädikator, noch Adverbien können mittels to koordiniert werden (vgl. (5.16)ff. unten), z.B.:5

5

Nur wenn es sich um eine Verbegrifflichung von Adverbien, wie bei einer metasprachlichen Aussage, handelt, können auch Adverbien durch to koordiniert werden, z.B.: sugu to sassato (to tadatini) no tigai sofort NCO husch (NCO unverzüglich) N.ADN Unterschied 'der Unterschied zwischen sugu und sassato (und tadatini)'

104 (4.18) (a) Sugu kaet-ta. 'Ich kam/ging/fuhr sofort zurück.' sofort zurückkehren:ADV-PRÄT (b) Sassato kaet-ta. 'Ich ging(/u.a.) (unbekümmert) schnell zurück.' schnell zurückkehren:ADV-PRÄT (c) Sugu *to sassato kaet-ta.

'Ich ging(/u.a.) sofort (und) schnell zurück.'

Die syntaktische Relation zwischen den beiden Adverbien ist keine koordinative Expansion einer Adverbialphrase, sondern stellt eine Parallelschaltung der beiden dar, die sich unabhängig voneinander auf das Prädikat beziehen, was zu einer scheinbaren parataktischen Juxtaposition der Adverbien führt (vgl. Ono 1993: 153f.). Wegen des Fehlens eines Kennzeichens, das die Art der geltenden Relation expliziert, ist es bei hintereinander auftretenden Adverbien manchmal doppeldeutig, ob es sich um eine Parallelschaltung oder um Modifikation des zweiten Adverbs durch das erste handelt, z.B.: (4.19) Kitto sugu kaer-u. sicher sofort zurückkehren-PRÄS (i) 'Ich komme/gehe bestimmt und bald zurück.' (ii) 'Ich komme/gehe bestimmt sofort zurück.' Während die koordinative Verbindung der Adverbien nicht möglich ist, ist eine solche Verbindung mittels to selbst bei stark adverbialisierten Zeitbezeichnungen wie kyoo 'heute', kinoo 'gestern' und itu 'wann' nicht nur möglich, sondern, wenn zwei oder mehrere solche Zeitangaben hintereinander auftreten sollen, obligatorisch:6 (4.20) (a) Itu to itu {kaer-u/kaet-ta}? 'Wann und wann kehr(te)st du zurück?' wann NCO wann {z.-PRÄS / z.:ADV-PRÄT} (b) Kinoo to kyoo kaet-ta. gestern NCO heute zuriickkehren:ADV-PRÄT 'Ich kam/ging/fuhr gestern und heute zurück.' Somit scheint es angemessen zu sein, Zeitbezeichnungen wie die genannten als Nomina zu klassifizieren. Es gibt jedoch solche Wörter wie itumo (< itu 'wann' + mo 'auch') 'immer', mainiti 'jeden Tag, täglich', tokidoki (< toki 'Zeit' + toki 'Zeit') 'manchmal' und sibasiba Oft, öfters', die zwar in attributiver Funktion von no begleitet werden müssen, aber sonst kaum nominale Eigenschaften zeigen. So ist ihre Koordinierbarkeit mittels to, wenn nicht gänzlich unakzeptabel, so doch sehr fraglich. Auch die Fähigkeit, vor einer postnominalen Markierung außer no aufzutreten, ist sehr beschränkt. Vor o können sie grundsätzlich nicht vorkommen. Überhaupt scheint nach ihnen keine postnominale Markierung möglich zu sein

Eine Verbindung solcher Zeitbezeichnungen ohne to ergibt Komposita, die eine andere Bedeutung haben als koordinative Verbindungen, z.B. kinoo-kyoo no 'von der letzten Zeit, von der jüngsten Vergangenheit', kyoo-asita no 'von der nächsten Zukunft', kyoo-asita-zyuu (ni) 'demnächst'.

105 außer der Komparationsmarkierung to, die zwar mit Sicherheit etymologisch mit dem Koordinator to verwandt ist, aber anders als dieser vom Kopf, vom Prädikat her gesteuert ("regiert") wird (vgl. Ono 1993: 155ff.). Tokidoki 'manchmal' und sibasiba Oft' erlauben auch diese Option nicht. Geben wir hierfür relevante Beispiele: (4.21) {Mainiti/itumo/ tokidoki / sibasiba} kisya de kaer-u. {täglich / immer / manchmal / oft} Zug INSTR zurückkehren-PRÄS 'Ich fahre {jeden Tag / immer / manchmal / oft} mit dem Zug zurück.' (4.22) {mainiti / itumo} no kisya {täglich/immer) N.ADN Zug 'der Zug von {jedem Tag / immer}' d.h.: 'der Zug jeden Tag' bzw. 'der tägliche Zug', sowie 'der Zug, den ich täglich / immer nehme' (4.23) {tokidoki / sibasiba} no kyuukoo {manchmal/oft} N.ADN Vorlesungsausfall '{gelegentlicher/oftmaliger} Vorlesungausfall' Vgl.: (4.24) {Tokidoki/sibasiba} kyuukoo ga ar-u. {manchmal / oft} Vorlesungsausfall NOM dasein-PRÄS 'Es gibt {manchmal / oft} Vorlesungsausfall.' (4.25) {mainiti / itumo / tokidoki / sibasiba} no koto {täglich/immer/manchmal/oft} N.ADN Sache wörtl.: 'eine/die Angelegenheit von {jedem Tag / immer / ab und zu / öfters}' d.h.: 'das, was {(all-)täglich /immer/manchmal/oft} geschieht' (4.26) (a) {mainiti/itumo} no yoo-ni 'wie {jeden Tag/immer}'(vgl. (3.13)f.) {täglich/immer} N.ADN scheinen-ADV3 (b) {mainiti / tokidoki / sibasiba} no yoo-ni 'fast (wie) {jeden Tag / häufig / pausenlos}' (4.27) {mainiti / itumo/ *tokidoki/ *sibasiba} to {täglich / immer / manchmal / oft} SOZ

{(a)onazi d a / ( b ) tiga-u}. {(a) Gleichsein & NPRÄD:PRÄS / (b) sich.unterscheiden-PRÄS}

(a) 'Es ist (gleich) wie {jeden Tag/ immer.}' (b) 'Es ist anders als {jeden Tag / immer (sonst)}.' In ihrer adprädikativen adverbialen Funktion wie in (4.21) und (4.24) verhalten sich diese Wörter vollkommen paradigmatisch zum Adverb yoku Oft', 7 sie unterscheiden sich aber vom letzteren dadurch, dass sie in der pränominalen attributiven Funktion eben das Vorkommen von no verlangen, während yoku Oft' weder mit noch ohne no ein Nomen attribuieren

7

Yoku ist ein deadjektivales Adverb, das aus der Adverbalform des Adjektivs yo-i 'gut sein' entstanden ist. Die regelmäßige flexivische Adverbalform von yo-i (bzw. i-i) ist ebenfalls yo-ku. Vgl. z.B. (2.9) und Fußnote 4.n l.

106 kann. Ferner kann yoku vor keiner postnominalen Markierung, auch nicht vor to wie in (4.27) auftreten. Von den oben angeführten häufigkeitsbezogenen Zeitbezeichnungen hebt sich mainiti 'jeden Tag' als nomenhafteres Wort ab, weil es zum einen von einem Nomen mit no attributiert werden und zum anderen ähnlich wie kyoo 'heute' in (4.13) in bestimmten Fällen mit o auftreten kann: (4.28) watasi no {mainiti/*itumo/*tokidoki / *sibasiba} ich N.ADN {täglich/immer/manchmal/oft} (4.29) (a) mainiti o iki-ru. leben-PRÄS

'mein Alltag'

'jeden einzelnen Tag (mit Bewusstsein) (er-)leben'

(4.29 a) ist nicht synonym mit (4.29 b): (4.29) (b) mainiti iki-ru.

'jeden Tag leben'

Auf diese Weise zeigen auch die häufigkeitsbezogenen Zeitbezeichnungen ein Kontinuum der Nomenhaftigkeit und Adverbhaftigkeit. Die Wörter, die wir hier behandelt haben, sind im Grad der Nomenhaftigkeit in der folgenden Reihenfolge anzuordnen: (4.30) mainiti — itumo — tokidoki / sibasiba (täglich — immer — manchmal / oft)

4.3. Mengenangaben: Nomina oder Adverbien?

Wir haben oben einige Erscheinungen der graduellen Abstufung der Nomenhaftigkeit und der Adverbhaftigkeit bei zeitbezogenen Ausdrücken beobachtet. Auch Mengenbezeichnungen wie zenbu 'alle' (vgl. (2.1)), takusan 'viel' und sukosi '(ein) wenig' verhalten sich oft wie Adverbien, obwohl sie in ihrer pränominalen attributiven Funktion die nominale Eigenschaft aufweisen, dass sie vom Adnominalitätskennzeichen no begleitet werden müssen, wenn sie ein Nomen endozentrisch erweitem sollen, z.B.: (4.31) {zenbu/ takusan / sukosi} no tama '{alle/viele/wenige} Kugeln' In der Koordinierbarkeit mittels to verhalten sie sich jedoch nicht gerade nominal. Sie können nur dann scheinbar durch to verbunden werden, wenn sie jeweils nach einem Nomen, auf dessen Quantität sie sich beziehen, in einem Satz vorkommen. Vergleichen wir die folgenden Möglichkeiten, die sich alle auf einen gleichen Tatbestand beziehen:8 8

Die Version (4.32 a), die hinsichtlich der syntaktischen Struktur am klarsten ist, wird am seltensten gebraucht. Die gebräuchlichste Version ist (4.32 c), die aber auf die Fälle beschränkt ist, in denen

107 (4.32) (a) (i) Takusan no aka-i tama viel N.ADN rot.sein-PRÄS Kugel AKK 'Ich verwende viele rote Kugeln.'

tuka-u. verwenden-PRÄS

(ii) Sukosi no siro-i tama wenig N.ADN weiß.sein-PRÄS Kugel AKK 'Ich verwende ein paar weiße Kugeln.'

tuka-u. verwenden-PRÄS

(iii) Takusan no aka-i tama to sukosi no siro-i tama o tuka-u. 'Ich verwende viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln.' (b) (i)

Aka-i tama takusan o tuka-u. rot.sein-PRÄS Kugel viel AKK verwenden-PRÄS 'Ich verwende viele rote Kugeln.'

(ii) Siro-i tama sukosi o tuka-u. weiß.sein-PRÄS Kugel wenig AKK verwenden-PRÄS 'Ich verwende ein paar weiße Kugeln.' (iii) Aka-i tama takusan to siro-i tama sukosi o tuka-u. 'Ich verwende viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln.' (c) (i)

Aka-i tama o takusan rot.sein-PRÄS Kugel AKK viel 'Ich verwende viele rote Kugeln.'

(ii) Siro-i tama o sukosi weiß.sein-PRÄS Kugel AKK wenig v 'Ich verwende ein paar weiße Kugeln.'

tuka-u. verwenden-PRÄS tuka-u. erwenden-PRÄS

(iii) Aka-i tama o takusan to siro-i tama o sukosi tuka-u. 'Ich verwende viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln.' Während die Struktur der Sequenz bis o in (4.32 a iii) eindeutig eine durch Koordination expandierte Nominalphrase ist, deren beide Bestandteile selber jeweils eine durch ein Mendie Adjunktmarkierung entweder ga oder o ist. Wenn die Adjunktmarkierung eine andere ist, müssen entweder die (a)-Version oder die (b)-Version verwendet werden. Shibatani (1977) nennt den Konstruktionstyp der (c)-Version "Quantifier Floating" und den der (b)-Version "Quantifier Shifting". Während er in seinem Aufsatz 1977 "Quantifier Floating" nicht als Reflex der grammatischen Relationen wie Subjekt und Objekt, sondern der Oberflächenkasusmarkierungen ga und o vs. ni etc. unabhängig von der grammatischen Relation betrachtet, sieht er in seinem Buch 1990 (286f.) Subjekt und Objekt vs. indirektes Objekt und Obliquus als maßgebend an. Miyagawa (1989: 23ff.) gibt einen sehr guten Überblick über verschiedene diesbezügliche Ansichten. Kuno (1973: 26) andererseits betrachtet den Typ (c) als "basically adverbial" (vgl. auch Kuno 1978a: 91f.). Miyagawa 1989: 19ff. sowie Sadakane & Koizumi 1995 betrachten (im Rahmen der Rektionsund Bindungstheorie) den Typ (c) als eine Art Koprädikation. Auch Mattissen (1995: 70f.), obwohl in einem gänzlich anderen Modell, nennt den Typ (c) "Koprädikativ", während sie den Typ (b) als Apposition betrachtet. Okutsu (1989c) versucht, den Unterschied zwischen den Konstruktionstypen u. a. durch den Faktor der Definitheit der gezählten Gegenstände funktional zu erklären, z.B. Typ (a) für "die drei Aale", Typ (c) für "drei von den Aalen" und Typ (b) mit beiden Möglichkeiten.

108

gennomen expandierte Nominalphrase sind, ist die Analyse der Struktur in (b) und (c) recht schwierig. Bei den Beispielen in (b) handelt es sich nicht um eine Konversion des Kopfes, etwa 'viele von den roten Kugeln und wenige von den weißen'. Diese Art der Kopf-Konversion würde wegen des eindeutig nominalen Status des Wortes tama 'Kugel' das Vorkommen des expliziten Adnominalitätskennzeichens no verlangen, was jedoch für die Mengenangabe nicht möglich ist: (4.32) (d) (i) *Aka-i tama no takusan o tuka-u. (ii) *Siro-i tama no sukosi o tuka-u. (iii) *Aka-i tama no takusan to siro-i tama no sukosi o tuka-u. Wenn (4.32 d) akzeptabel wäre, würde das nicht nur für den nominalen Status der Mengenbezeichnungen, sondern auch für ihre Übereinstimmung mit der Grundsatzregel der Modifikator-Kopf (Modifikandum)-Reihenfolge sprechen; dies ist aber nicht der Fall. Andererseits können die Mengenangaben in (4.32 b) keine adprädikativen Adverbien sein, weil sie vor der postnominalen Adjunktmarkierung o vorkommen. Also müssen sie zur jeweiligen Nominalphrase mit tama 'Kugeln' gehören. Auch in (b iii) tritt die Mengenangabe sukosi vor o auf, und da sich takusan 'viel' in der ersten Hälfte vollkommen parallel zu sukosi in der zweiten Hälfte verhält, muss es auch zur ersten Nominalphrase gehören. Dann müsste die gesamte Strecke vor o in (b iii) auch eine koordinativ expandierte Nominalphrase sein. Dies wird durch die Parallelität der Art der postnominalen Markierungen zwischen (a iii) und (b iii) bestärkt. Aber während die Nominalphrasen in (a), sowohl die einzelnen takusan no aka-i tama 'viele rote Kugeln' in (i) und sukosi no siro-i tama 'ein paar weiße Kugeln' in (ii) als auch die koordinativ expandierte Gesamtnominalphrase takusan no aka-i tama to sukosi no siro-i tama 'viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln' in (iii) den Status einer absoluten Nominalphrase haben und, wenn o nach ihnen nicht auftritt, keine zu besetzende Leerstelle eröffnen, sind die in (b) relational (vgl. Lehmann 1983b, 1985b, 1991a). Auch ohne das Vorkommen der Adjunktmarkierung o kündigen sie an, dass nach ihnen ein Prädikat stehen muss. M.a.W.: Wenn sie ohne Prädikat vorkommen, erwecken sie den Eindruck, dass es sich um eine elliptische bzw. unvollständige Prädikation handelt. Hingegen können die Nominalphrasen in (a) allein als solche vorkommen, ohne den Eindruck einer elliptischen Aussage zu machen. Also haben die Sequenzen vor o in (b) eine andere relationale Qualität als die Nominalphrasen in (a). Sind die Mengenangaben in (b) dann doch adverbial? Diese Sichtweise würde durch die folgenden Beispiele bestärkt, in denen die Mengenangabe durch Voranstellung fokussiert wird: (4.32) (e) (i) Takusan aka-i tama o tuka-u. (ii) Sukosi siro-i tama o tuka-u.

'Ich verwende viele rote Kugel.' 'Ich verwende ein paar weiße Kugeln.'

Durch Voranstellung hat die Mengenangabe die Position vor o verlassen, so dass sie nicht mehr zur Nominalphrase aka-i tama bzw. siro-i tama gehören muss, sondern durchaus ein

109 unmittelbar adprädikatives Adverb sein kann. Darüber hinaus ist die Akzeptabilität der Koordination von (i) und (ii) geringer: (4.32) (e) (iii) (?)Takusan aka-i tama to sukosi siro-i tama o tuka-u. Diese Beobachtung spricht für die Adverbialität der vorangestellten Mengenangaben ohne jegliche Relationsmarkierung. Aber sie löst das Problem der Struktur der Beispiele in (b) nicht, auch wenn die Sätze in (e) nichts anderes als Permutationsprodukte des Konstruktionstyps in (b) sein sollten oder umgekehrt (b) Permutationsprodukte von (e). Denn in (b) tritt die Mengenangabe objektiv und deskriptiv zwischen dem nominalen Kopf und o auf und die Sequenzen vor o in (b i) und (b ii) sind mittels to koordinierbar wie in (b iii). Ferner würde (e iii), wenn es akzeptabel ist, ein ähnliches Problem hervorrufen, weil das Vorkommen von sukosi in der obigen Position darauf hinweist, dass es zur darauf folgenden Nominalphrase gehören müsste. Dann müsste auch lakusan, das eine saubere Parallelität zu sukosi zeigt, zu der unmittelbar darauf folgenden Nominalphrase gehören, obwohl es rein syntaktisch ein adprädikatives Adverb sein könnte. Dadurch büßt die Interpretation der beiden Mengenangaben als Adverbien an Plausibilität ein. Auch die Analyse, in takusan und sukosi in (e) eine Parallelität zum pränominalen Adverb ohne no wie sugu 'unmittelbar' in ie no sugu mae 'direkt vor dem Haus' in (4.2) zu sehen oder sie für adverbiale Modifikatoren der Adjektiva zu halten, ist nicht plausibel genug. Erstens besteht zwischen ihnen und den Adjektiva aka-i 'rot sein' sowie siro-i 'weiß sein' keine semantische Modifikationsbeziehung, so dass sie keine Modifikatoren der letzteren sein können. Zweitens fehlt auch hinsichtlich der Beziehung zwischen ihnen und dem Nomen tama 'Kugeln' ein ausreichendes Argument dafür, dass die Mengenangaben ein Konkretum wie tama adverbial modifizieren sollen. Die Beziehung einer Mengenangabe zum quantifizierbaren Bezeichneten eines Nomens ist doch eine andere als die Beziehung zwischen sugu 'unmittelbar' und mae 'Vorne'. Außerdem hat das Japanische eine andere Strategie für die unmittelbare Modifikation eines Nomens bzw. einer Nominalphrase durch eine Mengenangabe, nämlich deren pränominale Verwendung mit der Begleitung durch no wie in (4.32 a). Diese Option fehlte der Modifikation von mae 'Vorne' durch sugu 'unmittelbar', was wohl an der stark relational-prädikativen Natur des Nomens mae liegt. Jedenfalls scheitelt der Versuch, die Mengenangaben als adverbiale Modifikatoren zu analysieren, die innerhalb einer Nominalphrase ihr Modifikandum fänden. Somit bleibt uns zunächst nur die konstatierende Beschreibung des eigenartigen syntaktischen Verhaltens der Mengenangaben übrig. Sie können einer Nominalphrase sowohl vorals auch nachgestellt werden, wobei sie auch in der nachgestellten Position nicht Kopf sind, sondern Dependens bleiben. Ihre Möglichkeit, vor einer postnominalen Markierung wie o oder einem nominalen Koordinator aufzutreten, ist grundsätzlich vom overten (d.h. realen) Vorkommen eines nominalen Kopfes abhängig. So ist ihr alleiniges Auftreten vor einer der postnominalen Markierungen entweder völlig unakzeptabel oder sehr niedrig in der Akzeptabilität:

110

(4.33) ??{Takusan / Sukosi} o tuka-u.

'Ich verwende (viele(s) / wenige(s)}.'

(4.34) (a) ???{Takusan / Sukosi} ga ar-u.

'Es gibt (viele(s) / wenige(s)}.'

dasein-PRÄS

Vgl.: (b) Aka-i tama takusan to siro-i tama sukosi ga ar-u. 'Es gibt viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln.' (4.35) Takusan {to/ya}

sukosi tuka-u.

{NCO/REPR.NCO}

Ya in (4.35) ist Nominalkoordinator für repräsentative, nicht-exhaustive Auflistungen, etwa 'zum Beispiel A und B', , B usw.', oder bzw. B'. Durch die Inakzeptabilität von ya soll klar gemacht werden, daß die Nicht-Verwendbarkeit von to hier nicht allein an der semantischen Inkompatibilität, sondern an syntaktischen Eigenschaften der Mengenbezeichnungen liegt. Somit weisen die Mengenbezeichnungen einen sehr niedrigen Grad an Nomenhaftigkeit auf. Dass es jedoch sehr schwierig ist, sie als Adverbien zu betrachten, haben wir oben hinreichend diskutiert. Wie wäre es aber mit denselben Mengenangaben in den Beispielen unter (4.32 c)? Verhalten sie sich nicht adverbhafter als in (b)? Denn sie treten nicht wie in (b) vor o, sondern nach diesem auf, so dass sie nicht zur jeweiligen Nominalphrase gehören würden. Diese Ansicht ist hinsichtlich der Beispiele (c i) und (ii) soweit plausibel. Aber in Bezug auf (c iii) ist die Analyse der Satzstruktur trotz, oder gerade wegen, der sauberen Parallelität zwischen den beiden Hälften recht schwierig. Die beiden Nominalphrasen sind jeweils von o begleitet, was für die japanische Satzkonstruktion einmalig ist. D.h. ein einfacher (im Sinne von 'simple') Satz erlaubt nicht, dass mehr als eine Nominalphrase mit o markiert wird (vgl. Shibatani 1977, Tsunoda 1981, vgl. auch Fillmore 1968), solange sie nicht von einer Mengenangabe begleitet wird, die nach o auftritt. Wenn es zwei oder mehr solche Nominalphrasen gibt, müssen sie durch einen der Nominalkoordinatoren wie to oder ya verbunden werden, wodurch eine koordinativ expandierte Nominalphrase entsteht: (4.36) (a) *Aka-i tama o siro-i tama o tuka-u. (b) Aka-i tama (i) to l ii) ya] siro-i tama o tuka-u. 'Ich verwende {i) (die) rote(n) Kugeln und (die) weiße(n) Kugeln / ii) zum Beispiel rote Kugeln und weiße Kugeln}.' (c) * Aka-i tama o to/ya siro-i tama o tuka-u. Nur die erste Hälfte von (4.32 b iii) und die zweite Hälfte von (4.32 c iii) zu verbinden, um so die scheinbar überflüssige Wiederholung von o zu vermeiden, ist aber kaum akzeptabel: (4.37) *?aka-i tama takusan to siro-i tama o sukosi tuka-u. Das zweimalige Vorkommen von o ist also notwendig, wenn eine der Mengenangaben im Satz einem nominalen Adjunkt mit o nachgestellt ist. Insofern stehen die Mengenangaben

Ill

auch in der koordinierten Struktur außerhalb der Nominalphrasen. Aber die Position des Nominalkoordinators to in (4.32 c iii) macht diese Analyse weniger glaubhaft. Denn diejenigen Satzelemente, die dadurch koordiniert werden, sind doch Nominalphrasen. Also müsste mindestens takusan, das unmittelbar vor to steht, zu der vorangehenden Nominalphrase gehören. Dann sollte auch sukosi, das sich zu takusan parallel verhält, zu der zweiten Nominalphrase gehören, auch wenn es aus rein syntaktischer Sicht eine unmittelbare adverbiale Modifikation des Prädikates sein könnte (das Spiegelbild von (4.32 e iii)). Andererseits sprechen die folgenden Eigenschaften für ihren adverbialen Status: Erstens, sie können auch ohne vorangehende Nominalphrase allein beim gegebenen Prädikat stehen (sie sind dann nicht mehr koordinierbar, vgl. (4.35)); zweitens, sie können auch bei einem Prädikat als adverbialer Modifikator auftreten, welches kein nominales Objekt bei sich haben kann, z.B.: (4.38) {Takusan / Sukosi} tuka-u.

'Ich verwende (es) {viel / ein wenig}.' (vgl. (4.33))

(4.39) {Takusan / Sukosi} ar-u.

'Es gibt (das) {viel / ein wenig}.' (vgl. (4.34))

(4.40) {Takusan / Sukosi} ne-ru.

'Ich schlafe {viel / ein wenig}.'

schlafen-PRÄS

Bei dem letzten Beispiel besteht nicht die Möglichkeit, die Mengenangabe für ein nominales Adjunkt zu halten, weil das Verb kein nominales Objekt haben kann. In einem solchen Fall fungieren Wörter wie takusan und sukosi als Adverbien, auch wenn sie in einer anderen Konstruktion wie in (4.32 a) als nominale Konstituente auftreten können. Dann können diese Ausdrücke in (4.38) und (4.39), die eine saubere Parallelität zu (4.40) zeigen, auch als adverbiale Angaben betrachtet werden, obwohl sie sich auf die Menge eines anaphorisch weggelassenen Gegenstandes beziehen. Wenn sie nun in (4.38) und (4.39) für adverbiale Angaben zu halten sind, wären sie in (4.32 c) oben und (4.41) unten auch als solche zu betrachten, weil das nominale Adjunkt vorkommen oder weggelassen werden kann, ohne die Markierung an der Mengenangabe zu beeinflussen: (4.41) (i) Aka-i tama ga takusan ar-u. (ii) Siro-i tama ga sukosi ar-u.

'Es gibt viele rote Kugeln.' 'Es gibt ein paar weiße Kugeln.'

Vgl.: (iii) Aka-i tama ga takusan to siro-i tama ga sukosi ar-u. 'Es gibt viele rote Kugeln und ein paar weiße Kugeln.' Am Pol der Adverbhaftigkeit verhält sich eine Mengenbezeichnung wie ein Gradadverb: (4.42) le

no

sukosi (te-)mae ni

suupaa

ga

ar-u.

Haus N.ADN wenig Vorne DAT Supermarkt NOM dasein-PRÄS 'Kurz vor dem(/meinem) Haus steht ein Supermarkt.' vgl. (4.2) 9

Im Japanischen gibt es keine Konstruktionen mit einem kognaten Objekt ("Figura etymologica") wie einen (un)ruhigen Schlaf schlafen.

112

In diesem Beispiel verhält sich sukosi analog zu sugu 'unmittelbar' in (4.2) und kann dementsprechend nicht vom nominalen Adnominalitätskennzeichen no begleitet werden, obwohl es unmittelbar vor einem Nomen, (te-)mae 'Vorne', steht. Ferner übt sukosi im folgenden Beispiel die Funktion des Modifikators eines Adjektivs aus (vgl. auch Mattissen 1995:25): (4.43) Kono tama wa sukosi kitana-i. dies:ADN Kugel TOP wenig unschön.sein-PRÄS 'Diese Kugel(n) ist(/sind) ein wenig unschön.' In dieser Funktion gehört sukosi zum Paradigma von Gradadverbien wie totemo 'sehr', die in keinem Punkt nominale Eigenschaften aufweisen: (4.44) Kono tama wa totemo kitana-i. dies:ADN Kugel TOP sehr unschön.sein-PRÄS 'Diese Kugel(n) ist(/sind)sehr unschön.' Trotz dieser hohen Adverbhaftigkeit bewahrt sukosi seinen nominalen Ursprung, weil es bei der Nominalisierungsableitung des Adjektivs von dem Adnominalitätskennzeichen no begleitet werden kann und muss, während dies bei totemo 'sehr' nicht der Fall ist: (4.45) sukosi no wenig N.ADN

kitana-sa Unschön-heit

'geringfügige Unschönheit'

(4.46) *totemo (no) kitana-sa Totemo kann weder mit noch ohne no ein Nomen wie kitana-sa 'Unschönheit' modifizieren. Auf diese Weise zeigen selbst dieselben Mengenbezeichnungen eine graduelle Abstufung der Adverbhaftigkeit je nach dem Konstruktionstyp. Gleichzeitig kann man auch eine graduelle Abstufung der Adverbhaftigkeit zwischen einzelnen Mengenbezeichnungen beobachten, analog der graduellen Erscheinung bei den Zeitbezeichnungen. So ist die Verwendung von takusan 'viel' als Modifikator eines relationalen Nomens sowie eines Adjektivs im Gegensatz zu sukosi '(ein) wenig' in (4.42) und (4.43) nicht möglich, obwohl es sich sonst zum letzteren parallel verhält. Ferner erweisen sich solche Mengenbezeichnungen wie zenbu 'alle(s)' oder mlnna 'alle(s)' als viel nomenhafter als takusan, weil sie vor postnominalen Markierungen wie o und ga auftreten können, auch wenn kein anderes Nomen im betreffenden Satz vorkommt (vgl. (4.33/34)): (4.47) {Zenbu / Minna} (o) tuka-u.

'Ich verwende alle(s).'

(4.48) (a) {Zenbu / Minna} (ga) ar-u.

'Alle(s) sind(/ist) vorhanden.'

113 (b) Minna10 (ga) i-ru. alle (NOM) dasein-PRÄS

'Alle (Leute) sind da.'

Darüber hinaus ist bei diesen Mengenangaben die Kopf-Kon version oft möglich, welche bei lakusan und sukosi nicht akzeptabel war (vgl. (4.31), (4.32 d)): (4.49) Aka-i tama no zenbu o tuka-u. 'Ich verwende alle von den roten Kugeln.' (4.50) Kazoku no minna ni purezento o su-ru. Familie N.ADN alle DAT Geschenk AKK tun-PRÄS 'Ich mache allen (aus) meiner Familie ein Geschenk.' Insofern sind die Bezeichnungen, die zu den All-Quantoren gehören, eher Nomina als Adverbien. Ein analoges Verhältnis gilt auch für den Dual-Quantor ryoohoo 'beide(s)', bei dem die Konvertierbarkeit der Kopf-Konstellation sowie deren Synonymic aber von den jeweiligen Nomina abhängt:11 (4.51) (a) ryoohoo no {te / asi / kata / me / mimi} Beide N.ADN {Hand/Bein/Schulter/Auge/Ohr} 'beide {Hände / Beine bzw. Füße / Schultern / Augen / Ohren}' (b) ?{te / asi / kata / me / mimi} no ryoohoo 'Beide der Hände usw.1 (4.52) (a) ryoohoo no {kutu / kutusita / tebukuro} Beide N.ADN (Schuh/Strumpf/Handschuh} i) 'beide {Schuhe / Strümpfe / Handschuhe}' ii) 'beide {Schuh- / Strumpf- / Handschuh-}paare' (b) {kutu / kutusita / tebukuro} no ryoohoo Wörtl.: 'Beide der Schuhe' etc., d.h.: 'beide {Schuhe / Strümpfe / Handschuhe}'

10

11

minna 'alle' wird oft wie ein Pronomen mit der Referenz 'ihr (alle)' bzw. 'sie (alle)' gebraucht, ebenso dessen höflicheres Gegenstück mina-san für 'Sie (alle)' bzw. 'sie (alle)' sowie dessen noch höflichere Variante mina-sama für 'Sie (alle)' (seltener für 'sie (alle)'), so dass die Möglichkeit, mit jeder postnominalen Markierung aufzutreten, verständlich ist. In dieser pronominalen Funktion sind minna sowie mina-san/-sama mittels to koordinierbar, z.B.: minna to watasi 'ihr/sie (alle) und ich'. Je nach den beteiligten Wörtern gibt es mehr Interpretationsmöglichkeiten, z.B.: (a) (i) ryoohoo no oya 1) 'beide Elternpaare' (z.B. die Eltern der beiden Ehepartner) Beide N.ADN Eltern 2) ?? 'beide Eltern' (d.h. Vater und Mutter) (ii) oya no ryoohoo 'Beide der Eltern', d.h.: 1) 'beide Eltern' (= Vater und Mutter), 2) ?? 'beide Elternpaare' vgl.: (iii) ryoo-sin 'beide Eltern' (d.h. Vater und Mutter) (b) (i) ryoohoo no hutago 1) 'beide Zwillingspaare', 2) ? 'beide Zwillinge' Beide N.ADN Zwilling (ii) hutago no ryoohoo Wörtl.: 'Beide der Zwillinge', d.h. 'beide Zwillinge'

114

(4.53) (a) aka to

siro

Rot NCO Weiß

no

ryoohoo

N.ADN

Beide

'beide(s) von Rot und Weiß', d.h.: 'Rot und Weiß beide' (b) *ryoohoo no aka to siro Die Nomenhaftigkeit von ryoohoo 'beide(s)' scheint demgemäß höher als die von zenbu 'alle(s)' zu sein, weil die Bedeutung von ryoohoo no X selten synonym mit X no ryoohoo ist. Vgl. z.B. (vgl. auch (3.30): (4.54) (a) hana

no

mati

'Stadt der Blumen' bzw. 'blühende/attraktive Stadt'

Blume N.ADN Stadt

(b) mati Stadt

no hana N.ADN Blume

(4.55) (a) migi

no

te

'Blume(n) (in) der Stadt'

' die rechte Hand'

Rechts N.ADN Hand

(b) te Hand

no migi N.ADN Rechts

'rechts von der Hand'

Die weitgehende Synonymic zwischen zenbu no X und X no zenbu dürfte allerdings nicht gerade am Grad der Nomenhaftigkeit, sondern an der Natur der All-Quantoren liegen, d.h.: zenbu bedeutet die vollständige Abdeckung der Elemente einer Menge, so dass die Extension der Referenz der beiden Konstruktionen gleich ist. Jedenfalls verhalten sich zenbu 'alle(s)' und ryoohoo 'beide(s)' sonst recht ähnlich. Parallel zu (4.53) ist die Kopf-Konversion bei zenbu in (4.56) auch kaum möglich (vgl. (4.49)): (4.56) (a) aka to Rot

siro to

ao

no

zenbu

NCO Weiß NCO Blau N.ADN

Alle

'alle(s) von Rot, Weiß und Blau', d.h.: 'Rot, Weiß und Blau alle' (b) *zenbu no aka to siro to ao Sie rufen femer gemeinsam ein Problem für eine adäquate Analyse hervor, weil sie einerseits die Version (b) in (4.53/56), die die sauberste Struktur der nominalen Determination darstellt, nicht zulassen, aber andererseits, wie alle anderen Mengenbezeichnungen, die "Floating"Konstruktionen erlauben: (4.57) (a) aka to

siro

no

ryoohoo o

Rot NCO Weiß N.ADN beide

AKK

'Ich verwende beide von Rot und Weiß.' d.h.: 'Ich verwende Rot und Weiß beide.' (b) Aka to siro ryoohoo o tuka-u. 'Ich verwende Rot und Weiß beide.'

tuka-u. verwenden-PRÄS

115 (c) Aka to siro o ryoohoo tuka-u. 'Ich verwende Rot und Weiß beide.' (4.58) (a) Aka to siro to ao no zenbu o tuka-u. Rot NCO Weiß NCO Blau N.ADN alle AKK verwenden-PRÄS 'Ich verwende alle(s) von Rot, Weiß und Blau.' d.h.: 'Ich verwende Rot, Weiß und Blau alle(s).' (b) Aka to siro to ao zenbu o tuka-u. 'Ich verwende Rot, Weiß und Blau alle(s).' (c) Aka to siro to ao o zenbu tuka-u. 'Ich verwende Rot, Weiß und Blau alle(s).' Es ist soweit klar, dass es sich bei den (b)-Beispielen nicht um Juxtaposition des Dependens und des Kopfes einer Nominalphrase ohne den Konnektor no, sondern um die gleiche Erscheinung wie bei den anderen Mengenbezeichnungen handelt, die eine engere Beziehung zu (c) als zu (a) hat. Erinnern wir uns, dass eine den (a)-Beispielen analoge Bildung bei den anderen Mengenbezeichnungen nicht möglich oder sehr beschränkt ist. Dass sich ryoohoo 'beide(s)' und zenbu 'alle(s)' trotz dieses Unterschiedes in der Fähigkeit, selber der Kopf einer Nominalphrase zu werden, hinsichtlich der Verschiebbarkeit durchaus parallel zu den übrigen Mengenbezeichnungen verhalten, wird auch dadurch verdeutlicht, dass die Farbennamen aka 'Rot', siro 'Weiß' bzw. ao 'Blau' in den Beispielen oben jeweils durch aka-i lama, siro-i tama, ao-i tama 'rote' 'weiße' und 'blaue Kugel(n)' ersetzt werden können. Wir haben dann nämlich eine saubere Parallelität zwischen (4.57/58 b) und (4.32 b i/ii) sowie zwischen (c) oben und (4.32 c i/ii). Der Unterschied besteht allein in der Komplexität der Nominalphrase, die in (4.57/58) im Gegensatz zu der Ein-Kopf-Nominalphrase in (4.32 b/c i/ii) koordinativ expandiert ist, womit die semantische und referentielle Komplexität zusammenhängt. So bezieht sich aka-i tama to siro-i tama (no) ryoohoo eher auf die Gattungen, d.h. 'beide von roten und weißen Kugeln', als auf individuelle Elemente 'beide: die rote und die weiße Kugel'. Bei zenbu sind allerdings beide Arten der Interpretation möglich. Wichtig ist jedenfalls, dass zenbu 'alle(s)' und ryoohoo 'beide(s)' sowohl einen höheren Grad der Nomenhaftigkeit als auch eine merkliche Affinität zur Adverbialität zeigen. Dass der höhere Grad der Nomenhaftigkeit etwas mit der defmiten Natur der Referenz von zenbu 'alle(s)' und ryoohoo 'beide(s)' zu tun haben könnte, wird durch das ihnen ähnliche syntaktische Verhalten indefiniter und interrogativer Mengenbezeichnungen widerlegt. Ikutu 'wieviel(e)' und ikutu-ka 'einige(s)' in Bezug auf Gegenstände und Abstrakta sowie nannin 'wieviele' und nannin-ka 'einige' für Menschen12 verhalten sich keineswegs 12

Bei nicht-menschlichen Lebewesen je nach der Gattung und Größe z.B. nan-biki(-ka) bei kleineren Tieren, -nan-wa(-ka) bei Vögeln usw. Es handelt sich hier um Numeralklassifikatoren (vgl. 1.1.3), für die es, im Gegensatz zu Nicht-Lebewesen mit ikutu(-ka), keinen Ober- bzw. Sammelbegriff gibt. Wenn die Identität der zu quantifizierenden Gegenstände bekannt ist, wie tama 'Kugel(n)' in unseren Beispielen, kommen auch bei Gegenständen Numeralklassifikatoren ins Spiel, z.B.: nan-

116 weniger nomenhaft, scheinen sogar noch höher im Grad der Nomenhaftigkeit zu sein. Denn vor allem die indefiniten Ausdrücke auf -ka können zum einen auch ohne die nominale Konstituente, auf deren Quantität sie sich beziehen, unproblematisch von einem attributiven Demonstrativ unmittelbar determiniert (vgl. z.B. (3.32/36)) und zum anderen unmittelbar durch einen Adnominalsatz bzw. ein prädikatfähiges Wort wie z. B. ein Adjektiv näher bestimmt werden. Demgegenüber ist die unmittelbare demonstrativische Determination von zenbu und ryoohoo zwar nicht unmöglich, aber auch nicht üblich (diese Eigenschaft hängt möglicherweise mit der immanenten Definitheit der Referenz beider Wörter zusammen, aber die uneingeschränkte demonstrativische Determinierbarkeit einer Nominalphrase, welche aus dem All- bzw. Dual-Quantor, dem Konnektor no und einer nominalen Konstituente besteht, weist darauf hin, dass diese Eigenschaft nicht unmittelbar mit der immanenten Referenzeigenschaft zusammenhängt). Auch ihr unmittelbares Vorkommen nach einem adnominalen Prädikat ist selten zu beobachten. Für zenbu 'alle(s)' und ryoohoo 'beide(s)' ist es eine grundsätzliche Voraussetzung der Attribuierbarkeit beider Arten, dass sie mit der nominalen Konstituente zusammen vorkommen, auf deren Quantität sie sich beziehen: (4.59) (a) Sono

iku-tu-ka

das:ADN wieviel-Stück(NKL)-INDEF 'Ich verwende einige davon.'

o AKK

tuka-u. verwenden

(b) Sore no iku-tu-ka o tuka-u. das N.ADN wieviel-Stück(NKL)-INDEF AKK verwenden 'Ich verwende einige von denen.' (4.60) (a) (?) Sono zenbu o tuka-u. (b) Sore no zenbu o tuka-u. (4.61) (a) Sono tama (no) zenbu o tuka-u. (b) Sono zenbu no tama o tuka-u.

'Ich verwende sie alle.' 'Ich verwende alle(s) von ihnen.' 'Ich verwende alle von den Kugeln.' 'Ich verwende alle Kugeln.'

(4.60 a) würde einem der beiden in (4.61) entsprechen. (4.61 a) und (b) sind im Übrigen nicht bedeutungsgleich, haben aber wegen der Natur des All-Quantors letztlich dieselbe Referenz. Demgegenüber sind (4.62 a) und (b) unten weder gleichbedeutend noch referentiell deckungsgleich: (4.62) (a) Sono tama no iku-tu-ka o tuka-u. (b) Sono iku-tu-ka no tama o tuka-u.

'Ich verwende einige von den Kugeln.' 'Ich verwende die paar Kugeln.'

(4.62 a) entspricht (4.59 b) sowohl syntaktisch als auch referentiell. (4.62 a) könnte aber auch (4.59 a) syntaktisch entsprechen, wenn das Demonstrativ sono nicht tama, sondern ikutu-ka determinieren soll, was zwar rein syntaktisch möglich, aber in diesem Fall faktisch auszuschließen ist. Trotz dieser syntaktischen Nicht-Übereinstimmung kann (4.59 a) aber ko(-ka) bei Kugeln und nan-bon(-ka) bei länglichen Gegenständen (z.B. Strümpfe, Messer, Gabeln, Löffel usw.).

117 ungefähr (4.62 a) bedeuten. (4.62 b) andererseits entspricht syntaktisch weder (4.59 a) noch (4.59 b), seine Referenz kann jedoch von (4.59 a) repräsentiert werden. Jedenfalls ist das, was hier von Bedeutung ist, die hohe Akzeptabilität von (4.59 a). Geben wir dann auch ein Beispiel von Adnominalsatzerweiterung: (4.63) (a) hako no naka ni ar-u (tama (no)) iku-tu-ka Schachtel N.ADN Innen DAT dasein-PRÄS (Kugel (N.ADN)) wieviel-NKL-INDEF 'einige (von den Kugeln), die in der Schachtel sind' (b) hako no naka ni ar-u tama (no) zenbu 'alle von den Kugeln, die in der Schachtel sind' Die Weglassung von tama in (4.63 b) verringert die Akzeptabilität. Zwar klingt auch in (4.63 a) die Version mit tama besser, aber wenn es sich um das menschliche Gegenstück von iku-tu-ka 'einige' handelt, ist dessen alleiniges Vorkommen vollkommen in Ordnung: (4.64) (a) soko ni i-ru (hito (no)) nan-nin-ka Dort DAT dasein-PRÄS (Person (N.ADN) wieviel-NKL-INDEF 'einige ((der) Leute), die dort sind' Die Referenz von (4.64 a) mit hito no einerseits und ohne hito no bzw. mit hito aber ohne no andererseits scheint sich voneinander zu unterscheiden. Im ersteren Fall ist die partitive Lesung zwingend, d.h. die Menge von 'einigen' ist in der größeren Menge der 'Personen' eingeschlossen. Im letzteren Fall sind die Mengen der 'Personen' und die der 'einigen' deckungsgleich, so dass deren Referenz mit der im folgenden Beispiel identisch wird: (4.64) (b) soko ni Dort DAT

i-ru

nan-nin-ka

dasein-PRÄS

wieviel-NKL-INDEF N.ADN

no

hito Person

'einige Leute, die dort sind' Auch diese Bedeutungsungleichheit bei der Kopf-Konversion ist ein Indiz der höheren Nomenhaftigkeit. Insgesamt verhalten sich die indefiniten (aber, wie oben beobachtet, referentiell nicht immer indefiniten) Mengenbezeichnungen wie Vollnomina. Sie weisen jedoch wie die anderen Mengenbezeichnungen auch die "Floating"-Erscheinung auf. Sie können dort auftreten, wo solche mit höherer Adverbialität wie takusan 'viel' und sukosi 'wenig' stehen. Die letzteren sind also in den Beispielen von (4.32) bis (4.39) und (4.41) überall sowohl durch zenbu 'alle(s)' bzw. minna 'alle(s)' als auch durch ikutu-ka 'einige' ersetzbar, z.B.: (4.65) (a) Aka-i tama iku-tu-ka o tuka-u. (b) Aka-i tama o iku-tu-ka tuka-u.

'Ich verwende einige rote Kugeln.' 'Ich verwende einige rote Kugeln.'

Die Mengenbezeichnungen höherer Nomenhaftigkeit gehören daher mit denjenigen höherer Adverbialität zusammen zu einer gemeinsamen paradigmatischen Klasse. Diese paradigma-

118 tische Klasse stellt also eine an beiden Enden offene Menge dar, an deren einem Ende sie in die Klasse der Nomina und an deren anderem Ende sie in die der Adverbien übergeht.

4,4. Kontinuum zwischen Adverbien und Nomina Wir haben bisher graduelle Abstufungen der Nomenähnlichkeit von Adverbien und der Adverbhaftigkeit von Nomina beobachtet. Die beiden Wortarten, denen ein morphologisches Klassenmerkmal fehlt, lassen sich nur aufgrund von syntaktischen bzw. distributioneilen Kriterien definieren und klassifizieren. Die syntaktischen Eigenschaften eines Nomens sind vor allem die folgenden:13 13

Auf der Grundlage der Position von Sasse (z.B. 1993) betrachtet Malussen (1995: z.B. 22ff., 43f.) die Kriterien nicht als syntaktisch, sondern als rein distributionell (vgl. die Fußnote 4.n3 oben), und sagt Folgendes: Das Nomen ist der Träger der enklitischen Kasuspartikeln. [...] Es kann als einzige lexikalische Kategorie durch Determinierer referenzfähig gemacht und mit durch ihre Form und ihre Position vor dem Nomen gekennzeichneten Attributen modifiziert werden. [...] Das Nomen ist ebenso als einzige lexikalische Kategorie quantifizierbar. [...] Mit der Kopula als Träger verbaler Kategorien kann ein Nomen ein Prädikat bilden. Die Kompatibilität mit Determinierern konstituiert das einzige hinreichende Kriterium für Nominalität, die übrigen Merkmale sind notwendige Kriterien, da Kasus z.T. mit Konjunktionen formgleich oder anderweitig polyfunktional sind, die attributiven Verb- und Adjektivformen auch in anderen Kontexten vorkommen und bestimmte Kopulaformen mit allen lexikalischen Kategorien als Auxiliar verwendbar sind. (p.24f.) Ihre Kriterien stimmen mit denjenigen unter (4.66) bis auf (d), die Koordinierbarkeit, weitgehend überein. In Bezug auf Koordination erwähnt Mattissen (p.64), dass "Modifikatoren" (s. 4.nl9 unten) wie "hilfsflektierte Adjektive" (= Nominaladjektive) in der "Konverbform" der Kopula (d.h. de) und "nicht wie Nomina durch eine Partikel" koordiniert werden. Nomina werden bei Mattissen in die folgenden Subklassen eingeteilt: Substantive, Pronomina, Modifikatoren, Quantoren, Funktionsnomina (Relationale Nomina, Relative Nomina, Gradpartikeln, Nominalisierer). Diese Reihenfolge entspreche der Abnahme der Zahl der zutreffenden nominalen Kriterien, wie sie in der folgenden Explikation Mattissens angesprochen werden: Entitäten, die in einem begrenzten Umfang die nominalen Charakteristika teilen und dazu Verhaltensweisen von Lexemen anderer lexikalischer Klassen oder von Funktionswörtern an den Tag legen, bilden die übrigen nominalen Subklassen [neben Substantiven]. Ihnen allen ist gemeinsam, über ein sehr restringiertes oder gar kein Wortbildungspotential zu verfügen. Die einzelnen Subklassen grenzen sich durch unterschiedliche Bündelungen von Verhaltensweisen im Hinblick auf die folgenden Parameter ab, die alle im Zusammenhang mit dem Kontext der NP stehen: a) Einige Nicht-Substantive sind nur eingeschränkt oder gar nicht modifizierbar, andere brauchen dagegen in allen Kontexten ein Attribut. Dabei sind z.T. modifizierende Formen möglich, die mit Substantiven inkompatibel sind, [...] b) Nicht-Substantiva sind auch dadurch gekennzeichnet, nicht alle Kasusrollen einnehmen zu können oder die Kasusmarkierung zu verlieren. c) Nicht-Substantiva gehören unterschiedlichen Ausdrucksklassen an, die die Aufgaben von

119 (4.66) Syntaktisch-distributionale Eigenschaften eines Nomens (a) Begleitung durch no in der pränominalen Position, wobei die Nominalphrase des nach no vorkommenden Nomens durch das Nomen vor no endozentrisch erweitert wird; (b) Attribuierbarkeit durch ein Nomen, das von no begleitet wird - diese Eigenschaft stellt das Spiegelbild von (a) dar und wurde oben hinsichtlich der Konvertierbarkeit der Attribut-Kopf-Konstellation erwähnt; (c) Obligatorietät der Begleitung durch eine postnominale Markierung im Fall des Auftretens als Adjunkt in einem Satz sowie die Fähigkeit, vor jeder solchen postnominalen Adjunktmarkierung aufzutreten, vor allem: (i) vor o (ii) vor ni bei Zeitangaben; (d) Koordinierbarkeit durch to bzw. ya; (e) Determinierbarkeit durch attributive Demonstrativa wie kono 'dies-' und sono etwa 'das, Jen-', sowiekonna 'solch ein- wie dies-' und sonna 'solch ein-' (vgl. (3.14), (3.32/33), (3.36), (3.38) in 3.4); (f) endozentrische Expandierbarkeit durch ein vorausgehendes Prädikat in der adnominalen Form (beim Nominaladjektiv im Präsens auf -na) bzw. in der finiten Form (beim Präteritum und bei der Negation aller Prädikatsarten sowie beim nicht-negierten Präsens des Adjektivs auf -i' und des Verbs, vgl. 3.1f. und 3.7); (g) Vorkommen vor dem Nominalprädikator da (diese Eigenschaft steht in einem engen Zusammenhang mit (a) oben, vgl. Kap. 3) Ein Wort, das alle diese Eigenschaften hat, ist ein prototypisches Nomen, z.B. tama 'Kugel', hito 'Mensch', tanzyoobi 'Geburtstag', oder kurisumasu 'Weihnachten'. Ein Adverb lässt sich durch das Fehlen der obengenannten nominalen Eigenschaften und durch die folgenden Merkmale charakterisieren: (4.67) Syntaktisch-distributionale Eigenschaften eines Adverbs (a) Modifikation der Kopf-Konstituente ohne explizite morphosyntaktische Dependenzkennzeichnung, vor allem: (i) beim Verb, bei dem kein nominales Objekt vorkommt (z.B. (4.1), (4.40)); (ii) beim Adjektiv, dessen Bezeichnung hinsichtlich des Ausmaßes modifiziert wird (z.B. 4.43 744)); (b) Modifikation des modifizierenden Wortes einer Kopf-Konstituente, z.B. eines Prädikates.

Funktionswörtern wie Kasus und Konjunktionen, Gradpartikeln und Nominalisierern wahrnehmen, und sind als solche nicht erfragbar. d) In einer Subklasse unter den Nicht-Substantiva ist die Transnumeralität des Nomens aufgehoben und eine Kodierung der Mehrzahl obligatorisch. (p.45f.)

120 Beispiele für (4.67 b) (vgl. (4.40), (4.43), (4.44)): (4.68) Totemo takusan sehr viel

ne-ta. schlafen-PRÄT

'Ich habe sehr viel geschlafen.'

(4.69) (a) Honno sukosi ne-ta. nur wenig schlafen-PRÄT

'Ich habe nur (ein) wenig geschlafen.'

(b) Honno sukosi kitana-i. nur wenig unschön.sein-PRÄS (4.70) (a) Moo sukosi noch wenig

ne-ru. schlafen-PRÄS

(b) Moo sukosi takusan noch wenig viel

'Es i st nur ein wenig unschön.' 'Ich schlafe noch ein bisschen.'

ne-ru. 'Ich schlafe noch ein bisschen mehr.' schlafen-PRÄS

In (4.70 b) modifiziert moo das darauf folgende sukosi, das zusammen mit dem ersteren wiederum das darauf folgende takusan modifiziert. Sukosi allein kann kaum takusan modifizieren, sondern steht in einem paradigmatischen Verhältnis zum letzteren, aber in Begleitung eines vorangehenden moo gelangt es zum Status eines allgemeinen Modifikators ohne nennenswerte Selektionsrestriktion. Moo kann seinerseits nicht nur als Modifikator eines Modifikators, sondern auch als unmittelbarer Modifikator eines Prädikates auftreten, z.B.: (4.71) (a) Moo ne-ru. schon schlafen-PRÄS (b) Moo ne-ta. schon schlafen-PRÄT

'ich gehe schon schlafen.' 'Ich habe schon geschlafen.' oder ' Er/Sie ist / sie sind schon eingeschlafen.'

Daher ist das folgende Beispiel doppeldeutig:14 (4.72) Moo sukosi ne-ta. i) 'Ich habe schon ein bisschen geschlafen.' ii) 'Ich habe noch ein bisschen (mehr) geschlafen.' Demgegenüber erlaubt das folgende Beispiel die Interpretation von moo als Modifikator des adverbialen Modifikators takusan nicht: (4.73) Moo takusan ne-ta. 'Ich habe schon viel geschlafen.'

14

In der gesprochenen Sprache werden sie durchaus prosodisch unterschieden: i) mit der dem Wort moo eigenem Akzentmuster hoch-tief, ii) ohne Pause zwischen moo und sukosi, außerdem bilden diese eine Akzenteinheit, in der moo tief-hoch und sukosi mit hoch-hoch-tief ausgesprochen werden.

121 Moo kann nicht nur bei Verben, sondern auch bei vielen Adjektiven als deren unmittelbarer Modifikator vorkommen:15 (4.74) Moo nemu-i. schon schläfrig.sein-PRÄS

'Ich bin schon müde.'

Ähnliches gilt auch für das Adverb totemo 'sehr', das in totemo kitana-i 'sehr unschön' in (4.44) die Rolle eines unmittelbaren Modifikators eines Adjektivs und in totemo takusan 'sehr viel' in (4.68) die eines Modifikators des unmittelbaren Modifikators des verbalen Prädikates spielt. Es kann zwar nicht bei allen Verben, z.B. nicht bei ne-ru 'schlafen', als unmittelbarer Prädikatsmodifikator auftreten, aber bei vielen doch, z.B. (vgl. (2.1)): (4.75) Totemo yorokob-u. sehr sich, freuen

'Er/sie wird sich sehr freuen.'

Als typische Adverbien können daher z.B. totemo und moo genannt werden. Wir haben oben jedoch festgestellt, dass einerseits Wörter, die üblicherweise als Adverbien klassifiziert werden, in bestimmten Fällen eine nominale Eigenschaft aufweisen können und dass andererseits Wörter, die eine nominale Eigenschaft gemeinsam haben, hinsichtlich der anderen Kriterien vom nominalen Verhalten abweichen. Als Beispiele solcher Wörter haben wir die folgenden mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet: sugu 'sofort, unmittelbar', das in Begleitung von no bestimmte Nomina attribuieren kann (z.B. sugu no kisya 'der nächste Zug' in (4.11 a)) und sich so in dieser Hinsicht wie ein Nomen verhält, aber sonst kein nominales Verhalten zeigt; Zeitbezeichnungen, die zwar syntaktisch weitgehend ein nominales Verhalten, aber doch eine merkliche Tendenz zur Adverbialität zeigen; und Mengenbezeichnungen, die bis auf die Markierung mit no im Fall der pränominalen Attribution eine starke Affinität zu Adverbien zeigen. Wir haben ferner beobachtet, dass die letzteren beiden jeweils eine graduelle Abstufung der Nomenhaftigkeit innerhalb ihrer Klassenmitglieder aufweisen. Bevor wir unsere Beobachtungen tabellarisch zusammenstellen (s. (4.78)), fügen wir noch einige postnominale Partikeln zur Betrachtung hinzu, weil es als wesentliches unterscheidendes Merkmal zwischen Nomina und Adverbien gilt, ob ein Wort überhaupt vor einer postnominalen Partikel stehen kann. Als solche kommen außer no, o und ni für Zeitangaben die folgenden in Frage:

15

moo 'schon' kommt bei Adjektiven und Nominaladjektiven weit häufiger in translativen Konstruktionen mit nar-u 'werden' vor, z.B.: Moo nemu-ku

nat-ta.

'Ich bin schon müde (geworden).'

schon schläfrig.sein-ADV werden:ADV-PRÄT In diesem Fall modifiziert moo eher das Verb 'werden' als das Adjektiv unmittelbar.

122 (4.76) Postnominale Markierungen ( ) ni außer für Zeitangaben, insbesondere für den Translativ (s. (4.77) unten); (ß)*fl (z.B. (4.34)); ( ) to für den Soziativ-Komparativ (vgl. (4.27)), das von to für die Koordination von Nomina mit identischer Adjunktrolle (= (d) in den Tabellen (4.78)) unterschieden werden soll; ( ) yon für den Ablativ (lokalen und temporalen Ausgangspunkt) und den Komparationsablativ; ( ) kam für den Ablativ (lokalen und temporalen Ausgangspunkt) (z.B. (3.48)); ( ) made für den Terminativ (lokalen und temporalen Endpunkt bzw. Grenze, etwa 'bis'); ( ) de für den Lokativ (z.B.(3.50)), den Instrumental (z.B. (4.9)ff.) und den spezifischen Terminativ (Endpunkt z.B. in 'mit diesem Punkt komme ich zum Ende'), das von der adverbalen Form de des Nominalprädikators (= (g) in (4.78), vgl. (2.10)) unterschieden werden soll Rein paradigmatisch betrachtet käme auch e für den Direktional (z.B. (3.49)) in Frage, das aber aus semantischen Gründen hier nicht berücksichtigt zu werden braucht. Geben wir für das Auftreten der hier genannten postnominalen Markierungen je eine typische Umgebung an, die am wenigsten von Selektionsrestriktionen belastet ist: (4.77) (a) (a) N m

nar-u werden-PRÄS

'(zu) N werden';'für N entschieden werden'

su-ru tun-PRÄS

'zu N bringen'; 'sich für N entscheiden'

(ß) N ga

i-i gut.sein-PRÄS

'N ist gut (/ günstig / passend)'

( ) N to

tiga-u sich.unterscheiden-PRÄS

'anders als N sein; sich von N unterscheiden'

( ) N yori

i-i gut.sein-PRÄS

'besser als N sein'

(b) N ni

( ) (a) N /fcara{hazimar-u/hazime-ru} 'mit N anfangen' (anfangen(itr.)-PRÄS / anfangen(tr.)-PRÄS} (b) N kara {deki- / nat- }te-i-ru 'aus N {beschaffen sein / bestehen}' {entstehen-/ bestehen- }CJ-DUR-PRÄS ( ) N made

tuzuk-u

'bis N dauern'

dauern-PRÄS

( ) (a) N de owar-u enden-PRÄS

'mit / an / bei / auf N enden'

123 (b) N de deki-te-i-ru entstehen-CJ-DUR-PRÄS

'mit/aus N beschaffen sein'

(c) N de i-i gut.sein-PRÄS

'mit N gut (/ in Ordnung / einverstanden) sein; N ist (schon) in Ordnung; N genügt'16

Diese postnominalen Partikeln werden in den Tabellen in (4.78) unter (c iii) aufgelistet, während ni für Zeitangaben sowie o, welche beiden oben schwerpunktmäßig behandelt wurden, gesondert als (c ii) und (ci) angegeben werden. Die nominalen Eigenschaften, die in (4.66) aufgelistet sind, werden mit denselben alphabetischen Kennnummern von (a) bis (g) aufgenommen, die adverbialen Eigenschaften (4.67 a i) aber als (h), (4.67 a ii) als (i), und (4.67 b) als (j). In jedem Fall wird die Möglichkeit des Vorkommens der betreffenden Wörter bei einer metasprachlichen Aussage wie z.B. 'takusan unterscheidet sich von totemo', 'takusan verwenden', 'takusan passt hier gut' usw. nicht berücksichtigt. Femer ist anzumerken, dass Mengenbezeichnungen nur dann positiv bewertet werden, wenn sie in einem Satz mit keiner nominalen Konstituente, auf deren Quantität sie sich beziehen können, vor einer der genannten Markierungen stehen können. Dieselbe Bedingung gilt auch für (d), (e) und (f). Für eine positive Bewertung bei (h) und (i) ist es außerdem nötig, dass sich die Mengenbezeichnung nicht auf die Quantität des Bezeichneten der weggelassenen nominalen Konstituente, sondern unmittelbar auf das Ausmaß des vom jeweiligen Prädikat bezeichneten Vorgangs bzw. Zustandes bezieht.

16

Bei de in (4.77 c) ist es trotz der ziemlich problemlosen Übersetzbarkeit durch mit im Deutschen nicht eindeutig, ob es sich hier um die instrumentale Markierung oder um die adverbale Form des Nominalprädikators da handelt, weil sich N de i-i zu -te i-i 'dürfen' nach einem Prädikat in der adverbalen Form, z.B. kaet-te i-i 'man darf nach Hause gehen' (kaer-u 'zurückgehen'), paradigmatisch verhält. Für die letztere Analyse spricht insbesondere der Fall, in dem der Stamm eines Nominaladjektivs auch ein selbständiges Nomen sein kann und die beiden Wörter daher außer in der attributiven Funktion sehr schwer auseinander zu halten sind. Ein Beispiel dafür stellt baka 'Idiot' und baka-da 'dumm sein' dar. Als Attribute unterscheiden sie sich voneinander, z.B. baka no hito 'ein Mensch, der ein Idiot ist' vs. baka-na hito 'ein dummer Mensch'. Aber sonst haben sie überall gleiche Formen. baka(-)de i-i ist zwar vom kategorialen Standpunkt her als 'es geht ruhig mit einem Idioten; man darf ruhig ein Idiot sein' gegenüber 'man darf ruhig dumm sein' unterscheidbar, aber in der normalen Kommunikationssituation wird darüber nicht reflektiert. D.h. wenn die Sequenz baka-de eine flexivische Form des Nominaladjektivs ist, muss die gleichlautende Sequenz mit Nomen und de auch flexivisch sein, weil die beiden Kategorien in diesem Syntagmatyp nicht klar für Muttersprachler unterscheidbar sind. Also müsste de nicht die instrumentale Markierung, sondern die adverbale Form des Nominalprädikators da sein. Für diejenigen Linguisten, die keine selbständige Wortart Nominaladjektiv anerkennen wollen (vgl. Kap. 3), müsste die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von de noch schwerer fallen. Obwohl de für lokale und instrumentale Adjunktmarkierung und de als Adverbalform von da etymologisch ein und dasselbe waren (vgl. Konoshima 1983: 76ff) und es daher auch für die jetzige Sprache eigentlich keinen zwingenden Grund dafür gibt, sie voneinander unterscheiden zu müssen, stellt ihre Nicht-Unterscheidung eine schwerwiegende Folge für die synchrone Analyse des modernen Japanischen dar.

124 (4.78) Nominale und adverbiale Eigenschaften von Zeit- und Mengenausdrücken

(A)

sugu itu ima genzai kako 'sofort' 'wann' 'jetzt' 'Gegen- 'Verganwart' genheit'

(a) (b) (c i) (c ii) (c iii)

17

+/-

_o

-

_ni (temporal)

(a) (ß) () ( ) ( ) ( ) ( ) (d) (e) (0 (g) (h) (i) Ü)

_no N Nno_

_m -ga JO

_yori Jcara jnade _de _NCO N; N NCO_ DET_ PRÄD_ _da _0 PRÄD _ADJ _ADV

X-nen Jahr

+

+

H-

+

+

+

) -

+ -

+ (+)

+ +

+ +

+ +

( + ) + + + + + + + + + + + + + + + + + + + (+) (+) + + + + + +

+ + + + + + + + +

+ + + + + + + + +

+ -

0 0 0

0 0 0

-

-

( -

+

+17 + + ( + ) + +

0 0 0

0 0 (+)

0 0 0

+

+ + +

Sugu ni kann aber auch eine Variante des markierungslosen adprädikativen sugu wie in (4.1) sein. Sugu ni su-ru nach dem Muster von (4.77) ist daher doppeldeutig, entweder 'ich tue es sofort' (= sugu su-ru) oder 'ich entscheide mich für sofort (als Termin/Zeitpunkt für etwas)'.

125

yoku Oft'

(B) (a) (b) (c i) (c ii) (c iii) (a) ( ) (Y) (δ) (ε) (ζ) (d) (e) (f) (g) (h) (i) )

+ (+) (+) (+) _-

+ (+) (+) + + _-

+ + (+) + + + + (-) _

+

(+) (-) + + (+) (+)

+ + + + + + 0 0

-

_

-

+ + 0

+ (+) (+)

(a) (b) (c i) (c ) (c iii) (a) ( ) (Y) (δ) (ε) (ζ)

(η)

0)

itumo 'immer'

(η)

(C)

(d) (e) (f) (g) (h) 0)

tokidoki Oft'

ikutu-ka 'einige'

zenbu 'alle'

+ + + 0 + + -t(+) + (_) + + + + +

+ + + 0 + + + + + + + (+) (-) +

-

-

takusan 'viel' + (-) (-) 0 + (+) (+) + ( + + (-) + + -

sukosi 'wenig' + (+) (-) 0 + (+) (+) + ) + _ + (-) + + + +

mainiti 't glich'

totemo 'sehr'

moo 'schon, noch'

-

0 -

-

_ -

-

H + + +

(-) + + +

-

126 Die meisten der hier behandelten Wörter sind Nomina hinsichtlich des Kriteriums des Vorkommens vor dem Nominalprädikator da (= (g)) sowie hinsichtlich der Obligatorietät des Vorkommens des nominalen Adnominalitätskennzeichens no vor einem zu attribuierenden Nomen. Aber in Hinblick auf die anderen nominalen Eigenschaften wie die Kombinierbarkeit mit den postnominalen Markierungen für nominale Adj unkte (= (c)), die Koordinierbarkeit (= (d)), die Determinierbarkeit (= (e)) und die Expandierbarkeit durch ein adnominales Prädikat sind sie nur teilweise nomenhaft. Einige zeigen neben dem niedrigen Grad der Nomenhaftigkeit auch adverbiale Eigenschaften (= (h), (i), (j)). Somit ist die "Squishiness" dieser paradigmatischen Klassen zugleich ein Indiz für die "Fuzziness" der beiden betroffenen Wortarten Nomen und Adverb. Nur an den beiden Polen sind Nomina und Adverbien als solche identifizierbar, aber in der "squishy" Zone gehen die beiden Wortarten ineinander über.

4.5. Ein Kreis von Wortarten: Adverb - Nominaladjektiv - Nomen - Adverb Eine Erscheinung, die hier gänzlich außer Acht gelassen werden musste, ist die dem Verhältnis zwischen Nomina und Adverbien vergleichbare "Squishiness" zwischen Adverbien und Nominaladjektiva. Die Nominaladjektiva erfüllen regelmäßig in der Form auf -ni, die in der Morphemübersetzung als Adverbalform 3 spezifiziert wird (vgl. Fußnote 4.nl in 4.1), adverbiale Funktion, z.B. kiree-ni (tukur-u) 'schön (herstellen)'. Es gibt aber auch solche Nominaladjektiva, deren Stamm ohne Endung adverbial gebraucht wird, z.B. taihen 'sehr' wie in (4.79): (4.79) (a) taihen sehr

kiree-da schön.sein:PRÄS

'sehr schön sein'

Taihen-da als Nominaladjektiv bedeutet eigentlich 'ungewöhnlichen Ausmaßes sein' und wird in der Alltagssprache für die Bedeutung von 'hart und anstrengend sein, schlimm sein' gebraucht. Es hat die regelmäßige Adnominalform auf-na, z.B.: (4.79) (b) taihen-na sigoto anstrengend.sein-ADN Arbeit

'eine anstrengende Arbeit'

Taihen-da ist insofern zweifellos ein Nominaladjektiv. Seine Adverbalform auf -ni ist aber in der heutigen Standardsprache auf die translative Konstruktion (vgl. (4.77 a)) beschränkt, z.B.: (4.79) (c) taihen-ni

nar-u

anstrengendsein-ADV3 werden-PRÄS

'anstrengend (bzw. schlimm) werden'

127

Für die adverbiale Funktion wird nicht diese regelmäßige Form, sondern die endungslose Stammform gebraucht. Hier werden wir mit dem Problem konfrontiert, wie wir taihen wortartmäßig identifizieren bzw. klassifizieren sollen. Wenn wir die endungslose Form taihen als eine funktionsbedingte Variante der Adverbalform des Nominaladjektivs analysieren, sind wir zwar dem kohärenten lexikalischen Zusammenhang zwischen taihen und taihen-da gerecht geworden, werden dann aber erneut mit einem weiteren Problem konfrontiert. Denn nicht alle Nominaladjektiva haben diese endungslose Form für die adverbiale Funktion vor einem Adjektiv oder einem Verb. Beispiele hierfür sind *kiree 'schön', *izyoo 'anormal' und *iyoo 'unheimlich'. Diese müssen sowohl für die translative als auch für die adverbiale Funktion die Endung -ni haben. D.h. wenn wir taihen als eine Flexionsform, nämlich als endungslose Adverbalform, betrachten wollten, müssten wir die Nominaladjektiva subkategorisieren (ein ähnliches Problem hatten wir hinsichtlich der Nomina, wenn wir keine gesonderte Wortart Nominaladjektiv annehmen wollten, vgl. 3.2). Wenn wir andererseits taihen aufgrund seiner morphosyntaktischen und semantischen Eigenschaften als Adverb klassifizieren, hätten wir mit einer Art Derivationsverfahren zu tun, das recht idiosynkratisch appliziert. Dies ist angesichts der tatsächlichen Idiosynkrasie der Existenz der endungslosen Stammform mit adverbialer Funktion - d.h. es gibt keinen erkennbaren Grund, warum taihen 'übermäßig, sehr' ohne -ni und izyoo-ni 'anormal, übermäßig' mit -ni auftreten muss und unter welcher Bedingung die adverbiale Verwendung der endungslosen Form möglich ist - kein schwerwiegendes Problem. Gerade diese Idiosynkrasie liefert die Stütze dafür, taihen als ein selbständiges Wort zu betrachten und diesem einen eigenen Lexikoneintrag einzuräumen. Da es sich sowohl morphosyntaktisch durch seine Endungslosigkeit gegenüber dem paradigmatischen Auftreten der Endungen bei taihen-da, als auch semantisch-syntaktisch durch seine adverbiale Modifikatorfunktion gegenüber der Prädikatsfunktion des letzteren eindeutig identifizieren lässt, gäbe es kein Argument dagegen, es für eine eigenständige lexikalische Einheit zu halten. Es gibt aber eines. Das Problem der Zuweisung von taihen zu einem selbständigen Wort besteht darin, dass es das Nominaladjektiv taihen-da dessen paradigmatischer Adverbialfunktion sozusagen "beraubt". Wie oben angemerkt, hat die Adverbalform taihen-ni des Nominaladjektivs, abgesehen von bestimmten besonders hervorhebenden Verwendungen, die adverbiale Funktion nicht, die vom endungslosen taihen übernommen wird. Dieses komplementäre Verhältnis weist darauf hin, dass die beiden doch zusammengehören. Neben diesem schwierigen Punkt entsteht noch ein zusätzliches analysebezogenes Problem, wenn wir taihen 'übermäßig, sehr' und taihen-da 'übermäßig/anstrengend sein' zwei getrennten Wortarten zuweisen wollen. Denn dadurch geschähe sozusagen ein Dammbruch bei der Analyse der anderen, sich ähnlich verhaltenden Wörter. Ein und dasselbe Wort kann dann je nach seinem syntaktischen Verhalten und seiner syntaktisch-semantischen Funktion unterschiedlichen Wortarten zugewiesen werden. Dies ist bei Wörtern wie takusan 'Vielsein; viel' und sukosi 'Wenigsein; (ein) wenig', die anders als taihen und taihen-da nicht aufgrund der flexivischen Morphosyntax (sowie deren Zusammenhang mit der Semantik) in zwei Wortarten getrennt werden können, eine gravierende Angelegenheit. Man müsste, wenn

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man das tun wollte, ein klar verifizierbares Kriterium für die Wortklassenzuweisung liefern, was aber angesichts der graduellen Erscheinungen, die wir in den Abschnitten oben beobachtet haben, alles andere als einfach ist. Darüber hinaus ist es fraglich, ob man eine formale und lexikalische Einheit wie takusan oder sukosi überhaupt in zwei unterschiedliche Wortarten trennen darf. Eine alternative Möglichkeit bieten die meisten einsprachigen Wörterbücher des Japanischen, die bei Wörtern wie taihen(-da) 'übermäßig (sein)', takusan 'viel' und sukosi '(ein) wenig' keine getrennten Eintragungen vornehmen, sondern innerhalb einer Eintragung, d.h. eines Lemmas, zwei oder drei Wortarten auflisten. Nach diesem Ansatz ist ein Wort bzw. ein Lemma eine lexikalische Einheit, für die keine exhaustive Wortartenkategorisierung vorausgesetzt wird, m.a.W.: ein Wort muss nicht unbedingt zu einer einzigen Wortart gehören, und die Zugehörigkeit eines Wortes zu einer bestimmten Wortklasse ist weder eine notwendige Bedingung dafür, dass ein Wort eben ein Wort ist, noch ein unterscheidendes Merkmal eines Wortes.18 Wortarten sind dann keine lexikalische, sondern eine grammatische Angelegenheit. Ein Wort als lexikalische Einheit zeigt in einer bestimmten Umgebung ein bestimmtes grammatisches Verhalten, das einer bestimmten Wortart wie Nomen zugeschrieben wird. Es zeigt aber in einer anderen Umgebung ein anderes Verhalten, das einer anderen Wortart, z.B. dem Adverb zugeschrieben wird. Da sowohl die Umgebungen als auch die grammatischen Verhaltensweisen typisierbar sind, sind die Wortarten auch innerhalb einer lexikalischen Einheit als diskrete Kategorien auflistbar. Ist das eine Alternative für die Lösung unseres Problems? Gewiss kein uninteressanter Ansatz. Andererseits ruft die diskrete Wortartenkategorisierung innerhalb eines Wortes den Verdacht einer simplifizierenden Analyse hervor, die die vielen kontinuierlichen Erscheinungen missachtet. Dieser Eindruck ist nun besonders stark, nachdem wir oben eine detaillierte deskriptive Analyse solcher Wörter gemacht haben, die keine Diskretheit, sondern kontinuierliche Übergänge zeigen. Überhaupt setzt die lexikologische Tradition in Japan fast a priori eine Menge von diskreten Wortarten voraus. Wenn ein Wort aufgrund seiner morphosyntaktischen Charakteristik nicht vollkommen zu einer Wortart passt, müssen mindestens seine Teilbereiche jeweils einer bestimmten Wortart zuzuschreiben sein. Unbestimmtheit eines Wortes hinsichtlich dessen Wortartenzugehörigkeit ist nicht erlaubt. Da die Wortartenspezifizierung meistens aus dieser Grundhaltung heraus durchgeführt wird, gibt es immer wieder Wortartenzuweisungen, die in Anbetracht der morphosyntaktischen Eigenschaften des betreffenden Wortes eigentlich nicht haltbar wären, und für die auch kein alternatives verifizierbares Kriterium geboten wird. Vergleichen wir die Eintragungen für taihen, takusan und sukosi in drei Wörterbüchern größeren Umfangs, von denen zwei klassisch-philologisch ausgeprägt sind (Shinmura (ed.) 1955 und Nihon-Daijiten-Kankokai (eds.) 1974, unten abgekürzt als N.D.K), während das dritte (Umesao et al. (eds.) 1989) den Charakter eines normalen Gebrauchswörterbuches hat:

18

Die Situation ist nicht mit doppelter Staatsbürgerschaft, sondern mit verschiedenen Funktionen bzw. Tätigkeiten eines Menschen vergleichbar, die dieser nicht gleichzeitig, sondern in unterschiedlichen Zeiten und Kontexten ausüben kann.

129

(4.80) Vergleich der Wortartenzuordnung in repräsentativen Wörterbüchern

^-\^

(a) Shinmura 1955

(b) N.D.K. 1974

(c) Umesao et al.

I. Nomen II. Adverb

1.1. Nomen 1.2. Nominaladj. II. Adverb

I. Nomen II. Nominaladj. III. Adverb

(ii) takusan

Nomen

Nomen (Nominaladj.)

Adverb/ Nominaladj.

(iii) sukosi

Adverb

Adverb

Adverb

(i) taihen

Dass die Wortart Nominaladjektiv bei Shinmura (ed.) 1955 nicht auftaucht, beruht darauf, dass er keine gesonderte Wortart Nominaladjektiv anerkennen will, sondern diese als eine Unterklasse des Nomens betrachtet (vgl 3.2 oben). Aus einem ähnlichen Grunde wird das Nominaladjektiv bei N.D.K. (eds.) 1974 zwar aufgeführt, aber als eine Unterart der Nomina behandelt. Dass alle drei Lexika Nomen als eine der Wortarten von taihen angeben, beruht auf der archaischen Verwendung dieses Wortes für die Bedeutung 'schwerwiegendes Ereignis'. Das, was bei diesen Wörterbuchangaben augenfällig ist, ist die Einheitlichkeit der Behandlung von sukosi als Adverb einerseits und die unterschiedliche Wortklassenzuweisung zwischen sukosi und takusan andererseits. Hatten sie in unserer deskriptiven Analyse einen so großen Unterschied gezeigt, dass sie in zwei unterschiedliche Wortarten klassifiziert werden könnten? Hatte sukosi nicht zu viele nominale Eigenschaften gezeigt, um als Adverb klassifiziert zu werden? Allein das Lexikon von Umesao et al. (eds.) 1989 ist dem wirklichen Verhältnis zwischen diesen beiden Wörtern mehr oder weniger gerecht geworden. Aber auch dieses macht die unhaltbare Wortartenzuweisung von takusan zum Nominaladjektiv, zumal es als eine von nur zwei Umgebungsbeispielen für diese Eintragung no hitobito [ N.ADN Leute] 'viele Leute' angibt. Was wäre dann das Kriterium für die Wortartenunterscheidung zwischen Nomen und Nominaladjektiv, wenn nicht die pränominale Form mit no beim Nomen vs. auf -na beim Nominaladjektiv? Wenn man auf dieses formale Kriterium verzichtet, bleibt nur noch eine recht subjektive Beurteilung aufgrund semantischer und referentieller Eigenschaften sowie typischer Funktionen übrig. Dann wäre die Haltung von Shinmura (1955), überhaupt auf die Unterscheidung zu verzichten, doch konsequenter und klüger. So wären manche unzulänglichen Züge des anfangs attraktiv erschienenen Ansatzes zutage getreten (vgl. auch Mattissen 1995: z.B.4, 57f.). Aber noch ein Punkt fällt beim Vergleich der obigen Lexikonangaben ins Auge, der bemerkenswert erscheint. Bei allen drei findet man keine unmittelbare Konstellation von Nomen und Adverb. Bei Shinmura (1955) ist deren Konstellation bei taihen nur wegen der Aufgabe des Nominaladjektivs zu finden. Es sieht daher so aus, dass Nomen und Adverb nur über das Nominaladjektiv ineinander übergehen könnten. Wenn das eine adäquate Beschreibung einer verifizierbaren Erscheinung wäre, wäre es äußerst interessant. Oder ob die Lexikonverfasser von der Annahme

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ausgingen, dass das Nomen mit "harter Substanz" und das "flüssige" Adverb ohne die Vermittlung des Nominaladjektivs keinen Berührungspunkt, geschweige denn eine Übergangszone haben könnten. Zwar ist weder die Beschreibung adäquat noch die Vermutung über die Annahme der Verfasser zutreffend - die erstere wird durch unsere Beobachtungen in den Abschnitten oben und die letztere durch die Angabe von zenbu 'alle(s)' als Nomen/Adverb bei Umesao et al. (1989) jeweils widerlegt -, aber diese Art der Skala zwischen den Wortarten wäre jedenfalls etwas, das bei der Analyse dieser "squishy" Erscheinungen in Erwägung gezogen werden müsste. Dass das Adverb und das Nominaladjektiv in einer sehr engen Beziehung stehen, haben wir in diesem Abschnitt beobachtet. Über die skalaren Erscheinungen und Übergänge zwischen dem Nomen und dem Adverb haben wir in den obigen Abschnitten ausführlich diskutiert. Dass auch das Nomen und das Nominaladjektiv eine organische Beziehung haben und oft ineinander übergehen, hatten wir insbesondere in Kap. 3 erörtert. Diese drei Wortarten verhalten sich zueinander daher wie drei Spitzen eines Dreiecks. Das Nomen ist die labilste unter diesen dreien und wird sowohl vom Adverb als auch vom Nominaladjektiv angezogen. Dieses Dreieck bildet aber keine Skala, auf der das Nomen eine Mittelposition einnehmen würde, denn das Adverb und das Nominaladjektiv ziehen sich auch unvermittelt an. So hält sich dieses Dreieck in einem gewissen Gleichgewicht, obwohl das Adverb, die kleinste Wortart bzw. die Menge mit den wenigsten Elementen, die stärkste Anziehungskraft in beide Richtungenen ausübt. Denn wegen der geringen Menge hat die Wortart Adverb genug Kapazität für neue Mengenelemente. Das Nominaladjektiv kann dank seiner Produktivität neue Elemente bilden, so dass es auch seine Elemente ruhig hergeben kann. Das Nomen, die hinsichtlich der Anzahl der Elemente größte Menge überhaupt, kann seine Elemente auch überall hin weggeben; es kann ohne formales Joch seine Elemente immer weiter vermehren. Die Situation, die hier ziemlich plastisch dargestellt wurde, würde darauf hinweisen, dass zwischen diesen drei Wortarten ständig Wortartenwechsel stattfände. Dies kann in einzelnen Fällen in der Tat vorkommen, wie die Markierung mit -na statt no oder umgekehrt bei Nomina und Nominaladjektiva vor einem Nomen, aber in den meisten Fällen handelt es sich darum, dass ein Element einer Wortart die Funktion einer anderen Wortart übernimmt, zwar oft mit der formalen Angleichung an das Merkmal der anderen Wortklasse wie das markierungslose Nomen und das endungslose Nominaladjektiv in der adverbialen Funktion, aber ohne sofort seine Wortart zu wechseln. Zwischen den jeweiligen zwei Spitzen des Wortartendreiecks sind immer kontinuierliche Erscheinungen zu beobachten. Ob aus dem Dreieck ein Kreislauf entsteht, worauf die Überschrift dieses Abschnittes hingewiesen haben mag, ist eigentlich Gegenstand einer noch durchzuführenden Studie, worauf hier aber nicht weiter eingegangen werden kann.19 19

Vgl. die besondere Klasse "Modifikatoren" bei Malussen (1995), die wie folgt charakterisiert wird: "Die Klassifikation der fraglichen Lexeme bereitet Schwierigkeiten, da sie keine von anderen Kategorien distinkte kategorienetablierende Morphologie und Distribution aufweisen, sondern z.T. mit Nomina, z.T. mit Adjektiven überlappen, und weder durch ihre morphologische Form noch durch ihre Paradigmen eine homogene Klasse konstituieren. Stattdessen müssen die Modifikatoren

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4.6. Von einzelsprachlichen zu übereinzelsprachlichen Erscheinungen und zurück

Was uns bei den Beobachtungen der Eigenarten der Zeit- und Mengenbezeichnungen oben ins Auge fällt, ist, dass wir es hier mit einer übereinzelsprachlich verbreiteten Erscheinung zu tun haben. Es ist fast erstaunlich, welche Parallelität solche sowohl genetisch als auch geographisch weit entfernten Sprachen wie Japanisch und westgermanische Sprachen in dieser Hinsicht aufweisen. Sowohl die Zeit- als auch die Mengenbezeichnungen im Deutschen oder im Englischen zeigen die dem Japanischen ähnliche "Fuzziness" der Wortarten (vgl. z.B. Vater 1980 und Reis & Vater 1980 bezüglich des Quantoren-"Floating" im Deutschen). Man denke z.B. an heute und gestern, von morgen ganz zu schweigen. Darüber hinaus ist die Markierungslosigkeit der Zeitangaben wie dieses/letztes/nächstes Jahr mit den Verhältnissen im Japanischen vergleichbar, auch wenn im Deutschen der Kasus Akkusativ doch im Spiel ist. Diese sozusagen "minimale" Markierung der deiktischen Zeitangaben hebt sich aus den üblichen expliziten Markierungen mittels Präpositionen wie an und in heraus. Auch die Neigung der Mengenangaben zur Adverbialität aufgrund deren "Floating"-Verhaltens sowie die syntaktische "Squishiness" der Konstruktionen aus einer Gegenstandsbezeichnung

in verschiedenen Gruppen von Lexemen gleicher Distribution subdifferenziert werden, die sich von ihrer Nachbargruppe nur durch jeweils e i n e Form des Paradigmas unterscheiden. Diese Gruppen sind zwischen den Kategorien Substantiv, Adverb und Adjektiv angesiedelt" (p.57). Auf p.46 sind die Modifikatoren jedoch als eine Subklasse der Nomina klassifiziert (s. 4.nl3 oben). Mattissen führt aus: "Schließlich müssen zu den Modifikatoren Lexeme gerechnet werden, die überwiegend adverbial gebraucht werden, aber im Gegensatz zu Adverbien auch ein Paradigma mit attributiver und prädikativer Form haben [...]" (p.61); "[...] werden sie bei Martin als 'predicable adverbs' (1986[= 1975]: 179) bezeichnet, und Wenck spricht von einem 'adnominalen Gebrauch' von Adverbien. [...] Diese Klassifizierung weicht die Grenze zwischen Nomina und Adverbien auf, sowohl in bezug auf das Paradigma als auch auf ihre Funktion. Da für die Lexeme, die ausschließlich adverbial stehen, eine eigene lexikalische Klasse Adverb angesetzt werden muß und andererseits [...] ein adverbialer Gebrauch von Nomina ohne Kasusmarkierung in anderen nominalen Subklassen vorkommt, ist die Klassifikation dieser Entitäten als Modifikatoren zumindest beschreibungstechnisch konsistent" (p.61); "Die Formen des Paradigmas des Modifikators stellen eine Teilmenge des nominalen Paradigmas dar, unterscheiden sich von denen der hilfsflektierten Adjektive [= Nominaladjektive, Y.O.] im Extremfall jedoch nur in einer, der attributiven Form" (p.63); "Modifikatoren stehen hinsichtlich ihres morphologischen und syntaktischen Verhaltens also zwischen zwei Kategorien. Da ihnen jedoch konstitutive Adjektiveigenschaften fehlen, die die hilfsflektierten Adjektive besitzen, und andererseits Modifikation durch Adverbien und Gebrauch als Adverbial auch in anderen nominalen Subklassen zu beobachten sind, werden Modifikatoren hier als Nomina klassifiziert" (p.65). Die distributionellen Eigenschaften der "Modifikatoren" sind u.a.: Vorkommen mit no als Attribut vor einem Nomen; Bildung eines Prädikates mit Hilfe der "Kopula"; inzeptive und faktitive Konstruktion (diese entsprechen (4.77 a)); adverbiale Verwendung mit de, ni oder Null; Inkompatibilität mit einigen Kasus; Nicht-Determinierbarkeit; NichtModifizierbarkeit durch Attribute (p.61 ff.). In der vorliegenden Arbeit wird auf diese Art der Subklassifikation von Nomina weitgehend verzichtet, ähnliche Problem wie "Modifikatoren" u.a. werden jedoch in 5.7 aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet.

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und einer Mengenbezeichnung im Deutschen (vgl. z.B. Löbel 1986) wie im Englischen ist hervorzuheben. Warum zeigen gerade diese Kategorien diese interessanten Erscheinungen? Das ist für das Japanische von besonderer Bedeutung, da diese Sprache sonst an der Regel der expliziten Markierung einer existierenden Dependenzrelation am Dependens festhält. Ein denkbarer Grund hierfür ist die Merkmallosigkeit der Funktion der Zeitangabe für Zeitbezeichnungen und die der Mengenangabe für Mengenbezeichnungen. Für diese Bezeichnungsarten ist die Funktion, als zirkumstantielle Angabe in einem Satz aufzutreten, natürlich und daher merkmallos. Hingegen ist ihr Vorkommen als Kernargument (Aktant) eines Satzes weitaus seltener und dementsprechend merkmalhaltig, was sich in der expliziten Adjunktmarkierung widerspiegelt. Wenn eine Funktion für eine Bezeichnungsart besonders natürlich und auch weitaus häufiger ist, muss diese erwartungsgemäße Funktion nicht explizit markiert werden. Eine explizite Markierung ist nur dann nötig, wenn der Erwartung nicht entsprochen wird. Dieser Mechanismus scheint bezüglich der Zeitangaben als Begründung der Markierungslosigkeit durchaus annehmbar zu sein. In Bezug auf Mengenangaben ist eine analoge Begründung allerdings schwieriger, zumal die Quantität eines Gegenstandes im Gegensatz zur Zeitlichkeit nicht untrennbar mit einem Vorgang und so mit dem sprachlichen Prädikationsakt verbunden ist. Ein möglicher Ausgangspunkt der ganzen Oszillation, der zugleich der wahrscheinlichste ist, ist der fließende Übergang zwischen Handlungen mit spezifischem Objekt, mit einem unspezifischen bzw. defokussierten Objekt, mit einem völlig in den Hintergrund geschobenen ("backgrounded") und dementsprechend nicht mehr sprachlich ("overt") kodierten Objekt und einer Handlung ohne gegenständliches Objekt, z.B.: 'von etwas Bestimmtem viel essen/trinken', 'von etwas viel essen/trinken', 'viel essen/trinken' und 'viel schlafen'. Am rechten Pol ist 'viel' eindeutig als Adverb identifizierbar. Am linken Pol bezieht es sich zwar semantisch-referentiell auf die Quantität des spezifischen Objektes, aber seine Kodierungsart ist gleich wie beim rechten Pol, also adverbial. Im Japanischen geht die Ausbreitung dieser Kodierungsart weiter auf andere Mengenbezeichnungen über. Als Folge einer etappen- bzw. stationsweisen Angleichung ist das Kodierungsmuster zwar an den beiden Polen gleich, aber die Identität der Mengenbezeichnungen ist nicht mehr deckungsgleich. So wird ikutu-ka 'einige' zwar syntaktisch gleich wie takusan 'viel' kodiert, kann aber nur am linken Pol, und zwar nur mit einem Verb, das diskrete zählbare Objekte haben kann, auftreten, z.B. 'essen', aber nicht 'trinken'. Zenbu 'alleis)' verhält sich ähnlich, aber bei diesem fällt die Bedingung der Zählbarkeit weg, also 'von etwas Bestimmtem alles essen / trinken'. Hingegen kann takusan 'viel' entlang der ganzen Skala sein Mitwirkungsrecht behaupten. Die "Phänomenologie" der Zeit und der Quantität ist auf diese Weise erklärbar. Dadurch ist jedoch das Problem der einzelsprachlichen morphosyntaktischen Analyse nicht beseitigt. Wenn man z.B. die Wortarten Nomen und Adverb im Japanischen definieren will und Wörter aufgrund dieser Definition klassifizieren will, bringen unsere Beobachtungen mehr Verwirrungen als eine Lösung. Insofern kann man die grundsätzliche Frage stellen, ob die Wortartenklassifizierung wirklich von großer Bedeutung und Wichtigkeit ist. Vom didaktischen Standpunkt her durchaus. Aber vom linguistischen Standpunkt her wäre es viel

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wichtiger, alle Oszillationen als solche herauszufinden, zu beschreiben und nach deren möglichen Ursachen zu suchen.

5. Markierung nominaler Satzkonstituenten

5.1. Definition und Charakterisierung von Nomina

Nachdem wir beobachtet haben, dass es keine saubere Trennlinie zwischen Nomina und Adverbien gibt und dass sich Nomina aufgrund eines einzigen Kriteriums wie der Begleitung durch no in der pränominalen attributiven Funktion weder eindeutig definieren noch als solche identifizieren lassen, ist es für uns dementsprechend schwieriger, nominale Satzkonstituenten zu definieren. Wir haben jedoch gesehen, dass Nomina anhand verschiedener Kriterien als Bündel von positiven und negativen Eigenschaften charakterisiert werden können (vgl. (4.78)). Demnach sind Wörter, die alle nominalen Eigenschaften in (4.66) und keine der adverbialen Eigenschaften in (4.67) aufweisen, prototypische Nomina, während diejenigen, die das umgekehrte Verhältnis zeigen, prototypische Adverbien sind. Es gibt zwischen diesen beiden Polen graduelle Abstufungen von Mehr und Weniger an Nomenhaftigkeit und Adverbhaftigkeit. Am Wendepunkt von einem Mehr an Nomenhaftigkeit zu einem Mehr an Adverbhaftigkeit finden wir sowohl Wörter wie sugu 'unmittelbar', die das Minimum der beiden Eigenschaften aufweisen, als auch solche wie sukosi '(ein) wenig', die recht viele nominale Eigenschaften und alle adverbiale Eigenschaften besitzen. Wenn wir mit einem einzigen Kriterium eine Wortart definieren und so diese von den anderen abgrenzen wollen, gibt es unterschiedliche Klassifikationen, je nach dem, welches Kriterium genommen wird. Wenn man z.B. das Kriterium des Vorkommens vor no nimmt, müssen fast alle bis auf die prototypischen Adverbien als Nomina klassifiziert werden, zu denen neben sukosi auch sugu gehören müsste, auch wenn dessen Vorkommen vor no nicht in jedem Fall möglich ist, sondern von der Art des nachfolgenden Wortes abhängt (vgl. (4.2), (4.11)). Wenn man aber das Vorkommen vor o als Kriterium nimmt, sind diejenigen, die als Nomina identifiziert werden können, nur prototypische Nomina sowie diejenigen, die die meisten nominalen Eigenschaften aufweisen. Der Rest müsste dann der Wortart Adverb zugewiesen werden, auch wenn er nur das Minimum an Adverbialität aufwiese. Auch in diesem Fall müsste der Umstand, dass manche Wörter nur in begrenzten Umgebungen vor o auftreten können (vgl. z.B. (4.13)-(4.16)), weitgehend außer Acht gelassen werden, und die Eigenschaft, überhaupt vor o auftreten zu können, müsste für die Zuordnung zu den Nomina ausreichen. D.h., wenn wir Wortarten aufgrund eines Kriteriums definieren und die Klassifikation exhaustiv gestalten wollen, sind wir dazu gezwungen, graduelle Erscheinungen zu ignorieren und Verhaltensweisen, die in den Tabellen unter (4.78) mit '+/-' oder mit '(+)' spezifiziert sind, als '+' zu betrachten. Wenn wir andererseits die Wortarten multifaktoriell definieren wollen, wie z.B. Nomina als ein Bündel von allen oder einigen der nominalen Eigenschaften in (4.66) und Adverbien als ein Bündel von allen oder den meisten der adverbialen Eigenschaften in (4.67), können nur diejenigen jeweils als solche identifiziert werden, die mehr oder weniger zum Prototyp

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gehören. Die Wörter in der Übergangszone sind dann weder Nomina noch Adverbien, sie müssen, wenn eine Analyse, die eine Definition und Klassifikation der Wortarten beabsichtigt, überhaupt so etwas zulässt, unidentifiziert bleiben. Oder sie werden wegen des Fehlens der Eigenschaften der einen Wortart der anderen zugeordnet, die, und nur die, dann ein "fuzzy set" bilden müsste. Ein solcher Definitions- und Klassifizierungsansatz wird von Rickmeyer (1985: 37, 238, 349) vorgeschlagen, der die Wortarten Nomen und Adverb wie folgt zu definieren versucht: [...] besteht die Wortklasse Nomina [...] aus einem Kernbereich und einer Restklasse. Zum Kernbereich gehören flexivfreie Wörter, die adverbal mit der Partikel ga oder o stehen können, und Wörter, denen die deiktiven Adnominalia kono, sono, ano syntaktisch zugeordnet werden können. Die Restklasse umfasst alle die Wörter, die von den Definitionen der anderen Wortklassen nicht erfasst werden, (p.238) Adverbien: Flexivfreie Wörter, die überwiegend adverbal stehen und dann meistens mit der Partikel to, mit der Partikel ni oder ohne Partikel formuliert werden, (p.37)

Seine Formulierungen "ga oder o" statt "ga und o", sowie "Wörter, die [...] können, und Wörter, denen [...]" statt "Wörter, die [...] können und denen [...]" machen seine Definition vage, weil man nicht wissen kann, ob nur eines dieser Kriterien ausreicht oder ob sie alle erfüllt sein müssen. Wenn man aber diese Formulierungen wie die letzteren verstehen wollte, würde seine Definition nur diejenigen Wörter umfassen, die den Prototyp darstellen, weil die Kriterien des Vorkommens vor o sowie nach einem der attributiven Demonstrativa ("deiktiven Adnominalia") die restriktivsten sind (vgl. (4.78)). Ferner ist die Wortklassenzugehörigkeit solcher Wörter, die sich nach unserer Analyse in der Übergangszone befinden, anhand seiner Definitionen immer noch nicht eindeutig, weil sie sich sowohl als solche, die zur Restklasse von Nomina, d.h. zur negativ determinierten Sammelgattung, als auch als solche, die ohne Partikel "überwiegend" adverbal stehen und daher Adverbien sein müssten, identifizieren lassen würden. Auf diese Weise ist jeder Definitionsversuch mit einem kaum lösbaren Problem verbunden. Demgegenüber bringt uns die Haltung, Wortarten nicht zu definieren, gleichgültig ob monooder multifaktoriell, sondern sie multifaktoriell zu charakterisieren, zu keinem Dilemma, sondern vielmehr zu wertvollen Einsichten. Wir entdecken dann über das Mehr und Weniger an gebündelten Eigenschaften hinaus bestimmte Verhältnisse zwischen den Faktoren, die uns aus der einschichtigen distributionalistischen Sichtweise hinausführt.1

1

Vgl. Mattissens (1995: z.B. 24f., 43ff.) "hinreichende" und "notwendige" Kriterien (s. Fußnoten 4.n3/13 oben) sowie ihre Darstellung der Subklassen von Nomina als eine Skala der Abnahme der Zahl der zutreffenden nominalen Kriterien (p.45f., s. Fußnote 4.nl3).

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5.2. Funktionale Korrelationen nominaler Eigenschaften 5.2.1. Implikative Verhältnisse zwischen nominalen Eigenschaften Eine solche Entdeckung bzw. Einsicht ist, dass zwischen den Eigenschaften, die Nominalität charakterisieren, bestimmte implikative Verhältnisse bestehen. Betrachten wir unsere Tabellen in (4.78) noch einmal genauer. Diejenigen Wörter, die vor o auftreten können, können alle vor ga vorkommen, während das umgekehrte nicht der Fall ist. Ferner können diejenigen, die durch ein attributives Demonstrativ determinierbar sind, vor o vorkommen. Hingegen können diejenigen, die vor o auftreten können, nicht immer durch ein Demonstrativ determiniert werden, obwohl die beiden Faktoren weitgehend Hand in Hand gehen. Daher besteht zwischen den drei Faktoren, die bei Rickmeyer 1985 als definitorische Kriterien der (Kern-)Nomina genannt sind, das folgende implikative Verhältnis: (5.1) demonstrativische Determinierbarkeit (DET =* Vorkommen vor o ( o) => Vorkommen vor ga ( ga)

)

Analoge Implikationsrelationen bestehen auch zwischen den weiteren Faktoren. So können alle Wörter, die vor ga auftreten können, auch vor no vorkommen (vgl. (4.66/78 a)), während das umgekehrte nicht immer der Fall ist. Also impliziert das Vorkommen vor ga die Möglichkeit des Auftretens vor no. Der Faktor no scheint seinerseits die Möglichkeit des Vorkommens vor dem Nominalprädikat da (vgl. (4.66/78 g)) zu implizieren, obwohl die beiden Faktoren fast deckungsgleich sind, was wohl auf dem organischen Zusammenhang zwischen ihnen beruht (vgl. Kap. 3). Das Vorkommen vor no wird ferner eindeutig vom Vorkommen nach einem nomenhaften Wort mit no (vgl. (4.66/78 b)) impliziert. Der mit dem letzteren in einem paradigmatischen Verhältnis stehende Faktor der Expandierbarkeit durch ein adnominales flexivisches Prädikat bzw. durch einen Adnominalsatz (vgl. (4.66/78 f)) ist weit stärker beschränkt und impliziert die Möglichkeit des Vorkommens nach no. Der Faktor der demonstrativischen Determinierbarkeit (vgl. (5.1) oben sowie (4.66/78 e)), der mit den letzten zwei sowohl hinsichtlich der Attributionsrelation als auch hinsichtlich der syntaktischen Position in Zusammenhang steht, scheint ein wenig stärker als die prädikative Attribuierbarkeit beschränkt zu sein, obwohl dies bei diesen beiden Faktoren, die keine erkennbare Differenz zeigen, alles andere als eindeutig ist. Demnach bestehen zunächst die folgenden beiden Implikationsverhältnisse mit dem gleichen Anfang und gleichen Ende: (5.2) demonstrativische Determinierbarkeit (DET ) => Vorkommen vor o ( o) => Vorkommen vorga ( ga) => Vorkommen vor no ( no) => Vorkommen vor da ( da)

137

(5.3)

demonstrativische Determinierbarkeit (DET ) => Vorkommen nach einem adnominalen Prädikat (PRÄD => Vorkommen nach no (no ) => Vorkommen vor no ( no) => Vorkommen vor da ( da)

)

Zu fragen ist nun, ob zwischen den Faktoren des Vorkommens vor o und ga in (5.2) einerseits und denen der Expandierbarkeit durch ein prädikatives Attribut und durch eine no-Phrase in (5.3) anderseits irgendwelche organischen Verhältnisse bestehen. Rein distributioneil betrachtet ist die Möglichkeit des Vorkommens nach einer no-Phrase weniger beschränkt als die vor o, aber restriktiver als die vor ga, die überhaupt eine niedrigere Beschränkung aufweist. Da die prädikative Attribuierbarkeit stärker beschränkt ist als das Vorkommen nach einer no-Phrase, müsste sie auch mehr Beschränkung als das Vorkommen vor ga zeigen, was unserer Beobachtung entspricht. Hingegen kann man zwischen ihr und dem Vorkommen vor o keine klare Korrelation erkennen. Daher sieht das Gesamtverhältnis bisher, das durch Addition der feststellbaren Korrelationen gewonnen wird, wie folgt aus: (5.4)

demonstrativische Determinierbarkeit (DET ) => Vorkommen nach einem adnominalen Prädikat (PRÄD / vorkommen vor o ( o) => Vorkommen nach no (no ) => Vorkommen vor ga ( ga) => Vorkommen vor no ( no) => Vorkommen vor da ( da)

)

Wie verhält sich nun eine der wichtigsten nominalen Eigenschaften, die Koordinierbarkeit mittels to bzw. ya (vgl. (4.66/78 d)), zu den anderen Faktoren? In der Beziehung zu den anderen Faktoren, die mit der Expansion einer Nominalphrase zu tun haben, scheint die Koordinierbarkeit zwar weniger als die demonstrativische Determinierbarkeit und die prädikative Attribuierbarkeit beschränkt zu sein, aber ihr Verhältnis zur Expandierbarkeit durch eine no-Phrase lässt sich nicht so eindeutig feststellen. Auch ihr Verhältnis zum Faktor des Vorkommens vor o ist nicht eindeutig, obwohl sie im Vergleich zum Vorkommen vor ga mehr Beschränkungen aufweist. Aufgrund dieser Beobachtungen können wir die folgenden zwei Relationen aufstellen: (5.5)

demonstrativische Determinierbarkeit (DET ) => Vorkommen nach einem adnominalen Prädikat (PRÄD => Vorkommen nach no (no ) / Koordinierbarkeit (NCO _; _ NCO)

)

138 (5.6)

Koordinierbarkeit (NCO_; _ NCO) / Vorkommen vor o ( ) => Vorkommen vor ga ( go)

Wenn wir nun diese beiden Relationen in das tentative Gesamtverhältnis in (5.4) zu integrieren versuchen, bekommen wir die folgenden unidirektionalen Implikationsrelationen, bei denen es als logische Folge des Zusammenspiels dreier Ordnungen zur Eliminierung der "störenden" Parallelität bzw. Gleichwertigkeit der Faktoren in den einzelnen Relationsketten (5.4), (5.5) und (5.6) kommt. Um die Identifizierung der Faktoren zu erleichtern, geben wir unten die in (4.66) und (4.78) benutzten alphabetischen Kennnummern an: (5.7)

(e) demonstrativische Determinierbarkeit (DET ) => (f) Vorkommen nach einem adnominalen Prädikat (PRÄD ) => (c i) Vorkommen vor o ( o) => (d) Koordinierbarkeit (NCO _; _ NCO) => (b) Vorkommen nach no (no ) => (c iii ß) Vorkommen vor ga ( ga ) => (a) Vorkommen vor no ( no) =* (g) Vorkommen vor da (

da)

Natürlich ist es fraglich, wie weit diese ziemlich mechanisch gewonnene Unidirektionalität der sprachlichen Realität entspricht, zumal die in (5.4), (5.5) und (5.6) beobachtete Parallelität der bestimmten Faktoren nicht zu leugnen ist. Zu fragen ist ferner, welche Implikation, welche Bedeutung, diese Implikationsrelationen haben, angenommen, dass sie so stimmen. Denn die Faktoren, die diese Relationen aufweisen, haben zwar alle mit nominalen Eigenschaften zu tun, sind aber funktional doch recht heterogener Natur. Welche wirklichen Zusammenhänge haben diejenigen Eigenschaften, die sich auf die Expansion einer Nominalphrase beziehen, diejenigen, die mit der Adjunktmarkierung zu tun haben, und die, bei denen es sich um Prädikation bzw. Prädikatbildung handelt? Außerdem ist nachzuprüfen, ob die obigen Relationen nicht Korpus-spezifisch sind und keine allgemeinere Gültigkeit, sondern einen zufälligen Charakter haben, denn die Daten stammen nur aus den Zeit- und Mengenbezeichnungen. Hat z.B. die stärkere Beschränkung des Vorkommens vor o nicht eher mit der semantischen Besonderheit dieser Bezeichnungen zu tun, als dass sie eine der korrelativen Erscheinungen der Faktoren ist?

5.2.2. Nominale Eigenschaften relationaler, modaler und prädikativer Nomina Fangen wir mit der letzten Frage an. In Kap. 4 oben wurden die Zeit- und Mengenbezeichnungen nicht deswegen ausführlich behandelt, weil wir etwa besonderes Interesse an den Zeit- und Mengenausdrücken hätten, sondern gerade deswegen, weil sie eine seltsame und für das japanische Verhältnis fast einzigartige "squishy" Erscheinung zeigen. Das heißt, sonstige Wörter, die üblicherweise als Nomina klassifiziert werden, zeigen alle nominalen

139

Eigenschaften, die prototypische Nomina besitzen. Dies ist nicht nur bei Konkreta, sondern auch bei Abstrakta wie koogeki 'Angriff in (3.25) und hakai in (3.53), hanasi 'Geschichte, das, worüber man spricht, Angelegenheit' in (3.37f.) der Fall. Auch solche Abstrakta wie koto 'Sache', die teilweise sehr stark grammatikalisiert und zum Status von Funktionswörtem gelangt sind, haben alle nominalen Eigenschaften bewahrt. D.h. bei ihnen findet man keine Minus-Spezifizierung irgendeiner Nominaleigenschaft. Selbst Relationsnomina wie naka 'Innen, Inneres', ue Oben' in (2.11) und mae 'Vorne' in (4.2) zeigen keine abweichenden Verhaltensweisen. Nur wenn einige von ihnen, z.B. mae 'Vorne', aida 'Zwischen(-raum)' und uti 'lnnen(-raum)', als temporale Nebensatzkomplementierer gebraucht werden, zeigen sie den Zeitbezeichnungen ähnliche Beschränkungen (vgl. Mattissen 1995:75ff., 86f.), z.B.: (5.8)

(a) kaer-u zurückkehren-PRÄS

mae (ni)

'bevor ich zurückkehr(t)e'

Vor

(b) kaer-u mae *o vgl.: (c) kaer-u mae no koto o omoidas-u zurückkehren-PRÄS Vor N.AD Sache AKK sich.erinnern-PRÄS 'ich erinnere mich an die Zeit, bevor ich zurückkehrte.'

(d) *sono kaer-u mae vgl.: (e) sono mae ni das:ADN Vor(ne)

'davor' (sowohl temporal als auch lokational)

(f) {sono / ieno} mae o aruk-u {das:ADN/HausN.ADN} Vor(ne) AKK gehen.PRÄS 'ich gehe {davor / vor dem Haus}' Analog verhält sich auch das Abstraktum toki 'Zeit', wenn es als Komplementierer eines temporalen Nebensatzes gebraucht wird, obwohl es in der Verwendung als Vollnomen alle nominalen Eigenschaften aufweist. Somit veranlassen die Abstrakt- und Relationsnomina keine Änderung der tentativen Ordnung der Faktoren in (5.7). Wie verhalten sich dann solche Wörter, die zwar durchaus einige nominale Eigenschaften besitzen, aber fast ausschließlich prädikativ gebraucht werden? Das sind vor allem hazu in (3.16ff.) und syooti bzw. go-zonzi in (3.52), deren Bedeutung ohne Begleitung von Nominalprädikator da bzw. dessen Flexionsformen sowie no kaum angebbar ist. Zwar wird ihre Bedeutung in Lexika jeweils ohne Begleitung eines solchen begleitenden Wortes angegeben, aber sie ist in Wirklichkeit erst durch Hinzufügung von da u.a. zu realisieren: hazu da 'scheinen, müssen' (vgl. Mattissen 1995: 96f.), (go-)syooti/ go-zonzi da 'wissen, kennen'. Hierzu gehört auch yoo-da 'scheinen, aussehen' in (3.13/14), das die Adnominalform auf -na, das morphologische Kennzeichen eines Nominaladjektivs,

140 hat, sich aber sonst einem Formalnomen ähnlich verhält und so hinsichtlich der Wortklassenzugehörigkeit einen typischen Fall von "Fuzziness" darstellt.2 Yoo-da und hazu da ähneln funktional den modalen Adverbialen wie kitto 'bestimmt' (vgl. (2.1), (4.19)) und tabun 'wahrscheinlich, vielleicht', die sich weitgehend den Gradadverbien wie totemo 'sehr' (vgl. (2.1), (4.68/75/78)) gleich verhalten, aber ähnlich wie sugu 'unmittelbar' auch vor da und, wenn auch marginal, vor no stehen können. Vergleichen wir die folgenden Beispiele: (5.9)

(a) Okaasan {wa/ga} totemo yorokob-u hazu Mutter {TOP/NOM} sehr sich.freuen-PRÄS 'Die Mutter wird sich wohl sehr freuen.'

da. NPRÄD:PRÄS

(b) Okaasan {wa/ga} kitto totemo yorokob-u. 'Die Mutter wird sich bestimmt sehr freuen.' (5.10) (a) Ano hi to wa (i) yuumee-na / ii)koosino} yoo-da jen:ADN Person TOP {berühmt.sein-ADN/Lektor N.ADN) scheinen-PRÄS 'Jene Person scheint (i) berühmt /ii) (ein/der) Lektor} zu sein.' (b) Ano hito wa tabun (i) yuumee- / ii) koosi} da. 'Jene Person ist wahrscheinlich {i) berühmt / ii) (ein/der) Lektor.}'

Yoo kann als Komplementierer eines deontischen Finalnebensatzes mit oder ohne -m stehen, z.B.: (a) Okaasan ni ku-ru yoo(-ni) tanom-u. Mutter DAT kommen-PRÄS bitten-PRÄS 'Ich werde die Mutter bitten zu kommen.' Die Weglassung von ni ist für yoo mit der epistemischen Bedeutung 'scheinen' nicht möglich, z.B.: (b) Okaasan {wa/ga} ku-ru yoo-ni (wa) omoware-na-i. Mutter {TOP/NOM} kommen-PRÄS (TOP) scheinen-NEG-PRÄS Wörtl.: 'Mir scheint nicht, dass die Mutter kommt', d.h.: 'Mir scheint, dass die Mutter nicht kommen würde.' Die beiden Verwendungsarten von yoo können als homonym betrachtet werden, zumal das deontisch gebrauchte yoo nur als Nebensatzkomplementierer und nie als Hauptprädikatsauxiliar mit da vorkommen kann. Die Segmentierung mit einem Bindestrich wie yoo-da, yoo-ni ist nicht zwingend (d.h. sie sind auch jeweils als zwei Wörter yoo und da bzw. ni interpretierbar). Anzumerken ist, dass auch der deontische Gebrauch ohne ni nicht wie bei den Adverbien zur Modifikation des Hauptprädikates, sondern zur Angabe des bezweckten Inhaltes dient. Wenn man yoo-da als ein Nominaladjektiv klassifizieren will, ist -ni als eine der Adverbalformen, 'ADV3' in unserer Morphemübersetzung, zu spezifizieren. Das deontisch gebrauchte yoo müsste dann als ein hinsichtlich der Flexion defektives Nominaladjektiv betrachtet werden, weil es nur in der Form yoo(-ni) in einem Satz auftreten kann. Es kann aber auch entweder als eine Sonderfunktion der Adverbalform auf -ni des Nominaladjektivs yoo-da, dessen genauere Modalität vom jeweiligen Hauptprädikat abhängt, oder wegen des faktischen Fehlens der Flexion als eine Konjunktionspartikel betrachtet werden.

141 Versuchen wir nun die Eigenschaften dieser Wörter anhand derselben Faktoren wie in (4.66/78) zu charakterisieren (in der folgenden Tabelle fällt der Faktor (c ii), das Vorkommen mit ni bei der Zeitangabe, wegen Irrelevanz weg):

(5.11)

kitto

(a) (b) (c i) (c iii)

(a) (ß)

() ( ) ( ) (0 ( ) (d) (e) (0 (g) (h) (i)

0)

tabun

_no N Nno_ _o

(+) _

_ ni -ga _to

_

_

+ + + +

(+) + + +

_yori _kara _made

_de _NCO N; N NCO_ DET_ PRÄD_

_da _ 0 PRÄD _ADJ _ADV

yoo

( + ) + _ _ -

+ _

hazu go-zonzi syooti

+ + _

+ (-) _

(-) (+) (-) _ _

+ + H + (+) (+) (_) + _ _

_ _ _ _ _ _ + + + + + + ( - ) _

( ( + -

+ + +

+ ) + ) ( + ) ( + ) +

-

Aufgrund dieser beobachtbaren Unterschiede in den syntaktischen Verhaltensweisen scheint es durchaus angemessen zu sein, kitto und tabun trotz des Vorhandenseins gewisser nominaler Eigenschaften als Modaladverbien zu charakterisieren, während yoo und hazu trotz ihrer funktionalen Nähe zu den ersteren keinesfalls für adverbial gehalten werden können. Es ist im Übrigen sehr angenehm für unsere Implikationshypothese, dass die Modaladverbialen kitto und tabun nur die letzten beiden, von allen anderen implizierten Eigenschaften der Implikationskette in (5.7) mit Nomenhafteren teilen. Betrachten wir nun die anderen beiden, nicht-modalen Wörter. Dass syooti und go-zonzi sich trotz ihrer Synonymic in der Prädikatfunktion hinsichtlich syntaktischer Nominaleigenschaften sehr unterschiedlich verhalten, liegt daran, dass syooti ein Verbalabstraktum ist und mit der Bedeutung 'Kenntnisnahme, Zustimmung' auch als Adjunkt in einem Satz auftreten kann. Demgegenüber ist go-zonzi die mit dem Honorifikationspräfix go- versehene Nominalform des Verbs zonzi-ru 'wissen', die zwar syntaktisch wohl, aber lexikalisch noch nicht nominalisiert ist und so noch halbwegs zum Paradigma des Verbs gehört. Go-zonzi da

142 ist faktisch die unregelmäßig gebildete Honorativform des Verbs zonzi-ru? Daher wird go-zonzi fast ausschließlich prädikativ gebraucht. Die einzigen Beispiele für dessen adjunktartige Verwendung, die die Verfasserin finden konnte, sind auch als marginal einzustufen: (5.12) go-zonzi (ga) na-i 'Sie/er/sie/sie wissen/weiß es nicht.' nicht. vorhanden.sein-PRÄS (5.13) go-zonzi to tiga-i-mas-u-ka? SOZ sich.unterscheiden-ADV-HON-PRÄS-Q 'Wusste(n) Sie/er/sie/sie es doch(,) nicht?' Das Beispiel (5.12) ist (3.33) mit hazu (Sonna hazu (wa/gaj nai 'Es kann doch nicht (so) sein') recht ähnlich. So handelt es sich auch beim pränominalen Vorkommen von go-zonzi in Begleitung durch no ((5.11 a)) nicht um nominale Attribution im eigentlichen Sinne, sondern um ein Äquivalent zum Relativsatz (vgl. (3.52 b) sore o {go-zonzi/(go)-syooti} no kata 'Person, die es weiß'). Auch das Vorkommen nach einem Nomen mit no ist auf solche Fälle beschränkt, in denen go-zonzi selber in Begleitung von no als Prädikatsnomen eines Adnominalsatzes vorkommt und no vor go-zonzi durch ga ersetzbar ist (vgl. (3.58) watasi {ga/no) kai-ta tegami 'Brief, den ich schrieb'): (5.14) ano kata ( g a / ( ? ) n o } go-zonzi no jen:ADN Person 'die Sache, die jene Person weiß' oder 'dass jene Person es weiß'

koto Sache

Go-zonzi da 'wissen' ist im System der Honorifikation das unmittelbare honorative Gegenstück von sit-te-i-ru 'wissen' (Durativ/Resultativ-Form von sir-u 'kennenlernen, erfahren'), dessen suppletive Bescheidenheitsform zonzi-ru ist. Für eine der regelmäßigen Bildungen der Honorativform von Verben wird statt des Nominalprädikators da wie bei go-zonzi da und go-syooli da das Verb nar-u 'werden' gebraucht, vor dem die Nominalform des jeweiligen Verbs in Begleitung von ni steht, Z.B go-zonzi ni nar-u 'kennenlernen, erfahren' und go-syooti ni nar-u 'zur Kenntnis nehmen, zustimmen'. Beim Vorkommen von go-zonzi und syooti vor ni in (5.11 ) handelt es sich unter anderem um diese Honorativkonstruktion, die syntaktisch mit dem Ausdruck der Translativität (vgl. (4.77 a)) identisch ist. Die regelmäßige Durativ/Resultativ-Form lautet auf... ni nat-te-i-ru, z.B. go-syooti ni nat-te-i-ru, die aber oft, wegen der Stativität, durch da ersetzt wird. Auf dem Suppletionsverhältnis zum Verb sir-u 'erfahren' sowie auf der faktischen Zugehörigkeit zum Paradigma von zonzi-ru 'wissen' und syooti-su-ru 'zur Kenntnis nehmen, zustimmen' beruht auch die Möglichkeit des Vorkommens eines Adjunktes mit o in einem Satz mit go-zonzi da oder (go-)syooti da als dessen Prädikat wie in (3.52). Diese Möglichkeit ist sonst auf Sätze mit einem Verb-Prädikat beschränkt. Meines Wissens sind (go-)syooti da und durativ/resultative Honorativ-Ausdrücke mit da wie go-zonzi da, o-moti da 'haben' u.a. die einzigen Prädikate ohne verbale Morphologie, die ein Adjunkt mit o zulassen.

143

5.2.3. Eigenschaften prädikativer Nomina Bisher haben wir keinen Störfaktor für unsere Implikationshypothese gefunden. Wie die modalen Adverbialen haben weder syooti mit vielen nominalen Eigenschaften noch go-zonzi mit marginaler Nominalität unserem Implikationsschema (5.7) widersprochen. Aber wie sollen wir die Erscheinungen bei yoo und hazu behandeln, die unser Schema gründlich stören? Sie können nicht vor o auftreten (s. (5.11 c i)), erlauben aber demonstrativische Determination (s. (5.11 e)) und Expansion durch ein adnominales Prädikat (s. (S.llf)). Auch ihre Möglichkeit, nach einem Nomen mit no aufzutreten (s. (5.lib)), ohne dabei uneingeschränkt vor ga stehen zu können (s. (5.1 Ic iii ß)), widerspricht unserer Implikationshypothse. Die Beschreibung ihrer Verhaltensweisen mit "erlauben" oder "Möglichkeit" ist aber in Wirklichkeit falsch. Denn sie können nur mit solchen Expansionsmitteln auftreten (vgl. auch Malussen 1995: 98). In der expandierten Struktur sind sie, wie dies vor allem aus der Kodierungsart der ihnen vorangehenden Wörter in (5.10) und (3.16)ff. ersichtlich sein sollte, zwar der syntaktische Kopf, ihr Dasein ist jedoch vollkommen vom Vorkommen eines expandierenden Mittels abhängig. Ihre "Unselbständigkeit" ist vergleichbar mit der geringen Akzeptabilität deutscher Sätze wie es hat den Anschein ohne Komplementsatz, welcher hinsichtlich der syntaktischen Relation doch vom ersteren abhängt. Die Formen yoo(-da) und hazu (da) sind nur als Lexikonlemmata möglich, aber als objektsprachliche Äußerungen sind sie inakzeptabel, wenn vor ihnen kein zusätzliches Element steht (vgl. auch Malussen 1995: 98). Daher muss die Angabe der Umgebung bei (5.11 a) in Bezug auf hazu genauer 'X no N' lauten. Analog ist die Bedingung für das Vorkommen von yoo vor einem Nomen 'X -na N', und gleichermaßen muss die Umgebung bei (5.11 c iii) als 'X ni' angegeben werden, hazu da und yoo-da sind in erster Linie Auxiliare. Daher ist der erste Kandidat für X ein Satz, der vom Faktor (f) repräsentiert wird. Auch beim Faktor (b), Vorkommen nach einem Nomen mit no, handelt es sich nicht um Determination per Nomen, sondern um die nominale Äquivalenz eines Satzes, d.h. um einen Satz mit Nominalprädikat, dessen flexivischer Teil in der pränominalen Position durch no ersetzt ist (vgl. Kap. 3). Auch der Bezug eines Demonstrativs vor yoo und hazu ist ein anaphorisierter Satzinhalt (vgl. (3.14) Sono yoo-da 'Es scheint so', und (3.32) Sono hazu da 'Es müsste so sein' sowie (3.33)). So unterscheiden sich die Elemente yoo und hazu, die selber ein Teil des Prädikats sind, von denjenigen mit verringerter Nominalität in (4.78) sowie den anderen in Kap. 4 behandelten Wörtern, die deren Beziehung zum Prädikat spezifizieren oder sogar dieses adverbial modifizieren. Es handelt sich bei diesem Unterschied um den zwischen dem Sachverhalt, an dem sich beteiligt wird, d.h. das PARTIZIPATUM, und dessen Beteiligten, die PARTIZIPANTEN. yoo und hazu sind selber ein Bestandteil des PARTIZIPATUMs und können sich daher nicht daran beteiligen. Deshalb fehlen ihnen die Eigenschaften, die sich auf die Markierung von PARTIZIPANTEN beziehen. Das sind Adjunktmarkierungen, vor allem o und ga. Auch der andere störende Faktor für unser Schema in (5.7), die Nicht-Koordinierbarkeit von hazu, die zwischen dessen positiven Eigenschaften am Anfang und am Ende der Relationskette einen Bruch dieser Kette darstellt, ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

144

Prädikate sind im Japanischen nicht koordinierbar. Denn das letzte Prädikat eines Satzes ist das Kopf-Element des Satzes, und ein weiteres, diesem vorausgehendes Prädikat muss bezüglich seiner Relation zum Kopf-Prädikat eine eindeutige Markierung erhalten (vgl. (2.7)ff. in 2.2f. sowie 3.7). Wenn hazu da wie in (5.9) ein Teil des letzten Prädikatskomplexes ist, muss ein vorangehendes Prädikat hinsichtlich seiner Relation zum letzten Prädikatskomplex markiert werden. Wenn es umgekehrt zu einem Prädikatskomplex nicht am Satzende gehört, muss dieser dann hinsichtlich dessen Beziehung zum Prädikat bzw. Prädikatskomplex am Satzende eine Dependenzmarkierung erhalten. Diese ist bei hazu z.B. die Form de wie in (2.11) (Ki no tama wa hako no naka de., garasu no tama wa teeburu no ue da 'Die Holzkugeln sind in der Schachtel und die Glaskugeln sind auf dem Tisch'). Auch wenn es zu einem Prädikatskomplex gehört, der nicht am Ende eines solchen Satzes steht, der ein weiteres, semantisch mit dem ersteren gleichrangiges Prädikat in seinem Inneren hat, muss der erstere wie das letztere jeweils nur in Bezug auf dessen Beziehung zum letzten Prädikat markiert werden. Die gleichrangigen Prädikate bzw. Prädikatskomplexe werden nicht zueinander in Beziehung gebracht. Ihre Beziehung zueinander wird nicht unmittelbar hergestellt, sondern erst am Ende des Satzes durch das Hauptprädikat vermittelt. Auch auf ihre Gleichrangigkeit wird nur durch ihre gleiche Beziehung zum Hauptprädikat, die durch ihre gleiche Kodierungsart angezeigt wird, hingewiesen (vgl. Ono 1993). So ist hazu nicht koordinierbar, weil es ein Teil des Prädikates ist. Dasselbe Prinzip gilt auch für yoo, obwohl dessen Nicht-Koordinierbarkeit dann als selbstverständlich erscheint, wenn man es nicht für ein Nomen, sondern für ein Nominaladjektiv hält. Es ist trotzdem überlegenswert, warum die Stämme der Nominaladjektiva, die doch allmählich zu Nomina übergehen (vgl. 4.5), nicht nach dem gleichen Muster wie Nomina koordiniert werden können. Diese Eigenschaft würde besonders denjenigen Leuten ein Problem bereiten, die keine Wortart Nominaladjektiva anerkennen wollen. Denn sie müssten neben der pränominalen Markierung no vs. na auch bezüglich der Koordinierbarkeit ihre "Nomina" subkategorisieren. Wenn wir nun diese gattungsspezifischen negativen Eigenschaften aus dem Schema in (5.7) aussortieren, gilt ein den übrigen Wörtern gleiches Ordnungsprinzip auch für hazu und, mit Vorbehalt bezüglich der Besonderheit der pränominalen Markierung, auch für yoo. Da sie ein Teil des Prädikates sind, ist ihre Existenzberechtigung in der Prädikation zu finden. Sie müssen prädizierbar sein, kommen daher in der prädizierbaren Form vor, nämlich vor dem Prädikator da ((g) da). Da jeder Satz ein Nomen adnominal expandieren kann, kommen sie auch mit der entsprechenden Markierung in der entsprechenden Position vor, nämlich mit no, dem adnominalen Gegenstück von da, in der pränominalen Position ((a) no N). Da ihre Hauptfunktion die modale Auxiliarisierung ist, ist ihre dominante Umgebung ein Satz, dem sie folgen. Da der ihnen vorangehende Satz auch ein Nominalprädikat haben kann, kommen sie nach der von ihnen bedingten adnominalen Form des Nominalprädikates vor, nämlich nach no ((b) N no ). Dass sie nach einem flexivischen Prädikat vorkommen ((0 PRÄD ), beruht auf derselben Grundlage. Da der Satzinhalt anaphorisch pronominalisiert werden kann (vgl. es im Deutschen), kommen sie auch nach der maximal kondensierten adnominalen Form des anaphorischen Mittels vor, nämlich nach einem adnominalen De-

145

monstrativ ((e) DET im Deutschen).4

; vgl. da- und des- in davon, daraus, deswegen usw. sowie dessen

5.2.4. Prädikativität, Generalität, Intensionalität und Extensionalität der Nomina In welchem Zusammenhang stehen aber diese Faktoren mit den anderen Faktoren, dem Vorkommen vor bestimmten postnominalen Markierungen und der Koordinierbarkeit, bei den übrigen Wörtern, aufgrund deren Verhaltensweisen wir das tentative Implikationsschema (5.7) aufgestellt hatten? Hat dieses Schema wirklich etwas Essentielles, ohne rein akzidentiell zu sein? Wenn ja, welche inneren Zusammenhänge haben die auf den ersten Blick funktional heterogenen Faktoren? Das Prinzip, das diesem Schema zugrundeliegt, scheint dasjenige der Korrelation zwischen dem Spezifisch-Individuellen und dem Generale zu sein (vgl. Seiler 1986: 16f., 1988b: 28ff.). Das Objekt einer Handlung, das im Japanischen vor allem mit der postnominalen Markierung mit o vorkommt, ist par excellence etwas Spezifisches und Individuelles. Individualisierung eines Objekts kann nicht nur durch Zeigen, durch Hinweisen, sondern auch durch eine beschreibende Aussage geschehen. Für die erstere Technik sind im Japanischen die Demonstrativa zuständig. Das letztere Verfahren nimmt im Japanischen die Form pränominaler Prädikation an, d.h. im Japanischen gibt es die Opposition zwischen "rote Kugeln" und "Kugeln, die rot sind" nicht; beides wird durch aka-i tama repräsentiert (vgl. Kap. 3). Für die pränominale Prädikation ist das Vorkommen des Prädikates als des letzten Elementes die Minimalbedingung, so dass das Prädikat das letzte und zugleich das erste, d.h. das einzige, Element einer Prädikationseinheit sein kann. Die Identität eines Objektes kann durch Beschreibung festgelegt werden, unabhängig davon, ob es im Diskurskontext auffindbar ist oder nicht. Hingewiesen werden kann hingegen nur auf ein Objekt, das im Kontext vorhanden ist. Es kann sich dabei sowohl um eine Entität, die im lokalen Diskurskontext vorhanden ist und buchstäblich gezeigt werden kann, handeln, als auch um eine solche, die zwar im lokalen Kontext nicht sichtbar, aber im von den Sprechaktteilnehmern geteilten Diskurskontext vorhanden und so durch Hinweisen identifizierbar ist. Aufgrund dieser Voraussetzung des indikativen, hinweisenden Mittels impliziert dieses das prädikative Mittel, für das die Identifizierbarkeit durch Hinweisen nicht vorausgesetzt wird. Das letztere, prädikative Mittel kann femer nicht nur ein "Dieses", sondern auch ein "Solches" beschreiben (vgl. Seiler op.cit.). Und das Objekt einer Handlung ist zwar, wie oben dargestellt, par excellence eine identifizierbare spezifische Entität, muss es aber nicht unbedingt sein, es kann durchaus ein "Solches" sein. In unserem Beispiel (2.1) ist das zu affizierende Objekt, Kugeln, ein "Dieses", und dessen sprachlicher Ausdruck, tama, kann durch ein Demonstrativ determiniert werden, z.B. kono tama 'diese Kugel(n)'. Hingegen ist das zu effizierende Objekt, eine Halskette, ein "Solches" und dessen Ausdruck, nekkuresu,

4

Zu weiteren Diskussionen über auxiliarhafte Satznominalisierer vgl. Rickmeyer 1973: 18, Mattissen 1995: 96ff.

146

kann in dem gegebenen Kontext nicht demonstrativisch determiniert werden. Ein "Solches" ist grundsätzlich beschreibbar, muss jedoch nicht unbedingt auch in einzelnen konkreten sprachlichen Handlungen wirklich beschrieben sein. Aber eine Entität, die sprachlich beschrieben ist, müsste als ein "solches" Objekt einer Handlung vorkommen können. Daher die Reihenfolge: Hinweis auf die gegebene Entität — Beschreibung der (dieser, jener u.a.) oder einer "solchen" Entität — Vorkommen der (dieser, jener u.a.) oder einer "solchen" Entität als Objekt einer Handlung. Das Ende der Implikationskette, der dem der indikativen Referenzfestlegung einer individuellen Entität gegenüber liegende Pol, stellt das Generale dar. Es ist der Bereich der Prädikation, in der nicht über das Designatum eines Wortes prädiziert wird, sondern dieses selber ein prädizierendes Element, d.h. Prädikat wird. Ein Prädikat kann sich auf einen spezifischen individuellen Sachverhalt beziehen, kann aber auch einen generischen Sachverhalt darstellen. Und es ist par excellence generisch. Wenn man z.B. aruk-u 'gehen' hört, sucht man nicht sofort nach einer individuellen Handlung, sondern denkt zunächst an die generische Tätigkeit, die sowohl von der Individualität der Handlungen als auch von der der Handelnden abstrahiert ist. So wird ein unflektierbares Wort wie ein Nomen mit Hilfe des Prädikators zur Gattung der Prädikate gesellt, wodurch es zu einer allgemeinen Aussage fähig wird. Diese Allgemeinheit ermöglicht auch denjenigen Wörtern, deren Referenz schwer individualisierbar ist, als Prädikatselement aufzutreten (z.B. sugu 'unmittelbar' und sukosi '(ein) wenig'). Daher können uneingeschränkt alle Nomina und oft, über die übliche Grenze der Nomina hinaus, auch solche unflektierbaren Wörter, die sonst zur adverbialen Modifikation dienen, vor da auftreten und zusammen mit diesem ein Prädikat bilden. Hier liegt auch der Grund für die "Fuzziness" der Grenze zwischen Nomina und Nominaladjektiva. Dass das Vorkommen vor no vor einem weiteren Nomen wenig Beschränkung zeigt ((4.66/78 a), (5.7/11 a)), steht auch mit der Generalität des Prädikates im Zusammenhang, weil no das pränominale Gegenstück von da ist und jedes Prädikat im Japanischen adnominalisierbar ist. Dass das Vorkommen nach no nach einem weiteren Nomen (ebd. (b)) weit weniger Beschränkung aufweist als dessen paradigmatisches Gegenstück, das Vorkommen nach einem adnominalen flexivischen Prädikat, könnte an der höheren Unspezifizität der durch no hergestellten Beziehung zwischen zwei Nomina bzw. Nomenhaften liegen (vgl. 3.3). Worauf beruht aber die niedrige Beschränktheit des Vorkommens vor der postnominalen Markierung ga (ebd. (c iii ß))? Einer der denkbaren Gründe ist, dass die Position (Slot) vor ga die für den Assertionsträger der Aussage einer generischen Proposition ist (vgl. Seiler 1988b: 101), weshalb auch Wörter, die in dieser Position auftreten können, nicht referentiell spezifizierbar sein müssen und auch wesentlich weniger beschränkt sind als diejenigen vor o, deren Referenz bevorzugt spezifisch ist. Ein weiterer Grund, der viel handfester ist, ist in der Selektionsrestriktion von Prädikaten zu finden. Grundsätzlich jedes Prädikat erlaubt nämlich das Vorkommen eines Adjunktes mit ga, während nur bei bestimmten Handlungsverben eines mit o vorkommen kann (vgl. Kap. 6). Der Faktor der Koordinierbarkeit ist zwar eine sehr sprachspezifische Angelegenheit, aber zugleich ein einzelsprachlicher Reflex des Prinzips der Prädikativität. Wie oben bereits einige Male erwähnt, können Prädikate im Japanischen nicht koordiniert werden. Die Koor-

147 dinierungstechnik im Japanischen dient zur extensionalen Referenzfestlegung (vgl. Seiler 1978b, 1988b: l Iff., 1996: 37ff., 2000: 44ff.), d.h. zur Spezifizierung der Elemente einer Menge, die als Einheit eine bestimmte Rolle spielt. Wenn es um Partizipanten eines Sachverhaltes geht, müssen diese erstens eine identische Partizipantenrolle spielen und zweitens müsste ihre Referenz durch eine Bezeichnung, die die Gesamtmenge umfasst, wiedergegeben werden können (vgl. Mallinson & Blake 1981: 190ff.). Das Koordinationsverfahren im Japanischen appliziert nur im extensionalen und nicht im intensionalen Bereich, so dass auch Nomina dann nicht mehr koordinierbar sind, wenn sie nicht als Elemente einer Menge aufgezählt werden, sondern zur Charakterisierung einer Entität (einschließlich einer Menge als Einheit) dienen. Daher sind (5.15 b) und (5.16 b) unten inakzeptabel, während (5.17), in dem auch zwei Prädikatsnomina koordiniert werden, wegen der Extensionalität in Ordnung ist (vgl. Ono 1993: 155f.): (5.15) (a) Tookyoo wa Tokyo

TOP

ooki-i

mati

de

groß.sein-PRÄS

Stadt

NPRÄD:ADV

Nihon no

keezai

Japan

Wirtschaft N.ADN

N.ADN

no

tyuusin

da.

Zentrum

NPRÄD:PRÄS

Tokyo ist eine große Stadt und das Zentrum japanischer Wirtschaft." (b) Tookyoo wa ooki-i mati *to Nihon no keezai no tyuusin da. (5.16) (a) Tookyoo to Oosaka wa ooki-i mati de Nihon no keezai no tyuusin da. Tokyo und Osaka sind große Städte und (die) Zentren japanischer Wirtschaft.' (b) Tookyoo to Oosaka wa ooki-i mati *to Nihon no keezai no tyuusin da. (5.17) Nihon no keezai no tyuusin wa Tookyoo to Oosaka da. Japan N.ADN Wirt. N.ADN Zentrum TOP Tokyo NCO Osaka NPRÄDrPRÄS 'Die Zentren japanischer Wirtschaft sind Tokyo und Osaka.' Auf diese Weise stehen die Instanzen im Implikationsschema (5.7) durchaus in einem funktionalen Zusammenhang. Ihrer Reihenfolge liegt vor allem das Ordnungsprinzip der Indikativität und der Prädikativität zugrunde.5

5.3. Unterscheidung zwischen nominalen Adjunkten und Nominalprädikat

Nachdem wir auf den Punkt des fundamentalen funktionalen Unterschiedes zwischen dem Nominalprädikat und den nominalen Adjunkten gekommen sind, wollen wir den morpho5

Vgl. die folgenden Aussagen von Malussen (1995: 6) (vgl. Fußnote 4.nl3 oben): "Auf pragmatischer Ebene [...] sind Verben und Adjektive inhärent prädikativ oder modifikationsfähig, [...] Nomina sind hingegen nicht inhärent festgelegt hinsichtlich Referentialität und Prädikativität [...]".

148

syntaktischen Reflex dieses funktionalen Unterschiedes ein wenig genauer betrachten. Das syntaktische Merkmal eines Nominalprädikates ist, dass es aus dem Nominalprädikator da, das am Ende einer Satzeinheit vorkommt, und einem diesem unmittelbar vorangehenden unflektierbaren Wort besteht. Dieses unflektierbare Wort muss in anderen Satzpositionen grundsätzlich mindestens mit einem enklitischen Markierungsmittel vorkommen, das wir bisher "postnominale Markierung" genannt haben. In allen unseren Beispielen bisher haben wir keine Ausnahme für diesen Grundsatz gefunden, abgesehen von den Zeit- und Mengenangaben sowie von einigen adverbialen Wörtern, die auch unmittelbar vor da vorkommen und mit diesem zusammen ein Prädikat bilden können. Da wir über deren Verhaltensweisen oben in Kap. 4 ausführlich diskutiert haben, wollen wir sie hier außer Acht lassen und uns auf diejenigen Wörter konzentrieren, die außer der Position unmittelbar vor da am Satzende mit einer enklitischen Markierung vorkommen müssen. Jetzt nennen wir diese Wörter Nomina, wobei wir uns angesichts unserer Beobachtungen oben dessen bewusst sein müssen, dass diese "Nomina" sich nicht allein durch die Obligatorietät des Vorkommens einer enklitischen Markierung definieren lassen. Wenn wir nun die postnominalen enklitischen Markierungen als Mittel der Kasusmarkierung im Sinne der Markierung der Relation zwischen dem PARTIZIPATUM und dessen PARTIZIPANTEN an dem bzw. den betreffenden PARTIZIPANTEN betrachten, beobachten wir hier eine Grundopposition zwischen dem Prädikatsnomen ohne Kasusmarkierung und dem Adjunktsnomen mit Kasusmarkierung. Das Adjunkt, das einen PARTIZIPANTEN repräsentiert, wird durch ein enklitisches Kasusmarkierungsmittel in Bezug auf seine Relation zum PARTIZIPATUM, das vom Prädikat repräsentiert wird, explizit markiert. Das Prädikatsnomen hingegen erhält keinerlei Markierung solcher Art, was alles andere als verwunderlich, vielmehr durchaus rationell ist, weil es selber ein Teil, und zwar der Kern, des PARTIZIPATUMs ist. Es hat keine Relation zu sich selbst, so dass es ohne Relationsmarkierung dasteht. Es hat ferner auch deswegen keine Markierung, weil es zusammen mit dem Nominalprädikator den Kopf eines Satzes bildet. Erinnern wir uns, dass ein Kopf-Element im Japanischen nie in Bezug auf existierende Dependenzrelationen markiert wird, sondern die Markierung allein auf der Seite der dependenten Elemente geschieht, denen hier die Adjunkte entsprechen. Erinnern wir uns ferner daran, dass das Nominalprädikat als Ganzes, d.h. nicht nur der flektierbare Nominalprädikator, sondern dieser einschließlich des diesem vorangehenden Nomens, zum Paradigma der Prädikate gehört. Hier lag im Übrigen auch einer der wesentlichen Gründe für die "Squishiness" zwischen Nominalprädikaten und Nominaladjektiva. Wegen dieser Asymmetrie in der Markierung zwischen dem Prädikatsnomen und dem Adjunktsnomen, aber auch wegen der Fähigkeit des Nominalprädikates, ohne jedes nominale Adjunkt einen vollständigen Satz zu bilden, wurde für den flexivischen Teil des Nominalprädikates nicht der gängige Terminus "Kopula", sondern die ziemlich eigenwillige Bezeichnung "Nominalprädikator" gewählt. Dieser unterscheidet sich aber auch grundlegend vom "Verbum substantivum" wie est' im Russischen und sein im Deutschen in dessen existenzbezogener Verwendung wie in Gott ist (vgl. Benveniste 1960). Ein im Satz allein vorkommendes Nominalprädikat im Japanischen kann weder eine Aussage über die Existenz

149 des Bezeichneten des Prädikatsnomens noch eine kategorische Prädikation über dasselbe machen. Es kann stattdessen entweder zu einer kategorischen Aussage über einen anaphorisch weggelassenen PARTIZIPANTEN oder zu einer thetischen Aussage wie der folgenden dienen (vgl. Kuroda 1972, Sasse 1987, vgl. auch Seiler 1994: 39): (5.18) Ame Regen

da. NPRÄD:PRÄS

'Regen!'oder'Es hat angefangen zu regnen.'

Das Prädikatsnomen bildet also den Kern der Proposition, die durch das Wort, das dem Nomen eine flexivische Komponente verleiht, nämlich da, prädizierbar gemacht wird. Die "PARTIZIPATUM-haftigkeit" bzw. Prädikativität von Nominalprädikaten ist trotz morphosyntaktischer Einheitlichkeit graduell. An einem Pol befinden sich zum einen solche Ein-Prädikat-Sätze wie (5.18), zu denen kein Adjunkt hinzugefügt werden kann,6 und zum anderen solche Nominalprädikate wie in (5.19) unten, die sich von Adjektiva nur durch die Morphosyntax, aber semantisch kaum unterscheiden. Am anderen Pol sind demgegenüber kopulative Identitätsaussagen wie (5.22), die am wenigsten "PARTIZIPATUM-haft" sind, zu finden:7 (5.19) (a) Ano hito wa byooki da. 'Jene Person (=er/sie) ist krank.' jen:ADN Person TOP Krankheit NPRÄD:PRÄS (b) byooki Krankheit

no N.ADN

hito Person

'ein kranker Mensch'

Das einzig denkbare nominale Element, welches zu (5.18) hinzugefügt werden kann, ist eine Ortsbezeichnung wie soto 'Draußen', aber nicht mit der Kasusmarkierung de für Lokation, sondern üblicherweise mit der Topik-Partikel wa, seltener mit ga, wie: Soto wa ame da. 'Draußen regnet es.' Das Antonym von byooki da 'krank sein' in (5.19 a/b) ist das Nominaladjektiv kenkoo-da/-na 'gesund sein' wie in (a/b) unten, während das von byooki 'Krankheit' in (5.19 c/d) ein Nomen ist, nämlich kenkoo 'Gesunheit' wie in (c/d/e) unten: (a) Ano hito wa kenkoo-da. 'Er/Sie ist gesund.' gesund.sein-PRÄS (b) kenkoo-na hito 'ein gesunder Mensch' (c) Nani yori mo daizi-na no wa kenkoo da. was KABL INTS wichtig.sein-ADN SKOMPL TOP Gesundheit NPRÄD-.PRÄS 'Das, was über alles wichtig ist, ist die Gesundheit.' (d) Kenkoo ga nani yori mo daizi-da. Gesundheit NOM was KABL INTS wichtig.sein-PRÄS 'Gesundheit ist wichtiger als alles andere.' (e) Kenkoo no izi 'Erhaltung der Gesundheit' Gesundheit N.ADN Erhaltung Es ist eine eigenartige Erscheinung, dass kenkoo je nach der Bedeutung die Wortart wechselt, was bei japanischen Lexemen seltener geschieht, und sein Antonym byooki 'Krankheit' sich nicht dazu gesellt

150 Vgl.

(c) byooki no tiryoo Therapie

Therapie einer Krankheit'

(d) Ano hito no kesseki no riyuu wa byooki da. Jen:ADN Person N.ADN Abwesenheit N.ADN Grund TOP Krankheit NPRÄD:PRÄS 'Der Grund der Abwesenheit jener Person ist Krankheit.' (5.20) Ano hito wa bizin da. 'Sie ist {eine schöne Frau / schön}.' schöne.Frau NPRÄD:PRÄS (5.21) (a) Ano hito wa koosi da. Lektor NPRÄD:PRÄS

'Er/Sie ist (ein) Lektor.'(vgl. (3.3))

(5.22) (a) Ano hito wa Satoo-san da.

'Er/Sie ist Herr/Frau Sato.'

(b) Satoo-san wa ano hito da.

'Herr/Frau Sato ist die Person (er/sie) dort.'

Es ist bemerkenswert, dass die Permutation (der Austausch) der beiden Nomina eines Satzes mit da, wie in (5.22) (a) und (b), nur bei kopulativen Identitätsaussagen möglich ist. So sind die beiden Nomina in (5.19) und (5.20) jeweils nicht permutierbar. Bei (5.21) ist die Permutation dann möglich, wenn es sich um die Identität des Lektors handelt, der als gegeben vorausgesetzt wird: (5.21) (b) Koosi wa ano hito da. Lektor

'Der Lektor(, nach dessen persönlicher Identität gesucht wird,) ist er/sie dort.'

Dasselbe Prinzip der Informationsstrukturierung gilt auch für (5.22). In (5.22 b) wird vorausgesetzt, dass eine Person mit dem Namen Satoo mit anwesend ist, deren Identität nun mit dem Satz (5.22 b) klargestellt wird (d.h. als Antwort auf die Frage 'WelcheAr ist Frau/Herr Sato?'). Hingegen liefert (5.22 a) die Information bezüglich der Namensidentität über die Person, von der die Rede ist (z.B. als Antwort auf die Frage 'Wer ist er/sie?'). Dass der Nominalprädikator da jedoch auch im kopulativen Gebrauch keineswegs ein sprachliches Gleichheitszeichen ist, das die referentielle Identität der Bezeichneten zweier Nomina anzeigt, wird durch das folgende Beispiel verdeutlicht:8

(5.23) ist eine Modifikation des Beispiels von Okutsu (z.B. Okutsu 1989b): boku wa unagi da 'ich nehme Aal' ich(:männlich) TOP Aal NPRÄD:PRÄS Dieser Satz ist inzwischen neben dem "Elefantenrüssel"-Satz (zoo wa hana ga naga-i 'Elefanten haben einen langen Rüssel', vgl. Bußmann (hg) 1990: 360, zitiert oben in 1.1.1) eines der berühmtesten Beispiele des Japanischen geworden (vgl. auch Ikegami 1981: 35ff„ 2000: 30ff.). Wa am Satzende in (5.23) ist eine Assertionspartikel in der Frauensprache (vgl. 2.n4). In der Frauensprache fällt da weg, wenn wa am Satzende nicht vorkommt. Das Vorkommen von da auf der umgangssprachlichen Stilebene gilt daher als männersprachliches Merkmal. Das Fehlen von da ist aber nicht gleich frauensprachlich, denn auch Männer verwenden da nicht immer (z.B. "Baku wa unagi." ist sogar häufiger als der gleiche Satz mit da, vgl. unten 5.n9). Das höflichere Gegenstück des Nominalprädikators, des-u, wird hingegen nicht weggelassen. Auch die konjugierten Formen von da dürfen

151

(5.23) (a) Watasi wa ich

karee (da

(wa)).

'Ich nehme Curry(reis).'

TOP Curry NPRÄD:PRÄS SEMP

(b) Karee wa watasi (da (wa)).

'Curry nehme ich.'

Solche Aussagen wie (5.23) sind, wie Okutsu (1980: 8, 1989b: 197ff., vgl. auch Numata 1987) anmerkt, nur in passenden Kontexten und mit von den Sprechaktteilnehmern gemeinsam geteilten Voraussetzungen richtig zu verstehen und insofern aus pragmatischer Sicht elliptische Aussagen. Aber vom syntaktischen Standpunkt aus gibt es nichts Elliptisches bis auf den eventuellen umgangssprachlichen Wegfall von da. Daher ist es nicht die Funktion des Nominalprädikators, eine logische Äquationsbeziehung zwischen zwei Nomina herzustellen und sie symmetrisch zu verbinden. Er dient vielmehr dazu, ein Nomen prädikathafter zu machen, die Prädikation, die schon durch ein Nomen allein (z.B. Karee! 'Curryreis (bitte)!', Watasi(!) 'Ich (bin es, usw.)', oder Ame! 'Regen!' statt der Version in (5.18)) implizit gemacht werden kann, expliziter, eben prädikationshafter, zu machen.9 Dass der Nominalprädikator zwar relational ist, d.h. eine von einem Nomen zu besetzende Leerstelle eröffnet, aber nicht selber eine Relation zweier Nomina herstellt, wird auch dadurch gezeigt, dass da in Fragesätzen und vor bestimmten Modalauxiliaren (z.B. rasi-i 'scheinen') und Modalpartikeln (z.B. vorka für Interrogativität und Unsicherheit) ausfallen muss, da hat daher die Funktion eines Assertionskennzeichens (vgl. Himmelmann 1986, Seiler 1988b: 10l).10 Die Kopula-Funktion im eigentlichen Sinne, d.h. die Gleichheitsdarstellung, ist nicht mehr als eine spezifische Variante dieser Grundfunktion des Nominalprädikators im Japanischen. Aber auch in diesem Fall ist die Relation zwischen den betreffenden zwei Nominalphrasen keine symmetrische, sondern eine durchaus asymmetrische Zuordnungsrelation (vgl. Himmelmann 1986), wie sie durch den Unterschied im Aussagewert, der bei der Permutation zweier Nomina entsteht, erkennbar ist. Festzustellen ist jedenfalls, dass das Prädikatsnomen in einem Hauptsatz keinen Dependens-, sondern den Kopf-Status hat, so dass es ohne jegliches Relationskennzeichen nicht wegfallen, wenn das Tempus präterital (d.h. in der Form dat-ta statt da) ist, oder wenn der Satz negiert wird (d.h. in der Form de (wa) na-i, vgl. (3.23/26)). Für Nominaladjektiva gelten auch die gleichen Regeln von Wegfall und Nicht-Wegfall von -da (und Nicht-Wegfall von-des-u). 9

10

Okutsu (1980: 8) merkt an, dass zwar die Aussage Baku wa unagi (bzw. watasi statt boku) 'ich nehme Aal* ohne da an sich ausreiche, aber man der Aussage durch Hinzufügung von da die Form eines Satzes verleihe, weil das Prädikat den Kem eines Satzes im Japanischen ausmache. Man möge sich daran erinnern, dass das Prädikat im japanischen Sinne ein flektierbares Wort beinhalten muss (vgl. 2.2., Kuno 1978a: 71, s.5.n23). Das höflichere Gegenstück des-u (vgl. die Fußnote 5.n8 oben) fällt zwar vor einem Modalauxiliar wie rasi-i 'scheinen' weg, bleibt aber vor einer Modalpartikel wie erhalten. Dieses unterschiedliche Verhalten beruht wahrscheinlich auf dem Unterschied zwischen dem nicht-fmiten Status des Nominalprädikators im Fall der Auxiliarisierung (die Auxiliarisierung kann auch als Einbettungskonstruktion betrachtet werden, in der das Auxiliar, das das Finitheitskennzeichen trägt, als syntaktisches Hauptprädikat vorkommt) und dessen fmiten Status im Fall der Partikelhinzufügung. Im letzteren Fall dient der Nominalprädikator des-u nicht zur Assertion, sondern allein zur Höflichmachung der Aussage (vgl. Fußnote 5.nl2 unten).

152

vorkommt. Daher besteht bei einem japanischen Nomen eine Grundopposition zwischen dem kasuellen und dem akasuellen Vorkommen. Ein akasuelles Nomen übt neben der Prädikatskern-Funktion auch eine Nennfunktion aus, z.B. ame 'Regen'. Ob das akasuelle Nomen als ein Bestandteil des Kasussystems oder als eine Form, die außerhalb des Kasussystems steht, betrachtet werden soll, hängt von der Auffassung von Kasus ab. Wenn man Kasus als eine exhaustive nominale Kategorie auffassen will, muss ein Nomen sich in seinem jeglichen Vorkommen an der Kasusopposition beteiligen, so dass ein Nomen ohne Kasusmarkierung die Null-Kasusform des Nomens darstellen müsste. Bei dieser Auffassung besteht die erste, grundlegendste, Kasusopposition zwischen der Null-Kasusform und den Formen mit Kasusmarkierung eines Nomens. Wenn man aber den Kasus als Kasusmarkierung im Sinne unserer Definition, also als Markierung der Relation zwischen dem PARTIZIPATUM und dessen PARTIZIPANTEN an dem/den letzteren verstehen will, beteiligt sich ein akasuelles Nomen nicht an der Kasusopposition, weil es in keiner Dependenzrelation zu einem Prädikat steht. Bei dieser Betrachtungsweise müsste die Grundopposition zwischen den akasuellen, d.h. kasuslosen Funktionen und den kasuellen, d.h. dependenten Partizipantenfunktionen eines Nomens bestehen. Die erstere Auffassung ist für Sprachen mit morphologischen Kasusformen bestimmt adäquater (vgl. Jakobson 1936). Und in der Tat kommt ein Nomen in diesen Sprachen, z.B. in vielen indo-europäschen Sprachen, auch in einer nicht dependenten syntaktischen Relation in einer der Kasusformen, nämlich im Nominativ vor. Für diese 'Sprachen ist die letztere Auffassung, trotz der theoretischen Fundierung, nicht adäquat, weil der Nominativ nicht nur die Form für die Nennfunktion und für das Prädikatsnomen, sondern auch eine der Formen für die Partizipantenmarkierung ist. Hingegen würde die letztere Betrachtungsweise dem Verhältnis im Japanischen eher gerecht werden, weil postnominale Kasusmarkierung in dieser Sprache zum Paradigma der Dependentenmarkierungen gehört, während das akasuelle Nomen zum Paradigma der Köpfe gehört oder die relationslose Nennfunktion ausübt (vgl. 9.5).11

5.4. Nomen mit Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator Aufgrund des oben dargestellten Prinzips stört das Hinzutreten einer Kasusmarkierung nach einem Prädikatsnomen das fundamental asymmetrische Verhältnis zwischen dem Prädikat und dessen Adjunkten, so dass dies grundsätzlich zur Inakzeptabilität führt, wie es durch das folgende Beispiel gezeigt wird (vgl. z.B. (2.1), (2.4/11), (3.7)):

" Eine andere Sichtweise der Kasuslosigkeit wird von Malussen (1995) vertreten: "wegen des Prinzips der Gruppenflexion ist das Nomen auf der morphologisch-lexikalischen Ebene auch nicht kasusmarkiert" (p. 22); "Im Sinne der Gruppenflexion [...] relationiert der Kasus die gesamte NP, so daß das Nomen zwar als Träger des Kasus charakterisiert, aber nicht inhärent kasusflektiert ist" (p.34). Zu "Gruppenflexion" vgl. Plank 1995a: 6ff.

153 (5.24) (a) Ki

no

tama {wa/ga}

no

hako

naka *ni

da.

Holz N.ADN Kugel {TOP/NOM} Schachtel N.ADN Innen DAT NPRÄD:PRÄS

(b) Ki no tama {wa/ga} hako no naka da. (= (2.4)) '{Die Holzkugel(n) / eine Holzkugel / Holzkugeln} ist/sind in der Schachtel.' (c) Ki no tama {wa/ga} hako no naka ni ar-u.

(= (3.7 a))

dasein-PRÄS

'{Die Holzkugel(n) / eine Holzkugel / Holzkugeln} ist/sind (= befindeten sich) in der Schachtel.' Anders als im Deutschen, in dem die Präposition in unabhängig von der Wortklasse der Prädikate, d.h. ob bei sein oder bei einem anderen Verb wie sich befinden, erhalten bleibt, darf ni im Japanischen nur vor einem Verb, aber nicht vor dem Nominalprädikator stehen. Unter deskriptiven Gesichtspunkten muss man aber anerkennen, dass es doch immer wieder beobachtet wird, dass ein durch eine Kasusmarkierung begleitetes Nomen vor dem Nominalprädikator vorkommt, z.B.: (5.25) (a) Kono kisya wa doko made diesrADN Zug TOP Wo bis '(Bis) wohin fährt dieser Zug?' (b) (Kono

kisya wa)

Kerun made

ik-i-mas-u-ka? gehen-ADV-HON-PRÄS-Q des-u. NPRÄD:HON-PRÄS

'(Dieser Zug ist) bis Köln.' (5.26) (a) Dono kisya ga Kerun made welch:ADN Zug NOM 'Welcher Zug fährt bis Köln?' (b) Kono

kisya ga

Kerun made

ik-i-mas-u-ka?

des-u.

'Dieser Zug ist bis Köln.'

Diese Beispiele gehören zu der höflicheren Umgangsprache. Auf der familiären ("flachen") Stilebene enden die (b)-Sätze mit dem Nomen mit der Kasusmarkierung, d.h. ohne des-u, wobei in der Männersprache da statt des-u auftreten kann (vgl. (5.23) und Fußnote 5.n8 oben). In der Version ohne des-u bzw. da ist es daher an sich nicht eindeutig, ob es sich dabei um einen Satz oder um eine Nominalphrase handelt. Aber aufgrund der Möglichkeit des Vorkommens eines Adjunktes wie kono kisya ga/wa, und femer dessen Topikalisierbarkeit, muss das erstere der Fall sein. Wie die Art der Darstellung der Beispiele andeutet, sind solche Sätze wie die obigen (b)-Beipiele nur dann möglich, wenn ein konkreter Kontext gegeben ist. Dies weist darauf hin, dass der Nominalprädikator hier als Pro-Verb, das ein anderes Verb anaphorisch vertritt, und zugleich als Assertionskennzeichen steht. In der höflicheren Ausdrucksweise wie bei

154 den Beispielen oben spielt des-u dazu die Rolle, die Aussage höflich zu machen (vgl. Okutsu 1989b, Numata 1987).12 Diese Abhängigkeit von einem spezifischen Kontext hat das Vorkommen des Nominalprädikators nach einem durch eine Kasusmarkierung begleiteten Nomen mit dem im vorangehenden Abschnitt erwähnten Fall der eigenartigen kopulativen Aussage gemeinsam (vgl. (5.23)). Aber dieselbe Kontextabhängigkeit gilt auch für das Vorkommen des Nominalprädikators nach solchen Wörtern, die überwiegend adverbial verwendet werden und eine geringere Kombinierbarkeit mit Kasusmarkierungen aufweisen (z.B. sugu 'unmittelbar', tokidoki 'manchmal', sukosi '(ein) wenig', kitto 'bestimmt', vgl. ((4.78), (5.11)). Diese Wörter sind in ihrer dominanten Funktion adverbiale Modifikatoren, sind also adprädikative Dependenten genau so wie Nomina mit Kasusmarkierung. Vergleichen wir die folgenden Beispiele: (5.27) (a) Kono kisya wa itu tat-i-mas-u-ka? dies:ADN Zug TOP wann abfahren-ADV-HON-PRÄS-Q 'Wann fährt dieser Zug ab?' 12

Eine vergleichbare Honorifikationsstrategie mittels des-u wird bei Adjektiva verwendet, denen sonst kein Honorifikationsmittel zur Verfügung steht, weil sie mit dem postverbalen Höflichkeitselement -mas- nicht kombinierbar sind. Dass des-u nur zur Höflichmachung dient, wird durch ihre Nicht-Kombinierbarkeit mit da verdeutlicht (vgl. Okutsu 1989b: 196f., Numata 1987): (a) Samu-i (i) 0/ii) des-u/iii) *da}. 'Es ist kalt/ kalt.sein-PRÄS (b) Samu-kat-ta. {i) 0 / ii) des-u / iii) *da / iv) *? des-i-ta}. 'Es war kalt.' kalt.sein-ADV2-PRÄT NPRÄD:HON-ADV-PRÄT Das Beispiel (b ii) weist darauf hin, dass die Funktion von des-u allein in der Höflichmachung besteht, weil es trotz des präteritalen Zeitbezugs in der Präsensform auftritt. Insofern ist es als eine Art Modalpartikel zu betrachten. Die Ausdrucksweise wie in (a/b ii) gilt als Norm der höflicheren Gegenwartssprache. Aufgrund dieser Beispiele aus dem Bereich der Adjektiva dürfte man sagen, dass des-u als allgemeines Honorifikationssuffix im nicht-verbalen Bereich dem Verbalsuffix -mas-u gegenübersteht. In der Umgangsprache wird der Gebrauch von des-u aber auch nach einem Verb beobachtet, wenn dieses negiert wird, da das Negationsauxiliar na-i adjektivisch flektiert, z.B.: (c) (i) ik-a-na-i { 0l des-u / *da}. gehen-ADNEG-NEG-PRÄS

'Ich gehe nicht.'

vgl. (ii) ik-i-mas-en. 'Ich gehe nicht.' gehen-ADV-HON-NEG:PRÄS (d) (i) ik-a-na-kat-ta {0/des-u/*da/*?des-i-ta}.'Ich bin nicht gegangen.' gehen-ADNEG-NEG-ADV2-PRÄT Vgl. (ii) ik-i-mas-en des-i-ta. 'Ich bin nicht gegangen.' gehen-ADV-HON-NEG:PRÄS NPRÄD:HON-ADV-PRÄT Die höfliche Version in (c/d i), die durch Hinzufügung von des-u zu dem hinsichtlich der Negation und des Tempus flektierten und daher in der nicht höflichen Sprache bereits vollständigen Prädikatskomplex (= 0-Version) gewonnen wird, gehört noch nicht zu der Norm, die durch die (ii)-Version in (c/d) repräsentiert ist. Dass der Nominalprädikator jedoch auch in der als Norm angesehenen Bildung eines verbalen Prädikatskomplexes gebraucht wird, zeigt (d ii), in dem er, als Träger der Höflichkeit und des Tempus Präteritum zugleich, eine Art Portemanteau-Element darstellt.

155 (b) {Sugu / 12-zi 15-hun ni} (i) tat-i-mas-/ ii) des-}-u. (sofort/ 12-Uhr 15-Minute DAT} '(DieserZug) fährt {sofort/um 12:15} ab.' Das Nomen mit Kasusmarkierung teilt eine gleiche Positionsklasse mit dem Adverbial. Die Tatsache, dass das Vorkommen vor dem Nominalprädikator die am wenigsten beschränkte nominale Eigenschaft ist (vgl. (4.78), (5.7/11)), beruht wahrscheinlich auf der pragmatischen Sonderfunktion des Nominalprädikators als Pro-Verb. Die drei genannten Fälle, d.h. die seltsame Kopula-Konstruktion wie (5.23), eine mit Kasusmarkierung versehene Nominalphrase vor dem Nominalprädikator wie in (5.25/26/27 b) und ein Adverbial vor demselben wie in (5.27 b), teilen daher die Abhängigkeit vom Kontext als gemeinsame pragmatische Eigenschaft. Für diese drei kontextabhängigen Typen kann man aufgrund zweier Parameter eine Kreuzklassifikation vornehmen: Ein Adverbial ohne Markierung und ein Nomen mit Kasusmarkierung üben in der Form vor da sonst die Funktion adprädikativer Satzkonstituenten aus, während ein Nomen vor dem Nominalprädikator in der eigenartigen Kopula-Konstruktion wie karee 'Curry' in (5.23 a) nicht die Form einer adprädikativen Satzkonstituente hat. Das letztere und ein Adverbial wie sugu 'unmittelbar' haben aber die Eigenschaft gemeinsam, ohne Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator vorzukommen und insofern mit diesem morphosyntaktisch einwandfreie ("wohlgeformte") Nominalprädikate zu bilden, während ein Nomen mit Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator nicht zum morphosyntaktischen Grundschema von Nominalprädikaten passt. Die beiden folgenden Schemata fassen die geschilderten Verhältnisse tabellarisch zusammen: (5.28) (a)

adprädikativ

Adverbial (+0)

"wohlgeformt" als Prädikatsnomen vor da

(5.28) (b)

N (+0)

N + KM

_\I

adprädikativ

"wohlgeformt" als Prädikatsnomen vor da

N + KM

+



Adverbial (+ 0)

+

+



+

N(+0)

156

5.5. Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator und Analyse der Nominalprädikate

Hat ein Nomen in der quasi-kopulativen Aussage wie karee 'Curry' in (5.23 a) mit einem Adverbial funktional etwas gemeinsam? Zweifelsohne hat so ein Nomen nichts Adverbiales an sich; es kann auf keinen Fall in dieser markierungslosen Form die Funktion eines adverbialen Modifikators ausüben. Insofern ist die morphosyntaktische Gemeinsamkeit zwischen den beiden in der Position vor dem Nominalprädikator eben auf diese Umgebung beschränkt, die allerdings eine gleiche diskurskontextuelle Bedingung voraussetzt. Und gerade diese gemeinsame pragmatische Bedingung weist darauf hin, dass auch die quasikopulative Aussage, die mit ihrem markierungslosen Nomen vor dem Nominalprädikator vollkommen zum Grundschema des Nominalprädikates passt, zusammen mit den beiden anderen Typen ein gemeinsames Aussagemuster bildet. Man dürfte also annehmen, dass der Nominalprädikator auch in (5.23) eine den Beispielen (5.25ff.) analoge Funktion des Pro-Verbs ausübt (vgl. Numata 1987). Welcher Ausgangssatz wäre dann für (5.23 a) möglich? (5.29) (a) Nani was

ni

si-mas-u-ka?

DAT

tun:ADV-HON-PRÄS-Q

'Was nehmen Sie?', wörtlicher: 'Wofür entscheiden Sie sich?, vgl. (4.77 (b) (i) (Watasi wa) karee ni {si-mas- / *des-}-u. (ii) (Watasi wa) karee (*m) des-u. (5.30) (a) Nani

o

{tor-i-

b)

'Ich nehme Curry.' 'Ich nehme Curry.'(= (5.23 a))

/tabe-}-mas-u-ka?

was AKK {nehmen-ADV- /essen:ADV-}-HON-PRÄS-Q 'Was {nehmen (bestellen) / essen} Sie?'

(b) (i) (Watasi wa) karee o {{tor-i-/tabe-}-mas- / *des-}-u. 'Ich {nehme (bestelle) / esse} Curry.' (ii) (Watasi wa) karee (*o) des-u.

'Ich nehme Curry.'(= (5.23 a))

Welcher Befund ergibt sich aus diesen Beispielen? Entweder, dass ein dem Muster in (5.25)ff. analoger Prozess der Pro-Bildung für die quasi-kopulative Aussage nicht angenommen werden kann, oder dass es sich bei dieser um einen obligatorischen Wegfall bestimmter Kasusmarkierungen vor dem Nominalprädikator als Pro-Verb handelt, so dass die scheinbar kopulative Konstruktion eigentlich gar keine ist.13 13

Inoue (1990: 34) sagt in Bezug auf "Elliptical Sentences with da ordesu" folgendes: "The element preceding da or desu can be of any category that can occupy argument position"; sie gibt als Beispiele Adverbien, Nomen mit kara 'von, aus, ab' sowie mit mo 'auch' an, aber erwähnt nicht die Möglichkeit, genauer: Unmöglichkeit, von Nomen mit ga und o bzw. ni in dieser Position. Auch bei Kuno 1978a (130f., 137) wird auf dieses Problem nirgends hingewiesen. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass die englischen Pendants dazu auch gänzlich ohne Präposition vorkommen und der Unterschied zwischen / und me usw. nicht immer eine kasuelle Funktion ausübt (z.B. It's

157 Für die erstere Annahme würde der Unterschied zwischen (5.25ff.) und (5.29/30 b) in der Austauschbarkeit des jeweiligen Verbs mit dem Nominalprädikator sprechen. Während ik-u 'gehen, fahren' in (5.25/26) und tat-u 'abfahren' in (5.27) ohne Änderung des vorangehenden Satzteils durch den Nominalprädikator des-u ersetzt werden können, ist das bei den Verben in (5.29/30) nicht der Fall. Dies kann entweder an den betreffenden Verben oder an den betreffenden Kasusmarkierungen liegen. Dass die Verben selber nicht daran "schuld" sind, zeigen z.B. die folgenden paarigen Aussagen: (5.31) (a) Nani kara si-mas-u ka? wörtl.: 'Von was tun Sie/wir ?' = 'Womit fangen Sie/wir an (als erstes)?', 'Was tun Sie/wir als erstes?' (z.B. bei der Vorbereitung eines Festes) (b) (Watasi wa) (mazu) heya no soozi kara (zuerst) Zimmer N.ADNPutzen

{{si/hazime}-mas-/des-}-u. {{tun/anfangen}-HON/NPRÄDJ-PRÄS

'Ich fange mit dem Putzen des Zimmers an.' (5.32) (a) Nani kara tabe-mas-u ka? 'Was essen Sie/wir als erstes?' wörtl.: 'Von was essen Sie/wir?' = Womit fangen Sie/wir an zu essen?' (b) (Watasi wa) (mazu) karee kara {{tabe / hazime}-mas- / des-}-u. 'Ich fange mit Curry an.' Dass auch die Ersetzbarkeit der Verben in (5.25ff.) durch das Pro-Verb des-u nicht durch die betreffenden Verben selber bedingt ist, zeigen die folgenden Beispiele: (5.33) (a) Kono kisya wa diesrADN Zug TOP 'Wo fährt dieser Zug?'

doko Wo

o ik-i-mas-u-ka? AKK gehen-ADV-HON-PRÄS-Q

(b) (i) (Kono kisya wa) Rain-sagan o {ik-i-mas-/*des-}-u. Rhein-Linksufer 'Dieser Zug fährt am linken Rheinufer (= linksrheinisch).' (b) (ii) (Kono kisya wa) Rain-sagan (*o ) des-u. 'Dieser Zug fährt am linken Rheinufer (= linksrheinisch).' (5.34) (a) Kono kisya wa doko n/ik-i-mas-u ka?

'Wohin fährt dieser Zug?'

(b) (i) (Kono kisya wa) Kerun ni {ik-i-mas- / ??des- }-u. 'Dieser Zug fährt nach Köln.' (b) (ii) (Kono kisya wa) Kerun (?? ni) des-u. 'Dieser Zug ist (= fährt) nach Köln.'

from/to/for me etc. vs. It's me(/I), vgl. z.B. Comrie 1981a: 70f.), so dass die Erscheinung im Japanischen nicht als Problem wahrgenommen wurde.

158

Alle diese Beispiele weisen darauf hin, dass der Nominalprädikator als Pro-Verb mit bestimmten Kasusmarkierungen, vor allem mit o, nicht kompatibel ist, oder dass die letzteren vor dem ersteren wegfallen müssen. Wenn man die Inkompatibilität des Nominalprädikators mit denjenigen Nominalphrasen, die von bestimmten Kasusmarkierungen wie o und ni begleitet werden, als NichtAnwendbarkeit der Pro-Bildung nach dem Muster von (5.25/26/27) und (5.31/32) interpretieren würde, hätte man zum einen den Unterschied in der Anwendbarkeit der Pro-Bildung je nach Kasusmarkierungen zu begründen und zum anderen die Struktur sowie den Prozess der Bildung der obigen (b ii)-Beispiele zu erklären, die doch als Pro-Gegenstücke der (b i)-Beispiele zu betrachten sind und darüber hinaus die Struktur der quasi-kopulativen Aussage haben. Jedenfalls sieht es danach aus, dass das Beispiel (5.23 a) mit (5.29 b ii) und (5.30 b ii), die mindestens aus pragmatischer Sicht die Pro-Gegenstücke von (5.29/30 b i) sind, zusammengehören und ferner mit (5.33/34 b ii) ein gemeinsames Bildungsmuster haben. Schreibt man zwar den Aussagen dieser Beispiele die diskursabhängige Pro-Funktion zu, will aber ihre Struktur selber für einen "vollwertigen" Nominalprädikatssatz halten, in dem der Nominalprädikator nicht als Pro-Verb, sondern als flexivischer Bestandteil eines Nominalprädikates vorkommt, dann müsste sich ein solcher Satz aus einem komplexen Satz ergeben haben, entweder durch Kondensierung oder durch elliptische Weglassung von Satzelementen. Ein solcher Satz würde im Deutschen etwa die folgende Struktur haben: das, was/wofür/wonach etc.... Nebensatzprädikat, ist Nomen z.B.: das, was ich essen werde, ist Curryreis; das, wofiir ich mich entscheide, ist Curryreis; das (/der Ort), in dem (/ wo) der Zug fährt, ist das linke Rheinufer; das (/der Ort), wonach/wohin der Zug fährt, ist Köln. Solche Sätze würden im Japanischen dann wie folgt aussehen: (5.35) Watasi ga ich

tabe-ru

{(a) mono/(b) no}

wa

karee des-u.

NOMessen-PRÄS {Ding/SKOMP:PRON} TOP Curry NPRÄD-PRÄS

'Das, was ich esse(n werde), ist Curry.' (5.36) Kono

kisya ga

ik-u

{(a) tokoro/(b) no} wa

Kerun des-u.

dies:ADN Zug NOM gehen-PRÄS {Ort/SKOMP:PRON} TOP Köln 'Der Ort, wohin dieser Zug fährt, ist Köln.'

NPRÄD-PRÄS

Wie kann man nun aus diesen Sätzen die Struktur in (5.23 a / 30 b ii) und (5.34 b ii) gewinnen? Die einzig denkbare Möglichkeit wäre die Weglassung des vom Kontext her vorhersagbaren Nebensatzes als ganzem inklusive der enklitischen Topik-Partikel. Daraus ergibt sich jeweils ein Satz, der aus dem Nominalprädikat allein besteht: Karee des-u in (5.30 b ii) und Kerun des-u in (5.34 b ii). Wenn man zu diesem Minimalsatz eine TopikNominalphrase wie die jeweils in Klammern in (5.30/34 b ii) hinzufügt, bekommt man eben eine quasi-kopulative Struktur, die sich von derjenigen in (5.23 a) nicht unterscheidet. Obwohl diese Analyse durchaus haltbar zu sein scheint, hat sie einige Schwächen. Zum einen lassen sich nicht alle Beispiele oben, die die Inkompatibilität zwischen dem Nominal-

159

prädikator und o oder ni aufweisen, nach dem gleichen Muster in einen komplexen Satz umwandeln. So ist die Bildung eines solchen Satzes für (5.29) nicht möglich. Ein komplexer Satz, der nach demselben Muster wie (5.35)f. oben gebildet wird, bekommt eine andere Bedeutung als in (5.29 b): (5.37) Watasi ga

su-ru {(a) mono / (b) no} wa karee des-u. tun-PRÄS 'Das, was ich (z.B. als Attraktion eines gemeinsamen Abends) machen werde, ist Curry.'

In ähnlicher Weise bekommt das Nomen Rain-sagan 'das linke Rheinufer' in (5.33) bei einer analogen Bildung eher die Bedeutung des Ziels wie Kerun in (5.36) als die des befahrenen Ortes. Diese semantische Einschränkung hat wohl damit zu tun, dass sich das Bezugsnomen eines Relativsatzes im Japanischen von der Kasusmarkierung trennen muss, die seine Relation zum Nebensatzprädikat angezeigt hat und bei der Relativsatzbildung verschwinden muss, so dass die Partizipantenrolle des Bezugsnomens im untergeordneten Relativsatz nicht mehr eindeutig ist. Trotz oder gerade wegen dieser Mehrdeutigkeit hat sich oft eine dominante Lesung hinsichtlich der Rolle des Bezugsnomens beim jeweiligen Nebensatzprädikat entwickelt, die von der Sprachgemeinschaft als Norm empfunden wird. Diese ist bei su-ru (neben dem mit ga zu markierenden Agens) die Rolle, die mit o markiert wird (meist ein effiziertes Objekt, wie karee o su-ru, etwa 'Curry-Essen veranstalten'), während sie bei ik-u nicht die mit o zu markierende Rolle des affizierten, begangenen/befahrenen Ortes, sondern das Ziel, das mit ni markiert wird, ist.14 Ein weiteres Problem dieser Analyse ist, dass es an sich keinen Grund gibt, warum die zugrunde liegende komplexe Struktur nur für diejenigen Sätze angenommen werden soll, die die Inkompatibilität zwischen dem Nominalprädikat und der Kasusmarkierung aufweisen. Die Bildung eines komplexen Satzes nach dem obigen Muster müsste auch bei denjenigen möglich sein, die von keiner solchen Inkompatibilität betroffen sind. D.h. auch bei den letzteren müsste der Nominalprädikator nicht als Pro-Verb, sondern eben als flexivischer Bestandteil eines Nominalprädikates vorkommen können. Und dies ist mindestens zum Teil der Fall, z.B. (vgl. (5.27 b)): (5.38) Konokisyaga tat-u {(a) zikan/(b) no} wa 12-zi 15-hun des-u. abfahren-PRÄS {Zeit/ SKOMP:PRON} 'Die Zeit, in der dieser Zug abfährt, ist 12 Uhr 15.'

14

Die Situation ist eine andere, wenn das benutzte Verb nicht ik-u 'gehen, fahren' (oder ku-ru 'kommen'), sondern hasir-u 'fahren' (oder aruk-u 'zu Fuß gehen') ist (vgl. Abschnitt 6.3). In diesem Fall ist die bevorzugte Interpretation nicht das Ziel, sondern der befahrene Ort. Dieser, der bei Bewegungsverben mit o markiert wird, wird in linguistischen Arbeiten oft "traversal object" genannt, z.B. Schienen, Wege und Strecken. Vgl. z.B. Sugamoto 1982.

160

Andererseits müssen diejenigen Kasusmarkierungen, die in (5.25/26) und (5.31/32) vor dem Pro-Verb des-u stehen, auch in einer gleichen komplexen Konstruktion vor demselben auftreten, weil die Bedeutung des Satzes, genauer: die Partizipationsbeziehung des Bezugsnomens zum Nebensatzprädikat, zugunsten der dominanten Lesung interpretiert wird. So sind die beiden Versionen des folgenden Beispiels nicht synonym: (5.39) Watasi gä {su-/hazime}-ru

nowaheya

{tun/anfangen}-PRÄS

Zimmer

no soozi {(a) 0/(b) kara} des-u. Putzen

(a) 'Das, was ich {tue / anfange}, ist das Putzen des Zimmers.' (b) 'Das, was ich als erstes tue, ist das Putzen des Zimmers.' Während (5.39 b) das komplexe Gegenstück von (5.31 b) ist und nur den ersten Gegenstand einer Reihe von Arbeiten nennt, ist das Putzen des Zimmers in (5.39 a) der einzige Gegenstand, der getan bzw. angefangen wird. (5.39 a) ist daher das komplexe Gegenstück von (5.40 b): (5.40) (a) Nani o {si- / hazime}-mas-u ka?

'Was {tun Sie(/wir) / fangen Sie(/wir) an}?'

(b) (i) (Watasi wa) heya no soozi o {{si- / hazime}-mas- / *des-}-u. 'Ich {tue / beginne} das Putzen des Zimmers.' (b) (ii) (Watasi wa) heya no soozi (* o) des-u. 'Ich {tue / beginne} das Putzen des Zimmers.' Wie soll man die Resistenz der Kasusmarkierung wie kara auch in einer komplexen Struktur wie (5.39 b) erklären, die nichts anderes als das Basisschema eines einfachen Satzes haben dürfte, das wie folgt aussieht: (5.41) (a) Nomen, wa(/ga) Nomen2da/desu 'Nomen, istNomen r ' Die komplexe Struktur beruht allein darauf, dass das Nomen, durch einen Relativsatz erweitert ist: (5.41) (b) [[Relativsatz] Nomen,] N p wa(/ga)

Nomen2da/desu

Eine mögliche Erklärung der mit diesem Schema nicht konformen Resistenz der Kasusmarkierung nach Nomen2 in (5.39 b) wäre die Interpretation, dass es sich dabei nicht um einen richtigen Relativsatz, sondern um eine Cleft-Konstruktion ("Cleft Sentence" im Englischen nach dem Schema it is ... that..., vgl. z.B. Kuno 1978a: 137) handelt. Und in der Tat führt der Ersatz des satzkomplementierenden Pronomens no durch ein Vollnomen als Bezugsnomen bei (5.39 b) zu einer fraglichen Konstruktion, während derselbe bei (5.39 a) problemlos ist: (5.42) (a) Watasi ga {su-/hazime)-ru

{(i)koto/(ii)no} wa heya no soozi des-u. {Sache / PRON} 'Die Sache, die ich {tue / anfange}, ist das Putzen des Zimmers.'

161

(b) Watasi ga {su- / hazime}-ru {(i) ??koto / (ii) no} wa heya no soozi kara des-u. 'Das, was ich als erstes tue, ist das Putzen des Zimmers.' Auf eine analoge Weise ist die Rechtsversetzung von Kerun made 'bis Köln' in (5.25) mittels no unproblematisch, während deren Relativsatzversion mit einem Vollnomen wie tokoro Ort' (vgl. (5.36)) als Bezugsnomen eine wesentlich geringere Akzeptabi l ität aufweist: (5.43) Kono kisyaga ik-u {(a) ??tokoro /(b) no} wa Kerun made des-u. wörtl: 'Das (= Dort), wohin dieser Zug fährt, ist bis Köln.' Weist dieser Befund darauf hin, dass zum einen diejenigen Nominalphrasen, die nicht mit o oder ni, sondern z.B. mit kara oder made markiert werden, nicht relativisierbar sind, und dass es sich zum anderen bei der Alternierbarkeit der Bezugsnomina in (5.35)ff. um zwei zwar eng miteinander verwandte, aber doch unterschiedliche Konstruktionstypen, nämlich Relativsatz-Konstruktion einerseits und Cleftsatz-Konstruktion andererseits handelt? Dass nicht zu jeder Nominalphrase als Bezugsnomen ein Relativsatz gebildet werden kann, ist in Anbetracht interlinguistischer Daten (vgl. z.B. Comrie 1981a:148ff.) durchaus plausibel. Aufgrund dieser Daten wird angenommen, dass eine Hierarchie der Relativisierbarkeit bezüglich der sog. grammatischen Relationen besteht:15 (5.44) Subjekt > direktes Objekt > nicht-direktes Objekt. Der Unterschied zwischen (5.42 a) und (b) sowie zwischen (5.36) und (5.43) müsste demnach auf der unterschiedlichen Relativisierbarkeit zwischen dem direkten Objekt und einem nichtdirekten Objekt oder zwischen Subinstanzen der nicht-direkten Objekte beruhen, wobei der Status einer Nominalphrase als nicht-direktes Objekt im Japanischen allerdings nicht das Mitvorkommen eines direkten Objektes voraussetzen, sondern weitgehend davon abhängen müsste, welche Kasusmarkierung das betreffende Nomen trägt. Jedenfalls scheint es Unterschiede im Grad der Relativisierbarkeit je nach dem Markierungsmittel zu geben, während die Cleftsatz-Bildung keiner solchen Beschränkung unterliegt. Wenn wir nun auf dieser Grundlage annehmen, dass dem Satz (5.23 a) eine äquative Kopula-Konstruktion wie (5.35) zugrunde liegt, deren erste, mit einem Relativsatz erweiterte Nominalphrase anaphorisch weggelassen wird, und zu der stattdessen eine Topik-Phrase watasi wa hinzugefügt wird, haben wir den Status von da bzw. des-u als ordentlichem Nominalprädikator, d.h. nicht als Pro-Verb, gerettet, der zusammen mit dem unmittelbar 15

Die Hierarchie, die von Comrie als universelle Reihenfolge der Relativisierbarkeit aufgestellt wurde, hat als die letzte Instanz den Possessor, der hier wegen geringerer Relevanz außer Acht gelassen wird. Andererseits ist die Kategorisierung aller Rollen bzw. Relationen außer dem Subjekt und dem direkten Objekt als "nicht-direktes Objekt" nicht ausreichend für die Erklärung der Unterschiede in der Relativisierbarkeit innerhalb "nicht-direkter Objekte" im Japanischen. Comrie (l 981 a: 149) erwähnt, dass es große Unterschiede zwischen Sprachen in Bezug auf die Relativisierbarkeit lokationaler, temporaler usw. Nominalphrasen gibt, so dass für die universelle Generalisierung (zunächst) nur die genannten vier Instanzen in Frage kommen.

162

vorangehenden Nomen karee ein gewöhnliches Nominalprädikat bildet. Durch diese Analyse haben wir zugleich die Ursache der Eigenartigkeit der semantischen Beziehung zwischen dem ersten Nomen watasi 'ich' und dem Nominalprädikat karee da(/des-u in (5.23) erklärt, die auf der sekundären Natur des ersteren beruht, das nicht zu der eigentlichen Proposition gehört und nur als Topik der Aussage hinzugefügt wird. Darüber hinaus wurde auch die Resistenz von Kasusmarkierungen wie made und kara vor dem Nominalprädikator durch die Nicht-Anwendbarkeit der Relativsatzbildung erklärt. Für diese kommt die CleftsatzBildung zum Einsatz.16 Jedoch bleiben einige Probleme ungelöst. Erstens: Warum dürfen o oder ni auch bei der Cleftsatz-Bildung genau so wie bei der einen Relativsatz beinhaltenden Kopula-Konstruktion nicht vor da bzw. des-u stehen (vgl. (5.35)ff.)?17 Zweitens: Warum ist die Bildung einer Pro-Konstruktion mittels da(/des-u) nach einer Nominalphrase mit o oder ni nicht möglich? M.a.W.: Warum kann der Nominalprädikator nur nach bestimmten Kasusmarkierungen die Funktion des Pro-Verbs nicht ausüben? Wir könnten auf die fast unnötig umwegig erscheinende Analyse anhand der Annahme der komplexen Struktur oder der Pro-Bildung verzichten, indem wir den kontextabhängigen Aussagetypus (5.45) als pragmatische Modifizierung der Kerninformation betrachten, die von der Nominalphrase allein getragen wird: (5.45) (Topic wo) Nomen (Kasusmarkierung) da(/des-u) Man nimmt hier an, dass es sich bei dem obigen Aussagetypus nicht um einen richtigen Satz, sondern um die Angabe des Informationsminimums mittels eines Nomens handelt, z.B.: (5.46) (a) Karee. (als Antwort auf die Frage 'Was nehmen Sie?' in (5.29/30 a)) (b) Kerun. (als Antwort auf 'Wohin fährt dieser Zug?' in (5.34 a)) Diese Ein-Wort-Aussage, die die unbedingt nötige Information vermittelt, erhält dann eine Modifizierung durch Hinzufügung von da als Assertionsträger bzw. des-u als "Höflichmacher". Wenn eine Topik-Phrase hinzutritt, gewinnt die Aussage das Aussehen einer quasikopulativen Konstruktion. Aber das Problem besteht weiterhin, warum die Minimalantwort auf die Frage in (5.30 a) nicht Karee o, sondern Karee, und diejenige auf (5.29 a) nicht

16

Mattissen vertritt die Ansicht, dass das Prädikatsnomen "nur in Cleft-Sätzen kasusmarkiert" ist (1995: 35). Wenn man konsequent bei dieser Position bleiben will, müsste man alle Fälle der resistenten Kasusmarkierung vor da/des-u als Produkte der Cleftsatz-Bildung interpretieren, bei der, analog der hier dargestellten Annahme für die Relativsatzversion, der kontextuell bekannte Nebensatz bis no wa anaphorisch weggelassen wird und, wenn im Ausgangssatz sichtbar, das Diskurs-Topik hinzugefügt wird.

17

Wenck (1974: 887) sagt bezüglich des Cleftsatz-Typs, dass eine Kasuspartikel (= "primäre Kasusbezeichnung" nach Wenck, s. 1974: 580f.) nur erhalten bleibe, "wenn sie für den Sinn unentbehrlich ist". Diese funktionale Sichtweise entspricht zwar dem Wesentlichen der Beobachtungen, wie wir in 5.8 genauer sehen werden, erklärt aber die Probleme nicht, mit denen wir hier konfrontiert sind.

163 Karee ni, sondern Karee ist, während die Minimalantwort auf die Frage 'Womit fangen Sie an?' in (5.32 a) Karee kara lautet. Analog ist die Minimalantwort auf (5.34 a) nicht Kerun ni, sondern Kerun, während diejenige auf die Frage '(wörtl.) Bis wo fährt dieser Zug?' in (5.25 a) Kerun made ist. Dabei zeigten die Kasusmarkierungen o, ni, kara und made in den Sätzen mit einem Verbalprädikat eine saubere Paradigmatizität, wie sie z.B. aus dem Vergleich zwischen (5.25 a) und (5.34 a) sowie zwischen (5.30 a) und (5.32 a) ersichtlich ist. Auch wenn kara und made in der Minimalantwort unter der Bedingung der kontextuellen Vorhersagbarkeit weglassbar sind, also auch wenn Karee statt Karee kara auf die Frage (5.32 a) und Kerun statt Kerun made auf (5.25 a) möglich sind, gilt die umgekehrte Analogie nicht, d.h., die Hinzufügung von o oder«/ zu der nominalen Minimalantwort ist grundsätzlich nicht möglich: (5.47) (a) (i) *Karee ni. (als Antwort auf die Frage 'Was nehmen Sie?' in (5.29 a)) (ii) *Karee o. (als Antwort auf die Frage 'Was nehmen Sie?' in (5.30 a)) (b) *"?Kerun ni. (als Antwort auf 'Wohin fährt dieser Zug?' in (5.34 a)) Auch wenn (5.47 a ii) und (b) noch an der Grenze der Akzeptabilität liegen, führt die Hinzufügung von da bzw. des-u nach Karee o zur Inakzeptabilität (vgl. (5.30 b ii)),18 und nach Kerun ni zu sehr geringer Akzeptabilität (vgl. (5.34 b ii)). Also darf o bei dieser Art der Weitergabe der Minimalinformation nicht stehen und ni nur beschränkt. Auf diese Weise bleibt die Frage auch in diesem Interpretationsversuch offen, warum bestimmte Kasusmarkierungen nach dem betreffenden Nomen nicht stehen dürfen, während andere erhalten bleiben. Wir haben keine Lösung zum Problem des unparadigmatischen Verhaltens zwischen zwei Gruppen der Kasusmarkierungsmittel, genauer zwischen drei Gruppen: o, das nicht stehen darf, kara und made, deren Vorkommen bevorzugt wird, und ni, das eine "Fuzziness" diesbezüglich aufweist.19 18

19

Numata (1987: 79) merkt allerdings an, dass das Vorkommen von o vor desu zwar unnatürlich klinge, aber noch möglich sei. Wenn man die Diachronie in Betracht zieht, ist das Problem wesentlich einfacher zu erklären, weil o, wie im Übrigen ga, jüngeren Datums als die anderen Kasusmarkierungen ist (vgl. z.B. Sugamoto 1982, Miyagawa 1989: 199ff., Shibatani 1990: 333ff.) und in manchen Dialekten (z.B. in demjenigen von Süd-Yamagata im Nordosten, der Heimat der Verfasserin) heute noch fehlt. Auch in der gesprochenen Standardsprache wird o, wie auch ga, weggelassen (vgl. z.B. Hinds 1982, Watanabe 1986), bzw. deskriptiv genauer formuliert: Objekte werden häufiger ohne o ausgedrückt (wie Subjekt u.a. auch ohne ga). Die diachronische Erklärung gilt allerdings für ni nicht, weil es seit den ersten schriftlichen Überlieferungen (ab ca. 7. Jhd.) gefunden wird (vgl. u.a. Konoshima 1983) und auch weder in der gesprochenen Standardsprache noch in Dialekten fehlt (ni in der Standardsprache wird im Dialekt von Süd-Yamagata allerdings in ni und sä geteilt; das letztere entspricht ni und e in der Standardsprache). Eine Analyse, die durch den diachronischen Befund begünstigt wird, ist diejenige von Miyagawa 1989 im Rahmen der Rektions- und Bindungstheorie, in der o und ga als "case markers" betrachtet werden, die an (Prädikats-)Argumente klitisch angehängt werden (Argumente werden vom Prädikat her einer "thematischen Rolle" und einem Kasus zugewiesen, vgl. I.n45, n65, n67). Diesen werden kara, made, de usw. als "postpositions" gegenüberge-

164

5.6. Annahme des Wegfalls der Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator

Viel einfacher und "eleganter" wird die Lösung dieser Probleme, wenn wir eine generativprozessuale Art der Analyse anwenden. Bei der Eigenschaft von o und, mit Einschränkung, m, vor dem Nominalprädikator nicht stehen zu dürfen, handelt es sich dann um einen Wegfall dieser Kasusmarkierungen in der gegebenen Umgebung: (5.48) (a) o-*0/_da(/des-u) (b) ni -> {0, ni} l _

da(/des-u)

Demgegenüber fallen solche Kasusmarkierungen wie kara und made nicht weg. Daraus ergeben sich einerseits die Sätze wie (5.29/30/33/34 b ii), in denen die Kasusmarkierung vor des-u (bzw. da) wegfällt, und andererseits solche wie (5.25/26 b) und (5.31/32 b), in denen die Kasusmarkierung erhalten bleibt. Die beiden Typen haben aber ein und dasselbe Konstruktionsmuster, in dem der Nominalprädikator als Pro-Verb funktioniert, und sie unterscheiden sich allein im Wegfall vs. der Erhaltung der Kasusmarkierung. Die Grundlage dieser Annahme bietet unter anderem der Verhaltensunterschied zwischen o und ni einerseits und kara, made u.a. andererseits, der bei der Adnominalisierung mittels no beobachtet wurde (s. 3.6). Während die letzteren vor no resistent sind (z.B. Nihon kara no tegami 'Brief aus Japan' in (3.48)ff.), können die ersteren vor no nicht stehen (z.B. hako no naka (*ni) no ki no lama 'die Kugel(n) in der Schachtel' in (3.44)ff., Karutago (*o) no hakai 'Zerstörung Karthagos' in (3.53)). Dass no und da(/des-u) in einem organischen Zusammenhang stehen, haben wir u.a. in Kap. 3 und 5.2 ausführlich diskutiert. Der Verhaltensunterschied zwischen den zwei Gruppen der Kasusmarkierungen wiederholt sich auch in anderen Kontexten, vor allem bei der Topikalisierung mittels wa. Auch hier bleiben kara, made usw. vor wa erhalten, während o grundsätzlich nicht stehen kann.20 M ist vor

20

stellt. Miyagawa erwähnt (1989: 4f.), dass ni manchmal als "case marker" zu identifizieren ist, manchmal dies aber nicht ohne weiteres zulässt. Auf der Grundlage der Theorie von Miyagawa schlagen Sadakane und Koizumi (1995) vor, ni je nach dessen Verhalten in vier "Wortarten" zu teilen, u.a. "case marker (bzw. clitic)" (für Argumente) und Postposition. Nach der GB-Theorie dürfe im Übrigen ein Nomen ohne overte (d.h. sichtbare bzw. hörbare) Kasusmarkierung nur dann auftreten, wenn es in unmittelbarer Nachbarschaft ("adjacent") eines Kasuszuweisers (vor allem eines Prädikats und einer Pre-/Postposition) steht. Demnach wäre die (overte) Kasuslosigkeit eines Nomens vor da/des-u so ein Fall, in dem da/des-u als (alleiniges) Prädikat gelten müsste. Dieser Theorie widersprechen allerdings die Erscheinungen sowohl in der gesprochenen Standardsprache als auch in Dialekten, in denen nicht nur das dem Prädikat unmittelbar vorangehende Nomen, sondern auch dasjenige vor diesem ohne Kasusmarkierung auftritt Vgl. 9.5. Der Kombination o wa ist doch vor allem in literarischen Texten zu begegnen. Die Akzeptabilität von N o no N ist demgegenüber wesentlich niedriger. Die Kombination von ni no ist hingegen gänzlich inakzeptabel. Wenn es sich um eine statische Beziehung wie z.B. Orts- oder Possessorangabe handelt, bleibt ni bei no ersatzlos weg, aber bei einer dynamischen Angelegenheit wie einer Zielangabe (z.B. (3.49), (5.34)) wird ni vor no durch e ersetzt, z.B. Kerun e no kisya 'Zug nach Köln'.

165 wa weitgehend fakultativ, ihr Vorkommen ist aber bei bestimmten Funktionen, z.B. bei Zeitangaben (z.B. (5.27)), nötig. Es ist eigentlich recht seltsam, dass ni sich vor wa und da(/des-u) gleich verhält und nicht vor diesem und no, obwohl diese beiden sonst eng aufeinander bezogen sind. Die Erscheinungen der Verhalten der Kasusmarkierungen bei no und wa sind mit einer (5.48) analogen Wegfallregel wesentlich leichter zu erklären als mit (statisch-deskriptiven) Inkompatibilitäts- bzw. Unkombinierbarkeitsregeln.21 Die Analyse mittels der Wegfallannahme zieht einige Konsequenzen nach sich. Erstens: Die Relativsatzkonstruktion und die Cleftsatz-Konstruktion müssen zwei gänzlich unterschiedliche Konstruktionstypen sein, obwohl sie dann ein scheinbar gleiches Aussehen zeigen, wenn eine Nominalphrase involviert ist, deren Relation zum Nebensatzprädikat mit o oder ni markiert wird. In diesem Fall sind ein Vollnomen als Bezugsnomen eines Relativsatzes und das Pronomen no anscheinend frei austauschbar, wie es in (5.35)ff. beobachtet wurde.22 Aber bei der Cleft-Konstruktion handelt es sich um einen Wegfall der Kasusmarkierung in der Position vor da bzw. des-u, der von individuellen Kasusmarkierungsmitteln abhängt. Hingegen ist in einer Konstruktion mit einem Relativsatz, die dem Muster in (5.41) entspricht, von vornherein keine Kasusmarkierung nach dem Nomen vor da bzw. des-u zu erwarten, da es sich um eine echte Kopula-Konstruktion handelt. Veranschaulichen wir den Unterschied zwischen den beiden Konstruktionstypen durch schematische Darstellungen:

21

22

Diachronisch betrachtet ist die Situation wohl eher umgekehrt, d.h. es handelt sich nicht um den Wegfall der Kasusmarkierung in bestimmten Positionen wie vor da, no und wa, sondern um das Hinzukommen von o u.a. in anderen bestimmten Umgebungen (s. 5.nl9 oben). Wenck (1974: 353f.) erwähnt, dass die Konstruktion Nomen + Kasusmarkierung + no + Nomen sich hauptsächlich im Mitteljapanischen entwickelt habe und sich heute auf alle Kasuspartikeln außer ga, o und ni erstrecke. Basierend auf Wenck sagt Mattissen (1995: 27), dass "die zentralen Kasus" vor no nicht auftreten und sonstige Relationen "einen Kasus" vor no erfordern. Diese Situation ist gewissermaßen vergleichbar mit der Erscheinung im Englischen, bei der ein und dasselbe Mittel that sowohl für die Relativsatzbildung als auch für die Cleft-Bildung verwendet wird, wobei that als Relativpronomen durch ein wh-Relativpronomen ersetzbar ist, während dies für that in der Cleft-Konstruktion nicht gilt. Obwohl sich diese Erscheinung, bei der es sich um ein nebensatzeinleitendes Mittel handelt, von der sich auf die syntaktische Konstruktionsweise beziehenden Erscheinung im Japanischen unterscheidet, zeigt sie wie die letztere die formale Nähe zwischen den beiden Konstruktionstypen.

166 (5.49) Cleft-Bildung23 (a) Schema (NP = Nominalphrase, KM = Kasusmarkierung, PRÄD = Prädikat) (i) Ausgangssatz: NP, KM, NP2 KM, (...) PRÄD (ii) Cleft-Satz mit Rechtsversetzung der NP2: (ii-1) NP, KM, (...) PRÄD no waNP 2 KM2da(/des-u) (ii-2) KM2 -> 0, wenn KM2=[o/ni] (b) Beispiel: (i) Ausgangssatz:

Watasi ga(/wa) karee o tabe[-ru / -mas-u}. essen {-PRÄS / -HON-PRÄS) 'Ich esse Curry.' (vgl. (5.30)): (ii) Cleft-Satz (vgl. (5.35 b)): (ii-1) * Watasi ga tabe-ru no wa karee o {da /des-u} (ii-2) Watasi ga tabe-ru no wa karee {da /des-u} 'Es(TDas) ist Curry, was ich essen werde.'

23

Die Cleftsatz-Bildung schließt die folgenden Regeln ein (wobei natürlich auch die Möglichkeit besteht, NPj statt NP2 nach rechts zu versetzen): Regel 1: (i) Verschiebe NP2 zusammen mit ihrer Kasusmarkierung KM2 in die Position nach dem Prädikat; (ii) tilge das Höflichkeitselement des Prädikates, falls dieses enthalten ist; (iii) tilge die Topik-Partikel wo, falls sie vorkommt, und ersetze sie durch eine passende Kasusmarkierung; (iv) füge das satzkomplementierende Pronomen no zusammen mit der Topik-Partikel wa zwischen dem Prädikat und der nach rechts verschobenen Nominalphrase NP2 ein; dadurch entsteht die folgende Struktur: NP, KM, PRÄD no wa NP2 KM2 Regel 2: (a) Füge am Ende des Satzes da bzw. des-u hinzu, wobei das letztere dann gewählt werden soll, wenn das Prädikat des Ausgangssatzes ein Höflichkeitselement beinhaltet; (b) lass die Kasusmarkierung KM2 nach NP2 weg, wenn sie o oder ni ist. Welche der beiden Sub-Regeln der Regel 2, die Hinzufügung von da/des-u oder die Weglassung der Kasusmarkierung, früher angewandt werden soll, ist angesichts der umgangssprachlichen Erscheinung, dass die Kasusmarkierung o oder ni auch ohne da/des-u wegfällt (vgl. die letzten zwei Absätze in 5.5), nicht eindeutig, auch wenn die Reihenfolge von zuerst da/des-u und dann der Weglassung der Kasusmarkierung von der Annahme des positionsbedingten Wegfalls bestimmter Kasusmarkierungen her zu erwarten ist. Wenn man diese Reihenfolge annimmt, müsste da/des-u, das zuerst am Satzende hinzugetreten ist und den Wegfall bestimmter Kasusmarkierungen bedingt hat, in der Umgangsprache nachher selber wegfallen.

167 (5.50) Relativsatzbildung und Relativsatzeinbettung (a) Schema: (i) Ausgangssatz zur Relativsatzbildung: NP, KM, NP 2 KM, (...) PRÄD (ii) Relativsatzbildung mit NP2 als Bezugsnomen: Regel l: Rechts Versetzung der NP2 in die Position nach PRÄD (/ PRÄD ) Regel2:KM 2 ->0 Daraus ergibt sich die Struktur: NP, KM, (...) PRÄD NP2 (iii) Matrixsatz mit einem Nominalprädikat, in den der Relativsatz eingebettet wird: NP 2 ' wa(/ga) NP3 da(/des-u) (iv) Einbettung des Relativsatzes in den Matrixsatz: NP, KM, (...) PRÄD NP2 wa(/ga) NP3 da(/des-u) (b) Beispiel: (i) Ausgangssatz: Watasi ga(/wa) sore o tabef-ru /-mas-u}.'lch werde das essen.' (ii) Relativsatzbildung mit sore 'das' als Bezugsnomen, wobei das Demonstrativpronomen sore durch ein gattungsbezeichnendes Nomen wie mono 'Ding, Sache' ersetzt werden muss:24 watasi ga tabe-ru (sore —*) mono 'das, was ich essen werde' (iii) Matrixsatz: Sore wa(/ga) karee {da/des-u}. 'Das ist Curry.' (iv) Einbettung des Relativsatzes in den Matrixsatz: Watasi ga tabe-ru mono wa(/ga) karee {da/des-u}. 'Das, was ich essen werde, ist Curry.' Wie das Schema zeigt, behält die nach rechts verschobene ("right-dislocated") Nominalphrase (NP 2 ) in einer Cleft-Konstruktion zunächst die Kasusmarkierung, die ihre Relation zum anfänglichen Prädikat anzeigt, das nach der Anwendung der Cleft-Bildung Nebensatzprädikat

24

Diese zusätzliche Regel ist deswegen nötig, weil es zum einen nicht üblich ist, dass ein Demonstrativpronomen Bezugsnomen eines Relativsatzes wird, und zum anderen mono Ding, Sache' allein als Objekt, d.h. als NP2, in (5.50 b i) nicht auftreten kann; die Gattungsbezeichnung mono wird, wenn sie durch ein Demonstrativ determiniert und referenzfähig gemacht werden soll, durch ein entsprechendes Demonstrativpronomen ersetzt, z.B. sore 'das' statt sono mono 'das Ding'. Die Situation ist anders und einfacher, wenn es sich z.B. um Menschen handelt; dann kann hito 'Person, Mensch' in dieser Form nicht nur als Adjunkt des Ausgangssatzes und als dasjenige des Matrixsatzes stehen, sondern auch durch ein Demonstrativ determiniert werden, z.B.: (i) Watasi wa(/ga) (sono) hito o mi(-mas-i)-ta. 'Ich sah eine(/die) Person.' das:ADN Person sehen(-HON-ADV)-PRÄT (ii) watasi ga mi-ta hito 'die Person, die ich sah' (iii) Sono hito wa(/ga) Satoo-san {da / des-u}. 'Die Person ist Herr/Frau Sato.' (iv) Watasi ga mi-ta hito wa(/ga) Satoo-san {da / des-u). 'Die Person, die ich sah, ist Herr/Frau Sato.' Im Übrigen gelten auch für die Relativsatzbildung die der Cleftsatz-Bildung analogen Regeln der Tilgung der Topik-Partikel wo im Nebensatz (d.h. im Relativsatz) und des Höflichkeitselementes des Relativsatzprädikates.

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wird. Und wenn die zusammen mit NP2 nach rechts verschobene Kasusmarkierung o oder ni ist, fällt sie vor da(/des-u) aus, d.h. NP2 verliert ihre Kasusmarkierung in dieser Position, wobei es aber einen Unterschied im Grad der Obligatorietät des Wegfalls zwischen o und ni gibt. Hingegen gilt die Tilgung der Kasusmarkierung, die die Relation zwischen dem Bezugsnomen und dem Relativsatzprädikat anzeigt, für jeden Relativsatz und ist weder von der jeweiligen Kasusmarkierung noch von der Art des Hauptsatzprädikates abhängig. D.h. die Kasusmarkierung muss unabhängig davon getilgt werden, ob sie o oder ni oder eine andere ist (die Anwendbarkeit der Relativsatzbildung ist allerdings gering, wenn das Nomen eine andere Kasusmarkierung als ga, o oder ni aufweist, z.B. kara, s. (5.44) in 5.5 oben), und ob das Hauptsatzprädikat ein Nominalprädikat mit da(/des-u), ein Verb oder ein Adjektiv ist. Wenn das Hauptsatzprädikat ein Nominalprädikat ist, ist dieses der Kopf des Matrixsatzes, und dessen Prädikatsnomen hat keine, mindestens keine unmittelbare, Partizipationsrelation zum Relativsatzprädikat (die Eruierung einer Partizipationsrelation zwischen dem Prädikatsnomen und dem Relativsatzprädikat ist mittelbar und beruht z.B. auf der referentiellen Identität zwischen dem ersteren und dem Bezugsnomen wie in (5.35)ff.). Es handelt sich hier um ein gewöhnliches bzw. ordentliches Prädikatsnomen, dem keine Kasusmarkierung zugrundeliegt, während in einer Cleft-Konstruktion die Partizipationsrelation der Nominalphrase zum Nebensatzprädikat auch nach der Rechtsversetzung ("right-dislocation") beibehalten wird, so dass ihre Markierung auch bei deren Wegfall latent vorhanden und rekonstruierbar ist.25 25

Um ein eventuelles Missverständnis zu vermeiden, sollten wir hier klarstellen, dass sich die Rekonstruierbarkeit der Kasusmarkierung, die die Relation zum Nebensatzprädikat anzeigt, im Fall der Cleft-Konstruktion auf die Nominalphrase vor da(/des-u) und im Fall der Relativsatzkonstruktion auf das Bezugsnomen bezieht. Wenn ein Satz zwei Nominalphrasen beinhaltet, von denen die erste durch einen Relativsatz erweitert ist und die zweite unmittelbar vor da(/des-u) auftritt (s. (5.41 b)), gilt die Rekonstruierbarkeit der getilgten Kasusmarkierung für das Bezugsnomen der ersten und nicht für die zweite vor da(/des-u). Für die zweite, die zusammen mit da(/des-u) ein Nominalprädikat bildet, ist keine Kasusmarkierung rekonstruierbar. In den (a)-Versionen in (5.35 ~ 38) und in (5.42 a i), in denen ein durch einen Relativsatz erweitertes Vollnomen als das erste Nomen (des Hauptsatzes) steht, ist also die getilgte Kasusmarkierung dieses Nomens in Bezug auf das Relativsatzprädikat rekonstruierbar: o für mono 'Ding, Sache' in (5.35) und (5.37) sowie für koto 'Sache' in (5.42 a), und ni für tokoro Ort' in (5.36) sowie für zikan 'Zeit' in (5.38). Für die zweiten, vor des-u stehenden Nominalphrasen karee 'Curry' in (5.35/37 a), (heya no) soozi 'Putzen (des Zimmers)' in (5.42 a i), Kerun 'Köln' in (5.36 a) und 12-zi 15-hun '12 Uhr 15' in (5.38 a) ist hingegen keine Kasusmarkierung zu rekonstruieren. Diese Versionen sind echte KopulaKonstruktionen mit einem ordentlichen Nominalprädikat, die dem Muster in (5.41) entsprechen. Demgegenüber ist in ihren Gegenstücken mit no, (5.35 ~ 38 b) und (5.42 a ii), die Kasusmarkierung der Nominalphrase vor des-u rekonstruierbar: o für karee 'Curry' in (5.35/37 b) sowie für (heya no) soozi 'Putzen (des Zimmers)' in (5.42 a ii), und ni für Kerun 'Köln' in (5.36 b) sowie für 12-zi 15-hun '12 Uhr 15' in (5.38 b). Diese Cleft-Versionen sind keine kopulativen Konstruktionen. Ihr letztes Nomen ist kein Prädikatsnomen, das zu dem Schema (5.41) passen könnte, obwohl es wegen des Wegfalls von o oder ni wie ein gewöhnliches Prädikatsnomen aussieht. Bei gleichem strukturellem Aussehen der beiden Konstruktionstypen unter dieser Bedingung handelt es sich daher um einen formalen Zusammenfall.

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Wie aus dem Vergleich zwischen (5.49 a/b ii) und (5.50 a/b iv) ersichtlich sein sollte, ist es außerdem soweit zwingend, den Teil bis no im Cleft-Satz mit wa zu topikalisieren, während das Bezugsnomen eines Relativsatzes neben der Topik-Markierung durchaus auch eine gewöhnliche Kasusmarkierung eines Adjunktes wie ga erhalten kann. Dies liegt daran, dass die Cleftsatz-Bildung zur Topikalisierungsstrategie gehört, mit der der vorausgesetzte Sachverhalt als Topik dargestellt wird, zu dem die nötige Information geliefert wird (die Topikalisierung verlangt im Japanischen den morphosyntaktisch nominalen Status des zu topikalisierenden Elementes, so dass das Pronomen no, das einen Satz komplementiert und diesen zum nominalen Status bringt, zum Einsatz kommt; vgl. 3.2ff.). Demgegenüber ist die Relativsatzbildung eine Strategie der Determination, die unabhängig von der Topikalisierung einsetzbar ist. Die zweite, noch gravierendere Konsequenz der Analyse, die den Wegfall der bestimmten Kasusmarkierungen wie o und ni vor da bzw. des-u annimmt, ist, dass auch eine quasikopulative Konstruktion wie (5.23 a) eine Pro-Konstruktion sein müsste, dereine Kasusmarkierung nach dem Nomen vor da/des-u zugrundeliegt, die in dieser Umgebung weggefallen ist. (5.23 a) ergibt sich durch Tilgung der Kasusmarkierung o oder ni aus der Struktur, die zusammen mit (5.25/26 b), (5.27 b ii), (5.31/32 b) ein gemeinsames Paradigma bildet. (5.23 a) müsste daher eine Pro-Konstruktion zu (5.29 b) oder (5.30 b) sein, in der der Nominalprädikator als Pro-Verb funktioniert. Dies gilt auch für (5.33/34 b) und (5.40 b). (5.23 a) wie (5.33/34 b ii) und (5.40 b ii) ist nach dieser Analyse also nicht nur keine kopulative Konstruktion, sondern beinhaltet auch kein ordentliches Nominalprädikat, welches die Kasuslosigkeit des Prädikatsnomens voraussetzen muss. Eine weitere schwerwiegende Konsequenz ist, dass auch dem Prädikatsnomen im Beispiel (5.24 b), das die Verbindlichkeit der Asymmetrie der Markierung zwischen dem Prädikatsnomen und dem Adjunktsnomen demonstrieren sollte, eine Kasusmarkierung zugrundeliegen könnte. Diese wäre dann ni, die vom verbalen Gegenstück (5.24 c) her zu erwarten ist. (5.24 b) kann in der Tat die Antwort mit da als Pro-Verb für ar-u 'dasein' auf die folgende Frage sein: (5.51) (a) Kinotamawa

doko ni ar-u?

'Wo ist(/sind) die Holzkugel(n)?'

Wo

(b) Ki no tama wa hako no naka {(i) m ar-u /(ii) da}. 'Die Holzkugel(n) ist(/sind) in der Schachtel.' Die höflichere Version hat das Prädikat ar-i-mas-u ka statt ar-u in (5.51 a), ar-i-mas-u statt ar-u sowie des-u statt da in (5.51 b). Obwohl die Annahme des Auftretens von da bzw. des-u als Pro-Verb und des damit zusammenhängenden Wegfalls der Kasusmarkierung ni für (5.51 b ii) in Anbetracht der verschiedenen bisherigen Beispiele durchaus haltbar zu sein scheint, hält uns eine Tatsache

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davon zurück, nämlich dass der Nominalprädikator des-u nicht nur in einem Antwortsatz, 26 sondern auch in einem Fragesatz nach einem Fragewort stehen kann: (5.52) (a) Ki no tama wa doko des-u ka? (b) (Ki no tama wa) hako no naka des-u.

'Wo ist(/sind) die Holzkugel(n)?' 'Sie ist(/sind) in der Schachtel.'

Auch wenn Muttersprachler wissen, dass für die Lokationsaussage die Version mit Ortsbezeichnung + des-u(/da) und diejenige mit Ortsbezeichnung + ni + ar(-i-mas)-u synonym sind, ist es nicht gerade wahrscheinlich, dass sie von vornherein des-u(/da) für, d.h. anstelle bzw. als Stellvertreter von, ni ar(-i-mas)-u nehmen. Daher wäre es doch besser, die Konstruktion mit dem Nominalprädikat, das aus einer Ortsbezeichnung und dem dieser unmittelbar folgenden Nominalprädikator besteht, als eines der Grundmuster der Lokationsaussage zu betrachten, zumal die Ortsbezeichnungen wie naka 'Innen' und doko 'welcher Ort, Wo', anders als Köln u.a., relationale Nomina sind. Die Frage nach der besseren Handhabung der letzten Beispiele macht erkennbar, dass die Annahme des Wegfalls der Kasusmarkierung uns zwar zu einer geschickten eleganten Problemlösung verhilft, aber gleichzeitig in einen Bereich bringt, in dem wir keine objektiven Anhaltspunkte mehr haben. Wenn uns zum Beispiel nur (5.24 b) oder (5.52 b) gegeben wären ohne die Information darüber, in welchem Kontext sie ausgesprochen wurden, könnten wir das Prädikatsgefüge sowohl für ein ordentliches Nominalprädikat ohne zugrundeliegende Kasusmarkierung als auch für eine Pro-Version mit dem weggefallenen ni halten. Wenn wir darüber hinaus die Regeln in (5.48), die den Wegfall der Kasusmarkierungen o und ni in der Position vor dem Nominalprädikator beschreiben, als generelle, von der diskursbezogenen Funktion des letzteren unabhängige Regeln auffassen, wäre es durchaus denkbar, dass auch einem Prädikatsgefüge wie demjenigen in (5.52) eine Kasusmarkierung zugrundeläge. Anzunehmen wäre hier ni. Aber haben wir einen objektiven Anhaltspunkt, der diese Annahme zu verifizieren vermag? Nein. Die einzige Stütze dieser Annahme ist, neben der kontextuell bedingten Ersetzbarkeit von Nomen ni ar-u durch Nomen da, die oben erwähnte Synonymic zwischen den beiden Versionen, von denen die eine, die mit dem Verbalprädikat, die Markierung mit ni verlangt. Aber die Synonymic ist noch lange kein Indiz für strukturelle Parallelität.27 26

Wie schon oben in 5.3 (bes. 5.n8~10) erwähnt, kommt da in Fragesätzen nicht vor, so dass das weniger höfliche Gegenstück von (5.52 a) wie folgt lautet: Ki no tama wa doko? 'Wo ist(/sind) die Holzkugel(n)?'

27

Die beiden Versionen sind dann nicht austauschbar, wenn es sich nicht um eine Lokationsangabe, sondern um eine Existenz- oder um eine Quantifikationsaussage handelt. In diesem Fall kann nur die Version mit dem Verb ar-u (bzw. i-ru 'dasein' für belebte Wesen) verwendet werden, z.B.: (a) Ki no tama ga hako no naka {(i) ni ar(-i-mas)-u / (ii) da/des-u}. (i) 'Es gibt Holzkugeln in der Schachtel.' (ii) 'Das, was in der Schachtel ist, sind Holzkugeln (und nicht z.B. Glaskugeln)' (b) (i) Hako no naka ni (wa) ki no tama ga {ar(-i-mas)-u / *da/des-u}. 'In der Schachtel gibt es Holzkugeln.'

171 Wenn wir anzunehmen wagen, dass auch einem Prädikatsgefüge wie in (5.52), das aus einer Nominalphrase ohne Kasusmarkierung und dem Nominalprädikator besteht und so die Struktur eines ordentlichen Nominalprädikates aufweist, eine Kasusmarkierung zugrundeliegen mag, könnten wir die Erscheinungen, auf die sich diese Annahme bezieht, immer weiter erweitern, mit dem denkbaren Ergebnis, dass wir nicht mehr so genau wissen, wo die Grenze dieser Annahme liegen könnte, und dass der Bereich der Nominalprädikate ohne jegliche Kasusrelation dementsprechend immer kleiner wird. Auf diese Problematik wollen wir im nächsten Abschnitt eingehen.

5.7. Wegfallerscheinung der Kasusmarkierung und Analyse des Kasusmarkierungssystems Durch Anwendung der generativ-prozessualen Methode, die den Wegfall und daher auch die Latenz eines auf der Oberfläche nicht sichtbaren Elementes annimmt, haben wir unsere Ansicht über das Nominalprädikat teilweise revidiert und dessen Bereich eingeschränkt. Die Konstruktion wie (5.23 a) Watasi wa karee (da/desu), die neben ihrer Konformität mit dem Muster (5.41 a) auch wegen der Permutierbarkeit der beiden nominalen Konstituenten für eine quasi-kopulative Konstruktion gehalten wurde, ist nun als eine Konstruktion mit dem Nominalprädikator als Pro-Verb zu betrachten, vor dem die Kasusmarkierung des Nomens weggefallen ist. Wie sollen wir aber die permutierte Version von (5.23 a), (5.23 b) Karee wa watasi (da/desu), behandeln? (5.23 b) unterscheidet sich in der Kontextabhängigkeit nicht von (5.23 a), so dass wir auch für (5.23 b) annehmen dürften, dass der Nominalprädikator auch hier als Pro-Verb funktioniert (vgl. Numata 1987). Welcher Satz wäre als Ausgangssatz dafür denkbar? (5.53) (a) Dare ga karee ni wer NOM Curry DAT

si-mas-u-ka? tun:ADV-HON-PRÄS-Q

(b) (Karee wa) watasi (*ga) des-u.

'Wer nimmt Curry?' (vgl. (5.29))

'Ich.' Oder 'Curry nehme ich.'

(5.54) (a) (i) Dare ga karee o {tor-i-/ tabe-}-mas-u-ka? {nehmen-ADV-/essen:ADV-}-HON-PRÄS-Q 'Wer {bestellt/isst} Curry?' (ii) Karee wa dare ga {tor-i-/tabe-)-mas-u ka?

'Wer {bestellt / isst} Curry?'

(ii) *? Hako no naka ni wa ki no tama desu. (höchstens als 'das, was man in die Schachtel tut, sind Holzkugeln' zu verstehen) (iii) Hako no naka wa ki no tama desu. 'Der Inhalt der Schachtel ist (besteht aus) Holzkugeln.' (c) (i) Ki no tama ga/wa takusan hako no naka {ni ar(-i-mas)-u / *da/des-u). 'Es gibt viele Holzkugeln in der Schachtel.' (ii) Hako no naka ni (wa) ki no tama ga takusan (ar(-i-mas)-u / *da/des-u}. 'In der Schachtel gibt es viele Holzkugeln.'

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(b) (i) (Karee wa) watasi ga {{tor-i-/tabe-}-mas- / *des-}-u. 'Curry {bestelle/esse} ich.' (ii) (Karee wa) watasi (*ga) des-u.

'Ich.' Oder 'Curry {bestelle/esse} ich.'

In (5.54) kann das gleiche wie in (5.30) beobachtet werden, der Unterschied besteht allein in der Kasusmarkierung ga statt o. Daher wird das Vorgehen der Analyse gleich wie in 5.5 oben ausfallen, das zu dem Ergebnis gelangen wird, dass es sich hier um den Wegfall von ga vor dem Pro-Verb des-u (bzw. da) handelt. Bei dem Satz (5.53) sind zwar weder die topikalisierende Linksversetzung des Objektes nach dem Muster von (5.54 a ii) noch dessen alleinige Weglassung unter Beibehaltung des gleichen Verbs su-ru 'tun' nach dem Muster von (5.54 b i) möglich, aber es kann keinen großen Unterschied im Prozess geben, der zu (5.53 b) führt, das mit (5.54 b ii) identisch ist. Der Satz, der durch Weglassung von ga aus (5.53 b / 54 b ii) gewonnen wird, ist nichts anderes als (5.23 b). Wir können also eine den Formeln in (5.48) analoge Regel auch für ga aufstellen: (5.55) ga -> 0 / _

da(/des-u)

Dasselbe Prinzip des Wegfalls von ga vor des-u (/da) gilt auch für das Nomen mit ga in (5.26). Auf die Frage in (5.26 a) kann man neben (5.26 b) auch wie in (5.56 b) antworten: (5.56) (a) Dono kisya ga Kerun made ik-i-mas-u ka? (= (5.26 a)) 'Welcher Zug fährt bis Köln?' (b) (i) Kono kisya ga {ik-i-mas- / *des-}-u. 'Dieser Zug fährt (bis Köln).' (b) (ii) Kono kisya (*ga) des-u. vgl. (5.26 b) Kono kisya ga kerun made desu.

'

Dieser Zug ist es / fährt bis nach Köln.' 'Dieser Zug ist bis Köln.'

Dieses Beispiel führt uns nun zu unserem nächsten Problem. Die Übersetzbarkeit von (5.56 b ii) mit 'Dieser Zug ist es' bildet einen Hinweis darauf, dass dieser Satz auch als mit einem gewöhnlichen, ordentlichen Nominalprädikat versehen interpretiert werden kann, das, wenngleich weiterhin unter einer bestimmten kontextuellen Voraussetzung, allein über die Identität eine Aussage macht. Das heißt, die Grenze zwischen dem Nominalprädikator als Pro-Verb und als flexivischem Bestandteil eines Nominalprädikates ist, ähnlich wie in (5.51/52), fuzzy. Als Folge ist auch die Grenze zwischen einem ordentlichen Nominalprädikat ohne jede Kasusrelation und einem scheinbaren Nominalprädikat mit einer zugrunde liegenden Kasusmarkierung fuzzy. Sehen wir ein wenig genauer nach Identitätsaussagen, für die keine andere Möglichkeit als die Konstruktion mit einem Nominalprädikat vorhanden ist. Welcher Fragesatz wäre für (5.22) (a) und (b) in 5.3 jeweils möglich?28

28

Fragesätze, zu denen die Sätze mit Ja in (5.22 a/b) als unmittelbare Antworten formuliert würden, lauten dem Stil entsprechend wie folgt:

173 (5.57) (a) Ano jen:ADN

hito wa dare des-u-ka? Person TOP wer NPRÄD-PRÄS-Q

(b) (Ano hito wa) Satoo-san des-u. (= (5.22 a)) (5.58) (a) (i)

(b) (i)

' Wer ist jene Person (=er/sie)?' '(Er/Sie ist) Herr/Frau Sato.'

Satoo-san wa dono hito des-u ka? welch: ADN 'Welche Person (= welche(r)) ist Herr/Frau Sato?' (Satoo-san wa) ano hito des-u. (~ 5.22 b)) 'Herr/Frau Sato ist jene Person (= er/sie dort).'

(a) (ii) Dono hito ga Satoo-san des-u ka? 'Welche Person (= welche(r)) ist Herr/Frau Sato?' (b) (ii) Ano hito ga Satoo-san des-u. 'Jene Person (= er/sie dort) ist Herr/Frau Sato.' (b) (iii) Ano hito (* ga ) des-u. '(Herr/Frau Sato ist) jene Person (= er/sie dort).' Die Entsprechung der Strukturen des Frage- und des Antwortsatzes ist zwischen (5.57 a) und (b), (5.58 a i) und (b i), sowie (5.58 a ii) und (b ii) jeweils eindeutig, so dass es zunächst unnötig erscheint, nach dem eventuellen Wegfall einer Kasusmarkierung vor des-u zu fragen. Aber die Version (5.58 b iii), die als Antwort auf (5.58 a ii) die minimale Information liefert, würde uns erlauben, den Wegfall von ga vor des-u anzunehmen, weil sowohl die Struktur als auch die Art der Entsprechung mit dem interrogativen Ausgangssatz gleich wie (5.53 b), (5.54 b ii) und (5.56 b ii) sind. Der Unterschied zwischen den Ausgangssätzen zu diesen, (5.53 a), (5.54 a i/ii) sowie (5.26/56 a), und demjenigen zu (5.58 b iii), d.h. (5.58 a ii), besteht allein in der Prädikatsklasse: dem Verbalprädikat in den ersteren vs. dem Nominalprädikat in (5.58 a ii). Es gäbe an sich keinen Grund, warum des-u als Pro-Verb nur für Nominalprädikate nicht anwendbar sein sollte. Wenn wir nun zu dem Satz (5.58 b iii) nach dem zu (5.53 b) und (5.54 b ii) analogen Muster das Topik der Aussage, Satoo-san, hinzufügen, bekommen wir den folgenden Satz: (a) Ano hito wa dare? statt (5.57 a) (als Frage zu (5.22 a)) (b) Satoo-san wa dono hito?statt (5.58 a i) (als Frage zu (5.22 b)) (c) Dono hito ga Satoo-san? statt (5.58 a ii) Diese Fragesätze beinhalten nicht nur keinen Nominalprädikator (vgl. 5.3 zum Wegfall von da in Fragesätzen), sondern auch die Interrogativpartikel ka nicht (in der männersprachlichen Version kann die Interrogativpartikel kai stattdessen stehen). In der gesprochenen Umgangsprache gelten die assertiven Sätze (5.22 a/b) als männersprachlich, während deren frauensprachliche Gegenstücke mit einem Nomen ohne da enden (vgl. Fußnote 5.n8 und 5.4 oben; in der Schriftsprache, in der der sprachliche Geschlechterunterschied weitgehend neutralisiert wird, wird da auch von weiblichen Personen gebraucht). Für die Beispiele in (5.57/58) werden höflichere Versionen mit des-u genommen, dessen Vorkommen weder von der Aussagenmodalität noch vom Geschlecht des Sprechers beeinflusst wird, um zu vermeiden, dass die Daten, die wir für unsere Problematik brauchen, durch die zusätzlichen Wegfallerscheinungen unüberschaubar und dementsprechend unnötig komplex werden.

174

(5.58) (b) (iv) Satoo-san wa ano hito (*ga) des-u. 'Herr/Frau Sato ist jene Person (= er/sie dort).' (5.58 b iv) ist aber identisch mit (5.58 b i), das als Antwort auf (5.58 a i) gilt. (5.58 a i) hat ein anderes Muster als (5.58 a ii); während die interrogative Nominalphrase dono hito 'welche Person' in (5.58 a ii) Adjunktstatus hat, ist dieselbe das Prädikatsnomen in (5.58 a i). Der Aussagewert ist allerdings bei beiden Sätzen gleich.29 Dieses Verhältnis würde uns die Möglichkeit einräumen, auch für (5.58 a i) eine zugrundeliegende Kasusmarkierung nach dem Prädikatsnomen anzunehmen. (5.58 a i) wäre dann eine abgeleitete Struktur z.B. (oder vor allem) aus (5.58 a ii) mit der sekundären Hinzufügung der Topik-Phrase Satoo-san wa (bzw. topikalisierende Linksversetzung des Prädikatsnomens Satoo-san in (5.58 a ii)), die wie folgt aussehen würde: (5.58) (a) (i') Satoo san wa dono hito (ga —> 0) des-u ka? Auch wenn wir auf diese Art der prozessualen Analyse, die über die Verifizierbarkeit hinausgeht, verzichten, ist doch noch feststellbar, dass das Prädikatsnomen durch die Permutation zum Adjunktstatus mit einer handfesten Kasusmarkierung gelangt. Dono hito 'welche Person', das in (5.58 a i) Prädikatsnomen ist, wird in (a ii) Adjunkt mit ga. Die beiden Versionen haben, wie oben erwähnt, einen gleichen Aussagenwert. Also müsste, mindestens könnte, auch dem Prädikatsnomen in (5.58 a i) dieselbe Kasusrelation wie bei dem Adjunkt in (5.58 a ii) zugrunde liegen. Dann wäre die Annahme, die in (5.58 a i') dargestellt wurde, doch nicht zu verwerfen; nur brauchten wir die Annahme der Ableitung mit der sekundären Topik-Hinzufügung oder topikalisierenden Linksversetzung des Prädikatsnomens nicht mehr. Die Latenz der Kasusmarkierung ga würde für alle diejenigen Prädikatsnomina gelten, die durch Permutation zum Adjunkt mit ga werden können. Stellen wir dieses Verhältnis schematisch dar: (5.59) (a) N?! ga NP 2 (?iz->0) {da/des-u}. (b) NP2 ga NP, (ga->0) {da/des-u}. 29

Die Austauschbarkeit zwischen dem Adjunkt- und dem Prädikatsnomen in einem Fragesatz mit einem Fragewort gilt jedoch nicht für (5.57 a). D.h. für die Frage 'Wer ist er/sie? kann nur (5.57 a), Ano hito wa dare des-u ka, stehen und dessen permutierte Version *Dare ga ano hito des-u ka ist inakzeptabel. Zur Problematik bezüglich der Austauschbarkeit und Nicht-Austauschbarkeit zwischen dem Adjunkts- und dem Prädikatsnomen im Allgemeinen vgl. Kamibayashi 1987. Vgl. auch unten 5.n38. Im Übrigen darf die Topik-Partikel wa nie nach einem Fragewort stehen, so dass (5.58 a ii), Dono hito ga Satoo-san desu-ka, die einzig mögliche Permutation von (5.58 a i), Satoo-san wa dono hito desu-ka, ist. Analog wäre die einzige Permutationsversion von (5.57 a) *Dare ga ano hito des-u ka, was aber nicht möglich ist. Die Eigenschaft, dass Fragewörter nie mit wa vorkommen, wird von Mattissen (1995: 53) dadurch begründet, dass sie inhärent fokussierte Entitäten seien, so dass sie keine Prädikationsbasis bilden. Zwar ähnlich, aber ein wenig einfacher kann man sie dadurch erklären, dass die Referenz der Fragewörter nie bekannte ("known" bzw. "old") Information darstellt (vgl. 1.1.4.2, 1.1.5).

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Diese Annahme würde uns aber dazu veranlassen, für alle kopulativen Konstruktionen, die dem Schema (5.41 a) entsprechen und deren beide nominalen Konstituenten permutierbar sind, die zugrunde liegende Kasusmarkierung ga nach dem Prädikatsnomen anzunehmen. Dann müsste unsere Grundposition, für das Prädikatsnomen dieses Schemas keine Kasusrelation zu vermuten, verworfen werden. Auch in denjenigen Sätzen mit der Relativsatzerweiterung des Adjunktsnomens nach dem Schema in (5.41 b), die wir in 5.6 oben ausführlich diskutiert haben, müsste nach dem Prädikatsnomen die Kasusmarkierung ga latent vorhanden sein. In der Tat sind die beiden nominalen Konstituenten in solchen Sätzen wie (5.35)ff. permutierbar, z.B.: (5.60) Karee ga watasi ga tabe-ru mono des-u. 'Curry ist das, was ich essen werde.' bzw. 'Es ist Curry, was ich essen werde.' vgl. (5.35 a) Watasi ga tabe-ru mono wa karee des-u. 'Das, was ich essen werde, ist Curry.' Somit kommen wir zu einer Situation, bei der wir nicht mehr klar sagen können, nach welchem Prädikatsnomen keine Kasusmarkierung anzunehmen sein sollte, und ob es überhaupt Nominalprädikate gibt, für die keine latente Kasusmarkierung vermutet werden kann. Eine radikale Folgerung daraus wäre die Hypothese, dass jedem Prädikatsnomen eine Kasusmarkierung zugrunde liegt, die in der Position vor da bzw. des-u weggefallen ist. Die Kasusmarkierungen, die da zugrundeliegen können, sind in erster Linie o, ni und ga, aber vor allem die letzte. Dass ga dort zugrunde liegen kann, ist erstens bei äquativ-kopulativen Sätzen plausibel und zweitens in Anbetracht der in verschiedenen Sprachen weit verbreiteten Erscheinung, dass der Nominativ der Kasus des Prädikatsnomens ist, durchaus annehmbar (allerdings Nominativ nicht im Sinne des Nennkasus, sondern im Sinne des Kasus des einzigen Aktanten eines intransitiven Satzes). Aber diese Annahme würde unsere Ansicht über das System und die Funktion der Kasusmarkierung im Japanischen gänzlich zu Fall bringen. Wir haben oben in 5.3 eine klare Aussage gemacht dahingehend, dass die Kasusmarkierung zur Relationsanzeige dient, die am Dependens und nur dort kodiert wird, so dass das Prädikatsnomen, das kein Dependens, sondern das Kopf-Element ist, keine Kasusmarkierung erhält. Wenn wir nun den allgemeinen Wegfall und folglich die Latenz der Kasusmarkierung wie ga nach dem Prädikatsnomen annehmen würden, müssten wir entweder unsere Grundposition zum Kasusmarkierungssystem im Japanischen revidieren oder dem Prädikatsnomen seinen Kopf-Status aberkennen und dieses als eines der Dependenten betrachten. Wovon kann aber ein Prädikatsnomen abhängen? M.a.W.: Welches Satzelement wäre dann als Kopf anzusehen? Das einzig denkbare Element ist der Nominalprädikator da/des-u, der aber nicht selbständig ist und selber vom Vorkommen eines Nomens vor ihm abhängt. Dieses Verhältnis ist zwar mit der Eigenschaft von Auxiliaren, deren Vorkommen von einem anderen vorangehenden Element abhängt, die aber rein morphosyntaktisch Kopf-Status haben, vergleichbar, passt jedoch nicht so richtig zu dem Schema der Partizipationsrelation, in der die Kasusmarkierung ihren Wirkungsbereich findet. Kann der substanzlose Nominal-

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prädikator das PARTIZIPATUM sein, zu dem das Prädikatsnomen sich als Partizipant gesellt?30 Ist es nicht doch angemessener, den Kopf- und PARTIZIPATUM-Status dem Gefüge aus dem Prädikatsnomen und dem Nominalprädikator insgesamt zuzuschreiben? Schließlich ist die Grenze zwischen einem Nominalprädikat und einem nicht-nominalen, z.B. einem nominaladjektivischen, Prädikat fließend. Zum einen kann ein Nominalprädikat zwar rein morphosyntaktisch als Gefüge aus einem Nomen und dem Nominalprädikator erkennbar sein, aber funktional in den Bereich der Adjektiva hineingehen, wie wir an den Beispielen (5.19)f. mit byooki da 'krank sein' u.a. gesehen haben. Zum anderen gibt es auch solche Wörter, die, wie wir in Kap. 3, 4.5 und 5.2 beobachtet haben, nicht nur funktional, sondern auch morphosyntaktisch nicht eindeutig als Nomen oder als Nicht-Nomen identifizierbar sind. Es wäre doch undenkbar, nur die Flexionsendung eines Adjektivs oder eines Nominaladjektivs dem Kopf, dem PARTIZIPATUM, zuzuschreiben und deren Stamm als dependenten Partizipanten zu betrachten. Und das Nominalprädikat, das Gefüge aus einem Nomen und dem Nominalprädikator insgesamt, verhält sich paradigmatisch zu den nicht-nominalen Prädikaten. Wenn der Dependens-Status des Prädikatsnomens nicht annehmbar ist, dann wären wir dazu gezwungen, die alternative Ansicht zu akzeptieren, die Existenz der Kasusrelation und die Latenz der Kasusmarkierung auch für das Prädikatsnomen als Kopf-Element anzuerkennen. Diese Ansicht steht trotz ihrer Unbequemlichkeit für die Grundanschauung über die Funktion der Kasusmarkierung doch auf einer empirischen Grundlage aus den Daten verschiedener Sprachen, in denen das Prädikatsnomen in einer Kasusform steht. Aber auch hier gibt es störende Faktoren, die für die Kasuslosigkeit mindestens der bestimmten Prädikatsnomina sprechen. Ein solcher Faktor ist der eben erwähnte fließende Übergang zwischen dem Nominalprädikat und den nicht-nominalen Prädikatsarten. Es wäre abwegig, für den Stamm eines (Nominal-)Adjektivs eine latente Kasusmarkierung anzunehmen. Fast genau so unangemessen ist die Annahme einer latenten Kasusmarkierung z.B. nach dem Prädikatsnomen byooki 'Kranksein' in (5.19 a). Welche Kasusmarkierung könnte überhaupt hier zugrunde liegen? Ga, weil es den Prädikatsnomina in (5.22/57/58) zugrunde liegen kann und (5.19) ein gleiches Satzmuster wie (5.22) hat? Aus rein paradigmatischer Sicht wäre das in Ordnung. Aber (5.19) für sich allein betrachtet ergibt noch keinen Grund für die Annahme von ga. Wenn man sich trotzdem für diese Annahme entscheidet, tut man es nur um der Konsistenz des Paradigmas willen. Wenn man aber auf die Konsistenz des Paradigmas Wert legen will und alle Nominalprädikate einheitlich behandeln will, wäre es dann nicht doch besser, das Nichtsichtbare konsequent als Nicht-Existenz, also die nicht sichtbare Kasusmarkierung als Kasuslosigkeit zu betrachten, statt das Umgekehrte anzunehmen, das fast in die Haltlosigkeit gerät? Es wäre aber trotzdem schade, auf die Annahme des Wegfalls der Kasusmarkierung gänzlich zu verzichten, denn sie hat uns, obwohl dadurch auch eine Anzahl von Zusatzpro-

30

Zur besonderen Problematik der Nominalprädikate und der kopulativen Identitätsaussagen im Bereich der Partizipationsrelationen, die ein übereinzelsprachliches Ausmaß hat (und in deren Zusammenhang daher auch die japanische Erscheinung betrachtet werden kann), vgl. Seiler 1988b: lOlf.

177 blemen entstanden ist, eine einfache Lösung der Probleme ermöglicht, die sonst schwer zu lösen sind. Es sieht also danach aus, dass wir in einem Kreis gefangen sind. Um uns aus dieser Situation zu befreien, sollten wir lieber die Koexistenz der beiden Arten von Nominalprädikaten anerkennen, von denen die eine ein kasusloses Prädikatsnomen beinhaltet, während für die andere der Wegfall einer Kasusmarkierung nach dem Prädikatsnomen anzunehmen ist. Zwischen den beiden besteht eine "fuzzy zone", in der sich vor allem die Lokationsaussage wie (5.52) und die Identitätsaussage wie (5.58) finden. Jedenfalls kann weder die generelle Zugrundelegung einer Kasusmarkierung für jedes Prädikatsnomen noch der generelle Wegfall der Kasusmarkierungen ga, o und ni vor dem Nominalprädikator so angenommen werden. Die Regeln in (5.48) und (5.55) gelten nämlich nicht als ausnahmslose generelle Regeln, weil nicht nur ni, sondern auch o und ga unter bestimmten Bedingungen vor dem Nominalprädikator Resistenz zeigen, was dafür spricht, dass es wohl einen Unterschied zwischen einem Prädikatsnomen ohne Kasusrelation und einem mit einer Kasusmarkierung gibt. Diesen Punkt wollen wir im folgenden Abschnitt ein wenig genauer betrachten.

5.8. Funktion der Kasusmarkierung und funktionale Korrelate der Kasuslosigkeit Wir haben oben gesehen, dass sich ni unter gleichen pragmatischen Bedingungen unterschiedlich verhält, an einem Pol analog zu kara und made, die konstant bleiben, aber am anderen Pol wie ga und o, die vor da und des-u nicht auftreten. Aber auch ga und o fallen in dieser Position nicht generell weg. Ihr explizites Vorkommen wird nämlich dann nötig, wenn in einem Sachverhalt zwei oder mehrere Partizipanten aus einer Gattung involviert sind, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit die betreffenden Rollen ausüben können. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Prädikat durch da bzw. des-u ersetzt wird oder nicht. Die Reihenfolge von Adjunkten ist im Japanischen frei austauschbar, so dass sie zur Identifizierung von Partizipantenrollen kaum beiträgt.31 Zu diesem Zweck sind die Kasusmarkierungen unentbehrlich, wie im folgenden Beispiel, das nur eine der insgesamt sechs möglichen Reihenfolgen von Adjunkten angibt:32 31 32

Vgl. u.a. Kuno 1973: 3f., 1978a: 57ff. Vgl. 1.1.4.2 oben. Vgl. Kuno 1978a: 58f. zu den restlichen fünf Möglichkeiten und zu diskursbezogenen Faktoren für die Reihenfolge von Adjunkten. Das Symbol "=" im Verbalkomplex in (5.61) steht für die Grenze zwischen dem nominalen Teil (bzw. dem lexikalischen Stamm) und dem verbalen Flexionsstamm bei einem denominalen Verb, das von einem Verbal abstrakt mittels su-ru 'tun' abgeleitet ist (vgl. Beispiele (1.6 b iv), (1.6 c v), (1.7) in 1.1.2.2). Um eine kürzere Morphemübersetzung durch ein deutsches Verb zu ermöglichen, wird statt der Verwendung des Bindestrichs (syookai-su-ru), die zu den Morphemübersetzungen gleicher Anzahl (Vorstellung-tun-PRÄS) zwingt, die Notationsweise syookai=su-ru gewählt, die mit der wesentlich kürzeren Morphemübersetzung vorstellen-PRAS auskommt. Außerdem soll dadurch zum einen die Struktur eines abgeleiteten Verbs leichter erkennbar gemacht werden (vgl. Kunos Beispiele in 1978a: 58 ohne solche Segmentierung, obwohl diese zu dem relevanten Zweck sicherlich entbehrlich ist) und zum anderen ein solches Verb von der

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(5.61) Satoo-san ga Katoo-san ni Sano-san o syookai=si-mas-i-ta. vorstellen:ADV-HON-ADV-PRAT 'Herr/Frau Sato hat Herrn/Frau Kato Herrn/Frau Sano vorgestellt.' Die explizite Erwähnung der Kasusmarkierungen ist auch in den folgenden Beispielen nötig, in denen das Verb durch des-u ersetzt ist (weil da, wie in 5.3. oben erwähnt, in Fragesätzen nicht auftritt, beschränken wir uns auf den höflicheren Stil). Die (i)-Versionen der Beispiele unten stellen jeweils, voneinander unabhängig, eine Frage zu der Aussage in (5.61), und (ii) soll jeweils als Antwort auf (i) verstanden werden (Verzichten wir auf die Übersetzung mit der "Frau"-Version, weil sie im Deutschen keine klare Nominativ-AkkusativDistinktion zeigt): (5.62) (a) (i) E, Satoo-san ga des-u ka? Satoo-san o des-u ka? Ha 'Wie bitte, (der) Herr Sato? (Oder) (den) Herrn Sato?' (a) (ii) Satoo-san ga des-u.

'(Der) Herr Sato.'

(b) (i) E, Sano-san ga des-u ka? Sano-san o des-u ka? 'Wie bitte, (der) Herr Sano? (Oder) (den) Herrn Sano?' (b) (ii) Sano-san o des-u.

'(Den) Herrn Sano.'

(c) (i) E, Katoo-san ga des-u ka? Katoo-san ni des-u ka? 'Wie bitte, (der) Herr Kato? (Oder) (dem) Herrn Kato?' (c) (ii) Katoo-san ni des-u.

'(Dem) Herrn Kato.'

In diesen Fällen beeinflusst das Auftreten von des-u anstelle des eigentlichen Verbs die Kasusmarkierungen der Partizipanten nicht, weil ohne diese weder die Frage noch die Antwort verständlich sind. Da auf solche Partizipanten außerdem mit ein und demselben Fragewort dare 'wer' Bezug genommen wird, ist das Vorkommen einer Kasusmarkierung auch in einem Fragesatz mit einem Interrogativpronomen nötig, damit die gemeinte Rolle eindeutig erkennbar wird. Auch in diesem Fall wird die Kasusmarkierung nicht dadurch beeinflusst, ob das eigentliche Verb im betreffenden Satz steht oder durch des-u ersetzt wird. Wie in (5.62) sind die (i)-Versionen auch in den folgenden Beispielen Fragen zu der Aussage in (5.61) und (ii) Antworten darauf.33 Sequenz aus einem Nomen und dem Verb su-ru 'tun' unterschieden werden, die durch Weglassung einer Kasusmarkierung wie o entsteht, z.B. syookai (o) su-ru 'eine Vorstellung tun/machen'. Die Notationsweise wie syookai su-ru wird aber in vielen linguistischen Arbeiten auch für abgeleitete Verben verwendet. 33

Die Versionen (a) und (ß) unter (i) in (5.63/64) können sowohl voneinander unabhängig als auch in einem Atemzug hintereinander ausgesprochen werden. Die Interjektion e 'ha?' tritt im letzteren Fall nur am Anfang des ersten Fragesatzes auf. Ferner können auch die Fragen (5.64 a/b/c i), ob (a) oder (ß), nicht nur einzeln, sondern auch hintereinander in einem Kontext gestellt werden (die

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(5.63) (i) ( ) E, dare ga dare ni dare o des-u ka? 'Wie bitte, wer wem wen?' (i) (ß) (E,) Satoo-san ga Katoo-san ni Sano-san o des-u ka? '(Wie bitte,) (der) Herr Sato (dem) Herrn Kato (den) Herrn Sano?' (ii) Satoo-san ga Katoo-san ni Sano-san o des-u. '(Der) Herr Sato (dem) Herrn Kato (den) Herrn Sano.' (5.64) (a) (i) (a) (E,) dare ga des-u ka? '(Wie bitte,) wer?' (a) (i) (ß) (E,) Satoo-san ga des-u ka? (Katoo-san ga des-u ka?) '(Wie bitte,) (der) Herr Sato? (Oder (der) Herr Kato?)' (a) (ii) Satoo-san (ga ) des-u. '(Der) Herr Sato.' (b) (i) (a) (E,) dare o des-u ka? '(Wie bitte,) wen?' (b) (i) (ß) (E,) Sano-san o des-u ka? (Satoo-san o des-u ka?) '(Wie bitte,) (den) Herrn Frau Sano? (Oder (den) Herrn Sato?)' (b) (ii) Sano-san ( o ) des-u. '(Den) Herrn Sano.' (c) (i) (a) (E,) dare ni des-u ka? '(Wie bitte,) wem?' (c) (i) (ß) (E,) Katoo-san ni des-u ka? (Satoo-san ni des-u ka?) '(Wie bitte,) (dem) Herrn Kato? (Oder (dem) Herrn Sato?)' (c) (ii) Katoo-san ( n i ) des-u. 'Herrn/Frau Kato.' Wir haben bei den Beispielen oben festgestellt, dass nicht nur ni, sondern auch o und ga vor des-u erhalten bleiben, wenn sie für die eindeutige Erkennung der Partizipantenrollen notwendig sind. Auch für da gilt an sich das gleiche Prinzip bis auf die Abwesenheit von da in Fragesätzen und vor bestimmten modalen Elementen. Das Vorkommen der Kasusmarkierungen wird aber durch die An- und Abwesenheit von da nicht beeinflusst. Die Wegfallregeln (5.48 a) und (5.55) gelten also nicht als ausnahmslose generelle Regeln. Wir müssen sie daher analog zu der Regel für ni in (5.48 b) wie folgt revidieren: (5.65) (a) ga -M0, ga} l_da(/des-u) (b) o -» {0, o} l_da(/des-u) Natürlich brauchten diese Regeln eine genauere Angabe der Anwendungsbedingung, dass die Kasusmarkierungen dann nicht wegfallen dürfen, wenn ohne sie die Partizipantenrollen Reihenfolge ist beliebig). Dann tritt die Interjektion e 'ha?' wiederum ab dem zweiten Fragesatz nicht auf. Die (ii)-Versionen geben jeweils eine Antwort auf (i), entweder (a) oder (ß), oder aber auf beide, (a) und (ß), wenn diese hintereinander ausgesprochen worden sind. Da die Reihenfolge der Adjunkte im Japanischen wie oben erwähnt austauschbar ist, gibt es jeweils noch fünf Möglichkeiten für (5.63 i o/ß), und ferner bestehen Möglichkeiten, nach zwei Partizipanten statt nach allen drei wie in (5.63) oder nur nach einem wie in (5.64) zu fragen, aber für unseren Zweck hier reichen diese Beispiele wohl aus.

180 nicht eindeutig erkennbar sind und der Satz dementsprechend unverständlich wird. Da die Unentbehrlichkeit der Kasusmarkierungen in solchen Fällen nicht dadurch beeinflusst wird, ob das eigentliche Prädikat steht oder weggelassen wird oder durch des-u bzw. da ersetzt wird, entsteht der Verdacht, dass es sich bei (5.48 b) und (5.65) vielleicht um Scheinregeln handelt. Denn das Auftreten der Kasusmarkierungen wird nicht durch die Umgebung, sondern durch ihren funktionalen Wert bestimmt. Sie dürfen nur dann wegfallen, wenn es bei einer Aussage nicht um zwei oder mehrere, sondern um nur eine Partizipantenrolle geht und diese auch ohne Kasusmarkierung vom Kontext her eindeutig ist. Die Beispiele unter (5.64) stützen diesen Befund. Bei den Fragesätzen unter (i) dürfen die Kasusmarkierungen nicht wegfallen, weil die Sätze ohne sie nicht richtig zu verstehen sind. Sie sind dagegen in den Antwortsätzen unter (ii) weglassbar, in denen die jeweils gemeinte Rolle vorhersagbar ist. Allerdings beschränkt sich diese Weglassbarkeit auf die Position vor des-u bzw. da (oder am Satzende in der Umgangsprache, in der das eigentliche Prädikat einfach weggelassen werden kann, ohne durch ein Pro-Verb ersetzt zu werden). Wenn in (5.64 a/b/c ii) das Verb syookai=si-mas-i-ta 'hat vorgestellt' unersetzt stehen sollte, dann dürften die Kasusmarkierungen trotz der kontextuellen Eindeutigkeit der gemeinten Rolle nicht wegfallen. In diesem Sinne haben die Regeln in (5.48 b) und (5.65) gerade noch einen Regelcharakter, auch wenn die Weglassbarkeit der Kasusmarkierungen nicht unmittelbar mit dem Vorkommen von da oder des-u, sondern mit dem Vorkommen des eigentlichen Prädikates zusammenhängt. Wenn dieses vorkommt, darf die Kasusmarkierung in keinem Fall wegfallen. Wenn das Prädikat aber weggelassen wird, darf sie unter der Bedingung der kontextuellen Vorhersagbarkeit wegfallen. Wie sollen wir aber die Erscheinung in den folgenden Beispielen erklären, in denen ga und o über die Möglichkeit oder die Tendenz zum Wegfall hinaus fast obligatorisch vor des-u wegfallen müssen:34 (5.66) (a) (i) Dare ga (Katoo-san ni Sano-san o) syookai=si{-mas-i-ta / -ta-n-des-u}-ka? vorstellen:ADV {-HON-ADV-PRÄT / -PRÄT-SKOMP-.PRON-NPRÄD-PRÄS} 'Wer hat ihn (= Herrn Sano) ihm (= Herrn Kato) vorgestellt?' (a) (ii) Satoo-san (*? ga) des-u. 'Herr Sato.' (b) (i) (Satoo-san ga Katoo-san ni) dare o syookai=si{-mas-i-ta / -ta-n-des-u}-ka? 'Wen hat er (= Herr Sato) ihm (= Herrn Kato) vorgestellt?' 34

Eine Frage, die unter einer bestimmten kontextuellen Voraussetzung gestellt wird, endet meistens mit -n-des-u-ka, dessen erstes Segment -n- die synkopierte Form des satzkomplementierenden Pronomens no ist (vgl. Fußnote 3.n3). Rein syntaktisch gesehen wird durch n(o) der vorangehende Satz nominalisiert (vgl. 5.5f.) und so zum Prädikatsnomen, das mit dem nachfolgenden Nominalprädikator des-u ein expandiertes Nominalprädikat bildet. Daher ist ein Fragesatz mit -n-des-u-ka etwa als "Ist es so, dass ...T' übersetzbar, aber semantisch und pragmatisch würde -n-des-u-ka einfach "denn" im Deutschen entsprechen. Es sei ferner angemerkt, dass die Reihenfolge von Adjunkten auch in diesem Typus von Fragesätzen recht frei ist und die Beispiele hier jeweils nur eine der Möglichkeiten darstellen.

181 (b) (ii) Sano-san (?? o) des-u. 'Herr(n) Sano.' (c) (i) (Satoo-san go) dare ni (Sano-san o) syookai=si{-mas-i-ta / -ta-n-des-u}-ka? 'Wem hat er (= Herr Sato) ihn (= Herrn Sano) vorgestellt?' (c) (ii) Katoo-san ( ni) des-u. 'Herrn/Frau Kato.' Die Bedingung der kontextuellen Eindeutigkeit der gemeinten Partizipantenrolle ist den Beispielen (5.64 a/b/c ii) und (5.66 a/b/c ii) gemeinsam, wie sich dies auch im gleichen Verhaken von ni in (5.64 c ii) und (5.66 c ii) widerspiegelt. Jedoch verhalten sich ga undo in (5.66) anders als in (5.64), und ähnlich wie in (5.30), (5.33) und (5.40) in 5.5 sowie (5.53), (5.54) und (5.56) in 5.7, in denen sie weder vor des-u noch am Satzende stehen dürfen. So beeinflusst auch die Weglassung von des-u nach dem umgangsprachlichen Muster, wodurch die betreffenden Nominalphrasen am absoluten Satzende stehen, die sehr niedrige Akzeptabilität des Vorkommens von ga und o in (5.66 a/b ii) nicht. Andererseits unterscheidet sich das Verhalten von ni in (5.66 c ii) unter der gleichen pragmatischen Bedingung nicht nur von dem von ga und o, sondern auch von ni selber in (5.29) in 5.5 und (5.51) in 5.6, in denen es weder vorda/des-u noch am Satzende stehen durfte, sowie in (5.34) in 5.5, in dem sein Vorkommen unter den gleichen Bedingungen sehr fraglich war. Dabei ist die kontextuelle Eindeutigkeit der gemeinten Rolle allen diesen Beispielen gemeinsam. Wieso verhalten sich die Kasusmarkierungen unter gleichen pragmatischen Bedingungen so unterschiedlich? Warum fallen sie in einem Fall fakultativ und in einem anderen Fall obligatorisch weg, obwohl die Bedingungen, die den Wegfall hervorrufen, gleich zu sein scheinen? Zu stellen ist nun die Frage, ob es sich bei der Inakzeptabilität des Vorkommens der Kasusmarkierung immer um ihren obligatorischen Wegfall handelt, oder ob es sich dabei nicht um ihre gänzliche Abwesenheit, also Kasuslosigkeit des vorangehenden Nomens handeln kann. Die betreffenden Beispiele sind nämlich alle Antwortsätze auf Fragen nach der Identität (im Sinne dessen, wer es ist, was es ist, usw.) des Trägers einer bestimmten Partizipantenrolle. Sie dienen also allein zur Festlegung der Identität der Person, des Gegenstandes, des Ortes u.a., deren Partizipantenrolle vom vorangehenden Kontext her vorausgesetzt wird. Die Funktion dieser Antwortsätze besteht daher im indikativen Akt des Hinweisens und nicht in der Explizierung der Rolle des betreffenden Partizipanten, in der die Funktion der Kasusmarkierung zu finden ist (vgl. u.a. Seiler 1994: 39). Das Auftreten einer Kasusmarkierung ist untrennbar mit Relationalität verbunden. Daher macht ein Satz, in dem ein Nomen mit Kasusmarkierung vorkommt, immer eine, wenn auch sehr knappe, Aussage über eine Relation. Hingegen besteht der Zweck eines identitätsfestlegenden Satzes nicht in der Aussage über eine Relation, sondern eben im Hinweis auf die Identität, nach der gefragt wird. Das Fehlen der Kasusmarkierung ist also nicht bloß Wegfall derselben aufgrund von Redundanz, sondern hat vielmehr ein funktionales Korrelat. Während die Kasusmarkierung die Existenz einer Relation wie einer Partizipationsrelation signalisiert, sagt ihr Fehlen zunächst nichts darüber aus. Durch die negative Determinierung, oder wegen ikonischer Konkordanz, weist ihr Fehlen dann auf das Fehlen einer solchen Relation oder auf das Fehlen der Relevanz einer Relation hin. Da das Fehlen (der Relevanz) einer Relation vor allem im Hinweis auf die Identität einer Entität zu finden ist, wird dieser

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die spezifische Funktion der fehlenden Kasusmarkierung (vgl. Jakobsons methodologischen Ansatz, z.B. 1932a, 1936, 1939). Das Fehlen der Kasusmarkierung weist also auf das Fehlen der Relationalität, auf das Fehlen der Kasusrelation des betreffenden Nomens im gegebenen Satz hin. Das Fehlen der Kasusrelation heißt nicht Wegfall und Latenz einer Kasusmarkierung, sondern Kasuslosigkeit. Auch wenn der Referent des Nomens in dem Sachverhalt, der im vorangehenden Kontext erwähnt wurde, eine konkrete identifizierbare Partizipantenrolle ausübt, ist diese im Moment des Aussprechens des Hinweises auf seine Identität nicht relevant. Wichtig ist hingegen, dass seine Identität dadurch festgelegt wird, und zwar nicht erst durch die Vermittlung einer Aussage über eine Relation, in der der betreffende Referent mit einer bestimmten Partizipantenrolle beteiligt ist, sondern unmittelbar, ohne Umweg und Umschweife. Aus der Sicht der kommunikativen Satzproduktion besteht eine solche Aussage (im Sinne von "utterance") zunächst aus einem Wort allein, mit dem auf die Identität, nach der der vorangehende Satz fragt, hingewiesen wird. Zu dieser Ein-Wort-Aussage wird dann des-u als Höflichmacher (bzw. da als Assertionskennzeichen) hinzugefügt, wodurch die Aussage die Form eines Satzes erhält (vgl. die letzten zwei Absätze in 5.5). Dieser Prozess ist allen identitätshinweisenden Aussagen gemeinsam, unabhängig davon, ob kein relationaler Sachverhalt vorausgesetzt wird (z.B. bei der Antwort auf die Frage "Was ist das?") oder ein bestimmter Sachverhalt und dementsprechend eine bestimmte Partizipantenrolle vorausgesetzt wird. Somit ist die Konstruktion, die aus einer Nominalphrase ohne Kasusmarkierung und dem Nominalprädikator (bzw. in der Umgangsprache ohne diesen allein aus einer kasuslosen Nominalphrase) besteht, als Grundausdrucksmuster einer identitätshinweisenden Aussage zu betrachten. Auf dieser Grundlage dürften wir annehmen, dass es sich bei der Inakzeptabilität des Vorkommens einer Kasusmarkierung in den identitätsfestlegenden Sätzen nicht um ihren obligatorischen Wegfall, sondern um Kasuslosigkeit handelt. Dies bedeutet aber, dass auch die Sätze (5.23) in 5.3, (5.29 b ii), (5.30 b ii), (5.33 b ii), (5.34 b ii) und 5.40 b ii) in 5.5 sowie (5.53 b), (5.54 b ii) und (5.56 b ii) in 5.7 zu diesem Typus der identitätsfestlegenden Ausdrücke ohne Kasusrelation gehören müssten und nicht zu dem Konstruktionstyp mit dem Pro-Verb des-u. Denn bei dem letzteren, in dem des-u nichts mehr als die Rolle des anaphorischen Ersatzes des eigentlichen Prädikates ausübt, wird jede Relation im eigentlichen Satz, und daher auch die Kasusrelation, beibehalten, wie die Beispiele (5.62) ~ (5.64) oben zeigen. Dann stellt sich die Frage, warum in manchen Sätzen, die genau so zur Festlegung der Identität dienen, eine Kasusmarkierung auftreten darf, was uns zur Annahme von des-u als Pro-Verb führte. Das waren (5.25/26b) mit made 'bis' in 5.4, (5.31/32 b) mit kara 'von' in 5.5, und (5.27 b) in 5.4 sowie (5.66 c ii) oben mit ni, in denen die Verbprädikate unter Beibehaltung des vorangehenden Satzteils und somit der Kasusmarkierung der letzten Nominalphrase durch des-u ersetzt werden konnten. Wichtig ist hier aber die Feststellung, dass auch diese Kasusmarkierungen in den betreffenden Sätzen nicht stehen müssen, sondern durchaus abwesend sein dürfen. So können made in (5.25 b), kara in (5.31/32 b) und ni in (5.27 b) sowie (5.66 c ii) ausbleiben, ohne dass die Sätze dadurch uneindeutig, geschweige denn unverständlich oder unakzeptabel

183 werden. Das Fehlen der Kasusmarkierung vor da bzw. des-u oder am Satzende führt in keinem Fall zur grammatischen Inakzeptabilität des betreffenden Satzes, während das Vorkommen einer Kasusmarkierung in dieser Position oft Inakzeptabilität hervorruft (vgl. (5.46)f. in 5.5). Bei den Beispielen (5.25/27/31/32 b) und (5.66 c ii) besteht der aktuelle Zweck allein darin, die Identität des Trägers (im weiteren Sinne) der vom vorangehenden Satz her bekannten Partizipantenrolle festzulegen. Daher sind sie auch ohne Kasusmarkierung vollständig. Wenn diese Aussagen ohne Kasusmarkierung gebildet werden, weisen sie wie alle anderen obengenannten kasuslosen Aussagen das Ausdrucksmuster des Identitätshinweises auf. Die Erhaltung einer Kasusmarkierung vor des-u bzw. da in diesen Beispielen stellt dann eine "squishy" Erscheinung zwischen dem kasus- und relationslosen Identitätshinweis und dem relationserhaltenden Konstruktionstyp mit dem Pro-Verb dar. Die (ii)-Beispiele unter (5.64) weisen außerdem darauf hin, dass nicht nur bei made, kam und ni, sondern bei ga und o auch solche "Squishiness", oder "Fuzziness", entstehen kann. Auf die Frage, warum in solchen Fällen wie (5.66 a/b ii) dann keine "squishy" Erscheinung entsteht und keine relationserhaltende Aussage möglich ist, wollen wir im Abschnitt 6.1 gesondert eingehen, und hier wollen wir unseren Befund festhalten. Eine Aussage, mit der auf die Identität des Trägers einer bekannten Partizipantenrolle hingewiesen wird, ist keine Aussage über eine Relation, so dass sie mit einem kasuslosen Nomen gebildet wird. Sie ist an sich eine prädikatslose Ein-Wort-Aussage, zu der aber des-u als Höflichmacher oder da als Assertionskennzeichen hinzugefügt werden kann. Das verleiht der Aussage die Form einer Prädikation und dem betreffenden Nomen das Aussehen eines Prädikatsnomens.35 Wenn dazu das Diskursthema als Topik-Phrase im Satz erwähnt wird, wie z.B. kono kisya wa 'dieser Zug' in (5.25/33/34), waiasi wa 'ich' in (5.23 a) und karee wa 'Curryreis' in (5.23/53/54 b), gewinnt die Aussage die Form, die mit der eines zweigliedrigen Satzes für die Aussage (im Sinne der Prädikation) über etwas, wie (5.19)ff., identisch ist. Bei einer Aussage demgegenüber, in der eine Partizipantenrolle eindeutig erkennbar gemacht werden soll, muss eine Kasusmarkierung nach dem betreffenden Nomen stehen, auch wenn das vom Kontext her bekannte Prädikat weggelassen oder durch da bzw. des-u ersetzt wird. Dabei macht es keinen großen Unterschied, ob da und des-u als Pro-Verben, also als unmittelbarer Ersatz des eigentlichen Prädikates betrachtet werden oder gleich wie im Fall der identitätshinweisenden Aussage als Assertionskennzeichen bzw. Höflichmacher analysiert werden. Nach der letzteren Annahme, für die unter anderem die formale Tempus35

Wenn wir die Hauptfunktion von da in der Kennzeichnung der Assertivität finden wollen, müsste eine Aussage mit da nicht nur das Aussehen, sondern auch die Funktion einer Prädikation haben, weil Assertion eine Unterart der Prädikation ist. Ferner könnte die Hinzufügbarkeit des Assertivitätskennzeichens da darauf hinweisen, dass selbst eine Ein-Wort-Aussage mittels eines Nomens eine Prädikation darstellt, weil Assertierbarkeit die Prädizierbarkeit voraussetzen würde. Um diese Frage zu klären, müssen die Bedingungen der Verwendung von da in der gesprochenen Männersprache, in der identitätshinweisende Aussagen genau so wie in der Frauensprache auch ohne da ausgesprochen werden können (vgl. 5.n8), genauer beschrieben werden. Vgl. hierzu die folgende Aussage von Kuno (1978a: 71): The X da is the template that Japanese uses in giving minimal information while retaining the sentencehood of the statement.' Es sei angemerkt, dass "Japanese" hier genauer "a male Japanese speaker" heißen sollte.

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losigkeit von des-u (und auch von da, wenn dieses anstelle von des-u auftritt) in den Beispielen mit dem Vergangenheitszeitbezug wie (5.62)ff. sprechen würde, werden sie zur Aussage hinzugefügt, nachdem das vorhersagbare Prädikat weggelassen worden ist. Maßgebend ist hier aber die Latenz des eigentlichen Prädikates, das jederzeit seine Präsenz zeigen kann. Einfacher ausgedrückt: Das Prädikat, das vom Kontext her vorhersagbar ist, kann in der Umgangssprache genauso gut ausgesprochen wie weggelassen werden, ohne dass dadurch eine ungrammatische Konstruktion entsteht. Hingegen ist dieses Prädikat in der identitätshinweisenden Aussage nicht (mehr) vorhanden, auch nicht latent. Es wird vom vorangehenden Kontext auf die aktuelle Aussage nicht übertragen, wiewohl es ein wichtiger Bestandteil des unmittelbar vorangehenden Kontextes war, der den nötigen Rahmen für die identitätshinweisende Aussage lieferte. Diese hat nicht nur das vorhersagbare Prädikat nicht, sondern überhaupt keines, denn sie ist nicht relational, während ein Prädikat, wie auch eine Kasusmarkierung, immer Relationalität impliziert. Die Erscheinung der An- und Abwesenheit der Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator, die danach aussah, dass diese unter bestimmten Bedingungen obligatorisch wegfällt, entpuppt sich somit als eine Angelegenheit des Prädikates. Es geht um den Unterschied zwischen der gänzlichen Abwesenheit und dem Wegfall und somit der Latenz des Prädikates und nicht unmittelbar der Kasusmarkierung. Die letztere ist ein Reflex des ersteren. Wenn in einer Aussage kein Prädikat vorhanden ist, kann ein Nomen nicht mit einer Kasusmarkierung auftreten, weil es nichts gibt, von dem dieses abhängt. M.a.W.: Wenn es keinen Kopf gibt, gibt es kein Dependens. Es handelt sich hier also um die Kasuslosigkeit aufgrund des Fehlens einer Dependenzrelation. Hingegen tritt ein Nomen dann mit einer Kasusmarkierung auf, wenn es ein Prädikat gibt, von dem es abhängt. Das heißt, das Vorkommen einer Kasusmarkierung impliziert die Existenz einer Dependenzrelation. Ihr Vorkommen weist daher auf das latente Vorhandensein des Prädikates hin, auch wenn dieses weggelassen worden ist. Die Erscheinung, die nach dem obligatorischen Wegfall der Kasusmarkierung aussah, war im Grunde kein Wegfall, sondern die absolute Abwesenheit der Kasusrelation aufgrund des Fehlens der Dependenzrelation. Bei der Erscheinung, die wie fakultative Weglassbarkeit der Kasusmarkierung erschien, handelt es sich dann darum, dass die beiden obigen Aussagetypen, die relationslose und die relationale Aussage, unter einer gleichen pragmatischen Bedingung auftreten (kookkurrieren) können.

5.9. Ein Kontinuum der kasuslosen Prädikatsnomina zwischen zwei Polen Wir haben somit unsere Grundposition zur Funktion der Kasusmarkierung und zur Asymmetrie in der Markierung zwischen dem Adjunktsnomen und dem Prädikatsnomen nicht nur verteidigt, sondern auch gestärkt. Das Fehlen der Kasusmarkierung eines Nomens korreliert damit, dass dieses keinen Dependentenstatus hat. Dies beruht entweder darauf, dass in

185

dem gegebenen Satz keine Dependenzrelation vorliegt, wie dies bei dem indikativen Akt des Identitätshinweises der Fall ist. Oder es beruht darauf, dass es sich bei dem gegebenen Satz zwar wohl um eine Dependenzrelation, aber bei dem betreffenden Nomen nicht um ein Dependens, sondern um den Kopf der gegebenen Relation handelt. Dieser Fall wurde durch byooki 'krank(-sein)' in (5.19 a) dargestellt. Hier beobachten wir eine Polarisierung der Bedeutung der Kasuslosigkeit: Auf der einen Seite stellen wir das Maximum der Relationalität des kasuslosen Nomens als Kopf, des Kems einer Dependenzrelation, fest; auf der anderen Seite sehen wir das Minimum der Relationalität des kasuslosen Nomens im sprachlichen Akt des Hinweisens wie im Fall des Nennens. In extremen Fällen können identitätshinweisende Aussagen durch den nichtsprachlichen Akt des Zeigens ersetzt werden. Eine Aussage wie Kono kisya (des-u) 'Dieser Zug (ist es)' in (5.56) z.B. ist durch das Zeigen mit dem Finger ersetzbar, wodurch die Identität des gemeinten Gegenstandes genau so gut festgelegt werden kann. Gleicherweise kann man auf die Frage unter (5.53/54), 'Wer nimmt Curry?', durch Richten des Zeigefingers auf sich statt der sprachlichen Version Watasi (des-u) 'Ich' eindeutig antworten. Auch die Antwort auf die Frage unter (5.29/30), 'Was nehmen Sie?', lässt sich, wenn die Möglichkeit gegeben ist (z.B. ein Schaukasten, eine Speisekarte mit Fotos oder echtes Essen am Büffet), durch das Zeigen ersetzten. Wie es bei dem nicht-sprachlichen Zeigen der Fall ist, macht der sprachliche Akt des Hinweisens keine Aussage über die Relation und die Art der Involvierung des Referenten des Nomens in einem Sachverhalt. Auch nicht darüber, um welchen Sachverhalt es geht. Diese sind vollkommen vom Kontext, dem sprachlichen oder nicht-sprachlichen, abhängig, sind aber im Moment des Aktes des Zeigens oder des Hinweisens nicht unmittelbar relevant. Wichtig ist nur, dass dadurch die nötige Identität festgelegt wird. Demgegenüber macht ein Satz wie Byooki (des-u) 'ist(/bin/bist usw.) krank' eine Aussage darüber, dass es sich um einen Sachverhalt handelt, in dem jemand als Betroffener, als Kranker, involviert sein muss. Diese Aussage ist nicht durch das nicht-sprachliche Zeigen ersetzbar. Gezeigt werden können nur das betroffene Individuum oder, höchstens, dessen konkreter sichtbarer Zustand, aber nicht der Sachverhalt, dass das betreffende Individuum krank ist, geschweige denn ein genereller, genetischer Sachverhalt des Krankseins. Und gerade durch die zuletzt genannte Funktion der generellen Aussage zeichnet sich ein prädikatives Nomen wie byooki aus (vgl. u.a. Seiler 1986: 17ff., 145ff., 1988b: 29ff.). Wie wir hier sehen, hängt die Polarität der beiden Arten der Kasuslosigkeit mit dem Gegensatz zwischen der Indikativität und der Prädikativität zusammen. Die Prägung der beiden polaren Funktionen ist hier unter Anderem im Unterschied in der Extensionalität und der Intensionalität zu finden (vgl. Seiler 1978b, 1988b: l Iff., 31 f.). Im Fall des Hinweisens auf die Identität haben wir mit der extensionalen Einengung solcher Gegenstände (im weiteren Sinne) zu tun, die individualisierbar sind und für die daher in erster Linie referentielle Nomina in Frage kommen. Demgegenüber dient ein relationales Prädikatsnomen zur intensionalen Beschreibung der Eigenschaft oder des im Moment gültigen Zustandes eines Gegenstandes. Es ist in dieser Funktion nicht referentiell und kann deswegen durch den Nominalkoordinator to nicht mit einem weiteren Nomen verbunden werden (vgl. (5.15)ff. in

186 5.2.). So sind nicht nur das Prädikatsnomen byooki 'Kranksein' in (5.19 a), sondern auch dasjenige in (5.20), bizin 'schöne Frau', nicht mittels to mit einem weiteren Prädikatsnomen koordinierbar. Wenn wir (5.20) mit (5.67 a) additiv verbinden, gewinnen wir (5.67b/c): (5.67) (a) Ano hito wa saizyo da(/des-u). jen:ADN Person TOP kluge.Frau NPRÄD:PRÄS 'Sie ist eine hochintelligente Frau.' (b) Ano hito wa bizin

{de l *to} saizyo da(/des-u). (NPRÄD:AD /NCO) 'Sie ist (eine) schön(-e) und hochintelligent(-e Frau).'

(c) Ano hito wa saizyo [de I* to] bizin da(/des-u). 'Sie ist (eine) hochintelligent(-e) und schön(-e Frau).'36 Hingegen ist die Verbindung der Nomina mittels de für die extensionale Erweiterung der Gegenstände (im weiteren Sinne) nicht möglich. Hier ist nur to zu verwenden, z.B. Karee to sarada (des-u) 'Curryreis und Salat' oder Kono kisya to ano kisya (des-u) 'Dieser Zug und der Zug dort drüben' sowie (5.16)f. Die beschreibenden Prädikatsnomina erlauben ferner nicht nur keine demonstrativische Determination (vgl. kono in kono kisya 'dieser Zug'), sondern oft auch keine adnominale Attribution mittels eines Adjektivs oder eines weiteren Nomens. Sie können stattdessen wie

36

Nicht nur die Prädikatsnomina in (5.19 a), (5.20) und (5.67) sind nicht mittels to koordinierbar, sondern auch dieselben Nomina in ihrer adnominalen Attributsfunktion wie byooki in byooki no hito 'ein kranker Mensch' in (5.19 b). Bei ihrer additiven Verbindung mit einem weiteren Nomen müssen sie auch als Attribute wie im Fall der Prädikatsnomina durch die adprädikative Flexionsform des Nominalprädikators, de, begleitet werden (vgl. auch Mattissen 1995: 64; für sie gilt diese Eigenschaft als eines der Merkmale ihrer Subklasse "Modifikatoren", vgl. 4.nl3 oben), z.B.: (a) (i) bizin no hito 'eine schöne Person (= Frau)' (ii) saizyo no hito 'eine hochintelligente Person (= Frau)' (iii) bizin {de l * to] saizyo no hito 'eine Person (= Frau), die schön und hochintelligent ist.' Ferner können sie, nicht nur als Prädikatsnomina, sondern auch als Attribute, durch dasselbe Mittel de auch mit anderen Wortarten verbunden werden, z.B. mit einem Adjektiv: (b) (i) Ano hito wa kasiko-i. 'Jene Person (= Er/Sie) ist klug.' klug.sein-PRÄS (ii) Ano hito wa bizin de kasiko-i. 'Sie ist (eine) schön(-e Frau) und klug.' (c) (i) kasiko-i hito 'eine kluge Person' (ii) bizin de kasiko-i hito 'eine Person (= Frau), die schön und klug ist' Diese Eigenschaften würden im Übrigen dafür sprechen, das Adnominalitätskennzeichen no als eine Form des Nominalprädikators zu betrachten, weil es je nach den syntaktischen Bedingungen mit den Flexionsformen des letzteren alterniert (vgl. Kap. 3).

187 alle anderen Prädikatsarten durch ein Adverb oder ein Adjektiv in der adverbalen Form modifiziert werden:37 (5.68) (a) Anohito wa (hido-ku /*hido-i} byooki da(/des-u). {schiimm.sein-ADV / schlimm.sein-PRÄS(:ADN)} 'Er/Sie ist arg krank.' (b) Ano hito wa {totemo / taihen / *taihen-na} byooki da(/des-u). {sehr / sehr / hochgradig. sein-ADN} 'Er/Sie ist sehr krank.1 (5.69) (a) Anohito wa {(i) sugo-ku /(ii)sugo-i} bizin da(/des-u). {unheimlich.sein-ADV /unheimlich.sein-PRÄS(:ADN)} 'Sie ist {(i) unheimlich schön / (ii) eine unheimliche Schönheit}.' (b) Ano hito wa {(i) totemo / (ii) taihen / (iii) taihen-na} bizin da(/des-u). 'Sie ist {(i/ii) sehr schön / (iii) eine außerordentliche Schönheit}.' (c) Ano hito wa Nihon de iti-ban {(i) 0/(ii)no} bizin da(/des-u). Japan LOK eins-Nummer 'Sie ist {(i) am schönsten / (ii) die schönste Frau} in Japan.' Die (i)-Version des Beispiels (5.69 c) gehört zum Paradigma der adverbialen Modifikatoren, nach denen jede Prädikatsart wie ein Verb, ein Adjektiv oder ein Nominaladjektiv, z.B. kiree-da 'ist schön' (vgl. (2.2 a) in 2.2), vorkommen kann. Demgegenüber hat die (ii)-Version das Muster der adnominalen Attribution durch ein Nomen, die vor keiner anderen Wortart als einem Nomen stehen kann. Zwar zeigen die Beispiele (a ii), (b iii) und (c ii) in (5.69), dass das Prädikatsnomen bizin, anders als byooki in (5.68), durchaus eine adnominale Attribution erhalten kann, wichtiger ist aber, dass es auch eine unmittelbare adverbiale Modifikation erlaubt. Somit zeigen diese Nomina deutlich, dass sie zum Paradigma der Prädikate gehören. Dies ist bei den Nomina, mit denen die extensionale Identität festgelegt wird, nicht der Fall. Dass solche Nomina wie karee 'Curryreis' und kisya 'Zug' oder solche Wörter wie watasi 'ich' und Kerun 'Köln' keine adverbiale Modifikation erhalten können, steht außer Frage. Aber auch ein Nomen wie soozi 'Putzen' in (5.40) in 5.5, das nicht gerade als referentiell charakterisiert werden kann und außerdem als Verbalabstrakt (vgl. soozi=su-ru 'putzen') ein hohes Maß an Prädikativität, Relationalität und Intensionalität aufweist, kann keine adverbiale Modifikation erhalten, z.B.:

37

Unsere Beispiele widersprechen eindeutig der Aussage von Mattissen (1995), dass das Prädikatsnomen nie durch Adverbien, sondern durch Attribute modifiziert werde (p.35), und dass byooki als Attribut (Modifikator) nicht durch ein Adverb modifiziert werde (p. 65; byooki gehört im Übrigen Mattissens Subklasse "Modifikatoren" an). Als weiteres Beispiel gilt auch (4.2), in dem das Adverb sugu ein Nomen modifiziert. Mattissen (1995: 75ff.) betrachtet die Modifizierbarkeit mittels eines Adverbs als eine Eigenschaft relationaler Nomina wie mae 'Vorne' usw.

188

(5.70) {taihen-na / *taihen / *totemo} soozi da(/des-u). 'Es ist eine anstrengende Putzarbeit.' Soozi in (5.40) kann ferner nicht mittels de, sondern nur durch to mit einem weiteren Nomen verbunden werden, wenn die Gegenstände einer Arbeit aufgelistet werden, z.B.: (5.71) (Heya no) soozi to katazuke des-u. 'Putzen und Aufräumen (des Zimmers) sind es'. Die beobachteten Eigenschaften der Nomina in der Position vor da bzw. des-u (oder am Satzende ohne diese) sind aber keine lexikalisch festgelegten Eigenschaften. So ist die Unreferentialität kein inhärentes lexikalisches Merkmal von byooki und bizin, sondern sie erlauben wohl ihre referentielle Verwendung, bei der sie unter anderem mittels to koordinierbar, durch ein Demonstrativ determinierbar und ferner zählbar werden, z.B.: (5.72) Hiiroo Helden

wa

sono

hito-ri

no

TOP

das:ADN eins-NKL N.ADN

bizin

{to l *de]

Schönheit

{NCO/NPRÄD:ADV}

hitori no saizyo (to hitori no otoko) da(/des-u). eins-NKL N.ADN Kluge (NCO eins-NKL N.ADN Mann)

'Die Protagonisten sind eine schöne Frau und eine hochintelligente Frau (und ein Mann).' In diesem Beispiel referieren bizin und saizyo, anders als in (5.67), auf zwei unterschiedliche Individuen. Zu diesem Typus gehören auch die Beispiele (5.19 c/d) mit byooki in der Bedeutung 'Krankheit'. In diesem Fall kann byooki demonstrativisch bzw. attributiv determiniert und mittels to koordiniert werden, z.B. (vgl. (5.68)): (5.73) Ano hito no noirooze no

gen'in wa

sono

Neurose N.ADN Ursache TOP

das:ADN

i

no

byooki {to l *de}

situgyoo

Magen

N.ADN

Krankheit

Arbeitsverlust

hido-i schlimm.sein-PRÄS(:ADN)

da(/des-u).

'Die Ursachen der Depression jener Person sind die schlimme Magenkrankheit und der Verlust ihres Arbeitsplatzes.' Auf diese Weise sind die Nomina wie byooki und bizin nicht inhärent für den relationalen Kopf-Status prädestiniert. Ihre genaue Funktion hängt vom jeweiligen konkreten Satz ab. Wichtig ist aber jedenfalls, dass sie in einer ihrer Funktionen volle Prädikatseigenschaften aufweisen, sich zu den anderen Prädikatsarten vollkommen paradigmatisch verhalten und so einwandfrei die Rolle eines Kopfes ausüben. Somit haben die beiden Arten der Kasuslosigkeit trotz ihrer Polarität eine Eigenschaft gemeinsam, nämlich Kontextabhängigkeit. Die Kontextabhängigkeit des indikativen Aktes des Hinweisens brauchte nicht weiter erörtert zu werden, aber er ist auch deswegen stark vom Kontext abhängig, weil ihm elaborierte, explizierende sprachliche Maschinerie fehlt. Das gleiche Nichtvorhandensein einer explizierenden Maschinerie bei einem relationalen

189

Nomen macht dieses hinsichtlich dessen genauerer Funktion kontextabhängig, die, wie wir bei den obigen Beispielen gesehen haben, manchmal ohne syntaktische Tests nicht leicht zu identifizieren ist. Gegenüber der Explizitheit der Relation eines Nomens mit Kasusmarkierung, das von sich aus, auch ohne ein sichtbares Prädikat, seinen Dependens-Status in einer Dependenzrelation klar erkennbar macht, lässt ein Nomen ohne Kasusmarkierung zunächst offen, ob es die Funktion eines Kopfes ausübt oder außerhalb einer Dependenzrelation steht. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass es unter Umständen ein Dependens darstellt, dessen Dependenzkennzeichen wegen kontextueller Vorhersagbarkeit weggelassen worden ist. Dem Fehlen eines expliziten Relationskennzeichens entsprechend bestehen alle diese drei Möglichkeiten. Ein Nomen mit Kasusmarkierung hingegen macht es unverkennbar, dass es ein Dependens und kein Kopf in einer Dependenzrelation ist, so dass es außerhalb, entweder im gleichen Satz oder in der weiteren Umgebung, den Kopf der betreffenden Relation, also ein konkretes Prädikat, geben muss. Demgegenüber bedeutet das Fehlen der Kasusmarkierung selbst bei einem relationalen Nomen noch nicht dessen Kopf-Status, auch wenn dies wohl möglich ist. Erst durch den Kontext wird klar, ob es einen Sachverhalt darstellt oder nicht, z.B. byooki (da/des-u) als 'jemand ist krank' oder 'das ist eine Krankheit'. Wenn es einen Sachverhalt darstellt, muss es jemanden geben, der als Betroffener involviert ist. Dann ist es wahrscheinlich, dass es im Kontext ein Wort gibt, das auf den Betroffenen referiert und ferner als Dependens auftreten kann. Erst dadurch kann der Kopf-Status des relationalen Nomens erkennbar gemacht werden. Aber das ist alles eine Angelegenheit der Wahrscheinlichkeit bzw. der Möglichkeit und nicht wie bei dem Vorkommen der Kasusmarkierung eine zwingende Konsequenz. Die Relationalität wie die Art der Relation ist bei einem Nomen ohne Kasusmarkierung implizit gegenüber ihrer Explizitheit mit Kasusmarkierung, Die Kasuslosigkeit beider Arten hat also neben der Kontextabhängigkeit diese Implizitheit gemeinsam und steht der funktionalen Explizitheit der Kasusmarkierung gegenüber. In diesem Sinne sind die beiden Arten der Kasuslosigkeit, die sich sonst polar zueinander verhalten, zusammen indikativ gegenüber der Explizitheit und der Explizierungsfähigkeit, d.h. der Prädikativität, der Kasusmarkierung (vgl. Seiler 1988a: bes.IHff., 1988b: 100, 1994, Broschart 1991a, Premper 1991). Dieser gemeinsamen Eigenschaft entsprechend bilden die beiden Typen zwei Pole eines Kontinuums kasusloser Prädikatsnomina. Es ist ein Kontinuum der Zu- und Abnahme der Relationalität, die an einem Pol mit dem nichtrelationalen Identitätshinweis endet. Die Beispiele (5.19) ~ (5.23) in 5.3 stellen Instanzen dieses Kontinuums dar. Diese Beispiele haben alle ein und dasselbe Satzmuster, das Zweigliedrigkeit aufweist. Sie unterscheiden sich aber graduell in der Beziehung zwischen zwei nominalen Konstituenten, sowohl hinsichtlich der sachverhaltsmäßigen als auch der prädikationsbezogenen Beziehung. In (5.19) und (5.20) impliziert das Prädikatsnomen, byooki 'Kranksein' bzw. bizin 'schöne Frau', jeweils, dass es jemanden geben muss, auf den der genannte Zustand oder die Eigenschaft zutrifft. In ähnlicher Weise impliziert koosi 'Lektor' in (5.21), Ano hito wa koosi da 'Er/sie ist Lektor/-in', dass es jemanden geben muss, der diese Funktion innehat. Diese Prädikatsnomina selber sagen aber noch nicht aus, für wen diese Sachverhalte gelten.

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Sie sind relational und prinzipiell in der Lage, eine generelle Aussage zu machen, obwohl die extensionale Reichweite derjenigen, auf die solche Aussagen zutreffen können, graduell kleiner wird. D.h. jedes Lebewesen kann krank werden, aber nicht jeder kann eine schöne Frau oder ein Lektor sein. Sie sind aber alle fähig, etwas über etwas auszusagen, d.h. zu prädizieren. So wird in (5.19/20/21) über die Person, auf die mit ano hito 'jene Person (= er/sie)' referiert wird, jeweils eine Aussage gemacht, dass sie sich in einem bestimmten Zustand befindet, eine bestimmte Eigenschaft besitzt oder eine bestimmte Funktion innehat. Die betreffende Person ist also die Aktualisierung (bzw. Installierung oder Konkretisierung) von jemandem, der von den Prädikatsnomina impliziert wird. Diese Sätze weisen daher sowohl sachverhalts- als auch prädikationsmäßig eine echte Zweigliedrigkeit auf. Demgegenüber ist die Beziehung zwischen ano hito 'jene Person (= er/sie)' und Satoo-san 'Herr/Frau Sato' in (5.22) eine andere. Satoo-san mag insofern relational sein, als impliziert wird, dass es jemanden geben muss, der diesen Namen trägt. Aber es ist keiner generellen Aussagen fähig. Auch wenn es unzählige Menschen gibt, die Satoo heißen, ist keine generelle Aussage mittels eines solchen Eigennamens möglich (vgl. Jakobson 1957:131, Seiler 1986: 128f.). Dementsprechend stellt ano hito keine Aktualisierung von jemandem dar, dessen Existenz von Satoo-san impliziert wird. Hier wird vorausgesetzt, dass jeder Mensch einen Namen trägt und ein Name unmittelbar und untrennbar mit einem bestimmten Individuum verbunden ist. Der Satz (5.22 a) stellt eine Eins-zu-Eins-Entsprechung, d.h. eine Gleichheitsrelation zwischen dem Individuum und dem Namen fest. Daher wird mit Satoo-san an sich keine Aussage über ano hito gemacht, obwohl der Satz insgesamt nicht nur die Form einer Aussage hat, sondern auch über diese Gleichheitsrelation doch eine Aussage macht. Der Satz ist weiterhin zweigliedrig, aber man merkt den Unterschied in der Qualität der Zweigliedrigkeit zwischen den ersten drei Beispielen und dieser Gleichheitsaussage. Da die Festlegung der Gleichheitsrelation dem indikativen Akt des Identitätshinweises funktional recht nahe steht, kann sie unter bestimmten kontextuellen Voraussetzungen in der Tat allein zur Festlegung der Identität und nicht mehr zur Darstellung einer Gleichheitsrelation dienen. Wenn man jemandem der Reihe nach verschiedene Personen vorstellt, ist die Herstellung von Eins-zu-eins-Relationen z.B. mittels (5.22 a) wichtig. Wenn aber zuerst auf ein Individuum hingewiesen wird und dazu eine Frage wie "Wer ist er/sie?' gestellt wird, hat die Antwort darauf nur noch die Funktion des Hinweises auf die Identität, weil die Entsprechungsrelation, die schon vorausgesetzt wird, nicht erst durch die Antwort hergestellt werden muss. Die Antwort fällt dementsprechend eingliedrig aus: Satoo-san (des-u). Somit wird zwischen diesem Typus und demjenigen in (5.23), Watasi wa karee (da/desu) /Karee wa watasi (da/desu), u.a. eine Brücke geschlagen. Wenn zu der an sich eingliedrigen Aussage das Diskursthema als Satz-Topik hinzugefügt wird, wie Ano hito wa Satoo-san (da/des-u) in (5.22 a), bekommt der Satz das Aussehen der Zweigliedrigkeit, was er auch mit dem Typus (5.23) u.a. gemeinsam hat. Nur ist die sachliche Beziehung zwischen dem Referenten der Topik-Phrase und dem des (Quasi-)Prädikatsnomens in (5.22) immanent und kohärent im Gegensatz zu (5.23) u.a., so dass der Satz genau so gut eine Gleichheitsdarstellung sein kann.

191

In der Affinität zu einer Gleichheitsdarstellung gesellt sich das Beispiel (5.21) zu dem Typus (5.22), obwohl koosi 'Lektor' oben zusammen mit byooki 'Kranksein' und bizin 'schöne Frau' als relationales Prädikatsnomen charakterisiert und dem Eigennamen in (5.22) gegenübergestellt wurde. Wie wir in 5.3 gesehen haben, teilt (5.21) die Permutierbarkeit der beiden nominalen Satzkonstituenten als eine gemeinsame Eigenschaft mit (5.22). In der permutierten Version, Koosi wa ano hito (da/des-u) 'Der Lektor ist er/sie dort', muss koosi, anders als bei seinem intensionalen Gebrauch in Ano hito wa koosi (da/des-u) 'Er/Sie ist (/ arbeitet als) Lektor' in (5.21), in dem Sinne referentiell sein, dass die Existenz einer konkreten identifizierbaren Person mit der Funktion eines Lektors vorausgesetzt und mit dem Wort koosi auf diese Person bezogen wird. Durch den Satz Koosi wa ano hito des-u wird dann eine referentielle Eins-zu-eins-Beziehung hergestellt und so die endgültige Referenz von koosi festgelegt. In diesem Punkt verhält sich die Beziehung zwischen koosi und ano hito parallel zu der zwischen Satoo-san und ano hito in (5.22 b). So werden solche Funktionsbezeichnungen und Titel oft wie Eigennamen gebraucht und stehen für die ganze Person, obwohl sie eigentlich nur eine Funktion, nur einen Aspekt der Person betreffen. Diese Tendenz ist mindestens in Form der Anredetradition auch in Europa festzustellen (z.B. 'Herr/Frau Doktor', 'Herr/Frau Professor'), ist aber in Ostasien, z.B. in Japan, besonders ausgeprägt (vgl. Kap. 7 unten). Die graduellen Abstufungen, die wir oben beobachtet haben, lassen sich an unterschiedlichen Schnittpunkten der Verhaltensweisen deutlich erkennen, die die Instanzen der Prädikatsnomina in Bezug auf die oben geschilderten Eigenschaften aufweisen. Dass (5.19) und (5.20) nicht permutierbar sind, wurde in 5.3 schon erwähnt. Aber (5.20) wird permutierbar, wenn bizin 'schöne Frau' durch Hinzufügung eines Determinators referentiell gebraucht wird, wie in (5.75) unten gezeigt wird. Hingegen wird (5.19) durch keine Zusatzoperation permutierbar (s. (5.75 a) unten). Man würde sofort den Grund dafür in der Sinnlosigkeit einer solchen Aussage wie 'die Krankheit ist jene Person' entdecken wollen, aber der Grund liegt nicht darin, denn solche Aussagen wie Karee wa watasi (da/des-u) in (5.23 b), Watasi wa soozi (da/des-u) in (5.40 b) sowie dessen permutierte Version Soozi wa watasi (da/des-u) 'Was Putzarbeit betrifft, das bin ich (= die mache ich und keine andere Person)' sind auf den ersten Blick genau so unsinnig. Die einzige Möglichkeit, byooki ' Kranksein' nach vorne (nach 'links') im Satz zu bringen, ist die Satznominalisierung nach dem Muster einer Cleft-Konstruktion (vgl. 5.5.f.), in der der Status von byooki als Prädikatsnomen beibehalten wird. Dieser Konstruktionstyp ist aber auch für (5.20) und (5.21) möglich, während sie für (5.22) und (5.23) u.a. nicht anwendbar ist, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen: (5.74) (a) Byooki na no wa ano hito (da/des-u). Kranksein NPRÄD:PRÄS:ADN SKOMP TOP 'Diejenige Person, die krank ist, ist jene (= er/sie).' (b) Bizin na no wa ano hito (da/des-u). 'Diejenige, die schön ist, ist jene (= sie).'

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(c) Koosi na no wa ano hito (da/des-u). 'Diejenige Person, die (ein) Lektor ist, ist jene (= er/sie).' (d) *Satoo-san na no wa ano hito (da/des-u). (e) *Karee na no wa {watasi / ano hito} (da/des-u). (karee 'Curry') (f) *Soozi na no wa {watasi / ano hito} (da/des-u). (soozi 'Putzen') Diese Beispiele stehen den folgenden gegenüber, in denen das Prädikatsnomen durch Permutation in die Topik-Position des Satzes gebracht wird: (5.75) (a) *{Sono / 0} byooki wa ano hito (da/des-u). das:ADN (b) {Sono / *0} bizin wa ano hito (da/des-u). 'Die genannte Schönheit ist sie dort.' (c) {Sono / 0} koosi wa ano hito (da/des-u). 'Der (genannte) Lektor ist er/sie dort.' (d) {(?)Sono / 0} Satoo-san wa ano hito (da/des-u). '((?)Der/Die erwähnte) Herr/Frau Sato ist er/sie dort.' (e) {?Sono / 0} karee wa {watasi / ano hito} (da/des-u).} '(?Den) Curryreis {nehme ich / nimmt er/sie}.'} (f) {*?Sono / 0} soozi wa {watasi / ano hito} (da/des-u). 'Die Putzarbeit {tue ich / tut er/sie}. Somit bilden die kasuslosen Prädikatsnomina und Quasi-Prädikatsnomina ein Kontinuum zwischen der Prädikativität und der Indikativität. Trotz dieses graduellen Unterschiedes haben die Beispiele eine Eigenschaft gemeinsam. Wie wir in (5.75) sehen, können die kasuslosen Prädikatsnomina in (5.20), (5.21) und (5.40 b) wie (5.22 a) und (5.23 a) zwar durch Permutation und, wenn nötig, Referenzdetermination zum Topik-Status gebracht werden, sie können aber auch in dieser Position keine Adjunktmarkierung wie ga annehmen (vgl. (5.58) in 5.7). D.h., der Ersatz von wa durch ga in den Beispielen in (5.75) ist nicht möglich. Hingegen ist es einwandfrei, die erste Nominalphrase ano hito 'jene Person, er/sie' in denselben Beispielen (5.20)ff. einschließlich (5.19) durch ga statt wa zu markieren wie z.B. (5.58 b ii). Diese Tatsache weist sowohl auf den NichtDependens-Status dieser Prädikatsnomina als auch auf deren höheren Grad an Kopfhaftigkeit hin, weil sie einerseits für sich selber keine Adjunktmarkierung erlauben und andererseits

193

eine nominale Konstituente mit einer Adjunktmarkierung zu sich nehmen.38 Das alles spricht für unsere Grundannahme, dass das Prädikatsnomen kasuslos ist.

38

Kamibayashi (1987) erklärt den Unterschied in der Möglichkeit der Umwandlung von A wa B da zu B ga A da wie folgt: Die Umwandlung ist möglich, wenn der Satz A wa B da die Bedeutung "wenn man nach A sucht, dann ist es B" hat. Sie ist aber dann nicht möglich, wenn A wa B da "was A betrifft, hat es (er/sie) die Eigenschaft B" bedeutet. Mit unseren Termini formuliert, ist die Umwandlung dann möglich, wenn es um die extensionale Referenz- und Identitätsfestlegung geht, während sie bei einer intensionalen Prädikation nicht möglich ist. Dieses Verhältnis stimmt mit unseren bisherigen Beobachtungen überein. Jedoch wirft die Umwandlungsmöglichkeit von (5.23b), Karee wa watasi (da), zu Watasi ga karee (da) 'Ich nehme Curry' (eine analoge Umwandlung von (5.23 a), Watasi wa karee (da) zu *Karee ga watasi (da) ist allerdings unmöglich) ein Problem auf, weil der oben geschilderte Unterschied in der Extensionalität und der Intensionalitat hier nicht so gilt. Hier kann die spezifische Funktion von ga, in der Opposition zu wa eine fokussierte, nicht-vorhersagbare Information zu liefern, im Spiel sein (vgl. z.B. Kuno 1973: 37ff, 1980). Ferner kann die Unmöglichkeit der Umwandlung von (5.20), (5.21), (5.22 a) und (5.23 a) nach dem obigen Muster bzw. die Nicht-Ersetzbarkeit von wodurch ga in (5.75), auch dadurch bedingt sein, dass die Wörter, die dann die Position eines Prädikatsnomens einnehmen, solche sind, die zum unmittelbaren Referenzhinweis dienen, wie ano hito 'jene(r)/er/sie dort' und watasi 'ich'. Da der Referenz- und Identitätshinweis, wie wir oben in 5.8.f. betont haben, nicht relational ist, kann kein relationales Element wie ein Adjunkt in solchen Äußerungen auftreten. In der Tat beinhalten alle Beispiele bei Kamibayashi, die nicht umgewandelt werden können, ein referenzhinweisendes Wort als A.

6. Markierung von Adjunkten und Hierarchie der Zentrizität der Kasusmarkierungen

6.1. Grad der Prädikatsabhängigkeit der Kasusmarkierungen und Bedingungen für ihr Vorkommen bei Abwesenheit eines Prädikates Wir haben oben gesehen, dass das Auftreten der Kasusmarkierung als explizites Kennzeichen des Dependens-Status des betreffenden Nomens gilt, während das spezifische funktionale Korrelat des Fehlens der Kasusmarkierung die Signalisierung des Status des Nomens als Nicht-Dependens ist, also entweder dessen Kopf-Status oder dessen Nicht-Involviertheit in einer Dependenzrelation. Der letztere Fall wird durch die Identitätsfestlegung repräsentiert, für die die Existenz einer Relation an sich nicht relevant ist und daher prinzipiell das Muster der Kasuslosigkeit gilt. Wir haben aber auch gesehen, dass in bestimmten identitätsfestlegenden Aussagen ein Nomen mit einer Kasusmarkierung auftreten kann, wenn eine Partizipationsrelation vorausgesetzt wird. Das ist jedoch nicht generell möglich. So kommen wir auf eine Frage zurück, die in 5.8 angeschnitten wurde. Die Frage lautete, warum in Aussagen wie (5.66 a/b ii) keine relationserhaltende Konstruktion mit einer Kasusmarkierung möglich ist, während für (5.64 a/b ii) neben dem kasuslosen Konstruktionstyp auch derjenige mit ga bzw. o möglich ist. Dabei sind die pragmatischen Bedingungen in beiden Fällen gleich. Die Sätze in diesen Beispielen geben alle eine Antwort auf die Frage nach der Identität des Trägers einer bekannten Partizipantenrolle. Eine analoge Frage ist auch in Bezug auf ni zu stellen, weil es wiederum unter den gleichen pragmatischen Bedingungen unterschiedliche Verhaltensweisen aufweist, ni kann sowohl in (5.64 c ii) als auch in (5.66 c ii) auftreten, unterliegt aber in manchen Fällen einer starken Einschränkung in seinem Vorkommen, wie in (5.29/34/51 b ii). Wenn es keinen erkennbaren Unterschied in den pragmatischen Voraussetzungen gibt, woran können dann diese Verhaltensunterschiede der Kasusmarkierungen liegen? Betrachten wir die Beispiele (5.64) und (5.66) ein wenig genauer. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die Fragen in (5.64) schon mit des-u unter Weglassung des eigentlichen Prädikates gebildet sind, während diejenigen in (5.66) das Prädikat syookaisi-(mas-i-)ta 'hat vorgestellt' ohne Ersatz oder Weglassung beibehalten. Die Kasusmarkierungen sind in den Fragesätzen unter (5.64) unentbehrlich, weil diese sonst nicht verständlich sind. Wir sehen nun, dass die Antwortsätze unter (5.64) das Satzmuster der Fragesätze einfach aufnehmen und wiederholen. Demgegenüber führen die Antwortsätze in (5.66) ein neues Satzmuster ein, das von den vorangehenden Fragesätzen nicht geliefert wurde. Es sieht also danach aus, dass ga und o nur dann auf eine identitätsfestlegende Aussage übertragen werden können, wenn diese ein Antwortsatz ist, der dasselbe Konstruktionsmuster des vorangehenden Fragesatzes wiederaufnimmt. Die anderen Beispiele, in denen ga und o nicht auftreten konnten - das sind nämlich alle bis auf (5.62)ff., weshalb wir in 5.5f. die

195

obligatorischen Wegfallregeln angenommen hatten -, stärken diesen Befund, weil sie alle ein gleiches Diskursablaufmuster wie bei (5.66) zeigen: der Fragesatz beinhaltet ein volles unersetztes Prädikat und erst der Antwortsatz führt die Konstruktion mit dem Ersatz bzw. der Weglassung des Prädikates ein. In der Tat wird die Akzeptabilität des Vorkommens von ga und o auch in den Antwortsätzen spürbar höher, wenn der unmittelbar vorausgehende Fragesatz schon das Muster der elliptischen Konstruktion mit einer Kasusmarkierung hat. So kann ga im Beispiel (6.1 d) unten, das auf die Frage in (6.1 b) und/oder (6.1 c) eine Antwort gibt, gerade noch erhalten bleiben, wobei die Akzeptabilität von ga in (6.1 d) wesentlich höher als Antwort auf (6.1c) ist als in demselben Satz als unmittelbare Antwort auf (6. l b). Die Fragesätze, die mit dem elliptischen Konstruktionsmuster gebildet sind, setzen eine Aussage wie (6.1 a) voraus, die selber eine Antwort auf eine Frage wie (5.26/56 a) liefert: (6.1) (a) Ano

kisya ga Kerun made

jen:ADN Zug

Köln

ik-i-mas-u. gehen-ADV-HON-PRÄS

'Der Zug dort drüben fährt bis (nach) Köln.' (b) E, dono kisya (ga) des-u ka? ha welch:ADN

'Wie bitte, welcher Zug?'

(c) (E,) ano kisya (ga) des-u ka?

'Wie bitte, der Zug dort drüben?'

(d) Ano kisya (? ga) des-u.

'Der Zug dort drüben.'

Dass ga eher in den Fragesätzen als im Antwortsatz erhalten bleibt, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass in Fragesätzen kein unmittelbarer Identitätshinweis gemacht wird, sondern eben nach der festzulegenden Identität gefragt wird. Anders als in (5.64 a i) ist ga in (6. l b/c) eigentlich redundant, was auch an dessen Weglassbarkeit erkennbar ist. Wenn keine solche Vermittlung durch einen Fragesatz stattfindet, ist die Übertragung der Relation, die durch ga oder o gekennzeichnet wird, nicht auf solche Aussagen möglich, deren Zweck allein in der Festlegung der Identität des Trägers einer bekannten Partizipantenrolle besteht. Dies wurde in (5.56 b), (5.66 a/b ii) und allen anderen relevanten Beispielen oben beobachtet. Das Vorkommen dieser Kasusmarkierungen ist mit der Funktion der Explizierung der Partizipantenrollen (der sog. diskriminatorischen, d.h. rollenunterscheidenden Funktion) verbunden, die aber voraussetzt, dass ein konkretes identifizierbares Prädikat im betreffenden Satz oder im Kontext gegeben ist. Dies bezieht sich auf die Latenz eines konkreten Prädikates auch nach dessen Weglassung, die in 5.8 betont wurde. Wenn kein konkretes Prädikat im Kontext auffindbar ist, sagt die Markierung mit ga über die Partizipantenrolle kaum etwas aus. M.a.W.: Die Identifizierbarkeit der Rolle eines Nomens mit ga hängt vom Vorkommen eines konkreten Prädikates ab und die Identität der Rolle desselben davon, auf welches Prädikat es sich bezieht. Die folgenden Beispiele machen dieses Verhältnis deutlich (vgl. auch (1.19)):

196

(6.2)

(a) Satoo-san ga {(i)Suzuki-san/(ii) apaatojo mituke(-mas-i)-ta. Wohnung finden:ADV(-HON-ADV)-PRÄT 'Herr/Frau Sato hat {(i) Herrn/Frau Suzuki /(ii) eine Wohnung} gefunden.' (b) {(i) Suzuki-san /(ii) Apaato} ga (Satoo-san nO}{mitukar-i-mas-i-/mitukat-}-ta. {sich.finden.lassen-ADV-HON-ADV/ sich.finden.lassen:ADV}-PRÄT

'{(i) Herr/Frau Suzuki /(ii) Eine Wohnung} ist (von Herrn/Frau Sato) gefunden worden.' Wenn im Diskurs eine Aussage wie Satoo-san ga (des-u) vorkommt, aber kein Prädikat eindeutig identifizierbar ist, sagt die Kasusmarkierung über die Partizipantenrolle kaum etwas aus. Sie sagt aber aus, dass es im Kontext ein Prädikat geben muss, in Bezug auf das die von ihr gekennzeichnete Rolle identifizierbar ist. Das heißt, gahat das Funktionspotential, eine Rolle zu identifizieren, aber sein aktuelles Funktionieren hängt vom Vorkommen eines konkreten Prädikates ab. Was ga ohne identifizierbares Prädikat leistet, ist die Signalisierung der Existenz einer Relation, die auf der syntaktischen Ebene eine Dependenzrelation mit einem Prädikat als Kopf der Relation ist. Die Situation ist mit dem Verhältnis zwischen einem SchlUssel und einer Tür vergleichbar: Ein Schlüssel hat das Funktionspotential, eine Tür zu öffnen, aber er ist funktionslos, solange die betreffende Tür nicht zu finden ist. Seine Existenz deutet aber trotzdem daraufhin, dass es eine bestimmte Tür geben muss, die sich mit ihm öffnen lässt. Grundsätzlich Gleiches lässt sich auch bezüglich o sagen, obwohl die Menge der Prädikate, bei denen eine Nominalphrase mit o vorkommen kann, viel kleiner ist als die, bei denen ga vorkommen kann. Die letzteren umfassen nämlich alle Prädikate im Japanischen bis auf ein paar Nominalprädikate wie ame (da)! 'Regen!' in (5.18), die normalerweise ohne jegliches Adjunkt vorkommen.1 Auf diese Weise impliziert bzw. signalisiert das Vorkommen von ga oder o, dass die Nominalphrase in einer Relation und in einer Prädikation involviert und ihre Rolle in Hinblick auf diese Relation zu identifizieren ist. Daher ist ihre Verwendung in nicht-relationalen, nicht-prädikationsbezogenen Ausdrücken wie in identitätsfestlegenden Äußerungen oder in einem Titel bzw. einer Überschrift nicht adäquat.2 Vgl. Fußnote 5.n6. Zu denjenigen Nominalprädikaten, bei denen normalerweise kein Adjunkt mit einer Kasusmarkierung vorkommt (d.h. eine Nominalphrase mit der Topik-Partikel kann durchaus vorkommen, deren Kasusmarkierung jedoch schwer zu rekonstruieren ist), gehören solche, die zu einer thetischen Aussage gebraucht werden, z.B. kazi (da)! 'Feuer!, Brand!', (moo) haru (da/des-u)! '(schon) Frühling!' (vgl. Matsubara 1984c), zisin (da)! 'Erdbeben!', und Zeitangaben, z.B. (ima) 12-zi 15-hun (da/des-u) 'Es ist (jetzt) 12 Uhr 15'. Sie kommen zwar meistens ohne nominale Adjunkte vor (demgegenüber können Adverbien und adverbiale Nomina ohne Kasusmarkierung problemlos stehen, wie moo 'schon' und ima 'jetzt' oben), aber es ist nicht gänzlich unmöglich, auch zu diesen Nominalprädikaten ein Adjunkt mit ga hinzuzufügen, z.B. doko ga kazi? 'Wo brennt's?'. Ein gutes Beispiel dafür, dass die Kasusmarkierungen ga und o in hohem Maße relational sind und die Existenz eines Prädikates implizieren, ist der Titel eines Werkes, dem von Natur aus keine kontextuelle Information gegeben ist. Wenn ein Titel aus einer Nominalphrase mit ga besteht, z.B.,

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Analoges gilt im Großen und Ganzen auch für m. Tookyoo ni z.B. ist einerseits kognitiv nichtssagend, deutet aber andererseits an, dass irgendeine Aussage folgen muss. In diesem Punkt kontrastiert ni mit made, kara und e für Richtungsangaben (vgl. (3.49) in 3.6) sowie de für Lokationsangaben (vgl. (3.50)), die auch ohne identifizierbares Prädikat keinen solchen Eindruck der Unabgeschlossenheit hervorrufen, z.B. Tookyoo kara 'Aus Tokyo' oder Tookyoo de 'In Tokyo' als Titel oder Überschrift. Hier liegt wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum Japaner bei einer Widmung oder bei der Angabe des Adressaten z.B. eines Geschenkes oder einer Mitteilung, bei denen kein Prädikat vorkommt, nicht ni, sondern e benutzen, z.B. Katoo-san e 'An/Für Herrn/Frau Kato'. Dabei ist die Verwendung von e anstelle von ni für lebendige Adressaten bzw. Empfänger marginal (aus normativer Sicht: nicht normgemäß), wenn diese in einem Satz ausgedrückt werden sollen (vgl. z.B. (2.1)). Auch ni ist also in hohem Grad relational und impliziert, dass es in einer Prädikation involviert ist. Auch in der Abhängigkeit der Identifizierbarkeit der Partizipantenrolle von konkreten Prädikaten ähnelt ni dem ga. Dass es oft von individuellen Prädikaten abhängt, welche Rolle mit ni markiert wird, wurde schon durch die Beispiele bisher, insbesondere durch (6.2 b) sowie (1.17)ff. in 1.1.6/7, angedeutet. Ni kann sowohl eine statische Lokation als auch ein dynamisches Ziel markieren, aber es wird allein durch das Prädikat eindeutig, um welche Rolle es sich bei der Nominalphrase mit ni handelt: statische Lokation bei ar-u 'dasein' gegenüber einem dynamischen Ziel bei ik-u 'gehen, fahren', age-ru 'geben' u.a. Dass die Identifizierbarkeit der mit ni markierten Rolle als Ziel sogar bei dynamischen Sachverhalten von individuellen Verben abhängig ist, zeigen die folgenden Beispiele (vgl. auch (1.23)): (6.3)

(a) Satoo-san ga Katoo-san ni purezento o age-(-mas-i-)-ta. Geschenk geben:ADV-(-HON-ADV-)-PRÄT 'Herr/Frau Sato hat Herrn/Frau Kato ein Geschenk gegeben.' (b) Satoo-san ga Katoo-san ni purezento o

{morai-mas-i- / moral- }-ta. {bekommen: ADV-HON-ADV-

/ bekommen: ADV-J-PRÄT 'Herr/Frau Sato hat von Herrn/Frau Kato ein Geschenk bekommen.'

fiktiv, Dai-san no otoko ga [Nr.-drei N.ADN Mann NOM] 'Der dritte Mann* (die japanische Übersetzung des Filmtitels enthält in Wirklichkeit kein ga), ist er einerseits sinn- und zwecklos, weil die Bedeutung von ga und folglich der Sinn der Nominalphrase bei Abwesenheit eines Prädikates nicht nachvollziehbar ist. Er hat aber andererseits einen Verfremdungseffekt, der das Publikum neugierig macht, denn der Titel muss Teil einer Aussage sein und daher muss etwas darauf folgen; man wird also neugierig darauf, was folgt und was der Titel (und das ganze Werk, dessen Symptom der Titel ist) aussagen will. Einen ähnlichen Effekt hat auch o, auch wenn das "Unbehagen" merklich kleiner als mitga ist und, je nach dem vorangehenden Nomen, oft angedeutet wird, welches Prädikat folgen könnte, z.B. Kimi dake o 'Nur dich (allein)'. Aus dem gleichen Grund macht ein Titel mit ni einen seltsamen Eindruck wie bei ga und o, so dass er auch einen ähnlichen Verfremdungseffekt hervorruft.

198

Die Partizipantenrolle von Katoo-san, das mit ni markiert ist, ist in (6.3 a) Empfänger, also Ziel, und in (6.3 b) Agens bzw. Quelle oder Ausgangspunkt, jedenfalls Geber. Wie wir hier sehen, wird allein von den Prädikaten her bestimmt, welche Rolle mit welcher Markierung vorkommt und folglich welche Rolle mit ni markiert wird. Von diesen Betrachtungen ausgehend, können wir eine Korrelation zwischen dem Grad der Prädikatsabhängigkeit der Kasusmarkierungen und ihrem Verhalten bei Abwesenheit eines Prädikates feststellen. Je stärker sie von Prädikaten abhängen, desto schwieriger wird es für sie, bei Abwesenheit eines Prädikates aufzutreten. Und umgekehrt, je schwächer die Abhängigkeit, desto leichter ist das Auftreten einer Kasusmarkierung auch bei Abwesenheit eines Prädikates. Der Grad der Abhängigkeit einer Kasusmarkierung von Prädikaten zeigt sich vor allem darin, dass die Partizipantenrolle, die mit ihr markiert ist, nur in Bezug auf ein konkretes Prädikat identifizierbar ist, wie dies bei ga der Fall ist. Auch ni ist in dieser Hinsicht in hohem Maße von Prädikaten abhängig. Ein anderer Aspekt der Prädikatsabhängigkeit einer Kasusmarkierung ist, dass diese nicht bei jedem Prädikat, sondern nur bei bestimmten Prädikaten auftreten kann. Dies ist vor allem bei o der Fall. Demgegenüber zeigen Kasusmarkierungen wie kara, made, de und e einen hohen Grad der Unabhängigkeit von Prädikaten. Zum einen sind die Rollen, die mit ihnen markiert sind, unabhängig von individuellen Prädikaten identifizierbar. D.h. sie haben von Prädikaten unabhängige semantische Konstanz und genießen sozusagen Souveränität. Zum anderen ist auch ihr Vorkommen weitgehend von individuellen Prädikaten unabhängig, auch wenn sie gewiss einer Selektionsrestriktion unterliegen, was besonders bei e der Fall ist, denn dieses kann bei einem Prädikat, das einen statischen Sachverhalt beschreibt, nicht auftreten. E hat aber die semantische Konstanz der dynamischen Direktionalität, die ni nicht hat. Ni zeigt nur in einer seiner Funktionen eine semantische Konstanz und die Möglichkeit des von individuellen Prädikaten nicht abhängigen Vorkommens, nämlich bei Zeitangabe (vgl. 4.2). Wir sehen nun, dass diese Kasusmarkierungen und ni für die Zeitangabe diejenigen sind, die auch bei Abwesenheit eines Prädikates auftreten können. Dies betrifft zum einen solche Fälle, in denen kein identifizierbares Prädikat vorhanden ist, wie bei einem Titel, und zum anderen solche, in denen ein Prädikat vom Kontext her wohl identifiziert oder vermutet werden kann, wie in den identitätsfestlegenden Äußerungen, z.B. (5.25/26) mitKerun made 'bis (nach) Köln', (5.27) mit 12-zi 15-hun ni 'um 12 Uhr 15' und (5.31/32) mit soou/karee kara 'angefangen mit Putzen/Curry', oder im obengenannten Fall der Angabe eines Adressaten wie Katoo-san e 'An/Für Herrn/Frau Kalo'.3 Dass ni in identitätsfestlegenden Äußerungen selbst in der Funktion einer lokalen Angabe nicht auftreten kann, weist darauf hin, dass die lokalen Relationen, die mit ni markiert Unsere Beobachtungen stimmen soweit mit der Ansicht von Miyagawa (1989: z.B. 3ff., vgl. 5.nl9 oben) überein, dass ga, o und mindestens ein Teil von ni "case markers" für Argumente (vgl. 1.3.2) sind, die ihre Kasus und "thematischen Rollen" vom Prädikat her (zugeschrieben) erhalten; demgegenüber sind Nominalphrasen mit kara, made usw. "Adjunkte" (= Zirkumstanten), die ihre Kasus und Rollen nicht vom Prädikat her erhalten. Allerdings kann man nicht ohne weiteres der Ansicht zustimmen, dass die letzteren ihre Kasus und Rollen von den "Postpositionen" kara usw. erhalten sollen.

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werden, in höherem Maß von Prädikaten abhängen als diejenigen mit de oder e. Ni kann aber andererseits auch in identitätsfestlegenden Äußerungen erhalten bleiben, wenn es um eine Konstellation dreier Partizipanten geht, nämlich nicht nur in (5.64 c), sondern auch in (5.66 c), bei denen ga und o unterschiedliche Verhaltensweisen zeigten. Es kann sich hier nicht um die Unabhängigkeit der Kasusmarkierung ni vom Prädikat syookai=su-ru sehen)') (vgl. z.B. Shibatani 1977, Matsubara 1984d, 1985). Wenn die Nominalphrase mit ni als Subjekt betrachtet wird, wird die andere Nominalphrase im Satz, also die mit ga, dementsprechend als Objekt behandelt. Bei den "Dativsubjekten" neigt ni dazu, in Hauptsätzen, genauer: in nicht-eingebetteten Sätzen, weggelassen zu werden. Dies ist besonders bei der Topikalisierung der Fall. Durch Topikalisierung ergibt sich oft N wa aus N ni wa, so dass der Satz das Schema N l wa N2 ga Prädst&tt NI ni (wa) N2 ga Präd aufweist, z.B. (vgl. (1.18)): (6.9) (a) (i) Taroo ni (wa) eego ga deki-ru. (ii) Taroo wa eego ga deki-ru.

Taro kann Englisch.' Taro kann Englisch.'

W wa ist aber formgleich mit dem Topikalisierungsprodukt von N ga. Ga kann nämlich wie im Übrigen auch o - vor wa nicht stehen, was im Gegensatz zu der fakultativen Weglassbarkeit von ni vor wa als obligatorische Tilgung von ga vor demselben betrachtet werden kann (vgl. 5.6 oben, vgl. auch z.B. Matsubara 1982b, Noda 1987, Tsunoda 1991: 181). Diese Formgleichheit der Topikalisierungsprodukte hat einige Linguisten, die, statt einer solchen zwischen der Topikalisierung mit wa und der Nicht-Topikalisierung, d.h. dem Fehlen von wa, eine unmittelbare pragmatische Opposition zwischen wa und ga vermuten, dazu verleitet, für (fast) alle Prädikate, bei denen das Schema NI wa N2 ga vorkommt, das Grundschema der Adjunktmarkierung NI ga N2 ga anzunehmen (z.B. Sugamoto 1982 und, teilweise, Hinds 1982; vgl. 9.5 unten). Dieses Schema ist aber auf Prädikate mit nicht-verbaler Morphologie, z.B. Nominaladjektiva wie suki-da 'mögen', beschränkt (vgl. u.a. Shibatani 1990: 298ff.), obwohl z.B. (6.9 b i) statt (ii) durchaus zu hören ist (vgl. 5.n34 bezüglich -n-desu-ka): (6.9) (b) (i) Dare ga eego ga deki-ru-n-des-u ka? (ii) Dare ni eego ga deki-ru-n-des-u ka?

'Wer kann Englisch?' 'Wer kann Englisch?'

202

Die "Dativsubjekte" kommen im Allgemeinen, unabhängig von der Topikalisierung, vor dem "Objekt" mit ga im Satz vor. Wenn das letztere topikalisiert wird, kommt dieses meistens vor dem "Dativsubjekt" vor, z.B.: (6.9) (c) Eego wa watasi (ni) wa deki-mas-en. 'Englisch kann ich nicht.' Andererseits wird das Dativobjekt auch in die satzinitiale Position gebracht, wenn es topikalisiert wird, z.B. (vgl. (6.6)): (6.10) Satoo-san m wa watasi wa ai-mas-en des-i-ta. 'Herrn/Frau Sato habe ich nicht getroffen.' In der Konstellation ga - ni und ni - ga können deren Rollen also nur in Hinblick auf das gegebene Prädikat identifiziert werden.5 Bei dreistelligen Prädikaten ist das Schema ga -ni-o dominant, wie bei syookai=su-ru 'vorstellen' in (5.61)ff. in 5.8 sowie age-ru / kure-ru 'geben' und mora-u 'bekommen' in (1.23) / (6.3). Beim letzteren Verb ist die Markierung mit kara statt ni möglich. Zu den Verben, die neben ni auch kara erlauben, gehören z.B. die folgenden (vgl. 1.1.7): (6.11) A ga B {ni/kara} C o (a) kari-ru (b) kik-u (c) nara-u

5

'leihen (etwas von jemanden), mieten'; 'hören, erfahren'; 'unterrichtet werden'

Zur Markierung von Objekten und zu den prädikatsspezifischen Schemata der Adjunktmarkierung vgl. z.B. Martin 1975: 38ff., 180ff., Kuroda 1978, Shibatani 1975, 1977, 1982, 1983, 1990: 302ff., Tsunoda 1981: 410ff., 1983, Hinds 1982, 1986b: 15ff., Jacobsen 1982a: 14ff., 1985, Matsubara 1984b: 14ff., 1984c, Drossard 1991c. Zum "Dativ-Subjekt" im Besonderen, vgl. u.a. Shibatanis Arbeiten und Langacker 1987: 392f. Shibatanis Kriterien für die Identifizierung einer Nominalphrase als Subjekt beziehen sich in erster Linie auf die Anwendbarkeit der Reflexivierung und Honorifikation. Langacker versucht, die Nominalphrase mit ga bei der Konstellation von ni und ga nicht als Objekt zu charakterisieren, indem er die Nominalphrase mit ni als "Setting" bezeichnet. Nach seiner Analyse ist die Nominalphrase mit ga, z.B. eego ga 'Englisch' im Satz Taroo ni eego ga wakar-u 'Taro versteht Englisch', entweder Subjekt, wobei Taroo ni Setting ohne Partizipantenstatus ist; oder sie ist ein Nicht-Objekt ("non-object"), wobei die ni-Nominalphrase Setting und zugleich Subjekt (d.h. ein Partizipant) sein soll. Zu ga als Objekt-Markierung vgl. auch Kuno 1973: 79ff., 1978a. Zu der Frage andererseits, unter welcher Bedingung eine Nominalphrase mit ni als (direktes) Objekt betrachtet werden kann, und folglich ein Prädikat, bei dem eine ni-Nominalphrase auftritt, als transitiv statt intransitiv, vgl. u.a. Klaiman 1983: 48ff. (z.B. S.50 "There seems to be no explicit criterion for identifying 'dative object' constructions in Japanese."). Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Kuno (1978a: 65) die Nominalphrase mit ni beim Verb a-u 'begegnen, treffen' als "IO", d.h. als indirektes Objekt angibt. Demnach soll es im Japanischen auch ein indirektes Objekt ohne direktes Objekt geben können, denn es ist bei a-u und vielen anderen Prädikaten nicht möglich, dass eine Nominalphrase mit o neben der ni-Nominalphrase oder statt dieser auftritt.

203

Bei diesen Verben ist der Partizipant, der mit ni oder kara markiert werden kann, derjenige, der eine Handlung durchführt, die bzw. deren Produkt der Partizipant mit ga erhält. Ni, das sonst ein Ziel angibt und so konträr zu kara steht, ist hier also mit der Agentivität der Quelle verbunden, so dass Kuno (1978a: 109f., 1987b: 305) diesen Typus "secondary agent" nennt. Es sei erwähnt, dass der Partizipant, der mit ni markiert wird, manchmal einer AkkusativNominalphrase im Deutschen entspricht, z.B.: (6.12) A ga B ni C o tanom-u (6.13) A gaBniCo sii-ru / kyoosee=su-ru (6.14) A ga B ni C o motome-ru / yookyuu=su-ru

bittet B um C zwingt B zu C'. verlangt C (= etwas) von B'

Wie diese Beispiele zeigen, weist der mit ni markierte Partizipant eine hohe semantische Konstanz als Adressat der Handlung von A auf. Das ist wahrscheinlich mit ein Grund dafür, warum ni auch in identitätsfestlegenden Äußerungen resistent ist, wenn es sich um eine Konstellation dreier Partizipanten handelt wie in (5.66 c). Wenn A durch seine auf B gerichtete Handlung ihn, B, zu einer Handlung veranlassen soll, die bzw. deren Produkt A dann erhalten soll, kann B neben ni auch mit kara markiert werden. Das ist bei dem zuletzt genannten Beispiel mit motome-ru und yookyuu=su-ru 'verlangen' der Fall, die sich daher analog zu mora-u 'bekommen' u.a. verhalten. Die oben genannten Beispiele mit 'bitten', 'zwingen' und 'verlangen' implizieren im Übrigen alle, dass B nicht nur Adressat, sondern auch derjenige ist, der eine Handlung ausüben soll, die durch die auf ihn gerichtete Handlung von A veranlasst wurde. So haben sie dasselbe Kasusmarkierungsschema wie das Produkt der Kausativierung eines Satzes mit zwei Partizipanten (vgl. 1.1.8): (6.15) (a) B ga heya no soozi o su-ru. wörtl.: 'B tut Putzen des Zimmers' = 'B putzt das Zimmer.' (b) A ga B ni heya

no

soozi o s-ase-ru.

Zimmer N.ADN Putzen lässt B das Zimmer putzen.'

tun-KAUS-PRÄS

Wenn der Ausgangssatz kein Adjunkt mit o hat, auch nicht latent, kann derjenige Partizipant wie B oben, der zu einer Handlung veranlasst wird, im kausativierten Satz sowohl mit ni als auch mit o markiert werden, während der Veranlasser, A, die Markierung mit ga erhält, z.B. (vgl. (1.9 a) in 1.1.4.2): (6.16) A ga B ni/o Kerun ni ik-ase-ru ' A lässt B nach Köln fahren'. Die Markierung von B mit o spiegelt die Erzwungenheit von B's Aktion wider, z.B. A zwingt B, nach Köln zu fahren. Demgegenüber deutet die Markierung mit ni an, dass B die Handlung mehr oder weniger freiwillig tut; eine der Möglichkeiten ist, dass B es will, und

204 dass A es B erlaubt, z.B. A erlaubt, dass B nach Köln fährt (vgl. z.B. Sasaki 1971: 63f., Shibatani 1976, Matsubara 1991: 604ff.). Neben dem Kausativ weist auch ein Typus des Passivs das ga-ni-o-Schema auf. Wenn der Ausgangssatz ein Adjunkt mit o hat, gibt es zwei Passivierungsmöglichkeiten: (6.17) (a) Sensee [ w a / g a ] watasi no Lehrer

kodomoo

home(-mas-i)-ta.

Kind

loben(-HON-ADV)-PRÄT

'Der/Die Lehrer/-in lobte mein Kind.' (b) (i) Watasi no kodomo {wa / ga} sensee ni

home-rare(-mas-i)-ta. loben-PASS(-HON-ADV)-PRÄT 'Mein Kind wurde von dem/der LehrerAin gelobt.' (vgl. (1.27) in 1.1.8)

(b) (ii) Watasi wa (/ ga) sensee ni kodomoo home-rare(-mas-i)-ta. etwa: 'Mir wurde mein Kind von dem/der LehrerAin gelobt.' Während das Adjunkt mit o in (6.17 a) zu demjenigen mit ga in (b i) verschoben wird, bleibt es in (b ii) in derselben Markierung, so dass sich in (b ii) das Schema mit ga, ni und o ergibt. Der hauptsächliche Bedeutungsunterschied zwischen (b i) und (b ii) besteht darin, dass der Adressat der lobenden Worte des Lehrers / der Lehrerin in (b i) das Kind ist, während der Adressat in (b ii) der/die Sprecher/-in ist, auf den/die mit watasi referiert wird. Bemerkenswert ist, dass es keinen Aktivsatz gibt, der mit demselben Prädikat home-ru 'loben' diesen Unterschied widerspiegeln kann, solange nicht eine Auxiliarisierung oder eine Nebensatzkonstruktion eingeführt wird. Auch hier ist die prädikatsgebundene Natur der Kasusmarkierung ni gut erkennbar, weil sie nicht von sich aus in einem Satz wie (6.17 a) auftreten kann. Sie kann nur dann auftreten, wenn ein Prädikat steht, das ihr Vorkommen erlaubt, oder wenn ein grammatischer Prozess wie Kausativierung oder Passivierung angewandt wird. Hier kontrastiert ni mit dem Dativ in vielen europäischen Sprachen, der als "freier" Dativ recht uneingeschränkt auftreten kann (vgl. Ono 1991: 353ff.). Wenn der Ausgangssatz schon drei Adj unkte mit ga, o und ni hat, gibt es wiederum zwei Passivierungsmöglichkeiten, wie in (6.18) mit (5.61) als Ausgangssatz: (5.61) Satoo-san { w a / g a } Katoo-san ni Sano-san o syookai=si(mas-i)-ta. 'Herr/Frau Sato stellte Herrn/frau Kalo Herrn/Frau Sano vor." (6.18) (a) Sano-san {wa/ga} Satoo-san kara Katoo-san ni syookai=s-are(-mas-i)-ta. vorstellen-PASS(-HON-ADV)-PRÄT 'Herr/Frau Sano wurde von Herrn/Frau Sato (dem) Herrn/(der) Frau Kato vorgestellt.' (b) Katoo-san {wa/ga} Satoo-san {ni/kara} Sano-san o syookai=s-are(-mas-i)-ta. etwa: 'Herrn/Frau Kato wurde Herr/Frau Sano von Herrn/Frau Sato vorgestellt.' Das Beispiel (6.18 a) weist daraufhin, dass die Kasusmarkierung, die zu dem Basisschema bei dem gegebenen Prädikat gehört, resistenter ist als diejenige, die durch eine grammatische Operation eingeführt wird. Denn das Adjunkt, das im Passivsatz mit ni markiert ist, ist

205

dasjenige, das auch vor der Passivierung dieselbe Markierung hatte, während der Passiv-Agens mit kara statt dem zu erwartenden ni markiert wird. Die Markierung des Passiv-Agens mit kara ist, wenn dieser als räumlicher Ausgangspunkt einer Handlung aufgefasst werden kann, auch in solchen Passivsätzen möglich, in denen kein Adjunkt mit ni vorkommt und daher an sich keine Ambiguität der Partizipantenrolle der Nominalphrase mit ni besteht, z.B. (6.17). Anders als z.B. von im Deutschen ist die Agens-Markierung mit kara nicht bei jedem Prädikat möglich, sondern nur bei denjenigen, die eine auf einen Adressaten mit räumlicher Distanz gerichtete Handlung bezeichnen. Diese Tatsache ist einer der Reflexe der hochgradigen semantischen Konstanz von kara. In (6.18 b) ist außerdem ersichtlich, dass es im Japanischen keine grammatische Regel wie im Deutschen gibt, die verbietet, dass eine Dativ-Nominalphrase im Aktivsatz zum Nominativ im Passivsatz wird. Anders als der (präpositionslose) Dativ im Deutschen, der gegen grammatisch bedingte Verschiebungen der Kasusmarkierung eine starke Resistenz zeigt, ist ni im Japanischen eine in solchen grammatischen Prozessen zentral involvierte Kasusmarkierung.6 Auf diese Weise ist ni nicht minder als o sowohl im Kernbereich der Verbvalenz als auch in den grammatischen Operationen involviert, in denen es oft mit ga in einem Wechselspielverhältnis steht. Wie zwischen (5.61) und dessen Passivversion (6.18 b) tauschen ga und ni auch in (6.3) je nach Verb ihre Partizipantenrollen, während die Markierung des Objektes mit o unverändert bleibt. Wie in (6.3) wird auch in (6.2) eine aus objektiver Sicht gleiche Rolle je nach Verb mit ga oder mit ni markiert, obwohl in diesem Fall das Objekt bzw. die Rolle desjenigen Partizipanten, der gefunden wird, unterschiedliche Markierungen erhält: o bei mituke-ru 'finden' und ga bei mitukar-u 'sich finden lassen, gefunden werden". Dieses Verhältnis ist vollkommen parallel zu demjenigen zwischen dem Aktivsatz (6.17 a) und dem Passivsatz (6.17 b i), sowie zwischen (5.61) und (6.18 a). Trotz dieser Verschiebbarkeit der Markierung des Patiens (im weiteren Sinne) beobachten wir einen wesentlich höheren Grad von semantischer Konstanz der Markierung mit o im Vergleich zu der mit ga und ni. Hier ist eine implikative Beziehung zwischen o und der weiter aufgefassten Partizipantenrolle Patiens feststellbar: Während die Markierung des Patiens nicht auf o beschränkt ist, ist die Markierung mit o auf solche passiven Rollen beschränkt, die als affizierte oder effizierte Objekte charkterisierbar sind. In dieser Hinsicht gesellt sich eher o als ni zu den so genannten semantischen Kasusmarkierungen, die im Japanischen vor allem durch kara und de repräsentiert werden. Die mit o markierte Rolle ist anders als bei ga und ni, aber wie im Fall von kara und de, von individuellen Prädikaten abstrahierbar und weitgehend von diesen unabhängig identifizierbar. Die Passivierung im Japanischen zeigt einerseits eine dem Deutschen und anderen europäischen Sprachen fremde Freiheit in der Wahl des Passiv-Subjektes hinsichtlich dessen grammatischem Status im Aktivsatz, so dass die deutschen Übersetzungen nur annähernd die Bedeutung der japanischen Passivsätze wiedergeben können. Andererseits unterliegt sie aber einer sehr starken Beschränkung eben in derselben, der Subjekt-Wahl, weil die pragmatischen Eigenschaften der Partizipanten dabei eine entscheidende Rolle spielen. Zu einer ausführlicheren Darstellung dieses Problems und der Passivierung im Japanischen im Allgemeinen vgl. u.a. Kuno 1987b, Kishitani 1989, Shibatani 1990: 317ff. und Ono 1991.

206

Dass o trotzdem von Prädikaten abhängig ist, zeigt sich darin, dass es allein durch diese bestimmt wird, ob eine Nominalphrase mit o auftreten kann, z.B. (vgl. (1.17) in 1.1.6): (6.19) (a) A g a Xo/*ga mi-ru vs. (b) A ni Xga/*o mie-ru

sieht X an' sieht X'.

In diesem Sinne ist o eine von individuellen Prädikaten abhängige, an diese gebundene Kasusmarkierung, während kara und de keiner solchen über die Selektionsrestriktion hinausgehenden Gebundenheit und Abhängigkeit von bestimmten Prädikaten unterliegen.

6.3. Grad der Prädikatsabhängigkeit lokaler Angaben

Wenn wir von grammatischen Operationen absehen, ist auch das Vorkommen von ni bis auf dessen Gebrauch für die Zeitangabe von Prädikaten abhängig. Anders als ga kann ni nicht bei jedem Prädikat auftreten. Wie wir oben gesehen haben, wird es allein von Prädikaten her bestimmt, welche Partizipantenrolle die Markierung mit ni erhalten soll bzw. kann, und ob überhaupt ein Adjunkt mit ni auftreten darf. Auch in der Funktion der Angabe eines Zielortes oder einer statischen Lokation, die auf den ersten Blick danach aussieht, eine zirkumstantielle, sogenannte "freie" Angabe zu sein, kann ni nur bei bestimmten Prädikaten auftreten. So können nicht alle Prädikate, die einen dynamischen Vorgang bezeichnen, eine Zielangabe mit ni bei sich haben, wie in den folgenden Beispielen (vgl. (5.34)): (6.20) (a) Kono

kisya wa Kerun *ni

dies:ADN Zug

TOP

hasir(-i-mas-)-u. fahren(-ADV-HON-)-PRÄS

(b) Kono kisya wa Kerun ni {ik-/*hasir-}(-i-mas-)-u. 'Dieser Zug fährt nach Köln.' Diese Beispiele zeigen, dass die Zielangabe mit ni nur dann möglich ist, wenn ein entsprechendes Verb, wie ik-u 'gehen, fahren' hier, vorkommt. D.h. anders als eine freie Angabe kann eine Nominalphrase mit ni nicht 'Von sich aus" zu jedem Satz hinzutreten, auch wenn durch diesen eine dynamische Bewegung ausgedrückt wird. Dass diese Beschränkung über den Rahmen der Selektionsrestriktion hinausgeht, wird dadurch gezeigt, dass die Angabe des Endpunktes einer Bewegung auch bei hasir-u 'fahren, rennen' möglich ist, wenn dieser mit made kodiert wird (vgl. (5.26/56)). D.h. die obigen Beispiele werden dann akzeptabel, wenn made statt ni steht. Umgekehrt ist es nötig, ein entsprechendes Verb wie ik-u oder muka-u 'entgegengehen, -fahren, Richtung (zu einem bestimmten Ziel) nehmen' zu verwenden, wenn man mit ni ein Ziel angeben will. Diese Verben geben allerdings keine Auskunft über die Art der Fortbewegung. Wenn man die Art der Fortbewegung genauer darstellen und zugleich auch das Ziel angeben will, muss man neben einem der Verben, die die Fortbewegungsart beschreiben, z.B. hasir-u 'rennen, fahren' und aruk-u 'zu Fuß gehen',

207

auch ik-u oder muka-u mit verwenden, wie in den folgenden Beispielen - der Prädikatskomplex in (b) entspricht dem deutschen Verb rennen (zu einem Ziel), während in (a) die Fortbewegungsart 'rennen' betont wird und so zur normalen Art 'zu Fuß' in Kontrast gesetzt wird (vgl. auch Ikegami 1981: 263f., 1996: 61f.) -: (6.21) (a) Watasi wa

hasit-te

rennen:ADV-CJ 'Ich renne zum Bahnhof.'

eki

ni ik(-i-mas)-u.

Bahnhof

(b) Watasi wa eki ni hasit-te ik(-i-mas)-u. (c) Watasi wa eki ni mukat-te

'Ich renne zum Bahnhof.'

hasir(-i-mas)-u.

s.richten:ADV-CJ 'Ich renne zum Bahnhof hin.'

Vgl.: (d) Watasi wa eki made/*ni hasir(-i-mas)-u.

'Ich renne bis zum Bahnhof.'

Man beachte, dass der Bahnhof in (6.21 d) nicht (unbedingt) das Ziel, sondern nur der Endpunkt der Handlung 'rennen' ist. Wenn eine Nominalphrase mit ni bei den Verben hasir-u oder aruk-u 'zu Fuß gehen' steht, was allerdings seltener vorkommt, wird sie nicht als Ziel, sondern als statische Lokation verstanden, die aber im Gegensatz zur Lokationsangabe mit de oder o (vgl. (5.33) und Fußnote 5.nl4 in 5.5) eher generisch aufgefasst wird und auf Existenz bzw. Zugehörigkeit bezogen wird, wie im folgenden Beispiel:7 (6.22) Mati no toori ni wa, iroiro-na zidoosyaga hasit-te-i-mas-u. Stadt N.ADN Straße TOP verschieden-ADN Auto fahren: AD V-CJ-DUR-HON-PRÄS 'Auf den Straßen einer Stadt fahren verschiedene Fahrzeuge.' Gehen wir also zur Lokationsangabe mit ni über. Wie eben festgestellt, hängt ni für Ortsangabe sehr eng mit Existenz bzw. mit Zugehörigkeit zusammen, so dass es für die Angabe des Ortes einer individuellen Handlung oder eines konkreten Vorganges nicht gebraucht wird. Wenn man eine konkrete Straße sieht und feststellt, dass viele verschiedene Fahrzeuge gerade fahren, verwendet man o oder, wenn auch seltener, de. Da die Beziehung zwischen der Lokation mit ni und dem Gegenstand mit ga keine okkasionelle ist, muss das Prädikat dementsprechend eine solche Handlung bezeichnen, die sich auf eine dem Gegenstand immanente Eigenschaft bezieht, z.B. hasir-u 'fahren' bei Fahrzeugen. Daher wird der Satz in (6.22) inakzeptabel, wenn statt hasit-te-i-mas-u z.B. kosyoo=si-te-i-mas-u 'sind kaputt' stünde, oder hito 'Mensch(en)' statt zidoosya 'Fahrzeug(e)'. Im Fall von kosyoo=si-te-i-mas-u müsste, wenn überhaupt, de statt ni stehen (o ist nicht möglich, weil es sich hier nicht mehr um eine Bewegung handelt); bei hito müsste als Prädikat arui-te-i-mas-u 'gehen (zu Fuß)' stehen, weil die Handlung, die von Menschen auf einer Straße erwartet wird, nicht das (6.22) stammt aus dem Japanisch-Lehrbuch Kokugo l (Band l, S.81) für Erstklässler in der Grundschule, vom Verlag Mitsumura-Tosho-Shuppan (= Mitumura-Tosyo-Syuppan), Tokyo 1991.

208

Rennen, sondern das Gehen ist (daher ist auch etwas wie sawai-de-i-mas-u 'lärmen' hier nicht möglich, vgl. (6.23 c) unten). Auf diese Weise setzt die Angabe einer statischen Lokation mit m voraus, dass der gegebene Satz eine in zweifacher Hinsicht inhärente Beziehung darstellt. Hingegen leidet de unter keiner solchen Beschränkung. Auch o ist weitgehend von solcher Inhärenzbedingung frei, ist aber auf Bewegungsverben beschränkt. Stellen wir diese Beschränkungen anhand von Beispielen zusammen: (6.23) (a) Toori {(i) ni wa l (ii) o l (iii) de (wa)} hito Straße

Mensch

ga takusan arui-te-i-mas-u. viel

gehen:ADV-CJ-DUR-HON-PRÄS

'Auf {(i) (den) Straßen /(ii) der/den Straße/-n /(iii) der Straße} gehen viele Menschen.' (b) Toori {(i) *ni (wa) l (ii) o l (iii) de (wa)} hito ga takusan hasit-te-i-mas-u. 'Auf {(ii) der/den Straße/-n /(iii) der Straße) rennen viele Menschen.' (c) Toori {*ni (wa) l*ol de (wa)} hitoga takusan sawai-de-i-mas-u. lärmen:ADV-CJ-DUR-HON-PRÄS 'Auf der Straße lärmen viele Menschen (vor Aufregung).' Der Zusammenhang, der hier dargestellt wurde, weist darauf hin, dass das Vorkommen von o auch bei der Lokationsangabe unmittelbar vom jeweiligen Prädikat abhängt, während die Möglichkeit der Verwendung von ni nur mittelbar, über die Beziehung zwischen dem Partizipanten mit gaund einer Handlung bzw. einem Vorgang als seiner immanenten Eigenschaft, vom Prädikat abhängig ist. Es gibt aber einige Prädikate, die die Markierung mit ni für die Ortsangabe verlangen, wie i-ru 'dasein' (bei Lebewesen), oder mindestens bevorzugen, wie sum-u 'wohnen', oder aber für eine bestimmte Bedeutung verlangen, wie ar-u 'da/vorhanden sein', oo-i 'viel (vorhanden) sein', sukuna-i 'wenig (vorhanden) sein' und na-i 'nicht vorhanden sein'. Nun sehen wir, dass die Handlungen der Prädikate, die bei den obigen Beispielen die Lokationsangabe mit ni ermöglichten, die typische "Daseinsform" des Bezeichneten des Nomens mit ga auf dem gegebenen Ort darstellen: Straße - Fahrzeuge - fahren, Straße - Menschen - gehen. Außerdem bemerken wir, dass auch bei diesen Relationen nicht nur die Existenz per se, sondern auch die Menge von Bedeutung zu sein scheint So wird die Akzeptabilität der Beispiele (6.22) und (6.23 a i) merklich geringer, wenn iroiro-na 'verschiedene' oder takusan 'viele' nicht stünde. Die Verwendung von ar-u 'da/vorhanden sein' für (6.22) ist nicht möglich, weil dieses Verb einen statischen Zustand ausdrückt. D.h. ar-u ist dann möglich, wenn es um Fahrzeuge geht, die auf Straßen stehen (in diesem Fall wird allerdings tomat-te-i-ru [halten-CJ-DUR-PRÄS] 'halten, stehen', vgl. (6 28 d), bevorzugt), oder um Sachverhalte wie 'in Deutschland gibt es viele Fahrzeuge'. Eine analoge Situation gilt auch für das Deutsche, in dem man üblicherweise nicht etwa 'es gibt viele Fahrzeuge auf (den) Straßen', sondern 'auf (den) Straßen fahren viele Fahrzeuge' sagt, auch wenn nicht die Bewegung, sondern die Existenz von Wichtigkeit ist. Im Deutschen scheint diese Tendenz recht ausgeprägt zu sein, weil man mit Vorliebe z.B. 'auf dem Tisch

209

liegen (viele) Bücher' oder 'im Regal stehen (viele) Bücher' statt 'auf dem Tisch / im Regal gibt es (viele) Bücher' oder 'auf dem Tisch / im Regal sind (viele) Bücher (da)' sagt. Im Japanischen kann in diesem Fall nur ar-u 'dasein' stehen (vgl. z.B. (2.1); für "stehen" kann jedoch auch tat-te i-ru [aufstehen-CJ-DUR-PRÄS] 'stehen' gebraucht werden). Aber auch im Japanischen kann ar-u selbst bei Gegenständen, die sich nicht bewegen, nicht ohne weiteres stehen, z.B. bei Blumen oder Blüten, die in ihrem natürlichen Zustand sind (d.h. nicht geschnitten auf einem Tisch liegend o.a.). Auf den ersten Blick gibt es keine Gemeinsamkeit zwischen ar-u 'da/vorhanden sein' und sai-te-i-ru 'blühen' (\onsak-u '(aufblühen1), aber da das Blühen die einzig mögliche natürliche Existenzform für Blumen oder Blüten ist (m.a.W.: das Nomen hana 'Blume, Blüte' impliziert den Vorgang "(aufblühen", und sein Denotatum existiert nicht vor dem Aufblühen, und streng genommen auch nicht nach dem Abblühen), ist das Verb dementsprechend in Bezug auf diese synonym mit 'dasein'. Das Verb 'blühen' stellt somit die einzige Möglichkeit der Beschreibung der Existenz von Blumen/Blüten im natürlichen Zustand dar. Daher erscheint eher ni als de für die Lokationsangabe, wenn z.B. Blumen im Garten blühen, wobei die An- und Abwesenheit des Ausdrucks der Menge genau so wie bei ar-u entbehrlich ist. Demgegenüber kommt ni nicht mehr in Frage, wenn von verwelkten Blumen im Garten die Rede ist. Ähnlicherweise kann ni für die Ortsangabe spielender Kinder nicht gebraucht werden, denn weder das Spielen ist die Existenzform der Kinder (m.a.W.: das Spielen ist nicht die Bedingung, die für die Existenz des Denotatums des Wortes kodomo 'Kind' erfüllt sein muss) noch haben diese im Gegensatz zu Blumen eine inhärente Beziehung zu einem Ort wie Garten. In diesem Fall kann nur de verwendet werden: (6.24) (a) Niwa {m l Garten

de] hana ga Blumen

sai-te-i{-ru/-mas-u}. blühen: AD V-CJ-DUR {-PRÄS / -HON-PRÄS}

'Im Garten blühen Blumen.' (b) Niwa {(i) *ni l (ii) (?) de / (iii) no) hana ga kare-te-i {-ru /- mas-u }. verwelken:ADV-CJ-DUR(STAT)

{-PRÄS/-HON-PRÄS} '(ii) 'Im Garten sind Blumen verwelkt.' / (iii) 'Blumen im Garten sind verwelkt.' (c) Niwa [*ni l de] kodomo(-tati) ga ason-de-i{-ru / -mas-u}. Kind(-PL)

spielen:ADV-CJ-DUR{-PRÄS / -HON-PRÄS}

'Im Garten spielen Kinder.' Wir beobachten hier einen Übergang zwischen der mittelbaren und der unmittelbaren Prädikatsabhängigkeit. Auch die Prädikate, von denen ni für die Lokationsangabe unmittelbar abhängt, d.h. diejenigen, die für die Lokationsangabe ni verlangen, zeigen interessante Erscheinungen, die Unterschiede im Inhärenzgrad widerspiegeln:

210 (6.25) (a) Berurin ni Doitu no kokkai ga ar-(i-mas-)u. Berlin Deutschland N.ADN Parlament dasein-(ADV-HON-)PRÄS 'In Berlin befindet sich der Deutsche Bundestag (bzw. dessen Gebäude).' (b) Berurin de Doitu no kokkai ga ar-(-i-mas-)u. 'In Berlin findet der Deutsche Bundestag (d.h. dessen Versammlung) statt,' Natürlich können solche scheinbaren Minimalpaare zwischen ni und de nur dann gefunden werden, wenn das Nomen, das vorga steht, doppeldeutig ist. Die Wahl der Kasusmarkierung für die Lokationsangabe bei ar-u sowie bei na-i 'nicht da/vorhanden sein' wird danach bestimmt, ob es sich dabei um die Existenz und Lage eines Gegenstandes oder um ein Ereignis handelt, z.B.: (6.26) (a) Berurin {ni/*de} kokkai no tatemonoga ar-(i-mas-)u. Gebäude 'In Berlin befindet sich (d.h. steht) das Bundestagsgebäude.' (b) Berurin [*ni/de] kokkai no tooron ga ar-(i-mas-)u. Debatte 'In Berlin findet die Bundestagsdebatte statt.' Wenn die Prädikate sich nicht auf die kategorische Existenz vs. Nicht-Existenz, sondern auf die Quantität beziehen, gibt es eine Skala mit einer Überlappungszone von ni und de, z.B.: (6.27) (a) Nihon {ni/*de} wa kazan ga oo-i (des-u). Japan

Vulkan

viel.sein-PRÄS (HON-PRÄS)

'In Japan gibt es viele Vulkane.' (b) Nihon {ni/de] wa zisin ga oo-i (des-u). Erdbeben 'In Japan gibt es viel/oft Erdbeben.' (c) Nihon {lni/de} wa kazi gaoo-i (des-u). Brand 'In Japan gibt es oft Brände.' (d) Nihon [*ni/de] wa ziko ga oo-i (des-u). Unfall 'In Japan gibt es viele/oft Unfälle.' Die Kasusmarkierung ni reflektiert den höheren Inhärenzgrad der Beziehung zwischen dem Bezeichneten des ga-Adjunktes und der Lokation. Da ni untrennbar mit einer inhärenten Beziehung verbunden ist, unterliegt es einer starken Einschränkung bei Prädikaten, bei denen es auftreten kann. Eine weitere Eigenschaft von ni, die dessen Prädikatsgebundenheit widerspiegelt, ist, dass es auch bei der Durativisierung/Stativisierung der Verben unverändert erhalten bleibt. Dadurch bekommt ni, das an sich für das dynamische Ziel der Handlung / des Vorganges

211

vor der Durativisierung/Stativisierung des Verbs mittels -te-i-ru steht, das Aussehen, als ob es unmittelbar eine statische Lokation markierte, z.B.: (6.28) (a) (i) (ii) (b) (i) (ii) (c) (i) (ii) (d) (i) (ii) (e) (i) (ii)

kisya ni nor-u kisya ni not-te-i-ru isu ni suwar-u isu ni suwat-te-i-ru Kerun ni ik-u Kerun ni it-te-i-ru

'in den Zug einsteigen' 'im Zug fahren/sitzen' 'sich auf einen Stuhl hinsetzen' 'auf einem Stuhl sitzen' 'nach Köln fahren' 'in Köln sein (als Ergebnis dessen, dass man dahin gefahren ist)' X ni tomar-u 'an X zum Stillstand kommen' z.B. toori ni tomar-u 'auf der Straße halten' toori ni tomat-te-i-ru 'auf der Straße stehen (bei Fahrzeugen)' daigaku ni tutome-ru 'sich zu einer Hochschule als Arbeitsstätte begeben (d.h. bei einer Hochschule angestellt werden)' daigaku ni tutome-te-i-ru 'bei einer Hochschule angestellt sein'.

Wenn ein Verb keine Zielangabe mit ni erlaubt, kann ni dementsprechend auch nach der Durativisierung/Stativisierung des Verbs nicht auftreten, z.B. asob-u 'spielen' in (6.24 c) und hatarak-u 'arbeiten'. In diesem Fall ist nur de, bzw. je nach dem Verb o, für die Ortsangabe möglich. Wir glauben, dass klar geworden ist, in welchem Ausmaß ni auch in seinen lokalen Funktionen von Prädikaten abhängt. M unterscheidet sich in seiner starken Gebundenheit an Prädikate sowohl hinsichtlich seines Vorkommens als auch in Bezug auf seine Bedeutung von Adpositionen wie to im Englischen.

6.4. Grad der Abhängigkeit der Prädikate von Adjunkten und Kasusmarkierung als dessen Widerspiegelung Die Kehrseite der Gebundenheit der Kasusmarkierung an Prädikate ist, dass die letzteren selber vom Vorkommen der ersteren abhängen, um einen vollständigen Satz darzustellen. Da es im Japanischen keine Regeln gibt, die das obligatorische Vorkommen bestimmter Satzelemente vorschreiben (vgl. 1.1.9, 1.3.2), ist es dementsprechend schwierig, von der Vollständigkeit eines Satzes zu reden. Die japanischen Entsprechungen von z.B. *legt oder *legte sind wohl grammatisch. Ebenso sind diejenigen von *ich lege, *ich lege das Buch oder *ich wohne (vgl. z.B. Vater 1981: 224f., Welke 1988: 23) problemlos möglich. Aus grammatischer Sicht gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, wann ein Satz vollständig ist. Aber aus pragmatischer Sicht setzt die Vollständigkeit eines Satzes voraus, dass er verständlich ist, und dies setzt wiederum voraus, dass die Elemente, die im aktuellen Satz nicht erwähnt

212 werden, im Kontext identifizierbar sind. Es handelt sich hier also um Weglassung als Null-Anapher, die funktional der Pronominalisierung in den meisten europäischen Sprachen entspricht (vgl. z.B. Shibatani 1990: 360ff„ vgl. auch I.n49). Wenn ein Satz deswegen unverständlich wird, weil ihm ein Element fehlt, das im Kontext nicht auffindbar ist, ist er auch im Japanischen trotz seiner Grammatikalität inakzeptabel. Die Abhängigkeit eines Prädikates von Adjunkten, m.a.W., die Valenz eines Prädikates, kann man im Japanischen daher dadurch testen, dass man untersucht, wieweit es ohne Kontext ohne Adjunkte verstanden werden kann und welche Adjunkte für die Verständlichkeit benötigt werden. Vergleichen wir die folgenden Sätze: (6.29) (a) Sun-de-i-mas-u-ka?

'Wohnen Sie?'

wohnen:ADV-CJ-DUR-HON-PRÄS-Q

(b) Kuras-i-te-i-mas-u-ka?

'Leben Sie?'

leben-ADV-CJ-DUR-HON-PRÄS-Q

Wenn man jemanden kontextlos mit (6.29 a) konfrontiert, wird man mit Sicherheit eine verlegene Antwort wie Ha? 'Wie bitte?' erhalten. Wenn man aber mit (6.29 b) fragt, wird die gefragte Person etwa Ha... hai, nantoka ' J...ja, doch, irgendwie' antworten. Also gibt es auch im Japanischen eine valenzbezogene Erscheinung, die der Inakzeptabilität von Ich wohne im Deutschen entspricht. Besonders interessant ist, dass es im Japanischen etwas zu geben scheint, das die Zugehörigkeit eines Adjunkts zur Verbvalenz widerspiegelt, nämlich die Kasusmarkierung. Vergleichen wir die folgenden Beispiele: (6.30) (a) Watasi wa (/ga) Tookyoo [ni/*de] sun-de-i-mas-u. 'Ich wohne in Tokyo.' (b) Watasi wa (/ga) Tookyoo { /de} kuras-i-te-i-mas-u. 'Ich lebe (= führe das Alltagsleben) in Tokyo.' (c) Watasi wa (/ ga) Tookyoo {*ni/de] hatara-i-te-i-mas-u. arbeiten-ADV-CJ-DUR-HON-PRÄS 'Ich arbeite in Tokyo.' Was sich im Deutschen in der Obligatorietät des Vorkommens der Ortsangabe zeigt, wird im Japanischen durch die unterschiedlichen Kasusmarkierungen widergespiegelt. Während die Ortsangaben im Deutschen trotz des Unterschiedes in der Obligatorietät gleich mit in markiert werden, weisen die japanischen Ortsangaben trotz der unterschiedlichen Kasusmarkierungen die gleiche Weglassbarkeit auf. Eine weitere Parallele zwischen den beiden Sprachen ist, dass die Ortsangabe bei dem Verb für 'wohnen' dann einen anderen Status bekommt, wenn eine zusätzliche Angabe im Satz hinzutritt. Im Deutschen ist die Ortsangabe dann nicht obligatorisch, wenn eine solche Angabe wie mit jemandem hinzutritt, z.B. Ich wohne zusammen mit Anna (vgl. Vater 1978: 36, Welke 1988: 39; vgl. auch Feuillet 1995: 179, Lazard 1995: 155 zur franz. Entsprechung mit habiter). Analog kann im Japanischen die Ortsangabe in diesem Fall die Markierung de statt ni erhalten, auch wenn die Position der Angaben dabei eine große Rolle spielt:

213

(6.31) (a) Watasi wa(/ga) Tookyoo {(i) nil(\\)de\ kazokuto

issyo-ni sun-de-i-mas-u.

Familie KÖM zusammen

(i) 'Ich wohne zusammen mit meiner Familie in Tokyo.' (ii) 'Ich wohne in Tokyo zusammen mit meiner Familie.' (kursiver Teil betont) (b) Watasi wa (/ ga) kazoku to issyoni Tookyoo {ni 1*1 de} sun-de-i-mas-u. 'Ich wohne zusammen mit meiner Familie in Tokyo.' De wird für die Ortsangabe auch dann verwendet, wenn ein größerer Rahmen des Wohnortes angegeben werden soll: (6.32) (a) Watasi wa(/ ga) Tookyoo (*ni/de} apaato {ni/ *de] sun-de-i-mas-u. Wohnung 'Ich wohne in Tokyo in einer Mietswohnung.' Vgl.: (b) Watasi wa(/ ga) Tookyoo no apaato (ni/ *de] sun-de-i-mas-u. 'Ich wohne in einer/meiner Tokyoter Wohnung.' M reflektiert also die Valenzzugehörigkeit der Ortsangabe zu dem gegebenen Prädikat. Man kann eine ähnliche Erscheinung auch bei dynamischen Verben beobachten. Wir haben in 6.3 gesehen, dass die Möglichkeit der Zielangabe mit ni vom Vorkommen bestimmter Verben wie ik-u 'gehen, fahren' abhängt. Ik-u und muka-u 'Richtung nehmen' sind Verben für eine zielgerichtete Bewegung, m.a.W. telische Verben, die das Vorhandensein eines Ziels implizieren. Hier unterscheiden sie sich von den "reinen" Bewegungsverben wie hasir-u 'rennen, fahren' in (6.20)ff. und aruk-u 'zu Fuß gehen' in (6.23 a), die zur genaueren Darstellung der Art der Fortbewegung gebraucht werden. Für diese ist ein Ziel nicht nur unwichtig, sondern auch nicht ohne weiteres enkodierbar, wie wir oben gesehen haben. Sie sind also keine telischen Verben.8 Daher ist eine Aussage wie (6.33) ein vollständiger Satz:

8

Der Unterschied zwischen ik-u 'gehen, fahren' (und auch 'fliegen' im heutigen Kontext) und solchen Bewegungsverben wie aruk-u 'zu Fuß gehen', hasir-u 'rennen, fahren' und tob-u 'fliegen', die die Art einer Bewegung spezifizieren, wird durch den aspektuellen Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei der Auxiliarkonstruktion mittels -te i-ru (vgl. (6.28)) deutlich gezeigt. Während bei it-te (< ik-i- + -te) i-ru 'gegangen sein' Resultativität nach der Ankunft am Ziel zum Ausdruck kommt (z.B. (6.28 c) Kerun ni it-te i-ru 'Er/Sie/Sie ist/sind nach Köln gefahren und ist/sind jetzt dort'), wird bei arui-te (< aruk-i- + -te) i-ru 'beim Gehen sein' u.a. Durativität (bzw. Progressivität) ausgedrückt. Die letzteren Bewegungs verben werden daher in der japanischen Linguistik zusammen mit transitiven Verben als Handlungsverben klassifiziert (vgl. z.B. Jacobsen 1982b). Das deiktische Gegenstück von ik-u, ku-ru 'kommen', verhält sich parallel zum ersteren, z.B. Kerun ni ki-te i-ru 'Er/Sie/Sie ist/sind nach Köln gekommen und ist/sind jetzt dort (= hier in Köln)'. Wegen ihrer telischen Natur werden ik-u und ku-ru in verschiedenen Konstruktionen als Auxiliare, unter anderem für Aspektualität und für sprecherbezogene Richtung einer Handlung gebraucht (vgl. z.B. Kuno 1978a: 106f., 1987a: 250ff., Shibatani 1990: 380ff.). Demgegenüber haben die bewegungsbezogenen Handlungsverben wie aruk-u u.a. keine Auxiliarverwendung.

214

(6.33) A, kisya ga hasit-te-i-ru!

'Schau, dort fährt ein Zug!'

Hingegen ist eine Aussage wie Kono kisya ga ik-i-mas-u 'Dieser Zug fährt' in (5.56 b i) eine elliptische Aussage, bei der das nicht erwähnte Ziel im Kontext zu suchen ist. Wenn kein solcher Kontext vorhanden ist, ist diese Aussage sinnlos, d.h. pragmatisch inakzeptabel. Diese Situation wird auch durch die folgenden Beispiele verdeutlicht. (6.34 a) macht nur dann Sinn, wenn das nicht erwähnte Ziel vom Kontext her vorausgesetzt wird. Demgegenüber sagt (6.34 b) auch ohne besonderen Kontext aus, dass der Zug nicht fährt, d.h. stehen bleibt: (6.34) (a) Kono kisya wa ik-i-mas-en. (b) Kono kisya wa hasir-i-mas-en.

'Dieser Zug fährt nicht (zu einem bestimmten, bekannten Ziel).' 'Dieser Zug fährt nicht.'

Aufgrund dieser Beobachtung dürfen wir annehmen, dass die Zielangabe zur Valenz der telischen Verben wie ik-u gehört. Dass ein solches Ziel mit ni markiert wird, stimmt mit unseren bisherigen Beobachtungen überein, dass ni solche Adjunkte markiert, die sehr stark an Prädikate gebunden sind. Bei der Zielangabe kann man allerdings keine parallele Erscheinung zu dem Verhältnis zwischen ni und de bei der statischen Ortsangabe beobachten, bei der der Unterschied in den Kasusmarkierungen die Valenzzugehörigkeit bzw. den Grad der Bindungsenge zum Prädikat der Angabe widerspiegelt. In der Funktion der Richtungsangabe unterscheidet ni sich nur geringfügig von e: während ni das Ziel, das erreicht werden soll ("zu welchem Ziel?'), angibt, bringt e die Richtung, die am Ausgangspunkt genommen wird, zum Ausdruck ("vom Ausgangspunkt in welche Richtung?'). E ist daher grundsätzlich durch ni ersetzbar, während das umgekehrte nicht gilt. Der einzige Fall, in dem ni durch e ersetzt wird, ist die Adnominalisierung der Zielangabe. Da ni nicht vor dem Adnominalisator no stehen kann (vgl. 3.6, 5.6), muss es durch e ersetzt werden, wenn bei einem nominalen Attribut die Gerichtetheit eindeutig gemacht werden soll, z.B.:9 (6.35) (a) Katoo-san e no purezento 'ein Geschenk an(/für) Herrn/Frau Kato'. Während keine formalen Reflexe der Valenzzugehörigkeit der Zielangabe beobachtbar sind, gibt es eine interessante semantische Erscheinung, die in der bevorzugten Interpretation eines markierungslosen Nomens je nach involviertem Prädikat erkennbar ist. Oben in 5.5 wurde erwähnt, dass doko 'Wo, welcher Ort' oder ein Ortsname, Elemente, die bei einem Relativsatz oder einem Cleft-Satz wie in (5.36), Kono kisya ga iku tokoro/no wa Kerun desu, ohne Kasusmarkierung auftreten, beim Verb ik-u bevorzugt als Ziel interpretiert werden ('Der Ort, wohin dieser Zug fährt, ist Köln' für (5.36), vgl. auch Ikegami 1981: 129). Demgegenüber ist die bevorzugte Interpretation der gleichen Ortsbezeichnungen bei den 9

In einem solchem Fall wird im Japanischen aber eher eine Relativsatzkonstruktion verwendet, in dem, wie in einem gewöhnlichen Satz wie (6.3), ni beibehalten wird: (6.35) (b) (Satoo-san ga) Katoo-san ni age-ru/-ta purezento 'das/ein Geschenk, das Herr/Frau Sato Herrn/Frau Kato gibt /gegeben hat'

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Verben hasir-u 'rennen, fahren' oder aruk-u 'zu Fuß gehen' der Ort der Bewegung, der mit o zu markieren ist, wenn er in einem einfachen Satz ohne Relativisierung oder Clefting vorkommt. Wenn wir das Verb ik-u in (5.36) durch hasir-u ersetzen, bekommt der Satz daher die Bedeutung 'Der Ort, in dem dieser Zug fährt, ist Köln'. Diese Bevorzugung des Ortes der Bewegung ist bei hasir-u verständlich, weil es keine Zielangabe zu sich nimmt. Aber die Bevorzugung des Ziels bei ik-u ist nicht selbstverständlich, weil bei diesem sowohl die Zielangabe mit ni als auch die Angabe des Ortes der Bewegung mit o möglich ist. Es sieht daher danach aus, dass die Zielangabe zum Verb ik-u eine engere Beziehung hat als der Bewegungsort. M.a.W.: das Ziel ist zentraler als der Bewegungsort für die telischen Bewegungsverben wie ik-u. Das letzte Beispiel weist darauf hin, dass die bevorzugte Interpretation eines Nomens ohne Kasusmarkierung im allgemeinen mit dem Grad der Zentrizität der Partizipantenrollen bei Prädikaten zusammenhängt. Dies deutet wiederum an, dass gerade solche Rollen, die vom gegebenen Prädikat bevorzugt werden, auch in identitätsfestlegenden Äußerungen ohne Kasusmarkierung auftreten. Ein solches Beispiel war die Eindeutigkeit in der Interpretation der markierungslosen Nominalphrase in der Cleft-Konstruktion (5.39 a), Watasi ga su-/hazime-ru no wa heya no soozi desu, und in der Relativsatzkonstruktion (5.42 a), Watasi ga su-/hazime-ru koto wa heya no soozi desu, beide 'Das, was ich tue / anfange, ist das Putzen des Zimmers', in 5.5. Dort konnte die Nominalphrase nur als diejenige interpretiert werden, die in der einfachen Struktur mit o markiert wird und nicht mit kara. Wenn der Satz so verstanden werden sollte, dass nicht eine Nominalphrase mit o, sondern diejenige mit kara da involviert ist, mußte kara wie in (5.39/42 b) explizit erwähnt werden. Und kara tendierte dazu, auch in identitätsfestlegenden Äußerungen, bei denen eine bestimmte Partizipantenrolle vorausgesetzt wird und die Kasusmarkierung daher redundant ist, mit erwähnt zu werden. Auch die Erscheinung der Resistenz und der Abwesenheit einer Kasusmarkierung in identitätsfestlegenden Äußerungen, mit der wir uns oben beschäftigt hatten, ist also einer der Reflexe des verschiedenen Grades der Zentrizität der Partizipantenrollen für ein Prädikat. Dass ga und o in solchen Äußerungen bis auf eine Ausnahme wie in (5.64) nicht auftreten, ist mit ein Indiz dafür, dass gerade solche Partizipanten, die für die gegebenen Prädikate zentral sind, mit ihnen markiert werden. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen von ni in solchen Äußerungen spiegeln den Unterschied im Zentrizitätsgrad der mit ihm markierten Partizipantenrollen wider, obwohl mit m, wie oben beobachtet, durchaus immer einer der zentralen Partizipanten markiert wird. Diejenigen Partizipanten, die für das gegebene Prädikat besonders zentral sind, kommen in identitätsfestlegenden Äußerungen ohne ni vor. Das sind Ortsangaben, sowohl das dynamische Ziel als auch die statische Lokation, und diejenigen, die "Dativsubjekte" genannt werden (s. 6.2). So macht ni die unterschiedlichen Engegrade der Adjunkte zum Prädikat, sowie des letzteren zu den ersteren, deutlich, die das typisierte einheitliche Verhalten von ga und o nicht zeigt.

7. Transpersonalität der Referenz

7.1. Fehlen von Personen-Indizierung und Transpersonalität verbaler Referenz 7.1.1. Weglassbarkeit von Adjunkten und Null-Anapher Wir haben oben gesehen, dass im Japanischen sogar solche Adjunkte, die durchaus zur Verbvalenz gehören, weglassbar sind. Wir haben ferner in 1.1.4.2 und 5.8 erwähnt, dass die syntaktische Reihenfolge von Adjunkten im Japanischen variabel ist, was damit zusammenhängt, dass diese alle eine explizite Kasusmarkierung erhalten. Es gibt daher z.B. insgesamt 16 syntaktische Kodierungsmöglichkeiten für einen Satz mit einem dreistelligen Prädikat wie syookai=su-ru 'vorstellen' (vgl. (5.61)) oderage-rw 'geben' (vgl. (2,1), (6.3 a)). Nehmen wir das letztere als Prädikat, wird der Geber (= G) mit ga, der Empfänger (= E) mit m und der Gegenstand, der gegeben wird, (= O) jeweils mit o markiert. Die 16 Kodierungsmöglichkeiten sind wie folgt (G, E und O stehen für Adjunkte mit den entsprechenden Kasusmarkierungen), wobei (iv a), G E O V, die am wenigsten kontextsensible Option darstellt:1

(7.1) (i) V

(ü) (a) (iii) (a) (c) (e) (iv) (a) (c) (e)

OV EOV GOV GEV GEoV EGov OGEv

(b) E V (b) O E V (d) O G V EGV (b) G O E V (d) E O G V OEG V

(c) G V

So zeigt die japanische Entpsrechung des russischen Beipsiels (1.30 a i/ii) in 1.1.9, Ty emu peredala moe pis'mo? 'Hast du ihm meinen Brief gegeben?' - Peredala '(Ja,) Ich habe (ihn ihm) gegeben', die Option (7.1 iii a) für den Fragesatz und (7.1 i) für den Antwortsatz: (7.2) (a) Ano hito ni (ano) tegami o {age/watasi} (i)-ta/ii)-masi-ta-ka}. jen:ADN Person (Jen:ADN)Brief {geben / aushändigen} {i) -PRÄT / ii) -HON:ADV-PRÄT-Q} i) 'Hast du ihm/ihr den Brief {gegeben / ausgehändigt}? ii) 'Haben Sie ihm/ihr den Brief {gegeben / ausgehändigt}?

Wenn wir Topikalisierung eines Satzgliedes durch wa mitrechnen, gibt es mindestens noch 15 zusätzliche Kodierungsmöglichkeiten (nicht 16, weil ein Satz, der aus dem Prädikat allein besteht, keine nominale daher topikalisierbare Satzkonstituente hat). Dass unter Umständen sogar mehr als ein Adjunkt eines Satzes topikalisiert werden kann, haben wir bei (6.9 c) und (6.10). in 6.2 beobachtet.

217

(b) ({i)Un/ii) {Hai/Ee}},) {age/watasi} (i) -ta / ii)-masi-ta}. ({i)ja/ii){ja/ja}}) i) und ii) '(Ja,) ich habe ihn ihm/ihr gegeben." Eine Entsprechung von (1.30 a iii), Da, peredala emu 'Ja, ich habe (ihn) ihm gegeben Ohne pronominale Aufnahme von 'Brief, aber mit dem overten Pronomen emu 'ihm' für den Empfänger, ist im Japanischen nur dann möglich, wenn die Identität des Empfängers klargestellt werden soll: (7.3) (a) Ano hito ni (ano) tegami o {age/watasi} (i) -ta(-no)/ii){ta-n-des-u/-masi-ta }-ka). (i) -PRÄT(-SKOMP(=SEMP)) /

ii) {PRÄT-SKOMP-NPRÄD-PRÄS / -HON:ADV-PRÄT}-Q} '{i) Hast du / ii) Haben Sie}ihm/ihr den Brief {gegeben / ausgehändigt}?' (b) {i) Un / ii) {Hai / Ee}}, ano hito ni {age / watasi} {i) -ta / ii) -masi-ta}. i) und ii) 'Ja, ich habeihn ihm/ihr gegeben.' Analog beschränkt sich der overte Ausdruck der angeredeten Person, wie ty 'du' in (1.30 a i), selbst in einem Fragesatz ohne kontextuelle Vorhersagbarkeit auf die Identitätsfestgelegung: (7.4) (a) Anäta ga ano hito ni (ano) tegami o {age/ watasi}{i) -ta-no / ii) ta-n-des-u-ka}. du/Sie '{i) Hast du / ii) Haben Sie} ihm/ihr den Brief {gegeben / ausgehändigt}?' (b) {i) Un / ii) {Hai / Ee}}, watasi ga {age / watasi} {i) -ta / ii) -masi-ta}. ich i) und ii) 'Ja, ich habe ihn ihm/ihr gegeben." Wenn alle Beteiligten und ihre Rollen kontextuell bekannt sind, kann auch ein Fragesatz ohne jedes nominale oder pronominale Satzglied wie (7.2 b) gebildet werden: (7.2) (c) {Age / watasi} {i) -ta(-no) / ii) {ta-n-des-u / -masi-ta} -ka}. '{i) Hast du / ii) Haben Sie} ihm/ihr den Brief {gegeben / ausgehändigt}?' Angesichts der ersatzlosen Weglassbarkeit von Adjunkten würde man auch vom Japanischen erwarten, dass das Prädikat irgendeinen Mechanismus der Partizipanten-Indizierung ("CrossReferencing") aufweisen würde, die sich mehr oder weniger eindeutig auf einen (oder mehr als einen) Partizipanten bezieht, wie die sogenannte Kongruenz in Numerus und Person bzw. Genus in indo-europäischen Sprachen. Dank Kongruenz ist im Russischen, und auch u.a. im Italienischen, ein Satz möglich, der aus einem Prädikat allein besteht wie (1.28 b) und (1.30 a ii / b) in 1.1.9. Die Prädikatsflexion im Japanischen zeigt aber wider Erwarten keinerlei Partizipanten-Indizierung. Wie alle Beispiele bisher gezeigt haben, gibt es im Japanischen keine Flexionskategorien wie Person und Numerus, die die Identität eines Partizipanten obligatorisch widerspiegeln. Trotzdem ist das Prädikat im Japanischen in der

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Lage, allein einen vollständigen Satz zu bilden. Diese Tatsache widerspricht zwar einerseits unserer Erwartung in dem oben dargestellten Sinne, entspricht aber andererseits gerade der Erwartung aus der Sicht der Konsequenz eines Bauprinzips. Japanisch ist eine Dependensmarkierende Sprache ohne jegliche Kopf-markierende Strategie. Das Prädikat ist der Kopf der Relation, die in einem Satz ausgedrückt wird, so dass es in Bezug auf diese Relation keine Markierung erhält. Femer kann es allein einen Satz bilden, weil Dependenten, die in dem Satz auftreten würden, alle mit einer eigenen expliziten Markierung auftreten, die ihre Relation zu deren Kopf eindeutig kennzeichnet.2 Es ist erwähnenswert, dass diese Eigenschaft des Japanischen zwei Linguisten zu zwei konträren Ansichten geführt hat. Während Coseriu (1979, vgl. auch 1980b: 202, 1996: 9, 21ff.) die japanischen Verben alle für "unpersönlich" und nullstellig hält, sieht Hinds (1986b: 14ff.) den Grund der Weglassbarkeit der Adjunkte in der Vorhersagbarkeit der von diesen getragenen Rollen wegen eines starren Valenzrahmens jedes Prädikates. Laut Coseriu (1979: 39ff.) bezeichnen die Verben im Japanischen jeden Vorgang als reines Geschehnis (vgl. auch Ikegami 1981: bes. 94ff., 254ff., 1996), so dass sie keine Handlungsaktanten haben können; ferner haben die postnominalen Markierungen ("Suffixe") wie ga und ni an sich nichts mit dem Verhältnis des Referenten des ihnen vorangehenden Nomens zum Verbalvorgang zu tun, sondern kennzeichnen Text- bzw. Satzrollen, die von den Verbalrollen (Rollen der Teilnehmer gegenüber dem bezeichneten Geschehnis) völlig unabhängig sind. Daher bedeute (7.5) eigentlich 'Bei Jiro gibt es Sagen zu Taro', was im indo-europäischen Kontext als 'Jiro sagt (zu) Taro' auszudrücken ist: (7.5) Ziroo wa Taroo ni yu-u (= i-u) sagen-PRÄS Demgegenüber meint Hinds, dass die Weglassung ("ellipsis"), bzw. Null ("nothing", "absence of a word"), deswegen zur eindeutigen Identifizierung des/der gemeinten Referenten dienen kann, weil die Sprachgemeinschaft die Kenntnisse über den Kasusrahmen jedes Prädikates teilt. Sie weiß, wieviele Adjunkte das betreffende Prädikat verlangt, welche postnominale Markierungen ("postpositional particle") für die Adjunkte bei diesem Prädikat richtig sind, und welche Eigenschaften diese Adjunkte haben müssen. Die Eigenschaften, die die Adjunkte haben müssen, sind das, was wir die Partizipantenrollen nennen, mit denen oft andere Eigenschaften wie Belebtheit, Lokationalität u.a. zusammenhängen.3 Obwohl das Fehlen der Partizipanten-Indizierung und die ersatzlose Weglassbarkeit der Adjunkte dem Dependens-markierenden Bauprinzip des Japanischen sauber entspricht, müssen diese Eigenschaften nicht generell, d.h. nicht sprachenübergreifend, das Vorhandensein der expliziten Dependens-Markierung implizieren, denn sie gelten als arealtypologisches Merkmal der ost- und südost-asiatischen Sprachen, zu denen auch die sog. "isolierenden" Sprachen ohne DependensMarkierung gehören. Vgl. 1.1.9 oben. Die drei Komponenten des Kasusrahmens, die von Hinds genannt werden, entsprechen den drei Eigenschaften, die z.B. von Ruzicka, (1978) und Mosel (1991) für die Valenzbeschreibung für nötig gehalten werden, vgl.: "Valency is the property of the verb which determines the obligatory and optional number of its participants, their morphosyntactic form, their semantic class membership

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Nun, angesichts unserer bisherigen Befunde, in welchem Ausmaß die Adjunkte und deren Markierungen auch im Japanischen vom Prädikat abhängen und auch umgekehrt, können wir der Ansicht von Coseriu nicht zustimmen (vgl. auch die Kritik von Kishitani 1980 und Matsubara 1982a). Andererseits ist es auch nicht gerade einleuchtend, warum die Kenntnisse über den Valenzrahmen in einem solchen engen Zusammenhang damit stehen, dass die weggelassenen Adjunkte eindeutig identifizierbar sind, wie Hinds meint. Denn die Identifizierbarkeit aufgrund des Valenzrahmens wäre auf solche Fälle beschränkt, in denen alle bis auf ein Adjunkt beim gegebenen Prädikat genannt sind. Wenn aber zwei oder mehr oder sogar alle Adjunkte weggelassen werden, trägt der Valenzrahmen als solcher zur Identifizierung der Adjunkte kaum bei bis auf den Hinweis auf die Anzahl und Eigenschaften der noch zu suchenden Adjunkte. Wenn wir z.B. das Verb syookai=su-ru 'vorstellen' als das einzige Satzglied in einem Satz haben, kommen alle menschlichen Wesen im Kontext als drei Partizipanten in Frage. Die Identifizierbarkeit der weggelassenen Adjunkte setzt daher voraus, dass bekannt ist, welcher Referent welche Rolle ausübt. Ein Ein-Prädikat-Satz wie Syookai=si-mas-i-ta 'Habe(-n)/Hat(/-ten) vorgestellt' ist auch im Japanischen nur dann verständlich, d.h. pragmatisch akzeptabel, wenn er als Antwort auf eine Frage 'Hat Herr/Frau A Herrn/Frau B Herrn/Frau C vorgestellt?' (vgl. (5.61/66)) oder 'Haben Sie Herrn/Frau B Herrn/Frau C vorgestellt?' ausgesprochen wird. Ein Satz wie der obige, der aus einem Prädikat allein besteht, ist wegen der Aufdeckbarkeit (recoverability) bzw. Identifizierbarkeit der nicht erwähnten Partizipanten vollständig. Im normalen Sprechakt gibt der Situations- und Diskurskontext ausreichende Informationen, welche nicht genannten Referenten als Partizipanten in einem Satz involviert sind. Wenn der Kontext nicht klar macht, dass von einem Nicht-Sprechaktteilnehmer die Rede ist, ist in einem Fragesatz üblicherweise die angeredete Person und in einem deklarativen Aussagesatz der Sprecher als Träger des betreffenden Sachverhaltes involviert. Die Eigenschaft des Japanischen, dass alle Adjunkte eines Prädikates anscheinend "spurlos" verschwinden können, hat daher mit der Eigenschaft des Prädikates wenig zu tun. Sie basiert stattdessen auf der regelhaften Konvention der Sprachgemeinschaft, dass solche Adjunkte nicht wiederholt erwähnt werden sollen, die vom Kontext her eindeutig identifizierbar sind. Daher ist der Ein-Wort-Satz Syookai=si-mas-i-ta eigentlich die einzige mögliche Antwort auf die Fragen wie oben. Denn alle drei nochmals zu erwähnen, ist von der Eindeutigkeit her vollkommen überflüssig. Andererseits ist es seltsam, wenn man nur einen oder zwei der relevanten Partizipanten bei der Antwort erwähnt. Dafür brauchte man einen besonderen pragmatischen Grund, z.B. eine besondere Betonung oder Kontrastierung wie in (7.3/4). Hier unterscheidet sich das Japanische entscheidend von Sprachen mit der sog. Subjekt-Kongruenz. Die oben geschilderten Verhältnisse weisen darauf hin, dass die Weglassung der Adjunkte nicht einfach der Ellipse derselben entspricht, sondern in die Richtung Null-Anapher geht. So gibt es im Japanischen keine anaphorischen Pronomina (vgl. z.B. Kamio 1997: 165ff., (e.g. +/- animate, +/- human), and their semantic role (e.g. agent, patient, recipient). [...] it is not sufficient to consider only the number of actants as a matter of valency, but it is only acceptable if all semantic and morphosyntactic properties of the relation between a verb and its participant that are predictable from the verb are included." (Mosel 1991: 240). Vgl. 1.3.2.

220

vgl. I.n49 oben), und das, was in den meisten westeuropäischen Sprachen durch die anaphorischen Pronomina geleistet wird, wird durch Null realisiert. D.h.: Solche Satzelemente, die mit im Kontext vorher erwähnten Elementen identisch ("koreferentiell") sind, werden, soweit sie sich problemlos identifizieren lassen, ersatzlos weggelassen. Auf diesen Umstand wurde soeben mit dem Stichwort Aufdeckbarkeit hingewiesen. Daher stecken hinter scheinbaren Weglassungen oft nicht nur die Weglassung im engeren Sinne, also elliptische Auslassung, sondern auch anaphorische Weglassung sowie koreferentielle Tilgung. Die Null-Anapher im Japanischen entspricht teils der Anaphorisierung per Pronomina und teils der Tilgung aufgrund von Koreferentialität bei bestimmten grammatischen Konstruktionstypen (z.B. Koordination von Sätzen mit einem identischen Subjekt) in den westlichen indo-europäischen Sprachen. Anderseits entspricht die Anaphorisierung in diesen Sprachen teils der NullAnapher und teils der Wiederholung ein und desselben vollen Wortes im Japanischen, vgl. z.B. (5.62), wo die Null-Anapher nicht angewendet werden kann, weil das Vorkommen der Kasusmarkierung für die Verständlichkeit unentbehrlich ist und diese als Enklitikum nur dann auftreten kann, wenn ein Nomen steht.4

7.1.2. "Pronomina" und Transpersonalität Neben anaphorischen Pronomina gibt es im Japanischen auch keine grammatisch verbindliche Kategorie der Personalpronomina. Zwar verhält sich watasi wie ein Pronomen für die l. Person, aber es unterscheidet sich nicht von anderen Satzgliedern in der Weglassbarkeit und

4

Ein möglicher Test für die Unterscheidung zwischen der elliptischen Auslassung, der anaphorischen Weglassung und der koreferentiellen Tilgung (auch "PRO" genannt) von Satzelementen ist der Ersatz der Null durch ein volles Nomen, das mit einem vorangehenden oder nachfolgenden Nomen identisch ist. Wenn der Ersatz nicht möglich ist, d.h. zur Inakzeptabilität führt, handelt es sich um Tilgung, während die Ersetzbarkeit grundsätzlich auf die Weglassung beider Arten hinweist. Während diese beiden, Ellipse und Null-Anapher, die Ersetzbarkeit als gemeinsame Eigenschaft haben, teilt die Null-Anapher die Koreferentialitätsbedingung mit der Tilgung. Daher gilt Ersetzbarkeit der Null durch ein Nomen, das im Kontext nicht vorgekommen war, bzw. mit dem die Null kontextuellsituationell nicht eindeutig identifizierbar ist, als mögliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen der Ellipse und der Null-Anapher. Aber unter der gleichen Bedingung der Aufdeckbarkeit und der eindeutigen Identifizierbarkeit ist die Unterscheidung schwierig. Insgesamt stellen die genannten drei Arten der Abwesenheit bzw. Nicht-Erwähnung von Satzelementen ein Kontinuum dar. Shibatani (1990: 284ff., 360ff.) unterscheidet vier verschiedene Arten von Null ("empty nominal categories") auch für das Japanische: "pro" (das weitgehend der Null-Anapher entspricht), "PROarb" (= "arbitrary PRO" = Nicht-Erwähnen genetischer bzw. indefiniter Referenz), "PRO" (= obligatorische koreferentielle Tilgung bei Satzeinbettung u.a.), "[e]" (= "empty" = Leerstelle, die durch Verschiebung des Nomens entsteht, z.B. Stelle des Bezugsnomens in einem Relativsatz). Kameyama (1988: bes.Slf.) bietet einen guten bündigen Überblick über die Problematik um "PRO" und "pro" bes. in der Rektions- und Bindungstheorie. Da es sich aber um multifaktorielle kontinuierliche Erscheinungen handelt, brauchte man einen Terminus, der in der Lage ist, verschiedene Arten der Weglassung unter Aufdeckbarkeit (recoverability) zu umfassen. "Null-Strategie" wäre wohl eine Möglichkeit (so ähnlich auch bei Ohso 1979, Takami 1987, Kameyama 1988).

221

auch in der Anaphorisierung mittels der Null (vgl. z.B. (2.1)). Zur Nicht-Obligatorietät der Pronomina macht Malussen (1995: 56) die folgende Aussage: Da Argumentstellen nicht gefüllt sein müssen, ist auch die Setzung eines Pronomens nicht obligatorisch.

Diese Sichtweise, die der Haltung von Coseriu in gewisser Weise nahe steht, kann aber eine Umdrehung der pragmatischen Realität sein, nämlich: Das Nicht-Gefülltsein-Müssen der Argumentstellen ist nicht der Grund, sondern nur eine oberflächliche Folge der Nutzung der Null-Anapher statt eines overten, d.h. sichtbaren, Pronomens. Die Argumentstellen sind zwar mit der anaphorischen Null gefüllt, aber da die Null nicht sichtbar ist, führt sie zum scheinbaren Nicht-Gefüllt-Sein der Argumentstellen. Wie die anaphorischen Pronomina sind auch die Personalpronomina im Japanischen nicht grammatikalisiert und bilden ein recht offenes System (vgl. z.B. Syromjatnikov 1980, Eschbach-Szabo 1996b). So ist watasi nicht das einzige Mittel für die Referenz auf den Sprecher, sondern es gibt dafür viele Wörter und Syntagmen. Das sind zum einen diejenigen, die ähnlich wie watasi pronominal verwendet werden und zusammen mit dem Wechsel der Sprechaktrollen der Sprechaktteilnehmer ihre konkreten Referenten stets ändern ("Shifters").5 Zum anderen können Eigennamen und auch Appellativa, vor allem Rollen- und Relationsbezeichnungen (z.B. 'Mutter', 'Vater', Tante', Onkel', 'LehrerAin'), für die Referenz auf den Sprecher gebraucht werden, genau so wie sie, nicht nur als Anrede wie im Deutschen, sondern durchaus als Satzglieder, auf die angesprochene Person und natürlich auf einen Nicht-Sprechaktteilnehmer bezogen werden können.6 Etymologisch sind auch die ersteren, pronominal gebrauchten, alle Nomina, entweder Appellativa oder Demonstrativgefüge, und morphosyntaktisch sind sie auch heute so geblieben (vgl. das Zitat aus Bußmann (hg.) 1990 in 1.1.1. sowie 7.2 unten). So geht z.B. watasi auf watakusi zurück, das neben dessen pronominaler Funktion für die Referenz auf den Sprecher (wesentlich formeller als watasi) auch heute noch als Appellativum mit der Bedeutung 'private Angelegenheit' gebraucht wird. Die pronominal gebrauchten Wörter unterscheiden sich morphosyntaktisch von normalen Nomina nur darin, dass das Pluralkennzeichen bei ihnen unabhängig davon benötigt wird, ob sie mit oder ohne Begleitung einer Zahlangabe auftreten. Dies hängt wohl damit zusammen, Zum Terminus "Shifter" vgl. u.a. Jakobson 1957. Zu den Charakteristika der Pronomina sowie der Kategorie Person vgl. z.B. Benveniste 1946, 1956, Ingram 1978, vgl. auch Kameyama 1996: 85f. .Zu einer ausfuhrlicheren Darstellung shifterhafter pronominaler Wörter im Japanischen vgl. z.B. Alpatov 1980, Syromjatnikov 1980, Shibatani 1990: 371f. und Eschbach-Szabo 1996b. Der Gebrauch eines pronominalen Wortes wie anata 'Sie, du' für die Referenz auf die angeredete Person ist stärker beschränkt als der Gebrauch von watasi u.a. für die Referenz auf den Sprecher und wird zugunsten von Eigennamen, Rollenbezeichnungen, Titeln u.a. regelrecht unterdrückt (grundsätzlich darf man anata und ähnliche Pronominalwörter für die angeredete Person nicht verwenden, wenn diese wegen deren Alters, hierarchischen Rangs, Amtes, Rolle u.a. eine zu respektierende Person ist; das bezieht sich z.B. auf ältere Geschwister, Eltern, Lehrer, Sachbearbeiter u.a., die Angelegenheiten des Sprechers betreuen, Geschäfts- und Verhandlungspartner, Kunden usw.). Vgl. 7.2 unten.

222

dass sie sich durch die eindeutig identifizierbare, also definite, daher selten transnumerale Referenz auszeichnen (vgl. Biermann 1982, vgl. auch Malussen 1995: bes. 55f.). Hingegen erhalten normale Personenbezeichnungen, die weitgehend transnumeral sind und auch ohne Pluralkennzeichen für plurale Referenz gebraucht werden können, üblicherwiese kein Pluralkennzeichen, wenn sie von einer Zahlangabe begleitet werden (vgl. 1.1.3), z.B.: (7.6)

(a) wata(ku)si 'ich', (b) wata(ku)si-tati 'wir', (c) wata(ku)si-tati hutari (*wata(ku)si hutari) 'wir zwei'

Demgegenüber: (7.7) (a) sensee

'Lehrer/-in(nen)',

(b) sensee-tati 'Lehrer/-innen', (c) sensee(-tati) hutari 'zwei Lehretf-innen' Bei demselben Nomen wird das Pluralkennzeichen jedoch obligatorisch, wenn es auf (einen der) Sprechaktteilnehmer referiert: (7.7) (d) sensee 'ich Lehrer/-in' oder 'Sie, LehrerAin' (e) sensee-tati 'wir Lehrer/-innen' oder 'ihr LehrerAinnen' (f) sensee-tati hutari 'wir/ ihr beide, (nämlich) Lehrer/-innen' (g) *sensee hutari

für 'wir/ihr beide' wie oben

In der Verwendung für die Referenz auf die Sprechaktteilnehmer verliert das Nomen also sein transnumerales Potential. Bei Nomina, die keine Personenbezeichnungen sind, kann die Pluralität nicht mit einem produktiven morphologischen Mittel wie dem Suffix -tau kodiert werden; bei ihnen können die Numeri meistens nicht durch irgendein morphologisches Mittel, sondern grundsätzlich nur durch syntaktische Mittel, die die Quantität explizieren (vgl. z.B. (1.8) in 1.1.3 und (4.32)ff. in 4.3), unterschieden werden. So kann watakusi in dessen nicht-pronominaler Funktion mit der Bedeutung 'private Angelegenheit(en)' weder mit einem Pluralkennzeichen wie -tati versehen noch durch irgendein morphologisches Mittel numeral unterschieden werden. Auch referentiell haben die pronominal gebrauchten Wörter, bis auf einige wenige Ausnahmen wie z.B. watasi mit ausschließlich sprechaktrollengebundener Referenz, ihren ursprünglichen substantivischen oder demonstrativischen Charakter weitgehend behalten, so dass sie nicht nur auf den Sprecher oder den Angeredeten, sondern, wenn auch manchmal stilistisch markiert, auch auf eine Entität der 3. Person referieren können (vgl. 7.2), z.B.: (7.8) (a) (i) uti (ii) o-taku (b) (i) kotira

für'wir (< unser Haus)'und'Haus'(Näheres in 7.2 unten) für 'Sie (< Ihr Haus)' und 'Haus (aber nicht des Sprechers)' für 'wir' und 'diese Seite/Richtung' (Näheres in 7.2 unten)

223

(ii) sotira

für 'du/ihr/Sie' und 'die Seite/Richtung, die sich auf die angeredete(n) Person(en) bezieht'.

Diese Sachlage zeigt ihre grammatische Relevanz zweifach wie ein Blatt mit zwei Seiten: Während einerseits die Kodierung einer sprechaktbezogenen Rolle wie der des Sprechers, die in den indo-europäischen Sprachen die Kategorie der Person ausmacht, im Japanischen variabel ist, kann sich andererseits ein und dasselbe Wort, z.B. sensee 'Lehrer' in (7.7) oder okaasan 'Mutter', auf alle drei Sprechaktrollen, d.h. alle drei Personen, beziehen: (7.9)

okaasan (i) die 1., sprechende, Person, 'ich, Mutter' (ii) die 2., angeredete, Person, 'du, Mutter' oder 'Sie, Frau Mutter' (iii) die 3., am Sprechakt nicht (unmittelbar) teilnehmende, Person, 'sie, (die) Mutter'

Hinzu kommt die Weglassbarkeit einschließlich der Null-Anapher von Partizipanten, die nicht von den Sprechaktrollen abhängt. D.h.: Sie wird nicht nur auf die NichtSprechaktteilnehmer (3, Person), sondern auch auf die Sprechaktteilnehmer (1. und 2. Person), angewendet. Die rein formale Struktur eines japanischen Satzes ohne Bezugnahme auf den jeweiligen konkreten pragmatischen Kontext ist daher transpersonal.1 Die Situation ist zwar in gewisser Weise vergleichbar mit einigen Erscheinungen in den europäischen Sprachen wie der stilistisch zu der Gelehrtensprache gehörenden Konvention, in einem Buch, Artikel u.a. der/die Verfasser/-in statt ich zu verwenden, und gleichermaßen der Konvention, am Ende einer Grußkarte z.B. "... wünscht Ihr(e) X" statt "wünsche ich" oder "wünschen wir" zu schreiben. Hierzu gehört auch die höfische Anredetradition, aus der die heutigen höflich-distanzierenden Pronomina der 2. Person (z.B. Sie im Deutschen, Lei im Italienischen) entstanden sind, und die Ammen- und Kindersprache (z.B. "Mama kommt gleich" statt "ich komme gleich", oder sogar "die Mama gibt dir jetzt das Essen" statt "ich gebe dir jetzt das Essen", vgl. Steinkrüger 1994: 589). Die Transpersonalität im Japanischen ist jedoch nicht nur in stilistischer, sondern auch in grammatischer Hinsicht von diesen Fällen abzugrenzen. Im Deutschen zum Beispiel können nur oblique, d.h. nichtnominativische, Eigennamen und Substantiva transpersonale Referenz ohne grammatischen Reflex haben, z.B. "Gibst du's Mama?" statt "Gibst du's mir?". Demgegenüber muss die grammatische Person des Satzgliedes im Nominativ in der Prädikatsflexion reflektiert werden. D.h. die Prädikatsflexion muss unabhängig von der realen pragmatischen Referenz auf die sprechende oder angeredete Person die Form der 3. Person annehmen, solange das Subjekt nicht mit einem Personalpronomen der l. oder der 2. Person kodiert ist. Diese rein pragmatische Möglichkeit der transpersonalen Referenz unterscheidet sich von der grammatischstrukturellen Transpersonalität, die z.B. der folgende Satz demonstriert:

7

'Transpersonal" ist in Anlehnung an eine Reihe weiterer Termini mit "trans-" wie z.B. "transnumeral" (s. 1.1.3) oder "transdefmit" (vgl. Brettschneider 1983) gebildet..

224

(7.10) Okaasanga Mutter

su-ru ? tun-PRÄS

(i) 'Soll ich es tun?' (Die Sprecherin ist die Mutter. Die angeredete Person ist normalerweise ihr(e) Kind(er), muss es aber nicht unbedingt sein) (ii) (a) 'Willst/Wirst du, Mutter, es tun?' (Die Angeredete ist - normalerweise, aber nicht unbedingt - die Mutter des Sprechers) (b) 'Wollen Sie, Frau Mutter, es tun?'8 (iii) 'Wird {meine/unsere // deine/eure // seine/ihre} Mutter es tun?' Eine strukturell-transpersonale Erscheinung, die mit derjenigen im Japanischen vergleichbar ist, ist im Russischen zu beobachten, in dem adjektivale und präteritale Prädikate nur im Numerus und im Genus kongruieren bzw. auf die Zahl und den Sexus des Sprechaktteilnehmers als Subjekt referieren, und keinerlei Index bezüglich der Sprechaktrolle des Subjektes beinhalten, wie in (1.30 a) und im ersten Satz unter (1.30 b).9

7.2. Art und Ausmaß der Transpersonalität nominaler Referenz Trotz der strukturellen Transpersonalität sind natürlich nicht alle japanischen Sätze faktisch transpersonal. Unter normalen Umständen, d.h. abgesehen von Fabeln, Märchen u.a., können nur solche Sätze transpersonal sein, die die Bezeichnung einer Person als Träger des Sachverhaltes beinhalten, die potentiell auf die Sprechaktteilnehmer, d.h. die sprechende oder die angeredete Person, referieren kann. M.a.W.: Trotz des strukturellen Potentials eines Satzes, transpersonal zu sein, hängt dessen Transpersonalitätslatenz davon ab, ob darin ein Wort mit potentiell transpersonaler Referenz als Träger des Sachverhaltes vorkommt. Aber

Trotz der deutschen Übersetzung mit 'Sie' gehört dieser Satz wegen des Fehlens der Höflichkeitskomponenten am Prädikat nicht zu einem formellen bzw. höflichen, sondern zu einem recht familiären Stil, z.B. von einem Spielbudenbesitzer an eine Frau mit Kind(ern) bei einem Volksfest u.a. Eine Erscheinung im Japanischen, die mit den Sprechaktrollen untrennbar verbunden und so recht nah zur Kategorie Person steht, ist das System der Honoriflkation, in dem die Form des Prädikates (entweder lexikalisch oder prä- und suffixal, vgl. (1.7) in 1.1.2) darauf hinweist, ob der Träger des bezeichneten Sachverhaltes der Sprecher bzw. der Angeredete sein kann (vgl. die Zitate in 1.1.1). Wenn das Prädikat eine honorative ("ehrerbietende") Form hat, kann es sich nicht auf den Sprecher beziehen, also bezieht es sich wahrscheinlich auf die angeredete Person oder eine dritte. Wenn es umgekehrt eine Bescheidenheitsform hat, kann es sich nicht auf die angeredete Person beziehen, so dass es auf den Sprecher oder eine dritte Person bezogen sein muss, die zum Sprecher eine im Vergleich zu der angeredeten Person engere Beziehung hat (vgl. z.B. Kuno 1978a: 68f., Lehmann 1985a). Die Referenzfestlegung anhand der Honorifikationsform des Prädikates ist auf diese Weise indirekt und basiert auf der gesellschaftlichen Interpretationskonvention, was sich deutlich von der Cross-Reference-Indizierung unterscheidet. Vgl. die kritische Bemerkung zur Überschätzung der Honoriflkation zur Personenidentifizierung in 1.2.1 (vgl. (7.2)ff. und (7.10) als konkrete Beispiele dafür). Zu einer ausführlicheren Darstellung der Honorifikationsstrategien vgl. Haase 1989, 1994.

225

auch nicht alle Personenbezeichnungen sind wirklich in der Lage, auf einen Sprechaktteilnehmer zu referieren. Es gibt im Japanischen durchaus Nomina, die auf die Referenz auf die dritte Person, also Nicht-Sprechaktteilnehmer, beschränkt sind. Das sind zunächst solche, die nicht für die Anrede gebraucht werden und daher nicht auf die angeredete Person referieren können. Nennen wir sie 'nicht anredefähige' Bezeichnungen im Gegensatz zu solchen, die zur Anrede und zur Referenz auf die angeredete Person verwendet werden können, also 'anredefähigen'. Anredefähig sind vor allem Status- und Funktionsbezeichnungen u.a., z.B. sensee 'Lehrer/-in, MeisterAin, Doktor (im Sinne eines Arztes/einer Ärztin), u.a.'.10 Nicht alle anredefähigen Bezeichnungen wiederum sind vollkommen transpersonal. Es gibt solche, die zwar auf die angeredete und die dritte Person, aber nicht auf den Sprecher referieren können. Das sind vor allem Titel sowie titelhafte Status- und Funktionsbezeichnungen, z.B. hakase (oder hakusi) 'Doktor (als akademischer Titel)', kyoozyu 'Professor'. Auch Bezeichnungen leitender Positionen, meistens mit -tyoo wie katyoo 'Sektionsleiter', syotyoo 'Institut(ion)sleiter' usw., werden seltener für die Referenz auf den Sprecher gebraucht.11 Es scheint daher eine implikative Regel für die Möglichkeit der transpersonalen Referenz zu geben, die sich in Form einer Hierarchie darstellen lässt:

10

Eine interessante sprachliche Erscheinung als Reflex sozio-kultureller Konvention ist, dass bei korrelativen, vor allem relationalen, Funktions- und Verwandtschaftsbezeichnungen grundsätzlich nur diejenigen für Ältere und hierarchisch Höhere, aber nicht solche für Gleichaltrige und Gleichrangige sowie für Jüngere und hierarchisch Niedrigere, anredefähig sind. So ist z.B. kodomo 'Kind' im Gegensatz zu okaasan 'Mutter' u.a. nicht anredefähig und daher nicht transpersonal. Auch koohai 'Jahrgangsjüngere(r)' ist nicht anredefähig und nicht transpersonal, während dessen Gegenstück senpai 'Jahrgangsältere(r)' für die Referenz auf alle drei Personenarten gebraucht werden kann. Ähnlich verhalten sich Bezeichnungen wie sensee 'LehrerAin u.a.' und seeto 'SchülerAin' u.a., die eine Zwischenposition zwischen relationalen Nomina und nicht-relationalen Status- und Funktionsbezeichnungen einnehmen. Während sensee der transpersonalen Referenz fähig ist, ist seeto auf die Referenz auf Nicht-Sprechaktteilnehmer beschränkt. Im Unterschied zu der europäischen Tradition sind Bezeichnungen für Gleichrangige wie Kollegen, Kommilitonen,Genossen, Freunde u.a. im Japanischen nicht anredefähig (NB. Die Anredefahigkeit ist nicht gleich den vokativischen Ausrufen in poetischer Tradition, z.B. Otooto yo mein (jüngerer) Bruder' oder Tomo yo mein(e) Freund(e)', die im gesprochenen Japanischen nicht vorkommen). Vgl. 7.nl5 unten.

11

Takubo (1992) sieht in der Relationalst die Bedingung für die Möglichkeit eines Nomens, auf den Sprecher zu referieren. Nur die relationalen Nomina, die die Implikation "ich, dein/-e X" haben, z.B. "ich, deine Mutter" bei okaasan und "ich dein/-e // euer/eure Lehrer/-in" bei sensee, können in Bezug auf den Sprecher gebraucht werden. Titel und hierarchiebezogene Rollenbezeichnungen seien wegen ihrer nicht-relationalen Natur nicht für die Referenz auf die 1. Person verwendbar. Die letztere Gattung scheint jedoch durchaus für den Sprecher verwendbar zu sein, besonders wenn die angeredete Person minderjährig ist. In diesem Fall besteht die Tendenz, dass der Sprecher die Anrede, die die nun anzuredende Person in Bezug auf ihn (reell oder potentiell) benutzt, in derselben Form für die Referenz auf sich einsetzt. Vgl. 7.nl2 unten.

226

(7.11)

Transpersonalia: — Anredefähige: — Nicht-anredefähige: l.Ps.: + 2.Ps.: + + 3.Ps.: + + + z.B. sensee kyoozyu gakusya 'Lehrer u.a.' 'Professor' 'Wissenschaftler'

Alle Bezeichnungen können auf einen Nicht-Sprechaktteilnehmer referieren. Dadurch erübrigt sich die Aussage, dass die Bezeichnungen, die anredefähig sind, auch auf einen NichtSprechaktteilnehmer referieren können. Wenn eine Bezeichnung aber in der Lage ist, auf den Sprecher zu referieren, müsste sie auch für die Referenz auf eine angeredete Person gebraucht werden können. Um etwaige Missverständnisse zu vermeiden, erläutern wir es mit konkreten Beispielen: Wenn ein Sprecher z.B. mit sensee auf sich referieren kann, kann ein anderer Sprecher auf den ersteren diesmal als Angeredeten mit demselben Wort, sensee, referieren. Wenn dieser Sprecher nun mit einer anderen Person über den Ersten, vorher mit sensee Angeredeten, redet, kann er auf ihn als dritte Person wiederum mit demselbenWort, sensee, referieren. Also handelt es sich hier um einen konstanten Referenten bei einer Bezeichnung, der von seinen Sprechaktrollen unbeeinflusst gleich bleibt. M.a.W.: Es handelt sich hier um die Verschiebbarkeit der Sprechaktrollen des gleichen Referenten einer Bezeichnung, und bei der Hierarchie oben um das Ausmaß der Verschiebbarkeit dieser Art je nach Bezeichnung. Rein deskriptiv formuliert, lautet das, was die obige Hierarchie aussagt, wie folgt. Es gibt drei Arten von Bezeichnungen in Bezug auf ihre sprechaktrollenbezogene Referenzmöglichkeit, wobei die Sprechaktrollen als vom jeweiligen konkreten Referenten der betreffenden Bezeichnung abstrahierte Rollen zu verstehen sind: diejenigen, die nicht auf Sprechaktteilnehmer, sondern nur auf Nicht-Sprechaktteilnehmer referieren können; diejenigen, die außer auf Nicht-Sprechaktteilnehmer auch auf die angeredete Person, aber nicht auf den Sprecher referieren können ('Anredefähige'); und diejenigen, die zu allen drei Referenzarten fähig sind und daher als 'Transpersonalia' im Sinne von Nomina transpersonaler Referenz, d.h. Nomina mit verschiebbaren Sprechaktrollen, bezeichnet werden können. Es scheint keine Klasse von Nomina zu geben, deren Referenz nur die angeredete Person ausschließt, d.h. auf Nicht-Sprechaktteilnehmer und den Sprecher beschränkt ist. Diese Beobachtung spricht eigentlich gegen unsere Erwartung. Müsste es nicht, besonders in einer höflichkeitsorientiereten Sprache wie Japanisch, Bezeichnungen geben, die bescheiden auf den Sprecher und auf die dritte Person, besonders auf diejenige dritte Person, die zum Kreis des Sprechers gehört, referieren können, aber nicht auf die angeredete Person? Wie wäre es z.B. mit Eigennamen? Man verwendet schließlich das Suffix -san wie bei Satoo-san 'Herr/Frau Sato' nicht nach dem eigenen Namen und nach dem Namen seines/-er Angehörigen, wenn man mit einer außenstehenden Person spricht, während diese mit ihrem Eigennamen und -san, wenn nicht mit einem Titel oder einer Funktionsbezeichnung, angeredet

227

wird. Das heißt, Eigennamen ohne -san würden eine Klasse bilden, die nur die Referenz auf die angeredete Person ausschlösse.12 Diese Art von Gegenargumenten ist an sich berechtigt, aber bei der obigen Klassifizierung handelt es sich nicht um von konkreten Gesprächssituationen und Konstellationen der Sprechaktteilnehmer sowie von der jeweiligen Identität des Referenten abhängige Adäquatheit der Verwendung einer bestimmten Bezeichnung für die Referenz auf die sprechende, die angeredete und die dritte Person, sondern um transpersonales Potential der sprechaktrollenbezogenen Referenz einer Bezeichnung.13 M.a.W.: Es handelt sich um die Frage, ob eine Bezeichnung auch ohne Bezugnahme auf einen konkreten Kontext die Referenz auf bestimmte Sprechaktrollen von vornherein ausschließt oder nicht, und ob als Folge ein Satz, der diese Bezeichnung beinhaltet, auf bestimmte Sprechaktrollen nicht bezogen werden kann oder doch. So stellen auch Eigennamen keine Ausnahme von der Beobachtung oben dar. Denn ein Eigenname ohne das Suffix -san hat das Potential, auf eine angeredete Person genau so wie auf eine dritte und, obzwar wesentlich seltener, auf die sprechende Person zu referieren. Hingegen schließt ein Eigenname mit -san grundsätzlich die Referenz auf den Sprecher, aber nicht auf die anderen Sprechaktrollen, aus. Das heißt, es gibt keinen Eigennamen, der nicht anredefähig wäre, und vor allem keinen solchen, der nur die Anrede und die Referenz auf die angeredete Person ausschlösse, was eben eindeutig gegen den Einwand oben spricht.

12

-san, das zum Ausdruck von Respekt und zugleich von einem gewissen Grad der Familiarität bzw. der Gleichrangigkeit dient, wird im Folgenden wegen seiner prototypischen Funktion 'Anredesuffix' genannt und so in der Morphemübersetzung angegeben, aber es beschränkt sich nicht auf die Anrede, sondern es kann an einen Namen (sowie eine der vielen Berufs- und Funktionsbezeichnungen, die durch Hinzufügung von -san anredefähig werden) mit Satzgliedsfunktion angehängt werden, wie dies auch bei Frau/Herr, Ms./Mrs./Mr. usw. der Fall ist. Im Unterschied zu diesen wird -san einerseits auch nach einem auf die angeredete Person referierenden Satzglied, aber andererseits grundsätzlich nicht nach dem eigenen Namen des Sprechers gebraucht, es sei denn, man spricht mit einem kleinen Kind, das das Alter noch nicht erreicht hat, in dem es allmählich die Sprachzeichen mit verschiebbaren Referenten wie watasi 'ich' und die grundlegendste Norm der Höflichkeitssprache, z.B. die Vermeidung der Anredeform für die Referenz auf den Sprecher selbst, beherrschen muss (es entspricht ungefähr dem Einschulungsalter und ist gut vergleichbar mit dem Erlernen des Siezens bei deutschsprachigen Kindern); in einem solchem Fall nimmt man für die Referenz auf sich oft dieselbe Form, mit der man vom Kind (wie von anderen Erwachsenen) angeredet wird, also mit -san. Ein kleines Kind referiert seinerseits auf sich oft mit der Version, mit der es von anderen angeredet wird, d.h. meistens mit seinem Vornamen und -tyan, der hypokoristischen Variante von -san (manche behalten diese Referenzart auf sich selbst bei ihrem Familienkreis bis ins Erwachsenenalter). Hingegen wird man seinen eigenen Namen auf keinen Fall mit dem sehr höflichen Anredesuffix -sama versehen.

13

Wenn es um Adäquatheit der Verwendung je nach der Identität des Referenten und der Situation geht, kann selbst ein Schullehrer, auf den sonst mit sensee referiert wird, diese Bezeichnung nicht für die Referenz auf sich verwenden, wenn sein Gesprächspartner z.B. der Schuldirektor oder ein/-e Kollege/-in von ihm ist, auch wenn er von diesen mit sensee angeredet wird. Genauso referiert eine Mutter beim Gespräch z.B. mit dem Lehrer ihres Kindes grundsätzlich nicht mit okaasan 'Mutter' auf sich, auch wenn sie von ihrem Gesprächspartner mit diesem Wort angeredet wird.

228

Also stellen auch Eigennamen eine Hierarchie dar, die bis auf die Vakanz der Nichtanredefähigen der unter (7.11) gleich ist (EN steht für einen Eigennamen): (7.12)

Transpersonalia:— Anredefähige: EN (ohne -sari) EN-san l.Ps.: + 2.Ps.: + + 3.Ps.: + +

— Nicht-anredefähige: —

Die Eigennamen, die sich aus semiotischer Sicht durch unmittelbare Referenz auszeichnen, stellen somit prototypische Beispiele der Verschiebbarkeit der Sprechaktrollen beim konstanten Referenten eines Sprachzeichens dar. Wie sollen wir aber ein anderes Gegenbeispiel, das Wort tyosya 'AutorAin, Verfasser/-in', behandeln? Diese Bezeichnung kann auf einen Autor als 3. Person oder als 1., schreibende, Person, schriftliches Pendant des Sprechers, referieren, aber auf keinen Fall als 2., angeredete, Person. Also müsste sie entweder eine Ausnahme der Regel darstellen oder der Regel ihren Status absprechen, überhaupt eine Regel zu sein. Aber beim näheren Ansehen merkt man, dass die Referenz von tyosya, trotz dessen lexikalisch-semantischen Gehaltes, meistens deiktisch festzulegen ist und daher vom Sprech- bzw. 'Schreib'-akt abhängt. Die abstrakte Referenz von tyosya ist etwa als 'der/die {diesen / den gemeinten} Text schreibt oder schrieb' zu charakterisieren. Die referentielle Identität von tyosya ist also von der Identität des jeweiligen Textes abhängig. In diesem Punkt unterscheidet sich tyosya von einer transpersonalen und einer anredefähigen Bezeichnung wie sensee 'Lehrer u.a.' und kyoozyu 'Professor', deren referentielle Identität nicht deiktisch festgelegt werden muss und nicht unbedingt davon abhängt, um wessen Lehrer oder Professor es sich dabei handelt. Wenn tyosya auf die 1. Person referiert, bezieht es sich auf die Person, die den laufenden Text schreibend produziert, genau so wie wata(ku)si auf die Person referiert, die den laufenden Text (in gesprochener oder geschriebener Form) produziert. Wenn wata(ku)si (und ich, I usw.) die Person bezeichnet, die dieses Wort ausspricht, bedeutet tyosya die Person, die dieses Wort schreibt (vgl. Jakobson 1957: 132). Auch darin, dass diejenige Person bedeutet wird, die die Botschaft adressiert, zu der das Wort gehört (vgl. Jakobson ibid.), unterscheidet sich tyosya nicht von wala(ku)si. Tyosya verhält sich also ähnlich wie wata(ku)si als deiktischer "Shifter", dessen jeweiliger Referent vom jeweiligen Sprech- bzw. 'Schreib'-akt abhängt. Tyosya unterscheidet sich von wata(ku)si jedoch darin, dass es keinen lexikalsemantischen Unterschied zwischen der Referenz auf die 1. Person und der auf die 3. Person gibt, und dass, wahrscheinlich deswegen, die Referenzfähigkeit auf die dritte Person erhalten geblieben ist. Im Vergleich dazu hat die semantisch ähnliche Bezeichnung hissya 'Verfasser/-in' die Fähigkeit, auf die 3. Person zu referieren, fast verloren und ist faktisch schriftsprachliches Pendant von wata(ku)si geworden. Also finden wir hier auch eine Skala, die Skala der "Shifterhaftigkeit" genannt werden kann:

229 (7.13)

Shifter: z.B. watasi l.Ps.: 2.Ps.: 3.Ps.:

+ -



Semi-Shifter: — watakusi +

Quasi-Shifter — Partial-Shifter hissya 'Autor' tyosya 'Autor' +

+

(+)

Der letzte Parameter der Skala, L> 3., steht für das Vorhandensein eines gemeinsamen lexikalsemantischen Bezeichneten zwischen der Referenz auf die l . Person und der auf die 3. Person, also für die Verschiebbarkeit der Person bei gleichbleibendem semantischen Inhalt. Während tyosya und hissya diese Eigenschaft besitzen, trifft sie für watakusi nicht zu, denn bei der Referenz auf die 3. Person hat watakusi kein Konkretum, sondern nur ein Abstraktum, 'private Angelegenheit', als Bezeichnetes. Watakusi ist kein Wort mit transpersonaler Referenz, weil dessen Referent zusammen mit dem Wechsel der Sprechaktrolle notwendigerweise ein anderer sein muss. M.a.W.: Seine Referenz ist an die jeweilige Sprechaktrolle gebunden. Demgegenüber verbinden hissya und tyosya die Shifterhaftigkeit mit einem gewissen Grad der Transpersonalität. Zwar ist ihre Referenz im Unterschied zu den anderen Transpersonalia und Anredefähigen deiktisch und daher an den Sprech- bzw. Schreibakt gebunden, und als Folge kann sie sich nicht auf den Bereich der m-Deixis, also auf die angeredete Person beziehen. Aber wenn sie einmal festgelegt worden ist, bleibt sie unabhängig vom Wechsel der Sprechaktrollen zwischen der 1. und der 3. Person konstant. Daher ist die Skala der Shifterhaftigkeit oben zugleich eine des Grades der Gebundenheit der Referenz an eine bestimmte Sprechaktrolle. Die Geschichte des Japanischen belegt, dass viele der shifterhaften, pronominal gebrauchten Wörter sich aus der Transpersonalität entwickelt haben, während die anderen von Anfang an als deiktische Demonstrativa die Shifter-Eigenschaft besaßen. So wird anata für die angeredete Person auch heute noch, wenn auch nur in der poetischen Sprache, für die ursprüngliche Bedeutung von 'der Ort dort hinten (< jene Richtung/Gegend)' gebraucht. Auch weitere Wörter für die angeredete Person, wie kimi (< 'Herr(scher)/-in, Adelige(r)') und omae (< 'mein verehrtes Gegenüber'), werden noch heute, wenngleich als Archaismen, in der ursprünglichen Bedeutung verstanden, obwohl die Implikation des heutigen pronominalen Gebrauchs dieser Wörter alles andere als respektvoll ist, vielmehr von der Familiarität bis zur Pejorativität reicht. Bei Baku für den männlichen Sprecher zeigt die Wortgeschichte sogar, dass die einstige transpersonale Bezeichnung für 'Diener' zu einem Shifter wurde, aus dem sich wiederum ein transpersonales Pronomen entwickelt hat. So wird es als Pronomen nicht nur für den Sprecher, sondern auch für den Angeredeten (allerdings nur für einen sehr jungen), und ferner für einen sehr jungen Nicht-Sprechaktteilnehmer (auf den familiären Kreis beschränkt) gebraucht. Diese Entwicklungen müssen deswegen in diesem Ausmaß möglich gewesen sein, weil es im Japanischen zu keiner Zeit Personen-Indizierung (CrossReferencing) am Prädikat gegeben hat. l4 14

Im Klassischen Japanischen, insbesondere im Altjapanischen (um das 8. Jh.), gab es Personalpronomina, die sich schwer auf appellativische Etymologie zurückführen lassen: (w)a für die 1. Person

230

Neben diesen Wörtern gibt es eine Palette von stilistisch bedingten oder geschlechtsspezifischen Quasi-Personalpronomina, die auch heute als normale Appellativa oder Demonstrativa gebraucht werden, ohne als Homophonie empfunden zu werden, z.B. uti in (7.8) 'Innenraum, Heim, Haus', das auch als 'wir' im Sinne einer Gemeinschaft wie einer Familie oder einer Firma verstanden werden kann, die typischerweise eine Hausgemeinschaft bildet und so gegenüber den Außenstehenden als Gemeinschaft derjenigen betrachtet wird, die zum Innenraum des Hauses gehören. Uti ist in westjapanischen Dialekten weiter zu 'ich* bei weiblichen Sprechern übergegangen. Das Gegenstück von uti, o-taku etwa 'ehrenwerte Residenz', wird aus dem gleichen Grund sowohl für das Haus der angeredeten oder einer 3. Person, als auch für die Referenz auf die angeredete Person gebraucht. Anders als uti kann o-taku auch in der Standardsprache nicht nur für die kollektivische, sondern auch für die singuläre Referenz, die dem deutschen 'Sie' für eine angeredete Person entspricht, gebraucht werden. Auch kotira 'Seite / Richtung/Gegend bei/zu mir' und sotira 'Seite/Richtung/Gegend bei dir/Ihnen', die jeweils das Element für die £go-Deixis ko- und dasjenige für die 7u-Deixis so- enthalten, werden nicht nur als 'ich/wir' und 'Sie', sondern auch weiterhin als lokative bzw. gegenstandsmäßige Demonstrativa gebraucht. Sotira dient nur dann ausschließlich zur Referenz auf die angeredete(n)Person(en), wenn das honorative Anredesuffix -sama angehängt wird, und na für die 2. Person (laut Ohno et al. 1974: 938 ursprünglich sogar für die 1. Person). Diese Pronomina wurden nach und nach durch verschiedene Mittel ersetzt, z.B. durch Demonstrativgefüge mit einem der Deiktika ko- (für Ego-Deixis) und so- (für Tu-Deixis), oder sogar a- (außerhalb des EgoATu-Bereichs) wie in a-nata (laut Ohno et al.1974: 41 seit der Edo-Zeit, ab 17. Jh., ursprünglich als Respektanredeform, nachdem im späten Mittelalter die Verwendung von so-nata pejorativ wurde und auch ko-nata, das von der 1. Person zur Respektanredeform der 2. Person verschoben worden sei, nicht mehr höflich genug war, vgl. auch Syromjatnikov 1980: 112f., 123f., EschbachSzabo 1996b: bes. 297), durch Titel und Rollenbezeichnungen wiefa'mt, oder durch Relationalnomina wie o-mae (Honorativpräfix o- oder oo- 'groß' + mae 'Vor, Gegenüber', vgl. Ohno et al.1974: 246). Deswegen sind die ursprünglichen Personalpronomina im heutigen Japanischen nur in absichtlich archaisch-klassischen poetischen bzw. schriftsprachlichen Stilen oder in fossilen, mehr oder weniger lexikalisierten Formen zu finden, z.B.: wa-ga-, ursprünglich das Pronomen der 1. Person wa + Possessiv (Genitiv)-Kennzeichen ga, idiomatisiert als weitgehend unproduktiver Bestandteil eines Nominalsyntagmas mit der Bedeutung 'unser/mein eigenes', wie in wa-ga-kuni 'unser Land (d.h. Japan)'). Das ursprüngliche Pronomen wa findet sich wahrscheinlich auch in wa-takusi 'private Angelegenheit' wieder, aus dem eine Reihe pronominaler Wörter für die 1. Person stammen: - watakusi (formell) - watasi (neutral bei weiblichen und ziemlich formell bei männlichen Sprechern) - wasi ((alt-)männersprachlich - archaisch oder dialektal) - atakusi (frauensprachlich, leicht formell) - atasi (informell, weitgehend frauensprachlich) - atai (dialektal-soziolektal, beschränkt auf Mädchen in ostjapanischen Großstädten; informell) - (w)atisi (Aussprache mit Devokalisierung)(dialektal-soziolektal, weitgehend beschränkt auf männliche Kleinhändler u.a. in ostjapanischen Großstädten; höflich) - assi (soziolektal-männersprachlich, in erster Linie handwerkersprachlich; höflich) - wate (dialektal (westjapanisch), weitgehend männersprachlich) u. a.

231

also sotira-sama 'Sie'. Andererseits gibt es auch solche Wörter, die in der Standardsprache keine pronominale Verwendung finden, aber in bestimmten gesellschaftlichen sowie berufsund geschlechtsbezogenen Gruppen als Pronomina gebraucht werden und auch allgemein als solche verstanden werden, z.B. temae 'Vorderes', das wie omae 'du' das relationale Nomen mae 'Vor' enthält, für die 1. und die 2. Person. Die hier genannten Wörter und viele andere pronominal gebrauchte Wörter im Japanischen haben alle zwar die Shifter-Eigenschaft gemeinsam, aber nur sehr wenige von ihnen sind gänzlich an eine Sprechaktrolle gebunden und verhalten sich als reine Shifter. Die meisten haben neben der Funktion der Referenz auf den Sprecher oder auf die angeredete Person die der Designation, die vom Sprechakt unabhängig ist. Sie bilden ferner keine geschlossene Klasse, sondern ein an einem Ende ziemlich offenes Fuzzy-Set, das gleitend zu Appellativa übergeht. Watasi ist eines der wenigen Wörter, die ausschließlich als Shifter verwendet werden. Es besteht daher eine implikative Beziehung zwischen watasi und der Referenz auf den Sprecher, d.h. die 1. Person: (7.14) [watasi —» 1. Person]: die Verwendung von watasi impliziert, dass mit diesem auf den Sprecher referiert wird, aber die Referenz auf den Sprecher impliziert nicht, dass das sprachliche Mittel dafür auf watasi beschränkt wäre. Watasi ist insofern ein Personalpronomen, als es nur auf den Sprecher referieren kann. Ein analoges Verhältnis besteht zwischen anata und der Referenz auf die angesprochene Person, wenn man von dem oben erwähnten Archaismus absieht: (7.15) [anata -> 2. Person] Watasi, das sich an dem positiven Ende der Skala der Shifterhaftigkeit (7.13) befindet, ist in Bezug auf dessen Referenz vollkommen an eine Sprechaktrolle gebunden, kann aber dafür jedes Individuum als konkreten Referenten haben. Es könnte daher als 'transreferentiell' bezeichnet werden. Ihr Spiegelbild wird von den Transpersonalia dargestellt, deren Referenz gänzlich ungebunden an bzw. unabhängig von Sprechaktrollen ist. Während sich die transreferentiellen Shifter durch die Verschiebbarkeit der Referenten bei gleichbleibender Sprechaktrolle kennzeichnen lassen, zeichnen sich die Transpersonalia durch die Verschiebbarkeit der Sprechaktrollen bei gleichbleibendem Referenten aus. Man kann die Transpersonalia insofern "Anti-Shifter" nennen, als sie das Spiegelbild der Shifter darstellen. Auf der abstrakteren semiotischen Ebene sind bei den transreferentiellen Shifter die deiktischindexikalische Referenz auf die adressierende (sprechende oder schreibende) bzw. auf die adressierte (angeredete u.a.) Person im Moment eines Sprechaktes (im weiteren Sinne) die Konstante und die Identität des jeweiligen Referenten die Variable. Bei den transpersonalen Anti-Shifter sind hingegen die Referenz auf eine Person, die durch das Designierte der gegebenen Designation als Sprachzeichen vermittelt wird, die Konstante und die Sprechaktrolle des Referenten die Variable.

232

In beiden Fällen ist die Herstellung der Verbindung zwischen dem Referenten und der Sprechaktrolle, m.a.W.: die Identifizierung des Referenten mit einer oder der gegebenen Sprechaktrolle, vom jeweiligen Sprechakt abhängig. Wenn wir z.B. einen Zettel mit einem Satz, aber ohne den Namen der Person, die ihn geschrieben hat, vorfinden, können wir nichts über die Identität dieser Person wissen, wenn z.B. 'Soll ich es tun?' darauf steht. Wenn andererseits ein Satz wie (7.10), 'Soll/Will/Wird die Mutter es tun?', darauf steht, können wir nicht wissen, ob die Mutter selber oder jemand anderer ihn schrieb, oder ob wir, wenn wir selber Mütter sind, damit gemeint und angesprochen sind; wenn es darüber hinaus in unserer Umgebung zwei oder mehrere gibt, auf die mit okaasan ' Mutter' referiert werden kann, wissen wir nicht, welches Individuum gemeint ist. So erschweren die beiden Arten der sprechaktabhängigen referentiellen Variabilität die sichere Referenzfestlegung oft erheblich. Die Situation wird noch schwieriger, wenn die beiden interagieren, wie wir dies schon bei hissya und tyosya 'VerfasserAin' in einer leichteren Form beobachtet haben. Das Zusammenspiel der Transpersonalität und der shifterhaften, von der jeweiligen Sprechaktrolle abhängigen Referenz wird in besonderem Maße von relationalen Nomina wie Verwandtschaftsbezeichnungen gezeigt. Wir wollen im folgenden die Sachlage ein wenig genauer betrachten.

7.3. Referenz relationaler Nomina Wenn ein an sich relationales Nomen wie okaasan 'Mutter' auf einen der Sprechaktteilnehmer referiert, verhält es sich wie ein absolutes Nomen und, mehr noch, wie ein Eigenname, also als transpersonales Wort par excellence. Trotzdem wird auch im Japanischen wie z.B. auch im Deutschen die Relationalität besonders oft zwischen dem einen Sprechaktteilnehmer als Referent des betreffenden relationalen Nomens und dem anderen Sprechaktteilnehmer als referentiellem Determinator impliziert: Wenn die sprechende Person mit einem Wort wie okaasan oder Mutter auf sich referiert, meint sie damit meistens ' ich, deine/eure Mutter", also die Sprecherin als die Mutter der angeredeten Person(en); wenn demgegenüber mit dem gleichen Wort auf die angeredete Person referiert wird, ist damit oft 'du, meine/unsere Mutter' gemeint, also die Angeredete als die Mutter der sprechenden Person. Im Japanischen kommt aber die Konvention hinzu, dass man auf sich und seine Angehörigen oft mit Verwandtschaftsbezeichnungen referiert, deren Anker, d.h. deren objektiver referentieller Determinator, das kleinste Familienmitglied ist, und zwar unabhängig davon, ob dieses schon aus dem Kindesalter, in dem man noch nicht in der Lage ist, shifterhafte Sprachzeichen zu beherrschen, herausgewachsen ist. Ferner ist es nicht entscheidend, wenn auch nicht vollkommen irrelevant, ob das jüngste Mitglied am Ort des Sprechaktes mit anwesend ist. Wenn es am Sprechakt teilnimmt, ist es das einzige Familienmitglied, auf das sich die anderen Sprechaktteilnehmer mit seinem Eigennamen beziehen müssen, und das auf sich nicht mit einer Verwandtschaftsbezeichnung, sondern nur mit seinem Eigennamen oder mit einem pronominalen Wort wie watasi oder boku 'ich' referieren kann. Demgegenüber

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können alle anderen Familienmitglieder mit den Bezeichnungen der Verwandtschaftsbeziehung zu dem Kleinsten angeredet werden und mit denselben Verwandtschaftsbezeichnungen auf sich referieren. So kann der- bzw. diejenige, der/die nicht das jüngste Kind unter den Geschwistern ist, auf sich mit onee-tyan/-san 'große Schwester' bzw. onii-tyan/-san 'großer Bruder' referieren, genau so wie sein/ihr Gesprächspartner auf ihn/sie mit derselben Bezeichnung referieren kann, wobei dieser nicht jünger als er/sie zu sein braucht (z.B. die Eltern oder die Großeltern als Gesprächspartner). Dasselbe Prinzip gilt im Rahmen der familiären Gesprächssituationen auch für die Referenz auf Nicht-Sprechaktteilnehmer, auch wenn die Häufigkeit zunimmt, in Bezug auf diejenigen, die jünger als oder ungefähr gleich alt wie der Sprecher sind, ihre Eigennamen statt Verwandtschaftsbezeichnungen zu verwenden.15 Man hat daher für die Wahl des Ankers der Verwandtschaftsbeziehungen, der als referentieller Determinator relationaler Verwandtschaftsbezeichnungen gilt, drei prototypische Möglichkeiten: den Sprecher (X vom Sprecher = von mir, d.h. mein X, z.B. meine Mutter), den Angeredeten (X vom Angeredeten = von dir, d.h. dein X, z.B. deine Mutter) oder das jüngste Famienmitglied (X des/der Klein(sl)en, z.B. die Mutter des/der Kleinen). Ausgeschlossen ist logischerweise eine Koinzidenz des referentiellen Determinators und des Referenten des relationalen Nomens (ich kann nicht meine Mutter sein, zum Beispiel). Ansonsten kann einerseits ein und dieselbe Bezeichnung verschiedene Referenten haben und andererseits auf ein und dieselbe Person mit verschiedenen relationalen Bezeichnungen referiert werden. Die Sprecher kann daher beim Gespräch mit seinem Kind, das selber Kinder/ein Kind hat, mit derselben Bezeichnung okaasan 'Mutter' auf mindestens drei verschiedene Individuen, meine, d.h. seine, deine, d.h. seines Kindes, und seine/ihre, nämlich des/der Kleinen, d.h. seines Enkelkindes, und mit drei verschiedenen Bezeichnungen auf seine Mutter referieren: meine Mutter, deine Großmutter, die Urgroßmutter des/der Klein(st)en. So kann z.B. eine Großmutter auf ihre Tochter, Mutter ihrer Enkelkinder, mit okaasan 'Mutter' oder mama 'Mama' und auf sich mitobaatyan Oma' (seltener: obaasan 'Großmutter') referieren, wobei ihr die Freiheit bleibt, auf ihre Tochter mit deren Eigennamen, auf sich mit okaasan 'Mutter', und auf ihre eigene Mutter mit obaatyan Oma' (neben 15

Vgl. z.B. Suzuki 1973: 129ff., Tanaka 1989:207f., Takubo 1992: 22f. Interessant ist die Tatsache, dass die Regel, auf JUngere mit ihren Namen und auf Ältere mit Bezeichnungen derer Relation zu Jüngeren zu referieren, über den Rahmen einer Familie hinaus für verschiedene Gemeinschaften und Institutionen gilt. Dies steht im Zusammenhang damit, dass die Relationsbezeichnungen für Jüngere im Gegensatz zu denen für Ältere nicht anredefähig sind (vgl. Fußnote 7.nlO). So wird z.B. auf Jahrgangsjüngere und Jahrgangsgleiche immer mit ihren Eigennamen referiert,während auf Jahrgangsältere oft mit senpai, mit oder ohne ihren Eigennamen unmittelbar davor (z.B. Suzukisenpai "JahrgangsältereAr Suzuki"), referiert wird. Ein analoges Verhältnis gilt auch für Beziehungen, die nicht durch Relationsbezeichnungen im engeren Sinne, sondern durch Status- und Funktionsbezeichnungen bezeichnet werden. So werden für die Referenz auf Lehrer, Inhaber einer leitenden Position u.a. die betreffenden Bezeichnungen, auch hier mit oder ohne ihren Eigennamen unmittelbar davor (z.B. Suzuki-sensee "Lehrer/-in Suzuki", Suzuki-syotyoo "Institutsleiter/-in Suzuki") gebraucht, während auf Schüler, Jüngere, Untergeordnete u.a. als Sprechaktteilnehmer nicht mit ihren Statusbezeichnungen, sondern nur mit ihren Eigennamen referiert wird.

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hii-obaatyan 'Ur-Oma') oder mit okaasan 'Mutter' zu referieren. Auch ihr Ehemann kann auf sie neben ihrem Eigennamen mit (o-)kaasan 'Mutter' oder obaatyan (oder baasari) Oma', auf ihre Tochter mit okaasan 'Mutter' neben deren Eigennamen, auf sich mit otoosan 'Vater' oder mit oziityan u.a. Opa' referieren. Die Tochter kann ihrerseits mit okaasan 'Mutter' oder mama 'Mama' auf sich und mit obaatyan Oma' auf ihre Mutter referieren, wobei sie noch die Möglichkeit hat, mit den ersteren Bezeichnungen auf ihre Mutter und mit der letzteren auf ihre Großmutter zu referieren. Zwar seltener, aber prinzipiell möglich ist ihr Bezug mit obaatyan 'Großmutter' auch auf die Großmutter ihrer Mutter, d.h. ihre Urgroßmutter, obwohl sie dann wahrscheinlich den referentiellen Determinator explizit erwähnen würde, wie z.B.: (7.16) (a) okaasan no obaatyan Oma der Mutter' (b) watasi no hii-obaatyan 'meine Ur-Oma' Im Unterschied zu den oben behandelten Situationen, in denen sich der Sprecher selber im Netz der Relationalität befindet, handelt es sich beim Gebrauch eines relationalen Nomens wie okaasan 'Mutter' für die Referenz auf eine angeredete Person, die mit dem Sprecher keine Verwandtschaftsbeziehung hat (vgl. z.B. (7.10 ii b)), nicht bzw. weniger um die extensionale referentielle Seite als um die intensionale Eigenschaft von z.B. "Muttersein". M.a.W.: Es ist nicht wichtig, wessen Mutter die Angeredete ist; wichtig ist hingegen, dass sie in dem Wort die oder eine Eigenschaft wiederfindet, die auf sie zutrifft, und sich damit identifizieren kann. Das, was für den Sprecher von Belang ist, ist die richtige, d.h. erwartungsgemäße Reaktion der angesprochenen Person, weshalb sie sich wirklich angesprochen fühlen muss. Diese Sachlage hat zwei Hauptanwendungsbereiche: Beim einen geht es trotz des oben erwähnten, weniger extensionalen Gebrauchs eines relationalen Nomens doch um konkrete Referenz auf die Person, die der Sprecher ansprechen will. Der Sprecher weiß oder vermutet, dass die anzusprechende Person eine Mutter ist. Wenn es in der Nähe keine anderen gibt, die auch Mütter sein können, wird sie als einzige auf die Anrede mit okaasan 'Mutter' reagieren. Wenn es aber mehrere in der Nähe gibt, die sich davon angesprochen fühlen könnten, braucht der Sprecher nur seine Blickrichtung auf die anzusprechende Person zu fixieren. Sie wird sich dann als Angesprochene identifizieren, und die anderen werden es wohl auch verstehen.16 Beim anderen Anwendungsbereich handelt es sich um unspezifische, mehr oder weniger genetische Referenz. Der Sprecher beabsichtigt nicht, eine konkrete, spezifische Person anzusprechen; er hofft, dass mindestens eine, wenn nicht mehrere oder sogar alle, für die die betreffende Eigenschaft wie Muttersein zutrifft, auf das reagiert, was er gesagt hat. Daher begegnet man diesem Gebrauch besonders oft bei Appellen. Im Unterschied dazu muss man beim Gebrauch eines gleichen relationalen Nomens für die generische oder unspezifische Referenz, die auch den Sprecher betrifft, d.h. die sich auf die erste Person 16

Die bevorzugte Verwendung von Rollen- und Verwandtschaftsbezeichnungen u.a. für die Anrede hängt mit der Unhöflichkeit der Verwendung eines shifterhaften Pronomens wie anata 'du/Sie' (s. Fußnote 7.n6) zusammen.

235

Plural (z.B. wir Mütter) bezieht, die Pluralität explizit kennzeichnen, was bei der generischunspezifisehen Anrede zwar häufig, aber optional ist, z.B. okaasan-tati 'Mütter'. Für den Stil eines Manifestes, wie z.B. 'Wir Mütter wollen/glauben ...', wird ein pronominales Wort statt eines relationalen Nomens mit einem Pluralkennzeichen versehen, z.B.: (7.17) (a) {watasi-tati/wareware} haha-oya 'wir Mütter' (wareware ist eine schriftsprachliche Variante von watasi-tati 'wir') (b) haha-oya no watasi-tati 'wir(, die wir) Mütter (sind)' Wie die Erscheinung bei anderen Personenbezeichnungen, die wir in 7.2 oben dargestellt haben, gibt es auch bei Verwandtschaftsbezeichnungen solche, die transpersonal gebraucht werden können, und solche, die nicht anredefähig sind und daher nur für die Referenz auf Nicht-Sprechaktteilnehmer gebraucht werden können. Zum Beispiel kann das Wort hahaoya 'Mutter' in den obigen Beispielen wie das Wort/ia/ia 'Mutter' nicht auf Sprechaktteilnehmer, sondern nur auf die dritte Person referieren, wenn es allein, ohne Begleitung eines pronominalen Wortes, vorkommt. M.a.W.: Wenn haha oder hahaoya als Träger des Sachverhaltes in einem Satz genannt wird, kann sich der Satz trotz seiner morphosyntaktischen Transpersonalität nur auf eine Nicht-Sprechaktteilnehmerin beziehen, es sei denn, ein explizites Wort kommt darin vor, das die Referenz auf einen Sprechaktteilnehmer eindeutig macht, z.B. ein pronominales Wort wie in den obigen Beispielen und in (7.18 c) unten: (7.18) (a) Haha ga su-ru-n-des-u-ka? 'Wird/Soll meine Mutter es tun?' (b) Haha-oya ga su-ru-n-des-u-ka? 'Werden/Sollen (die) Mütter // Wird/Soll eine/die Mutter es tun?' (c) Haha-oya no watasi ga su-ru-n-des-u-ka? 'Soll/Muss ich, (die ich) Mutter (bin), es tun?' Wie haha(-oya) verhalten sich die meisten Beziehungsbezeichnungen, die kein Respektelement wie das Anredesuffix -san beinhalten und daher nicht anredefähig, aber dafür stilistisch gehoben und juristisch verwendbar sind. Hierzu gehören vor allem die nicht anredefähigen Suppletiva der anredefähigen Bezeichnungen, wie haha(-oya) zu okaasan 'Mutter':17 17

Die anredefähigen Verwandtschaftsbezeichnungen wie okaasan 'Mutter' usw. bestehen aus dem Höflichkeitspräfix o-, einem Stammelement und dem Suffix -san oder -tyan. Das Stammelement kommt meistens nicht mehr allein vor (in Dialekten und bei Schimpfwörtern begegnet man ihm oft in reduplizierter Form wie kaka(a) '(Mutter,) Ehefrau, (die) Alte'). Die nicht anredefähigen Bezeichnungen für Großeltem und Urgroßeltern sind sinojapanisch, d.h. ursprünglich chinesischer Herkunft, im Gegensatz zu den anderen, sowohl anredefähigen als auch nicht anredefähigen Bezeichnungen japanischen Ursprungs. Den genuin japanischen Formen baa, baba Oma' und zu, zizi Opa' sind nur in Dialekten, in sehr volkstümlichen Kontexten, bei spezifischen Funktionsund Relationsbezeichnungen (z.B. baaya, ältere Kinderpflegerin im Haus des/der Kindes/-er, und ziiya, männliches Gegenstück von baaya) und bei Schimpfwörtern (meistens in der Form babaa und zizii) zu begegnen. Ozi und oba in (7.19 i/j) sind die einzigen Verwandtschaftsbezeichnungen, die ohne Stammalternation allein durch Hinzufügung von -san oder -tyan anredefähig werden.

236 (7.19) (A)

transpersonal: (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g) (h) (i) (j)

(B)

(k) (D (m) (n) (o)

anredefähig:

nicht anredefähig:

okaa-san(/-tyan) wie links otoo-san(Atyan) = obaa-tyan/-san = ozii-tyan/-san = hii-obaa-tyan/-san = hii-ozii-tyan/-san = onee-san/-tyan = onii-san/-tyan = oba-san/-tyan = ozi-san/-tyan =

haha(-oya) titi(-oya) sobo sohu soo-sobo soo-sohu ane ani oba ozi

transpersonal:

nicht anredefähig:

anredefähig nicht als eigene Verwandte: o-zyoo-san musuko-san o-mago-san imooto-san otooto-san

musume musuko mago imooto otooto

'Mutter' 'Vater' 'Großmutter' 'Großvater' 'Urgroßmutter' 'Urgroßvater' 'ältere Schwester' 'älterer Bruder' Tante' Onkel'

Tochter' 'Sohn' 'Enkel' 'jüngere Schwester' 'jüngerer Bruder'

Verwandtschaftsbezeichnungen, die sich, wie unter (7.19 B), auf diejenigen beziehen, die jünger als der referentielle Determinator sind, können zwar durch Hinzufügung von -san anredefähig gemacht werden, sie unterscheiden sich jedoch von denjenigen für Ältere unter (7.19 A) darin, dass sie sich nie auf eine(n) eigene(n) Angehörige(n) des Sprechers beziehen können. M.a.W.: sie können nur dann auf die angeredete Person referieren, wenn diese keine Angehörige des Sprechers ist. Normalerweise werden solche Bezeichnungen nur dann für die Referenz auf die angeredete Person gebraucht, wenn deren Angehörige(r), die/der als referentieller Determinator der betreffenden relationalen Verwandtschaftsbezeichnungen gilt, dem Sprecher besser bekannt ist und am Ort des Sprechaktes mitanwesend ist. Wenn der Sprecher z.B. mit zwei Schwestern redet, von denen er die ältere besser kennt, kann er auf die jüngere als Angeredete wie als dritte Person mit imooto-san '(werte) kleine Schwester' referieren. Die ältere Schwester kann aber dieselbe Form, imooto-san, auf ihre kleine Schwester weder als dritte Person noch als Angeredete anwenden. Zwar kann sie, wenn ihr Gesprächspartner nicht zu ihren engeren Verwandten gehört, auf ihre Schwester als dritte Person neben deren Eigennamen auch mit der Verwandtschaftsbezeichnung imooto referieren, aber da diese Form, imooto, nicht anredefähig ist, kann sie ihre kleine Schwester nur mit deren Eigennamen anreden. Demgegenüber kann die jüngere Schwester auf ihre ältere Schwester nicht nur als Angeredete, sondern auch als dritte Person mit oneesan 'große Schwester', aber grundsätzlich nicht mit deren Eigennamen, referieren. Wenn das Gespräch außerhalb des familiären Rahmens stattfindet, bezieht sie sich auf ihre ältere Schwester als dritte Person eher mit ane 'ältere Schwester' als oneesan, aber auch in dieser Gesprächssituation

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muss sie zum einen vom Gebrauch des Eigennamens absehen18 und zum anderen auf ihre Schwester als Angeredete mit oneesan referieren. Ähnlich wie die Bezeichnungen für Jüngere verhalten sich Verwandtschaftsbezeichnungen für die gleiche Generationsstufe, z.B. itoko(-san) 'Vettern/Kusine', bis auf das Fehlen der Asymmetrie, die die Bezeichnungen wie imooto gegenüber ihren Altersgegenstücken ane und oneesan aufweisen (für Vettern/Kusinen fehlen im Japanischen altersspezifizierende Bezeichnungen wie für Geschwister). Auch die Bezeichnungen für Ehepartner verhalten sich analog, sie haben aber eine zusätzliche Form, die für den Ehepartner des Sprechers, also für 'meine Frau'/'mem Mann', spezialisiert ist und keine Entsprechung bei den anderen Verwandtschaftsbezeichnungen hat. Außerdem lassen sie sich nicht durch einfache Hinzufügung eines Suffixes anredefähig machen. Die jeweiligen Formen sind durch Suppletion, teilweise mit Prä- oder Suffigierung, zu bilden: (7.20)

transpersonal: anredefähig, nicht anredefähig, nicht'mein/-e': 'mein(e)': (a) oku-san/-sama kanai (b) go-syuzin syuzin danna-san/-sama

nicht anredefähig, jurist-formal: tuma 'Ehefrau, Gattin' otto 'Ehemann, Gatte'

Die anredefähigen Bezeichnungen für 'mein Mann' und 'meine Frau' entfallen, weil dafür die Eigennamen oder, wenn das Ehepaar ein Kind oder Kinder hat, otoosan 'Vater' und okaasan 'Mutter', oder später auch oziisan Opa' und (o-)baasan Oma' gebraucht werden. Ebenso referiert der Sprecher bzw. die Sprecherin auf sich selbst mit diesen Optionen (oder mitt den pronominalen Wörtern), so dass keine der oben aufgelisteten Bezeichnungen dafür verwendet wird. Bei allen bisherigen Verwandtschaftsbezeichnungen fällt die Anredeform mit der Respektform zusammen.19 Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigen die folgenden Fälle:

18

Es sei denn, unter Mitbenutzung der Verwandtschaftsbezeichnung, z.B. one no EN 'meine Schwester EN; EN, die meine Schwester ist'. In der familiären Situation sowie bei direkter Anrede kann man (o-)neesan wie ein Suffix gebrauchen, z.B. EN-(o-)neesan 'Schwester EN' (vgl. Tante/Onkel EN im Deutschen).

19

Die Anrede ist gewiss ein Teilbereich der Honorifikation und die nominale Referenz hat insofern unmittelbar mit dem Honorifikationssystem zu tun. Andererseits widersprechen die Transpersonalia, die auch für die Anrede gebraucht werden, dem Grundsatz der Honorifikation, dass man auf sich und seine Angehörigen nicht mit einer Respektform referieren darf. Die Anredeform ist aber par excellence eine Respektform. Daher müsste das System der nominalen Referenz als von demjenigen der Honorifikation (zunächst) unabhängig angesehen werden. Die beiden sind naturlich sehr eng korreliert, vor allem in dem Punkt, dass man wissen muss, in welcher Situation man ein transpersonales Nomen für die Referenz auf sich selber gebrauchen kann bzw. soll, ohne gegen die Norm der Honorifikation zu verstoßen. Vgl. Fußnote 7.nl3 oben.

238 (7.21)

transpersonal: anredefähig, nicht anredefähig, nicht' meinAe': nicht' mein(e)':

(a) (b) (c)

o-zyoo-san musuko-san bottyan

kodomo-san o-ko-san 20 musume-san go-sisoku

nicht anredefähig, 'mein(e)' od. jurist-formal: kodomo 'Kind' musume musuko

Tochter' 'Sohn'

Wichtig ist, dass die anredefähigen Bezeichnungen nicht unbedingt für die Anrede verwendet werden müssen, sondern durchaus für die Referenz auf die 3. Person eingesetzt werden können. Auf diese Weise zeigen die Verwandtschaftsbezeichnungen zwar ein etwas anderes Bild als die sonstigen Personenbezeichnungen, aber sie bestätigen den dortigen Befund, dass es keine anredefähigen Wörter gibt, die nicht auf einen Nicht-Sprechaktteilnehmer referieren können, und dass es keine Bezeichnung gibt, mit der man sowohl auf die erste als auch auf die dritte Person, aber nicht auf die zweite Person referieren kann. Die sehr komplexe Art der Referenz mittels der Verwandtschaftsbezeichnungen kann erhebliche Schwierigkeiten der Informationsverarbeitung seitens der angeredeten Person bereiten, wenn sie die Erwartungen des Sprechers nicht teilt. Eine vergleichbare Schwierigkeit hat aber der Sprecher selber, weil er einschätzen muss, welche Option am deutlichsten zu verstehen bzw. am wenigsten missverständlich ist.21

20 21

musume-san als Anrede ist eher als 'Fräulein junge Frau' zu verstehen (allerdings fast obsolet). So gerät auch die Verfasserin immer in die Verlegenheit, wenn sie mit ihrem Neffen, einem Erwachsenen, redet und auf ihre Schwester, d.h. seine Mutter, oder auf ihre Mutter, d.h. seine Großmutter, referieren muss. Gleicherweise weiß sie oft nicht so recht, wie sie auf sich referieren soll, mit watasi 'ich' oder mit obasan 'Tante'. Die einzige Sicherheit besteht darin, dass sie auf ihn nur mit seinem Namen referiert, weil er weiterhin das jüngste Familienmitglied ist. Aus dem gleichen Grund ist es fast sicher, dass er sich als Anker der Relationen nimmt, wenn er Verwandtschaftsbezeichnungen verwendet.

8. Verbale Deixis, Referenz von Partizipanten und Orientierung zwischen Agens und Empfänger

8.1. Deiktische Alternation von "geben"-Verben und Kodierung von Partizipanten: Ein Überblick

Wir haben oben gesehen, dass die Transpersonalität und die Weglassbarkeit von Adjunkten zu den wesentlichen typologischen Merkmalen des Japanischen gehören. Wegen dieser Eigenschaften könnte unter Umständen das richtige Verstehen seitens des Adressaten erschwert werden. Dass es meistens dennoch nicht zum Missverständnis kommt, beruht unter anderem darauf, dass die scheinbare Weglassung einen Regelcharakter als Anaphorisierung durch Null hat, die die kontextuelle Identifizierbarkeit voraussetzt. Ein weiteres Instrumentarium der Disambiguierung der Referenz von Partizipanten ist die Deixis,1 die im nominalen Bereich durch Demonstrativa repräsentiert wird. Gegenüber dem Fuzzy-Set der QuasiPersonalpronomina bilden die Demonstrativa im Japanischen ein klar strukturiertes geschlossenes System, dessen Grundlage nichts anderes als die "Person" im indo-europäischen Sinne ist: Die fco-Demonstrativa beziehen sich auf den Bereich des Sprechers, die soDemonstrativa auf den Bereich der angeredeten Person (vgl. (7.8 b)), und diea-Demonstrativa auf den Bereich, der sich außerhalb der Bereiche der Sprechaktteilnehmer befindet.2 Die Referenzfestlegung von Partizipanten mittels der Demonstrativa funktioniert naturgemäß nur dann, wenn mindestens ein Adjunkt, das ein demonstrativisches Element enthält, im Satz vorkommt. Das Mittel, das auch bei Abwesenheit aller Adjunkte zur Referenzfestlegung beitragen kann, ist die verbale Deixis, d.h. die Deixis, die in der jeweiligen Verbsemantik enthalten ist. Die deiktischen Verben im Japanischen sind alle diejenigen für dynamische Handlungen bzw. Vorgänge, die deren Richtung in Bezug auf den Sprecher spezifizieren, z.B. ik-u 'gehen' für die Richtung vom Sprecher weg und ku-ru 'kommen' für die Richtung zum Sprecher hin. Zu den deiktischen Verben gehören die Verben für donativen Gegenstandstransfer, also "geben"-Verben, die im Japanischen einen solch hohen Stellenwert haben, dass er mit den anderen Verben in derselben Sprache wie auch mit den "geben"-Verben in den europäischen Sprachen fast unvergleichbar ist. Es gibt im Japanischen fünf Verben für "geben", die in zwei Deixistypen zu klassifizieren sind. Der eine Deixistyp bezieht sich auf die Richtung des Transfers vom Sprecher nach außen, der andere auf die Richtung zum Sprecher von außen her. Der erstere besteht aus Zu allgemeinen Charakteristika der Deixis vgl. u.a. Bühler 1934/78:79ff., Rauh 1983, Kryk 1990, Fuchs 1993, Fillmore 1997. Früher wurde ka- statt oder neben a- gebraucht, das sich in den heute häufiger gebrauchten quasi-anaphorischen Pronomina kare 'er' und kanozyo 'sie' wiederfindet (vgl. 7.nl4). Zu einer ausführlichen Darstellung der Demonstrativa, vgl. Hayashi 1993, vgl. auch Makino 1996: 80ff.

240

drei Verben: age-ru (vgl. (2.1), (6.3), (7.2)ff.), das als die neutralste Variante gilt, sasiage-ru, das Respekt vor dem Empfänger zum Ausdruck bringt, \mdyar-u, das auf den im Vergleich zum Geber niedrigeren Status des Empfängers, z.B. Eltern als Geber und deren Kind als Empfänger, oder ein Mensch als Geber und ein Tier als Empfänger, hinweist.3 Der letztere Deixistyp, der sich auf die Richtung des Transfers von außen zum Sprecher bezieht, besteht aus zwei Verben: kure-ru (vgl. (1.23 b)), das als Grundvariante zu betrachten ist, und kudasar-u, das Respekt zum Geber ausdrückt. Im Folgenden werden age-ru und kure-ru als Stellvertreter der beiden Deixistypen behandelt. Wenn der Sprecher selber im Transfer involviert ist, alternieren die beiden Verben automatisch: age-ru, wenn der Sprecher Geber ist, und kure-ru, wenn er Empfänger ist, z.B. (wir führen eine Konvention für eine unterschiedliche Wiedergabe der beiden "geben"Verben ein, 'geben>' für age-ru und 'geben/geben mein(e) > du/ihr > dein(e)/ euer > er/sie(. > sein/ihrie), > er/sie^. > sein/ihrie^. (eure) Geber —> Empfänger: age-ru Empfänger l'.iii.a) >

> 3 e l.Pl.Inkl. l'.iii.ß) >

2) -1.P1. 3. g l.Pl.Inkl 2')

257

Bei (8.18 a) handelt es sich um eine sukzessive Erweiterung der Menge, die den Sprecher einschließt, d.h. um die Erweiterung des Bereichs des Sprechers, der als deiktischer Bezugspunkt, als deiktische Achse, für die "geben"-Verben gilt. Wie wir oben in 8.2. gesehen haben, besteht der grundlegende deiktische Gegensatz zwischen dem Bereich, in dem der Sprecher sich befindet, und dem durch den ersteren negativ determinierten Bereich. Daher besteht der Grundgegensatz bei den "geben"-Verben zwischen der den Sprecher einschließenden Menge, die als 1. Person kategorisiert wird, und der Restmenge, die als 'Nicht-I.Person' bezeichnet werden kann. (8.18 b) gibt Komponenten an, die für die Bildung der entsprechenden Mengen unter (8.18 a) benötigt werden. Um die Menge der 1. Person Plural Exklusiv zu bilden, muss man zu der 1. Person Singular (= dem Sprecher) einen oder mehr als einen Nicht-Sprechakt-Teilnehmer, (b l'.ii), addieren. Um die Menge der 1. Person Plural Inklusiv zu erhalten, muss man zu der 1. Person Singular mindestens die angeredete Person ( . ) addiert haben. Auch die 1. Plural Inklusiv kann einen oder mehr als einen Nicht-Sprechaktteilnehmer einschließen, daher die Instanz (b .iii.ß), 3 e l.Pl.Inkl. Auf diese Weise wird die Referenz der Partizipanten durch die deiktische Indikation eingeengt, auch wenn sie im Satz nicht explizit genannt sind. Der wichtigste Faktor hierfür ist die Unidirektionalität der sprecherbezogenen Deixis der "geben"-Verben, aufgrund derer die Reflexivität eines Transfers ausgeschlossen wird und mindestens die negative Determination möglich ist: Wenn der Sprecher der im Satz genannte Partizipant ist, muss der andere Partizipant mindestens ein Nicht-Sprecher sein; wenn die im Satz genannte Partizipantenpartei eine den Sprecher einschließende Menge ('wir') ist, muss sich die andere Partei außerhalb dieser Menge befinden ('nicht-wir'). Wie haben nun die Bedeutung dieses auf den ersten Blick trivial erscheinenden Prinzips für die Referenzfestlegung kennengelernt.

8.6. Asymmetrie in der Proxomativbehandlung der sprechernahen Partizipanten und Benefaktivität

Wenngleich die "geben"-Verben eine große Rolle bei der Referenzfestlegung von Partizipanten spielen, sind sie doch nur zwei der unzähligen Verben im Japanischen. Bei allen anderen Verben, selbst bei deiktischen wie ik-u 'gehen' und ku-ru 'kommen', die nicht minder als die "geben"-Verben eine grammatisch sehr wichtige zentrale Position im japanischen Prädikats system einnehmen, kann man keine solche referenzeinengende Erscheinung beobachten.10 Und doch begegnet man auch bei diesen anderen Prädikaten selten uneindeutiger Partizipanten-Referenz. Trägt das diskurspragmatische Prinzip der eindeutigen Identifizierbarkeit, das der Verwendung der Null-Anapher und transpersonaler Wörter zugrundeliegt, doch stärker als das deiktische Prinzip zur Referenzfestlegung bei? Wahrscheinlich ist das 10

Vgl. z.B. Kuno 1973: 29f. zur Verwendung der deiktischen Verben als sprecherbezogener richtungsanzeigender Auxiliare. Vgl. Ono 1993: 148f. zu verschiedenen Verwendungsweisen von ik-u und ku-ru als Auxiliare.

258

so. Zumal donative Transfers, die die "geben"-Verben ausdrücken, doch nur einen Bruchteil der auszudrückenden Sachverhalte darstellen. Hat also die deiktische Indikation dieser Verben doch nicht ein solches Gewicht im Sprachsystem, wie ihre Funktion vermuten lässt? Ein Satz, der aus einem der "geben"-Verben allein besteht, weist auch ohne Kontext mindestens auf die Richtung des Transfers in Bezug auf den Sprecher, d.h. in der Beziehung zu diesem, und dementsprechend auf die Einschätzung des Sprechers bezüglich der relativen Distanz des Gebers und des Empfängers zu ihm hin. Es gibt im Japanischen aber auch solche Transferverben, die an sich nicht in der Lage sind, diesbezüglich irgendeinen Hinweis zu geben. Das sind solche Verben, die grundsätzlich für jede Geber-Empfänger-Konstellation gebraucht werden können, ohne vom jeweiligen Sprecher, von der jeweiligen Identität bzw. Referenz des Gebers und des Empfängers und vom Diskurskontext abzuhängen. Sie sind sowohl von der subjektiven Einschätzung des Sprechers als auch vom Zwang der Einschätzung, dem der Sprecher bei der Wahl eines "geben"-Verbs ausgeliefert ist, frei. Sie können daher weitgehend sowohl age-ru als auch kure-ru ersetzen, wenn ihre Verwendung aus irgendeinem Grund schwierig, unpassend oder lieber zu vermeiden ist. Als Beispiel kann man sich eine Testsituation vorstellen, in der eine kontextlose Transferszene mit zwei Partizipanten, die den Testpersonen nicht bekannt sind, gezeigt wird. Die Testpersonen haben hier keinen Anhaltspunkt, welchen Partizipanten sie für näher zu sich halten sollen. In einer solchen Situation wird die Entscheidung für eins der beiden "geben"Verben erschwert, und es ist wahrscheinlich, dass ein diesbezüglich neutrales Verb, z.B. watas-u 'aushändigen', ausgewählt wird. So kann das Kriterium der Ego-Nähe bei diesen Verben aufgehoben werden, wenn dem Sprecher der Geber und der Empfänger gleichermaßen nah sind; die beiden Partizipanten werden dann auch sprachlich dementsprechend gleichrangig behandelt. Vergleichen wir die folgenden Möglichkeiten: (8.19) Musume ga musuko ni tyokoreeto o {(a) purezento=si- / (b) age- / (c) kure-}-ta. Tochter Sohn Schokolade {(a) schenken/(b) geben>/(c)geben Bedeutungskonstanz unabhängig vom Prädikat Die höhere Abhängigkeit vom Prädikat bedeutet, dass das Vorkommen der betreffenden Kasuspartikel vom Prädikat her gesteuert ist und die von ihr bezeichnete Rolle nur im Hinblick auf das jeweilige Prädikat identifizierbar ist. Die von ihr ausgedrückte Relation ist insofern abstrakt, als sie ohne ein identifizierbares Prädikat keine handfeste, konkret vorstellbare ist. Demgegenüber bieten die Partikeln am rechten Pol von sich aus eine von der Identität des Prädikates unabhängige, konkret vorstellbare Relation. Sie öffnen nicht nur eine Leerstelle, die von einem Nomen besetzt werden soll (das tun alle Partikeln), sondern bestimmen ohne Hilfe eines Prädikates, welche Relation dieses Nomen haben soll. Insofern haben diese Partikeln Prädikatseigenschaften und somit die Kopfeigenschaft, die einer Adposition zugeschrieben wird (vgl. Nichols 1986: 57, s. 1.3.1 oben). Dass die Kasuspartikeln sich trotzdem nicht in zwei Klassen, Postpositionen und Kasussuffixe (oder "-Klitika", vgl. Miyagawa 1989), teilen lassen, zeigt sich zum einen an den oben beobachteten verschiedenen Abstufungserscheinungen und zum anderen an den unterschiedlichen Verhaltensweisen ein und derselben Partikel je nach ihrer jeweiligen Funktion. Bei der letzteren Erscheinung lassen sich die Kasuspartikeln grob in drei Gruppen einteilen:

309

(9.31) (a) unterschiedliches Verhalten bei der Kombination mit Nicht-Kasuspartikeln (s. (9.20)): (b) unterschiedliches Verhalten bei der Kombination mit Kasuspartikeln (vgl. (9.28)): (a) (i) (ii) + (iii) -

(b) - : +: + :

ga; o; e, made, kara ni de, yori, to

Die Gruppe (i) besteht aus heterogenen Elementen: ga hat keine konkrete Verwendung und e, made und kara stellen das Gegenteil dar. O hat zwar durchaus eine spatio-temporale Funktion (vgl. z.B. (5.33) Rain-sagan o ik-u 'am linken Rheinufer fahren'), verzichtet aber sozusagen zugunsten der formalen Einheit darauf, die Bedeutungsunterschiede in seinen Verhaltensunterschieden widerspiegeln zu lassen, während ni zugunsten der Bedeutungen seine Verhaltensweise spaltet. Allerdings ist der Grad der Konkretheit bei o nach einer Ortsbezeichnung insofern nicht so hoch wie bei kara, made u.a., als ein Ausdruck "Nomen + o" zunächst von sich aus nichts Konkretes über seine Rolle aussagt, die Rolle einer Ortsangabe vielmehr erst durch ein konkretes Prädikat, z.B. ik-u 'gehen, fahren' und nicht z.B. mi-ru 'ansehen', bestimmt werden kann.53 Die Erscheinung der teilweisen Kombinierbarkeit der Kasuspartikeln untereinander, die ein recht komplexes Bild darstellt, ist ein Indiz dafür, dass es unwahrscheinlich ist, dass es sich bei Nicht-Kombinierbarkeit um eine rein positioneile Wegfall- bzw. Tilgungsregel wie etwa in (9.32) handeln würde: (9.32) {ga/o} ->0/__ {ni/de/to/yori (usw.)} Solch eine Tilgungsregel erscheint uns gewiss für die Beschreibung des synchronen Zustandes der Beziehungen zwischen den Partikeln unterschiedlicher Kategorien als ein elegentes Mittel sehr attraktiv, vor allem für die Erscheinungen vor no: (9.33)

[ga/o/ni)-*0/_no

Bei dieser Annahme setzt man voraus, dass, anders als in der oben skizzierten klassischen Distributionsanalyse, ga, o und ni einerseits und no andererseits zu zwei unterschiedlichen Positions- bzw. Selektionsklassen gehören und daher kein gemeinsames Paradigma bilden. Die Annahme bevorzugt ferner die Sichtweise, dass ga, o und ni zusammen mit den anderen Kasuspartikeln, die vor no stehen können, ein Paradigma bilden. Während die letzteren vor no erhalten bleiben, müssen die ersteren dort wegfallen. Wegfall heißt aber Latenz, bzw. die Existenz der Form einer Null. Aber angesichts all der skalaren Erscheinungen oben und der historischen Hintergründe ist es fraglich, ob solch eine saubere Regel wie (9.33) wirklich 53

Demgegenüber ist o für Zeitdauer wohl genauso konkret wie ni für Zeitpunktangabe. Trotzdem wird keine Spaltung der Verhaltensweisen von o beobachtet, die derjenigen bei ni für Zeitangabe vs. dessen andere Funktionen vergleichbar wäre.

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aufstellbar ist, und vor allem, ob hinter der angenommenen Null wirklich etwas steckt. M.a.W.: Ist es nicht doch eher so, dass die Null nicht für etwas, sondern für nichts steht? Wenn wir die Adäquatheit von (9.33) in Frage stellen, gibt es auch keinen stichhaltigen Grund mehr für die Aufrechterhaltung der Annahme analoger Tilgungsregeln bei anderen Partikeln, insbesondere vor wa: (9.34) ( g a ( / o ) } -^0/_ (9.35) ga->0/ _ { wa / mo / demo } Fast das einzige Argument für die Aufstellbarkeit solcher Tilgungsregeln ist die grundsätzliche syntagmatische Kombinierbarkeit von ga und demo, die durch X demo ga, Permutation von *X ga demo, gezeigt wird. Um dies als Argument gelten zu lassen, muss man annehmen, dass wa, mo und demo zu einer paradigmatischen Klasse gehören. Eine weitere Stütze dieser Regeln ist das Verhalten von o in denselben Umgebungen, vor allem die Möglichkeit des Auftretens von o vor demo. Auch dies setzt die Paradigmatizität zwischen ga und o voraus, um als Argument gelten zu können. Ferner verhalten sich die anderen Kasuspartikeln, die vor wa stehen, regelkonform, vor allem ni, das je nach semantischen und pragmatischen Bedingungen vor wa stehen kann, aber nicht immer stehen muss. Wenn wir aber diese paradigmatischen Überlegungen nicht anstellen (bzw. zunächst einmal beiseite lassen) und nur ga und wa betrachten, gibt es von der Distribution her keine Evidenzen dafür, gesonderte Positionsklassen für ga und wa anzunehmen, die für die Tilgungsregeln oben benötigt werden. Folglich könnten ga und wa durchaus zu einem Paradigma zusammengehören, was in den Titeln vieler Arbeiten schon immer suggeriert wurde (z.B. Kuno 1973: 37ff. "Wa and Ga", Kamibayashi 1987, Inoue 1989c, Teramura 1989a).

9.5.4. Die pragmatische Funktion von ga und dessen Stellung im Partikelsystem Die Hypothese lautet, dass ga nicht als Kasus-, sondern als Diskurspartikel für Informationsstruktur, als Pendant von wa, gelten kann. Aus diachroner Sicht sind wir keineswegs dazu gezwungen, ga als Kasuspartikel anzusehen. Wenn wir nun ga aus dem Paradigma der Kasuspartikeln herausnehmen, haben wir ein typisches nominativ-akkusativisaches Kasusmarkierungssystem mit dem Nominativ ohne overte Markierung und dem Akkusativ mit einer expliziten Markierung (vgl. (9.15)): (9.36) Nominativ: N+0 Akkusativ: N+o etc. In diesem System hat ga nicht in der Propositionsbildung, für die die Kasusmarkierungen zuständig sind, seinen Platz, sondern zusammen mit wa in der pragmatisch basierten Strukturierung des Satzes (bzw. Modifikation der Proposition) aufgrund der Informationsdynamik wie Thema, Vorhersagbarkeit, alte und neue Information oder Fokus. Am besten

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kann dieses System so angesehen werden, dass es aus zwei Schichten besteht (bzw. aus zwei chronologisch aufeinanderfolgenden Kodierungsverfahren): Die erste Schicht ist die Propositionsbildung, bei der der Nominativ ohne Kasusmarkierung (bzw. mit der NullMarkierung) für die Kodierung des einzigen Partizipanten eines intransitiven Sachverhaltes eingesetzt wird wie für den Agens eines transitiven Sachverhaltes, bei dem der Patiens mit dem Akkusativ o markiert wird. Der Nominativ ist außerdem die Form des Prädikatsnomens. In der zweiten Schicht wird dann wa zur thematischen prädiktablen Konstituente und ga zur unprädiktablen Fokus-Konstituente (vgl. u.a. Kuno 1973:37ff., 1980) hinzugefügt, wobei bestimmte Kasusmarkierungen vor ga wie vor wa wegfallen (oder getilgt werden müssen) oder durch diese ersetzt werden können, vgl. z.B. (6.9) fTaroo wa /Dare f g a / n i j } eego ga deki-ru ... '{Taroo/Wer} kann Englisch'. Soweit sieht das angenommene System sehr kohärent aus, das außerdem sowohl der Diachronie als auch der Realität der gesprochenen Alltagssprache gerecht zu werden scheint. In der letzteren wird ga in der Tat grundsätzlich nur dann gebraucht, wenn auf die betreffende Nominalphrase wegen Unprädiktabilität entweder der Referenzidentität oder der Partizipantenrolle (vgl. (5.62)ff.) ein Informationsfokus gelegt wird. Aber gerade die oben zuletzt genannte Wegfallannahme der Kasusmarkierungen macht den Schwachpunkt dieser Hypothese aus. Denn wa und ga verhalten sich in dieser Hinsicht leider nicht vollkommen paradigmatisch. Zwar sieht das Verhalten von ga vor den anderen Kasuspartiken in (9.28) dem von wa in (9.20) fast gleich aus, aber das Vorkommen von ga ist viel beschränkter als das von wa und immer auf die Prädikate angewiesen, die ga für eine bestimmte Rolle verlangen. Demgegenüber ist wa von Prädikaten unabhängig und mit jeder Partizipantenrolle kompatibel. Das Beispiel (6.9) stellt daher den eher seltenen Fall dar, in dem ni sowohl durch wa als auch ga ersetzt werden kann; man dürfte ihn eine Ausnahme nennen. Aber selbst dieses Beispiel zeigt, dass wa und ga sich nicht gleich verhalten, wenn es um die Kombinierbarkeit mit ni geht: (9.37) Taroo [wa/ni/ni wa/ *ni ga/ ga} eego ga deki-ru. 'Taro kann Englisch.' (s. (6.9)) Die folgenden Beispiele zeigen den Verhaltensunterschied zwischen wa und ga noch deutlicher (die Morphemübersetzungen der Prädikate sind vereinfacht, da hier irrelevant): (9.38) Satoo-san {(?) wa / ni / ni wa / *ni ga / *ga} watasi wa ai-mas-en desi-ta. treffen-HON-NEG HON-PRÄT 'Herrn/Frau Sato habe ich nicht getroffen.' s. (6.10) (9.39) Doitu

no kokkai

Deutschland

wa moo Bon { *wa/ni/ni wa / *ni ga / *ga] ari-mas-en.

Parlament TOP schon Bonn {

} dasein-HON-NEG

'Der Deutsche Bundestag befindet sich nicht mehr in Bonn.' vgl. (6.25 a) (9.40) Doitu no kokkai wa moo Bon { *wa/de/de wa/ *de ga/ *ga} ari-mas-en. 'Der Deutsche Bundestag findet nicht mehr in Bonn statt.' vgl. (6.25b) Die Fokussierung auf die Identität beeinflusst die Möglichkeit des Vorkommen von ga nicht:

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(9.41) (a) Doitu no kokkai wa Berurin {ni/de/ *ni/de ga/*ga) ari-mas-u. (b) Berurin {ni/de/ *ni/de ga/ *ga} Doitu no kokkai ga ari-mas-u. 'Der deutsche Bundestag {befindet sich / findet statt} in Berlin.' Die Kombinierbarkeit von ga mit einer anderen Kasuspartikel scheint also auf nur solche Fälle wie im Kontext von X ga i-i 'X ist gut' beschränkt zu sein. In der Tat istga dann nicht mehr akzeptabel, wenn (9.24) folgendermaßen geändert wird: (9.42) Tyuurihi {kam / *kara ga / *ga} tat-(i-mas)-u starten-(ADV-HON-)PRÄS 'Ich reise (fliege) von Zürich ab.'

Demgegenüber ist wa ohne weiteres mit kara kombinierbar: (9.43) Tyuurihi {kara/kara wa/*wa] tati-mas-en. starten-HON-NEG:PRÄS 'Ich reise (fliege) nicht von/ab Zürich ab.' Außer diesen Kombinationsbeschränkungen zeigt ga auch Substitutionsbeschränkungen, von denen wa nicht betroffen ist, z.B.: (9.44) Karee {o/wa/*ga}

tabe-mas-u.

'Ich esse Curry.'

essen-HON-PRÄS

Ein Fall wie (9.44) ist eine einfache Angelegenheit der Inakzeptabilität, ohne Missverständlichkeit hervorzurufen. Aber in (9.45) wird der Sachverhalt anders verstanden, je nach dem, welche Partikel, ga oder o, steht, während wa die Interpretation dem Kontext überlässt: (9.45) Taroo (a)o/b) wa/c) ga} yobi-masi-ta. rufen-HON-PRÄT a) 'Ich (oder jemand) rief Taro.' b) 'Taro rief ich.' Oder Taro rief mich (oder jemanden).' c) 'Taro rief mich (oder jemanden).' (9.45) zeigt deutlich, dass ga wie o eine diskriminatorische, d.h. rollenunterscheidende Funktion ausübt. Also kann ga nicht zusammen mit wa, sondern doch nur zusammen mit o zu der Kategorie gehören, die zur Rollenkodierung dient. Dies ist eben die Kategorie der Kasuspartikeln. Außer diesen Erscheinungen, die in Hauptsätzen beobachtet werden, ist die Tatsache von Bedeutung, dass ga auch dann in der Umgangsprache seltener fehlt, wenn es sich um Nebensätze handelt. Wenn ga zusammen mit wa nur, oder mindestens in erster Linie, zur Organisation der Informationsstruktur des Satzes diente, wäre es nicht leicht zu verstehen, warum eine Satzkonstituente mit ga auftreten muss, die weder neu noch unprädiktabel ist und, wenn sie in einem Hauptsatz auftreten sollte, doch mit wa zu erwarten

313

ist. M.a.W.: Es gibt vom diskurs-dynamischen Standpunkt her keinen Grund, warum eine Konstituente, die mit wa steht, bei der Nebensatzbildung zu ga verschoben werden muss, z.B.: (9.46) (a) Watasi wa Taroo o {yobi-masi-ta / yon-da}.

'Ich rief Taro.'

{rufen-HON-PRÄT/ rufen-PRÄT)

(b) Watasi ga Taroo o yon-da koto 'dass ich Taro rief (c) Watasi ga yon-da Taroo Taro, den ich rief Dass es sich bei dieser Verschiebung nicht um eine besondere diskurs- oder informationsbezogene Funktion handeln kann, die nur ga eigen wäre und nicht von den anderen Kasuspartikeln geteilt würde, wird durch das folgende Beispiel klar gezeigt: (9.47) (a) Taroo wa watasi ga {yobi-masi-ta / yon-da}. (b) Taroo o watasi ga yon-da koto (c) Taroo o yon-da watasi

Taro rief ich.' 'dass ich Taro rief54 'ich, der/die ich Taro rief

Wenn ga in (9.46) sich zu wa paradigmatisch verhalten sollte, müsste sich o in (9.47) auch zu wa paradigmatisch verhalten. Wenn auch o, dann auch m, denn ni kann auch, wie in (9.37), gänzlich durch wa ersetzt werden. Und wenn ni die Optionalität zwischen dem Ersatz durch wa (bzw. Wegfall vor wa) und der Kombination mit wa zulässt, dann gibt es an sich auch keinen Grund mehr, dieselbe Paradigmatizität nicht auch für to, de etc. anzunehmen. Dann ist aber mit dem vermeintlichen Paradigma etwas nicht stimmig, denn die Mitglieder dieser Klasse, die syntagmatisch kombinierbar sind, bilden dann innerhalb einer Kategorie zwei Positionsklassen. Dies muss zwar angesichts unserer eigenen Befunde der teilweisen Kombinierbarkeit von Kasusmarkierungen untereinander so störend auch nicht sein, aber die funktionale Heterogenität zwischen dem nicht-rollenunterscheidenden wa und den anderen rollenkodierenden Partikeln ist doch eine zu hohe Hürde. Außerdem wäre es dann eher so, dass nicht ga, o etc. zu der von wa repräsentierten diskursdynamischen Kategorie umgruppiert werden, sondern wa zu den Kasuspartikeln trotz seiner nichtdiskriminatorischen Eigenschaft. Dieses Dilemma ist wohl nur dadurch zu lösen, dass ga wie allen anderen Kasuspartikeln die positive diskursdynamische Funktion aberkannt wird. Dass ga in Nebensätzen ohne Hilfe der Prosodie genauso wenig wie alle anderen Kasuspartikeln zur Klarstellung der Informationsstruktur beitragen kann, weist schon darauf hin, dass die diskursbezogene Funktion ga nicht inhäriert. Dass ga aber in Hauptsätzen unverkennbar zur Informationsstrukturierung beiträgt, ist als sog. "by defaulf'-Interpretation zu verstehen: Das Fehlen von wa nach einem Nomen signalisiert, dass das betreffende Nomen keine 54

Wa ist in einem Nebensatz dann möglich, wenn es kontrastiv verwendet wird, z.B. Taroo wa watasi ga yon-da koto 'dass ich Taro rief (aber z.B. Hanako rief jemand anderer)'. Genauso kann (9.46 b) dann wa enthalten, wenn watasi 'ich' mit jemandem kontrastiert werden soll.

314 vorhersagbare Information trägt. Dieser Hinweis auf die Negation von etwas schlägt dann leicht in den Hinweis auf das Gegenteil um (vgl. Jakobson z.B. 1932a). D.h., das Fehlen von wa weist darauf hin, dass es sich um eine unvorhersagbare Information handelt. Die Frage ist aber, warum dies nicht alle Kasusmarkierungen gleichermaßen betrifft, sondern ga mit solcher Prominenz. Das kann vor allem daran liegen, dass ga eben die Markierung des einzigen Partizipanten eines intransitiven Sachverhaltes ist, und beim Fehlen anderer Partizipanten steht die Möglichkeit, den einzigen Partizipanten mit wa zu markieren, quasi in einer unmittelbaren Opposition zu der Möglichkeit, denselben mit ga zu markieren. Die binäre Opposition zwischen dem Vorkommen und dem Nicht-Vorkommen von wo, die an sich nicht nur bei einem mit ga markierten, sondern bei jedem Nomen gültig ist, bekommt in dieser Konstellation den Anschein einer binären, äquipolenten Opposition zwischen wa und ga.5S Man darf allerdings nicht vergessen, dass in der gesprochenen Sprache die Opposition nicht binär ist, sondern zwischen den drei Optionen ga, wa und Null besteht. Möglicherweise ist es gerade diese umgangssprachliche Situation, die die diskursdynamische Funktion von ga zu dieser Ausprägung verhalf. Denn dort besteht die erste Opposition zwischen der Null und der Nicht-Null, und als die beiden Glieder der Nicht-Null müssten ga und wa jeweils eine klare Funktion haben, die der Null fehlt. Die Befunde unserer Nachprüfungen bisher sagen uns, dass wir uns für das Japanische doch von dem schönen Schema in (9.36) verabschieden sollen. Ga ist doch eine Komponente des Kasusmarkierungssystems im Japanischen. Hingegen wäre für das Topik wohl anzunehmen, dass es sich weder um Ersatz noch um Wegfall/Tilgung einer Kasuspartikel durch bzw. vor wa handelt, sondern um Hinzufügung des Extra-Kennzeichens wa zum kasuslosen Nomen, das als Satzthema zunächst außerhalb der Prädikation steht und somit keine unmittelbare Dependenzrelation zum Satzprädikat hat, so dass es in der Form der Nenn- und Referenzfunktion auftritt (vgl. das vergleichbare Beispiel l'agneau, le loup mange bei Fillmore 1995:95). Natürlich gibt es manche Probleme auch in diesem Lösungsversuch, vor allem die syntagmatische Kombinierbarkeit von wa mit den Kasuspartikeln außer ga, sowie die analoge Kombinierbarkeit der Kasuspartikeln mit solchen Modifikationpartikeln wie mo 'auch' oder dake 'nur', die an sich nur wenig mit der Topikalisierung u.a. zu tun haben,56 und die positionsbedingte Nicht-Kombinierbarkeit von ga mit ihnen. Diese Erscheinungen sind insgesamt denjenigen sehr ähnlich, mit denen wir uns in Kap. 5 auseinandergesetzt haben. 55

56

So lassen einige Typen der Zustandsausdrücke nur eine solche äquipolente Lesung zu, z.B. die äquative Aussage ist B', während alle anderen Konstruktionstypen, inklusive der intransitiven, eine "neutrale" Lesung ohne besondere diskursdynamische Implikation zulassen (vgl. Kuno 1973: 49ff.). Für ist B' gibt es im Japanischen also zwei Möglichkeiten, mit wa wie A wa B da/desu, oder mit ga wie A ga B da/desu (vgl. (5.22), (5.58)); die erste ist, wie zu erwarten, eine Aussage über A als Thema, während die zweite nur die Interpretation einer sogenannten "exhaustiven Auflistung" (Kunos Terminus) haben kann. D.h. A ga B da/desu muss (mindestens potentiell) die Antwort auf die Frage 'wer/was ist B' darstellen. Die Ansicht, mo als diskurspragmatische Partikel parallel zu wa zu behandeln und diesem gegenüber zu stellen, wurde von Martin (1975) vertreten.

315

Trotz der Heterogenität der Ursprünge bilden die Partikeln insofern ein System der Kasusmarkierung, als es einererseits keine klare Trennlinie zwischen zwei oder mehr Mengen unter ihnen gibt, sondern nur graduelle Abstufungen in dem Verhalten einzelner Partikeln in ihren jeweiligen Umgebungen. Andererseits haben sie eine klare gemeinsame Funktion, die sie wohl im Laufe der Zeit herasusgebildet haben und durch die sie sich zu einer Menge zusammengefunden haben. Es kann vermutet werden, dass das Kasussystem im Japanischen von dem Status (9.16) via (9.15 II b) in die Richtung nach links, zum Status (9.15 I), rationaler und funktionaler reorganisiert und systematisiert worden ist.

9.6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In dieser Arbeit wurden die wesentlichen Züge der japanischen Sprache insbesondere aus typologischer Sicht geschildert. In 1.1 wurden zuerst die gängigen Charakterisierungen des Japanischen im Hinblick auf den typologischen Diskurs präzisiert und gleichzeitig wurden die Hauptthemen der Sprachtypologie in knapper Form beschrieben. Die japanischen Daten lieferten hie und da einen Grund für kritische Überprüfungen von Versuchen, typologische Zusammenhänge aufzustellen und deren Erklärung funktional darzustellen. Dies betrifft vor allem die Wortstellungsfreiheit, Kasusmarkierung, Topikalisierung, Diathese, Kongruenz und Weglassbarkeit (pro-)nominaler Satzelemente. Die Zusammenhänge zwischen diesen sprachlichen Strategien sind funktional gut begründet, werden aber vom Japanischen in gewisserm Umfang widerlegt. So hat diese Sprache sowohl die Wortstellungsfreiheit als auch ein spezielles Topikalisierungsmittel, und trotzdem ein ausgeprägtes und viel eingesetztes Diathesensystem. Die Diathese wird meistens als Konkomitant des grammatischen Subjekts angesehen, und das Subjekt wird in sehr vielen Sprachen am Prädikat indiziert (bzw. derjenige Partizipant, der am Prädikat indiziert ist, wird als Subjekt identifiziert), was mit einem gängigen Terminus Kongruenz, aber genereller "Cross-Referencing" bzw. Kopf-Markierung ("head-marking") genannt wird. Die Subjektfrage ist zwar ein großes Thema in der Linguistik überhaupt, für das Japanische aber ein besonders schwieriges Thema, vor allem weil es in dieser Sprache keine Kongruenz gibt. Trotz fehlender Kongruenz ist das Subjekt im Japanischen ersatzlos weglassbar. Diese Weglassbarkeit beschränkt sich nicht auf das sog. Subjekt, sondern alle Satzglieder sind im Japanischen weglassbar, so dass ein Prädikat allein einen vollständigen Satz bilden kann. Um zu erklären, warum die Kommunikation in dieser Sprache trotzdem funktioniert, haben viele die Bedeutung des Systems der Honorifikation am Prädikat betont. Es klingt zwar plausibel und auf bestimmten Sprachebenen bestimmt zutreffend, aber die familiäre Sprache inklusive der Kindersprache spart nicht mit Weglassungen, obwohl sie die Honorifikation nicht kennt bzw. nicht einsetzt. Also gilt es nach anderen Gründen zu suchen. Überhaupt muss nach den Gründen der japanischen Bündelung der Eigenschaften gesucht werden, die von den sonst allgemein angenommenen typologischen Bündeln manchmal sehr stark abweicht oder ihnen gar widerspricht. Das darf aber keine idiosynkratische Eigenart sein, sondern es muss etwas sein, das durchaus einen Typus

316

ausmacht, dem sprachliche Prinzipien zugrunde liegen. In 1.2 und 1.3 wurden Modellen und Methodologien vorgestellt, die teilweise einer kritischen Überprüfung unterzogen wurden. Im Kap. 2 wurden die wesentlichen Charakteristika der Morphosyntax des Japanischen knapp dargestellt. In 2.1 wurde das Prinzip der Kopfendstellung als das wichtigste syntaktische Prinzip der japanischen Sprache hervorgehoben und es wurde festgestellt, dass die SOVWortstellung nur eine Folge dieses Prinzips ist. In 2.2 wurde dann die Grundannahme gemacht, dass das Prädikat, das das letzte Element eines Satzes ist, der Kopf des Satzes ist, was schon impliziert, dass das Prädikat sich zum Satz endozentrisch verhält und andere Satzglieder als seine Dependenten hat. Es wurden dann die Wortarten angeführt, die als Prädikat auftreten können. Die Flektierbarkeit ist zunächst die notwendige Bedingung eines Prädikates. In 2.3 wurden dann die Flexionskategorien beschrieben: sie sind im Japanischen aus zwei Komponenten strukturiert: Modus zum einen und syntaktische Beziehungen zum anderen. Die Modi sind Konditional und Imperativ, wohl mit anzunehmendem "Indikativ" als ihrem Null-Pendant. Die syntaktischen Relationen teilen sich als erstes in finit, d.h. satzkopffähig, vs. dependent; dependente Kategorien teilen sich in adverbal, genauer: adprädikativ, und adnominal. Die Konditionalform ist eine der dependenten Formen nebst ihrer Modalität. Analog ist der Imperativ eine der finiten Formen. Ein dependentes Element in einem Satz muss unbedingt ein Kennzeichen seines Dependens-Status selber tragen, deshalb darf ein Nebensatz nicht in der finiten Form allein stehen, sondern muss eine DependenzPartikel tragen oder in einer der dependenten Flexionsformen stehen. In 2.4 wurde klar gemacht, dass die Existenz und die Art einer Dependenzrelation immer vom Dependens klar angekündigt wird ("dependent-marking"), das immer vor dem Kopf auftritt (wegen der Kopfendstellung). Der Kopf hat daher selber keinerlei Kennzeichen einer existierenden Dependenzrelation (kein "head-marking"), also auch keine Kongruenz. Kap.3 beschäftigte sich mit der Flexionskategorie Adnominalform und einer damit zusammenhängenden Wortartenproblematik. Die sog. Adnominalform ist im heutigen Japanischen bis auf eine Wortart mit der finiten Form identisch, so dass die Frage legitim ist, ob diese Flexionskategorie überhaupt existiert. Die Adnominalitätsanzeige kann nämlich als eine Funktion der finiten Form verstanden werden, wenn diese nicht am Satzende, sondern vor einem Nomen steht. Aber es gibt eine Wortklasse, die über eine separate Adnominalform verfügt, nämlich das Nominaladjektiv. Dieses ist das einzige Argument für die Annahme der Adnominalform als Flexionskategorie. Allerdings wollen manche Forscher diese Wortart erst gar nicht anerkennen, sondern sie als eine Subklasse der Nomina betrachten. Die Nomina als Attribute haben aber eine andere Form als die Nominaladjektiva, sie stehen nämlich mit der sog. "Genitiv"-Partikel no, die in der vorliegenden Arbeit als Adnominalisator betrachtet und nicht als Kasuspartikel behandelt wird. Die Existenzberechtigung der Wortart Nominaladjektiv besteht allein in der attributiven Form, alle anderen Formen sind mit denen des Prädikators ("Kopula") nach einem Nomen identisch. Also befinden wir uns in einem Teufelskreis: Die Existenz der Nominaladjektiva hängt von der Annahme der Kategorie Adnominalform ab, und die letztere von der Existenz einer eigenen selbständigen Wortart Nominaladjektiv.

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Außer diesem Problem haben wir noch mindestens zwei weitere in diesem Zusammenhang: Erstens gibt es Nomina, die je nach der Umgebung eine gleiche Attributivform wie die Nominaladjektiva annehmen. Handelt es sich bei den unterschiedlichen Attributskennzeichen um den Unterschied zwischen referentiellen und nicht-referentiellen, rein prädikativen Nomina, die eine kontinuierliche Erscheinung zeigen? Zweitens gibt es Ansichten, no nach einem Nomen in zwei getrennte Kategorien einzuteilen: als "Genitiv"-Partikel und als adnominale Flexionsform der "Kopula". Ist diese Sichtweise berechtigt? Eines der Argumente für diese Annahme ist neben der Paradigmatizität in der Tempus- / Negationskorrelation wohl das Vorhandensein unverändert adprädikativer Formen und Markierungen der Satzglieder eines adnominalisierten Satzes mit einem Nomen und no vor dem zu modifizierenden Nomen wie z.B. (3.3), (3.16ff.) und (3.54 b); hier geschieht bei der Umwandlung vom finiten Aussagesatz zum Adnominalsatz keine Änderung außer derjenigen von da zu no\ da der Rest des Satzes keinerlei Adnominalität zeigt, müsste der Adnominalsatz an sich die Satzstruktur bewahrt haben; also müsste no die Adnominalform des Prädikates da sein. So ungefähr lautet diese Annahme. Wenn man aber über die kategorielle und phrasenstrukturbezogene Sichtweise hinausgeht und die Dependenz als herrschende Relation betrachtet, braucht man diese Art von "Notlösung" nicht. Denn eine Dependenzbeziehung besteht immer zwischen zwei Worteinheiten. Wenn ein Nomen Prädikatsnomen eines Satzes ist, erhalten seine Dependenten eine adprädikative Markierung in Bezug auf die betreffende Beziehung zum Kopf-Prädikat. Wenn dieser Kopf, der ein Nomen ist, selber ein Dependens von einem Nomen ist, erhält er eine entsprechende Dependensmarkierung, nämlich no. Dabei bleiben seine eigenen Dependenten von dieser Beziehung unbeeinträchtigt. So werden durch die Sichtweise der Dependenz- und der funktionalen PARTIZIPATIONsrelation solche Probleme lösbar, die sich kategoriell schwer lösen lassen. Auf diesen Aspekt wurde in 3.6 besondere Betonung gelegt. Am Schluss des Kap. 3 wurde die klare strukturelle Unterscheidung zwischen der Adnominalität und der Adverbalität als ein wichtiges Merkmal der japanischen Morphosyntax hervorgehoben. Der Gegenstand des Kap. 4 waren Wortarten ohne Flexion, daher ohne positive Klassenmerkmale. Eines der wichtigsten Prinzipien der Dependenzrelation ist, dass das Dependens selber ein Kennzeichen trägt, das die Art der Dependenzrelation klar macht. Es gibt aber eine Wortart, die kein solches Kennzeichen hat. Das ist das Adverb, das grundsätzlich nie als ein Kopf auftritt. Das Adverb ist daher eine inhärent dependente Wortart, weswegen es auch keine Extra-Kennzeichen braucht. Aber es gibt auch Nomina, die in bestimmten Funktionen ohne jegliches Kennzeichen als adprädikatives Dependens auftreten. Das sind Zeit- und Mengenangaben. Man beobachtet ein Kontinuum zwischen Nomina und Adverbien, zu denen sich auch Nominaladjektiva gesellen. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Position der Mengenangabe im Satz. Diese kann nämlich nach dem Nomen, auf das sich die Menge bezieht, stehen ("Quantifier floating"), und zwar ohne jegliches Dependenzkennzeichen. Also muss entweder dem Grundprinzip der Kopfendstellung eine Ausnahme eingeräumt werden, oder die Mengenangabe muss kraft ihrer Position und ihrer Kennzeichenlosigkeit als Adverbial betrachtet werden. Die letztere Sichtweise ist aber in manchen Hinsichten nicht stichhaltig.

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In Kap. 4 und Kap. 5 wurde außerdem versucht, nominale und adverbiale Eigenschaften aufzustellen und flexionslose Wörter so multifaktoriell zu charakterisieren statt zu definieren. Es stellte sich heraus, dass zwischen den Eigenschaften selber implikative Beziehungen bestehen, die auf funktionale Korrelationen dieser Eigenschaften hinweisen. Es handelt sich um eine Implikativität zwischen dem Generale und dem Individuellen, die mit der Prädikativität und Intensionalität zum einen und der Indikativität und Extensionalität zum anderen zusammenhängen. Mit den letzteren haben u.a. Koordinierbarkeit und demonstrativische Determinierbarkeit zu tun. Mit den ersteren das Vorkommen als Prädikat zusammen bzw. mit Hilfe des Nominalprädikators da. Diese Unterscheidung zwischen dem generellen Prädikat und dem eine individuelle, referentielle Entität bezeichnenden Dependens ist auch die grundlegende Unterscheidung zwischen einem Prädikatsnomen und einem nominalen Dependens, dem Adjunkt, im Japanischen. Während das letztere mit einer Kasusmarkierung vorkommen muss, kann das erstere grundsätzlich keine Kasusmarkierung tragen, denn die Kasusmarkierung ist das Dependens-Kennzeichen bei Nomina. Das Prädikatsnomen ist kein Dependens, sondern selber der relationale Teil des Kopfes, so dass es kein Kennzeichen der Dependenzrelation trägt. In deskriptiver Sicht begegnet man jedoch durchaus Nomina mit Kasusmarkierung vor dem Nominalprädikator da/desu. Solche Nomina sind im Allgemeinen referentielle Nomina, so dass man vermuten darf, dass es sich bei da/desu in diesem Fall um eine Art Ellipsis, sozusagen "Pro-Verb" handelt. Es gibt aber auch den Fall, dass bei einer elliptischen Aussage selbst nach einem referentiellen Nomen keine Kasusmarkierung stehen darf. Der Grund, nach dem aus verschiedenen Blickwinkeln gesucht wird, ist aber sehr schwer zu finden. Verschiedene Erklärungsversuche wurden dafür unternommen, z.B. Relativsatzbildung mit anaphorischer Weglassung, Minimalinformationsbildung oder Tilgung bestimmter Kasusmarkierungen unmittelbar vor da/desu. Die letztere Lösung scheint zunächst am elegantesten zu sein, da es sich bei den betroffenen Kasusmarkierungen um die drei zentralen ga, o und ni handelt und es bei diesen parallele Erscheinungen in anderen Umgebungen gibt, z.B. vor dem Adnominaisator no und vor der Topik-Partikel wa. Diese Annahme zieht aber eine schwerwiegende Folge nach sich, die das Verständnis der japanischen Kasusmarkierung grundlegend zum Schwanken bringt. Denn man kann dann nach jedem Nomen vor da/desu eine getilgte Kasusmarkierung vermuten, d.h., es gäbe wohl keine Nomina mehr, die von ihrer Funktion her keine Kasusmarkierung tragen. In Wirklichkeit findet man unter bestimmten Bedingungen doch die betreffenden Kasusmarkierungen vor da/desu. Die Kasusmarkierung muss nämlich dann stehen, wenn nach der Partizipantenrolle des Referenten eines Nomens gefragt wird. Also müssen das Auftreten und das Ausbleiben der Kasusmarkierung funktional motiviert sein. Die Tilgungsregeln, die diese Bedingungen zu berücksichtigen vermögen, würden solche sein, die sich nicht mehr mit syntaktischen bzw. distributionellen Umgebungen beschreiben lassen. Man muss sich dann fragen, ob es sich bei dieser Erscheinung wirklich um Tilgung handelt. Eine mögliche Antwort darauf ist, dass die Kasuslosigkeit keine rein oberflächliche Erscheinung ist, sondern ihre eigene Funktionalität hat, nämlich unmittelbare Referenzfestlegung, ohne jegliche Bezugnahme auf die Relation des Sachverhaltes im Hintergrund. Demgegenüber ist die Kasusmarkierung immer relational und expliziert die Rolle

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des Referenten im ausgedrückten Sachverhalt. Aus grammatischer Sicht ist die Kasusmarkierung immer ein Bestandteil der Prädikation, während die Referenzfestlegung ein versprachlichter Hinweis (Zeigen) und an sich noch kein Satz ist. Wenn ein prädikationsbezogenes Mittel wie da oder desu hinzukommt, handelt es sich grundsätzlich nicht um eine Sachverhaltsdarstellung, sondern um ausdrucke- oder appell-bezogene Modalitätsbeigabe im Bühlerschen Sinne. Daher kann ein und dasselbe Satzmuster Nomen + da/desu polar entgegengesetzte Funktionen zeigen. Die Kasuslosigkeit eines Nomens ist also doppeldeutig: sie kann nicht nur den Kern der Relationalität, d.h. den Kopf der prädikativen Dependenzrelation, sondern auch Relationslosigkeit bzw. Irrelevanz einer an sich vorhandenen Relation bedeuten. Hierzu gehört auch die Nennfunktion, die in den europäischen Sprachen vom Nominativ getragen wird. Unter Umständen kann die Kasuslosigkeit sogar auch ein Indiz der prädestinierten Neigung zum Dependens-Status sein, wie dies bei Zeit- und Mengenangaben der Fall war. Dieser grundsätzlichen Vagheit, bzw. Kontextabhängigkeit, der Funktion der Kasuslosigkeit, also KasusUnmarkiertheit, steht die, der expliziten Markiertheit entsprechende, Explizitheit des Status des Nomens mit der Kasusmarkierung gegenüber. Die Kasusmarkierung bedeutet Ankündigung der Existenz eines prädikativen Kopfes, der im betreffenden Satz noch kommen wird oder im Kontext auffindbar ist. Die Identität der von der Kasusmarkierung getragenen Partizipantenrolle kann je nach der Kasusmarkierungsart erst durch das Prädikat festgelegt werden. Man kann bei Kasusmarkierungen Abstufungen der Prädikatsabhängigkeit beobachten. Erstens, je höher die Abhängigkeit, desto schwieriger ist für die Kasusmarkierung, bei Abwesenheit des Prädikates aufzutreten. Das ist wohl mit ein Grund für das grundsätzliche Nicht-Auftreten von ga, ni und o vor da/desu, mit dem sich das vorangehende Kapitel hauptsächlich beschäftigte. Es gibt ferner hauptsächlich zwei Arten von Abhängigkeit: Rollenidentitätsabhängigkeit und Auftrittsabhängigkeit. Die erstere betrifft vor allem ga, für das man keine vom jeweiligen Prädikat abstrahierte, unabhängige Rolle aufstellen kann. Dafür kann es grundsätzlich bei jedem Prädikat auftreten. Umgekehrt ist die Situation bei o. O hat eine recht konstante Rollenbezeichnung, kann aber nur bei bestimmten Prädikaten auftreten. Bei ni gelten beide Abhängigkeiten. Ni ist selbst als Ziel- oder Ortsangabe vom Prädikat abhängig. M.a.W.: Mit welcher Kasusmarkierung eine Ortsangabe vorkommen soll, ist weitgehend von den jeweiligen Prädikaten abhängig. Soweit sind die Kasusmarkierungen eine Angelegenheit der Valenz individueller Prädikate. Es gibt aber auch eine Abstufungserscheinung bei Ortsangaben, die nicht unmittelbar mit dem Prädikat, sondern mit dem Grad der Inhärenz der Relation verschiedener Arten zusammenhängt, z.B. Existenz: Inhärenz mit ni vs. akzidenzielles Vorkommen mit de. Diese Sachlage wurde in Kap. 6 erörtert. Das Prädikat kann zwar allein einen Satz bilden, dessen Akzeptabilität hängt in Wirklichkeit aber von der informationellen Vollständigkeit ab, die in erster Linie mit der Identifizierbarkeit der Partizipanten zusammenhängt. Ein Ein-Prädikat-Satz ist also weniger die Eigenschaft des Prädikates selber als eine Folge der konventionalisierten Einsetzung der Null als Anapher, die grundsätzlich auf alle Satzglieder anwendbar ist (daher auch ein Ein-Prädikat-Satz). Der

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Einsatz der Null-Anapher ist Informationen und nicht strukturell bedingt, so dass unter der Bedingung der Identifizierbarkeit der Referenz und der Rolle aller Partizipanten keiner eine Sonderbehandlung erhalten wird, d.h. alle werden "weggelassen". Daher ist der Bedarf an anaphorischen Pronomina gering. Pronomina sind überhaupt eine schwach grammatikalisierte Klasse im Japanischen. Man kann in dieser Sprache nur bedingt von Personalpronomina sprechen. Sie sind heute auch noch etymologisch transparente Nomina. Als Grundlage dieses immerwährenden Forttreibens ("drift") von Nomina zu Personalpronomina ist die Transpersonalität der nominalen Referenz hervorzuheben, durch die diese Entwicklung möglich wird. Transpersonalität heißt, dass ein Nomen sich auf alle drei Sprechaktrollen beziehen kann. Die ausgeprägte Transpersonalität hängt natürlich mit der Struktureigenschaft des Fehlens der Flexionskategorie Person bzw. eines auf die Sprechaktrollen referierenden Indizierungsmechanismus am Prädikat untrennbar zusammen. Kap. 7 beschäftigte sich unter anderem mit dem realen Ausmaß der Transpersonalität, die interessante implikative Verhältnisse mit anderen Eigenschaften wie Anredefähigkeit zeigt. Die Kategorie Person ist strukturell zunächst nicht sichtbar, und viele Nomina haben transpersonale Referenz, auch wenn sie nicht gänzlich weggelassen werden. Also wie wird im Japanischen unmissverständliche Kommunikation garantiert? Mit diesem Thema befasst sich Kap. 8. Eine interessante Tatsache ist, dass die potentielle Transpersonalität eines Nomens durch Anwendung deiktischer Verben für "geben" systematisch eingeengt wird wie in (8.12)ff.. Gegeben eine soziale Konvention für die Einschätzung relativer Nähe menschlicher personaler Beziehungen, kann der Hörer mit Hilfe der deiktischen Indikation der geben-Verben die Referenten der Partizipanten meistens gut identifizieren. Das Prinzip der Anwendung der deiktischen Verben ist einfach die Richtung zum Sprecher her vs. vom Sprecher weg. Nur wenn der Sprecher selber am Transfer beteiligt ist, gibt es keine Wahlmöglichkeit. Auch wenn er selber nicht am Transfer beteiligt ist, richtet sich die Wahl eines der Verben nach demselben deiktischen Prinzip. Dieses Prinzip ist also an sich nichts anderes als dasjenige der Bildung der Menge der 1. Person Plural, die sich je nach der jeweiligen Partizipantenkonstellation ständig ändert. Dieses Prinzip ist daher zugleich dasjenige der Obviation, denn um die Deixis als Mittel einsetzen zu können, muss man einen der Partizipanten aus der Menge der l.Ps.Pl. herausnehmen und in die Partei von "Nicht-wir" hinausschicken. Die gegebene soziale Konvention hierfür entspricht der Bildung einer natürlichen Klasse der 1. Person Plural. Die Kategorie Person ist also zwar nicht sofort sichtbar, wirkt aber entscheidend auf die sprachliche Kommunikation. Ein Tatbestand in diesem Zusammenhang, der linguistisch von besonderem Interesse ist, ist die Obligatorietät der Verwendung des "zu-mir-geben"-Verbs als Auxiliar für den Ausdruck einer Handlung mit Transfer in weiterem Sinne in Richtung zum Sprecher, wie dies in 8.6 dargestellt wurde. Hingegen ist eine analoge Auxiliarverwendung des anderen "geben"-Verbs für die Richtung einer Handlung vom Sprecher weg zwar möglich, aber nicht obligatorisch. Hier findet man eine diathesenähnliche Erscheinung, die aber wegen der Obligatorietät in einem Fall eher dem System der so genannten inversen Flexion ähnelt. In diesem System bekommt das Prädikat die "inverse" Flexionsform, wenn das Ziel/Patiens dem Sprecher näher steht als der Agens. Im umgekehrten Fall zeigt das Prädikat die sog. "direkte" Form,

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die häufig die Null-Form ist, was zum oben genannten Verhältnis im Japanischen parallel steht. Ob die Erscheinung im Japanischen wirklich als eine Art Inversion betrachtet werden kann, wurde in 9.1. überprüft. Das Prinzipielle ist wohl gemeinsam, nur die Beschränktheit der obligatorischen Anwendungsbereiche der "geben"-Verben zum einen und das Vorhandensein der Diathesen und des perspektivischen Gegenstückes von "geben", nämlich "bekommen", stören sozusagen das Bild des Japanischen als Sprache mit inverser Flexion. Alle diese Sprachmittel haben aber ein Prinzip gemeinsam, das viele verschiedene Reflexe in diversen Sprachen findet; es ist das Prinzip der Nähe zu Ego, das sich unter anderem in der gespaltenen Ergativität oder in dem sog. freien Dativ in europäischen Sprachen wiederfindet. Eine grundlegendere Frage in diesem Zusammenhang ist, ob diese Art obligatorischer Deixismarkierung am Verb nicht doch ein Kopfmarkierungsmechanismus ist, welcher dem Japanischen überhaupt zu fehlen schien. Japanisch wäre sonst eine prototypische dependensmarkierende Sprache ohne jegliche Kopfmarkierung als Strukturprinzip. Hat der exzessive Einsatz der Null-Anapher doch eine Kompensationsstrategie gesucht und sie auch gefunden? Es soll erwähnt sein, dass die Obligatorietät der Auxiliarverwendung des "zu-mir-geben"Verbs für den Transfer in die Richtung zum Sprecher vom expliziten Erwähnen der Partizipanten im Satz nicht beeinflusst wird. D.h., die Einsetzung der Deixis ist über das Kompensatorische hinaus grammatikalisiert. Diese Problematik wurde in 9.2 skizziert. Eine andere Facette derselben Erscheinung ist die Kodierung der Benefaktivität mittels der "geben"-Verben, vor allem desjenigen für die Richtung zum Sprecher, als Auxiliar. Diese ist auch so weit grammatikalisiert, das sie oft dem Dativus ethicus in den europäischen Sprachen entspricht. Wichtiger für das Japanische ist aber die dadurch eingeführte Möglichkeit, überhaupt den Benefaktiv-Partizipanten zu kodieren. Denn, wie in Kap. 6 erörtert, ist die Dativ-Entsprechung im Japanischen, ni, prädikatgebunden und kann bei solchen Prädikaten nicht erscheinen, die ein Nomen mit ni sozusagen "nicht vorsehen". Wider Erwarten wird zwar durch das zusätzlich eingebrachte "geben"-Verb keine neue Aktantenstelle eingeführt, aber die Existenz des Benefaktivs wird klar signalisiert. Die Referenz ist meist implizit, aber trotzdem grundsätzlich eindeutig. Dieser Aspekt wurde in 8.7 behandelt. In 9.3 wurde nochmals auf das zentrale Thema Valenz, Kasusmarkierung und Rektion eingegangen. Es gibt im Japanischen zwar durchaus auch solche Kasusmarkierungen, die recht unabhängig von Prädikatsarten auftreten und konstante Rollen bezeichnen. Diese bilden aber nicht die Regel. Sonst hätten wir die oben geschilderten Erscheinungen der verschiedenen Arten von Abhängigkeiten der Kasusmarkierungen von den jeweiligen Prädikaten nicht. Die These, dass sich nominale Satzglieder im Japanischen, je mit einer Kasusmarkierung und mit eigenem positiven Rollenwert, von sich aus zum Prädikat gesellen würden, das "zufrieden" in sich gekehrt ist und von sich aus nichts verlangt oder bestimmt, ist wohl ein Konstrukt, das der Realität nur teilweise entspricht. Auf der strukturellen Oberfläche ist es meistens nicht sofort erkennbar, aber die Rektion ist wohl das wichtigste Organisationsprinzip der Sätze im Japanischen. Mit der Rektion lassen sich einige verbreitete, mehr oder weniger vorurteilhafte typologische Charakterisierungen besser erklären. Die SOV-Reihenfolge und die damit im Zusammenhang stehenden Wortstellungsregeln sind solche, die sich mit dem Prinzip Rectum-

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ante-Regens und der Kopfendstellung kohärent erklären lassen. Auch die anscheinend agglutinierende Struktur entpuppt sich als nur eine Folge der mehrfachen Rektion, weil die regierenden Elemente wegen desselben Stellungsprinzips alle am Ende einer Einheit konzentriert werden, wie dies in 9.4 deutlich geworden sein sollte. Am Ende all dieser Betrachtungen schließlich kamen wir in 9.5 auf die in 1.2.4 vorgebrachte Fragestellung zurück: Was ist der Nominativ im Japanischen und welches Kasusmarkierungssystem hat diese Sprache? Mindestens diachron sieht es so aus, dass der Nullkasus vom Status des Nominativs zum Status absolutus im Sinne des Nicht-Dependens verschoben worden ist, so dass es im heutigen Stadium gleichsam zwei Nominative gibt, den Nullkasus als Nennform und Prädikatsnomen und die ga-Markierung für den Nominativ im Sinne des nominativ-akkusativischen Markierungstyps im Gegensatz zum ergativischen. Zugunsten einer kohärenten Analyse des synchronen Stands scheint es dennoch besser, die NichtKasusmarkierung nicht als Nullkasus, sondern als akasuelles Auftreten des Nomens zu betrachten. Und es sieht danach aus, dass die diachrone Reorganisation des Systems der Nominalmarkierung in der Tat in dieser Richtung stattgefunden hat. So stehen explizite Markierungen alle für Dependens-Relationen, und die Funktion der Kasusmarkierung ist klar umrissen. Nun schildern wir den "japanischen Sprachtyp": In der morphosyntaktischen Satzstruktur im Japanischen gibt es eine fundamentale Zweiteilung von Satzkonstituenten in Prädikat und adprädikative Konstituente(n). Das Prädikat ist allein prädikationsfähig. Ein Satz, der aus dem Prädikat allein ohne jede weitere Satzkonstituente besteht, ist vollkommen grammatisch. Wenn neben dem Prädikat eine weitere Konstituente im Satz vorkommt, dann muss diese in Hinsicht auf ihre Beziehung zum Prädikat markiert bzw. spezifiziert sein. Es kann sich dabei entweder um lexikalische Spezifizierung, d.h. morphologisch unveränderliche Wörter der Wortklasse Adverb, oder um morphosyntaktische Markierung handeln, die im nominalen Bereich von den Kasuspartikeln und im Bereich der konjugationsfähigen Wörter (Verben, Adjektiva und Nominalprädikatoren) von besonderen nicht-finiten Konjugationsformen bzw. bestimmten Konjunktionspartikeln repräsentiert wird. Demgegenüber trägt das Prädikat keine Markierung, die seine Beziehung zu seinem oder seinen Dependenten aufzeigen würde. Das Prädikat ist das letzte Element des Satzes. Die Beziehungen, die es zu seinen Dependenten unterhält, werden von diesen vorher angekündigt. Im nominalen Bereich wird die Relation zwischen dem Prädikat, das das betreffende PARTIZIPATUM morphosyntaktisch repräsentiert, und einer nominalen Konstituente, die die morphosyntaktische Entsprechung eines PARTIZIPANTEN ist, ausschließlich an der letzteren markiert. Die Tatsache, dass das Prädikatsnomen in akasueller Form vorkommt, dass es sich also nicht an Kasusoppositionen beteiligt, ist genauso wie die akasuelle Form des Nomens in seiner Nennfunktion durchaus begreiflich, da es keine adprädikative Satzkonstituente ist. Ein Nominalprädikat, das aus einem Nomen bzw. einer Nominalphrase und dem Nominalprädikator, der sog. "Kopula", besteht, gehört zur paradigmatischen Klasse der Prädikate, zu der auch Verben und Adjektive gehören. Im japanischen Kasussystem gibt es daher eine Grundopposition zwischen akasueller und kasueller Form eines Nomens. Die

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akasuelle Form besteht aus einem Nomen bzw. einer Nominalphrase (wie komplex sie auch immer sei) ohne Kasuspartikel, und kommt entweder als Nennform oder als Prädikatsnomen vor. Der Typus Japanisch ist einerseits der Prototyp bekannter typologischer Bündel. So ist es eine der konsistentesten Sprachen, was die Wortstellungstypologie betrifft. Auch hinsichtlich der Kopf- vs. Dependens-Markierungstypologie ist es eine konsistent dependens-markierende Sprache. Jedoch tritt es in Bezug auf andere bevorzugte Konstellationen von Eigenschaften wie ein Störenfried auf. So trifft der von Nichols (1986:104ff.) herausgefundene Zusammenhang zwischen "head-marked grammar", "optional dependent", "verb constituting a complete sentence", bzw. "endocentricity", "zero-anaphora", "word-order freedom" und "verb-initial" fast gänzlich auch für das Japanisch zu, aber "dummerweise" ist Japanisch keine kopfmarkierende verb-initiale Sprache, für die dieser funktionale Zusammenhang eigentlich typologisch ermittelt worden ist. Ähnliches gilt auch für die Erwartung der "Pro-Drop"Typologie (vgl. 1.1.9), für die die Kongruenz, besser: head-marking, in einem organischen funktionalen Zusammenhang mit der Weglassbarkeit des Subjektes stehen müsste. Auch dem Komplex um die freie Wortstellung, Topik, Passiv u.a. wird, wie hier oben und in 1.1.4.2 dargestellt, vom Japanischen widersprochen. Entweder sagt der Typus Japanisch: Tertium datur. Oder die typologischen Bündel und die funktionalen Zusammenhänge, die bisher aufgestellt und hergestellt worden sind, werden noch kritischer zu überprüfen sein.

Anhang 1: Transkription

Die Transkription japanischer Beispiele erfolgt nach der phonemischen (sog. "Kunrei-siki") Konvention mit einer geringfügigen Abweichung für die Wiedergabe der Vokallänge. Japanische Eigennamen werden hingegen nach der Hepburn-Konvention transkribiert, damit sie leichter identifiziert werden können, besonders wenn die Namen der Autoren hier zitierter Werke nach dieser Konvention transkribiert waren, z.B. SMbatani (statt Sibatani), Tsunoda (statt lanoda), usw. Die wichtigsten Unterschiede der genannten Transkriptionsarten werden im folgenden gegenübergestellt:

Aussprache:

Hepburn:

Kunrei-siki:

in Beispielen hier:

[i:] [a:] [o:] [ux:] [ :]

i(h) a(h) o(h) u(h) ei, e(h), ee

i, ii ä, aa

ii aa

0(00)

00

ü(uu) ei, ee, e

uu ee

WM [tsui]

fu tsu

hu tu

hu tu

chi/-a/-o/-u ji/-a/-o/-u shi/-a/-o/-u

ti, tya/-o/-u zi, zya/-o/-u si, sya/-o/-u

ti, tya/-o/-u zi, zya/-o/-u si, sya/-o/-u

[t/] [d?]

Die zuletzt angegebenen drei Konsonanten kommen vor den Vokalen [i, a, o, ui] vor, wobei jeder Konsonant vor [i] automatisch palatalisiert wird, so dass die explizite Wiedergabe der Palatalisierung vor [i] wie bei der Hepburn-Transkription eigentlich redundant ist. Genau so ist die Wiedergabe der Affrizierung von [t] vor [ui] sowie der labialisierten phonetischen Realisation [ ] vor [ui] redundant, weil es keine Opposition zwischen [tsvu] und [tui] sowie zwischen [ ] und [hui] gibt. Die phonemische "Kunrei-siki"-Transkription wird der folgenden Distribution der Kombination von Konsonanten und Vokalen gerecht, wobei es bei den Konsonanten nur vor nicht palatalen Vokalen, d.h. außer vor [i, ], eine Palatalisierungsopposition gibt:

/ti, te, ta, to, tu/, /tya, tyo, tyu/; /(zi), de, da, do, (zu)/, (/zya, zyo, zyu/); /zi, ze, za, zo, zu/, /zya, zyo, zyu/; /si, se, sä, so, su/, /sya, syo, syu/

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Bei der Wiedergabe mit ist zu beachten, dass die Aussprache außer vor /i, y/ die Affrikata [dz] ist. Die Laute, für deren Transkription es zwar keine Abweichungen zwischen den obengenannten Konventionen gibt, deren phonetische Realisation aber durch Transkription nicht erkennbar geworden ist, sind [ ] vor [i, a, o, tu] in , und verschiedene Realisationen von , z.B. als [N] im Auslaut, als verschiedene Nasalvokale oder [N] vor einem Nicht-Okklusiv (aber nur vor einem Vokal und dem Halbvokal wird die Notation