Typische Denkfehler in der Philosophie: Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1921 9783787321490, 3787321497

Wie für Wittgenstein sind auch für Nelson leitende Ideale in der Philosophie Klarheit und kompromisslose Konsequenz. Und

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German Pages 282 [290] Year 2011

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Typische Denkfehler in der Philosophie: Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1921
 9783787321490, 3787321497

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LEONA R D NELSON

Typische Denkfehler in der Philosophie Nachschrift der Vorlesung vom Sommersemester 1921

Aus dem Nachlass herausgegeben von Andreas Brandt und Jörg Schroth Mit einer Einleitung von Dieter Birnbacher

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBL IOTHEK BA N D 623

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über . ISBN 978-3-7873-2149-0

Gedruckt mit Unterstützung der Friesstiftung, Hannover, der Philosophisch-Politischen Akademie, Bonn und der Society for the Furtherance of the Critical Philosophy (SFCP), London. © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2011. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Inhalt

Einleitung von Dieter Birnbacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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LEONARD NELSON

Typische Denkfehler in der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anmerkungen der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Einleitung

Die vorliegende Ausgabe von Leonard Nelsons Typische Denkfehler in der Philosophie enthält den teilweise von Nelson selbst redigierten Text einer Göttinger Vorlesung aus dem Sommersemester 1921, in der er sich mit Argumentationen von Philosophen, vor allem denen seiner Zeit, kritisch auseinandersetzt. Zusammen mit dem Band Kritische Naturphilosophie (Heidelberg 2004) ergänzt sie die 1970 im Meiner Verlag erschienenen Gesammelten Schriften in neun Bänden. Die Gründe, welche die damaligen Herausgeber bewogen haben, diese Vorlesungsnachschrift nicht in die Werkausgabe aufzunehmen, sind dunkel. Im Gesamtvorwort zu den Gesammelten Schriften bemerkt Grete Henry-Hermann ohne weitere Erklärungen, dass »ein paar noch unveröffentlichte Manuskripte« in diese Ausgabe nicht aufgenommen worden seien, unter anderem auch die Nachschrift einer »kürzeren Vorlesung ›Typische Denkfehler der Philosophie‹«. Möglicherweise sahen die Herausgeber in dieser Vorlesung inhaltliche Doppelungen mit anderen Texten der Ausgabe. Nachschriften von Vorlesungen gehörten zu Leonard Nelsons angestammter Arbeitsweise. Er ließ seine Vorlesungen mitstenographieren und die Stenogramme später maschinenschriftlich abschreiben. Aus den redigierten Texten entstanden viele seiner Veröffentlichungen, u. a. Hauptwerke wie die Kritik der praktischen Vernunft von 1917 und das nachgelassene System der philosophischen Ethik und Pädagogik. Möglicherweise ahnte Nelson, der von Kind auf an chronischen Schlafstörungen litt, dass ihm keine allzu lange Lebenszeit vergönnt sein würde und dass Eile geboten war, wenn er seine ehrgeizigen Projekte in der Philosophie, der mathematischen Grundlagendiskussion, der Pädagogik und der Politik erfolgreich zu Ende führen wollte.

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Als Nelson 1927 im Alter von 45 Jahren starb, hinterließ er ein Lebenswerk, dessen Umfang um so erstaunlicher ist, als sich Nelson nicht nur als Fachphilosoph, sondern gleichzeitig als Pädagoge und politischer Aktivist verstanden und in diesen Rollen gewirkt hat. Das wäre kaum denkbar gewesen ohne die eiserne Disziplin, die er sich in seiner Lebensführung auferlegte, und ohne in die im wörtlichen Sinne verzehrende – ihn aufreibende und seine Gesundheit zerstörende – Leidenschaft, mit der er philosophierte und andere zum eigenständigen Philosophieren anhielt. Nelson war ein Philosoph, dem es mit der Philosophie todernst war, der Wahrheit und Wahrhaftigkeit über alles andere stellte, auch über die Rücksicht auf andere. Die Folge war, dass er von vielen als fanatisch und intolerant gesehen wurde. Allerdings legte er dieselben unerbittlichen Maßstäbe, die er an andere anlegte, auch an sich selbst an, und das verlieh seiner Person eine Intensität, die auf andere Faszination ausübte. Dem von der Person Nelson ausgehenden Charisma haben sich nur wenige, die mit ihm in Berührung kamen, entziehen können. Offenbar bedurfte es einer besonderen Willensanstrengung, sich dem von dieser Persönlichkeit ausgehenden Bann zu erwehren und seine Unabhängigkeit zu bewahren. Aus heutiger Sicht sind der unbedingte Wille zur Authentizität und die denkerische Intensität zwei von vielen Merkmalen, die Nelson mit Ludwig Wittgenstein verbinden. Wie der ebenfalls in den 1880er Jahren geborene Wittgenstein entstammte Nelson einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die auf natur- und geisteswissenschaftliche Bildung Wert legte und einen ausgeprägt großbürgerlichen Lebensstil pflegte. Wie das Wiener Haus der Eltern Wittgensteins war das Berliner Domizil der Eltern Nelsons Treffpunkt führender Künstler und Gelehrter seiner Zeit. Ähnlich wie Wittgenstein kultivierte Nelson im Gegenzug einen asketischen Lebensstil, weshalb für ihn Schlichtheit in der äußeren Erscheinung, Verzicht auf Zerstreuungen und tägliche sportliche Ertüchtigung selbstverständlich waren. Später hat die Rigidität, mit der Nelson seinen Anhänger-

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kreis auf Vegetarismus, Nikotin- und Alkoholverzicht, Kirchenaustritt und Ehelosigkeit verpflichtete, viel zu dem Sektiererischen beigetragen, das seine Anhänger dem Mainstream des linken politischen Flügels zunehmend entfremdete und zu dem Unvereinbarkeitsbeschluss von 1925 führte, mit dem der Parteivorstand der SPD die Nelson-Anhänger aus ihren Reihen ausschloss. Wie Wittgenstein war auch Nelson vielseitig begabt und ästhetisch hochsensibel, was sich u. a. in wiederholt geäußertem Ungenügen an dem eigenen schnörkellos-sachlichen Schreibstil zeigt. Diese Sachlichkeit erscheint allerdings heute eher als Stärke und entspricht voll und ganz dem philosophischen Programm beider Denker. Wie für Wittgenstein sind auch Nelsons leitende Ideale in der Philosophie Klarheit und kompromisslose Konsequenz. Die Leidenschaft des Philosophierens drückt sich nicht in Pathos aus, sondern in dem Willen zu Objektivität, Rationalität und Allgemeingültigkeit. Auch ist Nelson – anders als vielen späteren Autoren der analytischen Philosophie – alles Unverbindliche, Spielerische und Effekthascherische fremd. Dem entsprach die Rolle Nelsons innerhalb der Zunft der Philosophie. Er war von Anfang an Außenseiter, u. a. weil er bereits in seiner Dissertation – erst der dritte Promotionsversuch war erfolgreich – den anerkannten Kopf der Marburger Schule des Neukantianismus, Hermann Cohen, aufs heftigste attackiert hatte. Seine Polemiken gegen andere Philosophen des Neukantianismus haben wesentlich dazu beigetragen, dass ihm trotz der Unterstützung bedeutender Göttinger Mathematiker wie Hilbert und Klein ein philosophischer Lehrstuhl verwehrt blieb. Neben diesen persönlichen finden sich aber auch zwei sachliche, die Substanz ihres Denkens betreffende Gemeinsamkeiten. Erstens ist bei beiden Philosophen die primäre Fragerichtung der Philosophie auf die logische Tiefenstruktur des Denkens gerichtet. Diese Tiefenstruktur ist für beide hinter einem Schleier von Vorurteilen und Missverständnissen verborgen und muss erst herausgearbeitet werden. Das Selbstverständlichste und Vertrauteste ist nicht das am offens-

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ten zutage Liegende, sondern, wie Nelson übereinstimmend mit Wittgenstein (und Nietzsche) formuliert, das »Dunkelste, Unsicherste und Umstrittenste«. Anders allerdings als Wittgenstein, für den die Sprache der Schlüssel zu den Grundlagen des Denkens ist, sieht Nelson im Anschluss an Kant und Fries den philosophischen Königsweg zum Transzendentalen in der reinen, sprachunabhängigen Reflexion. Zweitens teilen beide Philosophen die Überzeugung vom Eigenwert des Philosophierens als Tätigkeit. Wie Sokrates, dem eingestandenen Vorbild beider Denker, kommt es Wittgenstein und Nelson weniger auf die Resultate der Philosophie an als vielmehr auf die Praxis der Philosophie, auf die Kultur des Selbstdenkens, das Erlernen der – wie es im Titel eines programmatischen Essays von Nelson heißt – »Kunst zu philosophieren«. Auch wenn der Weg nicht alles ist, so ist er doch für beide Denker zumindest ein Teil des Ziels. Eine der Möglichkeiten, den Weg zum Ziel zu machen, ist die von Nelson in einem Vortrag von 1922 entwickelte Methode des Sokratischen Gesprächs. Die Wege trennen sich bei der Interpretation der Resultate der als Grundlagen unseres Denkens aufgewiesenen letzten Voraussetzungen. Wo Wittgenstein sich skeptisch darauf zurückzieht, diese Grundlagen als Spielregeln eines »Sprachspiels« aufzuweisen, das nicht mehr und nicht weniger kontingent ist als die Kultur, die es definiert, hält Nelson an dem Letztbegründungsanspruch Kants und Fries’ fest und geht davon aus, dass die Axiome, denen unser Denken folgt, nicht nur ihrer Funktion nach grundlegend, sondern auch ihrem Gehalt nach wahr sind. Sie sollen nicht nur aufgewiesen und rekonstruiert, sondern auch – in einer »Deduktion« im Kantischen Sinne, also einer Rechtfertigung – als synthetische Aussagen a priori als wahr erkannt werden können. Während Wittgenstein die Metaphysik destruiert, indem er sie als Fehldeutung sprachlicher Ausdrucksformen auszuweisen versucht, erhält Nelson den Anspruch aufrecht, eine Metaphysik wissenschaftlich, d. h. nach intersubjektiv konsentierten Methoden begründen zu können, wenn auch nur auf dem von Fries vorgezeichneten

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Weg einer quasi empirischen Methode der psychologischen Introspektion. Im Gegensatz zu Wittgenstein ist Nelson ein unerschrockener Erkenntnisoptimist, nicht nur in der theoretischen, sondern auch in der praktischen Philosophie. Für Nelson haben die Grundsätze, die unser Denken leiten, eine unbezweifelte kognitive Dignität. Sein Erkenntnismodell ist das der axiomatischen Mathematik, der Herleitung der zahlreichen nicht-empirischen Regeln, derer uns wir in Wissenschaft und Alltagsleben bedienen, aus letzten einsichtigen Grundsätzen. Es liegt ihm ganz fern, diese Grundsätze mit Hume und der modernen evolutionären Psychologie als »natural beliefs« zu sehen – als in der Evolution des Menschen entstandene Heuristiken, die uns in der Regel auf die richtigen Lösungen, uns gelegentlich aber auch auf Irrwege führen und insbesondere da dysfunktional werden, wo sich die Bedingungen, unter denen der Mensch evolutiv entstanden ist, durch menschliche Einwirkung radikal geändert haben. Nelsons Grundüberzeugung ist, dass die Vernunft sich selbst vertrauen kann und dass unser »Wahrheitsgefühl« uns in der Regel nicht täuscht. Die Vernunft und allein die Vernunft soll darüber befinden können, welcher Erkenntniszugang zur Welt und welche Moral die richtige ist. Rationalität lässt keinen Erdenrest, der »peinlich zu tragen wäre«, sondern reicht zumindest im Prinzip hin, die Gesamtheit unserer Überzeugungen, soweit sie über die Erfahrung hinausgehen, anzuleiten. Auf Nelson könnte zutreffen, was Nietzsche über Sokrates gesagt hat: dass er an die Vernunft geglaubt habe. Nelsons Selbstsicherheit, sein Vertrauen auf die Vernunft und ihre Fähigkeit, nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Moral und Recht auf eine apriorische Grundlage zu stellen, wurde von seinen philosophischen Kollegen überwiegend als Anmaßung und Überheblichkeit gewertet – vor allem wenn sie selbst zur Zielscheibe von Nelsons scharfzüngiger Kritik geworden waren. Es ist möglich, dass sich seine Polemik in der Tat zu einem gewissen Anteil aus der scheinbaren Unangreifbarkeit speist, die ihm sein aprioristischer philosophischer

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Standpunkt gewährte. Aus heutiger Sicht wird man allerdings allenfalls an der Form Anstoß nehmen, in der Nelson seine Konkurrenten mit Spott und Hohn bedachte. Vielen seiner Kritiken an den begrifflichen Unschärfen und der Phrasenhaftigkeit der von ihm aufgespießten Varianten der Lebens- und Weltanschauungsphilosophie wird man, auch wenn man Nelsons ambitiösen Apriorismus nicht teilt, die Zustimmung kaum versagen können. Die kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Strömungen der Philosophie nahm in Nelsons Lehrtätigkeit und Veröffentlichungen einen breiten Raum ein. Neben konkurrierenden Ausprägungen des Neukantianismus grenzte sich Nelson ab gegen Pragmatismus, Positivismus und die phänomenologische Schule, vor allem auch gegen in der gebildeten Öffentlichkeit stark rezipierte Autoren wie Bergson und Spengler, die einem Paradigma von Philosophie verpflichtet waren, das Nelson in den vorliegenden Vorlesungen mit dem Ausdruck »intuitive Philosophie« bezeichnet. Seine Kritik beschränkt sich nicht darauf, den teilweise weitreichenden und nicht zuletzt auch praktisch bedeutsamen Aussagen dieser Art Philosophie Begründungsmängel vorzuwerfen. Nelson sieht die »intuitive Philosophie« vielmehr in dem klassischen Denkfehler befangen, gehaltvolle Aussagen aus bloßen Begriffen herzuleiten und die Gültigkeit ihrer Thesen durch die scheinbare Berufung auf begriffliche Tatsachen zu erschleichen. Wenn irgendwo, dann erweist sich Nelson in dieser Vorlesung als analytischer Philosoph im besten Sinne – als ein Philosoph, für den die »Kunst, zu philosophieren« zuallererst in der Kunst des richtigen Argumentierens besteht und für den diese Kunst insbesondere durch die Analyse der Argumentationen und Fehlargumentationen anderer Philosophen erworben werden kann. Zugleich zeigt sich Nelson in dieser Vorlesung als der hervorragende akademische Lehrer, der er für seine Studenten gewesen sein muss. Nicht nur ist seine Darstellungsweise von einer schwer zu übertreffenden Luzidität, bemerkenswert ist auch die aus der Vorlesung sprechende pädagogische Grund-

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haltung. In einer Zeit, in der sich in Deutschland die Philosophie zunehmend vom Geist der Wissenschaft verabschiedete und dem Überschwang genialischer Sinnentwürfe huldigte, setzte Nelson unbeirrt auf rationale Aufklärung. Indem er sich selbst als Modell anbot, ermutigte er seine Hörer zu einem nüchtern-logischen, sich selbst transparenten und für metaphysische Irrtümer sensibilisierten Denken. In allen diesen Hinsichten taugt Nelson auch heute noch zum philosophischen Vorbild. Dieter Birnbacher

Zu dieser Ausgabe

Der Edition liegt ein teilweise von Leonard Nelson handschriftlich korrigiertes Typoskript zugrunde.1 Der nachfolgende Text entspricht der von Nelson korrigierten Fassung. Da jedoch auch einige der Herausgeber der Gesammelten Schriften Korrekturen und Kommentare auf dem Manuskript vermerkten, war nicht immer nachweisbar, dass sie ohne Ausnahme von Nelson selbst stammten. Im Interesse der besseren Lesbarkeit wurden stillschweigend Mängel des Textes, die der ursprünglich mündlichen Form geschuldet sind, durch behutsame Angleichung an schriftsprachliche Normen behoben. Insbesondere wurden Redundanzen und Wiederholungen gestrichen, grammatikalische Fehler berichtigt sowie umständliche oder schwer verständliche Formulierungen verbessert, und zwar unter weitestgehender Bewahrung von Nelsons Sprachstil. Alle Zitate wurden mit dem Original verglichen und gegebenenfalls stillschweigend korrigiert. In Fällen ungenauer oder freizügiger Verwendung von Zitaten werden Originaltexte zum Vergleich in den Anmerkungen wiedergegeben. Gelegentlich wird auf Parallelstellen oder weiterführende Passagen in Nelsons Gesammelten Schriften 2 folgendermaßen verwiesen: Sigle »GS« mit Angabe der Bandnummer, Seitenzahlen, also z. B. GS VII, S. 18. Andreas Brandt / Jörg Schroth Das Manuskript befindet sich im Nelson-Nachlass im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (1/LNAA000065 und 1/LNAA000066). 2 Leonard Nelson, Gesammelte Schriften in neun Bänden, hg. von Paul Bernays, Willi Eichler, Arnold Gysin, Gustav Heckmann, Grete Henry-Hermann, Fritz von Hippel, Stephan Körner, Werner Kroebel, Gerhard Weisser, Hamburg 1970 ff. 1

Leonard Nelson Typische Denkfehler in der Philosophie

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er Titel der Vorlesung verrät bereits eine gewisse Grundauffassung, von der aus ich an die Fragen herantreten werde, die uns hier beschäftigen sollen. Wer von den typischen Denkfehlern in der Philosophie zu sprechen unternimmt, der setzt damit voraus, dass, so wie er selbst, auch die, an die er sich wendet, ein Interesse an der Vermeidung solcher Denkfehler haben. Das Interesse an der Vermeidung solcher Denkfehler kann kein anderes sein als das an der Wahrheit selbst, und wer von diesem Interesse getrieben an eine solche Aufgabe herantritt, der setzt überdies voraus, dass für die Erreichung der Wahrheit in der Philosophie das Denken zum mindesten eine gewisse Rolle spielt, ein wichtiges Mittel, wenn nicht gar das notwendige und einzige Mittel ist, um in ihr zur Wahrheit zu kommen. Nur dies ist eine Auffassung, die, so verwunderlich es klingen mag, heute nicht allgemein als zugegeben gelten kann. Es versteht sich heutzutage durchaus nicht von selbst, dass jemand, der mit dem Anspruch auftritt, Philosophie zu lehren, dabei von dem Interesse an der Wahrheit getrieben wird und gar den Weg über das Denken zu nehmen beabsichtigt, um dieser Wahrheit näher zu kommen. Ja man kann sagen, dass diese Auffassung heutzutage bei der großen Zahl derer, die Philosophie als Beruf treiben, als veraltet, als überholt gilt. Deshalb muss ich, bevor ich auf mein Thema eingehe, es rechtfertigen, dass ich es unternehme, an dieses Interesse an der Wahrheit zu appellieren und Sie darüber hinaus einlade, den Weg des Denkens mit mir zu betreten. Wer ein wenig orientiert ist in der heutigen philosophischen Literatur, den wird es weniger wundern, wenn ich sage, dass das Interesse an der Wahrheit und das Mittel des Denkens dort heute nicht sehr in Ansehen stehen. Er weiß, dass der

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Zweck der Wahrheit heute diejenigen, die sich Philosophen nennen, im ganzen sehr wenig interessiert, und dass ein Philosoph im allgemeinen nicht zugeben wird, dass es ihm bei dem, was er treibt, zuletzt auf Wahrheit ankomme. Es hat sich der Philosophierenden seit langer Zeit eine Verzweiflung an der Wahrheit bemächtigt. Sie weisen auf die Geschichte der Philosophie hin, auf die unzähligen, immer neuen Versuche, der Wahrheit näher zu kommen, deren Ergebnis ein Trümmerfeld ist, ein Trümmerfeld von Systemen, die einander gegenseitig bekämpfen und deren keines, wie es den Anschein hat, das andere auf die Dauer überlebt. Woran kann das liegen, wenn nicht daran, dass es von vornherein verfehlt ist, sich in der Philosophie den Zweck zu setzen, etwas über die Wahrheit auszumachen. Wer von Wahrheit spricht, der tut dies meist nur noch im Sinne eines übertragenen Gebrauchs dieses Ausdrucks. Man sagt genauer, dass man nur relative Wahrheit beabsichtige, Wahrheit in dem Sinne, dass der, der von ihr spricht, das, was er sagt, wohl für wahr hält, aber eben auch nur für seine Person oder doch bestenfalls für die Zeit, in der er lebt, ohne den Anspruch der Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit seiner Lehre für andere und für andere Zeiten. Und wo Sie Philosophen finden, die an der Wahrheit noch nicht verzweifelt haben, die noch ernstlich um sie bemüht sind, da betreten sie doch selten den Weg des Denkens, oder sie wollen es doch wenigstens nicht wahr haben, dass es gut sei, diesen Weg zu betreten. Sie bedienen sich eines anderen, vermeintlich höheren Organs, um der philosophischen Wahrheit habhaft zu werden. Sie nennen es Anschauung oder Intuition. Gewiss, wer ein solches Organ besitzt, der kann unmittelbar und ohne die Mühe des Nachdenkens der philosophischen Wahrheit habhaft werden. Ich will jetzt im Augenblick nicht eine eigentliche Kritik dieses Standpunktes vornehmen. Ich möchte zunächst nur, dass wir diesen Standpunkt verstehen, um dann zu ihm Stellung nehmen zu können, und ich möchte Ihnen sagen, wie ich es psychologisch verstehe, dass wir heut-

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zutage eine solche Stimmung unter den Philosophierenden antreffen, die dem Interesse an der Wahrheit oder doch wenigstens der Methode des Nachdenkens so wenig günstig ist. Ich sehe den ersten Grund dafür in der Tatsache, dass auf eine lange Zeit der philosophischen Interesselosigkeit, der Teilnahmslosigkeit gegenüber den großen philosophischen Fragen eine gewisse Reaktion eingetreten ist, eine Reaktion, die ihre Hauptkraft nicht so sehr aus wissenschaftlichen Untersuchungen zieht als vielmehr aus dem Gefühl, das sich allenthalben auflehnt gegen den herrschend gewordenen Empirismus, d. h. gegen die lange anerkannte Selbstgenugsamkeit der Erfahrung, der bloßen Erforschung der Tatsachen. Demgegenüber macht heute das Gefühl die Rechte der Philosophie auf allen Gebieten geltend. Man will einen Standpunkt über den Tatsachen, um sie zu beurteilen und zu meistern, d. h. einen Standpunkt, den man im eigentlichen Sinne einen philosophischen zu nennen hätte. Dieses Gefühl, das sich allenthalben äußert, wird nun leicht verwechselt mit einem bereits hinreichenden Organ zur Erfassung der philosophischen Wahrheit. Dieses Gefühl hat den Anschein einer eigenen Anschauung oder Intuition. Man spricht in der Tat von dem intuitiven Erfassen einer Wahrheit und meint damit dieses gefühlsmäßige Erfassen. Wer sich allein auf dieses Gefühl verlässt, der gerät in die Gefahr, in ihm schon ein hinreichendes Organ zur Erfassung der philosophischen Wahrheit zu sehen. Er meint unmittelbar das Wesen der Dinge erschauen zu können, und so geht das Bestreben der auf Grund dieses Gefühls Philosophierenden im allgemeinen sogleich darauf, das Wesen der Dinge zu erfassen, zu erklären, zu erkennen, wie man es nennen mag, auf die letzten Dinge, wie man sagt. Die letzten Dinge, die wie man meinen sollte, für den endlichen und beschränkten Menschengeist wirklich die letzten sein müssten, treten hier an die erste Stelle, und es scheint die Aufgabe der Philosophie zu sein, aus der Erfassung des Absoluten das Einzelne, das Endliche erst abzuleiten, das für den gewöhnlichen Menschengeist das Erste und Nächstliegende ist.

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Den unbefangenen Beobachter wird es freilich bedenklich stimmen, wenn er sieht, dass die verschiedenen Philosophen, die in dieser Weise vorgehen, untereinander so uneinig sind. Wenn sie alle ein Organ besitzen, um unmittelbar die philosophische Wahrheit oder gar das absolute Wesen der Dinge aufzufassen, so muss es uns Wunder nehmen, dass dieses Absolute für jeden Philosophen ein anderes wird, und dass nicht einmal diejenigen, die dieses höhere Organ zu besitzen meinen, sich untereinander verständigen können über den Gegenstand, mit dem sie, wie sie selbst sagen, zu tun haben. Und was dem gewöhnlichen Menschen vielleicht noch näher liegt: er wird sogar gewahr, dass die Ergebnisse dieser Philosophie in Widerstreit geraten mit den Tatsachen der Erfahrung, die selbst ihm, dem gewöhnlichen Menschengeist, zugänglich sind. Das alles muss uns bedenklich stimmen gegen die Art des Philosophierens, die diejenigen betreiben, die überhaupt heutzutage auf Wahrheit ausgehen. Aber gerade die Schwierigkeiten, in die sie sich dabei verwickeln, der Widerstreit ihrer Ergebnisse nicht nur untereinander, sondern auch mit der Erfahrung, macht es leicht verständlich, dass der Anspruch auf Wahrheit bei dieser Art zu philosophieren sich nicht lange behauptet. Angesichts der Widersprüche, die da auftreten, lässt er sich nicht aufrecht erhalten. Man gibt ihn infolgedessen auf und verändert den Anspruch dahin, dass die Bedeutung der Philosophie gerade darin bestehe, dem, was nicht als Wahrheit feststellbar ist, dem, was viel tiefer ist als Wahrheit, uns auf die Spur zu bringen, dem Irrationalen, d. h. dem, was sich aller verstandesmäßigen Erfahrung entzieht. Es werden also mehr ästhetische Ansprüche, die man an die Philosophie stellt; sie soll als Kunst betrieben werden und soll nach der künstlerischen Tiefe ihrer Ergebnisse beurteilt werden. Kein Wunder, dass, wenn man schon den Anspruch auf Wahrheit preisgibt, das Unternehmen sich mehr und mehr in Willkür und Phantastik verliert. Was dieser vermeintlich künstlerischen Art zu philosophieren mit der anderen, die sich auf das höhere Organ einer über-

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sinnlichen Anschauung beruft, gemein ist, das ist recht eigentlich die Feindschaft gegen das Denken, der Hass gegen die Reflexion, und wenn früher eine die Rechte der Erfahrung nicht achtende Philosophie da, wo man ihr den Widerspruch mit den Tatsachen nachwies, sich mit der Antwort aus der Affäre zog, um so schlechter für die Tatsachen,1 um ihrer Verachtung für die kleinliche Art des empirisch vorgehenden Menschen Ausdruck zu geben, so antwortet die heutige Philosophie, die man auf das Unwissenschaftliche, auf das Widerspruchsvolle und Unlogische einer solchen phantastischen Art zu philosophieren hinweist, um so schlimmer für die Logik. Kant hat einmal in seinem Alter eine kleine Schrift erscheinen lassen, in der er sich gegen das damals ähnlich wie heute überhandnehmende phantastische Philosophieren wendet. Er spricht da »von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie«.2 Diese Vornehmheit des Tones zeigt sich in ihrer Abneigung gegen die Reflexion, gegen das Denken. Man kann dieser Vornehmheit noch eine andere Seite abgewinnen. Sie steht nämlich im Gegensatz nicht nur zum Denken, sondern zu dem, was am Denken manchem unsympathisch ist, nämlich zu der Arbeit, die dazu gehört. Es ist diese vornehme Philosophie im Grunde eine arbeitsscheue Philosophie. Sie können den Beweis dafür in den Schriften finden, die heute an der Tagesordnung sind, die heute als die Kennzeichen des Geistes der Zeit auf dem Gebiete der Philosophie gerühmt werden. Man rühmt dieser Art zu philosophieren gerade nach, nicht eine Sache der Arbeit, sondern eine solche der Schöpfung zu sein, und man schmeichelt sich damit, in die Reihe der Künstler gerückt oder gar selbst ein geborener Künstler zu sein. Denn der nicht geborene Künstler, der teilt es mit dem Forscher, dass er auf Arbeit angewiesen ist. Ja der geborene Künstler – Sie mögen die Geschichte daraufhin befragen, und er wird es am Ende auch selbst bezeugen – hat arbeiten müssen, um gerade das hervorzubringen, was ihn in den Augen von Dilettanten als den geborenen Schöpfer erscheinen lässt. Eben darin bleibt diese Art zu philosophieren hinter

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dem zurück, was sie selbst zu sein beansprucht. Sie ist nämlich ebenso wenig wahre Kunst wie wahre Wissenschaft. Zur wahren Kunst gehört Arbeit gerade so wie zur wahren Wissenschaft. Der Gegensatz, auf den es hier ankommt, ist der zur Arbeit und nicht der zur Kunst. Kunst und Wissenschaft sind in dieser Hinsicht solidarisch. Es gibt einen künstlerischen und einen wissenschaftlichen Dilettantismus, und das Auszeichnende des Dilettantismus ist auf beiden Gebieten die Arbeitsscheu. Ein Dilettant ist, wer sich an Aufgaben heranwagt, zu denen ihm die Kräfte fehlen, die Kräfte, die nur in zäher Mühe und Arbeit allmählich entwickelt werden können. Und durch diese Scheu vor der Arbeit, die eigentlich das ist, was diese Philosophie so vornehm macht, entfernt sie sich eben so weit von echter Kunst wie von echter Wissenschaft. Sie verdirbt es mit beiden Seiten, sie kann so wenig die Ansprüche eines gediegenen Geschmacks befriedigen wie die der Forschung. Sie finden das wiederum bestätigt, wenn Sie die heutige Literatur daraufhin ansehen wollen. Derjenige philosophische Schriftsteller, der heute wohl der am meisten gelesene ist, macht mit einem Buche von über 600 Seiten den Anspruch, darin keine Forschungsresultate mitzuteilen, sondern etwas, was nur, wie er wörtlich sagt, in tiefem, wortlosem Verstehen gefühlt werden kann.3 Dieses tiefe, wortlose Verstehen, das den Zeitgenossen anscheinend so großen Eindruck macht, drückt sich in einem Wortreichtum von über 600 Seiten aus. In anderer Form zeigt sich die gleiche Eigentümlichkeit darin, dass Philosophen dieser Art gar ihren Schülern erklären, dass sie lernen müssten, zwischen den Zeilen zu lesen. Nun, man möchte hoffen, dass diese Auffassung, dass es auf das Lesen zwischen den Zeilen ankommt im Gegensatz zu der Art, wie man Forschungsergebnisse studiert, in ihrer Methode noch konsequenter werden sollte. Wenn man wirklich die eigentliche Weisheit zwischen den Zeilen finden soll, so ist es das geratenste, den Zeilenzwischenraum möglichst groß zu machen und die Zeilen ganz beiseite zu lassen. Es kann kein größeres

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Wohlwollen der Autoren gegen das Publikum geben, dem die Bücherpreise heute unerschwinglich geworden sind. Es ist bekannt, dass die schwärmerische Art zu philosophieren, die sich damals, als Kant sich dagegen wandte, hervorwagte, auf einem Gebiet sich zeigte, von dem sie heute als verdrängt gelten kann, auf dem Gebiete der Naturwissenschaften. Sie trat damals unter dem Titel der Naturphilosophie auf, hatte dort aber auf Dauer kein Glück. Die Naturwissenschaften, wenigstens die strengeren, nach mathematischer Methode bearbeiteten Naturwissenschaften, waren schon zu fest ausgebildet, um dieser Art des Philosophierens auf die Dauer noch verfallen zu können. Man hat die Philosophie, die sich Naturphilosophie nannte, dort bald als Dilettantismus erkannt und sie aus diesem Gebiet zurückgedrängt. Sie hat sich dann zurückgezogen auf ein anderes Gebiet und auf diesem heute um so fester eingenistet, auf dem Gebiete der sogenannten Kulturwissenschaften. Man spricht heute gern von Kulturphilosophie und tut sich etwas darauf zugute, Kulturphilosophie und nicht Naturphilosophie zu treiben. Die Berührung mit den Naturwissenschaften sucht man weniger, ja man meidet sie, und man sucht geradezu den Ehrgeiz des echten Philosophen darin, sich möglichst weit von diesem Gebiet zu entfernen. Man spricht also lieber von Kulturphilosophie. In den Augen eines denkenden Beurteilers sagt dieser Umstand schon etwas. Er spricht nicht für diese Art zu philosophieren, denn wer wirklich um Kultur bemüht ist, wem dieses Wort etwas bedeutet, der wird wenig davon sprechen. Je mehr man das Wort »Kultur« im Munde führt, desto sicherer kann ein kritischer Betrachter sein, dass noch viel an echter Kultur fehlen muss, und was hier fehlt, das ist gerade das, was ich vorhin als den Mangel dieser Art zu philosophieren bezeichnet habe: das Verhältnis zur Arbeit. Kultur besteht eigentlich selbst nur in Arbeit und ist von gediegener Arbeit gar nicht so sehr weit entfernt zu suchen. Kultur zeigt sich da, wo man mit Hingebung einer Sache dient, und die Hingebung wird um so größer sein, je weniger man große Namen und Worte

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im Munde führt. Die Sache aber, der der echte Philosoph mit Hingebung dienen soll, ist, wie mir scheint, die Wahrheit – die Wahrheit auf jedem Gebiet, der Natur oder der Kultur, oder welches man sonst noch nennen mag. Fragt man nun die heute Philosophierenden, was sie an die Stelle der Wahrheit setzen wollen, wonach sie eigentlich suchen, so wird man sowohl aus dem, was sie selbst darüber sagen, als auch durch Betrachtung ihres wirklichen Tuns und Treibens entnehmen, dass es ungefähr das ist, was Hegel den Philosophen als Aufgabe zugewiesen hat, als er sagte, die Philosophie sei »ihre Zeit in Gedanken erfasst«.4 Es ist die Analyse des Zeitgeistes, was diese Philosophen betreiben. Wer heute als Philosoph etwas gelten will, der muss sich vor allen Dingen mit dem Geist seiner Zeit ins Einvernehmen setzen, er muss dazu diesem Geist seiner Zeit erst einmal auf die Spur kommen: er muss ihn kennen, muss sein Vertrauter werden, muss ihn, wie Goethe im Faust sagt, in seinem eigenen Geist sich spiegeln lassen, und diese Spiegelung des Geistes der Zeit ist das, was uns als Philosophie heutzutage vorgesetzt wird. Mit diesem Geist der Zeit hat es nun, wie Goethe im Faust verraten hat, eine eigene Bewandtnis. »Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln.«5

Der Geist der Zeit, dieser große Unbekannte, mit dem der Philosoph auf vertrautem Fuß leben soll, ist bei Licht besehen doch nichts anderes als die Mode, die die philosophischen Literaten selber machen und dann als den Geist der Zeiten ausgeben. Vielleicht haben Sie vor einigen Tagen den Artikel in der Frankfurter Zeitung gelesen: »Die Überwindung des Relativismus« von Prof. A. Liebert,6 dem Vorsitzenden der Kant-Gesellschaft. In diesem ziemlich umfangreichen Artikel war doch an keiner Stelle die Frage nach der Wahrheit des Relativismus berührt, und wenn man fragte, warum der Relativismus denn

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überwunden werden sollte, oder überwunden sei, so war der Grund nicht eine wissenschaftliche Schwäche dieser Lehre, sondern der Umstand, dass der Geist der Zeit sich von ihm abzuwenden im Begriffe sei. Wer hellhörig der Entwicklung des Geistes der Zeit nachspürt, muss merken, dass die Zeit sich vom Relativismus abwendet, und wer der Menge seiner Zeitgenossen um eine Nasenlänge voraus sein will, der zeigt dieses am besten damit, dass er den Relativismus hinter sich wirft. Das war ungefähr der Gedankengang dieses Artikels. Ein anderes Beispiel: Ein kürzlich erschienenes Buch, das großes Aufsehen erregt, ja eine wahre Begeisterung unter den Freunden der Philosophie hervorgerufen hat, ist das Buch von Peter Wust Die Auferstehung der Metaphysik.7 Wenn man in diesem Buche nachforscht, warum die Metaphysik wieder auferstehen soll, so ist nicht davon die Rede, dass bei der Metaphysikfeindlichkeit der vorhergehenden Zeit sich ein Irrtum, ein Fehler eingeschlichen hatte, den die guten Gründe oder das wissenschaftliche Recht der Metaphysik wieder entfernt hätten, wohl aber davon, dass der Kulturgeist wieder ein Bedürfnis nach Metaphysik zeige, und dass, wer die Bedürfnisse des Kulturgeistes teilen wolle, sich nun der Suche nach der neuen Metaphysik zuwenden müsse. Mit einem Wort: Der Kulturgeist, dem solange die Metaphysik gefehlt hat, fängt an, sich zu langweilen, er verspürt ein Bedürfnis nach Abwechslung. Deshalb ist es an der Zeit, die verstoßene Metaphysik wieder auf den Thron zu setzen. Welche Bedeutung das alles haben soll, das wird sich ein denkender Mensch schließlich fragen, dem es einfallen könnte, dass der Kulturgeist sein Bedürfnis nach Metaphysik über kurz oder lang befriedigt haben und sie wieder einmal satt bekommen könnte. Der wird seiner Zeit noch weiter voraus sein, der schon in der dann auftretenden Phase lebt. Und so wird sich das Spiel immer wiederholen. Es ist somit nicht einzusehen, wie auf diese Weise eine Anschauung vor der anderen anders ausgezeichnet sein sollte, als dadurch, dass sie gerade zu der Zeit, die darüber schreibt und redet, Mode ist.

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Es ist kein Wunder, wenn bei dieser Auffassung vom Wesen und der Aufgabe der Philosophie kein Fortschritt in den Bemühungen der Philosophie von einer Zeit zur anderen anzutreffen ist, und wenn dadurch auch diejenigen, die es ernst mit der Wahrheit meinen, an ihr irre werden, wenn sie sehen, wie hier unter den Philosophen selbst nur ein Hin und Her von der einen Ansicht zur entgegengesetzten zu beobachten ist, ein Streit ohne Ende, wo der eine einreißt, was der andere aufgebaut hat. Ich sagte, dass es das mächtig aufwallende Gefühl ist, das heute der Philosophie die Gunst der Gebildeten wieder zugewandt hat. Das könnte so scheinen, als ob ich einer ähnlichen Auffassung Ausdruck geben wollte wie der eben gekennzeichneten von der Bedeutung der Auferstehung der Metaphysik. So meine ich es nicht. Das Gefühl, von dem ich hier sprach, hat eine tiefere Bedeutung. Es ist nämlich ein Gefühl für die Wahrheit, was sich in ihm erhebt. Das Gefühl für die Wahrheit ist etwas anderes als das Gefühl für ein Bedürfnis des Zeitgeistes. Es ist aber die Frage, was dann die Bedeutung des Denkens für die Philosophie sein soll, in welchem Verhältnis es zu der Wahrheit steht, deren Ansprüche sich gefühlsmäßig geltend machen. Man könnte in der Tat meinen, dass das Gefühl sich hier selbst genug sei, und dass wir daher auf das Denken nicht angewiesen seien. Es wäre dies jene Ansicht, wonach das Gefühl als eine Art der Anschauung in Anspruch zu nehmen sei, eine Anschauung, auf die man sich nur zu berufen brauche, um eine Erkenntnis als philosophische Wahrheit festzustellen. Ich werde das nächste Mal auf die Frage eingehen, welche Bedeutung das Denken für die Erreichung der philosophischen Wahrheit hat. Dadurch wird sich dann das Interesse an der Vermeidung der Denkfehler in der Philosophie rechtfertigen.

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ch habe das vorige Mal versucht, die Gründe zu beleuchten, aus denen man heutzutage der Philosophie, die das Denken als ihr vornehmstes Forschungsmittel betrachtet, vielfach mit Abneigung entgegenkommt, und ich habe versucht, Ihnen die Gründe näher zu bringen, woraus diese Abneigung gegen das Denken bei den Philosophierenden heutzutage eigentlich ihre Nahrung zieht. Ich will darauf nicht weiter zurückkommen, möchte aber an die letzte Betrachtung anknüpfen, zu der wir bei dieser Überlegung kamen. Wir fanden nämlich, dass ein besonderer Grund für diese heutzutage so verbreitete Auffassung darin zu suchen ist, dass in der Tat ein gewisses vorgeblich höheres Organ namhaft gemacht werden kann, auf das man sich zu stützen versucht, um ohne das Denken auszukommen. Dieses Organ ist das, was ich das Wahrheitsgefühl nannte. Wenn man näher zusieht, worauf die Philosophen der intellektuellen Anschauung sich berufen, so wird man in der Tat finden, dass es missdeutete Ansprüche des Wahrheitsgefühls sind, die sie ins Feld führen. Es wird daher gut sein, die Eigentümlichkeit dieses Wahrheitsgefühls ein wenig näher zu beleuchten und sein Verhältnis zum Denken zu untersuchen.8 Wir wollen uns einmal auf den Standpunkt stellen, dass es ein solches Wahrheitsgefühl nicht nur gibt – wir werden es alle aus der Erfahrung kennen –, sondern dass wir auch zunächst Grund haben, ihm zu vertrauen. Wir wollen uns also auch gern auf die Entscheidung dieses Wahrheitsgefühls verlassen. Was machen wir dann aber für Erfahrungen? Wir beobachten, dass uns dieses Gefühl, dem wir so gern trauen und uns allein überlassen möchten, im Stiche lässt, indem es sich in Widersprüche mit sich selbst verwickelt. Es gibt eine Kollision der Aussprüche des Wahrheitsgefühls des einen und des anderen;

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es gibt sogar eine Kollision der Aussprüche des Wahrheitsgefühls bei einer und derselben Person. Wenn also das Gefühl zunächst auch ein taugliches Mittel zur Beurteilung philosophischer Wahrheiten war, so muss es doch wohl der Gefahr einer Verwirrung und Verfälschung ausgesetzt sein. Wie sollte es sonst in Widerstreit mit sich selbst geraten? Und da stehen wir dann vor der Frage, welchem der einander widerstreitenden Gefühle wir trauen sollen, welches wir dagegen als eine Verfälschung, eine Trübung des ursprünglich gesunden Gefühls ansehen sollen. Auf diese Frage müssen wir eine andere Antwort suchen, als sie uns das Gefühl geben kann. Wir müssen sie außerhalb des Gefühls suchen und uns dazu also auf das Denken einlassen. Sieht man näher zu, wie eine solche Verwirrung und Verfälschung des ursprünglich sicheren Wahrheitsgefühls entstanden ist, so spielt dabei in der Tat gerade das, was man Dialektik nennt, also das Denken, eine bedeutende Rolle. Wenn wir uns an das Philosophieren machen, so sind wir nicht mehr völlig naiv, sondern wir haben bereits von unserem denkenden Verstande Gebrauch gemacht, und dieser Gebrauch hat unser Gefühl bereits beeinflusst. Wir können darum das Gefühl nicht mehr als durchaus unbefangen betrachten und also als eine zuverlässige, lautere Quelle der Wahrheit. Wir unterliegen alle, ehe wir bewusst und planmäßig zu philosophieren beginnen, den Einflüssen einer Dialektik, wie sie in der Gesellschaft, in der wir leben, nun einmal tatsächlich eine Macht über die Geister besitzt, und deren Einfluss auch unausbleiblich bei uns Eingang findet. Die Einflüsse dieser Dialektik sind es, die es verursacht haben, dass unser Gefühl nicht mehr rein und eindeutig spricht. Was uns zu dieser Dialektik treibt, ist eine andere Frage. Ich weise hier nur auf die Tatsache hin, dass eine solche Dialektik sich einstellt und dass sie die Geister beeinflusst, mögen sie wollen oder nicht. Stellen wir uns aber die Frage, was den Menschen eigentlich zur Dialektik treibt, so sind es vorwiegend Interessen: Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen, die ihn veranlassen

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nachzudenken, und damit einen Mechanismus in Bewegung zu setzen, der in seinem Endergebnis eine Verschiebung des Urteils herbeiführt, das uns zunächst durch das Wahrheitsgefühl zu teil geworden ist. Wir widerstreben etwa einem solchen gefühlsmäßigen Urteil, weil seine Entscheidung unseren Wünschen oder Hoffnungen zuwider ist, und nun fangen wir an zu vernünfteln, zu grübeln, nachzudenken und der Stimme des lauteren Gefühls ein durch Interessen verfälschtes Urteil als Ergebnis des sophistischen Gedankenganges unterzuschieben, und am Ende lässt sich schwer entscheiden, was das Ergebnis einer solchen sophistischen Erschleichung und was die Stimme des lauteren Wahrheitsgefühls ist. Es sind aber übrigens nicht nur etwa eigennützige Interessen, die uns zu einer solchen Dialektik veranlassen, und damit auch zu einer Verfälschung des ursprünglichen Wahrheitsgefühls. Gerade das Interesse an der Wahrheit kann hier eine ähnliche Rolle spielen. Das Interesse an der Wahrheit veranlasst uns, den Gründen der gefühlsmäßigen Entscheidung nachzugehen. Es weckt in uns das Bedürfnis, diese zunächst nur gefühlsmäßigen Urteile zwingend zu begründen, und zu dieser Begründung bedürfen wir der Dialektik. Gelingt es uns nicht, diese Begründung dialektisch einwandfrei herzustellen, so führt die Dialektik auch hier zu einer Verfälschung unseres ursprünglichen Urteils. Welches Interesse hier also auch ausschlaggebend sein mag, es gibt tatsächlich eine sophistische Dialektik, deren Einflüssen sich kein Mensch entziehen kann, und deren Einflüssen er schon unterlegen ist, wenn er beginnt, methodisch und planmäßig zu philosophieren. Gegen diese sophistische Dialektik ist sein Gefühl ohnmächtig. Er kann sich ihrer nicht anders erwehren, als indem er eine bessere Dialektik zu Hilfe nimmt, um die sophistische unschädlich zu machen. Das erfordert dann freilich Mühe und Ausdauer, und es ist leichter und verlockender, der sophistischen Dialektik den Ausspruch einer vermeintlichen Intuition der philosophischen Wahrheit entgegenzusetzen, indem man sich darauf beruft, dass die An-

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schauung, die man dem Gefühl unterschiebt, für sich eine hinreichende Bürgschaft der Wahrheit sei. Aber es ist klar, dass ein solches Verfahren wissenschaftlich ungenügend und unbefriedigend bleiben muss. Denn die Intuition, auf die man hier rekurriert, ist, bei Lichte besehen, gerade dasjenige, was von der sophistischen Dialektik angefochten wird, der man sich erwehren möchte. Es ist nur eine gewalttätige Behauptung, die man den Zweifeln und Einwänden einer solchen Dialektik entgegenhält, wenn man sich ihr gegenüber auf eine vermeintliche Anschauung dessen beruft, was durch diese Dialektik gerade angefochten wird, und dessen Anfechtbarkeit durch eine solche Dialektik der beste und untrüglichste Beweis dafür ist, dass die vermeintliche Anschauung nur eingebildet ist. Denn besäßen wir wirklich eine solche unmittelbare Anschauung der philosophischen Wahrheiten, so wäre ja unverständlich, wie eine sophistische Dialektik überhaupt irgend einen Erfolg gegen die Wahrheit erringen könnte. Wenn das möglich ist, und es ist eine Tatsache, dass es möglich ist, so kann die philosophische Wahrheit nicht mit unmittelbarer Klarheit und also anschaulich vor unserem Geiste liegen. Wollen wir sie sicherstellen, so bleibt uns dazu einzig und allein das Hilfsmittel des Denkens übrig. Wir wollen nun einmal zusehen, worin denn eigentlich der Grund dieser Mängel liegt, denen das Wahrheitsgefühl ausgesetzt bleibt, und also der Grund, weshalb es einer Ergänzung und Sicherung durch das Denken bedarf. Wenn wir dieser Frage nachgehen, so beobachten wir eine merkwürdige Eigenschaft des Wahrheitsgefühls. Diese Eigentümlichkeit des Wahrheitsgefühls zeigt sich darin, dass es sich allemal nur bei der Beurteilung besonderer Fälle äußert. Nur bei der Beurteilung des einzelnen Falles, vor dem wir gerade stehen, äußert sich unser Wahrheitsgefühl. Es versagt aber allemal, sobald wir nach den allgemeinen Gründen eines solchen Urteils fragen. Sobald diese Frage auftritt, entsteht die Dunkelheit und jener Widerstreit, der so kennzeichnend für die Bestrebungen der Philosophen ist. Solange wir uns nicht aufs

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Philosophieren einlassen, und das heißt nichts anderes als, solange wir bei der Betrachtung der Einzelfälle stehen bleiben, die das Leben uns darbietet, und keine allgemeinen Fragen stellen, solange leitet uns unser Wahrheitsgefühl sicher und zuverlässig. Der Streit fängt erst an, wenn wir die Frage verallgemeinern, sobald wir also nach den Gründen fragen, die wir bei der Beurteilung des Einzelfalles, wie es scheint, sicher genug handhaben und anwenden. Bei der Frage nach diesen allgemeinen Gründen eines Einzelurteils bedarf es des Nachdenkens, und dieses Nachdenken über die allgemeinen Gründe einer besonderen Wahrheit ist es ja eigentlich, was wir das Philosophieren nennen.9 Hier brauchen wir die Dialektik, d. h. die Mittel des abstrakten Denkens, sobald wir von der Beurteilung des Einzelfalles übergehen zu der Frage nach dem allgemeinen Prinzip. Die Aufgabe, diese allgemeinen Prinzipien für alle möglichen Einzelurteile sicherzustellen, ist es, um deren allmählich bessere Lösung es in der Geschichte der Philosophie geht, und deshalb bewegt sich der eigentliche Fortschritt in der Geschichte der Philosophie auch gerade auf diesem Gebiet der Dialektik. In der Beurteilung der einzelnen Tatsachen sind sich die Philosophen weder untereinander noch mit dem gesunden Menschenverstand uneinig. Die Uneinigkeit betrifft jene allgemeinen Prinzipien, und zu ihrer Sicherstellung bedarf es der Dialektik.10 Ich sagte, der eigentliche Fortschritt in der Geschichte der Philosophie vollzieht sich auf dem Gebiete der Dialektik. Wir können noch bestimmter sagen: er vollzieht sich auf dem Gebiet der Logik. Denn so viel ist klar: Wenn wir einmal den Fehler des Mystizismus, jener vermeintlich höheren Intuition als Quelle aller philosophischen Wahrheit durchschaut haben, dann erkennen wir es auch als eine vergebliche Hoffnung, durch das Philosophieren den Gehalt an allgemeinen Prinzipien in unserer Erkenntnis zu erweitern. Dieser Gehalt der allgemeinen philosophischen Prinzipien wird durch das Denken weder geschaffen noch erweitert. Denn von der Erwei-

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terung unserer Erkenntnis, die uns durch die Erfahrung zuteil wird, ist ja hier nicht die Rede, wo wir von der philosophischen Wahrheit sprechen. Das Denken kann uns hier zu nichts anderem dienen, als jene allgemeinen Prinzipien, wie wir sie in jedem unverfälschten Wahrheitsgefühl voraussetzen, von der Dunkelheit, mit der sie ursprünglich vorgestellt werden, zu befreien und zur vollen Klarheit des Bewusstseins zu erheben. Nur durch diesen verschiedenen Grad der Klarheit unterscheiden sich die einzelnen Denker. Diese Klarheit wird gewonnen durch die wissenschaftliche Form der Zurückführung aller Einzelurteile auf ihre allgemeinen Prinzipien, durch die fortschreitende Zergliederung und Aufklärung der allgemeinen Voraussetzungen, die das bloße Wahrheitsgefühl für sich nicht in abstracto aufzufassen vermag. Diese wissenschaftliche Form, die durch Reduktion einzelner Urteile auf ihre allgemeinen Prinzipien gewonnen wird, ist nichts anderes als die Form des expliziten logischen Denkens im Gegensatz zu dem impliziten Gebrauch der Prinzipien bei den Urteilen des Wahrheitsgefühles. Und die Regeln für das explizite logische Denken im Gegensatz zu dem bloßen gefühlsmäßigen Urteil, sind nichts anderes als die Gesetze der Logik. Die Kunst des expliziten logischen Denkens entwickelt sich daher nur durch die allmählich bessere Ausbildung der Logik. Die mannigfachen Fehlerquellen, die hier bestehen und die die Verwirrung und den Streit unter den Philosophen verursacht haben, werden nur beseitigt durch die allmählich bessere Kenntnis des Logik. Diese Bedeutung der Logik für die Ausbildung der Philosophie überhaupt auseinanderzusetzen, das ist der Hauptzweck dieser Vorlesung. Wollte ein philosophischer Lehrer das nach den Regeln einer richtig ausgebildeten Logik aufgestellte System der Philosophie seinen Schülern sogleich positiv vorführen, so würde das dem Schüler sehr wenig nützen. Er würde nur dogmatisch die Ergebnisse vernehmen und sich äußerlich zu eigen machen können. Worauf es ankommt, ist die Kunst des eigenen Denkens und des Findens der Wahrheit durch eigenes Denken.

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Dazu muss man lernen, alle jene Fehler zu vermeiden, die hier drohen. Dazu muss man die Quellen dieser Fehler studieren und eine vielseitige und umfangreiche Übung in der Vermeidung dieser Fehler erwerben. Nur so lernt man die Fehler, die uns hier zum Irrtum verführen, in ihren mannigfachen Erscheinungsformen erkennen und durchschauen. Daher muss eine solche Übung zum Zweck der Bekanntschaft mit den fraglichen Fehlern vorhergehen, ehe es Zweck hat, positiv mit dem Aufbau eines philosophischen Systems zu beginnen. Diese Übung in der Kunst, die hier drohenden Fehler zu vermeiden, scheint mir eigentlich das zu sein, was der Nutzen einer recht geleiteten philosophischen Propädeutik sein sollte. Nur von dieser kritischen Seite her möchte ich Ihnen die Bedeutung der Logik in dieser Vorlesung vorstellen. Sie betrifft eigentlich eine angewandte Logik, und zwar den philosophischen Gebrauch der Logik, d. h. die Kunst der Anwendung der Logik auf die Probleme der Philosophie. Was wir hier betreiben, ist also die Aufdeckung und Kritik des dialektischen Scheins in der Philosophie. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe gerade für die Philosophie erhellt sich aus dem, was ich vorhin sagte. Es versteht sich nicht von selbst, dass für eine Wissenschaft die Aufdeckung und Kritik von dialektischen Fehlern Bedeutung haben müsste. Bei den Wissenschaften, die aus den Quellen der Anschauung schöpfen, erübrigt sich eine solche logische Kritik, da hat sie zum mindesten nicht die Wichtigkeit und Bedeutung wie in der Philosophie. Denn dort haben wir die Anschauung, die für sich selbst hinreichende Klarheit über ihren Gegenstand verbreitet. Dort sind daher die Quellen des dialektischen Irrtums weniger gefährlich. Also ist in der Tat gerade der Umstand, dass die Philosophie nicht über eine gleichartige Erkenntnisquelle verfügt wie die Wissenschaften, die wirklich aus der Anschauung schöpfen, das, was, für die Philosophie eine solche logische Kritik wichtig macht. Nun habe ich nicht von Denkfehlern überhaupt sprechen wollen, sondern von den typischen Denkfehlern in der Philoso-

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phie. Es könnte nämlich zunächst als eine ganz unabsehbare Aufgabe erscheinen, die Quellen des dialektischen Scheins in der Philosophie aufzuzeigen. Denn wenn auch die Wahrheit nur eine ist, so scheint doch die Möglichkeit des Irrtums unbegrenzt zu sein. Da ist es nun für uns höchst bedeutsam, dass das nicht der Fall ist. Es ist nicht der Fall in dem Sinne, dass sich bestimmte Formen von Denkfehlern aufzeigen lassen, die in der Philosophie typisch sind, d. h. die immer wiederkehren, so dass die mannigfachen Irrtümer, die wir dort antreffen, sich alle auf eine bestimmte und sogar sehr kleine Klasse von Denkfehlern zurückführen lassen. Es sind dieselben wenigen Fehlerquellen, die sich in mannigfachen Folgeerscheinungen geltend machen. So kommen wir, wenn wir den Quellen des Scheins in der Philosophie nachgehen, zu einer dialektischen Fehlertheorie, wie ich diese Aufgabe nennen möchte, einer Theorie, die uns die in der Philosophie überhaupt möglichen Fehlerquellen übersehen lässt und die uns eine vollständige Systematisierung der aus diesen Quellen entspringenden dialektischen Irrtümer liefert. Das ist es, was ich in dieser Vorlesung beabsichtige. Ich werde bei der Erörterung der einzelnen typischen Denkfehler von Beispielen ausgehen, und zwar nach Möglichkeit von Beispielen aus der neueren und neuesten Philosophie, da diese uns am nächsten liegt. Um Missverständnisse auszuschalten, möchte ich sagen, dass mich dabei nicht das Interesse an einer allgemeinen Kritik der Philosophen leitet, denen ich solche Beispiele entnehmen werde. Ich bitte Sie also, das, was ich an Kritik vorbringen werde, nicht misszuverstehen und nicht über das hinaus, was die einzelnen Beispiele betrifft, zu verallgemeinern. Dadurch, dass wir bei unseren Untersuchungen von solchen Beispielen ausgehen, wird auch von vornherein die Besorgnis entkräftet, dass die Theorie uns auf leere Fächer führen könnte und auf unnütze und unfruchtbare Spitzfindigkeiten. Nur wer an Hand solcher Beispiele die Gefahren kennen gelernt hat, die auf dem Felde der Dialektik drohen, und wer auf Grund solcher Übung zur

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Kenntnis jener typischen Fehlerquellen gelangt ist, der erst ist hinreichend gewarnt vor den Gefahren des dialektischen Scheins und gerüstet, sich an die positive Lösung der eigentlichen philosophischen Probleme zu begeben. Ich sprach das vorige Mal vom Relativismus, der heute das Vertrauen zur philosophischen Wahrheit in weiten Kreisen erschüttert hat. Ich sagte, dass ich mich vor der Hand einer Widerlegung dieses Standpunktes enthalten wollte. Wenn es nun gelingt, das, was ich als das Ziel dieser Vorlesung bezeichnet habe, wirklich zu erreichen, so werden wir dadurch mittelbar ein umso wirksameres Argument gegen jenen Relativismus in die Hand bekommen. Wenn es gelingt, allen jenen Widerstreit der Philosophen, der zum Skeptizismus verführt hat, auf eine begrenzte Zahl bestimmt nachweisbarer Denkfehler zurückzuführen, so verschwindet mit jenem Widerstreit auch die Tatsache, die dem Relativismus den Hauptanlass gegeben hat. Und ferner, das gleiche Ergebnis wird den Nutzen solcher logischen Untersuchungen, der heute so wenig bekannt ist, ins rechte Licht setzen. Es wird sich zeigen, dass in der Tat die bloße schulmäßige Ausbildung der Logik, wenn sie nur erst einmal weit genug gediehen ist, hinreichen muss, um jenen Widerstreit in der Philosophie aufzuheben und uns den Erfolg zu sichern, den man unter vornehmer Überspringung solcher Denkarbeit vergeblich zu erhaschen sucht. Aber das sind alles jetzt vor der Hand nur Versprechungen. Wir wollen den Versuch entscheiden lassen. Jetzt will ich mich nur noch gegen ein Missverständnis verwahren, dem das, was ich eben gesagt habe, leicht ausgesetzt sein könnte. Es gibt in der Tat auch eine Gefahr der Überschätzung der bloßen Logik und damit des Denkens. Diese Gefahr habe ich keineswegs leugnen wollen. Worauf ich aber aufmerksam machen möchte, ist, dass wir bei folgerichtiger Ausbildung des Denkens einen sicheren Schutz auch gegen diese Gefahr finden werden. Es ist ja doch nur ein Missbrauch unserer Denkmittel, durch den diese der Wahrheit gefährlich werden können. Es gibt oder gab doch wenigstens früher einen verbreiteten Aberglauben

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an die Allmacht der Logik. Dieser Aberglaube verkennt, dass das Denken zwar seiner logischen Form nach durchaus richtig sein kann, ohne dass doch der Anspruch auf Wahrheit, mit dem es auftritt, berechtigt ist. So entsteht leicht ein Fehler durch einen zu weit gehenden Anspruch an die Logik, indem man nämlich dieses Verhältnis der logischen Form zum Inhalt des Gedankens missdeutet und meint, die bloße logische Form sei schon hinreichend, um die Wahrheit des Gehalts der entwickelten Gedanken zu verbürgen. Dieser fälschliche Anspruch ist selbst nur durch einen Denkfehler erschlichen, den die Logik bestimmt aufzuzeigen vermag, und durch dessen Aufzeigung wir uns vor diesem Missbrauch unserer Denkmittel sichern. Wir haben gleich hier ein Beispiel für den Nutzen solcher logischen Kritik, und ich werde das nächste Mal damit beginnen, an diesem Beispiel einen typischen Denkfehler auseinanderzusetzen.

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ch hatte neulich damit geschlossen, mich gegen ein Missverständnis zu verwahren, nämlich gegen das Missverständnis, das in einer Überschätzung des logischen Denkens liegt. Nun ist es heute gewiss, wie ich schon gesagt habe, nicht so sehr zu befürchten, dass die Schätzung des logischen Denkens überhandnehmen wird, aber es könnte umgekehrt die Befürchtung hervorgerufen werden, dass es hier von mir überschätzt wird, nach dem hohen Lobe, das ich der Kunst des logischen Denkens gezollt habe, und nach den großen Versprechungen, die ich hinsichtlich der Fruchtbarkeit dieser Kunst an die Spitze dieser Vorlesung gestellt habe. Deshalb schien es mir das beste – auch um niemand zurückzuschrecken, an ihr teilzunehmen –, wenn ich diese Untersuchung selbst damit beginne, den Fehler auseinanderzusetzen, aus dem eine solche Überschätzung der Logik entspringt, einen Fehler, der, wenn er auch in der Tat heute weniger verbreitet ist, doch mit einem Wechsel der Mode, der in diesen Dingen, wie ich auseinandergesetzt habe, jeden Augenblick bevorsteht, sich alsbald wieder geltend machen kann und dann die ungewarnten Gemüter umso mehr verwirren und auf Abwege bringen wird. Ich sagte bereits, dass der beste Schutz gegen diese Gefahr in einer noch gründlicheren Ausbildung des logischen Denkens selbst liegt. Es sind wiederum nur Fehler im Gebrauch der Logik, die eine solche Missdeutung ihrer Kraft und Kompetenz nach sich ziehen. Im übrigen zeigt sich diese Missdeutung in einer gewissen Form auch heute noch, nämlich in der populären Auffassung vom Werte einer bestimmten Philosophie. Man pflegt in der populären Beurteilung die philosophischen Lehren leicht einzuschätzen nach der Konsequenz, mit der sie aufgebaut sind, nach der inneren Geschlossenheit des Systems, mit der sie sich uns darstellen. Man hört oft das tö-

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richte Lob, dass ein Philosoph zwar die größten Absurditäten behaupte, aber sich darin doch treu bleibe und konsequent darin verfahre. Diese Konsequenz, diese Geschlossenheit des Systems verleitet den Beurteiler allzu leicht zu einer falschen Einschätzung seines Gehaltes. Er vergisst darüber, dass diese Konsequenz nur eine leere Form ist, die die Richtigkeit des Gehaltes in keiner Weise zu garantieren vermag. Es ist für eine unbefangene Beurteilung ohne weiteres klar, dass, wo in den Grundlagen eines philosophischen Systems ein Fehler enthalten ist, die Konsequenz im Aufbau des Systems nur dazu dienen kann, diesen Fehler dem ganzen System mitzuteilen und es in allen seinen Folgerungen unbrauchbar zu machen und zu entwerten, dass dagegen eine Inkonsequenz den Philosophen, der von falschen Voraussetzungen ausgeht, gerade davor bewahren kann, auch seine Ergebnisse zu entwerten, und dazu dienen kann, den anfänglich begangenen Fehler wieder auszumerzen. Diese irrtümliche Beurteilung zeigt sich noch von einer anderen Seite. Man meint nämlich leicht, dass ein Philosoph, wenn er nur konsequent sein System aus bestimmten, an die Spitze gestellten Prinzipien entwickelt, zu seinen Folgerungen auch wirklich dadurch gekommen ist, dass er davon ausging, seine Prinzipien festzustellen und dann deren Konsequenzen zu untersuchen. Es müsste sich danach so verhalten, dass wirklich die Philosophen die Wahrheit irgend eines Satzes an der Konsequenz prüfen, mit der dieser Satz aus dem von ihnen an die Spitze gestellten Prinzip folgt. In Wirklichkeit verhält es sich ganz anders.11 Es ist dies eine durchaus laienhafte Betrachtung. Es gibt keinen bedeutenden Philosophen, der auf diese Weise seine Sache angegriffen hätte. Die dem Laien zunächst imponierende Konsequenz und Geschlossenheit des Systems ist für den Schöpfer dieses Systems, wenn es sich wirklich um einen bedeutenden Philosophen handelt, immer das Letzte und niemals der Ausgangspunkt. Es verhält sich, gerade umgekehrt, so, dass ein bedeutender Denker den Wert seines Prinzips an der Rich-

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tigkeit der Folgerungen kontrolliert, die sich ihm daraus ergeben, und er wird eher bereit sein, die Konsequenz seines Systems zu durchbrechen, als eine Wahrheit, die er im voraus als richtig erkannt hat, preiszugeben. Es gibt keine logische Vergewaltigung, zu der ein Philosoph seinem eigenen System gegenüber nicht fähig wäre, wenn er in Gefahr ist, bei konsequenter Ausbildung dieses Systems zu falschen Ergebnissen zu gelangen.12 Das Interesse an der Wahrheit steht einem einigermaßen bedeutenden Philosophen immer höher als das Interesse an der Konsequenz. Der Grund dieser vielleicht paradox erscheinenden, aber zweifellos vorhandenen Tatsache liegt in dem, was ich neulich schon gesagt habe. Er liegt darin, dass uns die allgemeinen Prinzipien in der Philosophie erst viel später klar werden als ihre besonderen Anwendungen. Es ist das Wahrheitsgefühl, das unmittelbar auf diese besonderen Anwendungsfälle geht, und von dem aus wir erst durch Abstraktion zu den dabei gemachten Voraussetzungen aufsteigen. Erst durch solche Zergliederung der Voraussetzungen unserer tatsächlichen Urteile kommen wir überhaupt zum Bewusstsein jener allgemeinen Prinzipien, die hinterher an die Spitze des Systems treten, und die dann dem Laien den Eindruck vermitteln, als ob sie wirklich das erste gewesen wären, wovon der Schöpfer des Systems ausgegangen wäre und was ihn erst auf die Errichtung des Systems geführt hätte. Es sind immer nur die unbedeutenden Köpfe in der Geschichte der Philosophie, die Epigonen, wie man sagen kann, die Schüler der großen Meister, die sich die Konsequenz des Systems zum Leitstern ihres Philosophierens werden lassen, was oft die Folge hat, dass das System, in das sie diese Konsequenz hineinbringen, zwar immer konsequenter, aber auch immer unfruchtbarer, ja oft auch immer absurder wird. Ich will, um das jetzt Behauptete deutlicher zu machen, einige Beispiele dafür anführen. Als erstes Beispiel will ich die ethische Lehre wählen, die auf die englische Schule der sogenannten Utilitarier zurückgeht. Der Begründer dieser Schule

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ist Bentham, der am Anfang des 19. Jahrhunderts gelebt hat, und der nicht nur in der Geschichte der Philosophie, sondern auch in der Geschichte der Staatswissenschaften berühmt geworden ist. Dieser Philosoph hat das Prinzip aufgestellt, dass das Erstrebenswerte die Lust sei, und dass sich also der ethische Wert eines Verhaltens nach der Menge und Größe der Lust richtet, die es zur Folge hat.13 Es ist dies also das Prinzip einer hedonistischen Ethik, wie man sagt. Der Urheber dieses Systems war der Meinung, dass das Prinzip, wonach das Gute die Lust ist, ein nicht nur allgemeingültiger, sondern auch evidenter, unmittelbar einleuchtender Satz ist, ein solcher Satz, für den sich jede weitere Begründung erübrigt,14 und er ging daher sogleich daran, die Konsequenzen aus diesem Prinzip zu entwickeln. Wenn nun jemand dieses Prinzip wirklich zur Richtschnur seines Verhaltens machen will, so wird er bald bemerken, dass er dabei in Konflikt mit dem gleichgerichteten Bestreben seiner Mitmenschen gerät, die auch das Gute in die Lust setzen. Das Streben nach möglichst reicher Lust führt, sobald es allgemein wird, zu einem Konflikt. Die vermehrte Lust, die der eine sich aneignet, geschieht auf Kosten der Lust anderer der Gesellschaft. Die Frage ist: Wie sollen wir in einem solchen Falle jenes ethische Prinzip anwenden? Nach diesem Prinzip wäre uns geboten, auf Kosten anderer unsere eigene Lust zu vermehren überall, wo ein solcher Konfliktfall vorliegt.15 Das kann aber nicht ein ethisches Gebot sein, denn es gilt uns ja gerade als unethisch, unserer Lust auf Kosten der übrigen Mitglieder der Gesellschaft nachzugehen. Bentham schreckt durchaus davor zurück, diesen allgemein anerkannten ethischen Satz, wonach es unethisch ist, auf Kosten anderer seiner Lust nachzugehen, abstreiten zu wollen. Was bleibt ihm also übrig, wenn er doch an seinem Prinzip festhalten will? Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als eine neue Annahme einzuführen, um Konsequenz in das System zu bringen, d. h. um das Prinzip in Einklang zu bringen mit jenem uns nun einmal feststehenden Satze, wonach es unethisch ist, auf

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Kosten anderer seine eigene Lust zu vermehren. Er muss also eine willkürliche Annahme einführen, willkürlich darum, weil sie nicht aus seinem Prinzip fließt. Er muss ein Axiom a priori einführen, wonach der fragliche Konflikt gar nicht vorkommen kann, wonach es also unmöglich ist, dass jemand, der nur seinem eigenen wohlverstandenen Interesse nachgeht, dadurch das Interesse der übrigen Menschen schädigt. Kurz, er macht die Annahme, dass es sich auf die Dauer für den einzelnen Menschen lohnt, wenn er das Interesse seiner Mitmenschen wie sein eigenes achtet, und da auf Lust verzichtet, wo dieses für die Gesamtheit mit einer Verminderung der Lust verbunden wäre.16 So wird er darauf geführt, als einen ethischen Lehrsatz den aufzustellen, dass das größte Glück der größten Anzahl das ethische Ideal ist,17 einen Satz, der übrigens nicht nur, wie ich sagte, auf einer willkürlichen Annahme beruht, sondern auch sonst noch seine logischen Schwächen hat. Denn er vereinigt zwei unvereinbare Forderungen. Es ist zu viel damit verlangt: das größte Glück der größten Anzahl, da ja nichts dafür bürgt, dass nicht unter Umständen die Vergrößerung des Glücks nur erreicht werden kann durch eine Verminderung der Anzahl, auf die es sich verteilt, und dass nicht die Vergrößerung dieser Anzahl eine Verminderung des Glücks herbeiführt, das bei dieser Verteilung auf die einzelnen entfällt. Es sind zwei von einander unabhängige Maxima, die in diesem Prinzip verlangt werden. Aber davon will ich hier absehen. Worauf es mir ankommt, ist die Tatsache, dass der Philosoph, um sein dogmatisch aufgestelltes Prinzip in Einklang zu bringen mit einer besonderen Wahrheit, an der er nicht zu zweifeln wagt, eine willkürliche Annahme einführt, die nicht aus seinem Prinzip folgt, ja die bei Licht besehen falsch ist. Dieser Fehler wurde bemerkt von Benthams Nachfolger, John Stuart Mill, und Mill sah sich dadurch zu einer Korrektur der Lehre seiner Meisters veranlasst. Diese Korrektur bestand in folgendem Gedanken: Wenn es unethisch ist, bedingungslos der Vermehrung seiner eigenen Lust nachzugehen, so deu-

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tet dieses darauf hin, dass es noch eine andere Schätzung der Lust gibt als bloß nach dem Grade ihrer Stärke. Es gibt verschiedene Arten der Lust. Es gibt ein höheres, ein wahres Glück, wie sich eben daran zeigt, dass es den Vorzug verdient, auch wenn die Lust, in der es besteht, die geringere ist.18 Es ist, sagt Mill, offenbar besser, ein unbefriedigter Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; es ist besser, als ein unbefriedigter Sokrates zu leben, wie als ein zufriedener Tor.19 Es genügt also nicht, die Größe der Lust in Betracht zu ziehen, sondern es kommt auch auf ihre Höhe an. Dies klingt so einfach, dass Mill sich dabei beruhigt hat und meint, damit das Prinzip seines Lehrers gerettet zu haben. In Wirklichkeit hat er, wie eine unbefangene Betrachtung zeigt, dieses Prinzip vollkommen aufgehoben. Er bemerkt nicht, dass damit die Konsequenz des Systems vollends durchbrochen ist, denn die Höhe der Lust, von der hier die Rede ist, setzt ja einen Maßstab voraus, der ganz außerhalb aller Lust liegt. Wie sollten wir sonst die Lustarten ihrer Höhe nach abschätzen? Eine Lust nach dieser neuen Auffassung ist dann gut, wenn sie sich auf etwas Gutes richtet; der Maßstab des Guten liegt somit außerhalb der Lust und ist unabhängig von aller Lust. Er schränkt das Streben nach Lust gerade ein.20 Ein anderes Beispiel, ein Beispiel aus dem Gebiet der theoretischen Philosophie ! Der große Mathematiker Henri Poincaré hat eine neue, geistreiche Theorie über den Ursprung der geometrischen und physikalischen Prinzipien entwickelt. Nach seiner Ansicht liegt der Ursprung dieser Prinzipien an ganz anderer Stelle, als die, die bisher darüber Untersuchungen angestellt hatten, sich vorgestellt hatten. Er meint nämlich, dass er in gar keiner Erkenntnis liegt, sondern in bloßen Festsetzungen, in versteckten Konventionen.21 Er hat diese Ansicht auch begründet, und zwar durch den Nachweis, dass weder diejenigen Recht haben können, die bisher meinten, der Ursprung dieser Prinzipien liege in der Logik, noch auch die anderen, die gemeint hatten, sie seien experimentellen Ursprungs. Die geometrischen Axiome z. B. lassen sich nicht rein

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logisch begründen. Rein logisch sind diese Axiome nicht ausgezeichnet vor anderen, ihnen widersprechenden Annahmen. Und sie sind ebenso wenig experimentellen Ursprungs, d. h. es gibt kein Experiment, durch das sich ihre Wahrheit begründen ließe. Es kommt erst darauf an, wie wir das Experiment deuten, um aus ihm Schlüsse von solcher Tragweite zu ziehen, und diese Ausdeutung setzt bereits die Axiome voraus. Es ist also unmöglich, durch das Experiment diese Axiome begründen zu wollen. Die bloße Tatsache der Beobachtung oder des Experiments ist mit einem Axiom ebenso gut vereinbar wie mit dem ihm widersprechenden. Es kann also der Ursprung dieser Prinzipien – das gleiche gilt für die allgemeinen Prinzipien der Physik – weder in der Logik noch in der Erfahrung liegen. Auf diese Weise begründet Poincaré seine Lehre, wonach der Ursprung dieser Prinzipien in Festsetzungen bzw. Konventionen liegt, die sich ebenso gut auch anders hätten treffen lassen, und zwischen denen eine Auswahl nur möglich ist nach Gründen der Zweckmäßigkeit und nicht der Wahrheit. Diese Theorie spielt nun eine bedeutsame Rolle in dem Streit über den Wert der Wissenschaft. Was wird aus dem Wert der Wissenschaft, wenn ihre allgemeinen Prinzipien bloße Konventionen sind? Es war ein Schüler von Poincaré selbst, der Mathematiker Le Roy, ein ebenso bedeutender Mathematiker wie strenggläubiger Katholik, der aus der Lehre seines Meisters den Schluss zog, dass die Naturgesetze keine Wahrheiten sind, und dass daher der alte Streit zwischen Naturforschung und kirchlicher Dogmatik nun schließlich doch zugunsten der zweiten entschieden sei.22 Die Naturforschung kann nicht mehr den Anspruch erheben, mit ihren sogenannten Naturgesetzen Wahrheit zu lehren. Wer über die Wahrheit unterrichtet werden will, der muss sich an eine andere Quelle wenden. Die Wahrheit fließt nur in den Traditionen der Kirche. Poincaré, wohl etwas bestürzt über die Konsequenz, die sein Schüler aus seiner eigenen Lehre gezogen hatte, versuchte, seine Wissen-

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schaft in Schutz zu nehmen gegen diesen Angriff von Seiten der kirchlichen Dogmatik. Er hatte hierbei einen schwierigen Stand, denn die Konsequenz war offenbar auf Seiten seines Schülers Le Roy. Wie hat nun Poincaré versucht, sich dieser Konsequenz zu entziehen? Er sagte: Die Wahrheit, für die Galilei gelitten hat, die Wahrheit, dass die Erde sich dreht, bleibt dennoch bestehen. Was bedeutet es nämlich, dass ein solcher Satz wahr ist? Es bedeutet nichts anderes, als dass es zweckmäßig ist, ihn anzunehmen, und es ist zweckmäßig, anzunehmen, dass die Erde sich dreht.23 Die überraschende Fruchtbarkeit der Ergebnisse dieser Annahme spricht dafür. Dies erscheint wieder auf den ersten Blick sehr beruhigend, und Poincaré hat sich in der Tat bei dieser Lösung der Frage beruhigt. Aber wer unbefangen prüft, der wird die Schwäche dieser Argumentation bald bemerken. Wir brauchen uns nur einmal zu fragen: Welches ist denn nach dieser Behauptung die Wahrheit, für die Galilei gelitten hat? Ich will versuchen, sie hinzuschreiben. Der Satz, sagt Poincaré, dass die Erde sich dreht, hat keinen anderen Sinn, als dass es zweckmäßig ist, diese Annahme zu machen: »Es ist zweckmäßig, anzunehmen, dass die Erde sich dreht.«

Welche Annahme ist denn aber hiernach zweckmäßig? Was bedeutet es denn, dass die Erde sich dreht? Hier steht es. Diese Annahme bedeutet, dass es zweckmäßig ist, anzunehmen, dass die Erde sich dreht. Wenn wir uns also explizite ausdrücken in der Wiedergabe unseres Gedankens, so müssen wir diese Erklärung einsetzen und den Satz aussprechen: »Es ist zweckmäßig, anzunehmen, es sei zweckmäßig anzunehmen, dass die Erde sich dreht.«

Und wenn wir nun weiter fragen, welche Annahme es denn ist, die hiernach anzunehmen zweckmäßig ist, so erhalten wir wiederum die Erklärung, dass es die Zweckmäßigkeit dieser letzten Annahme sei, deren Annahme zweckmäßig ist. Wir

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kommen so bei der Frage nach dem Sinn unseres Satzes zu einer unendlichen Reihe von Erklärungen, deren jede erst durch die nachfolgende ihren Sinn erhält. Und in Folge der Unendlichkeit dieser Reihe ist es unmöglich, jemals den Sinn dieser Behauptung zu fassen. Wenn der Satz, dass die Erde sich dreht, den Sinn hat, dass es zweckmäßig sei, anzunehmen, dass die Erde sich dreht, so hat dieser Satz ganz gewiss überhaupt keinen Sinn. Dieses Beispiel lehrt uns dasselbe wie das andere: Das Prinzip dient dem Philosophen nur dazu, um nachträglich eine Wahrheit zu begründen, die ihm im Voraus feststeht, und wenn das Prinzip sich nicht dazu eignet, so zeigt sich die Tiefe eines Philosophen nicht in der Konsequenz, mit der er aus diesem Prinzip weiter schließt, wodurch er einen offenbar wahren Satz für falsch erklären müsste, sondern darin, dass er zu Gunsten dessen, was er als wahr erkannt hat, sein Prinzip abändert, und eine Inkonsequenz des Systems dafür in Kauf nimmt. Die größere Konsequenz liegt hier auf Seiten Le Roys, die größere philosophische Tiefe auf Seiten Poincarés. Wir sehen aus diesem Beispiel, dass Konsequenz und Wahrheit eines Systems zweierlei ist. Käme es nur auf Konsequenz an, so ließe sie sich ebenso gut dadurch in das System hineinbringen, dass man am Prinzip festhält und dafür das Wahrheitsgefühl, das sich für die bestimmte einzelne Wahrheit ausspricht, preisgibt, wie auch umgekehrt dadurch, dass man an seinem Wahrheitsgefühl festhält und das Prinzip preisgibt. Schon diese einfache Überlegung beweist, dass die logische Konsequenz keine hinreichende Bürgschaft der Wahrheit ist. Wollten wir nur nach der Konsequenz urteilen, so würde das eine System ihr ebenso genügen wie das andere, ob wir am Prinzip festhalten und dafür die besondere Wahrheit opfern oder ob wir umgekehrt an der besonderen Wahrheit festhalten und das Prinzip opfern. Die eine Lösung ist so konsequent wie die andere. Die Forderung der Konsequenz bleibt vieldeutig eben darum, weil ihr sowohl das eine wie das andere System genügt. Die beiden Systeme widersprechen aber ein-

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ander. Es müsste also, wenn die Konsequenz die Bürgschaft der Wahrheit ist, Widersprechendes wahr sein, entgegen dem logischen Prinzip, das der Forderung der Konsequenz selbst zu Grunde liegt, nämlich dem Prinzip der Ausschließung des Widerspruchs. Für die Wahl des wahren Systems käme es auf eine Auszeichnung der Prinzipien selber an im Gegensatz zur bloßen Konsequenz des Systems. Wollte man nun diese Prinzipien logisch auszeichnen, so wäre das nur dadurch möglich, dass sie sich auf höhere Prinzipien zurückführen ließen, denn ohne Voraussetzungen ist kein Beweis möglich. Für diese Voraussetzungen gilt aber das Gleiche. Sie lassen sich wiederum nur durch noch höhere Voraussetzungen, aus denen sie abgeleitet werden, logisch auszeichnen, und so fort ins Unendliche. Wir hätten also, wenn wir die Wahrheit wirklich logisch auszeichnen und also alle Wahrheit beweisen wollten, gar keinen Ausgangspunkt für unsere Beweisführung. Es wäre also gar kein Beweis möglich und infolgedessen auch keine Wahrheit, also gewiss auch nicht die, dass nur das wahr ist, was sich beweisen lässt.

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ir haben uns das vorige Mal mit dem Fehler beschäftigt, der in einer Überschätzung des logischen Denkens seine Ursache hat und der sich in dem Vertrauen auf die bloße Konsequenz des Systems äußert. Es zeigte sich, dass bei dieser Auffassung die Mittelbarkeit verkannt wird, die die Schranken des bloßen logischen Denkens bestimmt. Man kann hier von Mittelbarkeit insofern sprechen, als der Gehalt der Wahrheit durch die bloße Form des logischen Schließens nicht erzeugt werden kann, während das logische Schließen allerdings dazu dienen kann, aus einem solchen Gehalt, wenn er anderweit gegeben ist, weitere Folgerungen zu ziehen. Das logische Denken ist an und für sich leer in dem Sinne, dass es keinen eigenen Gehalt an Erkenntnissen zu schaffen vermag.24 Diese Einsicht in die Unselbstständigkeit der gedachten Erkenntnis ist noch nicht alt. Der Fehler, von dem wir sprechen, beherrschte nicht allein die mittelalterliche Philosophie der Scholastik vollständig, sondern auch darüber hinaus die philosophische Schule, die unter dem Namen des Rationalismus in der Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geherrscht hat. Erst mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist durch das Auftreten Kants der Bann dieser Vorstellung gebrochen worden. Aber auch das Auftreten Kants hat nicht vermocht, Rückfälle in jenen Fehler zu verhindern, wie sie noch heute hier und da anzutreffen sind. Was jene scholastische Philosophie charakterisiert, ist die Vorstellung, dass sich mit den Hilfsmitteln der Logik die der Wissenschaft überhaupt zugänglichen Fragen entscheiden lassen müssten. Und indem wir ihre Grundansicht so aussprechen, können wir sagen, dass der Rationalismus der Erbe dieser Scholastik gewesen ist und sich in nichts grundsätzlich von dem Unternehmen der Scholastik unterscheidet. Der Un-

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terschied, der hier in der Tat sehr folgenreich gewesen ist, liegt auf einem anderen Gebiet. Er liegt darin, dass der Rationalismus mit der Tyrannei des kirchlichen Dogmas gebrochen hat, dass er die Scholastik aus der nur dienenden Rolle einer Sklavin der Theologie befreit hat, was aber nur dazu führte, den Fehler umso härter hervortreten zu lassen. Denn nun erhielt die Logik die Aufgabe, nicht nur die Apologie der kirchlichen Dogmen zu liefern, sondern unabhängig von dieser, selbstständig, eine höhere, die Erfahrung übersteigende Wahrheit zu erschließen. Man kann dies leicht durch typische Aussprüche bekannter Denker belegen. So erklärte z. B. Pascal, dass sich jede Wahrheit beweisen lassen müsste und dass, wenn dies den Menschen bisher noch nicht gelungen sei, der Grund dafür nur in der Beschränktheit des menschlichen Verstandes zu suchen sei.25 Man kennt die Folgen dieses Fehlers, wie sie sich schon äußerlich in dem Gewande zeigen, in dem die Lehren dieser Philosophie auftreten, nämlich in dem Gewande der Beweisführung nach dem Vorbild der Mathematik, indem man unter dem Namen von Definitionen und Axiomen allgemeine Prinzipien an die Spitze stellt, um daraus das gesamte System der Wissenschaft abzuleiten. Das bekannteste Beispiel für ein solches Unternehmen ist die Ethik des Spinoza geworden, die sich ja heute noch einer gewissen Popularität erfreut. Spinoza unternimmt es, more geometrico, wie er sagt, die ethischen Wahrheiten abzuleiten.26 Das Wort »Rationalismus«, das diese Tendenz kennzeichnen soll, ist dazu eigentlich nicht geeignet. Das Wort »Rationalismus« deutet mehr auf den Gegensatz zur Erfahrung bzw. zum Empirismus hin. Es genügt daher nicht, um die Grundansicht dieser Art zu philosophieren klar zum Ausdruck zu bringen. Denn dafür kommt es auf die positive Bestimmung der Erkenntnisquelle an, aus der man hier allein zu schöpfen unternimmt. Diese Erkenntnisquelle ist nicht hinreichend klar durch den Gegensatz zur Erfahrung bestimmt, sondern erst durch die positive Bestimmung, dass hier aus der Logik, aus dem bloßen Denkvermögen geschöpft werden

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soll. Es wäre deshalb besser, diese Schule als die des Logizismus zu bezeichnen. Dabei sähe man sofort, dass sie in der Tat wissenschaftlich betrachtet nur die Nachfolgerin der Scholastik ist. Es wird gut sein, wenn wir uns diesen Fehler etwas genauer ansehen. Wir werden dann nur umso sicherer davor bewahrt, in ihn zurückzufallen. Wir wollen uns daher einmal das Grundproblem vor Augen führen, das für die Scholastik und mit ihr für den Rationalismus in den Mittelpunkt der Philosophie treten musste. Dieses Problem ergibt sich von selbst, wenn man sich die Aufgabe stellt, aus bloßem Denken zu erkennen. Hier müssen notwendig die allgemeinen Begriffe als die Erkenntnisgründe der Wirklichkeit erscheinen; es muss, mit anderen Worten, als möglich erscheinen, durch bloßes Ausgehen von allgemeinen Begriffen schon Gegenstände, wirkliche Dinge, zu bestimmen. Das Problem liegt hier also in dem Übergang von den allgemeinen Begriffen zu den einzelnen Gegenständen der Wirklichkeit. Das Auszeichnende des Begriffs ist ja seine Allgemeinheit, das Auszeichnende des wirklichen Gegenstandes seine individuelle Bestimmtheit. Man suchte daher, wie man sich ausdrückte, nach einem allgemeinen principium individuationis, einem Prinzip, das an sich allgemein sein sollte und doch dazu tauglich wäre, das Individuelle zu bestimmen. Wie sollte dies nun wohl möglich sein? Wenn man als das hinreichende Kennzeichen der Wahrheit die Widerspruchslosigkeit ansieht, wenn man, genauer, in der bloßen Widerspruchslosigkeit des Begriffes das Kennzeichen des Daseins eines Gegenstandes sucht, so kommt man zu dem Satze: Realitäten widerstreiten einander nicht,27 der besonders in der Leibnizschen Schule eine große Rolle spielt.28 Was ist nämlich ein Widerspruch? Ein Widerspruch besteht darin, dass einem Gegenstand ein Merkmal sowohl zukommt als auch nicht zukommt. Er besteht also allemal nur zwischen der Position und der Negation eines Merkmals, niemals aber in dem gegenseitigen Verhältnis positiver Merkmale. Positive Merkmale können einander niemals widersprechen. So kommt man zu dem Satze:

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»Realitäten widerstreiten einander nicht«. Man gerät so auf die Vorstellung des Alls der Realitäten, d. h. des Inbegriffs aller positiven Beschaffenheiten.29 Alle positiven Beschaffenheiten irgend welcher Dinge müssen ja nach jenem Kriterium miteinander verträglich sein, es kann niemals ein Widerspruch zwischen je zwei solcher Realitäten auftreten. Die Frage ist dann, wie kommt es, dass dennoch, wie die Erfahrung zeigt, an den einzelnen wirklichen Dingen gewisse Realitäten einander ausschließen, dass zum Beispiel ein geflügeltes Pferd, trotz der Widerspruchslosigkeit des Begriffs, unmöglich ist? Hierin liegt ein Problem, wenn man von dem rein logischen Kriterium der Wahrheit ausgeht, das ja an und für sich in der Tat nur den Widerspruch ausschließt. Es entsteht hier die Aufgabe, aus dem vorausgesetzten All der Realitäten die einzelnen wirklichen Dinge ihrer Möglichkeit nach zu erklären. Das All der Realitäten muss dabei eine Einschränkung erfahren, denn an den einzelnen wirklichen Dingen finden sich ja nur einzelne Realitäten, während andere von ihnen ausgeschlossen sind.30 Der Grund dieser Ausschließung kann nur in einer Einschränkung des Alls der Realitäten gefunden werden. Nach dem Satze des Spinoza: Omnis determinatio est negatio.31 Die Bestimmung des einzelnen wirklichen Dinges kann nur darauf beruhen, dass einzelne von den Realitäten, die im All der Realitäten vereinigt sind, für dieses bestimmte Ding negiert werden. Oder, wie man sich ausdrückt: Der Essenz nach sind alle Dinge in Gott vereinigt, denn Gott als das allervollkommenste Wesen ist nichts anderes als jenes All der Realitäten. Ihm kann es zu seiner Vollkommenheit an keiner Realität fehlen. Der Existenz nach fehlt aber den Dingen vielerlei von jenen Realitäten, die im All der Realitäten, in Gott, vereinigt sind. Der Bereich der Realitäten verarmt beim Übergang von der Essenz in Gott zur Existenz. Nicht alle Realitäten sind, wie man sagt, in Wirklichkeit auch kompossibel. Welches ist aber das Kriterium der Kompossibilität?32 Wir bemerken leicht den Widerspruch, der unmittelbar in der Stellung dieser Aufgabe enthalten ist. Denn wenn der Satz

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des Widerspruches als einziges Wahrheitskriterium dienen soll, so kommen wir niemals auf jene Einschränkung des Alls der Realitäten, die zu den einzelnen wirklichen Dingen führt. Die Widerspruchslosigkeit wird ja nicht erst von den einzelnen wirklichen Dingen erfüllt, sondern schon von jenem All der Realitäten selbst. Das bloße Prinzip der Widerspruchslosigkeit erlaubt uns keine Einschränkung jenes Inbegriffs der Realitäten und gibt uns niemals ein principium individuationis. Die Vorstellung eines solchen principium individuationis widerspricht sich selbst, denn der Grund der Individualisierung kann der Natur der Sache nach nicht in einem allgemeinen Prinzip liegen. Spinoza sagt einmal, die Falschheit einer Behauptung bestehe darin, dass sie von ihrem Gegenstand etwas aussagt, was nicht in dem Begriffe enthalten ist, den wir uns von dem Gegenstande gebildet haben.33 Der Grund der Wahrheit aller richtigen Behauptungen über einen Gegenstand muss danach im bloßen Begriff dieses Gegenstandes liegen, und der Grund der Falschheit aller irrigen Behauptungen darin, dass sie dem Begriff des Gegenstandes widersprechen. Auch Leibniz steht noch ganz unter dem Bann dieser scholastischen Grundauffassung, ja er hat sie noch konsequenter durchgeführt. Er ist so weit gegangen, in einer Schrift zur Frage der polnischen Königswahl in einer Reihe von 60 Propositionen und Demonstrationen den Beweis zu führen, dass allein der Pfalzgraf von Neuburg für die Wahl in Betracht komme.34 Leibniz macht indessen einen interessanten Unterschied.35 Er teilt alle Wahrheiten ein in notwendige oder, wie er auch sagt, ewige Wahrheiten und zufällige oder Tatsachenwahrheiten.36 Das Prinzip der ersten Klasse, der notwendigen Wahrheiten, ist unmittelbar der Satz des Widerspruchs. Das Prinzip der Tatsachenwahrheiten dagegen liegt nach Leibniz im »Satz des Grundes«. Die Tatsachenwahrheiten stehen nämlich unter einer hypothetischen Notwendigkeit, und diese hypothetische Notwendigkeit wird erkannt aus dem Satz des Grundes. Durch diese Unterscheidung scheint eine scharfe Grenze für

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die Kompetenz der bloßen Logik gezogen zu sein, indem wenigstens die Tatsachenwahrheiten von dieser Kompetenz ausgeschlossen werden. Aber im Grunde scheint das doch nur so. Denn Leibniz gibt als Erklärungsgrund für das Auseinandertreten dieser beiden Klassen von Wahrheiten an, dass es ein Mangel an Deutlichkeit unserer Vorstellungen sei, worauf für uns überhaupt die Möglichkeit von Tatsachenwahrheiten im Unterschied von notwendigen Wahrheiten beruht. Das allgemeine Kriterium der Wahrheit liegt nach ihm in dem Satze: Praedicatum inest subiecto. (Das Prädikat des Satzes ist im Subjekt enthalten.)37 Es kommt also, um die Wahrheit eines Satzes zu beweisen, nur darauf an, in der Vorstellung des Subjekts nachzuforschen, diese Vorstellung zu zergliedern, bis wir als eins ihrer Elemente das Prädikat entdecken. Und nun sind unsere Vorstellungen zum Teil so verworren, dass uns diese Entdeckung nicht immer gelingt. Darauf beruht das Eigentümliche der Tatsachenwahrheiten. Tatsachenwahrheiten gelten von Gegenständen, von denen wir eine so verworrene Vorstellung haben, dass es uns nicht gelingt, das Prädikat der einzelnen Sätze, die wir aussprechen, in der Subjektsvorstellung zu entdecken. Es ist also nur ein Mangel von Deutlichkeit unserer Vorstellungen, worauf diese Schranke beruht, und für einen unbeschränkten Verstand, wie wir ihn dem göttlichen Geist zuschreiben, fällt dieser Unterschied weg. Für ihn gibt es kein Auseinandertreten von notwendigen Wahrheiten und Tatsachenwahrheiten. Seine Vorstellungen liegen so deutlich in ihm, dass das Prädikat sich allemal als eine Teilvorstellung der Subjektsvorstellung aufweisen lässt; es müsste also für den vollkommenen göttlichen Verstand möglich sein, alle Tatsachenwahrheiten rein logisch aus dem Begriff des Gegenstandes abzuleiten. Leibnizens Nachfolger Wolff ging noch weiter. Was Leibniz nur dem göttlichen Verstand zuschrieb, das unternahm Wolff auch für den menschlichen Geist zu realisieren. Er unternahm es, den Satz des Grundes – nach Leibniz das Prinzip der Tatsachenwahrheiten – zurückzuführen auf den Satz des Wider-

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spruchs, das Prinzip der notwendigen Wahrheiten, womit denn jene Schranke überhaupt gefallen wäre. Dieser Gedanke lag eigentlich in der Konsequenz der leibnizschen Auffassung. Denn wenn der Satz des Grundes, wie Leibniz lehrte, das Prinzip der Tatsachenwahrheiten ist, so ist doch dieser Satz seinerseits, wie schon seine Allgemeinheit anzeigt, selbst keine Tatsachenwahrheit, sondern eine notwendige Wahrheit. Diese müsste also ihrerseits aus dem Satze des Widerspruchs folgen. Den Nachweis, dass es sich in der Tat so verhält, zu führen, unternimmt Wolff. Wolff argumentiert so: Gesetzt, der Satz des Grundes gelte nicht. Dann müssten wir annehmen, dass das Entstehen eines Dinges ohne Grund möglich wäre. Das aber würde bedeuten, dass aus nichts etwas wird, was offenbar unmöglich ist. Also ist die Annahme falsch, und der Satz des Grundes bewiesen.38 Wir sehen heute leicht den Fehler dieses Beweises, und die Tatsache, dass ein solcher Scheinbeweis einen Denker wie Wolff blenden konnte, zeigt uns nur die Allmacht, mit der das logizistische Vorurteil jene Zeit beherrscht hat. Wir haben hier wieder ein Beispiel für jene Tatsache, von der ich das vorige Mal gesprochen habe: ein Beispiel dafür, wie der Schüler eines großen Philosophen im Interesse der Konsequenz des Systems seines Meisters auch die letzten Konzessionen an außerhalb des Systems liegende Wahrheiten beseitigt und so das System wirklich einheitlich durchführt, freilich indem er dadurch für den unbefangenen Betrachter die Verkehrtheit des Ausgangspunktes umso offenbarer macht. Aber darin liegt auch der Grund der Bedeutung einer solchen Leistung, wie wir sie Wolff in der Geschichte der Philosophie verdanken. Denn einen solchen Fehler aufzudecken und zu beseitigen, gelingt im Allgemeinen erst, wenn er so in seine letzten Konsequenzen getrieben vor uns steht, dass der Grund des Fehlers klar zu Tage tritt. In diesem Sinne kann man sagen, dass wir erst bei Wolff den Logizismus der Scholastik bis in seine äußersten Konsequenzen durchgebildet finden. Hier tritt denn auch der Fehler dieser Art zu philosophieren endlich klar her-

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vor. Ein Beispiel bietet der eben angeführte Beweis. Der Beweis ist erschlichen. Der Satz, den es zu beweisen gilt, wird stillschweigend als Voraussetzung im Beweise benutzt. Denn der Satz, dass aus nichts nicht etwas werden kann, ist nur eine andere Formulierung für den zu beweisenden Satz des Grundes selbst. Wir nennen einen solchen Trugschluss eine petitio principii. (Die Benutzung der zu beweisenden Behauptung als Voraussetzung.) Wir verdanken, wie ich sagte, die Überwindung des logizistischen Fehlers erst Kant. Aber auch bei Kant finden wir in der Zeit des Anfangs seines Auftretens noch diesen Fehler. Kant hat sich selbst erst sehr mühsam aus dem Bann dieser Art zu philosophieren befreit. Er war selbst ein Schüler Wolffs. In seinen Jugendschriften behauptet er, dass der Satz des Widerspruchs, den er formuliert: »Keinem Subjekt kommt ein Prädikat zu, das ihm widerspricht,«39 (eine Formulierung, die sich eigentlich nur durch die negative Form von Leibnizens »praedicatum inest subiecto« unterscheidet), das Kriterium aller Wahrheit sei. Die Wahrheit einer Aussage werde daran erkannt, dass die Verneinung des Prädikats dem Subjekt widerspräche. Offenbar gibt uns aber dieser Satz durchaus kein Kriterium der Wahrheit. Er ist allenfalls als eine bloße Begriffserklärung der Wahrheit zu gebrauchen. Denn in der Tat, die Wahrheit einer Aussage besteht darin, dass das, was sie von einem Gegenstand als Prädikat aussagt, dem Gegenstand wirklich zukommt. Käme das Prädikat dem Gegenstand nicht wirklich zu, so würden wir es ihm ja nur andichten. Aber hiermit ist uns durchaus kein Kriterium der Wahrheit gegeben. Wir wollen durch ein solches Kriterium wissen, ob einem Gegenstand ein Prädikat wirklich zukommt oder nicht. Nun können wir allerdings wissen, dass ein Prädikat dem Gegenstand dann zukommt, wenn es zu den Merkmalen gehört, die im Begriff des Gegenstandes liegen. Und das ist es, was Kant bei seiner Formulierung des Satzes vom Widerspruch vorgeschwebt hat. Wenn er gesagt hätte, keinem Subjekt komme ein Prädikat zu, das seinem Begriff widerspricht, dann hätte er den Satz des

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Widerspruchs richtig formuliert. Der Satz des Widerspruchs besteht in der Ausschließung eines solchen Prädikats von einem Gegenstand, das ein in seinem Begriff enthaltenes Prädikat verneint. Dieses Verhältnis ist nun aber nicht umkehrbar. Nicht jedes Merkmal, das dem Subjekt zukommt, liegt darum schon im Begriff des Subjekts, und nicht jede Verneinung eines Merkmals, das dem Subjekt zukommt, widerspricht darum schon dem Begriff des Subjekts. Nehmen wir z. B. den Begriff des Kreises als einer ebenen Kurve konstanten Abstandes von einem festen Punkt. Wenn wir sagen, dass alle Radien eines Kreises gleich sind, so würde die Verneinung des Prädikats dem eben erklärten Begriff des Subjekts widersprechen, und darauf beruht die Wahrheit dieses Satzes. Wenn wir aber z. B. sagen, dass der Kreis eine geschlossene Kurve ist, so schreiben wir ihm ein Prädikat zu, das nicht schon in seinem Begriff enthalten ist. Der Begriff enthält durchaus nicht alle Merkmale, die dem Gegenstande zukommen, der unter den Begriff fällt, sondern er vereinigt nur diejenigen Merkmale, die für die Zugehörigkeit des Gegenstandes zu einer bestimmten Klasse notwendig und hinreichend sind. Eben darum ist der Begriff kein hinreichender Erkenntnisgrund zur Bestimmung des Gegenstandes, sondern nur ein hinreichender Erkenntnisgrund für die Ausschließung gewisser Merkmale von einem Gegenstand, nämlich derjenigen, die dem Begriff widersprechen. An diesem Umstand scheitert das Unternehmen der Scholastik, ein allgemeines principium individuationis zu finden. Das einzelne Wirkliche ist nicht im Allgemeinen enthalten und so aus ihm abzuleiten durch die Einschränkung des Alls der Realitäten, durch Negation, wie Spinoza wollte. Es gibt somit keinen Übergang vom allgemeinen Begriff zum einzelnen Wirklichen. Unter jeden Begriff, wie speziell wir ihn auch determinieren mögen, können immer noch beliebig viele Einzeldinge fallen. Der Begriff entscheidet an und für sich darüber gar nichts, ob und wie viel Dinge unter ihn fallen. Zu dieser Bestimmung ist eine von dem Begriff verschiedene Erkenntnisquelle erforderlich. Der Begriff bestimmt an und für sich nur eine Klasse von

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Gegenständen und den Einzelgegenstand nur qualitativ, insofern ihm diejenigen Merkmale zukommen, die für die Zugehörigkeit zu dieser Klasse notwendig und hinreichend sind. Der Begriff bestimmt, mit anderen Worten, einen Gegenstand niemals numerisch, nicht als diesen zahlenmäßig bestimmten Gegenstand im Unterschiede von einem anderen, ihm vielleicht qualitativ durchaus gleichenden, in dieselbe Klasse fallenden Gegenstand.40 Das Dasein eines Gegenstandes ist keine qualitative Bestimmung des Gegenstandes und kann ihm nicht im eigentlichen Sinne als ein allgemeines Merkmal beigelegt werden, so wie dies im ontologischen Gottesbeweis versucht wurde, in dem eigentlich das Unternehmen der Scholastik am reinsten zum Ausdruck kommt. Man versucht dort aus der bloßen Definition Gottes als des allerrealsten Wesens, dem kein Merkmal fehlen darf und also auch nicht das der Existenz, sein Dasein zu beweisen nach dem Satz des Widerspruchs. Denn die Verneinung des Merkmals der Existenz würde dem Begriff eines solchen Wesens widersprechen; das Dasein ist ja ein schon in seinem Begriff enthaltenes Merkmal.

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ir haben zuletzt über das logizistische Vorurteil gesprochen, wie es die Philosophie der Scholastik beherrscht hat und ihre Erbin in der Geschichte der Philosophie, die sogenannte Rationalistische Schule. Man vertraut hier ausschließlich der Logik, der gedachten Erkenntnis, in der Meinung, dass es bei hinreichend weit getriebener begrifflicher Bestimmung gelingen müsse, aus dem Allgemeinen das Besondere der einzelnen wirklichen Dinge ohne Beihilfe der Anschauung abzuleiten. Am prägnantesten kommt dieses Vorurteil vielleicht zum Ausdruck in Leibnizens sogenanntem »principium identitatis indiscernibilium«41 (Prinzip der Identität des nicht zu Unterscheidenden). Es ist damit nichts anderes gesagt, als dass die vollständige begriffliche Bestimmtheit die Identität des Gegenstandes verbürgt, sodass also, wenn wir es mit einer Mehrheit von wirklichen Dingen zu tun haben, diese sich auch hinsichtlich ihrer Beschaffenheiten unterscheiden müssen. Diese Beschaffenheiten sind es ja, hinsichtlich derer die Gegenstände begrifflich bestimmbar sind. Es müsste also genügen, einen Gegenstand hinsichtlich seiner Beschaffenheiten vollständig bestimmt zu haben, um auch der Identität des wirklichen Gegenstandes gewiss zu sein, der durch diesen Begriff bestimmt ist. So müsste es sich in der Tat verhalten, wenn eine Erkenntnis der Gegenstände durch bloßes Denken möglich sein sollte. Aller Unterschied der wirklichen Dinge könnte dann einzig und allein darauf beruhen, dass in Hinsicht auf irgend einen Begriff das eine positiv, das andere negativ bestimmt ist, nach dem logischen Satz der Bestimmbarkeit, dass jedes Ding unter einen Begriff entweder fällt oder nicht fällt. Wir haben den Fehler dieser Auffassung darin gefunden, dass hier die Natur des Begriffs verkannt wird. Der Begriff ist und bleibt ein allgemeines Merkmal. Er bestimmt an und

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für sich nur eine Klasse von Gegenständen und niemals ein Individuum. Denken wir uns das Individuum auch hinsichtlich seiner Qualitäten vollständig bestimmt, so bliebe es doch immer möglich, dass neben ihm noch andere Individuen, der Zahl nach andere, eine Mehrheit von solchen, unter denselben Begriff fallen, wo dann diese Individuen sich freilich hinsichtlich ihrer Beschaffenheiten durch nichts unterscheiden und doch eine Mehrheit von Individuen vorstellen. Es kommt nämlich zu der qualitativen Bestimmtheit beim wirklichen Gegenstand immer noch eine numerische Bestimmtheit hinzu, wie wir sie z. B. durch die verschiedenen Stellen des einen und anderen Gegenstandes im Raum unterscheiden. Diese numerische Bestimmung aber entzieht sich dem Begriff und ist nur mit den Mitteln der Anschauung möglich. Auf der Verkennung dieses Umstandes beruht, wie ich zuletzt sagte, der Fehler im ontologischen Gottesbeweis, diesem Meisterstück der scholastischen Dialektik. Der ontologische Gottesbeweis geht so vor, dass er sich den Begriff des allervollkommensten Wesens bildet, des Wesens, das kraft seiner Vollkommenheit alle Realitäten in sich vereinigt, und das nach der Voraussetzung der Scholastik alle Realitäten auch in sich vereinigen kann, denn Realitäten widersprechen einander nicht. Realitäten können einander nicht widerstreiten, wenn das einzige Kriterium des Widerstreits der Widerspruch ist. Widersprechen können sich nur eine Beschaffenheit und die Negation dieser Beschaffenheit, niemals aber positive Beschaffenheiten untereinander. Nun würde aber, so schließt man weiter, das allervollkommenste Wesen nicht alle Realitäten in sich vereinigen, wenn ihm das Merkmal des Daseins fehlte. Wir können also, ohne einen logischen Widerspruch zu begehen, ihm das Dasein nicht absprechen. Der Fehler dieser Beweisführung liegt darin, dass sich das Dasein nicht wie sonst ein allgemeines Merkmal in den Begriff eines Gegenstandes aufnehmen lässt.42 Wie Kant, dem wir die Aufklärung dieses Sachverhalts verdanken, einmal witzig bemerkt: Hundert wirkliche Taler sind nicht mehr als hundert

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mögliche Taler.43 Der einzige Unterschied ist der, dass sie da sind. Es ist derselbe Begriff, unter den einmal ein Gegenstand fällt, das andere Mal nicht. Dass ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, lässt sich daher nicht aus dem Begriff erkennen. Nun kann man freilich auch einen Begriff des Daseins bilden, und es ist dann der bloßen logischen Form nach durchaus möglich, das Dasein von einem Gegenstand als Merkmal zu prädizieren, und so auch das Merkmal des Daseins in den Inhalt eines anderen Begriffs aufzunehmen. Dann folgt in der Tat, bei Gefahr eines Widerspruches, dass jeder Gegenstand, der unter diesen Begriff fällt, auch existiert. Aber wir müssen uns darüber klar sein, was damit eigentlich gesagt ist. Was heißt es: Jeder Gegenstand, der unter den Begriff fällt, existiert auch? Es heißt, dass ein Gegenstand, dem die Merkmale zukommen, die wir im fraglichen Begriff denken, worunter das Merkmal des Daseins ist, da ist. Um also irgend einen Gegenstand unter diesen Begriff zu subsumieren, müssen wir schon im Voraus wissen, dass er existiert, und wir müssen dies also bereits aus anderen Gründen wissen als vermöge der bloßen Kenntnis des fraglichen Begriffs. Dann freilich, wenn wir ihn auf Grund solchen Wissens dem Begriff unterordnen, können wir auch aus dem Begriff das Dasein zurückschließen. Wir gewinnen damit aber keine Erkenntnis. Wir kommen dadurch nur zu dem trivialen hypothetischen Satz, dass ein Gegenstand, der neben diesem und jenem anderen Merkmal das des Daseins besitzt, auch wirklich da ist. Um kategorisch das Dasein von irgendetwas zu behaupten, bedürfen wir eines Erkenntnisgrundes, der außerhalb des Begriffs liegt. Kant hat für dieses Ergebnis einen schulgerechten Ausdruck geprägt auf Grund seiner Unterscheidung analytischer und synthetischer Urteile, die hier allein das ganze Missverständnis aufklären. Sätze über das Dasein sind allemal synthetische Urteile. D. h. nichts anderes als: Das, was sie behaupten, lässt sich nicht aus dem bloßen Begriff des Gegenstandes erschließen. Wir wollen diese Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen wegen ihrer großen

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Tragweite etwas näher ins Auge fassen.44 Sie erinnern sich des Satzes, den Leibniz als allgemeines Kriterium der Wahrheit formuliert hat: »praedicatum inest subjecto«45 (Das Prädikat ist im Subjekt enthalten.). Ich habe Ihnen gezeigt, dass dieser Satz gar kein Kriterium der Wahrheit liefert, sondern nur eine bloße Erklärung des Begriffs der Wahrheit.46 Eine Behauptung ist in der Tat dann und nur dann wahr, wenn das Prädikat dem Gegenstande, von dem es ausgesagt wird, auch wirklich zukommt. Anderenfalls würden wir es mit einer bloßen Erdichtung zu tun haben, wir würden dem Gegenstande ein Merkmal zuschreiben, das ihm nicht zukommt, also etwas Unwahres behaupten. Ob ihm aber ein fragliches Merkmal zukommt oder nicht, das können wir aus diesem Satze niemals entnehmen. Der Fehler beruht hier auf der Verwechslung des Subjekts mit dem Begriff des Subjekts.47 Ein Kriterium der Wahrheit erhalten wir allerdings, wenn wir statt des Subjekts den Begriff des Subjekts setzen. Ein Merkmal, das schon in dem Begriff des Subjekts enthalten ist, können wir allemal von einem Gegenstand aussagen, um der Wahrheit unserer Aussage sicher zu sein. Aber freilich, wir können, wenn wir uns auf solche Prädikate beschränken, eben darum niemals unsere Kenntnis des Gegenstandes erweitern über den Bereich derjenigen Eigenschaften hinaus, die wir schon in seinem Begriff denken. Solche Urteile, die von einem Subjekt etwas aussagen, was schon in seinem Begriff liegt, nennt man analytische, weil sie auf einer bloßen Analyse des Subjektbegriffs beruhen. Die anderen, die über den Bereich von Prädikaten hinausgehen, die schon im Begriff des Subjekts liegen, nennen wir synthetische, darum weil sie mit dem Subjektbegriff einen neuen Begriff verbinden und dadurch unsere Erkenntnis des Gegenstandes über den bloßen Begriff hinaus erweitern. Zum Beispiel ist der Satz: »Alle Körper sind ausgedehnt« ein analytisches Urteil, weil das Merkmal der Ausdehnung schon in dem Begriff des Körpers liegt. Dagegen ist der Satz »Alle Körper sind schwer« ein synthetisches Urteil, weil die Schwere eine Eigenschaft ist, die nicht schon im Begriff des Körpers

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enthalten ist. Wir müssen über den bloßen Begriff des Körpers hinausgehen und uns anderswo umsehen, um zu entdecken, dass die Schwere eine Eigenschaft ist, die den Körpern zukommt. Der Zusammenhang mit dem Grundsatz vom Widerspruch, auf den nach der Voraussetzung des Logizismus sich alle Wahrheit zurückführen lassen muss, liegt auf der Hand. Nach dem Satz des Widerspruchs lässt sich die Wahrheit aller analytischen Urteile einsehen. Wir können ein solches Urteil nicht verneinen, ohne dem Begriff des Gegenstandes zu widersprechen, über den wir urteilen. Dagegen ist die Wahrheit eines synthetischen Urteils niemals von der Art, dass seine Aufhebung uns in einen logischen Widerspruch verwickelt. Ein solcher Satz lässt sich verneinen, ohne dass dadurch ein logischer Widerspruch entstünde. Wenn ich sage, dass ein Körper nicht schwer ist, so ist dieses Urteil in sich ebenso widerspruchsfrei wie das andere, dass er schwer ist. Das eine Prädikat ist hier so verträglich mit dem Subjektsbegriff wie das andere. So ist denn auf Grund dieser einfachen Unterscheidung ohne weiteres klar, dass der Satz des Widerspruchs kein hinreichendes Kriterium der Wahrheit sein kann, und dass es nicht bloß eine Schranke des menschlichen Geistes bezeichnet, wie Leibniz meinte, wenn es nicht gelingt, alle Wahrheiten auf dieses Prinzip zurückzuführen.48 Der Satz des Widerspruches ist, wie wir sagen können, ein hinreichendes Kriterium für die Wahrheit analytischer Urteile. Er schließt nur die sich widersprechenden Urteile aus. Was sich widerspricht, ist logisch unmöglich, aber was sich nicht widerspricht, ist darum noch nicht logisch notwendig, sondern nur logisch möglich. Widerspruchslosigkeit ist also kein hinreichendes Kriterium der Wahrheit, sondern, wie Kant sagt, nur ein negatives Kriterium der Wahrheit.49 Eine Annahme, die gegen dieses Prinzip verstößt, ist notwendig falsch, eine solche, die nicht dagegen verstößt, ist darum noch nicht ohne weiteres wahr. Das Kriterium der Wahrheit synthetischer Urteile muss also außerhalb der Logik gesucht werden.

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So klar und einfach diese Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen nun ist, und so viel Aufklärung sie über diese Fragen verbreitet, so hat man doch darin Schwierigkeiten, ja, wie man meint, Dunkelheiten gefunden. Ich will, damit wir der Anwendbarkeit und Brauchbarkeit dieser Unterscheidung sicher sind, auf die wichtigsten Einwendungen, die gegen sie erhoben sind, kurz eingehen. Betrachten wir das Beispiel, das von Kant selbst gebraucht wurde.50 Man stellt dagegen die Frage,51 ob denn nicht die Schwere eben auf Grund des Satzes »Alle Körper sind schwer« eine ebenso allgemeine und notwendige Eigenschaft der Körper sei wie die Ausgedehntheit. In der Tat, eben das besagt ja der fragliche Satz »Alle Körper sind schwer«: Keinem Körper kann das Merkmal der Schwere fehlen. Dieses Merkmal gehört also in der Tat mit der gleichen Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit zum Wesen des Körpers wie die Ausgedehntheit. Ist nun aber darum dieser Satz ebenso gut analytisch wie der andere? Wer so schließt, der verwechselt den Begriff des Körpers mit dem Wesen des Körpers. Verstehen wir unter dem Wesen des Körpers den Inbegriff der allen Körpern gemeinsamen, jedem Körper notwendig zukommenden Eigenschaften, so müssen wir das Wesen doch noch vom Begriff des Körpers unterscheiden. Denn der Begriff des Körpers umfasst keineswegs alle jedem Körper notwendig zukommenden Eigenschaften, sondern nur diejenigen, die zur Definition des Körpers gehören, die notwendig und hinreichend sind, um die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zur Klasse der Körper zu bestimmen, und zu diesen Eigenschaften gehört die Schwere nicht. Man hat lange gewusst, einen Körper von dem, was nicht Körper ist, zu unterscheiden, ehe man entdeckte, dass alle Körper schwer sind. Anderenfalls hätte man wirklich diese Entdeckung schon dadurch machen können, dass man im Begriff des Körpers genügend herumgeforscht hätte. Man hat dazu aber einer ganz anderen Methode bedurft. Man hatte Erfahrungen nötig, um diese Wahrheit festzustellen, und das allein zeigt uns schon, dass wir es hier mit keinem analytischen Urteil zu tun haben.

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Das wird noch klarer, wenn wir bedenken, dass die Schwere gar keine Eigenschaft ist, die einem Körper schon an und für sich zukäme, sondern nur eine relative Eigenschaft, die ein Körper aufweist, wenn er mit anderen Körpern in Wechselwirkung kommt. Oder nehmen wir das Beispiel, das ich neulich angeführt habe.52 Der Satz, dass alle Radien eines Kreises gleich lang sind, ist ein analytisches Urteil, weil die bloße Erklärung des Begriffs des Kreises als einer Kurve konstanten Abstandes von einem festen Punkte genügt, um dieses Urteil einzusehen. Dagegen spricht zwar auch der andere Satz, wonach jeder Kreis eine geschlossene Kurve ist, eine allgemeine Eigenschaft der Kreise aus, eine Eigenschaft also, die keinem Kreis fehlen kann und die also ebenso zum Wesen des Kreises gehört wie die Gleichheit der Radien. Er ist aber durchaus kein analytischer Satz. Die Annahme, dass dieser Satz falsch sei, dass also der Kreis nicht eine geschlossene Kurve sei, enthält keinen logischen Widerspruch. Sie ist mit dem Begriff des Kreises, wie ich ihn eben erklärt habe, durchaus verträglich. Um die Wahrheit des Satzes einzusehen, bedürfen wir eines ganz anderen Erkenntnisgrundes als des bloßen Begriffs des Kreises. Dazu müssen wir Wahrheiten aus der Anschauung heranziehen. Was an dieser Betrachtung noch lehrreich ist, ist, dass es synthetische Urteile gibt, die ebenso allgemein sind wie die analytischen, dass, mit anderen Worten, das, was wir das »Wesen« der Dinge nennen, nach der vorhin gegebenen Erklärung keineswegs in analytischen Urteilen hinreichend erkannt wird. Diese Betrachtung wird uns später noch nützlich werden. Noch ein anderer Einwand wird gegen diese Unterscheidung erhoben.53 Es wird nämlich gesagt, die Grenze zwischen analytischen und synthetischen Urteilen sei nicht fest, sondern schwankend und unbestimmt, sodass ein und dasselbe Urteil für den einen analytisch, für den anderen synthetisch sein könnte, ja sogar für einen und denselben bald synthetisch, bald analytisch wäre. So viel ist gleich klar: Wenn diese Ansicht richtig sein sollte, so müsste es so etwas geben wie

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eine Verwandlung der Begriffe. Denn ob ein Urteil analytisch oder synthetisch ist, hängt ja nach der Kantischen Definition nur von dem Inhalt des Subjektbegriffs ab. Es müsste sich also dieser Begriff erweitern lassen, wenn ein Urteil, das zuerst synthetisch war, später analytisch werden soll. Und dies wird in der Tat behauptet. Ein Professor der Philosophie, bei dem ich als Student eine Vorlesung über Logik hörte, griff die Kantische Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen damit an, dass er uns auf das Beispiel verwies: der Walfisch ist ein Säugetier, um an diesem Beispiel die Verwandelbarkeit eines synthetischen Urteils in ein analytisches zu zeigen. Für einen Zoologen, der etwa bei einem Naturforscherkongress seine Entdeckungen über den Walfisch vorträgt, ist das Urteil ein analytisches. Es liegt schon im Begriff des Walfisches, wie er ihn sich in seiner Wissenschaft bildet, dass der Walfisch ein Säugetier ist. Dagegen erfährt ein Städter oder Bauer, der niemals ein solches Tier beobachtet hat, und sich immer einen Fisch darunter vorgestellt hat, durch diesen Satz etwas Neues. Für ihn ist also dieser Satz synthetisch. Nachdem er aber durch den Zoologen belehrt worden ist, hat auch er das Merkmal »Säugetier« in den Begriff des Walfisches aufgenommen. Sein Begriff hat sich erweitert, und nunmehr ist auch für ihn das Urteil analytisch. Und so sagt man auch gegen das Kantische Beispiel: Gewiss, ursprünglich sei das Urteil »Alle Körper sind schwer« synthetisch gewesen. Man habe seine Wahrheit entdecken müssen. Aber nunmehr, auf Grund der Erkenntnis, dass zum Wesen des Körpers auch die Schwere gehört, ebenso gut wie seine Ausdehnung, habe man das neue Merkmal in den Begriff des Körpers aufgenommen. Es gehöre nunmehr dazu. Das Urteil ist also jetzt analytisch. Und ebenso in dem vorhin angeführten Beispiel vom Kreis. Erkennt man, dass die Geschlossenheit dieser Kurve ein ebenso zu ihrem Wesen gehörendes Merkmal ist, wie die Gleichheit der Radien, so besteht kein Unterschied mehr im Verhältnis des einen und anderen Prädikats zum Begriff des Subjekts. Das eine Urteil ist ebenso gut analytisch wie das andere.

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Wie verhält es sich nun mit diesen Bedenken? Es steht in der Tat nichts im Wege, so zu verfahren, dass man das Merkmal der Schwere in den Begriff des Körpers aufnimmt, sodass nunmehr der Satz »Alle Körper sind schwer« in der Tat ein analytisches Urteil ausspricht, und so auch in den anderen Beispielen. Aber was ist hier geschehen? Hat sich der Begriff erweitert? Ist also aus dem Urteil, das zuerst synthetisch war, jetzt ein analytisches geworden? Das ist keineswegs der Fall. Was sich hier erweitert hat, das ist unsere Erkenntnis des fraglichen Gegenstandes. Nicht der Begriff hat sich erweitert, sondern es ist ein neuer Begriff gebildet worden, ein Begriff derart, dass, wenn wir ihn zu Grunde legen, derselbe Satz, der vorhin ein synthetisches Urteil aussprach, jetzt ein analytisches Urteil ausspricht. Derselbe Satz wohlbemerkt, d. h. dasselbe sprachliche Gebilde. Die Kantische Einteilung handelt aber nicht von Sätzen, bezieht sich nicht auf sprachliche Gebilde, sondern sie handelt von Urteilen. Und das Urteil, das der Satz jetzt ausspricht, ist ein anderes als das, das er früher aussprach. Darüber kann nur die Gleichheit des sprachlichen Gewandes hinwegtäuschen. Das Urteil, das der Satz früher aussprach, ist genau so synthetisch geblieben, wie es zuerst war; wir müssen nur die beiden Urteile, die sprachlich den gleichen Ausdruck haben, unterscheiden. Worauf es hier vor allem ankommt, ist dieses: Dass ein Gegenstand, der unter den ersten Begriff – des Körpers, des Walfisches oder des Kreises – fällt, auch unter den neuen Begriff fällt, der mit dem gleichen Wort bezeichnet ist, ist eine synthetische Behauptung, die durch die Gleichheit dieses Wortes natürlich noch nicht begründet ist, und für die es anderer Gründe bedarf als die bloße Gleichheit des sprachlichen Ausdrucks. Dass diesem identischen Satz zwei verschiedene Urteile entsprechen, müssen wir immer im Auge behalten. Der Unterschied beruht darauf, dass der Begriff, den wir mit dem Worte »Körper« verbinden, das eine Mal ein anderer ist als das andere Mal, und je nach dem, mit welchem Begriff wir es zu tun haben, ist natürlich auch der Satz, trotz der Gleichheit des

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sprachlichen Ausdrucks, ein Ausdruck für ein anderes Urteil. Dass ein Körper nach der ersten Definition auch ein Körper nach der zweiten Definition ist, und dazu gehört das Merkmal der Schwere, ist ein synthetisches Urteil, und ebenso ist und bleibt es ein synthetisches Urteil, dass ein Kreis nach der ersten Definition auch ein Kreis nach der zweiten Definition ist.

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ir sind stehengeblieben bei der Erörterung des Unterschiedes der analytischen und synthetischen Urteile, dieser wichtigen Entdeckung, die wir Kant verdanken, und die so sehr viel Licht in das Chaos bringt, das vor ihm die Philosophie beherrscht hatte, und das, wie man hinzufügen kann, sie heute noch beherrscht, weil diese kantische Entdeckung den meisten Philosophen bis zur Stunde ein undurchdringliches Rätsel geblieben ist. Noch heute kann diese Entdeckung nicht als allgemein anerkannt gelten. Man kann wohl die Philosophen, die sich zu dieser kantischen Lehre bekennen, an den Fingern seiner Hände abzählen, so wenig ist dieser Unterschied bis heute durchgedrungen. Man kann an diesem Beispiel so recht lernen, was es in der Philosophie mit dem Fortschritt der Einsicht für eine Bewandtnis hat. Ist eine Entdeckung einmal gemacht, so erscheint sie dem, der sie gemacht hat, und jedem anderen, der sie aufzufassen vermag, wie das Ei des Kolumbus, wie eine Trivialität, und allen anderen erscheint sie dunkel, unverständlich und ungereimt, falsch oder sinnlos. Die Hindernisse, die dem Verständnis dieser an sich so einfachen Unterscheidung im Wege stehen, habe ich mich das vorige Mal bemüht Ihnen auseinander zu legen, wenigstens die wichtigsten von ihnen. Ehe man diese Schwierigkeiten nicht aufzulösen vermag, lohnt es nicht der Mühe, auf feinere und subtilere Untersuchungen einzugehen, die sich an diese Unterscheidung knüpfen lassen. Damit Sie sich überzeugen können, dass ich nicht gegen Windmühlen gefochten habe, will ich Ihnen jetzt einige Stellen berühmter neuerer Logiker vorlesen, die es belegen sollen, dass dies wirklich Schwierigkeiten zu sein scheinen, die für manchen sonst angesehenen Denker unüberwindlich sind. Lotze, ein berühmter deutscher

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Logiker, der in Göttingen vor einigen Jahrzehnten gelehrt hat, sagt in seiner Logik über diese Einteilung der Urteile in analytische und synthetische unter anderem Folgendes: »In der allgemeinen Formel: S ist P des kategorischen Urtheils sieht es so aus, als sei der allgemein ausgedrückte Begriff S das Subject, das allgemeine P sein Prädicat, die beständige unveränderliche und uneingeschränkte Verknüpfung von S und P der Sinn des ganzen Urtheils. Ergänzt man dagegen ausdrücklich, was durch jene particularisirenden Nebengedanken angedeutet, jedenfalls aber gemeint ist, so findet man, daß das wahre Subject nicht in dem allgemeinen S, sondern in einem bestimmten Beispiele Σ desselben, das wahre Prädicat nicht in dem allgemeinen P, sondern in einer besonderen Modification Π desselben, daß endlich die behauptete Beziehung nicht zwischen S und P, sondern zwischen Σ und Π besteht, und daß diese, wenn jene Ergänzungen richtig gemacht sind, keine synthetische mehr, ja nicht einmal eine analytische, sondern geradezu eine identische ist.«54 Nach dem allerletzten scheint Kant nun gar der Vorwurf zu treffen, dass seine Einteilung unvollständig ist. Außer analytischen und synthetischen Urteilen gibt es noch identische Urteile. Natürlich sind die identischen Urteile ein Fall von analytischen Urteilen. Denn ob im Prädikat der Subjektbegriff teilweise oder ganz wiederholt wird, ist für die Frage gleichgültig, ob ich mit der Negation des Satzes einen Widerspruch begehe; und dies war das Kriterium für analytische Urteile. Lotze erörtert nun diesen allgemeinen Gedanken an einem Beispiel und sagt: »Einige Menschen sind schwarz, sagen wir, und meinen damit ein synthetisches Urtheil zu bilden, weil die Schwärze P nicht im Begriff S des Menschen liege. Nun ist aber nicht der Allgemeinbegriff Mensch das wahre Subject dieses Satzes, denn nicht er ist ja schwarz, sondern einige Einzelmenschen sind dies Subject; unter diesen einigen aber, obgleich sie nur als unbestimmter Theil des ganzen Umfangs der Menschheit bezeichnet sind, verstehen wir doch keineswegs einen so unbestimmt gelassenen Theil; denn es ist gar

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nicht in unser Belieben gestellt, welche einigen Menschen wir aus der ganzen Menge der Menschen herausgreifen wollen; durch unsere Auswahl, durch die sie zu »einigen« Menschen werden, werden sie nicht schwarz, wenn sie es nicht ohnehin sind; man muß also diejenigen wählen und meint von Anfang nur diejenigen, die schwarz sind, kurz die Neger; …«55 »Wir sagen ferner: der Hund säuft. Aber der allgemeine Hund säuft nicht; nur ein bestimmter einzelner oder viele oder alle einzelnen sind Subject dieses Satzes.«56 »Ferner: Cäsar ging über den Rubico; aber nicht der Cäsar, der in den Windeln lag, sondern der, welcher aus Gallien kam; nicht der schlafende sondern der wachende, im Bewußtsein der eben vorhandenen Weltlage; nicht der unentschlossene sondern der, der seinen Entschluß gefaßt hatte, kurz: der Cäsar, den das Subject des Urtheils meint, ist nur derjenige, den das Prädicat bestimmt: der über den Rubico gehende; … .«57 Sie sehen, dass alles darauf ankommt, eine Unterscheidung zu beachten, von der Lotze auch spricht, deren Bedeutung für die kantische Entdeckung er aber gar nicht versteht. Nämlich die Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Begriff des Subjekts und dem Subjekt selbst, das den Gegenstand des Urteils bildet, d. h. dasjenige, wovon wir urteilen, dass es schwarz sei, säuft, u.s.w. Diesem Gegenstand wohnt natürlich die Eigenschaft inne, die wir ihm im Prädikat zuschreiben, denn sonst wäre das Urteil falsch. Wenn es nur darauf ankäme, dann wären alle richtigen Urteile analytisch. Sie wären nur darum richtig, weil wir dem Gegenstand ein Merkmal zuschreiben, das ihm, dem Gegenstand, über den wir urteilen, in der Tat zukommt. Das Subjekt des Urteils ist aber etwas ganz anderes als der Begriff des Subjekts, und auf das Verhältnis des Prädikats zu diesem Begriff kommt es allein für die kantische Entdeckung an. Ob die einigen Menschen, die wir meinen, wenn wir sagen, einige Menschen sind schwarz, in der Tat schwarz sind – es ist dies die mindeste Bedingung, die wir an das Urteil zu stellen haben, denn sonst wäre es falsch –, damit ist die Frage, ob es ein analytisches Urteil ist, noch nicht

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berührt. Der Begriff »Mensch«, und das ist hier ein Subjektsbegriff, enthält nämlich keineswegs sämtliche Eigenschaften, die dem Gegenstand oder den Gegenständen zukommen, die unter ihn fallen, sondern nur diejenigen, die notwendig und hinreichend sind, um den Gegenstand als ein Element der Klasse zu bestimmen, auf die sich der Begriff bezieht. Um zu bestimmen, ob etwas ein Mensch ist oder nicht, brauche ich aber offenbar nicht zu wissen, ob er schwarz ist. Wenn hier mit dem Ausdruck einige Menschen nur die schwarzen Menschen gemeint sind, so vergleichen sie damit das Urteil: Einige Menschen sind Albinos. Aus dem gleichen Grunde müsste man sagen, man meinte mit einigen Menschen die Albinos und es würde folgen, dass die Neger Albinos und die Albinos Neger sind. Ein anderes Beispiel. Sigwart, einer der Nachfolger Lotzes in der Logik, ein nicht minder angesehener Logiker, sagt in seiner Logik zu der kantischen Unterscheidung, wobei er als Beispiel nennt: »Diese Rose ist gelb«:58 »Dieses anschauliche Ding ist das Subject meines Urteils«.59 Dieses Subjekt aber analysiere ich in meinem Urteil: »Ein Element meiner Anschauung ist identisch mit dem was ich gelb nenne, und dieses prädiciere ich denn von dem Ganzen in meinem Eigenschaftsurteil«.60 Er meint also, dieses Urteil beruht auf einer Analyse dessen, was ich anschaulich vor mir habe. Man kann nun in der Tat meinen, dass das, was er über diese Analyse sagt, durchaus richtig ist, aber mit der Frage, ob das Urteil analytisch ist, hat es darum nichts zu tun, wie Sigwart meint. Es kommt dafür nicht darauf an, ob gelb zu dem gehört, was ich durch Analyse der angeschauten Rose an ihr als Eigenschaft entdecken kann, sondern allein, ob es eine Eigenschaft ist, die ich aus dem Begriff der Rose entnehmen kann. Sonst brauchte ich nämlich die Anschauung gar nicht, um zu entdecken, dass diese Rose gelb ist, und es gäbe keine andersfarbigen Rosen als gelbe. Solche Ausdrücke wie »einige«, »der«, »dieser« u.s.w. weisen uns gerade darauf hin, dass wir den Gegenstand meinen oder einige Gegenstände, die unter den Begriff fallen und nicht den

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Begriff selbst. Der Begriff »Rose« ist in der Tat ebenso wenig gelb wie der Begriff »Mensch« schwarz ist. Ähnlich drückt sich ein anderer Logiker aus, nämlich Trendelenburg: »Diese Parabel schneidet einen Kreis.« »Allerdings«, sagt er, »liegt diese Anschauung«, nämlich des Schneidens, »nicht in dem allgemeinen Begriff« der Parabel. »Aber ist das Subjekt ein solcher?«61 Natürlich ist das Subjekt kein Begriff, diese Parabel ist kein Begriff, Begriffe schneiden keine Kreise. So hat es Kant auch zweifellos nicht gemeint. Es kommt in der Tat auch nur darauf an, dass im Begriff des Subjekts das Prädikat nicht logisch enthalten ist, und darum ist das Urteil unzweifelhaft synthetisch. Nun zu dem anderen Einwand, wonach der fragliche Unterschied nicht eindeutig ist, sondern schwankend, wonach ein und dasselbe Urteil manchmal analytisch und manchmal synthetisch ist. Schleiermacher hat, soweit es mir bekannt ist, zuerst diesen Einwand geltend gemacht. Er sagt in seiner Dialektik: »Der Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Urteilen ist ein fließender. Dasselbe Urteil (Eis schmilzt) kann ein analytisches sein, wenn das Entstehen und Vergehen durch bestimmte Temperaturverhältnisse schon in den Begriff des Eises aufgenommen war, und ein synthetisches, wenn noch nicht; die Differenz sagt also nur einen verschiedenen Zustand der Begriffsbildung aus.«62 Der Ausdruck ist hier zweideutig. Die Art, wie Schleiermacher das Urteil formuliert, trägt dazu bei, ihn irre zu führen, wie wenn ich sagte: Hund säuft, Rose ist gelb. Gewöhnlich ist man von selbst so vorsichtig, sich nicht so irreführend auszudrücken, als ob man wirklich meinte, wie diese Ausdrücke es zu bedeuten scheinen, über den Begriff zu urteilen. Der Begriff »Eis« schmilzt aber nicht, sondern nur das Eis schmilzt oder dieses Eis. Ehe ich weiter über diesen Einwand spreche, will ich von dem schon genannten Sigwart aus seiner Logik eine Stelle vorlesen, die daran anknüpft. Er sagt in Bezug auf das kantische Beispiel: »Alle Körper sind ausgedehnt« und: »Alle Körper sind schwer«, Folgendes: »Ehe ich die Erfahrung mache,

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die mich zu dem Satze berechtigt: alle Körper sind schwer, habe ich den Begriff des Körpers nur durch die Merkmale der Ausdehnung u.s.w. gebildet; nachdem ich sie aber gemacht habe, kann und muss ich das Merkmal der Schwere mit in den Begriff des Körpers aufnehmen, um die vollständige Erfahrung auszudrücken, und mein Urteil alle Körper sind schwer ist nun ein analytisches; ich könnte jetzt mit diesem Begriffe zu weiterer Erfahrung schreiten, z. B. sagen alle Körper sind electrisch, alle Körper sind warm. Wäre mein Begriff der Ausdruck einer vollständigen Erkenntnis, was freilich erst bei der Vollendung des Wissens überhaupt möglich wäre, so wären alle Urteile der Welt analytisch.«63 Man kommt also, wie es scheint, hiernach gerade in der Konsequenz der kantischen Entdeckung auf den extremsten Logizismus Leibnizens und seiner noch radikaleren logizistischen Schüler wie Wolff hinaus oder zurück, wonach sich alle Urteile für eine hinreichend vollständige Erkenntnis als analytische erweisen, wie es Leibniz für den göttlichen Verstand vorschlägt, der die Wahrheit aller Urteile nach dem bloßen Satz des Widerspruchs einsehen können müsste.64 Den Grund dieses Fehlers habe ich das vorige Mal wohl hinreichend beleuchtet. Er beruht auf der Verkennung des Unterschiedes zwischen dem Begriff des Gegenstandes und unserer Erkenntnis des Gegenstandes. Was sich erweitert, ist unsere Erkenntnis des Gegenstandes, aber nicht der Begriff. Der Begriff ist durch die ihn definierenden Merkmale eindeutig bestimmt, und es kann nicht von den Umständen abhängen, ob ein Merkmal zu den definierenden Merkmalen gehört oder nicht. Es lässt sich hier ebenso wenig eine Vieldeutigkeit entdecken wie in der Disjunktion, dass ein Punkt entweder auf einer gegebenen Geraden liegt oder nicht. Die Entwicklung meiner Erkenntnis hat mit dieser Angelegenheit gar nichts zu tun. Was hier nun aber noch besonders irreführt, ist dies, dass ja in der Tat nichts im Wege steht, einen neuen Begriff zu definieren und zu seiner Bezeichnung dasselbe Wort zu wählen, das bis dahin den ursprünglichen Begriff bezeichnet hatte.

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Was sich dann ändert, ist nicht der Begriff, sondern die Wortbedeutung, d. h. die Zuordnung zwischen dem sich gleich bleibenden Wort und dem Begriff, der dadurch bezeichnet wird, und infolgedessen ändert sich auch der Sinn des Satzes, d. h. des sprachlichen Gebildes, das etwa hier an der Tafel steht. Dieser selbe Satz drückt einmal ein analytisches und das andere Mal ein synthetisches Urteil aus, je nachdem wie wir das Wort »Körper« verstehen, ob im Sinne der ersten oder der zweiten Definition. Und daran ist auch nichts Merkwürdiges, denn verschiedene Urteile können recht wohl das eine analytisch und das andere synthetisch sein. Was nun aber das Interessanteste an der zuletzt vorgelesenen sigwartschen Äußerung ist, ist in den folgenden Worten ausgesprochen, und ich will noch ein wenig darauf eingehen, denn es ist für uns lehrreich und führt uns weiter. Er sagt, nachdem er das Merkmal der Schwere in den Begriff des Körpers aufgenommen und so das Urteil angeblich erst zu einem analytischen gemacht hat, er müsse das tun. Er könne und müsse »das Merkmal der Schwere mit in den Begriff des Körpers aufnehmen, um die vollständige Erfahrung auszudrücken.«65 Also nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, dass alle Körper im Sinne der ursprünglichen Definition schwer sind, muss ich das Merkmal der Schwere als definierendes Merkmal in den Begriff des Körpers aufnehmen, um meine Erfahrung vollständig auszudrücken. Genauer ausgedrückt müssten wir sagen: Wenn wir einen solchen Begriff des Körpers haben wollen, dass in ihm alle Merkmale enthalten sind, die wir an dem Körper erkennen und die ihm in der Tat zukommen, dann müssten wir natürlich auch das Merkmal der Schwere in diesen Begriff aufnehmen. Aber damit drücken wir gar keine Erfahrung aus, damit bilden wir nur einen neuen Begriff. Worin bestand denn unsere neue Erfahrung? Sie bestand darin, dass alle Körper im ursprünglichen Sinne des Wortes schwer sind, und das drücken wir gewiss nicht durch ein Urteil aus, in dem der Subjektsbegriff, der durch das Wort »Körper« bezeichnet wird, schon die Schwere enthält. Das würde heißen, wenn wir genauer hinsehen: Al-

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les, was nicht nur wie früher ausgedehnt, sondern alles, was sowohl ausgedehnt wie auch schwer ist, ist schwer. Das wäre explizite der Sinn des obigen Satzes, wenn wir ihn im Sinn der Definition verstehen, wie Sigwart es ja will. Wenn wir also den Begriff der Schwere in den Begriff des Körpers mit aufgenommen haben, so bedeuten die Worte: »Alle Körper sind schwer«: Alles Ausgedehnte, das außerdem auch schwer ist, ist schwer. Drückt das nun unsere Erfahrung aus? Können wir das überhaupt erfahren, dass alles Ausgedehnte, das auch schwer ist, schwer ist? Unmöglich kann man das erfahren, sondern das kann man nur denken, man muss es sogar denken auf Grund des Subjektsbegriffs. Es ist in der Tat ein analytisches Urteil, und das, was ein analytisches Urteil aussagt, kann man niemals erfahren. Man kann gar nicht an der Erfahrung prüfen, ob ein solcher Satz richtig oder falsch ist. Er entzieht sich jeder Kontrolle durch die Erfahrung. Denn um einen Gegenstand, über den man eine Erfahrung macht, z. B. dieses Stück Kreide, das doch sicher ein Körper ist, unter den Subjektsbegriff zu subsumieren, als etwas zu erkennen, was unter den Subjektsbegriff fällt, um die Frage stellen zu können, ob Kreide sich in der Erfahrung als schwer darstellt oder nicht, dazu müssen wir schon vorher wissen, dass sie schwer ist, sonst könnten wir sie gar nicht unter den Subjektsbegriff subsumieren. Keinesfalls können wir das erst aus der Erfahrung entnehmen. Und so zeigt sich bei Lichte, dass genau das Gegenteil dessen richtig ist, was Sigwart hier sagt. Um die vollständige Erfahrung auszudrücken, dürfen wir unter keinen Umständen den Begriff der Schwere in den des Körpers aufnehmen. Tun wir das dennoch, denken wir also unter Körper nur noch das Ausgedehnte, das zugleich schwer ist, so geht in unserem wissenschaftlichen System, das wir so erhalten, die Wahrheit, deren Richtigkeit wir durch die Erfahrung festgestellt hatten, gänzlich verloren. Denn dann wäre der Satz: Alles Ausgedehnte ist schwer, der dann kommt, wenn der durch das Merkmal der Schwere definierte Begriff des Ausgedehnten eingesetzt würde, ein neuer

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und zwar analytischer Satz, und der ursprüngliche wäre nicht mehr vorhanden. Also wäre der einzige Satz, der eine Erfahrungstatsache ausdrückt, verschwunden. Übrig bleibt nur ein analytisches Urteil, das sich jeder Kontrolle durch die Erfahrung entzieht. Um kein Missverständnis entstehen zu lassen, wiederhole ich, dass es nicht verwehrt ist, einen neuen Begriff des Körpers zu bilden, der außer dem Begriff der Ausdehnung auch das Merkmal der Schwere enthält. Aber es wäre ein schwerer Irrtum, zu glauben, dass der alte Begriff aus der Welt geschafft wäre. Man kann ihn ignorieren, vergessen, infolgedessen auch die Erfahrungstatsache, die wir durch ihn erkannt haben, vergessen, aber sie wird dadurch nicht aus der Welt geschafft, sie bleibt bestehen, und wer sich an sie erinnert, wer Wert darauf legt, sie nicht in der Versenkung verschwinden zu lassen, und zu dem alten Urteil zurückzukehren, kann es in Gottes Namen so aussprechen: Alle Körper sind Körper. Alle Körper im Sinne der ersten Definition sind auch Körper im Sinne der zweiten Definition. Alles Ausgedehnte, das unter den Begriff des Körpers im Sinne der ersten Definition fällt, fällt auch unter den neuen Begriff des Körpers. Das ist eine Erfahrungstatsache, sogar jene Erfahrungstatsache, die man so gern ausdrücken will und nur ausdrücken kann, wenn man das Merkmal der Schwere nicht in den Begriff des Körpers aufnimmt, sondern allenfalls wenn man einen neuen Begriff bildet, der auch durch das Wort »Körper« bezeichnet wird, wo dann die Verknüpfung dieser beiden Begriffe, genauer die Aussage, dass die Gegenstände, die unter den einen Begriff fallen, auch unter den anderen fallen, ein synthetisches Urteil ist und in alle Ewigkeit bleibt. Ich will zur Sicherheit lieber noch hinschreiben, was eigentlich die Bedeutung dieses so trivial erscheinenden Satzes ist: Alle Körper sind Körper. Sie ist: Alles Ausgedehnte ist Ausgedehntes, das auch schwer ist. Das ist der synthetische Satz, der die Erfahrungstatsache ausdrückt, die wir ursprünglich und einfach durch den alten Satz »Alle Körper sind schwer« aussprechen. Dieser ursprüngliche synthetische Satz ist also

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noch immer synthetisch geblieben. Das sieht man, wenn man ihn explizite hinschreibt. Man sieht hier, dass der neue Begriff, obgleich man ihn bilden kann – man kann jeden Begriff bilden, der keinen logischen Widerspruch einschließt –, doch eine bedenkliche Eigenschaft hat. Er ist nämlich überbestimmt in dem Sinne, dass er mehr Merkmale enthält, als notwendig und hinreichend sind, um von vorgelegten Gegenständen zu entscheiden, ob sie zu der Klasse gehören. Dazu genügt der Begriff des Ausgedehnten, vorausgesetzt, dass unser Satz »Alle Körper im Sinne des Ausgedehnten sind schwer« richtig ist. Denn wenn sie schwer sind, brauche ich nur zu wissen, dass der mir vorgelegte Gegenstand ausgedehnt ist, um auf Grund unseres Erfahrungssatzes zu schließen, dass er schwer ist. Die Gefahr des Gebrauchs solcher überbestimmten Begriffe liegt eben darin, dass sie uns leicht vergessen lassen, dass die Beziehung zwischen dem ursprünglichen, inhaltsärmeren Begriff und dem neuen, überbestimmten ein synthetisches Urteil darstellt. Man darf sich natürlich nicht dadurch irreführen lassen, dass, wie es hier in den Beispielen der Fall ist, der Begriff, in den wir etwas aufnehmen, nämlich die Schwere, umfangsgleich ist mit dem ursprünglichen Begriff, dass also die Gegenstände, die unter den einen fallen, auch unter den anderen fallen und umgekehrt, dass die Gegenstände, die unter den anderen fallen, auch sämtlich unter den ersten fallen. Der Umfang des einen Begriffs ist identisch mit dem Umfang des anderen. Aber auch die Aussage der Identität des Umfanges der Begriffe ist und bleibt ein synthetisches Urteil. Es ist ja eine Erfahrungstatsache, die wir kennen müssen, um diese Identität zu behaupten. Wir können sie nicht auf Grund der Begriffe allein erschließen. Also müssen wir wohl unterscheiden: Identität der Begriffe, nämlich ihrem Inhalt nach, und: Identität des Umfanges zweier Begriffe. Ich will das nächste Mal dazu übergehen, von einigen Anwendungen dieser Unterscheidung zu sprechen, und daran wird sich erst ihre Fruchtbarkeit und Bedeutung zeigen.

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ch habe zuletzt von den Einwänden gesprochen, die gegen die kantische Einteilung der Urteile in analytische und synthetische geltend gemacht werden. Diese Einwände und die aus ihnen fließenden Irrtümer spielen eine große Rolle in dem Gebiet, das durch den Titel dieser Vorlesung bezeichnet wird, durch die Worte »Typische Denkfehler in der Philosophie«. Eine wie große Rolle sie spielt, möchte ich Ihnen im weiteren Verlauf dieser Vorlesung zeigen, und deshalb erlauben Sie mir, noch ein wenig bei dieser Unterscheidung stehen zu bleiben. Ich habe mich zuletzt mit der Frage beschäftigt, ob eine vollständige Erkenntnis eines Gegenstandes, wie es von den meisten Logikern wohl noch immer behauptet wird, ihren Ausdruck in analytischen Urteilen finden muss, und ich habe versucht zu zeigen, dass das gerade Gegenteil der Fall ist, dass der Versuch, die synthetischen Urteile auf analytische zu reduzieren, ein an sich unmögliches Beginnen ist. Ja wir können zutreffend sagen, dass die Beschränkung auf bloße analytische Urteile in Bezug auf einen Gegenstand zur Folge hat, dass alle eigentliche Erkenntnis, aller Gehalt von Erkenntnissen, um den allein es sich lohnt, Nachforschungen über den Gegenstand anzustellen, dabei verschwindet. Das ist in dem strengen Sinne der Fall, dass wir geradezu sagen können, eine im Sinne dieser Logiker vollständige und also allwissende Erkenntnis, das wäre nämlich diejenige, die alles aus dem Begriff des Gegenstandes zu lösen vermöchte, was er implizite enthält – wäre so wenig eine vollständige im Sinne des Allwissenden, dass sie vielmehr eine nichtwissende zu heißen verdiente. Denn alles Wissen, das über den Gegenstand möglich ist, ist aus dem Bereich dieser Erkenntnis verschwunden. Um das vollends deutlich zu machen, wollen wir noch ein Beispiel betrachten, das ich schon erwähnt hatte.66 Betrach-

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ten wir als den Gegenstand unserer Nachforschungen den Kreis. Über diesen Gegenstand lassen sich sehr viele Urteile fällen. Denken wir uns diese Urteile alle der Reihe nach hingeschrieben, so kommen wir zu einer Aufzählung von Merkmalen dieses Gegenstandes, z. B. 1. Der Kreis hat lauter gleiche Radien. 2. Der Kreis ist eine geschlossene Kurve. 3. Der Kreis ist ein durch drei Punkte bestimmter Kegelschnitt. 4. Der Kreis ist eine Figur derart, dass sämtliche Peripheriewinkel über demselben Bogen einander gleich sind. u. s. f.

Jetzt denken wir uns eine hinsichtlich des Kreises allwissende Erkenntnis, die also im vollständigen Besitz der Kenntnis der Merkmale dieses Gegenstandes wäre. Nach dem fraglichen Verfahren hätten wir jetzt ganz einfach den Inbegriff aller dieser Urteile als die Definition des Kreises aufzufassen. Der Begriff des Kreises wäre bestimmt durch die Aufzählung aller dieser Merkmale. Wir haben ja alle die Merkmale, die wir an dem Gegenstand erkennen, in seinen Begriff aufzunehmen, und die Aufzählung der in einem Begriff enthaltenen Merkmale ist ja nichts anderes als die Definition der durch diesen Begriff bestimmten Klasse. Nun sage ich, wer sich hinsichtlich des Kreises auf diese Urteile im Sinne einer Definition beschränkt, also auf lauter Aussagen, die analytische Urteile darstellen, dem geht alles Wissen über den Kreis verloren, für den ist aller eigentlicher Gehalt möglicher Erkenntnis über den Kreis verschwunden. Man braucht, um sich das klar zu machen, immer nur daran zu denken, dass das Wort »Kreis« in diesen Sätzen ja keinen anderen Sinn hat als Bezeichnung eines Gegenstandes, dem alle diese Merkmale zukommen, die an der Tafel stehen. Wir müssten also, um irgendetwas als Kreis zu erkennen, schon im Voraus wissen, dass ihm alle diese Merkmale zukommen. Dann erst können wir den Gegenstand unter den Begriff Kreis subsumieren. Was haben wir denn an einer solchen Aufzählung analytischer Urteile? Eine Tautologie, eine große Trivialität, eine

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meinetwegen ins Unendliche verlaufende Trivialität. Aber dadurch, dass man sie in dieser Weise verlängert, wird sie nicht weniger eine Trivialität. Man könnte auf Grund dieses analytischen Urteils, dieses Inbegriffs von analytischen Urteilen über den Kreis niemals zu der Feststellung gelangen, dass es überhaupt so etwas wie einen Kreis gibt. Das wäre ja ein synthetisches Urteil, das wäre ja eine Aussage über den definierten Begriff, die unter den definierenden Merkmalen nicht vorkommen kann. Sie sagt vielmehr aus, dass etwas unter diesen Begriff fällt, und dazu müssen wir aus der Definition herausgehen. Aber sehen wir auch davon ab, nehmen wir an, wir wüssten, es gibt so etwas, dieser Begriff ist mit anderen Worten nicht gegenstandslos. Dann würde uns auch das nicht dazu verhelfen, eine einfache Aussage machen zu können von der Art etwa: Eine Figur, die lauter gleiche Radien hat, ist eine geschlossene Kurve, oder ist ein durch drei Punkte bestimmter Kegelschnitt, oder ist eine Figur derart, dass die Peripheriewinkel über demselben Bogen einander gleich sind. Ich weiß nur, wenn ich den Existentialsatz hinzunehme: Es gibt einige Figuren oder eine Figur, die nicht nur gleiche Radien hat, sondern auch eine geschlossene Kurve ist. Aber ob jede Figur von gleichen Radien auch eine geschlossene Kurve ist, bleibt gänzlich unentscheidbar, ebenso wie der umgekehrte Satz, also jede Beziehung zwischen je zweien der angegebenen Merkmale, zwischen 1 und 2, 1 und 3, 1 und 4, 2 und 4, u.s.w. Das wären Sätze, die in der Wissenschaft nicht vorkommen können, und das sind gerade die eigentlich gehaltvollen Aussagen über den Kreis. In diesem Sinne hoffe ich, ist klar geworden, dass jene angeblich vollständige Erkenntnis, bei der es nur noch analytische Urteile gibt, die unvollständigste Erkenntnis ist, die wir denken können, nämlich die, aus der aller wirkliche Gehalt des Wissens verschwunden ist, in der nur noch Trivialitäten stehen bleiben. Der Zweck alles Urteilens liegt, wie sich durch solche Betrachtungen zeigt, immer im synthetischen Urteil, und die analytischen Urteile wären überhaupt bedeutungslos, wenn

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sie nicht als Mittel zu diesem Zweck eine Rolle spielten. Diese Frage nach der Bedeutung der analytischen Urteile will ich jetzt klarstellen. Sie gewinnen ihre Bedeutung in der Tat allemal erst durch ihren Zusammenhang mit den synthetischen. Wenn wir nämlich diese vernünftige Bedeutung des Wortes »Kreis« voraussetzen, können wir sagen, dass alle Urteile solcher Art, wie sie hier angeschrieben sind, bis auf eins, das nämlich die definierenden Merkmale des Kreises angibt, synthetisch sind. Das erste Urteil ist analytisch, alle anderen sind synthetisch. Und nun sage ich: Die Bedeutung eines solchen analytischen Urteils besteht darin, dass es uns erst in Stand setzt, die synthetischen Urteile zu verwerten. Wir wollen sie verwerten zu Schlüssen, wir wollen nicht bei jeder einzelnen Figur, die uns in der Erfahrung begegnet, erst eine spezielle Untersuchung darüber anstellen, ob sie eine geschlossene Kurve ist, ob sie gleiche Radien hat, ob sie ein durch drei Punkte bestimmter Kegelschnitt ist, sondern wir wollen den Vorteil haben von diesem allgemeinen Satze, dass wir einen Gegenstand nur als Kreis zu erkennen brauchen, um ohne weiteres und ohne spezielle Untersuchung des Gegenstandes schließen zu können, dass auch die übrigen Merkmale erfüllt sind, und das können wir nur, wenn wir dieses analytische Urteil haben. Denn das gibt uns das Kriterium dafür, ob und wann ein Gegenstand unter die allgemeinen synthetischen Urteile subsumiert werden darf. Dieses Kriterium muss erfüllt sein für die Subsumtion und für die zu gewinnenden Schlüsse. Zweitens. Diese Schlüsse selbst, was sind sie für Urteile? Ich behaupte, sie sind selbst analytische Urteile,67 und darin liegt die weitere Bedeutung der analytischen Urteile. Ohne sie können wir nicht schließen. Um das klar zu machen, müssen wir überlegen, was eigentlich in einem Schluss behauptet wird. Dazu wollen wir ein einfaches Beispiel, das alte Schulbeispiel, betrachten.

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Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch Sokrates ist sterblich.

Weshalb ist es übrigens wichtig, dass hier das Wort »alle« steht? Wenn diese synthetischen Sätze nicht allgemein wären, so könnten wir nicht durch die fragliche Subsumtion den gesuchten Schluss ziehen. Denn wenn nur einige Kreise geschlossene Kurven wären, dann nützte es mir nichts, von einem Gegenstand zu wissen, dass er ein Kreis ist. Ich weiß dann nicht, ob er unter den Teil des Umfangs des fraglichen Begriffs fällt, von dem die genannte Behauptung gilt, oder unter den, von dem sie nicht gilt. Der Obersatz eines solchen Schlusses muss immer allgemein sein. Was behauptet nun der Schluss? Er behauptet weder, dass alle Menschen sterblich sind, noch, dass Sokrates ein Mensch ist, nicht einmal, dass Sokrates sterblich ist. Er behauptet nur, dass, wenn alle Menschen sterblich sind und wenn Sokrates ein Mensch ist, dass dann Sokrates sterblich ist. Darin liegt der Schluss: in der Ableitung einer Behauptung von anderen Behauptungen, eines Satzes aus anderen Sätzen, wie ich vorsichtiger sagen will. Zum Schluss gehört allerdings eine Mehrheit von Urteilen, nämlich die Prämissen, aus denen ich schließe, und der Schlusssatz, auf den ich schließe. Aber weder die Prämissen noch der Schlusssatz werden in dem Schluss behauptet, sondern nur die Beziehung zwischen ihnen, eben die Beziehung, die wir ausdrücken durch das Wort »folgt« oder »wenn – so«, wobei aber das »wenn – so« nur im Sinne des »folgt« verstanden werden darf. Es gibt auch Aussagen von der Form »wenn – so«, die keineswegs von der Art eines Schlusses sind, z. B.: Wenn eine Figur lauter gleiche Radien hat, so ist sie eine geschlossene Kurve. Das ist noch kein Schluss, das folgt nämlich nicht, obgleich es richtig ist. Zum Schluss gehört also, dass der Schlusssatz aus den Prämissen folgt. Der Schluss ist, wie wir sagen können, ein hypothetisches Urteil, er drückt sich durch die Form »wenn – so« aus,

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derart, dass wir den Nachsatz aus den Vordersätzen folgern, und das sagt nichts anderes, als dass dieses hypothetische Urteil analytisch sein muss. Nun können Sie sagen, dass dem Wortlaut nach die kantische Erklärung nicht ohne weiteres auf ein solches analytisches Urteil anwendbar ist. Sie bezieht sich in der Tat dem Wortlaut nach unmittelbar nur auf kategorische Urteile von der Art, wie die Prämissen sind: »Alle Menschen sind sterblich«, und: »Sokrates ist ein Mensch«, und auch der Schlusssatz: »Sokrates ist sterblich«, d. h. auf Urteile, die eine einfache Subsumtion eines Gegenstandes unter einen allgemeinen Begriff aussprechen. Nun sieht man aber leicht, dass sich sinngemäß die Einteilung in analytische und synthetische Urteile in einfacher Weise auf hypothetische Urteile und also auch auf die Schlüsse übertragen lässt. Wir brauchen nur zu überlegen, wovon wir in dem Schlusssatz eine Aussage machen. Wir machen in dem Schlusssatz eine Aussage über das, was in den Prämissen behauptet wird, und behaupten darüber das Neue, dass daraus das im Schlusssatz Gesagte folgt. Dieses Zurfolgehaben des Schlusssatzes wird ausgesagt von dem in den Prämissen Ausgesagten. Das in den Prämissen Ausgesagte ist also das Subjekt und die Abfolge des Schlusses das Prädikat des Urteils, das wir einen Schluss nennen, und diese Abfolge, dieses neue Urteil, das diese Abfolge behauptet, ist analytisch. Wir sprechen nämlich von der Abfolge gerade darum und in dem Sinne, dass die Prämissen einen hinreichenden Grund für den Schlusssatz bilden, das heißt also, wir brauchen außer dem, was wir in den Prämissen denken, keinen Erkenntnisgrund hinzuzunehmen, um zu dem Schlusssatz überzugehen. Das Kriterium des analytischen Urteils ist also hier erfüllt und ebenso das andere von Kant angegebene Kriterium, dass alle analytischen Urteile nach dem Satz des Widerspruchs einzusehen sein sollen. Die Aufhebung des Schlusssatzes nämlich würde im Widerspruch stehen zu den Prämissen. Angenommen Sokrates sei nicht sterblich, so würde, wenn wir an der ersten Prämisse festhalten wollen, dass alle Menschen sterblich sind, die Behauptung folgen,

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dass Sokrates kein Mensch ist, im Widerspruch zur zweiten Prämisse, und wenn wir an der zweiten Prämisse festhalten, dass Sokrates ein Mensch ist, so würden wir auf den Satz kommen, dass nicht alle Menschen sterblich sind, im Widerspruch zur ersten Prämisse. Darin liegt gerade das Zwingende des Schlusses, dass wir den Schlusssatz nicht aufgehoben denken können, ohne in Widerspruch mit den Prämissen zu kommen. Wir können dieses Ergebnis, dass Schlüsse analytische Urteile sind, auch so klar machen, wenn wir nämlich bei den Subjekten der zu Grunde gelegten kategorischen Urteile stehen bleiben, bei dem Subjekt, auf das sich der Schlusssatz bezieht. Wir können nämlich den Schlusssatz dann so aussprechen – wir wollen gleich die Form allgemein nehmen: Alle M sind P. S ist M. S ist P.

Ein Subjekt, das unter den Begriff M fällt derart, dass alle Gegenstände, die unter den Begriff M fallen, P sind, ist P. Dieser Satz ist ein analytisches Urteil. Wir wollen nun einige weitere Nutzanwendungen von dieser Unterscheidung machen. Da jeder Schluss Prämissen erfordert, so sind zu allen Schlüssen, also auch zu allen Beweisen – diese sind ja nichts anderes als Ketten von Schlüssen – irgendwelche Prämissen erforderlich, die ihrerseits nicht wieder beweisbar sind, nämlich als Ausgangspunkte für die Möglichkeit des Schließens überhaupt. Betrachten wir nun diese Prämissen, diese ersten Voraussetzungen, die den Ausgangspunkt für unsere Schlüsse bilden. Und da sage ich nun: Wenn wir einen Schlusssatz, einen Lehrsatz, erhalten wollen, der synthetisch ist, und das wollen wir unter allen Umständen, denn nur dazu allein schließen und beweisen wir, so muss unter unseren Ausgangssätzen mindestens ein synthetisches Urteil stehen. Wenn diese Bedingung nicht er-

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füllt ist und wir nur von analytischen Urteilen ausgehen, so werden wir niemals und durch keine Kunst des Schließens ein einziges synthetisches Urteil ableiten können. Kurz gesagt, es ist unmöglich, ein synthetisches Urteil auf nur analytische Urteile zurückzuführen. Das lässt sich leicht einsehen. Sollte nämlich das Gegenteil der Fall sein, sollte ein synthetisches Urteil aus nur analytischen Urteilen ableitbar sein, so müsste in der Beweiskette, die zu dem synthetischen Lehrsatz führt, an irgend einer Stelle einmal ein Schluss auftreten, dessen Prämissen noch beide analytisch sind, während der Schlusssatz schon synthetisch ist. Was würde das bedeuten? Jeder Schlusssatz erfordert einen Mittelbegriff, d. h. einen Begriff, der im Obersatz als Subjektsbegriff und im Untersatz als Prädikatsbegriff steht, und vermittels dessen im Schlusssatz der Prädikatsbegriff des Obersatzes, der Oberbegriff, auf den Subjektsbegriff des Untersatzes, auf den Unterbegriff, übertragen wird. Wenn nun nach der gemachten Annahme beide Prämissen analytisch sind, so würde das heißen, dass sowohl der Oberbegriff im Mittelbegriff als auch der Mittelbegriff im Unterbegriff enthalten ist, und also auch der Oberbegriff im Unterbegriff, der Begriff P im Begriff S. Der Schlusssatz wäre also selbst ein analytisches Urteil. Also ist auch der Begriff P im Begriff M und der Begriff M im Begriff S enthalten. Es ist also unmöglich, jemals aus nur analytischen Urteilen ein synthetisches abzuleiten.68 Dieser Satz ist nun der entscheidende für die Kritik derjenigen Art zu philosophieren, mit deren Kritik wir uns zunächst beschäftigen wollten, nämlich der des Logizismus. Das Unternehmen derjenigen Philosophie, die wir die logizistische genannt haben, läuft darauf hinaus, aus lediglich analytischen Urteilen synthetische abzuleiten. Die Unmöglichkeit des Logizismus ist also nunmehr bewiesen. Das ist nun leicht gesagt so allgemein. Es kommt darauf an, diesen allgemeinen Satz in jedem einzelnen Fall mit Sicherheit anzuwenden. Gestatten Sie mir daher, Ihnen dafür einige Anleitung zu geben und die Sache an Beispielen noch ein wenig zu erörtern.

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Das erste Beispiel ist das klassische Beispiel, das in der Geschichte der Philosophie von entscheidender Bedeutung geworden ist, nämlich das Beispiel, das Kant zu einer großen, neuen Entdeckung geführt hat. Wir hatten von der geometrischen Methode gesprochen, nach der die Vorgänger Kants die Philosophie zu einer Wissenschaft zu erheben bemüht waren. In der Polemik gegen diese Methode hatte Kant eigentlich die Entdeckung des fraglichen Unterschiedes gemacht, und für diese Polemik zeigt sich ihm auch sogleich die Fruchtbarkeit, und sie führt ihn ungesucht zu einer neuen, großen Entdeckung. Kant stellte sich nämlich, als er die fragliche Untersuchung führte, die Frage, was es denn mit der geometrischen Methode in der Philosophie für eine Bewandtnis habe. Die Frage führt ihn auf eine Vergleichung der Philosophie mit der Geometrie.69 Welche Bedeutung hat, so fragt sich Kant zunächst, die geometrische Methode in der Geometrie?70 Wie kommt es denn, dass sie dort von so sicherer Anwendung ist und sich als fruchtbar erweist, während alle Versuche, sie auf die Philosophie zu übertragen, fehlgeschlagen sind und zu nichts anderem geführt haben als zu neuer und noch größerer Verworrenheit? Diese eine Feststellung lässt schon eine Vermutung zu, dass nämlich der verschiedene Erfolg auf der einen und anderen Seite daraus erklärlich wird, dass hinter der geometrischen Methode in der Geometrie noch etwas anderes steht, was es erst erklärt, weshalb sie dort von so sicherer und fruchtbarer Anwendung ist. Und das zeigt sich in der Tat. Wenn wir nämlich die Einteilung der Urteile in analytische und synthetische auf die Sätze der Geometrie anwenden, so zeigt sich zunächst, dass alle Definitionen in der Geometrie analytische Urteile sind. Es zeigt sich ferner, dass alle Schlüsse in der Geometrie auch analytische Urteile sind. Sie dienen dazu, die Gewissheit der Prämissen auf die Lehrsätze zu übertragen, sie haben diese vermittelnde Rolle. Darin besteht ja, wie wir uns überzeugt haben, die Bedeutung der analytischen Urteile. Aber sie – weder die Definitionen noch die Schlüsse – sind nicht der Grund, die Quelle der

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Gewissheit der eigentlichen geometrischen Sätze selber. Diese sind nämlich in dem Bereich der bloßen Definitionen und der Schlüsse nicht enthalten, sondern zu ihnen dienen alle Definitionen und Schlüsse nur als Mittel. Wir müssen uns daher fragen: Sind die Prämissen der Geometrie und also auch ihre Lehrsätze analytische oder synthetische Urteile? Und man braucht nur einmal, wie Kant es tat, diese Frage zu stellen, um auch ihre Antwort ohne weiteres zu finden. Die Prämissen der Geometrie, die sogenannten Axiome, sind, wie Kant sagt,71 insgesamt synthetisch, folglich auch ihre sämtlichen Lehrsätze.72 Was man bis dahin bemerkt hatte, dass die Beweise der Geometrie nach dem Satze des Widerspruchs fortlaufen müssten, das hatte zu dem Trugschluss geführt, dass die geometrischen Sätze auch aus dem Satze des Widerspruchs ableitbar sein müssten. Die Geometrie hatte immer als das Vorbild einer Wissenschaft gegolten, die nach der leibnizschen Unterscheidung73 zu der Klasse der ewigen und notwendigen Wahrheiten zählt. Es war allgemein zugestanden, dass die geometrischen Wahrheiten keine Tatsachenwahrheiten, keine zufälligen Wahrheiten sind, wie Leibniz die andere Klasse bezeichnet hatte. Tatsachenwahrheiten, das war schon früher ebenso klar, lassen sich nicht aus dem Satz des Widerspruchs entnehmen. Diesen Satz hatte man nun umgekehrt und geschlossen, dass die geometrischen Wahrheiten, da sie keine Tatsachenwahrheiten seien, rein logischer Natur sein müssten, also nach der kantischen Bezeichnung analytische Urteile. Es ergibt sich also hier die Aufdeckung eines tiefliegenden Trugschlusses, der die ganze Geschichte der Philosophie bis dahin beherrscht hatte und, wie wir sagen können, die ganze Geschichte der Philosophie nach Kant mit verschwindenden Ausnahmen beherrscht, nämlich mit Ausnahme der wenigen, die sich die kantische Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen zu eigen gemacht hatten. Wenn man nämlich die leibnizsche Einteilung der Urteile in Erfahrungsurteile, und das heißt solche, die zufällige Tatsachen behaupten, und andere Urteile, die ewige bzw. notwendige Wahrheiten behaupten, nach einer

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präziseren Definition, die Kant zu Grunde legt – Urteile a posteriori und a priori –, mit der neuen kantischen Einteilung in analytische und synthetische Urteile kombiniert, dann sieht man sofort, dass diese Einteilungen sich nicht decken.74 Jede Einteilung ist für sich vollständig. Das synthetische Urteil ist definiert durch die Negation des Merkmals analytisch und die Apriorität eines Urteils durch die Negation des Ursprungs aus der Erfahrung. Nun hatte man früher geschlossen: Weil alle Urteile a posteriori synthetisch sind, darum müssten alle Urteile a priori analytisch sein, oder weil alle analytischen Urteile, wie wir uns das vorige Mal überzeugt haben,75 a priori gelten und sich jeder Kontrolle durch die Erfahrung entziehen, darum müssten alle synthetischen Urteile Urteile a posteriori sein. Da haben Sie einen typischen Denkfehler in der Philosophie, von dem die ganze bisherige Geschichte der Philosophie beherrscht wurde. Ich will hier nicht – es würde das über den Kreis meiner Aufgabe hinausführen – zu der Frage Stellung nehmen, ob die geometrischen Sätze, wie Kant im Anschluss an alle seine Vorgänger auch annimmt, Urteile a priori sind oder nicht. Worauf es hier ankommt, ist die Entdeckung, dass sie, auch wenn sie Sätze a priori sind, dennoch jedenfalls synthetisch sind. Daraus ergibt sich für die Untersuchung der Frage, welche Bewandtnis es mit diesen Axiomen hat, eine ganz neue Fragestellung, die man bis dahin umgangen hatte, und dass man sich die Auflösung der Frage zu leicht gemacht hatte. Man hatte immer nur gefragt: Sind die geometrischen Axiome a posteriori? Wenn nicht, so sind sie analytisch. Oder: Sind sie analytisch? Wenn nicht, so sind sie Urteile a posteriori. Man hatte also die beiden Einteilungen der Urteile verwechselt und diese Verwechslung beherrscht noch die gegenwärtige Philosophie. Darauf beruht die erhebliche Bedeutung dieser Überlegung und sie hat nicht etwa nur Bedeutung für die Geschichte der Philosophie.

15. Juni

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ch habe von der kantischen Entdeckung gesprochen, die sich auf die Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urteile bezieht, und daraufhin angefangen, die Bedeutung und Fruchtbarkeit dieser Entdeckung ins Licht zu setzen in Hinsicht auf das Thema dieser Vorlesung, das ich Sie bitte, dauernd im Auge zu behalten. Es kommt nicht so sehr auf die Ergebnisse der Untersuchung an, über die ich zur Zeit berichte, z. B. der fraglichen kantischen Untersuchung, bei der wir uns jetzt befinden, als vielmehr auf die Methode der Fragestellung und der Behandlung des gestellten Problems. Denn das ist die Stelle, wo die Denkfehler ihre bedeutsame Rolle spielen und an der wir vor ihnen auf der Hut sein müssen. In dieser Hinsicht ist, wie ich sagte, die erste und nächste Frage, die wir im Hinblick auf einen modernen Philosophen stellen müssen: Hat er sich die Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urteile zu eigen gemacht? Ist das nicht der Fall, so brauchen wir uns überhaupt nicht weiter mit ihm zu beschäftigen. Nun zu einer zweiten Entdeckung, die Kant auf Grund dieser Unterscheidung machte, und die die gleiche einschränkende Bedeutung hat. Wenn Sie nämlich die Klasse von Philosophen näher betrachten, die sich auf den Standpunkt dieser Unterscheidung stellt, so müssen Sie sofort an diese kleine Gruppe eine zweite Frage richten, ob sie sich nämlich die Einsicht in den synthetischen Charakter der geometrischen Urteile zu eigen gemacht habe. Wenn das nicht der Fall ist, so scheiden auch sie, wie ich Ihnen heute zeigen möchte, für eine wissenschaftliche Diskussion aus. Zunächst wollen wir einmal am zweckmäßigsten am Ende anfangen und das Ergebnis kurz ins Auge fassen. Dass in der Geometrie wie in jeder anderen Wissenschaft die Definitionen sowohl wie die Schlüsse analy-

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tische Urteile sind, das ist, hoffe ich, das vorige Mal ganz klar geworden. Wenn wir also nach dem Gehalt an synthetischen Sätzen in einem Wissenschaftsgebiet fragen, dann ist das erste, was wir zu tun haben, die Definitionen und Schlüsse sämtlich auszuscheiden: Sie kommen überhaupt nicht in Frage. So auch in der Geometrie. Und dann, wenn wir gefunden haben, dass die Lehrsätze einer Wissenschaft zwar nach dem Satz des Widerspruchs aus den Grundsätzen erschlossen werden, aber darum doch noch nicht notwendig analytische Sätze sind, dass diese Frage vielmehr von dem Charakter der Prämissen abhängt, so brauchen wir nur noch diese ersten Prämissen zu untersuchen. Sind diese auch sämtlich analytisch, dann kann in der ganzen Wissenschaft kein einziger synthetischer Satz vorkommen, wenn keine Taschenspielerei vorgenommen wird und alles mit rechten Dingen zugeht. Wir untersuchen also die Axiome der Geometrie – so nennt man diejenigen Prämissen dieser Wissenschaft, die sich nicht auf bloße Definitionen oder Folgerungen aus solchen reduzieren lassen. Nehmen Sie nun irgendeines dieser Axiome, welches Sie wollen, und Sie werden sich überzeugen, dass Sie es mit einem synthetischen Urteil zu tun haben. Das macht für den, der die Unterscheidung der beiden Klassen von Urteilen aufgefasst hat, nicht mehr die geringste Schwierigkeit. Nehmen Sie irgendeinen Satz, ich will gleich ein von Kant betrachtetes Beispiel anführen: Im Dreieck ist die Summe zweier Seiten immer größer als die dritte.76 Jede Seite ist kürzer als die Summe der beiden anderen Seiten. Dieser Satz lässt sich zwar beweisen nach dem Satz des Widerspruchs, denn man kann ihn zurückführen auf das Axiom, wonach zwischen zwei Punkten die gerade Linie die kürzeste ist. Dieser Satz ist nun seinerseits offenbar synthetisch. Denn im Begriff der geraden Linie liegt gar keine Bestimmung über die Größe, wie dieses im Prädikat unseres Urteils der Fall ist. Wenn wir die gerade Linie definieren wollen, können wir etwa sagen, sie sei eine Linie von konstanter Richtung, oder etwas ähnliches, jedenfalls ist keine Bestimmung der Größe darin enthalten. Fügen wir also eine

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solche hinzu, wie das in diesem Urteil geschieht, so kann der Satz nur synthetisch sein. Oder: Im Dreieck ist die Winkelsumme 2R. Im Begriff des Dreiecks liegt nichts als der Begriff einer Figur, die durch drei sich schneidende gerade Linien gebildet wird, aber nichts hinsichtlich der Größe der in dieser Figur anzutreffenden Winkel oder der Summe dieser Winkel. Der Satz ist also synthetisch, und so jedes andere Axiom der Geometrie. Übrigens hat Kant damit eine auch in mathematischer Hinsicht sehr bedeutsame, fruchtbare und tiefliegende Entdeckung vorweggenommen, die im 19. Jahrhundert die Mathematiker eingehend beschäftigt hat, und wer etwas von der Entwicklung der Geometrie im letzten Jahrhundert weiß, für den ist die Behauptung, dass die Axiome der Geometrie synthetische Sätze sind, eine gar nicht mehr diskutable Trivialität. Zu Kants Zeiten war das aber anders. Zu Kants Zeiten sah man zunächst immer nur auf das Eine, dass die Geometrie das Muster einer Wissenschaft darstellte, die es mit ewigen Wahrheiten zu tun hat, das Muster einer Wissenschaft, die, um es negativ zu sagen, keine Wissenschaft von Tatsachenwahrheiten ist, und Sie erinnern sich an die damals allgemein zugestandene Unterscheidung der Erkenntnisse, die unangefochten in der Philosophie galt, und deren Durchbrechung gerade das Verdienst dieser Kantischen Entdeckung darstellt, sodass die bloße Frage, die Kant an die Geometrie richtet, eine ungeheure revolutionäre Kühnheit bedeutet. Er fragte nicht: Sind die Grundsätze der Geometrie Erfahrungssätze oder logisch notwendige Wahrheiten? Denn unter den ewigen Wahrheiten konnte man sich nur solche vorstellen, die auf dem Satze des Widerspruchs beruhen, also eine logische Notwendigkeit aussprechen. Kant stellte gerade die Frage, ob wir es hier nicht mit etwas Drittem zu tun haben, mit einer Erkenntnisart, die in der traditionellen Unterscheidung der Klassen von Erkenntnissen nicht unterzubringen war, nämlich mit Urteilen, die zwar apodiktisch gelten, keine Erfahrungssätze und dennoch synthetisch sind.

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Es kommt mir hier, wie gesagt, gar nicht so sehr auf das kantische Ergebnis an, sondern auf die Fragestellung, und dabei will ich noch etwas verweilen. Wenn wir, unter Anwendung der von Kant eingeführten Begriffe, die bis dahin allgemein anerkannte Einteilung der Urteile näher definieren, so läuft sie hinaus auf die Einteilung aller Urteile in analytische einerseits und empirische andererseits. Analytische, das sind solche, die eine logische Notwendigkeit behaupten, die aus dem Satz des Widerspruchs eingesehen werden können, bloß auf Grund des Begriffes ihres Gegenstandes. Empirische andererseits sind solche, wo die Verknüpfung des Subjektsbegriffs mit dem Prädikatsbegriff auf einer Beobachtung des Gegenstands beruht, auf einer Wahrnehmung, die wir uns von ihm verschaffen müssen, also solche, die eine Erfahrungstatsache behaupten – Urteile, wie Kant sagt, a posteriori. Wenn wir diese bestimmten Begriffe zu Grunde legen, so ist sehr leicht zu sehen, dass wir es hier mit einer Einteilung zu tun haben, die jedenfalls logisch nicht vollständig ist, deren Vollständigkeit nicht rein logisch gesichert ist. Mit anderen Worten, der Satz »Jedes Urteil ist entweder analytisch oder ein Urteil a posteriori« ist seinerseits ganz gewiss kein analytischer, sondern ein synthetischer Satz. Er lässt sich aus der Definition dieser Begriffe nicht erschließen. Wenn das nämlich der Fall sein sollte, dann müsste die Einteilung auf einer logischen Disjunktion beruhen, nach dem Satze des ausgeschlossenen Dritten, und müsste also genauer lauten: Jedes Urteil ist entweder analytisch oder nicht analytisch. Dann dürfte hier also nicht »empirisch« oder »a posteriori« stehen, sondern »synthetisch«. Analytisch oder synthetisch, das ist eine logisch vollständige Disjunktion. Denn der Begriff des Synthetischen ist durch die Negation des Prädikats »analytisch« definiert. Diese Einteilung ist also sicher vollständig. Die obige Einteilung wäre auch logisch vollständig, wenn wir statt »analytisch« »nicht-empirisch« oder »a priori« hinschrieben. Denn das nicht-empirische Urteil, das Urteil a priori, ist definiert als dasjenige, das nicht ein Urteil a posteriori ist. Das wäre also auch eine logisch vollständige

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Disjunktion: a priori und a posteriori. Sie bezieht sich nicht auf den Inhalt des Urteils, sondern auf seinen Ursprung, darauf, ob sich die in ihm liegende Behauptung auf Wahrnehmung des Gegenstandes gründet oder nicht. analytisch a posteriori

synthetisch

X

a priori

Wenn wir diese beiden Disjunktionen, deren jede logisch vollständig ist, kombinieren, so kommen wir, wie man sieht, auf mehr Möglichkeiten, als man bis dahin überhaupt in Erwägung gezogen hat. Die beiden bis dahin überhaupt in Er wägung gezogenen Möglichkeiten waren die des analytischen Urteils a priori und des synthetischen Urteils a posteriori. Hier sind aber noch zwei Felder offen. Dass es keine analytischen Urteile a posteriori geben kann, davon haben wir uns schon überzeugt. Der Begriff eines solchen führt auf einen Widerspruch, denn analytische Urteile sind definiert als solche, deren Erkenntnisgrund im Begriff des Subjekts enthalten ist, die also unabhängig von jeder Beobachtung des Gegenstandes gelten. Analytische Urteile sind also immer a priori notwendig, und dies ist selbst ein analytischer Satz, und daher auch ein Urteil a priori. Die Unmöglichkeit der analytischen Urteile a posteriori ist selbst ein analytisches Urteil. Ganz anders steht es nun aber mit dem Begriff des synthetischen Urteils a priori. Wenn wir jene beiden Einteilungen, wie es bis auf Kant zu geschehen pflegte, mit einander vermengen, dann scheint allerdings der Begriff eines synthetischen Urteils a priori einen Widerspruch einzuschließen. Das wäre ja ein Urteil, das nicht analytisch und doch nicht empirisch wäre. Was diesen Fehlschluss begünstigt, ist die richtige Einsicht in den Widerspruch des Begriffs eines analytischen Urteils a posteriori. Da alle analytischen Urteile ihrem Begriff zufolge Urteile a priori sind, nahm man unbefangen und ohne weitere Prüfung an, dass auch das Umgekehrte gelte, d. h. dass alle

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Urteile a priori analytisch sein müssten, oder da, wie wir auch sagen können, alle Urteile a posteriori ihrem Begriff zufolge synthetisch sein müssten, so schloss man voreilig, dass auch das Umgekehrte gelte, d. h. dass auch alle synthetischen Urteile Urteile a posteriori sein müssten, und hielt diesen Satz für logisch gesichert. Man nahm ihn wie ein analytisches Urteil hin und versperrte sich dadurch jede mögliche Untersuchung des Tatbestandes, der damit behauptet wurde. Eine solche Untersuchung des Tatbestandes hätte ja auch gar keinen Sinn, wenn die Frage schon durch ein analytisches Urteil als entschieden gilt. Das wäre so, wie wenn man analytische Urteile an der Erfahrung bestätigen wollte. Da also eine solche Untersuchung keinen Sinn hat, was die Vorgänger von Kant recht wohl wussten, machten sie sich gar nicht erst an die Untersuchung heran, ob vielleicht solche Urteile wie die geometrischen synthetisch wären. Sie nahmen es als selbstverständlich und zwingend an, dass sie darum, weil sie offenbar keine Erfahrungstatsachen ausdrücken, analytische Urteile sein müssten. Ich will Ihnen einen Satz von Hume vorlesen, der das mit frappanter Deutlichkeit ausspricht.77 Ich wähle Hume, weil es sich hier um einen extremen Empiristen und Skeptiker handelt, der, wenn irgendjemand, prädisponiert war, die logische Notwendigkeit der geometrischen Wahrheiten in Zweifel zu ziehen. Hume sagt, die mathematischen Sätze »werden durch bloßes Denken gefunden, ohne Rücksicht auf irgend welche Tatsachen.«78 Hume hat genau diese Einteilung der Erkenntnisse zu Grunde gelegt unter dem Ausdruck »relations of ideas and matters of fact.« Das ist genau die leibnizsche Einteilung,79 nur ins Englische übertragen. Hume fährt fort: Tatsachenwahrheiten … sind nicht auf die gleiche Weise verbürgt; auch ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit – wie groß sie auch immer sei – nicht der vorhergehenden vergleichbar. Das Gegenteil jeder Tatsachenwahrheit ist immer möglich, da es niemals einen Widerspruch einschließt.80 Damit ist in voller Schärfe ausgesprochen, dass sich von jeder Tatsache das Gegenteil denken lässt. Das Gegenteil einer Tatsache kann

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niemals einen Widerspruch einschließen. Das charakterisiert die eine Klasse von Wahrheiten. Die andere dagegen, die ewige Wahrheiten darstellt, ist nicht von dieser Art. Ihre Notwendigkeit beruht darauf, dass die Annahme des Gegenteils einen Widerspruch einschließt. Sie stellen also analytische Sätze dar. Wir können also den Fehler, den typischen Denkfehler, wie er hier vorliegt, dadurch bezeichnen, dass wir eine Begriffsverwechslung aufzeigen, die darin besteht, dass man die beiden Begriffe des Analytischen und des Empirischen für kontradiktorische Gegensätze nahm, also für gleichbedeutend mit den Begriffen, die durch Negation des Gegenüberstehenden definiert sind. Man setzt also gleich: analytisch (logisch) = nicht-empirisch (a priori) oder: empirisch (a posteriori) = nicht-analytisch (nicht-logisch). Unter dieser Voraussetzung erscheinen dann Sätze, die ihrerseits synthetisch sind, nämlich die Behauptung, dass alle synthetischen Urteile a posteriori und alle Urteile a priori analytisch sind, als analytische, ja als logische Identitäten. Es ist ganz richtig, dass ein analytisches Urteil nicht empirisch, und ebenso, dass ein empirisches Urteil nicht analytisch ist. Aber diese Begriffe, und darauf kommt es hier an, sind nicht wechselseitig durch einander definiert. Man darf also, mit anderen Worten, diese Sätze nicht umkehren. Ein nicht-empirisches Urteil ist darum noch nicht analytisch, und ein nicht analytisches Urteil ist darum noch nicht empirisch. Wenn dies Definitionen wären, müssten die Sätze umkehrbar sein, und wenn die Umkehrung zulässig wäre, dann hätten wir eine Disjunktion vor uns, deren Vollständigkeit logisch gesichert wäre. Wir können also denselben Fehler auch durch die Behauptung aussprechen: Jedes Urteil ist entweder analytisch oder empirisch. Dieser in der Tat synthetische, und zwar nicht nur synthetische, sondern, um mich milde auszudrücken, zumindest äußerst fragwürdige Satz, erscheint infolge dieses Denkfehlers als ein analytisches Urteil. Seine Wahrheit erscheint als rein logisch gesichert durch den Satz des Widerspruchs. Jeder Versuch, an diesem Satz zu zweifeln, scheint auf einen logischen Wider-

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spruch zu führen. Wie sollte es auch anders sein, wenn diese beiden Begriffe wechselseitig, jeder durch die Negation des anderen, definiert sind? Der Fehler besteht, wie wir auch sagen können, darin dass man diesen Begriffen, den Begriffen des Logischen und des Empirischen, willkürlich gebildete Begriffe unterschiebt, in denen man die Definitionen dieser ursprünglich gegebenen Begriffe sieht. Man meint die Begriffe »logisch« und »empirisch« zu definieren, indem man den einen durch die Negation des anderen erklärt. Darauf beruhen alle diese Trugschlüsse, die aus dem falschen synthetischen Satz hervorgegangen sind, und die auch die Philosophie der Gegenwart in dem Maße beherrschen, dass, wenn wir sie uns alle aus ihr gestrichen denken, von der Philosophie der Gegenwart nicht viel übrig bleibt. Das will ich Ihnen jetzt zeigen, indem ich einige Beispiele dafür betrachte, wie sich die Philosophie nach Kant zu dieser Einteilung gestellt hat. Ich will also noch einmal betonen, es kommt mir hier zunächst nicht darauf an, dass die kantische Entscheidung der Frage richtig ist, was keinem Zweifel unterliegt, sondern darauf, dass er die Kühnheit besessen hat, sich diese Frage vorzulegen, nämlich ob z. B. die geometrischen Sätze, ihres nicht-empirischen Charakters ungeachtet, vielleicht doch synthetisch sind. Wer unter dem Einfluss dieses Denkfehlers steht, wird allemal genötigt sein, bei der Betrachtung irgendeines zur Diskussion stehenden Urteils, je nachdem er es für ein Urteil a priori hält, auf seinen analytischen Charakter zu schließen, oder, wenn er seinen synthetischen Charakter erkennt, auf seinen empirischen Ursprung zu schließen. Es ergeben sich also hier zwei in gewisser Hinsicht entgegengesetzte Arten, über gewisse Urteile zu philosophieren. Nehmen wir irgendein Axiom der Geometrie, das den merkwürdigen Charakter eines Urteils hat, das die anscheinend einander widersprechenden Merkmale des Synthetischen und Apriorischen in sich vereinigt. Die Philosophen, die in diesem Begriff einen Widerspruch sehen, werden in zwei einander befehdende Parteien zerspalten, von denen die einen, die den

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synthetischen Charakter des Satzes einsehen, unfehlbar genötigt sind, sich für seinen empirischen Ursprung zu erklären, die anderen, die seinen nicht-empirischen Charakter einsehen, mit dem gleichen Zwang des gleichen Denkfehlers genötigt sind, ihn für ein analytisches Urteil zu erklären, während doch die einen dem Urteil ebenso Unrecht tun wie die anderen. Wir wollen uns das durch Anschreiben klar machen und diesen gemeinsamen Denkfehler oben hinschreiben: Jedes Urteil ist entweder logisch oder empirisch. Ich nenne das einen Denkfehler, nicht weil er falsch ist, sondern weil er im Sinne einer logisch vollständigen Disjunktion genommen wird, was er nicht ist. Ich könnte ebenso gut statt dieses Satzes diese vermeintliche Identität dahinschreiben. Jedes Urteil ist entweder logisch oder empirisch. Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Logik.

Die geometrischen Axiome stammen aus der Logik.

Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen weder aus der Erfahrung noch aus der Logik.

Betrachten wir nun die Axiome der Geometrie. Da haben wir auf der einen Seite den Satz: Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung. Dieser Satz, wie ich ihn eben von Hume vorgelesen habe, wäre die Behauptung, dass es sich um Urteile a priori handelt. Auf der anderen Seite haben wir den Satz, den zuerst Kant entdeckte: Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Logik. Das ist das Eigentümliche und Instruktive der geometrischen Axiome, dass sie uns Beispiele von Sätzen darstellen, die die paradoxe Eigenschaft haben,

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diese beiden Merkmale zu vereinigen oder doch wenigstens das Problem klarzustellen, dass viele Sätze dieser Art sind. Aber das Problem ist, hoffe ich, nun klar. Wer also davon ausgeht, dass die Axiome nicht aus der Erfahrung stammen, wird genötigt, infolge dieses Denkfehlers zu schließen, dass sie aus der Logik stammen. Wer dagegen davon ausgeht, dass sie nicht aus der Logik stammen, wird genötigt, auf Grund des gleichen Denkfehlers zu schließen, dass sie aus der Erfahrung stammen. Man ist also jedes Mal genötigt, aus der Eigenschaft der Urteile, die man anerkennt, zu schließen, dass sie die gegenüberstehende Eigenschaft nicht haben können. Diese Schlüsse sind ganz äquivalent. Ob ich sage, ein Ding, das die Eigenschaft A hat, muss die Eigenschaft B haben, oder ob ich sage, ein Ding, das nicht die Eigenschaft B hat, kann nicht die Eigenschaft A haben, ist logisch äquivalent. Man nennt das die Kontraposition des Satzes. Ob ich sage »Alle A sind B« oder »Alle Nicht-B sind Nicht-A«, das ist logisch äquivalent. Insofern steht auf beiden Seiten logisch dasselbe, nur der Ausgangspunkt ist ein anderer, infolgedessen auch der Schlusssatz. Der Schlusssatz ist immer die Negation der Prämisse der Gegenseite. Kant hatte nun, indem er von dieser dogmatischen, wie er gezeigt hat gänzlich willkürlichen Behauptung, zunächst absah und den Tatbestand untersuchte, dass der Satz, der oben steht, nicht nur nicht logisch gesichert, sondern tatsächlich falsch ist, auf die Existenz von Urteilen geschlossen, die weder logisch noch empirisch sind, d. h. weder aus der Erfahrung noch aus der Logik stammen. Wir werden das nächste Mal sehen, wie sich die Philosophen nach Kant zu dieser Fragestellung gestellt haben.

17. Juni

W

ir wollen in der Überlegung weitergehen, die wir neulich begonnen haben. Fürchten Sie nicht, dass ich nun den ganzen Rest des Semesters bei der Geometrie stehen bleiben werde. Es ist dieses nur ein lehrreiches Beispiel, dessen Nutzanwendung auf philosophische Fragen wir nachher vollziehen werden. Wenn man einmal bei einem solchen Beispiel die Angelegenheit klar und gründlich durchdacht hat, so beherrscht man das Problem, um das es sich handelt – und das worum es sich handelt, wird uns am besten klar an dem Beispiel der Geometrie. Wir wissen hier genau, womit wir es zu tun haben. Wir wollen das Schema noch einmal betrachten, das ich zuletzt auf die Tafel geschrieben habe. Es sah folgendermaßen aus: Jedes Urteil ist entweder logisch oder empirisch. Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Logik.

Die geometrischen Axiome stammen aus der Logik.

Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen weder aus der Erfahrung noch aus der Logik.

Das Problem war die Vereinbarkeit der beiden Prämissen. Zwischen ihnen schien ein Widerspruch zu bestehen derart, dass, wer von der ersten Prämisse ausgeht, auf das Gegenteil der anderen schließen muss und umgekehrt. Wir hatten uns nun das Folgende überlegt. Der Schluss auf der einen und ande-

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ren Seite ist vollkommen einwandfrei, wenn man die Logik so definiert, dass sie das System derjenigen Urteile ist, die nicht aus der Erfahrung stammen, und die Erfahrung dadurch definiert, dass sie diejenigen Erkenntnisse umfasst, die nicht aus der Logik stammen, wenn das also logische Identitäten wären: Logik ≡ Erkenntnis, die nicht aus der Erfahrung, d. h. nämlich aus Beobachtung und Experiment, stammt, und Erfahrung ≡ Erkenntnis, die nicht aus der Logik stammt, wo »Logik« der Inbegriff derjenigen Sätze heißt, deren Gegenteil einen Widerspruch einschließt. Denn so sind, wenn man diese Definition zu Grunde legt, diese Schlüsse zwingend. Aber der Sinn, in dem diese Sätze tatsächlich aufgestellt werden, ist ein anderer. Man gebraucht nämlich die fraglichen Schlüsse, um das Gegenteil des auf der anderen Seite Stehenden zu beweisen, und das kann man nicht auf diese Weise. Man schließt nämlich daraus, dass die Axiome aus der »Logik« stammen, im Sinne der eben gegebenen Definition, darauf, dass sie keine synthetischen Sätze sein können, dass also ihr Gegenteil einen Widerspruch einschließt. Das ist ein ganz anderer Begriff der Logik. Ferner daraus, dass sie aus der »Erfahrung« stammen, im Sinne dieser Definition, schließt man auf die Falschheit dessen, was auf der anderen Seite steht, und also darauf, dass sie auf Beobachtung und Experiment beruhen. Das ist ein ganz anderer Begriff der Erfahrung. Logik ist hier der Inbegriff derjenigen Urteile, deren Gegenteil einen Widerspruch einschließt und Erfahrung, das ist der Inbegriff derjenigen Erkenntnisse, die aus Experiment und Beobachtung stammen. Das ist der ursprüngliche Sinn dieser Worte, und in diesem Sinne werden sie in den Schlusssätzen auch gebraucht. Aber diese Schlusssätze sind erschlichen, weil sie auf der Vertauschung der beiden Wortbedeutungen beruhen. Daraus, dass ein Satz nicht aus der Erfahrung stammt, schließt man, dass sein Gegenteil einen Widerspruch einschließt, also nicht synthetisch sein kann, und daraus, dass er nicht aus der Logik stammt, schließt man, dass er auf Experiment oder Beobachtung gegründet werden müsse. Man schiebt also dem negativen und durch bloße Ausschlie-

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ßung des anderen Begriffs definierten Begriff den positiven unter. Um diesen Schluss ausführen zu können, bedarf es einer stillschweigenden zweiten Prämisse, und das ist keine andere als der Satz, der die Brücke von dem einen Begriff zum anderen darstellt, der also die Vertauschbarkeit dieser beiden Begriffe behauptet. Ich hatte ihn so ausgesprochen: Jede Erkenntnis stammt entweder aus der Erfahrung oder aus der Logik. Darauf läuft die Behauptung der Vertauschbarkeit dieser beiden Begriffe hinaus, nur dann bilden sie eine vollständige Disjunktion, nur dann kann man von der einen Prämisse auf die Falschheit der anderen schließen. Dass diese Prämisse verschwiegen wird, beruht darauf, dass man sich ihrer nicht bewusst ist, und dass man sich ihrer nicht bewusst ist, beruht darauf, dass man sie für eine Trivialität ansieht, indem man der Meinung ist, dass hier wirklich nur ein Unterschied der Worte vorliegt, so dass man die Begriffe wegen der Identität ihres Inhalts ohne weiteres vertauschen kann. Begriffe, die identisch sind, sind vertauschbar. Dieser Satz bedarf keiner Aussprache, er versteht sich von selbst, er ist eine logische Trivialität. Der Satz aber, den man wirklich braucht, um so zu schließen, ist keine logische Trivialität, denn die beiden Begriffe sind tatsächlich verschieden, und die Behauptung ihrer Vertauschbarkeit ist selbst ein Satz, der nicht in den Kompetenzbereich der Logik gehört. Er ist ein synthetischer Satz, der also einer besonderen Begründung bedürfte. Die Aufdeckung dieses Sachverhaltes, die Erkenntnis mit anderen Worten, dass diese Alternative nicht logisch gesichert ist, die Durchbrechung der Einteilung der Erkenntnisse in logische und empirische, das ist die kantische Entdeckung, von der ich gesprochen habe, und sie bestätigte sich durch eine Betrachtung der geometrischen Axiome. Diese liefern das einleuchtendste, das nächstliegende, das frappanteste Beispiel zur Widerlegung. Wenn nämlich tatsächlich eine dritte Möglichkeit realisiert ist, so kann die fragliche Alternative erst recht nicht logisch vollständig sein. Die Möglichkeit brauchte

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gar nicht realisiert zu sein für die logische Unvollständigkeit dieser Einteilung. Diese besagt ja nur: Es liegt logisch eine dritte Möglichkeit vor. Ob aber dieser Fall verwirklicht ist, darüber ist dadurch noch nichts ausgesagt. Aber umgekehrt, dass er verwirklicht ist, erleichtert uns die Einsicht in die logische Unvollständigkeit dieser Disjunktion. Wenn es etwas wirklich gibt, so muss es erst recht logisch möglich sein, und kann keinen Widerspruch einschließen. Dass es das dritte gibt, zeigt Kant an den geometrischen Axiomen, indem er von einer vorurteilsfreien Betrachtung des Tatbestandes ausgeht, alle vorgefassten Meinungen und alle vermeintlich feststehenden philosophischen Prinzipien aus dem Auge lässt. Mögen die beiden Sätze noch so schwer zu vereinen sein, das ist eine spätere Sorge. Es kommt zunächst nicht darauf an. Es handelt sich zunächst nur darum, sich dem Tatbestand zu beugen, und aus dem folgt, dass der obige Satz nicht nur nicht logisch gesichert, sondern tatsächlich falsch ist. Aber ich wiederhole, es kommt für unseren Zweck wenig auf diese tatsächliche Falschheit an. Es kommt für uns alles auf die Einsicht in die logische Unvollständigkeit der obenstehenden Disjunktion an: Jede Erkenntnis stamme aus der Erfahrung oder der Logik. Dass diese Betrachtung nicht veraltet ist und nur historische Bedeutung für die Beurteilung der Philosophie vor Kant hat, sondern fruchtbar und nützlich, ja unentbehrlich ist, das will ich Ihnen jetzt zeigen. Dazu will ich Ihnen ein Beispiel zeigen, das wirklich im Sinne des aufgewiesenen Fehlers, der aufgedeckten Erschleichung, von diesen Sätzen bzw. diesen vermeintlichen Schlüssen Gebrauch macht. Ich sagte schon, dass, wer in dem Vorurteil befangen ist, notwendig zu einem solchen einseitigen Schluss kommen muss, je nachdem welche der beiden Eigenschaften der geometrischen Axiome ihm zunächst einleuchtet. Während nun vor Kant und bis auf Kant die ausschließliche Herrschaft der logizistischen Schlussweise bestand, hat sich die wissenschaftliche Situation seitdem sehr verändert. Ich sagte schon,81 dass die kantische

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Entdeckung einen mathematisch sehr wichtigen Sachverhalt vorweggenommen hat, der die Mathematiker des 19. Jahrhunderts beschäftigte, nämlich die Entdeckung, dass die geometrischen Axiome synthetisch sind und in diesem Sinne nicht aus der Logik stammen. Das enthält ja die Behauptung, dass ihr Gegenteil auf keinen Widerspruch führt. Sie sind nicht logisch notwendige Wahrheiten. Diese Einsicht war zu Kants Zeiten auch den Mathematikern noch vollständig fremd, aber nach ihm hat sie in der Mathematik allmählich, zunächst auf Grund der Untersuchung einzelner Beispiele, bestimmter solcher Axiome, die Herrschaft errungen. Man hat die Frage erst später in ihrer Allgemeinheit behandelt. Diese Untersuchung hat zu einer glänzenden Bestätigung der kantischen Entdeckung geführt durch den tatsächlichen Aufweis von Geometrien, in denen das eine oder andere Axiom durch die Annahme seines Gegenteils ersetzt wird, wobei alle diese Systeme, wie man heute leicht beweisen kann, niemals auf einen logischen Widerspruch führen. Dieser Umstand erklärt, dass diejenigen, die nach Kant entweder selbst als mathematische Forscher tätig waren oder doch mit den Ergebnissen der mathematischen Forschung vertraut waren, der logizistischen Schlussweise den Rücken kehren mussten. Sie sahen sich durch den scheinbar vorliegenden logischen Zwang dieser Schlussweise gezwungen, die Apriorität der Axiome preiszugeben, denn an ihrem synthetischen Charakter war nicht mehr zu zweifeln und zu deuteln. So schlossen sie auf ihren Ursprung aus der Erfahrung, d. h. auf die Notwendigkeit, sie durch Experiment oder Beobachtung zu begründen. Zunächst ein Beispiel von philosophischer Seite. Ich wähle das Beispiel eines besonders berühmten, ja eines heutzutage geradezu gefeierten Philosophen, eines Philosophen, in dem mancher den Höhepunkt in der ganzen Entwicklung der Geschichte der Philosophie sieht, ein Beispiel von Hegel. Wenn wir zeigen können, dass die berühmtesten Köpfe in der von mir angegebenen Weise verfahren sind, so können wir a fortiori schließen, dass es sich bei der Mehrzahl der anderen

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auch so verhalten wird. Es bedarf dafür dann keines an besonderen Beispielen geführten Beweises mehr. Hegel82 hat in seinen Vorlesungen über Naturphilosophie – unter diesem Titel sind sie in seinen Werken erschienen – die Kantische Lehre von dem synthetischen Charakter der geometrischen Axiome angegriffen, und zwar versucht er, einen Gegenbeweis zu führen an Hand des Kantischen Beispiels, das ich neulich genannt habe,83 nämlich des Axioms, dass die Gerade die kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Hegel ist so kühn, den Beweis dieses Satzes zu führen. Er lautet folgendermaßen:84 »Dass aber jene Definition« (wir stutzen schon, er nennt das eine Definition) »analytisch ist, erhellt leicht, indem die gerade Linie sich auf die Einfachheit der Richtung reduziert, die Einfachheit aber in Beziehung auf Menge genommen, die Bestimmung der geringsten Menge, hier des kürzesten Weges gibt.«85 Dieser Satz hat den großen Vorteil, zum mindesten verständlich zu sein. Wir haben das Glück, seinen Sinn auffassen zu können, was nicht bei allen hegelschen Sätzen der Fall ist. Wir können daher auch an die Prüfung seiner Richtigkeit gehen. Hegel beruft sich hier mit gutem Recht darauf, dass in jenem Satz die gerade Linie als eine solche Linie betrachtet wird, die, wie er sagt, durch die Einfachheit der Richtung ausgezeichnet ist. Damit ist freilich noch nichts über die Größe ausgesagt, es ist noch keine quantitative Bestimmung in diesem Begriff enthalten. »Die Einfachheit aber, in Beziehung auf Menge genommen, gibt die Bestimmung der geringsten Menge.« Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Erstens nämlich kommt in ihr gar nichts davon vor, dass es sich um die Verbindung zweier Punkte handelt, eine Voraussetzung, die sehr wesentlich ist, denn kein Mathematiker wird behaupten, dass jede Gerade kürzer sei als jede Krumme. Es handelt sich nur um die möglichen Verbindungen zweier Punkte und um die Behauptung, dass unter diesen die Gerade die kürzeste ist. Wir können daher vorhersagen, dass der Beweis falsch sein wird, da er von der Voraussetzung, die in der Behauptung vorkommt, keinen Gebrauch macht. Der Beweis würde zu viel

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beweisen, es würde nämlich wirklich folgen, dass jede Gerade kürzer ist als jede Krumme. Aber das Wesentliche ist folgendes. Der Schluss beruht auf einer Prämisse, die fast ausgesprochen ist. Wenn wir uns nämlich an die Worte halten, dass »die Einfachheit aber, in Bezug auf Menge genommen, die Bestimmung der geringsten Menge gibt«,86 so haben wir den großen Vorteil, die Prämisse namhaft machen zu können, auf die Hegel das Axiom durch seinen Beweis zurückführt. Diese Prämisse lautet nämlich: Das in Beziehung auf die Richtung Einfachste ist auch das in Beziehung auf die Menge Einfachste. Wenn wir diesen Satz zu Grunde legen, lässt sich also von der Einfachheit der Richtung auf die Einfachheit der Menge, der Größe schließen. Allgemein: Das qualitativ Einfachste muss auch das quantitativ Einfachste sein. Dieser Satz hat nun zunächst die Eigentümlichkeit, dass er seinerseits zweifellos synthetisch ist, also gewiss untauglich zur Nachweisung, dass die geometrischen Axiome analytisch sind. Denn wenn man zum Beweis eines Satzes eine synthetische Voraussetzung braucht, so kann, wie wir wissen, der Satz selbst nicht analytisch sein. Schon daran scheitert der hegelsche Gegenbeweis. Ferner aber ist dieser Satz nicht nur synthetisch und infolgedessen fragwürdig, sondern auch falsch, wie man sich leicht überzeugen kann. Ein philosophisch geschulter Mathematiker, nämlich Schloemilch, hat schon seinerzeit Hegel die treffende Antwort gegeben, die, weil sie so schlagend ist, verdient, bekannt zu werden. Er sagt nämlich, dass man nach jenem Axiom, dass das qualitativ Einfachste auch das quantitativ Einfachste sein müsse, nur die Worte: »Gerade«, »Krumme«, »Linie« zu ersetzen brauche durch die Worte: »weiße«, »bunte«, »Jacke«, um den Schlusssatz zu erhalten, dass eine weiße Jacke allemal kürzer ist als eine bunte.87 Ein zweites Beispiel. Es gibt eine berühmt gewordene Abhandlung, auf die sich die Philosophen, die heutzutage noch auf logizistischem Standpunkt in Bezug auf die geometrischen Urteile stehen, zu berufen pflegen, weil dort schon damals der Beweis der Falschheit des kantischen Satzes, dass die Axi-

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ome der Geometrie synthetisch seien, erbracht worden sei. Es ist dies die Abhandlung von Zimmermann in den Wiener »Sitzungsberichten der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften« vom Jahre 1871. Diese Abhandlung trägt den nicht übel gewählten Titel »Über Kants mathematisches Vorurteil und dessen Folgen«, und sie gipfelt in dem Satze: »Wenn die mathematischen Urteile nicht synthetisch sind, so fehlt Kants ganzer Vernunftkritik der Boden.«88 Der Verfasser gibt zu, dass, wenn man Kant den einen Satz zugibt, gegen seine sämtlichen Folgerungen nichts einzuwenden ist. Aber dieser Satz sei falsch, und das sei die Folge seines mathematischen Vorurteils. In der Tat eines Vorurteils, das, wie ich gezeigt habe, heute sämtliche Mathematiker teilen. Zimmermann gibt zu, dass im Begriff der Geraden in der Tat nur, wie Kant sagt, eine qualitative Bestimmung liegt und noch keine quantitative, wie sie das Prädikat hinzufügt. Aber, sagt Zimmermann, Kant unterdrückt bei seiner Argumentation über den synthetischen Charakter dieses Axioms die Bestimmung »zwischen zwei Punkten«. Diese Bestimmung fügt dem Begriff der Geraden gerade das hinzu, was im Prädikat wiederholt wird, nämlich das Merkmal des Kürzesten. Diese Bestimmungen seien identisch. Ich will Ihnen wörtlich vorlesen: »In diesem Zusatz »zwischen zwei Punkten« nun ist allerdings eine Größenbestimmung und zwar genau dieselbe enthalten, welche das Prädikat »kürzeste« ausdrückt. Der Satz ist gründlich analytisch!«89 Wir wollen das einmal unter Vorbehalt zugeben. Es wird für die weitere Untersuchung wie immer in einem solchen Fall das Richtigste sein, anstelle des erklärten Ausdrucks die Erklärung einzusetzen, das heißt also: Die Gerade, die die kürzeste ist, ist die kürzeste. Zweifellos, dieses ist ein analytisches Urteil. Die Frage ist nur, ob das der Sinn des Satzes ist, den die Geometer mit ihm zu verbinden pflegen, und den infolgedessen auch Kant mit ihm verbunden hat. Das ist offenbar nicht der Fall. Die Frage ist nämlich jetzt, ob ein anderer Satz als der nunmehr vor uns stehende synthetisch ist, nämlich der, dass die Gerade die kürzeste Verbindungslinie

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zweier Punkte ist. Das ist in der Tat ein anderer Satz als der: Die Gerade, die die kürzeste ist, ist die kürzeste. Um diesen Satz dreht es sich bei der Untersuchung. Es ist hier nicht mehr möglich, im Subjektsbegriff ein Merkmal aufzufinden, in das sich das Prädikat hineingeheimnissen lässt. Das verfängliche Wort »zwischen« kommt hier nicht mehr vor. Wir schreiben einfach: »Die gerade Verbindungslinie zweier Punkte ist die kürzeste«, oder, um mit Zimmermann zu reden, »ist zwischen beiden Punkten«. Dieser Satz, sage ich, ist ganz bestimmt synthetisch. Er hat, wie man sieht, die größte praktische Bedeutung. Er lässt sich zu Prophezeiungen gebrauchen, zu technischen Nutzanwendungen von der erheblichsten Tragweite, was bei nur analytischen Sätzen keineswegs jemals möglich sein wird. Ich kann z. B. aufgrund dieses Satzes vorhersagen, dass, wenn ich auf dem kürzesten Wege von Berlin nach Paris reisen will, ich sicherlich nicht diese Absicht erreichen werde, wenn ich die Route über Stockholm wähle, eine Vorhersage, die sich gewiss nicht auf den Satz des Widerspruchs gründen lässt. Wenn man, um dies abzustreiten, wie vorhin in das Wort »zwischen«, so jetzt in das Wort »Verbindungslinie« etwas von Kürze hineingeheimnissen wollte, wenn man sagen wollte, das Wort »Verbindungslinie« drücke eine quantitative Bestimmung aus, die im Prädikat »kürzeste« wiederholt werde, so wird man sehen, auf welche Ungereimtheiten man kommt. Wenn jede Verbindungslinie zweier Punkte die kürzeste wäre, so würde folgen, dass es entweder keine krummen Linien gibt, oder dass jede krumme Linie gerade ist, oder was dergleichen fabelhafte Folgerungen mehr sind. Zu solchen Ungereimtheiten kommt man, wenn man den Satz vom synthetischen Charakter der geometrischen Axiome angreift. Es lohnt nicht, länger bei diesem logizistischen Unternehmen zu verweilen. Wir wollen uns der anderen Seite zuwenden, der Gegenseite, und zwar will ich hier nicht das Beispiel von Philosophen anführen, dafür mag das Gesagte genügen, sondern von Mathematikern, die mit der Wahrheit dieses Satzes gut vertraut waren und von mathematischer Seite her die Entdecker dieses Satzes geworden

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sind. Wenn wir dann zeigen können, dass so hervorragende und scharfsinnige Mathematiker in den aufgewiesenen Fehler verfallen sind und immer wieder verfallen, so werden wir über die Nützlichkeit solcher logischen Betrachtungen anders denken.

22. Juni

I

ch habe mich das vorige Mal damit beschäftigt, den typischen Denkfehler, vor dem ich Sie warnen will, an dem Beispiel des geometrischen Logizismus auseinanderzusetzen, und es ist nun, wie ich schon angekündigt habe, meine Absicht, das heute an dem Beispiel der entgegengesetzten Auffassung zu erläutern, an dem Beispiel des geometrischen Empirismus, der Ansicht, dass sich die Geometrie auf Erfahrung gründet, und das heißt hier auf Experiment und Beobachtung. Man kommt zu dieser Ansicht auf Grund eines Trugschlusses, wie wir bereits eingesehen haben, nämlich des Trugschlusses, der von der Feststellung des synthetischen Charakters der geometrischen Axiome, also ihres nicht logischen Ursprungs, ausgeht. Sie erinnern sich des Schemas, das ich an die Tafel geschrieben habe,90 und das dieses Verhältnis anschaulich macht. Es ist hier wie bei einem System kommunizierender Röhren, wo, wenn man die Flüssigkeit in der einen Röhre zum Sinken bringt, sie um ebenso viel in der anderen steigt und umgekehrt. Mit dem Scheitern des geometrischen Logizismus war unmittelbar der Umstand in der Geschichte der Wissenschaft verbunden, dass an seine Stelle der geometrische Empirismus trat. Von diesem will ich heute sprechen. Den gemeinsamen Fehler, der auf beiden Seiten zu Grunde liegt, habe ich schon gezeigt. Wir können ihn kurz nennen: die dogmatische Disjunktion der Erkenntnisquellen. Er besteht in der stillschweigend gemachten Voraussetzung, dass jede Erkenntnis entweder der Logik oder der Erfahrung entstammen muss, einer Voraussetzung, die nur wegen ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit nicht besonders ausgesprochen und erst recht nicht erörtert und nachgeprüft wird. Diese Selbstverständlichkeit beruht auf einer Vertauschung der Begriffe. Man definiert (ich will es einmal anschreiben) die Erfahrung

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als dasjenige, was nicht Logik ist, und entsprechend die Logik als dasjenige, was nicht Erfahrung ist: Erfahrung ≡ nicht Logik ≡ Inbegriff der Sätze, die nicht aus dem Satz des Widerspruchs eingesehen werden können. Logik ≡ nicht Erfahrung ≡ nicht aus der Induktion (Experiment und Beobachtung).

Man braucht das nur einmal so hinzuschreiben, um sofort zu sehen, dass hier sowohl das Wort »Erfahrung« wie das Wort »Logik« in zwei ganz verschiedenen Bedeutungen gebraucht ist. Denn hier steht Erfahrung definiert als nicht Logik, als nicht aus dem Satz des Widerspruchs folgend, und hier als aus Induktion stammend, d. h. aus Experiment und Beobachtung, und kein Mensch wird diese beiden Begriffe »aus dem Satz des Widerspruchs stammend« und »nicht aus Experiment und Beobachtung stammend« identifizieren. Diese fälschliche Gleichsetzung liegt aber hier vor, und darauf beruht der Denkfehler, mit dem wir uns jetzt beschäftigen. Man kann die stillschweigend gemachte Voraussetzung, wie sie der Logizismus gebraucht, so formulieren: Eine Erkenntnis, die nicht aus Induktion stammt, muss auf den Satz des Widerspruchs gegründet werden. Dem entsprechend ergibt sich ein Scheinaxiom, aus dem der Empirismus seine Stütze zieht. Man kann es so aussprechen: Eine Erkenntnis, die sich nicht auf den Satz des Widerspruchs gründen lässt, muss auf Induktion und das heißt auf Experiment und Beobachtung gegründet werden. Diesen Satz wollen wir jetzt ein wenig näher ins Auge fassen. Wir wollen uns überlegen, was das für ein Satz ist. Ich behaupte, dieser Satz, so wie er für die fragliche Argumentation in der Tat gebraucht wird, ist selbst nicht logisch notwendig, er ist seinerseits ein synthetisches Urteil. Wenn wir diesen Satz so explizite hinschreiben, wird deutlich, dass er seinerseits sicherlich nicht auf dem Satz des Widerspruchs beruht. Wir können ihn verneinen, ohne im geringsten auf einen Widerspruch zu stoßen. Denn es ist ja nicht gesagt, dass es nicht

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außer Experiment und Beobachtung noch ganz andere Erkenntnisquellen gibt, unabhängig vom Satz des Widerspruchs. In der Annahme einer solchen dritten Erkenntnisquelle liegt durchaus kein Widerspruch. Dieser Satz läuft darauf hinaus, die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori zu leugnen. Wir können ihn geradezu so formulieren: Synthetische Urteile a priori sind unmöglich. Da ist denn klar, dass, wenn man den synthetischen Charakter eines Urteils nachgewiesen hat, z. B. an den Axiomen der Geometrie, dann nach diesem Satz folgt, dass diese Urteile nicht Urteile a priori sein können, sondern nur auf Experiment und Beobachtung beruhen können. Nun sage ich, dieser Satz »synthetische Urteile a priori sind unmöglich«, ist selbst jedenfalls ein synthetisches Urteil, wie ich gezeigt habe, ich behaupte aber zweitens, er ist ein Urteil a priori. Er ist also ein synthetisches Urteil a priori. Warum ist er ein Urteil a priori? Das Kriterium der Apriorität eines Urteils ist, nach der kantischen Erklärung, der dieses Wort gebraucht hat, strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit.91 Dass diese hier vorliegt, ist klar, denn hier steht das Wort »unmöglich«. Solche Behauptungen lassen sich niemals auf Experiment und Beobachtung gründen. Das Experiment und eine Beobachtung beziehen sich an und für sich immer nur auf einzelne Fälle, auf zufällige Tatsachen, wo wir bestenfalls mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auf noch nicht beobachtete Fälle extrapolieren können, niemals aber berechtigt sind, das Wort »unmöglich« auszusprechen. Also ist dieser Satz ganz bestimmt ein synthetisches Urteil a priori, und das ist für die Behauptung, die er ausspricht, ein einigermaßen fataler Umstand, denn er behauptet nichts anderes, als die Unmöglichkeit von synthetischen Urteilen a priori. Ich will jetzt an einigen Beispielen zeigen, welcher Verbreitung und welches Ansehens sich dieser Satz erfreut, und es wird am überzeugendsten sein, wenn ich solche Denker heranziehe, deren Leistung auf dem Gebiet der exakten Wissenschaft unumstritten dasteht. Unter denen, die sich um die Förderung der Exaktheit gerade derjenigen Wissenschaft, die

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auch sonst schon diesen Namen trug, besonders verdient gemacht haben, nimmt eine besondere Rolle der Begründer der mathematischen Logik ein, der verdienstvolle Schröder, dessen Vorlesungen über die Algebra der Logik92 ja bekannt sind. Dieser Mann, der gewiss einen Begriff davon hatte, was zur Exaktheit wissenschaftlichen Denkens erforderlich ist, hat unsere fragliche Voraussetzung unzweideutig ausgesprochen, indem er sagt: »Dass Wahrnehmung die Urquelle aller Erkenntnis sei, wird – nachdem die Verfechter »angeborener« Erkenntnisse aus dem Felde geschlagen sind – nur noch von Denjenigen bestritten, die eine »göttliche Offenbarung« annehmen«.93 Nun wollen wir der Billigkeit halber annehmen, dass Schröder hierbei von analytischen Urteilen abgesehen hat, dass er gewiss nicht hat behaupten wollen, dass auch die analytischen Urteile, der Satz der Identität und des Widerspruchs selbst, auf Wahrnehmung begründet werden müssen. Wir wollen uns also auf die synthetischen Urteile beschränken, denn dass die analytischen Urteile Urteile a priori sind, davon haben wir uns schon überzeugt. Wir haben diesen Satz seinerseits als ein analytisches Urteil erkannt. Er steht also außerhalb jeder Diskussion. Nun, auf die Gefahr hin, dass man mich zu den Vertretern des Offenbarungsdogmas rechnet, erlaube ich mir, diesen Satz anzuzweifeln. Wir wollen zu diesem Zweck nur die eine Frage stellen: Woher weiß denn der, der ihn ausspricht, dass die Wahrnehmung die Quelle aller Erkenntnis sei? Woher stammt und worauf gründet sich die Allgemeinheit dieser Behauptung? Die Wahrnehmung kann sicherlich nicht ihre Quelle sein, denn es ist allgemein zugegeben, dass die Wahrnehmung auf einzelne, zufällige Tatsachen geht und allenfalls eine Behauptung rechtfertigt, die sich auf eine endliche Anzahl von Fällen erstreckt, niemals aber eine solche, die über eine unendliche Anzahl von Fällen eine Aussage macht. Man kann also nicht von allen Erkenntnissen etwas behaupten, wie das hier geschieht, ohne die Kompetenz der Wahrnehmung, und das heißt hier der Beobachtung und des Experiments, zu überschreiten.

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Ein anderes Beispiel. Ostwald, der verdienstvolle Chemiker, behauptet in seinen Vorlesungen über Naturphilosophie,94 und er behauptet es nicht nur, sondern es ist dies gleichsam der Grundsatz, auf dem er diese Wissenschaft zu gründen unternimmt:95 »Für den heutigen Naturforscher giebt es keine Erkenntniß a priori und daher auch kein apodiktisches Wissen. […] Auf Kant’s Hauptfrage: Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? antworten wir: Urtheile a priori sind überhaupt nicht möglich und alles Wissen stammt aus der Erfahrung.«96 »Man darf daher nur eine Wahrscheinlichkeit von 1 /∞ = 0 dafür annehmen, daß irgend eine ins Unbegrenzte erstreckte oder absolute Behauptung die Wahrheit trifft.«97 Nun wenn irgend etwas eine ins Unbegrenzte erstreckte oder absolute Behauptung ist, so ist es diese, dass Urteile a priori überhaupt nicht möglich sind, und da die Wahrscheinlichkeit Null dafür besteht, dass irgend eine solche Behauptung die Wahrheit trifft, so besteht also die Wahrscheinlichkeit Null dafür, dass diese Ostwaldsche Behauptung die Chance hat, richtig zu sein. Sie ist also ganz sicher falsch. Es steht mit diesen empiristischen grundsätzlichen Überlegungen nicht besser als mit dem bekannten Sophisma des lügenhaften Kreters. Epimenides, der Kreter, sagt: Alle Kreter lügen. Angenommen nun, es ist wahr, dass alle Kreter Lügner sind, dann gilt das auch für die Aussage dieses Kreters. Seine Aussage ist also ganz gewiss falsch. So verhält es sich auch mit dieser empiristischen Behauptung. Dasselbe können wir auch bei zahllosen anderen Autoren finden. Ich erwähne noch Mach als einen der berühmtesten, der in seinen Schriften die These verfochten hat, dass alle Erkenntnis aus der Beobachtung stammt.98 Diese Namen mögen hier genügen. Nun aber kehren wir noch einmal zurück zur Geometrie, um die Anwendung dieses Dogmas, das wir soeben gefunden haben, zu zeigen. Die Kritik, die ich jetzt üben werde, soll nicht so verstanden werden, als ob es in meiner Absicht läge, die Verdienste der großen Männer herabzusetzen, die ich jetzt angreifen werde. Ich bin vielmehr dazu gezwungen durch alle

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diejenigen, die die fraglichen Lehren dieser Mathematiker als gleichsam von einer Autorität stammend benutzt haben, um daraus weittragende philosophische Konsequenzen zu ziehen. Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Es ist leider eine bei Dilettanten sehr verbreitete Unsitte, zu glauben, die Verdienste großer Männer dadurch heraufzusetzen, dass man sich gerade an ihre Fehler klammert, denn die wahren Entdeckungen dieser großen Männer sind dem Verständnis meist weniger leicht erreichbar. Gleich einer der ersten unter den Entdeckern der nicht-euklidischen Geometrie, von der ich schon gesprochen habe, Gauß bietet hier ein Beispiel. Gauß hatte die Möglichkeit einer nicht-euklidischen Geometrie entdeckt, d. h. er hatte entdeckt, dass es möglich ist, das euklidische Parallelenaxiom, wonach in einer Ebene zu einer Geraden durch einen Punkt außerhalb dieser Geraden nur eine nichtschneidende Gerade möglich ist, zu verneinen und auf dieser Annahme ein konsequentes widerspruchsfreies System der Geometrie zu gründen. Dies war für die damalige Zeit eine äußerst paradoxe, überraschende Entdeckung, die Gauß selbst aufs Äußerste befremdet hat, ein Umstand, der sich eben daraus erklärt, dass damals noch allgemein die Überzeugung herrschte, dass man es bei den geometrischen Axiomen mit analytischen Urteilen, also mit Sätzen rein logischen Charakters, zu tun habe, ein Umstand, der sich seinerseits wieder aus der Apriorität erklärt, von der man hinsichtlich dieses Satzes allgemein überzeugt war. Da nun, wo der nicht logische Ursprung eines geometrischen Axioms zu Tage getreten war, hatte die fragliche Voraussetzung die Konsequenz, dass auch die Apriorität dieses Satzes nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, und so schreibt Gauß, dass seine Entdeckung ihn zu der Überzeugung gebracht hätte, dass sich die Geometrie nicht vollständig a priori entwickeln ließe.99 Nicht vollständig, dieses Wort deutet darauf hin, dass er nur die Apriorität desjenigen Axioms in Frage stellte, dessen synthetischen Charakter er erkannt hatte, während er an der Apriorität der übrigen Axiome zu zweifeln keinen Grund hatte. Die gleiche

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Schlussweise finden wir bei dem anderen Begründer der nichteuklidischen Geometrie, dem Zeitgenossen von Gauß, Lobatschewski. Bei ihm findet sich die Äußerung, dass, da der Parallelensatz keine notwendige Folge unserer Begriffe vom Raum ist, das heißt also ein synthetischer Satz ist, könne nur die Erfahrung, er fügt hinzu, z. B. die wirkliche Messung von den drei Winkeln eines geradlinigen Dreiecks, also Experiment und Beobachtung, die Wahrheit dieser Annahme bestätigen.100 Lobatschewski hat in der Tat Messungsmethoden für die Ausmessung astronomischer Dreiecke ausgedacht, um die Richtigkeit des genannten Axioms empirisch nachzuprüfen. Es ist bekannt, dass Gauß eine solche Messung an einem irdischen Dreieck veranstaltet hat, an dem Dreieck Brocken – Inselsberg – Hoher Hagen.101 Es hat sich allemal ergeben, dass die Winkelsumme von dem Betrag von 180° jedenfalls nicht mehr abweicht als die Beobachtungsfehler betragen. Der dritte große Name auf diesem Gebiet ist Riemann. Er sagt, daraus, dass die Sätze der Geometrie sich nicht aus allgemeinen Größenbegriffen ableiten lassen – wieder mit der gleichen Schärfe und Präzision die Voraussetzung des synthetischen Charakters der fraglichen Urteile –, sei zu schließen, dass diejenigen Eigenschaften, durch welche sich der Euklidische Raum von anderen denkbaren dreifach ausgedehnten Mannigfaltigkeiten unterscheidet, nur aus der Erfahrung genommen werden könnten.102 Es ist höchst wahrscheinlich, dass Lobatschewski sowohl wie Riemann die fraglichen kantischen Untersuchungen aus der Kritik der reinen Vernunft nicht gekannt haben. Anders ist es mit Helmholtz, auf den hauptsächlich die Verbreitung des geometrischen Empirismus zurückzuführen ist. Ich will Ihnen eine prägnante Stelle vorlesen, an der Helmholtz diese Frage berührt. Er spricht da allerdings nicht gerade von dem Parallelaxiom, sondern von den Kongruenzaxiomen. Helmholtz war bereits zu diesen fortgeschritten und es hatte sich, indem er die gleichen Untersuchungsmethoden auf die anderen Axiome ausgedehnt hatte, allemal herausgestellt, dass man es mit Sätzen synthetischen Charakters zu tun hat,

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deren Gegenteil auf keinen Widerspruch führt. Es gilt dies also auch für die Kongruenzsätze. Helmholtz sagt: »Wenn wir aber Denknotwendigkeiten auf diese Annahme freier Beweglichkeit fester Raumgebilde mit unveränderter Form nach jeder Stelle des Raumes hin bauen wollen,« – es läuft dies auf eine andere Formulierung der Kongruenzaxiome hinaus – »so müssen wir die Frage aufwerfen, ob diese Annahme keine logisch unerwiesene Voraussetzung einschließt. Wir werden gleich nachher sehen, dass sie in der Tat eine solche einschließt, und zwar eine sehr folgenreiche. Wenn sie das aber tut, so ist jeder Kongruenzbeweis auf eine nur aus der Erfahrung genommene Tatsache gestützt.«103 Hier wird also mit klaren Worten aus dem nichtlogischen Ursprung der Axiome auf ihren empirischen Ursprung geschlossen, ein Schluss, der zweifellos als zweite Prämisse das hier stehende Scheinaxiom voraussetzt. Das Bemerkenswerte und geschichtlich Interessante hieran ist, dass Helmholtz sich bewusst gegen Kant wendet und die kantische Lehre von der Geometrie mit dieser Argumentation zu widerlegen sucht. Er widerlegt sie also, indem er sich auf eine Voraussetzung stützt, deren Bestreitung gerade der Inhalt der kantischen Lehre gewesen war. Die Argumentation ist also eine deutliche petitio principii. Wie wenig Helmholtz mit den Überlegungen, die Kant schon lange vor ihm über den Gegenstand angestellt hatte, vertraut war, geht schlagend aus einer anderen Äußerung hervor, die gerade in dem Zusammenhang, in dem wir uns mit der Sache beschäftigen, besonderes Interesse verdient. Er rühmt nämlich den englischen Logiker John Stuart Mill, den ich gelegentlich schon erwähnt habe, wegen einer bedeutenden logischen Entdeckung. Er sagt: »Mill war der erste, der diese wichtige Unterscheidung machte, nämlich diejenigen Eigenschaften, welche in die Definition eines Begriffs hineingehören, und die an und für sich zusammen genommen genügend sind, die Definition festzustellen, von denjenigen Eigenschaften zu unterscheiden, die außerdem noch immer bei den einzelnen Dingen vorhanden sind, die unter den Begriff fallen.«104 Hier

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wird also einem englischen Logiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts die Entdeckung zugeschrieben, die das unsterbliche Verdienst und der Ausgangspunkt für Kant gewesen war, nämlich die Entdeckung des Unterschiedes der analytischen und der synthetischen Urteile. Eine interessante Wendung ist in der Diskussion über den Ursprung der geometrischen Axiome durch die Intervention von Poincaré, dem französischen Mathematiker, den ich auch schon gelegentlich erwähnte, herbeigeführt worden. Das große Verdienst Poincarés besteht darin, dass er, und zwar unabhängig von Kant, die Ansicht wieder zur Geltung gebracht hat, dass dieser geometrische Empirismus unhaltbar ist, dass diese Lösung jedenfalls nicht befriedigen kann, denn, wie er zeigt, sind die geometrischen Axiome gar keine Sätze, die sich auf experimentelle Forschung oder Beobachtung beziehen, sondern sie sind, wie er sich ganz kantisch ausdrückt, ohne es zu wissen, apodiktische Wahrheiten, und als solche, d. h. als streng allgemeine und notwendige Sätze, können sie nicht aus der Erfahrung stammen.105 Hier gerät nun Poincaré naturgemäß in eine große Verlegenheit, denn die Rückkehr zum geometrischen Logizismus war ihm versperrt durch die längst festgestellte Tatsache des synthetischen Charakters dieser Sätze. Die Verlegenheit bestand also darin, dass er hier Sätze vor sich hatte, die sich offenbar ebenso wenig auf Erfahrung wie auf Logik gründen. Für denjenigen, der bei vorurteilsfreier Forschung, bei reiner Wahrheitsliebe, von den Tatsachen ausgeht gegenüber allen Vorurteilen und Dogmen, kann es gar kein schöneres Beispiel geben als das Verhalten, das Poincaré in diesem Konflikt eingenommen hat. Er hat die Vorurteilsfreiheit besessen, diese Verlegenheit unumwunden zuzugestehen, nämlich die Unmöglichkeit, die geometrischen Axiome auf Erfahrung oder auf Logik zu gründen. Damit waren aber die beiden überhaupt zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen erschöpft, und die Ehre, die er der Wahrheit erwies, ging so weit, dass er einen Verzweiflungsakt beging und die Konsequenz zog, die allein

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übrig blieb, dass nämlich die geometrischen Axiome überhaupt keine Urteile sind, da alle Urteile entweder aus der Erfahrung oder aus der Logik stammen. Wir wollen uns unseres Schemas jetzt noch einmal erinnern:106 Jedes Urteil stammt entweder aus der Logik oder aus der Erfahrung. Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen aus der Logik.

Die geometrischen Axiome stammen nicht aus der Logik.

Die geometrischen Axiome enthalten keine Erkenntnisse.

Die geometrischen Axiome stammen aus der Erfahrung.

Die geometrischen Axiome stammen aus einer dritten Erkenntnisquelle.

Er ging aus von der dogmatischen Disjunktion der Erkenntnisquellen. Der geometrische Empirismus und Logizismus waren ihm verschlossen. Er entdeckte, dass hier noch eine weitere Voraussetzung vorhanden ist, nämlich die zwar recht trivial erscheinende, aber, wie er meinte, dennoch fragwürdige Voraussetzung, dass die geometrischen Axiome überhaupt Urteile sind, nämlich Erkenntnis enthalten, Erkenntnis vom Raum bzw. von räumlichen Gebilden. Diese Voraussetzung muss man auf beiden Seiten hinzunehmen und sein Verzweiflungsakt besteht darin, diese Voraussetzung aufzuheben. Er schließt so, indem er die beiden richtigen Voraussetzungen auf beiden Seiten vereinigt, und aus der dogmatischen Disjunktion der Erkenntnisquellen, auf den Satz: Die geometrischen Axiome enthalten keine Erkenntnis. Sie sind nämlich, wie er sagt, bloße Konventionen, willkürliche Festsetzungen. Auf diese Weise entgeht er sowohl dem geometrischen Logizismus wie dem geometrischen Empirismus. Wir sehen, der Zwang zu dieser fatalen Konsequenz liegt in einer Vorausset-

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zung, die man nicht bemerkt hat, die auch Poincaré nicht bemerkte, die man aber nur fallen zu lassen braucht, um aus dieser ganzen Verlegenheit herauszukommen. Man schließt dann aus den beiden Voraussetzungen links und rechts unter Hinzunahme der anderen, dass die Axiome eine Erkenntnis enthalten, die synthetische Urteile a priori enthält.

24. Juni

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ch habe mich das vorige Mal am Schluss etwas kurz fassen müssen, weil die Stunde zu Ende war. Es handelte sich um das Beispiel von Poincaré, und wie bei den anderen Autoren, mit deren Ansichten ich mich auseinandergesetzt habe, will ich Ihnen auch von diesem seine eigenen Worte vorlesen, damit Sie sich selbst ein Urteil bilden können. Die Übersetzung des Buches, um das es sich hier handelt, La science et l’hypothèse, ist sehr schlecht und ich warne Sie, sich an sie zu halten. Das ist umso bedauerlicher, als das französische Original ein Muster an Klarheit, Schönheit und Prägnanz der Sprache ist. Ich will Ihnen zwei Stellen vorlesen aus meiner eigenen Übersetzung: »Sind die geometrischen Axiome, wie Kant behauptet, synthetische Urteile a priori, sie würden dann für uns eine solche Notwendigkeit haben, dass es uns unmöglich wäre, ihr Gegenteil zu denken und auf diesem ein theoretisches Lehrgebäude zu errichten. Es würde keine nicht-euklidischen Geometrien geben.«107 Diesen Schluss wollen wir uns einmal einen Augenblick ansehen. »Sie würden dann für uns eine solche Notwendigkeit haben, dass es uns unmöglich wäre, ihr Gegenteil zu denken, und auf diesem ein theoretisches Lehrgebäude zu errichten.« Dann nämlich, wenn sie, wie Kant behauptet, synthetische Urteile a priori wären. Nun kann sich dieses »dann« offenbar nicht auf das Merkmal »synthetisch« beziehen. Dieser Umstand allein schließt ja die Möglichkeit, das Gegenteil zu denken, gewiss nicht aus. Wenn es sich um Erfahrungssätze handelt, so ist es ja sofort klar. Es braucht nur ein synthetisches Urteil a posteriori zu sein. Es muss die Apriorität sein, auf die sich dieser Schluss gründet. Es handelt sich also hier um die Meinung, ein Urteil, dessen Gegenteil sich widerspruchslos denken lässt, kann kein Urteil a priori sein. Das ist jene dogmatische Disjunktion der Erkenntnisquel-

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len, die hier nur in neuer Formulierung ausgesprochen ist. Was so irreführend für Poincaré war und für viele andere Denker geworden ist, ist der Ausdruck «Notwendigkeit« oder »Unmöglichkeit des Gegenteils«. Man kann in einem gewissen Sinn mit gutem Recht sagen, dass die geometrischen Axiome als Urteile a priori betrachtet in der Tat von der Notwendigkeit sind, dass ihr Gegenteil bzw. die Möglichkeit ihres Gegenteils ausgeschlossen ist. Aber die Frage ist, worauf beruht diese Ausschließung? Beruht sie auf einem inneren Widerspruch in der Annahme dieses Gegenteils oder auf anderen Gründen? Widerstreitet die Annahme des Gegenteils des fraglichen Satzes sich selbst oder einer anderweit feststehenden Erkenntnis, z. B. unserer Anschauung des Raumes oder der räumlichen Gebilde, von denen das fragliche Axiom handelt? Wir müssen also untersuchen, ob die Unmöglichkeit des Gegenteils auf einem inneren Widerspruch in der Annahme dieses Gegenteils beruht oder bloß auf einem Widerstreit in Bezug auf eine anderweit feststehende Erkenntnis.108 In diesem Fall, mag die Erkenntnis eine solche a priori oder a posteriori sein, ist es noch immer möglich, das Gegenteil des fraglichen Satzes ohne inneren Widerspruch zu denken, und mehr ist in unserem Falle nicht verlangt. Die Möglichkeit, das Gegenteil zu denken und auf diesem ein theoretisches Lehrgebäude zu errichten, ist immer vorhanden bei synthetischen Sätzen. Die Frage, ob es synthetische Urteile a priori oder a posteriori sind, wird dadurch gar nicht berührt. Es liegt also hier unzweifelhaft die dogmatische versteckte Voraussetzung zu Grunde, dass Urteile a priori nur analytische Urteile sein können. Eine andere Stelle. Die bisherige bezog sich nur auf die Frage der Apriorität. »Woher stammen die ersten Prinzipien der Geometrie? Sind sie uns durch die Logik auferlegt? Lobatschewski hat gezeigt, dass dem nicht so ist, durch seine Schöpfung der nicht-euklidischen Geometrien. Entspringen die geometrischen Axiome aus der Erfahrung? Eine vertiefte Untersuchung zeigt uns, dass dies nicht der Fall ist.« Hier haben Sie die beiden Sätze links und rechts, die beiden Prämissen unseres

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Schemas, und den klaren Schluss daraus: »Wir werden daher schließen, dass diese Prinzipien bloße Konventionen sind.«109 »Bloße Konventionen sind«, das heißt keine Erkenntnisse enthalten können. Denn, wenn sie dies täten, so müssten sie entweder analytische Urteile oder synthetische a posteriori sein. Das erste, dass sie analytische Urteile sind, ist ausgeschlossen durch Lobatschewskis Beweis der Widerspruchslosigkeit des Gegenteils. Das zweite, dass sie Urteile a posteriori wären, ist ausgeschlossen durch ihren apodiktischen Charakter, durch ihre Allgemeinheit und Notwendigkeit. Also, schließt Poincaré, können sie überhaupt keine Erkenntnis enthalten. Hier ist also wieder die versteckte Voraussetzung, die ihm nicht bewusst geworden ist, ganz deutlich, nämlich der Satz: Alle Erkenntnis muss entweder der Logik oder der Erfahrung entstammen. Ich denke, dass ich das Schema nicht noch einmal anzuschreiben brauche, das ich das vorige Mal vervollständigt habe mit Rücksicht auf diese Deutung, die Poincaré uns mit seiner konventionalistischen Schlussweise vorgelegt hat. Im übrigen, zu welchen unhaltbaren Konsequenzen sie führt, das habe ich bei einer anderen Gelegenheit110 schon gezeigt. Es sind hier dieselben Gründe für Poincaré zwingend, wie wir sie dort in Hinsicht auf die Sätze der Physik betrachtet hatten. Endlich will ich als ein letztes Beispiel erwähnen, dass der Fehler, von dem wir hier sprechen, leider auch in der neuesten Erörterung des Gegenstandes, nämlich derjenigen, die Einstein gegeben hat, eine erhebliche Rolle spielt. Es ist das in dem Akademie-Vortrag Einsteins über Geometrie und Erfahrung111 aus der jüngsten Zeit, wo diese Frage des Ursprungs der geometrischen Axiome erörtert wird. Das Hauptargument, nicht das einzige, wie ich hinzufügen muss, an das sich andere gleichsam nebenher anschließen, liegt in der Schlussweise, wie wir sie bei den anderen Mathematikern kennen gelernt haben, die ich als Beispiele genannt habe. Einstein bezieht sich hier auf die neuere sogenannte axiomatische Geometrie. Man versteht darunter diejenige Behandlung dieser Wissenschaft, die für jeden Satz, den sie einführt, genau untersucht, welches

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die zu seinem Beweise notwendigen und hinreichenden Voraussetzungen sind. Diese Methode eignet sich in der Tat vorzüglich gerade dazu, dasjenige, was an der Geometrie logischen Ursprungs ist, zu trennen von dem, was anderswoher hinzukommt. Man kann hier die Ergebnisse nur negativ ausdrücken. Denn das einzige, was auf diese Weise festzustellen ist, ist der negative Sachverhalt, dass sich ein Satz nicht logisch erweisen lässt, also andere Erkenntnisquellen voraussetzt. Ob diese in der Erfahrung liegen oder anderswo, darüber lässt sich durch diese Methode gar nichts entscheiden. Das nun übersieht Einstein, indem er aus dem nicht logischen Ursprung der Sätze auf ihren empirischen Ursprung schließt. Er sagt: »Nur das Logisch-Formale bildet gemäß der Axiomatik den Gegenstand der Mathematik, nicht aber der mit dem Logisch-Formalen verknüpfte anschauliche oder sonstige Inhalt.«112 In der Tat, die axiomatische Mathematik sieht vollständig von dem sonstigen Inhalt ab, sie betrifft überhaupt nur die logischen Beziehungen zwischen den Sätzen. »Eine solche gereinigte Darstellung … zwar …, macht es aber auch …, dass die Mathematik als solche weder über Gegenstände der anschaulichen Vorstellung noch über Gegenstände der Wirklichkeit etwas auszusagen vermag, und dass der Punkt, die Gerade, u.s.w. in der axiomatischen Geometrie inhaltsleere Begriffsschemata bedeuten. Was ihnen Inhalt gibt, das gehört nicht zur Mathematik.«113 So weit kann und muss man vollkommen einverstanden sein, denn hier wird immer nur jener negative Sachverhalt behauptet, dass sich bei Anwendung dieser Methode gewisse Sätze als solche nicht logischen Ursprungs zeigen. Was hier nun so irreführend wirkt, ist der Umstand, dass das Wort Mathematik hier in einem besonderen Sinne gebraucht wird, nämlich in dem Sinne von axiomatischer Mathematik, d. h. derjenigen Behandlungsweise der Wissenschaft, die die logischen Beziehungen zwischen den Sätzen untersucht, mit denen sie es zu tun hat. Also Fragen wie die, ob ein Satz aus dem anderen logisch erweisbar ist oder nicht, ob ein System von Sätzen widerspruchslos ist oder nicht, ob ein

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Satz für den Beweis eines anderen notwendig ist oder nicht. Derartige Fragen sind es, mit denen die so definierte Mathematik es allein zu tun hat. Daraus nun, dass sich ein Satz der Kompetenz der so definierten Mathematik entzieht, lässt sich nichts schließen über den Ursprung dieses Satzes, es sei denn der negative Schluss, dass er nicht aus der Logik stammt. Dieser negativen Definition schiebt nun aber Einstein wieder den positiven Begriff der Erfahrung unter, nämlich des Ursprungs aus Experiment und Beobachtung, aus der Induktion, wenn er sagt: »Die so gereinigte Geometrie« nämlich durch die … der nicht logischen Voraussetzungen, die für ihre Anwendung gebraucht werden, »ist offenbar eine Naturwissenschaft. Wir können sie geradezu als ein … zu dem der Physik betrachten. Ihre Aussagen beruhen im wesentlichen auf Induktion aus der Erfahrung, nicht aber nur auf logischen Schlüssen.«114 In allen diesen Sätzen ist das Negative unanfechtbar, nur das Positive beruht auf einem Trugschluss. »Nicht nur auf logischen Schlüssen – also auf Induktion aus der Erfahrung«. Was ist nun für uns das Wichtige und Lehrreiche, was wir aus allen diesen Beispielen zu lernen haben? Wir lernen daraus die Gefahr kennen, die noch heute nicht nur für Philosophen, sondern auch für Mathematiker, die wissen, was Strenge des Schließens und überhaupt Strenge des Denkens ist, besteht, in jenen scholastischen Logizismus zurückzufallen, auf den man heute mit Verachtung herabzusehen gewöhnt ist und von dem man sich durch eine Welt getrennt glaubt, zumal wenn man Empirist ist. Eine Frage, die einen Tatbestand betrifft, nämlich die, ob eine Vorstellung aus der Erfahrung stammt oder nicht, eine solche Frage wird hier nicht mit der ihrer Natur angemessenen Methode wie sonst eine Frage nach dem Tatbestand untersucht, sondern wird hier entschieden durch ein Argument aus dem Satz des Widerspruchs, durch eine logizistische Erschleichung, nämlich durch die Zuhilfenahme einer willkürlichen Definition, der man dann den anderen Begriff unterschiebt, so dass man also dem aus der Definition sich ergebenden zwingenden analytischen Urteil versteckter-

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weise ein synthetisches Urteil unterschiebt. So in unserem Fall, wo man dem analytischen Satz, dass ein synthetisches Urteil aus der Erfahrung stammt, wo Erfahrung negativ definiert ist als Inbegriff der Sätze nicht logischen Ursprungs, den synthetischen Satz unterschiebt, dass das fragliche Urteil auf Induktion beruhen muss. Der Fehler zeigt sich noch von einer anderen Seite in einem bedeutsamen Licht. Sie werden bemerkt haben, dass allemal die fraglichen Trugschlüsse von einem indirekten Beweis Gebrauch machen. Man griff polemisch die gegenüberstehende Ansicht des Gegners an, der Logizist die Ansicht des Empiristen, der Empirist die des Logizisten, und aus der ganz richtigen Behauptung der Falschheit der gegenüberstehenden Ansicht zog man den Schluss auf die Richtigkeit der eigenen positiven Behauptung. Diese indirekten Beweise spielen in der Philosophie eine ungeheuer verderbliche Rolle, verderblich darum, weil man, wenn ein solcher indirekter Beweis Nutzen bringen soll, allemal erst den Beweis dafür führen muss, dass zwischen der zu widerlegenden Annahme und der zu beweisenden Behauptung eine vollständige Disjunktion besteht, sonst lässt sich von der Negation des einen Satzes nicht auf die Position des anderen schließen, und die Notwendigkeit, einen solchen Beweis der Vollständigkeit der vorausgesetzten Disjunktion zu führen, übersieht man, und der daraus erfolgenden Aufgabe entzieht man sich, indem man auf Grund der aufgewiesenen Erschleichung die Disjunktion rein logisch gesichert wähnt. So im fraglichen Fall die Disjunktion: empirisch – logisch. Diese Disjunktion wäre logisch gesichert, wenn der eine Begriff durch die Negation des anderen definiert wäre. Dann aber lässt sich daraus auch allemal nur auf den trivialen negativen Satz schließen, der uns nicht weiter bringt, der uns immer nur zur Bestreitung einer gegnerischen Meinung dient und niemals den Übergang erlaubt zur Aufstellung der eigenen positiven Annahme. Nun wird man vielleicht sagen, dass solche kritischen Zergliederungen, wie ich sie hier an den fraglichen Schlüssen vor-

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genommen habe, unfruchtbar seien, da es ja viel zweckmäßiger wäre, sogleich zur Entscheidung der sachlichen Frage selbst zu schreiten. In allen diesen Stunden ist die Frage, ob die geometrischen Axiome synthetische Urteile a priori sind oder nicht, immer wieder aufgeschoben und nicht beantwortet worden, ja es ist nicht einmal ein Schritt zu ihrer Beantwortung getan, und das könnte langweilig erscheinen. Aber Sie werden doch den Nutzen dieser Auseinandersetzung gesehen haben an den Beispielen von sachlicher oder wenigstens sachlicher Versuche der Entscheidung der Frage, die ich vorgeführt habe. Alle diese Versuche, von so großen Männern sie auch angestellt sind, erweisen sich als Erschleichungen, als Trugschlüsse, weil sie versäumt haben, vor der Inangriffnahme der sachlichen Frage selbst eine solche logische Prüfung der fraglichen Frage vorzunehmen. Wenn man eine Frage mit Aussicht auf Erfolg entscheiden will, so muss man sich über den Sinn der Frage zuerst restlos klar sein. Man muss wissen, wonach man fragt, welche Behauptung man zur Diskussion stellt, welche Behauptung man widerlegen will, welche Konsequenzen die eine oder andere Behauptung einschließt. Solange man darüber keine Klarheit besitzt, ist es vergeblich, zur Auflösung der sachlichen Schwierigkeit zu schreiten, und solange hat man keine Hoffnung, jemals zur Entscheidung und zur Klarheit über die Frage des Ursprungs der geometrischen Axiome zu kommen, mag auch noch so viel Mühe daran gewendet werden wie im verflossenen Jahrhundert. Es werden weitere Jahrhunderte vergehen und der Streit wird sich immer weiter hinziehen, bis man sich einmal entschließt, eine solche logische Vorfrage nach dem, was hier eigentlich zur Diskussion steht, zu stellen. Wie nimmt sich gegenüber den erfolglosen Streitigkeiten, die das 19. Jahrhundert und noch die gegenwärtige Zeit um die Frage führt, wie nimmt sich demgegenüber die kantische einfache Fragestellung durch ihre Präzision aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Durch die Präzisierung dieser Frage ist es Kant mit einem Schlage gelungen, diese ganze Diskussion des nachfolgenden Jahrhunderts

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vorwegzunehmen. Da vergleiche man nun einmal ein Urteil wie das folgende, das ich auch nur vorlese, weil es typisch ist, von einem Manne, der ein gut Teil seines Lebens auf die Darstellung, die Interpretation, Erläuterung dieser kantischen Lehre verwandt hat, von dem Philosophen Paulsen. Er spricht von der Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urteile bei Kant und der darauf gegründeten Missverständlichkeit der Fragestellung: Sind synthetische Urteile a priori möglich? »Man darf wohl sagen, es wäre besser gewesen, wenn sie überhaupt nicht erfunden worden wäre. Sie hat nicht aufklärend, sondern verwirrend auf den Stand der Untersuchung eingewirkt. […] Die missverständliche Formulierung der Frage der Kritik ist wohl mit schuld daran, dass in den nachkantischen Arbeiten zur Erkenntnistheorie das eigentliche Problem, um welches es sich in dem Streit zwischen Rationalismus und Empirismus handelt, so oft verfehlt worden ist.«115 Das ist das Urteil eines Mannes, der ein gut Teil seines Lebens der Aufgabe gewidmet hat, diese kantische Lehre klarzumachen. Wie kann man es anderen verübeln, wenn sie den Sinn dieser Frage verfehlt haben. Alles dieses war ein Exkurs, zu dem ich in dieser Vorlesung veranlasst wurde durch eine andere kantische Fragestellung, nämlich durch die von Kant zuerst gestellte Frage, warum denn die Anwendung der geometrischen Methode, wie man sie damals nannte, auf die Philosophie so unfruchtbar ist, warum es nichts nützt, die in der Mathematik bewährte Methode auf die Philosophie zu übertragen, warum alle diese Versuche fehlgeschlagen sind und den Streit und die Verwirrung in der Philosophie nur noch vermehrt haben. Wir werden jetzt die Antwort auf die Frage leicht mit Kant geben können. Vielmehr, wir werden die Frage selbst etwas präziser stellen, so wie es auch Kant getan hat, um sie beantworten zu können. Wir wollen nämlich erst einmal fragen: Wie erklärt sich denn der Erfolg und die Fruchtbarkeit der sogenannten geometrischen Methode in der Geometrie? Diese Frage bedarf der Untersuchung, denn wir wissen ja, dass das Wesentliche dieser soge-

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nannten geometrischen Methode in nichts anderem besteht als in der Strenge des logischen Schließens, und wenn die Geometrie nicht über einen anderen, viel tiefer liegenden Vorzug verfügt als über den der Strenge ihrer Beweise, so wäre der Erfolg der geometrischen Methode in der Geometrie ebenso rätselhaft wie der Misserfolg in der Philosophie. Denn die logischen Schlüsse und die aus ihnen bestehenden Schlussketten, die Beweise, also auch das ganze System dieser Beweise selbst, das ja selbst nur aus analytischen Urteilen besteht, ist an und für sich so unfruchtbar wie nur irgend sonst analytische Urteile sein können. Der Nutzen und die Fruchtbarkeit des Gebrauchs dieser rein analytisch-logischen Formen muss also anderswoher hinzukommen. Er kommt natürlich hinzu durch den Inhalt von Erkenntnissen, wie sie in den Axiomen und infolgedessen auch in den aus ihnen folgenden Lehrsätzen niedergelegt sind. Die Eigentümlichkeit dieser Erkenntnisse selbst ist es, was den Erfolg und die Fruchtbarkeit der geometrischen Methode in der Geometrie bedingt, von der sie ihren Namen hat. Eine einfache Vergleichung der geometrischen Axiome mit den philosophischen Grundsätzen, auf die die Anhänger der geometrischen Methode in der Philosophie ein System zu bauen unternommen hatten, zeigt dies sofort. Während nämlich in der Geometrie die allgemeinsten Grundsätze, von denen die Beweise ausgehen, an und für sich klar und evident sind, sind die entsprechenden allgemeinen Grundsätze der Philosophie durchaus dunkel und verworren, ja je allgemeiner sie sind, desto verworrener, desto dunkler sind sie. In der Geometrie ist es gerade umgekehrt. Die allgemeinsten Sätze der Wissenschaft sind die einleuchtendsten, und deshalb kann man von ihnen ausgehen in der sicheren Erwartung, bei hinreichender Strenge des Schließens zu immer neuen, sicheren Resultaten fortzuschreiten. Der Mangel einer entsprechenden Evidenz für die philosophischen Prinzipien ist der Grund für das Fehlschlagen aller Versuche, die geometrische Methode auf die Philosophie zu übertragen. Diese Methode besteht ja darin, von der unmittelbaren Aufstellung

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der allgemeinsten Sätze der Wissenschaft auszugehen und alles weitere durch Schließen abzuleiten. Bei diesem Vorgehen hebt man in der Geometrie vom Evidentesten und Klarsten an, in der Philosophie vom Dunkelsten und Verworrensten. Daraus folgt denn auch eine fruchtbare Regel für die Methode der Philosophie. Man kann dort nur hoffen, zu fruchtbaren Ergebnissen zu kommen, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt, statt vom Dunkelsten und Verworrensten von dem ausgeht, was das Klarste und Einleuchtendste ist, und das sind die besonderen Wahrheiten, die nicht selbst schon allgemeine Gesetze darstellen. Ich habe darüber schon zu Anfang der Vorlesung gelegentlich gesprochen. Das Allgemeinste ist uns in der Philosophie das am schwersten Erreichbare, wir sind uns aber sicher in besonderen Urteilen, in der Beurteilung einzelner vorliegender Fälle. Und wir gelangen zu dem allgemeinen Prinzip, das der Beurteilung des Einzelfalles zu Grunde liegt, nur dann mit Sicherheit, wenn wir wirklich von der Beurteilung des Einzelfalles ausgehen und schrittweise durch Abstraktion von dem besonderen Gehalt, der die Einzelfälle auszeichnet, aufsteigen zu dem allgemeinen Prinzip, das zunächst nur dunkel unserer Beurteilung zu Grunde liegt. Es muss also eine regressive Methode sein, eine solche, die vom Besonderen zum Allgemeinen, die von den Folgen zu den Gründen aufsteigt, und erst dann, wenn wir mit diesem Regressus einmal am Ziel sind, wenn wir wirklich die Abstraktion vollendet haben, wenn die Grundsätze bzw. obersten Prämissen in unserem Besitz sind, dann, aber auch nur dann, kann uns die Anwendung der geometrischen Methode auch in der Philosophie Dienste leisten. Was ich eben von den Grundsätzen gesagt habe, gilt entsprechend auch für die Begriffe, deren sich die eine und die andere Wissenschaft bedient, und demgemäß von der Rolle der Definitionen in der einen und anderen Wissenschaft. Zu jeder Definition, die man aufstellt, gehört, wenn sie fruchtbar sein soll, allemal ein aus ihr selbst nicht abzuleitender synthetischer Satz, denn nur ein solcher kann uns Aufschluss

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geben darüber, ob es so etwas wie das definierte Gebilde überhaupt gibt oder ob der definierte Begriff nicht vielleicht gegenstandslos ist und wir es also mit einer bloßen Fiktion zu tun haben. Es war z. B. für Leibniz sehr leicht, durch Definition den Begriff seiner Monaden einzuführen oder noch bestimmter den Begriff einer schlummernden Monade durch die Erklärung, eine solche sei eine einfache Substanz mit dunklen Vorstellungen. Auf diese Annahme seiner Monaden gründet er dann das System seiner Philosophie. Aber dieses ganze System ruht doch nur auf einer Fiktion, denn es fehlt die Sicherstellung der Existenz des fraglichen Gebildes. Und wie sollte wohl der Beweis der Existenz in einem solchen Falle geführt werden, wo hätten wir eine Erkenntnis, aus der wir diesen Beweis herleiten könnten? Ganz anders in der Geometrie. Wenn der Geometer etwa seinen Kegel definiert als ein Gebilde, das durch Drehung eines rechtwinkligen Dreiecks um eine seiner Katheten entsteht, so besteht gar keine Unklarheit und Unsicherheit über die Frage, ob wir es vielleicht mit einem gegenstandslosen Begriff, mit einer bloßen Fiktion, zu tun haben. Denn die Ausführung der in der Definition liegenden Vorschrift der Konstruktion eines solchen Gebildes überzeugt uns ohne weiteres von der Existenz des definierten Begriffs. Ebenso leicht lässt sich durch Definition der Begriff eines regulären Siebzehnflächners bilden. Aber so gewiss, wie wir vorher der Existenz des definierten Gegenstandes waren, so leicht vergewissern wir uns hier, dass wir es mit einer bloßen Fiktion zu tun haben. Wenn wir es nun in der Philosophie der geometrischen Strenge nachtun wollen und durch Definition neue Begriffe einführen wollen, so sieht man jetzt, wohin das führt. Es handelt sich nicht nur darum, nicht bloße Fiktionen einzuführen, sondern um etwas noch viel Tieferliegendes und Folgenreicheres. Wir haben es hier in der Philosophie zunächst überhaupt nicht mit definierten Begriffen zu tun, sondern die philosophischen Begriffe stehen schon vor der Definition fest, und wenn wir eine Definition für sie geben wollen, haben wir nicht allein die Existenz des defi-

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nierten Gebildes zu beweisen – und wir werden schon daran vermutlich scheitern –, sondern wir haben auch zu beweisen, dass dasjenige, was wir durch Definition einführen, identisch ist mit dem, was wir durch den schon vor der Definition vorhandenen Begriff denken. Unterlässt man dies, so werden die beiden Begriffe verwechselt und die Eigenschaften, die den Gegenständen des einen Begriffs zukommen, übertragen auf die Gegenstände des anderen Begriffs. So entstehen die Erschleichungen, von denen wir in den bisher angeführten Beispielen schon eine Reihe kennen gelernt haben. Ich will jetzt diese Beispiele der Geometrie verlassen und das nächste Mal analoge Beispiele aus der Philosophie vorführen.

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ch war neulich116 zu der Frage zurückgekommen, bei der wir früher schon einmal den Faden der Untersuchung fallen gelassen hatten, zu der Frage nämlich, warum denn die Nachahmung der in der Geometrie bewährten Methode in der Philosophie nichts ausrichtet. Die Auflösung dieser Schwierigkeit ergab sich uns durch eine einfache Untersuchung der Frage, weshalb denn diese Methode in ihrer Anwendung auf die Geometrie eigentlich so fruchtbar ist. Der bloße Name »geometrische Methode«, der diese Eignung zur geometrischen Erkenntnis ausdrückt, sagt darüber noch gar nichts aus. Denn das Problem bleibt: Warum lässt sich die Methode des strengen logischen Schließens, bei der man vom Allgemeinsten ausgeht, auf die geometrische Erkenntnis mit Nutzen anwenden? Erst diesem Tatbestand verdankt sie ja den Namen »geometrische Methode«. Die Antwort auf diese Frage ergab sich durch die einfache Beobachtung des Umstandes, dass die geometrischen Axiome, d. h. die allgemeinsten Sätze, von denen die Geometrie ausgeht, das Klarste und Einleuchtendste im ganzen Bereich dieser Wissenschaft sind; daher die Methode, über besondere Wahrheiten dieser Wissenschaft dadurch zur Entscheidung zu kommen, dass man sie auf die allgemeineren zurückführt. In der Philosophie findet man nichts zu dem Analoges, sondern das gerade Gegenteil. Die allgemeinsten Sätze dieser Wissenschaft sind gerade die dunkelsten und verworrensten, und wir haben keine andere Hoffnung, jemals über sie zur Klarheit, zur Einigkeit zu kommen, als den Weg der Untersuchung, den wir von der Mathematik her gewöhnt sind, gerade umzukehren und das Allgemeinste, das dort den Ausgangspunkt bildete, das Festeste und Sicherste, den Boden, von dem aus alle anderen Fragen erst entschieden werden können, zum Ge-

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genstand des Problems zu machen und den Ausgangspunkt in den besonderen Wahrheiten zu suchen, in den einzelnen Erfahrungsurteilen, in denen wir alle einig sind, weil hier Klarheit besteht. Diese Erfahrungsurteile müssen wir als Ausgangspunkt nehmen und sie zergliedern, d. h. rückwärts nach ihren allgemeineren Voraussetzungen forschen, die ihnen, wenn auch nur dunkel, zu Grunde liegen. Denn wir können nur durch einen stetigen Übergang von dem, was das Klarste ist, schrittweise auch das weniger Klare allmählich zur Klarheit bringen eben dadurch, dass wir uns klar machen, dass das an und für sich Dunkle als stillschweigende Voraussetzung zu dem gehört, was uns klar ist. Also das, was uns klar ist, kann nur dann richtig sein, wenn auch jene dunkel zu Grunde liegenden Voraussetzungen richtig sind. In dieser Entdeckung, in diesem kühnen Schritt der Umkehrung der Methode, die man von der Geometrie her gewöhnt war, und von deren Anwendung auf die Philosophie man sich das Heil für diese Wissenschaft versprach, liegt die große Tatsache, die den Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie bezeichnet. Ihr ist es zu verdanken, dass die Philosophie auch zur Wissenschaft erhoben werden kann, so wie es bei der Mathematik durch die umgekehrte Methode gelungen ist. Wir wollen uns den Umstand, der hier entscheidend ist, noch einmal klar vor Augen führen. Wir können ihn aussprechen in der Feststellung einer Tatsache, die die menschliche Erkenntnis beherrscht, einer Tatsache, die es als solche anzuerkennen gilt, vor der wir uns zu beugen haben, der Tatsache, dass das Einfachere und Allgemeine für unser Bewusstsein gerade das Schwierigere und Spätere ist. Das Zusammengesetzte und Besondere steht uns früher vor dem Bewusstsein als das Einfachere, Allgemeine. Man darf hier nicht einem Missverständnis verfallen. Wenn ich sagte, man habe in der Philosophie von dem Besonderen der gemeinen Erfahrung auszugehen und von da erst den Übergang zu dem Einfacheren, Allgemeinen zu suchen, so darf diese regressive Methode nicht verwechselt werden mit einer anderen, einer sonst schon

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bekannten regressiven Methode, nämlich mit der der Naturwissenschaft, mit der Methode der Induktion.117 Die Induktion ist auch ein Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen, von den Folgen zu den Gründen. Aber bei der Induktion findet dieser Übergang auf dem Wege des Schließens statt. Der Naturforscher schließt von beobachteten Einzeltatsachen auf das ihnen zu Grunde liegende allgemeine Gesetz. Der Übergang ist, wie wir sagen können, ein solcher von den Folgen zu ihren Realgründen, in der Philosophie aber handelt es sich um den Übergang von den Folgen zu ihren Erkenntnisgründen, zu den Gründen also, die logisch bei der Behauptung der Folgen schon vorausgesetzt sind, also gewiss nicht erst aus diesen erschlossen werden können. Die regressive Methode der Philosophie darf also nicht als ein Schlussverfahren angesehen werden. Es handelt sich um gar kein Schlussverfahren, sondern um die logische Zergliederung vorhandener gegebener Behauptungen, Zergliederungen nämlich daraufhin, welche Voraussetzung diese Behauptung einschließt. Diese Zergliederung ist notwendig, damit wir uns dieser Voraussetzungen, die wir faktisch machen, auch bewusst werden. Erst wenn dieser Regressus vom Besonderen zum Allgemeinen vollendet ist, erst wenn wir durch ihn schrittweise aufgestiegen sind zum Bewusstsein der allgemeinsten Voraussetzungen unserer besonderen Erfahrungsurteile, dann ist die Zeit gekommen, ein System der Philosophie zu errichten, und das heißt nichts anderes, als die gefundenen allgemeinen Sätze zum Ausgangspunkt eines progressiven Schlussverfahrens zu machen. Ein einfaches Beispiel einer solchen logischen Zergliederung, ein Beispiel, das uns klar machen soll, dass es sich hier nicht um einen Induktionsschluss handelt, ist das folgende. Jeder Mensch, der ein wenig des Rechnens kundig ist, bedient sich, wenn er eine lange Addition ausgeführt hat, zur Kontrolle der Umkehrung der Reihenfolge der Glieder der fraglichen Summe. Wenn er dann bei umgekehrter Reihenfolge durch die Addition zu dem gleichen Ergebnis kommt, dann hat er eine Kontrolle der Richtigkeit der zuerst ausgeführten Addi-

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tion. Dieser Methode bedient sich jeder unbefangene Mensch, aber nur wenige sind sich bewusst, dass sie überhaupt ein allgemeines Gesetz dabei voraussetzen, und noch wenigere können das allgemeine Gesetz angeben, auf dessen Gültigkeit die Brauchbarkeit dieses Kontrollverfahrens beruht. Das allgemeine Gesetz der Arithmetik, dass a + b = b + a ist, dieses Gesetz wird durch die Zergliederung des allgemein üblichen und zugestandenen Verfahrens, in besonderen Fällen nämlich, aufgewiesen, musste durch ein solche zergliedernde Methode entdeckt werden. Dasselbe, was ich damit für die Sätze der Wissenschaft gesagt habe, gilt nun in entsprechender Weise für die Begriffe, die dazu gebraucht werden. Die Einführung der Begriffe vollzieht sich in der Mathematik, besonders in der Geometrie, durch Definition, natürlich unter Zugrundelegung irgendwelcher einfacher elementarer Begriffe. Aber diese werden ihrerseits durch willkürliche Kombination zur Einführung neuer Begriffe verwendet. Weshalb lässt sich nun diese Methode der Einführung der Begriffe in der Philosophie nicht anwenden? Hier ist der bemerkenswerte Umstand entscheidend, dass die Begriffe, deren sich der Philosoph zu bedienen hat, schon vor der Definition feststehen, im Gegensatz zu denen der Mathematik, die erst durch willkürliche Definition gebildet werden. Ich hatte das Beispiel des Kegels neulich angeführt. Das ist ein Begriff, den der Geometer durch Definition einführt, und zwar durch eine Definition, die eine Vorschrift enthält für eine Konstruktion des fraglichen Gegenstandes, durch deren Befolgung er den fraglichen Gegenstand in der Anschauung darstellen kann. Daher ist bei der Anwendung dieser Methode in der Geometrie nicht zu befürchten, dass man gegenstandslose oder gar widerspruchsvolle Begriffe einführt. Denn auf Grund der Axiome ist der erforderliche Existenzbeweis allemal mehr oder weniger leicht zu führen. In der Philosophie ist, wie ich schon sagte, dieses Verfahren nicht zulässig, weil wir die fraglichen Begriffe dort schon vor der Definition haben, also vor der Auseinanderlegung der in

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ihnen vorausgesetzten Elementarbegriffe und des Verfahrens, nach dem sie zusammenzusetzen sind, um den fraglichen Begriff zu ergeben. Die philosophischen Begriffe werden nämlich dunkel von uns jederzeit vorausgesetzt, indem wir sie auf konkrete Fälle anwenden. Wir benutzen also die Begriffe schon ehe wir davon Rechenschaft geben können, beispielsweise ehe sie sich etwa definieren lassen. Das ist an Beispielen sehr leicht zu sehen. Solche Begriffe, deren sich jedermann im täglichen Leben, bei den gemeinsten Erfahrungsurteilen bedient, sind z. B. die Begriffe der Wahrheit, des Daseins, der Möglichkeit, der Notwendigkeit, der Bewirkung, der Kausalität, der Gemeinschaft u.s.f. Alle diese Begriffe haben wir bereits, ehe wir etwa daran gehen, sie durch Definition einführen zu wollen. Noch deutlicher wird dies an Beispielen aus dem Gebiet der praktischen Philosophie, insbesondere der Ethik. Derartige Beispiele sind die Begriffe von Wert und Unwert, von Verdienst und Schuld, Pflicht, Verbindlichkeit, Strafe, Recht und ähnliche. Die Einführung eines Begriffs durch Definition würde erfordern, dass wir den Beweis der Existenz für das definierte Gebilde führen. Wir haben aber in der Philosophie nicht eine Anschauung, auf die wir verweisen können, um den fraglichen Gegenstand vorzuführen, sodass jeder Zweifel an seiner Existenz sich dadurch zerstreuen ließe, so wie wir durch Rotation eines rechtwinkligen Dreiecks um eine seiner Katheten die Möglichkeit und Existenz des Kegels in der Anschauung vorführen können. Die Gegenstände der Philosophie ermangeln dieser Anschaulichkeit, sie sind nur denkbar. Kein Mensch hat eine Anschauung und wird hoffen können, sich eine solche zu verschaffen von der Notwendigkeit, der Möglichkeit, dem Naturgesetz, der Kraft, der Kausalität, der Pflicht, des Ideals, der Schuld und solcher Begriffe, wenn er auch recht wohl einzelne Gegenstände in der Anschauung aufweisen kann, die er auf Grund jener Begriffe beurteilt, die er jenen Begriffen im Urteil unterordnet. Man kann allerdings in der Anschauung Geschehen vorzeigen und sagen, das ist eine Wirkung, das ist eine Ursache, das ist notwendig, ist zufällig,

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diese Handlung ist Pflicht, diese Handlung ist ein Verbrechen. Aber dass der Gegenstand unter den fraglichen Begriff fällt, das ist nicht ebenso in der Anschauung zu erkennen, wie der Gegenstand selbst, den wir dem fraglichen Begriff im Urteil unterordnen. Das lässt sich nur denken. Wenn wir also durch Definition einen Begriff in der Philosophie einführen, so haben wir ohne weiteres wenigstens gar kein Mittel, uns davon zu überzeugen, ob wir nicht vielleicht ein bloßes Hirngespinst definiert haben, eine bloße Fiktion, ja noch mehr, ob nicht der definierte Begriff dem anderen sogar widerspricht. Und selbst dann, wenn wir beides leisten könnten, wenn wir uns überzeugen könnten von der Widerspruchslosigkeit des definierten Begriffs und davon, dass er nicht gegenstandslos ist, selbst dann ist das Verfahren unzulässig, weil immer die Gefahr besteht, den durch Definition eingeführten Begriff mit dem ursprünglich schon gegebenen zu verwechseln und also unbemerkt Eigenschaften, die den Gegenständen des einen Begriffs zukommen, grundlos zu übertragen auf die Gegenstände des anderen Begriffs. Es bedarf also allemal erst des Nachweises der Identität des definierten Begriffs mit dem gegebenen. Allein unter der Voraussetzung, dass dieser Nachweis erbracht wird, sind die Definitionen in der Philosophie zulässig, und dieser Nachweis lässt sich auch erbringen. Er lässt sich nämlich erbringen durch ein analoges Verfahren, das wir vorhin schon hinsichtlich der Sätze der Wissenschaft als notwendig erkannt haben. Wir brauchen nur das entsprechende Verfahren auf die Begriffe anzuwenden. Auch hier bedürfen wir eines regressiven Verfahrens. Wir müssen nämlich den gegebenen Begriff vornehmen und ihn zergliedern daraufhin, welche einfacheren Begriffe er schon enthält und diese wieder, bis wir zu den einfachsten, nicht wieder zerlegbaren Begriffen aufgestiegen sind.118 Wenn wir dann übersehen, welche einfacheren Begriffe der gegebene schon enthält, können wir umgekehrt unter deren Zugrundelegung den ursprünglich schon gegebenen Begriff definieren. Das Verfahren der Definition ist also in der Philosophie zulässig, wenn ihr eine Exposition des ge-

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gebenen Begriffs vorhergeschickt wird, die uns davon überzeugt, dass der definierte Begriff mit dem gegebenen wirklich identisch ist. Wir sind also in der Philosophie nicht wie in der Geometrie frei im Definieren, sondern an die Bedingung der vorhergehenden Exposition des fraglichen Begriffs gebunden. Von der Notwendigkeit dieser Umkehrung der Methode auch hinsichtlich der Begriffe überzeugt man sich am evidentesten durch Betrachtung von Beispielen, und dazu will ich jetzt übergehen. Ein Beispiel, das geeignet ist, den Missbrauch der Definitionen in der Philosophie zu zeigen, ein einfaches und altes Beispiel eines solchen willkürlich eingeführten Begriffs, ist der Begriff des »allgemeinen Gegenstandes«, wie er in der Scholastik eine bekannte Rolle gespielt hat. Aber er spielt eine solche verderbliche Rolle auch noch heute bei vielen Philosophen, die sich dieses Zusammenhanges selber nicht bewusst sind. Berühmt geworden ist in diesem Streit das »allgemeine Dreieck«, von dem man nicht weiß, ob es stumpfwinklig, spitzwinklig, rechtwinklig u.s.w. ist, von dem sich sowohl beweisen lässt, dass es die eine Eigenschaft als auch dass es die widersprechende, als auch dass es gar keine besitzt, ferner, dass es weder die eine noch die andere besitzt. Wodurch sollte es sich sonst von den besonderen Dreiecken unterscheiden? Ein Beispiel dafür, dass dieser Fehler, diese Annahme der allgemeinen Gegenstände noch heute in der Philosophie zu finden ist, ist der Begriff des »allgemeinen Ich«, der bei vielen Philosophen eine große Rolle spielt, oder des »Bewusstseins überhaupt«, wie andere es nennen, im Gegensatz zu dem besonderen Bewusstsein einzelner Menschen. Auf die Einführung dieses Begriffs vom »allgemeinen Ich«, vom »Bewusstsein überhaupt«, vom »erkenntnistheoretischen Subjekt«, wie andere es nennen, kommt man leicht durch die folgende Überlegung: Eine Erkenntnis ist immer von ihrem Gegenstand verschieden. Wenn ich etwas erkenne, so ist das, was ich erkenne, nicht meine Erkenntnis, und meine Erkenntnis nicht das, was ich erkenne. Die Anwendung dieses Satzes macht nun Schwierig-

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keiten im Falle der Selbsterkenntnis, der Erkenntnis unseres eigenen Ich. Hier scheint die Annahme notwendig, dass die Möglichkeit der Erkenntnis unseres eigenen Ich ein anderes Ich erfordert, das das Subjekt der fraglichen Erkenntnis ist, denn Subjekt und Objekt der Erkenntnis sind nach jener Voraussetzung notwendig verschieden. Die Möglichkeit eines besonderen Ich als eines Gegenstandes der Erkenntnis setzt demnach ein allgemeines Ich, eben ein nicht-individuelles Ich voraus, ein »Bewusstsein überhaupt«, im Gegensatz zu dem individuellen Bewusstsein. Wie sollte sonst das individuelle Ich Gegenstand einer Erkenntnis werden können? Man weiß doch von ihm, also muss es, so schließt man, ein allgemeines Ich geben, sonst wäre die fragliche Erkenntnis nicht möglich. Dem logisch geschulten Denker ist es leicht, den Widerspruch aufzuzeigen, der in diesem eigentümlichen Begriff liegt. Dieser Widerspruch ist von dem Typus, der zuerst von dem englischen Logiker B. Russell auf eine scharfe, paradoxe Form gebrachten, die aus der Mengenlehre her den Mathematikern bekannt ist. Ich will zeigen, dass diese Paradoxie auch dem in der Philosophie als unverfänglich geltenden Begriff des erkenntnistheoretischen Subjekts anhaftet. Das fragliche Subjekt ist definiert als das Subjekt, das alle Subjekte erkennt, die sich nicht selbst erkennen. So wie nach Russell in dem bekannten Beispiel die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten,119 so schließt auch das Subjekt, das alle Subjekte erkennt, die sich nicht selbst erkennen, einen Widerspruch ein. Entweder nämlich erkennt es sich selbst, dann gehört es zu denen, die es erkennt, also zu denen, die sich nicht selbst erkennen. Es erkennt sich also nicht selbst. Erkennt es sich aber nicht selbst, so gehört es zu den Subjekten, die es erkennt. Es erkennt sich also selbst. Ein anderes Beispiel, gewissermaßen das Gegenteil zu den Begriffen, die als allgemeine Gegenstände hypostasiert werden, bilden die neuerdings in der Philosophie eine große Rolle spielenden sogenannten flüssigen Begriffe, die sich dadurch

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auszeichnen sollen, dass sie nicht starr sind, nicht ein für allemal festgelegt sind, sondern sich allen Wandlungen der durch sie zu bezeichnenden Gegenstände anpassen und anschmiegen. Man kommt auf diese Vorstellung der flüssigen Begriffe durch den Wunsch, ein Erkenntnismittel einzuführen, das sich dem Wechsel und Fluss der Beobachtungstatsachen anpasst. Man meint, dass beim Gebrauch starrer Begriffe die offenbar falsche Behauptung zu Grunde gelegt werden müsste, dass auch die Gegenstände, die man durch die fraglichen Begriffe bestimmt, starr und unveränderlich sein müssten. Von der Falschheit dieser Annahme, von der Unmöglichkeit solcher flüssigen Begriffe haben wir uns schon überzeugt bei der Untersuchung der Frage, ob sich ein synthetisches Urteil in ein analytisches verwandeln lässt.120 Diese Aufgabe scheiterte ja an der Starrheit der Begriffe, an der Unmöglichkeit ihrer Verwandlung, ihrer Erweiterung. Der Fehler liegt hier ähnlich wie im vorigen Beispiel. Ich habe ihn übrigens bei dem vorigen Beispiel noch nicht aufgewiesen: es ist ein Fehler in der Voraussetzung. Man schließt aus der notwendigen Verschiedenheit von Erkenntnis und Gegenstand auf die notwendige Verschiedenheit von erkennendem Subjekt und erkanntem Gegenstand. Das ist aber eine quaternio terminorum, denn wenn auch jede Erkenntnis von ihrem Gegenstand verschieden ist, so ist doch darum das erkennende Subjekt nicht notwendig von seinem Gegenstand verschieden, und es liegt infolgedessen in der Möglichkeit der Selbsterkenntnis durchaus kein Widerspruch. Die Erkenntnis des individuellen Ich erfordert zu ihrer Möglichkeit nicht die Annahme eines »überindividuellen Ich«. Entsprechend hier. Es liegt hier ein falscher Schluss vor, nämlich der, dass infolge der Starrheit eines Begriffs durch seine Anwendung auf einen Gegenstand auch dessen Starrheit behauptet wäre. Man verwechselt dabei die Unterordnung des Gegenstandes unter den Begriff mit seiner Einordnung in den Begriff. Das beste Gegenbeispiel bildet ein solcher Begriff, durch den wir gerade diese Veränderung denken, z. B. der Begriff der Bewegung. Dadurch, dass wir etwas unter die-

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sen Begriff subsumieren, behaupten wir, dass der Gegenstand sich bewegt. Wir behaupten also gewiss nicht die Unveränderlichkeit, die Starrheit, hier also die Unbeweglichkeit des Gegenstandes, sondern das gerade Gegenteil. Mit diesen Beispielen hat ein anderes nahe Verwandtschaft, das heute auch in der Philosophie eine böse Rolle spielt, ein bestimmtes konkretes Beispiel, das der individuellen Kausalität oder, wie manche Philosophen sagen, des »individuellen Gesetzes«, womit sie freilich den Widerspruch schon in den Worten greifbar hervortreten lassen. Man meint, dass das Individuelle, das besonders in der historischen Erkenntnis betrachtet wird, nicht unter Gesetzen stehen könne, wenigstens nicht unter Naturgesetzen. Naturgesetze gelten immer allgemein, das liegt in ihrem Begriff. Diese Allgemeinheit, diese ständige Gültigkeit des Gesetzes, scheint der Einmaligkeit, der Individualität einer historischen Tatsache zu widerstreiten. Es scheint ein Widerspruch zu sein, von einer historisch vorliegenden Individualität in ihrer Einmaligkeit und Nichtwiederholbarkeit zu behaupten, dass sie unter allgemeinen Gesetzen stehe, und so kommt man auf die Einführung der »individuellen Kausalität«. Um die historischen Erscheinungen in ihrem Zusammenhang zu begreifen, bedarf man des Begriffs der Kausalität. Die eine Erscheinung soll als Wirkung der anderen verstanden werden. Wenn man nun die eine als die Wirkung der anderen sich denken will, ohne der Individualität des einen Geschehens zu widersprechen, so muss man, wie es scheint, den Begriff einer »individuellen Kausalität« zu Grunde legen. Denn die allgemeine Kausalität des Naturgesetzes würde ja der Einmaligkeit des fraglichen Geschehens widersprechen. Sie würde verlangen, dass das Geschehen ständig wiederholbar sei, gemäß der ständigen Gültigkeit der Allgemeinheit des Naturgesetzes. So nimmt man seine Zuflucht zu einer individuellen Kausalität, zu einer kausalen Verknüpfung einer einmaligen Erscheinung mit einer anderen einmaligen Erscheinung derart, dass auch ihre Verknüpfung etwas Einmaliges, Nichtwiederholbares, etwas Individuelles ist.

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Hierin liegt nun wieder ein logischer Widerspruch. Wenn ich die kausale Verknüpfung einer Erscheinung A mit einer anderen Erscheinung B behaupte, dann ist das die Behauptung, dass, wenn die eine Erscheinung eintritt, auch die andere eintreten muss, und in dieser hypothetischen Form, in der allein wir solche Kausalverhältnisse auf die Form eines Urteils bringen, drückt sich die Allgemeinheit des Gesetzes aus, das hierbei freilich nur dunkel vorausgesetzt wird. Ich kann nicht die Verknüpfung einer Erscheinung A mit einer Erscheinung B behaupten, ohne die andere Behauptung damit in Kauf zu nehmen, dass immer, wenn A eintritt, auch die Erscheinung B eintreten muss, ohne also die Gültigkeit eines Gesetzes vorauszusetzen. Der Fehler, der dialektische Schein, der die Täuschung hervorruft, liegt in der Verkennung der hypothetischen Form des fraglichen Verknüpfungsurteils. Achtet man nämlich auf seine hypothetische Form, so wird auch klar, was jene Philosophen übersehen, dass nämlich das allgemeine Gesetz keineswegs die Wiederholbarkeit der einen oder anderen Erscheinung verlangt. Es behauptet ja nicht, dass A ständig eintritt oder dass B ständig eintritt, sondern es behauptet nur die Verknüpfung zwischen A und B als ein ständig gültiges Gesetz. Darüber, wie oft die eine oder andere Erscheinung stattfindet, ob sie überhaupt wiederholbar ist, ob sie überhaupt nur einmal stattfindet, darüber sagt das Gesetz gar nichts aus. Einen besonderen und für uns wichtigen Typus widerspruchsvoller Begriffe, die durch den Missbrauch der Definitionen in der Philosophie eine bedenkliche Rolle spielen, bilden die Zirkeldefinitionen, von denen ich schon früher gelegentlich in anderem Zusammenhang Beispiele genannt habe. Zirkeldefinitionen sind solche, die den zu definierenden Begriff schon in der Definition voraussetzen, schon von ihm Gebrauch machen. Der Fehler eines solchen Zirkels entsteht darum so leicht, weil man sich nicht bewusst ist, dass man den zu definierenden Begriff tatsächlich schon vor der Definition besitzt, eben weil er gar kein durch Definition erst

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gebildeter, sondern ursprünglich gegebener Begriff ist, und dann kommt es, dass man, eben weil man sich seiner nicht bewusst ist, ihn unvermerkt in der Definition schon wieder voraussetzt. Solche Beispiele bietet uns jene Lehre, von der ich anfangs gesprochen habe, die konventionalistische Wahrheits-Definition z. B. bei Poincaré,121 in Bezug auf die er die Wahrheit dessen, was ein Naturgesetz bedeutet, voraussetzt. Oder die hedonistische Definition des Guten, die der Ethik von Bentham und Mill zu Grunde liegt, wo das Gute durch die Lust erklärt wird. Inwiefern es sich hier um Zirkeldefinitionen handelt und inwiefern hier Beispiele für den Missbrauch der Definitionen vorliegen, wie ich ihn heute erklärt habe, daran will ich das nächste Mal anknüpfen.122

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ch habe neulich123 zur Erläuterung der auseinandergesetzten regressiven Methode, der Methode, die zur Aufdeckung von Grundsätzen führt, ein arithmetisches Beispiel angeführt. Das hat etwas Verwirrung verursacht, insofern ich doch gesagt hatte, es handle sich um eine Methode, die der Philosophie gezieme gerade im Gegensatz zur Mathematik. Ich habe aber absichtlich das Beispiel aus der Mathematik gewählt, gerade um es nicht aus dem strittigen Gebiet zu nehmen. Die Schwierigkeit ist leicht aufzulösen. Die fragliche regressive Methode, von Kant die kritische genannt, im Gegensatz zu der irreführenderweise geometrische Methode genannten, die Kant zweckmäßig die dogmatische nennt,124 diese Methode, die kritische oder regressive Methode, ist zwar in der Philosophie notwendig, aber ihre Anwendung ist darum doch auch in der Mathematik möglich, und zwar ist ihre Anwendung in der Mathematik sogar von erheblichem Nutzen, wenn auch nicht ohne weiteres für den Gewinn neuer mathematischer Entdeckungen. In der Philosophie sind wir auf diese Methode angewiesen, um zur Gewissheit und Wahrheit in ihr zu gelangen. In der Mathematik bedürfen wir ihrer zu diesem Zweck nicht. Wir bedürfen ihrer aber zu einem anderen Zweck, nämlich zu dem Zweck, die Wissenschaft in strenger, systematischer Form auszuführen, in ihr dem logischen Ideal der systematischen Strenge zu genügen.125 Man muss diese beiden Probleme scharf unterscheiden: das Problem der Wahrheit eines Satzes und das Problem seiner Beweisbarkeit. Dass hier ein Unterschied besteht, das ist wohl schon aus dem Früheren ohne weiteres klar. Denn wir haben ja gesehen, dass jeder Beweis zu seiner Möglichkeit unbewiesene und sogar unbeweisbare Sätze voraussetzt. Sind also diese unbewiesenen und sogar unbeweisbaren Sätze

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nicht wahr, so können es auch die bewiesenen nicht sein. Kann also das Beweisen nie dazu taugen, um über die Wahrheit eines Satzes zu entscheiden, so kann die Unbeweisbarkeit eines Satzes kein Kennzeichen dafür sein, dass er nicht wahr ist. Für die Entscheidung über die Wahrheit eines Satzes ist die Frage nach seiner Beweisbarkeit zunächst nebensächlich. Diese Frage kann mittelbar von Bedeutung werden, wenn wir uns von seiner Wahrheit nicht anders überzeugen können als dadurch, dass wir den Satz durch einen Beweis auf eine bereits anderweit feststehende Wahrheit zurückführen. Nun bringt es die Klarheit und Evidenz, von der ich hinsichtlich der Geometrie gesprochen habe, mit sich, dass wir in dieser Wissenschaft, so weit uns nur die Wahrheit interessiert, verhältnismäßig weit kommen ohne Beweise. Es ist überhaupt nur ein eigentümliches, kulturhistorisches Merkmal der europäischen Völker, dass sie sich für die Beweise der mathematischen Wahrheit interessieren. Es ist das keineswegs eine allgemein-menschliche Eigenschaft. Die Inder z. B. stellen eine Geometrie auf, bei der jeder Satz für sich ohne Beweis auf den anderen folgt, und sind damit vollständig zufrieden. Das Interesse am Beweis ist also ein anderweit hinzukommendes, ein logisches Interesse, und ist scharf zu unterscheiden von dem Interesse an der Wahrheit. Die Vermengung dieser beiden Forderungen hat viel unnützen Streit veranlasst. Sie ist auch der Grund jenes unangebrachten Skeptizismus in Bezug auf die mathematischen Axiome. Dieser Skeptizismus schließt zuletzt aus der Einsicht in die triviale Tatsache, dass diese Wissenschaft auf unbeweisbaren Voraussetzungen beruht, auf Grund eines offenbaren Trugschlusses, darauf, dass ihren Prämissen darum die Wahrheit, der Erkenntniswert, abzusprechen sei. Dieser Streit spielt eine besondere Rolle in der Pädagogik. Manche Pädagogen meinen, es der Wahrhaftigkeit, in der sie ihre Schüler erziehen wollen, schuldig zu sein, sie in die Wissenschaft nur auf dem Wege des strengen Beweises einzuführen, ein unangebrachtes Mittel in pädagogischer Hinsicht, da das, was an sich ohne Beweis leicht verständlich wäre, auf

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dem Umwege über den Beweis nur unverständlich wird, da es im allgemeinen viel leichter ist, einen einfachen mathematischen Sachverhalt, z. B. dass 2 × 2 4 ist, ohne Beweis einzusehen als auf Grund eines solchen. Dieser Fehler hat dann auf der Gegenseite einen entsprechenden zur Folge, indem man von der gemeinsamen Voraussetzung ausgeht, dass die Wahrheit an die Strenge des Beweises gebunden sei, und daraus den höchst törichten Schluss zieht, dass es pädagogisch geboten sei, den Schülern die Dinge zunächst nach einer falschen Darstellungsweise beizubringen und so ihre Verständlichkeit angeblich zu erhöhen. Wir wollen hierauf nicht weiter eingehen, sondern zu unserer Frage zurückkehren, die das Verhältnis der Methode der Philosophie und der Geometrie betraf. Ich sagte schon, dass für einen strengen wissenschaftlichen Aufbau die kritische Methode auch in der Mathematik nicht nur anwendbar, sondern sogar notwendig ist. Hier gilt es, das, was überhaupt nur irgendwie beweisbar ist, auch wirklich zu beweisen. Das ist ja die Anforderung des logischen Interesses an die Wissenschaft. Hier genügt es uns nicht, dass die Sätze, von denen wir ausgehen, richtig sind. Wenn wir wirklich ohne Beweis von ihnen ausgehen wollen, so müssen wir gewiss sein, dass sie auch unbeweisbar sind. Das Problem geht hier dahin, die Wissenschaft auf ein Mindestmaß von Axiomen zurückzuführen, sodass wir jedes Axiom angeben können, das zu dem Aufbau der Wissenschaft notwendig ist und die insgesamt zu ihrem Aufbau auch hinreichend sind. Hier zeigt sich nun der Gebrauch und die Fruchtbarkeit der regressiven Methode bei der Zergliederung der Beweise. Wir können jenem Ideal der systematischen Strenge nur dadurch näher kommen, dass wir die Beweise zergliedern, um zu untersuchen, welche Voraussetzungen in ihnen stecken, vielleicht zunächst ohne dass wir uns ihres Gebrauchs bewusst waren, um alle die Voraussetzungen, die dabei gebraucht wurden, festzustellen, und zu unterscheiden, welche von ihnen für den Beweis notwendig, welche dagegen entbehrlich sind.

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Auf diese Weise gelangt man dann dazu, wirklich auch solche Sätze zu beweisen, die nicht nur ohne weiteres einleuchtend sind, sondern von denen es auch zunächst scheint, dass sie gar keines Beweises fähig wären. Ein solcher an und für sich evidenter Satz ist z. B. der, dass eine stetige Kurve, die zwischen einem negativen und einem positiven Punkt verläuft, mindestens ein Mal den Wert Null annimmt. Der Beweis dieses Satzes ist insofern entbehrlich, als die Wahrheit des Satzes unmittelbar einleuchtet. Der Beweis ist auch verhältnismäßig kompliziert, er gelingt aber doch. Oder der Satz, dass die gerade Linie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist, der uns schon früher beschäftigt hat, und den wir als ein Axiom betrachtet haben. Dieser Satz ist von Hilbert in seinen Grundlagen der Geometrie, 126 auf eine äußerst künstliche Weise bewiesen. Ebenso der Satz, den man seit Euklid für ein unbeweisbares Axiom hielt, dass alle rechten Winkel einander gleich sind. Das sind Beispiele für die Beweisbarkeit von Sätzen, für die man, wenn es nur auf die Feststellung der geometrischen Sätze selber ankäme, auf die Entscheidung über ihre Wahrheit, keines Beweises bedürfte. Durch die hierbei vor sich gehende Spaltung der Axiome kommt man dann zur Entdeckung auch neuer Axiome. Man vermindert nicht nur die Anzahl der Axiome in der eben angegebenen Hinsicht, sondern vermehrt auch ihre Zahl, insofern man entdeckt, dass im Beweis gewisse Voraussetzungen stecken, die man bis dahin noch nicht als solche bemerkt hatte. Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit ist man zur Aufdeckung gewisser Axiome in der Geometrie gelangt, nicht als ob man vorher hinsichtlich der Richtigkeit dieser Sätze im Zweifel gewesen wäre. Es ist vielmehr umgekehrt. Weil sie so evident, so selbstverständlich sind, kam man gar nicht erst dazu, sich ihrer gesondert als eigener Voraussetzungen bewusst zu werden. So die Sätze über die Beziehungen zwischen Punkten, die wir durch das Wort »zwischen« ausdrücken, Sätze wie der, dass auf einer Geraden zwischen zwei Punkten immer ein dritter liegt, oder der, dass von drei Punkten auf einer Geraden

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immer einer und nur einer zwischen den beiden anderen liegt. Ja für die Arithmetik ist die axiomatische Darstellung, der logische Aufbau der Wissenschaft auf Grund einer angebbaren geringen Anzahl von Axiomen, überhaupt erst im 19. Jahrhundert ausgeführt worden. Das Ideal, das die Geometrie seit Euklid erreicht hat, ist erst nach so viel Jahrhunderten hier wieder erreicht. Es kommt nun darauf an, zu zeigen, dass die geschilderte Methode, auf die die Mathematiker im 19. Jahrhundert geführt worden sind, um dem logischen Ideal der systematischen Strenge beim Aufbau ihrer Wissenschaft zu genügen, keine andere ist als jene von Kant für die Philosophie geforderte, die er die kritische nannte. Diesem Umstand ist die eigentümliche Verwandlung zu verdanken, die sich in der Beziehung der beiden Schwesterwissenschaften, der Geometrie und der Philosophie, im 19. Jahrhundert vollzogen hat, so dass sich die Sachlage jetzt ganz anders darstellt als zu Kants Zeiten. Man kann jetzt recht wohl mit gutem Recht sagen, dass die Philosophen gut daran täten, die Mathematiker nachzuahmen, um zur gleichen Strenge in ihrer Wissenschaft zu gelangen, die man dort zur allgemeinen Bewunderung vorfindet. Sie brauchen nämlich nur die sogenannte axiomatische Methode, die dort im Gebrauch ist zur Untersuchung der Axiome, auf ihre Wissenschaft zu übertragen, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Nicht die dogmatische Methode, die zu Kants Zeiten in der Mathematik allein bekannt war, gilt es nachzuahmen – es ist eine für alle Zeit feststehende Entdeckung Kants, dass dies ein Irrweg war –, wohl aber die seit ihm in der Mathematik in Gebrauch genommene kritische Methode. Das ist die Methode, deren Notwendigkeit Kant für die Philosophie entdeckt hat. Diese Methode ist inzwischen in der Hand der Mathematiker zu einem bewunderungswürdig fein ausgebildeten Instrument entwickelt, und die Philosophen können gar nichts besseres tun, als dieses Instrument dem Mathematiker zu entlehnen und den Gebrauch desselben von ihm zu lernen, um ihn auch in ihrer Wissenschaft auszuüben. Dann würde

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die Philosophie bald eine andere, festere Gestalt annehmen, als sie gegenwärtig besitzt. Die Einzelheiten dieser Vorlesung sind im Grunde gar nichts anderes und sollen auch gar nichts anderes sein als Beispiele, an denen ich Sie von der Richtigkeit der eben ausgesprochenen Behauptung überzeugen möchte. Zu dem neulich zuletzt angeführten Beispiel möchte ich noch einige Namen philosophischer Autoren hinzufügen, damit Sie sich überzeugen, dass es sich dabei um wirklich vorkommende Denkfehler handelt. Ich hatte von den flüssigen Begriffen gesprochen,127 die eine gewisse Philosophenschule fordert, um den Mangel der Starrheit der sonst in der Wissenschaft üblichen Begriffe zu vermeiden, den vermeintlichen Mangel dieser Starrheit, der es verschulden soll, dass die Wissenschaft dem Fluss der wirklichen Erscheinungen, der Lebendigkeit, der Beweglichkeit der Dinge nicht gerecht wird. Der berühmteste, den ich hier nennen kann, ist der französische Philosoph Bergson, und ich verweise Sie auf seine Einführung in die Metaphysik128 , wo er diese Ansicht in sehr deutlicher und literarisch schöner Weise entwickelt. Bergson wird durch diese Ansicht in eine Polemik gegen die mathematische Physik verwickelt, der er den Vorwurf macht, dass sie ihrer Aufgabe im Grunde niemals gerecht werden könne, dass sie vor einem unlösbaren Problem stehe, wenn sie die Stetigkeit der Bewegung z. B. mittels starrer Begriffe erfassen wolle. Diese Stetigkeit sei für uns ein unmittelbares Erlebnis der Anschauung, dieser Fluss, dieses Fließen, wie man es bezeichnen mag, und kein physikalischer Begriff könne jemals das, was hier in der Anschauung gegeben sei, wirklich erfassen, denn die Begriffe der Physik sind ja starr. Wie sollten sie also auf diesen Fluss anwendbar sein. Er wirft der Physik ein kinematographisches Verfahren vor, er meint, sie bediene sich eines Verfahrens, das wohl der Reihe nach einzelne Momentbilder aufnehmen könnte von dem sich bewegenden Körper, die Bewegung selbst aber in ihrer Stetigkeit sei ihr unzugänglich. Dafür bedürfe sie der flüssigen Begriffe seiner Metaphysik. Ich

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will darauf hier nicht näher eingehen, es würde wohl etwas zu weit führen, will aber bemerken, dass hier bei Bergson ein sehr leicht aufzudeckender Irrtum vorliegt, den ich schon das vorige Mal angedeutet habe. Das Problem, dessen Unlösbarkeit er behauptet, ist längst durch die Physik gelöst. Es ist im Grunde kein anderes als das, was in den von Zenon aufgedeckten Paradoxien der Bewegung steckt, den Paradoxien vom fliegenden Pfeil und von Achilles und der Schildkröte. Dieses Problem wird gelöst durch die Methode, die der Physik durch die Differenzialrechnung geboten wird. Ein einfaches Beispiel.129 Wenn wir an dieser Kurve eine Tangente haben in diesem Punkte, so geht die Sekante durch diesen Punkt und durch irgendeinen anderen, wenn wir sie um diesen Punkt drehen, stetig in die Tangente über. Das ist eine Tatsache der äußeren Anschauung. Nun kann man in der Tat nicht sagen, dass der Begriff der Sekante in den der Tangente übergehen könnte. In der Tat, diese Begriffe sind starr, es gibt zwischen ihnen keinen Übergang. In jeder Lage ist die sich drehende Gerade entweder noch eine Sekante oder schon eine Tangente. Der Vorwurf gegen die mathematische Physik ist dennoch unberechtigt, denn hier wird einfach die Tangente als Grenzfall der Sekante definiert, und man kann den Grenzübergang von der Sekante zur Tangente mit Hilfe dieses Begriffes mathematisch sehr leicht vollziehen. Es steckt hier durchaus kein unlösbares Problem, und ein Fehler ist es nur, wenn man behaupten wollte, dass durch diese Methode die Anschauung überflüssig gemacht würde. Es handelt sich hier nur darum, das, was in der Anschauung gegeben ist, auf Begriffe zu bringen, so, dass jedes mögliche Problem mit Hilfe dieses Begriffs lösbar ist. Das und nur das tut die Physik, die Anschauung selbst bleibt in ihrem Recht neben der begrifflichen Darstellung bestehen. Aber sie bleibt bestehen eben wirklich nur als Anschauung und nicht als eine Erkenntnis, die im Gegensatz zu der physikalischen, die sich der starren Begriffe bedient, nun etwa mit flüssigen Begriffen den Gegenständen näher zu kommen versucht, sondern diese Erkenntnis, die wir in der

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Anschauung besitzen, ist eine solche, die sich in gar keinen Begriffen bewegt, weder in starren noch in den flüssigen, die Bergson zu diesem Behuf erfunden haben will. Ich nannte ferner die Lehre von dem »allgemeinen Ich«, dem »Bewusstsein überhaupt«130 als Beispiele für die noch heute bestehende Behauptung allgemeiner Gegenstände. Diese Vorstellung finden Sie am prägnantesten dargestellt unter den heutigen Philosophen bei Rickert, und zwar in seinem Buch Der Gegenstand der Erkenntnis.131 Wer sich dafür interessiert, für den will ich hinzufügen, dass es rätlich ist, die erste Auflage dieses Buches zu lesen, nicht nur weil sie außerordentlich viel kürzer ist, so dass man Zeit und Arbeit erspart, sondern auch weil in ihr diese Ansicht noch konsequent und reinlich durchgeführt ist, während in den späteren Auflagen ein Eklektizismus hineingetragen worden ist, der die Klarheit und Konsequenz der ersten Auflage verwischt. Dafür haben die späteren Auflagen den Vorzug, Ihnen Beispiele vor Augen zu führen für einen anderen Fehler, von dem ich gesprochen habe, für die Einführung des Begriffs der »individuellen Kausalität«.132 Dies ist ein Beispiel für die historischen Kategorien, die Rickert nötig findet neben den naturwissenschaftlichen einzuführen. Eine ähnliche Ansicht finden Sie bei Simmel. Simmel hat diese Ansicht auf das Gebiet der Ethik übertragen. Er spricht nicht von der »individuellen Kausalität«, sondern von dem »individuellen Gesetz«, nämlich ethischen Gesetz.133 Das »individuelle Gesetz« ist ein solches für den Einzelnen, für den Einzelnen im Gegensatz zu jedem anderen. Die Eigenart und Individualität des Einzelnen, so meint Simmel, bringt es mit sich, dass er auch unter einem für ihn allein geltenden Gesetz steht, das ihm seine Lebensaufgabe vorschreibt, seine Lebensaufgabe, die er mit keinem anderen Individuum teilen kann.134 Nun, soweit damit nur gesagt sein soll, dass in Anbetracht der individuellen Eigenart des einen oder anderen Menschen ihm auch andere Aufgaben zukommen als den anderen, insoweit ist diese Vorstellung einwandfrei. Sie führt aber durchaus nicht auf die Annahme eines individuellen Gesetzes,

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sondern die Besonderheit der Aufgabe des einen und anderen Menschen rührt daher, dass der Fall, auf den das allgemeine Gesetz Anwendung findet, bei dem einen Menschen ein anderer ist als beim anderen. Die Anwendung des Gesetzes ist es also hier, bei der eine Differenzierung stattfindet, je nach der Eigenart des Falles. Das Gesetz selbst ist unveränderlich das eine und gleiche, und der Fehler entsteht auch hier nur dadurch, dass man die hypothetische Form verkennt, in der allein ein solches Gesetz seinen angemessenen Ausdruck findet. Das Gesetz verlangt, dass, wenn ein Mensch eine bestimmte Eigenart hat, er gewisse Aufgaben erfüllen soll, und wenn ein Mensch eine andere Eigenart hat, er andere Aufgabe erfüllen soll, so wie auch nach dem einen und gleichen Naturgesetz, z. B. dem Gravitationsgesetz, der eine Körper eine andere Beschleunigung erfährt als der andere, z. B. auf Grund des verschiedenen Abstandes, den sie von einem dritten Körper haben. Simmel aber meint wirklich, dass das Gesetz sich individualisiert für die einzelnen Persönlichkeiten. Der Einzelne trägt ein eigenes Gesetz in sich, das auf keinen anderen Menschen Anwendung finden kann, auch nicht auf einen solchen von der gleichen Eigenart, und darin liegt der Widerspruch. Im Begriff des Gesetzes denken wir eine notwendige und eindeutige Bestimmung, die gerade aufgehoben wird, wenn wir bei gleichbleibender Individualität des Falles doch zu einer verschiedenen Forderung kommen. Wenn der eine Mensch A eine Aufgabe hat und der andere Mensch B eine andere Aufgabe hat, so würde aus der Gleichheit der Eigenart beider Menschen notwendig folgen, dass sie die gleiche Aufgabe haben müssten. Sie könnten nur zahlenmäßig verschieden sein. Der eine Mensch wäre eben nicht derselbe Mensch wie der andere. Aber dieser Umstand ist nie hinreichend für eine Differenzierung hinsichtlich der ethischen Forderungen, die an den einen und anderen zu stellen wären. Wenn wir irgendeine Forderung an einen Menschen stellen, dann liegt darin bereits analytisch die Behauptung eingeschlossen, dass für jeden gleichen Menschen in der gleichen Lage die gleiche Forde-

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rung gilt.135 Der Begriff des individuellen Gesetzes schließt also einen inneren Widerspruch ein. Ein anderes Beispiel, das in diesem Zusammenhang mit Nutzen betrachtet wird, habe ich früher schon angeführt, nämlich als ich von Poincarés Ansicht über die physikalischen Wahrheiten sprach und über den Streit, in den er sich dadurch mit seinem Schüler Le Roy verwickelt hat.136 Wir wollen uns erinnern, wofür wir hier Beispiele suchen. Wir suchen hier Beispiele für jenen typischen Denkfehler, der, wie ich gezeigt habe, aus dem unvorsichtigen Gebrauch der Definitionen in der Philosophie entsteht, unvorsichtig darum, weil die zu definierenden Begriffe schon vor der Definition gegeben sind, und uns also eine willkürliche Definition immer in die Gefahr bringt, den durch Definition eingeführten Begriff mit dem ursprünglich gegebenen zu verwechseln und alle die Fehler zu begehen, die mit diesem Irrtum notwendig als Folgen verknüpft sind, von denen ich das vorige Mal gesprochen habe. Ein solches Beispiel ist jene poincarésche Wahrheitsdefinition. Wahrheit ist ein solcher Begriff, den wir vor jeder Definition besitzen, der gewiss nicht erst durch eine solche Definition eingeführt wird. Die fragliche Art, den Begriff der Wahrheit zu definieren, ist nicht etwa nur bei Poincaré zu finden, sie findet sich bei einer Philosophenschule, die heute weite Verbreitung hat. Man nennt sie, oder sie nennen sich selbst, die Pragmatisten. Dieser Name bezeichnet in der Tat ganz zutreffend, das, was hier beabsichtigt wird. Es wird nämlich beabsichtigt, den Begriff der Wahrheit auf einen praktischen Begriff zurückzuführen, auf den Begriff der Zweckmäßigkeit. Der Sinn einer physikalischen Aussage, der Behauptung eines Naturgesetzes, soll nach Poincaré darin bestehen, dass es zweckmäßig oder bequem ist, wie er auch sagt, die fragliche Annahme zu machen. Ich habe schon gezeigt, dass diese Definition einen logischen Zirkel enthält.137 Sie enthält einen logischen Zirkel insofern, als der Begriff der Wahrheit in der Definition schon vorausgesetzt wird. Wir können das sprachlich am deutlichsten hervortre-

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ten lassen, wenn wir den fraglichen Satz dahin formulieren: Die Wahrheit eines Urteils, eines Fürwahrhaltens, besteht in seiner Zweckmäßigkeit. Man sieht ohne weiteres, dass in dieser Definition der Begriff der Wahrheit schon vorausgesetzt wird, denn es soll ja irgendetwas für wahr gehalten werden, nämlich dasjenige, von dessen Fürwahrhalten gesagt wird, dass es zweckmäßig ist, und wir können eine solche Annahme gar nicht machen, wenn wir für sie nicht schon den Begriff der Wahrheit voraussetzen. Diese Voraussetzung, dieser Begriff, steckt in jedem »ist« oder »es gibt« (oder wie wir es auch sprachlich ausdrücken wollen), das unvermeidlich an irgendeiner Stelle vorkommen muss, über was auch immer wir ein Urteil aussprechen. Wenn wir den Sinn dieser Worte überhaupt festhalten wollen, wenn wir es nicht mit sinnlosen Ausdrücken zu tun haben wollen, deren Zweckmäßigkeit gewiss niemand behaupten wird, so kann dieser Sinn kein anderer sein als der, den das Wort »Wahrheit« ausdrückt. Wir können die fragliche Behauptung dahin präzisieren: Es ist wahr, dass die Wahrheit einer physikalischen Aussage nur in ihrer Zweckmäßigkeit besteht. Worüber auch immer wir ein Urteil aussprechen, so ist analytisch darin immer die Behauptung enthalten: Es ist wahr, oder: Das gilt, was in dem Urteil ausgesagt ist. Es zeigt sich also, dass diese Definition einen anderen Begriff der Wahrheit schon voraussetzt als den der Zweckmäßigkeit, wenn sie nur überhaupt einen Sinn hat und wir es nicht mit leeren Worten zu tun haben wollen. Nun kann man natürlich sich jedem Einwand dadurch entziehen, dass man erklärt: Ich will nun aber einmal das Wort »Wahrheit« im Sinne von Zweckmäßigkeit verwenden. Das steht jedem frei. Er muss sich dann nur klar darüber sein, dass hierdurch der Begriff, der früher mit dem Worte »Wahrheit« verbunden wurde, und den andere Menschen auch jetzt noch damit verbinden, nicht etwa aus der Welt geschafft worden ist, ja dass er sogar von ihm, der den fraglichen Satz ausspricht, selber benutzt wird, denn er spricht ja ein Urteil aus. Er teilt uns z. B. mit, dass er das Wort »Wahrheit« im Sinne des Wortes »Zweckmäßigkeit« benutzen

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will, und das soll doch wahr sein, wahr nicht nur im Sinne von zweckmäßig. Der Widerspruch, auf den eine solche Zirkeldefinition führt, ist also klar, springt in die Augen.

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ch bin stehen geblieben bei der Kritik der poincaréschen Wahrheitsdefinition, die uns ein Beispiel geben sollte für den typischen Denkfehler, der uns noch immer beschäftigt, und auf den sich im Großen und Ganzen die einzelnen Denkfehler, die in der Philosophie eine Rolle spielen, reduzieren lassen. Davon später noch einiges. Der Fehler bestand darin, dass ein schon vor der Definition feststehender Begriff durch die Definition willkürlich definiert wird, wobei es sich ereignet, dass eine Zirkeldefinition entsteht, weil der ursprünglich gegebene Begriff in der Definition schon versteckterweise vorkommt. Man kann den Fehler auch so darstellen, wie ich es früher,138 als ich zuerst von dem Beispiel sprach, getan habe, nämlich durch die Aufweisung des unendlichen Regresses, wenn man in der Definition an Stelle des definierten Begriffs die Definition einsetzt. Nur dadurch gewinnt der Satz, in dem wir den angeblichen Gedanken dieser Definition aussprechen, einen Sinn. Da aber diese Einsetzung von neuem vorgenommen werden muss, weil der definierte Begriff wiederum in der eingesetzten Definition vorkommt, so führt uns dieses Verfahren auf einen unendlichen Regress, d. h. es ist unmöglich, mit dem fraglichen Satz überhaupt einen Gedanken zu verbinden. Der Satz könnte erst einen Sinn erhalten, wenn dieser Regress irgendwo einmal ein Ende erhielte. Nun sind uns besonders aus der Mathematik recht wohl unendliche Prozesse bekannt, die einen guten Sinn haben, aber ein solcher Prozess darf niemals den Inhalt einer Definition bilden, wenn man nämlich überhaupt mit den Worten einen Sinn verbinden will. Diese Sinnverleihung wird durch den fraglichen Prozess ausgeschlossen, denn wenn jedes Glied der Reihe erst durch das folgende seinen Sinn erhält, und wenn diese Reihe unendlich ist, so heißt das nichts anderes, als dass wir es hier mit einer Reihe von Worten ohne Sinn zu tun haben.

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Es ist hier interessant und lehrreich, noch einmal zurückzugehen auf den Gegensatz, der in dieser Angelegenheit zwischen Poincaré und seinem Schüler Le Roy zu Tage getreten ist.139 Le Roy macht sich, wie Sie sich erinnern werden, den poincaréschen physikalischen Pragmatismus zu Nutze, um die Nichtigkeit des Unternehmens der Physik zu begründen, über die Natur Wahrheiten zu erschließen. Wenn Poincaré sagt, der Sinn der physikalischen Wahrheiten ist eben der einer Konvention, so ist dieses durchaus nicht etwa der Standpunkt von Le Roy. Le Roy nimmt hier nur das Negative an, dass die Physik uns nichts anderes über die Natur vermitteln kann als Konventionen, die wir selber willkürlich über sie treffen. Er hält dagegen an dem ursprünglichen Wahrheitsbegriff fest, um gerade auf Grund dieser Feststellung den Schluss zu ziehen, dass die Physik uns keine Wahrheit vermitteln kann. Er setzt also voraus, es gibt eine Wahrheit im ursprünglichen Sinne, nur die Physik ist außer Stande, sie uns zu erschließen. Sie wird uns nur erschlossen durch die Autorität der Kirche und ihrer Tradition. Also nur die physikalischen Sätze sind nicht wahr, die der theologischen Dogmatik sind wahr. Es zeigt sich also, dass Le Roy an dem ursprünglichen Wahrheitsbegriff durchaus festhält. Aber auch in dieser Ansicht, auf die ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit lenken will, lässt sich ein Widerspruch nachweisen. Es lässt sich nicht nur zeigen, dass sie falsch ist, sondern dass sie in sich widerspruchsvoll ist, und das hätte Poincaré nur zu bemerken brauchen, um sich dieser Gegnerschaft zu erwehren. Er übersieht wie Le Roy, dass ein Widerspruch in folgendem liegt: Was ist der Sinn der Aussage, dass die Behauptungen der Physik nichts als zweckmäßige Annahmen seien? Dass also, wenn man ein Naturgesetz aufstellt, damit nicht eine Wahrheit hinsichtlich der uns umgebenden Natur behauptet wird, sondern dass das Einzige, was sich hier mit Recht behaupten lässt, dieses ist, es sei zweckmäßig, die fragliche Annahme, jenes Naturgesetz nämlich, einzuführen. Wir müssen uns nun darüber klar sein, was das Wort »zweckmä-

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ßig« bedeutet. Zweckmäßig nennen wir ein Mittel in Hinsicht auf einen angestrebten Zweck. Was heißt dieses nun: ein Mittel in seinem Verhältnis zum Zweck? Der Zweck ist nichts anderes als eine von uns erstrebte Wirkung, und das Mittel nichts anderes als dasjenige Geschehen, das die hinreichende Ursache des Eintretens jener Wirkung ist. Etwas ist ein zweckmäßiges Mittel, wenn es dazu taugt, als Ursache eine uns erwünschte Wirkung hervorzurufen. Die Behauptung, dass irgend ein Geschehen, irgend eine Annahme, zweckmäßig sei, schließt die Behauptung ein, dass sie als Ursache einer uns erwünschten Wirkung taugt. Wir haben also eine Verknüpfung eines Geschehens mit einem anderen Geschehen behauptet, wir haben behauptet, dass das eine die Ursache des anderen und das andere die Wirkung des einen ist, mit anderen Worten, wir haben ein Naturgesetz vorausgesetzt, auf dem die Verknüpfung des Mittels mit dem Zweck beruht, derart, dass wir auf Grund dieser Verknüpfung das Recht erhalten, von Mittel und Zweck, von Zweckmäßigkeit zu sprechen. Jede Aussage über Zweckmäßigkeit irgendeines Geschehens enthält die Behauptung eines Naturgesetzes, verliert ohne diese Voraussetzung jeden Sinn. Die Lehre also, dass unsere Sätze über das Bestehen von Naturgesetzen nicht wahr sind im ursprünglichen Sinne des Wortes, sondern nur zweckmäßig, widerspricht sich selbst. Sie setzt das voraus, was sie bestreitet. Ein anderes Beispiel für den Missbrauch der Definitionen in der Philosophie. Wir greifen auch dafür zurück auf einen schon früher dargestellten Fehler. Ich habe im Zusammenhang mit dem eben erörterten Fehler einen anderen besprochen, den der hedonistischen Definition des Guten.140 Ebenso wie der Begriff der Wahrheit ein vor aller Definition gegebener Begriff ist, so gilt dies auch für den Begriff des Guten, und was wir eben für die Physik hinsichtlich des Wahrheitsbegriffs festgestellt haben, das gilt in entsprechender Weise für die Ethik hinsichtlich des Begriffs des Guten. Ich habe von der Lehre Benthams gesprochen, der das Gute durch die Lust definiert. Ähnliche Definitionen finden sich vielfach in der Ethik. Man

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definiert das Gute z. B. durch das, was begehrt wird, erstrebt wird, oder durch das, was uns gefällt. Bei allen diesen Definitionen des Guten wird versteckterweise der zu definierende Begriff, der Begriff des Guten oder was dasselbe ist, der Begriff des Wertes, vorausgesetzt. Gerade dieses Wort macht den Zirkel noch deutlicher. Wir wollen uns nämlich erinnern, dass jede Lust, jedes Gefallen, ja, Wünschen, Streben und Begehren nur eine besondere Form eines Aktes der Wertschätzung darstellt. An etwas Lust haben, das heißt einen besonderen Akt der Wertschätzung dem fraglichen Gegenstand gegenüber vollziehen und ebenso beim Begehren. Es läuft also hier der Versuch der Definition des Wertes darauf hinaus, den Wert als das zu erklären, was als wertvoll von uns geschätzt oder beurteilt wird. Hierbei wird, wie man sieht, der Begriff des Wertes vorausgesetzt. Es kommt dafür gar nicht darauf an, ob man das Bestehen eines objektiven Wertes annimmt, unabhängig von unserer Wertschätzung, oder nicht. In der Tat, die fragliche Definition, von der ich sprach, läuft auf einen ethischen Subjektivismus hinaus, sie verlegt den Wert in die subjektive Tatsache der Wertschätzung und lässt ihn darin aufgehen. Sie kennt keinen Wert unabhängig von der Wertschätzung. Die Konsequenz dieser Auffassung wäre die Leugnung eines objektiven Wertes überhaupt: es bliebe uns dann nichts anderes übrig als die psychologische Feststellung der Bewusstseinsakte der Wertschätzung. Man kann von dieser Wertschätzung nicht sprechen, ohne den Begriff des Wertes vorauszusetzen, mag der Wert auch nicht objektiv bestehen, sondern nur eingebildet sein, mag der Begriff des Wertes also gegenstandslos sein, als Begriff wird er hier vorausgesetzt und versteckterweise in der Definition schon gebraucht. Man täuscht sich hier nur durch die Worte. Es wird klarer, wenn man statt von Lust, Begehren, Gefallen und derartigen Dingen zu sprechen von Wertschätzung spricht und damit dasjenige Moment zum Ausdruck bringt, das in allen diesen psychologischen Akten enthalten und ihnen gemeinsam ist. Es ist klar, dass man bei einer solchen Auffassung konsequenterweise zu gar keiner

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ethischen Norm gelangen kann, denn diese wäre ja ein Kriterium zur Unterscheidung richtiger und falscher, begründeter und unbegründeter Wertschätzung. Wenn man den Wert nur durch die Wertschätzung definiert, so hat es keinen Sinn, von richtigem und falschem Wert zu sprechen, es gibt keinen objektiven Maßstab. Wer an einem solchen festhalten will, also Formen aufstellen will zur Unterscheidung dessen, was wirklich gut ist und was nur eingebildeterweise gut erscheint, der muss an dieser Theorie eine Einschränkung vornehmen, und so finden wir es denn auch bei Mill, dem Nachfolger von Bentham. Die Möglichkeit der Ethik verlangt eine auflösliche Norm als Kriterium für die richtigen Wertschätzungen. Dieses Bedürfnis gilt es in der Theorie zu berücksichtigen, und das geschieht bei Mill dadurch, dass er den Unterschied von höherer und niederer Lust einführt, von höherer und niederer Befriedigung, von wahrem und falschem oder eingebildetem Glück.141 Hier wird nun der Zirkel nur um so greifbarer, denn was geschieht hier anderes, als dass man eine Bewertung der Lust einführt nach einem von ihr unabhängigen Maßstab, nach einem also anderweit vorausgesetzten Begriff des Guten. Was ist die höhere Lust, die wahre Lust, anderes als die Lust am Guten im Gegensatz zur Lust am Schlechten oder Minderwertigen. Also nur diejenige Lust ist das Kriterium des Guten, die selbst eine Lust am Guten ist. Und wie sollen wir die Lust am Guten von der am Nichtguten unterscheiden, wenn wir nicht einen anderen Begriff des Guten voraussetzen als den der Lust. Wollten wir das nicht tun, so würden wir auch hier auf einen unendlichen Regress in unserer Definition hinauskommen. Die Lust am Guten wäre die Lust an dem, was Gegenstand einer wahren Lust ist, d. h. einer Lust an dem, was gut ist. Und damit haben wir wieder den zu erklärenden Begriff des Guten in unsere Definition aufgenommen. Wir müssen für ihn wieder die Definition einführen, und so kommen wir zu dem unendlichen Regress und das bedeutet, dass unsere Erklärung überhaupt keinen Sinn hat.

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Nichts anderes als eine Sublimierung dieses Fehlers ist die in der Geschichte der neueren Ethik berühmt gewordene Lehre von Franz Brentano: Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis.142 Es ist das eine berühmte Schrift von ihm. Hier wird es unternommen, eine Erklärung des Begriffs des Guten zu geben, durch die der ethische Subjektivismus und Hedonismus überwunden werden soll. Brentano definiert so: »Wir nennen etwas gut, wenn die darauf bezügliche Liebe richtig ist.«143 Liebe ist hier ein etwas unglücklicher Ausdruck, der im Grunde nichts anderes bedeutet als Gefallen, Schätzung. Hier wird also definiert: Wir nennen etwas gut, wenn die darauf bezügliche Schätzung richtig ist. Wann ist nun die Schätzung von etwas richtig? Nur dann, wenn, wie das tatsächlich gesagt wird, die Schätzung gut ist. Wir kommen also wieder auf denselben Zirkel. Brentano hätte ebenso gut und nur deutlicher definieren können: Wir nennen etwas gut, wenn es Gegenstand eines Gefallens ist, dessen Gegenstand das Gute ist. Denn das ist doch wohl der Sinn der Worte, wenn die darauf bezügliche Liebe richtig ist. Setzen wir diese Worte ein, so kommen wir auf den Satz: Wir nennen etwas gut, wenn es Gegenstand eines Gefallens ist, dessen Gegenstand das Gute ist. Es ist erstaunlich, dass es noch heute eine ganze Schule von Philosophen gibt, die meisten Anhänger der sogenannten phänomenologischen Schule, die in dieser Entdeckung Brentanos eine umspannende Reform der Ethik sieht. Solche Tatsachen weisen immer wieder darauf hin, dass es sich hier nicht um bloße Trugschlüsse handelt, sondern dass hier ein tiefer liegender Grund es erklären muss, dass auf diesem Gebiet sonst scharfe Denker sich in derartige grobe logische Fehler verwickeln. Diese tiefliegende Tatsache, die hier zu Grunde liegt, ist der Umstand, den gerade Brentano in krasser Weise übersieht, wenn er nämlich meint, dass die richtige Liebe evident sei. Das heißt nichts anderes, als dass die ethische Erkenntnis auf evidenten Axiomen beruhe, wie wir es für die Geometrie erkannt haben. Diese Voraussetzung ist aber offenbar falsch. Es gibt dafür keinen schlagenderen Gegenbeweis als die Möglichkeit eines der-

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artigen groben Irrtums über die elementarsten Begriffe der Wissenschaft, deren Evidenz hier propagiert wird. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die Methode der Einführung der Begriffe durch Definition irreführend und gefährlich ist. Ein anderes Beispiel aus einer praktischen Wissenschaft. Nehmen wir die Rechtslehre, den Begriff des Rechts, den Grundbegriff dieser Wissenschaft. Noch heute streiten sich die Rechtslehrer über die richtige Definition des Rechtsbegriffs. Es gibt einige Definitionen, die sich einer besonders weitgehenden Anerkennung erfreuen. Ich will hier zwei anführen. Die eine erklärt den Begriff des Rechts durch die Erzwingbarkeit einer bestimmten Verhaltungsmaßregel.144 Hier besteht zunächst eine Zweideutigkeit. Die Erzwingbarkeit, das ist die Möglichkeit, die Befolgung der fraglichen Regel zu erzwingen. Diese Möglichkeit kann ihrerseits entweder physisch verstanden werden oder rechtlich. Es wird kaum jemand ernstlich darauf bestehen, das Recht durch die physische Möglichkeit, einer bestimmten Verhaltungsregel Befolgung zu erzwingen, zu erklären. Es käme das auf ein offenbares Faustrecht, auf ein einfaches Recht des Stärkeren hinaus. Will man die Erzwingbarkeit der fraglichen Verhaltungsregel nicht physisch verstehen, so muss man sie rechtlich verstehen. Die Erzwingbarkeit läuft dann auf das Recht zu zwingen hinaus. Die Erzwingung einer Verhaltungsregel macht diese zu Recht offenbar nur dann, wenn die Erzwingung nicht zu Unrecht erfolgt. Wir müssen also diese Einschränkung der Rechtlichkeit der Erzwingung in die Definition aufnehmen, denn nicht jede Erzwingung einer Verhaltungsregel macht diese zu Recht. Wir erhalten hier wieder eine Zirkeldefinition, wir erklären das Recht als eine Eigenschaft einer Verhaltungsregel, deren Befolgung mit Recht erzwungen wird, oder durch das Recht der Erzwingung. Wir müssten hier also einen anderen Rechtsbegriff schon voraussetzen als den definierten, wenn wir uns nicht in einen unendlichen Regress verwickeln wollen. Wir kommen sonst auf die Notwendigkeit, die Definition einzusetzen für den zu definierenden Begriff des Rechts der Erzwingung. Es müsste

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also dann das fragliche Recht erklärt werden durch die Möglichkeit, den fraglichen Zwang seinerseits zu erzwingen, und diese Erzwingung des Zwanges müsste wiederum erzwungen werden können und so fort ins Unendliche. Wer also hier den unendlichen Regress, den Zirkel in der Definition vermeiden will, der muss offenbar schon einen anderen Rechtsbegriff voraussetzen im Widerspruch zu der Definition. Eine andere, etwas modernere Definition des Rechtsbegriffs, auf den die meisten Juristen verfallen, die die Unhaltbarkeit der eben erklärten Definition eingesehen haben, läuft darauf hinaus, den Rechtscharakter einer Verhaltungsregel zu erklären durch die Anerkennung der fraglichen Regel, insbesondere seitens der dieser Regel Unterworfenen. Hier müsste man nun fragen, als was soll die fragliche Regel anerkannt werden? Offenbar als Recht. Dann aber kommen wir wieder auf den gleichen logischen Zirkel wie vorhin. In der Tat, die fragliche Regel muss als Recht anerkannt werden und nicht etwa bloß als erzwungen, wenn die Anerkennung ihr Rechtscharakter verleihen soll. Setzten wir wieder die Definition ein, so kämen wir zu der Erklärung, dass diejenige Verhaltungsregel Recht ist, die als eine solche anerkannt wird, deren Rechtscharakter anerkannt wird. Wir kommen hier zu dem gleichen Zirkel, denn der definierte Begriff ist in der Definition enthalten. Wir kommen hier auf eine unendliche Reihe: Recht ist das, was als etwas anerkannt wird, von dem wir anerkennen, dass es anerkannt wird u.s.w. Es kommt hier zu gar keiner Anerkennung, die der fraglichen Regel den Rechtscharakter verleihen könnte. Derselbe Fehler tritt vielleicht noch deutlicher in Erscheinung in einer anderen sehr beliebten Formulierung. Sie erklärt das Recht als der Rechtsüberzeugung entsprechend.145 Der Rechtscharakter einer Regel beruht darauf, dass das Volk oder die Majorität, wie immer man das näher bestimmen will, davon überzeugt ist, dass sie Recht ist. Nun, hier tritt schon in dem Worte »Rechtsüberzeugung« der Zirkel zu Tage. Es ist klar, dass die Rechtsüberzeugung entweder eine richtige oder eine unrichtige Überzeugung ist. Ist sie eine richtige, so heißt

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das nicht anderes, als dass die Regel, wovon man überzeugt ist, richtig ist, wenn sie aber richtig ist, so kann sie nicht weniger richtig sein, wenn man irrigerweise nicht davon überzeugt wäre. Ist aber die Rechtsüberzeugung irrig, d. h. ist das, wovon man überzeugt ist, dass es richtig sei, nicht richtig, so steht man im Widerspruch zu der Definition, wonach das Recht der Rechtsüberzeugung entsprechen muss. Verwunderlich ist nur, dass eine derartig widerspruchsvolle Definition eine so weitgehende Anerkennung erfahren hat. Den Fehler, den Sie an einigen wenigen Beispielen erkannt haben, werden Sie nun leicht an anderen entsprechenden selbst finden können. Das mag genügen an derartigen Beispielen für den Missbrauch der Definitionen in der Philosophie, ein Missbrauch, der darauf beruht, dass man übersieht, dass es sich um ursprünglich gegebene und nicht erst durch Definition gebildete Begriffe handelt. Dieser Missbrauch der Definitionen in der Philosophie, den wir jetzt kennen gelernt haben, erklärt uns nun ein an und für sich sonst unauflösliches Paradoxon, nämlich er erklärt uns, wie eine Metaphysik zu Stande kommen konnte, die sich einer Methode bediente, von der von vornherein klar war, dass sie zu keinem Ergebnis führen konnte. Wie war es möglich, dass die dogmatische Metaphysik wenigstens dem Schein nach ein wissenschaftliches Gebäude aufführen konnte, und immer von neuem aufführt? Wo liegt hier die Täuschung, was erklärt uns den Schein? Diese Frage will ich jetzt beantworten. Der Schein entsteht dadurch, dass man einem an und für sich analytischen Urteil, einem Urteil, das auf einer Definition beruht und dessen analytischer Charakter seine Unangreifbarkeit verbürgt, unvermerkt ein synthetisches Urteil unterschiebt und so den Schein einer Fruchtbarkeit des wissenschaftlichen Vorgehens vortäuscht. Eine solche Täuschung kommt auch sonst vor, und es liegt hier im Grunde nichts anderes vor als das, was der Logiker eine quaternio terminorum nennt, indem man einem Begriff, der in der einen Prämisse vorkommt, in der anderen Prämisse einen anderen unterschiebt und so einen Schluss erhält, in dem man keinen

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Mittelbegriff hat. Auf diese Weise entsteht der Übergang vom analytischen zum synthetischen Urteil. Ich sagte schon, dass diese Form des Trugschlusses auch sonst bekannt ist, aber sie hat sonst nicht dieselbe Gefährlichkeit wie in der Philosophie. Das bekannte Schulbeispiel ist das folgende: Herodes ist ein Fuchs. Jeder Fuchs hat vier Beine. Herodes hat vier Beine.

Den Worten nach sind nur drei Termini in dem Schluss vorhanden, wie es sich gehört, den Begriffen nach aber vier. Man übersieht dies leicht, weil für zwei Begriffe ein und dasselbe Wort genommen ist. Ein etwas weniger durchsichtiges Beispiel, das in der Geschichte der Philosophie seit langem eine Rolle spielt und auch heute noch seinen Einfluss bis in die exakte Wissenschaft hinein erstreckt, ist das folgende: Es handelt sich um das Problem der Möglichkeit einer Fernkraft. Viele Physiker sehen noch heute in einer solchen Annahme eine logische Unmöglichkeit, sie argumentieren folgendermaßen: Kein Körper kann da wirken wo er nicht ist. Fernkraft wäre aber eine Kraft, die von einem Körper ausgeht, der wie das Wort sagt, in die Ferne wirkt, d. h. da wirkt, wo der wirkende Körper nicht ist. Durch diesen Schluss lassen sich noch heute viele Physiker täuschen und den Weg zur Entscheidung der Frage verbauen. Offenbar kann nur die Erfahrung die Frage entscheiden, ob es Fernkräfte in der Natur gibt oder nicht. Die Frage wird aber von ihnen entschieden vor aller Erfahrung auf Grund eines logischen Scheinbeweises. Der Fehler ist hier derselbe wie in dem angeführten Beispiel mit Herodes, der, weil er ein Fuchs ist, vier Beine hat. Kein Körper kann da wirken, wo er nicht ist. In der Tat, kein Körper kann von da wirken, wo er nicht ist, aber er kann recht wohl dahin wirken, wo er nicht ist. Diese beiden Begriffe werden hier vermengt durch den unbestimmten Ausdruck: da wirken, wo er nicht ist.

13. Juli

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ir waren stehen geblieben bei der Beschäftigung mit den Begriffen, von denen die dogmatische Philosophie nicht entscheiden kann, ob sie gegenstandslos oder gar widerspruchsvoll sind, eben darum, weil sie sie willkürlich durch eine Definition eingeführt hat und ihr keine Erkenntnisquelle zu Gebote steht, auf Grund deren eine Evidenz dafür vorhanden wäre, dass die fraglichen Gebilde existieren. Wir wollen nun eine analoge Betrachtung auf die Sätze der dogmatischen Philosophie anwenden, wie wir sie bisher hinsichtlich ihrer Begriffe angestellt haben. Es entsteht hier die Frage, wie überhaupt ein Fortschreiten, ein Von-der-Stelle-kommen der dogmatischen Philosophie möglich ist, da ihr doch nichts weiter gegeben ist als die von ihr selbst willkürlich gebildeten Begriffe. Wir wissen, dass aus bloßen Begriffen nur analytische Urteile hervorgehen können und niemals synthetische. Die dogmatische Philosophie macht aber unter dem Namen einer Metaphysik Anspruch auf die Feststellung synthetischer Sätze, und das heißt nichts anderes als dass sie Anspruch darauf macht, unser Wissen zu erweitern. Wie ist nun auch nur der Schein einer solchen Erweiterung unseres Wissens auf dogmatischem Wege möglich? Das ist die Frage, die wir gestellt hatten und um deren Beantwortung es mir jetzt zu tun ist. Wir hatten sie an Hand von Beispielen schon zu untersuchen begonnen und wissen bereits allgemein, dass der Schein einer Erweiterung des Wissens hier nur entstehen kann durch die Verwechslung von analytischen Urteilen mit synthetischen. Dieser Schein, der das ganze Gebäude der dogmatischen Metaphysik allein trägt, verschwindet mit der Unterscheidung der analytischen und synthetischen Urteile. Darauf beruht zuletzt die Wichtigkeit dieser Unterscheidung. Wer sich dieses Unterschiedes nicht hinreichend klar bewusst

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ist, dem geschieht es leicht, dass er einem analytischen Urteil, bei dem er sich auf den willkürlich eingeführten Begriff stützen kann, ein synthetisches unterschiebt und so glaubt, zu einer Erweiterung seines Wissens zu gelangen. Hier muss natürlich allemal eine Vertauschung von Begriffen vorkommen, eine quaternio terminorum, eben in dem Schlusssatz, der den Übergang vom analytischen, durch den Begriff gesicherten Urteil, zum synthetischen, in Wahrheit unbegründeten oder vielleicht gar falschen Urteil darstellt. Ein Beispiel, das einen solchen irreführenden Schluss uns darbietet, habe ich schon früher aus der Scholastik angeführt und will jetzt noch einmal daran erinnern, weil dieses Beispiel besondere Bedeutung in geschichtlicher Hinsicht hat und auch sachlich sehr lehrreich ist, jener Satz, der auch in dem ontologischen Gottesbeweis eine Rolle spielt, obgleich er auch unabhängig davon seine Bedeutung für die scholastische Metaphysik hatte, der Satz: Realitäten widerstreiten einander nicht.146 Der Gottesbegriff war ja definiert worden mit Hilfe des Begriffs des Alls der Realitäten, und die Annahme, dass diesem Begriff des Alls der Realitäten ein Gegenstand entspricht, setzt die Richtigkeit dieses Satzes voraus. Wenn einzelne Realitäten einander widerstreiten, d. h. nicht an einem Gegenstand vereinigt vorkommen können, so kann es gewiss kein All der Realitäten geben, und doch besteht hier ein gewisser Schein, der uns besticht, diesen Satz als wahr anzunehmen. Dieser Schein beruht auf der Verwechslung des Begriffs des Widerstreits mit dem Begriff des Widerspruchs. Wir hatten uns schon früher davon überzeugt, dass in dieser Formulierung der Satz richtig ist: Realitäten widersprechen einander nicht. Ein Widerspruch liegt nur vor zwischen einer Realität und ihrer Negation. Verwechselt man nun die beiden Begriffe des Widerspruchs und des Widerstreits, wo der Widerstreit die bloße Unverträglichkeit zweier Realitäten an einem Gegenstand bedeutet ohne Rücksicht darauf, ob der Grund dieser Unverträglichkeit logischer Natur ist wie beim Widerspruch, so schiebt sich dem analytischen Urteil: Realitäten widersprechen einander nicht, das

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synthetische unter, dass sie einander nicht widerstreiten, und dieses Urteil wird hier nicht allein ohne hinreichende Begründung eingeführt, sondern es ist sogar falsch, wie die Erfahrung ohne weiteres lehrt, so z. B. der Begriff eines geflügelten Pferdes. Er schließt gewiss keinen Widerspruch ein, und doch widerstreiten sich die in diesem Begriff vereinigt gedachten Realitäten des Pferdes und des geflügelten Wesens. Sie schließen einander in der Wirklichkeit aus. Dieses Beispiel spielt, wie gesagt, eine bedeutende Rolle in der scholastischen Philosophie, aber analoge Beispiele lassen sich in Hülle und Fülle auch in der heutigen Philosophie finden. Ich will einige anführen. Mir ist in diesen Tagen von einem meiner Hörer eine Nummer der Zeitschrift Dreigliederung des sozialen Organismus freundlichst überreicht worden, wohl um mich auf den Angriff vorzubereiten, der für eine Stuttgarter Konferenz im August dieses Jahres vorgesehen ist.147 Ich will diesem Angriff meinerseits zuvorkommen, indem ich meine Ansicht über einen Aufsatz mitteile, der in dieser Nummer steht148 und sich auf Steiners Philosophie der Freiheit149 bezieht. In diesem Aufsatz wird der Versuch gemacht, einen Einwurf zu widerlegen, der von einem seiner neuesten Kritiker gegen dieses Steinersche Buch erhoben worden ist. Um diesen Einwurf verständlich zu machen, will ich kurz sagen, wogegen er sich richtet. In der Philosophie der Freiheit wird von Rudolf Steiner die Lehre entwickelt, wonach, ähnlich wie ich das von anderen Philosophen auseinandergesetzt habe, die Begriffe eine Realität zu beanspruchen haben, wonach es Universalien in der Wirklichkeit gibt. Diese Lehre spielt eine Rolle in Steiners Ansicht über das Ich. Er sagt zwar nicht, das Ich sei ein allgemeiner Gegenstand, er spricht nicht von dem allgemeinen Ich geradezu, aber doch von dem universellen Denken, das seinerseits erst die Möglichkeit eines individuellen Ich begreiflich macht. Er sagt, es verhält sich nicht so, dass erst ein Ich da wäre, welches dann denkt, sondern umgekehrt, es ist ein allgemeines Denken da, das dann, wenn es sich auf sich selbst richtet, zur Entstehung eines Ich führt. So wenigstens

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wird die Ansicht Steiners in diesem Aufsatz dargestellt und gedeutet. Es heißt da wörtlich: »Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen können. … Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. Wenn wir als denkendes Subjekt also den Begriff auf ein Objekt beziehen, so dürfen wir diese Beziehung nicht als etwas bloß Subjektives auffassen. Nicht das Subjekt ist es, welches die Beziehung herbeiführt, sondern das Denken. Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist, sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. Die Tätigkeit, die der Mensch als denkendes Wesen ausübt, ist also keine bloß subjektive, sondern eine solche, die weder subjektiv noch objektiv ist, eine über diese beiden Begriffe hinausgehende. Ich darf niemals sagen, daß mein individuelles Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens Gnaden.«150 Also es gibt kein Ich, welches denkt, sondern ein Denken, welches das Ich erst hervorbringt, und zwar ist das darum so, weil der Begriff des Ich erst durch das Denken gebildet wird. Nun, diese Argumentation beweist natürlich zu viel, denn es verhält sich mit dem Begriff des Ich nicht anders als mit jedem anderen. Der Begriff des Seins wird auch erst durch das Denken gebildet, wir müssten also schließen, dass nichts ist, weil der Begriff des Seins erst durch das Denken gebildet wird, analog dem, dass es kein Ich gibt, ohne dass erst der Begriff des Ich durch das Denken entstünde, und Entsprechendes gälte auch für das Denken und den Begriff des Denkens. Doch darauf kommt es hier nicht so sehr an. Der Einwand, der gegen Steiner erhoben worden ist, hat, um es prägnant auszudrücken, wie es dort nicht gerade geschieht, zum Inhalt, dass Steiner den Begriff des Ich mit dem Ich verwechselt. Der Begriff des Ich werde durch das Denken gebildet, aber darum das Ich so wenig wie sonst irgendein anderer Gegenstand, von dem wir den Begriff durch das Denken bilden. »Das Ich«, so lautet sinngemäß dieser Einwand, »oder das Subjekt muss doch schon vor dem

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Auffassungsakt seiner selbst dagewesen sein. Es muss doch schon vorher ein Subjekt gewesen sein, ehe es den Denkakt realisiert, durch den es sich selbst erkennt« u.s.w.151 Das scheint recht einleuchtend. Dennoch wird dieser Einwand in dem fraglichen Artikel zurückgewiesen. Wir wollen nun sehen wie. Ich will einige Sätze vorlesen: »Ist der Strukturzusammenhang als solcher Subjekt oder ist er es erst, wenn er als solcher aufgefaßt wird? Das ist nämlich das Unterscheidende zwischen dem Subjekt und allem übrigen, z. B. einer Pflanze. Die Pflanze ist Pflanze, wenn man sie auch nicht als solche auffaßt. Das Subjekt ist aber erst Subjekt, wenn es sich als solches weiß. Man kann nicht ein Subjekt sein, ohne sich als Subjekt zu wissen. Das Sich-als-Subjekt-Wissen ist ein für das Subjektsein konstituierender Faktor. Der Vorwurf, den Kerler gegen Steiner erhebt, zeigt daher, daß Kerler nicht durchschaut, daß alles, was er über des Denken sagt, nur gilt, solange man über Objekte denkt. Denkt man über das Denken, tut man also das, was zum Erfassen des eigenen Subjekts führt, dann ist man denkend in einer Realität. Denn man schafft da etwas, betrachtet nicht nur. Man schafft da das Subjekt. Überall sonst fällt Schaffen und Erkennen auseinander. Im Ich aber sind sie dasselbe. Man schafft sich als Ich, indem man sich als Ich erkennt. Die Scholastiker unterschieden das »ante rem«, das »post rem« und das »in re« innerhalb der universalia. Das Urbild geht dem Schaffen voran (ante rem). Das nachträgliche Erkennen eines schon Vorhandenen setzt dessen Existenz voraus (post rem). Beim Schaffen und Erkennen des Subjekts steht man »in re«, und zwar so, dass das, was sonst stets getrennt ist, das »ante rem« und das »post rem«, hier mit dem »in re« zusammenfällt. Im Ich fallen die drei universalia in Eins zusammen. Das ist das mysterium magnum … Wenn also Kerler S. 260 sagt: »Ich habe also Steiner vorzuwerfen, daß er ›Subjekt‹ und ›aufgefaßtes Subjekt‹, zwei grundverschiedene Dinge, identifiziert. Vor aller Auffassung war das Subjekt schon da«, so ist zu antworten: Gewiss, es war da, aber als etwas, das in diesem Stadium seines Daseins noch nicht Subjekt genannt werden darf. Subjekt

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ist erst und darf es erst heißen, wenn es als Subjekt im Erkennungsakt erfasst wird. Erst wenn das Denken sich auf sich selbst zurückbiegt im Denken über das Denken, entsteht das Subjekt realiter durch den Akt des sich selber als Ich-Ergreifens, der ein Erkenntnisakt ist. Die Erkenntnis ist hier konstituierend für das Subjekt und dieses lebt von des Denkens Gnaden.«152 Wie gelingt hier diese scheinbare Widerlegung des fraglichen Einwands? Nun, durch Einführung einer Nominaldefinition, indem nämlich festgesetzt wird, das Subjekt dürfe erst so heißen, wenn es sich als solches denkt. »Das Sich-alsSubjekt-Wissen ist ein für das Subjektsein konstituierender Faktor. Subjekt ist es erst und darf es erst heißen, wenn es als Subjekt im Erkenntnisakt erfasst wird.« Hiergegen ist zweierlei zu sagen. Erstens, als was soll sich das Subjekt wissen, um so heißen zu dürfen, als was soll es sich erkennen? Als Subjekt. Das ist ein Begriff, der in der Definition schon gebraucht wird: Etwas ist Subjekt, wenn es sich als Subjekt auffasst. Hier haben wir eine Zirkeldefinition vor uns ganz von der Art, wie die neulich beispielsweise betrachtete. Das Subjekt wird hier durch den Begriff des Subjekts definiert. Setzen wir den definierten Begriff ein, so kommen wir zu der Definition: Etwas ist Subjekt, wenn es sich als das erfasst, was sich als das erfasst, und so immer weiter, ohne dass wir jemals erführen, als was sich etwas erfassen muss, um Subjekt heißen zu dürfen. Aber wir wollen einmal davon absehen und voraussetzen, das sei nur ein Ungeschick der Darstellung, der Verfasser habe vielleicht nur sagen wollen, etwas sei Subjekt, wenn es sich selbst erkennt, also durch diese Beziehung auf sich selbst, für deren Begriff wir den des Subjekts noch nicht gebrauchen. Alles, was sich selbst denkt, ist also Subjekt. In diesem Begriff liegt kein Zirkel, aber wir haben dann doch wieder nur eine bloße Nominaldefinition. Wir dürfen einen Gegenstand dann und nur dann Subjekt nennen, wenn er etwas sich selbst Denkendes ist, und gewiss wird nach dieser Definition etwas, was es auch sein mag, also auch das individuelle Ich, erst dadurch zum Subjekt, dass es sich selbst denkt. Nur folgt daraus nicht, was

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daraus folgen soll. Es sollte nämlich daraus folgen, dass es unabhängig von dem Sich-selbst-Denken kein individuelles Ich geben kann, das als solches von dem ihm gegenüberstehenden Objekt verschieden ist, und das folgt hier auf keine Weise. Man müsste denn dem durch Nominaldefinition definierten Begriff des Subjekts erst den anderen des individuellen Ich unterschieben, und in der hierin stillschweigend versteckt liegenden Behauptung der Identität der Gegenstände dieser beiden Begriffe liegt gerade der zu beweisende Satz. Wir haben hier also eine petitio principii, und der fragliche Schluss beruht auf einer quaternio terminorum. Ein anderes Beispiel für den Grund der scheinbaren Fruchtbarkeit des dogmatischen Philosophierens. Die Methode, die hier unrechtmäßig angewendet wird, findet heutzutage eine besonders ausgiebige Anwendung auf einem Gebiet, von dem ich neulich schon Beispiele herangezogen habe, nämlich auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie. Auf diesem Gebiet herrscht der Scholastizismus noch fast ebenso unumschränkt wie vor dem Auftreten Kants in der gesamten Philosophie. Der Streit, den die Rechtsphilosophen untereinander führen, ist, wenn wir näher zusehen, in der Regel ein Streit um Definitionen, und dieser Umstand verdient in diesem Zusammenhang von vornherein unsere Aufmerksamkeit. Wie können, so fragen wir uns, vernünftige Menschen um die Definition von Begriffen miteinander streiten? Dieses Phänomen ist zunächst vollkommen unverständlich. Man mag einen Begriff definieren, wie man will, letzten Endes handelt es sich hierbei doch immer nur um einen Wortstreit, um eine terminologische Frage, nämlich darum, wie ein jeder es für gut findet, ein Wort zu gebrauchen, es mit diesem oder jenem Begriff zu verbinden. Eine Behauptung über irgendeinen Sachverhalt liegt hier gar nicht vor. Wie kann hier also ein Streit unter vernünftigen Menschen stattfinden, ich wiederhole diese Frage. Eine Erklärung dieses Umstandes erhalten wir nur dadurch, dass man unausgesprochen bei der fraglichen Definition wirklich zugleich an eine Behauptung über einen objektiven Sachverhalt denkt. Es liegt

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dabei immer stillschweigend ein Satz zu Grunde, dessen Richtigkeit oder Falschheit in der Tat davon abhängt, welchen Begriff man mit dem darin vorkommenden Ausdruck verbindet, und nur in Hinsicht auf diesen versteckten Satz erklärt sich das Interesse an der Definition. Dieser Satz und kein Begriff ist das Fundament der angestrebten Wissenschaft. Ihn muss man aufsuchen, über ihn muss man entscheiden ohne Rücksicht darauf, ob ein Begriff so oder anders definiert wird. Das ausgesprochenste Beispiel für den Typus über das Recht zu philosophieren, wie ich ihn hier vor Augen habe, bietet uns Rudolf Stammler,153 der noch heute in Berlin lehrende Jurist und Rechtsphilosoph, der das berühmte Buch geschrieben hat Die Lehre von dem richtigen Rechte.154 Das Prinzip des richtigen Rechts, das Stammler aufstellt, ist das von ihm sogenannte soziale Ideal.155 Er führt den Begriff des sozialen Ideals durch eine Definition ein. Das soziale Ideal wird definiert als die »Gemeinschaft frei wollender Menschen«.156 Dieser Begriff ist nach Stammler das Fundament der Rechtswissenschaft oder der Rechtsphilosophie, der Lehre vom richtigen Recht. Er gibt uns das Kriterium des richtigen Rechts. Um zu entscheiden ob eine vorliegende Rechtsordnung oder auch nur eine einzige Rechtsentscheidung richtig ist, brauchen wir sie nur zu vergleichen mit dem, was wir in diesem Begriff des sozialen Ideals finden. Es entsteht hier die Frage: Was bedeutet frei wollende Menschen? Dieser Begriff wird von Stammler definiert: Frei wollen heißt das objektiv Richtige wollen.157 Wir müssen also einsetzen und erhalten: Das soziale Ideal ist die Gemeinschaft der das objektiv Richtige wollenden Menschen. Was ist dann aber objektiv richtig? Auch dieses wird von Stammler definiert: Das objektiv Richtige ist das dem sozialen Ideal Entsprechende.158 Das soziale Ideal ist hiernach die Gemeinschaft der das dem sozialen Ideal Entsprechende wollenden Menschen. Der zu definierende Begriff steht in der Definition von Neuem und muss für sie als anderweit definiert vorausgesetzt werden.159 Wir können natürlich, wie wir es neulich gemacht haben, nun wieder einsetzen: Das soziale Ideal ist die

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Gemeinschaft der die Gemeinschaft freiwollender Menschen wollenden Menschen und so fort ins Unendliche. Wir können natürlich auf Grund dieses Begriffs niemals von irgendeiner Rechtsentscheidung feststellen, ob sie richtig ist, denn dieser Begriff existiert nicht. Es existieren nur diese Kreidezeichen an der Tafel oder die Druckerschwärze in dem Buch, das den Titel führt Die Lehre von dem richtigen Rechte. Dennoch unternimmt es Stammler mit Hilfe dieses Begriffs beispielsweise Rechtsfragen zu entscheiden. Wir wollen hier ein Beispiel ins Auge fassen, das den Scholastizismus dieser Art, über das Recht zu philosophieren, noch deutlicher macht – wobei ich mit Scholastizismus den grotesken Versuch meine, bestimmte Rechtsfragen auf Grund von Definitionen zu entscheiden. Ich wähle als Beispiel das Problem der ehelichen Treue. Stammler unternimmt den Beweis, dass die eheliche Treue eine Forderung des richtigen Rechts ist, dass also die eheliche Untreue gegen das Kriterium des richtigen Rechts verstößt.160 Dieses Ergebnis ist für ihn eine einfache Folge der Konsequenz, des folgerichtigen Denkens. Es ergibt sich aus dem Wunsch nach Vermeidung eines Widerspruchs. Man sollte also meinen, dass nur die Unfähigkeit zum logischen Denken Menschen zur ehelichen Untreue verführen könnte. Wie wird nun dieser Versuch ausgeführt, die eheliche Treue als eine Anwendung der logischen Widerspruchslosigkeit des Denkens zu erweisen? Durch eine einfache Definition. Man definiert nämlich die Ehe als eine Gemeinschaft oder die Gemeinschaft beiderseitiger bedingungsloser Hingabe. Aus dieser Definition wird die Folgerung gezogen, jeder der beiden Ehegatten schuldet dem anderen bedingungslose Hingabe, sonst ist ihre Gemeinschaft keine Ehe. Ich will Ihnen den Text, der hier in Betracht kommt, wörtlich vorlesen: »In der Ehe soll sich der Gedanke verkörpern, dass bei voller Hingebung der eigenen Person diese in dem Empfange der gleichen bedingungslosen Hingabe des andern Teils sich wiedergewinnt …«161 »Die eheliche Treue ergibt sich sonach als einfache Ausführung des folgerichtigen Denkens«.162 Sie sehen, dass ich nicht zu viel behauptet habe. Gibt

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sich nur der eine Teil völlig hin, der andere nicht, so ergibt sich ein Widerspruch, indem »ein Rechtsverhältnis aufrecht erhalten werden sollte, dessen Durchführung, da es auf beiderseitiger vollendeter Hingabe fußt, durch den einen Teil unmöglich gemacht wird.«163 Was ist hier nun bewiesen? Es ist in der Tat bewiesen, dass auf Grund der eingeführten Definition eine Gemeinschaft, die der Anforderung der ehelichen Treue nicht genügt, keine Ehe ist, nicht eine Ehe genannt werden darf. Es ist damit nur bewiesen, dass, um an dieser Definition festzuhalten, die Gemeinschaft fortan nicht mehr eine Ehe genannt werden darf. Dieses Ergebnis hat aber nur sprachliche Bedeutung, es interessiert vielleicht den Philologen, aber keinesfalls den Ehemann als solchen. Die Ehe wird hier durch die Ausschließung der Untreue definiert. Das bezieht sich in der Tat nur auf den Namen der Ehe, und in dieser Beweisführung wird die Frage gar nicht berührt, die durch sie entschieden werden sollte, nämlich, ob die eheliche Treue sein soll oder nicht, ob sie rechtlich richtig ist oder nicht. Wir können, um das klarzustellen, die alte Frage nun so formulieren: Soll die Gemeinschaft der Geschlechter eine Ehe sein im Sinne dieser Definition der Ehe? In dieser Form tritt die alte Frage ungelöst wieder auf, und dieses wäre die zu entscheidende Behauptung, dass die Gemeinschaft der Geschlechter eine Ehe sein soll. Diese Behauptung wird, wie gesagt, in der Beweisführung gar nicht berührt. Das Sophistische dieser Art zu beweisen, auch dann, wenn gegen den Beweis sonst nichts einzuwenden wäre, tritt darin hervor, dass sie offenbar zu viel beweisen würde. Ich habe schon angedeutet, dass nach dieser Beweisführung eheliche Untreue gar nicht möglich wäre. Das würde ja einen logischen Widerspruch einschließen. Man könnte nun auf den Ausweg verfallen, diesem Mangel dadurch abzuhelfen, dass man in die Definition aufnimmt, dass die Ehe eine Gemeinschaft der Art ist, dass in ihr beiderseitige bedingungslose Hingabe stattfinden soll. Aber dieses Manöver hilft gar nichts, denn der durch diese Forderung definierte Begriff der Ehe wäre gänzlich unanwendbar. Wir müssten, um auf Grund

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dieser Definition festzustellen, ob eine Gemeinschaft der Anforderung der Treue genügen soll oder nicht, schon wissen, das sie eine Ehe ist. Um das aber zu wissen, müssen wir nach der modifizierten Definition schon entdeckt haben, dass sie die Form beiderseitiger bedingungsloser Hingabe, der Treue, haben soll, was die Frage war, die erst durch Anwendung dieser Definition angeblich entschieden werden soll. Ein anderes Beispiel der Rechtslehre von noch größerer und durchsichtigerer Bedeutung. Ich wähle solche Beispiele absichtlich, damit Sie sich überzeugen, dass es sich nicht nur um logische Spitzfindigkeiten handelt, sondern dass hier Fehler von großer praktischer Tragweite vorliegen. Ich meine die Frage des Völkerbundes.164 In der Rechtslehre und insbesondere in der Rechtsphilosophie galt es bis gegen Kriegsende wenigstens in Deutschland als eine unumstößlich feststehende Wahrheit, dass es kein rechtliches Ideal des Völkerbundes gibt, auf Grund nämlich des berühmt gewordenen Begriffs der Souveränität, die, wie man meinte, zum Begriff des Staates gehört. Der Staat würde nach dieser Auffassung seine eigene Existenz preisgeben, wenn er sich einem Völkerbunde, d. h. einer übergeordneten Rechtsgemeinschaft unterordnen müsste. Er würde dann die Souveränität, die Unabhängigkeit der ihm nun einmal notwendig zukommenden Herrschermacht verlieren, er werde aufhören, als Staat zu existieren, er würde sich selbst vernichten. Die Vorstellung des Völkerbundes erscheint hiernach geradezu als ein sich selbst widersprechender Begriff, als etwas, was schon rein logisch ebenso unmöglich ist wie nach Stammler die eheliche Untreue. Der Fehler, der hier begangen wird, besteht darin, dass man dem Begriff des Staates, der vor jeder willkürlichen Definition feststeht, durch willkürliche Nominaldefinition einen eigens gebildeten Begriff des Staates unterschiebt, und zwar wird hier dieser Begriff definiert mit Hilfe des Merkmals der Souveränität, d. h. der rechtlichen Unabhängigkeit von jeder übergeordneten Rechtsorganisation. Mit Hilfe dieser Nominaldefinition wird der Trugschluss erzeugt, dass die Einordnung der Staaten in

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eine über ihnen stehende, ihren Verkehr rechtlich regelnde Organisation ihrer Selbstvernichtung gleichkommt. In der Tat, wenn man den Begriff des Staates durch das Merkmal der Souveränität definiert, so wird der so definierte Staat durch die Einführung des Völkerbundes vernichtet, aber die wirklichen Staaten werden dadurch nicht betroffen.

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ch hatte neulich begonnen, Ihnen ein Beispiel vorzuführen, das ich gewählt habe, um Ihnen einmal zu zeigen, dass es sich keineswegs bloß um Spitzfindigkeiten handelt bei der Vermeidung der typischen Denkfehler, vor denen ich Sie schützen möchte, sondern dass solche Denkfehler unter Umständen Folgen von der allergrößten, unmittelbar praktischen Tragweite haben können, von einer praktischen Tragweite, die vielfach weiter geht, als dass sie bloß das Schicksal einzelner Menschen in Mitleidenschaft zöge, von einer Tragweite, die soweit geht, dass das Schicksal ganzer Völker und Weltteile davon betroffen werden kann, ja das Schicksal der Menschheit. Sie werden mir bald zugeben, dass ich nicht zu viel behauptet habe. Es handelt sich um das Problem des Völkerbundes, und meine Absicht ist, Ihnen zu zeigen, dass die Verwirrung der Begriffe auf dem Gebiete der Rechtslehre in dieser praktisch so ungeheuer wichtigen Frage die größte Verwirrung nach sich zieht, und dass diese Verwirrung ihrerseits, was schon leichter zu verstehen ist, das Schicksal der Völker seinerseits in die größte Verwirrung bringen kann. Ich will noch einmal den Grund des Sophismas aufdecken, das hier eine Rolle gespielt hat. Zu den Begriffen, die vor aller Definition gegeben sind, gehört auch der Begriff des Staates. Jedem von uns und jedem Rechtslehrer insbesondere, namentlich dem Staats- und Völkerrechtslehrer, ist dieser Begriff geläufig. Sie wenden ihn an und müssen ihn anwenden vor jeder Definition. Dieser Umstand ist es auch, der das Interesse erklärt, das sich an die Streitfrage heftet, wie der Staatsbegriff zu definieren sei. Ich sagte neulich schon, dass es an und für sich rätselhaft sei, wie sich vernünftige Menschen über eine Definition streiten können. Dieses Rätsel löst sich einzig und allein, wenn wir daran denken, dass es Begriffe gibt, die schon vor

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der Definition feststehen, und auch diejenigen, die eine Definition des fraglichen Begriffs versuchen und sich nicht darüber klar sind, dass ihre Definition nicht mehr willkürlich ist, sondern dass der zu definierende Begriff schon vor der Definition gegeben ist, auch diejenigen haben, wenn sie sich auch nicht darüber klar sind, ein gewisses dunkles Gefühl dafür, dass der Freiheit des Definierens hier durch einen ursprünglich gegebenen Begriff oder durch irgendetwas, sie wissen selbst nicht wodurch, eine Grenze gezogen ist. Daher das Interesse an der Definition, dass sie so und nicht anders gegeben wird. In dem Begriff an sich, der hier definiert wird, ist keinerlei Behauptung enthalten. Der Begriff an sich kann nach Belieben so oder anders definiert werden, wenn sich nicht damit unbewusst eine Behauptung verbände, nämlich die Behauptung, dass die Definition wirklich den ursprünglich gegebenen Begriff deckt, d. h. diejenigen und nur diejenigen Merkmale enthält, die in dem vor der Definition schon feststehenden Begriff liegen. Die Behauptung betrifft also hier, man mag es sich eingestehen oder nicht, die Identität des definierten Begriffs mit dem gegebenen oder doch wenigstens des Umfanges beider Begriffe, d. h. der Gegenstände des einen und des anderen. Diese Behauptung ist es, die hier versteckterweise eine Rolle spielt, um die hier der Streit geht, ohne dass sich die Streitenden, im Allgemeinen wenigstens, darüber klar wären. Etwas Ähnliches haben wir schon an dem früher genannten Beispiel gefunden, an dem Beispiel der Ehe. Auch von der Ehe haben wir einen Begriff, bevor wir eine Definition der Ehe einführen, und wir werden im Allgemeinen, wenn man nicht ausdrücklich das Gegenteil bemerkt, voraussetzen, es sei die Absicht des Definierenden, den Begriff zu definieren, den wir von der Ehe unabhängig von ihrer Definition, haben, da wir keinen Grund haben, anzunehmen, dass er uns hinters Licht führen und ein Wortspiel mit uns treiben will. Tatsächlich aber läuft der Umstand, dass derjenige, der die Definition gibt, sich über dieses Verhältnis nicht klar ist, darauf hinaus, dass er doch seine Leser, Hörer und sich selbst durch ein Wortspiel hinters Licht

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führt, indem er nicht darauf achtet, wirklich den ursprünglich gegebenen Begriff zu definieren, und dann die Behauptung, dass die Gegenstände des einen Begriffs mit denen des anderen Begriffs zusammenfallen, einschmuggelt durch eine Erschleichung, wobei er dann den Anspruch erhebt, auf Grund seiner Definition diese Behauptung sichergestellt zu sehen, obwohl dafür nicht das Allergeringste ins Feld geführt werden kann. Ähnlich ist es auch beim Staatsbegriff. Die Staats- und Völkerrechtslehrer, vor allen die deutschen, pflegen den Staatsbegriff zu definieren mit Hilfe des Merkmals der Souveränität, durch das Merkmal der rechtlichen Unabhängigkeit des fraglichen Gebildes von jeder übergeordneten Herrschermacht, und es war ein Leichtes für sie, zu beweisen, dass das Ideal des Völkerbundes nicht etwa nur eine Utopie sei, nein vielmehr ein sich selbst widersprechender Begriff, etwas in jeder Hinsicht Unmögliches, und damit alle diejenigen zu Narren zu stempeln, die sich um die Verwirklichung des Völkerbundes bemühten. Sie gingen, was ihnen auf Grund der Definition sehr leicht gemacht wurde, so weit, zu behaupten, dass ein Staat, der es unternähme, sich einem Völkerbund anzuschließen, sich selbst vernichte. Die Einführung des Völkerbundes würde einen vernichtenden Angriff auf die Existenz der einzelnen Staaten bedeuten. Es ist bekannt, wie sehr diese Auffassung nicht etwa nur in den Kreisen der Rechtsgelehrten an Boden gewonnen hat, sondern wie sehr sie den Gang der Dinge, die Geschicke der Völker wirklich beeinflusst hat. Sie wissen, dass ein Versuch, wenigstens einen Ansatz eines Völkerbundes einzuführen, nämlich die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zwischen den Staaten, in den Haager Konferenzen165 unternommen worden ist. Hier war die Mehrzahl der zivilisierten Nationen für die Einführung dieses ersten Ansatzes zu einem Völkerbund. Die Bestrebungen sind gescheitert an dem nicht zu überwindenden Widerstand des Deutschen Reiches. Das Deutsche Reich hatte als einen seiner Vertreter in Haag Herrn von Stengel entsandt, einen unserer Staats- und Völkerrechts-

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lehrer, und ich will Ihnen aus den Schriften dieses Staats- und Völkerrechtslehrers etwas vorlesen aus dem Buch Weltstaat und Friedensproblem166 Er erklärt, dass Mitglieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft nur Staaten sein können, d. h. nur souveräne Gemeinwesen.167 Daraus, dass hier Staaten vorausgesetzt werden, d. h. selbstständige und unabhängige, einer höheren Gewalt nicht unterworfene Gemeinwesen, folgt von selbst, dass die Souveränität der Staaten die Grundlage des Völkerrechts ist und auch bleiben muss. Wir bedürfen, wenn wir, wie die Pazifisten es anstreben, die fraglichen zur völkerrechtlichen Gemeinschaft gehörenden Staaten zu einem Weltbundesstaat vereinigten, keines Völkerrechts im gegebenen Sinn des Wortes mehr. Die Beziehungen zwischen den zum Weltbundesstaat gehörenden Mitgliederstaaten würden durch das Weltbundesstaatsrecht geregelt werden.168 Was ist hiermit nun gesagt? Es ist hier eine Definition des Begriffs »Völkerrecht« gegeben, wonach das Völkerrecht der Inbegriff derjenigen Rechtsbeziehungen ist, die zwischen souveränen Staaten bestehen.169 Es ist daher klar, dass die Aufhebung der Souveränität der Staaten und also die Einführung des ihnen übergeordneten Völkerbundes mit dem so definierten Völkerrecht im Widerspruch steht. Die Einführung des Staatenbundes würde einem Verstoß gegen das so definierte Völkerrecht gleichkommen. Nach diesem Begriff des Völkerrechts, wie er hier definiert wird, fordert das Völkerrecht die Aufrechterhaltung der in ihm vereinigten Staaten und verbietet die Einführung des Völkerbundes. Hier liegt nun ein solches Wortspiel vor, wie ich eben meinte. Dieses Beispiel betrifft hier das Wort »Völkerrecht«. Es steht jedem frei, den Begriff willkürlich zu bestimmen, den er mit diesem Wort verbinden will. Nur muss er sich darüber klar sein, dass dadurch der ursprüngliche, schon vor aller Definition feststehende Begriff des Völkerrechts nicht aus der Welt geschafft wird. Er hat also zu beweisen, welches Interesse für uns oder für die Staaten sich an die Aufrechterhaltung des von ihm so definierten Völkerrechts knüpft. Dieser Beweis fehlt hier vollständig. Es

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ergibt sich nur die Konsequenz, dass die Einführung des Völkerbundes der Aufhebung des Völkerrechts gleichkäme, ein Satz, der Menschen, die nicht zu denken gewohnt sind, gewiss erschrecken kann, aber niemandem imponieren wird, der sich nicht durch bloße Worte hinters Licht führen lässt. Es wird dadurch, wie gesagt, der ursprünglich gegebene Begriff des Völkerrechts in keiner Weise berührt, und dieses Völkerrecht könnte nach wie vor bestehen, ja vielleicht besser als vorher. Dagegen wird von dem, der den Unterschied des ursprünglich gegebenen Begriffs und des definierten Begriffs übersieht, der Schein erzeugt, als sei hier wirklich ein Beweis dafür erbracht, dass ein Rechtspostulat der Einführung des Völkerbundes im Wege stehe. Es ist ja nicht einmal die Realität des definierten Begriffs bewiesen worden, ob es so etwas wie das hier definierte Völkerrecht überhaupt gibt, geschweige denn gezeigt worden, dass das, was sein soll, wirklich einem rechtlichen Postulat entspricht. Von alledem ist hier nichts zu finden, und wenn man näher zusieht, so findet man nicht nur nicht den Beweis für diese Behauptung, sondern man sieht alsbald ihre Falschheit ein. Das wirkliche Völkerrecht, das seinem Begriff nach vor aller Definition gegeben ist, steht mit der Einführung des Völkerbundes nicht im Widerspruch, sondern fordert seine Einführung unmittelbar, und dasselbe gilt für den Staat. Der Staat freilich, der von Herrn von Stengel definiert wird durch das Merkmal der Souveränität, allerdings ein solcher Staat wird durch Einführung des Völkerbundes vernichtet. Aber warum soll er nicht vernichtet werden? Dieser Schein entsteht nur dadurch, dass man beim Gebrauch des Wortes »Staat« an diejenigen Gebilde denkt, die unter diesem Namen bekannt sind und nun zittert vor Furcht, dass der Staat, in dem man lebt, zu Grunde gehen könnte. Aber von diesen Staaten ist ja gar nicht die Rede. Für diese Staaten ist das Merkmal der Souveränität in keiner Weise definierend. Einen Staat nennt man, ich will hier keine Definition geben, aber so viel ist klar, alle die Gebilde, die eine Gemeinschaft von Menschen darstellen unter der Form einer eigenen Regierung, unter eigenen

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Gesetzen, eigener Gerichtsbarkeit und eigener Verwaltung. Selbstverständlich wird etwas Derartiges eintreten müssen, dass die Gesetze für die einzelnen Menschen eines Volkes gegeben werden von ihrer Regierung unabhängig von einer ihnen übergeordneten Macht, und wenn wir uns die Frage vorlegen, ob das Bestehen eines solchen Gesetzes, eines solchen Staates gefährdet, bedroht oder gar vernichtet wird durch seine Eingliederung in den Staatsbund, so brauchen wir uns nur zu erinnern, dass dieser Staatenbund zwar das Wechselverhältnis, den gegenseitigen Verkehr der Staaten regelt, im übrigen aber sich in die inneren Verhältnisse, d. h. die Gesetzgebung, die Rechtspflege und Verwaltung der Staaten gar nicht einzumischen braucht, und wir finden, dass die Existenz des Staates durch einen solchen Völkerbund nicht etwa bedroht, sondern im Gegenteil geschützt wird. So wie der Einzelne im Staat schutzlos räuberischen Überfällen seitens seiner Mitbürger ausgesetzt ist ohne eine Regierung, ohne Gesetze, ohne Gericht, ohne Polizeigewalt, die ihn davor schützt, ebenso ist der einzelne Staat so lange räuberischen Überfällen seitens seiner Nachbarn ausgesetzt, als es nicht eine über den Staaten stehende Macht gibt, die das Verhältnis der einzelnen Staaten rechtlich regelt und das Recht des einen gegen die Angriffe des anderen schützt. Es kann hier nicht davon die Rede sein, dass der Staatenbund, die Einführung des Völkerbundes, ein Attentat auf das Fortbestehen der Staaten wäre, da sie vielmehr darauf hinausläuft, den Fortbestand der Staaten zu schützen. Genau das Gegenteil ist der Fall von dem Schein, der durch die sophistische Argumentation hier erzeugt wird. Er verschwindet, sobald wir die willkürliche Nominaldefinition aus dem Spiel lassen. Dass es sich hierbei nicht etwa nur um den angeführten Autor handelt, der jene verhängnisvolle politische Rolle gespielt hat, sondern dass dieses, wie ich sagte, im Grunde eine Denkweise ist, die zum Mindesten in der deutschen Rechtswissenschaft bis gegen Kriegsende allgemein anerkannt wurde, das kann ich nicht besser beweisen, als wenn ich einige Sätze des

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berühmtesten der deutschen Staatsrechtslehrer der Neuzeit anführe, vielleicht des berühmtesten Staatsrechtslehrers aus der neusten Zeit: Jellinek.170 Dieser Autor, der Verfasser der Allgemeinen Staatslehre,171 die jedem Juristen bekannt ist, vertritt dort und in seinen anderen Büchern folgende Ansicht. Alle seine Argumentationen gehen aus von der Definition des Begriffs der Souveränität.172 Diese Tatsache verdient schon unsere Aufmerksamkeit. Denn welches Interesse hätte diese Frage überhaupt, wenn nicht dem Begriff der Souveränität die stillschweigendste niemals ausgesprochene Behauptung zu Grunde läge, dass diesem Begriff etwas Reelles entspricht, dass es so etwas wie Souveränität gibt, ein Recht der Souveränität nämlich. »Souveränität ist eben das Recht, nur durch eigenen Willen verpflichtbar und verpflichtet zu sein.«173 Sie ist »die Eigenschaft eines Staates, kraft welcher er nur durch eigenen Willen rechtlich gebunden werden kann.«174 Die Frage, ob es das hier definierte Recht gibt, wird, wie ich schon sagte, gar nicht aufgeworfen, und zwar darum nicht, weil ihre Bejahung als selbstverständlich gilt. Wer sich nun die Mühe macht, diese Frage wirklich zu stellen, für den genügt fast schon die Stellung dieser Frage, um sie verneinend zu entscheiden. Das hier definierte Recht enthält einen inneren Widerspruch und wir brauchen daher gar keine weiteren Nachforschungen anzustellen, ob es so etwas wie das hier definierte Recht gibt. Wir können von vornherein wissen, es kann es nicht geben, es widerspricht sich selbst und dem Begriff des Völkerrechts, auf den dieser Begriff gegründet werden sollte. Denn die Souveränität des einen Staates steht unmittelbar im Widerspruch zu der Souveränität des anderen. Souveränität wäre die rechtliche Unbeschränktheit des Staates. Nun ist die rechtliche Unbeschränktheit des einen Staates nur möglich auf Grund einer Beschränkung der Rechte der anderen Staaten. Ein Staat kann nur souverän sein im Verhältnis zu einem anderen, wenn dieser andere ihm gegenüber kein Recht hat, andernfalls würden dessen Rechte ja die Freiheit des ersten einschränken und also der Vernichtung seiner Souveränität gleichkommen.

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Es besteht eine Gewohnheit, sich aus dieser Schwierigkeit herauszuwinden durch die sophistische Erwiderung, dass gerade die Souveränität der Staaten es sei, die es erlaube, Rechtsverhältnisse zwischen ihnen einzuführen. Es sei die Souveränität des Staates, kraft derer er sich selbst Beschränkungen auferlege im Verkehr mit anderen Staaten, in der Form von Verträgen. Das klingt zunächst sehr plausibel. Aber wenn man der Frage tiefer auf den Grund geht, so zeigt sich hier der vorhin aufgewiesene Widerspruch von Neuem und nur um so greifbarer. Denn erstens einmal: Offenbar soll es doch ein Recht der Staaten geben, sich durch Verträge gegenseitig über ihren Verkehr zu verständigen. Das Recht des einen Staates auf einen Vertrag mit dem anderen würde aber dessen Souveränität bereits aufheben, denn jedes Recht eines Staates beruht ja auf einer Einschränkung des Rechts eines anderen und hebt also seine Souveränität auf. Zweitens aber: Worauf sollte die Verpflichtung der Ausführung der Verträge gegründet werden, wenn man den Vertrag seiner rechtlichen Bedeutung nach aus der Souveränität der Staaten hervorfließen lässt? Infolge dieser Souveränität ist ja der Staat an nichts anderes als seinen eigenen Willen gebunden, nur auf seinen eigenen Willensentscheid kommt es an, ob er den Vertrag halten oder durchbrechen will. Man kann auch die Verpflichtung zur Vertragstreue nicht etwa ihrerseits auf einen Vertrag gründen, durch den sich die Staaten etwa verpflichten, gegenseitig die zwischen ihnen abgeschlossenen Verträge zu halten. Für diesen Vertrag würde das gleiche gelten. Um verbindlich zu sein, würde er einen vorhergehenden voraussetzen, der die Verpflichtung enthält, diesen Vertrag zu halten, und von dem würde wieder das gleiche gelten u.s.f. bis ins Unendliche.175 Alles dieses ist nichts als Sophisterei und Rechtsverdrehung. Das betraf den Begriff der Souveränität. Dasselbe geschieht mit dem Begriff des Staates.176 Jellinek definiert den Staat folgendermaßen: »Eine jede organisierte weltliche Gemeinschaft aber, die keinen Verband über sich hat, ist Staat.«177 Aus dieser Definition folgt wieder ohne wei-

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teres, was hier bewiesen werden soll, dass nämlich der Begriff einer Staatenorganisation nicht etwa nur ein utopisches Ideal darstellt, sondern einen inneren Widerspruch enthält, logisch unmöglich ist. Wie denn auch Jellinek sagt, dass der Begriff der Staatenkorporation ein in sich widerspruchsvoller und daher nicht realisierbarer ist.178 Also nicht etwa physische Hindernisse, rechtliche Bedenken, Opportunitätserwägungen oder etwas Derartiges stehen der Einführung des Völkerbundes im Wege, nein die Logik verbietet sie. Was diese Sophismen so sehr begünstigt, ist ein besonderer Umstand, nämlich die historisch bestehende Tatsache, dass in der heutigen Welt die Staaten, im gewöhnlichen Sinne der Wortes, tatsächlich unter den hier definierten Begriff des Wortes fallen. Und von diesen Staaten, wenn wir von einzelnen besonderen Verhältnissen absehen, die hier Schwierigkeiten machen könnten, nämlich den Verhältnissen der Staaten in einem Bundesstaat, gilt es in der Tat, dass sie organisierte Gemeinschaften sind, die keinen Verband über sich haben. Dieses gilt aber nur so lange, als es keinen Völkerbund gibt. Das Nichtbestehen des Völkerbundes besagt ja nichts anderes, als dass sie keinen Verband über sich haben. Es ist also eine historisch richtige Behauptung, dass die Staaten im sprachüblichen Sinne des Wortes wirklich unter den definierten Begriff fallen, aber dieses nur zufällige historische Verhältnis wird hier mit einem rechtlich sogar logisch notwendigen verwechselt. Wie das vor sich geht, darin werden wir noch tiefer eingeführt. Denn Jellinek setzt uns ausdrücklich auseinander, was er unter der Aufgabe einer Definition sich vorstellt. Es ist das für uns sehr lehrreich. Er sagt nämlich, dass die Juristen dadurch zur Bildung eines Begriffs gelangen, dass alle unter denselben fallenden Erscheinungen sorgfältig geprüft und ihre gemeinsamen Merkmale verglichen und zusammengenommen werden. Die Induktion gilt in demselben Maße für die Feststellung der rechtlichen Begriffe wie für alle anderen aus der Erfahrung abstrahierten Begriffe. Wir gelangen nach dieser Auffassung zur Definition des Staatsbegriffes, indem wir alle un-

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ter ihn fallenden Erscheinungen sorgfältig prüfen und ihre gemeinsamen Merkmale zusammennehmen. Wir haben also nachzusehen, welche Merkmale den vorliegenden Staaten tatsächlich gemeinsam sind. Alle diese haben wir zusammenzunehmen und gewinnen so die Definition des Staatsbegriffs. Ich habe schon früher gezeigt, dass zum Inhalt eines Begriffs keineswegs alle die Merkmale gehören, die den unter ihn fallenden Gegenständen gemeinsam sind. Ein so definierter Begriff ist logisch überbestimmt. In den Begriff gehören diejenigen und nur diejenigen allen unter denselben fallenden Gegenständen gemeinsamen Merkmale, die zur eindeutigen Bestimmung dieser Gegenstände notwendig und hinreichend sind, d. h. die erforderlich und genügend sind, um zu entscheiden, ob irgendein Gegenstand in die fragliche Klasse fällt oder nicht. Das Hinzukommen der weiteren diesen Gegenständen gemeinsamen Merkmale zu jenen schon im Begriff liegenden, kann nur durch ein synthetisches Urteil festgestellt werden, und wenn es sich um historische Erscheinungen handelt, nur durch ein synthetisches Urteil a posteriori. Es steht natürlich, wie ich auch schon ausgeführt habe, gar nichts im Wege, auch die Gesamtheit aller gemeinsamen Merkmale einer Klasse von Gegenständen zu einem Begriff zu vereinigen. Man muss sich nur darüber klar sein, dass dieser Begriff ein anderer ist als jener, der die Definition der Merkmale jener Klasse enthält. Nur der Umfang dieser beiden Begriffe ist identisch, nicht aber ihr Inhalt. Das Urteil, das behauptet, dass die Gegenstände, die unter den einen Begriff fallen, den inhaltsärmeren, auch unter den anderen fallen, das ist und bleibt ein synthetisches Urteil. Auch wenn man die Gesamtheit der diesen Gegenständen gemeinsamen Merkmale zu einem neuen Begriff vereinigt, bleibt dieses Verhältnis ein durch keine logische Zergliederung und Vergleich der Begriffe erweislicher Satz. Der Versuch, der hier angestellt wird, auf induktivem Wege, d. h. durch Erforschung der den Gegenständen einer Klasse gemeinsamen Merkmale überhaupt, zur Definition zu gelangen, kann so wenig durch den Wunsch gerechtfertigt werden, der Erfahrung nicht durch

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spekulative Behauptungen vorzugreifen, dass er, wie man sieht, unvermeidlich zu allen jenen spekulativen Übergriffen Anlass gibt, die entstehen, wenn man zufällige, nur empirisch konstatierbare Tatsachen für notwendige Folgen einer Definition ausgibt. Dieses irreführende Spiel wird hier mit dem Staatsbegriff wirklich getrieben, indem der Schluss gezogen wird, dass »der Begriff einer Staatenkorporation ein in sich widerspruchsvoller und daher nicht realisierbarer ist.«179 Was wirklich aus den hier angestellten Manipulationen als Ergebnis herauszuziehen ist, ist immer nur das eine, dass die Unterwerfung der Staaten unter einen Völkerbund die Folge hat, dass die fraglichen Gebilde fortan nicht mehr den Namen Staaten tragen dürfen, denn ein Staat ist nach jener Definition nur noch der Völkerbund. Er ist die keinem höheren Recht unterworfene Organisation, während die Staaten wirklich einer solchen unterworfen werden, also nicht mehr den Namen »Staaten« tragen dürfen. Welches Unglück aber für die Staaten, für die Welt, für die Menschheit damit verbunden wäre, wenn dieser Name nicht mehr in dem von jenen Autoren beliebten Sinne Verwendung finden kann, das ist und bleibt ein Rätsel. Diese sophistische Lehre von der Staatensouveränität geht im Grunde auf Hegel zurück. Im Kern können Sie alle diese Sophismen in Hegels Philosophie des Rechts wiederfinden.180 Natürlich kann man auch hier dieser Kritik nicht dadurch ausweichen, dass man in die fragliche Definition des Staates durch das Merkmal der Souveränität die Forderung aufnimmt, dass die Staaten souverän sein sollen, im Gegensatz zu der Definition, wonach Staat ein Gebilde ist, das die Souveränität faktisch besitzt. Der Fehler lässt sich auch hier nicht dadurch vermeiden, dass man den Staat durch die Bedingung definiert, dass er von jeder höheren Macht unabhängig nicht sowohl ist, als vielmehr sein soll, denn um die in dieser Definition liegende Forderung auf ein bestimmtes politisches Gebilde anzuwenden, worauf es uns doch ankommt, dazu müssten wir schon früher wissen, dass dieses Gebilde ein Staat ist. Wie sollte man sonst im Stande sein, durch Anwendung des Staats-

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begriffs aus jenem rechtlichen Postulat einen Schluss für den vorliegenden Gegenstand zu ziehen. Um ihn diesem Begriff unterordnen zu können, müssten wir schon vorher feststellen, dass er die definierenden Merkmale, die in diesem Begriff liegen, wirklich besitzt. Wir müssten zuvor wissen, dass er souverän sein soll, und das ist ja gerade die Behauptung.

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ch habe in der vorigen Stunde an Hand von Beispielen, die ich hervorragenden Vertretern der Rechtswissenschaft entnommen habe, zu zeigen versucht, welche Rolle auf diesem Gebiet noch heute jene logizistische Metaphysik spielt, die den Schein der Erweiterung einer Erkenntnis dadurch hervorruft, dass sie durch einen Missbrauch willkürlich eingeführter Nominaldefinitionen einen Übergang erschleicht von einem in Wahrheit analytischen Urteil zu einem synthetischen, und ich habe die Beispiele aus diesem Gebiet nicht nur deshalb gewählt, weil hier jener Denkfehler noch am unangefochtensten und ausgebreitetsten in Ansehen steht, sondern auch deshalb, damit Sie an diesem Beispiel sehen können, dass es sich nicht um bloße Spitzfindigkeiten handelt, die den Akademiker, den Logiker, den Philosophen oder allenfalls den Rechtslehrer interessieren könnten, sondern dass dieser Denkfehler eine zwar verborgene aber um so größere Rolle spielt in Hinsicht auf die praktischen Wirkungen, die mit ihm verbunden sind, Wirkungen, die das Schicksal der Menschen, der Völker, ja der ganzen Menschheit in Mitleidenschaft ziehen. Es liegt hier nahe, auf diese Beziehungen einzugehen, aber ich will mir das versagen und bei der Theorie dieser logischen Fehler stehen bleiben und Ihnen selbst überlassen, einmal die praktischen Nutzanwendungen dieser theoretischen Erörterungen zu ziehen. Es würde dies in ein noch ungeschriebenes, bisher noch nicht bekannt gewordenes Kapitel jenes heiß umstrittenen Buches gehören, das augenblicklich die Völker über die Schuld am Kriege schreiben. Die Völker sind es selbst, die die tragischen Folgen dieser Denkfehler ihrer geistigen Führer zu bezahlen haben. In unserem Falle handelt es sich um die Idee des Völkerbundes, d. h. einer organisierten Rechtsordnung zwischen

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den Staaten. Hier beruht der Fehler auf einer willkürlich eingeführten Definition, zunächst des Begriffs des Völkerrechts. Es wird definiert etwa folgendermaßen: 1. Definition: Das Völkerrecht ist die Regelung der Beziehung zwischen den Staaten. Es wird nun genauer angegeben, welche Beziehungen und welche Regelung, aber darauf kommt es hier nicht an. Wohl aber kommt es darauf an, wie man den Begriff des Staates definiert. Und da hatten wir die folgende Nominaldefinition: 2. Definition: Ein Staat ist eine organisierte Gemeinschaft, die, wie man sagt, souverän ist, d. h. keiner übergeordneten Gemeinschaft, keinem übergeordneten Gemeinwesen eingegliedert ist, kurz eine unabhängig von jeder anderen Herrschermacht geregelte Gemeinschaft. Es kommt hier nur auf den Begriff der Souveränität an, d. h. der Unabhängigkeit von einem übergeordneten Gemeinwesen. Der Staat ist also ein Gemeinwesen, das nicht einem übergeordneten Gemeinwesen eingegliedert ist. Nun betrachtet man das Problem des Völkerbundes juristisch etwas schärfer, indem man die Bezeichnung Staatenbund dafür einführt. 3. Definition: Der Völkerbund ist eine organisierte Gemeinschaft von Staaten. Der Ton liegt hier auf organisiert. Es ist damit dasselbe ausgedrückt, was hier das Wort »Gemeinwesen« bedeutet. Organisiert, das ist der Gegensatz zu einer anarchischen Gemeinschaft, die bloß auf willkürlichen einzelnen Vereinbarungen beruht. Organisiert ist die Gemeinschaft dann, wenn eine Herrschermacht da ist, die die Beziehungen zwischen den einzelnen Gliedern regelt, die also den einzelnen Gliedern der Gemeinschaft übergeordnet ist. Nun braucht man bloß, wie es wenigstens scheint, diese Definitionen zusammenzufassen, um den Schluss zu erhalten, dass die Errichtung des Völkerbundes dem Völkerrecht widerstreitet. Sie ist mit ihm

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unvereinbar, das Völkerrecht verbietet sie. Was verbietet das Völkerrecht? Die Errichtung einer Organisation der Staaten zur Sicherung des Rechts zwischen ihnen, denn dadurch ist der Völkerbund definiert. Eine paradoxe Konsequenz, und in der Tat, sie ist erschlichen. Um uns die Erschleichung deutlicher zu machen, die hier begangen wird, brauchen wir nur in diesen Sätzen das Wort »Völkerrecht« zu ersetzen durch das Wort »Privatrecht« und das Wort »Staat« durch das Wort »Privatperson«. Wir haben dann folgende Sätze: Das Privatrecht ist die Regelung der Beziehungen zwischen den Privatpersonen. Eine Privatperson ist ein souveränes Individuum. Der Staat ist eine organisierte Gemeinschaft von Privatpersonen. Folglich widerstreitet die Errichtung des Staates dem Privatrecht. Mit anderen Worten: Die Anarchie im Verkehr der einzelnen Individuen untereinander ist ein Gebot des Rechts. Die Einführung einer das Recht im Verkehr der einzelnen Menschen sichernden Organisation widerstreitet dem Recht. Der Anarchismus erscheint so als ein logisch notwendiges Rechtspostulat. Was ist hier vor sich gegangen? Etwas ist hier nicht ganz in Ordnung. In dem Schluss, wonach die Errichtung des Völkerbundes dem Völkerrecht widerstreiten soll, versteht man unter dem Völkerrecht das die Beziehungen zwischen den Staaten regelnde Recht, den Inbegriff der Rechtsbeziehungen zwischen den Staaten, und versteht dabei unter einem Staat das, was vor jener willkürlich eingeführten Definition jeder unbefangene Mensch darunter versteht, nämlich eine organisierte Gemeinschaft von Privatpersonen, eine Gemeinschaft von Menschen derart, dass das Recht zwischen ihnen durch eine den einzelnen übergeordnete Herrschermacht gesichert wird. Nur wenn wir das Wort so verstehen, besteht das Paradoxe dieses Schlusssatzes. Halten wir uns wirklich an die Definition, so enthält der Schlusssatz gar nichts Paradoxes. Er sagt uns aber auch nichts, was für uns von praktischem Interesse sein könnte. Was praktisch uns sehr nahe angeht, das ist in der Tat das Schicksal des Staates, in dem wir leben,

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d. h. der organisierten Gemeinschaft einzelner Menschen, der wir angehören. Und versteht man unter dem Völkerrecht den Inbegriff der Rechtsbeziehungen zwischen den so verstandenen Staaten, so entfällt augenblicklich dieser Schlusssatz, ja die Errichtung des Völkerbundes scheint dann nicht mehr nur nicht dem Völkerrecht zu widerstreiten, sondern sie erscheint im Gegenteil als ein Postulat des Völkerrechts, genau so wie die Errichtung des Staates ein Postulat des Rechts in Bezug auf den Verkehr zwischen den Personen ist. Genau so wie nur durch die Errichtung des Staates das Recht des Individuums gegen Gewalt und Willkür seitens seiner Nachbarn geschützt werden kann, genau so wird das Recht des Staates gegenüber Willkür und Gewalt von Seiten seiner Nachbarn einzig und allein durch eine den Staaten übergeordnete Rechtsorganisation gesichert, durch Errichtung des Völkerbundes. Was hier also vorliegt, ist die Übertragung der Merkmale, die dem Staat, beziehungsweise dem Völkerrecht, zukommen auf Grund der willkürlich eingeführten Definition, auf den Staat und das Völkerrecht nach dem ursprünglich gegebenen Begriff des Staates und des Völkerrechts, der ein anderer ist als der in dieser Definition eingeführte. Einzig und allein durch diese Vertauschung des durch Nominaldefinition eingeführten Begriffs mit dem ursprünglich gegebenen, vor aller Definition feststehenden, glückt es den Advokaten des internationalen Faustrechts, Willkür und Gewalt im Namen des Rechts zu propagieren, und die Einführung einer Rechtsordnung zwischen den Staaten als ein staatsgefährliches Unternehmen zu verschreien, ein Manöver, das leider allzu sehr bei den gutgläubigen Völkern Glauben gefunden hat. Obgleich ich Ihnen bereits ausführlich die Ansicht eines so allgemein anerkannten Staats- und Völkerrechtslehrers wie Jellinek vorgetragen habe, könnte doch noch einer angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Konsequenz annehmen, dass hier eine Ausnahme vorliegt, und Zweifel hegen, ob es sich wirklich um einen so allgemein verbreiteten Fehler handelt. Deshalb will ich noch kurz ein paar Worte vorlesen von

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einigen anderen berühmten Völkerrechtslehrern. Zitelmann schreibt darüber folgendes:181 »Eine solche Erzwingbarkeit fehlt nun dem Völkerrecht allerdings, sie muss ihm fehlen, denn jeder wahre Staat ist souverän, d. h. er steht unter keiner anderen staatlichen Gewalt als seiner eigenen; wäre er einer mit rechtlicher Zwangsgewalt ausgerüsteten höheren Staatenorganisation unterworfen, so wäre er nicht mehr souveräner Staat, sondern Glied eines neuen Staats, eines Bundesstaats, und von Völkerrecht könnte keine Rede mehr sein, höchstens noch von einem öffentlichen Recht innerhalb dieses Staatsganzen.«182 Es sieht danach also so aus, als ob der einzelne Staat, der sich einem Völkerbund angliedert, in seiner Existenz vollständig vernichtet wird, als ob er aufginge in einem Weltstaat. Das ist allerdings der Fall, wenn man den Staat in diesem Sinne definiert, wenn man sagt, ein wahrer Staat ist souverän. Das Wort »wahr« ist hier schon sehr bedenklich, denn was ist ein wahrer Staat? Ein Gebilde ist entweder ein Staat oder kein Staat. Ob er ein wahrer Staat ist, d. h. ein solcher, der dem Autor gerade gefällt, das ist eine Frage für sich, und der Autor hat erst zu beweisen, dass ein Staat auch ein wahrer Staat, d. h. ein ihm wohlgefälliger sein soll; davon ist hier aber gar keine Rede, dieser Trugschluss ist hier nur erschlichen. Ein anderer sehr anerkannter Völkerrechtslehrer, Heilborn, sagt:183 »[…] der Staat darf sich für andere Staaten nicht aufopfern, sondern muß in Konfliktsfällen ausschließlich an sein eigenes Wohl denken. Das ist eine immer von neuem wiederholte Binsenwahrheit.«184 Also, dass der eine Staat nicht an das Recht der anderen Staaten denkt, das ist für einen Völkerrechtslehrer eine Binsenwahrheit, und die Unvereinbarkeit des Völkerrechts mit einer rechtlichen Organisation der Staaten ist dann natürlich nicht mehr schwer zu erschließen. »Das interne Recht der Verbandspersönlichkeit wäre aber begrifflich Staatsrecht.«185 Verbandspersönlichkeit wäre also hier der Völkerbund, und das in ihm geltende Recht wäre begrifflich Staatsrecht. Natürlich, wenn der Staat definiert ist als ein souveränes Gemeinwesen, so gibt es fortan keine

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verschiedenen Staaten mehr, sondern nur den »Völkerbund« genannten wahren Staat: »Das interne Recht der Verbandspersönlichkeit wäre aber begrifflich Staatsrecht; denn es regelte wie in einem Bundesstaat das Verhältnis des Verbandes zu den ihm eingegliederten untergeordneten Persönlichkeiten. Mit dem Völkerrecht wäre es also vorbei.« Es wäre mit dem Völkerrecht vorbei, wenn man zu seiner Sicherung diesen einzig möglichen Schritt unternähme. Ein anderes Beispiel, das uns zeigt, dass auch in der Göttinger juristischen Fakultät diese Ansicht Fuß gefasst hat. Ein Göttinger Völkerrechtslehrer, P. Schoen, sagt das Folgende über die Frage des objektiven Rechts zwischen Staaten:186 »Wer soll in für die souveränen Staaten bindender Weise diese Feststellung treffen?«187 Ein unbefangener Mensch, der die Frage auffasst, würde zunächst auf den Gedanken kommen, dass diese Feststellung denen zukommt, die auch sonst berufen sind, die Wahrheit festzustellen, und da es sich hier um eine rechtliche Wahrheit, um eine völkerrechtliche Wahrheit handelt, den Rechtslehrern, den Völkerrechtslehrern. Man erhält aber eine ganz andere Antwort: »Weder die Ansicht einzelner, noch die jeweils herrschende Meinung der Wissenschaft kann hier formal maßgebend sein für die Staaten.«188 Also die wissenschaftlich feststellbare Wahrheit darüber, was Recht ist, kann nicht maßgebend sein für die Staaten. »Die Staaten selbst sind berufen, die einzelne Norm auf ihren Wert zu prüfen, und selbst ihre Überzeugung, dass eine bestimmte Norm der Natur der Sache entspricht, kann sie formal an diese nicht binden. Denn der souveräne Staat kann begrifflich an keinen Satz gebunden sein, an den er nicht gebunden sein will; selbst eine Norm, die er bei objektiver Prüfung als eine der Natur der Sache entsprechende anerkennen muss, kann er formal zu Recht als eine für ihn bindende ablehnen, wenn er aus einem Grunde nicht an sie gebunden sein will.«189 Natürlich ist es unbestreitbar, dass, wenn Souveränität Unabhängigkeit des Staates von allen über seiner Willkür stehenden Rechtsnormen bedeutet, der souveräne Staat an solche Normen nicht gebunden sein

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kann. Aber was folgt daraus? Für die wirklichen Staaten gar nichts, es sei denn, dass erst bewiesen wird, dass sie souverän sein sollen. Wer aber diese Frage stellt, ob sie souverän sein sollen, ob es ein Recht der Souveränität geben kann, der wird auf der Stelle finden, dass das Recht der Souveränität sich selbst widerspricht. Ich habe das das vorige Mal schon gezeigt. Die rechtliche Möglichkeit eines in diesem Sinne souveränen Staates widerspricht sich selbst. Souveränität ist hier definiert durch die Unabhängigkeit von jeder Rechtsnorm. Jedes Recht irgendeines Staates, was wir auch nehmen wollen, erst recht aber das der Souveränität, würde die Souveränität jedes anderen Staates vernichten, denn das Recht des einen ist nur möglich durch eine Einschränkung des Rechts des anderen. Souveränität als ein allgemeines Recht der Staaten widerspricht sich daher selbst. Die Krone ist dieser Rechtsverdreherei aufgesetzt worden von dem Völkerrechtslehrer Erich Kaufmann, dessen Name aus diesem Grunde vermerkt zu werden verdient.190 Er hat ein Buch geschrieben über das Wesen des Völkerrechts,191 das sich einer solchen Anerkennung erfreut, dass man ihn auf den Berliner Lehrstuhl für Völkerrecht berufen hat. Hier wird der Grundsatz propagiert, dass kraft der Souveränität der Staaten das soziale Ideal der Krieg ist.192 Der Traum dieses Völkerrechtslehrers ist inzwischen ja in Erfüllung gegangen. Ob diese Erfüllung allerdings seinen eigenen Wünschen entspricht, ist eine andere Frage. So viel über den fraglichen Denkfehler in seiner Rolle auf dem Gebiet der Rechtslehre. Um Ihnen nun zu zeigen, wie tief eingewurzelt dieser Fehler tatsächlich ist, will ich noch zwei andere Beispiele aus einem anderen Gebiet anführen, und zwar aus einem Gebiet, in dem man das Vorkommen dieses Fehlers am allerwenigsten erwarten sollte. Man kann diesen Fehler in seinen bedenklichen Folgen sogar feststellen auf dem Gebiete der Mathematik, nämlich da in der Mathematik, wo über die Sätze dieser Wissenschaft philosophiert wird, wo also nicht sowohl die Richtigkeit der einzelnen Sätze in

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Frage steht, die nach den üblichen mathematischen Methoden entscheidbar ist, sondern wo es sich um die axiomatischen Fragen der Voraussetzungen dieser Sätze handelt und auch um die Frage des Ursprungs dieser Sätze. Auf dem Gebiete der Geometrie habe ich etwas Ähnliches schon angeführt. Ich will nun zeigen, dass auch auf dem Gebiete der Arithmetik diese Frage eine Rolle spielt. Ich sagte schon, dass eine axiomatisch strenge Behandlung der Arithmetik, wie wir sie für die Geometrie seit Euklid besitzen, erst im neunzehnten Jahrhundert ausgeführt worden ist. Das Problem selbst ist schon älter. Vor allen Dingen hat sich Leibniz mit diesem Problem beschäftigt. Leibniz vertrat, wie wir wissen, eine logizistische Ansicht in Bezug auf den Ursprung der arithmetischen Wahrheiten. Er meinte also, dass sich rein logisch, auf Grund bloßer Definitionen die Sätze der Arithmetik beweisen lassen. Ein einfaches Beispiel gibt er selbst. Es betrifft den Satz 2 + 2 = 4.193 Leibniz gibt zum Beweis die folgenden Definitionen. 1) 2 = 1 + 1 2) 3 = 2 + 1 3) 4 = 3 + 1

Nun wird der Beweis folgendermaßen geführt: 4) 2 + 2 = 2 + 1 + 1 (nach Definition 1), ferner 5) 2 + 1 + 1 = 3 + 1 (nach Definition 2) 6) 3 + 1 = 4 (nach Definition 3, folglich 2 + 2 = 4, was zu beweisen war.)194

Dieser Beweis erscheint vollkommen lückenlos. Er scheint wirklich geführt zu sein einzig und allein auf Grund der an die Spitze gestellten Definitionen. Nun aber zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass dieser Beweis nur darum gelingt, weil man, wie es heute bekannt ist, die erforderlichen Klammern weggelassen hat, und die schwache Stelle liegt in diesem Satze 6. Man müsste ihn, wenn es mit rechten Dingen zuginge, so schreiben: 2 + (1 + 1) = (2 + 1) + 1 und könnte dann

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auf Grund der Definitionen weiterschließen: 2 + 2 = 3 + 1 = 4. Hier wird also ein versteckter Gebrauch gemacht von einer Voraussetzung, die unabhängig von den angeführten Definitionen hinzukommt, allgemein von dem assoziativen Gesetz der Addition a + (b + 1) = ( a + b) + 1. Ob sich dieser Satz mit rein logischen Mitteln beweisen lässt, das ist eine tiefliegende Frage, auf die ich mich hier nicht einlassen will. Es kommt für unseren Zweck auch gar nicht darauf an. Worauf es für uns ankommt, ist dies, dass hier eine besondere Voraussetzung gemacht wird, die nicht in den eingeführten Definitionen steckt und, was noch wichtiger ist, die sich auch ihrerseits nicht als eine bloße Definition einführen lässt. Man hat es zwar, um den Leibnizschen Beweis zu verbessern, auf diese Weise versucht und versucht es vielfach noch heute, indem man das assoziative Gesetz als eine Definition einführt, nämlich als die Definition der Addition. Dieser Versuch ist bestechend. Er findet sich schon bei dem tiefsinnigen Mathematiker Grassmann, auch bei dem um die axiomatische Behandlung der Mathematik höchst verdienten Peano; er findet sich auch bei einem modernen Mathematiker wie Poincaré. Dass es sich hier nicht um eine bloße Definition handelt, d. h. dass hier also die linke Seite der Gleichung einen eigenen Sinn hat, unabhängig von dem Sinne der rechten – denn als Definition verstanden würde dieser Satz bedeuten, dass die links stehenden Zeichen ihrer Bedeutung nach erklärt werden durch die rechts stehenden Zeichen – können wir uns folgendermaßen klar machen. Es steht jedem frei, nach Belieben die Zeichen ihrer Bedeutung nach zu wählen, wie er will, und er kann recht wohl sagen, dass hier links dem Sinne nach das steht, was hier rechts steht. Wir könnten dann nur fragen, weshalb er sich die Mühe macht, für einen und denselben Gedanken zwei Zeichen einzuführen, von denen das zweite nicht einmal kürzer ist als das erste. Die Frage ist: lässt sich der Gehalt der Wissenschaft überhaupt noch erhalten? Lässt sich also auch nur eine so einfache Rechnung wie die Addition von 2 und 2 auf Grund einer solchen Arithmetik überhaupt

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ausführen? Es ist das nicht der Fall. Das Problem der Addition von 2 + 2 kann in dieser Arithmetik gar nicht vorkommen. Es ist für sie unlösbar. Das Problem, wie viel 2 + 2 macht, kann nach dieser Definition gar nicht entschieden werden, denn das was hier rechts steht, als Erklärung von 2 + 2, wäre dieser Ausdruck. Die Zeichen 2 + 2 würden nach dieser Erklärung nichts anderes bedeuten – ich will es hinschreiben – 2 + (1 + 1) würde nichts anderes bedeuten als ( 2 + 1) + 1. Also die Seite links hätte gar keine unabhängige Bedeutung. Bedeutung hätte nur die Seite rechts. Das Problem, ob 3 + 1 = 4 ist, kann in dieser Arithmetik auftreten, und das ist sogar auf Grund der Definitionen lösbar, denn 4 bedeutet nichts anderes als 3 + 1. Die ursprüngliche Aufgabe, die durch die angegebenen Definitionen gelöst werden sollte, wird in Wahrheit bei diesem Lösungsversuch unterschlagen. Wir können uns die Sache auch folgendermaßen anschaulich klar machen. Angenommen, wir haben zwei Körbe mit Äpfeln. In dem Korbe links sind a Äpfel, in dem Korbe rechts b Äpfel. Sie fügen dem Korbe rechts einen Apfel hinzu, und schütten die im Korbe rechts befindlichen Äpfel daraufhin in den Korb links hinein. Die Frage ist, wieviel Äpfel in dem Korbe links zu zählen sein werden. Unser Satz behauptet das folgende: dass ebensoviel Äpfel dann zu zählen sein werden, als wenn die folgende Aufgabe gelöst wäre: links sind a Äpfel und rechts einer. Jetzt fügen Sie links b hinzu und schütten daraufhin den im rechten Korb befindlichen einen Apfel in den linken Korb. Es wird behauptet, dass die Zahl der Äpfel, die wir das eine und andere Male erhalten, gleich ist, und dies ist ein Tatbestand, den man nicht durch eine bloße Definition den Dingen vorschreiben kann.

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ch hatte neulich mit einem arithmetischen Beispiel geschlossen. Ich will diesem noch ein anderes beifügen aus der philosophischen Grundlegung der Physik oder der Naturphilosophie, wie wir sagen können, ein Beispiel, das enthalten ist in der Schrift von Dingler Über die Grundlagen der angewandten Geometrie.195 Dingler ist ein Münchener angewandter Mathematiker, der die Unhaltbarkeit des gewöhnlichen Empirismus in der Physik wohl durchschaut und nun versucht, für diese Frage eine Erklärung zu finden. Er bewegt sich dabei im wesentlichen in den von Poincaré vorgezeichneten konventionalistischen Bahnen. Das Beispiel, das ich hier wähle, ist aber nicht dafür charakteristisch, sondern es soll ein Beispiel sein für den erörterten Denkfehler in Bezug auf den Gebrauch von Nominaldefinitionen zum Beweis synthetischer Sätze. Der Satz, um dessen Beweis es sich hier handelt, ist der für die Naturwissenschaft grundlegende Satz: das Kausalgesetz. Dingler nennt ihn in Hinsicht auf die Art seiner Einführung den »Identitätssatz« oder das »Identitätsgesetz«. Er heißt hier Identitätsgesetz, weil er als eine unmittelbare Anwendung des logischen Identitätsgesetzes erscheint. Um den Beweis zu führen, bedient sich Dingler der folgenden Definitionen. Er sagt: 1. Definition: Jeder Umstand, der zu einem Vorgang gehört, heißt ein Teilvorgang dieses Vorgangs. 2. Definition: Ein Umstand heißt wesentlich oder auch eine Bedingung des Vorgangs, wenn bei einer Änderung dieses Umstandes der Vorgang selbst sich ändert, sonst heißt er ein unwesentlicher Umstand des Vorgangs.196

Ehe ich zu dem Wesentlichen komme, will ich nebenbei bemerken – es ist lehrreich, dass sich das schon hier bemerken lässt –, dass bereits in der Definition selbst ein Widerspruch

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liegt. Auf Grund dieser Definition wird der Physik die Aufgabe gestellt, die wesentlichen Umstände eines Vorgangs aufzusuchen, und dazu dient ihr das Experiment. Nach dieser Definition kann es gar keine unwesentlichen Umstände irgendeines Vorganges geben. Denn wenn jeder Umstand als ein Teilvorgang des Gesamtvorgangs definiert ist, kann kein Umstand eine Änderung erleiden, ohne dass der Gesamtvorgang eine Änderung erleidet. Folglich ist jeder Umstand eines Vorgangs ein wesentlicher Umstand oder eine Bedingung desselben. Die Aufgabe, die wesentlichen Umstände der Naturvorgänge aufzustellen, d. h. von den unwesentlichen zu unterscheiden, enthält einen inneren Widerspruch. Doch will ich das, wie gesagt, nur nebenbei bemerken, es ist hier nicht wesentlich. Ich will hier nur zeigen, wie gefährlich ein solches Unternehmen ist, Begriffe, die vor der Definition feststehen, durch eine Definition festzustellen. Es sind das alles schon ursprünglich gegebene Begriffe, die wir vor ihrer Einführung durch die Definition besitzen, und so gibt es einen ursprünglichen Sinn des Wortes »Umstand«, »wesentlich«, »Bedingung«, »Vorgang«. Es ist in der Tat richtig, dass wir wesentliche Umstände von den unwesentlichen bei den Naturvorgängen unterscheiden. Nun die Nutzanwendung von Dinglers Definition. Er schließt unmittelbar auf Grund dieser Definition auf die Folgerung: Unter gleichen Bedingungen tritt der gleiche Vorgang ein. Dies ist sein sogenannter Identitätssatz.197 Er bedeutet also, wir brauchen nur die wesentlichen Umstände eines Vorganges herzustellen, um den Vorgang selbst mit aller Sicherheit zu wiederholen. Auf dem hiermit ausgesprochenen Gesetz beruht die Möglichkeit der ganzen Physik. Die Bedingungen werden auch als die Ursache bezeichnet, der Vorgang selbst als Wirkung. Es ist das eine Anpassung an den alltäglichen Sprachgebrauch. In der Tat, die Folgerung ist wirklich zwingend, nämlich darum zwingend, weil nach jenen Definitionen die Wirkung selbst zu den wesentlichen Umständen eines Vorgangs gehört, so dass mit der Forderung der Herstellung der gleichen Bedingungen die Wiederherstellung der Wirkung schon im Voraus postu-

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liert wird, und es ist in der Tat ein identischer Satz, wenn ich daraus auf die Erlaubnis schließe, die Wirkung selbst vorherzusagen. Ein Vorgang war erklärt als identisch mit der Gesamtheit seiner wesentlichen Umstände. Die Folge davon ist, dass, um zu wissen, ob die Bedingungen des Vorgangs vollständig vorliegen, wir schon wissen müssen, dass die Wirkung eintritt. Wenn wir aber schon wissen, dass die Wirkung eintritt, so können wir kraft des logischen Identitätssatzes die Behauptung wiederholen, dass dann die Wirkung mit Sicherheit eintreten muss. Das brauchen wir also nicht erst auf Grund dieser Beweisführung zu erschließen. Wir können nicht ohne schon in die Voraussetzung die Wiederholung der Wirkung hineingenommen zu haben, auf Grund des Identitätssatzes behaupten, dass auch die Wirkung sein wird. Der Satz sagt, mit gewöhnlichen Worten, ohne den Missbrauch dieser künstlichen Nominaldefinition, die hier das Irreführende ist, nur das Folgende: Wenn nicht nur die sonst so genannten Bedingungen eines Vorgangs eintreten, sondern auch die Wirkung selbst, dann tritt die Wirkung ein. Das ist der genaue, präzise Sinn des hier vorliegenden Satzes, nämlich auf Grund der darüber stehenden beiden Definitionen. Wir könnten kürzer sagen, ohne diese Umschweife: Wir brauchen einen Vorgang nur zu wiederholen, um ihn mit aller Sicherheit zu wiederholen. Dieser Satz ist natürlich niemals anwendbar zu dem Zweck, zu dem er hier eingeführt wird, nämlich die Wirkungen irgendwelcher Naturvorgänge vorherzusagen, d. h. nicht erst auf Grund der Erfahrung zu sagen, dass sie eintreten werden. Dies soll nun als Beispielsammlung für den zuletzt dargestellten Fehler genügen. Indessen will ich die Betrachtung dieses Fehlers darum doch noch nicht sogleich abschließen. Der Fehler spielt eine unvermindert bedeutsame Rolle in einer ein wenig verkleideten Gestalt. Er spielt eine Rolle insbesondere in der philosophischen Disziplin, die heutzutage unter dem Namen der Erkenntnistheorie betrieben wird. Es ist wohl bekannt, dass diese Disziplin ihrer geschichtlichen Herkunft nach im allgemeinen zurückgeht auf die Kantische Vernunft-

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kritik. Man gebraucht heute nicht mehr den Ausdruck »Kritik der Vernunft«, man spricht stattdessen von »Erkenntnistheorie«, und es liegt da das ganz richtige Gefühl zu Grunde, dass eine Verschiebung der Problemstellung eingetreten ist. Kant, dem wir ja die Aufdeckung des Geheimnisses verdanken, das diesem Missbrauch der Nominaldefinitionen in der Philosophie zu Grunde liegt, das den ganzen Schein der dogmatischen Metaphysik erklärt, hat in seiner Kritik der Vernunft gerade den zu diesem Irrtum führenden Fehler aufgewiesen, und es ist höchst merkwürdig, dass eine Wissenschaft in ihm ihren Begründer sieht, die ganz und gar auf der Wiederholung dieses Fehlers beruht. Das behaupte ich nämlich von dem, der sich heutzutage Erkenntnistheoretiker nennt. Die Erkenntnistheoretiker beschäftigen sich mit der Frage der Gültigkeit unserer Erkenntnis, und zwar nicht nur dieser oder jener einzelnen Erkenntnis, sondern der Erkenntnis überhaupt, und sie sehen sich als Nachfolger des Gründers der Vernunftkritik an, wenn sie an diesem Problem arbeiten, nämlich an dem Problem der Gültigkeit unserer Erkenntnis überhaupt. Nicht jeder definiert den Begriff der Erkenntnistheorie in dieser bestimmten Weise. Es mag sein, dass dieser oder jener das Wort gebraucht, um ein anderes Unternehmen damit zu bezeichnen. Im großen und ganzen herrscht diese Problemstellung tatsächlich vor in dem Gebiet, das heute den Namen »Erkenntnistheorie« führt. Das Problem ist da: die Gültigkeit der Erkenntnis überhaupt. Nun sage ich, dass jeder mögliche Lösungsversuch dieses Problems nur in neuer Form auf einer Wiederholung des gerade von Kant zuerst aufgedeckten Erschleichungsprinzips beruht: Erschleichungsprinzip darum, weil es dazu führt, synthetische Sätze dem Scheine nach zu begründen, ohne unter die ersten Voraussetzungen schon eine synthetische Behauptung aufzunehmen, denn diese würde ja eine Erkenntnis darstellen, die wir ohne vorhergehende Begründung als gültig annehmen. Es soll ja hier die Gültigkeit aller Erkenntnis überhaupt zum Problem gemacht werden, wir brauchen also ein Kriterium, um die Gültigkeit von Erkenntnissen daran zu prüfen. Ein sol-

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ches Kriterium kann es nicht geben. Der Begriff eines solchen widerspricht sich selbst.198 Denn entweder, dieses fragliche Kriterium wäre selbst eine Erkenntnis, dann würde es gerade dem Bereich des Problematischen angehören, dessen Gültigkeit erst geprüft werden soll; das Kriterium kann also nicht selbst eine Erkenntnis sein. Andernfalls liegt es außerhalb der Erkenntnis, dann muss es doch, um von uns angewandt zu werden, erkannt werden. Damit aber diese Erkenntnis des fraglichen Kriteriums als gültig gelten könnte, müssten wir auf sie das Kriterium schon im Voraus angewendet haben. Wir müssten es also schon erkannt und diese Erkenntnis als gültig erwiesen haben, im Widerspruch zu dem Begriff eines solchen Kriteriums. Es kann also kein erkenntnistheoretisches Kriterium geben, die Aufgabe, ein solches zu suchen ist schon widersprechend gestellt. Um das kurz an einem Beispiel zu erläutern, wollen wir einmal annehmen, ein solches Kriterium, das außerhalb der Erkenntnis liegt, und zur Prüfung der Gültigkeit der Erkenntnis gelten soll, wäre das pragmatische Wahrheitskriterium des Konventionalismus als erkenntnistheoretisches Prinzip, wonach die Zweckmäßigkeit im Gebrauch über die Wahrheit einer Erkenntnis entscheidet. Die Einführung dieses Kriteriums der Zweckmäßigkeit wäre nur möglich, wenn wir es seinerseits als ein solches Kriterium erkennen könnten. Wir könnten es aber nur daran erkennen, dass wir die Zweckmäßigkeit dieser Annahme feststellen und aus ihr auf die Richtigkeit der Annahme schließen, indem wir also den Beweis führen auf Grund der Voraussetzung, dass die Zweckmäßigkeit der Annahme ein Kriterium ihrer Richtigkeit ist, des Satzes, um dessen Prüfung es sich hier handelt. Oder ein anderes Beispiel für den Fall, dass das fragliche Kriterium seinerseits schon eine Erkenntnis ist. Ein Beispiel für diesen Versuch liefert uns die Erkenntnistheorie, die als das fragliche Kriterium die Evidenz aufstellt. Das Beispiel, das ich anführen will, findet sich in klarer Weise aufgeführt bei Meinong, dem österreichischen Philosophen, in seinem Buch Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens. Er sagt:199 Um

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uns zu zeigen, dass die Evidenz ein Kriterium der gesuchten Art ist, müsste die Evidenz dafür bestehen, dass das Urteil richtig ist: Die Evidenz ist ein Kriterium der Wahrheit. In der Tat, sagt Meinong, dieser Satz ist wirklich evident. Folglich ist die Evidenz ein Kriterium der Wahrheit.200 Solche Beispiele ließen sich häufen bis zur Erdrückung. Ich könnte eine ganze Reihe von Semestern hindurch meine Vorlesungen mit der Aufzählung solcher Beispiele bestreiten. Ich will es hier aber doch nicht weiter fortsetzen bei der Kürze der Zeit und verweise den, der sich dafür interessiert, auf ein Buch, das ich über diesen Gegenstand geschrieben habe: Über das sogenannte Erkenntnisproblem201. Ich ziehe es vor, in der Vorlesung von dem zu sprechen, was man nicht aus Büchern lernt. Dass nun aber in der Tat wirklich das ganze Unternehmen der erkenntnistheoretischen Wissenschaft nur auf eine Wiederholung der logizistischen Metaphysik hinausläuft, lässt sich sehr leicht einsehen. Die Erkenntnistheorie kann ja, um ihre Aufgabe zu lösen, keine Erkenntnis als gegeben annehmen, jede gilt ihr als Problem. Sie kann also nicht von Behauptungen ausgehen, sondern sie muss ausgehen von bloßen problematischen Vorstellungen, d. h. von bloßen Begriffen, und wenn ihre Aufgabe lösbar sein soll, so würde sie nur darauf hinauslaufen, aus bloßen Begriffen synthetische Sätze abzuleiten, und also, da aus bloßen Begriffen nur analytische Urteile hervorgehen können, darauf hinausgehen, analytische Urteile in synthetische überzuführen. Denn das ist wohl klar, die Behauptung, dass wir eine Erkenntnis besitzen, eine gültige Erkenntnis haben, muss allemal ein synthetisches Urteil sein. Und auch davon abgesehen, ist es ja gerade der Zweck der Erkenntnistheorie, die Gültigkeit unserer Erkenntnis, die Möglichkeit also einer Erweiterung der Erkenntnis über den bloßen Begriff hinaus, darzutun. Man kann den hier vorliegenden Fehler auch von einer anderen Seite her für den uns beschäftigenden Zusammenhang gerade in seiner Bedeutung hervortreten lassen. Das Unternehmen, jede Erkenntnis zu begründen, geht darauf hinaus,

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zu behaupten, dass es keine unmittelbare Erkenntnis geben könne. Denn das Postulat der Begründung jeder Erkenntnis kann seiner Bedeutung nach nur das heißen, dass es keine Erkenntnis gibt, die ohne Begründung feststeht, und auf die sich die übrige Erkenntnis zurückführen ließe. Also liegt hier die versteckte Behauptung zu Grunde, dass es keine unmittelbare, d. h. keine ohne Begründung feststehende Erkenntnis gibt. Es wird hier die Mittelbarkeit jeder Erkenntnis behauptet. Eine mittelbare Erkenntnis ist allemal ein Urteil, und seine Begründung, wenn es wieder auf mittelbare Erkenntnis zurückgeführt werden soll, und diese wieder auf ein anderes Urteil, müsste ein Beweis sein. Es liegt hier also bei Licht besehen der Versuch vor, alle Erkenntnis zu beweisen, und den Widerspruch, der in dieser Aufgabe steckt, haben wir schon genügend erkannt. Wie ist es nun aber erklärlich, dass die Wiederholung der logizistischen Metaphysik gerade auf den Philosophen zurückgeführt wird, dem wir die endgültige Widerlegung dieses Unternehmens verdanken? Das lässt sich folgendermaßen deutlich machen: Kant hatte in seiner Kritik der Vernunft als die der Philosophie angemessene Methode die kritische dargestellt, d. h. die regressive Methode des Rückgangs vom Besonderen zum Allgemeinen, die Methode der Zergliederung der Voraussetzungen gegebener Urteile. Auf diese Weise kommt man zu gewissen höchsten Voraussetzungen, den obersten und allgemeinsten Voraussetzungen jener besonderen Urteile, von denen unsere Zergliederung ausging. Diese Urteile sind aber nach diesem Verfahren nur faktisch als Voraussetzungen jener Ausgangsurteile aufgewiesen worden. In dieser Aufweisung liegt durchaus keine Begründung der allgemeinen Voraussetzung. Im Gegenteil, denn diese Voraussetzungen dienen dazu, die besonderen Urteile, von denen wir ausgehen, zu begründen. Es können also nicht umgekehrt die aufgewiesenen Grundurteile auf die durch diese Urteile erst beweisbaren besonderen Urteile gegründet werden. Ein solches Unternehmen würde auf einen logischen Zirkel hinauskommen. Nun sind aber auch die obersten und allgemeinsten durch

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dieses kritische Verfahren aufgewiesenen Urteile immerhin Urteile, und als solche einer Begründung bedürftig. Denn das sagt ja das Postulat der Begründung: Jedes Urteil muss, um als richtig zu gelten, einen Grund haben, und seine Begründung besteht in der Feststellung, dass es einen solchen Grund hat. Jedes Urteil bedarf der Zurückführung auf eine andere Erkenntnis, die den Grund des Urteils enthält. So formuliert darf man allein die Notwendigkeit der Begründung behaupten, nämlich für Urteile, d. h. für mittelbare Erkenntnisse. Jedes Urteil, das als richtig gelten will, muss sich als die Wiederholung einer unmittelbaren Erkenntnis erweisen lassen. Das fordert recht verstanden der logische Satz vom Grunde. Es ist damit keineswegs die Notwendigkeit der Begründung für jede Erkenntnis behauptet, sondern nur die Forderung ausgesprochen, alle mittelbare Erkenntnis auf unmittelbare zurückzuführen. Dieses Postulat der Begründung gilt denn also auch für jene obersten und allgemeinsten Urteile, die die Kritik durch die logische Zergliederung der besonderen Ausgangsurteile aufgewiesen hat. Diese Urteile sind die allgemeinsten Voraussetzungen, die höchsten Beweisgründe für alle besonderen Urteile, aber sie sind darum noch nicht die höchsten Gründe unserer Erkenntnis überhaupt. Sie bedürfen als Urteile ihrerseits wieder einer Begründung, das entgegengesetzte Verfahren würde mit Recht von dem Vorwurf des Dogmatismus getroffen werden, wenn dieser Vorwurf auch insoweit gemildert ist, als die fraglichen Urteile nicht willkürlich aufgestellt sind, sondern erst auf Grund der vorangehenden Anwendung der kritischen Methode, nämlich durch eine Zergliederung besonderer Urteile aufgewiesen sind. Dadurch sind sie aber doch, wie ich sagte, nur als faktische Voraussetzungen der besonderen Urteile aufgewiesen, aber noch nicht selbst begründet. Sie erfordern also eine Zurückführung auf eine ihnen zu Grunde liegende unmittelbare Erkenntnis. Hier entsteht daher in der Tat für den Logiker eine große Verlegenheit. Denn welcher Art soll diese Begründung sein? Soll sie etwa durch Beweis erfolgen? Das würde heißen, die

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obersten Urteile auf logisch höhere zurückzuführen. Das würde einen Widerspruch einschließen. Die höchsten Urteile sind ja als solche definiert, die keine logische Zurückführung auf noch höhere gestatten. Kann etwa eine Evidenz die fragliche Begründung ausgeben, eine Evidenz, die natürlich dann nicht logischer Art sein kann, sondern daher rühren muss, dass die Erkenntnis, aus der die fraglichen philosophischen Prinzipien geschöpft sind, eine unmittelbar klare und einleuchtende Erkenntnis, kurz von der Art einer Anschauung ist. Die Zurückführung auf Anschauung, oder wie Kant sagt, die Demonstration, scheint der einzige Weg zu sein, ein Urteil zu begründen, das sich nicht beweisen, d. h. durch Zurückführung auf andere Urteile begründen lässt. Ja dieses Unternehmen der Demonstrierung der philosophischen Grundurteile hat etwas sehr Bestechendes. Das scheint ja gerade der Unterschied zu sein zwischen Urteilen als mittelbaren Erkenntnissen und solchen Erkenntnissen, die nicht wieder Urteile sind. Die Mittelbarkeit des Urteils beruht darauf, dass das Urteil sich der Begriffe bedient. Im Urteil erkennen wir die Gegenstände durch Begriffe, durch die Unterordnung unter allgemeine Begriffe. Die unmittelbare Erkenntnis, die dem Urteil zu Grunde liegt, scheint als eine nicht begriffliche von der Art einer Anschauung sein zu müssen. Es ist klar, dass nach allem wenigstens, was ich schon gelegentlich gezeigt habe, die philosophischen Urteile nicht demonstrierbar sind, denn ihnen liegt keine unmittelbare Evidenz, keine Anschauung zu Grunde. Dieses zu verkennen war ja im Grunde der Fehler des Dogmatismus. Mit Beweis und Demonstration sind aber in der Tat alle Begründungsmittel, die die traditionelle Logik kennt, erschöpft. Kant hatte das hier liegende, sehr tief liegende Problem gesehen, und die Aufgabe gestellt, die philosophischen Grundurteile, nachdem sie durch die regressive Methode aufgewiesen sind, einer Deduktion, wie er sagt, zu unterwerfen. Dieser Ausdruck wird nun sehr leicht missverstanden, zumal heute wenigstens pflegt er in dem Sinne einer Art des Beweises gebraucht zu werden. Offenbar kann das hier gesuchte Begründungsmittel kein Be-

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weis sein, und wenn wirklich Beweis und Demonstration die einzig möglichen Begründungsmittel sind, so ist hier nur der eine Schluss statthaft, dass die philosophischen Grundurteile, da sie weder beweisbar noch demonstrierbar sind, überhaupt nicht begründet werden können, und das würde heißen, dass wir in der Philosophie über eine dogmatische Feststellung ihrer Prinzipien und also über eine bloß willkürliche Art zu philosophieren niemals hinauskommen können. Wir könnten allenfalls nach konventionalistischen und verwandten Gesichtspunkten unterscheiden, ob diese oder jene Opportunität dafür spricht, solche willkürlichen Annahmen aufzustellen, aber von einer Begründung im eigentlichen Sinne des Wortes könnte keine Rede sein.

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s ist zuletzt mein Bestreben gewesen, Ihnen auseinanderzusetzen, inwiefern die unter dem Namen Erkenntnistheorie bekannte philosophische Disziplin nur in neuer Form auf das Unternehmen hinausläuft, aus bloßen Begriffen synthetische Urteile abzuleiten, auf das Unternehmen der logizistischen Metaphysik. Man kann das Problem der Erkenntnistheorie auch bezeichnen als die Aufgabe, das Verhältnis der Erkenntnis zu ihrem Gegenstand zu untersuchen. Wenn nämlich nach der Gültigkeit der Erkenntnis gefragt wird, nach der objektiven Gültigkeit nämlich, so bezieht sich diese Frage auf das Verhältnis der Erkenntnis nicht sowohl zu einer anderen Erkenntnis als vielmehr der Gesamtheit der Erkenntnis zu der Gesamtheit der Gegenstände. Dadurch, dass die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit einer anderen nachgewiesen ist, einer mittelbaren mit einer unmittelbaren, wird die objektive Gültigkeit der Erkenntnis gar nicht berührt. Denn bei aller inneren Übereinstimmung der Erkenntnisse untereinander brauchte doch keine Übereinstimmung der Erkenntnisse mit den Gegenständen zu bestehen, und es lässt sich durch alle Untersuchung des inneren Verhältnisses unserer Erkenntnisse, der Übereinstimmung der einen mit der anderen, niemals etwas über das Verhältnis der Erkenntnis überhaupt zum Gegenstand ausmachen. Erst hier entsteht die Frage nach der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis. Alle Begründung von Urteilen durch Beweis oder auch durch Demonstration hat Wert für die Beurteilung der Gültigkeit der fraglichen Erkenntnis nur, wenn wir schon voraussetzen, dass die Erkenntnis, auf die wir durch dieses Begründungsverfahren zurückgehen, ihrerseits objektive Gültigkeit hat, dass sie mit ihrem Gegenstand übereinstimmt. Diese Voraussetzung ist es, die die Erkenntnistheorie zum Problem erhebt. Dass

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nun dieses Problem gerade und zuerst an dem Beispiel der philosophischen Grundurteile hervortat, können wir jetzt leicht verstehen. Denn hier versagt sowohl das Begründungsmittel des Beweises als auch dasjenige der Demonstration. Ich habe das im einzelnen nicht nachgewiesen, dass die philosophischen Grundurteile überhaupt keinen Beweis zulassen. An und für sich ist nur klar, dass sie keinen Beweis zulassen innerhalb ihres eigenen Gebiets von Erkenntnissen. Das wäre ja die Frage, ob sich nicht ein metaphysisches Grundurteil, d. h. ein synthetisches philosophisches Grundurteil durch Beweis zurückführen ließe auf einen Lehrsatz irgendeiner anderen Wissenschaft. Man kann sich leicht überzeugen, dass das unmöglich ist, denn welcher Art sollte dieser Lehrsatz dieser Wissenschaft sein? Entweder er ist ein analytischer Satz – wir wissen, dass aus solchen kein synthetischer Satz bewiesen werden kann, oder er ist ein synthetischer –, dann ist er entweder empirisch, und aus empirischen Prämissen kann man keine philosophischen Schlusssätze ziehen, denn diese stehen als philosophische Sätze von aller Erfahrung unabhängig fest; es bliebe also nur übrig, dass die fragliche Prämisse für den Beweis selbst schon ein metaphysischer Satz wäre. Der Beweis wäre in diesem Falle ein logischer Zirkel. Endlich, dass auch keine Demonstration der metaphysischen Grundurteile möglich ist, das ergibt sich aus dem Mangel einer ihnen zu Grunde liegenden Anschauung. Die metaphysische Wahrheit, wenn es eine gibt, wird uns nur durch Denken, nur in der Form des Urteils klar. Es gibt hier also keine Demonstrierbarkeit der fraglichen Sätze. Ein Beispiel. Sie brauchen nur an den vorhin erörterten Satz zu denken, das Gesetz der Kausalität. Das ist offenbar ein metaphysisches Urteil, das aller Möglichkeit von Erfahrungsschlüssen zu Grunde liegt, selbst also nicht aus der Erfahrung geschöpft sein kann, und andererseits zweifellos ein synthetischer Satz, woraus sich das unvermeidliche Scheitern seiner logizistischen Begründung, des Versuches, von dem ich vorhin sprach, ergibt. Hier schlägt also sowohl

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das Begründungsmittel des Beweises fehl wie auch das der Demonstration. Es scheint also überhaupt keine Begründung der metaphysischen Grundurteile möglich zu sein, die in ihrer Zurückführung auf eine ihnen zu Grunde liegende unmittelbare Erkenntnis bestünde, und hier taucht also sogleich das Problem ihres Verhältnisses zum Gegenstand auf. So kommt man von dem Problem der Kantischen Vernunftkritik zu dem Problem der modernen Erkenntnistheorie hinüber. Um Ihnen ein Beispiel zu geben dafür, dass wirklich im einzelnen die Erkenntnistheoretiker nicht anders von der Stelle kommen als dadurch, dass sie sich der gleichen logizistischen Erschleichung schuldig machen, die wir in anderer Form und in anderem Gebrauch schon kennen gelernt haben, will ich jetzt einen berühmt gewordenen Fall anführen. Die Nachfolger Kants, die in der Geschichte der Philosophie berühmt geworden waren, hatten die Kritik zur Erkenntnistheorie ausgebildet, d. h. aus ihr eine vermeintliche Wissenschaft über das Verhältnis der Erkenntnis zum Gegenstand entwickelt auf rationalistischer Grundlage. Ihnen galt nicht nur die Philosophie selbst, das System der Philosophie, insbesondere der Metaphysik als eine rationale Wissenschaft, sondern auch die Kritik der Vernunft, oder wie sie jetzt hieß, die Erkenntnistheorie, sollte ihrerseits eine rationale Wissenschaft sein, d. h. diejenige Erkenntnis, vermittelst derer die Begründung der metaphysischen Prinzipien erfolgen sollte, sollte selbst metaphysischer Art sein. Die Nichtigkeit dieses Unternehmens leuchtet sofort ein, wenn wir es nur einmal in so klarer Weise kennzeichnen. Denn das Problem der Möglichkeit der Metaphysik muss natürlich anderswo entschieden werden als innerhalb einer neuen besonderen Art von Metaphysik. Von anderer Seite erkannte man diesen Fehler. Man behandelte also die Erkenntnistheorie auf der Basis des Empirismus. Ich sage absichtlich des Empirismus und nicht nur auf der Basis der Empirie, denn es sollte nicht allein die Erkenntnistheorie eine empirische Wissenschaft sein, sondern, was unvermeidlich folgen würde, auch die philosophische Er-

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kenntnis selbst, man müsste jetzt sagen die vermeintliche philosophische Erkenntnis, verwandelt sich in Wahrheit in eine Erfahrungserkenntnis. Sie soll ja erst aus der Erkenntnistheorie entnommen werden, sie soll ja nicht auf eine eigene, selbstständige, unmittelbare Erkenntnis aufgebaut werden, sondern erst durch die Erkenntnistheorie abgeleitet werden. Die Philosophie wäre hiernach eine Folgewissenschaft der empirischen Erkenntnistheorie, also selbst eine empirische Wissenschaft. Die Frage, die hiermit formuliert ist, über das Verhältnis der Erkenntnisart der Erkenntnistheorie oder Vernunftkritik einerseits und des durch sie begründeten Systems der Philosophie andererseits, ist berühmt geworden zuerst durch eine Rede von Kuno Fischer, dem berühmten Geschichtsschreiber der neueren Philosophie, durch seine Prorektoratsrede in Jena über »Die beiden Kantischen Schulen in Jena« (1862)202 . Kuno Fischer stellt da die Frage nach der Erkenntnisart derjenigen Erkenntnis, die wir Vernunftkritik nennen, und er wendet sich gegen diejenigen, die den empirischen Charakter der Vernunftkritik behaupten. Er entscheidet sich zu Gunsten der rationalistischen Schule, zu Gunsten der Metaphysik, wie sie von Fichte, Schelling und Hegel und ihren Nachfolgern entwickelt war. Das für ihn entscheidende Argument liegt in dem berühmt gewordenen Satze: »Was a priori ist, kann nie a posteriori erkannt werden.«203 Die metaphysische Erkenntnis ist durch die Vernunftkritik zu begründen, ist eine Erkenntnis a priori. Wenn sie aber eine Erkenntnis a priori ist, so kann sie nicht a posteriori erkannt werden, denn das wäre, so argumentiert Kuno Fischer, ein gerader Widerspruch. Der empirische Charakter der Vernunftkritik widerspricht der Apriorität der durch sie zu begründenden metaphysischen Erkenntnis. Die Beweisführung vollzieht sich also einzig und allein durch Einführung des Satzes vom Widerspruch. Es wird in der gegenteiligen Behauptung ein Widerspruch nachgewiesen, nämlich in der Annahme, dass die Vernunftkritik einer empirischen Erkenntnisart angehöre. Dieser Satz scheint also rein logisch gesichert zu sein. Wir können das ganze Argument

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so zusammenstellen: Die metaphysische Erkenntnis ist a priori. (Denken sie immer an die Erkenntnis des Kausalgesetzes als Beispiel.) Was a priori ist, kann nicht a posteriori erkannt werden. Folglich: Die Vernunftkritik (denn das ist die Erkenntnis dessen, was a priori ist) ist selbst a priori. Ich hoffe, jeder von Ihnen ist imstande, den Fehler in dieser Argumentation anzugeben. Was heißt es, was hier steht: Was a priori ist? Was ist a priori? Eine eigene Erklärung gibt Kuno Fischer nicht, er bezieht sich auf den von Kant eingeführten Sprachgebrauch. Demnach bezieht sich dieser Ausdruck auf die Modalität einer Erkenntnis. Man müsste also genauer sagen: Eine Erkenntnis a priori – denn nur Erkenntnisse können dieses Merkmal haben – kann nicht a posteriori erkannt werden. Das wäre der Sinn des Satzes. Der Schein seiner Evidenz beruht darauf, dass in der Tat der Begriff »a posteriori« definiert ist durch die Ausschließung der Apriorität. A priori und a posteriori sind einander ausschließende Merkmale. Statt »a posteriori« kann ich schreiben »nicht a priori«. Nun ist klar, dass eine Erkenntnis a priori nicht eine Erkenntnis a posteriori sein kann. Darin liegt in der Tat ein Widerspruch. Eine Erkenntnis a priori ist keine Erkenntnis a posteriori, das wird man zugeben. Folgt nun daraus, dass eine Erkenntnis a priori nicht a posteriori erkannt werden kann? Keineswegs, denn hier wird durch die Unbestimmtheit des Ausdrucks »was a priori ist« ein ganz anderer Begriff dem der Erkenntnis a priori untergeschoben, nämlich der Begriff der Erkenntnis, durch den die Erkenntnis a priori erfasst wird, eine Erkenntnis, die, mit anderen Worten, eine Erkenntnis a priori zum Gegenstand hat. Eben die vernunftkritische Erkenntnis ist ja dadurch definiert, dass sie sich auf die Erkenntnis a priori als ihren Gegenstand bezieht. Mit dieser Feststellung entfällt das fragliche Argument. Daraus, dass eine Erkenntnis a priori keine Erkenntnis a posteriori sein kann, darf man nicht schließen, dass nicht eine andere Erkenntnis a posteriori sein könnte, nämlich diejenige, durch die die Erkenntnis a priori erkannt wird. Auf diesem Sophisma beruht der Schein, den die Erneu-

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erung der rationalistischen Metaphysik durch die erkenntnistheoretischen Nachfolger Kants angenommen hat. Auf dem gleichen Sophisma beruht auch der entgegengesetzte Fehler. Man kann aus der Behauptung, dass eine Erkenntnis a priori nicht a posteriori erkannt werden kann, den empiristischen Erneuerungsversuch der dogmatischen Metaphysik herleiten. Sie gehen beide auf das gleiche Vorurteil zurück. Wir brauchen nur die Kontraposition dieses Satzes zu nehmen, die ja mit der darin liegenden Behauptung äquivalent ist. Das wäre dann der Satz: Was a posteriori erkannt wird, kann keine Erkenntnis a priori sein, d. h. der Gegenstand einer Erkenntnis a posteriori kann keine Erkenntnis a priori sein. Wenn die Erkenntnis einer anderen Erkenntnis a posteriori ist, dann kann diese andere Erkenntnis nicht a priori sein. Auf diesem Satze beruht das Unternehmen der empiristischen Erkenntnistheorie. Denn hier wird die Aposteriorität, der empiristische Charakter der Vernunftkritik übertragen durch die gleiche Vertauschung der Begriffe auf das System der Philosophie selbst, das durch die Vernunftkritik auf seine Gründe zurückgeführt werden soll. Dieses kann dann nicht Erkenntnis a priori enthalten, die Philosophie verwandelt sich selbst in eine empirische Wissenschaft. Dieses Dilemma, in das sich hier die nach-kantische Philosophie in der Form der Erkenntnistheorie verwickelte, hat einen tieferen Grund. Es ist nicht zufällig entstanden. Es liegt begründet in der Natur der erkenntnistheoretischen Stellung der Frage selbst. Dass die Erkenntnistheorie nur auf eine Erneuerung der logizistischen Metaphysik hinauslaufen kann, habe ich gezeigt. Das heißt aber, sie läuft darauf hinaus, die Grundurteile der Metaphysik zu beweisen, sie auf höhere Prämissen zurückzuführen, nämlich auf die Prämissen, die der Erkenntnistheorie entnommen werden, auf die Lehrsätze der Erkenntnistheorie. Und da findet dann der Satz wirklich eine Anwendung, wonach von der Eigentümlichkeit der Folge auf die des Grundes geschlossen werden kann und umgekehrt. Wenn die zu beweisende Erkenntnis eine Erkenntnis a priori ist, so kann der Erkennt-

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nisgrund wieder nur eine Erkenntnis a priori sein, wir würden sonst einen Widerspruch erhalten. Und wenn der Erkenntnisgrund eine Erkenntnis a posteriori ist, so kann die aus ihm abgeleitete bewiesene Erkenntnis ihrerseits nur eine Erkenntnis a posteriori sein. Aus diesem Dilemma gibt es kein Entrinnen. Jeder Versuch, ihm durch Kompromiss auszuweichen, würde uns in einen Widerspruch verwickeln. Der Beweisgrund eines Satzes und der Satz selbst müssen der gleichen Erkenntnisart angehören. Es kann nicht die eine Erkenntnis a posteriori und die andere Erkenntnis a priori sein oder umgekehrt. Aber dieses Dilemma gilt nur unter der Voraussetzung, dass es sich bei dem Verhältnis von Erkenntnistheorie und der dadurch begründeten Metaphysik um ein logisches Verhältnis von Grund und Folge handelt, eine Voraussetzung, zu der wir gezwungen sind, wenn wir mit der traditionellen Logik annehmen, dass es außer der Demonstration, die hier nicht in Frage kommt, nur das Begründungsmittel des Beweises gibt, aus der wir aber sofort den Ausweg finden, wenn wir uns von diesem Vorurteil freimachen. Ob und wie das möglich ist, will ich zunächst auf sich beruhen lassen. Hier kam es mir nur darauf an, Ihnen an einem Beispiel zu zeigen, wie die Erkenntnistheorie den Schein des Gelingens einer Lösung ihrer Probleme nur auf dem gleichen Wege erreicht wie die ältere logizistische Metaphysik, durch den gleichen Missbrauch der Nominaldefinitionen, durch die gleiche dadurch verkleidete Vertauschung analytischer Urteile mit synthetischen. Das hier oben stehende Urteil ist ein analytisches, das mit der Nominaldefinition des Merkmals a priori gegeben ist. Das darunter stehende Urteil ist ein synthetisches, das sich nie und nimmer darauf zurückführen lässt. Es ist sogar ein falsches Urteil. Dass es falsch ist, habe ich noch nicht gezeigt. Es ist aber leicht einzusehen. Der Besitz einer Erkenntnis a priori ist zweifellos eine Tatsache, die nur als solche und also nur a posteriori konstatiert werden kann. Es handelt sich hier um die Erkenntnis an und für sich zufälliger Tatsachen. Aus dem Begriff der Erkenntnis a priori wird niemand sich zutrauen zu beweisen, dass er sie wirklich

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besitzt. Es liegt also hier tatsächlich das paradoxe Verhältnis vor, dass die Vernunftkritik empirisch und die durch sie begründete Metaphysik apriorisch ist. Dieses letzte Beispiel, das uns das Dilemma der nach-kantischen erkenntnistheoretischen Schule aufklärt, erinnert uns an jenes erste Beispiel, das ich eben schon erwähnte, von der Geometrie. Wir können von dieser Betrachtung des Beispiels noch eine weitere Nutzanwendung mitnehmen. Es zeigt sich nämlich als eine typische Folge des Missbrauchs der Nominaldefinitionen in der Philosophie, dass dem dadurch erzielten Scheinbeweis sich auf Grund der gleichen begrifflichen Verwechslung ein gerade so zwingend erscheinender Beweis des Gegenteils gegenüberstellen lässt. Es entsteht so auf dem Boden der den widerstreitenden Schlüssen gemeinsamen Voraussetzung, die freilich dem einen Teil so verborgen bleibt wie dem anderen und hier wie da nur versteckterweise ihre Rolle spielt, eine Antinomie, d. h. ein unauflöslicher Widerstreit. Wo die fragliche Voraussetzung einmal zu Grunde liegt, da ist der Widerstreit unauflöslich. Der logische Zwang, der von der einen Seite geltend gemacht wird für die von ihr vertretene Konsequenz, ist der gleiche wie auf der Gegenseite, und das wiederum erklärt uns, wie aller Streit um das Zwingende der Konsequenz den Streit niemals von der Stelle bringen kann. Nach der Konsequenz, vermöge derer aus einer richtigen Prämisse auf einen falschen Schlusssatz geschlossen wird, wie es hier allemal geschieht, aus einer richtigen analytischen Prämisse auf einen falschen synthetischen Schlusssatz, nach der gleichen Konsequenz kann und muss man aus der Falschheit des Schlusses auf die Falschheit der Prämisse schließen, wie das ja hier vorliegt. Durch den einen Schluss wird ein Prädikat, das den Gegenständen des einen Begriffs wirklich zukommt, übertragen auf die Gegenstände des anderen, mit ihm unrechtmäßig vertauschten Begriffs, und durch den Schluss auf das Gegenteil wird die Negation dieses Prädikates von den Gegenständen des zweiten auf die des ersten Begriffs übertragen. Ich glaube, es wird besser sein, um dies klar zu machen, doch

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noch einmal in der Form des Schemas die beiden Schlüsse, die hier einander gegenüber stehen und die gemeinsame Voraussetzung anzuschreiben. Wir wollen als Beispiel das nehmen, das ich in der vorigen Stunde behandelt habe. Es sieht dann folgendermaßen aus:204 Vollständige Disjunktion von Staatenanarchie und Weltstaat Bestreitung der Notwendigkeit eines Weltstaats

Verwerflichkeit der Staatenanarchie

Notwendigkeit eines Weltstaats

Bestreitung der Verwerflichkeit der Staatenanarchie Unvollständigkeit der obigen Disjunktion

Sie haben hier die Voraussetzung, dass die Staaten die Wahl haben, entweder in Anarchie miteinander zu leben oder sich als Staaten aufzuopfern, um in einem Weltstaat aufzugehen. Es wird also die Voraussetzung der Vollständigkeit der Disjunktion von Staatenanarchie und Weltstaat gemacht. Diese Voraussetzung ist zunächst unbewusst. Keiner der beiden Teile gibt sich von ihr Rechenschaft. Es wird nun auf der einen Seite der Schluss gezogen aus der Verwerflichkeit der Anarchie, aus der offensichtlichen Unrechtmäßigkeit eines anarchischen Zustandes zwischen den Staaten auf die Notwendigkeit des Weltstaates, auf die rechtliche Notwendigkeit der Errichtung eines Weltstaates. Man mutet also den einzelnen Staaten das Opfer der Selbstvernichtung zu, um der Aufhebung der Anarchie willen. Auf der anderen Seite erkennt man, dass eine solche Forderung keineswegs zu Recht besteht. Man bestreitet die Notwendigkeit eines Weltstaates mit gleich gutem Grunde, wie man das Recht der Staatenanarchie bestreitet, und man schließt daraus, nach der gleichen Konsequenz, auf die Not-

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wendigkeit der Aufrechterhaltung der Anarchie zwischen den Staaten, oder klarer, negativ wie oben ausgesprochen, auf die Bestreitung der Verwerflichkeit der Staatenanarchie. Das sind ja die Deklamationen jener Advokaten des Faustrechts, wie ich sie nannte, die ich Ihnen vorgelesen habe. Wir haben erkannt, dass der eine Schluss genau so wie der andere entfällt, also nicht logisch zwingend ist, wie er zu sein scheint, wenn wir die oben stehende Voraussetzung nicht hinzunehmen. Erst auf Grund dieser beiden Teilen gemeinsamen, ihnen selbst aber nicht bewussten Voraussetzung kommen sie zu ihren einander widerstreitenden Ergebnissen. Man braucht diesen Sachverhalt nur einmal aufzufassen, um sofort die sonst unmöglich oder hoffnungslos erscheinende Versöhnung der beiden Parteien herbeizuführen. Man braucht nur jene, durch nichts in der Welt begründete Voraussetzung fallen zu lassen, die hier oben steht, man braucht nur die Unvollständigkeit dieser Disjunktion einmal eingesehen zu haben, und die Staaten können als Staaten weiter bestehen, sie brauchen nur ihre Souveränität aufzugeben, so wie die Individuen mit ihren Rechten fortleben, obgleich ihnen diese Rechte durch Polizei, Gericht und Gesetzgebung geschützt werden. Die Konsequenz besteht also nur auf Grund der vorausgesetzten Vollständigkeit jener Disjunktion, und diese ihrerseits gewinnt nicht nur einen Schein von Wahrheit, sondern von logischer Notwendigkeit durch eine Begriffsvertauschung, die durch jene willkürliche Nominaldefinition zu Wege gebracht wird, die wir das vorige Mal erkannt haben, durch die willkürliche Definition des Staatsbegriffs, beziehungsweise des Begriffs des Völkerrechts, wo das Merkmal, das den Gegenständen des definierten Begriffs zukommt, nämlich das der Souveränität, versteckterweise übertragen wird auf die Gegenstände des ursprünglich gegebenen Begriffs des Staates. Man kann die in diesem Fall zu Grunde liegende versteckte Voraussetzung immer geradezu als die Behauptung einer solchen Begriffsäquivalenz formulieren, als die Behauptung mit anderen Worten, dass die Prämisse des einen Schlusses, näm-

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lich die Bejahung des Prädikats von den Gegenständen des einen Begriffs, mit der Prämisse des anderen Schlusses, der Verneinung des gleichen Prädikats von den Gegenständen des anderen Begriffs, unvereinbar ist. Besteht aber die Identität der beiden Begriffe nur scheinbar, so ist auch der angebliche Widerspruch zwischen den beiden Prämissen nicht mehr vorhanden. Der Behauptung von A widerspricht nur die Verneinung von A und nicht die Verneinung von B. Wenn also, wie es hier behauptet wird, A und B identisch sind, nämlich Staat und souveränes Gemeinwesen, dann widerspricht die Bejahung eines Prädikats für den einen Gegenstand der Verneinung des gleichen Prädikats für den anderen. Aber wenn diese Identität nur scheinbar besteht, dann entfällt auch dieser Widerspruch, der nur so lange bestehen bleibt, als man die Verschiedenheit der beiden Begriffe noch nicht entdeckt hat. Man braucht den Schein dieser Identität nur einmal aufgewiesen zu haben, um alle solche sonst unauflöslichen Antinomien, die die Philosophen seit alter Zeit in immer neue Heerlager zerspalten, mit einem Schlage aus der Welt zu schaffen.205

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ch hoffe, dass die Beispiele, die ich der Reihe nach angeführt, erläutert und erörtert habe, Ihnen das allgemeine Schema, auf das sich jedes Mal der Widerstreit zurückführen ließ, in den sich die philosophischen Schulen in Bezug auf das fragliche Problem verwickelten, und mit dessen Hilfe sich dieser Widerstreit jedes Mal auflösen ließ, deutlich gemacht haben, und dass es Ihnen nun also in seiner allgemeinen Form klar vor Augen steht, sodass Sie in der Lage sind, es auf neue, Ihnen vor Augen tretende Beispiele selbstständig anzuwenden und so selbst zu einer Auflösung eines solchen Widerstreits der Schulen zu gelangen. Das Wesentliche war, dass wir jedes Mal einen gemeinsamen Grundfehler aufweisen konnten, den beide Parteien miteinander teilten, und gerade die Aufweisung der beiden Teilen als unverfänglich geltenden Voraussetzung und die Aufdeckung ihres dogmatischen Charakters war es, was uns dazu verhalf, den Streit zu schlichten und das Problem aufzulösen. Diese allgemeine Voraussetzung, die wir aus dem Dunkel des Unbewussten hervorziehen mussten, lässt sich auf die Form einer Disjunktion bringen, einer Alternative, von der aber das Wesentliche dieses ist, dass ihre Vollständigkeit logisch gesichert erscheint, nach dem logischen Prinzip des ausgeschlossenen Dritten. Wir konnten die Voraussetzung auch auf die Form bringen, wonach sie die Identität zweier Begriffe oder doch des Umfanges der beiden Begriffe behauptet, eine Identität, deren Voraussetzung dazu führte, dass die Merkmale der Gegenstände, die unter den einen Begriff fallen, dem Scheine nach übertragen werden konnten auf die Gegenstände des anderen Begriffs und umgekehrt, oder wonach die Vereinbarkeit der auf der einen und anderen Seite den Ausgang des Schlusses bildenden Punkte strittig wurde. Die fragliche Voraussetzung läuft geradezu darauf hinaus, die Verein-

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barkeit des Ausgangspunktes der einen und des Ausgangspunktes der anderen Partei zu negieren. Diese Vereinbarkeit scheint nämlich geradezu auf einen Widerspruch hinauszulaufen. Dieser Schein des Widerspruchs entsteht durch die Gleichsetzung oder die Annahme der Äquivalenz jener beiden Begriffe. Denn wenn zwei Begriffe A und B identisch sind, so widerspricht in der Tat die Behauptung eines Satzes hinsichtlich A seiner Verneinung hinsichtlich B. Aber die Behauptung des Satzes für A und die Verneinung für B bilden keinen Widerspruch, wenn A und B nicht identisch sind, und der Schein dieser Identität erzeugt den Widerstreit der beiden Parteien. Die Aufdeckung dieses Scheines löst ihn. Auf diesem Schein, der durch die Vertauschung zweier Begriffe entsteht, eine Vertauschung, die durch den Missbrauch einer willkürlich eingeführten Nominaldefinition begünstigt wird, beruht die Erschleichung, die auf beiden Seiten stattfindet, und die besteht in dem Übergang von dem an sich richtigen analytischen Urteil zu dem unbegründeten oder gar falschen synthetischen Urteil, wo das analytische Urteil die Behauptung des Widerspruchs zwischen der Bejahung von A und der Verneinung von A ist, das synthetische die Behauptung des Widerstreits zwischen der Bejahung von A und der Verneinung von B. Schon die Vergleichung aller dieser Beispiele lässt uns erkennen, dass hier ein typischer Denkfehler vorliegt. Es ist in der Tat der gewöhnliche Fehler der philosophischen Argumentationen, die an Stelle einer direkten Beweisführung für die aufgestellte Behauptung eine Widerlegung gegnerischer Lehren geben, und dieser Grundfehler zeigt sich darin, dass dieser Übergang von der Widerlegung der gegnerischen Ansicht zur positiven Aufstellung der eigenen Lehre nur durch einen Schluss aus derselben unvollständigen Disjunktion gelingt, aus der die bekämpfte Lehre ihre Schlüsse zieht, und deren Vorliegen beiden Teilen infolge der ihnen gemeinsamen Begriffsvertauschung verborgen bleibt und verborgen bleiben muss. Auf das Schema einer solchen Antinomie lassen sich nun wirklich fast alle die charakteristischen Streitfragen zurück-

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führen, die von alters her und bis zum heutigen Tage die Philosophenschulen in feindliche Heerlager zerspalten haben, und über die nur darum bisher so erfolglos hin und her debattiert worden ist, weil die beiden Teilen als unverdächtig geltende Voraussetzung unbemerkt blieb und die Strenge der Schlüsse, auf die man allein sein Augenmerk richtete, in der Tat auf beiden Seiten gleich unangreifbar ist. Die fragliche Voraussetzung zu prüfen, kann nur dem in den Sinn kommen, der sich schon bewusst ist, dass sich überhaupt hinter der eingeführten Nominaldefinition eine solche Voraussetzung verbirgt. Diese Voraussetzung ans Licht zu ziehen, gelingt aber schwer, eben darum, weil sie gerade aus der Nichtbeachtung der Verschiedenheit zweier Begriffe entspringt und also zurückzugehen scheint auf die keiner besonderen Begründung bedürftige Behauptung der Identität dieser Begriffe, eines Begriffs mit sich selbst. Nur eine Erörterung der Begriffe, die aller Mühe um richtiges Schließen vorhergehen, und bei der man alle Sorge um die Strenge der Beweisführung zunächst einmal beiseite setzen muss, damit erst einmal klar wird, was in den Begriffen liegt, die man für diese Beweisführung zu verwenden gedenkt, kann auf ihre Verschiedenheit aufmerksam machen. Die Erforderlichkeit einer solchen Erörterung der Begriffe, die aller Mühe um richtiges Schließen vorausgehen muss, kann nur dem klar werden, der nicht schon von vornherein unter dem scheinbaren logischen Zwang einer einleuchtenden Schlussweise sich der Einsicht verschließt, dass sich derselbe Zwang für die gerade entgegengesetzte Schlussweise ebenso in Anspruch nehmen lässt. Wer aber nur einmal das methodische Prinzip dieser ganzen sophistischen Dialektik durchschaut hat, wird sich durch sie nicht täuschen lassen. Ich will nun diese Betrachtungen verlassen und nur noch darauf aufmerksam machen, dass auch das vielleicht berühmteste Beispiel, das hierher gehört, nämlich die von Kant aufgestellten Antinomien der reinen Vernunft,206 vielleicht berühmter als gerade richtig verstanden bisher, sich auch auf das angegebene Schema zurückführen lassen und nur einen

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besonderen Fall des hier erörterten logischen Prinzips darstellen. Bei der Kürze der Zeit kann ich hier nicht länger darauf eingehen, will aber für die, die diese Kantische Antinomienlehre kennen, das Folgende sagen. Bei Kant selbst wird eine zwar außerordentlich tiefsinnige und geniale Auflösung dieser Antinomien gegeben, eine Auflösung, bei der man leicht bemerkt, wie sie verdankt wird der neuen von Kant eingeführten Methode der Exposition, seiner kritischen Methode, aber man sieht noch nicht so ohne weiteres, dass sich die Auflösung im Grunde mit der Zurückführung auf das von mir angegebene Schema deckt. Deshalb will ich hier das Folgende sagen.207 Die beiden Begriffe, deren Vertauschung jene Antinomien entstehen lässt, von denen Kant selber noch meinte, dass sie auf einen in unserer Vernunft selbst liegenden unbehebbaren transzendentalen Schein zurückgingen, sind die Begriffe der Natur und der Welt. Es handelt sich um die kosmologische Antinomie, die die Reihen der Bedingungen betrifft, die wir in der Natur, d. h. dem Bereich der Gegenstände möglicher Erfahrung, vor uns haben. Die Natur ist nichts anderes als der Inbegriff der Gegenstände möglicher Erfahrung, oder wie Kant sagt, das Dasein der Dinge, sofern es unter notwendigen Gesetzen steht, der Inbegriff der Erscheinungen in Raum und Zeit. Welt andererseits ist der Begriff, oder wie Kant treffend sagt, die Idee, d. h. eine besondere Art von Begriffen, die Idee des Ganzen aller existierenden Dinge, alles an und für sich wirklichen Daseins, eine Idee darum, weil sie keinen Gegenstand möglicher Erfahrung bildet, wie die Auflösung der Antinomie uns lehrt. Wenn man diese beiden Begriffe oder ihre Gegenstände gleichsetzt, so entsteht die Antinomie. Hinsichtlich der Welt nämlich gilt der Grundsatz von der Totalität aller Reihen von Bedingungen. Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die Totalität seiner Bedingungen gegeben, und wir müssen die Abgeschlossenheit aller Reihen von Bedingungen voraussetzen. Diese für die Welt notwendig vorausgesetzte Abgeschlossenheit aller Reihen von Bedingungen oder, wie Kant sagt, die Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses, ist

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auf die Natur nicht anwendbar. Hier gilt die Unabschließbarkeit, die Unabgeschlossenheit aller Reihen von Bedingungen, sowohl dem Raum wie der Zeit nach, sowohl der Zusammensetzung wie der Teilbarkeit nach. Hier entsteht daher eine Antinomie, je nachdem auf der einen Seite von der für die Welt vorausgesetzten Totalität auf die dann unvermeidlich folgende Endlichkeit der Reihen von Bedingungen in der Natur geschlossen wird, oder auf der anderen Seite von der Unvollendbarkeit aller Reihen von Bedingungen in der Natur auf die Unabgeschlossenheit der Welt. So stehen sich These und Antithese gegenüber, und die Auflösung besteht in dem Nachweis der widerspruchslosen Vereinbarkeit der Prämisse von der Totalität der Welt und der von der Unabgeschlossenheit aller Reihen von Bedingungen in der Natur durch die Aufdeckung der vorausgesetzten Identität von Natur und Welt, oder mit anderen Worten, durch die Lehre des transzendentalen Idealismus, wonach wir durch unsere Naturerkenntnis nicht die Welt erkennen, auch nicht teilweise erkennen, sondern nur eine durch die Beschränktheit bedingte Erscheinung der Welt. Mit alledem haben wir aber erst den ersten Teil dessen durchlaufen, was diese Vorlesung behandeln soll, nämlich die Nachweisung, wonach der logizistische Dogmatismus, d. h. der Versuch, auf Grund bloßer Begriffe zu einer Erweiterung unserer Erkenntnis zu gelangen, an einem bestimmten, nun erörterten Denkfehler krankt und scheitert. Wir haben nun den Schein aufgedeckt, der notwendig allen solchen Versuchen zu Grunde liegt. Er liegt in der quaternio terminorum, die begangen wird bei dem Übergang von dem analytischen zum synthetischen Urteil, deren Verschiedenheit verschleiert wird durch den Missbrauch einer Nominaldefinition. Wir haben damit, wie gesagt, erst die eine Hälfte dessen abgehandelt, was uns in dieser Vorlesung beschäftigen sollte, denn dies war eigentlich nur das Vorspiel für das eigentliche Thema. Das eigentliche Thema sollte nämlich die intuitive Philosophie bilden, die heute in Mode steht. Und nun behaupte ich,

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dass diese intuitive Philosophie, die uns heute vor allem interessieren muss, gar keiner weiteren Kritik bedarf, da sie, so merkwürdig es scheinen mag, im Grunde gerade auf denselben Denkfehler zurückgeführt werden kann, auf den wir das Scheitern des Logizismus zurückgeführt haben. Das klingt paradox, aber ich will es beweisen, und die Erbringung dieses Beweises wird hinreichen, um das noch übrig bleibende Thema dieser Vorlesung wirklich erschöpfend zu behandeln, das Gegenstück des bisher erörterten logischen, genauer logizistischen Dogmatismus, das ich bezeichnen möchte als den offenen Dogmatismus in der Philosophie. Offener Dogmatismus liegt da vor, wo gar nicht der Versuch einer Begründung für die proklamierten Prinzipien gemacht wird, sondern wo diese geradezu ohne weiteres an die Spitze gestellt werden mit dem Zumuten, dass dies genügen müsse, um jeden, der ihren Sinn auffasst, auf Grund der angemaßterweise diesen Prinzipien zugeschriebenen Evidenz von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Diese Prinzipien werden also wie Axiome aufgefasst, d. h. wie unmittelbar einleuchtende Wahrheiten, die keiner weiteren Begründung bedürfen. Das ist es, was das Unternehmen der intuitiven Philosophie charakterisiert. Das ist es, was sie zunächst äußerlich von dem Unternehmen des logizistischen Dogmatismus unterscheidet. Ich behaupte nun, dass dies der einzige Unterschied ist, der diese beiden Arten zu philosophieren trennt, und dieser Unterschied besteht nur darin, dass der Zugang, durch den man sich den Weg zu den vermeintlich evidenten Prinzipien erschleicht, verschleiert wird. Zieht man das ans Licht, was hier verschleiert wird, was in Wirklichkeit gerade das Entscheidende ist, so zeigt sich von neuem, dass der logische Dogmatismus die Quelle jener angemaßten Evidenz ist, also die gleiche wie jene Erschleichungsmethode, der der logizistische Dogmatismus seine angeblichen Ergebnisse verdankt. Die Quelle liegt hier nur versteckter, nur verschleierter, und wir müssen hier weiter suchen, um in dieser dem logischen Dogmatismus scheinbar so entgegengesetzten Art zu philoso-

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phieren nur eine neue Wiederholung des logizistischen Dogmatismus zu entdecken. Worauf geht nun die angebliche Intuition des Metaphysikers? Sie besteht in einer Wesensschau, wie man sich ganz passend für das, was hier behauptet wird, ausdrückt. Er behauptet wirklich, eine Anschauung des allgemeinen Wesens der Sachen, über die hier philosophiert wird, zu besitzen, des Wesens der Bewegung z. B., des Wesens der Natur, des Wesens des Rechts u.s.w. Dieses Wesen ist natürlich nichts anderes als ein hypostasierter allgemeiner Gegenstand. Was man schaut, das ist ein Gegenstand, und diese Gegenstände unterscheiden sich von denen der gemeinen Sinneswahrnehmung nur durch ihren allgemeinen Charakter. Dieses Wesen lehrt uns, wenn wir es anschauen, die allgemeinen und notwendigen, den einzelnen Gegenständen zukommenden Merkmale, allgemein und notwendig darum, weil sie an jenem allgemeinen Wesen teilhaben, jede bestimmte Bewegung am Wesen der Bewegung, jedes bestimmte Recht am Wesen des Rechts u.s.w. Wie kommt man nun zu diesen vermeintlich geschauten Wesen? Man kommt zu ihnen durch die Vertauschung zweier Begriffe und die damit verbundene Gleichstellung der Gegenstände des einen und des anderen Begriffs. Der Schein der Evidenz dafür, dass diese Gegenstände des einen und anderen Begriffs gleichzusetzen seien, erklärt sich leicht eben durch die unbewusst zu Grunde liegende Voraussetzung der Identität jener beiden Begriffe. Denn wenn zwei Gegenstände identisch sind, so gilt auch hier, dass sich recht wohl und sogar mit Selbstverständlichkeit behaupten lässt, dass das, was von den Gegenständen des einen Begriffs gilt, auch von den Gegenständen des anderen gilt, dass die in dem einen liegenden Merkmale auf die Gegenstände des anderen übertragen werden können. Diese Behauptung glaubt man dann als ein zwingendes Axiom aufstellen zu können. Der Schein der Evidenz, die sich von der wirklich vorliegenden Übereinstimmung eines Begriffes mit sich selbst behaupten lässt, diese Evidenz wird

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hier durch einen irreführenden Schluss auf das synthetische Urteil übertragen, das das fragliche Axiom darstellt, das synthetische Urteil, das in der Übertragung der Merkmale, die in dem einen Begriff liegen, auf die Gegenstände des anderen besteht. Wer sich von dem Ursprung des hier vorliegenden inneren Zwanges, wie wir es wohl nennen können, nicht Rechenschaft gibt, wer übersieht, dass es nur der Zwang eines naheliegenden Denkfehlers ist, der durch die Vertauschung zweier Begriffe entsteht, und wer glaubt, wenn er nur auf die überraschend fruchtbaren Ergebnisse sieht, die durch diesen Denkfehler vorgetäuscht werden, wirklich ein evidentes Axiom vor sich zu haben, dessen Aufstellung genügen müsse, um jeden zur Anerkennung der Behauptung zu nötigen, in der Tat jeder, der den gleichen Denkfehler, den gleichen Trugschluss begeht, jeder ist der Meinung, dass er durch die offensichtliche Identität der Begriffe vor irgendwelchen Denkfehlern gesichert ist. Der Fehler liegt hier umso näher, als die Begriffe, um die es sich hier handelt, ursprünglich dunkel und infolgedessen verworren und mit anderen vermengt in uns liegen. Auf diese Verworrenheit und nichts anderes, auf die Annahme der gleichen Verworrenheit bei seinen Mitmenschen stützt sich der intuitive Philosoph mit seinem Anspruch auf Evidenz seiner Prinzipien, und diese Verworrenheit ist es auch, die die Möglichkeit der vor sich gehenden Täuschung erklärt. Für uns als Kritiker besteht der Vorteil dieser Art zu philosophieren in der Tat in dieser Offenheit, die es uns erlaubt, den dogmatischen Charakter einer solchen Philosophie unmittelbar einzusehen. Aber damit ist auch ein entsprechender Nachteil verbunden, der Nachteil, dass die Erschleichung, die hier vor sich geht, schwerer aufzudecken, schwerer ans Licht zu ziehen ist, eben darum weil sie von dem Autor in Dunkel gehüllt wird, weil er von dem Zugang, auf dem er seinen Satz erschlichen hat, keine Rechenschaft gibt. Mit einiger Übung aber gelingt es, die Erschleichung aufzudecken, und um Ihnen diese Übung mitzuteilen, habe ich mich so lange bei dem logizistischen Dogmatismus aufgehalten, denn dort haben wir allemal nicht

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erst dadurch, dass wir die Erschleichung aus dem Dunkel des Unbewussten ans Licht zogen, sondern nur dadurch, dass wir das Vorgehen im einzelnen verfolgten und in seine verschiedenen Schritte zerlegten, den Fehler aufgedeckt. Um Ihnen nun das eben allgemein Gesagte an einem Beispiel klar zu machen, und um Sie dadurch in konkreter, anschaulicher Weise von meiner allgemeinen Behauptung zu überzeugen, will ich auf ein Beispiel eingehen, das ich schon einmal berührte,208 nämlich das von der bekannten Brentanoschen Definition des Guten, durch die die Anhänger der Wesensschau der Philosophie meinen, die Ethik auf eine neue wissenschaftliche Basis gestellt zu haben. Sie erinnern sich dieser Definition. Sie lautete: Wir nennen etwas gut, wenn die darauf bezügliche Liebe richtig ist.209 Ich habe schon gezeigt, wie nichtig und leer dieser Satz ist, und dass er nichts anderes besagt, als dass etwas gut ist, wenn es Gegenstand einer Liebe ist, die richtig ist, und das ist nur eine verwickelte Umschreibung für den Satz, den wir einfacher so aussprechen können: Wir nennen etwas gut, wenn es gut ist. Denn richtig ist eine Liebe, wenn sie auf etwas gerichtet ist, was geliebt zu werden verdient, also wirklich gut ist. Wir drehen uns mit dieser Weisheit im Kreise. Denn wie sollten wir hiernach erkennen, ob etwas gut oder schlecht ist? Daran, dass die darauf bezügliche Liebe richtig ist, und die Richtigkeit dieser Liebe besteht darin, dass das, worauf sie sich bezieht, gut ist. Wann ist die Liebe richtig? Die Erklärung dieser Verlegenheit findet sich leicht, wenn man beachtet, dass die richtige Liebe hier ohne weiteres durch ihre Evidenz ausgezeichnet sein soll. Diese Evidenz haftet ihr unmittelbar an. Es gibt hier also eine evidente Erkenntnis vom Wesen des Guten. Dieser Kreis, in den uns die Erklärung zu verwickeln scheint, ist nicht ihr einziger Mangel. Es liegt hier noch ein anderer sehr tiefer Fehler vor. Durch diese Erklärung soll der Grundbegriff der Ethik aufgeklärt werden. Es handelt sich hier also der Absicht des ganzen Unternehmens nach um das sittlich Gute. Das sittlich Gute ist aber in der Tat ein anderer

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Begriff als der Begriff des Liebenswerten, und das heißt des Schätzenswerten überhaupt, kurz und bündig des Wertvollen. Wenn wir eine Blume wegen ihrer Schönheit lieben, ihr also einen ästhetischen Wert zuerkennen, so kann hier doch wohl unmöglich von gut im ethischen Sinn die Rede sein. Das sittlich Gute ist doch wohl etwas unser eigenes Verhalten Betreffendes. Man könnte sagen – die Erklärung braucht nur angewandt zu werden auf unser eigenes Verhalten –, wenn unser eigenes Verhalten Gegenstand einer richtigen Liebe ist, dann ist es sittlich gut. Der nicht durch eine sophistische Philosophie verwirrte Hörer wird sich auf weitere Konsequenzen aus dieser Behauptung nicht leicht einlassen. Er weiß genugsam aus seiner Erfahrung, dass das sittlich Gute zunächst jedenfalls nur dann vorliegt, wenn wir unsere Pflicht erfüllen, wenn wir unser Verhalten mit unserer Pflicht in Einklang bringen, und die Pflicht ist erfahrungsgemäß alles andere als etwas Beliebtes, auch als etwas Liebenswertes. Die Pflicht gibt einer Handlung nicht darum den Vorzug vor einer anderen, die an ihrer Stelle geschehen könnte, weil sie liebenswert ist. Worauf sollte diese Liebenswertheit beruhen? Wenn wir etwa unsere Neigung, fremdes Eigentum uns anzueignen, beherrschen, so wäre wohl schwer einzusehen, was an dieser Handlung so überaus liebenswert sei. Oder wenn wir ein gegebenes Versprechen halten, mit dessen Ausführung kein weiterer Wert verbunden ist als der Vorzug, unserer Pflicht zu genügen, so ist schwer einzusehen, was an dieser Handlung liebenswert sein soll. Wir tun hier nur unsere Pflicht und Schuldigkeit, es ist kein Verdienst, kein besonderer Wert, den wir für unser Verhalten in Anspruch nehmen könnten; wir erfüllen hier nur das Minimum, ohne dessen Erfüllung unser Verhalten verachtungswürdig sein würde. Über alles dies sieht der Dogmatiker hinweg, und er kommt dazu, darüber hinwegzusehen, dass seine angeblich evidente Behauptung so augenscheinlich dem gemeinen Menschenverstand widerstreitet, weil er in Wirklichkeit sich nicht an das hält, was ihm evident ist, sondern weil er ausgeht von einer Erwägung der Sache nach bloßen

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Begriffen, weil er sich in Grübeleien verwickelt, für deren sachgemäße Auflösung ihm jeder Leitfaden fehlt, sodass er dem ersten naheliegenden Trugschluss zum Opfer fällt. Und dieser Trugschluss scheint ihm so zwingend, dass sein Ergebnis ihm wirklich hinterher als eine evidente Behauptung erscheint. Ich will ihnen nun noch einige Sätze eines solchen intuitiven Ethikers vorlesen. Ich entnehme sie einer Abhandlung von Max Scheler, auf den man in der Gegenwart große Stücke hält: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik.210 Dort werden zu Beginn der Abhandlung folgende Axiome aufgestellt: »Gut ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines positiven Wertes haftet. Böse ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines negativen Wertes haftet.«211 Auf diesen Axiomen wird dann dogmatisch der Bau einer angeblich wissenschaftlichen Ethik errichtet. Ich werde das nächste Mal auf diese Ethik ein wenig näher eingehen.

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ir sind an der Hand von einzelnen Beispielen, die ich nach beliebiger Wahl herausgegriffen habe, durch bloße Vergleichung dieser Beispiele zu einer allgemeinen Fehlertheorie des Logizismus gekommen. Man könnte nun meinen, dass eine solche Theorie zwar an sich interessant und lehrreich sei, aber doch in ihrer Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit uns nicht viel zu bieten habe, da sie sich nur bezieht auf den logisch regelrechten Zusammenhang innerhalb der einzelnen Glieder, aus denen ein System sich aufbaut. Es kommt, wie es scheint, für das Interesse, das wir einem solchen System gegenüber zunächst haben, doch mehr auf die Wahrheit seines Inhalts als auf die schulgerechte Form an, in der die einzelnen Glieder dieses Systems logisch miteinander zu einem Ganzen verbunden werden, und wenn auch Fehler in dieser Form sein mögen, wenn ein Satz aus dem anderen durch Trugschlüsse abgeleitet ist, so ist es doch nur der Logiker, der an der Aufdeckung dieser Fehler Interesse hat; ein anderes Interesse scheint nicht damit verbunden zu sein, denn wir wissen ja, auch durch Trugschlüsse und aus falschen Prämissen lassen sich immer noch und gerade vielleicht, wenn uns das Glück günstig ist, richtige Folgen ableiten. Es scheint, dass das materiale Schwergewicht sozusagen eines philosophischen Systems in seinen einzelnen Sätzen, zunächst in seinen Grundsätzen ruht, und da diese Grundsätze – eben als Grundsätze – nicht logisch auf andere zurückgeführt werden können, so ist für sie eine Kritik, wie sie mit Hilfe der in der Vorlesung entwickelten Fehlertheorie möglich wäre, nicht anstellbar. Hier liegt nun ein Irrtum vor. In der Tat bewährt sich die entwickelte Fehlertheorie auch dadurch und gerade dadurch, dass sie eine viel weitere Tragweite hat, als es zunächst bei ihrer Aufstellung schien. Ich habe das in der vori-

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gen Stunde bereits nachgewiesen. Wenn die vermeintlichen Axiome, die ein Metaphysiker an die Spitze stellt, um dann von da aus sein System zu errichten, wie die Minerva aus dem Haupt des Jupiter entsprungen zu sein scheinen, so dass uns keine Kritik an dem Wege möglich ist, auf dem er zu ihnen gelangt, wenn wir uns bescheiden müssten, da wir nicht die gleiche intuitive Einsicht, nicht die gleiche höhere Anschauung mitbringen, die uns die proklamierten metaphysischen Wahrheiten erschließt, müssten wir resignieren, müssten wir die weitere Beschäftigung mit einem solchen System denen überlassen, die mit dem Organ jener höheren metaphysischen Anschauung begabt sind. Ein tieferes Eindringen hat uns nun gezeigt, dass dem ganz und gar nicht so ist, sondern dass die vermeintlichen Axiome in Wahrheit erschlichene Sätze sind, erschlichen vermöge eines Räsonnements, das, nachdem es einmal vollzogen ist, im Dunkel des Unbewussten verschwindet, sodass es selbst dem Autor nicht mehr ganz klar ist, wie er zu diesen vermeintlich ursprünglich durch Anschauung gewonnenen Wahrheiten gekommen ist. Erst eine tiefe Nachforschung kann diesen Weg wieder ans Licht ziehen, und wir entdecken dann in ihm nichts anderes als eine Erschleichung von genau demselben Typus, auf den wir die Trugschlüsse des Logizismus zurückgeführt haben. Ich hatte ein Beispiel zu erörtern begonnen. Es war dies eins der bedeutsamsten und weittragendsten in der ganzen Geschichte der Philosophie. Wir können es kurz nennen das Beispiel der Güterethik.212 Ich verstehe unter einer Güterethik eine solche ethische Lehre, die die Forderungen, die sie für uns enthält, auf eine Wertlehre, wir können auch sagen, eine Güterlehre, zurückführt. Ein Ding ist ein Gut, sofern ihm ein Wert zugeschrieben wird, und auf die Lehre vom Wert der Dinge versucht man die Lehre von den Pflichten zurückzuführen. Diese Ethik tritt als ein System auf, das, wie es scheint, auf evidenten Grundsätzen, auf Axiomen, beruht. Ich habe Ihnen eine solche Stelle vorgelesen aus einer modernen, von den Zeitgenossen außerordentlich bewunderten Abhandlung von

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Max Scheler, die den Titel trägt Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Es waren dies die Axiome: »Gut ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines positiven Wertes haftet. Böse ist der Wert in der Sphäre des Wollens, der an der Realisierung eines negativen Wertes haftet.«213 Ich habe bereits versucht, zu zeigen, wie ein naheliegendes Räsonnement in der Tat auf diese Frage führt. Wenn man nämlich nach bloßen Begriffen die Frage durchdenkt, auf Grund dieser Sätze, so liegt der Schein nahe, als ob der Vorzug, der unzweifelhaft einer durch die Pflicht gebotenen Handlung gegenüber jeder anderen an ihrer Stelle möglichen zukommt, nur verständlich wird durch den höheren Wert, der diese Handlung vor allen anderen an ihrer Stelle möglichen auszeichnet. Der Pflicht zu folgen wäre eine vollkommen blinde Tat, wenn wir nicht einen Grund sähen, der Handlung, die wir tun, vor den anderen den Vorzug zu geben. Also die Vorzugswürdigkeit der Pflicht wird gegründet auf den höheren Wert der Handlung. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der gesunde Menschenverstand diese Behauptung unter keinen Umständen anerkennt,214 und ich nenne den einen gesunden Menschenverstand, der nicht durch sophistische Reflexionen in seinem Urteil verführt wird. Denn für diesen Verstand steht es auf Grund der ihm reichlich durch die Lebenserfahrung gebotenen Einzelfälle fest, dass die Pflichthandlung nicht ihrer Beliebtheit wegen für ihn den Vorzug hat. Die Handlung, die durch die Pflicht ausgezeichnet ist, erhält diesen Vorzug nicht durch den Wert, den wir an ihr finden, der sie liebenswürdig macht, um uns an die Brentanosche Definition des Guten zu erinnern, sondern er schreibt sich her von dem Gebot der Pflicht selber, das uns Achtung abnötigt und dessen Erfüllung von uns gefordert ist, wenn es auch noch so wenig liebenswürdig wäre, mögen wir es auch bei aller Einsicht in den Wert oder Unwert der Dinge, mit denen wir zu tun haben, mit noch so großem Widerstreben tun. Das Eigentümliche der Pflicht ist es eben, von uns die Überwindung des Widerstrebens zu

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fordern. Nun, wer dies eingesehen hat, wer sich also darüber klar ist, dass der vermeintlich höhere Wert eine Fiktion ist, auf die hier die Pflicht zurückgeführt werden soll, der wird bloß der logischen Konsequenz dieses Räsonnements zu folgen geneigt sein und auch die vermeintliche Pflicht abstreiten. Er wird zu der Ansicht gedrängt, dass die Pflichtvorstellung eine unbegründbare, eine blinde Vorstellung ist, die dem Ethiker, der die höhere Einsicht besitzt, nichts zu sagen hat, die er aus seiner Ethik verbannen muss. Er überlässt diese Vorstellung von der Pflicht den untergeordneten Menschen, die sich zu jenem höheren ethischen Standpunkt nicht zu erheben vermögen. Er hat, wie man sagen kann, die Pflicht durch die Liebe überwunden. Wir haben hier also auf Grund der falschen Voraussetzung, wonach die Vorzugswürdigkeit der Pflicht auf den höheren Wert der gebotenen Handlung gegründet ist, zwei entgegengesetzte Möglichkeiten zu schließen und erhalten so zwei einander entgegengesetzte Typen einer verkehrten Ethik. Auf der einen Seite wird der Schluss gezogen, wonach die Pflichterfüllung, da ihre Ausführung geboten ist, und also eine notwendige Bedingung des Wertes der Handlung darstellt, schon hinreicht, um dieser Handlung den Charakter eines Verdienstes zu geben, und auf der anderen Seite den Schluss, dass, da die Pflichterfüllung offenbar nicht hinreicht, um der Handlung einen höheren Wert zu geben, die Notwendigkeit der Pflicht entfällt. Was liegt hier vor? Die Voraussetzung, wonach die fragliche Bedingung des Wertes, sofern sie wirklich notwendig sein soll, auch hinreichend sein müsste. Es wird hier die notwendige Bedingung mit einer hinreichenden gleichgesetzt, nämlich die notwendige Bedingung des Wertes mit einer hinreichenden Bedingung des Wertes. Wir haben dann auf der einen Seite die Prämisse, wonach die Pflichterfüllung eine Bedingung des Wertes der fraglichen Handlung ist, und den Schluss daraus, dass die Pflichterfüllung der Handlung bereits einen positiven Wert, einen allen anderen überlegenen Wert verleiht. Auf der anderen Seite haben wir die Prämisse, wonach die Pflichterfüllung nicht

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hinreicht, um der Handlung einen Wert zu geben, und daraus den Schluss, dass die Pflichterfüllung auch keine notwendige Bedingung des Wertes des Handelns ist. Wir können beide Prämissen ohne weiteres vereinigen, die Prämisse von der notwendigen Bedingung des Wertes der Pflichterfüllung und die andere, wie wir kurz sagen können, von dem negativen Charakter der sittlichen Wertung, wonach die Pflichterfüllung noch keinen Wert besitzt.215 Diese beiden Prämissen können wir dann widerspruchslos vereinigen, wir brauchen nur die falsche Voraussetzung fallen zu lassen, wonach die Pflichterfüllung, wenn sie eine notwendige Bedingung des Wertes vorstellt, auch hinreichend sein müsste. notwendige Bedingung des Werts = hinreichende Bedingung des Werts Pflichterfüllung ist notwendige Bedingung des Werts einer Handlung.

Pflichterfüllung ist nicht hinreichend, um einer Handlung Wert zu geben.

Pflicht ist hinreichende Bedingung des Werts einer Handlung.

Pflichterfüllung ist keine notwendige Bedingung des Werts einer Handlung.

Pflichterfüllung ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Werts einer Handlung.

Nun kommen diese Konsequenzen in der Abhandlung, die ich als Beispiel herangezogen habe, nicht so ganz klar und ungetrennt heraus, es liegt ein Schwanken, ein Schillern vor. Es scheint bald mehr die eine, bald mehr die andere Konsequenz im Vordergrund der Überlegungen zu stehen. Aber einige Sätze werden hier doch für uns interessant sein. Max Scheler sagt: »An erster Stelle gehört hierher die Wesenstatsache, daß alle Werte (seien sie ethisch, ästhetisch usw.) in positive und negative Werte […] zerfallen. Das liegt im Wesen der Werte […].«216 Das wird hier also behauptet, und diese Behauptung erscheint außerordentlich plausibel,

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wenn man, wie ich sagte, die Frage bloß grüblerisch nach bloßen Begriffen betrachtet. Es wird hier also behauptet, dass in jeder Wertung die möglichen Werte in positive und negative zerfallen, und ausdrücklich hinzugefügt, dass dieses auch für die ethischen Werte gilt. Es wird hier also der Satz von dem negativen Charakter der sittlichen Wertung, wie ich ihn nannte, d. h. der Satz, wonach es keinen positiven sittlichen Wert, sondern nur einen sittlichen Unwert gibt, einen Unwert der Pflichtverletzung, aber keinen positiven Wert der Pflichterfüllung, denn diese ist nur Schuldigkeit und nicht Verdienst, von dem Autor gänzlich aus dem Auge gerückt durch seine einseitige Art, über das Wesen der Werte zu räsonnieren, statt sich an seinem eigenen Urteil zu orientieren, wie er dessen im Einzelfall allemal sicher genug sein wird. Er kommt dann zu dem Satze, »dass alles Sollen in Werten fundiert sein muss, d. h. nur Werte sein sollen«, und zu dem Satze, »dass Negatives nicht sein soll«.217 Also das Sollen geht hier zurück auf den Wert dessen, was sein soll, im Widerspruch zu dem negativen Charakter der sittlichen Wertung. Oder an anderer Stelle wird gesagt, dass »jeder nicht negative Wert positiv« ist218 und hinzugefügt, »daß der Wert ›gut‹«, also das die sittliche Handlung auszeichnende Merkmal, »vielmehr nur ein Anwendungsgebiet dieser formalen Wertgesetze ist«, und dass »bei dieser Anwendung aber ›gut‹ und ›böse‹ vorausgesetzt ist«, und »daß diese Gesetze auf anschaulichen Wesenszusammenhängen beruhen.«219 Der Autor behauptet also, diese Entdeckungen einer unmittelbaren Erkenntnis des Wesens des Guten zu verdanken. Hier wird also der wahre Sachverhalt, den eine Exposition der Begriffe ohne weiteres ans Licht zieht, gerade auf den Kopf gestellt. Scheler wendet sich mit diesen evidenten Axiomen gegen die Kantische Ethik, gegen den Kantischen Satz, wonach das Sittengesetz, das moralische Gesetz, jeder Bestimmung dessen, was gut und böse ist, vorhergehen muss, und nicht umgekehrt seinerseits erst auf Feststellung dessen, was gut und böse ist, gegründet werden kann.220 Scheler sagt, dass der von Kant gemachte Versuch, die Bedeutungen der Worte »gut«

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und »böse« auf das zurückzuführen, was Inhalt eines Sollens ist, ohne zu zeigen, dass es ohne ein Sollen ein gut und ein böse gar nicht geben kann, verfehlt ist.221 Er bestreitet hier die Behauptung von Kant, die Bedeutung der Worte »gut« und »böse« erschöpfe sich vollständig in der gesetzmäßigen oder gesetzwidrigen Form der Handlung.222 Lassen wir die Ungeheuerlichkeit dieser Behauptung beiseite. Ich kann Sie hier nur auffordern, genau das zu betrachten, was Sie im Gefühl eines Bösen und Guten erleben. Darauf, nämlich auf das, was er im Gefühl eines Bösen und Guten unmittelbar erlebt hat, hat aber der Autor offenbar niemals selbst hingesehen, sondern er gibt sich einer vermeintlichen Anschauung dessen hin, was ihm als Produkt seiner Grübeleien über diese Begriffe herauskommt, und was ihm unter dem Zwang des auseinandergesetzten Denkfehlers so zwingend erscheint, dass er dafür eine unmittelbare Anschauung in Anspruch zu nehmen sich genötigt fühlt. Ich entnehme diese Zitate der Schelerschen Abhandlung in dem Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, herausgegeben von Edmund Husserl, Band I.223 Ein anderes Zitat entnehme ich aus dem dritten Bande, aus der Abhandlung von Hildebrand: »Die Idee der sittlichen Handlung«224 . Es heißt dort: »Jedes Pflichtbewusstsein, das nicht sekundär ist, das nicht im Erlebnis aus einem materialen Wert fließt, muss uns als blind erscheinen. Wenn auch das ›Du sollst‹ den kategorischen Charakter formal trägt, der es phänomenal von jedem willkürlichen Zwang oder Befehl himmelweit trennt, so bleibt es doch unausweislich, außer wenn es aus einem materialen Wertbewusstsein fließt. Nur dann, wenn es als ›Epiphänomen‹ zu einem materialen Werthaben hinzutritt, kann es als klar bezeichnet werden und darf es Unterlage einer sehenden Willensantwort sein, aber selbst dann gilt die eigentliche Antwort dem Wert, und es könnte nur als Eselsbrücke für besondere Fälle in Anspruch genommen werden.«225 Er spricht »von der Pflicht als in der Luft schwebender Imperativ«226 … »Diese ist als solche entweder immer blind, oder sie führt

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geradezu zu einer Negation der kategorischen Wertantwort, indem sie die Einstellung umkehrt.«227 Max Scheler kommt an einer anderen Stelle zu den Ergebnis, dass das Pflichtbewusstsein »nur da auftreten kann, wo die sittliche Einsicht in vollem Sinne fehlt.«228 Alle Sollensnotwendigkeit geht auf Werte zurück. »So kann auch nur zur ›Pflicht‹ werden, was gut ist oder was, weil es gut ist […], notwendig sein ›soll.‹«229 Es ist die Einsicht in die »apriorische Struktur des Wertreiches, die […] die ›Notwendigkeit‹ des Sollens […] nach sich zieht. Dagegen ist die Voranstellung jener Sollensnotwendigkeit (oder gar der ›Pflicht‹) vor die Einsicht in das, was gut ist, […] falsch.«230 Bei der Kürze der Zeit muss ich es mir leider versagen, näher auf diese an sich so sehr wichtige Lehre der Güterethik einzugehen. Aber besonders das, worauf es ankommt, was ich dadurch klar machen möchte, will ich versuchen noch etwas deutlicher zu machen. Es ist der unrechtmäßige Übergang von einer an sich selbstverständlichen, aber nur analytischen Behauptung zu jener synthetischen Behauptung, die in den fraglichen Axiomen formuliert ist, der sich dem Bewusstsein des Autors selbst ganz entzieht. Ich habe, wie ich hoffe, so viel klar gemacht, dass der sittliche Wert einer Handlung dieser darum zugeschrieben wird, weil sie Pflicht ist, und dass nicht umgekehrt die Pflichtmäßigkeit einer Handlung sich aus dem vermeintlichen Wert der Handlung ableiten lässt. Die sittliche Handlung kann nur darum von uns als gut bezeichnet werden, weil sie geboten und darum jeder anderen an ihrer Stelle möglichen vorzuziehen ist, nicht aber gilt sie für geboten darum, weil sie gut oder schätzenswert wäre. Hier liegt der Fehler aller Güterethik, d. h. aller Versuche, die Lehre von den Pflichten aus der Lehre von dem Guten abzuleiten. Worauf beruht nun die scheinbare Evidenz, die diese Versuche immer wieder für sich in Anspruch nehmen? Worauf beruht mit einem Wort die scheinbare Evidenz des Axioms, nach dem es Pflicht ist, das Gute zu tun? Das Gute zu tun, ist Pflicht, dieser Satz scheint ganz und gar unbestreitbar. Es scheint zu genügen, sich das Wesen des Guten zu vergegenwärtigen, um

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seine Wahrheit unmittelbar zu erfassen; es scheint, als brauche man nur seinen Sinn zu verstehen. Und wirklich, nichts kann einleuchtender sein, als dass es Pflicht ist, das Gute zu tun. Der dialektische Schein beruht hier auf der Zweideutigkeit des Wortes »gut«. Dieses Wort bedeutet nämlich einmal das Sittlich-Gute oder, um die Zweideutigkeit auszuschalten, kurz das Sittliche, und andererseits das Wertvolle. Der Sinn des Satzes ändert sich aber sehr, je nachdem wir das Wort in dem einen oder anderen Sinne verstehen. Verstehen wir unter dem Guten das Sittliche, d. h. die Pflichterfüllung, so ist der Satz trivial, so drückt er nur ein analytisches Urteil aus, wonach die Pflicht nur durch die Erfüllung der Pflicht erfüllt werden kann. Denn was Pflicht ist oder nicht, hängt nach dem Sinne des Wortes allein davon ab, ob dadurch die Pflicht erfüllt wird oder nicht. Ganz anders, wenn wir den Begriff des Wertvollen einsetzen. Dann drückt der Satz ein synthetisches Urteil aus, wonach es nämlich Pflicht ist, das zu tun, was Wert hat, oder den höheren Wert hat. Diesen Satz kann man niemals zurückführen auf jenen anderen, in der Tat selbstverständlichen, analytischen Satz. In jenem analytischen Satz kommt der Begriff des Wertvollen gar nicht vor. Der synthetische Satz, auf den hier alles in der Tat abzielt, könnte als wahr nur einleuchten, wenn über den Begriff des Guten, und das heißt hier des Wertvollen, hinaus auch behauptet wird, dass wir eine Anschauung vom Wesen des Guten besitzen, die uns dann lehren würde, dass es Pflicht sei, das Wertvollere zu tun. Es liegt hier also eine Verwechslung der beiden Begriffe im Sinne des Sittlichen und des Guten im Sinne des Wertvollen vor, und nur durch die Vertauschung dieser beiden Begriffe kann es gelingen, den Schein der Evidenz für dieses Axiom in Anspruch zu nehmen. Es wird hier auf den in Wahrheit synthetischen, nicht begründeten und sogar falschen Satz der Schein der Selbstverständlichkeit übertragen, der in der Tat dem analytischen Urteil wirklich zukommt, indem dieses durch die Zweideutigkeit des Wortes »gut« mit dem synthetischen, falschen Urteil verwechselt wird, wodurch man erreicht, dass

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dieses nicht nur als richtig, sondern obendrein als evident erscheint, eine Evidenz, die freilich zu Schanden wird an dem Urteil, das der gesunde Menschenverstand, wie ich sagte, in jedem Einzelfall, wo es gilt, eine Pflicht zu erfüllen, sicher genug handhabt, und wie es in seiner kernigen Weise Wilhelm Busch einmal ausspricht: »Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.«231 An dieser einfachen Wahrheit wird die ganze, mit so viel Pomp aufgeführte Güterethik zu Schanden. Es wird nun also hier nicht mehr nötig sein, an weiteren Beispielen zu zeigen, wie allemal die angeblich intuitive Philosophie, die als solche dem Logizismus gerade entgegengesetzt ist, doch zu allererst auf den gleichen Denkfehler zurückgeht, durch den sie erst den Schein der Evidenz und den eines Besitzes einer metaphysischen Anschauung erschleicht. Diese Lehre von der metaphysischen Anschauung, von der Evidenz der proklamierten Axiome, ist nur Ausschmückung und Beiwerk, wodurch der dahinter stehende logizistische Dogmatismus nur verkleidet wird und sein Gebäude nur eine neue, glänzende, manchen bestechende Fassade erhält. Wer den Fehler einmal erkannt hat, der wird sich durch diese Fassade nicht täuschen lassen und dahinter stets das Urübel erkennen, an dem der logizistische Dogmatismus krankt. Es ist nun meine Absicht, für den Rest der Zeit zu einem anderen Gegenstand überzugehen und den typischen Denkfehler zu erörtern, der neben dem bisher betrachteten einherläuft und ihn in seiner Wirkung unterstützt. Dieser Fehler, dem ich mich jetzt zuwende, kommt wiederum auf beiden Seiten hinzu, sowohl bei dem logizistischen Dogmatismus wie bei dem offenen Dogmatismus, der angeblich intuitiven Metaphysik; kurz bei der mystischen Philosophie ebenso gut wie bei der scholastischen. Der Mystizismus ist nichts anderes als die Anmaßung, das, was die anderen Sterblichen nur zu denken vermögen, anschauen zu können. Wir werden die Entstehung dieser immer wiederkehrenden Täuschung in der Geschichte der Philosophie noch besser begreifen, wenn wie

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die Kenntnis dieses Fehlers hinzunehmen, dem ich mich jetzt zuwenden will. Wie wir den bisher erörterten Denkfehler seinem Ursprung nach erklären konnten aus der Unkenntnis des Unterschiedes der analytischen und synthetischen Urteile, also aus einer mangelhaften Ausbildung der Lehre vom Urteil, aus einer mangelhaften logischen Kenntnis, so gilt das in fast der gleichen Weise von dem Fehler, zu dem ich jetzt komme. Er beruht auf einer Unkenntnis der Lehre von der logischen Form des Urteils, und die Unkenntnis dieser logischen Lehre von der Urteilsform erweist sich uns hier als der tiefste Grund der ungeheuerlichen metaphysischen Verirrungen in der Geschichte der Philosophie. Allemal zeigt sich dieser elementare logische Fehler in den Verzerrungen, in den Fehlern – und zwar in vergrößertem Maße – der metaphysischen Ergebnisse eines Philosophen. In Kants Kritik der reinen Vernunft finden sich unter dem bescheidenen Titel eines Nachtrags zu einem seiner Hauptabschnitte ein äußerst merkwürdiges und tiefsinniges Lehrstück, von dem man bisher kaum mehr Kenntnis genommen hat, als dass es dort unter diesem unverständlichen Titel steht. Ich meine den Anhang von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.232 Dort deckt Kant als erster dank einer weiteren Anwendung seiner kritischen Methode den hier seine verderbliche Rolle spielenden Fehler auf. Er tritt zwar nur von einer bestimmten Seite an ihn heran, aber wer das einmal aufgefasst hat, was Kant dort über diesen Fehler sagt, der wird es leicht in seiner allgemeinen Bedeutung durchschauen und anwenden können. Kant benutzt dort seine Entdeckung nur zu einer tiefsinnigen Kritik der leibnizschen Metaphysik. Er führt diese Entdeckung gleichsam nur an als Mittel, die Fehler dieser Metaphysik aus ihrem tiefsten Grunde zu begreifen. Es gelingt ihm in der Tat, das leibnizsche System der Metaphysik in allen seinen grundlegenden Tendenzen zurückzuführen auf den einfachen logischen Fehler, dessen Entdeckung ich hiermit mitgeteilt habe, und diese Entdeckung Kants ist zugleich die Entdeckung des eigentlichen Grundgeheimnisses, das diesen Fehler so bestechend in seiner Form macht

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und der uns hier in seiner besonderen Form in dem leibnizschen System erscheint. Von diesem Fehler will ich in der nächsten Stunde sprechen.

29. Juli

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2. Teil

an kann den Widerstreit der philosophischen Schulen, wenn man auf die allgemeinsten die Köpfe auseinandertreibenden Tendenzen zurückgeht, zurückführen auf eine Differenz, die bereits die allerersten Grundlagen der Logik betrifft. Man kann sagen, es gibt hier zweierlei Arten Logik, nach der die Philosophen überhaupt philosophieren. Ich möchte sie unterscheiden als die Logik der Aristoteliker, das sind diejenigen, die nach der aristotelischen Logik philosophieren, der aristotelisch-kantischen Logik, wie wir sagen können, und auf der anderen Seite haben wir die Logik der Neuplatoniker, der Mystiker, kurz eine mystische Logik.233 Der Unterschied zeigt sich zunächst in zweierlei Art zu abstrahieren, d. h. Begriffe zu bilden, das Allgemeine zu dem Besonderen hinzuzudenken. Die einfachste und nächstliegende Art zu abstrahieren besteht darin, den allgemeinen Begriff zu bilden, unter den das Besondere der einzelnen sinnesanschaulichen Dinge von uns in einer Klasse vereinigt gedacht wird. Es ist dies eine logische Beziehung der einzelnen Dinge, die darauf beruht, dass sie unter der Einheit eines Begriffs stehen. Von diesem Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen ist zu unterscheiden das Verhältnis des Teils zum Ganzen. Dieses ist ein reales und nicht bloß logisches Verhältnis. Das Besondere ist dem allgemeinen Begriff untergeordnet, aber der eine und der andere Teil sind im Ganzen vereinigt und haben in der Einheit eine reale Beziehung zu einander. Diese beiden Arten zu abstrahieren, von dem Besonderen zum Allgemeinen überzugehen, und vom Teil zum Ganzen, unterscheidet die Fries’sche Logik, die zuerst auf diesen Unterschied eingeht, als die qualitative und die quantitative Abstraktion.234 Nun ist das Eigentümliche der mystischen Logik, diesen Unterschied nicht anzuerkennen. Sie kennt nicht die Unterordnung der einzelnen sinnesanschau-

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lich gegebenen Dinge unter den allgemeinen Begriff, sondern sie kennt nur die Einordnung der besonderen Einzeldinge in den zum Wesen hypostasierten Begriff, wo also dieser zum Wesen hypostasierte Begriff eine ähnliche Rolle spielt wie das Ganze, auf das die quantitative Abstraktion zielt. Dieses Ganze, die Einheit des Ganzen aber wird gewonnen durch den bloßen Übergang zum allgemeinen Begriff, also nach der Art der qualitativen Abstraktion. Man spricht hier etwa von dem Typus der einzelnen Erscheinungen, und diesen Typus sieht man als realen Urgrund dieser Erscheinungen an. In diesem ihren Urgrund sind ursprünglich die Einzeldinge vereinigt. Dadurch findet eine Umkehrung des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat im einfachen kategorischen Urteil statt. Nach der aristotelisch-kantischen Logik gehört zur Form eines kategorischen Urteils, z. B. »Diese Tafel ist schwarz«, dass in ihm ein Gegenstand einem Begriff untergeordnet wird, und die Behauptung dieser Unterordnung kommt zum Ausdruck durch das Wort »ist«, die Kopula des Urteils. Nach der mystischen Logik ist es gerade umgekehrt. Hier wird der Begriff als Wesen hypostasiert, und das Einzelding gilt gleichsam als einer der Teile oder Erscheinungsformen dieses wesenhaften Urgrundes, in den sie eingeordnet sind, sodass der zum Wesen hypostasierte Begriff die Rolle einnimmt, die nach der aristotelischen Logik gerade den wirklichen Gegenständen der Anschauung zukommt; diese selbst aber werden, ähnlich der Rolle der Prädikate der aristotelischen Logik, zu bloßen Attributen der Begriffe. Auf diese Weise vermeint man die reale Einheit der einzelnen Gegenstände der Sinnesanschauung schon dadurch zu erkennen, dass man sie in dem sie alle umfassenden hypostasierten Begriff vereinigt, und es bedarf zur Erkenntnis der realen Einheit der sinnesanschaulich gegebenen Einzeldinge gar keiner Induktion, keiner Erforschung der Naturgesetze, auf denen diese Einheit nach der aristotelisch-kantischen Logik beruht, sondern diese Einheit wird unmittelbar dadurch entdeckt, dass die einzelnen angeschauten Gegenstände gleichgesetzt werden in der

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Einheit des sie alle umfassenden, zum Wesen hypostasierten Begriffs. Eines der berühmtesten Beispiele, das ich zur Erläuterung anführen will, ist der Spinozismus. Das Problem liegt hier in dem Dualismus von Körper und Geist, von Ausgedehntem und Denkendem, wie Spinoza sagt. Die Einheit der Welt kann nur erkannt werden, wenn es gelingt, diesen Dualismus zu überwinden. Das meint die Spinozistische Metaphysik leisten zu können. Wie geschieht das? Dadurch, dass das Ausgedehnte dem Denkenden gleichgesetzt wird, nämlich als Seiendes. Das Ausgedehnte ist seiend, und das Denkende ist auch seiend. Der Begriff des Seienden ist also der übergeordnete Begriff; es genügt, ihn als Wesen und Urgrund sowohl des Ausgedehnten wie des Denkenden zu hypostasieren, um den Dualismus zu überwinden. Man gelangt so zu der Aufstellung der einzigen seienden absoluten Substanz. Das Ausgedehnte sowohl wie das Denkende erscheint, als wäre es absolut. So entsteht hier eine transzendente, über alle Erfahrung sich erhebende Metaphysik, und zwar aus bloßen Begriffen. Sie nimmt die Form des logizistischen Dogmatismus an, wenn dieses Unternehmen als solches vom Autor bewussterweise ausgeführt wird. Sie erscheint in der Form des Mystizismus, einer vermeintlichen intuitiven Metaphysik, wenn dieser Hergang bei ihm im Unbewussten verschwindet und nur das Ergebnis unter dem Titel einer intellektuellen Anschauung an die Spitze gestellt wird als eine unmittelbar erschaute, evidente Wahrheit. Wir sehen, dass dieser sonst so erhebliche Unterschied des Logizismus und Mystizismus, vom Standpunkt dieser tieferen logischen Einsicht betrachtet, fast zu einer Äußerlichkeit herabsinkt: für das Eigentliche des Fehlers selbst, der auf beiden Seiten zutiefst derselbe ist, ist dieser Unterschied belanglos. Man kann den Fehler vielleicht von einer anderen Seite noch etwas deutlicher machen, wenn man nicht von der Art zu abstrahieren ausgeht, sondern unmittelbar von dem Urteil. Ich sagte, nach der aristotelischen Logik gehört es zu der Form des einfachen kategorischen Urteils, einen Gegenstand einem

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Begriff unterzuordnen. Damit das möglich ist, müssen uns ursprünglich Gegenstände in der Sinnesanschauung gegeben sein, und die Beziehung auf den Gegenstand, also das Wesentliche der Form des Subjekts des Urteils, kommt zum Ausdruck durch die Bezeichnung des Urteils, durch Worte wie »diese«. Dadurch sprechen wir aus, dass wir nicht den Begriff »Tafel« meinen, sondern uns auf einen bestimmten Gegenstand der Sinnesanschauung beziehen. Auf ihn weist das Wort »diese« hin. Diese Bezeichnung des Urteils, deren Notwendigkeit die aristotelische Logik lehrt, kennt die mystische Logik nicht. Ihre Urteile, wenn man noch von solchen sprechen darf, haben die Form: Tafel ist schwarz. Das Wort »ist« verliert dann natürlich den Sinn, den es in der aristotelischen Logik hat. Nach der mystischen Logik hat dieses Wort die Bedeutung einer Gleichsetzung. An Stelle des Urteils tritt hier eine Vergleichung, eine Vergleichungsformel, wo Begriffe gleichgesetzt oder unterschieden werden. Aber es handelt sich hier gar nicht darum, Begriffe auf ihre Übereinstimmung oder Verschiedenheit hin zu vergleichen, sondern die reale Einheit der Dinge zu erkennen. Im Sinne, wie diese Worte in der aristotelischen Logik gebraucht werden, müsste es heißen: Tafel ≠ schwarz, denn der Begriff der Tafel ist ein anderer Begriff als der Begriff »schwarz«. In der mystischen Logik hat der Satz einen anderen Sinn, wonach sich recht wohl behaupten lässt: Tafel = schwarz. Der Satz des Widerspruchs, der für die aristotelische Logik grundlegend ist, gilt nicht in der mystischen Logik. Hier lässt sich dem positiven Urteil ohne Widerspruch das es gerade verneinende negative an die Seite stellen. Zum Beispiel Gold = Silber, und das heißt, Gold und Silber sind einerlei, und das sind sie auch, z. B. als Metalle. Aber andererseits sind sie verschieden, z. B. hinsichtlich ihrer Farbe, ihres spezifischen Gewichts u.s.w. Wir haben also daneben den Satz: Gold ≠ Silber. Gold ist sowohl Silber als auch nicht Silber. Der Satz des Widerspruchs gilt in dieser Logik nicht.235 Ein anderes Beispiel habe ich schon früher behandelt. Einer der ausgeprägtesten modernen Vertreter der nicht-aristoteli-

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schen Logik ist Fichte.236 Er hat gleichsam diese nicht-aristotelische Logik in ähnlicher Weise kodifiziert wie Aristoteles die nach seinem Namen benannte klassische Logik. Wir finden bei Fichte die Lehre vom allgemeinen Ich.237 Wie kommt er auf die Hypostasierung des allgemeinen Ich? Er kommt dazu einfach auf Grund des Begriffs des Ich, dem nach aristotelischer Betrachtungsweise die individuellen einzelnen Geister untergeordnet sind. Nach der mystischen Logik ist es aber anders. Nach ihr wird dieser Begriff als ein Wesen betrachtet, als der Urgrund der einzelnen, in ihm vereinigten individuellen Geister. In ihm sind die einzelnen individuellen Geister gleich, jeder als ein Ich. Alle Individuen sind einerlei, nämlich sofern sie ein Ich sind. Dieser richtigen Vergleichungsformel schiebt Fichte das falsche Urteil unter von der gegenständlichen bzw. realen Einheit aller Individuen und ihrer Individualität im absoluten Ich. So kommt man von einer bloßen logischen Vergleichungsformel zu einem metaphysischen Axiom. Wir können gleich an diesem Beispiel des allgemeinen Fichteschen Ich die andere Form der Vergleichungsformel und die Rolle, die sie spielt, daneben betrachten, nämlich die negative. Ich habe schon gelegentlich von dem Satz gesprochen: Das Denkende ist dem Gedachten entgegengesetzt, das Subjekt dem Objekt. Es wird hier nicht eine Gleichheit, sondern eine Verschiedenheit behauptet. Dies ist wieder eine richtige Vergleichungsformel. Denken und Gedachtes ist offenbar zweierlei. Die Begriffe des Denkens und des Gedachten sind verschieden. Hält man nun aber diese Vergleichungsformel für ein Urteil, so kommt man zu der falschen metaphysischen Behauptung der Unmöglichkeit der Selbsterkenntnis. Denn Selbsterkenntnis ist dadurch definiert, dass Subjekt und Objekt der Erkenntnis identisch sind, hier aber werden sie als entgegengesetzt vorgestellt, und diese richtige leere Vergleichungsformel führt, wenn man sie mit einem Urteil verwechselt, zu der falschen metaphysischen Behauptung von der Unmöglichkeit der Selbsterkenntnis. Diesen Fehler begeht Fichte wirklich, indem er schließt, dass nicht ein und dasselbe Denkendes und Gedachtes zugleich

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sein könnte. Der Gegenstand, der unter den einen Begriff fällt, kann nicht unter den anderen fallen, und so kommt er wieder von dieser anderen Seite her zu demselben Ergebnis, nämlich zum absoluten Ich. Denn dies ist das Subjekt, das nicht Objekt sein kann, und das wir annehmen müssen, um die Möglichkeit der Erkenntnis vom individuellen Ich zu begreifen, denn dieses kann sich nicht selbst erkennen, zu seiner Erkenntnis ist ein anderes nicht-individuelles Subjekt erforderlich auf Grund des Satzes: Denkendes und Gedachtes sind entgegengesetzt. Ein anderes Beispiel bietet uns der berühmte hegelsche Satz: Das Vernünftige ist das Wirkliche, und das Wirkliche ist das Vernünftige.238 Dieser Satz, der eine an sich triviale Vergleichungsformel als eine tiefsinnige metaphysische Behauptung erscheinen lässt, die zudem den Vorzug hat, dass durch ihre Anrufung alle Kritik an den bestehenden Zuständen niedergeschlagen werden kann, denn was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig – mit Hilfe dieses Manövers stellt sich die hegelsche Rechtsphilosophie als eine grundsätzliche Verteidigung der bestehenden Zustände dar, des preußischen Polizeistaates zu guter Letzt. Der moderne Vertreter dieses metaphysischen Gaukelspiels ist Oswald Spengler, dessen faszinierende Wirkung einzig und allein auf der virtuosenhaften Handhabung dieses Fehlers beruht. Er hat eine neue Geschichtsmetaphysik aufgestellt auf Grund der Vergleichungsformel: Alle Kulturen sind einerlei. Alle Kulturen sind einerlei, nämlich insofern sie alle unter den gleichen allgemeinen Begriff der Kulturen fallen.239 Diesen trivialen analytischen Satz benutzt Spengler, um ihm das metaphysische Urteil unterzuschieben, dass alle Kulturen einen gleichen Verlauf haben, sodass man, wenn man den Verlauf der einen kennt, den der zukünftigen prophezeien kann. Hier wird der allgemeine Begriff der Kultur hypostasiert zu einem eigenen Gegenstand, nämlich dem wesenhaften Typus aller einzelnen Kulturen, dem Urphänomen der Kulturen. Die einzelnen Kulturen werden dann zu bloßen Erscheinungsformen dieses hinter ihnen stehenden Urwesens der Kultur. Übrigens

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findet sich die Aufdeckung des hier benutzten Erschleichungsprinzips schon im Grunde bei Aristoteles selbst. Aristoteles gibt das folgende Beispiel:240 Koriskos ist Mensch. Sokrates ist auch Mensch. Koriskos ist Sokrates.

Koriskos und Sokrates sind einerlei, nämlich sofern sie beide unter den Begriff Mensch fallen. Der Trugschluss besteht darin, dass aus dieser bloßen Vergleichbarkeit von Koriskos und Sokrates hinsichtlich ihrer Eigenschaft, Mensch zu sein, eine metaphysische Behauptung abgeleitet wird, nämlich die ihrer realen Identität. Aristoteles hätte, wenn ihm die moderne Literatur bekannt gewesen wäre, ebenso gut die Spenglersche Behauptung über die Einerleiheit von Preußentum und Sozialismus wählen können, denn der Satz: Preußentum ist Macht, Sozialismus ist Macht, also ist Preußentum Sozialismus – setzt das Preußentum dem Sozialismus gleich.241 Dass nun aber wirklich moderne Logiker expressis verbis diese logische Grundauffassung des Urteils vertreten, die der mystischen Logik zu Grunde liegt, das will ich durch Anführung eines Beispiels zeigen. Natorp sagt in seiner Logik: »Das verneinende Urteil, b ist nicht a, bedeutet das Urteil der Verschiedenheit (zweite Qualitätsstufe), wie das bejahende die einfache Identitätssetzung (erste Stufe).«242 Die Zeit erlaubt es mir leider nicht, weiter auf diesen Fehler einzugehen. Kant nannte ihn die Amphibolie der Reflexionsbegriffe, der rein logischen Begriffe, durch die wir Gegenstände oder Begriffe z. B. als einerlei oder verschieden vergleichen. Sie sehen aber so viel, und darauf kommt es hier an, inwiefern hier sowohl dem logizistischen Dogmatismus wie der mystischen Metaphysik aus diesem Fehler der Schein einer Erkenntnisquelle erwächst, aus der sie ihre Behauptungen herleiten, wie der logizistische Dogmatismus auf Grund bloßer Begriffe zu seinen synthetischen Ergebnissen gelangt, und der intuitive Meta-

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physiker selbst ohne alle Begriffe zu seinen unmittelbar evidenten Axiomen. Wir stehen nun vor einem paradoxen Ergebnis. Wir haben Kritik geübt sowohl an der logizistischen Metaphysik, der Metaphysik aus bloßen Begriffen, und wir haben Kritik geübt an der mystischen Metaphysik, der Metaphysik aus einer vermeintlichen intellektuellen Anschauung, und haben die Unternehmen der beiden als nichtig erkannt. Was bleibt nun übrig? Das Dilemma, das sich hier vor uns auftut, beherrscht im Grunde die ganze Geschichte der Philosophie. Es ist eigentlich die Einsicht in die Unhaltbarkeit des logizistischen Dogmatismus, des Scholastizismus, was die an ihm Kritik Übenden immer wieder in die Arme des Mystizismus trieb, und andererseits die Einsicht in die Unmöglichkeit einer Philosophie aus intellektueller Anschauung, das Nicht-Vorhandensein einer intellektuellen Anschauung, was immer wieder zu dem Versuch des logizistischen Dogmatismus zurückgeführt hat. Aus diesem Dilemma scheint es keinen Ausweg zu geben, es sei denn, dass dieser Ausweg in dem Skeptizismus liegt, darin, dass man an der Möglichkeit aller Metaphysik überhaupt verzweifelt. Die von mir in dieser Vorlesung entwickelte Theorie bewährt sich darin, dass eine einfache Anwendung dieser Theorie erlaubt, dieses Dilemma aufzulösen. Wir können dieses Dilemma auflösen und es auf denselben Schein zurückführen, auf den wir allen dialektischen Schein bisher zurückführen konnten. Ihm liegt nämlich eine Disjunktion zu Grunde, die, wie es scheint, hinsichtlich ihrer Vollständigkeit rein logisch gesichert ist. Auf dieser Voraussetzung beruht das Zwingende des Dilemmas, und mit ihr steht und fällt es. Es handelt sich hier um das Dilemma zwischen Anschauung und Reflexion als möglichen Erkenntnisquellen. Auf der einen Seite haben wir zweifellos eine logisch vollständige Disjunktion vor uns, in der Entgegensetzung von reflektierter und unmittelbarer Erkenntnis. Auf der anderen Seite haben wir eine ebenso rein logisch gesicherte Disjunktion vor uns in der Alternative: anschauliche und nichtanschauliche Erkenntnis. Der Schein beruht

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auf nichts anderem als auf der Gleichsetzung dieser beiden in der Tat verschiedenen Unterscheidungen, oder einfacher gesagt, auf der Gleichsetzung der Begriffe der unmittelbaren Erkenntnis und der Anschauung. Die Vertauschung dieser beiden Begriffe wird begünstigt, ja man kann fast sagen erzwungen, wiederum durch eine willkürliche Nominaldefinition. Man definiert nämlich die Anschauung als die unmittelbare Erkenntnis, also durch ihren Gegensatz zur reflektierten Erkenntnis, die die Form des Urteils hat. Der Gegensatz zur reflektierten Erkenntnis ist aber, rein logisch betrachtet, jedenfalls nur die unmittelbare Erkenntnis, und ob diese von der Art einer Anschauung ist oder nicht, diese Frage wird nicht durch eine willkürliche Nominaldefinition entschieden. Wir haben bereits einen, wenn auch noch so verworrenen Begriff von dem, was wir Anschauung nennen, und es steht nicht von vornherein fest, dass wir ihn als den Begriff der unmittelbaren Erkenntnis hinreichend definieren können. Eine genauere Erörterung zeigt uns, dass Anschauung in der Tat nicht so definiert werden darf, denn wir nennen im unbefangenen Sprachgebrauch nur eine solche unmittelbare Erkenntnis Anschauung, die auch unmittelbar als solche klar ist, evident, wie man sagen kann; und mit der Behauptung, dass alle unmittelbare Erkenntnis von dieser Art sein müsste, sie mag richtig oder falsch sein, wird ein synthetisches Urteil ausgesprochen und nicht, wie jene willkürliche Nominaldefinition vortäuscht, ein analytisches. Die Behauptung, dass alle unmittelbare, nichtreflektierte Erkenntnis Anschauung sei, ist eine synthetische Behauptung, zu deren Beweis andere Hilfen erforderlich sind als eine bloße Definition. Wie es sich tatsächlich hiermit verhält, das ist eine andere Frage; wir können hier feststellen, und darauf allein kommt es an, dass jenes Dilemma, hervorgegangen aus der Disjunktion von Anschauung und Reflexion als möglichen Erkenntnisquellen, logisch nicht gesichert ist, dass es weiterer Untersuchungen bedarf, ob sich nicht in der Tat die Möglichkeit einer dritten Erkenntnisquelle findet, einer solchen, die weder in der Reflexion noch in der Anschauung

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liegt. Wir kommen so auf den Begriff einer unmittelbaren aber doch nicht als solcher unmittelbar bewussten Erkenntnis. Wir können uns dieses Dilemma und seine Auflösung in der Form unseres allgemeinen Schemas sofort deutlich vor Augen stellen:243 Vollständigkeit der Disjunktion von Anschauung und Reflexion als mögliche Erkenntnisquellen. Unsere Anschauung ist nicht intellektuell.

Die Reflexion ist leer. Wir besitzen keine Metaphysik. Wir besitzen Metaphysik.

Die Metaphysik entspringt aus der Reflexion.

Die Metaphysik entspringt aus intellektueller Anschauung. Die Metaphysik entspringt einer unmittelbaren, nichtanschaulichen Erkenntnis.

Auf der einen Seite haben wir die Feststellung, dass wir keine intellektuelle Anschauung besitzen, keine metaphysische Anschauung, oder sagen wir kurz: Unsere Anschauung – es handelt sich hier um die Feststellung einer Tatsache – ist nicht intellektuell, z. B. um das in der vorigen Stunde Gesagte zu benutzen: Wir haben keine Anschauung vom Wesen des Guten, sondern das Gute, das Gesetz des Guten, können wir uns nur durch Denken zum Bewusstsein bringen. Unsere Anschauung ist nicht intellektuell, woraus sich der Zwang des logizistischen Dogmatismus erklärt, der die Metaphysik aus der bloßen Reflexion entspringen lässt, im Widerspruch zu der auf der anderen Seite recht wohl bemerkten Tatsache der Leerheit unserer Reflexion, d. h. der Mittelbarkeit aller reflektierten Erkenntnis. Wir haben hier die richtige Feststellung, auf die sich das Unternehmen des Mystizismus stützt, wonach die Metaphysik nicht aus der Reflexion entspringen kann, sondern, wie man daraus schließt, aus einer Anschauung, ei-

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ner intellektuellen Anschauung also, entspringen muss. Eine Voraussetzung ist noch beiden Teilen gemeinsam, nämlich die, dass es eine Metaphysik gibt. Aber eine andere Voraussetzung, deren sich beide Teile nicht bewusst sind, ist ihnen auch gemeinsam, nämlich die bereits von mir aufgedeckte Voraussetzung der Vollständigkeit der Disjunktion von Anschauung einerseits und Reflexion andererseits als möglichen Erkenntnisquellen. Wir können den Satz auch so aussprechen: Jede Erkenntnis ist entweder eine solche aus der Anschauung oder eine solche aus der Erfahrung. Dann folgt unweigerlich daraus, dass wir keine intellektuelle Anschauung besitzen, dass die Metaphysik aus der Reflexion entspringen müsste, wenn es eine gibt, und andererseits aus der ursprünglichen Leerheit der Reflexion, dass die Metaphysik aus intellektueller Anschauung entspringen müsste, wenn es eine gibt. Und da weder die eine Voraussetzung noch die andere erfüllt ist, so bleibt nur die Verzweiflung des Skeptizismus oder des konsequenten Empirismus übrig, der neben der leeren Reflexion nur noch die Sinnesanschauung als Erkenntnisgrund zur Verfügung hat und daraus schließt, dass wir keine Metaphysik besitzen. Wenn wir aber den dogmatischen, den logisch nicht gesicherten Charakter der zu Grunde liegenden Disjunktion aufgedeckt haben, so können wir widerspruchslos die bei den drei Schlüssen zu Grunde liegenden übrigen Voraussetzungen vereinigen und so die Behauptung der Möglichkeit einer Metaphysik aufrechterhalten, freilich einer solchen, die weder aus der Anschauung noch aus der Reflexion entspringt, sondern aus einer nicht reflektierten, also unmittelbaren und doch nicht anschaulichen, also nicht unmittelbar klaren, evidenten Erkenntnis, kurz einer ursprünglich dunklen, unmittelbaren Erkenntnis. Der Schein beruht also hier mit anderen Worten auf der Behauptung der Identität der Begriffe der Anschauung und der unmittelbaren Erkenntnis, der unmittelbaren und der unmittelbar bewussten Erkenntnis, und der daraus folgenden Gleichsetzung der an sich richtigen Disjunktion von unmittelbarer und reflektierter Erkenntnis einerseits und unmittelbar

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bewusster und nicht unmittelbar bewusster Erkenntnis andererseits. Auf diese Weise wird das Dilemma aufgelöst. Was bleibt aber nun für die Metaphysik übrig? Der täuschende Schein, das Trugbild einer transzendenten metaphysischen Welterkenntnis verschwindet. Denn die Reflexion ist leer und unsere Anschauung nicht intellektuell. Wir müssten eine intellektuelle Anschauung besitzen, um zu einer eigentlich metaphysischen Welterkenntnis vordringen zu können. Aber wir besitzen dennoch metaphysische Erkenntnis. Wir müssen diese nur ihrer Tragweite und ihrem Gehalt nach richtig beschränken. Das geschieht, wie die kritische Philosophie in der Kritik der Vernunft zeigt, dadurch, dass wir die metaphysischen Kriterien aufweisen, die aller Erkenntnis zu Grunde liegen, jene Kriterien, die im Grunde nur leitende Maximen für die Erfahrung und aller rationalen Induktion sind. Über die Aufweisung dieser metaphysischen Kriterien hinaus bleibt uns nichts übrig als die negative Disziplin, als die Kritik, wie ich sie beispielsweise in dieser Vorlesung entwickelt habe, die Kritik aller möglichen metaphysischen Irrtümer, eine Kritik, die dann aber eine befriedigendere Form annehmen kann, als es die bloße negative Aufdeckung von Irrtümern vermag, befriedigender darum, weil wir den tiefsten Grund aller Fehler aufzudecken vermögen und so wirklich zu der gerechten Würdigung der metaphysischen Irrtümer gelangen können, die die wahre Gerechtigkeit gegen sie erfordert. Etwas hierzu beigetragen zu haben ist es, was ich hoffe, in dieser Vorlesung erreicht zu haben.

Anmerkungen der Herausgeber

Eine in vielen Varianten verbreitete Anekdote schreibt Hegel (auch Schelling) dieses Diktum zu. Herkunft in zeitgenössischen Dokumenten nicht belegt. Zur Sachfrage (ob Hegel empirische Fakten ignoriert habe) vgl. die Einleitung von Wolfgang Neuser zu G. W. F. Hegel, Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum / Philosophische Erörterung der Planetenbahnen, hg. v. W. Neuser, Weinheim 1986. 2 Immanuel Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, in Kant’s gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, Berlin 1912, S. 387 – 406 (Erstveröffentlichung in Berlinische Monatsschrift 27 (1796), S. 387 – 426). 3 Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit, 2. Aufl. Wien, Leipzig 1919, S. 81: »Ein Werden kann nur erlebt, mit tiefem, wortlosem Verstehen gefühlt werden.« – Vgl. Nelsons ausführliche Polemik gegen Spengler in Spuk. Einweihung in das Geheimnis der Wahrsagerkunst Oswald Spenglers (Leipzig 1921), in GS III, S. 349 – 551, hier S. 442 sowie S. 460 – 62 (»Wortloses Verstehen«). 4 »Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt.« Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Mit Hegels eigenhändigen Randbemerkungen in seinem Handexemplar der Rechtsphilosophie, hg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 41955, S. 16. 5 Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Erster Theil, 6 in Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. I. Abtheilung. Goethes Werke 14. Band, Weimar 1887, S. 35. (Fotomechanischer Nachdr. der im Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1887 – 1919 erschienenen Weimarer Ausgabe oder Sophien-Ausgabe, München 1987.) 6 Arthur Liebert, Die Überwindung des Relativismus, Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 65. Jahrgang, Nr. 247, 5. April 1921. 1

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Anmerkungen der Herausgeber

Peter Wust, Die Auferstehung der Metaphysik, in Gesammelte Werke Bd. I, hg. v. Wilhelm Vernekohl, Münster 1963. (Erstveröffentlichung: Leipzig 1920.) 8 Vgl. zum Wahrheitsgefühl GS IV, S. 360 f., GS VII, S. 130 f., 582 – 84, 666. 9 Zu Nelsons Philosophiebegriff vgl. »Von der Kunst, zu philosophieren« (1918), GS I, S. 219 – 45. 10 Vgl. GS I, S. 225. In dieser Bedeutung spielt der Begriff »Dialektik« in Nelsons anderen Schriften keine Rolle mehr. 11 Vgl. GS IV, S. 5 – 8, GS VII, S. 18 – 20. 12 Vgl. GS IV, S. 6. 13 »Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure. It is for them alone to point out what we ought to do, as well as to determine what we shall do. On the one hand the standard of right and wrong, on the other the chain of causes and effects, are fastened to their throne. They govern us in all we do, in all we say, in all we think: every effort we can make to throw off our subjection, will serve but to demonstrate and confirm it. In words a man may pretend to abjure their empire: but in reality he will remain subject to it all the while. The principle of utility recognizes this subjection, and assumes it for the foundation of that system, the object of which is to rear the fabric of felicity by the hands of reason and of law. […] By the principle of utility is meant that principle which approves or disapproves of every action whatsoever according to the tendency it appears to have to augment or diminish the happiness of the party whose interest is in question: or, what is the same thing in other words to promote or to oppose that happiness. I say of every action whatsoever, and therefore not only of every action of a private individual, but of every measure of government.« Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789). Edited by J. H. Burns and H. L. A. Hart. With a New Introduction by F. Rosen and an Interpretive Essay by H. L. A. Hart, Oxford 1996, S. 11 (§§ 1 f.) – Dt. in Einführung in die utilitaristische Ethik. Klassische und zeitgenössische Texte, hg. v. Otfried Höffe, 4., überarb. u. erw. Aufl., Tübingen 2008, S. 55 f. 14 »Has the rectitude of this principle been ever formally contested? It should seem that it had, by those who have not known what they have been meaning. Is it susceptible of any di7

Anmerkungen der Herausgeber

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rect proof? It should seem not: for that which is used to prove every thing else, cannot itself be proved: a chain of proofs must have their commencement somewhere. To give such proof is as impossible as it is needless.« Bentham, a. a. O., S. 13 (§ 11). Dt. in Höffe, a. a. O., S. 58. 15 Hier unterliegt Nelson offenbar einem Missverständnis, da Bentham nicht gebietet, die eigene Lust, sondern die Lust aller von einer Handlung betroffenen Personen zu vermehren: »An action then may be said to be conformable to the principle of utility, or, for shortness sake, to utility, (meaning with respect to the community at large) when the tendency it has to augment the happiness of the community is greater than any it has to diminish it.« Bentham, a. a. O., S. 12 f. (§ 6). – Dt. in Höffe, a. a. O., S. 57. 16 Auch hier wird Bentham von Nelson falsch interpretiert, da Bentham nicht axiomatisch behauptet, dass es keinen Konflikt zwischen dem Eigeninteresse und den Interessen der Mitmenschen geben könne. Dieser Konflikt soll vielmehr durch die Sanktionen des Nützlichkeitsprinzips vermieden werden. Vgl. Bentham, a. a. O., Kapitel 3: »Of the Four Sanctions or Sources of Pain and Pleasure«. Dt. in Höffe, a. a. O., S. 74 – 79. Erst John Stuart Mill glaubt, dass die Menschen sich allmählich dahin entwickeln, sich die Verfolgung des Eigeninteresses auf Kosten der Interessen der Mitmenschen nicht mehr vorstellen bzw. wünschen zu können: »In an improving state of the human mind, the influences are constantly on the increase, which tend to generate in each individual a feeling of unity with all the rest; which feeling, if perfect, would make him never think of, or desire, any beneficial condition for himself, in the benefits of which they are not included.« John Stuart Mill, Utilitarianism (1861), hg. v. Roger Crisp, Oxford 1998, S. 78 (Kapitel 3 »Of the Ultimate Sanction of the Principle of Utiltiy«, § 10) – Dt. in Mill, Utilitarianism/Der Utilitarismus, übersetzt und hg. v. Dieter Birnbacher, Stuttgart 2006, S. 99. 17 »[…] it is the greatest happiness of the greatest number that is the measure of right and wrong, […].« Jeremy Bentham, A Fragment on Government (1776), hg. v. Ross Harrison, Cambridge 1988, S. 3 (Preface). 18 »It is quite compatible with the principle of utility to recognise the fact, that some kinds of pleasure are more desirable and more valuable than others. It would be absurd that while, in esti-

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Anmerkungen der Herausgeber

mating all other things, quality is considered as well as quantity, the estimation of pleasures should be supposed to depend on quantity alone.« Mill, Utilitarianism, a. a. O., S. 56 (Kap. 2, § 4). Dt. a. a. O., S. 27 f. 19 »It is better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied; better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied. And if the fool, or the pig, is of a different opinion, it is because they only know their own side of the question. The other party to the comparison knows both sides.« Mill, a. a. O., S. 57 (Kap. 2, § 6). Dt. a. a. O., S. 33. 20 Vgl. GS IV, S. 6 f. 21 Vgl. Henri Poincaré, La science et l’hypothèse (Paris 1902), Nouv. éd. Paris 1910, S. 69: »Les axiomes géométriques ne sont donc ni des jugements synthétiques a priori ni des faits expérimentaux. Ce sont des conventions […]«. – »Die geometrischen Axiome sind also weder synthetische Urteile a priori noch experimentelle Tatsachen. Es sind auf Übereinkommen beruhende Festsetzungen […]« Henri Poincaré, Wissenschaft und Hypothese, übers. v. F. u. L. Lindemann, 3. verb. Aufl., Leipzig 1914, S. 51 f. 22 Vgl. Édouard Le Roy, Science et philosophie, Revue de Métaphysique et de Morale 7 (1899), S. 375 – 425, 503 – 62, 708 – 31; 8 (1900), S. 37 – 72 ; dort zum Status der Naturgesetze bes. Jg. 7 (1899), S. 518 – 26. 23 Vgl. Poincaré, a. a. O., S. 147 f. : »[…] ces deux propositions: ›la terre tourne‹ et: ›il est plus commode de supposer que la terre tourne‹, ont un seul et même sens«. – »[…] diese beiden Sätze: ›Die Erde dreht sich‹ und ›Es ist bequemer vorauszusetzen, daß die Erde sich dreht‹ haben einen und denselben Sinn«. Wissenschaft und Hypothese, a. a. O., S. 119. – Vgl. GS VII, S. 93 f. sowie Nelson, Kritische Naturphilosophie. Mitschriften aus dem Nachlass, hg. v. Kay Herrmann und Jörg Schroth, Heidelberg 2004, S. 92 f. 24 Vgl. zur Leerheit der Logik bzw. Reflexion z. B. GS I, S. 23, 55, GS II, S. 477, 493, GS IV, S. 470, 558, GS VII, S. 500, GS VIII, S. 162, GS IX, S. 11. 25 Vgl. Blaise Pascal, De l’esprit géométrique et de l’art de persuader (1655), in Œuvres complètes, hg. v. J. Chevalier, Editions Gallimard (o. O.) 1954, S. 575 – 604. – Betrachtungen über die Geometrie im allgemeinen. Vom geometrischen Geist und Von der Kunst zu überzeugen, in Pascal, Kleine Schriften zur Religion und

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Philosophie, hg. v. A. Raffelt, Hamburg 2005, S. 69 – 108. – Vgl. GS VII, S. 52 f. 26 Spinozas Hauptwerk trägt den Titel Ethica ordine geometrico demonstrata. Der Ausdruck »mos geometricus« ist für den an Euklid orientierten, axiomatisch-deduktiven Theorieaufbau die häufigere Bezeichnung; sie erscheint u. a. im Titel von Spinozas früher Descartes-Darstellung Renati Des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I, & II, More Geometrico demonstratae (1663). 27 Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica (Editio VII), Halle 1779. Nachdr. Hildesheim 1982, § 807. 28 Vgl. zum Folgenden GS VII, S. 145 – 47, 160 f., 233 f., 530 f. 29 »All der Realität« bzw. »omnitudo realitatis«: terminologisch einschlägig erst bei Kant (vgl. KrV B 603 f., vgl. auch Akad.-Ausg. I,394; XVIII,361; XXVIII, 1031 f.). 30 Zur omnimoda determinatio der Einzeldinge vgl. Wolff, Ontologia §§ 225 – 27; Baumgarten, Metaphysica (Ed. VII) § 148. 31 Vgl. Brief an Jarig Jelles vom 2. Juni 1674, in Baruch de Spinoza, Briefwechsel, Übers. u. Anm. v. Carl Gebhardt, 2., erg. Aufl. m. Einl. u. Bibliographie v. Manfred Walther, Hamburg 1977, S. 210. 32 Zum Unterschied des Möglichen und des Kompossiblen vgl. Leibniz, Brief an Bouguet, Dezember 1714, in Philosophische Schriften, hg. Gerhard, Bd. III, S. 572 – 76. 33 »Quare falsitas in hoc solo constituit quod aliquid de aliqua re affirmetur, quod in ipsius, quem formavimus, conceptu, non continetur, ut motus vel quies de semicirculo.« Spinoza, Tractatus de intellectus emendatione, in Opera, hg. v. C. Gerhard, Heidelberg 1924, Bd. II, S. 27. – »Deshalb besteht die Falschheit allein darin, daß von einer Sache etwas behauptet wird, das in deren Begriff, den wir gebildet haben, nicht enthalten ist, wie vom Halbkreis Bewegung oder Ruhe.« Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, hg. v. W. Bartuschat, Hamburg 1993, S. 65. Zur Sache (die Nelson verkürzt wiedergibt) vgl. Ethica, Buch II, Lehrs. 35 u. Anm. zu Lehrs. 17; Nelson, GS VII, S. 139. 34 Vgl. Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo (pseudonym, 1669), in Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, hg. v. d. Preußischen Akademie der Wissenschaften, 4. Reihe (Politische Schriften), 1. Band, Darmstadt 1931, S. 3 – 98. 35 Vgl. zum Folgenden GS VII, S. 51 f., 142 – 45.

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Vgl. Discours de métaphysique § 13, in Philosophische Schriften, hg. v. C. J. Gerhardt, Leipzig 1932, Bd. IV, 436 f.; Monadologie § 33, in (Gerhardt) Bd. VI, 612 und andere Stellen. 37 Vgl. Discours de métaphysique § 8, in Philosophische Schriften, hg. v. C. J. Gerhardt, Leipzig 1932, Bd. IV, S. 432 f. Fragment »Primae veritates« in L. Couturat (ed.), Opuscules et fragments inédits de Leibniz, Paris 1903, S. 518 – 23, hier S. 520. 38 Vgl. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, § 30, in Gesammelte Werke, hg. v. Jean Ecole u. a., I. Abt. Bd. 2, Hildesheim, New York 1983, S. 16 f. Philosophia prima sive Ontologia, § 70, in Gesammelte Werke, hg. v. Jean Ecole u. a., II. Abt. Bd. 3, Hildesheim, New York 1977, S. 47 – 49. – Vgl. GS VII, S. 144 f. 39 Vgl. Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, Dritte Betrachtung, § 3 (AA II, 294) und gleichlautend Kritik der reinen Vernunft, B 190. Kant behauptet nicht, dass dieser Satz das Kriterium aller Wahrheit sei, sondern nur das Prinzip aller verneinenden Urteile. Ein einziges allgemeines Wahrheitskriterium erkennt auch der frühe Kant nicht an. Richtig ist aber, dass die Kriterien, die Kant annimmt, logische Kriterien sind. Vgl. Nova dilucidatio, Propositio I (AA I, 388). – Vgl. GS VII, S. 159. 40 Vgl. GS IV, S. 410, 449, 516, GS VII, S. 647 f., GS VIII, S. 152. 41 Vgl. Fragment »Primae veritates« in L. Couturat (ed.), Opuscules et fragments inédits de Leibniz, Paris 1903, S. 518 – 23, hier S. 519; Viertes Schreiben Leibniz’ gegen Clarke, in Philosophische Schriften, hg. v. C. J. Gerhardt, Bd. VII, Leipzig 1931, VII, S. 372. Vgl. auch Leibniz’ Brief vom 31. Okt. 1705 an Kurfürstin Sophie, in Philosophische Schriften (Gerhardt) Bd. VII, S. 558 – 65, hier S. 563. 42 Vgl. GS III, S. 68. 43 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 599 B 627. 44 Vgl. GS II, S. 94 – 98, 370 – 74, GS III, S. 61 – 65, GS V, S. 16, GS VII, S. 193. 45 Vgl. S. 52. 46 Vgl. S. 54. 47 Vgl. GS VII, S. 144. 48 Vgl. S. 52. 49 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A151, B190 (ähnlich A59, B84). 36

Anmerkungen der Herausgeber

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Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A7, B11; Prolegomena, § 2 (AA IV, 266). 51 Vgl. zum Folgenden GS III, S. 62 f. 52 Vgl. S. 55. 53 Vgl. zum Folgenden GS II, S. 95 – 97, III, S. 63 f. sowie Nelson, Kritische Naturphilosophie. Mitschriften aus dem Nachlass, hg. v. Kay Herrmann und Jörg Schroth, Heidelberg 2004, S. 47 f. 54 Rudolf Hermann Lotze, Logik. Erstes Buch. Vom Denken (Reine Logik). Mit einer Einleitung »Lotze und die Entstehung der modernen Logik bei Frege« mit dem Text der Ausgabe von Georg Misch neu hg. v. Gottfried Gabriel, Hamburg 1989, S. 79 f. (Erstveröffentlichung: Leipzig 1843. Erweiterte Fassung: Logik. Drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen, Leipzig 1874.) 55 Ebd., S. 80. 56 Ebd. 57 Ebd., S. 81. 58 Christoph Sigwart, Logik. Erster Band: Die Lehre vom Urteil, vom Begriff und vom Schluss, 3., durchges. Aufl., besorgt von Dr. Heinrich Maier, Tübingen 1911, S. 144. (1. Aufl.: Freiburg 1873.) 59 Ebd. 60 Ebd., S. 145. 61 Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. 3., vermehrte Aufl. Leipzig 1870, S. 265. (Nachdr.: Hildesheim 1964. 1. Aufl.: Berlin 1940. 2., ergänzte Aufl.: Leipzig 1862.) Die Stelle, aus der die Zitate entnommen sind, lautet im Original: »›Diese Parabel schneidet einen Kreis‹, ein solches Urtheil, sagt man, ist synthetisch; denn die Anschauung des Prädikates (schneidet einen Kreis) liegt auf keine Weise in dem Begriffe einer Parabel. Allerdings liegt diese Anschauung nicht in dem allgemeinen Begriff. Aber ist das Subjekt ein solcher? ›Diese Parabel schneidet einen Kreis‹ ist ein Urtheil der Anschauung. Was in dieser Anschauung liegt, wird im Prädikat ausgedrückt.« 62 Der zweite Satz des Zitats wurde entnommen aus Sigwart, Logik, S. 141. Im Original lautet die Stelle: »Der Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Urtheilen ist ein fließender, welcher für uns gar nicht in Betracht kommt. Dasselbe Urtheil (Eis schmilzt) kann ein analytisches sein, wenn das Entstehen und Vergehen durch bestimmte Temperaturverhältnisse schon in den Begriff des Eises aufgenommen war, und ein synthetisches, 50

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Anmerkungen der Herausgeber

wenn noch nicht. Dies gilt aber auch von den vollständigen Urtheilen, wenn doch eine bestimmte Sphäre des Zusammenseins unter einen Begriff auch gebracht werden kann, wie z. B. jedes Weltsystem ein solcher Begriff ist. Diese Differenz sagt also nur einen verschiedenen Zustand der Begriffsbildung aus.« Friedrich Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hg. v. Hermann Fischer u. a. Abt. II, Bd. 10, Teilband 1: Vorlesungen über die Dialektik, hg. v. Andreas Arndt, Berlin, New York 2002, S. 351. 63 Sigwart, a. a. O., S. 141 f. 64 Leibniz, Discours de métaphysique, in Philosophi sche Schriften, hg. Gerhardt, Bd. IV, S. 427 – 63, hier S. 433. – Metaphysische Abhandlung, hg. v. H. Herring, Hamburg 21985, S. 19. 65 Sigwart, Logik, S. 142. 66 Vgl. S. 55, 63. 67 Vgl. GS I, S. 21, GS II, S. 98, GS III, S. 66, GS VII, S. 643. 68 Vgl. GS II, S. 98. 69 Vgl. GS III, S. 192 f., GS IV, S. 11 – 16, 25 – 28. 70 Vgl. »Über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral«, (Erste Betrachtung), Akad.-Ausg. II, 276 – 83; KrV A713 – 20, B741 – 48. 71 Kritik der reinen Vernunft B16, vgl. A732, B760. 72 Zum synthetischen Charakter der Geometrie vgl. Nelsons Aufsätze »Bemerkungen über die nicht-euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit« (1905, 1906; GS III, S. 3 – 52), »Kant und die nicht-euklidische Geometrie« (1906; GS III, S. 53 – 94) und »Über die Grundlagen der Geometrie« (1918; GS III, S. 157 – 85). 73 Vgl. S. 51 f. 74 Vgl. III, S. 13 f., 70 f., 77 f., VII, S. 193 – 95 sowie Nelson, Kritische Naturphilosophie. Mitschriften aus dem Nachlass, hg. v. Kay Herrmann und Jörg Schroth, Heidelberg 2004, S. 113 f. 75 Vgl. S. 74. 76 Kritik der reinen Vernunft, A 25, B 39. 77 Vgl. zu Hume »Humes psychologische Kritik der metaphysischen Erkenntnis« in Fortschritte und Rückschritte in der Philosophie, GS VII, S. 97 – 127. 78 »Propositions of this kind are discoverable by the mere

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operation of thought, without dependence on what is anywhere existent in the universe.« D. Hume, Enquiry concerning Human Understanding, sect. IV, pt. I (ed. Selby-Bigge, 3rd Ed. by P. H. Nidditch, Oxford 1975, S. 25). – »Sätze dieser Art sind durch die reine Tätigkeit des Denkens zu entdecken, ohne von irgend einem Dasein in der Welt abhängig zu sein.« Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, vierter Abschnitt, erster Teil (hg. v. Raoul Richter, Hamburg 1973, S. 35). 79 Vgl. S. 51 f. 80 Vgl. Hume, Enquiry, a. a. O., S. 25: »Matters of fact, which are the second objects of human reason, are not ascertained in the same manner; nor is our evidence of their truth, however great, of a like nature with the foregoing. The contrary of every matter of fact is still possible; because it can never imply a contradiction […]«. – »Tatsachen, der zweite Gegenstand der menschlichen Vernunft sind nicht in gleicher Weise als gewiß verbürgt; ebensowenig ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit, wenn auch noch so stark, von der gleichen Art wie bei der vorhergehenden. Das Gegenteil jeder Tatsache bleibt immer möglich, denn es kann niemals einen Widerspruch in sich schließen […].« Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, a. a. O., S. 35. 81 Vgl. S. 91. 82 Gemeint ist der zweite Teil der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (in der Ausgabe von 1817: »B. Die Philosophie der Natur«, 1827/1830: »Zweiter Theil. Naturphilosophie«. Vgl. Gesammelte Werke, Bd. 13 S. 113; Bd. 19, S. 183; Bd. 20, S. 235.) Erschienen als Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Naturphilosophie als der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse zweiter Theil in der Ausgabe von Carl Ludwig Michelet, Berlin 1842 im Rahmen der ersten Gesamtausgabe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke / Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten: Ph. Marheineke, J. Schulze, Ed. Gans, Lp. v. Henning, H. Hotho, K. Michelet, F. Förster. Berlin 1832 – 1887. 83 S. 90 f. 84 Vgl. zum Folgenden, GS VII, S. 444 f. 85 Hegel, Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), § 256. Ges. Werke Bd. 20, S. 246 f. 86 Hegel, a. a. O., S. 247

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Anmerkungen der Herausgeber

Oskar Schloemilch, Philosophische Aphorismen eines Mathematikers, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 70 (1877), Heft 1, S. 5. – Vgl. GS VII, S. 444 f. 88 Robert Zimmermann, Ueber Kant’s mathematisches Vorurtheil und dessen Folgen, in Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Classe Bd. 27 (1871), Heft I – III, Wien 1871, S. 7 – 48, hier S. 15. 89 Ebd., S. 18. 90 S. 97 und S. 99. 91 Kritik der reinen Vernunft, B3. 92 Ernst Schröder, Vorlesungen über die Algebra der Logik (Exakte Logik). Erster Band, Leipzig 1890, 2. Aufl., New York 1966. 93 Ebd., S. 3, Fußnote *. 94 Wilhelm Ostwald, Vorlesungen über Naturphilosophie. Gehalten im Sommer 1901 an der Universität Leipzig, 2. Aufl., Leipzig 1902. – Die folgenden Zitate stammen nicht daraus, sondern aus der in Anmerkung 96 genannten Schrift Ostwalds. 95 Vgl. hierzu GS I, S. 47, Fn. 10 und GS III, S. 72 f. 96 Wilhelm Ostwald, Betrachtungen zu Kant’s »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft«. I. Die Vorrede, Annalen der Naturphilosophie I/1, hg. v. Wilhelm Ostwald, Leipzig 1902, S. 50 – 61, hier S. 51. 97 Ebd., S. 61. 98 Sinngemäß z. B. in Ernst Mach, Die Analyse der Empfindungen, Jena 1911, S. 300 f.; Erkenntnis und Irrtum, Leipzig 41920, S. 314. Zu Nelsons Auseinandersetzung mit Machs Erkenntnis und Irrtum (2., durchges. Aufl. 1906) vgl. »Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich?« (1908), GS III, S. 233 – 281. 99 Briefwechsel zwischen Gauss und Bessel. Hg. auf Veranlassung der Preussischen Akademie der Wissenschaften. Leipzig 1880, S. 490. – Vgl. GS III, S. 32. 100 N. J. Lobatschefskij, Pangeometrie, Kasan 1856. Übers. und hg. v. Heinrich Liebmann. Mit 30 Figuren im Text. Leipzig 1902. S. 76: [Die Pangeometrie beweist,] »dass die Annahme, dass der Werth der Summe der drei Winkel jedes geradlinigen Dreiecks constant ist, eine Annahme, die ausdrücklich oder versteckt in der gewöhnlichen Geometrie gemacht wird, keine nothwendige Folge unserer Begriffe vom Raume ist. Nur die Erfahrung kann die Wahrheit dieser Annahme bestätigen, z. B. die wirkliche Messung 87

Anmerkungen der Herausgeber

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von den drei Winkeln eines geradlinigen Dreiecks auf einer künstlichen Ebene messen, oder die drei Winkel eines geradlinigen Dreiecks im Raume.« 101 Vgl. Carl Friedrich Gauss, Werke, Nachdr. der Ausg. Göttingen 1903, Hildesheim 1973, Bd. VIII, S. 267; Bd. IX, S. 299 ff. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Adäquatheit dieser Deutung vgl. Erhard Scholz, C. F. Gauß’ Präzisionsmessungen terrestrischer Dreiecke und seine Überlegungen zur empirischen Fundierung der Geometrie in den 1820er Jahren, in Menso Folkerts, Ulf Hashagen, Rudolf Seising (Hg.), Form, Zahl, Ordnung. Studien zur Wissenschafts- und Technikgeschichte. Ivo Schneider zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2004, S. 355 – 80. 102 Bernhard Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrundeliegen, Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 13 (1867), S. 1 – 15, hier S. 1 f. – Vgl. GS III, S. 24. 103 Hermann v. Helmholtz, Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome. Vortrag gehalten im Docentenverein zu Heidelberg 1870. In Hemholtz, Vorträge und Reden. 5. Aufl., 2. Band, Braunschweig: Vieweg 1903, S. 1 – 31, hier S. 7. – Vgl. GS III, S. 24 f. 104 Hermann von Helmholtz: Vorlesungen über Theoretische Physik, Bd. I. Abtheilung 1. Einleitung zu den Vorlesungen über theoretische Physik, hg. v. Arthur König und Carl Runge, Leipzig 1903, S. 8. Original: »Stuart Mill war der erste, welcher diese wichtige Unterscheidung machte und also diejenigen Eigenschaften, welche in die Definition eines Begriffs hinein gehören, und an und für sich zusammen genommen genügend sind, die Definition festzustellen, von den Eigenschaften trennte, die außerdem noch immer bei den einzelnen Wesen vorhanden sind, – die unter den Begriff gehören. Letztere Eigenschaften bezeichnete er als die Connotationen des Begriffes.« (S. 8) Helmholtz unterscheidet nicht einfachhin zwischen analytischen und synthetischen Prädikaten, sondern zwischen definitorischen Eigenschaften und anderen Eigenschaften, die »zwar immer bei allen Individuen der betreffenden Klasse vorhanden, aber für die Definition nicht nothwendig sind« (ebd.), was eher der noch wesentlich älteren Unterscheidung von essentia und proprium entspricht. – Vgl. GS III, S. 87. 105 Vgl. Henri Poincaré, La Science et l’Hypothèse, Paris 1902,

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Anmerkungen der Herausgeber

S. 66, 92 ff. – Wissenschaft und Hypothese, Leipzig 31914, S. 51, 73 ff. 106 Vgl. GS VII, S. 359. 107 »Sont-ce des jugements synthétiques à priori, comme disait Kant? Ils s’imposeraient à nous avec une telle force, que nous ne pourrions concevoir la proposition contraire, ni bâtir sur elle un édifice théorique. Il n’y aurait pas de géométrie non euclidienne.» Henri Poincaré, La science et l’Hypothèse, Paris: Flammarion [1902], S. 65. – Wissenschaft und Hypothese. Autorisierte deutsche Ausgabe mit erläuternden Anmerkungen von F. u. L. Lindemann. 3., verb. Aufl. Leipzig: Teubner, 1924, S. 50: »Sind es synthetische Urteile a priori, wie Kant sie nennt? Sie drängen sich uns mit einer solchen Macht auf, daß wir die gegensätzliche Behauptung weder begreifen, noch auf ihr als Grundlage ein theoretisches Gebäude errichten können. Darnach würde es keine nicht-Euklidische Geometrie geben.« 108 Vgl. GS III, S. 84, 178. 109 »D’ou viennent les premiers principes de la géométrie? Nous sont-ils imposés par la logique? Lobatchevsky a montré que non en créant les géométries non euclidiennes. […] La géométrie dérive-t-elle de l’experience? Une discussion approfondie nous montrera que non. Nous conclurons donc que ses principes ne sont que des conventions; […].» Nelson unterschlägt den Zusatz: »mais ces conventions ne sont pas arbitraires, et transportés dans un autre monde (que j’appelle le monde non euclidien et que je cherche à imaginer), nous aurions été amenés à en adopter d’autres.» Poincaré, a. a. O., S. 5. – Dt. Ausg. S. XVI.: »Woher stammen die ersten Grundlagen der Geometrie? Sind sie uns durch die Logik auferlegt? Lobatschewsky hat das Gegenteil bewiesen, indem er die nicht-Euklidische Geometrie schuf. […] Hat die Geometrie ihren Ursprung in der Erfahrung? Eine gründlichere Erörterung zeigt uns, daß dies nicht der Fall ist. Wir schlußfolgern also, daß die Grundlagen nur Übereinkommen sind; aber diese Übereinkommen sind nicht willkürlich, und wenn wir in eine andere Welt versetzt würden, welche ich die nicht-Euklidische Welt nenne und die ich mir vorzustellen versuche, so müßten wir zu anderen Übereinkommen gelangen.« 110 »Bemerkungen über die nicht-euklidische Geometrie und den Ursprung der mathematischen Gewißheit«, GS III, S. 3 – 52, hier S. 51 f.

Anmerkungen der Herausgeber

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Albert Einstein, Geometrie und Erfahrung: erweiterte Fassung des Festvortrages gehalten an der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 27. Januar 1921, Berlin 1921. 112 Ebd., S. 4. 113 Ebd., S. 5: »Eine solche gereinigte Darstellung macht es aber auch evident, daß die Mathematik als solche weder über Gegenstände der anschaulichen Vorstellung noch über Gegenstände der Wirklichkeit etwas auszusagen vermag. Unter ›Punkt‹, ›Gerade‹ usw. sind in der axiomatischen Geometrie nur inhaltsleere Begriffsschemata zu verstehen. Was ihnen Inhalt gibt, gehört nicht zur Mathematik.« 114 Ebd., S. 6: »Die so ergänzte Geometrie ist offenbar eine Naturwissenschaft; wir können sie geradezu als den ältesten Zweig der Physik betrachten. Ihre Aussagen beruhen im wesentlichen auf Induktion aus der Erfahrung, nicht aber auf logischen Schlüssen.« – Nelson unterschlägt hier Einsteins Übergang zu mathematischen Aussagen über das Verhalten wirklicher Dinge mittels eines ›ergänzenden‹ Prinzips. Dem Zitat geht voraus: Um solche Aussagen liefern zu können, müsse die Geometrie dadurch »ihres nur logisch-formalen Charakters entkleidet werden, daß den leeren Begriffsschemen der axiomatischen Geometrie erlebbare Gegenstände der Wirklichkeit zugeordnet werden. Um dies zu bewerkstelligen, braucht man nur den Satz zuzufügen: Feste Körper verhalten sich bezüglich ihrer Lagerungsmöglichkeiten wie Körper der euklidischen Geometrie von drei Dimensionen: dann erhalten die Sätze der euklidischen Geometrie Aussagen über das Verhalten praktisch starrer Körper.« Ebd., S. 5 f. 115 Friedrich Paulsen, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie, Leipzig 1875, S. 171 und 173. 116 Vgl. S. 128 ff. 117 Vgl. zum Folgenden GS IV, S. 28 – 30, GS VII, 570 f. 118 Vgl. GS IV, S. 13 f., GS VII, S. 156 – 58. 119 Vgl. Bertrand Russell, The Principles of Mathematics, Second Edition, London 1937, S. 101 – 7 und S. 523 – 28 (»Appendix B: The Doctrine of Types«) (Erstveröffentlichung: Cambridge 1903); Mathematical Logic as based on the Theory of Types [1908], in Logic and Knowledge. Essays 1901 – 1950, ed. by Robert Charles Marsh, London 1956, S. 57 – 102. – Vgl. Kurt Grelling und Leonard 111

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Anmerkungen der Herausgeber

Nelson, Bemerkungen zu den Paradoxien von Russell und BuraliForti [1908], in GS III, S. 95 – 127. 120 S. 63 ff. 121 Vgl. S. 44 f. 122 Vgl. S. 159 ff. 123 S. 135 f. 124 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 713, B741; Prolegomena § 26, Akad.-Ausg. IV, 308; Logik (Jäsche) Akad.-Ausg. IX, 84. 125 Vgl. GS IV, S. 26: »[…] dem Postulat, alle Sätze, für die ein Beweis überhaupt möglich ist, auch wirklich zu beweisen, oder mit anderen Worten, die Zahl der Grundsätze auf ein Minimum zu reduzieren. Wir wollen es kurz das Postulat der systematischen Strenge nennen.« Vgl. auch GS III, S. 79, GS V, S. 47, 332 f., GS VI, S. 49, 140. 126 David Hilbert, Grundlagen der Geometrie, Stuttgart 1903. 127 Vgl. S. 140 f. 128 Henri Bergson, Einführung in die Metaphysik, Jena 1912. Zu den flüssigen Begriffen vgl. S. 13, 43. (»Introduction à la métaphysique« in Revue de métaphysique et de morale 1903). – Vgl. auch Nelsons Rezension von Bergsons Schrift in GS III, S. 345 – 47. 129 Vgl. zum Folgenden auch GS VII, S. 89. 130 Vgl. S. 139 f. 131 Heinrich Rickert, Der Gegenstand der Erkenntniss. Ein Beitrag zum Problem der philosophischen Transcendenz, Tübingen 1892. 132 Vgl. S. 142. 133 Georg Simmel, Das individuelle Gesetz, in Lebensanschauung und Metaphysik. Vier metaphysische Kapitel, München und Leipzig 1918, S. 154 – 245. 134 Ebd., S. 160: [Simmel stellt die Frage,] »ob die Inhalte des Sollens sich aus der Lebenstotalität des Individuums entwickeln, so daß die Handlung garnicht als einzelne, an beliebig vielen Individuen objektiv gleiche nach einem allgemeinen Gesetz gefordert und beurteilt wird, sondern gemäß dem Zusammenhange der idealen Lebensgestaltung, die gerade diesem Individuum wie mit ideellen Linien eingewebt ist, der prinzipiellen Einzigkeit seines Lebenssinnes folgend – gerade wie sein Leben als wirkliches eben sein individuelles und unverwechselbares ist.« 135 Vgl. hierzu (zur Universalisierbarkeit von Moralurteilen,

Anmerkungen der Herausgeber

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die Nelson als »Prinzip der sittlichen Allgemeingültigkeit« bezeichnet): GS IV, S. 118 – 23, GS V, S. 52 f., 366, GS VIII, S. 47 – 49. 136 Vgl. S. 42 ff. 137 Vgl. S. 44 f. 138 Vgl. ebd. 139 Vgl. ebd. 140 S. 144 und 39 ff. 141 Vgl. John Stuart Mill, Utilitarianism, hg. v. Roger Crisp, Oxford 1998, S. 55 ff. – Utilitarianism / Der Utilitarismus, übersetzt und hg. v. Dieter Birnbacher, Stuttgart 2006, S. 25 ff. (Kap. 2, §§ 4 ff.). 142 Franz Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis. Mit Einl. u. Anm. hg. v. O. Kraus, Hamburg 41955. 143 Brentano, a. a. O., S. 19. 144 Vgl. GS VI, S. 24. 145 Vgl. GS IX, S. 143 – 45, 171 f., 201 – 03. 146 Vgl. S. 49 ff. 147 Auf S. 6 der Zeitschrift war ein Kongress vom 28. August bis 7. September 1921 mit dem Thema »Kulturausblicke der Anthroposophischen Bewegung« angekündigt, auf dem ein Vortrag von Dr. Carl Unger über »Die Autonomie des philosophischen Bewußtseins und Nelsons ›Neu-Friesianismus‹« gehalten werden sollte. 148 Walter Johannes Stein, Zur Verteidigung der »Philosophie der Freiheit«, Dreigliederung des sozialen Organismus, 3. Jg. (1921) Nr. 1, S. 2 f. (Rezension von Dietrich Heinrich Kerler, Die auferstandene Metaphysik, Ulm 1921) 149 Rudolf Steiner (1894, ²1918): Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung – Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, in Rudolf Steiner Gesamtausgabe, hg. v. Archiv der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, Bd. 4, Dornach 1978, 151987. 150 Steiner-Zitat bei Stein, a. a. O., S. 3, 2. Spalte. (S. 60 f. in Steiner, a. a. O.) 151 Der gesamte Passus lautet wörtlich: »Kerler meint nun, »daß wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen«, wie Steiner Seite 60 sagt, sei richtig. Aber sich als Subjekt bestimmen, sei nicht dasselbe, wie ein Subjekt sein. Er drückt das so aus, daß er sagt (S. 259): Ist »die gedachte Sache die Sache selbst?« Nein, sagt jeder vernünftige Mensch, die wirkliche Pflanze ist et-

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Anmerkungen der Herausgeber

was anderes wie die gedachte Pflanze. Es ist also so: Man ist schon vorher ein Subjekt, ehe man den Denkakt realisiert, durch den man sich als Subjekt bestimmt. Das Denken schafft also zwar den Begriff des Subjekts, nicht aber das Subjekt selbst. Daher kann man nicht sagen, das Denken sei jenseits von Subjekt und Objekt, wie Steiner sagt. »Was ist denn das Subjekt?« fragt Kerler und antwortet: »Ein Strukturzusammenhang von Akten und Erlebnissen. Innerhalb seiner tritt ein auf den Strukturzusammenhang gerichteter, ihn als Ich, als Subjekt auffassender Akt auf. Dann muß aber der Strukturzusammenhang doch schon vor dem Auffassungsakt seine Existenz gehabt haben.« Der Passus bei Kerler, S. 259, lautet wörtlich: »Aus dem Grund soll weiterhin das Denken ein Übersubjektives, Kosmisches, »jenseits von Subjekt und Objekt« Gelegenes (S. 60) sein, weil ich mich doch erst mit Hilfe des Denkens als Subjekt bezeichne (S. 142), so daß man niemals sagen könne, mein individuelles Subjekt denkt« (S. 61), insofern dieses »vielmehr selbst von des Denkens Gnaden« lebe. Seit wann, darf man da wohl fragen, ist das Denken einer Sache, genauer: die gedachte Sache die Sache selbst? Was ist denn das Subjekt? Ein Strukturzusammenhang von Akten und Erlebnissen. Innerhalb seiner tritt ein auf den Strukturzusammenhang gerichteter, ihn als Ich, als Subjekt auffassender Akt auf. Dann muß aber der Strukturzusammenhang doch schon vor dem Auffassungakt seine Existenz gehabt haben. Nur die Auffassung (nóhsiV) des Strukturzusammenhangs und ihr pseudoseiender noematischer Gehalt (vgl. S. 7 dieses Buches), d. h. das Bedeutungskorrelat des Strukturzusammenhangs ist von des Denkens Gnaden, nicht der Strukturzusammenhang selbst. Das Denken in Gestalt des in Rede stehenden Auffassungsaktes ist ein Element des Strukturzusammenhages, also ein Subjektives. Es ist evident widersinnig, daß es übersubjektiv sein soll.« Dietrich Heinrich Kerler, Die auferstandene Metaphysik. 2. unveränderte Aufl., Ulm 1921, S. 259. 152 Stein, a. a. O., S. 3. 153 Zu Nelsons Auseinandersetzung mit Stammler vgl. Georg Fraenkel, Die kritische Rechtsphilosophie bei Fries und bei Stammler, Abhandlungen der Fries’schen Schule N.F. 3. Bd., 4. Heft, Göttingen 1912, S. 843 – 934 (vermutlich Nelsons primäre Quelle).

Anmerkungen der Herausgeber 154

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Rudolf Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, Berlin

1902. Vgl. GS IV, S. 7 f. 156 Stammler, a. a. O., S. 198: »So ergibt sich die Formel der Gemeinschaft frei wollender Menschen; als letzter Ausdruck, welcher alle möglichen Zwecke von rechtlich Verbundenen einheitlich zusammenfaßt. Ich nenne sie das soziale Ideal.« 157 Vgl. R. Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, 21906, S. 563: »Die Gemeinschaft frei wollender Menschen, – das ist das unbedingte Endziel des sozialen Lebens. Es ist die Idee einer Menschengemeinschaft, in der ein jeder die objektiv berechtigten Zwecke des anderen zu den seinigen macht; einer Regelung des vereinten Daseins und Zusammenwirkens, der jeder Rechtsunterworfene zustimmen muß, sobald er frei von bloß subjektivem Begehren sich entschiede. Danach ist klar, daß mit dem Ausdrucke ›frei‹ in unserer Formel nicht gemeint ist: frei vom Kausalitätsgesetz, sondern frei vom bloß subjektiv gefüllten Inhalte des Begehrens.« – Vgl. Die Lehre von dem richtigen Rechte, S. 179, 198. 158 Stammler, a. a. O., S. 198: »Es ist eine Definition des Begriffes Richtigkeit eines Rechtsinhaltes, eine Begriffsbestimmung der sozialen Gesetzmäßigkeit: Der Inhalt einer Norm des Verhaltens ist richtig, wenn er in seiner besonderen Lage dem Gedanken des sozialen Ideals entspricht.« 159 Dieselbe zirkelkonstruierende Interpretation findet sich bereits bei Fraenkel, a. a. O., S. 870 f. 160 Vgl. Stammler, a. a. O., S. 577: »Die eheliche Treue ergibt sich sonach als einfache Ausführung des folgerichtigen Denkens. Ihre Forderung hat zunächst gar nichts – wie moderner Subjektivismus in naiver Weise es wähnte – mit unklar gefüllter moralischer Lehre etwas zu tun, oder gar mit bloßer Überlieferung unbewiesener oder unbeweisbarer Dogmen. Vielmehr baut sie sich auf dem notwendigen Momente auf, einen Widerspruch der Gedanken zu vermeiden.« 161 Ebd., S. 576. 162 Ebd., S. 577. 163 Ebd., S. 578. Der zitierte Satz lautet vollständig: »Also kommt hier alsbald ein Widerspruch mit der eingegangenen ehelichen Gemeinschaft zum Vorscheine, wenn ein Rechtsverhältnis 155

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Anmerkungen der Herausgeber

aufrecht erhalten werden sollte, dessen Durchführung, da es auf beiderseitiger vollendeter Hingabe fußt, durch den einen Teil unmöglich gemacht wird.« 164 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Völker- bzw. Staatenbund und Souveränität: GS IV, S. 20 – 24, GS VI, S. 440 – 44, GS IX, S. 177 – 93, 286 – 96, 333 f. (Fn. 5). 165 18. 05. – 29. 07. 1899 und 15. 06. – 18. 10. 1907. 166 Karl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin 1909. – Vgl. zum Folgenden GS IX, S. 287 – 89 (»§ 2. Der Souveränitätsbegriff als Prinzip der völkerrechtlichen Anarchie bei Stengel«) aus Die Rechtswissenschaft ohne Recht (1917, GS IX, S. 123 – 324). 167 »Mitglieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft können nur Staaten sein, d. h. souveräne Gemeinwesen.« (v. Stengel, a. a. O., S. 4) 168 »Nur solchen einheitlichen nach innen und außen unabhängigen Gemeinwesen wird als Staaten die Eigenschaft der Souveränität beigelegt, und sie bilden als solche die völkerrechtliche Gemeinschaft, […]. Daraus ergibt sich von selbst, daß die Souveränität der Staaten die Grundlage des Völkerrechts ist und auch bleiben muß. Das Völkerrecht setzt eben Staaten voraus, d. h. selbständige und unabhängige, einer höheren Gewalt nicht unterworfene Gemeinwesen. Würden, wie die Pazifisten anstreben, die sämtlichen zur völkerrechtlichen Gemeinschaft gehörigen Staaten zu einem Weltbundesstaat vereinigt, so gäbe es kein Völkerrecht im gegenwärtigen Sinne mehr, die Beziehungen der zum Weltbundesstaate gehörigen Mitgliedstaaten wären durch das Weltbundesstaatsrecht geregelt, das freilich ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit in ganz anderer Weise beschränken würde, als das gegenwärtige Völkerrecht.« (v. Stengel, a. a. O., S. 93 f.) 169 »Mit dem Ausdruck »Völkerrecht« bezeichnet man den Inbegriff der Rechtsgrundsätze und Rechtsvorschriften, welche die friedlichen wie kriegerischen Beziehungen der in staatlichen Gemeinwesen organisierten, die völkerrechtliche Gemeinschaft bildenden Völker regeln.« (v. Stengel, a. a. O., S. 1) 170 Vgl. Nelsons ausführliche Kritik an Jellinek in Die Rechtswissenschaft ohne Recht, GS IX, S. 134 – 76 (»1. Kapitel. Die Begründung des Staatsrechts durch die Lehre vom Staatswillen bei Georg Jellinek«) und S. 176 – 93 (»2. Kapitel. Die Begründung des Völkerrechts durch die Lehre von der Souveränität bei Georg Jellinek«).

Anmerkungen der Herausgeber

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Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., unter Verwertung des handschriftlichen. Nachlasses, durchgesehen und ergänzt von Walter Jellinek, Berlin 1914 (unv. Nachdr. des 5. Neudrucks der 3. Aufl., Kronberg 1976) (1. Auflage: Berlin 1900. 2., durchges. und vermehrte Aufl., Berlin 1905). 172 Vgl. zum Folgenden, GS IX, S. 177 – 79. 173 Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882, S. 55. 174 Jellinek, a. a. O., S. 34. 175 Vgl. GS IX, S. 179 f. 176 Vgl. zum Folgenden GS IX, S. 188 – 90. 177 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, a. a. O., S. 365. 178 »Die richtige Erkenntnis des Wesens der Bundesglieder wehrt nämlich der Auffassung des Bundesstaates als einer Staatenkorporation. Dieser Begriff ist ein in sich widerspruchsvoller und daher nicht realisierbar.« (Jellinek, a. a. O., S. 772) 179 »[…] einer Staatenkorporation. Dieser Begriff ist ein in sich widerspruchsvoller und daher nicht realisierbar.« (Jellinek, a. a. O., S. 772) 180 Zum Gedanken der Staatssouveränität siehe z. B. Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 258. »Diese substantielle Einheit ist absoluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, sowie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu sein.« Ausg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 5 1995, S. 208. 181 Vgl. GS IX, S. 289. 182 Ernst Zitelmann, Haben wir noch ein Völkerrecht?, Preußische Jahrbücher, Bd. 158, Berlin 1914, S. 472 – 95, hier S. 477. 183 Vgl. GS IX, S. 289 – 92. 184 Paul Heilborn, Grundbegriffe des Völkerrechts. In Handbuch des Völkerrechts, hg. v. Fritz Stier-Somlo. 1. Bd., 1. Abt. Berlin, Stuttgart, Leipzig 1912, S. 21. 185 Ebd., S. 35. 186 Vgl. Die Rechtswissenschaft ohne Recht, 11. Kapitel, § 2 »Schoens Apologie der Willenstheorie«, GS IX, S. 306 – 17. 187 P. Schoen, Zur Lehre von den Grundlagen des Völkerrechts, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 8 (1915), S. 287 – 321, hier S. 290. 171

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Anmerkungen der Herausgeber

Ebd. Ebd. 190 Vgl. Die Rechtswissenschaft ohne Recht, Kapitel 8: »Die Begründung der Machttheorie bei Erich Kaufmann«, GS IX, S. 248 – 85, bes. S. 250, 264. 191 Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus. Tübingen 1911/ Neudr. Aalen 1964. 192 Vgl. ebd., S. 146: »Nicht die ›Gemeinschaft frei wollender Menschen‹, sondern der siegreiche Krieg ist das soziale Ideal: der siegreiche Krieg als das letzte Mittel zu jenem obersten Ziel. Im Kriege offenbart sich der Staat in seinem wahren Wesen, er ist seine höchste Leistung, in dem seine Eigenart zur vollendeten Entfaltung kommt. Hier hat er zu bewähren, daß die höchsten Forderungen, die er stellt, auch wirklich erfüllt werden, und daß das Letzte seinem Bestehen in der Weltgeschichte geopfert wird.« 193 Vgl. GS III, S. 40 f., 66 f. 194 Leibniz, Nouveaux Essais sur l’entendement humain, in Philosophische Schriften, hg. Gerhardt, Bd. V, S. 394. – Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, hg. v. E. Cassirer, Hamburg 3 1915/ Nachdr. 1971, S. 490. 195 Hugo Dingler, Die Grundlagen der angewandten Geometrie. Eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Theorie und Erfahrung in den exakten Wissenschaften. Leipzig 1911. 196 Vgl. ebd., S. 51. 197 Vgl. ebd., S. 52 f. 198 Vgl. zur Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie bzw. eines Erkenntniskriteriums »Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie«, GS II, S. 459 – 83 sowie GS II, S. 92 – 94, GS IV, S. 45 f. 199 Alexius Meinong, Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens. Berlin 1906, S. 32: »Urteile, an denen man diese Evidenz antrifft, haben vermöge derselben Teil an einer zweiten Evidenztatsache: es ist evident, daß ein evidentes Urteil nicht falsch sein kann.« 200 Vgl. »Die Evidenz als erkenntnistheoretisches Kriterium«, in Über das sogenannte Erkenntnisproblem, Kap. IV, GS II, S. 121 – 26. 201 Leonard Nelson, Über das sogenannte Erkenntnisproblem, GS II, S. 59 – 393. Zuerst erschienen in Abhandlungen der Friesschen Schule, neue Folge, hg. v. Gerhard Hessenberg, Karl Kaiser 188 189

Anmerkungen der Herausgeber

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und Leonard Nelson, zweiter Band, viertes Heft, Göttingen 1908, S. 413 – 818. 202 Kuno Fischer, Die beiden kantischen Schulen in Jena. Rede zum Antritt des Prorektorats, den 1. Februar 1862, in Kuno Fischer, Akademische Reden, Stuttgart 1862, S. 77 – 102. – Vgl. GS I, S. 193 – 95, 209 f. 203 Ebd., S. 99. 204 Vgl. GS IV, S. 22. 205 Vgl. IV, S. 20 – 24 (» § 8. Allgemeine logische Form der auf dem Mißbrauch willkürlicher Nominaldefinitionen beruhenden Dialektik«), GS VII, S. 46 – 50. 206 Vgl. Kritik der reinen Vernunft A 405 – 567 B 432 – 595. 207 Vgl. GS VII, S. 240 – 44, 299 f. 208 Vgl. S. 162. 209 Franz Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis. Mit Einl. u. Anm. hg. v. O. Kraus. Hamburg, 41955, S. 19. 210 Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 6., durchges. Aufl., Bern 1980. (Zuerst erschienen in zwei Teilen im Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung 1 (1913) und 2 (1916). 1. Aufl. des Gesamtwerks: Halle 1916.) 211 Ebd., S. 48. 212 Vgl. zur Güterethik GS IV, S. 93 – 96 (»§ 68. Unmöglichkeit der Güterethik«), GS V, S. 48 f., 128 f., GS VIII, S. 43 f. 213 Scheler, a. a. O., S. 48. 214 S. 232. 215 Vgl. zum negativen Charakter der sittlichen Wertung GS IV, S. 92 f., GS V, S. 63 f. 216 Scheler, a. a. O., S. 100. 217 »Es müssen weiterhin die Wesenszusammenhänge zwischen Wert und (idealem) Sollen hier genannt werden. An erster Stelle der Satz, daß alles Sollen in Werten fundiert sein muß, d. h. nur Werte sein sollen und nicht sein sollen; sowie die Sätze, daß positive Werte sein sollen und negative nicht sein sollen.« (Scheler, a. a. O., S. 100) 218 »Es gehören hierher sodann die Zusammenhänge, daß derselbe Wert nicht positiv und negativ sein kann, aber jeder nicht negative Wert positiv, jeder nicht positive Wert negativer Wert ist.« (Scheler, a. a. O., S. 100)

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Anmerkungen der Herausgeber

»Aber Kant verkennt eben dabei mehrerlei: 1. Daß aus diesen »formalen« Gesetzen die Idee des Guten zu gewinnen ganz unmöglich ist; daß der Wert »gut« vielmehr nur ein Anwendungsgebiet dieser formalen Wertgesetze ist (die für alle Werte gelten), bei dieser Anwendung aber »gut« und »böse« vorausgesetzt ist. 2. Daß diese Gesetze auf anschaulichen Wesenszusammenhängen beruhen […].« (Scheler, a. a. O., S. 101) 220 Vgl. Kant (1788), Kritik der praktischen Vernunft, A110, AA63 f.: »Hier ist nun der Ort, das Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft zu erklären: daß nämlich der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze (dem es [Akad-Ausg.: er] dem Anschein nach sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie hier auch geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse.« 221 Scheler, a. a. O., S. 45 f.: »Daß auch der von Kant gemachte Versuch, die Bedeutungen der Wertworte ›gut‹ und ›böse‹ auf das zurückzuführen, was Inhalt eines Sollens ist (sei es eines idealen Sollens, des ›Sollseins‹, sei es eines imperativischen Sollens, des ›Seinsollens‹), oder [sic! BS] zu zeigen, daß es ohne ein Sollen ein ›gut‹ und ›böse‹ gar nicht gäbe, verfehlt ist; […] das soll später eingehend gezeigt werden.« 222 Scheler, a. a. O., S. 46 f.: »Ob wir Edles oder Gemeines, ob Wohl oder Leid, ob Nutzen oder Schaden zu realisieren suchen, dies sei für das Gut- und Bösesein des Wollens ganz gleichgültig; denn die Bedeutung der Worte ›gut‹ und ›böse‹ erschöpfe sich vollständig in der gesetzmäßigen oder gesetzwidrigen Form, nach der wir die Setzung einer Wertmaterie der anderen angliedern. Lassen wir die Ungeheuerlichkeit dieser Behauptung, die vergißt, daß die Zwecke des Teufels nicht minder ›systematisch‹ sind wie die Zwecke Gottes, zunächst beiseite.« Bei Kant in dieser überzogenen Formulierung nicht belegt; dagegen z. B. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 393. 223 Vgl. Anmerkung 208. 224 Dietrich von Hildebrand, Die Idee der sittlichen Handlung, Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Dritter Band, Halle/Saale 1916, S. 126 – 251. 225 Ebd., S. 232. 226 Ebd., S. 236. 227 Ebd. 219

Anmerkungen der Herausgeber

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Scheler, a. a. O., S. 89. Ebd., S. 93. 230 Ebd., S. 93 f. Originalzitat: »Auch hier ist es die Einsicht in die von aller Erfahrung von Gütern und allen Zwecksetzungen unabhängige apriorische Struktur des Wertreiches, die in der Sphäre des ›Sollens‹ und der Beurteilung die ›Notwendigkeit‹ des Sollens und der Beurteilung nach sich zieht. Dagegen ist die Voranstellung jener Sollensnotwendigkeit (oder gar der ›Pflicht‹) vor die Einsicht in das, was gut ist, hier so falsch wie dort die Meinung, es ließe sich der Gegenstand (und im anderen Sinne die Idee der ›Wahrheit‹) auf die ›Notwendigkeit einer Vorstellungsverknüpfung‹ (resp. auf die Denknotwendigkeit) zurückführen.« 231 Wilhelm Busch, Die fromme Helene, in: Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Wilhelm-Busch-Gesellschaft hg. v. H. Guratzsch u. H. J. Neyer. Bd. II, Hannover 2002, Sp. 224 – 343, hier Sp. 339. 232 »Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen« in Kritik der reinen Vernunft, A260 ff., B316 ff. 233 Vgl. »Die Aristotelisch-Kantische und die NeuplatonischFichtesche Logik« in Fortschritt und Rückschritte der Philosophie, Zweiter Teil: Rückschritte nach Kant, 4. Kapitel, Abschnitt VII, GS VII, S. 509 – 37. 234 Jakob Friedrich Fries, System der Logik. Ein Handbuch für Lehrer und zum Selbstgebrauch, 3. und verbesserte Aufl., Heidelberg 1837, S. 71 f., in Sämtliche Schriften, Bd. 7: Grundriß und System der Logik, hg. v. Gert König und Lutz Geldsetzer, Aalen 1971, S. 153 – 632, hier S. 239 f. – Vgl. GS VII, S. 509 ff. 235 Vgl. GS VII, S. 512 – 16. 236 Vgl. ebd., S. 518 – 20. 237 Nelson bezieht sich (nach GS VII, 416) primär auf J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), jetzt in Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. R. Lauth u. H. Jacob, Stuttgart-Bad Cannstadt 1964 ff. (= GA) Bd. I,2 S. 249 – 451; Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre und Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), GA Bd. I,4 S. 183 – 269. Vgl. Nelson, GS VII, 416; 428 – 30; 518 – 20. Eindeutige Stellenbelege für Nelsons Interpretationsthesen kaum angebbar. Zu Fichtes Unterscheidung von Ichheit und Individualität 228

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Anmerkungen der Herausgeber

vgl. etwa GA Bd. I,4, S. 254 – 58; zum Ausdruck »allgemeines Ich« auch Sittenlehre (1812), GA Bd. II,13, S. 357 – 92, hier S. 337. 238 »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.« G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Originalausg. Berlin 1821 S. XIX. Ausgabe von J. Hoffmeister, Hamburg 51995, S. 14. 239 Vgl. GS III, S. 418 – 22. 240 Vgl. GS VII, S. 515 f. 241 Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1920: »Altpreußischer Geist und sozialistische Gesinnung, die sich heute mit dem Haß von Brüdern hassen, sind ein und dasselbe.« (S. 4) »Ihr [der Welt, BS] gegenüber sind Preußentum und Sozialismus dasselbe […] Die Lehre von Marx und die Klassenkämpfe haben es verschuldet, daß beide, die sozialistische Arbeiterschaft und das konservative Element, sich wechselseitig und damit den Sozialismus mißverstanden haben. Heute aber ist die Gleichheit des Ziels nicht länger zu verkennen. Preußentum und Sozialismus stehen gemeinsam gegen das innere England, gegen die Weltanschauung, welche unser ganzes Leben als Volk durchdringt, lähmt und entseelt.« (S. 97 f.) – »Noch einmal: der Sozialismus bedeutet Macht, Macht und immer wieder Macht.« (S. 98) 242 Paul Natorp, Logik (Grundlegung und logischer Aufbau der Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft) in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen. 2., umgearbeitete Aufl., Marburg 1910, S. 21. – Vgl. GS II, S. 110 f. Fn. 37. 243 Ähnliche Diagramme: GS I, S. 54, GS II, S. 255, GS VII, S. 125, 325, 359.

Personenregister

Das Personenregister umfasst die in Nelsons Vorlesungstext (dem Haupttext dieser Ausgabe) genannten Personen. Aufgenommen wurden auch Stellen mit aus Personennamen gebildeten Adjektiven (z. B. aristotelisch, nicht-euklidisch). Weggelassen wurden Namen, die Nelson nur für willkürliche Beispielsätze im Bereich der formalen Logik verwendet (Sokrates, Koriskos). Aristoteles 247 – 251, 253 Bentham, Jeremy 40 f., 144, 159, 161 Bergson, Henri 150 – 152 Brentano, Franz 162, 231, 237 Busch, Wilhelm 244

Heilborn, Paul 195 Helmholtz, Hermann von 115 f. Hilbert, David 148 Hildebrand, Dietrich von 241 Hume, David 94, 97 Husserl, Edmund 241 Jellinek, Georg 185 – 187, 194

Dingler, Hugo 201f. Einstein, Albert 123 – 125 Euklid 114 f., 121 f., 148, 198 Fichte, Johann Gottlieb 214, 251 Fischer, Kuno 214 f. Fries, Jakob Friedrich 247 Galilei, Galileo 44 Gauß, Carl Friedrich 114 f. Goethe, Johann Wolfgang von 24 Grassmann, Hermann 199 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24, 103 – 105, 189, 214, 252

Kant, Immanuel 21, 23, 47, 54, 58 f., 61 f., 64 f., 67 – 72, 77, 82, 85 – 87, 89 – 94, 96 – 98, 101 – 106, 111, 113, 115 – 117, 121, 127 f., 145, 149, 173, 203 f., 207, 209, 213 – 216, 218, 225 f., 240 f., 245, 247, 253 Kaufmann, Erich 197 Kerler, Dietrich Heinrich 169 –172 Kolumbus, Chistoph 67 Le Roy, Édouard 43 – 45, 154, 158 Leibniz, Gottfried Wilhelm 49, 51 – 54, 57, 60 f., 72, 86, 94, 131, 198 f., 245 f.

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Personenregister

Liebert, Arthur 24 Lobatschewsky, Nikolai Iwanowitsch 115 Lotze, Rudolph Hermann 67 – 70 Meinong, Alexius 205f. Mill, John Stuart 41f., 116, 144, 161 Natorp, Paul 253 Neuburg, Pfalzgraf von 51 Ostwald, Wilhelm 113 Pascal, Blaise 48 Paulsen, Friedrich 128 Peano, Giuseppe 199 Poincaré, Henri 42 – 45, 117, 119, 121 – 123, 144, 154, 157 f., 199, 201 Rickert, Heinrich 152 Riemann, Bernhard 115 Russell, Bertrand 140 Scheler, Max 233, 237, 239 –242

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 214 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 71 Schloemilch, Oskar 105 Schoen, P. 196 Schröder, Ernst 112 Sigwart, Christoph von 70 – 74 Simmel, Georg 152 f. Spengler, Oswald 22, 252 f. Spinoza, Baruch de 48, 50, 51, 55, 249 Stammler, Rudolf 174 – 177 Steiner, Rudolf 169 – 171 Stengel, Karl von 181 – 183 Trendelenburg, Friedrich Adolf 71 Wolff, Christian 52 – 54, 72 Wust, Peter 25 Zenon von Elea 151 Zimmermann, Robert 106 f. Zitelmann, Ernst 195