Tuberkulose und Menschenversuche im Nationalsozialismus: Das Netzwerk hinter den Tbc-Experimenten im Konzentrationslager Sachsenhausen 3515093990, 9783515093996

Tuberkulose wurde von den Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als die größte gesundheitliche Bedrohung wa

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German Pages 287 [305] Year 2011

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. TUBERKULOSEFORSCHUNG UND -BEKÄMPFUNG IN DEUTSCHLAND 1920–1945
3. TUBERKULOSE-VERSUCHE IM KONZENTRATIONSLAGER SACHSENHAUSEN
4. MENSCHENVERSUCHE UND MEDIKAMENTENERPROBUNG IM NATIONALSOZIALISMUS
5. ANHANG
6. VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
7. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
9. PERSONENVERZEICHNIS
10. DANKSAGUNG
Abbildungen
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Tuberkulose und Menschenversuche im Nationalsozialismus: Das Netzwerk hinter den Tbc-Experimenten im Konzentrationslager Sachsenhausen
 3515093990, 9783515093996

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Tuberkulose und Menschenversuche im Nationalsozialismus

Geschichte und Philosophie der Medizin History and Philosophy of Medicine ---------------------------------Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Frewer, M.A. Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität Erlangen-Nürnberg Glückstr. 10 91054 Erlangen Band 10

Christine Wolters

Tuberkulose und Menschenversuche im Nationalsozialismus Das Netzwerk hinter den Tbc-Experimenten im Konzentrationslager Sachsenhausen

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2011

Gedruckt mit Unterstützung der Prof. Dr. Walter Artelt und Edith Heischkel-Artelt-Stiftung in Frankfurt am Main, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Medizinischen Hochschule Hannover.

Umschlagabbildungen: Beipackzettel des Inhalats „Dr. med. Zahn“ (BArchB, R 96 II, Band 22, Bl. 294) und Gualtherus Zahn als Medizinstudent in Lausanne 1937 (Privatbesitz der Verfasserin)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09399-6 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2011 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS 1.

Einleitung Tuberkulose und Menschenversuche im historischen Kontext ................ 9

2.

Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945 .......................................................................... 21

2.1.

Die Suche nach einer wirksamen Therapie ................................................... 21 2.1.1. Bakteriologie, Robert Koch, Tuberkulin und Perlsucht .................... 21 2.1.2. BCG-Impfung ................................................................................... 24 2.1.3. Friedmann-Mittel .............................................................................. 25 2.1.4. Impfversuche an Kindern in der Psychiatrie ..................................... 26 2.1.5. Kupfer- und Goldpräparate ............................................................... 28 2.1.6. Der Durchbruch: Conteben, Streptomycin und Paraaminosalicylsäure ........................ 31

2.2.

Entwicklung und Grenzen der Sozialhygiene ............................................... 33 2.2.1. Alfred Grotjahn: Soziale Verhältnisse als Ursache von Krankheit ............................... 33 2.2.2. Dissoziation von wirtschaftlicher Lage und Krankheit ..................... 38

2.3.

Erblichkeit und Konstitution ......................................................................... 40 2.3.1. Fachzeitschriften als Spiegel der Forschungsdiskussion .................. 40 2.3.2. Rassenhygiene ................................................................................... 42 2.3.3. Konstitutionslehre und Sozialhygiene ............................................... 44 2.3.4. Verschuer und die „Zwillingstuberkulose“ ....................................... 48 2.3.5. Redeker gegen Verschuer und Münter .............................................. 54 2.3.6. „Schützengrabentuberkulose“ und Lagerleben ................................. 55

2.4.

Einführung der Zwangsasylierung ................................................................ 59 2.4.1. Beginn der Seuchengesetzgebung ..................................................... 59 2.4.2. Thüringen: „Kampffront gegen Tuberkulose“ .................................. 62 2.4.3. „Absonderung“ der „asozialen Offentuberkulosen“ ......................... 66

6

Inhaltsverzeichnis

2.4.4. „Krankenhaftanstalt“ Stadtroda: Heisig, Kloos und Aschenbrenner ..................................................... 68 2.4.5. „Asozialität“, Sterilisierung und Einweisung ins Konzentrationslager .......................................... 72 2.5.

Arbeitszwang ................................................................................................ 74 2.5.1. „Reichs-Tuberkulose-Ausschuß“ und „Reichstuberkuloserat“ ............................................................... 74 2.5.2. „Verordnung über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ und „Tuberkulosehilfe“ .............................................. 77 2.5.3. Ernst Brandt und die „ethische Umbewertung des Begriffs ‚Arbeit‘ an und für sich“ ................................................................... 80

2.6.

Krankenmord ................................................................................................ 84 2.6.1. Johannes Schottky: Krankenmord „ohne merkliche Belastung des Betriebes“ ................ 84 2.6.2. Stadtroda und andernorts: Tod durch Verhungern ............................ 86 2.6.3. Ermordung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitenden ................. 90

3.

Tuberkulose-Experimente im Konzentrationslager Sachsenhausen ..... 94

3.1.

Akteure: Die SS organisiert Menschenversuche ........................................... 94 3.1.1. „Sein ganzes Bestreben war eine SS-eigene Wissenschaft“ Himmler und seine Affinität zur Medizin ......................................... 94 3.1.2. Geldgeber: Der „Freundeskreis Himmler“ ...................................... 100 3.1.3. Das Sanitätswesen der SS und die Dienststelle Reichsarzt-SS ....... 102 3.1.4. Apotheker mit „organisatorischer Begabung“: Carl Blumenreuter ........................................................................... 112 3.1.5. Menschenversuch als Arbeitseinsatz: Die Beteiligung der WVHA............................................................. 117

3.2.

Experimentatoren im KZ Sachsenhausen: Die Brüder Zahn ...................... 122 3.2.1. Gualtherus und Herman Zahn: Von Drenthe nach Peking .............. 122 3.2.2. Gualtherus Zahn als Nationalsozialist ............................................. 126 3.2.3. Zahn und die Naturheilkunde: Assistent bei Brauchle in Dresden .................................................. 129 3.2.4. Heß „magnethopatisch“ behandeln: Zahn und Kersten .................. 134 3.2.5. Himmler: „Zahn alles Notwendige zur Verfügung stellen“ ............ 137

Inhaltsverzeichnis

7

3.3.

Ort der Versuche: Das Krankenrevier ......................................................... 138 3.3.1. Funktionen des Krankenreviers ....................................................... 138 3.3.2. Von der „Krankenstation“ zum „mustergültigen Krankenbau“: Die Entwicklung des Krankenreviers .............................................. 143 3.3.3. Funktionshäftlinge im Krankenrevier ............................................. 148 3.3.4. Die Aufgaben des Revierältesten .................................................... 152

3.4.

Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung .................................. 153 3.4.1. SS-Ärzte im KZ Sachsenhausen ..................................................... 153 3.4.2. „Vergleichskur“: Die Durchführung der Versuche ......................... 167 3.4.3. Wilhelm Thierhoff und das Ende der Versuche .............................. 173

3.5.

Die Firma „Dr. med. Zahn & Co.“ in Bückeburg und die Produktion des Inhalats .................................................................. 179 3.5.1. Die „Dr. med. Friedrich Hey KG“ in Bückeburg und ihre koloniale Tradition ............................................................ 179 3.5.2. Heilmittel aus „germanischen Drogen“: Die Firma Hey im Nationalsozialismus .......................................... 185 3.5.3. Vom „Inhalat Dr. med. Zahn“ zum „Zanicillin“ ............................. 188

3.6.

Parallele Experimente Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau ................................... 191 3.6.1. Menschenversuche als Dissertationsvorhaben ................................ 191 3.6.2. Menschenversuche als berufliche Qualifikation ............................. 194

4.

Menschenversuche und Medikamentenerprobungen im Nationalsozialismus ............................................................................. 202

5.

Anhang ....................................................................................................... 212

5.1.

Richtlinien für neuartige Heilbehandlungen und die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen von 1931 .............. 212

5.2.

Aufbau des Sanitätswesens der SS und Polizei 1943 ................................. 215

6.

Verzeichnis der Abkürzungen ................................................................. 218

8

Inhaltsverzeichnis

7.

Quellen- und Literaturverzeichnis .......................................................... 220

7.1.

Archivalische Quellen ................................................................................. 220

7.2.

Gedruckte Quellen ...................................................................................... 222 7.2.1. Reichsgesetze, Verordnungen, Erlässe ........................................... 222 7.2.2. Landesgesetze und Verordnungen .................................................. 226 7.2.3. Quelleneditionen ............................................................................. 226 7.2.4. Memoiren und Erinnerungsberichte ................................................ 227

7.3.

Zeitgenössische Literatur ............................................................................ 228

7.4.

Forschungsliteratur ...................................................................................... 239

8.

Abbildungsverzeichnis .............................................................................. 270

9.

Personenverzeichnis .................................................................................. 272

10.

Danksagung ............................................................................................... 285

1. EINLEITUNG TUBERKULOSE UND MENSCHENVERSUCHE IM HISTORISCHEN KONTEXT Tuberkuloseforschung und Menschenversuche sind die zwei großen Themenkreise, mit denen sich diese Studie beschäftigt. Den Kern der Arbeit bildet eine Schnittmenge beider: die Erprobung von Tuberkulosetherapien an Konzentrationslagerhäftlingen, dargestellt an einem konkreten Beispiel. 1941 bis 1943 wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen ein bis dahin unerprobtes Medikament gegen Lungentuberkulose verabreicht. Am Beginn dieses Projekts stand die Erzählung eines Zeitzeugen. Ein niederländischer Überlebender des Konzentrationslagers Sachsenshausen, J. E. A. Post Uiterweer, erinnerte sich an einen Arzt, dem er 1942 in Sachsenhausen begegnet war, zweifelsfrei ein Niederländer wie er. Dieser hatte an Häftlingen die Tuberkuloseversuche unternommen, die Gegenstand dieser Arbeit sind, passte ansonsten aber wenig in das Bild eines „KZ-Arztes“. Er war weder Mitglied der SS noch entsprach er dem gängigen Klischee des großen, blonden, schneidigen „Ariers“;1 er kam stets in Zivil, hatte dunkle Haare, Brille, Bart und ein gänzlich unmilitärisches Auftreten. Sein Name, so Uiterweer, könne Zaan oder Zaen gewesen sein. Weitere Recherchen ergaben zunächst eher ein konfuses Bild. Bei dem niederländischen Arzt handelte es sich um Gualtherus Zahn, der ein Medikament gegen Tuberkulose entwickeln wollte. Harry Dubinsky, auch er ein Überlebender des Konzentrationslagers Sachsenhausen, der als Proband an den Versuchen teilnehmen musste, erzählte, dass das Medikament aus China gestammt haben solle und nicht sehr vertrauenerweckend war. Wie Heinrich Baumkötter, der als SSArzt im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesetzt war, nach dem Krieg bei einer Vernehmung aussagte, sei der niederländische Arzt ein „Pfuscher“ gewesen.2 Befunde medizinhistorischer Forschung zu Menschenversuchen in Konzentrationslagern zeigen jedoch genau das Gegenteil dessen, was die Erinnerungen dieser Zeitzeugen zu den Sachsenhausener Tuberkuloseversuchen widerspiegeln. Die Experimente waren fast durchgängig in die wissenschaftliche Forschung der damaligen Zeit eingebettet und keineswegs einer „Pseudowissenschaft“ zuzurechnen. Für den KZ-Arzt Baumkötter verlief im Fall des Niederländers Zahn die Trennlinie nicht zwischen ideologiefreier und ideologiebehafteter Wissenschaft, sondern sollte diesen in die Nähe von „abseitigen und isolierten, ja dubiosen Ak1 2

Vgl. Diehl (2005), S. 105–111 und 160–162. Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129– 130.

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1. Einleitung

teuren außerhalb der Wissenschaft“ rücken.3 Von dem schulmedizinisch geprägten SS-Arzt wurde der naturheilkundliche Ansatz von Zahn bereits zur Zeit der Durchführung der Experimente als unwissenschaftlich empfunden. Wie Sabine Schleiermacher und Udo Schagen jüngst zeigen, diente der Begriff der „Unwissenschaftlichkeit“ in der Nachkriegszeit dazu, eine Dichotomie von Wissenschaft auf der einen Seite und Politik und Staat auf der anderen zu suggerieren und damit die Selbstmobilisierung der Wissenschaft zu verschleiern. Er bezog sich insbesondere auf Verbrechen wie Zwangssterilisierung, Experimente in den Konzentrationslagern und den Krankenmord. Eine solche Argumentation wurde von der Öffentlichkeit nach dem Ende des Nationalsozialismus bereitwillig akzeptiert.4 Den Grundstein für die falsche Annahme legten bereits während des Nürnberger Ärzteprozesses Vertreter der ärztlichen Standesorganisationen und der medizinischen Fachpresse. Auch Alexander Mitscherlich selbst nahm an, es habe sich bei den Ärzten, die in Konzentrationslagern medizinische Versuche vornahmen oder Menschen im Rahmen von „Euthanasie“-Aktionen ermordeten, nur um etwa 350 Personen gehandelt, obwohl ihm bewusst war, dass der Ärzteprozess nur den „Charakter einer Stichprobe“ hatte.5 Der Schriftleiter der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, einer der renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften Deutschlands, Heinz Köbcke, machte die Publikation eines Prozessberichts davon abhängig, dass darin eine „Auseinandersetzung mit den ‚wissenschaftlichen Methoden‘ der Naziärzte und der Sinnlosigkeit der Experimente“ erfolgte.6 Die Strategie, die grausamen Verbrechen einigen wenigen Ärzten zuzuschreiben, die unmoralisch handelten, ermöglichte so die Exkulpation des deutschen Ärztestandes nach dem Krieg.7 Um den wissenschaftlichen Stellenwert der Sachsenhausener Versuche genauer einschätzen zu können, war es in jedem Fall notwendig zu untersuchen, womit sich die „seriöse“ Tuberkuloseforschung in Deutschland in den 1930er und frühen 1940er Jahren beschäftigte. War der grausame Umgang mit den tuberkulo3 4 5 6

7

Rupnow et al. (2008b), S. 10. Schleiermacher/Schagen (2008b), S. 251–255. Alexander Mitscherlich, Von der Absicht dieser Chronik (1960), in: Mitscherlich/Mielke (1960), S. 9–22, hier S. 14 und 17. Heinz Köbcke an Wolfgang Spamer, Schreiben vom 17. Januar 1947, sowie Heinz Köbcke an Alexander Mitscherlich vom 24. Februar 1947, zitiert nach: Peter (2001), S. 458. HEINZ KÖBCKE (1895–1964), Neurologe, Ausbildung zum Neurochirurgen zwischen 1933 und 1939 in Schweden, den USA, Frankreich und England. Er hatte bereits seit 1930 an der Herausgabe der DMW mitgearbeitet. Vgl. Stöckel (2008). Vgl. auch Hachtmann (2007a), S. 1105 und S. 1185–1198 sowie Hachtmann (2007b), S. 81. Hachtmann setzt sich in seiner Untersuchung der Vernetzung der KWG mit der These auseinander, der Nationalsozialismus sei „wissenschaftsfeindlich“ gewesen“ und zeigt, dass diese Annahme zu einem nicht unerheblichen Teil auf Zeitzeugen zurückgeht, die sich bemühten, ihre eigene Rolle in der Forschung in dieser Zeit umzuinterpretieren. Im Zusammenhang mit Entnazifizierungsmaßnahmen wurde das Argument vertreten, die intensive wissenschaftliche Arbeit habe keine Zeit für politische Tätigkeit gelassen. Wer also ein guter Wissenschaftler sei, könne kein engagierter Nationalsozialist gewesen sein.

Tuberkulose und Menschenversuche im historischen Kontext

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sekranken Häftlingen und Versuchspersonen die Regel oder die Ausnahme in der nationalsozialistischen Gesellschaft? Wer unterstützte die Versuche, wer finanzierte sie? Wie reagierte die scientific community darauf? Dieser Frage wird im Kapitel „Tuberkuloseforschung in Deutschland 1920–1945“ nachgegangen. Es zeigt den Verlauf der medizinischen Forschung zu dieser Erkrankung seit der Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch. Dabei war es nur teilweise möglich, auf die Ergebnisse medizinhistorischer Forschung zurückzugreifen. Die Tuberkulose beschäftigte vor allem gegen Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Wissenschaftler aller Fachgebiete, insbesondere Ärzte, aber auch Soziologen und Historiker. Nach der Entdeckung des Streptomycin durch den Mikrobiologen Selman Abraham Waksman und des Sulfathiazol durch den Chemiker Gerhard Domagk nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Tuberkulose als besiegt.8 Außer in Festschriften bedeutender Ärzte und zu Firmenjubiläen von pharmazeutischen Unternehmen spielte die Krankheit nur mehr eine marginale Rolle.9 Seit den 1980er Jahren setzten sich einige Historiker systematisch mit der Geschichte der Tuberkulose auseinander.10 Die Sozialgeschichte der Tuberkulose im Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hat Hähner-Rombach in ihrer 2000 erschienen Monographie umfassend bearbeitet.11 Ulrike Lindner vergleicht in einer Studie gesundheitspolitische Maßnahmen der Tuberkulosebekämpfung und ihre Auswirkungen auf das Gesundheitswesen in Deutschland und Großbritannien in der Nachkriegszeit.12 Andere Autoren mit sozialhistorischem Ansatz haben sich mit einzelnen Aspekten wie z. B. Lungenheilanstalten und Fürsorgestellen beschäftigt.13 Im Nationalsozialismus wurde der Tuberkulose große Bedeutung beigemessen. Nicht nur Wissenschaftler und Ärzte engagierten sich fieberhaft für die Entwicklung einer geeigneten Therapie, sondern auch Politiker und Funktionsträger auf allen Ebenen der Gesellschaft.14 Das Tuberkulose-Problem wurde als Versagen der Weimarer Gesundheitsfürsorge interpretiert. Tatsächlich hatte nicht genug Geld für die Heilstättenbehandlung zur Verfügung gestanden.15 Abgesehen von der ideologischen Motivation war der jährliche Verlust an Volksvermögen immens. 1935 ging der Präsident des Reichstuberkulose-Ausschusses, Otto Walter, von etwa 300–400.000 „Offentu8 9 10 11 12 13 14 15

Dubos (1952). RENÉ DUBOS war gemeinsam mit Selman Waksman in den 1920er Jahren Mitglied der Forschergruppe am Rutgers Agricultural College in New Jersey. Domagk (1958); Simon (1982); Verg (1988), Voigt (1994), Voigt (1996). Spree (1981), Göckenjan (1985), Bryder (1988), Labisch (1992), Witzler (1995), HähnerRombach (1998), vgl. auch Hähner-Rombach (1997). Hähner-Rombach (2000). Lindner (2004). Bryder (1985), Reinicke (1988), Seeliger (1988), Condrau (1993/94), Condrau (1996), Condrau (2000), Vossen (2001). Beispielsweise auch „Reichsgesundheitsführer“ Leonardo Conti. Vgl. Schmuhl (2005a), S. 344–350. Vgl. Hansen (1991).

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1. Einleitung

berkulösen“ und mindestens 1 Million „Tuberkulosegefährdeten“, Menschen mit einer inaktiven Tuberkulose, aus. Von den an Tuberkulose erkrankten Menschen waren schätzungsweise 500.000 „minder leistungsfähig“ und 50.000 arbeitsunfähig, was nach Walters Rechnung einen Ausfall von etwa 125 Millionen Arbeitsstunden jährlich bedeutete. Den volkswirtschaftlichen Verlust bezifferte er auf 175 Millionen Reichsmark.16 Mit der Entwicklung der Röntgendiagnostik konnte die Erkrankung immer zuverlässiger festgestellt werden. Größere Heilungschancen resultierten daraus jedoch nicht, da sich die therapeutischen Möglichkeiten nicht in gleichem Maße verbesserten. Diese Diskrepanz zwischen Diagnostik und Therapie erzeugte einen enormen Druck auf die wissenschaftliche Forschung, aber auch auf die Erkrankten selbst. Die Bekämpfung der Krankheit wandelte sich zu einer Bekämpfung der Kranken selbst.17 Die damit einhergehende Radikalisierung im Umgang mit der Erkrankung widerspiegelt sich in der Forschungsliteratur.18 Die Tuberkulosebekämpfung war „gesundheitspolitisch gesehen eine Katastrophe ersten Ranges“.19 Im Zusammenhang damit setzte eine beispiellose Stigmatisierung der Kranken als „Asoziale“ und „Gemeinschaftsfremde“ ein. Eine der wichtigsten Änderungen der Tuberkulosebekämpfung im Nationalsozialismus war zum einen die Zuordnung der Fürsorgestellen zu den staatlichen Gesundheitsämtern. Die von den dort tätigen Amtsärzten umgesetzten Maßnahmen einer negativen Eugenik bezogen häufig auch tuberkulosekranke Menschen ein. In Bezug auf die Entwicklungslinien des staatlichen Gesundheitswesens im Nationalsozialismus ist daher die wegweisende Studie zum Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von Labisch und Tennstedt sehr aufschlussreich.20 Zum anderen wurden, jedoch erst nach Kriegsbeginn, die Möglichkeiten der finanziellen Absicherung von Heilstättenbehandlung und Familienunterhalt entscheidend verbessert.21 Unter Tuberkuloseforschern und Ärzten wurden nach dem Versagen weiterer sozialhygienischer Bemühungen seit Ende der 1920er Jahre Eheverbot, Zwangssterilisierung, Zwangsasylierung und „Euthanasie“ von Tuberkulosekranken diskutiert. Wichtig für die Weichenstellung war die Klärung der Frage nach einer Erblichkeit der Tuberkulose. Einige Tuberkuloseärzte und Psychiater, die in diese

16 Vgl. Walter (1935). Die Zahlen stammen aus einer Rede Otto Walters vor der Vereinigung Deutscher Tuberkuloseärzte. 1938 wurde der Verlust an Volksvermögen, errechnet aus den Gesundheitsleistungen und dem Ausfall der Arbeitskraft auf etwa 1,5 Milliarden Reichsmark geschätzt. Hinzu kam die Erkrankung von etwa 200.000 Männern im wehrfähigen Alter. Vgl. Fassbender (1939). 17 Pfaff (1939), S. 1492. 18 Kelting (1974). Diese Dissertation kann über drei Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch als wichtigste Monographie zur Tuberkulose im Nationalsozialismus gelten. Hahn (1982), Hahn (1985), Stahl (1982), Blasius (1996a), Blasius (1996b). 19 Roth (1984a), S. 261. 20 Labisch/Tennstedt (1985). 21 Sachße/Tennstedt (1992), Hansen (1991).

Tuberkulose und Menschenversuche im historischen Kontext

13

Auseinandersetzung involviert waren, wurden gleichzeitig zu Vollstreckern der eugenischen Maßnahmen bis hin zum Krankenmord.22 Die Situation der Tuberkulosekranken und ihre schrittweise Stigmatisierung lassen sich auf normativer Ebene gut nachvollziehen. Durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen ist die Ausgrenzung der Tuberkulosekranken lückenlos dokumentiert. Der „Normenstaat“ ist in diesem Bereich weitgehend intakt geblieben. Weitere gedruckte Quellen in Form der zeitgenössischen Forschungsliteratur sind ausgesprochen dicht und verhältnismäßig gut zugänglich, darunter die wichtigsten Fachzeitschriften und Handbücher. Mit schwer nachvollziehbarer Offenheit wurde in vielen dieser Publikationen von dem berichtet, was bei Lichte besehen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Mord war. Um die dieser Publikation zu Grunde liegenden Forschungsfragen zu beantworten, wurde der Bestand des Bundesarchivs Berlin herangezogen. Ein zentraler Quellenbestand sind die Akten des Reichstuberkuloseausschusses. Eine gute Ergänzung bildet der Bestand R 86 (Reichsgesundheitsamt). Im Bereich der Tuberkuloseforschung konnte ebenfalls auf die Fachliteratur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgegriffen werden. Hinzu kommen Festschriften und Erinnerungen von Tuberkuloseforschern und -ärzten, die sich mitunter als Historiker ihres eigenen Faches verstanden und kaum historisch reflektierten.23 Im Zusammenhang mit der Suche nach einer wirksamen Impfung oder medikamentösen Therapie der Tuberkulose sind von vielen Forschern medizinische Versuche durchgeführt worden. Die Versuche in Kliniken und Heilstätten im Nationalsozialismus sind zahlreich. Einige Experimente in Kinderkliniken bzw. an geistig und körperlich behinderten Kindern wurden in den letzten Jahren erforscht.24 Der zweite Teil der Arbeit wird den Praktiken der Organisation von Menschenversuchen durch die SS und speziell der Tuberkuloseversuche im Konzentrationslager Sachsenhausen 1941 bis 1943 nachgegangen. Medizinische Versuche in den Konzentrationslagern sind bislang nur in Ausschnitten untersucht. Meist handelt es sich um die gut dokumentierten Versuche, die im Nürnberger Ärzteprozess verhandelt wurden.25 Viele andere Experimente sind nicht befriedigend erforscht. Hierzu gehören die zahlreichen Versuche zur Erprobung neuer Operationsmethoden und neuer Medikamente, so auch die Tuberkuloseversuchsreihen.26 Trotz einer auf den ersten Blick schlechten Quellenlage finden sich häu22 Aly (1987b), Aly (1992), Harms (1997), Schmuhl (1987), Schmuhl (2000), Schmuhl (2003), Schmuhl (2005a). 23 Bochalli (1958). 24 Cranach (1999), Gerst (2000), Dahl (2002), Beddies/Schmiedebach (2004), SchweizerMartinschek (2004), Beddies (2008). 25 Ebbinghaus (1987b), Schleiermacher (1988), Vondra (1989a), Vondra (1989b), Martin (1994a), Martin (1994b), Martin (1994c), Frewer et al. (1999), Roth (2000), Ebbinghaus/Dörner (2001), Roth (2001), Lang (2004). 26 Eine tabellarische Aufstellung von Versuchen findet sich in: Jüdischer Presse Dienst (1974), Nr. 2/3, S. 13–17, wiedergegeben auch bei: Wuttke-Groneberg (1980), S. 322–325.

14

1. Einleitung

fig Ansatzpunkte zur Erforschung bis heute weitgehend unbekannter Versuche, eben jener Versuche, „die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der alliierten Ermittler lagen und nie zur Anklage kamen“.27 Ihre Zahl dürfte die der bereits wissenschaftlich erfassten und historisch aufgearbeiteten weit übersteigen. Ihre genaue Untersuchung ist nicht nur eine überaus berechtigte Forderung von Überlebenden, wie es Jona Laks, Opfer von Mengeles Zwillingsversuchen, vor einiger Zeit formulierte.28 Sie ist auch im Sinne der wissenschaftlichen Selbstaufklärung unumgänglich.29 Die Tuberkulose war eine der am weitesten verbreiteten Erkrankungen der Insassen von Konzentrationslagern und eine der häufigsten Todesursachen.30 Deshalb fanden Wissenschaftler dort ein nahezu unbegrenztes Erprobungsfeld vor. In allen großen Konzentrationslagern wurden medikamentöse Therapien der Tuberkulose erprobt, die sich nahtlos in die Tuberkuloseforschung der damaligen Zeit einreihen lassen: in Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Neuengamme, Mauthausen, Majdanek und Sachsenhausen.31 Sie bilden, abgesehen von Neuengamme und Dachau, ein Desiderat der Forschung.32 Dass die Tuberkuloseversuche trotz der großen Anzahl von Häftlingen kaum Eingang in die Forschung gefunden haben, ist der hohen Zahl der toten Probanden geschuldet, die aus den geringen Überlebenschancen der Versuchspersonen resultiert. Es gibt kaum Berichte von Überlebenden. In einem 2006 erschienen Aufsatz zu den Tuberkuloseversuchen in Sachsenhausen geht Astrid Ley davon aus, dass sich viele Fragen, etwa zum Ablauf der Versuche und zur Person des niederländischen Arztes Gualtherus Zahn, an den sich die Überlebenden erinnerten, nicht würden klären lassen.33 Die Überlieferungslage von Seiten der Täter ist, abgesehen von den im Nürnberger Ärzteprozess verhandelten Versuchsreihen, ohnehin schlecht. Nicht zugängliches Quellenmaterial könnte sich allerdings noch in sowjetischen Archiven befinden.34 Eine weitere Möglichkeit der Gewinnung von Quellen, die juristische 27 28 29 30 31

32 33 34

Sachse (2003b), S. 29. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. u.a. Wagner (2001), S. 46; Strzelecka (1999), S. 385–386; Comité International de Dachau (1978), S. 276; Kaienburg (1997), S. 111; Marszalek (1982), S. 125; Strebel (2003), S. 251. Friedrich Entress, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 2, Bl. 95, NO 2368. Stanislaw Klodzinski, Arzt und Auschwitz-Überlebender, beschreibt die Erprobung der Präparate Ruthenol, B-1034 und 3582 der Firma Bayer an Häftlingen des KZ Auschwitz durch den SS-Arzt Helmut Vetter. Vgl. Klodzinski (1986). Zu Buchenwald vgl. auch Klee (1997), S. 40–41; Kogon (1998), S. 166; Frewer et al. (1999), S. 39–40 sowie S. 236-240. Über die Versuche an jüdischen Kindern hat der Journalist Günter Schwarberg ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben: Schwarberg (1988). Zu Mauthausen vgl. www.mauthausen-memorial.gv.at/Geschichte/05.05.SS-Aerzte.html vom 20. Mai 2007; sowie Marsálek (1980). Zu Majdanek vgl. Pukrop (2007), S. 40. Vgl. Wolters (2004b). Vgl. Ley (2006a), S. 364. Aly/Heim (1992), S. 9–10.

Tuberkulose und Menschenversuche im historischen Kontext

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Verfolgung der KZ-Ärzte als Täter von nationalsozialistischen Verbrechen, ist in den Jahrzehnten nach der Gründung der Bundesrepublik meist ungenutzt verstrichen, da der Durchführung von Versuchen an tuberkulosekranken Häftlingen keine Verfolgungs- bzw. Strafwürdigkeit beigemessen wurde.35 Die Konzentrationslager waren für die experimentierenden Ärzte neben Krankenhäusern und Heilanstalten nur ein anderer möglicher Ort für Versuche. Meine Recherchen zeigen weitgehende Vernetzungen von wissenschaftlicher Tuberkuloseforschung, pharmazeutischer Industrie und SS-Forschungsförderung, die noch unerforscht waren, so dass aus der Fülle des Materials zunächst eine Versuchsreihe herausgegriffen werden musste. Seit den 1990er Jahren hat sich als Teil der NS-Forschung eine Täterforschung etabliert, die sich von allgemeinen sozialpsychologischen Ansätzen und Erklärungsmustern gelöst hat.36 Bisher erfolgten diese Untersuchungen vor allem zu Tätern der Shoa und zu Personen aus dem Bereich großer Ämter der SS, die an Verfolgungsmaßnahmen beteiligt waren, wie das Reichssicherheitshauptamt und die Einsatzgruppen, das Wirtschaftsverwaltungshauptamt, das Rasse- und Siedlungshauptamt sowie zur Konzentrationslager-SS.37 Ebenso ist die Geschichte von großen Forschungseinrichtungen wie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren maßgeblichen Wissenschaftlern und Vernetzungen im Nationalsozialismus untersucht worden.38 Die von der SS initiierte und unterstützte wissenschaftliche Forschung sowie die SS-Ärzte haben nur selten Berücksichtigung gefunden.39 Deshalb sollen sowohl die wichtigsten Akteure der Tuberkuloseforschung im Nationalsozialimus als auch der Medizin in den Konzentrationslagern unter dem Blickwinkel der Täterforschung betrachtet werden. Ein weiteres Anliegen dieser Arbeit ist die differenzierte Auseinandersetzung mit Ärzten und anderen Akteuren von menschenverachtenden Humanexperimenten. Historische Entwicklungen kommen stets durch das bewusste Einwirken von Einzelnen zustande. Personen gelangen durch verschiedene Umstände zu maßgeblichem Einfluss. Diese Umstände liegen in deren Biografie begründet, in ihrer Herkunft, ihrer familiären und beruflichen Sozialisation, ihren persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen sowie religiösen und politischen Überzeugungen. Für Ärzte und im Bereich der Medizin forschende Wissenschaftler gehört ebenso die Herausbildung einer ärztlichen bzw. Forschungsethik dazu. Geht man der 35 Vgl. Abschlussbericht zum Ermittlungsverfahren gegen Heinrich Baumkötter: StA Münster, Nr. 390, Band 20. Vgl. auch Tuchel (1984). 36 Gerlach (2000), Paul (2003), Paul/Mallmann (2004), Hirschfeld/Jersak (2004), Herbert (2004). 37 Birn (1986), Browning (1993), Tuchel (1994), Sereny (1995), Wickert (1997), Orth (2000a), Schulte (2001), Wildt (2002), Heinemann (2003), Dirks (2006), Mailänder Koslov (2007). 38 Kaufmann (2000), Sachse (2003a), Schieder/Trunk (2004), Schmuhl (2003), Schmuhl (2005a), Schmaltz (2005), Schwerin (2004), Hachtmann (2007a), Hachtmann (2007b), Schmuhl (2008). 39 Kater (1974), Ebbinghaus/Dörner (2001) sowie Weindling (1994a), Weindling (1994b), Weindling (1997), Weindling (1998), Weindling (2000) und Weindling (2005).

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1. Einleitung

Frage nach dem Zustandekommen von Forschungsansätzen und -praktiken in der medizinischen Forschung nach, sind die Klärung und Darstellung dieser biografischen Details notwendig. Die Täter, denen in diesem Forschungszusammenhang nachgespürt wurde, sind konkrete Personen, die, wie gezeigt werden soll, durch zufällige oder systematische Vernetzung zusammengefunden haben. Die Rekonstruktion dieser Beziehungen durchzieht die gesamte Arbeit. Sie sollen kontextualisiert und somit eingeordnet werden in einen größeren Rahmen einerseits der Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts und andererseits der Täterforschung zum Nationalsozialismus. Indem die einzelnen Akteure in ihren unterschiedlichen Kontexten aufgespürt werden, sind verschiedene Quellengattungen zu Rate zu ziehen. Die Beschreibung ihrer Lebensläufe und ihrer beruflichen Vernetzung erfolgt in der Reihenfolge der Hierarchieebenen. Die personenbezogenen Überlieferungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Archivaren im Berlin Document Center zusammengetragenen wurden und sich heute im Bundesarchiv Berlin befinden, bilden einen wichtigen Quellenbestand. Die Akten zu SS-Führern tragen die Bezeichnung SSO (SSOfficers, meist fälschlich als SS-Offiziere übersetzt). Sie sind unterschiedlicher Provenienz und Güte.40 Für diese Arbeit wurden auch andere Sammlungen des BDC herangezogen: OPG (Oberstes Parteigericht), PK (Parteikanzlei), RÄK (Reichsärztekammer), RKK (Reichskulturkammer), RuSHA (Rasse- und Siedlungshauptamt) und SA. Heinrich Himmler hatte als Reichsführer-SS eine zentrale Rolle inne. Über ihn entstanden in den vergangenen Jahrzehnten einige Biografien bzw. biografische Studien von sehr unterschiedlicher Qualität. Eine umfassende, fundierte Biografie legte Peter Longerich im Jahr 2008 vor.41 Gleichwohl ist Himmlers Rolle als Gesundheitspolitiker und „Förderer“ medizinischer Forschung noch nicht hinreichend untersucht. Es existiert lediglich eine medizinische Dissertation zu Himmlers Anregungen für die medizinische Forschung.42 Der Persönliche Stab Reichsführer-SS, der die Vielzahl von Himmlers Funktionen und Interessen widerspiegelt, ist kaum erforscht.43 In der vorliegenden Arbeit sollen nur die Bereiche und Personen genauer betrachtet werden, die in Entscheidungen über Menschenversuche involviert waren: Karl Wolff und Rudolf Brandt als Himmlers engste Mitarbeiter, die Dienststelle Reichsarzt-SS mit Grawitz an der Spitze, der Sanitätszeugmeister der SS, Carl Blumenreuter, der medizinische Geräte, Material und Medikamente für die Versuche beschaffte, sowie Oswald Pohl und seine Mitarbeiter Enno Lolling und Gerhard Maurer, die medizinische Versuche koordinierten. Zur Biografie und Funktion des Reichsarztes-SS 40 Eine sehr gute Übersicht, auch über die Bestandsgeschichte, bietet: Berlin Document Center (1994). 41 Frischauer (1953), Wulf (1962), Ackermann (1970), Fraenkel/Manvell (1979), Smith/ Peterson (1974), Smith (1979), Padfield (1990), Breitman/Aronson (1990), Breitman/Aronson (1991), Breitman (1996), Tuchel (2000), Longerich (2008). 42 Schwan (1973). 43 Kinder (1977).

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Grawitz finden sich Versatzstücke in den teilweise frühen Gesamtdarstellungen zur SS.44 Blumenreuter wurde bemerkenswerter Weise kaum als Täter zur Kenntnis genommen, sowohl von der Justiz als auch von der historischen Forschung, obwohl er einen nicht unerheblichen Anteil am reibungslosen Ablauf von vielen Versuchen hatte, ja sogar selbst einige davon in Auftrag gab. An dieser Stelle wird auch die Frage der Finanzierung von medizinischen Versuchen im Konzentrationslager einschließlich der an der Bezahlung beteiligten Externen untersucht. Der „Freundeskreis Himmler“ stellte durch größere Spenden Mittel für Projekte Himmlers bereit, die nicht anderweitig etatisiert werden konnten.45 Die übliche Vorgehensweise und die Befugnisse der Beteiligten sind im Nürnberger Ärzteprozess rekonstruiert worden. Die Prozessakten sind als Quellenedition auf Mikrofiche verfügbar.46 Ergänzt werden konnte sie außerdem durch die Akten des Prozesses gegen Oswald Pohl. Die Verwaltungsstrukturen zur Planung, Vorbereitung und Durchführung von medizinischen Versuchen innerhalb der SS zeigen, dass diese keine Einzelfälle, keine Ausnahmen, sondern die Regel waren, und die Tuberkuloseversuche nur einige Versuchsreihen unter vielen. Für das Verständnis der Versuche in Konzentrationslagern ist es unerlässlich, einen Blick auf die Orte zu werfen, an denen sie durchgeführt wurden. So bilden die Entwicklung und Funktionen des Sachsenhausener Krankenreviers sowie die medizinische Versorgung der Häftlinge ein Unterkapitel. Die Forschungslage hierzu ist auch nach über 50 Jahren noch unbefriedigend. Die Geschichte der Krankenreviere als zentraler Ort von geringfügiger medizinischer Hilfe einerseits, grausamen Versuchen und „Euthanasie“ andererseits, nimmt in Überblicksdarstellungen in der Regel nur einen geringen Raum ein. Umfassende Darstellungen zur Geschichte einzelner Konzentrationslager gibt es u.a. zu Dachau, Neuengamme, Mittelbau-Dora, Ravensbrück sowie zu einigen Außenlagern.47 Die Tuberkulose als eine der wichtigsten Erkrankungen unter KZ-Häftlingen wurde in wissenschaftlichen Arbeiten zu den Lagern jedoch nur am Rande behandelt. Zu Sachsenhausen gibt es nach wie vor keine Gesamtdarstellung, wohl aber eine Vielzahl von Arbeiten, die sich mit Teilaspekten beschäftigen.48 Zur Ausstellung „Medizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen 1936–1945“ ist kürzlich ein Katalog erschienen.49 Wichtige Akteure vor Ort waren die Ärzte, die dem 44 Neusüß-Hunkel (1956), Reitlinger (1957), Höhne (1967), Eckart (1998). 45 Bütow/Bindernagel (2003), Bütow (2004) sowie die älteren Publikationen: Vogelsang (1972), Drobisch (1961), Kater (1965/66). 46 Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, Quellen zum Umfeld. Deutsche Ausgabe, hrsg. von Klaus Dörner, Angelika Ebbinghaus und Karsten Linne, Mikrofiche-Edition und Erschließungsband, München 1999, nachfolgend zitiert als Nürnberger Ärzteprozess. 47 Vorländer (1978), Perz (1991), Kaienburg (1997), Wagner (2001), Strebel (2003), Bütow/ Bindernagel (2003), Zámecník (2007). 48 Rüdiger (1977), Kühle (1985), Kühn (1989), Hrdlicka (1992), Morsch/Reckendrees (1996), Meyer (1999a), Gabriel (2000a), Gabriel (2000b), Müller/Sternweiler (2000), Mielke (2002). 49 Ley/Morsch (2007).

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1. Einleitung

Sanitätswesen der SS angehörten und im Konzentrationslager eigenhändig medizinische Experimente durchführten. Sie beteiligten sich nicht nur an den Zahn‘schen Tuberkuloseversuchen, sondern unternahmen weitere Experimente, auch auf eigene Initiative. Ihre Lebensläufe werden ausführlich dargestellt. Es handelt sich um die Lagerärzte Emil Christian Schmitz, Ernst Frowein und Heinrich Baumkötter sowie Walter Sonntag, der bereits größere Erfahrung mit Versuchen an Häftlingen mitbrachte, und den Lungenarzt August Loderhose. Dieser Gruppe von Tätern muss auch der Lagerapotheker Herbert Siggelkow zugerechnet werden, der die Medikamente besorgte. Die genaue Rekonstruktion der Lebensgeschichte des niederländischen Arztes Gualtherus Zahn, an den sich die eingangs erwähnten Überlebenden erinnerten, und seines ebenfalls an den Versuchen beteiligten Bruder Herman, sowie der Vorgeschichte und der Durchführung der Versuche bilden den Kern des zweiten großen Abschnitts. Die Recherchen hierzu haben den größten Raum im Zusammenhang mit dieser Arbeit eingenommen. Die Quellenlage kann wider Erwarten als gut bezeichnet werden. Informationen zu Gualtherus und Herman Zahn stammen aus verschiedenen niederländischen Archiven, so dem Noordhollandsarchief in Haarlem, dem Drentsarchief in Assen, den Stadtarchiven von Groningen und Amsterdam. Der Kontakt zur Familie Zahn beruht auf intensiven Recherchen und letztendlich einem Zufall, der die Weichen für das Gelingen dieser Arbeit stellte. Einen großen Teil der Informationen über die Brüder Zahn sowie Dokumente und alle Fotografien von beiden habe ich dankenswerter Weise von der Familie Zahn erhalten, in dessen Besitz sich sowohl der Nachlass von Hertha und Herman Zahn wie auch Teile des Nachlasses von Gualtherus Zahn befinden. Ohne ihre Unterstützung wäre eine so dichte Darstellung der Biografien nicht möglich gewesen. Einen wichtigen methodischen Zugang bildeten neben den umfangreichen Archivrecherchen Interviews. Durch diese wurden Vernetzungen deutlich, die grundlegend für diese Arbeit sind. Als Anregung dazu dienten Projekte und Arbeiten u.a. von Lutz Niethammer, Michael Pollak, Harald Welzer, Dan Bar-On und Gabriele Rosenthal.50 Für die vorliegende Studie haben sich biografisch-narrative Interviews als sinnvoll erwiesen.51 Neben Harry Dubinsky erklärten sich mehrere Mitglieder der Familie Zahn sowie die Tochter von Karl Hann von Weyhern zu Gesprächen bereit. Die Rekonstruktion der traumatischen Ereignisse aus dem nächsten Umfeld der Versuche bedeuteten eine hohe emotionale Anforderung an alle Beteiligten. Die gewonnenen Ergebnisse stellen, sofern es sich um Äußerungen von Angehörigen und Nachkommen von Tätern handelt, sensible Informationen dar. Diese sind deshalb nur zu einem geringen Teil konkret in diese Arbeit eingeflossen, waren jedoch unentbehrlich für deren Entstehung, weil sie durch das Vermitteln von Haltungen, Werten und Beziehungsstrukturen erst den 50 Vgl. Niethammer (1983), Niethammer (1994), Pollak (1988), Welzer et al. (2002), Bar-On (1996), Rosenthal (1997) sowie Roseman (2002). Zur Oral History grundlegend vgl. Vorländer (1990b). 51 Vgl. Rosenthal (1990), Rosenthal (1995). Zur Bedeutung und Methodik lebensgeschichtlicher Interviews mit Überlebenden von Konzentrationslagern vgl. Rahe (1995) sowie Jureit (1999), S. 19–42.

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Zugang zu den Ereignissen ermöglichten, die den Kern der Arbeit bilden: die Tuberkuloseversuche im Konzentrationslager. Gestützt auf einige aus den Interviews stammende Informationen konnte in weiteren Archiven recherchiert werden. Die Aktivitäten der Zahn-Brüder in China ließen sich einer Akte des Archivs des Auswärtigen Amtes der Niederlande, in dessen Zuständigkeit die Archivierung von Akten der Niederländischen Botschaft in Peking fällt, entnehmen. Die Akten der Entnazifizierungsverfahren von Gualtherus und Herman Zahn, die sich im Nationaalarchief der Niederlande befinden, gaben weiteren Aufschluss über die organisatorischen Zusammenhänge der Versuche. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers bietet einen Überblick über Himmlers Termine in den Jahren 1941/42, also jenen Zeitraum, in dem in Konzentrationslagern viele medizinische Versuche durchgeführt wurden.52 Weitere Ansatzpunkte fanden sich im Bestand Persönlicher Stab Reichführer-SS (NS 19) des Bundesarchivs. Hier befinden sich auch die Diensttagebücher bzw. Termintagebücher des Persönlichen Referenten von Himmler, Rudolf Brandt. Eine wichtige Quelle, speziell für die Sachsenhausener Tuberkuloseversuche, sind die so genannten Brieftagebücher, die Posteingangs- und Ausgangsbücher von Himmlers Büro. Sowohl Himmlers als auch Brandts Termine und Entscheidungen bezüglich der Sachsenhausener Versuche lassen sich anhand dieser Quellen genau nachvollziehen. Die Umstände der Kontaktaufnahme Zahns mit Himmler finden sich in einer Akte der Stapo-Leitstelle Dresden, die in DDR-Zeiten in den Bestand der Staatssicherheit überging und sich heute im Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten des Bundesarchivs befindet. Sehr bedauerlich ist hingegen, dass die Akten der Dienststelle Reichsarzt-SS, die sich bis Kriegsende in der Aktenregistratur im Keller des Dienstgebäudes in der Knesebeckstaße 51 in Berlin-Charlottenburg befunden haben, nicht für die Forschung zugänglich sind. Sie wurden möglicherweise von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte beschlagnahmt und in die Sowjetunion verbracht. Der Bestand dürfte, wenn er tatsächlich noch existiert, eine genaue Dokumentation der medizinischen Versuche enthalten. Ein nur wenige Seiten umfassender Vorgang in den Akten des Reichs-Tuberkuloseausschusses führte schließlich nach Bückeburg, wo Gualtherus Zahn mit Friedrich Hey, dem Sohn eines dort ansässigen Pharmaunternehmers, eine eigene Firma zur Herstellung des Inhalats gründete. Die im Niedersächsischen Staatsarchiv Bückeburg überlieferten Akten geben Aufschluss über den tatsächlichen Umfang der Produktion des „Zahnschen Inhalats“. Den Schluss der Arbeit bildet die Einordnung der Tuberkuloseversuche in den Konzentrationslagern in den Zusammenhang der Durchführung medizinischer Versuche und der Arzneimittelerprobung im Nationalsozialismus. Mit dem Berliner Ärztetag 1980 erhielt die Auseinandersetzung um das Humanexperiment im Nationalsozialismus einen entscheidenden Impuls, so dass in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten hierzu eine umfangreiche Forschungsliteratur in großer 52 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von Peter Witte, Michael Wildt u.a., Hamburg 1999.

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1. Einleitung

Breite entstand.53 Neben der Aufarbeitung der Versuche an Häftlingen in Konzentrationslagern wurde die Geschichte des Humanexperiments von der modernen Forschung bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgt sowie die ethische Dimension des Themas bis in die Gegenwart aufgezeigt.54 Gerade Baader und Winau betonen, dass die Versuche in den Konzentrationslagern in einer Tradition zu den an Patienten in Krankenhäusern vorgenommenen Experimenten standen. Erwin Deutsch und andere Juristen verfassten grundlegende Arbeiten in Bezug auf die juristische Einordnung der Humanexperimente.55 Ein wichtiger Teil der medizinischen Versuche bezog sich auf die Erprobung neuer Wirkstoffe. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung durch die experimentelle Pharmakologie wurden im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts gewonnen. Die Zahl der verfügbaren Medikamente blieb jedoch bis zum Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ausgesprochen begrenzt. Die Entwicklung pflanzlicher Wirkstoffe und die Phytotherapie erlebten in den Jahrzehnten zuvor eine Renaissance.56 Erst danach setzten die großen Erfolge durch den Aufschwung in der modernen Großforschung ein.57 Parallel zu den Bestrebungen, die Glaubwürdigkeit der Schulmedizin durch die Propagierung einer „Neuen Deutschen Heilkunde“, der Verbindung von Schulmedizin und Naturheilkunde, zu verbessern, wurden im Nationalsozialismus neben den synthetisch hergestellten Arzneistoffen pflanzliche Wirkstoffe und homöopathische Behandlungen aufmerksam verfolgt und gefördert. Gerade Himmler glaubte immer wieder, prekäre Lücken in der Versorgung mit Medikamenten durch preiswerte, einfach zu handhabende Pflanzenmittel schließen zu können. Auch vor diesem Hintergrund sind die Tuberkuloseversuche in Sachsenhausen und in Dachau einzuordnen. Trotz ihrer vermeintlichen Harmlosigkeit als pflanzliche bzw. homöopathische Präparate wird die verbrecherische Dimension der zutiefst unmoralischen Versuche zu deren Erprobung deutlich. Die Reaktion der scientific bzw. medical community und die Einbettung in die Medikamentenproduktion in Deutschland in den letzten Kriegsjahren zeigen die Akzeptanz solcher Versuchspraktiken. Mit einem Blick auf die Nachkriegszeit mit der Entwicklung neuer ethischer Maßstäbe durch den Nürnberger Kodex und die Deklaration von Helsinki endet die Studie.

53 Baader/Schultz (1980), Baader (1985), Baader (1986), Baader (1988a), Baader (1989), Baader (2004), Schleiermacher (1988), Frewer/Schmidt (2007), Schmidt/Frewer (2007a). 54 Elkeles (1985), Winau (1986), Elkeles (1989), Winau (1996), Elkeles (1996), Winau (1998), Winau (2001a), Frewer/Neumann (2001), Winau (2003), Frewer (2004), Roelcke (2004), Roelcke/Maio (2004), Winau (2005), Eckart (2006), Eckart/Reuland (2006). 55 Deutsch (1979), Fischer (1979). 56 Schröder (1982), Aue (1983), Haug (1982), Haug (1985a), Haug (1985b), Bothe (1991), Wuttke-Groneberg (1982a), Wuttke-Groneberg (1982b), Wuttke-Groneberg (1990). 57 Hickel (1977), Hickel (1981), Hickel (1982), Kästner (1994), Gerken (1977), Wimmer (1994).

2. TUBERKULOSEFORSCHUNG UND -BEKÄMPFUNG IN DEUTSCHLAND 1920–1945 2.1. DIE SUCHE NACH EINER WIRKSAMEN THERAPIE 2.1.1. Bakteriologie, Robert Koch, Tuberkulin und Perlsucht Die Tuberkulose ist noch heute in Europa, trotz des erheblichen Rückgangs der Sterblichkeit in den vergangenen 60 Jahren, eine der wichtigsten bakteriellen Infektionskrankheiten. Sie entwickelte sich im Zuge der Industrialisierung zu einer der häufigsten Ursachen für Invalidität und Tod von Menschen im arbeitsfähigen Alter. Der Erreger der Krankheit, das Mycobacterium tuberculosis, wird von erkrankten Menschen oder Tieren vor allem durch Tröpfcheninfektion übertragen. Meist tritt die Erkrankung in Form der Lungentuberkulose auf; seltener ist der Befall anderer Organe. Setzen sich die Bakterien in den Lymphdrüsen fest, entsteht die so genannte Skrofulose, bei der Hautinfektion Lupus vulgaris. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Tuberkulose eine der verbreitetsten und schwerwiegendsten Krankheiten in Deutschland, obwohl die Tuberkulosesterblichkeit seit den 1880er Jahren kontinuierlich sank.1 Im ausgehenden 19. Jahrhundert standen für keine der schweren Infektionskrankheiten, neben Tuberkulose vor allem Scharlach, Masern, Diphtherie und Magen-DarmErkrankungen wie beispielsweise Cholera, spezifische Therapien oder eine Immunisierung zur Verfügung. Maßnahmen der öffentlichen Hygiene wie Stadtsanierung, Kanalisation und der Bau von Wasserleitungen führten nicht zu einem Rückgang der Sterblichkeit durch Tuberkulose, reduzierten jedoch signifikant die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle bei Cholera. Als Gründe für die Senkung der Todesrate unter Tuberkulosekranken sind insbesondere die Verbesserung der Ernährungslage und der Wohnsituation der Bevölkerung zu nennen. Im Zusammenhang mit der Ernährung beeinflusste das Vorhandensein einer ausreichenden Menge, sowohl von Eiweiß als auch Kohlehydraten, die Entwicklung positiv. Die hygienische Qualität der Lebensmittel spielte eine eher untergeordnete Rolle. Lediglich durch infizierte Milch, und in geringem Maße durch Fleisch, konnten Tuberkuloseerreger übertragen werden.2 Erste Heilerfolge erzielte der Arzt Hermann Brehmer (1826–1889). Mit seinem Werk „Die chronische Lungenschwindsucht und Tuberculose der Lunge, ihre Ursache und Heilung“ begründete er die für nahezu ein Jahrhundert wichtigste, wenn auch unspezifische Therapie der Lungentuberkulose. Er begann 1 2

Vgl. Witzler (1995), S. 169. Vgl. hierzu grundlegend: McKeown (1976), S. 128–135. Die These von Thomas McKeown stützt auch Göckenjan (1985), S. 50. Dazu kontrovers: Szreter (1988), McFarlane (1989) sowie Mitchell (1990), S. 387–403; Hardy (1993), S. 211–219; Harris (2004).

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

1863 mit dem Aufbau eines Lungensanatoriums im schlesischen Görbersdorf, das zum Vorbild deutscher Lungenheilstätten wurde. Die Therapie bestand aus einer Liegekur, die im Freien durchgeführt und mit einer entsprechenden Diät kombiniert wurde.3 Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren eine Zeit bedeutender naturwissenschaftlicher und medizinischer Fortschritte. Rudolf Virchow begründete die Zellularpathologie und führte die Tuberkulose nach seinem anatomisch-pathologischen Konzept auf das Vorhandensein der so genannten Tuberkel (Knoten) zurück. Robert Koch4 entdeckte 1882 das Mycobacterium tuberculosis, den Erreger der Tuberkulose. Zugute kam ihm dabei, dass zu dieser Zeit neue Farbstoffe und, daraus resultierend, neue Färbemethoden entwickelt wurden.5 Koch schuf ein monokausales Erklärungsmodell für die Ursache der Krankheit, in dem er einen eindeutig identifizierbaren Keim als Auslöser für das Geschehen benannte.6 Die Bakteriologie feierte mit der Entdeckung der Erreger u.a. von Amöbenruhr, Gonorrhoe, Cholera, Diphtherie, Tetanus, Syphilis und Keuchhusten weitere große Erfolge.7 Gegen einige dieser Krankheiten gelang es, in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg medikamentöse Therapien oder Impfungen zu entwickeln.8 Emil von Behring und Shibasaburo Kitasato9 entdeckte die Serumtherapie gegen Diphtherie und Tetanus, Paul Ehrlich das Salvarsan gegen Syphilis.10 Keine Therapie konnte, neben der Tuberkulose, für Typhus exanthematicus, besser bekannt unter dem Namen Fleckfieber, gefunden werden. Fleckfieber trat zwar in Deutschland nicht 3 4

Vgl. Hähner-Rombach (2000), S. 144–145. ROBERT KOCH (1843–1910), geboren in Clausthal im Harz, studierte er in Göttingen Medizin, Promotion 1866. Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg, danach Kreisphysikus in Wollstein in Posen, dort Nachweis des Milzbrand-Erregers, ab 1880 Tätigkeit am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin, Nachweis des Cholera-Erregers, seit 1885 Professor an der Berliner Universität, seit 1891 Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten, Nobelpreis 1905. 5 Vgl. Schlich (1995), S. 152. 6 Vgl. Gradmann (2005), S. 105–124; Labisch (1991), S. 39 sowie Hähner-Rombach (1998), S. 61. 7 Vgl. Eckart (2004), S. 279–287. 8 Vgl. Possehl (1982). 9 EMIL ADOLF von BEHRING (1854–1917), 1874 bis 1878 Studium der Medizin in Berlin, 1893 erste erfolgreiche Anwendung des Diphtherieheilserums am Menschen, 1895 Ordinarius für Hygiene in Marburg. 1904 gründete er die Behring-Werke in Marburg. SHIBASABURO KITASATO (1852–1931), Arzt, 1885 bis 1892 bei Robert Koch in Berlin, wies 1889 den Tetanuserreger in Reinkultur nach, nach seiner Rückkehr Professor für Bakteriologie und einer der bedeutendsten japanischen Forscher und Gesundheitspolitiker. Vgl. Lohff (2001), S. 46–47; Eckart/Gradmann (2006), S. 191–192. 10 PAUL EHRLICH (1854–1915) wurde unmittelbar nach seinem Medizinstudium aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfolge Oberarzt in Berlin, 1882 Titularprofessor, 1887 Habilitation, danach ao. Prof. und leitender Anstaltsarzt an der Charité. 1890 wurde er Mitarbeiter von Koch am Institut für Infektionskrankheiten und erhielt 1908 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Serumtherapie und Immunologie zusammen mit Metschnikow den Nobelpreis. Ab 1898 entstanden seine chemotherapeutischen Arbeiten. 1909 entdeckte er das Salvarsan. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 105–106. Vgl. zur Entdeckung des Salvarsan: Eckart (2004), S. 327–329.

2.1. Die Suche nach einer wirksamen Therapie

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mehr auf, war aber in der Sowjetunion und Polen endemisch und daher vor allem in Kriegszeiten gefürchtet.11 Die von Koch in den Jahren nach 1882 hergestellte und 1890 unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit präsentierte „Koch’sche Lymphe“12 verfehlte als Medikament gegen die Tuberkulose seine Wirkung.13 Das „Koch’sche Tuberkulin“, wie es ab etwa 1891 genannt wurde, war als Impfung bei Neuerkrankten konzipiert. Es sollte die Abwehrkräfte des Körpers aktivieren und so die Ausbreitung der Krankheit verhindern. Durch die Eigenschaft des Tuberkulin, bei einer vorherigen Infektion eine Hautreaktion hervorzurufen, ließ sich eine Erkrankung eindeutig und mit geringem Aufwand feststellen. Es wurde 1907 von Clemens von Pirquet als Diagnostikum eingeführt und wird bis heute verwendet.14 Koch experimentierte in den folgenden Jahren noch mit verschiedenen Methoden zur Herstellung eines Präparats, hatte jedoch keinen Erfolg.15 In der Diskussion um den bovinen Stamm der Tuberkulose, das Mycobacterium bovis, unterlief Koch ein schwerwiegender Fehler. Er unterschätzte dessen Gefährlichkeit für den Menschen.16 Noch 1882 warnte er selbst vor dem Bazillus, der von an Rindertuberkulose (Perlsucht) leidenden Rindern und Schweinen durch Fleisch oder Milch auf den Menschen übertragen wurde, als er zu bedenken gab, „dass das Uebergreifen des tuberculösen Processes auf die Milchdrüsen von Thierärzten nicht selten beobachtet“ wurde und „dass sich in solchen Fällen das Tuberkelvirus der Milch unmittelbar bei mischen kann. [...] Die Perlsucht ist identisch mit der Tuberkulose des Menschen. [...] Mag nun die Gefahr, welche aus dem Genuss von perlsüchtigem Fleisch oder Milch resultirt [sic], noch so gross oder noch so klein sein, vorhanden ist sie und muss deswegen vermieden werden.“17

1901 erklärte Koch hingegen, dass die Rindertuberkulose keine Gefahr für den Menschen darstellte, obwohl inzwischen auch andere Wissenschaftler seine ursprüngliche Vermutung bestätigten.18 Grund für diese fatale Kehrtwende war die Entdeckung eines Bazillus, der pseudotuberkulöse Symptome auslöste, jedoch nur einen Teil der in der Milch befindlichen Bazillen ausmachte. Lydia RabinowitschKempner19 und Emil von Behring distanzierten sich von Kochs Ansichten und tra11 Vgl. Leven (1990); Weindling (2000), S. 111–138 sowie Weindling (1997), S. 326 und 338. 12 Zur Geschichte der Bezeichnung des Tuberkulin vgl. Brock (1988), S. 212. 13 Zu Robert Koch und der Entdeckung des Tuberkulin vgl. Gorsboth/Wagner (1988), Gradmann (2000) und Gradmann (2001). 14 Vgl. Weindling (1989), S. 163. 15 Vgl. Gradmann (2005), S. 134–170. 16 Vgl. ebd., S. 165–166. 17 Koch (1882). 18 Vgl. Johne (1883) sowie Stein (1884). 19 LYDIA RABINOWITSCH-KEMPNER (1871–1935), Biologin und international bekannte Tuberkuloseforscherin, promovierte 1894 in Bern, war 1894 bis 1903 Mitarbeiterin von Robert Koch, seit 1912 Professorin, 1920 bis 1930 Leiterin des bakteriologischen Instituts der Charité. Sie wurde als Jüdin 1934 aus allen Funktionen entlassen. Ihr Sohn Robert Kempner (1899–1993) war beim Internationalen Gerichtshof in Nürnberg Anklagevertreter gegen Wilhelm Frick, Richter im Ärzteprozess und Hauptankläger im Wilhelmstraßen-Prozess. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 268–269.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

ten für eine konsequente Milchhygiene ein.20 Rabinowitsch-Kempner musste wegen ihrer Position sogar eine Verzögerung ihrer Karriere in Kauf nehmen. Behring schätzte die Zahl der Infektionen durch die Milch erkrankter Rinder sehr hoch ein und glaubte, die Lösung des Problems beim Menschen ließe sich durch eine Ausrottung der Rindertuberkulose herbeiführen. Nahezu die Hälfte der Primärinfekte bei Kleinkindern wurde noch 1937 auf verseuchte Milch zurückgeführt.21 In den 1930er Jahren war in Deutschland jedes dritte Rind tuberkulinpositiv, eine Quote, die bis 1950 unverändert blieb und seitens der Veterinäre in der Nachkriegszeit zur Forderung nach Keulung zahlreicher Rinder führte.22 2.1.2. Die BCG-Impfung Die Suche nach einem Wirkstoff zur Bekämpfung der Tuberkulose ging in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in zwei Richtungen: die Forschung zur Entwicklung eines Impfstoffes und die zur Entwicklung eines Medikaments, also eines Antituberkulotikums. Während Letzteres erst in den 1940er Jahren entdeckt wurde, fanden die französischen Wissenschaftler Léon Charles Albert Calmette und Camille Guérin23 1921 eine Möglichkeit, Neugeborene wirksam durch eine Impfung vor der Infektion im Kindesalter zu schützen. Sie bot jedoch nur Schutz, wenn sie bald nach der Geburt, vor dem ersten Kontakt des Kindes mit Tuberkulosebazillen gegeben wurde. Als Impfstoff gegen die häufigste Form der Krankheit, die Lungentuberkulose der Erwachsenen, war sie ungeeignet.24 Die nach Calmette und Guérin benannte BCG-Impfung bestand aus einem apathogenen Stamm von Mycobacterium bovis und wurde oral verabreicht. Bis Mai 1930 waren in Frankreich 573 Kinder geimpft worden, neben weiteren in Mexiko und Riga. In Deutschland wurde die Impfung von führenden Pädiatern und Tuberkuloseärzten allgemein skeptisch betrachtet. Entgegen der Meinung der Mehrheit entschieden sich Ärzte der Stadt Lübeck Ende der 1920er Jahre, die Impfung einzuführen. Hierbei kam es mangels fachlicher Qualifikation der Beteiligten zu einer Verunreinigung des Impfstoffes mit einem virulenten und damit gefährlichen 20 Vgl. auch Orland (2001). Zu welchen, heute obskur anmutenden Bemühungen diese Erkenntnis führte, zeigt Sigrid Stöckel: Säuglingen wurde mit Formaldehyd versetzte Milch verabreicht, da das Desinfektionsmittel in Wohnungen [sic] mit Erfolg angewandt wurde. Dem lag das zeitgenössische Konzept zugrunde, nach dem Hygiene mit Desinfektion gleichgesetzt wurde. Vgl. Stöckel (1996), S. 131–132. 21 Vgl. Rössle (1942), S. 141. 22 Vgl. Nieberle (1942), S. 155, Kleinschmidt (1950), S. 10. HANS KLEINSCHMIDT (1885– 1977), Pädiater, folgte Georg Bessau 1944 kurzzeitig als kommissarischer Leiter der Kinderklinik der Charité Berlin, nach 1945 Ordinarius in Göttingen. Vgl. Beddies (2008), S. 123. 23 LÉON CHARLES ALBERT CALMETTE (1863–1933), Bakteriologe und Immunforscher, der 1915/16 zusammen mit seinem Mitarbeiter CAMILLE GUÉRIN (1872–1961) einen Tuberkulose-Impfstoff entwickelte, der 1921/22 in ersten klinischen Versuchen erprobt wurde. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 72. 24 Vgl. Kaufmann (2002).

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Bakterienstamm. Von den 256 geimpften Kindern starben 77 im ersten Lebensjahr an Tuberkulose, 131 weitere erkrankten.25 Die Vorfälle lösten bei Ärzten und in der Bevölkerung Bestürzung aus. Die Zeitgenossen sahen in der mit vielen Fehlern behafteten Impfaktion einen medizinischen Versuch an Kindern, da die Impfung nicht als etablierte Methode galt. Weitere Impfungen wurden in Deutschland nicht durchgeführt. Im Zuge der Durchsetzung restriktiver Maßnahmen der Tuberkulosebekämpfung nach 1933 wurde die BCG-Impfung zwar in Erwägung gezogen, eine Einführung jedoch immer wieder zurückgestellt. Durch die Impfkatastrophe von Lübeck, die der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Julius Moses26 als „Totentanz von Lübeck“ bezeichnete, wurde eine wirksame Maßnahme zur Verhütung der Tuberkulose in Deutschland um nahezu zwei Jahrzehnte verzögert. Im Januar 1945 wurde die BCG-Impfung auf Anraten des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses auf freiwilliger Basis gestattet.27 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie in beiden deutschen Staaten flächendeckend eingeführt. 2.1.3. Friedmann-Mittel Zu den bekanntesten Mitteln der 1920er und 30er Jahre zählte das von dem Berliner Arzt Friedrich F. Friedmann aus Schildkrötentuberkelbazillen gewonnene so genannte „Friedmann-Mittel“. Die Schildkrötentuberkelbazillen entnahm er Schildkröten, die im Berliner Zoo gestorben waren. Das „Friedmann-Mittel“ sollte wie der BCG-Impfstoff eine Immunität erzeugen. Friedmann hoffte, dass der Erreger der Tuberkulose bei Schildkröten dem der Tuberkulose beim Menschen so ähnlich sei, dass er eine Immunabwehr aktivieren würde, aber doch so verschieden, dass er für die damit geimpften Menschen unschädlich wäre. Wegen der großen Ähnlichkeit zum Koch’schen Tuberkulin bezeichnet Issekutz es auch als „Tuberkulin Friedmann“.28 Dabei hatte Friedmann richtig erkannt, dass Mycobakterien außerordentlich wirksame Stimulatoren der Immunabwehr sind. Sie regen nicht nur die spezifische, also auf die Tuberkulose selbst bezogene Immunabwehr an, sondern auch die unspezifische.29 Da Friedmann überaus geschäfts25 Vgl. Hahn (1995) sowie Eckart/Reuland (2006). Bruno Lange, Leiter der Seuchenabteilung des Robert-Koch-Instituts, wurde mit der offiziellen Untersuchung der Ereignisse in Lübeck beauftragt. Vgl. Lange (1931a) und Lange (1931b). BRUNO LANGE (1885–1942), Absolvent der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen, seit 1920 Mitarbeiter des RKI, 1925 Abteilungsleiter und Professor, 1936 von der Seuchen- in die Tuberkuloseabteilung versetzt. Vgl. Gildemeister (1943), S. 20–21; Hubenstorf (1994), S. 409. 26 JULIUS MOSES (1868–1942), studierte in Greifswald, 1893 Eröffnung einer eigenen Praxis in Berlin, Mitglied der SPD, MdR 1920–1932. 1933 Inhaftierung, 1938 Entzug der Zulassung, nach Theresienstadt deportiert und dort verstorben. Engelhardt (2002), S. 420. 27 Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 15. Januar 1945: Tuberkulose-Schutzimpfung, MBliV. 1945, Nr. 4, Sp. 89–92. 28 Issekutz (1971), S. 528. 29 Vgl. Kaufmann (2002).

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tüchtig war, konnte er mit seinem Mittel in Deutschland und auf einer Reise durch die USA unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit zahlreiche Patienten behandeln. Seine Erfindung war jedoch von Anfang an umstritten, zunächst, weil er es ohne ausreichende Erfahrung und Zustimmung an Kindern eines Waisenhauses in Berlin-Rummelsburg erprobte, später, weil sich trotz der großen Zahl der freiwillig Behandelten kein erkennbarer Erfolg einstellte. Die von Friedmann in Deutschland gegründete Firma wurde in den 1930er Jahren geschlossen. Er musste wegen seiner jüdischen Herkunft emigrierten und ging in die Schweiz.30 2.1.4. Impfversuche an Kindern in der Psychiatrie In den Jahren des Zweiten Weltkriegs nahmen die Initiativen zur Entwicklung eines eigenen, vom BCG verschiedenen Impfstoffes in Deutschland zu. Wie Cranach, Siemen,31 Beddies und Schmiedebach32 sowie Dahl33 und Schweizer-Martinschek34 in den letzten Jahren beschrieben haben, wurden die Insassen von Heilund Pflegeanstalten bei Versuchen zur Erprobung neuer Impfstoffe missbraucht – ein Vorgehen, das sich nahtlos in die mörderischen Aktivitäten in den Zwangsasylierungsabteilungen und der Psychiatrie einfügte. Beddies rekonstruiert darüber hinaus die reibungslose Zusammenarbeit des Ordinarius für Kinderheilkunde der Berliner Universität, Georg Bessau,35 mit dem so genannten „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“, der Tarnorganisation zur Ermordung behinderter Kinder.36 Kinder, die in den „Euthanasie“-Anstalten ermordet werden sollten, wurden von Bessau mit abgetöteten Tuberkelbazillen geimpft. Durch die Wahl einer passenden „Hüllsubstanz“, mit welcher der Erreger in den Körper gebracht werden sollte, wollte Bessau eine Reaktion hervorrufen, die der Tuberkulose glich, aber keinen progressiven Prozess darstellte. Bessaus Theorie besaß wissenschaftliche Relevanz, auch international wurde zu dieser Fragestellung geforscht.37 Gleichzeitig arbeitete Bessaus Schüler, Georg Hensel,38 leitender Arzt der Kinderheil30 31 32 33 34 35 36 37 38

Vgl. Werner (2002). Cranach (1999). Beddies/Schmiedebach (2004). Dahl (2002). Schweizer-Martinschek (2004). Für die Hinweise auf die Arbeiten von Dahl und SchweizerMartinschek danke ich Thomas Beddies. GEORG BESSAU (1884–1944), studierte in Breslau, Würzburg und Bern. 1909 Promotion, 1915 Habilitation, ab 1922 Ordinarius für Kinderheilkunde in Leipzig, seit 1932 in Berlin. Vgl. Beddies/Schmiedebach (2004), S. 171. Vgl. zum „Reichsausschuß“ auch Benzenhöfer (2000) sowie Beddies/Schmiedebach (2002), S. 137–157. Vgl. Beddies/Schmiedebach (2004), S. 179–180. GEORG HENSEL (1908–1979), seit 1939 Oberarzt der Kinderheilstätte Mittelberg bei Oy im Allgäu. Die 1921 gegründete Heilstätte galt als wichtigste Spezialklinik für tuberkulosekranke Kinder. 1940 habilitierte sich Hensel mit einer Arbeit über die von ihm erprobte TbcSchutzimpfung. 1946 wurde er Direktor der Lungenheilstätte Lautrach bei Memmingen.

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stätte Mittelberg, an einer anderen Hüllsubstanz, in diesem Fall Lanolinöl, die er Kindern der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren einspritzte. Die Patienten Hensels bekamen, wie auch die von Bessau „behandelten“ Kinder, teilweise große Abszesse und hatten starke Schmerzen. Einige von ihnen starben an den Folgen der Versuche, u.a. an Tuberkulose. Hensel publizierte die Ergebnisse der Versuche in einer renommierten Fachzeitschrift, den „Beiträgen zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung“. Den Aufsatz „illustrierte“ er durch zwei Fotos, die als Opfer seiner Versuche zwei abgemagerte Kinder zeigen.39 Niemand schien daran Anstoß zu nehmen. Bessau unterstützte außerdem Versuche, die zur Erprobung eines TuberkulinPflasters bei Bruno Lange am Robert-Koch-Institut durchgeführt wurden, indem er Kinder aus seiner Klinik zur Verfügung stellte. Er habe, wie er an Hans Reiter, den Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes schrieb, sein „Kindermaterial“ zur Verfügung gestellt, selbst aber „keinen Einblick in diese Untersuchungen gehabt“.40 Sowohl Bessau als auch Hensel waren keine Außenseiter ihres Faches. Zu den Versuchen hieß es in einem Vermerk zur Sitzung des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses (RTA) vom 7. August 1944 lapidar: „Der RMdI. hat die Behandlung der Lungentuberkulose durch Einimpfung lebender Tuberkel-Bazillen [...] nachprüfen lassen und beabsichtigt, weitere Versuche in verschiedenen Kliniken und von in dieser Behandlungsart bereits erfahrenen Ärzten. Die Letzteren erhalten ihre Erlaubnis nach Anhörung des RTA.“41

Bessau und Hensel sind ein Beispiel dafür, wie ärztliche Forschungsethik im universitären Unterricht vermittelt wurde. Bessau unternahm nicht nur die beschriebenen Impfversuche, er hatte u.a. bereits nach dem Ersten Weltkrieg fragwürdige Versuche zur Entwicklung einer künstlichen Säuglingsnahrung durchgeführt. Ein weiterer Bessau-Schüler, der in den frühen 1920er Jahren Assistent bei ihm in Leipzig war und ihm als Ordinarius für Pädiatrie an der Leipziger Universitätsklinik nachfolgte, war der Kinder-„Euthanasie“-Gutachter Werner Catel. Dieser experimentierte noch 1947/48 an tuberkulosekranken Kindern.42

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41 42

Auch nach seiner Pensionierung betreute er dort weiterhin Tuberkulosepatienten. Er wurde dafür strafrechtlich nicht belangt. Vgl. Schweizer-Martinschek (2008). Vgl. Hensel (1943) sowie Abbildung 1. Georg Bessau an Hans Reiter, Schreiben vom 3. Februar 1943, BArchB R 86/3992, Bl. 1660. Der Begriff „Kindermaterial“ war bereits zu dieser Zeit umstritten, wie Seyfarth zeigte. Carly Seyfarth war Professor für Innere Medizin an der Universität Leipzig und verfasste einen „Ärzte-Knigge“, in dem er sich mit ethischen Fragen ärztlichen Handels im Krankenhaus beschäftigte. Im Anhang publizierte er die „Richtlinien für neuartige Heilbehandlungen und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ von 1931. Das Buch erschien bis zum Beginn der 1940er Jahre in mehreren Auflagen. Vgl. Seyfarth (1935), S. 11. BArchB R 96 II, Band 3, Bl. 22. Vgl. Schultz (1985), Gerst (2000). WERNER CATEL (1894–1981), seit 1947 Leiter der Kinderheilstätte Mammolshöhe im Taunus, 1954 bis 1960 Ordinarius für Kinderheilkunde in Kiel. Catels Schüler Claus Simon vergab als Professor für Kinderheilkunde in Kiel Dissertationsthemen, deren damit verbundene Versuche die Deklarationen von Helsinki und Tokio verletzten. Vgl. Schultz (1985).

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2.1.5. Kupfer- und Goldpräparate Auf dem Gebiet der Forschung eines Antituberkulotikums wurde seit Kochs Fehlschlag mit dem Tuberkulin viel geforscht, seit Beginn der 1930er Jahre sogar bevorzugt dort, da eine Impfung seit dem Lübecker Impfunglück nur schwer zu vermitteln war. Bereits 1903 hatte Emil von Behring den Gedanken angestoßen, es müsste eine „Chemotherapie“ geben, einen chemischen, körperfremden Stoff, der, wie auch Paul Ehrlich annahm, den Krankheitserreger im befallenen Organismus beeinflussen könnte. Behring verstand darunter in erster Linie ein Antitoxin wie er es für Diphtherie und Tetanus hatte gewinnen können.43 Ehrlich forschte nach einer chemischen Verbindung, die die Spirochaeta pallida der Syphilis binden und zerstören würde. Nach dem Test mehrerer hundert chemischer Verbindungen wurde er fündig: Die 606. Kombination stellte sich als wirksam heraus. Sie wurde als „Salvarsan“ bezeichnet. Das ebenfalls von ihm erprobte, weniger toxische Neosalvarsan blieb bis zur Entdeckung des Penicillin das wichtigste Mittel gegen Syphilis. Ebenso hatte Robert Koch mit anorganischen Verbindungen experimentiert, die eine chemische Therapie ermöglichen sollten. In einem Vortrag über bakteriologische Forschung aus dem Jahr 1890 zählte er zahlreiche Stoffe auf, die nach seinen Ergebnissen das Wachstum der Tuberkelbazillen in vitro hemmen: ätherische Öle, einige Teerfarben wie Fuchsin, Gentianaviolett, Methylenblau, Chinolingelb und Anilingelb. Daneben gab er verschiedene Metalle an, so beispielsweise Quecksilber, Silber und Gold.44 Vor allem die genannten Metallverbindungen fanden in der Folge Eingang in die Tuberkulosetherapie. Außerdem wurden weitere, teilweise hochtoxische Stoffe wie Mangan, Kadmium, Antimon, Wismut, Arsen, Selen und Tellur verwendet.45 Mit Ausnahme von Kupfer- und Goldverbindungen kamen sie jedoch nicht zur breiteren Anwendung. Die Kupferbehandlung wurde bereits 1885 von dem französischen Arzt Alfred Luton46 durchgeführt. In Deutschland wurde sie besonders von Maria von Linden47 befürwortet. Linden experimentierte als Parasitologin mit verschiedenen Kupferverbindungen bei unterschiedlichen Erkrankungen von Tier und Mensch. Sie hatte zunächst von Nematoden befallene Schafe mit Kupfersalzen behandelt. 43 Behring wurde am 4. Dezember 1940 mit einer „Behringfeier“ in Marburg als Repräsentant einer „deutschen Wissenschaft“ geehrt, der es an Pathos nicht mangelte. Um so bedauerlicher wurde von mehreren Festrednern empfunden, dass es Behring nicht gelungen war, ein Medikament gegen Tuberkulose zu finden. Vgl. Philipps-Universität Marburg an der Lahn (1942). 44 Koch (1890), S. 108. 45 Vgl. Redeker (1939), S. 40. 46 ALFRED LUTON (1830–1896) war Professor für klinische Medizin an der École de Médicine in Reims. 47 MARIA Gräfin von LINDEN (1869–1936), Studium an der Universität Tübingen, Dr. rer. nat. 1895, 1896 bis 1908 wissenschaftliche Assistentin an den Universitäten Tübingen und Bonn. 1908 wurde ihr als erste Frau in Deutschland eine Professur verliehen. Sie wurde gleichzeitig Leiterin des neu geschaffenen Parasitologischen Instituts in Bonn. 1933 wurde sie aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen. Vgl. Junginger (1991b).

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Ihr Wunsch, „die Kupferbehandlung bei Nematodenerkrankungen weiter auszuarbeiten als es bei einem so beschränkten Menschenmaterial möglich ist“, führte sie zu Versuchen mit Meerschweinchen.48 Auch hier sah sie gute Erfolge und ging zur Erforschung der Tuberkulose über, wobei sie mit Tuberkulose infizierten Tieren Kupfer hochdosiert, u.a. in Form von Methylenblau gab. Versuche an Menschen erbrachten, dass eine derart große Dosis Kupfer erhebliche Schmerzen verursachte, aber keine Auswirkung auf den Krankheitsverlauf zeigte. Bei Lupus vulgaris hingegen wollte Linden in zahlreichen Fällen eine völlige Heilung beobachtet haben.49 Obwohl die Behauptung nicht aufrechterhalten werden konnte, hatte Lindens überaus positive Beurteilung großen Einfluss.50 Die Kupferbehandlung wurde noch in den 1930er Jahren angewandt.51 Erfolgversprechender schien lange Zeit die Verwendung von Goldverbindungen, die auch von Koch empfohlen worden war. Paul Uhlenhuth soll, so der Tuberkuloseforscher Bochalli, auf einer Tagung 1926 hervorgehoben haben, Kochs „erster Gedanke nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus“ sei die „‘Chemotherapia magna sterilisans‘ durch Gold“ gewesen.52 Der Berliner Pharmakologe Eugen Oscar Liebreich53 hatte jedoch bereits in den 1890er Jahren die Wirkung des Kantharidins entdeckt, eines Goldzyans. Das damit verwandte Aurokantan wurde durch den Chemiker Adolf Feldt (1879–1944) und den Arzt Gustav Spieß54 als Medikament eingesetzt. Beide entwickelten 1917 das Krysolgan, das als frei von Nebenwirkungen galt, und verabreichten es an Tausende von Patienten, die u.a. an Lungen-, Nieren-, Augen- und Kehlkopftuberkulose litten.55 In der Euphorie, die das vermeintlich sichere Heilmittel auslöste, ignorierte man die schweren Leberund Nierenschäden, die bei der Behandlung auftraten. Das Sanocrysin, ebenfalls ein Goldpräparat, das der dänische Chemiker Holger Möllgaard seit 1924 anwandte, war angeblich bei Rindern, die an Perlsucht 48 49 50 51 52

Linden (1917b), S. 67. Vgl. Linden (1917a). Vgl. Junginger (1991b). Vgl. Redeker (1939), S. 44. Bochalli (1958), S. 30. Bochalli, selbst sein Leben lang Tuberkulosearzt und Forscher, referierte ausgesprochen unkritisch die Arbeiten seiner Kollegen. Ärzte wie Catel (S. 34), Bessau (S. 30) und Hamburger (S. 32–33) sind für ihn anerkannte Wissenschaftler, trotz ihrer Gutachtertätigkeit in der Kinder-„Euthanasie“ bzw. Versuchen an behinderten Kindern. Bochalli benennt sogar die Ergebnisse Bessaus aus den Kinderversuchen. Sie waren ihm offensichtlich bekannt. 53 OSCAR LIEBREICH (1839–1908), seit 1867 Assistent am Pathologischen Institut der Berliner Universität, habilitierte sich 1868 für Pharmakologie und wurde 1872 Professor. Er gründete das Pharmakologische Institut, lehrte an der militärärztlichen Bildungsanstalt, der späteren Kaiser-Wilhelm-Akademie, und war seit 1888 Mitglied der Leopoldina. Vgl. Engelhardt (2002), S. 377. 54 GUSTAV SPIEß (1862–1948), 1890 promoviert, Schüler von Moritz Schmidt-Metzler, seit 1914 in Frankfurt am Main Professor für Hals-Nasenheilkunde, im Ersten Weltkrieg Lazarettarzt. Er beschäftigte sich u.a. mit Röntgendiagnostik und -therapie sowie Kehlkopftuberkulose. Vgl. Engelhardt (2002), S. 591. 55 Vgl. Redeker (1939), S. 47–48.

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litten, wirksam.56 Mit Sanocrysin wurde gleichzeitig der erste randomisierte Test eines Medikaments durchgeführt. Es handelte sich um eine Studie, die Amberson, McMahon und Pinner 1926/27 in einem Sanatorium in Northville, Michigan, an 24 Patienten mit Lungentuberkulose durchführten, von denen zwölf Probanden das Medikament und zwölf Probanden ein Placebo erhielten.57 Die SanocrysinPatienten litten an schweren Vergiftungen, die teilweise tödlich endeten. Eine Besserung der Tuberkulose konnte hingegen nicht festgestellt werden. Sowohl das Krysolgan als auch das Sanocrysin erwiesen sich als unwirksam. Die Goldbehandlung habe, so der Schweizer Lungenarzt und Tuberkuloseforscher Ernesto Rubino Mordasini, „während zweier Jahrzehnte die ganze Tuberkulosetherapie dominiert“.58 Erst in den späten 1930er Jahren wandten sich Ärzte von dieser Behandlung ab. Issekutz führt außerdem an, dass das schon 1832 von Reichenbach aus Buchenholzteer destillierte Kreosot Ende des 19. Jahrhunderts sehr populär war, vor allem in Form von kresolsulfosaurem Calcium als Sirup, der unter dem Namen „Kresival“ vertrieben wurde. Auch Jodsalze wurden bis in die 1920er Jahre häufig angewandt, und zwar nicht nur äußerlich bei Hauttuberkulose, sondern bemerkenswerter Weise auch innerlich.59 Der Mangel an einem wirksamen Therapeutikum ließ viele Ärzte zur Anwendung wirkungsloser Substanzen neigen, da sie die Erfahrung machten, dass sich der Zustand der Patienten zumindest nicht verschlechterte, solange sie therapiert wurden. In diesem Zusammenhang sind auch die Versuche einer Kieselsäuretherapie der Lungentuberkulose mit Silogran einzuordnen. Mit dem Mittel wurden über 100 Patienten in Heilstätten und ambulant behandelt, ohne dass sich ein sichtbarer Erfolg einstellte.60 Gleiches galt für die Versuche mit dem Lezithinpräparat Lepetin.61 In der Schweiz verabreichten Ärzte ein Mittel aus dem Wirkstoff der Papayafrucht, das die Fettverdauung verbesserte, so dass die Patienten zunahmen, wenn die Erkrankung sonst nicht positiv beeinflusst werden konnte.62 Keines der vielen Medikamente stellte, rückblickend betrachtet, den Durchbruch in der Tuberkuloseforschung dar. Eine erheblich größere Rolle spielten die thoraxchirurgischen Therapieverfahren, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden. Diese Methode wurde meist in Lungenheilstätten angewandt. Dazu zählten vor allem der artifizielle Pneumothorax, die Phrenikotomie, die Thorakoplastik sowie die Lungenresektion. Insbesondere auf die Pneumothorax-Therapie soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden, da es in den Versuchen im Konzentrationslager Sachsenhausen Anwendung fand. Der Pneumothorax war der mit Abstand häufigste chirurgische Eingriff. Hierbei wurde durch eine Hohlnadel ein Gas in den Brustraum ge56 57 58 59 60 61 62

Möllgaard (1925). Vgl. Amberson et al. (1931). Mordasini (1954), S. 9. Vgl. Issekutz (1971), S. 526–527. Vgl. Bühler/Sander (1939). Vgl. Holzhausen (1939). Vgl. Marti (1940), S. 94.

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leitet (Stickstoff, Sauerstoff, Raumluft oder Kohlendioxyd). Dadurch fiel der betroffene Lungenflügel in sich zusammen und war ruhiggestellt. Als wissenschaftlicher Begründer dieser Therapie gilt der Internist und langjährige Direktor des Krankenhauses Hamburg-Eppendorf, Ludolf Brauer.63 Carlo Forlanini (1847– 1918) entwickelte vor dem Ersten Weltkrieg einen Pneumothorax-Apparat, mit dem er den Druck im Inneren des Brustkorbs und die Menge des eingeströmten Gases kontrollieren konnte. War das Gas nach einiger Zeit entwichen, wurde erneut nachgefüllt. In einzelnen Sanatorien und Heilstätten erhielten bis zu 95% der Patienten eine so genannte „Gasbrust“, die im Abstand von etwa acht Tagen erneuert wurde, so dass sie gelegentlich auch als „Pneumothoraxfabriken“ bezeichnet wurden.64 2.1.6. Der Durchbruch: Conteben, Streptomycin und PAS Eine wirksame medikamentöse Therapie der Tuberkulose wurde erst 1944 mit der Isolierung des Antibiotikums Streptomycin durch Selman Abraham Waksman65 gefunden. Waksman arbeitete am Rutgers College of Agriculture in New Jersey. Nach Tierversuchen an der Mayo-Klinik in Minnesota wurden dort bereits ab 1946 die ersten Patienten mit dem neuen Wirkstoff behandelt. Selbst Patienten mit schwerer Tuberkulose konnten geheilt werden. Zur gleichen Zeit arbeitete Gerhard Domagk,66 Leiter des Instituts für Experimentelle Pathologie und Bakteriologie der Bayer-Werke in Elberfeld, an der Prüfung von Thiosemicarbazonen. Er hatte eine Reihe von Sulfonamiden auf ihre Wirkung auf Tuberkelbazillen unter63 LUDOLPH BRAUER (1865–1951), Internist, studierte in Bonn, Marburg und München und wurde 1882 promoviert. 1897 habilitierte er sich in Heidelberg. Seit 1910 war er Direktor des Krankenhauses Hamburg-Eppendorf, wurde 1934 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er als politisch unzuverlässig galt. Vgl. Engelhardt (2002), S. 75, Bussche (1989), S. 56 sowie Bussche (1990), S. 103. 64 Teschner (1999), S. 10–11. 65 SELMAN ABRAHAM WAKSMAN (1888–1973), wuchs in Priluka (heute Polen) auf und emigrierte nach dem Abitur in die USA, wo er Agrarwissenschaften und Mikrobiologie studierte. 1918 promovierte er in Berkeley mit einer biochemischen Arbeit. Er wurde 1930 Professor an der Rutgers University in New Jersey und 1949 Direktor des Instituts für Mikrobiologie. Seit den 1930er Jahren untersuchte er in seinen vielseitigen Forschungen u.a. die antibiotische Qualität des Bodens. 1943 gelang es ihm, zusammen mit seinem Mitarbeiter Albert Schatz, das Streptomycin zu isolieren. 1952 erhielt Waksman den Nobelpreis für Medizin. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 336. 66 GERHARD DOMAGK (1895–1964), studierte in Kiel Medizin und wurde dort promoviert. 1924 habilitierte er sich in Greifswald für das Fach Pathologische Anatomie. 1925 wechselte er nach Münster, wo er 1928 zum ao. Professor ernannt wurde. 1927 ging Domagk an das Chemotherapeutische Institut der IG Farben nach Elberfeld. Als Leiter der Abteilung für Experimentelle Pathologie und Bakteriologie gelang ihm 1932 der Nachweis der antibakteriellen Wirkung eines Sulfonamids, das Prontosil genannt wurde. 1939 erhielt Domagk dafür den Nobelpreis für Medizin, durfte diesen jedoch aus politischen Gründen nicht annehmen. 1958 beendete er seine Forschung in der Industrie und wurde Professor an der Universität Münster. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 99–100.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

sucht. Dabei ergab sich, dass einige thiodiazolhaltigen Sulfonamide das Wachstum der Tuberkelbazillen hemmen konnten. Dadurch wurde sein Interesse auf die Thiosemikarbazone gelenkt. Kurz nach Kriegsende befand Domagk vor allem eine Verbindung als brauchbar: „TB I“, das den Wirkstoffnamen „Conteben“ erhielt.67 Nach Selbstversuchen überzeugte er den Direktor der Lupusheilstätte Hornheide in Münster davon, eine Patientin behandeln zu dürfen, die an schwerer Hauttuberkulose des Gesichts litt. Die Patientin konnte geheilt werden.68 Ebenfalls zeitgleich erkannte in Schweden Jörgen Lehmann die tuberkulostatische Wirkung der Paraaminosalicylsäure (PAS). Er verabreichte es erstmalig 1944 einem Kind mit meningitischer Tuberkulose mit Erfolg.69 Als bevorzugte Therapie kristallisierte sich eine Kombination von Streptomycin und PAS heraus. Bei resistenten Erregern kam Conteben zum Einsatz. Das Conteben erwies sich jedoch in den folgenden Jahren als toxisch. Es wurde durch den Wirkstoff Isonicotinsäurehydrazid ersetzt, der unter dem Namen „Neoteben“ vertrieben wurde. Die Tuberkulosesterblichkeit ging daraufhin erheblich zurück. Der beeindruckende Erfolg der medikamentösen Therapie führte allerdings auch dazu, dass die Grundlagenforschung zum Mycobacterium tuberculosis nur wenig vorangetrieben wurde. Die Zunahme von arzneimittelresistenten Tuberkulose-Stämmen hat stark zugenommen und erschwert die herkömmliche Therapie. Tuberkulose ist noch immer die weltweit häufigste zum Tode führende bakterielle Infektionskrankheit. Jeden Tag erkranken mehr als 20.000 Menschen, etwa 5.000 Menschen sterben täglich daran. Die meisten Erkrankten leben in Entwicklungsländern, aber auch in Indien und China. In Deutschland ist die Zahl der Erkrankungen seit Jahren rückläufig. 2008 waren es 4.543 Fälle. Auffallend ist mit Blick auf die Analyse nach der Staatsangehörigkeit ein deutlicher Unterschied im Erkrankungsrisiko. Die Inzidenz war 2007 bei ausländischen Staatsangehörigen etwa fünfmal so hoch wie bei Deutschen. 43,1% der Erkrankten waren nicht in Deutschland geboren, sondern stammten vorwiegend aus Ländern Osteuropas.70 Da besonders in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion die Zahl der Neuerkrankungen in den letzten Jahren stark zugenommen hat, muss aufgrund der Migrationsströme auch hier mit einem Anstieg gerechnet werden.71

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Vgl. Müller-Jahncke et al. (2005), S. 223–224; Verg (1988), S. 272–277 und S. 322–325. Vgl. Grundmann, E. (2001), S. 107–109. Vgl. Mordasini (1954), S. 34–37. Robert-Koch-Institut (2010), S. 7. Vgl. Tuberkulose (2006), S. 7 und 15–16.

2.2. Entwicklung und Grenzen der Sozialhygiene

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2.2. ENTWICKLUNG UND GRENZEN DER SOZIALHYGIENE 2.2.1. Alfred Grotjahn: Soziale Verhältnisse als Ursache von Krankheit Seit Robert Koch 1882 bekannt gab, er habe den Erreger der Tuberkulose, das Mycobacterium tuberculosis, entdeckt, kam die Hoffnung auf, dass nun innerhalb weniger Jahre eine gezielte medikamentöse Therapie gefunden würde, mit der Tuberkulosekranke geheilt werden könnten. Zwar war der Erreger genau bekannt, auf Grund seiner außerordentlichen Resistenz zeigten sich jedoch Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines geeigneten Medikaments. Bei der Therapie der Tuberkulose ließen sich daher keine großen Erfolge verzeichnen. Die Wissenslücke zwischen den bereits vorhandenen Diagnosemöglichkeiten und der mangelnden Kenntnis einer Therapie förderte die Spekulationen um das Wesen der Tuberkulose und mobilisierte breite Kreise der Gesellschaft, Gesundheits- und Sozialpolitiker sowie die Ärzteschaft. Gleichzeitig nahm das Interesse an der Tuberkulose, die zuvor als nahezu unheilbar galt, mit der Aussicht auf Heilungserfolge zu. Das Fehlen eines Medikaments wurde umso bedrohlicher empfunden, da die Bekämpfung des Tuberkuloseerregers durch Medikamente von vielen Ärzten als die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung der Gesundheit gesehen wurde. Einer der wichtigsten Verfechter dieser Vorstellung war Robert Koch selbst. Kochs erklärtes Ziel war es, sowohl die gesellschaftliche Wahrnehmung der Tuberkulose als auch deren Bekämpfung konsequent bakteriologisch zu organisieren, er lehnte sozialhygienische Maßnahmen ab.72 Wissenschaftler erkannten, dass im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten, die epidemisch auftraten, bei der endemisch auftretenden Tuberkulose nur ein Teil der Menschen, die mit großer Wahrscheinlichkeit einer Infektion ausgesetzt waren (Exposition), auch tatsächlich erkrankte. Das Auftreten der Krankheit wurde von der individuellen körperlichen Verfassung des Einzelnen (Disposition) abhängig gemacht, aber auch von Umweltbedingungen und dem daraus resultierenden Infektionsrisiko. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich neben der Bakteriologie weitere neue Disziplinen der Medizin: Sozialhygiene, Konstitutionslehre und Rassenhygiene.73 Bereits seit den 1860er Jahren widmete sich Max von Pettenkofer74 Fragen der Hygiene und untersuchten die Rolle von Wasser und Boden, aber auch von Wohnung, Kleidung und Lebensmitteln bei der Krankheitsentstehung. Rudolf Virchow engagierte sich als Arzt und Gesundheitspolitiker für Stadtsanierung, 72 Vgl. Witzler (1995), S. 171, Leven (1998), S. 165. 73 Vgl. Labisch (1991b), S. 38, Weindling (1991b). 74 MAX von PETTENKOFER (1818–1901), Chemiker, Epidemiologe, Hygieniker, 1843 Approbation als Apotheker, Labortätigkeit u.a. bei Liebig in Gießen, 1847 ao. Prof. für Chemie in München. Seit dieser Zeit beschäftigte er sich mit der chemisch-experimentellen Analyse städtischer Lebensbedingungen und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit. 1865 Professur für Hygiene in München. Als Gegner der Bakteriologie und Anhänger der Miasmen-Theorie führte er über die Cholera eine erbitterte Auseinandersetzung mit Robert Koch. Vgl. Engelhardt (2002), S. 462–463.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Schulhygiene und im Bereich der Gewerbe- und Lebensmittelhygiene für den Bau von Schlachthöfen und die Trichinenschau.75 Als Begründer der Sozialen Hygiene gilt der Berliner Arzt und Gesundheitspolitiker Alfred Grotjahn.76 Wichtige Beiträge leisteten auch Adolf Gottstein,77 Ignaz Kaup78 und Ludwig Teleky.79 Grotjahn ging davon aus, dass schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen, unzureichende Ernährung, Armut und Mangel an Bildung die Ursachen vieler Erkrankungen darstellten. In seiner Definition der Sozialen Pathologie heißt es: „Die sozialen Verhältnisse schaffen oder begünstigen die Krankheitsanlage, [...] sind Träger der Krankheitsbedingungen, [...] vermitteln die Krankheitserregung [...] [und] beeinflussen den Krankheitsverlauf.“80

Mit der Behebung sozialer Benachteiligung und der Herstellung einer gesunden Umwelt würden auch die Menschen, die in ihr lebten, gesünder, so Grotjahns Vorstellung. Er beschäftigte sich vor allem mit Sexualhygiene, Geburtenregelung, der Bekämpfung von Alkoholismus und Geschlechtskrankheiten sowie der Tuberkulose. Als niedergelassener Allgemeinarzt im Berliner Arbeiterbezirk Luisenstadt setzte er sich selbst für die praktische Umsetzung seiner Ideen ein. Im Sinne der Sozialen Pathologie ergaben sich für die Tuberkulose verschiedene Lösungsansätze. Als wichtigste Maßnahme wurde die Verbesserung der 75 RUDOLF VIRCHOW (1821–1902), Arzt und Gesundheitspolitiker, Studium an der Pépinière, danach Prosektor an der Charité, engagierte sich 1848/49 politisch, daher entlassen. Professur für Pathologie erst in Würzburg, dann in Berlin. Begründer der Zellularpathologie, 1861 Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Fortschrittspartei und Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. 1880 bis 1893 Mitglied des Deutschen Reichstags und scharfer Kritiker Bismarcks. Vgl. Goschler (2002), insbesondere S. 279–300. Zum Verhältnis zu Pettenkofer und Koch vgl. ebd., S. 290–291. 76 ALFRED GROTJAHN (1869–1931), Arzt, 1920 erster Ordinarius für Soziale Hygiene in Berlin, Sozialdemokrat und Autor des gesundheitspolitischen Programms der SPD von 1921, MdR 1921 bis 1924. Seine Lehre von der Sozialen Pathologie war stark von eugenischen Elementen durchsetzt und stellte radikale rassenhygienische Forderungen. Gleichwohl hatten seine Theorien in der Sozialmedizin der DDR eine identitätsstiftende Rolle. Vgl. Weindling (1984) und (1986), Roth (1984b) sowie Hubenstorf (1987). Vgl. auch Weindling (1987). 77 ADOLF GOTTSTEIN (1857–1941), Hygieniker, nach Studium und Promotion seit 1881 Assistent am Städtischen Krankenhaus Breslau, ließ sich 1884 in Berlin nieder und wurde 1906 Stadtrat für Hygiene, 1911 Stadtmedizinalrat in Charlottenburg, 1919 Ministerialdirektor und Leiter des preußischen Medizinalwesens, seit 1924 pensioniert. Er war seit 1925 Mitglied der Leopoldina. Vgl. Koppitz/Labisch (1999). 78 IGNAZ KAUP (1870–1944), Hygieniker, Promotion 1896, seit 1903 Gewerbehygieniker im österreichischen Handelsministerium, 1904 Habilitation, 1911 Professur an der TH Berlin, seit 1912 bis zur Emeritierung 1935 Professor für Soziale Hygiene und Sozialmedizin in München, seit 1925 Mitglied der Leopoldina. Vgl. Engelhardt (2002), S. 321. 79 LUDWIG TELEKY (1872–1957), Hygieniker, Studium der Medizin, 1896 Promotion, 1905– 1921 Arzt für Gewerbekrankheiten, 1909 Habilitation für Soziale Medizin, 1921–1933 Landesgewerbearzt und Leiter der Westdeutschen Sozialhygienischen Akademie in Düsseldorf, Mitglied des Reichsgesundheitsrates und des preußischen Landesgesundheitsrates. Er wurde 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen und emigrierte 1938 in die USA. Vgl. Engelhardt (2002), S. 622. 80 Grotjahn (1912b), S. 441.

2.2. Entwicklung und Grenzen der Sozialhygiene

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Lebensbedingungen der Arbeiter, also jener sozialen Schicht angesehen, die am häufigsten an Tuberkulose litt. Ludwig Teleky zeigte anhand von in Hamburg in den Jahren 1905 bis 1910 erhobenen Daten die Abhängigkeit der Sterblichkeit von Tuberkulosekranken und ihrem Einkommen.81

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90

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Mortalität/10000/5Jahre

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1200-2000

2000-3500

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5000-10000

10000-25000

25000-50000

50000-

Einkommen in [M]

Grafik 1:

Tuberkulosesterblichkeit pro 10.000 Einwohner in Hamburg im Verhältnis zum Einkommen

Unter den 1910 in der Berliner Charité verstorbenen Kindern stellte bei 17% Tuberkulose die Todesursache dar. Bei weiteren 8% ergab sich Tuberkulose im Nebenbefund. Tuberkulose war damit die häufigste Todesursache. Untersuchungen an Kindern in Wien durch Pirquet, Hamburger und Monti zeigten eine hohe Zahl positiver Tuberkulinreaktionen, Zeichen für eine bereits durchgemachte Tuberkuloseerkrankung.82

81 Teleky (1926), S. 123. 82 Mosse (1913), S. 559.

2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

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Positive Tuberkulin-Reaktion [%]

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Lebensalter [Jahre]

Grafik 2:

Positive Tuberkulinreaktionen von Kindern in Wien im Alter bis 14 Jahre (prozentual)

Besonderes Augenmerk wurde von den Verfechtern der Sozialen Hygiene auf die Wohnverhältnisse in der Großstadt gelegt, in deren Arbeiterbezirken die Sterblichkeit an Tuberkulose besonders hoch war. Die Kritik an den Wohnungen bezog sich auf drei Hauptpunkte: die Überfüllung, die gesundheitsschädlichen baulichen Eigenschaften und die hohen Mietpreise.83 Nicht selten wohnten fünf und mehr Personen in einem Zimmer. Neben Familienmitgliedern wurden Fremde aufgenommen, um das Familieneinkommen aufzubessern.84 Bruno Schwan, der Geschäftsführer des Deutschen Vereins für Wohnungsreform, beschäftigte sich in einer Studie mit den Wohnverhältnissen in der Weimarer Republik. Seine Publikation „Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland“ wurde ein bedrückendes Zeugnis der Wohn- und Lebenssituation armer Menschen in den 1920er Jahren. Nach Erhebungen von Schwan wohnten von 792 Personen mit offener Lungentuberkulose nur 71 am Tage und 92 bei Nacht allein.85 Die Wohnungen der Mietskasernen waren oft so ungünstig angeordnet, dass eine genügende Durchlüftung der Wohnungen nicht gewährleistet war und kaum Licht, geschweige denn direkte Sonne durch die wenigen Fenster drang. Die Heizmöglichkeiten waren meist unzureichend, sodass Feuchtigkeit und Kälte die

83 Vgl. Kähler (2000b), S. 310. 84 Rodenstein/Böhm-Ott (2000), S. 464. 85 Schwan (1929), S. 26.

2.2. Entwicklung und Grenzen der Sozialhygiene

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Verbreitung von Infektionskrankheiten begünstigte.86 Von 400 Tuberkulosekranken (bzw. Menschen mit Verdacht auf Lungentuberkulose) wohnten, nach Schwans Erhebung, 266 in Hinterhofwohnungen, von 772 von der Wohnungsfürsorge betreuten Menschen (davon litten 564 an Tuberkulose) waren es 521.87 Ein Ausweg aus der Misere konnte nur die Sanierung der betroffenen Wohngebiete sein. Darunter verstanden Städtebauer und Gesundheitspolitiker den Abriss der engen Hinterhofbebauung und den Bau von neuen Wohngebäuden mit geringerer Bauhöhe, die um größere Höfe gruppiert wurden. Grünanlagen und Gärten sorgten für eine bessere Luftqualität, Erholung und „körperliche Ertüchtigung“. Neue Wohngebiete sollten an den Rändern der Städte entstehen, um Menschen die Möglichkeit zu geben, der drängenden Enge der Innenstädte, dem Verkehrslärm und den Belästigungen der Industrie zu entkommen. Nach Schätzungen des Deutschen Städtetages fehlten nach dem Ersten Weltkrieg etwa 800.000 bis 1,5 Millionen Wohnungen. Da zu Beginn der Weimarer Republik eine Mietbindung für Wohnungen in Kraft trat, stagnierte die Bautätigkeit privater Investoren.88 Erst seit 1924 setzte mit der wirtschaftlichen Erholung in großem Maßstab der Neubau ein, zu 80% aus staatlichen Mittel finanziert.89 Neben dem Wohnungsbau setzte die soziale Hygiene, um Neuerkrankungen zu verringern, auf die Aufklärung der Menschen. Hygienisches und damit soziales Verhalten wurde zur Pflicht, es wurde propagiert und gefordert. Wer erkrankte und andere Menschen anstecken konnte, sollte eine Fürsorgestelle, Heilstätte oder ein Krankenhaus aufsuchen. Wer dies nicht tat, wurde zunehmend als unsozial, asozial oder antisozial diskriminiert. In Ausstellungen und auf Plakaten wurde auf die Gefahren hingewiesen, die vom Spucken und Niesen Tuberkulosekranker ausgingen. Zur Aufnahme des Sputums Kranker sollten Spucknäpfe dienen, die regelmäßig zu desinfizieren waren. Unterwegs sollte eine Taschenspuckflasche, der „Blaue Heinrich“, benutzt werden.90 Nach Bekanntwerden des Versagens des Tuberkulins erhielt der Heilstättenbau um 1900 neuen Auftrieb.91 Neben privaten Sanatorien entstanden Volksheilstätten von Vereinen und Lungenheilstätten der Landesversicherungsanstalten.92 Aber Heilstättenkuren waren teuer und die dort durchgeführten Kuren nur eingeschränkt wirksam. Menschen, die als gesund aus Lungenheilanstalten entlassen wurden, erkrankten in ihrer ungesunden heimatlichen Umgebung erneut. Eine gewisse Attraktivität besaß die Idee der Lungenheilanstalt in der Gesellschaft dennoch, da sie die Möglichkeit der Isolierung der Kranken bot: „The sanitarium was a civilized version of the pest house“, wie die amerikanische Historikerin

86 87 88 89 90 91 92

Vgl. Rodenstein/Böhm-Ott (2000), S. 464. Vgl. Schwan (1929), S. 24–25. Vgl. Rodenstein (1988), S. 173–174; Kornemann (2000), S. 671–673. Vgl. Kähler (2000b), S. 310–315. Vgl. Hähner-Rombach (1998), S. 66–68. Vgl. Witzler (1995), S. 171. Hähner-Rombach fasst die verschiedenen Formen unter dem Begriff „Lungenheilstätten“ zusammen. Hähner-Rombach (2000), S. 160. Vgl. auch Condrau (1993/94).

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Katherine Ott bemerkte.93 Eine kostengünstigere Alternative bildeten die von den Kommunen getragenen Fürsorgestellen. Diese waren erste Anlaufpunkte für Erkrankte und deren Familien. Ärzte und Fürsorgerinnen boten Beratung und Aufklärung an und kontrollierten regelmäßig die Wohnungen der Betroffenen. Auch durch die Einrichtung von Lungenheilanstalten und Fürsorgestellen sowie mit einer Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen der unteren sozialen Gruppen gelang es nicht, die Tuberkulose als „unübersehbare Massenerkrankung“94 wirksam zu bekämpfen. Trotz Kranken-, Renten und Invalidenversicherungen blieben bis zu Beginn der 1940er Jahre die erheblichen wirtschaftlichen Probleme, die die Tuberkulose für die Betroffenen verursachte, ungelöst. Menschen, die an Tuberkulose erkrankten, hatten – je nach Krankheitsverlauf – eine lange Zeit bis zur Gesundung oder zum Tode zu bewältigen, in der Regel etwa sechs bis sieben Jahre. Die Erkrankung war oft mit dauerhafter Arbeitsunfähigkeit verbunden, die betroffene Patienten in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Tuberkulose war nicht nur ein Problem der Armen, die „Proletarierkrankheit“,95 sie verursachte häufig erst den sozialen Abstieg von Kranken und deren Familien.96 Erkrankte der Hauptverdiener des Familieneinkommens, konnte das bedeuten, dass er oder sie gar nicht in der Lage war, sich einer langen Heilstättenkur zu unterziehen, da die Familie nicht unversorgt zurückbleiben durfte. Um die finanziellen Lasten der Kuren volkswirtschaftlich angemessen zu verteilen und auch Arbeitern mit geringem Einkommen eine Therapie zu ermöglichen, wurde die Heilstättenbewegung ins Leben gerufen. Hierbei spielte die seit 1883 existierende Krankenversicherung eine wichtige Rolle. An der Finanzierung der Maßnahmen, die in Zusammenhang mit der Tuberkulose standen, waren außerdem die Renten- und Invalidenversicherung beteiligt. Um 1900 wurden 16% der männlichen und 10,5% der weiblichen Versicherten in Deutschland durch eine Tuberkulose invalide und empfingen eine Rente. Daher drängten die Invaliditätsund Altersversicherungen geradezu auf eine gezielte Bekämpfung der Tuberkulose. Eine in jeder Hinsicht tragfähige Lösung der finanziellen Seite des Problems bot die Versicherung jedoch nicht.97 2.2.2. Dissoziation von wirtschaftlicher Lage und Krankheit Ende der 1920er Jahre schien die Wirksamkeit sozialhygienischer Maßnahmen ihre Grenze erreicht zu haben. Die Zahl der Tuberkulosekranken war gesunken, verharrte aber auf einem noch immer hohen Niveau. Gleichzeitig wurde erkennbar, dass eine weitere Bekämpfung der Erkrankung bis zu deren fast völligem Verschwinden alleine mit den bisher angewandten Strategien nicht möglich sein würde. 93 94 95 96 97

Ott (1992), S. 184. Witzler (1995), S. 169. Grotjahn (1912a), S. 53 und Grotjahn (1923), S. 47. Vgl. Condrau (2000), S. 47–48. Vgl. Seeliger (1988), Daniel (1990), S. 12 sowie Tennstedt (1976), S. 453.

2.2. Entwicklung und Grenzen der Sozialhygiene

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Der Erfurter Arzt Alfred Flatzeck-Hofbauer stellte eine „Dissoziation von wirtschaftlicher Lage und Krankheit“ fest.98 Angeregt durch eine Studie über TbcSterblichkeit hatte Flatzeck 1930 untersucht, ob der „Klassenausgleich auf dem Gebiete der Gesundheit“ auch zu einer Angleichung der Säuglingssterblichkeit innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen geführt hatte.99 Als Erwiderung auf den Beitrag des Stadtarztes und Leiters der Lungenfürsorge in Köln, Otto Kieffer, in der Zeitschrift für Tuberkulose legte Flatzeck dar: „Der Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit [...] wird von einigen fast ausschließlich darauf zurückgeführt, daß die wirtschaftliche Lage [...] der Arbeiterklasse sich in den Jahrzehnten seit der Entdeckung des Tuberkelbazillus weitgehend gebessert habe, wodurch es zu einer ‚Dissoziierung von Armut und Krankheit‘ gekommen sei. Die Übersterblichkeit der ärmeren Schichten an Tuberkulose, die allein auf soziale Faktoren zurückgeführt wird, ist geschwunden und hat sich der Sterblichkeit der sozial bessergestellten Schichten immer mehr angeglichen. ‚Dissoziation von Armut und Tuberkulosesterblichkeit‘ heißt: Ungünstige wirtschaftliche Lage und hohe Tuberkulosemortalität waren lange Zeit hindurch aneinandergekoppelt, ‚assoziiert‘. Die ungünstige wirtschaftliche Lage der Arbeiterbevölkerung ist geblieben, die hohe Tuberkulosemortalität aber ist geschwunden, die beiden Kurven haben sich voneinander gelöst, sie sind nun ‚dissoziiert‘.“100

Die Zahl der Erkrankungen unterschiedlicher sozialer Gruppe glich sich durch den Rückgang der Übersterblichkeit in der Gruppe der Einkommensschwachen an, so dass die Idee, die Tuberkulose als gesellschaftliches Problem vor allem durch die Bekämpfung der Armut zu bewältigen, sich nicht als tragfähig erwies. Gleichzeitig bot sich so die Möglichkeit, sich von kostenintensiven sozialhygienischen Maßnahmen zu verabschieden, ein Gedanke, der vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der späten Weimarer Republik populär wurde.101 Die Schuld für die Erkrankung wurde mehr und mehr dem Kranken bzw. dem bereits vor ihm erkrankten Mitmenschen gegeben, der durch ungenügende Beachtung der Hygienevorschriften die Ansteckung verursacht hatte.102 Diese Erkenntnis bildete den Ausgangspunkt für neue Überlegungen zum Zusammenhang von Ansteckungsrisiken und Umgang mit den Erkrankten, die in den folgenden Kapiteln als für die Zeit des Nationalsozialismus charakteristisch herausgestellt werden soll. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um zwei Ansätze: einerseits die Bekämpfung der vermeintlich vererbbaren Tuberkulose durch eugenische 98 Flatzeck (1929). ALFRED FLATZECK-HOFBAUER (1891–1951) war Kommunalarzt bzw. Leiter der Tuberkuloseheilstätte u.a. in Ratibor, Plauen und Selb, zuletzt Röntgenarzt in der Poliklinik in Erfurt. Vgl. Kayser-Petersen (1952). 99 Flatzeck-Hofbauer (1930), S. 89. Vgl. Stöckel (1996), S. 363. 100 Flatzeck-Hofbauer (1933). Vgl. Kieffer (1932). 101 Wie Sigrid Stöckel zeigt, lässt sich die Abwendung von sozialhygienischen Ansätzen hin zu rassenhygienisch orientierten auch am Wandel der Aufgaben der Medizinalstatistik beobachten. Zur Verwertung im Rahmen einer politischen, rassischen und erbgesundheitlichen Überwachung wurden dazu im Nationalsozialismus große Mengen neuer Daten gesammelt, die Aufschluss über den Gesundheitszustand und damit über die Leistungsfähigkeit der gesamten Bevölkerung zuließen. Stöckel (1994). 102 Vgl. Hähner-Rombach (1998), S. 66–67.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Maßnahmen und andererseits die Durchsetzung rigoroser Maßnahmen der Seuchenbekämpfung ohne jede Rücksicht auf das Wohl des einzelnen Kranken. 2.3. ERBLICHKEIT UND KONSTITUTION 2.3.1. Fachzeitschriften als Spiegel der Forschungsdiskussion Ein Überblick über den Verlauf der Forschungsdiskussion zur Entstehung und Therapie der Tuberkulose in der Zeit des Nationalsozialismus lässt sich durch die Analyse der einschlägigen Fachzeitschriften gewinnen. Zu den renommiertesten gehörten die „Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen TuberkuloseForschung“. Die Zeitschrift erschien seit 1903 im Springer-Verlag Berlin und wurde herausgegeben von Ludolph Brauer, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Hamburg und ärztlicher Direktor des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf. Sie war das Organ der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft, der Vereinigung Deutscher Tuberkuloseärzte und der deutschen Tuberkuloseinstitute. Dem Vorstand der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft gehörten in den 1930er Jahren u.a. Franz Redeker, Franz Ickert und Ludwig Aschoff103 an. Die „Zeitschrift für Tuberkulose“ war das offizielle Organ der Rheinisch-westfälischen Tuberkulose-Vereinigung und der südostdeutschen Tuberkulosegesellschaft. Sie erschien von 1906 bis 1945 und 1949 bis 1958 bei Ambrosius Barth in Leipzig. Herausgeber waren in den 1930er Jahren u.a. Hermann Braeuning,104 Ferdinand Sauerbruch105 und Walter Unverricht.106 Bis 1933 war Lydia Rabinowitsch-Kempner Mitglied der Redaktion, zu der danach

103 LUDWIG ASCHOFF (1866–1942), studierte 1885–1890 Medizin in Bonn und Straßburg, 1890/91 u.a. Arbeiten am Institut für Infektionskrankheiten bei Koch, danach bis 1900 in Göttingen, wo er sich 1894 habilitierte, 1901/02 wissenschaftliche Arbeit am Jenner-Institut, an der Tropical Medical School in London und Liverpool und am Pasteur-Institut bei Metschnikow in Paris, 1903 Ordinarius für Pathologie in Marburg, von 1906 bis zu seiner Emeritierung 1936 in Freiburg. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 13. 104 HERMANN BRAEUNING (1880–1946), Arzt, 1911 bis 1945 Chefarzt des Tuberkulosekrankenhauses in Stettin und Leiter der städtischen Tuberkulosefürsorgestelle, war überzeugter Nationalsozialist. Er war Mitglied des „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes“ und seit 1923 Mitglied der NSDAP. Vgl. Redeker (1940). 105 FERDINAND SAUERBRUCH (1875–1951), studierte in Marburg und Leipzig, 1901 Staatsexamen, 1902 Promotion. 1904 entwickelte er eine Unterdruckkammer zur offenen Thoraxoperation. Er habilitierte sich 1905 und wurde im selben Jahr Oberarzt in Greifswald, 1908 Professur in Marburg, 1910 in Zürich. 1918 bis 1927 Professur in München, kam danach an die Charité nach Berlin und wurde zum bekanntesten Chirurgen Deutschlands. Vgl. Kudlien/Andree (1980); Eckart/Gradmann (2006), S. 288. 106 WALTER UNVERRICHT (1887–1970), Arzt, Tuberkuloseforscher. 1914 Promotion, 1922 Habilitation für Innere Medizin, seit 1928 a. o. Professor und Direktor der III. Medizinischen Universitäts-Poliklinik Berlin, seit 1948 ärztlicher Direktor und Chefarzt der Inneren Abteilung der Tuberkuloseklinik des Städtischen Krankenhauses Heerstraße in Berlin. Engelhardt (2002), S. 641.

2.3. Erblichkeit und Konstitution

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Franz Redeker und Karl Diehl gehörten. Beide Zeitschriften publizierten in Originalarbeiten neue Ergebnisse aus der Forschung. Stärker praktisch und ideologisch orientiert waren das „Deutsche Tuberkulose-Blatt“ und das „Reichstuberkuloseblatt“. Sie richteten sich vor allem an Ärzte, die in Heilstätten und Fürsorgestellen tätig waren. Das „Deutsche Tuberkulose-Blatt“ war Nachfolger der „Praktischen Tuberkulose-Blätter“ und erschien von 1934 bis 1945 bei Thieme in Leipzig. Das „Reichstuberkuloseblatt“ erschien ebenfalls seit 1934. Es war die Zeitschrift des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses und das Mitteilungsblatt der Vereinigung Deutscher Tuberkuloseärzte. In der Redaktion waren u.a. Hans Denker als Generalsekretär des Reich-TuberkuloseAusschusses,107 und nach dessen Tod im Jahr 1938 Julius Emil Kayser-Petersen, der in Berlin für die Tuberkulosebekämpfung zuständige Medizinalbeamte und stellvertretende Geschäftsführer des Reichstuberkulose-Ausschusses, Ernst Seiffert, sowie Otto Walter, der 1938 Präsident des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses wurde.108 Wenn auch nicht speziell dem Thema Tuberkulose gewidmet, so spielte die 1935 gegründete Zeitschrift „Der Öffentliche Gesundheitsdienst“ auf dem Gebiet der Tuberkulosebekämpfung eine große Rolle. „Der Öffentliche Gesundheitsdienst“ war die Zeitschrift des Reichsausschusses für Volksgesundheit, der Staatsmedizinischen Akademie Berlin und der Wissenschaftlichen Gesellschaft der deutschen Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Als solche war sie ein wichtiges Organ der Abteilung für Volksgesundheit des Ministeriums des Innern und des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP zur Durchsetzung einer nationalsozialistischen Gesundheitspolitik. Sie erschien von Januar 1935 bis Oktober 1944 bei Georg Thieme in Leipzig und enthielt zwei Teilausgaben: Teil A Ärztlicher Gesundheitsdienst, Teil B Volksgesundheitspflege. Entsprechend der von den jeweiligen Autoren vertretenen Forschungsansätze, etwa der Verbindung psychiatrischer Erkrankungen und Tuberkulose oder der Erblichkeit der Tuberkulose, sind Aufsätze in Fachzeitschriften wie „Der Nervenarzt“ oder dem der Verbreitung rassenhygienischer Vorstellungen verpflichteten „Erbarzt“ erschienen. Geforscht wurde an Universitäten, von Ärzten in Heilstätten 107 HANS DENKER (1886–1938), Arzt, 1904 bis 1907 Studium an der Kaiser-WilhelmAkademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin, danach Militärdienst, 1911 Approbation, 1912 Promotion. 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1920–1924 Regierungsmedizinalrat im Versorgungswesen, seit 1925 stellvertretender Generalsekretär des Zentralkomitees für Tuberkulosebekämpfung. Seit Mai 1933 Geschäftsführer des Reichstuberkulose-Ausschusses, seit April 1934 hauptamtlicher Direktor der Hauptabteilung II (Gesundheitsführung) beim Reichsausschuss für Volksgesundheit, Oberführer der SS. Vgl. Denker (1912) sowie Redeker (1938). 108 OTTO WALTER (*1890), Arzt, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Approbation 1920, Fürsorgearzt in Mülheim/Ruhr, Angehöriger des Freikorps Epp, Mitglied der DNVP, 1924 eigene Praxis als Allgemeinarzt, Mitglied der NSDAP seit 1931, 1933 Kommissar für ärztliche Angelegenheiten in Berlin. 1934–1941 Leiter des Amtes Volksgesundheit im Hauptamt für Volksgesundheit der der NSDAP, 1936 Leiter des Vertrauensärztlichen Dienstes bei der Reichsführung der KVD, Präsident des Reichstuberkulose-Ausschusses. Vgl. Süß (2003), S. 479.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

und Krankenhäusern sowie von niedergelassenen Lungenärzten. Im Bereich der Grundlagenforschung und der vergleichenden „Erbpathologie“ trat das „KaiserWilhelm-Institut (KWI) für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ in Erscheinung. 2.3.2. Rassenhygiene Nach 1933 wurde verstärkt versucht, die Gruppe der besonders gefährdeten Personen anders abzugrenzen als nach ihrem sozialen Umfeld. Viele dieser Ideen wurden bereits vorher diskutiert, jedoch setzte im Nationalsozialismus durch die Rassenideologie und durch das Gewinnen neuer Handlungsspielräume nach dem Beginn des Kriegs eine Radikalisierung ein.109 Die Frage der Erblichkeit der Tuberkulose und die Eugenik als ein Mittel der Tuberkulosebekämpfung gerieten in das Blickfeld der Mediziner und Sozialforscher. Die Eugenik entstand in Deutschland im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und war zunächst Teil der eugenischen Bewegung, wie sie auch in anderen Ländern aufkam.110 Sie war weitaus heterogener als häufig angenommen wurde, wenn man deren Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet.111 Innerhalb der eugenischen Bewegung entstand die Rassenhygiene. Die Rassenhygiene zielte ausschließlich darauf ab, durch die Verhinderung der Fortpflanzung eine „Aufartung“ der Bevölkerung durch Ausgrenzung von Personen zu erreichen, die als minderwertig eingestuft wurden. Als geeignete Maßnahme wurde die Zwangssterilierung propagiert. Die Eugenik hingegen beinhaltete auch positive Elemente wie beispielsweise die Verbesserung der Säuglingsfürsorge, gleichzeitig fanden in sie Elemente der negativen Eugenik Eingang. Die Idee der Rassenhygiene wurde in Deutschland vor allem von dem Arzt Alfred Ploetz (1860–1940) populär gemacht. Ploetz gilt als Begründer der deutschen Eugenik und prägte den Begriff „Rassenhygiene“. Ploetz gründete mit Freunden, unter ihnen die Brüder Carl und Gerhart Hauptmann,112 in Breslau 1879 den „Bund zur Ertüchtigung der Rasse“.113 Durch sein Engagement in der Anti-Alkohol- und Anti-Tabak-Bewegung lernte er den Schweizer Ernst Rüdin (1874–1952) kennen. Beide waren fortan eng miteinander verbunden. Ploetz heiratete 1890 Rüdins Schwester Pauline und publizierte 1895 seine erste große 109 110 111 112

Vgl. Weindling (2005), S. 289. Vgl. Kühl (1997). Weiss (1989), S. 153. GERHART HAUPTMANN (1862–1946), studierte 1880 bis 1882 in Breslau Bildhauerei, lebte seit 1884 in Berlin, heiratete 1885 die Tochter eines Großkaufmanns. Mit Dramen wie „Vor Sonnenaufgang“ (1889) und „Die Weber“ (1894), deren Gegenstand das soziale Elend der Arbeiter in Schlesien war, wurde Hauptmann bekannt. 1912 erhielt Hauptmann den Nobelpreis für Literatur. Sein Bruder, CARL HAUPTMANN (1858–1921), war ein von der schlesischen Gebirgslandschaft und Mystik beeinflusster Dichter, dessen Schaffen sich von naturalistischer Heimatdichtung und Neoromantik zum Expressionismus entwickelte. 113 Vgl. Weindling (1989), S. 63.

2.3. Erblichkeit und Konstitution

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Monographie zum Thema Rassenhygiene: „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen“.114 Großen Einfluss darauf hatten die ab 1891 erschienen Bücher des Arztes Wilhelm Schallmayer „Über die drohende physische Entartung der Culturmenschheit“ und „Die physische Entartung der Culturvölker“.115 Rüdin arbeitete nach seinem Medizinstudium ab 1899 als Assistenzarzt in der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich bei Auguste Forel.116 Mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene (DGfR) 1905 durch Ploetz und Rüdin und dem Erscheinen des „Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ als Fachzeitschrift gelang die Etablierung der Rassenhygiene als neue Wissenschaft.117 Seit 1907 war Rüdin Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in München bei Emil Kraepelin118. Dort habilitierte er sich 1909 und wurde 1915 a. o. Professor. Nach einer Professur für Psychiatrie in Basel kehrte er 1928 an die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie nach München zurück, deren Geschäftsführender Direktor er von 1931 bis 1945 war.119 Die Vorstellungen eines „‚humanen‘ Sozialdarwinismus“,120 den die Rassenhygieniker vertraten, basierte auf den Lehren Charles Darwins und Francis Galtons und verbanden diese mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin. Die Rassenhygiene fand nach dem Ersten Weltkrieg mehr und mehr Zulauf. Nach Meinung ihrer Anhänger vermehrten sich die Träger angenommener positiver Erbanlagen weniger als die Träger angenommener negativer Erbanlagen. Die daraus resultierenden rassenhygienischen Maßnahmen umfassten neben der Förderung der Fortpflanzung von Menschen mit 114 Ploetz (1895). 115 WILHELM SCHALLMAYER (1857–1919), Militärdienst als Einjährigfreiwilliger in Würzburg, studierte Philologie, Geschichte, Philosophie, Geographie, Jura und Medizin in Würzburg, München und Leipzig. 1883 erhielt er die ärztliche Approbation und wurde Assistent in der Psychiatrischen Universitätsklinik in München. Er unternahm längere Reise u.a. durch Europa, nach Südamerika und als Schiffsarzt nach Asien. Seit 1887 war Schallmayer niedergelassener Arzt in Kaufbeuren und Düsseldorf. 1891 erschien erstmals sein Buch „Über die drohende körperliche Entartung der Kulturmenschheit und die Verstaatlichung des ärztlichen Standes“. Stark überarbeitet reichte er es bei einem Preisausschreiben der Firma Krupp im Jahr 1900 ein und gewann den ersten Preis. 1903 wurde der Text unter dem Titel „Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker. Eine staatswissenschaftliche Studie auf Grund der neueren Biologie“ publiziert. Schallmayer war seit 1897 Privatgelehrter. Vgl. Weiss (1987). 116 AUGUSTE FOREL (1848–1931), studierte 1866–1871 Medizin, 1872 Promotion, 1873– 1878 Assistent an der Kreisirrenanstalt in München, ab 1879 Direktor der Psychiatrischen Anstalt Burghölzli und Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich. Forel engagierte sich in der Abstinenzbewegung. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 123–124. 117 Vgl. Weindling (1989), S. 125. 118 EMIL KRAEPELIN (1856–1926), studierte in Würzburg, München und Leipzig. 1886 Professur für Psychiatrie in Dorpat, 1891 Ordinarius in Heidelberg, hatte große Erfolge in der klinisch-psychiatrischen Diagnostik, 1904 Ruf nach München. Dort gründete er 1917 die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (mit einer klinischen, einer hirnpathologischen, einer serologischen und einer genealogischen Abteilung), die später Kaiser-Wilhelm-Institut wurde. Kraepelin war ein geradezu fanatischer Alkoholgegner. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 197–198. 119 Vgl. Schmuhl (2003), S. 339–340. 120 Labisch (1992), S. 195.

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positiven Erbanlagen den Ausschluss von unerwünschten Personen von der Fortpflanzung.121 Die Rassenhygieniker sahen im Tuberkelbazillus „den Freund der Rasse“, denn diejenigen, die daran erkrankten und starben, waren nach ihrem Verständnis mit minderwertigem Erbgut ausgestattet. Schallmayer kritisierte daher die Fortschritte der Entwicklung einer spezifischen Therapie der Tuberkulose, da sie den „Degenerierten“ das Überleben ermöglichen würde.122 Er bezeichnete Tuberkulosekranke als „Individuen, deren Konstitution schon vor der Infektion mangelhaft und darum wenig widerstandsfähig war, gleichgültig, ob diese Mangelhaftigkeit angeboren oder erworben wurde. Die Tuberkulose übt also eine auslesende Wirkung [aus]; sie säuberte die Menschheit bisher stets von einem sehr beträchtlichen Teile ihrer schwächsten Glieder.“123

Der Überlegung, ob rassenhygienische Maßnahmen gegenüber jenen Menschen, die an Tuberkulose erkrankten, sinnvoll seien, musste zwangsläufig die Klärung der Frage vorausgehen, inwieweit die Erkrankung überhaupt vererbt werden konnte. Mittermaier und Goldschmidt kamen bereits 1885 anhand einer empirischen Studie zu Familien mit Tuberkuloseerkrankungen auf Madeira zu dem Schluss, dass die Erblichkeit eher unwahrscheinlich sei. Um deren Ergebnisse entspann sich in den folgenden Jahren eine Kontroverse, an der auch der Pathologe Edwin Klebs124 beteiligt war.125 Klebs hatte schon vor Kochs Entdeckung des Tuberkelbazillus in „Fütterungsversuchen“ die Übertragbarkeit der Perlsucht nachgewiesen.126 2.3.3. Konstitutionslehre und Sozialhygiene Parallel zur Rassenhygiene entstand eine andere Disziplin, deren Theorie gewissermaßen eine vermittelnde Position zwischen der Bakteriologie und der Rassenhygiene bildete: die von Ferdinand Hueppe127 begründete Konstitutionshygiene. Hueppe vertrat selbst radikale rassenhygienische Vorstellungen und sah 121 122 123 124

Vgl. Weingart (1983), Weingart et al. (1988), S. 36–58 sowie Labisch (1992), S. 198. Weindling (1989), S. 168. Schallmayer (1895), S. 15–16. EDWIN KLEBS (1834–1913), Bakteriologe, 1852–1857 Studium der Medizin in Königsberg, Würzburg, Jena und Berlin, 1857 Promotion, 1859 Assistent in der Physiologie in Königsberg, seit 1861 bei Virchow in Berlin in der Pathologischen Anatomie, seit 1866 Extraordinarius in Bern, seit 1867 Ordinarius, 1872 Wechsel nach Würzburg, 1873 nach Prag, 1882–1893 in Zürich, 1894–1900 bakteriologische Arbeit und Professur in den USA, nach seiner Rückkehr lebte er in Berlin und in der Schweiz. 125 Vgl. Mittermaier/Goldschmidt (1885), Klebs (1901), Goldschmidt (1901). 126 Vgl. Klebs (1873). Klebs’ rassenhygienische Vorstellungen beeinflussten auch Ploetz. Vgl. Weindling (1989), S. 71–72. 127 FERDINAND HUEPPE (1852–1938), nach militärärztlicher Ausbildung und Promotion Militärarzt am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Rastatt. Schüler Robert Kochs, ab 1885 am Fresenius-Institut in Wiesbaden. 1889 wurde er Extraordinarius für Hygiene in Prag. Da er auch nach Kochs Tod keine Aussicht auf eine ordentliche Professur hatte, zog er sich 1912 nach Dresden zurück. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 179.

2.3. Erblichkeit und Konstitution

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im Auftreten von Infektionskrankheiten einen Mechanismus, der den germanischen Volkskörper stärken sollte.128 Er hatte in der ersten Ausgabe des „Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ Aufsätze über Infektionskrankheiten und Tuberkulose veröffentlicht.129 Hueppe ging in seinem Modell sowohl von einer individuellen Prädisposition als auch von veränderlichen Übertragungsbedingungen aus. Dabei wurden die Erkenntnisse der Physiologie und der Mikrobiologie einbezogen. Es war sehr fortschrittlich, weil es über die einseitige Begründung der Entstehung von Infektionskrankheiten durch die Bakteriologie Kochs hinausging. Gleichzeitig barg es das Problem, die ererbte Disposition überzubetonen und Kranke als Träger von minderwertigen Erbanlagen auszumachen.130 Auftrieb und weiteren Einfluss in der wissenschaftlichen Diskussion erhielt die Konstitutionslehre durch den Psychiater Ernst Kretzschmer.131 Sein 1921 veröffentlichtes Werk „Körperbau und Charakter“ wurde weltberühmt.132 In ihm definierte Kretzschmer drei Körpertypen: den „pyknischen“, den „leptosomen“ und den „athletischen“ und verband mit ihnen jeweils bestimmte seelische Erkrankungen und Persönlichkeitsstrukturen. Bei Kretzschmer an der Universitätsnervenklinik in Marburg entstand auch die Arbeit zur Tuberkulose und Schizophrenie von Kurt Westphal und Max Welti, in der die Autoren eine starke Affinität von Menschen mit leptosomem Körperbau zur Schizophrenie und zur Tuberkulose nachweisen wollten.133 Darin folgten sie den bereits einige Zeit vorher publizierten Forschungsergebnissen des Psychiaters Hans Luxenburger.134 Dieser unternahm als Mitarbeiter der von Rüdin geleiteten Deutschen For128 129 130 131

Vgl. Weindling (1997). Hueppe (1904a), Hueppe (1904b). Vgl. Labisch (1991b), S. 40. ERNST KRETZSCHMER (1888–1964), Studium der Philosophie und Medizin, Promotion 1914, danach Militärpsychiater, 1918 Habilitation. 1921 erschien sein bekanntestes Werk: „Körperbau und Charakter. Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Lehre von den Temperamenten“. 1926 wurde Kretzschmer Professor und Direktor der Nervenklinik in Marburg, 1936 Mitglied der Leopoldina. Kretzschmer war Richter am Erbgesundheitsgericht Marburg und am Erbgesundheitsobergericht Kassel und Mitherausgeber der Zeitschrift für menschliche Vererbungslehre und Konstitutionsforschung. Seit 1946 war er Professor in Tübingen. Vgl. Matz (2002) sowie Engelhardt (2002), S. 347–348. 132 Kretzschmer (1921). 133 Vgl. Westphal/Welti (1930). 134 HANS LUXENBURGER (1894–1976) studierte Medizin in München und wurde 1920 approbiert und promoviert. Danach arbeitete er als Psychiater in der Universitätsnervenklinik in München und in den Heil- und Pflegeanstalten Berlin-Buch und Eglfing-Haar. 1924 wurde er Assistent von Ernst Rüdin an der Demographisch-Genealogischen Abteilung der DFA in München. 1925 folgte er Rüdin nach Basel und habilitierte sich im Fach Psychiatrie. U.a. seine Forschungen über den Zusammenhang von Tuberkulose und Schizophrenie machten ihn als psychiatrischen Erbforscher bekannt. Luxenburger setzte sich für die Rassenhygiene ein, kritisierte jedoch Teile der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik. 1940 verließ er die DFA nach internen Auseinandersetzungen und trat in die Wehrmacht ein. Im September 1941 wurde er Oberarzt der Luftwaffe. Nach dem Krieg war er in der kommunalen Jugendfürsorge in München tätig. Vgl. Weber (1993), S. 142; Schmuhl (2003), S. 333–334.

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schungsanstalt (DFA) für Psychiatrie in München erbstatistische Berechnungen, in die Tuberkulose und psychopathologische Erscheinungen einbezogen wurden.135 Rüdin und Kretzschmer hatten bereits in den 1920er Jahren gemeinsame psychopathologisch-anthropometrische Forschungen geplant.136 1927 interpretierte Luxenburger die Ergebnisse seiner statistischen Untersuchungen dahingehend, dass psychisch nicht erkrankte Verwandte von Schizophrenen viermal so häufig an Tuberkulose litten wie die Normalbevölkerung. Sowohl Schizophrene als auch Tuberkulosekranke wären besonders oft leptosom oder asthenisch, was Luxenburger als Zeichen einer erblichen Disposition für beide Erkrankungen deutete.137 Im Jahre 1928 veröffentlichte Luxenburger eine weitere Studie zur Erblichkeit von Schizophrenie, die er an 211 Zwillingspaaren durchführte. Die Untersuchten waren Patienten von psychiatrischen Anstalten in Bayern.138 Verschiedene Tuberkuloseforscher schlossen sich nach Kretschmers und Luxenburgers Arbeiten der These an, dass die Anfälligkeit für die Infektionskrankheit Tuberkulose an den Körperbau geknüpft sein könnte. Zu ihnen gehörten beispielsweise Erwin Dorn und Carl Ellinghaus sowie Otmar von Verschuer. Gegen die Hervorhebung des Konstitutionsaspekts wandte sich 1937 in einer Originalarbeit in der Münchner Medizinischen Wochenschrift der österreichische Anatom Heinrich von Hayek. Hayek schrieb: „Eine sehr bedenkliche Einseitigkeit ist die heute vielfach übertriebene Ueberbewertung [sic] der Rolle, die konstitutionelle Momente bei der Tuberkulose spielen sollen. Diese neue Lehre konnte mit überlauter Betonung heute nur deshalb ihre große literarische Bedeutung erlangen, indem man mit einem – wegen seiner Unlogik wirklich erstaunlichen – Kunstgriff den Konstitutionsbegriff beliebig erweiterte und verwässerte.“139

Da das Auftreten der Tuberkulose noch immer nicht hinreichend begründet erschien und nur bestimmte Menschen bei gleicher Exposition erkrankten, wurde von einigen Rassenhygienikern und Ärzten gefolgert, dass die Erkrankung zwar infektiös, aber die zum Ausbruch notwendige Disposition erblich sei. Der Klärung u.a. dieser Frage widmete sich die vergleichende Erbpathologie, die sich seit den 1920er Jahren mit der Etablierung einer neuen Experimentalkultur als medizinisches Fachgebiet herausbildete und sich mit den genetischen Grundlagen für die Entstehung von Krankheiten beschäftigte. Durch intensiven Austausch auf Fachtagungen, insbesondere der Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft, entwickelte sich eine „Kultur der vergleichenden Erbpathologie“.140 Es entstand ein Spektrum von Erklärungen, das von einer lediglichen Vererbung der die Tuberkulose begünstigenden Konstitution (Konstitutionshygiene) bis hin zur 135 136 137 138 139

Vgl. Matz (2002), S. 311. Vgl. Matz (2002), S. 301. Vgl. Luxenburger (1927), S. 335–339; Luxenburger (1929) sowie Matz (2002), S. 307–308. Vgl. Luxenburger (1928) sowie Weber (1993), S. 142–143. Hayek (1937), S. 443. Heinrich von Hayek (1900–1969), Zoologe und Anatom, Promotion 1924, Habilitation 1930, lehrte 1938 bis 1952 an der Universität Würzburg., seit 1959 Mitglied der Leopoldina. Er beschäftigte sich vor allem mit der Anatomie der Lunge. Vgl. Engelhardt (2002), S. 256. 140 Schwerin (2004), S. 20–21.

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als verhältnismäßig sicher angenommenen Vererbung einer tuberkulösen Disposition (Rassenhygiene) reichte. Eine Erörterung eugenischer Maßnahmen bei der Bekämpfung der Tuberkulose hatte bereits lange vor 1933 öffentlich und nicht nur in Kreisen von ideologisch besonders dem Nationalsozialismus nahe stehenden, sondern bei vielen Wissenschaftlern begonnen. Der Machtantritt der Nationalsozialisten kann allenfalls als Dammbruch und in keinem Falle als Beginn solcher Überlegungen angesehen werden. Mit der Erkenntnis, dass fürsorgerische Bemühungen nicht zu einer hinlänglichen Lösung des Problems führen konnten, geriet die Diskussion zusehends auf eine schiefe Ebene. Als einer der frühen Verfechter eugenischer Maßnahmen muss in Bezug auf die Tuberkulose Alfred Grotjahn gelten. Desillusioniert schrieb er in der dritten, 1923 erschienenen Auflage seines Standardwerks „Soziale Pathologie“ unter dem Eindruck der nach dem Ersten Weltkrieg signifikant angestiegenen Zahl der Tuberkulosekranken, der Erreger der Tuberkulose sei „zwar der [...] Tuberkelbazillus; aber die Hoffnung, daß eine ausschließlich auf die Lebensbedingungen des Erregers sich aufbauende Bekämpfung und Heilweise zur Bekämpfung der Tuberkulose ausreichen würde, hat sich als trügerisch erwiesen. [...] Die Lungentuberkulose ist die Krankheit der körperlich minderwertigen Personen.“141

Er gelangte zu der Auffassung, dass durch „soziale Hygiene und Ausjätung des körperlich und geistig Minderwertigen ein wachsender Vorsprung vor anderen Völkern“ zu gewinnen sei.142 Grotjahn nahm an, dass etwa zwei Drittel der Erkrankten „die Grundlage ihres Leidens ererbt haben“.143 „Erst wenn wir den Lungenkranken die Möglichkeit abschneiden, ihre körperliche Minderwertigkeit auf dem Wege der Vererbung weiterzugeben, dürfen wir ihnen die Maßnahmen ärztlicher, pfleglicher, sozialhygienischer und wirtschaftlicher Art angedeihen lassen, ohne fürchten zu müssen, damit der Gesundheit mehr Schaden als Nutzen zuzufügen“,

heißt es bei Grotjahn weiter. Karl Heinz Roth bezeichnet Grotjahns „Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der Sozialen Hygiene“144 daher zu Recht als „eine der wichtigsten früh-nazistischen Programmschriften der Gesundheitspolitik“.145 In diesem bereits 1908 erschienen Werk konstatierte Grotjahn, „der Streit, ob die Infektion oder die Veranlagung der wichtigste Faktor in der Entstehung der Lungenschwindsucht ist“, sei „noch nicht zum Austrag gekommen. Aber mit einer möglichst ausgebreiteten Detention146 der Tuberkulösen in Heimstätten können sowohl die Kontagionisten wie die Dispositionisten zufrieden sein.“147 Wie vorausschauend Grotjahns Feststellung war, sollte sich 25 Jahre später zeigen. 141 142 143 144 145 146

Grotjahn (1923), S. 51–52. Grotjahn (1923), S. 463. Ebenda, S. 472. Grotjahn (1908). Roth (1984b), S. 42. Detention lat. Zurückbehalt oder Einbehalten. In der Übersetzung aus dem Englischen oder Italienischen klingt Detention allerdings nicht mehr so harmlos, da es Haft bedeutet. 147 Grotjahn (1908), S. 159.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

2.3.4. Verschuer und die „Zwillingstuberkulose“ Für die Zeit ab Mitte der 1930er Jahre lässt sich bei den Tuberkuloseheilstättenund Fürsorgeärzten ein Abebben der Diskussion um die Erblichkeit der Tuberkulose feststellen. Die Anhänger einer genetischen Disposition, die vor allem aus dem Kreis der Anthropologen und Rassenhygieniker kamen, publizierten wiederholt Aufsätze in rassenhygienischen Sammelbänden und Zeitschriften wie „Der Erbarzt“, der „Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre“ sowie in der Monatsschrift des Hauptamtes für Volksgesundheit, „Ziel und Weg. Die Gesundheitsführung des deutschen Volkes“, die von 1939 bis 1945 erschien und gleichzeitig das Organ des Nationalsozialistischen Ärztebundes war. Die Autoren forderten dort Konsequenzen für den Umgang mit den Erkrankten, beispielsweise ein Fortpflanzungsverbot. Unter den vehementen Verfechtern einer solchen einschneidenden Maßnahme trat besonders der Anthropologe Otmar Freiherr von Verschuer in Erscheinung. Verschuer war seit 1934 Herausgeber des „Erbarztes“. Ihm gelang es mehr als anderen, in einen Diskurs mit Tuberkuloseforschern, Ärzten und Gesundheitspolitikern einzutreten. Er war in die Forschung institutionell hervorragend eingebunden und galt als einer der führenden Wissenschaftler im Bereich der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Durch seine Position im KaiserWilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik war er gut vernetzt. Als Vortragsredner konnte er seine Ideen nicht nur Mitgliedern der scientific community im In- und Ausland, sondern auch in populärwissenschaftlicher Form Vertretern von Politik und Wirtschaft vorstellen.148 Verschuer wurde 1896 geboren. Er studierte nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und einer Zeit als Freikorpskämpfer Medizin in Marburg, Hamburg, Freiburg und München und wurde 1923 promoviert. Er habilitierte sich 1927 bei Eugen Fischer149 und wurde im gleichen Jahr Abteilungsleiter des neu ge148 Vgl. Sachse (2004), Hachtmann (2007b), S. 77–85, Hachtmann (2007a), S. 456, 490, 553, 563 und 736, Schmuhl (2008), S. 229. Die Vorträge trugen Titel wie: „Bevölkerungs- und Rassenfragen in Europa“, „Erbliche Begabung und erbliche Belastung“, „Wege zur Erbgesundheit des deutschen Volkes, Vererbung und Volksgesundheit“ und „Das Erbbild vom Menschen“. 149 EUGEN FISCHER (1874–1967) studierte Medizin und Anthropologie in Freiburg u.a. bei August Weismann und Robert Wiedersheim, wurde 1898 approbiert und zum Dr. med. promoviert und war danach Assistent in der Anatomie. 1900 habilitierte er sich. Seit 1908 war Fischer Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, später deren Vorsitzender. Im gleichen Jahr unternahm er eine Reise nach Deutsch-Südwestafrika zur Untersuchung der so genannten „Rehobother Bastarde“. 1913 erschien sein Werk „Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Menschen“, in dem er nachzuweisen glaubte, dass sich die Mendelschen Vererbungsregeln auch auf Menschen anwenden lassen. Die Studie machte ihn über Deutschland hinaus bekannt. 1912 wurde Fischer a.o. Professor. Im Ersten Weltkrieg war er Militärchirurg. 1918 erhielt er die Professur für Anatomie und Anthropologie in Freiburg und wurde Direktor des Anatomischen Instituts. 1919 bis 1926 war er Mitglied der DNVP. Zusammen mit Fritz Lenz und Erwin Baur verfasste er das Standardwerk „Menschliche Erblehre und Rassenhygiene, das 1921 erstmals erschien. 1927 wurde er als Professor für Anthropologie nach Berlin berufen. 1933 bis 1935 Rektor der Universität

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gründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWIA) in Berlin-Dahlem.150 Das Institut hatte drei Abteilungen: die Abteilung Anthropologie leitete Eugen Fischer selbst, Verschuer die Abteilung für menschliche Erblehre und der ehemalige Jesuitenpater Hermann Muckermann die Abteilung Eugenik. 1933 wurde Verschuer außerordentlicher Professor, 1935 Direktor des Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Medizinischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, dessen Aufgabe es u.a. war, erbbiologische Gutachten über eine mutmaßlich „jüdische Abstammung“ von Menschen zu erstellen.151 1942 wurde Verschuer Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, 1951 Professor für Genetik in Münster. Er starb 1969 bei einem Autounfall.152 Verschuer schien 1933 den endgültigen Beweis für die Erblichkeit der Tuberkulose durch seine, gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Karl Diehl153 verfasste Studie zur Zwillingstuberkulose erbracht zu haben.154 Karl Diehl brachte lange berufliche und persönliche Erfahrung mit der Tuberkulose in diese Arbeitsbeziehung ein. Verschuer und Diehl konnten bei ihrer Studie auf die Beobachtungen und Untersuchungen von 120 Zwillingspaaren zugreifen, deren Daten am Kaiser-Wilhelm-Institut systematisch gesammelt wurden.155 Beide stützten sich neben eigenen Beobachtungen auf die Studien von Franz Ickert,156 zu dieser Zeit Regierungs- und Medizinalrat in Gumbinnen und Mitglied des Vorstands der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft, und Hans Benze, Kreisarzt in Heinrichswalde in Ostpreußen, die von regelrechten „Tuberkulosestammbäumen“

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Berlin. Seit Februar 1940 war er Mitglied der NSDAP. 1942 wurde er emeritiert. Vgl. Lösch (1997), Schmuhl (2003), S. 329–330, Schmuhl (2005a) und Schmuhl (2005b). Vgl. Schmuhl (2003), S. 342–343. Vgl. Verschuer (1934), Verschuer (1935) und Verschuer (1939). Vgl. Schmuhl (2003), S. 342. KARL DIEHL (1896–1969) nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, wurde bei Ypern schwer verwundet und geriet in englische Gefangenschaft. Nach dem Medizinstudium, das er in Marburg und Hamburg absolvierte, erkrankte er während seiner Tätigkeit als Assistenzarzt an Lungentuberkulose. Er unterzog sich einer Kur in Davos und arbeitete anschließend dort als Arzt. 1927 wechselte er an das Städtische Tuberkulosekrankenhaus „Waldhaus“ in BeetzSommerfeld (Osthavelland), wo er zur Zeit der Publikation der Studie zur Zwillingstuberkulose Dirigierender Arzt war. Seit 1931 war Diehl externer wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, ab 1935 außerordentlicher Professor in Frankfurt am Main. 1939 bis 1945 leitete er die Klinik in Beetz (nun Außenstelle des Instituts) als Abteilungsleiter. Nach dem Krieg wurde er Chefarzt der Tuberkuloseheil und -forschungsstätte Paulinenberg in Bad Schwalbach im Taunus, außerordentlicher Professor in Frankfurt und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-PlanckInstituts für Biochemie in München. Vgl. Schmuhl (2003), S. 329, Schmuhl (2005a), S. 106 sowie Deutsche Medizinische Wochenschrift 46 (1969), S. 2412. Vgl. Verschuer/Diehl (1933). Die Schweizer Tuberkuloseforscher Erwin Uehlinger und M. Künsch aus Zürich unternahmen ebenfalls Zwillingsstudien und kamen zu selben Ergebnis wie Verschuer und Diehl. Vgl. Uehlinger/Künsch (1939). Vgl. Lösch (1997), S. 206–210 sowie Massin (2003). Vgl. Bochalli (1958), S. 24.

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ausgingen.157 Verschuer und Diehl zählten Tuberkulose zwar nicht zu den monokausal vererbbaren Krankheiten, nahmen aber die Existenz einer genetischen Disposition an. Menschen, die über bestimmte genetische Voraussetzungen (Suszeptibilität) verfügten, würden folglich mit großer Wahrscheinlichkeit bei einem Kontakt mit Infizierten erkranken, andere seien zwar nicht immun, ihre Ansteckung jedoch eher unwahrscheinlich. Im zweiten Teil der Studie zur Zwillingstuberkulose formulieren die Autoren wie folgt: „Wir sehen also das Vorhandensein einer erblichen, spezifischen Tuberkulosedisposition als erwiesen an, deren phänotypische Manifestierung allerdings von mannigfaltigen Faktoren, sowohl konstitutioneller als auch umweltbedingter Natur, abhängig ist. Wir waren stets bemüht, die allgemeine Empfänglichkeit des Menschen gegenüber dem tuberkulösen Virus als Speziescharakter von der von uns angenommenen spezifischen erblichen Tuberkulosedisposition abzugrenzen. Die von uns aus unseren Zwillingsbeobachtungen gefolgerte Tuberkulosedisposition ist also zur allgemeinen Empfänglichkeit etwas Zusätzliches, Steigerndes, die Tuberkulosemanifestation Förderndes.“158

Das Forschungsprojekt Verschuers und Diehls erfreute sich der besonderen Unterstützung des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti.159 Verschuer arbeitete noch über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus an diesem Forschungsproblem. Sein Ansatz, nach einem genetischen Defekt zu suchen, der zum Fehlen eines Abwehrenzyms gegen Tuberkulose führt, war dabei keineswegs abwegig. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass Verschuer nach Kriegsbeginn eng mit seinem als Auschwitzer Lagerarzt tätigen ehemaligen Assistenten Josef Mengele160 zusammenarbeitete und seine späteren Arbeiten maßgeblich unter Mengeles Mithilfe entstanden. Zunächst wurde in der historischen Forschung angenommen, das Ziel eines gemeinsamen Forschungsprojektes von Verschuer und Mengele sei die Aufklärung der unterschiedlichen Suszeptibilität von Juden, Zigeunern und Angehörigen anderer Rassen gegenüber verschiedenen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und Flecktyphus ge-

157 Ickert/Benze (1933). FRANZ ICKERT (1883–1954) studierte Medizin in Leipzig, danach ab 1907 Landarzt in Eythra bei Leipzig, 1918 Kreisarzt-Examen, 1919–1921 Assistent am staatlichen Untersuchungsamt in Stettin, wo er sich der Tuberkulosearbeit zuwandte, 1921 bis 1926 Kreisarzt in Mansfeld in Westpreußen, wo er die erste ländliche Tbc-Fürsorgestelle einrichtete. 1926 bis 1932 Medizinaldezernent in Gumbinnen, 1932–1945 Oberregierungs- und Medizinalrat in Stettin, 1943 Habilitation in Greifswald, 1946–1948 Tuberkulose- und Ernährungsreferent beim Oberpräsidenten in Hannover, 1947 Vorsitzender der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft, 1950 Mitglied des Bundesgesundheitsrates. Vgl. Kayser-Petersen (1953) sowie Labisch/Tennstedt (1985), S. 433–434. 158 Diehl/Verschuer (1936), S. 1–2. Vgl. auch Schmuhl (2005a), S. 105–108. 159 Vgl. Schmuhl (2005a), S. 344–350. 160 JOSEF MENGELE (1911–1979), Anthropologe und Arzt, Promotion zum Dr. phil. 1935 und zum Dr. med. 1938. Mengele nahm als SS-Arzt in Auschwitz in Zusammenarbeit mit Verschuer u.a. erb- und rassenbiologische Untersuchungen an Zwillingen vor. Mengele hatte zuvor nicht an Zwillingen geforscht. Die Zwillingsforschung war vielmehr das Forschungsgebiet von Verschuer. Vgl. Völklein (1999), S. 74–92; Eckart/Gradmann (2006), S. 224–225; Massin (2004a), S. 201 sowie insbesondere Schmuhl (2005a), S. 470–482.

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wesen.161 Tatsächlich handelte es sich um den Versuch, einen serologischen Rassentest zu entwickeln, ein Vorhaben, das auch andere Wissenschaftler in der damaligen Zeit beschäftigte. Als äußerst problematisch müssen Verschuers Schlussfolgerungen aus seiner Forschung zur Tuberkulose angesehen werden. Er meinte, dass eugenische Maßnahmen bei der Tuberkulosebekämpfung unumgänglich seien. Er empfahl, nicht nur die an Tuberkulose erkrankten Menschen, sondern ebenso Menschen mit tuberkulosekranken Familienangehörigen, auch wenn sie selbst nicht erkrankt waren, gesetzlich von einer Ehe mit einem Partner auszuschließen, in dessen Familie ebenfalls Tuberkulose vorgekommen war. Verschuer galt mit seiner Auffassung nicht als Außenseiter, wenn auch die von ihm und Hermann Muckermann162 in ihrer „Eugenischen Eheberatung“ empfohlenen Konsequenzen unter Ärzten und Gesundheitspolitikern auf Ablehnung stießen.163 Zur Tuberkulose heißt es dort: „Erbliche Veranlagung ist neben der Infektion und anderen Außeneinflüssen von Bedeutung. Kranke aus tuberkulös belasteten Familien, wo die Häufung des Leidens nicht auf intrafamiliärer Infektion beruht, ist Verzicht oder Beschränkung der Nachkommenschaft zu empfehlen; vor Verwandtenehe und Heirat in gleich belasteter Familie ist dringend zu warnen, auch den Gesunden. Ansteckungsfähige Kranke dürfen erst nach Ausheilung heiraten; vorherige fachärztliche Untersuchung erforderlich.“164

Eine methodische Schwierigkeit ergab sich für Verschuer dadurch, dass ihm zum Beweis seiner Theorie die technische Möglichkeit fehlte, ein „Tuberkulose-Gen“ zu isolieren. So war Verschuer, wie auch andere, die gleiche Auffassungen ver161 Vgl. Gausemeier (2003), Müller-Hill (2000), S. 199 und 205-206; Müller-Hill (2001), S. 632; Schmuhl (2005a), S. 502–510, Schmuhl (2005b), S. 301–306, Schmuhl (2008), S. 243 sowie Trunk (2003). Trunk, Gausemeier und Schmuhl vertreten die These, Verschuer und Mengele haben zusammen an der serologischen Bestimmung von Rassenunterschieden gearbeitet. Die Forschung zu einer rassenspezifischen Tuberkulose-Anfälligkeit sei hingegen ein davon unabhängiges Projekt gewesen. Zu Verschuers Verbindung zum Biochemiker, LeopoldinaPräsidenten und „Ethik“-Herausgeber Emil Abderhalden vgl. Frewer (2000), S. 172–181. 162 HERMANN MUCKERMANN (1877–1962), Sohn einer katholischen Bürgerfamilie aus Bückeburg, trat im Alter von 19 Jahren als Novize der „Societas Jesu“ bei (er blieb zeit seines Lebens Priester) und besuchte die Ordenshochschule College of the Sacred Heart in Prairie du Chien in Wisconsin (USA). 1902 Promotion zum Dr. phil., danach Studium der Theologie, 1909 zum Priester geweiht. Studium der Zoologie und Erblehre in Löwen. 1913 legte er dort das Examen ab. Gleichzeitig arbeitete er in der Zellforschung am Institut Carnoy. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er zum wichtigsten Vertreter ihres „katholischen Flügels“ der Eugenik. Muckermann war 1933 wegen seiner Nähe zur Zentrumspartei beim KWI entlassen worden. 1933–1945 war er Leiter der „Forschungsstelle für die Gestaltung von Ehe und Familie“ der katholischen Bischofskonferenz und wirkte dort, wie auch zuvor beim KWI als vehementer Verfechter einer negativen Eugenik innerhalb der katholischen Kirche. 1946 wurde er Leiter des KWI für angewandte Anthropologie, ab 1948 war er Professor für Sozialethik und angewandte Anthropologie und bis 1954 Direktor des Instituts für natur- und geisteswissenschaftliche Anthropologie der TU Berlin. Vgl. Schmuhl (2003), S. 335–336; Schmuhl (2005a), S. 49–50; Lösch (1997), S. 212–214. 163 Vgl. auch Schmuhl (2005a), S. 130–133. 164 Muckermann/Verschuer (1931), S. 58.

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traten, darauf angewiesen, entweder das familiäre Umfeld bereits Erkrankter zu untersuchen, um Vorhersagen über das mögliche Auftreten von Tuberkulose machen zu können, oder aber die Tuberkuloseerkrankung mit bestimmten äußeren Merkmalen zu verknüpfen. Verschuer griff dabei auf die Thesen seines akademischen Lehrers, Eugen Fischer, des Botanikers Erwin Baur165 und des Arztes Fritz Lenz166 zurück. In deren gemeinsam verfasstem, weit verbreiteten mehrbändigen Werk „Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ vertrat Fritz Lenz seit 1927 bis zur letzten Auflage 1941 die Ansicht, Leptosome, also schmalwüchsige Menschen, bzw. Astheniker, Menschen mit schmalem, schmächtigen Körperbau, bekämen häufiger Tuberkulose. Umgekehrt provozierte Verschuers These die Schlussfolgerung, es müsse möglich sein, tuberkuloseresistente Menschen zu züchten. Oswald Geißler, Stadtobermedizinalrat und Leiter der Städtischen Fürsorgestellen für Lungenkranke in Karlsruhe, ein begeisterter Anhänger von Verschuers Ideen, schloss aus dessen Ergebnissen noch 1938, es müsse „die Möglichkeit der Herauszüchtung völlig tuberkuloseresistenter Stämme geben, weil die Nachkommen über angeborene Abwehrkräfte verfügten“. Den Rückgang der Tuberkuloseerkrankungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts interpretierte Geißler etwas eigenwillig als Beweis dafür, „daß der schon vor der Zeit der organisierten Tuberkulosebekämpfung einsetzende Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit wenigstens teilweise auf eine Selbstausmerzung der Tuberkulose durch Wegsterben der hinfälligen Personen vor der Fortpflanzung bedingt war.“167

Geißler übersah dabei geflissentlich, dass viele Menschen trotz ihrer Erkrankung Kinder bekamen bzw. nach der Familiengründung erst erkrankten und die größte Sorge der Gesundheitspolitiker seiner Zeit darin bestand, dass die Zahl der Erkrankten im fortpflanzungs- und arbeitsfähigen Alter erschreckend hoch war. Kurt Klare, Direktor der Prinzregent-Luitpold-Kinderheilstätte in Scheidegg im Allgäu,168 der in Fachkreisen großes Ansehen genoss, hob die, seiner Meinung nach offensichtliche Verknüpfung von Konstitution und Rassenzugehörigkeit hervor.169 Mit „seinem eifrigen Mitarbeiter in Konstitutionsfragen“,170 Friedrich 165 ERWIN BAUR (1875–1933), Arzt und Botaniker, einer der Begründer der wissenschaftlichen Genetik in Deutschland. Seit 1914 war er Inhaber des ersten Lehrstuhls für Vererbungswissenschaften an einer deutschen Hochschule, an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Seit 1928 war er Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 33–34. 166 FRITZ LENZ (1887–1976), Arzt, 1912 in Freiburg promoviert, 1919 in München für Hygiene habilitiert, 1923 Inhaber des ersten Lehrstuhls für Rassenhygiene in Deutschland an der Universität München, 1933 Leiter der Abteilung Eugenik des KWI für Anthropologie in Berlin, 1933 bis 1945 Professor für Rassenhygiene in Berlin, ab 1946 Ordinarius für menschliche Erblehre in Göttingen. Vgl. Rissom (1983) sowie Weiss (1992). 167 Geißler (1937), S. 217. Vgl. auch Geißler (1936) und Geißler (1938). 168 KURT KLARE (1885–1954), Mitglied der NSDAP seit 1926, Begründer der Zeitschrift „Ziel und Weg“, Gründungsmitglied des NSDÄB, Hauptstellenleiter des Sachverständigenbeirats für Volksgesundheit der NSDAP-Reichsleitung, Beauftragter des Reichsärzteführers für die medizinische Fachpresse. Vgl. Heidler (2002), S. 90; Klee (2003) S. 312–313 sowie Deist (1954). 169 Klare (1934), Klare (1938a), Klare (1938b), Klare (1939).

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Koester, gab Klare 1940 eine „Konstitutionsschule“ heraus, ein Schema zur Erfassung von Konstitutions- und Rassemerkmalen. Er empfahl dies nicht nur als wichtigen Bestandteil für die Krankengeschichte, sondern auch für die statistische Aufstellung für das Reichsversicherungsamt. Gegen Klares These regte sich nur wenig Widerspruch. In gleicher Weise wie Klare argumentierte auch Ernst Seiffert, Obermedizinalrat in Berlin. Geleitet durch seine rassistische Überzeugung empfahl Seiffert schon 1933 in einem Aufsatz unter dem Titel „Die Tuberkulosebekämpfung vom rassenhygienischen Standpunkt“, die Fürsorge dürfe sich „nicht mehr unterschiedslos jedes Tuberkulösen und seiner Angehörigen annehmen, sondern muß scheiden zwischen dem, was zu erhalten ist, und dem Wertlosen oder sogar schädlichen. Wiederholte Kuren bei erblich Schwerbelasteten – seien es Erwachsene oder Kinder – verschlingen unnütz Mittel, die zum Schutze der Gesunden und zur Heilung der Heilbaren besser zu verwenden sind. [...] Die ärztliche Ethik [...] wird durch ein solches Verfahren nicht verletzt.“171

Nach der Zwangssterilisierung von Tuberkulosekranken verlangten Ärzte allerdings selten explizit. Einer der entschlossensten Verfechter der Zwangssterilisierung war der Leiter der Tuberkulösenfürsorgestelle und Heilstätte Charlottenhöhe bei Calmbach in Württemberg, Erwin Dorn. „Wir müssen als Rassenhygieniker – und das haben wir Ärzte ja mit aller Begeisterung jetzt zu sein – schärfere Maßnahmen verlangen“,

schrieb Dorn 1934.172 „Wenngleich in dem Gesetz eine Tuberkulose noch nicht als Grund für eine Sterilisierung angegeben ist, so müssen wir schon jetzt das recht haben, bei schwerer offener Tuberkulose eine Nachkommenschaft auszuschalten.“173

Dorns Mitarbeiter Carl Ellinghaus veröffentlichte drei Jahre später einen Aufsatz mit anderem Tenor. Obwohl er sich intensiv um die Bestimmung der Rassenmerkmale nach Hans F. K. Günther174 „bemüht“ habe und „die Bestimmung des Körperbaus und der Rassenzugehörigkeit immer von dem gleichen, seit Jahren mit Konstitutionsbestimmungen vertrauten Untersucher (Dr. Dorn)“ vorgenommen wurden, musste er feststellen: „Wir finden also keine Rasse, die bei 170 Bochalli (1958), S. 47. 171 Seiffert (1933). 172 ERWIN DORN (1887–1957) war „der Vorkämpfer der eigentlichen Arbeitstherapie für Erwachsene im Sinne einer produktiven Arbeitsleistung und nicht nur als Spielerei oder lediglich Beschäftigung“. Bochalli (1958), S. 90. 173 Dorn (1934a), S. 42–43 sowie Ellinghaus (1937). 174 HANS F. K. GÜNTHER (1891–1968), Sohn eines Musikers, studierte Germanistik und Romanistik in Freiburg, 1914 Promotion, Soldat im Ersten Weltkrieg, danach pädagogische Hilfskraft. 1920 bis 1922 lebte Günther alleine von den Vorschüssen, die der deutschvölkische Verleger Julius Friedrich Lehmann ihm für seine „Rassenkunde des deutschen Volkes“ gewährte. Dieses Buch, auch „Rasse-Günther“ genannt, erschien 1922 und wurde über 270.000 Mal verkauft. Es war damit das wohl populärste Buch zur NS-Rassentheorie. 1930 erhielt er den ersten, eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Rassenkunde an der Universität Jena. Vgl. Hoßfeld (1999), Warwas/Lohff (2002), S. 223–225, Heidler (2002).

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

sämtlichen Körperbautypen bezüglich der Widerstandskraft gegenüber der Tuberkulose sich eindeutig durchsetzen kann.“ Daher empfahl er lediglich, Menschen mit leptosomem Körperbau ganz besonders vor Ansteckung zu schützen. Dies sei vor allem bei der Berufsberatung von Krankenschwestern und Ärzten zu beachten. Außerdem wäre bei der Eheberatung „die weniger günstige Prognose der Leptosomen zu berücksichtigen“.175 2.3.5. Redeker gegen Verschuer und Münter Viele Ärzte und Wissenschaftler sahen die Möglichkeit der Umsetzung von Sterilisationsforderungen in der Praxis äußerst skeptisch bzw. distanzierten sich ausdrücklich von solchen Überlegungen. Bruno Lange, Direktor der Seuchenabteilung des Robert-Koch-Instituts Berlin, beharrte in zahlreichen Aufsätzen auf der Infektion als einer conditio sine qua non für die Krankheitsentstehung: „Ein eugenisches Vorgehen gegen Tuberkulöse und deren Nachkommen muss deshalb als mangelhaft begründet abgelehnt werden.“176 Einer der engagiertesten Gegner, vor allem Verschuers, war der Gesundheitspolitiker Franz Redeker.177 Redeker führte bereits vor dem Erscheinen der „Zwillingstuberkulose“ in der Zeitschrift für Tuberkulose eine Auseinandersetzung mit Verschuer.178 Er kritisierte von Verschuer und dessen Befürworter, Heinrich Münter, scharf. Münter (*1883) war Anatom und hatte seit 1922 Ordinarius für Anthropologie an der Universität Heidelberg. 1934 verlor er seinen Lehrstuhl und musste emigrieren, weil seine Ehefrau Jüdin war.179 Münter schlug 175 Ellinghaus (1937). 176 Lange (1935a), S. 1756–1757; vgl. auch Lange (1935b). 177 FRANZ REDEKER (1891–1962) war nach seinem Medizinstudium und dem Militärdienst als Arzt im Ersten Weltkrieg. Er promovierte 1918 in Leipzig, wurde 1922 Stadtarzt und Werks- und Fürsorgearzt bei Thyssen in Mülheim. 1926 wurde er Nachfolger von Franz Ickert als Kreisarzt in Mansfeld/Westpreußen, wo er auch die Fürsorgestelle für Lungenkrankheiten leitete. Während seiner Amtszeit in Osnabrück engagierte sich Redeker für eine professionelle Abgrenzung der ärztlichen Berufstätigkeit im öffentlichen Dienst und bemühte sich um deren Integration in den Gesamtärztestand. Er war von 1933 bis 1945 Oberregierungs- und Medizinalrat in Berlin und zugleich Vorstandsmitglied des Reichstuberkuloseausschusses (RTA) sowie Redakteur der Zeitschrift „Der Öffentliche Gesundheitsdienst“. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Redeker zunächst im Hauptgesundheitsamt in Berlin, erhielt dann eine Stelle als Medizinalreferent im Innenministerium in Bonn und war schließlich von 1953 bis 1956 Präsident des Bundesgesundheitsamtes. Vgl. Moser (2002), S. 382 sowie Labisch/Tennstedt (1985), S. 474–476. 178 Braeuning/Redeker (1931), Verschuer (1931), Redeker (1931), S. 25–34. 179 Vgl. Jansen (1992), S. 65, Vetsch (2003), S. 95, Massin (1993), S. 203. Rassenanthropologie in der Weimarer Republik wurde als wissenschaftliches Fach und seriöse wissenschaftliche Forschung angesehen und nicht als Pseudowissenschaft. Massin verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass auch in Deutschland jüdische Professoren dieses Fach vertraten, die nach 1933 sämtlich aus ihren Ämtern entfernt wurden. Massin (2004b), S. 92. Münter beschäftigte sich neben seiner Forschung zur Tuberkulose auch mit anderen anthropologischen Themen, z.B. dem „Rassenwandel“ in Ägypten, vgl. Münter (1928), Münter (1929).

2.3. Erblichkeit und Konstitution

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ein Fortpflanzungsverbot für Tuberkulosekranke und deren Familienmitglieder vor,180 die Redeker als „jüngste Forderung im Wolkenkuckucksheim der eugenischen Tuberkulosebekämpfung“181 bezeichnete. Bei Münter heißt es: „Das ‚allgemeine Menschenrecht‘ der Fortpflanzung ist es, das sich eine Einschränkung gefallen lassen muß.“ Welche Art von „Einschränkung“ sich Münter vorstellte, ließ er offen, doch die Interpretation von Bruno Kurt Schultz182 in einer Rezension von Münters Publikation war deutlich und rief den vehementen Widerspruch Franz Redekers hervor: Münter „deutet auch die rassenhygienische Schlussfolgerung seines Ergebnisses an, die wirklich nur wirksam nur auf Sterilisierung hinauslaufen kann“, so Schultz.183 2.3.6. „Schützengrabentuberkulose“ und Lagerleben Zu welchen Konsequenzen Sterilisationen führen müssten, war vielen Zeitgenossen klar. So verwies der Königsberger Lungenarzt Balder Kattentidt184 1936 darauf, man müsste etwa 20% der Bevölkerung sterilisieren, wenn man alle Kranken mit fortschreitender oder fortgeschrittener Tuberkulose unfruchtbar machen wollte. Kattentidt betonte die Bedeutung der Infektion und stellte heraus, dass „die Tuberkulosedisposition für das Volksganze im gleichen Augenblick bedeutungslos geworden ist, die mehr oder weniger große Brennbarkeit gegenüber dem Funken der Tuberkulose gleichgültig geworden ist, in dem das Herumfliegen dieser Funken verhindert werden kann. Da der Tuberkelbazillus nur verhältnismäßig sehr wenige Ansteckungswege hat, so kann er leicht abgefangen werden. Wenn trotzdem soviel Ansteckung erfolgt, dann nur deshalb, weil die Zahl der Ansteckenden zur Zeit riesig ist, und weil der Großteil der Ansteckenden ansteckend ist, ohne es zu wissen.“185

Kattentidt verwies gleichzeitig auf einen anderen interessanten Aspekt: Eine Vermeidung der „Schützengrabentuberkulose“ sei nur möglich, wenn unter den Soldaten keiner sei, der andere infizieren könne, denn „die Ansteckung erfolgt nicht durch den verseuchten Gegner, sondern durch die Kameraden.“ Damit be180 Münter (1930), S. 352. 181 Redeker (1931), S. 34. 182 BRUNO KURT SCHULTZ (*1901) war Anthropologe und seit 1932 Mitglied der NSDAP und der SS. Er gehörte zu den wichtigsten Mitarbeitern des Rasse- und Siedlungshauptamtes (RuSHA) der SS. Seit 1942 war er Professor für Rassenkunde in Prag. Nach dem Krieg erhielt er eine Professur für Anthropologie am Institut von Otmar von Verschuer in Münster. Vgl. Heinemann (2003), S. 634–635. 183 Schultz (1932). Vgl. auch Peter (2004), S. 40–45. 184 BALDER KATTENTIDT (*1899) arbeitete zu Beginn der 1930er Jahre in der Romberg‘schen Klinik und in der Lungenfürsorgestelle in München. Obgleich er in dem Ruf stand, ein „guter Nationalsozialist“ zu sein, wurde er im Zusammenhang mit dem RöhmPutsch 1934 verfolgt und flüchtete in die Schweiz, wo er in einem Lungensanatorium arbeitete. Er kehrte 1935 nach Deutschland zurück und ging nach Königsberg. BArchB PK F 0302, Bl. 1982–1992. 185 Kattentidt (1936), S. 257.

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nannte er eine im Nationalsozialismus an Bedeutung gewinnende Quelle der Infektion, wenn Kattentidt auch optimistisch meinte, die deutsche „Kriegsmedizin“ habe schon größere Aufgaben zu lösen gewusst.186 Die zunehmende gemeinschaftliche Unterbringung von Menschen in verschiedenen Formen von Lagern wie beispielsweise bei der Hitlerjugend, dem Bund deutscher Mädel, in Kasernen der Wehrmacht und des Reichsarbeitsdienstes sowie das Zusammentreffen von großen Menschenmassen bei Reichsparteitagen und anderen Massenaufmärschen begünstigte die Verbreitung der Tuberkulose.187 Weindling verweist darauf, dass die steigende Zahl von Lagern jeder Art zu immer größeren Problemen mit Ungeziefer Flöhen und Läusen und mit den dadurch übertragenen Infektionskrankheiten führte.188 Auf den Reichsparteitagen wurden jedes Jahr 140.000 Menschen in Massenquartieren untergebracht, die lediglich aus mit Stroh ausgelegten Hallen oder Zelten bestanden, in denen die Menschen dicht gedrängt lagen.189 In den Lagern des Reichsarbeitsdienstes, beispielsweise beim Autobahnbau, kam zu katastrophalen Unterkünften die schlechte Ernährung und schwere, oft gesundheitsschädliche körperliche Arbeit. So wurden 20 Arbeiter einer Autobahnbaustelle auf 28m2 untergebracht. Sie mussten zur Versorgung mit Trinkwasser 2 km zurücklegen.190 1938 wurde die Zahl der Offentuberkulösen auf 450.000 geschätzt, die Zahl der nicht aktiven Tuberkulösen auf etwa 1,3 Millionen. Es handelte sich dabei um ca. 2% der Bevölkerung.191 Die Zahl der Neuerkrankungen an Lungen- und Kehlkopftuberkulose betrug 1937 62.735 Fälle, 1938 59.654 Fälle und 1939 71.834 Fälle.192 Die im Vergleich zu 1937 festgestellte Erhöhung wurde, möglicherweise auch aus propagandistischen Gründen, der Verbesserung der Untersuchungsmethoden, allen voran den Röntgenreihenuntersuchungen, zugeschrieben.193 Betont vorsichtig hieß es im Bericht der Abteilung Volksgesundheit des Reichsministeriums des Innern: „Die Tuberkulose zeigte auch im Jahre 1938 oft ein recht unterschiedliches Bild in bezug auf ihre Häufigkeit und auch in bezug auf die Zahl der Todesfälle. Als sicher kann gelten, daß eine gewisse, mehr oder minder starke Erhöhung der Ziffern in einzelnen Gebieten wesentlich auf die viel stärkere Erfassung der Krankheitsfälle zurückzuführen ist. Röntgenreihenuntersuchungen in Arbeitsstätten, Lagern und Schulen usw. haben begreiflicherweise da und dort neue Fälle herausgefunden, die nach den alten Methoden zum mindesten noch recht lange Zeit unbekannt geblieben wären.“194

186 Kattentidt (1936), S. 257. 187 Vgl. Sachße/Tennstedt (1992), S. 170 sowie Krause-Vilmar (1984). Vgl. dazu auch Wihan (1942), S. 160–161. 188 Vgl. Weindling (2000), S. 262. 189 Vgl. Zelnhefer (2002), S. 147. 190 Vgl. Schütz/Gruber (1996), S. 28. 191 Vgl. Fassbender (1939). 192 Reichsgesundheitsblatt 3 (1940), S. 52. 193 Vgl. Schrag (1942). 194 Der Öffentliche Gesundheitsdienst (1939), S. 131.

2.3. Erblichkeit und Konstitution

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Die Sterblichkeit sei, so der Autor ohne Angabe von Zahlen, „etwas zurückgegangen“.195 Seit Beginn des Krieges stieg die Zahl der Erkrankungen signifikant an.196 Die Verhinderung der Fortpflanzung von Menschen, die an Tuberkulose litten, hätte, unabhängig davon, welches der im Nationalsozialismus zur Verfügung stehenden Instrumente Verwendung finden sollte, in jedem Falle zu einem erheblichen Rückgang der Geburtenrate geführt. Die radikalste Maßnahme war die der Zwangssterilisation, die selten wegen Tuberkulose und nur in Verbindung mit anderen eugenischen Gründen angeordnet wurde. Ihr lag das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“197 zugrunde. Da im Gesetz die Tuberkulose als Indikation nicht genannt wurde, wurde gelegentlich vermeintlich angeborener Schwachsinn diagnostiziert. Häufiger kam das Ehegesundheitsgesetz198 zur Anwendung. Mit Hilfe dieses Gesetzes konnten das Verbot der Eheschließung und die Verweigerung des Ehestandsdarlehens verhängt werden, eine Maßnahme, die in der damaligen Zeit für viele Menschen Kinderlosigkeit zur Folge hatte.199 Daran konnte nationalsozialistischen Gesundheitspolitikern nicht gelegen sein, wie auch Ärzte verschiedentlich in der Fachpresse aufzeigten. Der stellvertretende Geschäftsführer des Reichstuberkulose-Ausschusses, Ernst Seiffert, betonte in zwei Vorträgen, die er im Jahr 1936 vor Juristen der Erbgesundheitsgerichte hielt, ausdrücklich, dass weder die von ihm selbst für richtig befundene Theorie über die „Erbvorgänge“ der Tuberkulose bei der Entscheidung eine Rolle spielen dürfe noch das Ehegesundheitsgesetz ein „Ehehindernisgesetz“ sein solle.200 Weitergehend war die Argumentation von Wilhelm Roloff. Er wies in Bezug auf die Gewährung des Ehestandsdarlehens ausdrücklich darauf hin, dass der untersuchende Arzt sich bewusst sein solle, dass einerseits „der heutige Staat nur rassisch und gesundheitlich wertvollen Menschen zur Aufzucht von Nachkommenschaft verhelfen will“, andererseits „das Ehestandsdarlehen nicht allein von be195 Ebenda, S. 125. 196 Vgl. Sadowski (1944), S. 286 sowie Grundmann, E. (2001), S. 106. Sadowski, Leiter der Fürsorgestelle für Lungenkranke und Tuberkulöse in Königsberg, griff auf das statistische Material seiner Fürsorgestelle sowie des Gesundheitsamts Königsberg aus den Jahren 1938 bis 1942 zurück. Er stellt einen deutlichen absoluten als auch relativen, durch die Verbesserung der diagnostischen Verfahren hervorgerufenen Anstieg der Erkrankungszahlen fest (S. 289). Für die Jahre 1940 und 1941 weist er außerdem eine erhöhte Tuberkulosesterblichkeit bei insgesamt fallender Sterblichkeit aus, die er auf „die direkten Einflüsse des Krieges (mangelnde Ernährung, Überbelastung durch kriegsbedingte Arbeit, seelische Erschütterungen)“ zurückführt (S. 288). 197 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, RGBl. I 1933, S. 529– 531. Vgl. auch den Kommentar von Arthur Gütt, Ernst Rüdin und Falk Ruttke: Gütt et al. (1934). 198 Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935, RGBl. I 1935, S. 1246. 199 Für eine strenge Auslegung des Gesetzes sprach sich beispielsweise der Magdeburger Lungenarzt Egmont Hartmann aus, der darin eine „Sicherungsmaßnahme“ sah, die der Staat „in seiner Fürsorge für die Gesundheit und Wiederhochzüchtung des Volkes ergriffen“ habe. Hartmann (1938), S. 609. 200 Vgl. Abdruck der Vorträge: Seiffert (1936). Siehe auch Seiffert (1933) und Seiffert (1939).

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völkerungspolitischen Gesichtspunkten aus betrachtet werden darf“, da es „in erster Linie eine groß angelegte arbeitsmarktpolitische Maßnahme des neuen Reiches darstellt“. Dies gehe schon daraus hervor, so Roloff, dass das Gesetz über die Förderung der Eheschließungen Teil des Gesetzes zur Verminderung der Arbeitslosigkeit sei.201 Selbst bei einer eindeutig diagnostizierten Tuberkulose sollte die Schwangerschaft nicht unterbrochen werden. Es gehe darum, die Abtreibungen zu verhindern, die „ohne hinreichende Anzeige, sei es aus Übervorsicht oder unter falscher Flagge der Tuberkulose durchgeführt werden“, schrieb Kurt Lydtin in den offiziellen „Richtlinien zur Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung aus gesundheitlichen Gründen“ der Reichsärztekammer. „Vor allem können die Schwangerschaftsunterbrechungen bei gesunden Frauen, die nur ad hoc tuberkulosekrank sein wollen oder tuberkulosekrank gemacht werden, heute praktisch völlig unterbunden werden.“ Lydtin hatte dabei jedoch die Fortpflanzung der „rassisch einwandfreien, arischen“ Frauen im Auge.202 Als sich 1944 mit der Verschlechterung der Ernährungslage und hygienischen Verhältnisse eine Zunahme der Zahl der Tuberkulosekranken abzeichnete, intervenierte Kurt Klare beim Reichtuberkulose-Ausschuss, die Indikationsstellung zu überdenken. Er schrieb an Kayser-Petersen, die Konstitution solle „weitestgehend berücksichtigt werden“. Ob es zu einer Änderung der entsprechenden Richtlinien kam, ist aufgrund der lückenhaften Überlieferung nicht mehr festzustellen.203 Eine der wenigen Ärztinnen, die sich zu diesem Thema öffentlich zu Wort meldeten, war die im Treuenbrietzener Krankenhaus tätige Margarete Karlbaum.204 Karlbaum trat dafür ein, die Eheschließung nur zu befürworten, wenn keine Kinder mehr zu erwarten sind. Dass bei aller Bemühung pragmatisch denkender Lungenärzte, eine breite Anwendung der erlassenen Gesetze zu vermeiden, keineswegs das Wohl der Patienten Beweggrund war, zeigt auch die von Karlbaum vertretene Meinung deutlich. Im Laufe der Auseinandersetzung fanden sich sowohl Verfechter einer strikt eugenischen Gesundheitspolitik und solche, die pragmatische Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche Tuberkulose vorschlugen, unter ihnen Gesundheitspolitiker und Medizinalbeamte, die bereits über längere Berufserfahrung ver201 Roloff (1934). WILHELM ROLOFF (1899–1949) war zunächst Oberarzt des Fürsorgeamtes für Lungenkranke in Berlin-Charlottenburg und Chefarzt des Tuberkulosekrankenhauses der Provinz Brandenburg in Treuenbrietzen, später Chefarzt der Heilstätte Donaustauf bei Regensburg. Vgl. Bochalli (1949). 202 Kurt Lydtin (1936), S. 59 und S. 78–79. Vor der strengen Indikationsstellung im Nationalsozialismus war die Abtreibung bzw. Unfruchtbarmachung von Frauen z. B. mit schweren Herzerkrankungen oder Tuberkulose, unabhängig von eugenischen Überlegungen, als therapeutische Maßnahme durchaus verbreitet. Man ging davon aus, dass Menstruation und Schwangerschaft den Zustand der chronisch kranken Frauen negativ beeinflussen würde. Vgl. zu Deutschland: Schagen (2007), S. 63, zu den USA: Lerner (1994). 203 Kurt Klare an Emil J. Kayser-Petersen, Schreiben vom 13. Januar 1944, BArchB, R 96 II, Band 21, Bl. 97–98. 204 Karlbaum (1941), S. 142–143. Karlbaum war Oberarzt [sic] im Tuberkulosekrankenhaus der Provinz Mark Brandenburg in Treuenbrietzen und Mitarbeiterin von Roloff.

2.4. Einführung der Zwangsasylierung

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fügten, sowie Ärzte aus Fürsorgestellen und Heilstätten. Die Diskussion war, so Kelting, „eine Mischung aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und ideologiebedingten Emotionen“.205 2.4. EINFÜHRUNG DER ZWANGSASYLIERUNG 2.4.1. Beginn der Seuchengesetzgebung Die Weltwirtschaftskrise und die Machtübernahme der NSDAP bedeuteten für die Tuberkulosebekämpfung historische Zäsuren. Es fand ein deutlicher Perspektivwechsel von der Erhaltung der Gesundheit und des Individuums hin zur Leistungsfähigkeit der Volksgemeinschaft statt, der es erlaubte, für die konkrete Umsetzung von Maßnahmen zu plädieren, die mit den rechtsstaatlichen Prämissen der Weimarer Republik als unvereinbar galten. Bereits seit der Jahrhundertwende machten Experten hinsichtlich der Prävention einen erheblichen Handlungsbedarf des Staates aus, aber bis in die 1920er Jahre hinein wurden seitens des Gesetzgebers nur zögerlich Maßnahmen ergriffen. Die Zahl der Betroffenen, als Tuberkulosekranke oder als deren Angehörige, war zu groß als dass sinnvollerweise eine auch nur annähernde Isolierung der Kranken durchgeführt werden konnte. Die empfundene Gesetzeslücke führte zu einer Unzufriedenheit in weiten Kreisen der Ärzteschaft. Die Kritik bezog sich auf den Mangel an gesetzlichen Vorgaben, wie mit ansteckungsfähigen Kranken umzugehen sei und welche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen werden konnten. Lungenärzte aus Fürsorgestellen und Lungenheilstätten sowie Medizinalbeamte forderten Gesetze zur weiteren Bekämpfung der Krankheit durch Isolierung von infektiösen Personen, deren zwangsweise Verwahrung bis dahin nicht möglich war. Das erste umfassende Seuchengesetz war das preußische „Regulativ über die sanitätspolizeilichen Vorschriften bei den am häufigsten vorkommenden ansteckenden Krankheiten“ vom 8. August 1835. Es entstand als Antwort auf die schwere Cholera-Epidemie von 1831. Die Medizinalverwaltung Preußens war zu dieser Zeit dem Ministerium des Innern zugeordnet, doch in der Folge der Revolution von 1848 unterlag das Innenministerium in der Auseinandersetzung um die Zuständigkeit der Medizinalabteilung. Diese wurde dann 1849 dem Ministerium der Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten zugeordnet, wo sie bis 1911 verblieb. Martin Kirchner, einer der einflussreichsten Medizinalbeamten und Gesundheitspolitiker um die Jahrhundertwende, stellte 1907 ernüchtert fest, dass zwar „die wissenschaftliche Erkenntnis von der Entstehung, Verbreitung und Bekämpfung der Seuchen in der zweiten Hälfte des vorherigen [des 19.] Jahrhunderts [...] eine Wandlung erfuhr, [...] daß kundige und einsichtige Medizinalbeamte aus sich heraus von Fall zu Fall Vorschläge zur Bekämpfung der Seuchen machten, daß aber bei der Mehrzahl der Beamten die

205 Kelting (1974), S. 5.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945 gesetzlichen Bestimmungen je länger desto weniger Beachtung fanden, so daß von einer zielbewußten Seuchenbekämpfung kaum noch die Rede war.“206

Am 30. Juni 1900 wurde für das Deutsche Reich das „Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten“ erlassen. Es sah eine Meldepflicht für Erkrankungs- und Todesfälle von Lepra, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest und Pocken vor. Den einzelnen Ländern oblag es, dieses Gesetz durch eigene gesetzliche Regelungen zu ergänzen, wie es das Königreich Preußen mit dem gleichnamigen Seuchengesetz vom 28. August 1905 tat. Das preußische Gesetz enthielt in der Aufzählung der meldepflichtigen Erkrankungen und Todesfälle eine Anzahl weiterer Infektionskrankheiten. Hier wurde auch erstmals die Meldung des Auftretens der Tuberkulose festgelegt, jedoch nur im Todesfall. Ebenso wurden bereits Absonderungsmaßnahmen für erkrankte Personen beschlossen, die an Diphtherie, Tetanus, Ruhr, Scharlach, Typhus, Rotz und Tollwut litten.207 Mit der Entstehung der Verfassung der Weimarer Republik blieb eine Konkurrenz der Gesetzgebung zwischen Reich und Ländern bestehen, ein Verhältnis, das während der gesamten Zeit problematisch war.208 In Artikel 7 der Reichsverfassung wurde festgelegt, dass die Kompetenz der Gesetzgebung zum Gesundheitswesen beim Reich lag. Falls dieses jedoch keinen Gebrauch davon machen würde, könnten die Länder, so Artikel 12, entsprechende Gesetze erlassen. Die sozialistischen Parteien hatten 1919 in der Nationalversammlung und 1923 im Reichstag vergeblich die Einrichtung eines Gesundheitsministeriums beantragt. Das entsprechende Ressort wurde zwischen zwei Ministerien aufgeteilt: das Reichsarbeitsministerium wurde mit der Sozialversicherung, der Kriegsopferfürsorge und von 1922 bis 1936 auch mit der Fürsorge betraut. Im Reichsinnenministerium gab es nur eine schlecht ausgestattete Abteilung für „Volksgesundheit, Wohlfahrtspflege, Deutschtum und Fremdenwesen“.209 Die einzelnen Länder trafen unterschiedliche Regelungen zur Tuberkulosebekämpfung. Eine einheitliche Verfahrensweise in Seuchenbekämpfung und Fürsorge war nicht möglich.210 Anzeigepflicht, Absonderung von Offentuberkulosen und Fürsorgemöglichkeiten waren in den Diskussionen von Experten eng miteinander verbunden.211 Auch neue Landesgesetze wie das in Preußen erlassene Gesetz zur Bekämpfung der Tuberkulose vom 4. August 1923 änderte nichts an dieser Situation. „Die Fürsorgestellen [seien] nicht reif, um einem Reichsgesetz zur Durchführung zu verhelfen“,212 hieß es im 1926 erschienen Handbuch der

206 Kirchner (1907), S. XII–XIII. 207 Allgemeine Ausführungsbestimmungen zum Preußischen Gesetz vom 28. August 1905, § 8 III., vgl. Kirchner (1907), S. 110. 208 Apelt (1964), S. 145. 209 Vgl. Labisch/Tennstedt (1985), S. 58–67. 210 Einen guten Überblick über die einzelnen Tuberkulosegesetze bietet Sissle (1928). 211 Vgl. Blümel (1926b). Blümel war der Gründer der Gesellschaft Deutscher Tuberkuloseärzte. 212 Blümel (1926b), S. 98.

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Tuberkulosefürsorge. Immer wieder wurde die Forderung vieler Gesundheitspolitiker und Ärzte nach einem Reichstuberkulosegesetz laut.213 Die Lage wurde als ausgesprochen prekär empfunden. Um die Jahrhundertwende gab es in Deutschland etwa 200.000 Tuberkulosekranke mit einer offenen Lungentuberkulose, also Personen, die die Erkrankung übertragen konnten.214 Diese lebten zumeist in ihren Familien und verdienten, sofern sie dazu noch in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst. Offen Tuberkulöse arbeiteten als Schaffner, Kellner und Köche, obwohl auch in der Bevölkerung bekannt war, dass die Infektionskrankheit Tuberkulose aerogen übertragen wurde, d.h. durch Husten, Niesen, Schreien, Lachen, lautes Singen, Sprechen und sonstige Formen verstärkter Ausatmung. Die Absonderung der Kranken, wie sie immer häufiger verlangt wurde, hätte in den meisten Fällen eine untragbare wirtschaftliche Situation für die betroffenen Familien bedeutet.215 Nur ein geringer Prozentsatz der Kranken konnte sich einer Kur in Sanatorien und Heilstätten unterziehen. Die Wirksamkeit von Heilstättenaufenthalten wurde darüber hinaus immer wieder in Frage gestellt. Viele Patienten erkrankten kurze Zeit nach der Entlassung wieder. Die Heilstätten nahmen zudem meist nur leichte Fälle auf, die eher Aussicht auf Heilung boten. Schwerkranke, die das größere Infektionsrisiko darstellten, wurden schlecht betreut.216 So entschloss man sich um die Jahrhundertwende zuerst in Preußen unter Kirchners Ägide Tuberkulosefürsorgestellen einzurichten. Als Vorbild dienten dabei ähnliche Einrichtungen in Frankreich und Belgien.217 In den Fürsorgestellen wurden die Kranken durch Fürsorgerinnen betreut, die kostenlos Verhaltensmaßregeln empfahlen und Ratschläge zur Desinfektion erteilten. Die Tuberkulosefürsorge unterhielt 1925 in ganz Deutschland 267 Tbc-Fürsorgestellen, in denen 386.667 Kranke betreut wurden.218

213 Vgl. dazu eine Auseinandersetzung in der „Zeitschrift für Tuberkulose“ Güterbock (1926), Güterbock (1929), Kreuser/Deuster (1929), Landau (1930) sowie Kreuser (1935). Friedrich Kreuser und Hanna Deuster forderten eine einheitliche Gesetzgebung, um ein Abwandern der Kranken als Flucht vor Zwangsmaßnahmen in andere Regionen zu verhindern. Friedrich Kreuser war Obermedizinalrat und Medizinalreferent der Landesversicherungsanstalt Württemberg in Stuttgart. Später wurde er deren ärztlicher Leiter. Vgl. auch Hähner-Rombach (2000), S. 270. 214 Koch (1901). 215 Vgl. zum Kenntnisstand der Bevölkerung über die Übertragung der Tuberkulose: Peitmann (1933). Peitmann verfaßte zu diesem Thema eine medizinische Dissertation am Hygienischen Institut der Universität Heidelberg. Er befragte 600 Menschen verschiedener Schichten und kam zu dem Ergebnis, dass lediglich die Hälfte der Bevölkerung angemessen über die Symptome und Übertragungsmöglichkeiten der Tuberkulose aufgeklärt war. 216 Vgl. Vossen (2001), S. 110–111. 217 Ebd., S. 111. 218 Labisch/Tennstedt (1985), S. 71.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

2.4.2. Thüringen: „Kampffront gegen Tuberkulose“ Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts sank die Tuberkulosemortalität in Deutschland mit Ausnahme weniger Jahre stetig. Lediglich in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs sowie während der Weltwirtschaftskrise und der Inflation war ein vorübergehender Anstieg zu verzeichnen, wobei die Zahl der an Tuberkulose Verstorbenen 1923 mit rund 95.000 etwa der des Jahres 1913 entsprach. 1930 starben nur noch etwa 50.000 Menschen an Tuberkulose.219 Trotz dieser Entwicklung vollzog sich in den 1920er Jahren eine spürbare Radikalisierung im Umgang mit Tuberkulosekranken. Herrschte vorher allgemein eine Einstellung vor, die von Empathie mit dem Kranken geprägt war, wurde nun häufiger, auch und gerade von Tuberkuloseärzten, das Bild eines Patienten gezeichnet, der seine Krankheit selbst verschuldet habe, der nicht bereitwillig genug sei, allen angeordneten Maßnahmen zu folgen und damit eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.220 Unter den Ländern des Deutschen Reichs nahm Thüringen dabei eine hervorgehobene Stellung ein. Einer der Verfechter dieser rigorosen Haltung war der Leiter der Tuberkulosefürsorgestelle für den Stadt- und Landkreis im thüringischen Altenburg, Günther Krutzsch. Bemerkenswerterweise argumentierte Krutzsch bereits 1925 für die Einführung der Zwangsabsonderung mit dem sogenannten „Volksempfinden“.221 1928 sprach er unverhohlen von der „Durchführung der Haft an Tuberkulösen“, die damit für „unverbesserliche Unbelehrbarkeit oder [...] vorsätzliche Böswilligkeit“ zu bestrafen seien.222 In den 1930er Jahren verband er seine gesundheitspolitischen Überlegungen mit einer deutlichen politischen Stellungnahme zugunsten der Nationalsozialisten. So forderte er, man solle „an Stelle des liberalistischen Individualismus den Gedanken des Nationalsozialismus und damit das Allgemeinwohl über den Egoismus des Einzelnen setzen.“ Er forderte ein „kraftvolles Zupacken“ beim Kampf gegen die Tuberkulose und verkündete, „der Sieg der nationalsozialistischen Weltanschauung habe es ermöglicht, endlich auch auf dem Gebiet der Tbc-Bekämpfung Gemeinnutz über Eigennutz zu stellen“. Wortgleich hatte bereits zwei Jahre zuvor Franz Heisig für das thüringische Modell der Zwangsasylierung geworben. Sowohl Krutzsch, wie auch Heisig und Kloos, alle aus dem Bezirk Thüringen des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses, bedienten sich beim Thema Zwangsasylierung gerne der Zitate aus Hitlers „Mein Kampf“.223 Heisig be219 Vgl. Hähner-Rombach (2005), S. 346–347. 220 Vgl. u.a. Baer (1933), Denker (1933), Dugge (1933), Noak (1933), Pfaff (1933), Denker (1934), Dugge (1934), Kalk (1934), Baer (1935), Noak (1935), Oxenius (1935), Oldenburg (1937). Vgl. auch Hähner-Rombach (2005), S. 350. 221 Vgl. Krutzsch (1925), S. 131. 222 Vgl. Krutzsch (1925), (1927), (1928), (1929), hier Krutzsch (1928), S. 97. 223 Krutzsch (1939). Krutzsch gehörte zu den wenigen Tuberkuloseärzten, die in „Ziel und Weg“ sowie im „Erbarzt“ publizierten. Bei Heisig heißt es: „Der immer lauter werdende Ruf nach Errichtung einer besonderen Asozialen-Abteilung konnte aber erst im Dritten Reich verwirklicht werden, nachdem alle Volksschichten mehr und mehr an die Stelle des liberalistischen

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zeichnete die Thüringische Tuberkulose-Gemeinschaft als die „in Thüringen gut ausgebildete Kampffront gegen Tuberkulose“.224 Dieser „Kampffront gegen Tuberkulose“ können auch die damaligen Jenenser Professoren Emil Julius Kayser-Petersen und Felix Lommel zugerechnet werden.225 Lommel war Direktor der Universitätspoliklinik Jena.226 KayserPetersen, geboren 1886, hatte Medizin studiert und war 1912 approbiert worden. Er nahm als Militärarzt am Ersten Weltkrieg teil. 1919 wurde er Oberarzt an der Medizinischen Klinik des Heilig-Geist-Hospitals in Frankfurt am Main. Lommel holte ihn 1923 als leitenden Arzt der Tuberkulosefürsorgestelle nach Jena.227 1925 wurde er Oberarzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin Jena. KayserPetersen wurde 1924 Mitglied des Stahlhelm und im April 1936 Mitglied der NSDAP. Seit 1930 war er Privatdozent und wurde 1936 a. o. Professor in Jena.228 Als Vizepräsident und Generalsekretär des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses war er Sachbearbeiter für Tuberkulosefragen des Reichsministerium des Innern. In dieser Eigenschaft hatte er neue Medikamente gegen Tuberkulose zu begutachten und gegebenenfalls eine klinische Prüfung zu veranlassen. Kayser-Petersen starb 1954.229 Lommel plädierte für die Durchsetzung eines ärztlichen Behandlungszwangs und verwies auf seiner Meinung nach vorhandenen Parallelen zur Zwangssterilisierung: „Daß die zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten, auch Unsicherheiten der ärztlichen Beurteilung einen Einwand gegen den Behandlungszwang nicht abgeben können, zeigt ein Blick

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Individualismus den Gedanken des Nationalsozialismus und damit das Gemeinwohl über den Egoismus des Einzelnen gesetzt hatten.“ Heisig (1937), S. 9. Seinem Aufsatz: Neue Wege zu einem Generalangriff gegen die Tuberkulose (1938) stellte er als Motto ein Zitat aus „Mein Kampf“ voran. Kelting spricht in diesem Zusammenhang von einer schablonenhaften Übernahme der Ausdrücke. Vgl. Kelting (1974), S. 33–34. Blasius greift vor allem Hitlers Sprachbild der „Rassetuberkulose“ als Bezeichnung für Juden heraus. Vgl. Blasius (1996a) sowie Blasius (1996b). Heisig (1934), S. 106. Vgl. Kayser-Petersen (1929), (1933), (1934), (1935), (1937a), (1937b), (1939a), (1939b), (1941) sowie Kayser-Petersen (1942). FELIX LOMMEL (1875–1965) war von 1933 bis 1945 Ordinarius in Jena und Direktor der Tuberkuloseklinik der Landesversicherungsanstalt Thüringen. Er gehörte zu den Prüfern des Buchenwalder SS-Arztes Erich Wagner. Wagner wurde 1940 an der Universität Jena zum Dr. med. promoviert. Titel seiner Arbeit war: Ein Beitrag zur Tätowierungsfrage. Die Dissertation wurde vom Buchenwalder Häftling Paul Grünewald verfasst, der dazu die Tätowierungen von etwa 800 Häftlingen untersuchte. Vgl. Hirte/Stein (2003), S. 378–379 und S. 408, Hoßfeld et al. (2003), S. 1126, Zimmermann (1994), (2000) sowie (2003). Sehr aufschlussreich ist auch eine bei Lommel und Kayser-Petersen entstandene Dissertation zur „Schutzverwahrung gemeinschaftswidriger Schwindsüchtiger“, in der der Autor in aller Deutlichkeit Forderungen zur Verwahrung Tuberkulosekranker formulierte. Es ist anzunehmen, dass der Inhalt der Arbeit zumindest Lommels Zustimmung fand, da eine Zusammenfassung in der „Zeitschrift für Tuberkulose“ erschien. Vgl. Rössler (1935). Vgl. Debernitz (1994), S. 28. Vgl. Süß (2003), S. 469. Vgl. Debernitz (1994), S. 90.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945 auf die Bewährung der Erbgesundheitsgerichte. [...] Die für die Volksgesundheit wertvolle Tätigkeit der Erbgesundheitspflege ist nicht gescheitert daran, daß manchmal eine richtige und sichere ärztliche Stellungnahme nicht erreicht werden kann.“230

So ist es nicht verwunderlich, dass das Land Thüringen Vorreiter in Sachen Zwangsmaßnahmen gegen Tuberkulosekranke war. Dessen nationalsozialistischer Innenminister, Wilhelm Frick, erließ am 1. September 1930 die auch als Landesseuchenordnung bekannt gewordene Verordnung zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.231 Frick war ab 23. Januar 1930 thüringisches Regierungsmitglied und somit der erste nationalsozialistische Minister einer deutschen Landesregierung, wenngleich er sein Ministeramt durch ein Misstrauensvotum am 1. April 1931 bereits wieder verlor. Dieser frühe Wahlerfolg der Nationalsozialisten zog eine Reihe von politischen und personellen Entscheidungen nach sich, die darauf abzielten, den „Mustergau“ Thüringen zu schaffen.232 Ungewöhnliches enthielt die Landesseuchenordnung nicht. Die von Frick nachfolgend erlassenen Ausführungsbestimmungen233 allerdings waren überaus diskriminierend und wecken Assoziationen zur wenige Jahre später einsetzenden Verfolgung der Juden. Die größte Aufmerksamkeit erregte die Bestimmung, eine Möglichkeit der Zwangsabsonderung einzurichten. Als Einrichtung der „Absonderung“ wird neben dem Krankenhaus ein nicht näher bezeichneter „Unterkunftsraum“234 genannt. Des Weiteren wurden „ansteckungsfähige Personen, die obdachlos oder ohne festen Wohnsitz oder berufs- oder gewohnheitsmäßig umherziehen“ von vorneherein zur „Absonderung“ vorgesehen.235 Sollten Kranke ihre Wohnung oder ihr Haus nicht verlassen, sollte eine „Kennzeichnung [...] durch Anbringung des Krankheitsnamens in großen deutlichen Buchstaben an einer ins Auge fallenden Stelle“ erfolgen. Diese Formulierung weist eine deutliche Ähnlichkeit zu spätere Anordnungen bei der Verfolgung jüdischer Deutscher auf. So hieß es dort: „Zur Verhinderung 230 Lommel (1939), S. 1551. 231 Die Verordnung hatte den Landtag nicht mehr zu passieren. Durch das Thüringische Ermächtigungsgesetz vom 29. März 1930 (Gesetzessammlung für Thüringen 1930, S. 23) wurde sie allein per Kabinettsbeschluss Gesetz. WILHELM FRICK (1877–1946) hatte sich früh nationalsozialistischen Ideen zugewandt. Er studierte Jura in München, Göttingen und Berlin und wurde 1901 zum Dr. jur. promoviert. Seit 1907 war Frick Assessor in Pirmasens, 1919–1921 Leiter der Bayrischen Politischen Polizei. Wegen seiner Teilnahme am HitlerPutsch war er in Haft. Seit 1924 war er Mitglied des Reichstags, zunächst für die Deutschvölkische Freiheitspartei, dann für die NSDAP, seit 1928 deren Fraktionsvorsitzender. Frick war 1925 der NSDAP beigetreten. Nach der Neuwahl zum Thüringischen Landtag hatte die NSDAP am 8. Dezember 1929 6 von 53 Sitzen errungen. Da die bürgerliche Regierung sich nicht auf eine bürgerliche Mehrheit stützen konnte, kam eine Koalitionsregierung mit der NSDAP zustande. Vgl. Neliba (1992), S. 57–68. 232 Vgl. Weindling (1991a), S. 86. 233 Ausführungsbestimmungen zum Reichsseuchengesetz und zur Landesseuchenordnung (Seuchen-Ausführungsbestimmungen, S.A.B.) vom 8. September 1930, in: Gesetzessammlung für Thüringen 1930, S. 229–238. 234 Ausführungsbestimmungen § 22, I. 235 Ebd., III.

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von Tarnungen werden Juden angewiesen, ihre Wohnungen mit einem schwarzen Judenstern an der Eingangstür zu kennzeichnen.“236 Krutzsch empfahl die Plakatierung der Wohnungen von Tbc-Kranken noch Jahre später, quasi als Erfolgsmodell, und ergänzte sie um die Forderung nach einer Kennzeichnung der Kranken durch „das sichtbare Tragen von Armbinden oder ähnlicher Warnungszeichen.“237 Das Benutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln wurde untersagt, zur Benutzung der Eisenbahn wurde eine besondere Genehmigung notwendig. Den Kranken wurde sie nur „unter der Bedingung gestattet […], daß der abzusondernden Person ein zuverlässiger Begleiter beigegeben wird.“238 Alle Bestimmungen bezogen sich auf so genannte „absonderungsbedürftige Personen“. Wer absonderungsbedürftig war, entschied der „beamtete Arzt“, also spätestens ab 1935 das Gesundheitsamt. Die Verordnung ist jedoch nicht alleine auf die Initiative Fricks zurückzuführen. Ein Entwurf lag bereits über ein Jahr früher vor. Auf der Sitzung des Ausschusses der Gemeinschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose in Thüringen wurde er am 15. März 1929 eingehend diskutiert. Die dort anwesenden Tuberkuloseärzte, so auch Julius Emil Kayser-Petersen, sahen mit dem Gesetz nur einen Teil ihrer Forderungen erfüllt: aus dem erhofften Tuberkulosegesetz für das Land Thüringen war ein Landesseuchengesetz geworden. Es würde damit, so KayserPetersen, den „besonderen Bekämpfungsmaßregeln“ der Tuberkulose nicht gerecht. Außerdem wurde den Tuberkulosefürsorgestellen keinerlei Bedeutung beigemessen, obwohl die Lungenärzte gerade in ihnen das wichtigste Instrument der Tuberkulosebekämpfung sahen. Die rechtliche Möglichkeit der Zwangsabsonderung begrüßte Kayser-Petersen hingegen sehr.239 Auf Initiative des Ersten Vorsitzenden der Tuberkulose-Gemeinschaft Thüringen und thüringischen Landesärzteführers, Karl Oskar Klipp,240 wurde bereits anderthalb Jahre nach der Machtergreifung eine Institution zur Zwangsasylierung Tuberkulosekranker geschaffen.241

236 Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 13. März 1942, zitiert nach Walk (1981), S. 366. 237 Ausführungsbestimmungen § 23, I; Krutzsch (1939). 238 Ausführungsbestimmungen § 27, I, II. In einem Erlass des Reichsverkehrsministers vom 18. September 1941 zur Benutzung von Verkehrsmitteln durch Juden heißt es: „Juden bedürfen einer polizeilichen Erlaubnis zum Verlassen des Wohnorts und für ihre Fahrten in bestimmten Verkehrsmitteln an ihrem Wohnort; der Erlaubnisschein ist vorzuzeigen. [...] Die Benutzung von Warteräumen und aller übrigen öffentlichen Einrichtungen der Verkehrsmittel ist ihnen nur unter Beschränkungen gestattet.“ Zitiert nach: Walk (1981), S. 350. 239 Kayser-Petersen (1929). 240 KARL OSKAR KLIPP (*1898), seit 1924 Landarzt, 1930 Mitglied in NSDAP und SS, seit 1933 MdR, Vertrauter des Reichsärzteführers Gerhard Wagner, Staatskommissar für das Gesundheitswesen im Innenministerium (Ministerialrat) und Beauftragter des Reichsärzteführers für die ärztlichen Spitzenverbände in Thüringen; „Schlüsselfigur“ für die Gleichschaltung des Gesundheitswesens in Thüringen. Nach Auseinandersetzungen mit Karl Astel 1936 entmachtet. Vgl. Vossen (2001), S. 434–437. 241 Vgl. Debernitz (1994), S. 20.

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2.4.3. Die „Absonderung“ der „asozialen Offentuberkulosen“ Am 15. Oktober 1934 wurde die erste „Zwangsasylierungsanstalt für asoziale Offentuberkulöse“ eröffnet. Sie war als Abteilung den Thüringischen Landesheilanstalten Stadtroda, einer psychiatrischen Klinik, angegliedert. Diese Anstalt wurde zum Vorbild für die Unterbringung von „asozialen und antisozialen Offentuberkulosen“ in ganz Deutschland. Die Tuberkulosekranken gelangten in die Hände von Psychiatern und wurden automatisch zu psychiatrischen Patienten gemacht. Dies bedeutete zugleich, dass ihnen die fachliche Betreuung durch Tuberkuloseärzte entzogen wurde. Die psychiatrischen Anstalten hatten ohnehin seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit einem stetigen Anstieg der Patientenzahlen zu kämpfen. Durch die Hinwendung zur offenen Fürsorge und einer aktiveren Therapie Mitte der 1920er Jahre konnten gut behandelbare Patienten schneller entlassen werden. Zurück blieben vor allem „Therapiefraktäre“, die als Langzeitinsassen größtenteils die Ressourcen der Anstalten banden.242 Nach der Machtergreifung kamen außerdem immer mehr Menschen in psychiatrische Anstalten, die bislang in ihrem Lebensumfeld toleriert wurden. Nun stieg der Normdruck, abweichendes Verhalten wurde immer weniger geduldet. Häufiger als zuvor stellten auch Behörden Anträge auf Anstaltseinweisung.243 Als Kranke mit einer schlechten Prognose und nahezu keiner Aussicht auf Entlassung wurden die Tuberkulosekranken deshalb als lästige Patienten empfunden, die lediglich zur Verwahrung aufgenommen wurden. Der Begriff des „asozialen Offentuberkulösen“ verwendete erstmals der Angerburger Tuberkulosearzt Erwin Augstein auf der 4. Deutschen TuberkuloseTagung auf Norderney, die am 12. und 13. Juni 1930 stattfand. Augstein leitete die Begriffe „asozial“ und „antisozial“ ausführlich unter Zuhilfenahme strafrechtlicher und psychiatrischer Überlegungen her. Dabei ordnete er renitente Tuberkulosekranke einer Gruppe von „Sozialminderwertigen“ zu, der seiner Meinung nach auch „die Vollidioten, Schwachsinnigen, dann Arbeitsscheue, Vagabunden, Landstreicher, Gewohnheitsbettler, Trinker, Dirnen, [...] Prostituierte und alle die Menschen, die dem Rauschgift verfallen sind, [...] sowie die Geisteskranken, die gemeingefährlich sind, und die Schwerverbrecher“244

zuzurechnen seien. Er forderte damit erstmals ein gezieltes Vorgehen gegen Tuberkulosekranke als „Gemeinschaftsunfähige“ und ging erheblich über die von anderen Ärzten angemahnten Möglichkeiten einer zwangsweisen Isolierung Offentuberkulöser hinaus.245 Hermann Braeuning nannte in der anschließenden

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Vgl. Schmuhl (1987), S. 261–278 und Schmuhl (1991), S. 244–246. Vgl. Schmuhl (2001), S. 298. Augstein (1930), S. 238. Ebd.

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Diskussion die Zahl von „etwa 5%“ der Kranken, die seiner Meinung nach für Zwangsmaßnahmen in Frage kämen.246 Der Leiter der Stadtrodaer „Zwangsabteilung“ Aschenbrenner fasste in einem Aufsatz zehn Jahre später, nachdem Augsteins Forderungen nach Zwangsmaßnahmen Wirklichkeit geworden waren, dessen Antisozialen-Begriff zusammen: Er bezeichnete alle „Kranken, die ihre Umgebung entweder aus Uneinsichtigkeit oder aus bösem Willen dauernd der Gefahr einer Ansteckung aussetzen“.247 Häufig würden die einweisenden Stellen versuchen, Menschen zwangsweise zu asylieren, die gar nicht an einer ansteckungsfähigen Tuberkulose litten, ein „Mißgriff“, der „nicht vereinzelt“ vorkäme.248 Die zur Zwangsasylierung „in Frage kommenden Offentuberkulösen“ umfassten „einen sehr weiten Personenkreis, denn unter diesem Begriff muß ebenso ein sonst anständiger Volksgenosse fallen, der trotz ärztlicher Belehrung lediglich nicht glauben kann, daß er lungenkrank ist, da er keine wesentlichen Beschwerden hat, und infolgedessen seine Umgebung gefährdet, als auch einer aus dem Kreise jener verbrecherischen Elemente, die mit bewußtem Leichtsinn die Volksgemeinschaft schädigen, indem sie gegen seuchenhygienische Vorschriften andauernd verantwortungslos verstoßen.“249

Franz Heisig, Bezirksleiter des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses (RTA) für Thüringen, weitete den Begriff der „asozialen Offentuberkulösen“ aus: „Es wäre überhaupt ein Irrtum, anzunehmen, daß unsere Abteilung für ‚asoziale Offentuberkulöse‘ nur für die Aufnahme gemeinschaftsblinder oder gesellschaftsfeindlicher ‚Psychopathen‘ bestimmt sei. Wir haben schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur asoziale ‚Psychopathen‘ im herkömmlichen Sinne des Wortes für die Abteilung in Frage kommen, also seelisch von jeher abwegige Menschenkinder, Störenfriede und Lebensversager aus Charaktergründen, die dazu noch an offener Tuberkulose erkrankt sind. Der nationalsozialistische Staat bekennt sich zur strengstverpflichtenden Idee der Volksgemeinschaft und zieht daraus mit aller Härte seine Folgerungen. Asozial verhält sich jeder, der ohne Not gegen die Lebensgesetze der Volksgemeinschaft verstößt. Diese Auffassung muß zu einer Ausweitung des Begriffs ‚asozial‘ führen. Asozial im Sinne unserer Abteilung sind mithin auch die an und für sich nicht nur gesellschaftsunfähigen, sondern durchaus gesellschaftsunwürdigen Volksgenossen, die erst mit ihrer offenen Tbk [sic] gesellschaftlich versagen, weil sie sich mit dem System sozialer Forderungen, das mit dieser Krankheit gebieterisch auftaucht, nicht abfinden können.“250

Neben der Absonderung und Verwahrung von Tuberkulosekranken wurden in Stadtroda auch geschlechtskranke Frauen verwahrt. Beide Patientengruppen wollte man gleichermaßen zur „Einsicht in die Notwendigkeit hygienischen Verhaltens“ erziehen. Wohl im Zusammenhang damit griff Heisig auch die gelegentlich in der damaligen Forschungsliteratur auftauchende Annahme auf, Tuberkulosekranke neigten zur Promiskuität.251 So schrieb er, nach gerade drei Wochen 246 247 248 249 250 251

Braeuning in Augstein (1939), S. 251. Vgl. auch Braeuning (1937a), (1941a), (1941b). Aschenbrenner (1941a), S. 668. Der Autor referierte dabei aus dem Tagungsbericht von 1930. Ebd., S. 669. Ebd. Heisig (1937), S. 13. Vgl. Melzer (1934) sowie Creischer (1932). Ernst Melzer war 1930 bis 1933 Oberarzt der Landesheilstätte Oberschlesien, danach Chefarzt des Fürstabt-Gerbert-Hauses in St. Blasien.

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des Bestehens der Anstalt, „daß [die Kranken] oft Kneipen oder den Tanzboden besuchen, häufig wechselnde Liebschaften unterhalten und in jeder Hinsicht die nötige Vorsicht vermissen lassen.“252 Kloos, der die Kranken in vier Gruppen einteilte, nannte diese die „Leichtsinnigen“, die „unentwegten Tanzbodenkavaliere, Wirtschaftsbesucher, Kinderfreunde [sic] [...]“.253 Argumente wie diese finden sich wenige Jahre später bei der Verfolgung der so genannten „Gemeinschaftsfremden“. Ein solches Vorgehen erscheint im Rückblick naheliegend, ähnelte die Diskriminierung der Tuberkulosekranken immer stärker den Maßnahmen gegen so genannte „Asoziale“ und andere „Gemeinschaftsfremde“, die u.a. mit dem Sicherungsverwahrungsgesetz geregelt wurden.254 Ärztliche Behandlung fand bei den Zwangsasylierten im Grunde nicht statt. Man wolle sich bei den aussichtslosen Kranken nach Möglichkeit aller Maßnahmen enthalten, die den schicksalsmäßigen Ablauf der Tuberkulose hemme, weil dies eine Verlängerung der Leidenszeit der Kranken bedeute. Heisig kam auch nur ein Mal wöchentlich zur Visite.255 2.4.4. Die „Krankenhaftabteilung“ in Stadtroda: Heisig, Kloos und Aschenbrenner Die Betreuung der Patienten lag zunächst in der Hand des Psychiaters und Direktors der Landesheilanstalt Stadtroda, Heinrich Boening (1895–1960). Boening war seit 1931 Leiter der Anstalt Stadtroda und wurde 1936 Extraordinarius an der Universität Jena. Von 1937 bis 1960 war er Ordinarius in Gießen. Dem in eugenischen Maßnahmen wohl eher moderaten, selbst körperbehinderten Boening256 folgte 1933 Berthold Kihn. Kihn (1895–1964) war seit 1933 Mitglied der SA und ab 1934 Extraordinarius in Erlangen. 1938 wurde er Direktor der Universitätsnervenklinik Jena und Richter am dortigen Erbgesundheitsgericht, ab 1940 fungierte er auch als T4-Gutachter. Ab 1952 war er Honorarprofessor in Erlangen und Leiter eines Privatsanatoriums.257 Kihns Position übernahm 1939 kommissarisch Gerhard Kloos.258 Dieser hatte die Stelle bis zu seiner Entlassung 1940 inne. Kloos (1906–1988) studierte in 252 Heisig (1934), S. 106. 253 Kloos (1942a), S. 226. 254 Explizit betont hat die enge Verzahnung von Ausgrenzung der Tuberkulosekranken und der Verfolgung von Gemeinschaftsfremden auch Karl Heinz Roth, wenn seine Darstellung auch stark verkürzt ist. Roth verweist auf einen Zusammenhang der Gesetzgebungsarbeit am Sicherungsverwahrungsgesetz und dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Das Gesetz zur Bekämpfung der gefährlichen Gewohnheitsverbrecher und Maßregeln zur Sicherung und Besserung wurde am 24. November 1933 erlassen (RGBl. Teil I, S. 995). Vgl. Roth (1984a). Siehe hierzu auch die diversen Publikationen von Wolfgang Ayaß, vor allem: Ayaß (1995), (1998a) sowie Ayaß (1998b). 255 Vgl. Heisig (1934), S. 107. 256 Vgl. W. Schmidt (2004), S. 283–285 sowie Klee (2003), S. 60. 257 Vgl. Klee (2003), S. 308. 258 Vgl. Masuhr/Aly (1985).

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Graz, Innsbruck und Hamburg Medizin und Philosophie (1931 Diss. med., 1933 Diss. phil.) und wurde 1933 Mitglied der NSDAP. Er sammelte in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten und psychiatrischen Kliniken Erfahrungen, u.a. in Hamburg-Langenhorn, München, Freiburg und Haina. 1935 erkrankte er an Lungentuberkulose und musste sich einem einjährigen Kuraufenthalt in Davos unterziehen. Kloos war Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht und Lehrstuhlvertreter Kihns.259 1952 wurde er Extraordinarius für Psychiatrie in Kiel, 1954 Direktor des Landeskrankenhauses Göttingen und Sachverständiger in Wiedergutmachungsverfahren. Vor allem Kloos war es auch, der neben Heisig besonders die Vorzüge der Zwangsasylierung der Tuberkulosekranken propagierte. Bereits Kihn hatte sich dafür eingesetzt, dass die Leitung der „Asozialen-Abteilung“ nicht in die Hand eines Arztes gelegt würde, da der „Dienst auf einer Zwangsabteilung [...] unerfreulich“ sei, „weil bei dieser Art der Kranken zugleich die Rolle eines ‚Gefängnisaufsehers‘“ gespielt werden müsste, der Arzt „also keine rein ärztliche Einstellung wahren kann“. Kihn schlug daher, so Kloos, einen „Nichtarzt“ [sic] für diese Tätigkeit vor, „eine Regelung, wie sie bereits in Strafanstalten, Erziehungsheimen, Arbeitshäusern und Konzentrationslagern verwirklicht“ sei.260 1940 wurde ein solcher „Nichtarzt“, der Geisteswissenschaftler und Rassenhygieniker Alfred Aschenbrenner mit der Aufgabe betraut. Er wurde damit gleichzeitig Vorgesetzter der später als „Euthanasie“-Ärztin bekannt gewordenen Rosemarie Albrecht. Alfred Aschenbrenner (*1913) studierte ab 1932 in Erlangen, hatte sich nach der Ärztlichen Vorprüfung in seinem Studium umorientiert und sich der Rassenhygiene zugewandt. 1936 wurde der damals 23-Jährige vom Bevölkerungsökonomen und Volkswirtschaftler Horst Wagenführ und dem „Ahnenerbe“-Germanisten Friedrich Maurer mit einer Arbeit über die Inzucht als bevölkerungspolitisches Problem promoviert.261 Er war gar nicht geeignet, die Tuberkulose der Insassen zu behandeln, wohl aber rassenhygienische Fragestellungen weiterzuentwickeln. Die Stellenbesetzung kann als geradezu paradigmatisch für die Ausrichtung der Abteilung in Stadtroda und den Umgang mit Tuberkulosekranken gesehen werden. Diese Art des Umgangs mit Kranken war nicht neu, hatte die Freiheitsberaubung ohne richterliche Anordnung, und eine solche war die Zwangsabsonderung, ein bereits seit der Jahrhundertwende praktiziertes Vorbild: den fürsorgerechtliche Arbeitszwang. Er hatte seine Grundlage in der Reichsfürsorgepflichtverordnung262 und den „Reichsgrundsätzen nach Maß und Art der Fürsorge“.263 Mittel- und obdachlose Männern und Frauen wurden von der Fürsorge 259 BArchB, ehemals BDC, PK 636, Bl. 2504–2522. 260 Kloos (1942a), S. 244. 261 Aschenbrenner hatte sich ferner mit Aufsätzen im Archiv für Rassenhygiene profiliert. Aschenbrenner (1936), (1939) und (1940a). 262 Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924, RGBl. Teil I, S. 100. 263 Grundsätze über Voraussetzung, Art und Maß öffentlicher Fürsorgeleistungen vom 27. März 1924, RGBl. Teil I, S. 379.

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dem Arbeitszwang ausgesetzt, wenn sie durch eigenes Verschulden nicht für den Lebensunterhalt der Familie aufkamen. Sie wurden als Asoziale und Arbeitsscheue deklariert, unter ihnen auch viele „widerspenstige Tbc- und Geschlechtskranke“.264 In den Arbeitshäusern der „geschlossenen Fürsorge“ herrschten gefängnisähnliche Zustände.265 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf den Kölner Psychiater und Strafrechtler Gustav Aschaffenburg,266 der es in der Diskussion um den Erlass eines Bewahrungsgesetzes für die zwangsweise Unterbringung so genannter „Asozialer“ unternahm, diese Personengruppe näher zu beschreiben. Aschaffenburg nannte unter den „körperlich Kranken und Unzulänglichen“ auch die „Tuberkulösen“. Sie waren, neben „Personen, die die Gesellschaft belasten“, seiner Meinung nach „anstaltsbedürftig“.267 Auch in Stadtroda herrschten, ebenso wie in den Arbeitshäusern, „Haftbedingungen“ wie im Gefängnis. Heisig nannte die Station auch treffend „Krankenhaftabteilung“268 bzw. „ein kleines Festungswerk“.269 Dem Lungenarzt Franz Heisig oblag die ärztliche Betreuung der Insassen des Zwangsasyls. Heisig wurde 1898 in Gardel bei Gleiwitz in Oberschlesien als Sohn eines Gutsbesitzers und Abgeordneten des Preußischen Landtags geboren. Er meldete sich 17jährig 1914 freiwillig zum Heeresdienst. 1917 holte er das Abitur nach und begann, aus gesundheitlichen Gründen entlassen, in Breslau Medizin zu studieren. 1923 legte er das Staatsexamen ab und wurde 1926 zum Dr. med. promoviert. Seine ärztliche Tätigkeit musste Heisig wiederholt krankheitsbedingt unterbrechen. 1925 arbeitete er zunächst in Hohenwiese im Riesengebirge und danach in der Lungenheilstätte Buchwald bei Schmiedeberg. In den 1930er Jahren spielte Heisig eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines Röntgen-Musterungszuges („Großbildmethode nach Dr. Heisig“) zur Reihenuntersuchung der Bevölkerung. 1938 wurde der Zug auf der Ausstellung „Gesundes Leben, frohes Schaffen“ in Berlin vorgestellt und 12.500 Personen damit geröntgt. 1941 ließ sich Conti in Weimar den Röntgen-Musterungszug durch Heisig vorführen und schlug vor, alle thüringischen Beamten und Arbeiter von Großbetrieben zu untersuchen.270 Nach 1945 blieb Heisig in Thüringen und konnte als Arzt weiterhin praktizieren. Als Vertreter der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft und Sprecher der Tuberkuloseärzte Thüringens hielt er 1954 eine Trauerrede am Grab KayserPetersens.271

264 Rothmaler (1992), S. 245. 265 Ebd. 266 GUSTAV ASCHAFFENBURG (1866–1944) war 1904 bis 1934 Ordinarius für Psychiatrie in Köln, Direktor der Irrenabteilung Lindenthal. 1934 in den Ruhestand versetzt, 1936 Entzug der Lehrbefugnis, 1938 Emigration in die Schweiz und von dort in die USA, in Washington Research Professor. Vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie (1995), Bd. 1, S. 202. 267 Aschaffenburg (1922), S. 3–8, zitiert nach: Willing (2003), S. 35–38. 268 Heisig (1937), S. 2. 269 Ebenda, S. 13. 270 Vgl. Heisig (1926), Lebenslauf, S. 38–39, Krutzsch (1941) sowie Debernitz (1994), S. 21–22. 271 Vgl. Debernitz (1994), S. 90.

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Heisigs zwangsasylierte Patienten in Stadtroda lebten in Gebäuden, deren Fenster vergittert waren, die Türen ständig verschlossen. In einem Vortrag vor bayrischen „Ärzteführern“ zitierte Heisig freimütig aus der Hausordnung: Es durfte alle zwei Wochen ein Brief geschrieben werden, der zensiert wurde. Bei Verstößen gegen die Hausordnung wurden Post und Besuche verboten, Lebensmittel entzogen und Einzelhaft angeordnet. Letztere wurde in Gefängniszellen im Keller vollstreckt. Beschwerden der Zwangsasylierten lägen zahlreich vor, so Heisig. In einem Entwurf für „Richtlinien für die Eingliederung der Arbeitsbehandlung in die Maßnahmen eines verstärkten Tuberkulose-Abwehrkampfes“ der Arbeitsgruppe für Arbeitsbehandlung und Asylierung des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses wurde empfohlen, die Bestimmung zu erlassen, „daß den Anordnungen des Pflegepersonals Folge zu leisten ist und daß bei tätlichem Widerstand sofort von der Schußwaffe Gebrauch gemacht wird. (Das Pflegepersonal, notfalls auch der Arzt, müssen auf den Männerabteilungen mit Schußwaffen ausgerüstet sein.)“272

Als Vorzug der Zwangsasylierung wurde von Heisig eine erhebliche finanzielle Einsparung gegenüber dem Tagessatz einer Heilstättenbehandlung gepriesen. Die Unterbringung in Stadtroda kostete, dank der Bemühungen des Innenministers, nur RM 2,40 statt 5–6 RM pro Insasse.273 Eine Rechnung wie diese wurde für Patienten von Heil- und Pflegeanstalten bereits seit Jahren propagandistisch verbreitet und kann retrospektiv auch als Vorbereitung der später folgenden Krankenmorde in der Öffentlichkeit verstanden werden. Es verwundert in Anbetracht der Zustände in Stadtroda nicht, dass sich unter Tuberkulosekranken weit über Thüringen hinaus von der Anstalt ein Bild von Angst und Schrecken verbreitete. Der Leiter der Tuberkulosefürsorgestelle München, Gustav Baer, bemerkte, „disziplinarische Verstöße [...] können durch die Drohung mit ‚Stadtroda‘ schon im Keim erstickt werden“.274 Noch 1948 erinnerte sich der Tuberkulosearzt und Verfasser des Standardwerkes „Die Tuberkulosebekämpfung“, Rolf Griesbach, nicht ohne Stolz, „daß Kranke, die längere Zeit in Stadtroda interniert waren und wegen guter Führung wieder versuchsweise entlassen wurden, ein ihrer Umgebung gegenüber derart einwandfreies Verhalten an den Tag legten, daß man von einem besonders guten erzieherischen Wert dieser Anstalt sprechen mußte. Überdies hatte die in allen Krankenkreisen bekannte Tatsache des Bestehens dieser Anstalt bereits den erzieherischen Wert als solchen. Schon die zarte Andeutung der Verlegungsmöglichkeit nach Stadtroda löste bei dem Kranken auf lange Zeit eine nachhaltige Wirkung hinsichtlich seines Verhaltens aus.“275

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BArchB R 96 II, Band 6, Bl. 38. Der Entwurf stammt aus dem Jahr 1941. Heisig (1937), S. 12. Ausführlicher zu „Hausstrafen“ äußert sich Kloos (1942a). Baer (1938), S. 138. Griesbach (1948), S. 171. ROLF GRIESBACH (*1899), geboren als Sohn von Prof. Dr. med. Dr. phil. Hermann Griesbach in Mühlhausen im Elsaß, trat 1933 der NSDAP bei. Er war in den 1930er Jahren ärztlicher Direktor des städtischen Tuberkulosekrankenhauses, Leiter und Chefarzt der Zentralstelle für Tuberkulosebekämpfung Schwaben. 1934 bis 1937 war er TbcReferent der SA. Nach 1945 erhielt Griesbach eine Professur in Brasilien. BArchB, ehemals BDC, RK, D 169, Bl. 237–258.

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Griesbach feierte im September 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als „Grundstein zur Erreichung des Zieles der Volksaufartung“ und sah bei „ausgesprochen antisozialem Verhalten bei gleichzeitiger nicht besserungsfähiger Tuberkulose eine Indikation zur Sterilisation“.276 2.4.5. „Asozialität“, Sterilisation und Einweisung ins Konzentrationslager Ein entscheidender Schritt zur Vorbereitung der reichsweiten Durchführung von Zwangsasylierungsmaßnahmen war das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (GVG).277 Vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses278 war die Einrichtung staatlicher Gesundheitsämter notwendig geworden, um die Maßnahmen der Erb- und Rassenpflege durchführen zu können. Sie bildeten gewissermaßen „den organisatorischen Rahmen für die ‚Vollstreckung‘ des Erbgesundheitsgesetzes“.279 Die Gesundheitsämter nahmen flächendeckend gesundheitliche Verwaltungs- und Kontrollaufgaben wahr. Sie waren der „Garant einer einheitlichen, gleichmäßigen, reichsweiten und damit staatlichen Durchführung“.280 Sie übernahmen auch die Überwachung von Tuberkulosekranken und erhielten die Kompetenz, Kranke in die Zwangsabsonderung einzuweisen. In § 3 GVG wurde die Fürsorge für Tuberkulosekranke ausdrücklich den staatlichen Gesundheitsämtern übergeben. „Hierbei haben der Gesetzgeber und die oberste Gesundheitsverwaltung des Reiches deutlich hervorgehoben, daß die Bekämpfung der Tuberkulose, der am meisten verbreiteten Infektionskrankheit eine Aufgabe der staatlichen Gesundheitsverwaltung ist, und zwar in ein281 heitlicher straffer Organisation“

betonte der Heilstättenarzt Friedrich Koester aus Brilon in Westfalen. Diese Zusammenfassung der Aufgaben bei den Gesundheitsämtern brachte eine enge Verknüpfung der Erb- und Rassenpflege, der Überwachung Tuberkulosekranker und der Maßnahmen der „Bewahrung“ mit sich. Trotzdem, so Schmuhl 1987, war von Seiten des Gesetzgebers nicht daran gedacht, die „Psychopathie“ in Form der „Asozialität“ in die Indikationsliste aufzunehmen. Eine Trennung der Sterilisierung von Erbkranken sowie „Asozialen“ und Kriminellen war aus folgenden Gründen intendiert: Der Krankheitsbegriff sollte auf keinen Fall auf Asoziale angewandt werden, Asozialität sei keine Krankheit. Erbkranke sollten umgekehrt nicht mit dem Strafrecht in Verbindung gebracht werden. Zwangssterilisierung sollte keine Strafe im juristischen Sinne sein. Das 276 Griesbach (1933). 277 Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 RGBl. I 1934, S. 531 sowie Durchführungsverordnung vom 30. März 1935, RGBl. I 1935, S. 327. Vgl. hierzu ausführlich Labisch/Tennstedt (1985). 278 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Erbgesundheitsgesetz) vom 14. Juli 1933, RGBl. I 1933, S. 529–531. Vgl. auch Ruttke (1934), Günther et al. (1936). 279 Labisch/Tennstedt (1991), S. 35. 280 Ebd., S. 38. 281 Koester (1940).

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Wissen über „psychopathische Persönlichkeiten“ schien noch nicht ausreichend, um eine Sterilisierung zu rechtfertigen.282 Benno Müller-Hill berichtet hingegen bereits 1984, wie sich in diesem Zusammenhang Juristen darum bemühten, zusammen mit dem Reichsinnenministerium den Kreis der Personen, die zwangsweise zu sterilisieren seien, auszuweiten und die Opfer anschließend zu inhaftieren. Der Gründer der Akademie für Deutsches Recht, Carl August Emge,283 sagte in einer Sitzung des „Ausschusses für Wohlfahrt und Fürsorgerecht“ der Akademie am 29. April 1938, die meisten Sterilisierten bedürften „einer gewissen Fürsorge und Bewahrung“, „weil sie vielfach zur Verbreitung von Volksseuchen, z. B. Geschlechts-krankheiten, durch ihre Hemmungslosigkeit beitragen.“284 Vier Monate später erklärte Heinz Ehaus,285 Beamter des Reichsinnenministerium, im selben Ausschuss, dass unter „Bewahrung und Fürsorge“ die Verbringung der Menschen in „staatliche Konzentrationslager“ zu verstehen sei, „um sie dort unter straffer Aufsicht einer produktiven und für die Allgemeinheit nützlichen Arbeit zuzuführen“. Herbert Linden,286 seit Oktober 1941 „Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten“ als einer der wichtigsten Organisatoren der Ermordung psychisch kranker Menschen, fügte hinzu, es sei „von allen Stellen der Wunsch an uns herangetragen worden, die Sterilisierung der Asozialen und Antisozialen in einem besonderen Gesetz zu regeln.“ Der Kinderpsychiater Werner Villinger287 entgegnete, und er verwies damit offensichtlich auf die längst gängig gewordene Praxis: „Was die [...] Frage einer Erweiterung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses anbelangt, so kann ich sagen, daß wir im allgemeinen nur noch da Schwierigkeiten haben, wo uns ausgesprochen Asoziale und Antisoziale zugeführt werden bzw. der Antrag auf Sterilisierung dieser Leute gestellt wird, bei denen sich aber auch nicht die Andeutung eines Intel282 Vgl. Schmuhl (1987), S. 168. 283 CARL AUGUST EMGE (1886–1970), Jurist und Rechtsphilosoph, seit 1931 Mitglied der NSDAP, wurde 1932 Professor in Jena, erster nationalsozialistischer Universitätskurator (seit 1933 in Jena), 1935 Professur in Berlin. Begründete 1934 die Akademie für Deutsches Recht mit. Vgl. Hoßfeld et al. (2003), S. 49–50. 284 Z. A. Potsdam, 3001 Reichsjustizministerium 10157-10160, Film 23063. „Akademie für deutsches Recht, konstituierende Sitzung des Ausschusses für Wohlfahrt und Fürsorge 29.4.1938“; zitiert nach Müller-Hill (1984), S. 3–36. 285 Es handelte sich hierbei um HEINZ EHAUS (1906–1945), Dr. jur. und 1938 Regierungsrat im Hauptamt Sicherheitspolizei, Amt Verwaltung und Recht. Vgl. Klee (2003), S. 126. 286 HERBERT LINDEN (1899–1945) war seit 1925 Mitglied der NSDAP, Mediziner und Ministerialrat in der Abteilung Volksgesundheit des Reichsministerium des Innern. Seit 1940 Obergutachter bei „T4“, beging Selbstmord. 287 WERNER VILLINGER (1887–1961) studierte seit 1909 Medizin, Notapprobation im Dezember 1914, danach erst Infanterist, dann Lazarettarzt im Ersten Weltkrieg. 1920 wurde er von Robert Eugen Gaupp promoviert. 1924 Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten. Seit 1925 Jugendpsychiater in Stuttgart und Hamburg. Ab Januar 1934 Chefarzt der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wo er bis September 1936 systematisch Patienten zur Sterilisierung heraussuchte und über 2.500 von ihnen anzeigte. Er war Richter am Erbgesundheitsobergericht Hamm. Seit 1940 Professor in Breslau, T4-Gutachter. Seit 1946 Professor in Marburg, 1952 Großes Bundesverdienstkreuz. Er starb beim Absturz am Hafelekar, einem Berg bei Innsbruck. Vgl. Holtkamp (2002).

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945 ligenzdefektes finden läßt. Im allgemeinen sind sie selten, es gibt nicht sehr viele, aber es gibt sie.“

Im Klartext bedeutete dies nicht weniger, als dass Erbgesundheitsgerichte die Zwangssterilisierung auch unabhängig von der im Gesetz genannten Indikation verhängten. „Dann wurde“ in der Sitzung des Ausschusses, so Müller-Hill, „die Möglichkeit diskutiert, durch ein Gericht, das wie das Erbgesundheitsgericht aus einem Richter und zwei Ärzten zusammengesetzt ist, die Einweisung in ein Konzentrationslager auszusprechen.“288 In diesem Sinne zeichnete sich offenbar auch eine zufriedenstellende Lösung ab. Nachdem das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wie auch das „Sicherungsverwahrungsgesetz“ zunächst als gemeinsames Gesetzesvorhaben entwickelt worden war, wurde dieses, wie Roth es beschreibt, „aus taktischen Gründen halbiert und auf zwei Gesetze verteilt“.289 Es behielt jedoch seinen inneren Zusammenhang und eröffnete dadurch mehrere Möglichkeiten: In der Gesellschaft unerwünschte und missliebige Menschen konnten entweder gleich sterilisiert oder, wenn dies nicht opportun erschien, in ein Konzentrationslager eingewiesen und dort sterilisiert werden. 2.5. ARBEITSZWANG 2.5.1. „Reichs-Tuberkulose-Ausschuß“ und „Reichstuberkuloserat“ Die Gesundheitsämter übernahmen auf Grund der neuen Gesetzeslage nach 1935 große Teile des Netzes der Fürsorgestellen. Nur wenige verblieben in der Hand der Kommunen, sofern diese die Finanzierung dafür aufbrachten. Dadurch fiel die Tuberkulosefürsorge größtenteils in den Wirkungskreis der Gesundheitsämter. Die Fürsorgestellen übernahmen die Aufgaben, die Kranken zu überwachen, sie für eine Absonderung in der Wohnung oder im Asylierungsheim auszuwählen und ihre Arbeitsfähigkeit festzustellen.290 Die rigorosen Praktiken der Fürsorge führten zu einer Stigmatisierung der Kranken. Die Fürsorgeschwestern kamen ungebeten und unangemeldet in die Wohnungen von Kranken und deren Familien und kontrollierten die hygienischen Verhältnisse. Es herrschte keinerlei Diskretion, sodass Nachbarn und Arbeitskollegen aufmerksam wurden.291 Hähner-Rombach weist daraufhin, wie eng die Versicherungsanstalten mit der Fürsorge zusammenarbeiteten. Sie gaben die Namen der Versicherten, die eine Invalidenrente oder ein Heilverfahren im Zusammenhang mit einer Tuberkuloseerkrankung beantragten, an die Fürsorgestellen weiter.292 Gleichzeitig nahm die 288 Müller-Hill (1984), S. 36. 289 Roth (1984a), S. 265. 290 Eine genaue Aufstellung der Aufgaben ist zu entnehmen: Leitsätze für die Zusammenarbeit der Gesundheitsämter mit den praktischen Ärzten, den Heilstätten und den Dienststellen der Partei, in: Klein (1938), S. 41–44. Vgl. Reinicke (1988), S. 200–202. 291 Hähner-Rombach (1998), S. 67. 292 Vgl. hierzu auch Masuhr (1942).

2.5. Arbeitszwang

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Zahl der Fürsorgestellen zu. Ebenso wie das dichter werdende Netz und die Erhöhung der Zahl der Fürsorgerinnen war die zunehmende Ausstattung mit Röntgenapparaten charakteristisch für die Entwicklung der Tuberkulosefürsorge im Nationalsozialismus. Die Koordinierung der Tuberkulosebekämpfung oblag dem Reichs-Tuberkulose-Ausschuss (RTA), der 1933 aus dem 1906 gegründeten Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose hervorging und dem Reichsministerium des Innern (RMdI) angegliedert wurde. Der damalige Vorstand trat geschlossen zurück. Zum Leiter des Vorstandes wurden nacheinander jeweils die für die Tuberkulosebekämpfung zuständigen Referenten des Reichsministeriums des Innern ernannt. Als im Jahre 1938 die Tuberkulosebekämpfung neu strukturiert wurde, übernahm Otto Walter die Funktion des Präsidenten. Er war Leiter der Abteilung Volksgesundheit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und Hauptstellenleiter im Hauptamt für Volkswohlfahrt bei der Reichsleitung der NSDAP. Der Tuberkulosereferent des Reichsministerium des Innern, Kayser-Petersen, wurde Generalsekretär des RTA. Der RTA gehörte außerdem zur Hauptabteilung II des Hauptamtes für Volksgesundheitsdienst der NSDAP (für allgemeine Gesundheitspflege, Volksernährung, Bekämpfung von Volkskrankheiten und Volksschäden), wo er eine Arbeitsgemeinschaft neben den Ausschüssen zur Rauschgiftbekämpfung, zur Krebsbekämpfung, zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und zur Bekämpfung des Krüppeltums bildete. In der Arbeit des RTA wurde das Reichsgebiet in 13 Bezirke eingeteilt. Dort wurde jeweils ein Bezirksleiter eingesetzt, in der Regel ein auf dem Gebiet der Tuberkulose besonders erfahrener Arzt. Er sollte die leitenden Medizinalbeamten der unteren Verwaltungsbehörden und die Landesversicherungsanstalten beraten. Der Reichs-Tuberkulose-Ausschuss hatte die Aufgabe, die Tuberkulosebekämpfung zentral zu leiten und zu unterstützen, Erfahrungen zu sammeln und ihren Austausch zu vermitteln, Richtlinien zu erarbeiten, Gutachten zu verfassen, Tuberkuloseforschung anzuregen, zu koordinieren und zu fördern und Aufklärung zu betreiben. Der Ausschuss beschäftigte sich außerdem mit der Vorbereitung gesetzlicher Maßnahmen zur Durchführung der Tuberkulosebekämpfung, Erfassung der Tuberkulösen und Tuberkulosegefährdeten, Regelung des Lungenheilstättenwesen, einheitliche Steuerung der Therapie, Regelung der Asylierungsfrage. Dabei hatte er vor allem beratende Funktion und kaum Entscheidungskompetenzen. Die wichtigen Entscheidungen lagen, insbesondere durch die Bestimmungen des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens, bei der Abteilung Volksgesundheit des Reichministeriums des Innern, was von den Vertretern der NSDAP und der NSV als unbefriedigend empfunden wurde. Arthur Gütt293 beharrte darauf, diese Entscheidungskompetenz nicht aus der Hand zu 293 ARTHUR GÜTT (1891–1949), Arzt, 1911 bis 1914 und 1917/18 Studium der Medizin in Königsberg und Greifswald, im Ersten Weltkrieg im Sanitätsdienst und zwei Jahre russische Kriegsgefangenschaft in Sibirien. 1918 Approbation, 1919 Promotion, 1923 Kreisarztexamen, 1924 Mitbegründer des NS-Frontkämpferbundes, verfasste im selben Jahr die „Rassenpolitischen Richtlinien für die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung“, 1927 vollbeam-

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

geben. 1938 wurde seitens seiner Kontrahenten die Initiative ergriffen, an der Tuberkulosebekämpfung organisatorisch mitzuwirken. Otto Walter versuchte zunächst, auf Gütt einzuwirken und schlug ihm eine Reichsarbeitsgemeinschaft und dezentrale Arbeitsgemeinschaften in den Provinzen vor. Im Februar 1938 forderten Hans Engel, später Staatssekretär, und Paul Zschimmer, Ministerialdirigent im Reichsarbeitsministerium294 „eine zentrale Reichsarbeitsgemeinschaft zu Bekämpfung der Tuberkulose, [...] der das Reichsarbeitsministerium, das Reichsministerium des Innern, die NSV, der Stellvertreter des Führers, vielleicht auch das Propagandaministerium und unter Umständen das Hauptamt für Volksgesundheit [...] angehören“.295

sollten. Das Interesse des Reichsarbeitsministeriums an der Freigabe der rigoros von beruflicher Tätigkeit ferngehaltenen Offentuberkulosen mag der Grund für diesen Vorstoß gewesen sein. Gütt lehnte eine solche „Reichsarbeitsgemeinschaft mit Anweisungsbefugnis (Befehlsgewalt)“ kategorisch ab.296 Als Kompromiss wurde am 23. November 1938 der Reichstuberkuloserat (RTR) gebildet. Er hatte „die Aufgabe, die zentrale Planung der Tuberkulosebekämpfung im Deutschen Reich zu schaffen, Arbeitsgemeinschaften [...] in den Ländern und Provinzen zu bilden und darüber zu wachen, daß die notwendigen Maßnahmen durchgeführt werden.“297 Den Vorsitz führte Gütt, die Geschäftsführung hatte Walter inne. Mitglied des Gremiums war auch Reichsärzteführer Leonardo Conti.298 Er engagierte

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teter Medizinalrat und 1931 Kreisarzt in Wandsbek. 1932 trat Gütt der NSDAP bei, 1933 wurde er in das Reichsministerium des Innern abgeordnet. 1933 Ministerialrat, 1934 Ministerialdirektor, im selben Jahr SS-Obersturmbannführer, 1935 Oberführer, 1938 Brigadeführer. 1938 schwerer Jagdunfall mit teilweisem Verlust der rechten Gesichtshälfte, danach schrittweise Kaltstellung und Pensionierung 1939, 1945 Internierung. Vgl. Labisch/Tennstedt (1985), S. 423–424. Zum Ressort des Reichsarbeitsministers gehörten nicht nur die Aufgaben des Arbeitsmarktes, der Arbeitsbeschaffung und -vermittlung, sondern seit 14. Juli 1934 auch als Nachfolgebehörde des 1932 aufgelösten Ministeriums für Volkswohlfahrt u. a. die Sozialversicherung und die Wohlfahrtspflege. Aus diesem Umstand erklärt sich das Engagement des Reichsarbeitsministeriums in der Tuberkulosebekämpfung. Vgl. Simon (1991), S. X–XI; sowie Zschuche (1940). Protokoll der Besprechung zur Bildung einer zentralen Reichsarbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose am 24. Februar 1938, BArch R 96 II, Band 2, Bl. 2–4. Ebd. Im Original Unterstreichung. Hans Pfundtner, Aktenvermerk vom 30. November 1938, BArch R 96 II Band 2, Bl. 36. Pfundtner war Staatssekretär im Reichsinnenministerium. LEONARDO CONTI (1900–1945), Arzt, 1918 Militärdienst, 1925 Approbation, anschließend Allgemeinarzt in Berlin, Absolvent der sozialhygienischen Akademie Berlin-Charlottenburg, danach Säuglings- und Kinderfürsorgearzt, 1923 Eintritt in die SA und Aufbau des SA-Sanitätswesens, 1927 Eintritt in die NSDAP, 1929 Mitbegründer des NSDÄB, 1930 Wechsel zur SS, 1932 Mitglied des Preußischen Landtags und des Preußischen Gesundheitsrates, Zulassung als Kassenarzt. Im Februar 1933 von Hermann Göring zum Kommissar z.b.V. zur „Säuberung des Gesundheitswesens“ berufen, am 1. April 1933 Ministerialrat im PrMdI, 1936 Leiter des ärztlichen und Sanitätsdienstes der Olympiade in Berlin. 1939 Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit, Reichsgesundheitsführer und Reichsärzteführer, außerdem Staatssekretär im RMdI (Vereinigung der Positionen von Gütt und Wagner), 1944 Obergruppenführer. Vgl. Labisch/Tennstedt (1985), S. 393–395, Kater (1985b).

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sich für die Forschung Otmar von Verschuers und Karl Diehls zur Erbpathologie der Tuberkulose.299 Außerdem gehörten dazu Zschimmer sowie Generaloberstabsarzt Siegfried Handloser,300 der Stellvertreter des Reichsärzteführers, Kurt Blome,301 Hans Holfelder,302 SS-Standartenführer und Führer des SS-Röntgensturmbanns, Hans Reiter, Präsident des Reichsgesundheitsamtes,303 und Ferdinand Sauerbruch, Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité in Berlin. 2.5.2. „Verordnung über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ und „Tuberkulosehilfe“ Am 1. Dezember 1938 wurde anstelle des lange geforderten Reichstuberkulosegesetzes die Verordnung zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beschlossen.304 299 Vgl. Schmuhl (2005a), S. 344–350. 300 SIEGFRIED HANDLOSER (1885–1954), Arzt, von Studienbeginn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Angehöriger des Sanitätsdienstes des deutschen Heeres, militärärztliche Ausbildung an der Kaiser-Wilhelm-Akademie in Berlin, 1910 Staatsexamen, danach Assistenzarzt, Promotion in Straßburg, 1912 Oberarzt. Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Facharztausbildung (Internist), 1928 Oberstabsarzt und Referent in der Heeres-Sanitätsinspektion des Reichswehrministeriums. 1938 Heeresgruppenarzt, ab 1942 Chef des Wehrmachtssanitätswesens, im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt, 1954 entlassen. Vgl. Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 629–630. 301 KURT BLOME (1894-1969), Arzt, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, Freikorpskämpfer, Studium der Medizin in Göttingen, 1920 Promotion, danach Assistenzarzt in Rostock und bis 1934 dort Hautarztpraxis. Seit 1931 Mitglied der NSDAP und der SA. 1935 Geschäftsführer der Reichsärztekammer, seit 1939 Stellvertreter des Reichsgesundheitsführers. 1943 Bevollmächtigter für Krebsforschung im Reichsforschungsrat. Vgl. Hansen (1993), S. 50–69; Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 623, Moser (2006). 302 HANS HOLFELDER (1891–1944), Arzt, 1914 bis 1919 Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Feldunterarzt, 1916 Approbation, 1923 Habilitation an der Universität Frankfurt am Main, 1928 Direktor des Röntgeninstituts, 1929 Ordinarius für Röntgenologie. 1933 Mitglied der NSDAP, Gründer des SS-Röntgensturmbanns beim SS-Führungsamt, gefallen. Vgl. Klee (2003), S. 267. 303 HANS REITER (1881–1969), Arzt, 1901 bis 1906 Studium der Medizin in Leipzig, Breslau und Tübingen, 1907 Promotion in Leipzig, weitere Ausbildung am Hygienischen Institut in Berlin, am Institut Pasteur in Paris und dem St. Mary‘s Hospital in London, danach in der Universitäts-Lungenpoliklinik in Berlin und am Hygienischen Institut in Königsberg tätig. 1923 bis 1926 war Reiter stellvertretender Abteilungsleiter am KWI für experimentelle Therapie, danach Direktor des Mecklenburg-Schwerinischen Landesgesundheitsamtes. 1928 a.o. Professor in Rostock, seit 1931 Mitglied der NSDAP und der SA, 1932 Mitglied des Mecklenburgischen Landtags. 1933 zunächst kommissarischer Leiter des Reichsgesundheitsamtes, im selben Jahr dessen Präsident. 1945 bis 1947 Internierungslager, 1949 bis 1952 Klinikarzt in Kassel. BArchB ehemals BDC, RÄK, PK, WI, SA, Reiter, Hans. Vgl. Hachtmann (2007a), S. 553; Labisch/Tennstedt (1985), S. 477–479; Maitra (2001), Osten-Sacken (1992) sowie Stürzbecher (1976), S. 250–255. 304 In „Ziel und Weg“ erschien als Kommentar zum Gesetz ein Artikel des leitenden Arztes beim Landesarbeitsamt Niedersachsen. Tuberkulosekranke werden darin unverblümt als „Lieferant[en]“ der „Tuberkelbazillen“ bezeichnet. Morgenstern (1939), S. 345.

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Sie trat am 1. Januar 1939 in Kraft. In den Verwaltungsvorschriften des dazugehörigen Runderlasses von Reichsinnenminster Frick wurde im Vokabular kriminalpolizeilicher Arbeit von „örtlichen Ermittlungen“ gesprochen, die „unverzüglich anzustellen“ seien, „gegebenenfalls unter Beteiligung der sonst in Betracht kommenden Dienststellen“.305 Gleichzeitig wurde damit für das gesamte Deutsche Reich die rechtliche Basis für die „Zwangsabsonderung“ geschaffen. Mit den nun ausgedehnten gesetzlichen Grundlagen konnte der Zugriff auf die Kranken verstärkt werden. Frick hatte im Februar 1938 angeordnet, dass die Kranken bei Feststellung der Erkrankung per Schnelleinweisung in die Heilstätten zu bringen seien, und zwar ohne dass die Kosten vorher geklärt werden mussten.306 Dort waren die Erkrankten sofort isoliert und konnten auch zwangsweise einer Therapie zugeführt werden. Viele der „asozialen“ Kranken wurden als solche abqualifiziert, weil sie sich aus finanziellen Gründen keiner stationären Behandlung in Krankenhäusern oder Heilstätten unterzogen. Bis zum Inkrafttreten des Runderlasses zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten konnte sich die Fürsorge, die die Behandlung zunächst verauslagen musste, die Behandlungskosten vom Fürsorgebezieher oder seiner Familie erstatten lassen. Nun verbesserte sich die Legitimierungsgrundlage der Behörden für Maßnahmen, da die Klärung finanzieller Aspekte entfiel, aber auch die Situation der Betroffenen und deren Familien. Neben den Kosten für die Heilstättenbehandlung war die Versorgung der Familien ein wichtiger Punkt, der geregelt werden musste. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts für die Familien sollte durch das bereits am 1. März 1935 gegründete Tuberkulose-Hilfswerk der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) erfolgten,307 war jedoch noch immer unzureichend geklärt. In den so genannten „Saarbrücker Richtlinien“ der Landesversicherungsanstalten regelten die öffentlichen Träger die Kostenzuständigkeit für die Behandlung. Nachdem sich die Regelung auch in den darauffolgenden Jahren nicht zufriedenstellend auswirkte und die Konkurrenz zwischen Tuberkulose-Hilfswerk und den anderen Sozialversicherungsträgern nicht aufhörte, wurde am 8. September 1942 in der „Verordnung des Ministerrats über die Tuberkulosefürsorge“ die finanzielle Absicherung auch der nichtversicherten Personen festgelegt.308 Außerdem musste das Tuberkulose-Hilfswerk der NSV seine Arbeit einstellen. Im Vorfeld dessen ordnete Conti am 26. Februar 1942 an, die Ämter des Bezirksleiters des RTA mit

305 Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern: Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 12. Dezember 1938, RMBliV. 1938, Nr. 52, Sp. 2158–2160. 306 Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern: Schnelleinweisung Tuberkulosekranker in Heilstätten vom 7. Februar 1938, RMBliV. S. 263 307 Kampf der Tuberkulose, in: NSDAP, Gau Hamburg, Hauptamt für Volkswohlfahrt (1942), S. 76–78. 308 Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, RGBl. Teil I, S. 549–550; Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 9. September 1942 zur Durchführung der Verordnung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, MBliV. Sp. 1826–1832. Vgl. Muthesius (1942).

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denen des Gautuberkulosereferenten des Amtes für Volksgesundheit und dem des Tuberkulosereferenten der NSV zu vereinigen.309 Erstmals war die Versorgung aller, auch der abhängigen Familienangehörigen, sichergestellt.310 Für den Lebensunterhalt der Betroffenen und deren Angehörigen sollten nach wie vor die Kommunen aufkommen. Von den Maßnahmen dieser „Wirtschaftsfürsorge“ ausgeschlossen sein sollten „Unfolgsame und Asoziale“ sowie „Unheilbare und Sterbende“. Bei letzteren waren wenigstens die Familien berechtigt, finanzielle Unterstützung zu empfangen.311 Gleichzeitig war so aber auch die Möglichkeit eröffnet, jeden Kranken ohne Rücksicht auf seine Lebenssituation zur Heilbehandlung bzw. zum Krankenhausaufenthalt zu zwingen, auch wenn die dort durchgeführten Therapien oft mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen und eher geringen Heilungsaussichten verbunden waren.312 Immerhin: eine Eindämmung der steigenden Erkrankungszahlen schien machbar. Im Herbst 1942 war jedoch das Gesundheitswesen in Deutschland an einem Punkt angelangt, wo Betten für die Behandlung in Krankenhäusern nur noch sehr begrenzt zur Verfügung standen.313 Waren nun gute Voraussetzungen für den „arischen“ Teil der Volksgemeinschaft geschaffen worden, zwang die Ressourcenknappheit zum Umdenken. Otto Walter, Präsident des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses schrieb an Leonardo Conti, die Tuberkulosebekämpfung stände „praktisch vor dem Zusammenbruch“. Nur noch „Bruchteile“ der über 400.000 Offentuberkulösen könnten „in den überbelasteten Heilstätten und Krankenhäusern“ aufgenommen werden.314 Mit der inzwischen immer effektiver durchgeführten Röntgenreihenuntersuchung der Bevölkerung wurde bei immer mehr Menschen eine Lungentuberkulose diagnostiziert.315 Die Einweisungsfristen lagen bei zwei bis sechs Monaten.316 Conti bevollmächtigte Otto Walter, Verhandlungen über die Belegung von Heilstättenbetten im Ausland, vor allem in der Schweiz, zu führen. Walter berichtete Conti bei dieser Gelegenheit, „über die sehr

309 Rundschreiben des Reichsgesundheitsführers vom 26. Februar 1942, Informationsdienst des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP, S. 23. 310 Vgl. Gentzen (1944), Hansen (1991), S. 291–295 sowie Sachße/Tennstedt (1986), S. 172– 173. 311 Braeuning (1937b), S. 476, nochmals abgedruckt in: Griesbach (1941), S. 291. 312 In Richtlinien des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses für die Auswahl von Tuberkulosekranken zur Anstaltsbehandlung wurde in diesem Zusammenhang von der „Einberufung in eine Heilstätte“ gesprochen. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 15. Juli 1944: Tuberkulosebekämpfung, hier: Richtlinien für die Auswahl Tuberkulosekranker zur Anstaltsbehandlung, MBliV. 1944, Nr. 31, Sp. 743–748. 313 Vgl. Hartmann (1941) sowie Brandt (1944). 314 Otto Walter an Leonardo Conti, Schreiben vom 13. November 1941, BArchB R 18/3816, zitiert nach Hansen (1991), S. 299. 315 Vgl. Schrag (1942). 316 Brandt (1944), S. 79.

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schönen Erfolge“ bei der Übernahme einer Einrichtung, die „früher für Geisteskranke bestimmt“ war.317 Wurden bisher nur die Kranken stigmatisiert, die sich nicht den gesellschaftlichen Normen unterwarfen, die aus Angst chirurgische Maßnahmen verweigerten oder aus Sorge davor, ihre Familien in wirtschaftliche Not zu bringen, so wurde nun im Grunde jeder an Tuberkulose Erkrankte Ziel staatlicher Zwangsmaßnahmen. Die knapper werdenden Plätze in den Heilstätten wurden vor allem an diejenigen vergeben, die schnellstmöglich wieder voll arbeitsfähig würden, denn der Mangel an Arbeitskräften machte sich zu Beginn des vierten Kriegsjahres stark bemerkbar.318 Die „Arbeitsbehandlung“ war seit Jahren fester Bestandteil der Heilstättentherapie, nicht nur in Deutschland. Seit Mitte der 1930er Jahre suchten die Anstalten zunehmend sinnvolle und wirtschaftlich ertragreiche Bereiche zu erschließen. Gelegentlich gab es dabei auch eigenartige Ideen: Beispielsweise bemühte sich Roloff in Treuenbrietzen, eine Seidenraupenzucht zu etablieren,319 bei Kloos in Stadtroda wurden Angorakaninchen gezüchtet.320 2.5.3. Ernst Brandt und die „ethische Umbewertung des Begriffs ‚Arbeit‘ an und für sich“ Seit Kriegsbeginn erfolgte eine eindeutige Verlagerung der Prioritäten: Nicht nur das Wohl des Kranken, auch die Maßnahmen, die der Unterbindung der Infektion dienten, wurden den Erfordernissen der Kriegswirtschaft untergeordnet. Eine solche Kehrtwende war der Bevölkerung zunächst offenbar schwer zu vermitteln, da jahrelang mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Propaganda das Bild der Tuberkulosekranken als „Bazillenstreuern“ und potentiellen Überträgern der Krankheit dargestellt wurde.321 Im Runderlaß zum Arbeitseinsatz von Tuberkulösen vom 9. Juni 1941 sahen sich daher der Reichsminister des Innern, Wilhelm Frick, und der Reichsarbeitsminister Franz Seldte322 genötigt, die früheren Aussa317 Protokoll der Sitzung des Reichs-Tuberkulose-Rats am 31. Januar 1942, BArchB R 96 II, Band 2, Bl. 37–42, hier Bl. 40–41. 318 Vgl. Koester (1941), Schmidt (1942), Hasselbach (1944), Heißmeyer (1943). Kurt Heißmeyer war SS-Arzt und unternahm Tuberkuloseversuche an jüdischen Kindern im Konzentrationslager Neuengamme. 319 Vgl. Roloff (1937). Roloff argumentierte jedoch schon überwiegend in wirtschaftlicher Hinsicht, weniger mit dem Wohl der Kranken. Er verwies auf die Autarkiebestrebungen (Broschüre „Der Seidenbau in der Erzeugungsschlacht“) und die Propaganda („Treibt Seidenbau!“). 320 Krämer (1942). 321 Vgl. Braeuning (1941), Sadowski (1941), Zacharias (1942). 322 FRANZ SELDTE (1882–1947), Studium der Chemie in Braunschweig, Übernahme der väterlichen Mineralwasserfabrik, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, infolge einer Verwundung Verlust des linken Armes, 1918 Mitbegründer des deutschnational-monarchistischen Wehrverbandes Stahlhelm, gründete 1931 mit Hitler und Hugenberg die „Harzburger Front“. Nach der Machtübernahme versuchte Seldte, den Bestand des Stahlhelm dadurch zu sichern, dass er den geschlossenen Übertritt in die SA befürwortete. Er selbst wurde SA-Obergruppen-

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gen über die mögliche Gefährdung der Bevölkerung mit deutlichen Worten einzuschränken. „1. (1) Der Ansteckungsfähigkeit der Tuberkulose sind bestimmte Grenzen gesetzt. (2) Der hustende Offentuberkulöse ist nur für seine engere Umgebung ansteckend. (3) Bei geringem Husten und vor allem bei diszipliniertem Verhalten bedeutete der Offentuberkulöse unter normalen Umwelt- und Arbeitsverhältnissen praktisch eine geringere Gefahr für Erwachsene als die, welcher jeder Mensch im modernen Verkehrsleben ausgesetzt ist. [...] 2. (1) Alle darüber hinausgehenden Maßnahmen am Arbeitsplatz oder gar in den Wohnhäusern sind unbegründet und nur geeignet, unnötige Furcht vor Ansteckung hervorzurufen. (2) Sie sind um so weniger zu verantworten, als die Wirtschaft die Arbeitskraft der arbeitswilligen Tuberkulösen nicht grundlos entbehren kann.“323

Der Arbeitszwang in den Heilstätten wurde verstärkt. Auch für Tuberkulosekranke, die sich nicht in einer Heilstätte aufhielten, bestand eine Arbeitspflicht. Heilstättenpatienten sollten aber, im Gegensatz zu denjenigen, die zuhause wohnten, nicht oder nur gering entlohnt werden.324 Als Arbeitsanreiz wurden zusätzliche Lebensmittel in Aussicht gestellt, bei der schwierigen Ernährungslage für die Kranken unentbehrlich für das Überleben.325 Auch gelänge es, wie KayserPetersen als Generalsekretär des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses formulierte, „die arbeitsfähigen Tuberkulösen an die für sie passenden Arbeitsplätze bringen“ und sie so „wieder zu vollwertigen Volksgenossen zu machen“.326 Der Bezirksleiter des Reichstuberkulose-Ausschusses Berlin, Ernst Brandt, bemerkte, dass „die Einordnung“ der Offentuberkulösen in den Arbeitsprozess zweifellos „durch den starken Facharbeitermangel und durch die Behebung der Arbeitslosigkeit im allgemeinen, nicht zuletzt aber auch durch die ethische Umbewertung des Begriffs ‚Arbeit‘ an und für sich“ erleichtert würde.327 Fortan musste jede Arbeit aufgenommen werden, die Heilstätten, Gesundheitsamt, Arbeitsamt und Betriebsarzt für geeignet hielten. Wer sich diesen mörderischen Arbeitsbedingungen entziehen wollte, wurde mit dem Vorwurf asozialen Verhaltens gefügig gemacht.

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führer. 1934 von Göring zum preußischen Staatsrat und Arbeitsminister ernannt, verblieb im Amt bis 1945. Runderlaß des Reichsminister des Innern und des Reichsarbeitsministers vom 9. Juni 1941: Arbeitseinsatz von Tuberkulösen, RMBliV. 1941, Nr. 25, Sp. 1077–1078. Griesbach (1941), S. 177–179. „Auch die noch so bescheidene Arbeitskraft von Tuberkulösen darf nicht brachliegen.“ Ebd., S. 185. Runderlaß des Reichsminister des Innern: Verfahren bei der Beantragung von Zusatzlebensmitteln für Tuberkulöse vom 1. März 1943, MBliV. 1943, Nr. 9, Sp. 363. In Absatz 2 des Runderlasses wurde bezüglich der Rationierung der Nahrungsmittel auf eine Publikation von Ernst Günter Schenck verwiesen: Schenck (1942), S. 88–89. Als Ernährungsinspekteur der Waffen-SS beschäftigte sich Schenck auch mit der Ernährung von KZ-Häftlingen und führte an ihnen medizinische Versuche durch. Kayser-Petersen, Deutsche Tuberkulose-Bekämpfung im Kriege, BArchB R 96 II, Band 1, Bl. 7–10, hier Bl. 8. Vgl. auch Kayser-Petersen (1945). Brandt (1940b), S. 98. Vgl. auch Brandt (1940a) und Brandt (1942). Brandt war MagistratsMedizinalrat und als Fachberater für Tuberkulosefragen des Hauptgesundheitsamtes der Stadt Berlin tätig. Er war gleichzeitig Gaureferent des Tuberkulosehilfswerks der NSV.

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Den beteiligten Behörden gelang eine nahezu vollständige Überwachung der Kranken. Nach einer Beratung am 1. Juli 1941 legte die „Arbeitsgruppe für Arbeitsbehandlung und Asylierung“ des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses einen „Entwurf von Richtlinien für den Arbeitseinsatz Lungentuberkulöser“ vor.328 Darin hieß es: „An der Unterbringung des Lungentuberkulösen im Arbeitsleben sind folgende Stellen beteiligt: 1. Der Tuberkulöse selbst: Er muss bereit sein zur Übernahme einer für ihn als geeignet erkannten Arbeit. Im übrigen unterliegt er im Rahmen der bei ihm gegebenen Möglichkeiten der allgemeinen Arbeitspflicht. 2. Der behandelnde Arzt, insbesondere der Heilstättenarzt: Sie schaffen die Vorbedingungen hierzu durch eine geeignete ärztliche Behandlung, ergänzt durch eine zweckmäßige Arbeitsbehandlung zur Vorbereitung auf die Berufsarbeit, durch eine persönliche Beeinflussung (Stärkung des Gesundungs- und Arbeitswillens) [...]. 3. Der Tuberkulosefürsorgearzt: Er stellt unter Berücksichtigung [...] der ärztlichen Unterlagen und durch eigene Untersuchung fachärztlich die Einsatzfähigkeit fest. 4. Das Arbeitsamt: Ihm obliegt die Unterbringung des einsatzfähigen Tuberkulösen in Arbeit. [...]. 5. Der vertrauensärztliche Dienst der Krankenversicherung: Er unterstützt das Arbeitsamt [...] durch Mitteilung seiner Beobachtungen und Untersuchungsergebnisse [...]. 6. Der Betrieb: [...] Wo ein Betriebsarzt vorhanden ist, wirkt dieser [...] bei der Überwachung des Lungentuberkulösen an diesem Arbeitsplatz massgebend mit. 7. Die DAF: hilft dem Betriebsführer bei der Erfüllung der ihm obliegenden Obsorgepflicht: Überwachung des Verhaltens des Lungentuberkulösen am Arbeitsplatz, Schutz der gesunden Arbeitskameraden [...]. 8. Das Landesarbeitsamt: regelt und beaufsichtigt für seinen Bereich den Arbeitseinsatz Lungentuberkulöser in enger Zusammenarbeit mit dem 9. Bezirksleiter des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses und dem 10. Gauabteilungsleiter des Amtes „Gesundheit und Volksschutz“ der DAF.

Die Kranken galten in den Fabrikhallen als „besser ‚asyliert‘ als in engen Wohnungen“, zumal sie bei 10–12stündiger Arbeitszeit mit Hin- und Rückweg oft 12– 14 Stunden unterwegs seien und „sozusagen nur zum Schlafen abends nach Hause kommen“. Dies bedeute jedoch „eine viel zu große körperliche Belastung. [...] Das ist doppelt zu bedauern, da es sich um qualifizierte und Facharbeiter handelt, bei denen durch den Verschleiß vorzeitiges Siechtum herbeigeführt wird. Die Haltung dieser Menschen, die zwar für ihre Familien sorgen können, 328 BArchB, R 96 II/6, Bl. 46–47. Der vorgelegte Entwurf mündete in einen Runderlass des Ministers des Innern vom 9. August 1943, MBliV. 1943 Nr. 33, Sp. 1327–1332.

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ist ohne Frage bewunderungswürdig, wir können uns aber heute in Deutschland den schnellen und vorzeitigen Verbrauch an Facharbeitern in diesem Ausmaße auf die Dauer nicht leisten.“329

In der zweiten Kriegshälfte machte sich der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften stark bemerkbar, so dass es bei dieser Gruppe der Kranken nicht nur darum ging, sie bis zum Tode arbeiten zu lassen, sondern ihre Arbeitskraft gezielt so einzuteilen, dass sie zwar intensiv, aber auch möglichst lange arbeiteten. Nicht die Schonung der Kranken, sondern deren volkswirtschaftlicher Nutzen lag dieser Überlegung zu Grunde. Parallel zu dieser Entwicklung auf dem zivilen Sektor gab es Überlegungen des Wehrmachtssanitätswesens für Wehrmachtssoldaten, die sich wegen einer Lungentuberkulose im Lazarett befanden, die Möglichkeit einer „Arbeitstherapie“ einzurichten. Diese entsprangen jedoch nicht primär dem Gedanken, die Arbeitskraft der Soldaten nutzbar zu machen, sondern der Angst der Sanitätsführung vor dem Verlust der Disziplin und Kampfmoral. Mit der steigenden Zahl der Verluste und Verwundungen ließ die Kriegsbegeisterung und die Motivation der Verwundeten und Erkrankten, wieder an die Front zu gehen, nach.330 Deshalb sollten die in Lazaretten befindlichen Wehrmachtangehörigen beispielsweise in Schreinereien und Tischlereien sinnvolle Arbeit in größerem Umfang verrichten. Gerade bei Soldaten mit Lungentuberkulose zeichnete sich ab, dass sich in kürzerer Zeit ihr gesundheitlicher Zustand nicht so bessern konnte, um leistungsfähig genug für den Fronteinsatz zu sein, so dass die längerfristige Verwertung ihrer Arbeitskraft in Lazaretten sinnvoll war. 1941 wurde von der Wehrmacht die Heil- und Pflegeanstalt Branitz zur wehrmachtseigenen Lungenheilstätte mit Arbeitstherapiemöglichkeiten umfunktioniert. Dass die Anstalt noch mit „Geisteskranken“ belegt war, schien für die Heeressanitätsinspektion nicht problematisch gewesen zu sein, „da deren Zahl beständig abnimmt“.331 Die nach Branitz verlegten Tuberkulosekranken verrichteten bis zu acht Stunden Arbeit täglich. Bis Kriegsende entstand eine größere Anzahl solcher Arbeitstherapie-Abteilungen der Wehrmacht. In der Heilstätte Erbprinzentanne bei Clausthal-Zellerfeld fertigten Wehrmachtssoldaten Maschinenteile für U-Boote und Flugzeuge.332

329 Brandt (1940b), S. 103. 330 Vgl. Neumann (2005), S. 185. Vgl. auch Wihan (1942). Wihan war Unterarzt im Reservelazarett Grimmenstein/Niederdonau. 331 Schreiben der Heeressanitätsinspektion an Oberstarzt Rühe vom 30. Mai 1941, BArchMA RH 12–23/1195, zitiert nach Neumann (2005), S. 187. 332 Vgl. Neumann (2005), S. 187–191.

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2.6. KRANKENMORD 2.6.1. Johannes Schottky: Krankenmord „ohne merkliche Belastung des Betriebes“ Die Zwangsasylierungsanstalten, die ursprünglich der Isolierung, dann der Durchsetzung des Arbeitszwanges dienten, waren, wie auch die Anstalt Stadtroda, meist Abteilungen von Heil- und Pflegeanstalten. 1941 bestanden insgesamt 18 solche Abteilungen mit mehr als 2.000 Betten (1.214 für Männer und 842 für Frauen).333 Genau diese aber wurden im Rahmen der „Aktion Brandt“ „geräumt“, um die Kosten zu senken und Platz für die Unterbringung von Patienten aus Krankenhäusern und Lazaretten zu schaffen. 1944 standen für die Zwangsasylierung nur noch 754 Betten zur Verfügung, obwohl weder die Zahl der Tuberkulosekranken zurückgegangen war noch die Vorschriften zur Zwangseinweisung großzügiger gehandhabt wurden.334 Kloos nannte unter den Anstalten mit einer Zwangsasylierungsabteilung im „Altreich“ und in Österreich neben Stadtroda mit 180 bzw. 220335 Betten, das Alters- und Siechenheim in Hamburg, Oberaltenallee (107 Betten), das Landeskrankenhaus Homburg-Saar (ca. 100 Betten), die Landesheilstätte Oberschlesien (80 Betten), die Gau-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke „Am Feldhof“ in Graz (30 Betten), die Heilanstalt für Gemütskranke Salzburg-Lehen, die Heil- und Pflegeanstalten Karthaus in Regensburg, die Provinzialheilanstalt Ückermünde in Pommern (25 Betten) und die Landesheilund Pflegeanstalt in Untergöltzsch im Vogtland (29 Betten). Götz Aly gibt außerdem eine Sonderabteilung in der Anstalt Eichberg und eine in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg an.336 Es kann als gesichert gelten, dass die zwangsasylierten Tuberkulosekranken der „Euthanasie“ zum Opfer gefallen sind. Die Abteilungen zur Zwangsasylierung waren fast ausschließlich psychiatrischen Einrichtungen angegliedert bzw. deren Patienten wurden zu Kriegsbeginn in solche Anstalten überführt. Es handelte sich dabei jeweils um solche Anstalten, in denen ein besonders hoher Prozentsatz der Insassen getötet wurde. Da die Zwangsasylierungsabteilungen zum Teil mehrere Jahre vor dem Beginn der eigentlichen organisierten Euthanasieaktionen eingerichtet wurden, muss davon ausgegangen werden, dass die Tuberkulosekranken zu den ersten Euthanasieopfern im Nationalsozialismus überhaupt zählen.337 Der 333 Kloos (1942b), S. 84–85. Kelting geht ohne Angabe von weiteren Quellen hingegen von mehr als 2.200 Betten aus. 334 Vgl. Brandt (1944), S. 77. 335 Gerhard Kloos, Vernehmung vom 17. Dezember 1962 durch die StA bei LG Göttingen, HStA Hannover, Nds 721 Göttingen, acc. 99/81 Nr. 32, Band 1, Bl. 142. 336 Vgl. Aly (1992), S. 141. 337 Aly vermutet, dass Tuberkulosekranke erst nach dem vermeintlichen „Stopp“ der Euthanasie 1941 und der daran anschließenden Phase der Neuorientierung in den Kreis der zu Tötenden aufgenommen wurden. Vgl. Aly (1987b), S. 11. Vgl. auch Aly (1987a). Hähner-Rombach sieht hingegen Tuberkulosekranke ebenfalls als frühe Opfer der Euthanasie. Hähner-Rombach (2000), S. 277.

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Meldebogen für die „Euthanasie“-Gutachter enthielt die Auskunft über Asozialität bzw. Gemeinschaftsfeindlichkeit der Anstaltsinsassen, verlangte Angaben zu den Gründen für die Zwangsunterbringung und einem „körperlichen, unheilbaren Leiden“. Aly geht davon aus, dass diese Fragen mit Blick auf die gezielte Aussonderung der Tuberkulosekranken zum „beschleunigten Sterben“ gestellt wurden.338 Gleichzeitig gab es Bestrebungen, die tuberkulosekranken psychiatrischen Patienten der Anstalten zu erfassen und zu isolieren. Als Grund wurde der „Schutz der Ärzte und des Personals“ hervorgehoben. „Die Bedeutung einer solchen Arbeit in den Anstalten wird allein schon aus der in die Hunderttausende gehenden Zahl der darin verpflegten Kranken und Abartigen und der dafür notwendigen hohen Zahl von Ärzten, Pflegepersonen und sonstigen Mitarbeitern ersichtlich“,

konstatierte Johannes Schottky, Direktor der Thüringischen Heil- und Pflegeanstalt Hildburghausen.339 Deshalb dürfe man sich nicht weigern, solche Abteilungen einzurichten, auch wenn „selbstverständlich die Entlassungs- und Heilungsaussichten bei diesen Kranken ungünstiger“ seien und deren eigentliche Erkrankung dort nicht mehr behandelt würde, mit anderen Worten, die Kranken keine Chance mehr hatten, die Anstalt je lebend zu verlassen. Es handle sich „bekanntlich“ vor allem um Schizophrene, „die den Hauptbestandteil der Insassen“ ausmachten und „offenbar anlagebedingt“ eine besondere Anfälligkeit für Tuberkulose hätten.340 Auch sei Tuberkulose die häufigste Todesursache in den Anstalten. „Wesentlich ist, daß sich dies alles ohne merkliche Belastung des Betriebes oder auch der Rechnungslegung durchführen läßt.“341 Im Grunde bedeutete diese Vorgehensweise nichts anderes als dass die Mehrzahl der psychiatrischen Patienten an Tuberkulose erkrankt war, diese deshalb auf keinen Fall entlassen werden durften, zum Schutz der Ärzte und des Pflegepersonals kaum medizinisch versorgt wurden und sich dadurch erheblich Kosten sparen ließen. Schottky berichtete aus der eigenen Praxis, dass die Männer zuerst in einem Saal zusammengelegt worden wären, aber nach dem Rückgang der Zahl der Patienten ein Einzelzimmer (für alle Patienten zusammen) genügt hätte.342 Johannes Schottky, geboren 1902 in Frankfurt/Oder legte 1928 das Staatsexamen ab und wurde 1930 zum Dr. med. promoviert.343 Schottky heiratete 1929. Seine Frau war Psychologin und Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie (Dr. phil. et. med.). Als Medizinalpraktikant arbeitete Schottky zunächst in Leipzig, dann in München-Schwabing, wo er 1930-1933 Assistent an der psychiatrischen Abteilung war. Aus dieser Zeit stammten seine „guten Beziehungen“344 zu 338 Vgl. Aly (1992), S. 141. 339 Schottky (1940), S. 748. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Hildburghausen bereits 780 Patienten, 6 Ärzte und etwa 100 Pfleger und Pflegerinnen. Vgl. Tietze (1942), S. 27. 340 Schottky (1940), S. 748. 341 Ebenda, S. 751. 342 Ebenda. 343 Vgl. Schottky (1930). 344 Schottky, Lebenslauf, Universitätsarchiv Erlangen, Habilitationsakte, Schottky, Johannes.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Johannes Lange345 und Kurt Schneider,346 von der DFA für Psychiatrie. Schottky trat 1933 in die NSDAP und die SS ein und wurde Abteilungsleiter für Erbpflege und Gesundheitsführung im Stabsamt des Reichsbauernführers Darré. 1936 übernahm er durch Vermittlung des Leiters des Thüringischen Landesamtes für Rassewesen und Staatsrats im Innenministerium, Karl Astel, die Leitung der Heilund Pflegeanstalt Hildburghausen. Astel war zuvor, wie Schottky, Rassenhygieniker im Rasse- und Siedlungshauptamt gewesen.347 1939 schied er als Obersturmführer aus der SS aus, da er wegen eines Unfalls in seiner Kindheit leicht körperbehindert und damit militäruntauglich war. Schottky habilitierte sich 1942 in Erlangen und wurde dort im darauffolgenden Jahr, neben seiner Tätigkeit in Hildburghausen, Dozent für Psychiatrie, Neurologie und Rassenhygiene.348 1944 schlugen ihn Fritz Lenz und Otmar von Verschuer für den Münchner Lehrstuhl für Psychiatrie vor.349 Schottky publizierte u.a. rassenhygienische Schriften wie „Rasse und Krankheit“, „Ehe und Krankheit“ und den Aufsatzband „Die Persönlichkeit im Lichte der Erblehre“, in dem er u.a. Aufsätze der „Euthanasie“Gutachter Ernst Hefter, Gerhard Kloos, Friedrich Panse und von Hans BürgerPrinz und Franz Stumpfl versammelte.350 Nach dem Krieg war Schottky Psychiater in Herford. 2.6.2. Stadtroda und anderswo: Tod durch Verhungern Faulstich weist in seinem Aufsatz über das „Hungersterben in der Psychiatrie“ 2001 darauf hin, dass seit Mitte der 1930er Jahre in den Anstalten verschiedener Länder die Ernährungskosten drastisch abgesenkt wurden.351 Paul Nitsche, Direktor der sächsischen Anstalt Sonnenstein, setzte eine „Sonderkost“ zunächst für bestimmte Patienten durch. Ab 1938 erhielten alle Patienten in Sachsen diese Verpflegung. Im Regierungsbezirk Kassel der Provinz Hessen-Kassel wurden die sächsischen Ernährungssätze noch um 25% unterschritten. In Folge dieser Hungerkost erkrankten viele Patienten an Tuberkulose. Die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen und der an Tuberkulose Verstorbenen nahm in den betreffenden

345 JOHANNES LANGE (1891–1938), Psychiater und Neurologe, Assistent Kraepelins, seit 1922 leitender Arzt der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses München-Schwabing und seit 1927 Leiter der Klinischen Abteilung der DFA für Psychiatrie, wurde 1930 Professor für Psychiatrie und Neurologie in Breslau. 346 KURT SCHNEIDER (1887–1967), Psychiater, Assistent von Gustav Aschaffenburg in Köln, wurde 1931 Leiter des Klinischen Instituts der DFA für Psychiatrie und der Psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses München-Schwabing, nach 1945 Prof. für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik in Heidelberg. 347 Vgl. Hoßfeld (2003), S. 531–534. 348 Universitätsarchiv Erlangen, Habilitationsakte Schottky, Johannes. 349 BArchB (ehemals BDC), RS F 0586, Bl. 391–506. 350 Schottky (1936). Der Aufsatzband „Rasse und Krankheit“ wurde Schottky als Habilitationsschrift anerkannt. Schottky (1937). 351 Vgl. Faulstich (2001), S. 85–86.

2.6. Krankenmord

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Anstalten stark zu.352 Hungerkost, Tuberkuloseerkrankung und „Euthanasie“ waren damit auf das Engste verbunden. Auch andere Quellen weisen darauf hin, dass Tuberkulosekranke schnell ins Visier der „Euthanasie“ gerieten. Dass unter den tuberkulosekranken Patienten die Tötung bereits vor Kriegsbeginn einsetzte, ist zumindest für die Abteilung in Stadtroda bewiesen. Nach Einrichtung der Abteilung stieg die Zahl der Beisetzungen auf dem Stadtrodaer St. Jakobsfriedhof sehr stark an, was, wie aus einem Schreiben der Kirchgemeinde an das Thüringische Innenministerium aus dem Jahr 1938 hervorgeht, auf die hohe Sterblichkeit der Tuberkulosekranken zurückgeführt wurde.353 Nach den im betreffenden Schreiben genannten Zahlen überlebte nur die Hälfte der Patienten das erste Jahr im Zwangsasyl. Die sich daraus ergebene Sterberate erscheint dem durchschnittlichen Krankheitsverlauf nicht angemessen. Von Heisig und Boening sowie von Aschenbrenner in Fachzeitschriften veröffentlichte statistische Angaben ermöglichen eine zeitliche Einordnung der Maßnahmen. In den ersten Jahren ihres Bestehens waren die Zustände in der Abteilung für Offentuberkulöse besser als nach 1936. Bis 1. April 1936 gab es insgesamt 226 Patienten, von denen 107 (47%) zwangsweise untergebracht waren. Von den freiwillig aufgenommenen Patienten starben 15 (12,6%), von den Zwangsasylierten hingegen 57 (53%).354 Aschenbrenner gab im November 1941 an, es seien insgesamt „über 800 Lungenkranke zwangsweise abgesondert“ worden.355 Damit wurden im Durchschnitt in den Jahren ab 1936 fast doppelt so viele Menschen zwangsweise aufgenommen wie in der Zeit bis 1936. Über die Zahl der Verstorbenen machte Aschenbrenner keine Angaben. Die Kranken wurden systematisch durch unterlassene medizinische Versorgung, teilweise schwere körperliche Arbeit und schlechte Ernährung ums Leben gebracht. Nach Kriegsbeginn kam die Ermordung durch Medikamente hinzu. Insgesamt starben bis April 1945 in der Zwangsasylierung mindestens 612 Tuberkulosekranke, unter ihnen 25 Jugendliche.356 Diese Vorgehensweise hinterließ auch im Selbstverständnis der Ärzte Spuren. Es wurde offensichtlich zunehmend schwieriger, junge Ärzte für die Tätigkeit in der Psychiatrie zu gewinnen.357 In einem Aufsatz über „psychisch abnorme Rechtsbrecher“ beklagte sich Aschenbrenner, es kämen bestimmte Gruppen von Menschen häufiger als früher in die Psychiatrie, wodurch „die Anstalt den Charakter einer Krankenanstalt immer mehr verliert. [...] es befinden sich immer mehr Insassen in ihr, die weniger wegen einer Erkrankung als vielmehr wegen 352 353 354 355 356

Vgl. Faulstich (2001), S. 85–86. Vgl. Faulstich (1998), S. 208–212. Vgl. Heisig/Boening (1936). Aschenbrenner (1941b) sowie Aschenbrenner (1942a), S. 381. Vgl. Renner (2004), S. 1 und S. 50–52. Renner, die sich in ihrer medizinischen Dissertation auf das Datenmaterial unvollständig überlieferter Akten stützt, geht für die Jahre zwischen 1935 und 1939 von 20 bis 40 und für die Kriegsjahre von 75 bis 87 verstorbenen erwachsenen Patienten pro Jahr aus. Insgesamt zählte Renner im Zeitraum 1933 bis 1945 2.267 tote psychiatrische Patienten in Stadtroda. Ebd. 357 Vgl. Heisig (1934), S. 107 sowie Heisig (1937), S. 12.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

ihres abwegigen sozialen Verhaltens eingewiesen wurden.“ Für den Arzt sei dies frustrierend, da „er immer weniger Therapie zu treiben braucht, denn die Untergebrachten haben eine solche ja größtenteils nicht nötig.“ Dadurch käme es zu Schwierigkeiten in der „Frage des ärztlichen Nachwuchses in den Anstalten“. Die rigorose Einweisungspraxis befürwortete Aschenbrenner hingegen trotzdem. Seine Lösung: Strenge Selektion der Patienten und ggf. Fürsorgerziehung für Jugendliche, Arbeitshaus oder Konzentrationslager für Erwachsene.358 Nach Bekanntwerden der „Euthanasie“ in der breiteren Öffentlichkeit vermieden viele Patienten die Aufnahme in die Thüringische Landesheilanstalt. Kloos und Schottky bemühten sich daher im Winter und Frühjahr 1942 um eine Umbenennung der Anstalten in Stadtroda und Hildburghausen in „Landeskrankenhaus“.359 Hinzu kam, dass Kloos als Gutachter für die Kinder-„Euthanasie“ gewonnen wurde und sich in Stadtroda eine „Kinderfachabteilung“ zur Ermordung behinderter Kinder befand. Kloos galt als ausgewiesener „Euthanasie“-Befürworter und war dem Kinder-„Euthanasie“-Koordinator Hans Hefelmann von Herbert Linden empfohlen worden. Kloos sprach noch zu Beginn der 1960er Jahre als er deshalb als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren vernommen wurde, von der „Einschläferung“ der Kinder und versicherte, die „Kinderfachabteilung“ habe der besseren medizinischen Versorgung des „Krankengutes“ und der wissenschaftlichen Forschung gedient.360 Auch Schottky unterstützte die vom Krankenmord profitierende Hirnforschung. Er schickte 24 Gehirne von getöteten Patienten an Hugo Spatz,361 den Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung in Berlin-Buch, den er vermutlich aus der Münchner Zeit zu Beginn der 1930er Jahre kannte. Die größte Zahl von Gehirnen, insgesamt 194, erhielt jedoch das Hirnpathologische Institut der DFA für Psychiatrie unter Willibald Scholz in München.362 Die Überlieferungen aus anderen psychiatrischen Anstalten mit den Zwangsabteilungen für Tuberkulosekranke sprechen eine deutliche Sprache.363 Für die 358 Vgl. Aschenbrenner (1942b), S. 201–202 sowie (1941b), S. 151. 359 Schottky, Kloos und Aschenbrenner standen miteinander über diese und andere Problem im Austausch. Vgl. Aschenbrenner (1942b). Gerhard Kloos an Herbert Linden vom 17. März 1942 sowie Johannes Schottky an das Thüringische Innenministerium vom 28. Januar 1942, in: Schmuhl (1987), S. 284 und S. 458; Gerhard Kloos an Paul Nitsche, Schreiben vom 21. Oktober 1942, BArchL Heidelberger Dokumente, File 707, Vol. 19, 127855–127858. 360 Das Ermittlungsverfahren gegen Kloos wurde eingestellt. Gerhard Kloos, Vernehmung am 3. Oktober 1961 durch die StA bei LG Göttingen, HStA Hannover, Nds 721 Göttingen, acc. 99/81 Nr. 32, Band 1. Vgl. zu der Verbindung von „Hirnforschung und Krankenmord“ bzw. „wissenschaftlichem Erkenntnisstreben als Tötungsmotiv“: Schmuhl (1987), S. 278–284, Schmuhl (1991) und (2000) sowie Peiffer (1999), (2000) und (2005). 361 HUGO SPATZ (1888–1969), Neurologe, habilitierte sich 1923 an der DFA für Psychiatrie, seit 1928 Oberarzt an der Nervenklinik München, seit 1937 Direktor des KWI für Hirnforschung in Berlin-Buch, leitete nach 1945 das Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Gießen. 362 Vgl. Schmuhl (2000), S. 41–53 sowie Peiffer (2000), S. 167–168. 363 Vgl. auch Aly (1984).

2.6. Krankenmord

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Anstalt Lüben (Schlesien) konstatiert Faulstich bereits für 1936 eine ungewöhnlich hohe Sterberate von 7,9 von 100 Patienten.364 Lüben war gleichzeitig Ziel von Transporten aus dem Rheinland.365 Die Psychiatrie des Landeskrankenhauses Homburg (Saar) wurde vor Kriegsbeginn vollständig geräumt. Die Belegung mit zwangsasylierten Tuberkulosekranken muss demnach erst nach der Räumung erfolgt sein, obwohl die Gebäude, so Faulstich, für militärische Zwecke genutzt werden sollten. Möglicherweise bezogen sich Kloos‘ Daten noch auf das Jahr 1939. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Tuberkulosekranken gemeinsam mit den Psychiatriepatienten „evakuiert“ wurden, die in hessische Anstalten, vor allem nach Eichberg, einer der schrecklichsten Anstalten der so genannten „wilden“ Euthanasie, gebracht wurden.366 Der „Feldhof“ in Graz war eine von zwei Kliniken mit so genannter „Kinderfachabteilung“, in der Kinder getötet wurden. Aber auch sehr viele Erwachsene wurden vom in Graz tätigen SS-Arzt Sorger durch Medikamente ermordet. Das Verhungernlassen war jedoch die bevorzugte Tötungsmethode der Anstalt. Von den Kranken der Landesheilanstalt Ueckermünde in Pommern wurden viele Insassen in den Gaswagen des SSSonderkommando Lange ermordet. Andere wurde in die Tötungsanstalt MeseritzObrawalde abtransportiert und dort getötet.367 Die zu Pommern gehörende Anstalt Meseritz-Obrawalde war, so Faulstich „die größte Mordeinrichtung der letzten Kriegsjahre“. Hier starben über 10.000 Menschen.368 Die Landesanstalt Untergöltzsch in Sachsen wies eine erheblich gestiegene Sterberate in den Jahren von 1939 bis 1945 auf. 1942 lag diese bei über 20%.369 Andere Einrichtungen hatten einige Jahre zuvor noch Tuberkulosekranke nach Untergöltzsch verlegt, da es dort die Möglichkeit einer Heilbehandlung gab. 1938 wurde die Abteilung für „asoziale Tuberkulosekranke“ eingerichtet und der Schwerpunkt auf die übliche strenge Verwahrung gelegt. Patienten in Colditz (Sachsen), einer geschlossenen Anstalt, die meist nicht mehr arbeitsfähig waren, wurden gar nicht mehr behandelt, wenn sie an Tuberkulose litten. Eine getrennte Station für Tuberkulosefälle wurde mit dem Argument abgelehnt, das Patientensterben beschleunigen zu wollen.370 Etwa ebenso hoch wie in Untergöltzsch war die Sterberate des Philippshospitals Goddelau, in das auch Patienten aus anderen Anstalten verlegt wurden. In den Jahren 1944 und 1945 starb dort etwa jeder dritte Patient, wie Faulstich vermutet, durch überdosierte Medikamente und massive Unterernährung. Außerdem sind Verlegungen nach Eichberg, wahrscheinlich zum Zwecke der Tötung der Patienten, zu verzeichnen.371 Auch Regensburg war eine

364 Vgl. Faulstich (1998), S. 189–190. 365 Ebd., S. 396-397. Von den ankommenden Patienten aus einem Transport aus Andernach starben im ersten Jahr fast die Hälfte und bis Kriegsende 3/4. 366 Vgl. Faulstich (1998)S. 377–381. 367 Vgl. Bernhardt (1994), S. 78–79. 368 Vgl. Faulstich (2000), S. 226. 369 Vgl. Faulstich (1998), S. 494. 370 Vgl. Thom (1991), S. 205. 371 Vgl. Faulstich (1998), S. 380–381.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Anstalt, in der nach dem Hungererlass eine „Hungerstation“ eingerichtet wurde. Die Sterberate erreichte hier im Jahre 1942 über 20%. 2.6.3. Ermordung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitenden Anderen Tuberkulosekranken, die sich dem Therapie- und Behandlungszwang widersetzten, drohte als „Asozialen“ und „Arbeitsscheuen“ die Einweisung in die Konzentrationslager. Tausende von Menschen wurden bereits 1938 mit der so genannten Aktion „Arbeitsscheu Reich“ dorthin gebracht, unter ihnen viele Tuberkulosekranke. Während der „Häftlingseuthanasie 14 f 13“ wurden viele in die „Euthanasie“-Anstalten deportiert und dort vergast, sofern sie nicht vorher gestorben waren.372 Eine weitere große Gruppe von „Euthanasie“-Opfern sind ausländische Arbeitskräfte, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht wurden.373 Noch bis zum Frühjahr 1944 wurden sie in ihre Heimatländer „rückverschickt“, wenn sie an Tuberkulose erkrankten. Bei Feststellen der Erkrankung wurden die Betroffenen in eines der „Rückkehrersammellager“ gebracht, wo sie auf den Eisenbahntransport warten mussten. Dort herrschten unbeschreibliche Zustände. Es gab kaum zu essen. In Pfaffenwald bei Bad Hersfeld unterhielt das Landesarbeitsamt Hessen ein solches Lager. Die Kranken wurde von zwei sowjetischen, so genannten „Ostärzten“, betreut, die kaum über Medikamente und Verbandsmaterial verfügten.374 Auch wenn ein Transport zustande kam, wurde es den Kranken verwehrt, in die Orte, aus denen sie stammten, zurückzukehren. Oft waren ihre Wohnungen und Häuser bereits von Anderen, häufig Deutschen, besetzt. Hatten sie keine Verwandten, bei denen sie unterkommen konnten, waren sie obdachlos. Unter anderem aus diesem Grunde war es aus der Sicht der deutschen Behörden nicht angebracht, die Zwangsarbeitenden zurückzuschicken. Ab 1944 war außerdem der Rücktransport durch den Verlauf des Krieges nicht mehr möglich. Die Zwangsarbeitenden mit einer schlechten Prognose sollten deshalb in Sterbelagern untergebracht werden. Da die Unterbringung kostenaufwändig war, wurden tuberkulosekranke, wie auch psychisch kranke Zwangsarbeitende, in „Euthanasie“-Anstalten getötet. So organisierte das Gauarbeitsamt Rhein-Main die Ermordung von Zwangsarbeitenden. Die Diagnose dazu stellte der zuständige Arzt des Gesundheitsamtes. In Hadamar wurden zwischen Juli 1944 und März 1945 mindestens 468 polnische, sowjetische, französische und italienische Zwangsarbeiter sowie deren Kinder vergast.375

372 Vgl. Grode (1987). Das Kürzel „14 f 13“ war das Aktenzeichen der Inspektion der Konzentrationslager für die Ermordung nicht mehr arbeitsfähiger Häftlinge. Vgl. auch Klee (1985), S. 345. 373 Vgl. auch Jakobczyk (2001). 374 Vgl. Hamann (1985), S. 124. Vgl. auch Frewer/Siedbürger (2004). 375 Vgl. George (2004), S. 401.

2.6. Krankenmord

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In großem Maße wurden tuberkulosekranke Menschen in den besetzten Ostgebieten, vor allem in Polen, umgebracht.376 Die deutschen Gesundheitsbehörden konstatierten einen erheblichen Anstieg der Erkrankungen, vor allem der Lungentuberkulose. Dieser war sowohl auf die Zunahme der Erkrankungsfälle zurückzuführen, als auch auf die verbesserte Diagnostik, weil die Gesundheitsämter nach dem Einmarsch in großem Maße Röntgenuntersuchungen durchführten.377 Untersucht wurde vor allem die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter und von diesen besonders solche, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt werden sollten.378 Zur Bekämpfung der Tuberkulose schlug beispielsweise der Medizinalbeamte Heidemann aus Marienwerder vor, polizeiliche Maßnahmen einzuführen, die vom Staat finanziert werden sollten, um zügig zur Anstaltsunterbringung der Kranken zu kommen. Zwar sollte die „Tuberkulosefürsorge doch nach Möglichkeit nicht als Polizeiaktion aufgezogen werden, [...] wenn auch in diesem Gebiet die Bevölkerung an größere Umwälzungen und einschneidende Änderungen ihrer persönlichen Verhältnisse gewöhnt“379

sei. Dies sei notwendig, „noch vor Beginn einer Großkolonisierung, eines Massenzustroms von Menschen“, „um Rückschläge zu vermeiden, um nicht wertvolles deutsches Siedlerleben in den deutschen Ostgebieten durch Tuberkulose zu gefährden.“380 1944, als die „Großkolonisierung“ nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stand, sondern die Ausbeutung polnischer Arbeitskräfte und deren angeblich renitentes Verhalten, galt die Zwangsasylierung als wichtiges Mittel der Tuberkulosebekämpfung. Es sei nun „alles andere als nach starren Richtlinien zu verfahren.“381 Große Zwangsasylierungseinrichtungen für Polen befanden sich nach Angaben von Kloos in der Gau-Heil- und Pflegeanstalt Conradstein bei PreußischStargard, in der Gau-Arbeitsheilstätte Gasten (Kreis Gostynin) und in der GauHeil- und Pflegeanstalt Tiegenhof bei Gnesen im Wartheland. Aly nennt die Zahl von insgesamt elf Asylen ohne nähere Ortsangaben.382 Allein Conradstein und Gasten hatten jeweils 400 bis 500 Betten und nahmen sowohl Männer als auch Frauen auf.383 Unter den Opfern in Tiegenhof befand sich eine große Zahl von aus Deutschland rücktransportierten Zwangsarbeitern. Sehr viele Rücktransportierte sollen nach Meseritz-Obrawalde gebracht worden sein. Die Anstalt selbst nahm im Sommer 1943 etwa 500 tuberkulosekranke Polen auf.384 Nach Schmuhl starben dort 1943 etwa 2.000 Patienten und 1944 etwa 3.000. Unter den Toten des

376 Zur Tätigkeit deutscher Ärzte in den Gesundheitsverwaltungsbehörden in den besetzten Territorien Polens und der Sowjetunion vgl. Thom (1994) sowie Thom (1997). 377 Vgl. Hoffs (1942). 378 Vgl. Czernay (1944). 379 Heidemann (1942), S. 51. 380 Ebd., S. 66. 381 Markgraf (1944), S. 73–76. 382 Vgl. Aly (1992). 383 Vgl. Kloos (1942b), S. 85. 384 Vgl. Hamann (1985), S. 153.

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2. Tuberkuloseforschung und -bekämpfung in Deutschland 1920–1945

Jahres 1944 sollen sich aber nur 130 Ausländer befunden haben.385 Bei Klee, der sich auf Vernehmungen aus dem Jahr 1945 bezieht, findet sich hingegen für den Zeitraum von drei Jahren die Angabe von 18.000 Opfern.386 Von besonderer Grausamkeit zeugte die Initiative des Reichsstatthalters im Reichsgau Wartheland, Arthur Greiser,387 an Tuberkulose erkrankte Polen durch das bis dahin mit der Ermordung der jüdischen Bevölkerung beschäftigte Sonderkommando Lange töten zu lassen. Wie Greiser an Himmler schrieb, schätzte er, dass etwa 35.000 Polen „mit offener Tuberkulose behaftet“ seien. Nach einer Untersuchung durch den Röntgen-Sturmbann von Hans Holfelder würden die Kranken selektiert und „ausgemerzt“.388 SS-Gruppenführer Heinrich Müller von der Gestapo äußerte sich in einer Stellungnahme positiv, und Himmler stimmte dem Vorgehen Greisers zu.389 Blome, stellvertretender Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit, gab zu bedenken, dass Hitler gerade erst die „Euthanasie“ gestoppt habe, um weiteres Aufsehen zu vermeiden. Da „die Garantie einer restlosen Geheimhaltung“ nicht gegeben sei, sei eine Tötung der Tuberkulosekranken „unmöglich“, schrieb Blome nicht gerade überzeugend.390 Blome wurde u.a. auf Grund dieser Aussage im Nürnberger Ärzteprozess freigesprochen. Gleichwohl erinnerte sich Rudolf Brandt, man habe „als Resultat der von Blome und Greiser unterbreiteten Vorschläge zwischen 8.000 und 10.000 Polen ausgerottet. Viele Tausende von mit Tuberkulose behafteten Polen wurden in Isolationslager gebracht, wo sie sich selbst pflegen mußten“.391 Wahrscheinlich entspricht die Aussage Brandts den Tatsachen, nur wurden die Kranken zur Tötung zunächst in Anstalten eingeliefert, um deren Ermordung zu tarnen. Aly weist darauf hin, dass die Tuberkuloseasyle verwaltungstechnisch sehr eng mit den psychiatrischen Anstalten verbunden waren und der Zuständige für die „Euthanasie“ im Warthegau, Hans Friemert, auch die Transporte in die Tuberkuloseasyle organisierte.392 Sowohl im Deutschen Reich als auch in den besetzten Ostgebieten wurden psychiatrische Patienten und Tuberkulosekranke in den selben Anstalten 385 Vgl. Schmuhl (1987), S. 239. 386 Vgl. Klee (1992), S. 156. 387 ARTHUR GREISER (1897–1946), war im Ersten Weltkrieg Marineoffizier, gehörte 1924 zu den Gründern des Stahlhelm in Danzig, seit 1928 Mitglied der NSDAP und der SA, ab 1930 der SS. Seit 1930 war er Gaugeschäftsführer der NSDAP in Danzig und Fraktionsvorsitzender im Stadtparlament, 1933 Vizepräsident und Innensenator des Senats, 1934 Präsident bis 1939, danach Gauleiter und Reichsstatthalter für den Reichsgau Wartheland, ab 1940 MdR, ab 1942 Obergruppenführer, nach dem Krieg an Polen ausgeliefert, dort hingerichtet. 388 Arthur Greiser an Heinrich Himmler, Schreiben vom 1. Mai 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/1206–1207. 389 Heinrich Müller, Stellvertretender Chef der Sicherheitspolizei und des SD an Heinrich Himmler vom 9. Juni 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/4430–4431 sowie Heinrich Himmler an Arthur Greiser vom 27. Juni 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/4434–4435. 390 Kurt Blome an Arthur Greiser, Schreiben vom 18. November 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/4439–4449. 391 Rudolf Brandt, Eidesstattliche Erklärung vom 24. Oktober 1946, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/4449–4452. 392 Vgl. Aly (1992), S. 144–145.

2.6. Krankenmord

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zwangsasyliert und, spätestens nach dem so genannten „Euthanasie“-Stopp, auch gemeinsam ermordet. Aufgrund der Mangelernährung erkrankten immer mehr Patienten an Tuberkulose bzw. erlitten einen Rückfall der bereits überwundenen Erkrankung. Die schlechten hygienischen Verhältnisse begünstigten zusätzlich die Ansteckung. Da bei Patienten, deren Leben aufgrund einer psychiatrischen Diagnose oder einer geistigen Behinderung als „unwert“ galt, die Tuberkulose ohnehin nicht therapiert wurde, kann angenommen werden, dass ein großer Teil von ihnen nicht nur verhungerte oder durch Medikamente ermordet wurde, sondern auch an den Folgen von Tuberkulose starb.

3. TUBERKULOSE-VERSUCHE IM KONZENTRATIONSLAGER SACHSENHAUSEN 3.1. AKTEURE: DIE SS ORGANISIERT MENSCHENVERSUCHE 3.1.1. „Sein ganzes Bestreben war eine SS-eigene Wissenschaft“1 Himmler, sein Umfeld und seine Affinität zur Medizin In der Zeit des Nationalsozialismus gab es einerseits das Bestreben, ein Medikament gegen Tuberkulose zu entwickeln bzw. die Neuerkrankung von Menschen mit Hilfe einer Impfung zu vermeiden. Andererseits wurden Tuberkulosekranke entwürdigt, gegen ihren Willen zu Therapien wie Resektionen von Teilen der Lunge, schmerzhaften Kupfer- und Goldeinspritzungen und Pneumothoraxbehandlungen gezwungen, zwangsasyliert und ermordet. Nicht nur Ärzte und Forscher versuchten, „das Tuberkulosemittel“ zu finden, auch Angehörige von Patienten und andere interessierte Laien entwickelten Ideen. Viele von ihnen wandten sich damit an einflussreiche Ärzte, Gesundheitsexperten und an Politiker, die ihnen persönlich bekannt waren oder von denen sie sich Hilfe erhofften. Eine große Anzahl dieser Vorschläge wurde dem Reichtuberkulose-Ausschuss zur Begutachtung vorgelegt. Auf diese Weise sind sie heute in den Akten des Bundesarchivs im Bestand „Reichstuberkulose-Ausschuss“ überliefert.2 Für Ärzte, die nicht auf Grund ihrer Beziehungen oder beruflichen Stellung an Kliniken und Heilstätten Bedingungen hatten, Medikamentenstudien durchzuführen, galt die SS mit Heinrich Himmler an der Spitze seit Beginn des Zweiten Weltkriegs zunehmend als eine Institution, die medizinische Forschung unterstützte und Versuche ermöglichte, die sonst nur eingeschränkt durchführbar waren.3 Heinrich Himmler war der Medizin und den Ärzten gegenüber im Großen und Ganzen positiv eingestellt. Einige seiner langjährigen Vertrauten und Freunde waren Ärzte, u.a. Karl Gebhardt, Hans Deuschl und Karl Fahrenkamp. Darüber 1 2 3

Oswald Pohl, Aussage vom 16. Mai 1946, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 12, Bl. 1452. BArchB, R 96 II, Band 19 passim. Himmler förderte u. a. die Forschung des Chemikers Arthur Imhausen. Imhausen erfand zunächst ein synthetisches Speisefett, das an Konzentrationslagerhäftlingen erprobt wurde. Als Wilhelm Keppler, Mitglied des Freundeskreises Himmler und Wirtschaftberater Hitlers, 1944 meldete, Imhausen habe ein Medikament gegen Lungentuberkulose entwickelt und bereits an Patienten einer Lungenheilanstalt in der Nähe von Witten erprobt, ließ Himmler Grawitz anweisen, Imhausen Versuche in der SS-Lungenheilstätte SchmiedebergHohenwiese im Riesengebirge durchführen zu lassen. Himmler erbat „Zwischenberichte in Zeitabständen von 8 bis 12 Wochen über die erzielten Ergebnisse“. Wilhelm Keppler an Heinrich Himmler, Schreiben vom 14. Oktober 1944; Heinrich Himmler an Wilhlem Keppler, Schreiben vom 28. Oktober 1944 sowie Rudolf Brandt an Ernst Robert Grawitz, Schreiben vom 28. Oktober 1944, NO NG 2383, GStAP, Rep. 335, Fall XI, Band 138. Für den Hinweis auf diese Versuche danke ich Tobias Bütow.

3.1. Akteure: Die SS organisiert Menschenversuche

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hinaus empfand Himmler große Sympathie für die Naturheilkunde und bot auch entsprechenden Überlegungen abseits der Schulmedizin Raum. „Vertreter der medizinischen Fachwelt, die ihm [Himmler, d. Verf.] ein medizinisches Problem als wissenschaftlich höchst relevant darzustellen wußten oder die gute Freunde hatten, welche sich als Vermittler einschoben, fanden bei ihm leicht ein williges Ohr, obwohl Himmler selbst nicht mehr medizinische Kenntnisse besaß als der gebildete Laie schlechthin. [...] Wenn er sich für eine Sache interessierte, stellte er dem Mediziner alle Hilfe seiner Macht zur Verfügung und blieb den Dingen immer persönlich ganz nahe, indem er sich persönlich vom Fortgang unterrichtete.“4

Aber auch aus einem anderen Grund waren die Versuche für Himmler attraktiv: es bestand für die SS so die Möglichkeit, medizinische Innovationen zumindest für eine bestimmte Zeit zu monopolisieren. Ein neues Medikament würde als erstes den SS-Angehörigen zugute kommen, wenn es beispielsweise aus Gründen der Rohstoffknappheit nicht für die gesamte Bevölkerung verfügbar sein sollte.5 Ein weiterer Grund, Versuche in Konzentrationslagern durchzuführen, war, dass sich dort tausende von Häftlingen befanden, die das passende „Material“ für die Forschung darstellten. Außerdem waren die inhaftierten Männer und Frauen in fast unbeschränkter Zahl in jeder Altersgruppe verfügbar. An Kindern konnte genauso experimentiert werden wie an Erwachsenen. Die Häftlinge waren rechtlos, ihr Einverständnis spielte keine Rolle. Bei den Versuchen wurde mit den Versuchspersonen unmenschlich umgegangen, sie wurden gequält oder vorsätzlich getötet. Die SS kam dem „Bedürfnis“ bestimmter Ärzte und Wissenschaftler nach „unbegrenzten“ Menschenversuchen entgegen, in dem die Verfahrensregeln für die Durchführung von Versuchen vereinheitlicht und günstig gestaltet wurden. Himmlers Begeisterung für Medizin und Naturheilkunde zog sich durch seine gesamte Biografie. Obwohl er in der Stadt, erst in München, dann in Landshut, aufgewachsen war, interessierte er sich sehr für Fragen des ländlichen Lebens und der Landwirtschaft, insbesondere für die Tier- und Pflanzenzucht. Geboren 1900, entstammte er einer bildungsbürgerlichen Familie. Er besuchte das Gymnasium und strebte danach eine Offizierslaufbahn an. Das Ende des Ersten Weltkriegs bereitete seinen Plänen jedoch ein Ende. Er holte das Abitur nach und nahm ein landwirtschaftliches Studium auf. 1919 wurde Himmler Freikorpskämpfer und engagierte sich politisch in völkisch-national orientierten Kreisen. Im August 1923 trat er der NSDAP bei.6 In den späten 1920er Jahren war er Mitglied der „Artamanen“, einer völkischen Jugendbewegung, die von Anti-Urbanismus und einer Idealisierung des Landlebens getragen war und deren Mitglieder gering be-

4 5 6

Oswald Pohl, Aussage vom 23. Juli 1946, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 124, Bl. 130. Auch an sowjetischen Kriegsgefangenen und Wehrmachtsangehörigen wurden medizinische Versuche unternommen. Vgl. Kästner (1994), S. 140–141; Neumann (2005), S. 213–232. Vgl. zu den biografischen Daten zu Himmler, wenn nicht anders gekennzeichnet, die folgenden Publikationen: Wulf (1962), Ackermann (1970), Fraenkel/Manvell (1979), Longerich (2008), Smith (1979), Padfield (1990), Breitman (1996), Tuchel (2000), Himmler (2007), S. 40–42.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

zahlte Arbeiten auf landwirtschaftlichen Gütern in Ostpreußen, Sachsen und Mecklenburg verrichteten.7 Himmler lernte im Winter 1926 die Krankenschwester Margarete Conzerzowa kennen. Sie heirateten im Juli 1928.8 Margarete Himmler hatte vor ihrer Ehe als Heilpraktikerin gearbeitet und gab ihre kleine Praxis auf, um mit ihrem Mann ein Grundstück in Waldtrudering im Süden Münchens zu erwerben. Dort wollte Himmler mit fünfzig Hühnern eine kleine Geflügelzucht beginnen und Heilpflanzen anbauen. Der Anbau von Heilkräutern soll Himmler schon in seiner Kindheit fasziniert haben, da sich im Wohnhaus seiner Eltern in München eine Apotheke befand. Seine Frau bestärkte ihn als Homöopathin in seinem Interesse für die Naturheilkunde, aber auch in seiner Abneigung gegenüber der Schulmedizin.9 Himmler besaß ein Exemplar des Kräuterbuchs des Hieronymus Bock und las die Werke von Hildegard von Bingen, Paracelsus und Sebastian Kneipp, aber auch Bücher über Astrologie und Runen.10 Bei Himmler existierte ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Ideen, die er für sich schlüssig miteinander zu verbinden versuchte. Himmlers laienhaftes Wissenschaftsverständnis führt Kater auf seine geringe akademische Bildung zurück. Kater hebt hervor, dass Himmler, der allgemein als überdurchschnittlich intelligent galt, wissenschaftliches Denken und Arbeiten nicht nachvollziehen konnte.11 Phänomene, die er sich nicht erklären konnte, wollte er durch Versuche in seinem Sinne überprüfen lassen, ließ aber keinesfalls eine Falsifikation seiner Hypothese durch entsprechende Gegenbeweise zu. Diese Herangehensweise spiegelte sich auch in bemerkenswerter Weise in Himmlers Rechtsverständnis wider, wurde dort aber weniger gravierend wahrgenommen, weil die ethische Perversion des juristischen Normverständnisses ein generelles Problem des Nationalsozialismus darstellte. Rechtsprechung nach dem so genannten „gesunden Volksempfinden“ war allgemein üblich und praktikabel.12 Den Ausgangspunkt bildeten in vielen Fällen rassenhygienische Vorstellungen, die im Geiste der nationalsozialistischen Ideologie als unzweifelhaft und wissenschaftlich erwiesen galten. Sie bildeten gleichzeitig die moralische Grundlage für die Durchführung der medizinischen Versuche in den Konzentrationslagern. Himmlers Macht und sein Einfluss waren immens und wurde von denjenigen genutzt, die uneingeschränkte, schrankenlose Forschung am Menschen wollten. Himmlers eigenwillige Vorschläge für die Forschung auf dem Gebiet der Medizin wurden gemeinhin belächelt. Diese bildeten jedoch nur einen verschwindend geringen Teil der in den Konzentrationslagern vorgenommenen Versuche. Möglicherweise rührt daher allerdings die weit verbreitete, falsche Auffassung, die medizinischen Versuche in den Konzentrationslagern seien generell „pseudo7 8 9 10 11 12

Vgl. Kater (1971), passim, zu Himmlers Mitgliedschaft S. 622–624. Vgl. Padfield (1990), S. 83–84. Vgl. Himmler (2007), S. 120–126. Vgl. Kater (1974), S. 99; Wulf (1962), S. 8–9; Kersten (1952), S. 41–43. Vgl. Kater (1974), S. 18–19. Vgl. Angermund (1993) sowie Rüthers (1988), S. 101–102.

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wissenschaftlich“, also gleichsam wertlos gewesen und nur zur Befriedigung sadistischer Triebe der beteiligten Ärzte durchgeführt worden.13 Heinrich Himmler entschied, ob ein Versuch genehmigt wurde oder nicht. Wichtig war dabei Himmlers direktes Arbeitsumfeld. Hervorzuheben sind zwei Mitarbeiter seines Persönlichen Stabes, die seine Entscheidungen stark beeinflussen konnten: Karl Wolff und Rudolf Brandt. Rudolf Brandt war wahrscheinlich derjenige, der den besten Überblick über die Versuche in den Konzentrationslagern hatte. Er ließ Interessenten zu Himmler vor, wenn er deren Anliegen für relevant hielt. Brandts Dienstkalender, der in Teilen erhalten ist, gibt vor allem Aufschluss über Termine Himmlers, bei denen er selbst anwesend war. Er nahm dabei dessen Anweisungen entgegen, gab seine Anordnungen zu Versuchen weiter und koordinierte in einzelnen Fällen die Vorbereitungen. Das ebenfalls teilweise erhaltene Posteingangsbuch Reichsführer-SS zeigt, wie Brandt Himmlers Schriftverkehr behandelte: welche Schreiben er Himmler vorlegte, ohne oder nach vorheriger Rücksprache weiterleitete sowie deren Weiterbearbeitung bzw. Beantwortung er veranlasste und kontrollierte. Beim täglichen Postvortrag gab Brandt Himmler Einblick in die wichtige Post. Er sortierte die Schreiben in die so genannte „Lesepost“, die Himmler selbst las, und die übrige Post, die er vortrug, in Auszügen vorlas, jedoch erst, wenn er alle damit in Zusammenhang stehenden Fragen abgeklärt hatte. Brandt war also für alle mündlich oder schriftlich an Himmler herangetragenen Anliegen zuständig. Er war einer der engsten Mitarbeiter Himmlers, neben Karl Wolff wahrscheinlich der engste überhaupt.14 Er begleitete Himmler seit Mitte der 1930er Jahre ständig, auch auf dessen Reisen. Während Brandts Abwesenheit wurde das Berliner Büro von August Meine,15 einem seiner Mitarbeiter, geleitet. Das Persönliche Referat hatte 16 bis 20 Mitarbeiter. Wenn Himmler sich in der Feldkommandostelle befand, begleiteten vier bis fünf von ihnen Brandt. Die anderen blieben bei Meine in Berlin und nach der Umquartierung der Verwaltung 13 Vgl. Schwan (1973); Lifton (1988), passim, besonders S. 345 und S. 525; Groeben (1990), S. 222–226; Benz (1993). Winkelmann beschrieb „‚pseudowissenschaftliche‘ Forschung“ in einem Aufsatz über Hermann Stieve jüngst als „NS-typische Versuche […], die [die] Überlegenheit der arischen ‚Rasse‘ [..] belegen“. Winkelmann (2008), S. 112. Gegen die Annahme, Menschenversuche im Nationalsozialismus seien Teil einer „Pseudowissenschaft“ gewesen, argumentiert u. a. Müller-Hill (1991). Im Zusammenhang mit neuen Fachgebieten in der Medizin wie der Rassenhygiene spricht Kater von „Pseudodisziplinen“, „deren wichtigste Inhalte […] die Grundlage der nationalsozialistischen Doktrin bildeten“. Kater (2000), S. 190. 14 Vgl. August Meine, Verhör vom 21. und 24. März 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/04895–04931; sowie Rudolf Brandt, Verhör vom 24., 25. und 26. März 1947, 2/04933– 05058; vgl. auch Kinder, S. 391; sowie Dienstkalender Himmler, Einleitung, S. 37. 15 AUGUST MEINE (1916–1996), geboren in Vahlbruch bei Holzminden, studierte Jura und kam im November 1940 als Gerichtsreferendar zum Persönlichen Stab RF-SS. Bei einem Fronteinsatz bei der SS-Division „Das Reich“ im Sommer 1941 wurde Meine verwundet und kehrte in den Persönlichen Stab zurück. Im November 1941 wurde er SS-Obersturmführer und 1942 Abteilungsleiter im Amt Stabsführung des Persönlichen Stabes. Im Januar 1945 wurde er zum Obersturmbannführer befördert. Nach dem Krieg war Meine Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Hannover. Vgl. Dienstkalender, S. 703.

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aus dem von Bombenangriffen betroffenen Berlin, in der Ausweichstelle im Berliner Umland. Meine berichtete im Nürnberger Ärzteprozess von den Aufgaben des Persönlichen Referats Himmlers und gab damit auch gleichzeitig detaillierte Einblicke in den Tagesablauf Himmlers. Einen großen Teil bildeten die „Angelegenheiten der allgemeinen SS-Familie.“ Himmler hatte den 15.000 SS-Angehörigen, die am längsten Mitglieder der SS waren, gestattet, direkt bei ihm vorzusprechen, wovon viel Gebrauch gemacht wurde. Himmler ließ sich außerdem von jedem Todesfall innerhalb der SS unterrichten und prüfte mögliche Hilfsvorschläge für die Familien. Er behielt sich vor, jede Heirat eines SS-Angehörigen persönlich zu genehmigen, täglich etwa 10 bis 15 Heiratsgesuche, und gratulierte zur Geburt ab dem jeweils vierten Kind. Dazu kamen zahlreiche Geschenke zu Geburts- und Feiertagen, über die Himmlers Sekretärin eine Kartei führte, damit Himmler nichts zweimal schenkte.16 Einen weiteren großen Teil des Schriftwechsels machten Bitten um Hilfe und Ratschläge von Personen aus sowie Schreiben von „Männern und Frauen aus dem deutschen Volk, [...] die sich gedrängt fühlten, Himmler von ihren Gedanken oder von ihren Vorschlägen zu unterrichten.“ Dazu gehörten auch zahlreiche Ideen zu neuen Therapien und Medikamenten. Den Rest umfasste der Behördenschriftwechsel mit diversen Dienststellen des Reiches, der Partei und der SS. Der Umfang des Postausgangs lag bei 8.000 bis 10.000 Schreiben monatlich, von denen Heinrich Himmler etwa 500 und Brandt 4.000 bis 5.000 unterschrieb.17 Rudolf Brandt wurde 1909 in Frankfurt an der Oder als Sohn eines Reichsbahnbetriebswerkmeisters geboren und evangelisch getauft. Er besuchte die Mittelschule und das Reform-Realgymnasium und legte Ostern 1928 das Abitur ab. Von Ostern 1928 bis 1932 studierte Brandt Rechtswissenschaften an der Universität Berlin, von Herbst 1932 bis Juli 1933 an der Universität Jena. Dort wurde er 1933 zum Dr. jur. promoviert.18 Neben seinem Studium ließ sich Brandt als Parlaments- und Verhandlungsstenograph ausbilden und war von November 1928 bis Mitte 1930 als amtlicher Verhandlungsstenograph im Enquete-Ausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates. Brandt wurde am 1. September 1932 Mitglied der NSDAP und am 25. Oktober 1934 Mitglied der SS. Am 11. Dezember 1933 begann er seine hauptamtliche Tätigkeit als Schreiber bei der SS, seit 15. Februar 1934 arbeitete er direkt für Himmler. Brandt verdankte seine schnelle Versetzung in Himmlers Büro wahrscheinlich seiner Fähigkeit zu stenographieren. Er stenographierte in den ersten Jahren, möglicherweise vereinzelt noch bis 1941 Himmlers Reden und korrigierte sie.19 1938 wurde Brandt Himmlers persönlicher Referent, bezeichnete sich selbst allerdings auch als „Sekretär“. Er wurde seit seinem Eintritt in die SS regelmäßig, 16 Vgl. Wulf (1962), S. 9. Wulf erwähnt Julteller, Julleuchter, SS-Kalender, Porzellanfiguren aus der SS-eigenen Porzellanmanufaktur in Allach und Bücher, aber auch Schokolade, Kaffee, Ölsardinen, Fruchtsaft, Butter, Speck oder halbe Gänse. 17 Vgl. August Meine, Verhör vom 21. und 24. März 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/04895–04931, hier Bl. 2/04903–04905. 18 Brandt (1934), Lebenslauf. 19 Vgl. Smith/Peterson (1974b), S. 251–252.

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wenn auch in größeren Abständen befördert, und erreichte 1943 den Rang eines Standartenführers. Seit der Ernennung Himmlers zum Reichsminister des Innern bekleidete Brandt zudem eine entsprechende Position im Innenministerium: er war Leiter des Ministerbüros. 1943 wurde er, 34jährig, Ministerialrat.20 Brandt stand im Nürnberger Ärzteprozess vor Gericht. Walter Schellenberg sagte dort über Brandt aus, er habe eine „gute Erziehung“ besessen und „eine stille, bescheidene Art“ gehabt, Brandt sei „Himmlers bequemer, stets greifbarer ‚Registrier-Schreib- und Erinnerungsmechanismus‘“. Brandts Arbeitszimmer sei „teilweise unter Benutzung des Fußbodens über und über mit Akten belegt“ gewesen. Er, Schellenberg, habe „Rudolf Brandt hauptsächlich für sich in Anspruch genommen, um zu geeigneten und schnellen Rücksprachen mit Heinrich Himmler zu gelangen“.21 Vor allem letzteres stand im Gegensatz zu dem, was Brandts Verteidiger Kurt Kaufmann das Gericht glauben machen wollte. Er versuchte, ihn als einen kleinen unbedeutenden Sekretär darzustellen, dem das Wissen dazu fehlte, die Konsequenzen seines Handels einzuschätzen.22 Das Gericht folgte Kaufmann in seiner Auffassung nicht und verurteilte Brandt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode. Seine Hinrichtung fand am 2. Juni 1948 statt, seinem 39. Geburtstag. Himmlers Adjutant und späterer Chef des Persönlichen Stabes war Karl Wolff. Er war 1900 geboren und damit nur geringfügig älter als Himmler, doch hatte er seit September 1917 als Kriegsfreiwilliger an der Front gekämpft und war bis Ende des Ersten Weltkriegs zum Leutnant aufgestiegen. Außerdem war er mit dem Eisernen Kreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichnet worden und hatte sich, in der Hoffnung auf eine Offizierslaufbahn, dem Hessischen Freikorps angeschlossen. 1931 trat Wolff in die SS ein, bald darauf, am 1. November 1931 in die NSDAP. Kurz nach der Machtübernahme verkaufte er die eigene Firma und wurde hauptamtlich Himmlers Adjutant, eine Position, die er bis zum Sommer 1943 inne hatte. Er wurde regelmäßig befördert: 1934 brachte er es bereits zum Standartenführer, im Januar 1937 wurde er Gruppenführer, 1942 Obergruppenführer. Aufgrund persönlicher Unstimmigkeiten wurde Wolff im Herbst 1943 wegbeordert und zum Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) in Italien ernannt.23 Als Adjutant regelte Wolff, gemeinsam mit dem Sekretariat, dem Rudolf Brandt vorstand, den Zustrom der Besucher, die bei Himmler vorsprechen wollten. Er koordinierte den Kontakt zu Hitler, begleitete Himmler bei auswärtigen Terminen, vor allem bei seinen Reisen, und „nahm an seinen Führungsaufgaben teil.“24 Wolff war über viele wichtige Angelegenheiten bestens informiert, über die Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen nach dem Überfall auf die Sowjetunion und die Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern ebenso wie 20 BArchB, ehemals BDC, SSO Brandt, Rudolf. 21 Walter Schellenberg, Eidesstattliche Erklärung für Rudolf Brandt vom 7. Februar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/02822–02823. 22 Ebd. 23 BArchB, ehemals BDC, SSO Karl Wolff sowie Lang (1985), S. 12–15. 24 Kinder (1977), S. 382.

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über das Geschehen in den Konzentrationslagern einschließlich der Durchführung von medizinischen Versuchen an Häftlingen.25 3.1.2. Die Geldgeber: Der „Freundeskreis Himmler“ Eine wichtige Frage, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung der Versuche in den Konzentrationslagern stellt, ist die der Finanzierung. Himmler hatte bereits kurz nach der Machtübernahme mit der Gründung des „Freundeskreis Reichsführer-SS“ einen institutionellen Rahmen für seine Kontakte zu führenden Vertretern der deutschen Wirtschaft geschaffen. Dieser „Freundeskreis“ entwickelte sich zu einem elitären Netzwerk, das der Pflege der gegenseitigen Beziehungen zwischen Wirtschaft und SS diente. Die Betreuung oblag in erster Linie dem Leiter des „Freundeskreises“, Fritz Kranefuß,26 der dabei von Karl Wolff unterstützt wurde. Kranefuß war SS-Führer im Persönlichen Stab des Reichsführers-SS, eine Position, die sich nicht genau einem Amt bzw. einer Abteilung zuordnen lässt. Es ist zu vermuten, dass Himmler gerade den Persönlichen Stab nutzte, um einzelne Personen, bei denen eine unmittelbare Zuordnung zu seinem näherem Umfeld sinnvoll erschien, „im“ bzw. „beim Persönlichen Stab“ zu beschäftigen.27 Den Mitgliedern des Freundeskreises wurde bei den regelmäßigen Treffen, die mehrmals im Jahr stattfanden, „Interessantes“ geboten: Sie wurden beispielsweise von Himmler und Wolff durch die Konzentrationslager Dachau (1936) und Sachsenhausen (1939) geführt. In Sachsenhausen gehörte die Begehung der 25 Ein Beispiel für Wolffs Engagement im Zusammenhang mit Menschenversuchen sind die Versuche zur Rettung aus großen Höhen (Höhenversuche), die im Winter und Frühjahr 1942 in Dachau stattfanden. Karl Wolff an Erich Hippke, Schreiben vom 16. April 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/00172; Rudolf Brandt, Eidesstattliche Erklärung vom 30. August 1946, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/00148–154, hier Bl. 151; Heinrich Himmler an Erhard Milch, Entwurf eines Schreibens vom 8. November 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/00229–231; Karl Wolff an Erhard Milch, Schreiben vom 27. November 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/00232–00233; Erhard Milch an Karl Wolff, Schreiben vom 20. Mai 1942, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/03291–03294; ferner Dienstkalender (1999), S. 414; Zámecnik (2007), S. 271–272; Kater (1974), S. 234. 26 FRITZ KRANEFUß (*1900) absolvierte zu Beginn der 1920er Jahre eine kaufmännische Lehre in der Fabrik seines Onkels Wilhelm Keppler. Keppler, seit 1927 Mitglied der NSDAP, war Hitlers persönlicher Wirtschaftsbeauftragter. Kranefuß, von Keppler gefördert, folgte ihm als Mitarbeiter. Keppler gegründet den so genannten „Keppler-Kreis“, der wichtige Unternehmer und andere Wirtschaftsvertreter als Unterstützer der NSDAP zusammenführte. Bei Gesprächen in diesem Kontext lernte Kranefuß wahrscheinlich im Jahre 1931 Himmler kennen. Mitglied der NSDAP wurde Kranefuß jedoch erst 1932. Nach der Machübernahme wurde er Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung des „Verbindungsstabes der NSDAP“ unter Rudolf Heß. 1934 wurde Kranefuß Mitglied des Vorstands der Braunkohle-Benzin AG (Brabag). Etwa zu dieser Zeit übernahm er die Leitung des „Keppler-Kreises“, formte ihn um und nannte ihn den „Freundeskreis Reichsführer-SS“. Vgl. Bütow/Bindernagel (2003), S. 46 und 59; Georg (1963), S. 133 sowie Dienstkalender (1999), S. 697. 27 Vgl. Bütow/Bindernagel (2003), S. 44–46.

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Baracken des Krankenreviers, das baulich und technisch dem Standard eines größeren deutschen Krankenhauses entsprach, üblicherweise für Gruppen aus Wehrmacht, Polizei, Verwaltung und Wirtschaft zum Rundgang durch das Lager.28 Der Freundeskreis Himmler hatte etwa 45 Mitglieder. Von Seiten der SS nahmen an den Veranstaltungen u.a. Oswald Pohl, der einzige Arzt des Kreises, Friedrich Dermietzel, von 1937 bis April 1940 Chef des SS-Sanitätsamtes und Stellvertreter des Reichsarztes-SS sowie der Geschäftsführer des „Ahnenerbes“, Wolfram Sievers, teil.29 Unter den Wirtschaftsvertretern kam dem Bankier Kurt von Schröder eine besondere Rolle zu: er war der Schatzmeister des „Freundeskreises“.30 Die Freundeskreis-Mitglieder spendeten für die SS zwischen 600.000 und einer Million Reichsmark pro Jahr, bis 1945 etwa acht Millionen Reichsmark insgesamt. Die Summen waren eine große Hilfe für die SS, die sich in einer derart prekären finanziellen Situation befand, dass Oswald Pohl 1938 sogar den Vorschlag unterbreitete, das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS aufzulösen.31 Das Konto des Freundeskreises (Sonderkonto „S“ des Reichsführers SS), auf dem die Spenden gesammelt wurden, befand sich selbstverständlich bei Schröders eigener Bank, dem Bankhaus Stein. Von dort überwies er bestimmte Summen auf ein Privatkonto Himmlers bei der Dresdner Bank, das so genannte „Sonderkonto 28 Vgl. Meyer (1999b), S. 16. 29 Aus den Reihen der Vertreter der deutschen Wirtschaft gehörten u.a. dazu: der Generaldirektor und Vorstandsvorsitzende der Siemens-Stuckert-Werke, Rudolf Bingel, Heinrich Bütefisch, Vorstand der I.G. Farben, der Leiter der Reichsgruppe Handel, Franz Hayler, der Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover, Ewald Hecker, der Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und stellvertretende Generaldirektor der Reichsbahn, Wilhelm Kleinmann, der Vorstand der Dresdner Bank, Karl Rasche, der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank, Friedrich Reinhardt, der Vorstand der Rheinmetall-Borsig AG, Hellmuth Röhnert, der Wintershall-Generaldirektor August Rosterg und der Bankier Kurt Freiherr von Schröder aus Köln. Vogelsang (1972), S. 139–144; sowie Bütow (2004), S. 5. 30 KURT von SCHRÖDER (1889–1966) entstammte einer Hamburger Bankiersfamilie, studierte Rechtswissenschaften und diente ab 1909 als Offizier in der Kaiserlichen Armee bis 1919. Er heiratete 1913 die Tochter des Bankiers von Schnitzler und wurde 1921 dessen Teilhaber. In den 1920er-Jahren war er Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP). Am 4. Januar 1933 fand im Hause Schröders ein Gespräch zwischen Franz von Papen und Adolf Hitler statt, das später als die „Geburtsstunde des Dritten Reiches“ bezeichnet wurde. Das Ergebnis war die Einigung auf eine Koalition von Deutschnationalen und Nationalsozialisten im Reichstag und ein Kabinett, das von Papen und Hitler gemeinsam geführt werden sollte und das Hindenburg aller Voraussicht nach bereit war zu vereidigen. Nach der Machtübernahme erhielt Schröder viele öffentliche Ämter. Er wurde u. a. im Mai 1933 in den Senat der KaiserWilhelm-Gesellschaft gewählt und war Mitglied der Akademie für Deutsches Recht. Der Hauptteil seines beruflichen Engagements lag jedoch vor allem im Bereich der Wirtschaft. Schröder wurde 1936 volles Mitglied der SS und erhielt den Rang eines Brigadeführers. Nach dem Krieg war er vorübergehend inhaftiert. Er lebte danach bis zu seinem Tode auf seinem Gut in Schleswig-Holstein. Vgl. Soénius (2003), S. 335–347, Thamer (1986) sowie Vogelsang (1972), S. 167. 31 Vgl. Schulte (2001), S. 80.

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‚R‘“.32 Beim Persönlichen Stab war die Regelung der finanziellen Transaktionen in Zusammenhang mit dem Sonderkonto „R“ dem Geschäftsbereich von Oswald Pohl zugeordnet. Himmler verwendete das Geld u.a. für den bei seinem Persönlichen Stab angesiedelten Verein „Lebensborn“ und die „Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deutscher Kulturdenkmäler e.V.“, die als Finanzierungsgesellschaft der SS-Kultstätte Wewelsburg diente.33 Spenden des Freundeskreises kamen auch der SSStiftung „Ahnenerbe“ zugute, deren Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Durchführung zahlreicher Versuche an Konzentrationslagerhäftlingen diente.34 Aber auch andere von Himmler unterstützte Versuche, wie beispielsweise die Tuberkuloseversuche in Dachau und Sachsenhausen wurden aus Spendengeldern des „Freundeskreis Himmler“ bezahlt. 3.1.3. Das Sanitätswesen der SS und die Dienststelle Reichsarzt-SS Entschied Himmler, dass Versuche durchgeführt werden sollten, gab er bestimmten Mitarbeitern dazu Anweisungen. Der in der SS, zumindest formal, wichtigste Mann für alle medizinischen Angelegenheiten war Ernst Robert Grawitz, den Himmler 1935 zum „Reichsarzt-SS“ ernannte. Doch die Grawitz von der historischen Forschung zugeschriebene Machtfülle erweist sich bei näherem Hinsehen als weniger groß als sein Titel suggeriert.35 Grawitz‘ berufliche und politische Karriere war untrennbar mit der Entwicklung des Sanitätswesens der SS verbunden. Seit Bestehen der SS existierten sanitätsdienstliche Strukturen. Diese entwickelten sich parallel zur gesamten Verwaltung der SS und lassen sich nicht von dieser losgelöst betrachten. Hitler verfügte die „restlose Trennung“ von SS und SA am 1. Dezember 1930 und übergab die SS am 14. Januar 1931 Himmler als selbständigen Verband mit eigenem Dienstweg. Nach dem so genannten „RöhmPutsch“ vom 30. Juni 1934 wurde Himmler, genauso wie der Stabchef der SA, Hitler direkt unterstellt.36 Die Begrenzung der Zahl der Mitglieder der SS, die ursprünglich zugunsten der SA festgelegt worden war, wurde aufgehoben. Die 32 Yad VaShem, JM 4279, Folder 87, Bankhaus Stein, Jahresbilanz Sonderkonto „S“ 1943 und 1944, zitiert nach Bütow, Freundeskreis Himmler, unveröffentlichtes Manuskript. Ich danke Tobias Bütow für die Überlassung des Manuskripts. Vgl. auch Bütow/Bindernagel (2003), S. 49; Vogelsang (1972), S. 114–115 sowie Soénius (2003), S. 345. 33 Durch Vermittlung der Freundeskreis-Mitglieder Emil Heinrich Meyer und Karl Rasche, beide Mitglieder im Vorstand der Dresdner Bank, erhielt die SS alleine für den Aus- und Umbau der Wewelsburg bei der Dresdner Bank Kredite in Höhe von 13 Millionen Reichsmark und vom Sonderkonto „R“ weitere 100.000 Reichsmark. Vgl. Hüser (1987), S. 47. 34 Eugen Vögler, der Generaldirektor der Hochtief AG, spendete bereits 1937 eine nennenswerte Summe. Vgl. Kater (1974), S. 68; Kaienburg (2003), S. 180–181. 35 Vgl. Eckart (1998), S. 64, sowie Bromberger/Mausbach (1990), S. 201–216, insbesondere S. 210. Letztere legen ihrer Beschreibung des Sanitätswesens der SS ein statisches Modell zugrunde und gehen dabei von der Struktur ab Herbst 1943 aus. 36 Vgl. Kinder (1977), S. 379.

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kleinste SS-Einheit war die „Schar“, die acht Mann und einen Scharführer umfasste. Aus drei Scharen wurde ein Trupp gebildet, drei Trupps wiederum ergaben einen SS-Sturm unter dem Kommando eines Sturmführers, der je nach Größe aus 70 bis 120 Mann bestand. Aus drei Stürmen wurde ein Sturmbann von 250 bis 600 Mann gebildet. Die Sturmbanne wurden zu Standarten zusammengefasst, die eine Stärke von 1.000 bis 3.000 Mann hatten. Mehrere Standarten wurden zu einem Abschnitt (Brigade) zusammengeführt und schließlich zu einem Oberabschnitt (Divisionen), an deren Spitze ein Obergruppenführer stand.37 Diese Oberabschnittsführer hatten bestimmte Territorialbefugnisse, sie waren gewissermaßen „Landesfürsten der SS“.38 Den jeweiligen SS-Oberabschnitten wurden Oberabschnitts-Ärzte zugeordnet. Diese verfügten über einen so genannten „Sanitätssturm“. Zur Führung der SS gründete Himmler 1932 das SS-Amt, aus dem 1935 das SS-Hauptamt hervorging. Es wurde am 1. Mai 1935 nach Berlin verlegt und umstrukturiert. Die Führung dieses SS-Hauptamtes, das mehr und mehr zur starken Zentralbehörde der SS wurde, übertrug Himmler August Heißmeyer. Zum SSHauptamt gehörten sechs Ämter: das SS-Führungsamt, das SS-Personalamt, das SS-Ergänzungsamt, das SS-Gerichtsamt, das SS-Verwaltungsamt und das SS-Sanitätsamt. Das Sanitätsamt der SS war die erste übergreifende Institution des Sanitätswesens der SS. Es hatte „alle mit sanitären Aufgaben und Einrichtungen der Schutzstaffel zusammenhängenden Vorgänge“ zu bearbeiten.39 Dabei handelte es sich im Einzelnen um folgende Aufgaben: die Leitung des Truppensanitätsdienstes, die Ausbildung des Sanitätspersonals, die Leitung des hygienischen, amtsärztlichen und kriminalbiologischen Dienstes der SS, die Leitung des ärztlichen und des pharmazeutisch-chemischen Dienstes, die Heilfürsorge und die Stellenbesetzung, Versetzung und Beförderung der Unterführer sowie die Kommandierung der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker der SS. Die Beförderung, Versetzung und Disziplinaraufsicht der SS-Ärzte, Zahnärzte und Apotheker übertrug Himmler dem Reichsarzt-SS gemeinsam mit der SS-Personalkanzlei und dem SSGericht. Bis 1943 wuchs die Zahl der Sanitätsoffiziere der SS auf etwa 1.000 an.40 Im Zuge der Veränderungen im Mai 1935 löste Himmler den Chef des SS-Sanitätsamtes, Sigfrid Georgii (*1900), ab und ernannte Ernst Robert Grawitz an seiner Stelle, dessen Karriere damit zunächst einen entscheidenden Schub bekam. Ernst Robert Grawitz wurde 1899 in Berlin als Sohn des Professors und Oberstabsarztes Dr. Ernst Grawitz geboren. Ernst Grawitz sen. (1860–1911) war Hämatologe und Chefarzt des Städtischen Krankenhauses in Berlin-Charlottenburg. Von 1908 bis 1917 besuchte Grawitz das humanistische Gymnasium und trat im 37 Vgl. Höhne (1967), S. 58. 38 Hausser (1966), S. 34, zitiert nach Wegner (2006), S. 98–99. 39 d‘Alquen, SS, S. 16. GUNTER d‘ALQUEN (1910–1998), 1936–1945 Hauptschriftleiter der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“, seit 1937 Standartenführer. Vgl. Augustinovic/Moll (2003). 40 Heinrich Himmler, Anordnung vom 14. Dezember 1938, betr. das Sanitätswesen der bewaffneten SS und der Konzentrationslager, BArchB, Sammlung Schumacher 442, zitiert nach Seidler (1977), S. 19 und S. 54.

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Sommer 1917 als Fahnenjunker in das 1. Hannoversche Jäger-Ersatzbatallion in Goslar ein. Von November 1917 bis März 1918 und wieder ab Juli 1918 war er an der Front. Dort geriet er im September 1918 in englische Gefangenschaft, aus der er nach etwas über einem Jahr entlassen wurde. 1920 wurde Grawitz nachträglich zum Leutnant befördert. Anschließend begann er in Berlin an der Friedrich-Wilhelms-Universität sein Medizinstudium und trat der Einwohnerwehr bei. 1920 nahm Grawitz am Kapp-Putsch teil und wurde Mitglied eines Freikorps. Er wurde 1925 sowohl approbiert als auch promoviert und erhielt eine Anstellung auf der Inneren Abteilung des Krankenhauses Berlin-Westend bei Friedrich Umber, einem Spezialisten für Stoffwechselerkrankungen.41 Bis 1936 blieb Grawitz dort, seit 1928 als Facharzt und seit 1933 als Oberarzt. 1926 heiratete Grawitz Ilse Taubert, die Tochter Siegfried Tauberts, eines frühen Mitglieds der SS, seit 1938 SS-Gruppenführer und Amtsleiter im Persönlichen Stab Himmlers, zuständig für die Wewelsburg. Grawitz trat 1931 der NSDAP bei, im März 1932 der SS. Seit seinem Eintritt in die SS war er Sturmbannarzt, Abschnitts- bzw. Oberabschnittsarzt, zuletzt des Oberabschnitts Ost. Grawitz wurde in den ersten Jahren jährlich befördert: 1933 zum Obersturmbannführer, 1934 zum Standartenführer, 1935 zum Oberführer. 1937 übernahm er zusätzlich die Funktion des Geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes.42 Als solcher war er für die Gestellung von weiblichem Sanitätspersonal für die Wehrmacht zuständig, was mit einem unmittelbaren Zugangsrecht zu Hitler verbunden war.43 Die Dienststelle „Reichsarzt-SS“ war am 1. Juni 1935, also über ein Jahr vor der Ausgliederung des „Persönlichen Stabes Reichsführer-SS“ aus dem SSHauptamt im November 1936, entstanden. Wie bei der Aufteilung der anderen Ämter des SS-Hauptamtes auch, verblieb ein Teil der Aufgaben dort. Eine korrespondierende Dienststelle, in diesem Falle die „Dienststelle ‚Amt ReichsarztSS‘“, übernahm entsprechende Aufgaben im Persönlichen Stab. Die eindeutige Verortung dieser Dienststelle im Persönlichen Stab Reichsführer-SS ist aufgrund der überlieferten Quellen nicht genau nachzuweisen. Allgemein hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass es sich beim „Amt Reichsarzt SS“ um eine „sehr frühe Dienststelle“ handelte, die „Himmler bleibend mit dem Persönlichen Stab organisatorisch verknüpfte“.44 In den von Kinder und Henke zitierten Stellenplänen und Aufgabenbeschreibungen aus den Jahren 1942/44 ist die Dienststelle weder als eines der Ämter noch als Hauptabteilung enthalten. In einem Befehl Himmlers zur Organisation des Sanitätswesens der SS heißt es jedoch un-

41 Engelhardt (2002), S. 640. 42 Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Grawitz, Ernst Robert; vgl. auch Schulz et al. (2005), S. 436–444. 43 Vgl. Seidler (1977), S. 20. 44 Vgl. Kinder (1977), S. 387–388 sowie Henke (1997), S. XI. Beide berufen sich auf Reinhard Henkys, bei dem sich eine entsprechende Einordnung nicht explizit findet: Henkys (1964), S. 66.

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missverständlich: „Der Reichsarzt-SS und Polizei und seine Dienststelle unterstehen mir unmittelbar.“45 Schon nach weniger als zwei Jahren im Amt wurde Grawitz als Chef des Sanitätsamtes am 1. April 1937 abgelöst. Seine Stelle übernahm sein damaliger Hauptabteilungsleiter Friedrich Karl Dermietzel,46 der zuvor auch als Stabsleiter der Reichsarztes-SS fungierte und Anfang 1937 dessen Stellvertreter wurde.47 Es war bereits abzusehen, dass das SS-Sanitätsamt an Bedeutung verlor, denn es entwickelten sich neben der Allgemeinen SS neue, bewaffnete Gliederungen, die eine andere sanitätsdienstliche Versorgung benötigten als bisher. Kurz nach der Machtübernahme begann die Entwicklung der Verfügungstruppe, aus der später ein Teil der Waffen-SS werden sollte. Aus den Reihen der SS ließ Hitler 1933 in Berlin eine kleine, kampfstarke Gruppe aus 120 ausgewählten Männern aufstellen, die als „Stabswache“ bezeichnet wurde. An anderen Orten gab es ähnliche Elitegruppen, die „SS-Sonderkommandos“ hießen. Die Stabswache wurde von Josef („Sepp“) Dietrich geführt und sollte für „polizeiliche, quasi-polizeiliche und terroristische Aufgaben verwendet“ werden. Aus der Stabswache wurde die „Leibstandarte Adolf Hitler“. Aus den Sonderkommandos hingegen gingen die Politischen Bereitschaften hervor, die die Basis für die SS-Verfügungstruppe (SSVT) bildeten.48 Das SS-Führungsamt war für die Organisation und Ausbildung sowohl der Allgemeinen SS als auch der Verfügungstruppe zuständig, was den ursprünglichen engen Zusammenhalt beider Teile der SS betonte. Für die sanitätsdienstlichen Belange beider Gliederungen war nach wie vor das SS-Sanitätsamt zuständig. Die Trennung zwischen Allgemeiner SS und Verfügungstruppe begann erst 1936 als eine „Inspektion der SS-Verfügungstruppe“ entstand, die von Paul Hausser geführt wurde. Himmler wollte damit einerseits eine bessere militärische Ausbildung der Verfügungstruppe erreichen, andererseits aber deren Einbindung in die allgemeinen SS-Strukturen erhalten.49 Für den Sanitätsdienst der Verfügungstruppe richtete Himmler die Stelle eines „Sanitätsinspekteurs der bewaffneten SS und der Konzentrationslager“ ein und nahm in diesem Ressort die Verbindung der Verfügungstruppe und der Konzentrationslager-Wachverbände quasi vorweg. Diese Funktion hatte von Ende 1938 bis Ende 1940 Grawitz inne. 45 Befehl für die Organisation des Sanitätswesens der SS und Polizei von Heinrich Himmler vom 31. August 1943, BArchB, ehemals BDC, SSO Blumenreuter, Carl. 46 FRIEDRICH KARL DERMIETZEL (1899–1981) legte 1915 das Abitur ab und wurde im gleichen Jahr Fahnenjunker und 1916 Leutnant. 1917 wurde er verwundet und erhielt 1918 das Eiserne Kreuz I. Klasse. Dermietzel studierte seit 1919 Medizin. Er wurde 1923 in Berlin promoviert und approbiert, danach folgten Jahre als Assistenzarzt an verschiedenen Kliniken und die Facharzt-Ausbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Während des Studiums zu Beginn der 1920er Jahre lernte er Leonardo Conti, den späteren Reichsärzteführer kennen. 1931 ließ sich Dermietzel mit eigener Praxis in Berlin nieder und trat 1932 der NSDAP und der SS bei. Er wurde Stabsleiter des Reichsarztes-SS, Grawitz, und löste diesen als Chef des Sanitätsamtes am 1. April 1937 ab. Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Dermietzel, Friedrich Karl sowie Schulz et al. (2005), S. 220–224. 47 BArchB, ehemals BDC, SSO Dermietzel, Friedrich Karl. 48 Buchheim (1994), S. 32. 49 Vgl. Wegner (2006), S. 96–99.

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Neben der Verfügungstruppe gab es innerhalb der SS eine weitere bewaffnete Gruppierung: die Totenkopfverbände. Sie waren zur Bewachung der Konzentrationslager eingesetzt und unterstanden dem „Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der SS-Wachverbände“, Theodor Eicke.50 Die Herauslösung der Wachverbände aus der Allgemeinen SS erfolgte bereits 1934. Eicke hatte in mehreren Stufen die Zahl der Konzentrationslager auf einige große Lager beschränkt, an deren Standorten die Wachverbände, die so genannten „Totenkopf-Sturmbanne“ konzentriert und zu „Totenkopfstandarten“ zusammengefasst. Die „Inspektion der Konzentrationslager“ (IKL) unterstand dem Chef des SS-Hauptamts.51 Die Stelle des Führers der Sanitätsabteilung der Totenkopfverbände und der Konzentrationslager hatte ab dem 1. Februar 1937 Karl Genzken inne.52 Um in Eickes Händen keine zu große Macht entstehen zu lassen, unterstellte Himmler die Politischen Abteilungen der Lager Reinhard Heydrich, der seinerseits in der Mitte der 1930er-Jahre bestrebt war, die Verwaltung der Konzentrationslager vollständig zu einer Angelegenheit der Gestapo zu machen. 1938 wies Himmler dem Chef des SS-Verwaltungsamtes, Oswald Pohl, die Wirtschaftsverwaltung der Konzentrationslager zu.53 Eicke hatte innerhalb der IKL eine eigene Abteilung für Sanitätswesen und Lagerhygiene aufgebaut, deren Hauptaufgabe die Betreuung der SS-Mitglieder der Wachverbände der Konzentrationslager, der Konzentrationslager-SS und der Häftlinge war. Die Wachverbände wurden ab 1938 zunehmend zu einer militärischen Ersatztruppe für die Verfügungstruppe aufgerüstet. Die SS-Angehörigen der eigentlichen Konzentrationslager-SS, die innerhalb der Lager Dienst taten, 50 THEODOR EICKE (1892–1943), im Elsaß geboren, verließ die Schule ohne Abschluss, um Berufssoldat zu werden. 1919 als Heereszahlmeister demobilisiert, legte er bei der Polizeischule in Cottbus die Kommissarsprüfung ab. 1922 ging er zum Werkschutz der BASF in Ludwigshafen. 1927 bis 1930 SA-Mitglied, Mitglied der NSDAP seit 1928, Wechsel zur SS 1930. 1930 übernahm er das Kommando über die 10. SS-Standarte, 1932 Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe wegen des Herstellens von Sprengkörpern; Flucht nach Italien, Rückkehr im Februar 1933, erneute Inhaftierung und Einweisung in die Psychiatrie, durch Gutachten des Psychiaters Werner Heyde, in dem sich dieser sehr für Eicke einsetzte, Entlassung. Eicke wurde im Sommer 1933 Kommandant des KZ Dachau und im Mai 1934 Inspekteur der Konzentrationslager (bis 1939). Seit Kriegsbeginn war er Kommandeur der SS-TotenkopfDivision, sein Flugzeug wurde in der Nähe von Demjansk in der Sowjetunion abgeschossen. Vgl. Tuchel (1994), S. 32. 51 Broszat (1994), S. 368 und S. 374–375, Kaienburg (2006), S. 37–73. 52 KARL GENZKEN (1885–1957), diente nach dem Abitur als Einjährig-Freiwilliger und studierte 1907 bis 1911 Medizin. Als junger Arzt nahm er an einer Expedition nach Marokko teil. 1912 trat er in die Kaiserliche Marine ein und war im Ersten Weltkrieg Hafen- und Fortarzt in Tsingtau in China. Nach der Verabschiedung aus dem aktiven Dienst als Marinestabsarzt war er in den 1920er-Jahren praktischer Arzt mit eigener Praxis. Genzken wurde 1926 Mitglied der NSDAP und 1930 Mitglied der SA. 1933 wechselte er zur SS und wurde 1936 Führer des Sanitätssturms der SS-Verfügungstruppe Berlin, zugleich Chefarzt des SSKrankenhauses in Berlin-Lichterfelde, seit 1942 Chef des Sanitätsamts der Waffen-SS. Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess, zu lebenslanger Haft verurteilt, 1954 aus der Haft entlassen. Vgl. Frewer et al. (1999), S. 39; Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 629. 53 Vgl. Wegner (2006), S. 101–102.

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waren davon organisatorisch getrennt.54 Dem Leitenden Arzt der IKL gegenüber war Grawitz in sanitätsdienstlichen Dingen in seiner Funktion als „Reicharzt-SS“ weisungsbefugt, denn vor Kriegsbeginn hatte Himmler die IKL direkt an sich gezogen, so dass das SS-Hauptamt mit dem ihm nachgeordneten Sanitätsamt formal keinen Einfluss mehr darauf hatte. Ab Dezember 1939 wurden die Totenkopfverbände zu einer Division, der Totenkopf-Division vereinigt, und mit der Verfügungstruppe und den SS-Junkerschulen zu einer großen bewaffneten Gliederung zusammengefasst und als Waffen-SS bezeichnet.55 Um eine einheitliche Führung der Truppe zu gewährleisten, wurde am 1. April 1940 das SS-Führungsamt aus dem SS-Hauptamt herausgelöst und zu einem eigenen Hauptamt umgebildet: dem SS-Führungshauptamt, das alle Angelegenheiten der Waffen-SS zu verwalten hatte. Dort wurde Grawitz als Sanitätsinspekteur der Waffen-SS Chef der Abteilung 8 (Sanitätswesen), aus der 1942 letztendlich die Amtsgruppe D des SS-Führungshauptamtes gebildet wurde: das Sanitätsamt der Waffen-SS.56 Es versorgte nunmehr alle Waffen-SS-Angehörigen. Auf Himmlers Befehl vom 15. November 1940 wurde Grawitz seines Amtes enthoben. Grawitz‘ Qualifikation erwies sich für die Aufgabe des Chefs des Sanitätswesens der Waffen-SS als unzureichend, da er keinerlei Truppenerfahrung besaß. Sein Nachfolger wurde Karl Genzken, der zu Kriegsbeginn Divisionsarzt der SS-Totenkopf-Division geworden und seit 1. April 1940 Grawitz‘ Stabsführer als Sanitätsinspekteur der Waffen-SS war. Dermietzel, der sich ebenfalls um diese Position bewarb, wäre zwar geeignet gewesen, wurde aber aufgrund von Unstimmigkeiten mit Himmler und Grawitz zurückgesetzt und schließlich als Divisionsarzt der SS-Division „Das Reich“ eingesetzt.57 Grawitz war nunmehr lediglich Reichsarzt-SS. Sein Einflussbereich war damit erheblich geschrumpft. Er blieb im Persönlichen Stab Himmlers für sanitätsdienstliche Belange zuständig, vor allem also für die Inspektion der Konzentrationslager. Der Leitende Arzt der IKL, demgegenüber Grawitz weisungsbefugt war, kümmerte sich nur noch um die zur Bewachung der Lager nötigen zurückgebliebenen SS-Männer, um das SS-Personal der Lager und um die Häftlinge. In der zweiten Kriegshälfte übernahmen zu einem erheblichen Teil nicht mehr an der Front verwendungsfähige Soldaten des Heeres und der Luftwaffe Wachaufgaben.58 Zu den Aufgaben des Reichsarztes-SS gehörte außerdem noch, die Sanitätsdienste der Hauptämter zu beaufsichtigen, ab 1942 als Reichsarzt-SS und Polizei auch den des Hauptamtes Ordnungspolizei. Die Aufgaben des SS-Sanitätsamtes waren mit der Schaffung der neuen Hauptämter sukzessive unter diesen aufgeteilt 54 55 56 57

Vgl. Orth (2000a), S. 35. Vgl. Wegner (2006), S. 110. Vgl. Schulte (2003), S. 280. Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Dermietzel, Friedrich-Karl sowie Schulz et al. (2005), S. 220–224. Dermietzel war der Meinung, dass es nicht sinnvoll wäre, den Angehörigen der Waffen-SS die Blutgruppe einzutätowieren, da er die Fehlerquote für zu hoch hielt. 58 Vgl. Orth (2000a), S. 37, Kaienburg (2006), S. 80-81.

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worden. Jedes der einzelnen Hauptämter besaß eine Abteilung bzw. Amtsgruppe Sanitätswesen oder einen Leitenden Arzt. Der Chef des Hauptamtes Ordnungspolizei, Daluege, hatte mit dem Kommando-Amt III eine eigene Sanitätsabteilung, ebenso hatte Reinhard Heydrich im Reichssicherheitshauptamt einen Leitenden Arzt, die Chefs des Rasse- und Siedlungshauptamtes, Darré, Pancke, Hofmann und Hildebrandt sowie Gottlob Berger als Chef des SS-Hauptamtes, zu dessen Behörde der verbleibenden Rest des ursprünglichen SS-Sanitätsamtes gehörte. In erster Linie unterstanden die Leiter dieser Sanitätsabteilungen als Abteilungsleiter jedoch ihrem jeweiligen Amtschef. Diese zweifache Unterstellung, die häufig zu Querelen in der Praxis führte, ergab sich auch in anderen Verwaltungs- und Funktionsbereichen. Jeder dieser Hauptamtschefs hatte eine mehr oder weniger gute Beziehung zu Heinrich Himmler, stand Grawitz an Machtfülle in nichts nach und hatte zudem oft einen höheren Dienstrang. Seit 1937 war Grawitz SS-Brigadeführer. Seine nächste Beförderung erfolgte erst vier Jahre später. Am 1. Oktober 1941 wurde er zum SS-Gruppenführer und am 20. April 1944 zum Obergruppenführer ernannt. So war Grawitz nach einer kurzen Phase als Chef des SS-Sanitätsamtes und nach dem Verlust der Kompetenz im Bereich der Verfügungstruppe und Totenkopfverbände bzw. Waffen-SS gewissermaßen ein „König ohne Land“.59 Er gebot über die medizinische Versorgung einiger tausend Angehöriger der Konzentrationslager-SS und über die der KZ-Häftlinge, die der SS aber im Grunde gleichgültig war. Bei Himmler hatte er einen schweren Stand, weil er diesem möglicherweise „zu sehr Akademiker und Schulmediziner“60 war. Seine Dienststelle existierte zwar, Grawitz „führte aber mehr ein geduldetes, abseitiges Sonderdasein“.61 Dort war er weitgehend alleine. Neben seiner Sekretärin und seinem Adjutanten arbeitete mit ihm ab 1942 Ernst Wille, ein in sanitätsdienstlichen Belangen erfahrener SS-Arzt, den Grawitz von der Front zum Behördendienst geholt hatte und zum Stabsführer einer größer werdenden Dienststelle machen wollte. Grawitz ernannte ihn im Mai 1942 zum „Leiter der Hauptabteilungen Organisation und Personalwesen in der Dienststelle Reichsarzt-SS und Polizei“. Wille wurde 1943 wieder zur Waffen-SS versetzt, nachdem offensichtlich war, dass es Grawitz nicht gelingen würde, andere Sanitätsdienststellen an sich zu ziehen und dadurch Chef eines Hauptamtes zu werden.62 Grawitz, der von Blumenreuter als

59 Vgl. hierzu auch Hahn (2008), S. 398–417. 60 Hugo Blaschke, Eidesstattliche Erklärung vom 10. April 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/6495–4/6497. 61 Ebd. 62 ERNST WILLE (1904–1945), Dr. med., Chirurg, nach dem Abitur kaufmännische Ausbildung und Überseekorrespondent einer deutschen Firma in Buenos Aires, nach seiner Rückkehr 1925 Medizinstudium, Approbation und Promotion 1932/33, 1933-1936 Mitglied der SA, danach als Obersturmführer in die SS aufgenommen, 1937 hauptamtlich als Truppenarzt der VT, seit 1944 Standartenführer, Truppenarzt bei den SS-Divisionen „Reich“ und „Wiking“, Selbstmord. BArchB ehemals BDC, SSO Wille, Ernst; DAL der Waffen-SS (1944), S. 148.

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„unruhige, betriebsame Persönlichkeit“63 beschrieben wurde, erledigte seine Büroarbeit, wie auch das Öffnen der Post, selbst. Er habe auch „für sich selber kaum Arbeit“ gehabt.64 Mit großem Engagement widmete er sich wohl auch deshalb als Herausgeber der Schriftenreihe „Ewiges Arzttum“, deren erster Band „Hippokrates“ nach längerer Vorbereitungszeit 1942 erschien. Noch im Sommer 1944 versuchte Grawitz, Himmler Entwürfe für einen Band über Paracelsus vorzulegen, als dieser längst von anderen Problemen eingenommen war und es kaum mehr genug Papier gegeben hat, um das Buch zu drucken.65 Grawitz soll Besucher stets alleine empfangen haben. Anweisungen gab er, sofern irgend möglich, mündlich. Gespräche führte er nur unter vier Augen, da er fast krankhaft um Geheimhaltung besorgt war. Als ab Herbst 1943 wöchentlich von ihm angeordnete Dienstbesprechungen mit seinen Amtsleitern stattfanden, wurden diese von den Beteiligten als unergiebig empfunden, da Grawitz fast ausschließlich über Belanglosigkeiten geredet haben soll.66 Gegenüber Himmler, von dem als einzigem er sich eine Verbesserung seiner Lage erhoffen konnte, gab sich Grawitz unterwürfig.67 Die ihm von Himmler erteilten Aufträge führte er persönlich und „peinlichst genau“ aus.68 Im Frühjahr 1943 überlegten Himmler und Pohl, Grawitz‘ Kompetenzen weiter zu beschneiden und für die Koordinierung der medizinischen Versuche eine eigene Stelle zu schaffen, die in Dachau angesiedelt werden sollte. Himmler hatte diese Idee im Zusammenhang mit Überlegungen zur Verwendung seines Freundes Hans Deuschl.69 Deuschl war von Himmler als Leiter des Gesundheitswesens 63 Carl Blumenreuter, Eidesstattliche Erklärung für Helmut Poppendick vom 3. Februar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/6458–6460. 64 Hugo Blaschke, Eidesstattliche Erklärung vom 10. April 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 6495–6497. 65 Vgl. Frewer/Bruns (2003), S. 320–325 sowie Frewer (2008), S. 96–97. Veröffentlichungen wie „Hippokrates“ und „Paracelsus“ sollten der Etablierung einer nationalsozialistischen Medizinethik dienen und Traditionslinien von der Antike bis zum Nationalsozialismus konstruieren. 66 Gerda Krüger, Eidesstattliche Erklärung vom 1. Februar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/5059–4/5060. Gerda Krüger war seit 1939 Carl Blumenreuters Sekretärin. 67 Edwin Jung, Eidesstattliche Erklärung vom 14. Februar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/06452–6454. EDWIN JUNG (*1907), Arzt, Dr. med., seit April 1944 Standartenführer, war bis 1940 Mitarbeiter von Grawitz. Als Grawitz 1937 auf Himmlers Anweisung Stellvertretender Präsident des Deutschen Roten Kreuzes geworden war und die Funktion angeblich widerstrebend übernommen hatte, soll er Himmler gemeldet haben: „Der gehorsame Jagdhund apportiert den Hasen.“ Jung, ebenda, Bl. 4/06453. 68 Helmut Poppendick, Verhör am 8. April 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/05603. 69 HANS DEUSCHL (1891–1953) studierte während des Ersten Weltkriegs Medizin, da er wegen einer Knieverletzung ausgemustert war. 1914/15 war er freiwilliger Sanitäter. 1919 wurde Deuschl Freikorpskämpfer. 1920 erhielt er die Approbation und wurde Allgemeinarzt. Er trat bereits 1923 als Sympathisant der Nationalsozialisten in Erscheinung, wurde 1929 Mitglied der NSDAP und 1931 der SS. Nach der Machtübernahme wurde Deuschl Geschäftsführer des NS-Ärztebundes und stellvertretender Reichsärzteführer. Von Deuschl stammte die Idee, in Mecklenburg, auf dem Gut Alt Rehse eine „weltanschauliche Bildungsstätte, eine Charakterschule für den Arzt des Nationalsozialistischen Deutschlands“ zu gründen. Er

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beim Reichskommissar in Estland eingesetzt worden. In dieser Eigenschaft empfahl er Himmler die Erschießung der Hälfte der sowjetischen Kriegsgefangenen, um die Gefahr der Ausbreitung von Fleckfieber (Typhus exanthematicus) zu verringern und die übrigen Kriegsgefangenen mit höheren Rationen zu größerer Arbeitsleistung zu befähigen.70 Wegen gesundheitlicher Probleme suchte Deuschl nach seiner Rückkehr aus Estland eine neue Aufgabe.71 Brandt wandte sich daraufhin an Pohl mit der Bitte, er solle überlegen, „welche Verwendung SS-Oberführer Dr. Deuschl finden könnte“ und teilte ihm gleichzeitig mit, Himmler sei „der Ansicht, daß er sich als oberster Arzt für das Lager Dachau, der vor allen Dingen dann die vom Reichsführer-SS gewünschten Versuche organisiert und überwacht, besonders eignen würde.“72 Pohl, der sich die Aufgabe, die bisher vor allem seinem Geschäftsbereich zugeordnet war, wohl nicht gerne entziehen lassen wollte, versuchte Himmlers Wunsch abzuwehren und bezifferte die Zahl der Versuche auf „derzeit noch etwa 8–10 [!] Versuchsreihen“..73 Nach einer gemeinsamen Besichtigung des Konzentrationslagers Dachau am 23. Juni 1943, bekundete Deuschl großes Interesse an der Aufgabe.74 Pohl lehnte in der zweiten Jahreshälfte 1943 die Anstellung Deuschls schließlich mit der Begründung ab, mit der Beaufsichtigung der Versuche allein sei Deuschl nicht ausgelastet, da die Zahl der Versuche inzwischen stark abgenommen habe. Erst im Spätsommer 1943 veränderte Himmler die Struktur des Sanitätswesens dahingehend, dass er Grawitz pro forma vier einflussreiche leitende SS-Führer aus dem Sanitätswesens als so genannte Amtsleiter zuteilte. Es handelte sich um den Chirurgen und Jugendfreund Heinrich Himmlers, Karl Gebhardt,75 den

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wurde 1944 Bürgermeister der Stadt Starnberg. Vgl. BArchB, BDC, SSO Hans Deuschl; Haug (1985b); Klee (2003), S. 106. Hans Deuschl an Heinrich Himmler, Schreiben vom 24. Januar 1942, BArchB, BDC, SSO Deuschl, Hans. BArchB, BDC, SSO Deuschl, Hans. Brandt an Grawitz und Pohl, Schreiben vom 28. April 1943, BArchB, NS 19/3382. Oswald Pohl an Hans Deuschl, Schreiben vom 21. Mai 1943, BArchB, NS 19/3382. Hans Deuschl an Heinrich Himmler, Schreiben vom 24. Juli 1943, BArchB, NS 19/3382. KARL GEBHARDT (1897–1948), in Haag bei Wasserburg (Oberbayern) als Sohn eines Arztes geboren, besuchte das Gymnasium in Landshut. Dort war er Mitschüler und Schulfreund des ältesten der drei Himmler-Brüder, des 1898 geborenen Gebhard Himmler. Aus dieser Zeit stammte auch die Freundschaft mit dem knapp drei Jahre jüngeren Heinrich Himmler. Gebhardt legte 1916 das Abitur ab und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Seit 1919 war er Angehöriger des Freikorps „Oberland“ sowie des Freikorps „Epp“. Gleichzeitig studierte er, legte 1922 das medizinische Staatsexamen ab und wurde 1923 approbiert. Am 9. November 1923 nahm er gemeinsam mit Heinrich Himmler am so genannten „Marsch auf die Feldherrenhalle“, dem Hitler-Putsch, in München teil. Seit 1923 Assistenzarzt bei Sauerbruch, 1924 Promotion, 1932 Habilitation im Fach Chirurgie, 1933 Eintritt in NSDAP und SS. Seit Herbst 1933 war er Chefarzt der Orthopädischen Heilanstalt Hohenlychen; seit 1938 Begleitarzt Himmlers, seit 1940 Beratender Chirurg der Waffen-SS; Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess, zum Tode verurteilt und hingerichtet; vgl. Schulz et al. (2005), S. 352–358; Frewer et al. (1999), S. 38–39; Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 628; Beckenbauer (1974); Padfield (1990), S. 36.

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Chef des Hygiene-Instituts der Waffen-SS, Joachim Mrugowsky,76 den Leitenden Zahnarzt des SS-Sanitätsamts und des WVHA, Hugo Blaschke77 und den Leiter des Hauptsanitätslagers der Waffen-SS, Carl Blumenreuter. Damit zog Grawitz zwei wichtige und umfassende Arbeitsgebiete an sich: den pharmazeutischen und den hygienischen Dienst und entzog sie gleichzeitig dem Einfluss von Karl Genzken. Die personelle Besetzung der Dienststelle wurde dadurch scheinbar vergrößert, dass Blaschke mit ein bis zwei Mitarbeitern und Blumenreuter mit 12 bis 15 Mitarbeitern in Grawitz‘ Dienstgebäude zogen.78 Außerdem bekam Grawitz einen Büroleiter, den SS-Arzt Helmut Poppendick.79 Dieser erhielt den 76 JOACHIM MRUGOWSKY (1905–1948) wurde in Rathenow als Sohn eines praktischen Arztes geboren, der im Ersten Weltkrieg Stabsarzt war und 1914 in Frankreich fiel. Mrugowsky besuchte das Realgymnasium, arbeitete anschließend als Zollangestellter und machte eine Banklehre, weil er sich das Studium zunächst nicht leisten konnte. Seit 1925 studierte er in Halle Medizin, Botanik und Zoologie; 1930 zum Dr. sc. nat. und 1935 zum Dr. med. promoviert; 1932 ärztliche Approbation; bereits im Januar 1930 Eintritt in die NSDAP und in die SA, 1931 Übertritt zur SS. Von 1933 bis 1935 war er Assistent am Hygienischen Institut in Halle. Ende 1935 gab er die Stelle auf, um hauptamtlicher Mitarbeiter des SD zu werden. Als solcher war er Führer des SD-Oberabschnitts Nord-West in Hannover. Von dort wechselte er zur Verfügungstruppe, wurde Hygieniker für die gesamte kasernierte SS und Truppenarzt der SS-Leibstandarte. 1938 habilitierte er sich für das Fach Hygiene und Bakteriologie und wurde als Hygieniker in das Sanitätsamt versetzt. 1940 nahm Mrugowsky als Leiter einer Sanitätskompanie der SS-Division „Das Reich“ am Überfall auf die westlichen Nachbarstaaten Deutschland teil. 1941 wurde er Chef des Hygiene-Instituts der Waffen-SS, das zur gleichen Zeit als Amt XVI dem Sanitätsamt der Waffen-SS unter Karl Genzken zugeordnet wurde. Erst im April 1941 wurde er Obersturmbannführer, sein höchster Dienstrang war SS-Oberführer. Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Mrugowsky (1938), Lebenslauf sowie BArchB, ehemals BDC, SSO Mrugowsky, Joachim; vgl. Frewer et al. (1999), S. 41; Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 636–637; Bruns (2009), S. 136–179. 77 HUGO BLASCHKE (*1881), Dr. med. dent., Eintritt in die NSDAP 1931, seit 1933 Hitlers Zahnarzt, erhielt einen Teil des Zahngoldes von ermordeten KZ-Häftlingen zur Zahnbehandlung von SS-Angehörigen. Nach 1945 war er Zahnarzt in Nürnberg. Vgl. Linne (2000), S. 80; Klee (2003), S. 52. 78 Poppendick, Verhör, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/5606. 79 HELMUT POPPENDICK (*1902) wurde in Hude geboren, studierte von 1921 bis 1926 Medizin in Göttingen, München und Berlin, 1928 ärztliche Approbation, vier Jahre lang Assistent an der I. Medizinischen Klinik der Charité bei Wilhelm His, zuletzt als dessen Privatassistent. 1932 Eintritt in die NSDAP und die SS, im selben Jahr Facharzt für Innere Medizin, arbeitete danach als Rettungsarzt und ab Juni 1933 für etwas über ein Jahr als Oberarzt am Virchow-Krankenhaus in Berlin. Von Oktober 1934 an machte er eine rassenhygienische Ausbildung bei Fritz Lenz am KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik und wurde „Erbarzt“. Anschließend war er Adjutant von Arthur Gütt im Reichsministerium des Innern und als Stabsamtsleiter im SS-Amt für Bevölkerungspolitik und Erbgesundheitspflege bei Darré. Ab 1937 war Poppendick dort Hauptabteilungsleiter des Sippenamtes und Stabsführer. Ab Kriegsbeginn war er Angehöriger einer Sanitätsabteilung des Heeres. 1941 wurde er freigestellt und vom Reichsarzt-SS zum Leiter des wissenschaftlichen Dienstes befördert. 1943 wurde er Chef des Persönlichen Stabes des Reichsarztes-SS. Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess, Verurteilung zu zehn Jahren Haft, 1951 entlassen, ab 1957 Zulassung als Kassenarzt in Oldenburg. Vgl. Frewer et al. (1999), S. 41; Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 638.

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Titel „Chef des Persönlichen Stabes des Reichsarztes-SS und Polizei“ und wurde den anderen Amtsleitern organisatorisch gleichgestellt. Grawitz‘ wichtigste Aufgabe blieb auch nach dieser Umstrukturierung 1943 das Organisieren und Überwachen der medizinischen Versuche in den Konzentrationslagern. Da der Umfang der Versuche in der zweiten Kriegshälfte eher zuals abnahm, protestierte Oswald Pohl, der dem wachsenden Arbeitskräftemangel begegnen sollte. Statt die Versuche einstellen zu lassen bzw. zu kürzen, setzte Himmler Grawitz im Mai 1944 als Kontrolleur für die Versuche in den Konzentrationslagern ein.80 3.1.4. Apotheker mit „organisatorischer Begabung“: Carl Blumenreuter Im Gegensatz zu den Biographien von Karl Gebhardt und Joachim Mrugowsky, die beide im Nürnberger Ärzteprozess vor Gericht standen, hat Carl Blumenreuter, der Sanitätszeugmeister der SS, in der medizinhistorischen Forschung bisher keine Beachtung gefunden, obwohl er bei der Durchführung der Menschenversuche eine wichtige Rolle einnahm. Ihm oblag die Versorgung der gesamten SS mit Medikamenten und medizinischer Ausrüstung, so u.a. auch die Ausstattung der Krankenreviere der Konzentrationslager und die Lieferung der Materialien, die für die Versuche benötigt wurden. Deshalb soll seine Biografie hier eingehender vorgestellt werden. Carl Blumenreuter wurde am 16. November 1881 als Sohn des Kaufmanns Carl Blumenreuter und seiner Frau Ida in Berlin geboren. Er besuchte das Sophien-Realgymnasium. Von Oktober 1904 bis September 1905 leistete Blumenreuter als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst beim 2. Garde-Dragoner-Regiment und studierte anschließend an der Universität Marburg pharmazeutische Chemie. Im April 1907 wechselte er nach Rostock, wo er am 1. Juli 1908 das Staatsexamen bestand. Nach einem weiteren Studium der Chemie und dem Examen als Nahrungsmittelchemiker wurde Blumenreuter am 12. Juli 1911 in Rostock zum Dr. phil. promoviert81 sowie 1912 zum Apotheker approbiert.82 Seit 1909 war er Reserve-Offizier. Im Januar 1915 wurde er zum Kommandeur des Sanitätsdepots der 4. Armee. Nach einer Sonderausbildung, die er am Kaiser-Wilhelm-Institut in Leverkusen erhielt, wurde Blumenreuter chemischer Sachverständiger für Gaskampf und Gasschutz beim Oberkommando der 4. Armee. Er nahm an zahlreichen Schlachten an der Westfront teil und erhielt mehrere Auszeichnungen. 1920 wurde Blumenreuter als Rittmeister entlassen und widmete sich wieder seiner Firma für pharmazeutische Präparate in Eisleben, die er vor dem Krieg gegründet hatte. Nach Aufgabe der Firma wurde Blumenreuter Abteilungsleiter einer Parfümeriefabrik. Ein weiterer Versuch als Selbständiger 80 Oswald Pohl, Verhör durch Dr. Alfred Seidl am 16. Mai 1947, GStAP, Rep. 335, Band 12, Bl. 1455 sowie Heinrich Himmler, Anordnung vom 15. Mai 1944 über medizinische Versuche im Konzentrationslager, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/06171–06172. 81 Blumenreuter (1911), Lebenslauf. 82 Carl Blumenreuter, Aussage vom 13. Juli 1965, BArchL, 413 AR 1463/1965, Bl. 209–210.

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scheiterte in der Weltwirtschaftskrise. Schließlich wurde er 1931 angestellter Apotheker. 1929 heiratete Blumenreuter die 16 Jahre jüngere Charlotte L. Das Paar blieb kinderlos. Blumenreuter war evangelisch und trat auch während des Nationalsozialismus nicht aus der Kirche aus.83 Politisch engagierte sich Blumenreuter erst verhältnismäßig spät als Nationalsozialist. Er war zunächst Mitglied des Stahlhelm und 1934 Mitglied der SA geworden, hatte es zum Rottenführer gebracht und wurde bei seinem Übertritt in die SS von keinem namhaften SS-Führer protegiert. Lediglich ein Hauptsturmführer aus dem Sanitätsamt, ein SA-Führer und ein Luftschutz-Führer konnten für ihn bürgen. Dennoch machte Blumenreuter eine geradezu erstaunliche Karriere. Er wurde am 1. Mai 1936 Leiter des Sanitätslagers der SS-Totenkopfverbände. Mitglied der SS wurde er erst einen Monat später und erhielt sofort den Rang eines SS-Hauptsturmführers. In die NSDAP trat er am 1. Mai 1937 ein. In der Folge zeichnete sich Blumenreuter offenbar als bemerkenswertes Organisationstalent aus und beeindruckte durch seine Kenntnisse zum Gas- und Luftschutz, so dass er im Sommer 1937 zum Sturmbannführer befördert wurde. In einer dienstlichen Beurteilung bemerkte Karl Genzken, Blumenreuters „organisatorische Begabung“ sei „in hervorragender Weise beim Aufbau der K.L. [...] in Erscheinung“ getreten.84 Bis zum Ende des Krieges erreichte Blumenreuter den Rang eines SS-Gruppenführers und Generalmajors der Waffen-SS. Er war von Juni 1945 bis Dezember 1946 in Neuengamme interniert. Nach seiner Entlassung arbeitete er wieder als Apotheker. Er wurde nach dem Krieg nicht strafrechtlich belangt und starb 1969 in Neustadt in Holstein.85 Auch bei Blumenreuter ist das System Himmlers erkennbar, Kompetenzen zu teilen, sie aber nach Gutdünken durch Personalunion wieder zusammenzuführen. Blumenreuter war seit 1936 Leiter des Hauptsanitätslagers der Totenkopfverbände. Dort war er auch für die Versorgung der Wachmannschaften der Konzentrationslager und der Häftlinge zuständig. Verwaltungstechnisch gehörte er dem SS-Sanitätsamt an. Nach der Bildung der Waffen-SS wurde er Leiter des Amtes XV der Amtsgruppe D des SS-Führungshauptamtes und damit verantwortlich für die pharmazeutische Ausstattung der Waffen-SS. Das Sanitätswesen der WaffenSS (Amtsgruppe D des SS-Führungshauptamtes) unterstand Karl Genzken und war in vier Ämter gegliedert: das ärztliche (Amt XIII), das zahnärztliche (Amt XIV), das pharmazeutische (Amt XV) und das hygienische (Amt XVI). Die Leitung des pharmazeutischen Amtes der Waffen-SS lag von Anfang an bis August 1943 in der Hand Blumenreuters. Im September 1943 wurde er Sanitätszeugmeister der SS (Oberster Apotheker). Er wurde dazu aus Genzkens Amts83 Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Blumenreuter, Carl. 84 Personalbericht, Beurteilung durch Karl Genzken und Theodor Eicke vom 13. Oktober 1938 anlässlich von Blumenreuters Beförderung zum SS-Obersturmbannführer, BArchB, ehemals BDC, SSO Blumenreuter, Carl. 85 BArchL, 413 AR 1463/1965, Bl. 235. Blumenreuter wurde jedoch im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die Angehörigen der Dienststelle „Reichsarzt-SS und Polizei“ vernommen. Die Ermittlungen erfolgten im Zusammenhang mit der Frage der Beschaffung von Phenol und Zyklon-B während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses.

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gruppe herausgenommen und direkt Grawitz unterstellt. Seine Stelle wurde mit seinem vorherigen Adjutanten Bernhard Rudolphi86 besetzt. Als Sanitätszeugmeister behielt Blumenreuter jedoch sowohl die fachliche Weisungsbefugnis gegenüber Rudolphi als auch gegenüber dem Leiter des Hauptsanitätslagers (HSL) der SS in Berlin-Lichtenberg, Karl Heinrich Wehle.87 Er war nach wie vor mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet, denn alle Apotheker der verschiedenen Verbände und Ämter der SS teilten sich dieses Sanitätslager. Ihm unterstand damit die Verwaltung knapper werdender Ressourcen und die Kontrolle über alles, was in irgendeiner Weise die Versorgung der SS mit medizinischen Geräten, Medikamenten, Hilfs- und Verbandsmaterial betraf, wenn auch nicht deren Verwendung vor Ort.88 Dazu gehörte die Einrichtung, Versorgung und Ergänzung der SS-eigenen Lazarette, der Konzentrationslager, der Genesungsheime, der wissenschaftlichen Institute und Forschungsinstitute der SS, der Sanitätsdienststellen aller Hauptämter und aller Höheren SS- und Polizeiführer, der Napolas, der Volksdeutschen Mittelstelle, des Lebensborns sowie der Einheiten der Ordnungspolizei. Genzken äußerte im Nürnberger Ärzteprozess, der pharmazeutische und der hygienische Dienst seiner Amtsgruppe hätten nicht nur ihm zur Verfügung gestanden, sondern auch allen anderen Gliederungen der SS.89 Darüber hinaus bestritt Genzken wahrheitswidrig jedes eigene Interesse an medizinischen Versuchen und auch jede Kenntnis darüber. Blumenreuter erklärte dazu: „Im Sanitätsamt der Waffen-SS gab es kein Referat für wissenschaftliche Forschung und Planung. Dieses lag ausschließlich bei der Dienststelle Reichsarzt-SS und Polizei. Das Sanitätsamt der Waffen-SS im Führungshauptamt konnte daher für ein wissenschaftliches Forschungsinstitut des Reichsarztes-SS innerhalb eines KL nicht die vorgesetzte Dienststelle sein, da der Sanitätsdienst in den KL über den leitenden Arzt bei der Inspektion der KL dem Reichsarzt-SS und Polizei unterstand.“90

Als Leiter des SS-Hauptsanitätslager (SS-HSL) unterstanden Blumenreuter im Jahre 1942 118 Apotheker und Chemiker sowie 95 Drogisten. Alle Apotheker in Blumenreuters Bereich waren Mitglieder der SS. Über die Einstellung der Apotheker für den aktiven Dienst in der Waffen-SS entschied der Reichsarzt-SS, über 86 BERNHARD RUDOLPHI (*1908), Apotheker, Blumenreuters Nachfolger als Leiter des Amtes XV, pharmazeutisches Staatsexamen 1933, Mitglied der NSDAP seit 1933 und der SS seit 1934, seit 1939 hauptamtlich im HSL der VT, Sturmbannführer seit 1943, 1944 Divisionsapotheker der SS-Division „Wiking“. BArchB ehemals BDC, SSO Rudolphi, Bernhard; DAL der Waffen-SS (1944), S. 158. 87 KARL HEINRICH WEHLE (*1906), Apotheker, 1921 bis 1923 Mitglied des Jungdeutschen Ordens, 1923 bis 1929 Mitglied des Freikorps Oberland, pharmazeutisches Staatsexamen 1932 in Jena, Mitglied der SS seit 1933 und der NSDAP seit 1937, seit 1939 hauptamtlich bei der VT, 1943 Sturmbannführer, seit 1944 Standartenführer. BArchB, ehemals BDC, SSO Wehle, Karl Heinrich. Das Hauptsanitätslager wurde zeitgleich mit der Umbesetzung 1943 in Zentralsanitätslager umbenannt. BArchB ehemals BDC, SSO Wehle, Karl Heinrich. 88 Carl Blumenreuter, Tätigkeitsbericht des Führungshauptamtes SS-Sanitätsamt, Gruppe III, Chemisch-pharmazeutischer Dienst vom 1. September 1942, BArchB, ehemals BDC, SSO Blumenreuter, Carl. 89 Karl Genzken, Kreuzverhör vom 3. März 1947. Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/3913. 90 Carl Blumenreuter, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/03939–03940.

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die Verwendung in anderen Dienststellen entschied Blumenreuter. Zu ihrer üblichen Ausbildung erhielten die Apotheker der Waffen-SS als Zusatzausbildung beim SS-Hauptsanitätslager die Einweisung in den chemisch-pharmazeutischen Dienst. Himmler verfügte 1942, dass die Apotheker der Waffen-SS jedoch in Zukunft ausschließlich Absolventen der SS-ärztlichen Akademie in Graz sein sollten.91 Die Mitarbeiter des SS-HSL kauften sowohl pharmazeutische Fertigprodukte als auch Rohstoffe für die Herstellung eigener Medikamente. Neben der Verwendung bewährter Medikamente gehörte die „Beobachtung des pharmazeutischen Marktes auf neue Arzneimittel“ zu ihren Aufgaben: „Die in der wissenschaftlichen Literatur angekündigten neuen Arzneimittel werden beschafft und den Chefärzten der Lazarette zur Prüfung ihrer Brauchbarkeit und Verwendung innerhalb der SS übergeben. In dieser Richtung wurden auch verschiedene Sonderaufgaben erledigt, die mit der Abteilung F des Persönlichen Stabes RF-SS in Verbindung standen: Produktion der Fahrenkamp-Präparate und die Einrichtung wissenschaftlicher Forschungsstätten (Prof. Schilling).“92

In der Praxis bedeutete dies, neue Medikamente, die auf den Markt kamen, zunächst zu überprüfen. Dazu wurden Proben an die „Chefärzte der Lazarette“ verteilt, wobei auch die SS-Standortärzte der Totenkopfverbände und die Ersten Lagerärzte der Konzentrationslager als solche galten. Medikamente, bei denen schwere, unerwünschte Nebenwirkungen zu erwarten waren, wurden nicht an Angehörigen der Waffen-SS erprobt, wie Himmler wiederholt betonte, sondern an Häftlingen der Konzentrationslager. Es zeigen sich also verschiedene Aufgaben Blumenreuters im Bereich der Konzentrationslager: Blumenreuter hatte die Inspektion der Konzentrationslager mit dem zu versorgen, was der Leitende Apotheker anforderte. In einem Tätigkeitsbericht schrieb er 1943 zu seinen Aufgaben in Bezug auf die Konzentrationslager lapidar: Zur Standardversorgung seien in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Flossenbürg, Mauthausen, Dachau, Buchenwald, Auschwitz, Majdanek und Ravensbrück Lagerapotheken eingerichtet worden, die von einem approbierten Apotheker geleitet wurden. „Zweck dieser Einrichtungen“ sei, so Blumenreuter, „die Konzentrationslager einheitlich mit Arzneimitteln, Verbandsstoffen und Rezepturen zu versorgen und die sachgemäße Überwachung des abgestellten Materials zu gewährleisten.“93 Blumenreuter gab selbst Medikamentenerprobungen in Auftrag und lieferte dazu die Pharmaka und die notwendigen Geräte. Er stellte zur Verfügung, was für andere Versuche gebraucht wurde. Dazu muss er genaue Anweisungen von Grawitz entgegengenommen und sich bei den Ärzten, die die Versuche durchführten, informiert haben.94 Blumenreuter „unterrichtete“ sich „an Ort und 91 Carl Blumenreuter, Tätigkeitsbericht des Führungshauptamtes SS-Sanitätsamt, Gruppe III, Chemisch-pharmazeutischer Dienst vom 1. September 1942, BArchB, ehemals BDC, SSO Blumenreuter, Carl, S. 4. 92 Ebenda, S. 5–6. 93 Ebenda, S. 2. 94 Nachweisbar für die Sterilisationsversuche von Carl Clauberg in Auschwitz: Carl Clauberg an Heinrich Himmler, Schreiben vom 7. Juni 1943, Nürnberger Ärzteprozess; Bl. 3/04316– 04318; sowie Rudolf Brandt, Eidesstattliche Erklärung vom 19. Oktober 1946, NO 440,

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Stelle“ in den Konzentrationslagern, so in Sachsenhausen und Auschwitz.95 So unterstützte er beispielsweise die Sterilisationsversuche von Carl Clauberg an jüdischen Frauen in Auschwitz mit der Lieferung eines Röntgengerätes. Clauberg hob in einem Schreiben an Himmler explizit Blumenreuters Engagement hervor.96 Unter den im Zentralsanitätslager gelagerten Chemikalien befand sich auch das zur Ermordung der Menschen in den Konzentrationslagern benutzte Zyklon B. Zu seiner Rolle bei der Zyklon B-Verteilung äußerte sich Blumenreuter im Nürnberger Ärzteprozess erstaunlich offen: „Die Steuerung des Desinfektionsmittels Zyklon-B durch die Dienststelle Mrugowsky erfolgte in der Weise, daß die Standortärzte auf Formularen ihre Anforderungen vierteljährlich einreichten. Die Belieferung erfolgte durch das Zentral-Sanitätslager, nachdem jeweils zuvor in einer Besprechung [zwischen Mrugowsky und Blumenreuter, d. Verf.] die abzugebende Menge unter Berücksichtigung der vorhandenen Vorräte festgesetzt worden war. Die Regelung bestand meines Wissens erst seit 1943. Vorher erfolgte die Anforderung über die Dienststelle Lolling.“97

Blumenreuters Biografie zeigt, dass er als leitender Apotheker und Chemiker der SS an wichtigen Verwaltungsentscheidungen teilhatte und über umfangreiches Wissen zu internen Angelegenheiten der SS verfügte. Darüber hinaus war er in die scientific community seiner Zeit eingebunden: Er war Teilnehmer der 4. Arbeitstagung Ost der Beratenden Fachärzte in Hohenlychen, bei der u.a. die Ergebnisse der Ravensbrücker Sulfonamidversuche vorgetragen wurden.98 Außerdem war er eines der vier führenden Mitglieder des SS-Sanitätswesens, die der Marburger Hygiene-Professor Wilhelm Pfannenstiel einlud, als die Universität Marburg 1940 eine Feier zum 50. Jahrestag der Serum-Therapie gegen Diphtherie ausrichtete. Neben ihm nahmen Grawitz, Genzken und Mrugowsky daran teil.99

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Nürnberger Ärzteprozess, 3/1138; für die Versuche von Rascher in Dachau: Wolfram Sievers an Rudolf Brandt, Schreiben vom 1. Februar 1943, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/00245 sowie Himmler an Genzken Schreiben vom 13. Dezember 1943, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/03917; für die Malariaversuche von Carl Claus Schilling in Dachau: Carl Blumenreuter, Tätigkeitsbericht; für die Sulfonamidversuche in Ravensbrück: Grawitz an Himmler, Schreiben vom 7. September 1942, Nürnberger Ärzteprozess, NO 2734, Bl. 3/02843–02845; für die Lostversuche in Natzweiler: Vermerk der StA Ludwigsburg vom BArchL, 413 AR 1463/1965, Bl. 730. Carl Blumenreuter, Aussage vom 13. Juli 1965, BArchL, 413 AR 1463/1965, Bl. 213. Carl Clauberg an Heinrich Himmler, Schreiben vom 7. Juni 1943, Nürnberger Ärzteprozess; Blatt 3/04316–04319. Zu Clauberg vgl. Grosch (1993) sowie Lohff (2005), S. 212. Carl Blumenreuter, Eidesstattliche Erklärung für Joachim Mrugowsky vom 3. Februar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 4/3568–3569. Zwei Listen der Teilnehmer an der 4. Arbeitstagung Ost der Beratenden Fachärzte, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/01392–01408. Vgl. Weindling (2000), S. 237.

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3.1.5. Menschenversuch als Arbeitseinsatz. Die Beteiligung des WVHA Hatte Grawitz von Himmler oder Brandt die Anweisung zur Durchführung von Versuchen erhalten, mussten in den jeweiligen Konzentrationslagern Vorbereitungen für die Versuche getroffen, Räume bereitgestellt und notwendige Medikamente und Geräte beschafft werden. In jedem größeren KZ, das mit einer Krankenstation, einem so genannten „Revier“ ausgestattet war, gab es SS-Ärzte, die sich um die medizinische Versorgung des SS-Personals und der Häftlinge kümmern sollten. Diese Ärzte, deren Zahl Hommel und Thom auf etwa 1.000 schätzen, waren die Akteure der SS vor Ort.100 Sie unterstanden dem Leitenden Arzt der Konzentrationslager, der die gesamte medizinische Versorgung der Häftlinge und der Konzentrationslager-SS koordinierte. Von April 1940 bis Februar 1941 hatte diese Funktion der Arzt Werner Kirchert inne. Geboren 1906 in Halle als Sohn eines Schuldirektors, besuchte er dort die Schule und studierte seit 1927 Medizin. Nach Approbation und Dissertation 1934 arbeitete er in der Universitäts-Nervenklinik in Halle. Bereits als Jugendlicher hatte sich Kirchert zu Beginn der 1920er Jahre politisch engagiert. Er war Mitglied des konservativen „Bismarck-Bundes“. 1933 Mitglied der SS geworden, wechselte Kirchert 1936 hauptamtlich zur SS. Er wurde zunächst Truppen- bzw. KZ-Arzt auf der Sachsenburg, in Dachau und Buchenwald,101 um dann aufbauend auf seine Psychiatrieerfahrung an die Nervenklinik der Charité versetzt zu werden. Die Funktion des Leitenden Arztes der IKL war für Kirchert nur eine Zwischenstation. Er wurde Mitarbeiter Contis und ab 1. Januar 1943 Leitender Arzt des Reichssicherheitshauptamtes.102 Nachfolger Kircherts bei der IKL wurde Enno Lolling. Dieser wurde 1888, wie Kirchert, als Sohn eines Schuldirektors in Köln geboren und studierte nach Abitur und Militärdienst beim Garde-Füsilier-Regiment seit 1908 an der KaiserWilhelm-Akademie in Berlin. Er wurde 1914 approbiert und promoviert und nahm von August 1914 bis Januar 1919 am Ersten Weltkrieg teil. Nach seiner Entlassung als Marinestabsarzt ließ er sich in Strelitz (Mecklenburg) als Landarzt nieder. Er trat 1933 in die SS und 1937 in die NSDAP ein. Seit dem Ersten Weltkrieg war er morphiumabhängig, was ihn bei seiner hauptamtlichen Übernahme in die SS zu einem umstrittenen Bewerber machte.103 Er verfügte in seiner Biografie jedoch über zwei für eine erfolgreiche Karriere beim Militär bzw. bei der SS im Nationalsozialismus wichtige Merkmale, die gegenüber seinem Handikap offenbar überwogen. Er hatte während der gesamten Dauer als Offizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Außerdem war er Absolvent der Kaiser-Wilhelm-Akademie. 100 Vgl. Hommel/Thom (1989), S. 387. 101 In Buchenwald galt Kirchert bei den Häftlingen als besonders brutal. Vgl. BuchenwaldReport (2002), S. 91. 102 BArchB, ehemals BDC, SSO Kirchert, Werner sowie RuSHA Kirchert, Werner. 103 Hermann Pook, Vernehmung am 2. Juli 1947, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 29, Bl. 3882– 3883. Vgl. auch Dirks (2006), S. 80–81.

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Die Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen war die Ausbildungsstätte für preußische Sanitätsoffiziere. Der Direktor der KaiserWilhelm-Akademie war gleichzeitig Chef der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums sowie ordentlicher Professor an der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität. Aus der Kaiser-Wilhelm-Akademie gingen u.a. der Chef des Wehrmachtssanitätswesens, Siegfried Handloser, der Chef des Luftwaffensanitätswesens, Oskar Schröder104 sowie der Vizepräsident und Leiter der Abteilung für Tropenmedizin des Robert-Koch-Instituts, Gerhard Rose,105 hervor. Alle drei wurden im Nürnberger Ärzteprozess wegen ihrer Mitwirkung bei Menschenversuchen an Konzentrationslagerhäftlingen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Lolling kam 1936 zur Sanitätsabteilung der SS-Verfügungstruppe, wurde nach kurzem Aufenthalt an der SS-Führer-Schule in Bad Tölz zur Sanitätsstaffel nach Dachau versetzt, wo er am 1. November 1937 zum Standortarzt avancierte. 1939 wurde Lolling zum Sturmbannführer befördert, 1941 zum Obersturmbannführer und 1943 zum Standartenführer. Himmler gliederte mit Wirkung vom 16. März 1942 die Inspektion der Konzentrationslager als Amtsgruppe D dem am 1. Februar 1942 entstandenen SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt an, um die Konzentrationslager dem Zugriff von Fritz Sauckel zu entziehen.106 Im Februar 1941 wurde Lolling zum Leitenden Arzt der IKL ernannt und wechselte 1942 mit der Übernahme der IKL durch das WVHA dorthin.107 Als Chef des Amtes D III des WVHA (Sanitätswesen und Lagerhygiene) unterstand Lolling Oswald Pohl. Lediglich in medizinischen Angelegenheiten war Grawitz ihm weisungsbefugt. Lolling war Vorgesetzter aller Lagerärzte und La104 OSKAR SCHRÖDER (1891–1958) HNO-Arzt, Generaloberstabsarzt, 1910–1914 Medizinstudium an der Kaiser-Wilhelm-Akademie, Staatsexamen 1916, Teilnahme am Ersten Weltkrieg 1914–1918, verblieb bei der Reichswehr, seit 1934 bei der Luftwaffe, 1935 Stabschef von Erich Hippke im Reichsluftfahrtministerium, 1940/41 Flottenarzt, danach Rückkehr ins Reichsluftfahrtministerium, 1944 Ernennung zum Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe. Freilassung aus alliierter Haft 1954, anschließend Tätigkeit für die U.S. Air Force. Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/03498 sowie Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 642–643. 105 GERHARD ROSE (1896–1992), Arzt, Malariologe, 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Soldat des Königlich-Preußischen 2. Garderegiments, seit 1914 Studium an der Kaiser-Wilhelm-Akademie, 1921 Staatsexamen, gleichzeitig Angehöriger des Freikorps Roßbach, Mitglied der NSDAP und der SA seit 1922 (Wiedereintritt in die NSDAP AO China 1930). Seit 1928–1936 Ärztlicher Berater der Kuomintang-Regierung in China, danach Professor und Leiter der Abteilung Tropenmedizin am Robert-Koch-Institut, 1939 Angehöriger der Legion Condor, 1942 Beratender Hygieniker und Tropenmediziner der Luftwaffe, 1955 aus alliierter Haft freigelassen, 1958–1983 Geschäftsführer der Firma Heye Glas, Obernkirchen (Schaumburg), dort in den 1960er Jahren Kreistagsabgeordneter, maßgeblich an der Einführung des Altglas-Recycling in der Bundesrepublik beteiligt („Vater des Recycling“). BArchB, ehemals BDC, PK, Rose, Gerhard; BArchB, R 9208, Band 3706, Bl. 26–99, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 8/03114, Schaumburger Landeszeitung vom 29. November 1986. 106 Vgl. Broszat (1994), S. 420–432; Orth (1999), S. 27–30 sowie Tuchel (1998), S. 43–59. 107 BArchB, ehemals BDC, SSO Lolling, Enno. Lolling behielt diese Funktion bis Kriegsende und beging im Mai 1945 in Flensburg Selbstmord.

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gerzahnärzte. Er war gleichzeitig Standortarzt in Oranienburg und auf diese Weise mit der ärztlichen Behandlung von SS-Angehörigen und deren Familien betraut.108 Sein Vertreter war der Erste Lagerarzt des KZ Sachsenhausen, das sich nur wenige hundert Meter von dem Gebäude befand, in dem die Diensträume der Amtsgruppe D untergebracht waren.109 Lolling hatte Pohl und Glücks110 wöchentlich mündlich über die gesundheitliche Versorgung der Häftlinge zu informieren und monatlich einen Bericht darüber zu verfassen. Einer der Monatsberichte von 1944 enthielt die Angabe von etwa 40 Versuchen an denen zwischen 350 und 400 Häftlinge beteiligt gewesen sein sollen.111 Lolling erhielt zur Erstellung seiner monatlichen Berichte von den Standort- und Lagerärzten jeweils zum Monatsersten Berichte über die „sanitätsmäßigen Ereignisse“ der einzelnen Lager. Diese beinhalteten auch Mitteilungen über den Verlauf der dort stattfindenden Versuche.112 In bestimmten Abständen bestellte er die Standortärzte zu Besprechungen nach Oranienburg ein. Bei einer dieser Gelegenheiten erklärte Lolling den Anwesenden, dass er von allen medizinischen Versuchen vorher unterrichtet werden wollte, die Einwilligung Pohls für die Abstellung der Häftlinge notwendig wäre und Pohl die Anzahl der Häftlinge für die Versuche festlegen würde.113 Alle wis-

108 Hermann Pook, Vernehmung am 2. Juli 1947, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 29, Bl. 3874 sowie Vernehmung vom 3. Juli 1947, ebenda Band 30, Blatt 3888–3889. HERMANN POOK (*1901), Zahnarzt, Leitender Zahnarzt des Amts D III des WVHA, 1942 Obersturmbannführer, in Nürnberg zu zehn Jahren Haft verurteilt, 1951 entlassen, danach Zahnarzt in Hemmingstedt in Holstein. Vgl. Klee (2003), S. 469. 109 Herbert Siggelkow, Eidesstattliche Erklärung vom 5. Mai 1947, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 304, Bl. 29–30. 110 RICHARD GLÜCKS (1889–1945), geboren in Odenkirchen/Mönchengladbach, Abitur, Lehre als Versicherungskaufmann, Einjährig-Freiwilliger bei der Feldartillerie in Wesel, Besuch der Handelshochschule, Auslandsaufenthalt in England und Südamerika. 1915 Rückkehr nach Deutschland und Eintritt in das Heer, 1919 Mitglied des Westfälischen Freikorps Lichtenschlag, 1920 bis 1924 Verbindungsoffizier bei der Heeresfriedenskommission, danach bei der Preußischen Armee. Seit 1932 hauptamtlicher Mitarbeiter der SS, 1934 Obersturmbannführer, 1936 Standartenführer und Stabsführer des Inspekteurs der Wachverbände, seit November 1939 Nachfolger von Theodor Eicke als Inspekteur der Konzentrationslager, nach der Eingliederung in das WVHA Chef der Amtsgruppe D, Selbstmord im Lazarett in Flensburg. Vgl. Tuchel (1994), S. 58–60 sowie Klee (2003), S. 187. 111 Oswald Pohl, Aussage vom 23. Juni 1946, GStAP, Rep 335, Fall 4, Band 124, NO 065. An anderer Stelle erinnerte sich Pohl an 300 bis 500 Häftlinge. Oswald Pohl, Vernehmung vom 16. Mai 1946, ebd. Band 12, Bl. 1487. 112 Friedrich Entress, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 2, Blatt 95, NO 2368. FRIEDRICH ENTRESS (1914–1946), Arzt, seit 1939 Mitglied der Waffen-SS, 1941 Lagerarzt in Groß Rosen, 1941–1943 in Auschwitz, 1943/1944 in Mauthausen, 1944/45 Erster Lagerarzt in Groß Rosen. Im Mauthausen-Prozess angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Freund (1997). 113 Gerhard Schiedlausky, Aussage, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 138, NO 2333. GERHARD SCHIEDLAUSKY (1906–1947), Arzt, Lagerarzt in Mauthausen, Standortarzt in Flossenbürg, Ravensbrück, Natzweiler und Buchenwald, Durchführung verschiedener medizinischer Versuche, im Ravensbrück-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Schmidt (2005).

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

senschaftlichen Arbeiten, die über in Konzentrationslagern durchgeführte Versuche publiziert werden sollten, mussten Lolling vorher vorgelegt werden.114 Parallel zu den medizinischen Vorbereitungen der Versuche durch Grawitz und Lolling teilte Rudolf Brandt Oswald Pohl die jeweilige Entscheidung Himmlers mit, sofern dieser nicht von Himmler persönlich informiert wurde, und nannte ihm die Zahl der benötigten Häftlinge.115 Die Häftlinge mussten in den Konzentrationslagern ausgesucht und für die Versuche von anderen Arbeiten freigestellt werden. Üblicherweise verrichteten die Häftlinge in so genannten Arbeitskommandos häufig schwerste körperliche Arbeiten. Bei den Probanden konnte es sich sowohl um kranke Häftlinge handeln, als auch um noch arbeitsfähige. Einige Versuche erforderten die Auswahl von Häftlingen mit bestimmten körperlichen Merkmalen, bestimmten Alters oder Vorerkrankungen. Zur Frage der Auswahl der Häftlinge und zu deren freiwilliger Mitwirkung an Experimenten äußerte Pohl in Nürnberg mit kaum zu übertreffender Deutlichkeit und Härte: „Das WVHA veröffentlichte keine Richtlinien für die Auswahl der Gefangenen. Diese wurden einfach ausgesucht und dem Versuchsprojekt zugewiesen. Manchmal verfügte Himmler, dass Gefangene, welche zum Tode verurteilt waren, verwendet werden sollten. Dies war nicht ausschließlich der Fall, und nicht alle Versuchspersonen waren zum Tode verurteilt. Es gab keinerlei Weisungen, dass die Gefangenen Freiwillige sein mußten. Wir veranstalteten keinerlei Werbung für Freiwillige in den Konzentrationslagern. Falls diese Ärzte an Freiwilligen Versuche ausüben wollten, dann hätten sie sich nicht an Himmler und an die Konzentrationslager wenden brauchen. Aus dem Grunde, weil es keine Freiwilligen gab, oder weil sie [sich] weder die Mühe noch die Zeit nahmen, Freiwillige zu finden, haben sie sich direkt an Himmler gewandt, um seine Zustimmung zu erhalten, Experimente an Konzentrationslagerinsassen durchzuführen.“ 116

1942 gab Gerhard Maurer,117 Chef des Amtes D II des WVHA (Arbeitseinsatz der Häftlinge), die Anweisung, dass die für Versuche vorgesehenen Häftlinge täglich auf einer Liste aufgeführt werden sollten, um den Arbeitseinsatzleiter davon zu unterrichten. Es gab dabei zwei Gruppen: die Probanden, die als „Häftlinge für Versuchszwecke“ in der Arbeitsstatistik zu bezeichnen waren, sowie die Häftlingspfleger, die entsprechend als „Pfleger für Versuchszwecke“ deklariert wurden.118 Die Häftlinge wurden gewissermaßen dem Arbeitskommando „Menschen114 Friedrich Entress, ebenda NO 2368. 115 Rudolf Brandt, Eidesstattliche Erklärung vom 24. Oktober 1946, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 3/05054–05057, hier 3/05055. 116 Oswald Pohl, Aussage vom 16. Oktober 1946, GStAP, Rep. 335, Band 2, Bl. 40. 117 GERHARD MAURER (1907–1953), in Halle/Saale geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre arbeitete Maurer ab 1926 als Buchhalter und Expedient, 1930 trat er der NSDAP und 1931 der SS bei. Seit 1934 war Maurer hauptamtlich bei der SS tätig. 1939 wurde er in den Stab des Haushaltes Verwaltung und Bauten des WVHA versetzt und arbeitete dort als Geschäftsführer der Deutschen Ausrüstungswerke (DAW). 1942 wurde Maurer Obersturmbannführer und Chef der Abteilung „Arbeitseinsatz der Häftlinge“. 1947 in Krakau zum Tode verurteilt und hingerichtet. 118 Gerhard Maurer, Verfügung des SS-WVHA vom 4. Dezember 1942, GStAP, Rep. 335, Band 124, Bl. 132.

3.1. Akteure: Die SS organisiert Menschenversuche

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versuch“ zugewiesen. Sofern es sich nicht um kranke Häftlinge handelte, die sich bereits im Krankenrevier befanden, mussten diese deshalb vom Arbeitseinsatzführer angefordert werden.119 Die Gründlichkeit, mit der über die Verwendung von Häftlingen zu medizinischen Versuchen Buch geführt werden sollte, lag u.a. darin begründet, dass häufig nicht genehmigte Menschenversuche in den Lagern durchgeführt wurden. Dass diese Versuche ein gravierendes Problem für die SS darstellten, lässt sich angesichts der Anordnungen von Richard Glücks vom 12. Mai 1944 vermuten. „Betrifft: Abstellung von Häftlingen für Versuchszwecke An die Kommandanten der Konzentrationslager [...] Es besteht Veranlassung darauf hinzuweisen, daß in jedem Falle vor Abstellung von Häftlingen für Versuchszwecke hier die Genehmigung zur Abstellung einzuholen ist. Hierbei müssen Zahl, Haftart und bei arischen Häftlingen genaue Personalien, Aktenzeichen des Reichssicherheitshauptamtes und der Grund der Einweisung ins Konzentrationslager angegeben werden. Ich verbiete hiermit ausdrücklich die Abstellung von Häftlingen zu Versuchen ohne Vorliegen der Genehmigung.“120

Das WVHA bemühte sich, ab 1942/43 die Einsätze von Häftlingen für medizinische Versuche zu reduzieren. Diese Haltung entsprang jedoch nicht einer gewandelten ethischen Einstellung, sondern lag allein darin begründet, dass Häftlinge als Arbeitskräfte dringender gebraucht wurden als zuvor, und den Konzentrationslagern nicht mehr stets neue, gesunde Häftlinge zugeführt werden konnten.

119 Karl Sommer, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 29, Bl. 3812. KARL SOMMER (*1915) war Stellvertreter von Gerhard Maurer als Chef der Amtsgruppe D II des WVHA, 1947 in Nürnberg zum Tode verurteilt, freigelassen; Friedrich Entress, NO 2368, Aussage, GStAP, Rep. 335, Fall 4, Band 2, Bl. 95. 120 Richard Glücks, Schreiben an die Kommandanten der Konzentrationslager vom 12. Mai 1944, abgedruckt bei Tuchel (1994), S. 162.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

3.2. EXPERIMENTATOREN IM KZ SACHSENHAUSEN DIE BRÜDER ZAHN 3.2.1. Gualtherus und Herman Zahn. Von Drenthe nach Peking Die Tuberkulose-Versuche, die zwischen 1941 und 1943 im Konzentrationslager Sachsenhausen stattfanden, gehören zu den großen Versuchsreihen, die bisher in der historischen Forschung keine Beachtung fanden. Gründe dafür mögen die rechercheaufwändigen Lebensläufe der beiden Experimentatoren Gualtherus und Herman Zahn sein. Die Brüder Zahn scheinen auf den ersten Blick nicht in das Bild des im Konzentrationslager forschenden und experimentierenden Arztes zu passen. Gualtherus und Herman Zahn waren weder Deutsche noch Mitglieder der SS. In diesem Kapitel sollen ihre ungewöhnlichen Biografien detailliert nachgezeichnet werden. Herman Gerhard Zahn, der ältere der beiden Brüder, wurde am 7. Juni 1883 in Vries (Drenthe) in den Niederlanden geboren. Er hatte eine Zwillingsschwester. Die Eltern, der calvinistische Pfarrer Gualtherus Hendrik Zahn und seine Ehefrau Anna Maria, geborene van der Hoogt, hatten bereits drei Kinder. Den Geschwistern folgten weitere sieben Kinder, unter ihnen als Elftes der am 3. Februar 1891 geborene Gualtherus121 (auch Gualtherius) Hendrik Zahn.122 Der Urgroßvater von Gualtherus Hendrik sen., Johan Georg Weygand Zahn, stammte aus Bad Homburg v. d. Höhe und war Offizier Friedrichs II. von Preußen. Als dessen Tochter Wilhelmine 1776 den Statthalter der Niederlande, Wilhelm V. von Oranien, heiratete, begleitete Zahn das Paar als Kapitän der Leibgarde nach Den Haag. Er wurde dort ansässig und gründete eine Familie, aus der in mehreren Generationen hohe Beamte und wohlhabende Kaufleute hervorgingen.123 Im Alter von 15 Jahren zog Gualtherus Zahn jun. nach Assen zu seiner ältesten Schwester Francina Cornelia Oosterveen, um dort eine Ausbildung zu absolvieren. So wurde er Ladengehilfe bei seinem Schwager. Nachdem er ein Jahr im Geschäft Oosterveens gearbeitet hatte, ging er im Oktober 1907 in die 25 km entfernte Stadt Groningen in der gleichnamigen Provinz.124 In Groningen arbeitete er als Diener bzw. Hausangestellter. Im Juni 1910 ging Gualtherus Zahn nach Haarlem, 160 km von Groningen entfernt und auf der anderen Seite des Isselmeers gelegen.125 Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann Zahn eine Reise um die ganze Welt. Am 13. Februar 1914 schiffte er sich mit dem Ziel Buenos Aires 121 Gualtherus ist die latinisierte Form von Walter. 122 Rijksarchief in Noord-Holland, Haarlem, Mitteilung an die Verfasserin vom 23. August 2002, Drenths Archief Assen, Mitteilung an die Verfasserin vom 19. Juli 2002. 123 http://home.planet.nl./~olaus/genealogie/hz000144.htm vom 29. April 2003 sowie www.genlias.nl vom 4. Juli 2002. 124 Drenths Archief Assen, Mitteilung an die Verfasserin vom 19. Juli 2002. 125 Vgl. Bevolkingsregister Groningen 1900–1910, boekdeel 2, blad 1223 (nr. 9) und 1910–1920, boekdeel 20, blad. 999 (nr. 6). Gualtherus Zahn wohnte zunächst in der Nieuwe Boteringe Straat 43 und später in der Vischer Straat 59.

3.2. Experimentatoren im KZ Sachsenhausen: Die Brüder Zahn

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nach Südamerika ein.126 Am 15. Januar des darauf folgenden Jahres tauchte er beim Niederländischen Konsulat in Kobe in Japan auf. Von dort reiste er zwei Jahre später weiter nach Shanghai, wo er am 11. September 1917 eintraf. Shanghai war zu dieser Zeit eine der bedeutendsten Handelsmetropolen der Welt. Durch die Verträge von Nanking im Jahre 1842 waren die Chinesen gezwungen worden, den Hafen für den internationalen Handel zu öffnen. 1849 entstand eine französische und 1863 eine internationale Handelsniederlassung. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erlebte die Stadt eine ökonomische Blütezeit.127 Unter den dreieinhalb Millionen Menschen, die 1934 in der Stadt lebten, waren u.a. 15.000 Russen und 5.000 Deutsche, Österreicher und Niederländer.128 Gualtherus Zahn arbeitete zunächst für die Firma Olivier & Co. und gründete 1919 eine Zeitung in russischer Sprache, „Shanghaiskaja Zjizn“ („Shanghai Life“).129 Die erste Ausgabe erschien am 21. September 1919. Die Zeitung trat für die weißrussischen Generäle Koltschak und Denikin ein. In einem Artikel vom 5. Oktober 1919 wurde offenbar die Politik der britischen Regierung angegriffen, so dass Gualtherus Zahn Schwierigkeiten mit den zuständigen Behörden bekam. Vor dem niederländischen Konsul erklärte er in diesem Zusammenhang am 25. Oktober 1919, dass er nicht länger mit der Zeitung zu tun habe. Das Blatt wurde im Dezember von seinem älterem Bruder, Johan Georg Wilhelm Zahn,130 übernommen, in „New Shanghai Life“ umbenannt und „an bolschewistische Sympathisanten verkauft“, wie es in einem Bericht der Botschaft hießt.131 Da die Zeitung erhebliche finanzielle Mittel verschlungen hatte, verlangte die Mitherausgeberin, A. Novak, mit der Gualtherus Zahn in Shanghai zusammenlebte, sie zu heiraten oder seine Schulden bei ihr zu bezahlen. Zahn setzte sich stattdessen nach Hongkong ab.132 Von dort reiste er im März 1920 nach Europa und lebte von verschiedenen Handelsgeschäften. Die nächste Spur findet sich in den Passagierlisten der in New York eintreffenden Schiffe aus dem Jahre 1924, in denen Zahns Ankunft verzeichnet ist.133 Dann verliert sich wiederum seine Spur. Bis 1929 lebte er in Mexiko und anderen Ländern Mittel- und Südamerikas, zuletzt wieder in Argentinien, und arbeitete 126 Vgl. Bevolkingsregister Haarlem, Mitteilung des Archiefdienst voor Kennemerland an die Verfasserin vom 26. Juli 2002. 127 Vgl. Freyeisen (2000), S. 18. 128 Vgl. ebenda, S. 20. 129 Dossier des Ministerie van Buitenlandse Zaken, Nederlandse diplomatieke vertegenwoordiging te Peking, Chungking en Nanking (China), (1862) 1872–1954, inventarisnummer 443, unpaginiert. 130 Johan Georg Zahn (geb. 1881) kam etwa 1917 nach Shanghai. Von Amerika kommend war er über Europa und Sibirien gereist. Er gab an, Mitarbeiter des Health Departments des Shanghai Municipal Council zu sein. 131 Johan Zahn verließ China im Sommer 1920 und ging nach Südafrika, wo er mittellos in Capetown auftauchte und mit Hilfe einer religiösen Vereinigung Lehrer für Burenkinder im portugiesischen Teil Westafrikas wurde. Vgl. Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken. 132 Ebenda. 133 Vgl. National Archives Washington, Einreiselisten vom 2. Mai 1947.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

dort für das Unternehmen „Bataafsche Petroleum Maatschappij“. Als sein Vertrag nicht verlängert wurde, kehrte Gualtherus Zahn nach Europa zurück. Er hielt sich zunächst in Karlsbad auf und begann im April 1933, 42jährig, in Genf, Medizin zu studieren.134 Im September 1933 verließ er Genf und reiste wieder nach Shanghai, wo er im Oktober 1933 eintraf. Beim zuständigen niederländischen Konsulat meldete er sich jedoch, zur großen Verärgerung des Konsulatsbeamten, erst im Januar 1934. Er begründete, wenn auch nicht sehr glaubhaft, sein Versäumnis damit, dass er an der Universität in Shanghai studierte und dort Ende 1933 eine große Anzahl von Examina abgelegt habe, die einer umfangreichen Vorbereitung bedurften. In China lebte zu dieser Zeit auch sein älterer Bruder, Herman Gerhard Zahn. Herman Zahn war Offizier der Handelsmarine geworden, hatte diese jedoch verlassen müssen, weil er unter einer zunehmenden Sehschwäche litt. Von Januar 1915 bis Oktober 1917 reiste er für die Firma Zijlstra & Co. aus Tsingtao häufig in Sibirien und auf Kamchatka umher.135 1921 heiratete er in Wladiwostok die Russin Nathalie Nebytoff. Im Juli 1922 trafen beide in Peking ein. Zahn gab an, von der Revolution in Russland finanziell ruiniert worden zu sein und Arbeit zu suchen. Stattdessen verschuldete er sich. Zahn und seine Frau reisten nach Amsterdam, wo sich das Paar 1926 trennte. Nathalie Nebytoff kehrte nach Russland zurück, Herman Zahn reiste nach Persien.136 Er kehrte nochmals zurück, setzte sich jedoch 1928, sehr zum Ärger seiner Gläubiger, nach Kobe in Japan ab, wo er wiederum eine Handelsfirma zu gründen vorgab. Wenige Monate später kam er nach Shanghai und verkaufte, was er aus Japan an Waren mitgebracht hatte. In seiner ausweglosen finanziellen Situation begann er für Missionare Bibeln und Traktate zu verteilen. Als bekannt wurde, dass sich Zahn auf seinen zahlreichen Reisen als Arzt ausgegeben hatte und als Gegenleistung für Waren, die er erwerben wollte, medizinische Behandlungen angeboten hatte, wurde er von den niederländischen Behörden am 1. Juni 1929 repatriiert. Für die Reisekosten kam eine Wohltätigkeitsgesellschaft auf. Anfang 1933 kam Herman Zahn, in Begleitung seiner zweiten Ehefrau, der Deutschen Hertha Zahn-Knuth, wieder zurück. Sie war als Sekretärin für verschiedene Firmen, u.a. für das „Kaufhaus des Westens“ (KdW) tätig gewesen.137 Im Sommer 1932 hatte sie ihre Arbeitsstelle bei der Reichskraftsprit GmbH in Berlin gekündigt und Herman Zahn geheiratet. Beide verließen im September

134 Er war im Sommersemester 1933 (April–Juli) als „Auditeur“ immatrikuliert. Vgl. Mitteilung von Dominique Torrione-Vouilloz, Archiv der Universität Genf an die Verfasserin vom 24. Februar 2003. 135 Vgl. Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken. 136 Vgl. Mitteilung des Gemeentearchief Amsterdam an die Verfasserin vom 18. Dezember 2002. 137 Vgl. Zeugnis des Kaufhaus des Westens und der Reichssprit GmbH. Die Dokumente befinden sich im Besitz der Familie Zahn, Kopien bei der Verfasserin.

3.2. Experimentatoren im KZ Sachsenhausen: Die Brüder Zahn

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1932 Deutschland und reisten nach China.138 Dort angekommen setzte Herman Zahn seine medizinischen Studien am Peking Union Medical College (PUMC) fort. Das Peking Union Medical College war eine Elite-Hochschule. Es wurde in den frühen 1920er Jahren von der amerikanischen Rockefeller Foundation gegründet und bestand aus einem Komplex von über zwanzig Gebäuden. Die dort aufgenommenen chinesischen Studenten gehörten der Oberschicht an. Unterrichtet wurde auf Englisch. Es war der groß angelegte Versuch, amerikanische Kultur in ein Entwicklungsland zu verpflanzen. Dazu gehörte neben der westlichen Medizin auch christliche Missionsarbeit.139 Herman Zahn gab an, dass er in den vergangenen Jahren in London und Berlin bereits Medizin studiert habe.140 Unterstützt von seinem Bruder Gualtherus würde er sich auf Augenheilkunde spezialisieren. Sein Bruder hingegen wolle nun Zahnarzt werden, erklärte Herman Zahn der Botschaft gegenüber. Er plane anschließend in Herat in Afghanistan eine Arztpraxis zu eröffnen.141 Gegen Ende 1934 verließen Gualtherus sowie Herman und Hertha Zahn China wieder. Gualtherus reiste vermutlich über Japan und Chile nach Europa. Herman Zahn, von einer erneuten zwangsweisen Repatriierung bedroht, ging in Begleitung seiner Ehefrau nach Calcutta.142 Sein Ziel sei „pioniermedizinische Missionsarbeit“, und er hoffe, „durch die Ausübung der medizinischen Praxis, jedenfalls teilweise, seinen Unterhalt verdienen zu können“, teilte er der Botschaft mit. Die Finanzierung des Lebensunterhaltes des Ehepaares Zahn gewährleistete jedoch, entgegen Zahns Angaben, die Ehefrau Hertha, die in diesen Jahren für deutsche Firmen der Chemie- und Pharmabranche in Peking und Tientsin, so auch für die „Bayer Pharma Co.“, arbeitete.143 1937 erschien beim niederländischen Botschafter in Peking die Inhaberin des Pekinger Legationshospizes, Schwester Gertrud Spaeth, um für Herman Zahn um Hilfe zu bitten. „Er läuft mit einem Geheimmittel gegen Tuberkulose herum, das er nicht verwenden kann, weil er kein Arzt ist und nicht verraten darf, weil er es unter der Bedingung gekauft hat, daß er darüber nichts erzählen würde“,

138 Vgl. diverse Postkarten von Hertha Zahn an ihre Schwester Annelies V. u.a. vom 15. September 1932 aus Wiedenest und vom 16. Oktober 1932 aus Neapel. Alle Postkarten befinden sich im Besitz der Familie Zahn, Kopien bei der Verfasserin. 139 Vgl. Schmidt (2006), S. 36. 140 Vgl. Generalkonsul Groenman, Shanghai, an Botschafter Thorbecke, Peking, Schreiben vom 18. August 1934. Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken. 141 Groenman an Generalprokurator des Hohen Gerichtshofs von Niederländisch-Indien. Ebd. 142 Innerhalb von zwei Monaten von Anfang Juni bis Ende Juli hat er sich alleine beim wohltätigen Wilhelmina-Fond in Shanghai $ 459,73 geliehen, „ohne daß er jemals den Versuch unternommen hätte, die Summe zurückzuzahlen“. Vgl. Groenman an Thorbecke, Schreiben vom 8. August 1934, Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken. 143 Zeugnis der Scienific Apparatus Schmidt & Co. Ltd. vom 31. Dezember 1938, Zeugnis von Dr. Ing. Guenther Werner, Chemical Engineer, vom 7. Januar 1939, Schreiben der Firma „Bayer“ Pharma Co. sowie Zeugnis der China Export-Import-& Bank-Co., Ltd. vom 17. Mai 1939. Alle Dokumente befinden sich im Besitz der Familie Zahn, Kopien bei der Verfasserin.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen liess der Botschafter in einem Vermerk das Gespräch protokollieren.144 Das Medikament sei, „laut Schwester Spaeth, ziemlich gut“, so dass „der Mann durchaus ein Auskommen (eine Lebensgrundlage) finden könnte“.

Herman Zahn war inzwischen 48 Jahre alt und hatte seit zwei Jahrzehnten wirtschaftliche Misserfolge aneinandergereiht. Auf Grund seiner finanziellen Unzuverlässigkeit hatte er ständig die britischen und niederländischen Behörden beschäftigt.145 Außerdem war Zahn wiederholt wegen des unrechtmäßigen Tragens des Titels eines Doktors der Medizin bzw. eines Professorentitels angezeigt worden, so dass der Botschafter das Ansinnen der Hospizinhaberin ablehnte. Gualtherus Zahn hingegen lebte seit 1935 wieder in der Schweiz. „Seine Ambitionen“ hätten „sich auf wissenschaftliche Studien“ gerichtet. Er habe „es sich materiell erlauben können“, so Zahn später,146 und hatte sich im April 1935 an der Universität Lausanne immatrikuliert. Er legte bei dieser Gelegenheit Zertifikate der Universitäten Njimegen, Genf und Shanghai vor.147 Am 10. Mai 1938 unterzog er sich zum ersten Mal dem medizinischen Examen und scheiterte.148 Einen zweiten Versuch unternahm er am 9. Juli 1940 und bestand. Anschließend wurde er mit einer Dissertation zur Kinderlähmung promoviert.149 3.2.2. Gualtherus Zahn als Nationalsozialist In diese Zeit fällt auch die einzige überlieferte politische Entscheidung Zahns. Während seines Studiums in Lausanne trat er, so Zahn bei einer Vernehmung 1945, im Jahr 1936 der „Nationaal-Socialistische Beweging“ der Niederlande (NSB) bei.150 Seine Angabe, er sei in der Schweiz der NSB beigetreten, kann so nicht korrekt sein, da die NSB als niederländische Partei nicht in der Schweiz existierte. Die deutsche NSDAP AO (Auslandsorganisation) der Schweiz stand Zahn als niederländischem Staatsangehörigen hingegen nicht offen.

144 Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken, handschriftlicher Vermerk vom 23. Oktober 1937. 145 Ärgernis erregte er auch durch seine Betätigung in Missionarskreisen und seine enge Verbindung zu Dr. Thomas Chochrane, dem Redakteur der Zeitung „World Dominion“. Vgl. Dossier Ministerie van Buitenlandse Zaken, Niederländische Botschaft in Peking an Generalkonsul Groenman, Shanghai, Bericht, undatiert. 146 Nationaalarchief Den Haag, Centraal Archief Bijzondere Rechtspleging, accessnr. 2.09.09, 105534 (17888). Im Folgenden zitiert als Entnazifizierungsverfahren. 147 Vgl. Archives Cantonales Vaudoises, KXIII 371 Rectorat UNIL, Immatriculations E 1929 et H 1934–1935–E 1938, RMS 6/197.102. 148 Vgl. Archives de la Faculté de Médecine de l‘Université de Lausanne, Compte-rendu des exames. 149 Zahn (1940). 150 Gualtherus Zahn, Vernehmung vom 24. April 1945, Entnazifizierungsverfahren. Seine Äußerungen sind jedoch undifferenziert. Er gab an, er sei „Mitglied des N.S.B. gewesen von 1936–1937 in der Schweiz und später in den Jahren 1941–1942 in Deutschland.“

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In der Schweiz gab es bereits sehr früh politische Aktivitäten von Nationalsozialisten. 1931 wurde der Ortsgruppenleiter von Davos, Wilhelm Gustloff,151 zum Schweizerischen Landesvertrauensmann der NSDAP ernannt. Da sich die schweizerischen Behörden gegen eine zu offenkundige politische Agitation durch die deutschen Nationalsozialisten, besonders durch Gustloff selbst, wehrten, musste die NSDAP davon absehen, schweizerische Staatsangehörige aufzunehmen.152 Die NSDAP AO sollte eine Organisation in der Schweiz lebender Deutscher „zum Zwecke der Pflege heimatlicher Gesinnung, der gesellschaftlichen Beziehungen und der Unterstützung der Heimatgenossen“153 sein. Eine solche Beschränkung wurde auch von der Reichsleitung der NSDAP verlangt.154 Ausschließlich Reichsdeutsche sollten Mitglied der NSDAP werden können. Trotzdem stieg die Zahl der Mitglieder der NSDAP AO Schweiz zwischen 1933 und 1937, auch aufgrund des aggressiven Mitgliederwerbung, von 60 auf 1.364.155 Schweizerische Staatsangehörige konnten anderen nationalsozialistischen Organisationen und Parteien beitreten, so u.a. der Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiterpartei, auch als Bund Nationalsozialistischer Eidgenossen bezeichnet.156 In anderen Ländern handhabten die Landesgruppen die Festlegung der Reichsleitung allgemein großzügig, sofern die „arische“ Abstammung der Mitglieder nicht infrage stand.157 Da die Nachfrage in vielen Ländern eher schwach ausfiel, lockerte der Leiter der NSDAP AO, Ernst Wilhelm Bohle, zudem die Anforderungen 1935 weiter, nicht jedoch in der Frage der Staatsangehörigkeit. Über die Aufnahme so genannter „Volksdeutscher“,158 Zahn konnte als solcher gelten, bestand zu Beginn der 1930er Jahre häufig Unklarheit. Um diese Parteigenossen nicht zu enttäuschen und weiterhin an sich zu binden, wurde bereits in die NSDAP Eingetretenen mit nichtdeutschem Pass eine Mitgliedschaft im durch Hans Nieland am 14. Juni 1932 in Hamburg gegründeten „Bund der Freunde der 151 WILHELM GUSTLOFF (1895–1936), geboren in Schwerin, Bankprokurist, hielt sich aus gesundheitlichen Gründen seit 1917 in Davos auf. Dort trat er bereits in den 1920er Jahren als Nationalsozialist und Antisemit öffentlich in Erscheinung. Nach seiner Ermordung durch den jüdischen Studenten David Frankfurter in Davos wurde er zum „Blutzeugen der Bewegung“ stilisiert. Nach Gustloff war auch das 1945 untergegangene KdF-Schiff benannt. 152 Vgl. Lachmann (1962), S. 23. 153 Herbert Kraft an die Reichsleitung der NSDAP, Schreiben vom 24. November 1931, BArchB ehemals BDC Research O. 311. Kraft war badischer Landtagsabgeordneter und Vorgänger Gustloffs als Landesvertrauensmann. 154 Vgl. Jacobsen (1968a), S. 93 bzw. Jacobsen (1968b), S. 359. Jacobsen spricht in diesem Zusammenhang von einer Grundsatzentscheidung. 155 Vgl. Jacobsen (1968a), S. 513. In der Schweiz lebten zu dieser Zeit etwa 120.000 Deutsche. 156 Vgl. BArchB, ehemals BDC, Research O. 311. 157 So beispielsweise in den Ländern Südamerikas. Vgl. Müller (1997), S. 24–25 und 45–47. 158 Als Volksdeutsche galt die „deutschsprachige, deutschkulturelle und deutschbewußte Bevölkerung nichtdeutscher Staaten“. In einem Runderlaß der Ministers des Innern vom 29. März 1939 hieß es: „Zum deutschen Volkstum gehören auch die Deutschen, die außerhalb des Reiches wohnen. Der Besitz einer fremden Staatsangehörigkeit ändert an der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum nichts. Die deutschen Volkszugehörigen fremder Staatsangehörigkeit werden als ‚Volksdeutsche‘ bezeichnet.“ Vgl. Schmitz-Berning (2000), S. 651.

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Hitlerbewegung“ ermöglicht.159 Der dadurch vermittelte Führungsanspruch der AO für Volksdeutsche erzeugte einen Konflikt mit dem „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), der sich seit Jahrzehnten um Deutschstämmige im Ausland bemühte. Nachdem der VDA dadurch in Bedrängnis geraten war, wurde er von der SS übernommen, dessen Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) sich spätestens seit Kriegsbeginn ausschließlich um die „Volkstumspolitik“ kümmerte.160 Zahn könnte demnach nur der NSB während eines Aufenthaltes in den Niederlanden beigetreten sein. Die NSB des niederländischen Nationalsozialisten Anton Adriaan Mussert161 war eine vergleichsweise kleine, sehr bürgerliche und unpopuläre Partei. Der Wasserbauingenieur Mussert hatte sie 1931 zusammen mit dem Kanzleibeamten Cornelis van Geelkerken 1931 gegründet. Die höchste Mitgliederzahl erreichte die NSB 1936 mit 52.000. Danach schrumpfte die Zahl der Mitglieder wieder auf einen „festen und fanatischen Kern“.162 Zu Kriegsbeginn hatte sie gerade 30.000 Mitglieder und errang bei den letzten Wahlen vor der Okkupation nur 4% der Stimmen. Den größten Zuspruch erhielt die NSB in den Provinzen Limburg und Drenthe, wo Zahn aufgewachsen war. Zwei Drittel der Mitglieder lebten in den Provinzen Nord- und Südholland, vor allem in den großen Städten Amsterdam, Rotterdam und Den Haag. Auch in den Städten Utrecht und Groningen wählten überdurchschnittlich viele Menschen die NSB. Die Anhängerschaft der NSB kam aus dem städtischen Mittelstand und aus den Reihen der Freiberufler.163 Die deutsche Besatzungsmacht stützte sich aufgrund des geringen Einflusses nicht auf NSB-Mitglieder, sondern auf die beim Einmarsch bestehenden Verwaltungsorgane.164 Erst 1941 wurde mit der Gründung des „Secretarie van Staat“ (Staatssekretariat) eine Art Regierungsorgan geschaffen, mit dem die NSB an der Macht beteiligt wurde. Das Staatssekretariat wurde geleitet vom Verwaltungschef der NSB, Johan Herman Carp. Cornelis van Geelkerken wurde „Gemachtige van den Leider voor Openbare Orde en Binnenlandse Zaken“ (Bevollmächtigter des Leiters für öffentliche Ordnung und Sicherheit).165 Lediglich auf kommunaler Ebene erhielt die NSB durch die Ernennung von 152 neuen Bürgermeistern politische größere Gestaltungsmöglichkeiten. Hirschfeld sieht dennoch die NSB in der zweiten Kriegshälfte als „Tummelplatz zahlreicher Karrieristen und Opportunisten“. Diese genossen jedoch vor allem eher banale Vorteile wie die Befreiung von der Ablieferung von Fahrrädern und Radiogeräten, gelegentliche Bevorzugung bei der Verteilung rationierter Lebensmittel

159 160 161 162 163 164 165

Vgl. Jacobsen (1968a), S. 93–96. Müller (1997), S. 58–68. Vgl. auch Kwiet (1968), S. 72–78. Lademacher (1983), S. 356. Vgl. Lademacher (1983), S. 357. Vgl. Blom (1992), S. 99–100. Vgl. Romijn (1998), S. 108–109.

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und Heizmaterial, aber auch Schutz vor der Verrichtung von Zwangsarbeit in Deutschland.166 Der Eintritt in die NSB erfolgte für Gualtherus Zahn vermutlich nicht aus der Überlegung heraus, solche Vorteile zu erlangen oder sein berufliches Fortkommen zu erleichtern, sondern eher aus politischer Überzeugung. Dabei könnte auch der Kontakt zu seinem Verwandten, Cornelis Warnardus Zahn, eine Rolle gespielt haben.167 Der fast gleichaltrige Cornelis Zahn – er wurde 1893 in Utrecht geboren – war neben Gualtherus Zahn der einzige promovierte Akademiker im weiteren Familienkreis. Er hatte Chemie studiert und war 1924 an der Universität Utrecht promoviert worden. Während seines Studiums war er Mitglied der Studentenverbindung „Het Utrechtsch Studenten Corps“ und nahm als Leutnant der Artillerie am Ersten Weltkrieg teil.168 Seit Mitte der 1920er Jahre war er im Textilgewerbe tätig. 1940 wurde er Geschäftsführer der „Carps Garenfabrieken“ in Helmond. Er war Mitglied der NSB und verfügte über Kontakte zu führenden Vertretern der Partei, so auch zu Max Blokzijl sowie zu Vertretern der Besatzungsmacht.169 Als Gualtherus Zahn im Herbst 1940 nach Deutschland übersiedelte, blieb ihm neben dem Weiterbestehen dieser Mitgliedschaft in der NSB nur noch eine andere Möglichkeit, sich parteipolitisch zu engagieren: Er wurde im Dezember 1940 Mitglied des Bundes für niederländische Nationalsozialisten in Deutschland, des „Bond van Nederlandsche Nationaal Socialisten in Duitsland“,170 der Auslandsorganisation der NSB in Deutschland. 3.2.3. Zahn und die Naturheilkunde: Assistent bei Brauchle in Dresden Nach dem Examen blieb Zahn zunächst in Lausanne. In einer Vernehmung erklärte Zahn 1945, ihn habe eine Einladung zu einer wissenschaftlichen Tagung zur Tuberkulosebekämpfung in Deutschland erreicht, da dort bekannt geworden sei, dass er ein Medikament gegen Tuberkulose erfunden habe. Er soll ein Visum für neun Tage zur Einreise nach Deutschland erhalten haben, um an der Tagung teilzunehmen. In Deutschland angekommen, habe man bei einer Unterredung verlangt, er solle die Zusammensetzung seines Mittels zur Überprüfung Paul Uhlenhuth171 zur Verfügung stellen. Da er das Mittel selbst vermarkten wollte und 166 Vgl. Hirschfeld (1984), S. 179. 167 Cornelis Warnardus Zahn war ein Großcousin von Gualtherus Zahn. Er war der Sohn von Gerhard Paulus Zahn, eines Cousins von Gualtherus Zahn sen. 168 Het Utrechtsarchief, Mitteilung an die Verfasserin vom 6. August 2002. 169 Auskunft vom Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie vom 17. Dezember 2002 an die Verfasserin. Blokzijl war in der Presseabteilung des „Departement van Volksvoorlichting en Kunsten“ (Ministerium für Volksaufklärung und Künste) für die Gleichschaltung des Pressewesens zuständig. Vgl. Hirschfeld (1984), S. 79. 170 Gualtherus Zahn, Vernehmung vom 13. September 1945, Entnazifizierungsverfahren. 171 PAUL UHLENHUTH (1870–1957), Bakteriologe, Schüler von Robert Koch und Habilitand von Loeffler. 1906 bis 1911 war Uhlenhuth Direktor der Bakteriologischen Abteilung des Reichsgesundheitsamtes, 1911 bis 1918 war er Professor für Hygiene in Straßburg, 1923 übernahm er die Professur für Hygiene in Freiburg, die er bis 1935 inne hatte. Nach seiner

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

sich nicht zur Herausgabe der Rezeptur bereit erklärte, habe man ihm als Niederländer und damit Staatsangehörigen eines von Deutschland besetzten Landes die Ausreise verweigert. Es liegt jedoch nahe, dass die von ihm 1945 angesprochenen Repressionen eine Schutzbehauptung Zahns waren.172 Um die Zeit in Deutschland zu nutzen, habe er einen Kurs für Naturheilkunde bei Professor Brauchle in Dresden begonnen, so Zahn in seinem Entnazifizierungsverfahren. Am 1. November 1940 begann der nun mittlerweile 49jährige in der Tat, als Assistent von Brauchle am Rudolf-Heß-Krankenhaus in Dresden zu arbeiten.173 Da anzunehmen ist, dass seine Tätigkeit und Ausbildung dort großen Einfluss auf die Konzeption der Tuberkuloseversuche im Konzentrationslager Sachsenhausen hatte, ist es notwendig die Arbeit Alfred Brauchles und das Rudolf-Heß-Krankenhaus vorzustellen. Das auch als „Biologisches Zentralkrankenhaus“ bekannt gewordene RudolfHeß-Krankenhaus in Dresden war eines der Modellprojekte der von den Nationalsozialisten propagierten Neuen Deutschen Heilkunde.174 In den 1920er Jahren war es in weiten Teilen der Bevölkerung zu einem Vertrauensverlust in die Schulmedizin gekommen. Das war vor allem darauf zurückzuführen, dass zwar neue Diagnosemethoden entwickelt wurden, die es ermöglichten, Krankheiten zu erkennen, die Schulmedizin aber nicht in der Lage war, diese auch wirksam zu therapieren – so beispielsweise die Tuberkulose. Viele Menschen wandten sich deshalb der Naturheilkunde zu. Als Reaktion auf diese von Zeitgenossen als „Krise der Medizin“175 bezeichnete Situation sollte eine Synthese von Schulmedizin und Methoden der Naturheilkunde, die Neue Deutsche Heilkunde, entwickelt werden.176 Die Neue Deutsche Heilkunde sollte deutsch im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie sein, d. h. dass sie nicht nach objektiven Kriterien der Forschung auf internationale Standards bezogen sein musste und sich vornehmlich in die biologistische Volksgemeinschaftsideologie einzupassen hatte. Ein zentrales Element der nationalsozialistischen Gesundheitsführung wurde übernommen: auch in der Neuen Deutschen Heilkunde hatte das Individuum nicht das Recht auf den eigenen Körper und Gesundheit, sondern war lediglich Teil eines „Volksganzen“.177 Haug spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Umdrehung des individuellen Rechtes auf Gesundheit hin zu einer kollektiven Pflicht, sich gesund

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Emeritierung lehrte und forschte er dort bis 1957. Vgl. Eckart/Gradmann (2006), S. 326; Seidler (1991), S. 506. Nationaalarchief Den Haag, Centraal Archief Bijzondere Rechtspleging, accessnr. 02.09.09, 105534 (17888). Der Dienstantritt Zahns als Volontärassistent geht aus einer erhalten gebliebenen tabellarischen Aufstellung der sozialabgabenpflichtigen Beschäftigten hervor. Marina Lienert, Institut für Geschichte der Medizin der Technischen Universität Dresden, Mitteilung an die Verfasserin vom 7. November 2000. Vgl. Lienert (1998) sowie Haug (1985c). Klasen (1984). Vgl. zur Neuen Deutschen Heilkunde vor allem Haug (1985a) und Bothe (1991). Vgl. Haug (1985a), S. 51–52.

3.2. Experimentatoren im KZ Sachsenhausen: Die Brüder Zahn

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(somit arbeits- und wehrfähig) zu erhalten“.178 Träger der Neuen Deutschen Heilkunde sollte der „nationalsozialistische Volksarzt“ „mit seinem unmittelbaren Zugriff auf das Individuum in seiner Privatsphäre“ sein,179 der, so Bothe, die Verbreitung rassenhygienischen und erbbiologischen Gedankenguts befördern würde.180 Bereits im Juni 1934 konnte das Rudolf-Heß-Krankenhaus, das dieser neuen Richtung der Medizin dienen sollte, eröffnet werden. Für die nationalsozialistische Ärztezeitung „Ziel und Weg“ sollte es „kein Institut [sein], das trockene Kathederweisheiten verbreitet, auch keine Pflegestätte für Prinzipienreiterei, sondern eine Stätte lebendigen Schaffens, in der deutsche Ärzte neben ihrer fachwissenschaftlichen Ausbildung in der Universität die nötige weltanschauliche und biologische Ausbildung erhalten.“181 Der Reichsgesundheitsführer Gerhard Wagner182 äußerte sich in seiner Eröffnungsansprache bedauernd über die „Entfremdung zwischen Arzt und Volk“,183 die überwunden werden müsse. Das Rudolf-Heß-Krankenhaus ging aus dem 1932 aus wirtschaftlicher Not geschlossenen Stadtkrankenhaus Dresden-Johannstadt hervor. Aus der vormaligen Medizinischen Klinik wurde eine Innere Abteilung abgespalten.184 Dessen Leiter wurde Louis Ruyter Radcliffe Grote (1886-1960). Aus dem noch verbleibenden Teil wurden vier Abteilungen mit naturheilkundlicher Ausrichtung: eine Ernährungsabteilung, eine psychotherapeutische, eine Abteilung für allgemeine biologische Methoden und eine hydrotherapeutische Abteilung. „Ziel und Weg“ schrieb: „Dr. Wagner teilte dann weiter mit, daß für die Leitung dieser Abteilungen Männer berufen seien, die auf diesem Gebiete Bahnbrechendes geleistet haben und über Deutschlands Grenzen hinaus Ansehen genießen, wie Bircher-Benner und Ragnar Berg, außerdem Dr. Liek, dessen Name allein ein Programm bedeute.“185

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Haug (1982), S. 119. Haug (1985a) S. 65. Bothe (1991), S. 97. Feierlicher Akt im Rudolf Heß-Krankenhaus in Dresden (1934). GERHARD WAGNER (1888–1939) studierte Medizin und nahm 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil. 1919 ließ er sich nach der Approbation in München als Allgemeinmediziner und Frauenarzt nieder, außerdem trat er den Freikorps Epp und Oberland bei. Seit 1929 war Wagner Mitglied der NSDAP. Auf der Gründungsversammlung des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) im Jahre 1929 wurde er zu dessen Dritten Vorsitzenden gewählt. Von 1932 bis zu seinem Tod war er Vorsitzender des NSDÄB. Als Reichsärzteführer (seit 1933) und „Vertrauensmann der NSDAP für alle Fragen der Volksgesundheit“ im Stab des Stellvertreters des Führers hatte Wagner großen politischen Einfluss. Vgl. Zunke (1972) sowie Haug (1985a), S. 161. 183 Feierlicher Akt im Rudolf-Heß-Krankenhaus, S. 448. Weiter hieß es: „Wenn der deutsche Arzt auf dem so wichtigen Gebiet der Volksgesundheit Führer sein will, so ist die Voraussetzung dafür, daß Volk und Volksgenossen volles Vertrauen zu ihm haben. Die ärztliche Führung hat dafür zu sorgen, daß der Arzt die notwendige Weltanschauung und biologische Ausbildung erhält.“ Vgl. auch Deutsches Ärzteblatt 64 (1934), S. 605–608. 184 Vgl. Lienert (1998), S. 212 sowie S. 214. 185 Vgl. ebd, S. 216.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Aus der von Wagner vollmundig angekündigten Besetzung mit namhaften Naturheilkundeärzten wie Erwin Liek186 und Maximilian Bircher-Benner187 wurde jedoch nichts. Als Leiter der Hydrotherapeutischen Abteilung konnte schließlich Georg Hauffe (1872–1936) gewonnen werden. Leiter der Ernährungsabteilung wurde Werner Zabel (1894–1978). Die Abteilung für allgemeine biologische Methoden übernahm Alfred Brauchle. Brauchle (1898–1964) hatte sich einen guten Ruf als Arzt für Naturheilkunde und zuverlässiger Nationalsozialist erworben. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg von 1916 bis 1918 hatte er Medizin studiert und wurde 1924 mit einer Arbeit über „Persönliche Eigenart und Schizophrenie“ promoviert. Nach seiner Tätigkeit u.a. bei Franz Schönenberg in Berlin und im Priesnitz-Krankenhaus in Mahlow, dem ersten deutschen Krankenhaus für Naturheilkunde, war er ab 1929 dessen Nachfolger.188 Brauchle war seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP und seit 10. März 1939 des NSDÄB. 1939 habilitierte er sich und erhielt 1943 eine Professur für Innere Medizin. Im gleichen Jahr übernahm er die Leitung des Sanatoriums Glotterbad im Schwarzwald. Nach der Beendigung seines Entnazifizierungsverfahren zog sich Brauchle 1946, erst 48-jährig, ins Privatleben zurück, wurde jedoch 1949 noch einmal Chefarzt eines Sanatoriums im Schwarzwald.189 Nach dem Ausscheiden Zabels im Juni 1935 und dem Tod Hauffes 1936 vereinigte Brauchle die hydrotherapeutische und die Ernährungsabteilung mit der biologischen Abteilung zur naturheilkundlichen Klinik unter seiner Führung. Er arbeitete bis 1943 eng mit Grote zusammen. Im Frühjahr 1935 publizierten beide als Auftakt ihrer gemeinsamen Arbeit die „Gespräche über Schulmedizin und Naturheilkunde“, die zu einem grundlegenden Werk der Naturheilkunde wurden. Brauchle bezeichnete sich darin bereits als Leitender Arzt der Klinik für Naturheilkunde. Die gemeinsame Arbeit verband Brauchle und Grote auch, als Ende

186 ERWIN LIEK (1878–1935) war überzeugter Nationalsozialist, wenn er auch der NSDAP nicht beitrat. Er war einer der meistgelesenen Autoren zum Thema Medizin und Gesundheitswesen in der Weimarer Republik, der von führenden nationalsozialistischen Gesundheitspolitikern als „einer ihrer geistigen Väter betrachtet wurde“. Lieks wichtigstes Werk, „Der Arzt und seine Sendung. Gedanken eines Ketzers“, erschien erstmals 1925, erreichte bis zu seinem Tod zehn Auflagen und wurde in 26 Sprachen übersetzt. Liek propagierte das „wahre Arzttum“, zu dem ganz wesentlich Eugenik und Rassenhygiene gehörten. Zum Zeitpunkt des Eröffnung des Rudolf-Heß-Krankenhauses war er bereits schwer krank. Liek verfasste kurz vor seinem Tod den Aufsatz: Gedanken zum Rudolf-Heß-Krankenhaus, Liek (1936b). Vgl. Haug (1985a), S. 32–33; Schmiedebach (1989b); Schmid (1989), Warwas/Lohff (2002). 187 Die Berufung Maximilian-Oskar Bircher-Benner (1867–1939), der bereits zugesagt hatte, kam letztendlich wegen seines hohen Alters nicht zustande. Bircher-Benner soll durchaus im Vorfeld zur Übernahme der Aufgabe bereit gewesen sein. 188 Vgl. Sievert (1996), S. 117–119. 189 Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Uk-Pers., B 525; Deutsche Biographische Enzyklopädie (2002), Band 2, S. 76.

3.2. Experimentatoren im KZ Sachsenhausen: Die Brüder Zahn

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der 1930er Jahre die Neue Deutsche Heilkunde als überholt galt und lediglich eine Aufnahme von alternativen Methoden in die Schulmedizin erwünscht schien.190 Wesentlicher Teil von Brauchles Therapiekonzept war die Psychotherapie, von Brauchle als „Seelische Behandlung in der Gemeinschaft“ bezeichnet. Seiner Meinung nach spielten psychische Faktoren eine entscheidende Rolle für die Gesundung auch bei somatischen Erkrankungen.191 Brauchle wandte u.a. Techniken wie Hypnose und Massensuggestion192 an, die sehr umstritten waren. Der Begriff „Massensuggestion“ soll von Brauchle selbst verwandt worden sein. Nach 1945 wurde Brauchle die Ausübung der ärztlichen Praxis bis 1949 verboten, da man ihm insbesondere diese Veranstaltungen mit massensuggestivem Charakter anlastete. Trotz aller Anfeindungen durch bekannte Ärzte und Verfechter der Schulmedizin, wie Sauerbruch, war er sehr beliebt und pflegte zahlreiche Kontakte, so zur Radebeuler Pharmafirma Dr. Madaus, die sich auf Phytotherapeutika spezialisiert hatte.193 Die Geschäftsbeziehungen Brauchles zu Madaus in Radebeul benutzte Gualtherus Zahn wenig später selbst. Als Gualtherus Zahn im Herbst 1940 nach Dresden kam, hatte die Klinik für Naturheilkunde etwa 250 Betten. Sie war neben dem normalen Klinikbetrieb auch eine Fortbildungseinrichtung für Ärzte und Krankenschwestern. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Zahn als Voluntärassistent in den normalen Klinikalltag integriert war. Möglicherweise diente ihm die Arbeit auf Brauchles so genannter „Gemeinschaftsstation“ als Vorbild für die wenige Wochen darauf von ihm organisierten Versuche. Brauchle schrieb über das Problem der Nachweisbarkeit der Wirksamkeit naturheilkundlicher Verfahren in der Praxis, vor dem bald auch Zahn stehen sollte, folgendes: „Unklar war besonders, wie sich die praktische Arbeit und Prüfung am Krankenbett vollziehen sollte. Das ist nämlich viel schwieriger, als es den Anschein hat. Es konnte nicht darauf ankommen, sich gegenseitig die geheilten und mißlungenen Fälle zu zeigen und schließlich die Schlußbilanz daraus zu ziehen. Da half uns [Brauchle und Grote, d. Verf.] eine glückliche Idee: wir erfanden die ‚Gemeinschaftsstation‘ mit etwa 30 Betten, die zur Klinik für Naturheilkunde gehörte und wahllos mit den Eingängen des Tages belegt wurde. [...] Die Behandlung wurde von mir und meinen Assistenten rein naturheilkundlich durchgeführt, während Professor Grote mit einem Assistenten seiner Klinik, also einem Facharzt für innere Krankheiten, die Kontrolle ausübte. Die beiden Chefärzte machten gemeinsam jede Woche zweimal Visite, während die Krankenblätter von beiden Assistenten peinlich genau geführt wurden, mit gemeinsamem oder getrenntem Abschlußbericht.“194

Während seiner Tätigkeit in Brauchles Abteilung lernte Gualtherus Zahn Anfang Januar 1941 Heinrich Himmlers Masseur, Felix Kersten, kennen. Zahns Begegnung mit Kersten muss als eines der zentralen Ereignisse für das Zustandekommen der Zahn‘schen Tbc-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen ange190 191 192 193 194

Vgl. Sievert (1996), S. 177–192. Vgl. Buchner (2002). Ebd., S. 100–101. Vgl. Lienert (1998), S. 219–220. Brauchle (1949), S. 402. Noch in seinem Nachruf wurde betont, dass die Ergebnisse Brauchles und Grotes „allen Anforderungen wissenschaftlicher Exaktheit“ entsprachen. Schlevogt (1965).

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

sehen werden, denn Kersten stellte innerhalb kürzester Zeit den direkten Kontakt zwischen Gualtherus und Herman Zahn und Himmler her. Kersten gehört somit zu den wichtigsten Personen im Vorfeld der Versuche.

3.3.4. Heß „magnethopatisch“ behandeln: Zahn und Kersten in Dresden Felix Kersten wurde am 30. September 1898 in Dorpat in Estland geboren. Seine Eltern stammten aus der Mark Brandenburg. Der Vater, Friedrich Ferdinand Kersten, nahm als Soldat am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 teil und verließ danach Preußen, um als Gutsverwalter das Gut Lunia bei Dorpat zu übernehmen.195 Die Familie Kersten verfügte über bemerkenswerte gesellschaftliche Verbindungen: Kerstens Taufpaten waren der russische Staatsminister Eduard de Livron, der Leibarzt des russischen Zaren Alexander Westenberg und der Präsident der französischen Republik, Felix Fauré. Kersten besuchte eine Vorbereitungsschule und das Gymnasium, das er mit dem Einjährigen abschloss. Anschließend absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung in Holstein und arbeitete u.a. in Ueltzen bei Lüneburg als Gutsverwalter.196 1918 kehrte Felix Kersten nach Dorpat zurück und trat kurz darauf in die finnische Armee ein. Finnland und Estland setzten sich zu dieser Zeit gegen die Besetzung durch russische Truppen zur Wehr. Während es Finnland gelang, seine Eigenständigkeit zu behalten, besetzte die russische Armee nach Abschluss des Friedensvertrages von Brest-Litowsk Estland. Kersten, der in Finnland und auch in Estland gekämpft hatte, verließ die Armee als Leutnant und nahm die finnische Staatsangehörigkeit an.197 Da das Gut seines Vaters enteignet worden war und sein Gesundheitszustand nach einer schweren Erkrankung eine Arbeit in der Landwirtschaft nicht gestattete, war Kersten gezwungen, einen anderen Beruf zu erlernen. Angeregt durch einen Lazarettarzt im finnischen Helsingfors begann er eine Ausbildung als Masseur, die er durch Gelegenheitsarbeiten als Hafenarbeiter und Tellerwäscher finanzierte und nach zwei Jahren mit einem Diplom beendete. Kersten reiste nach Deutschland, um seine medizinische Ausbildung fortzusetzen. In Berlin zog er zunächst zu Freunden der Familie, der Witwe Johanna Lüben und ihrer Tochter Elisabeth. Durch Vermittlung von Wilhelm Ostwald198 konnte Kersten Vorlesungen an den Universitäten Leipzig und Berlin, u.a. in Anatomie bei August Bier,199

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BArchB, ehemals BDC, RS, Felix Kersten. Vgl. Besgen (1960), S. 15. Vgl. ebenda, S. 16. WILHELM OSTWALD (1853–1932) war Chemiker, Physiker und Philosoph. 1888 entdeckte er das nach ihm benannte Verdünnungsgesetz. Für seine Forschungen zu katalytischen Prozessen sowie zu chemischen Gleichgewichtsverhältnissen und Reaktionsgeschwindigkeiten erhielt er 1909 den Nobelpreis für Chemie. 199 AUGUST BIER (1861–1949) studierte 1881 bis 1886 Medizin in Berlin, Leipzig und Kiel. 1888 Promotion, 1894 Extraordinarius und stellvertretender Direktor der Chirurgischen Klinik in Kiel, 1899 Ordinarius in Greifswald, 1903 Berufung nach Bonn. Während des

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hören. Im Hause von Bier lernte Kersten den chinesischen Arzt Ko kennen. Neben dem Studium an der Berliner Universität ließ sich Kersten von Ko in die chinesische Medizin, insbesondere in die Akupressur, einführen. Als Ko 1925 Berlin verließ, um nach Tibet zurückzukehren, übernahm Kersten dessen Praxis und einen Teil der Patienten. Unterstützt durch Elisabeth Lüben erlangte er zunehmende Bekanntheit in der Berliner Gesellschaft. Nachdem Kersten in den frühen 1920er Jahren gelegentlich finanzielle Probleme hatte, war es ihm nun möglich, großzügige Wohnungen, zunächst in der Schnakenburgstraße in Berlin-Friedenau, später am Rüdesheimer Platz in Berlin-Wilmersdorf zu beziehen. Zu seinen Patientenbesuchen ließ er sich in einer Limousine von einem Chauffeur fahren.200 Nicht nur seine großen Fähigkeiten als Heilpraktiker, sondern auch seine Ausstrahlung und Autorität beeindruckten seine Patienten. Einer seiner Patienten, Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg, empfahl Kersten bei seinem Bruder, Prinz Heinrich der Niederlande, Ehemann der Königin Wilhelmina. Diese verlieh Kersten 1928, nachdem er den Prinzen Heinrich erfolgreich behandelt hatte, den Titel eines Leibarztes und ermöglichte ihm die Eröffnung einer Privatpraxis in Den Haag. Die Praxis in Berlin betrieb Kersten mehrere Monate im Jahr weiter. Sein Einkommen aus der Tätigkeit in Deutschland erlaubte ihm 1934, das Gut Hartzwalde bei Ruppin zu erwerben. „Wegen der Schwierigkeiten der Devisenüberweisung legte er das in Deutschland erworbene Kapital“ auf diese Weise an, so der Kersten-Biograph Besgen.201 Kersten verstand sich nicht als Masseur oder Physiotherapeut, sondern als Arzt. Aufgrund seiner Ausbildung war es ihm jedoch nicht möglich, eine ärztliche Approbation zu erlangen, obwohl er großes Interesse daran hatte. Das am 17. Februar 1939 in Deutschland erlassene Heilpraktikergesetz eröffnete ihm neue Perspektiven.202 Ebenfalls zu dieser Zeit, im Winter 1939, vergrößerte sich der Patientenkreis Kerstens um eine weitere wichtige Persönlichkeit, die seine berufliche Entwicklung stark beeinflusste: Heinrich Himmler. Der Kontakt wurde durch August Diehn,203 Generaldirektor der Deutschen Kalisyndikat GmbH, und August Rosterg,204 Mitbegründer und Generaldirektor der Wintershall AG, hergestellt.

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Ersten Weltkriegs Obergeneralarzt. Seit Mitte der 1920er Jahre Eintreten für die Homöopathie. Vgl. Winau (1987). Vgl. Waller (2002), S. 10. Besgen (1960), S. 20. Vgl. Besgen (1960), S. 21. AUGUST DIEHN (*1874), Generaldirektor, Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Deutschen Kalisyndikat GmbH, arbeitete nach kaufmännischer Ausbildung und verschiedenen Tätigkeiten in den Kolonien für das größte deutsche Handelshaus in Singapore. Internierung durch britische Besatzungsmacht während des britisch-hinterindischen Kriegs in Singapore, Flucht, Tätigkeit als Direktor einer deutsch-niederländischen Export- und Importgesellschaft, ab 1924 Auslandsdirektor des Deutschen Kalisyndikats, ab 1925 deren Generaldirektor. AUGUST ROSTERG (1870–1945) war seit 1913 Generaldirektor der Wintershall AG, Vorstandsmitglied der Kali-Bank AG Kassel und der Rheinisch-Westfälischen Börse, Aufsichtsratsvorsitzender der Chemikalien AG Berlin, der Thüringer Erdöl AG Sondershausen, der Deutschen Kalisyndikat GmbH Berlin und Aufsichtsratsmitglied zahlreicher anderer Unter-

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Diehn und Rosterg baten Kersten, Himmler zu behandeln. Kersten willigte ein und suchte ihn am 10. März 1939 zum ersten Mal in seinem Büro auf.205 Der schnell einsetzende Behandlungserfolg beeindruckte Himmler sehr. Als Himmler ab Herbst 1939 häufiger Reisen in die besetzen Gebiete unternahm, auf denen er von Kersten begleitet werden wollte, wurde es für Kersten schwieriger, die Behandlung Himmlers und die der anderen Patienten zu koordinieren. Zugleich wurde das Verhältnis zwischen Himmler und Kersten intensiver, ein Umstand, der bei verschiedenen Politikern großes Mißtrauen hervorrief. Kersten war sich, wie aus verschiedenen Briefen hervorgeht, seines besonderen Einflusses auf Himmler durchaus bewusst. Unterstützt von Himmler bemühte er sich zugleich um seine berufliche Anerkennung. Den zur Approbation notwendigen Praxisnachweis erbrachte er im Rudolf-Heß-Krankenhaus in Dresden. Dort wurde Kersten von Josef Grunwald, Ministerialrat im Reichsministerium des Innern,206 im Auftrage von Leonardo Conti am 2. Januar 1941 eingeführt.207 Gemeinsam mit Zahn behandelte er Rudolf Heß vor seinem Flug nach England.208 Nach dem England-Flug ermittelte die Gestapo im ehemaligen Umfeld von Heß und stieß dabei auf Felix Kersten und Gualtherus Zahn, von dem es in den Ermittlungsakten heißt, er sei ein „holländischer Professor“, der Heß „magnethopatisch“ [sic] behandelt habe. Weiter heißt es in dem Bericht: „Der V.-Mann äußerte deshalb den Verdacht, daß Heß dem hypnotischen Einfluß dieses Mannes unterlegen sein könnte“, eine Vermutung, die eher auf Kersten als auf Zahn hätte passen können. In der Ermittlung der Gestapo schien jedoch keine eindeutige Klarheit darüber zu bestehen, ob Kersten, Zahn oder beide gemeinsam Heß behandelten. Angaben zum beruflichen Werdegang beider wurden in den Ermittlungsunterlagen verwechselt.209 Walter Schellenberg schrieb über die Ermittlung in seinen Memoiren: „Nun überstürzten sich die Exekutivanweisungen Hitlers. Müller war dabei ganz in seinem Element. Er konnte auf der ganzen Klaviatur seines Apparates herumspielen und sparte nicht, von seinen Vollmachten ausgiebig Gebrauch zu machen. Vom Adjutanten über seine Freunde

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nehmen der Kaliindustrie. Rosterg war außerdem Mitglied des Freundeskreises Heinrich Himmler. Vgl. hierzu auch Vogelsang (1972). Vgl. Besgen (1960), S. 21. JOSEF GRUNWALD (*1895), Arzt, geboren als Sohn eines Lehrers in Samplatten in Ostpreußen, Abitur 1913 in Braunsberg in Ostpreußen, Studium der Medizin in München, dann in Berlin. Approbation 1920 in Berlin, ab 1. Januar 1921 Volontärassistent im Städtischen Krankenhaus Charlottenburg-Westend, ab 15. Juni 1921 Assistenzarzt am Krankenhaus Nordend in Berlin-Niederschönhausen. Vgl. Grunwald (1921). BArchZwADH, ZB I/904. Heß, der „Stellvertreter des Führers“, flog am 10. Mai 1941 mit einem Jagdflugzeug nach Schottland, wo er etwa 20 km vom Wohnsitz des Duke of Hamilton entfernt mit dem Fallschirm absprang. Heß hoffte, mit dessen Hilfe die britische Regierung überzeugen zu können, dass Deutschland nicht die Absicht habe, gegen Großbritannien Krieg zu führen. Zu seiner Überraschung wurde er jedoch festgenommen und als Kriegsgefangener inhaftiert. Vgl. Schmidt (1997); Orlow (1999), S. 91–93. BArchZwADH, ZB I/904.

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bis zum Chauffeur des ehemaligen Stellvertreters Hitlers wurden alle verhaftet. Am liebsten hätte Müller noch das gesamte Flugplatzpersonal sowie die technischen Direktoren der Flugzeugfirma Messerschmitt eingesperrt, da Heß mit einer Messerschmitt-Maschine geflogen war. Und wenngleich er sich auf einen kleineren Rahmen beschränkte, so ergriff seine Verhaftungswelle dennoch viele, die nicht im entferntesten daran gedacht hatten, in diesen Fall einbezogen zu werden. Berichten des Inlandsnachrichtendienstes zufolge sollte Heß ein ‚stiller Förderer‘ und Anhänger des Anthroposophen Rudolf Steiner gewesen sein. Prompt wurden denn auch aus diesen Kreisen zahlreiche Menschen in Haft genommen. Doch nicht genug damit – Berichte ergaben weiterhin, daß Heß ständige Beziehungen zu Astrologen, Hellsehern, Magnetopathen [sic] sowie Naturheilkundigen gepflegt und seinen Flug auf Grund astrologischer Ratschläge berechnet habe. Daraufhin wurde Müllers Kollektivhaftung auch auf diese Gruppen ausgedehnt.“210

Schellenberg berichtete ausführlich darüber, wie ihm Himmler nach Heydrichs Tod in einem Gespräch empfahl, sich von Kersten behandeln zu lassen. Kersten soll Schellenberg bis dahin gänzlich unbekannt gewesen sein.211 Im August 1942 besuchte Schellenberg mit Kersten im Gefolge Himmlers Shitomir. Bei dieser Gelegenheit sollen Kersten und er angeblich übereingekommen sein, Himmler zu einer Beendigung des Krieges zu überreden.212 3.2.5. Himmler: „Dr. Zahn alles Notwendige zur Verfügung stellen“ Felix Kersten verließ Dresden bereits am 8. Januar 1941 wieder, um nach Berlin zurückzukehren.213 Die Behandlung von Heß muß demnach in der Zeit vom 2. bis 8. Januar 1941 stattgefunden haben. Zahn hatte Kersten wahrscheinlich während dieser sechs Tage dauernden gemeinsamen Tätigkeit vom „Zahn‘schen Inhalat“, dem Tuberkulosemittel, das sein Bruder Herman in China erworben hatte, erzählt, denn Kersten vermittelte einen Besuch Gualtherus Zahns bei Himmler. Zu Zahn und Kersten gab Brauchles Assistenzärztin Gerda Zimmermann bei einer Vernehmung durch die Gestapo Dresden an, Zahn sei etwa 14 Tage nach Kerstens Rückkehr nach Berlin ebenfalls dorthin „abberufen“ worden, wo er „eine Unterredung mit dem Reichsführer-SS Himmler hatte“. Zahn selbst habe ihr dies bei einem späteren Besuch erzählt. „Die Abberufung erfolgte auf Vermittlung von Felix Kersten. Soviel ich weiß, führt Dr. Zahn im Konzentrationslager Oranienburg Versuche mit einem ihm im Auslande bekannt gewordenen Mittel gegen Tuberkulose durch“, so Zimmermann im Protokoll der Gestapo.214 Das Gespräch mit Heinrich Himmler fand am Freitag, den 24. Januar 1941, statt. Um 11.30 Uhr erschienen Gualtherus Zahn und Felix Kersten bei Himmler 210 Schellenberg (1979), S. 159–160. WALTER SCHELLENBERG (1910–1952), Jurist, enger Mitarbeiter Heydrichs, seit 1940 Chef der Abwehr (Gruppe IV E des RSHA), seit Ende 1941 Chef des SD Ausland (Amt VI), nach dem Überfall auf Polen Verbindungsoffizier der SS zum OKH. Vgl. Wildt (2002), S. 262–263, S. 349; Browder (2000). 211 Schellenberg (1979), S. 262. 212 Schellenberg (1979), S. 276–279. 213 BArchZwADH, ZB I/904. 214 Ebenda.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

und sprachen mit ihm bis etwa 12 Uhr. Danach kam Brandt zum Postvortrag.214 Himmler wies ihn an, sich um die Durchführung von Versuchen zu kümmern, denn dieser vermerkte hierzu in seinem Dienstkalender für die Zeit von 14 bis 15 Uhr

„Anweisung zur Prüfung eines Tuberkulose-Mittels des Herrn Dr. Zahn“

15 bis 16 Uhr 16 bis 17 Uhr 17 Uhr

„Dr. Zahn (Ausführung seines Planes)“ „Dr. Grawitz soll Dr. Zahn alles Notwendige zur Verfügung stellen“ „Suchanek (Heranholen des Bruders des Herrn Dr. Zahn)“.215

Ursprünglich, so Zahn, habe man ihm vorgeschlagen, die Versuche in einem Sanatorium in Bayern durchzuführen, doch habe es keinen geeigneten Platz mehr gegeben.216 Dass Himmler an Versuche in einem Sanatorium dachte, ist unwahrscheinlich. Nahe liegender wäre jedoch die Vermutung, Himmler wollte die Versuche Zahns mit den Dachauer Versuchen verknüpfen, die genau zu dieser Zeit begannen. 3.3. DER ORT DER VERSUCHE: DAS KRANKENREVIER 3.3.1. Funktionen des Krankenreviers Das Krankenrevier war nach dem von Theodor Eicke entwickelten „Dachauer Modell“ eine von fünf Lagerabteilungen der Konzentrationslager. Ihm stand der Erste Lagerarzt bzw. Standortarzt vor. Dessen Disziplinarvorgesetzter war der Kommandant, sein Fachvorgesetzter der Leitende Arzt der IKL und ab März 1942 der Leiter des Amtes D III (Sanitätswesen und Lagerhygiene). Nach dem Dachauer Modell wurden die zwischen 1936 und 1939 errichteten Lager Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen und Ravensbrück strukturiert.217 Zu den wichtigsten Funktionen des Krankenreviers gehörten die medizinische Versorgung der Häftlinge zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, Seuchenbekämpfung, Selektion und „Euthanasie“, die Durchführung medizinischer Versuche, die Vollstreckung von Urteilen der Erbgesundheitsgerichte mit der Vornahme von Kastrationen und Sterilisationen. Es war außerdem Teil des „Vorzeigelagers“ für Propagandazwecke und für die Unterbringung so genannter „Sonderhäftlinge“.218 Die Kranken meldeten sich oft selbst bei der Ambulanz, auf medizinische Behandlung hoffend. Der SS bot sich dadurch die Möglichkeit, diese kranken Häftlinge auszusondern. Weit über die Erfordernisse einer angenommenen Seuchenbe214 Vgl. Dienstkalender, S. 112; zur Biografie Zahns ebenda, S. 730. 215 BArchB NS 19/3957, Bl. 24. WILLY SUCHANEK (*1905) bis 1936 Adjutant Heydrichs, Verbindungsoffizier des Hauptamtes Ordnungspolizei zum Reichsführer-SS, Polizeiadjutant Himmlers. 216 Gualtherus Zahn, Vernehmung vom 10. August 1946, Entnazifizierungsverfahren. 217 Vgl. Broszat (1994), S. 420–432, Orth (1999), S. 27–30 sowie Tuchel (1998). 218 Vgl. Ley (2006b).

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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kämpfung hinaus konnte es so zur Selektion von Kranken, von nicht mehr Arbeitsfähigen und von rassisch Verfolgten genutzt werden. Das Krankenrevier war ein Raum der Erniedrigung, Misshandlung und Ermordung, eine Funktion, die besonders perfide war, da im Verständnis der Häftlinge das Krankenrevier als Krankenhaus Zuflucht und Hilfe bei Krankheit und Tod bieten sollte und die Rolle des Arztes die des Helfenden und nicht die des Mörders ist. Bereits in den frühen Konzentrationslagern gab es einfache Krankenreviere zur medizinischen Versorgung von Häftlingen, die erkrankten, verunglückten oder misshandelt worden waren.219 Oft wurden Häftlinge durch unterlassene medizinische Hilfe gezielt getötet, weil mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden konnte. Eine häufige Methode der Tötung war das so genannte „Abspritzen“, bei dem den Opfern eine Überdosis Medikamente injiziert wurde. Die Qualität der medizinischen Versorgung schwankte stark. In der ersten Phase der Lagerentwicklung 1936–1938/39 füllte sich das Lager mit deutschen Häftlingen verschiedener Häftlingsgruppen, die von Mithäftlingen in der Funktion von Pflegern und anderen Hilfskräften versorgt wurden. Mit Kriegsbeginn wurden viele ausländische Häftlinge aller Nationen ins Lager eingeliefert. Ausländische Häftlinge, die deutsch sprachen, wurden zunächst nur in geringer Zahl beschäftigt. Mit der Zunahme der Häftlingszahlen sank das Niveau der medizinischen Versorgung, wurde jedoch mit der Forderung nach mehr leistungsfähigen Arbeitskräften 1942/43 geringfügig verbessert und brach schließlich zu Kriegsende bei völliger Überfüllung des Lagers für die meisten Häftlinge zusammen. Seit der Einrichtung 1936 bis zur Mitte des Krieges wurde das Krankenrevier auch „Häftlingsrevier“ oder nur „Revier“ genannt. Der Begriff „Revier“ entstammt dem militärischen Sprachgebrauch und bezeichnet einen Raum zur Versorgung Kranker innerhalb einer Kaserne.220 Der Anfang 1943 eingesetzte Standortarzt Heinrich Baumkötter führte die Bezeichnung „Krankenbau“ ein. Das Revier wurde jedoch von Häftlingen in ihren Erinnerungsberichten sowohl als „Krankenbau“, „Krankenrevier“, „Häftlingsrevier“ oder einfach als „Revier“ bezeichnet, unabhängig davon, um welchen Zeitraum es sich bei den beschriebenen Ereignissen handelte. In dieser Studie wird in der Regel der Begriff „Krankenrevier“ verwendet.221 Das Krankenrevier Sachsenhausen, wie die Reviere aller großen Lager, wurde zu medizinischen Versuchen genutzt. Für Sachsenhausen lässt sich eine Vielzahl von Versuchskomplexen belegen, die in Zeitzeugenberichten und Archivmaterial Erwähnung finden. Dabei dürfte nahezu die gesamte Bandbreite der von Gerhard Baader genannten Versuchsfelder medizinischer Forschung vertreten gewesen sein: experimentelle Vererbungswissenschaft, experimentelle Physiologie und 219 Vgl. Drobisch (2001). 220 Vgl. Gabriel (2000b), S. 13. 221 Naujoks (1987), passim; Max Geißler, Aussage von 11. November 1956, StA Münster Nr. 390, Band 9, Bl. 173; Schirdewan (1998), S. 162, ebenso Thierhoff, Aussage vom 29. November 1956, StA Münster Nr. 390, Band 9, Bl. 124; Ludwig Eisermann, Sachsenhausen, Häftlingsrevier 1936–1939, unveröffentlichter Bericht vom 22. Juli 1977, AS R 55/10.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Serologie sowie Arzneimittelerprobungen.222 Eine ganze Reihe der Versuche war eng mit Fragestellungen der wehrwissenschaftlichen Zweckforschung verbunden.223 Stellvertretend für viele sollen hier nur genannt werden: Versuche mit Pervitin zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Versuche mit Gerbsäure zur Behandlung von Darmerkrankungen,224 Hepatitisversuche an jüdischen Kindern,225 Versuche mit Impfstoffen gegen Fleckfieber226 und die im folgenden Kapitel eingehend beschriebene Erprobung eines Wirkstoffs gegen Tuberkulose durch die Brüder Zahn. Außerdem fand in Sachsenhausen die Erprobung von Tötungsmitteln in Form von vergifteter Munition durch den Chemiker Albert Widmann im Auftrag des RKPA im September 1944 statt, ein Versuch, der ausschließlich einer wehrtechnischen und keiner medizinischen Fragestellung folgte.227 Möglicherweise kamen auch Ärzte und Medizinstudenten zum Zwecke der Ausbildung ins Sachsenhausener Krankenrevier. Von den dort regulär eingesetzten Ärzten übten sich einige in neuen, ihnen unbekannten Operationstechniken.228 Häftlinge, die unter „rassekundlichen“ Gesichtspunkten interessant erschienen wie Sinti und Roma und jüdische Häftlinge229 sowie solche mit anatomischen Besonderheiten wurden untersucht und vermessen. Einige von ihnen wurden getötet, um eine Skelett- und Präparatesammlung anzulegen. Häftlinge wurden kastriert und sterilisiert,230 Homosexuelle, aber auch heterosexuelle Häftlinge im Krankenrevier verstümmelt.231 Dabei handelte es sich nicht nur um Sterilisationen, die Versuchscharakter hatten, sondern auch um solche, die Beschlüssen des Erbgesundheitsgerichts folgten, wie zwischen 1938 und 1942 im Falle mehrerer so genannter „BVer“ (Befristeter Vorbeugehäftlinge) wegen angeblich „angeborenen Schwachsinns“.232 Viele homosexuelle und heterosexuelle Häftlinge, die wegen sexueller Delikte wie Vergewaltigung oder Verführung Minderjähriger in Haft waren, wurden kastriert.233 222 223 224 225 226 227 228

229 230 231 232 233

Vgl. Baader (1988a). Vgl. Kopke/Schultz (2001). Vgl. Bericht des ehemaligen Häftlings Bruno Meyer, AS LAG V/6. Vgl. Leyendecker/Klapp (1989), Oren-Hornfeld (2003) und (2005). Vgl. Wunderlich (1997), S. 45. Urteil gegen Albert Widmann, 8 Ks 1/61, LG Düsseldorf, in: Justiz und NS-Verbrechen, Band XVIII, S. 687–714. So beispielsweise HEINRICH RINDFLEISCH (1916–1969), Arzt, geboren in Straßburg, aufgewachsen in Berlin, Studium seit 1935 an der Berliner Universität, 1942 Approbation. Promotion an der Chirurgischen Universitätsklinik bei Werner Haase, Hitlers zweitem Begleitarzt, seit Mai 1942 Lagerarzt in Sachsenhausen, danach in Ravensbrück, Majdanek und Groß Rosen. Vgl. Zegarski (1984), Pukrop (2007), Winau (2001b). Himmler an Prof. Dr. Fischer, Leiter der serologischen Abt. des Robert-Koch-Instituts: bewilligt im Schreiben vom 15. Mai 1942, Untersuchung serologischer Rasseunterschiede, AS LAG XXIII/9. Fritz Bringmann, Bericht, AS R 48/17, S. 8. Vgl. Müller (2000), S. 286. Dokumentensammlung Entmannung und Unfruchtbarmachung von Häftlingen des KZ Sachsenhausen, AS R 215, M 59, Bd. III; vgl. Hax (2005). Vgl. Müller (2000), S. 285–286.

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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Die Krankenreviere waren zudem Teil der von der Propaganda genutzten Besichtigungen der Lager. Sachsenhausen war mit seinem Krankenrevier ein „Vorzeigelager“. Die Beobachtung der Geschehnisse im Lager durch die Öffentlichkeit bot jedoch kaum Schutz vor unmenschlicher Behandlung. Delegationen aus dem In- und Ausland, militärische Experten und Gruppen von Vertretern staatlicher Institutionen, ja sogar ausländische Journalisten besuchten das „Vorzeigelager“ Sachsenhausen.234 Dabei führte ihr Rundgang auf genau festgelegten Wegen durch das Lager. Neben Wäscherei, Bad, Küche, Bekleidungsund Effektenkammer, Gärtnerei und Schweinestall konnten die Besucher das Krankenrevier besichtigen.235 Der medizinische Standard entsprach durchaus dem eines normalen deutschen Krankenhauses. Der „Krankenbau war mit den modernsten Therapie- und Operationseinrichtungen versehen“, hieß es in einem 1945 von überlebenden Häftlingen unter der Leitung von Hellmut Bock geschriebenen Bericht.236 Die bauliche und technische Ausstattung sowie die gepflegten Außenanlagen beeindruckten die Besucher sichtlich. Insbesondere die Revierbaracken I und II waren für die Besichtigungen hergerichtet. Sie waren mit einer Zentralheizung, Bädern und teilweise mit Parkettfußböden ausgestattet. Die Pathologie mit dem Leichenkeller und das erst im letzten Jahr vor Kriegsende errichtete Bordell wurden hingegen bei Besichtigungen gemieden. Die Führungen durch das Lager fanden noch bis 1944 statt.237 Wegen der erheblichen Sicherheitsvorkehrungen des Lagers einerseits und der verhältnismäßig guten Ausstattung des Krankenreviers andererseits bot es die Möglichkeit, hier so genannte „Sonderhäftlinge“ unterzubringen: Personen, die besonders bewacht werden sollten und gleichzeitig der medizinischen Versorgung eines normalen Krankenhauses bedurften. Die wohl bekannteste und größte Gruppe unter ihnen war die der am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 beteiligten Regimegegner. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen war das zentrale Haftlazarett für die inhaftierten Mitglieder dieses Widerstandskreises.238 Sofern diese erkrankt, durch Suizidversuche oder Folter verletzt waren und ihre Vernehmungen nicht ohne weiteres im Polizeikrankenhaus in Berlin hatten erfolgen können, wurden sie nach Sachsenhausen verlegt. Das Lager Sachsenhausen hatte den Vorzug, sowohl eine gut gegen Flucht- und Befreiungsversuche gesicherte Haftstätte zu sein, als auch eine ausreichende medizinische Versorgung zu ermöglichen. Aber auch vor der Zeit der Häftlinge des 20. Juli hat es im Krankenrevier des KZ Sachsenhausen immer wieder so genannte „Sonderhäftlinge“ gegeben. Viele Inhaftierte, die als bekannt galten, wurden einfach ins Lager eingewiesen und gelangten dann in den Krankenbau. Dort blieben sie als Patienten oder wurden Häftlingspfleger. Prominente Beispiele dafür sind der Bruder des ägyptischen Prinzen Fa234 Vgl. Damals in Sachsenhausen (1967), S. 35, Meyer (1999b) sowieLey/Morsch (2007), S. 379–393. 235 Vgl. Naujoks (1987), S. 83–86 sowie Wein (2005). 236 Hellmut Bock et al., Bericht über das KZ Sachsenhausen v. 31. Mai 1945, AS LAG II, S. 3. 237 Emilio Büge, Bericht, AS LAG V/3. 238 Vgl. Meyer (1999a), passim.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

ruk, der ehemalige spanische Ministerpräsident Largo Caballero239 und Fürst Ernst von Hohenberg.240 Nach der Eingliederung der IKL in das WVHA wurde 1942 Anton Kaindl Kommandant des Lagers Sachsenhausen. Als Erster Standortarzt wurde Heinrich Baumkötter eingesetzt. Möglicherweise haben sich dadurch die Arbeitsbedingungen, nicht aber die medizinische Versorgung und Behandlung der Häftlinge verbessert.241 Aufgrund der zunehmenden Knappheit verfügbarer Arbeitskräfte im Deutschen Reich gewann die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, auch der Häftlinge in den Konzentrationslagern, an Bedeutung für die Volkswirtschaft. Überlebende Häftlinge berichteten jedoch, dass dadurch die Ausbeutung am Arbeitsplatz und die Gewalt seitens der SS zunahmen. Dies galt allerdings nicht für alle Häftlinge gleichermaßen. Spätestens ab 1939 reichten die Kapazitäten für die medizinische Behandlung nicht mehr aus. In den während des Krieges in großer Zahl errichteten kleinen Lagern, insbesondere in weiter vom Stammlager entfernten Außenlagern, gab es kaum Hilfe für Kranke. Menschen aus den von Deutschland besetzten Gebieten, vor allem Osteuropas, wurden massenhaft in die Lager eingeliefert. Dieser Umstand trug zur Verbreitung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Fleckfieber und Abdominaltyphus bei, die in Polen und der Sowjetunion, verglichen mit Deutschland, erheblich häufiger auftraten und mit deren Bekämpfung die SS-Ärzte überfordert waren.242 Ganze Gruppen von Häftlingen wie beispielsweise sowjetische Kriegsgefangene und jüdische Häftlinge, wurden aus rassischen Gründen von einer medizinischen Versorgung generell ausgeschlossen. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion kamen tausende Kriegsgefangene in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Etwa 11.000 von ihnen wurden im Herbst 1941 in einer Erschießungsaktion innerhalb weniger Wochen umgebracht. Wie in anderen Konzentrationslagern brach durch die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Unterbringung der sowjetischen Kriegsgefangenen in Sachsenhausen eine Fleckfieberepidemie aus. Das Häftlingsrevier erhielt dadurch zunehmende Bedeutung bei der Bekämpfung von Seuchen. SS-Angehörige, die sich an den Erschießungen der Kriegsgefangenen beteiligten, infizierten sich mit Fleckfieber und starben. Der polnische Historiker Aleksander Lasik geht davon aus, dass die Krankenreviere in erster Linie zum Schutz der Gesundheit der SS errichtet wurden. Das Ausbrechen von Epidemien sollte so rechtzeitig erkannt und eine Infektion der SS-Angehörigen verhin-

239 Vgl. Bennecker (o.J.), S. 83–85 sowie Harsányi (1995), S. 273–285. 240 Vgl. Weiss-Rüthel (1946), S. 90. 241 Vgl. Wickert (1997), S. 179; Pingel (1978). Wickert meint für Sachsenhausen eine „Entspannung” für die Häftlinge als Folge der Verlagerung der Vernichtung nach Osten zu erkennen, die nach ihrer Meinung mit einem Unterbleiben größerer Tötungsaktionen einherging. Dem widerspricht Kaienburg. Vgl. Kaienburg (2003), S. 437–438. Den Alltag von KZHäftlingen in einem Außerlager des KZ Buchenwald, dessen Häftlinge für die Rüstungsindustrie arbeiten mussten, haben sehr anschaulich Bütow und Bindernagel beschrieben. Vgl. Bütow/Bindernagel (2003). 242 Vgl. Tuchel (1994), S. 152.

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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dert werden.243 Lasiks These ist nur mit Einschränkungen zuzustimmen, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Das Sachsenhausener Krankenrevier war, jenseits der offiziellen Funktion, ein Zentrum des Widerstands. Häftlinge wurden versteckt und so vor der Misshandlung und Ermordung bewahrt. Politische Veranstaltungen wie Lesungen aus dem Kommunistischen Manifest wurden abgehalten oder kleinere Aktionen organisiert, die den Lebenswillen der Häftlinge stärken sollten. So fand im Sommer 1939 eine feierliche Aufbahrung und Trauerfeier für den ehemaligen kommunistischen Reichstagsabgeordneten Lambert Horn statt. Zahlreiche Häftlinge nahmen so Abschied von dem in Sachsenhausen sehr anerkannten Politiker, bevor die SS dies entdeckte.244 3.3.2. Von der „Krankenstation“ zum „mustergültigen Krankenbau“: Die Entwicklung des Krankenreviers Der Aufbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen begann im Sommer 1936. Mit ihm sollte ein neuer Maßstab in der Baugeschichte der Konzentrationslager gesetzt werden. Sachsenhausen, nahe der Kleinstadt Oranienburg am Rande der Reichshauptstadt Berlin gelegen, sollte Musterlager und Ausbildungsort für SSMänner sein. In der Stadt Oranienburg befand sich vorher auf dem Grundstück einer ehemaligen Brauerei an einer der Hauptverkehrsstraßen eines der ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager. Es wurde bereits im März 1933 eingerichtet.245 Das Gelände des neuen Konzentrationslagers, für das ein zuvor unbebautes Waldstück verwendet wurde, war verkehrsgünstig gelegen und gleichzeitig von der Öffentlichkeit in gewissem Maße abgeschirmt. Die ursprünglich geplante Grundstruktur orientierte sich an der Form eines Dreiecks, in dem um einen halbrunden Appellplatz strahlenförmig die Unterkunftsbaracken aufgestellt waren. Sie konnten vom zentral gelegenen Wachturm A, der gleichzeitig als Haupttor diente, überwacht werden. Auf dem Turm A wurde ein drehbares Maschinengewehr zur Niederschlagung von Unruhen der Häftlinge installiert. Im März 1937 war der halbkreisförmig angelegte erste Barackenring bereits an den ersten fünf oder sechs Baracken links und rechts des Hauptwegs erkennbar. Zu ihnen gehörten die Küche, die Wäscherei und die Baracken des Reviers.246 Wenige Monate nach dem Beginn der Bauarbeiten für das Häftlingslager entstand die Krankenstation für die Häftlinge des Lagers. Das erste Gebäude, das als Häftlingsrevier diente, wurde, wie die Unterkunftsbaracken, aus Holz errichtet und stand am linken Rand des hinteren Barackenringes. Es erhielt nach verschiedenen Umbauten die Bezeichnung RI a. Drei Krankenzimmer boten Platz für 29 bis 38 243 244 245 246

Vgl. Lasik (1999), S. 278. Vgl. Michel (2002), S. 175–176; Stange (2002). Vgl. Dörner (2001), S. 123–124, Drobisch (1994). Ackermann (1985), S. 31–32.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Betten. Die ersten Patienten, zu denen auch der spätere Häftlingssanitäter Fritz Bringmann gehörte, wurden etwa Anfang 1937 aufgenommen.247 Die erste Ausbauphase war im April 1937 abgeschlossen. Das Lager erfuhr verschiedene Erweiterungen, um es der steigenden Zahl der Häftlinge und neuen Aufgaben anzupassen. Zwei weitere Barackenringe wurden hinter den beiden bereits bestehenden gebaut. Seitlich vom Turm A entstand außerhalb des Dreiecks das „Kleine Lager“. Es wurde erstmals anlässlich der Pogrome der „Reichskristallnacht“ Anfang November 1938 zur Unterbringung jüdischer Häftlinge benutzt.248 In der Zeit bis Kriegsbeginn folgten zahlreiche Bauten für die SS-Führer und Mannschaften, die deren gewachsene Präsenz widerspiegeln. Im August 1938 siedelte die Inspektion der Konzentrationslager nach Oranienburg über und erhielt ein repräsentatives, T-förmiges Gebäude zwischen dem Lagergelände und einer der Ausfallstraßen Oranienburgs, der heutigen Bernauer Straße, damals AdolfHitler-Damm. Dort wurden auch sechs Führerhäuser gebaut, in denen die ranghöchsten Führer der Kommandantur mit ihren Familien wohnten. Theodor Eicke ließ sich eine Villa in der Nähe bauen. Für die übrigen SS-Führer wurden zwei Wohnsiedlungen errichtet. Die SS-Mannschaften wurden in Kasernenbauten untergebracht. Funktionsgebäude wie ein Bad, ein Heizkraftwerk und Garagen ergänzten den Bereich der SS.249 Charakteristisch für die Entwicklung des Lagers waren die wirtschaftlichen Unternehmungen der SS in Oranienburg und Umgebung. Das bedeutendste unter ihnen war das durch die „Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (Dest)“ betriebene Klinkerwerk, in dem Ziegel für den Umbau Berlins produziert wurden. Im Industriehof in unmittelbarer Nähe des Häftlingslagers arbeiteten Häftlinge in einer Gärtnerei, einer Hühnerfarm und einer Angorakaninchenzucht. Im „Bekleidungswerk“ und in der „Schuhfabrik“ verarbeiteten Häftlinge die Hinterlassenschaften von ermordeten Juden aus Auschwitz und Majdanek. Werkstätten produzierten Gegenstände für den Bedarf der SS-Angehörigen. Es gab u.a. eine Tischlerei, Polsterei, Schuhmacherei und eine Elektrowerkstatt. Auf einer so genannten „Schuhprüfstrecke“ des Reichsamtes für Wirtschaftsausbau in enger Zusammenarbeit mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Lederforschung erprobten Häftlinge die Haltbarkeit neu entwickelter Materialien für Schuhe. Die Anzahl der Häftlinge im Hauptlager und der wachsenden Zahl von Außenlagern betrug 1942 16.600, 1943 28.200 und 1944 47.700 Personen.250 Nachdem die steigende Häftlingszahl zu einem Anstieg der Patientenzahlen führte, wurde eine Vergrößerung des Krankenreviers notwendig. Ein zweites, zu247 Vgl. Fritz Bringmann, Bericht, AS, R 48/17. FRITZ BRINGMANN (*1918), Klempner und Installateur, seit 1935 wegen illegaler Widerstandsaktionen inhaftiert, 1936 Einlieferung ins KZ Sachsenhausen, bis 1945 vor allem in Neuengamme in Haft, 1970–1995 Generalsekretär der Amicale Internationale von Neuengamme. Vgl. Kuß (1995), S. 70 sowie Ley/Morsch (2007), S. 73. 248 Vgl. Gabriel (2000a), S. 47–48; Hartung (1996), S. 26–27. 249 Vgl. Gabriel (2000a), S. 49–50. 250 Vgl. Kaienburg (2003), S. 504 und S. 647–683, Gabriel (2000a), S. 52 sowie Sudrow (2002).

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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nächst als „Isolier-Baracke“ bezeichnetes Gebäude kam im Herbst 1937 hinzu.251 Das Häftlingsrevier bestand demnach erst aus zwei nebeneinander liegenden Baracken des zweiten Barackenrings, ursprünglich die Blöcke 35 und 36, die die Nummern RI (Block 36) und RII (Block 35) erhielten. Sie lagen damit hinter den Baracken 17 und 18. In der Baracke RI befanden sich vorübergehend an einem Ende die Ambulanz und am anderen die Tbc-Abteilung, ferner ein chirurgischer Saal, Labor und Schreibstube. Mit der Inbetriebnahme der Isolier-Baracke wurde die Tbc-Abteilung, die lediglich der Absonderung der tuberkulosekranken Häftlinge diente, in die RII verlegt. Eine medizinische Versorgung der Tuberkulosekranken war nicht vorgesehen. Kranke Häftlinge mieden diese Station wegen der hohen Ansteckungsgefahr.252 Ludwig Eisermann, einer der ersten Häftlingssanitäter, beschrieb die Situation des Krankenreviers im Mai 1937 in einem Erinnerungsbericht.253 Darin heißt es, alles wäre in einem äußerst primitiven Zustand gewesen. Es waren nur die allernotwendigsten Medikamente, medizinischen Apparate und Geräte vorhanden. Die Möglichkeiten, die Instrumente zu sterilisieren, waren begrenzt. Die Ambulanz war klein und unordentlich. Ebenso das Labor, das lediglich aus einem kleinen Raum bestand. Man konnte nur einfache Urin- und Blutuntersuchungen durchführen. Die Krankenzimmer waren schlecht eingerichtet. Es fehlten Betten und anderes Mobiliar, ebenso Gardinen und jeglicher Wandschmuck. Die Zimmer sahen trostlos aus. Ähnlich sah es auch in der Küche, im Bad, im Massageraum und in der Schreibstube aus. Die Häftlingssanitäter, zu dieser Zeit eine „Sechsergruppe“ unter Leitung des Häftlings Walter von Schwichow, versuchten, die Zustände zu verbessern und planten die Beschaffung von Medikamenten, Geräten und Fachliteratur.254 Seit März 1938 wurde der Block 18, in dem sich vorher Rückfällige und Häftlinge der Strafkompanie befanden, geräumt. Wie die Angliederung des Blocks 18 an das Krankenrevier erfolgte, schildert Bringmann. Die Räume des Reviers waren seit langem überbelegt. Im vor der Revierbaracke RI gelegenen Block 18 sollte ein weiteres Revier eingerichtet werden. Da Pfingsten 1938 sehr viele Häftlinge an Grippe erkrankten und nicht mehr aufgenommen werden konnten, nutzten die Pfleger die Abwesenheit des Lagerkommandanten Hermann Baranowski, genannt „Vierkant“, um die leere Baracke mit Kranken zu belegen. Nach Pfingsten wurden die Kranken brutal mit einer Feuerwehrspritze aus den Räumen der Baracke 18 vertrieben. Nach acht bis zehn Tagen konnte der Block jedoch offiziell dem Krankenbau angegliedert werden. Bald danach, noch im Sommer 1938, wurde damit begonnen, die Baracken miteinander zu verbinden. Unter Hinzu251 Vgl. Gabriel (2000b), S. 19–20. 252 Vgl. Ludwig Eisermann, Sachsenhausen, AS, R 55/10. 253 Vgl. Ludwig Eisermann, Sachsenhausen, AS, R 55/10. LUDWIG EISERMANN (1910– 1981), Drogist, KPD-Mitglied, seit 1934 inhaftiert, 1937–1940 Häftling im KZ Sachsenhausen. 1951–1956 Persönlicher Referent des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, 1961–1967 stellvertretender Direktor der Schlösser und Gärten Potsdam. Ley/Morsch (2007), S. 78. 254 Vgl. Gabriel (2000b), S. 25.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

nahme der Baracke 17 entstand „in etwa 18 Monaten Bauzeit in zwei Doppelbaracken ein mustergültiger Krankenbau. Da gab es ein Ambulatorium, mehrere Operationsräume, Verbandszimmer, Röntgenstation, Zahnarztzimmer, Diätküche, Apotheke, Massageräume, Ärzte- und Krankenzimmer. Alles war mit neuesten Geräten und modernem Mobiliar eingerichtet.“255 Während des Umbaus erfolgte eine komplette Unterkellerung beider Doppelbaracken und die Errichtung eines unterirdischen Gangs als Verbindung zwischen beiden Blöcken. Bei den Arbeiten an dem Tunnel kam es am 15. März 1939 zu einem Unfall, bei dem mehrere Häftlinge verschüttet wurden.256 Nach Abschluss der Arbeiten an den Kellerräumen wurden die Baracken 1 und 2 sowie 17 und 18 auch oberirdisch zu zwei langen Baracken verbunden.257 Zwischen den Baracken, die durch einen Zaun vom Häftlingslager abgegrenzt waren, gab es einen Springbrunnen und Blumenrabatten. Vor den Fenstern befanden sich teilweise Blumenkästen.258 Die Kapazität des Krankenreviers reichte, trotz der wiederholten Erweiterungsmaßnahmen, für die große Zahl der kranken Häftlinge schon bei Kriegsbeginn nicht mehr aus. Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und die extremen Witterungsbedingungen des Winters 1939/40 forderten viele Opfer unter den Häftlingen. 1939 war nahe dem Krankenrevier das so genannte „Kleine Krematorium“ errichtet worden. Hier wurden die Toten eingeäschert. Der Häftling Arnold Weiss-Rüthel, dem eine Stelle als Schreiber im Krankenrevier angeboten worden war, erinnerte sich später: „Im Inneren des Reviers herrschten furchtbare Zustände. [...] Wer nicht mit einem der diensttuenden Pfleger befreundet war, tat besser daran[,] sich im Falle einer Erkrankung selbst zu helfen. [...] Es wäre indes ein Irrtum zu glauben, daß Mangel an Medikamenten und Verbandsstoffen die Schuld an solchen Verhältnissen trug. Der Krankenbau des KL Sachsenhausen war eine in jeder Hinsicht modern eingerichtete Anstalt. Laboratorien, Röntgenstation, die septischen und aseptischen Operationssäle mit ihren Vorbereitungsräumen, Ambulanz Apotheke, das Medikamentenlager, Zahnstation, Pathologie, alle für ein solches Institut charakteristischen Einrichtungen befanden sich in sauberem, tadellosen Zustand.“259

Wie es in einzelnen Teilen des Krankenreviers in diesem Winter aussah, beschrieb Albert Christel, der an Furunkulose litt und sich ambulant behandeln lassen wollte: „Im Revier sieht‘s aus, wie auf einem Schlachtfeld. Auf allen Gängen, in jedem Winkel liegen Kranke auf Matratzen herum. Alte, verbrauchte Binden häufen sich bergeweise und stinken. Weit über die Hälfte der Reviergänger hat Furunkel. In einer Ecke der Ambulanz ist dafür ein Sonderdienst eingerichtet worden. Da geht es fürchterlich her. Die Abfalleimer quillen über von Verbandsfetzen, Tupferresten und allem möglichen anderen Zeugs. Dreckbatzen von Häftlingsstiefeln bilden mit Blut- und Eiterspritzern dazwischen ein wüstes Bodenmosaik. Der Verbandsraum läßt sich bei diesem Massenbetrieb mit bestem Willen nicht mehr sauber halten. [...] An ein Reinigen der Instrumente, gar an eine sachgemäße, gründliche Desinfektion ist nicht zu denken. [...] Ist es schon mit der Reinlichkeit schlecht be255 256 257 258 259

Damals in Sachsenhausen (1961), S. 33. Vgl. Naujoks (1987), S. 105. Vgl. Gabriel (2000b), S. 31. Vgl. Gabriel (2000b), S. 32. Weiss-Rüthel (1946), S. 90–91.

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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stellt, so sieht es mit der Zeit noch schlechter aus. Bei der eigentlichen Behandlung, die wie am laufenden Band geht, gibt es schon keine Sekunde zu verlieren. Das Verbinden muß erst recht schnell gehen und außerdem muß der Mull gespart werden.“260

Weiss-Rüthel nannte Lungenentzündung, Wassersucht, Phlegmone, Dysenterie, Tuberkulose, Misshandlungen und die unzulängliche Behandlung sowie Selbstmord als häufigste Todesursachen.261 Stationär im Krankenrevier aufgenommene Häftlinge steckten sich mitunter mit anderen Krankheiten an, da die Patienten mit Ruhr, Typhus, Scharlach und Tuberkulose in den Krankensälen auf engstem Raum nebeneinander lagen.262 Aufgrund der schlechten Ernährung trat seit 1940 vermehrt Ruhr unter den Häftlingen auf, so dass neben dem Revier befindliche Baracken für die Ruhr- und Dysenteriepatienten genutzt werden mussten.263 Wie die ehemaligen Häftlinge um Hellmut Bock in ihrem Bericht erwähnten, wurde der Krankenbau deshalb bereits 1940 wiederum erweitert. Es wurden während dieser Phase wahrscheinlich die Baracken III und IV eingerichtet. Letztere stand quer zu den Baracken I und II und parallel zur Außenmauer. Außerdem wurde 1940 eine Pathologie mit darunter befindlichem Leichenkeller, ein massiver Steinbau, errichtet.264 An dieser Stelle gab es bereits seit 1939 einen „Leichenschuppen“ aus Holz. Als im Frühjahr 1941 die Tuberkuloseversuche von Gualtherus und Herman Zahn begannen, wurde am Ende der Baracke IV am Kopfende der R III b eine „Tbc-Versuchsanstalt“ eingerichtet.265 Außerdem gab es in der Baracke II eine Tbc-Station. Sie befand sich im Krankensaal 69 am Ende der R II b und war über einen separaten Eingang erreichbar.266 Nach Beendigung der Versuche 1943 wurde die Baracke IV verlängert, die Versuchsstation an diese angegliedert und das neu entstandene Gebäude in R V umbenannt. Die sich neben der Baracke III befindlichen Häftlingsunterkünfte wurden in weitere Revierbaracken umfunktioniert und erhielten die Nummer IV. Zu Beginn des Jahres 1943 löste der SS-Arzt Heinrich Baumkötter den damaligen Standortarzt und Ersten Lagerarzt, Emil Christian Schmitz in seiner Position ab. Bei einer Vernehmung im Jahr 1959 erinnerte sich Baumkötter wie folgt an die Ausstattung und Aufteilung der Revierbaracken: „Das Krankenrevier [...] war innerhalb des Schutzhaftlagers durch einen Maschendrahtzaun bzw. Mauerwerk abgetrennt. [...] Die Baracke I enthielt einen großen Ambulanzraum, den aseptischen Operationssaal, mehrere Krankenräume für frisch Operierte, das Röntgenkabinett mit Zusatzraum, Dunkelkammer usw. [und] den septischen Operationssaal, zwei Schreibstuben, davon die erste als Häftlingsschreibstube und die zweite als Schreibstube für die Sanitätsbediensteten und daran anschließend mein Dienstzimmer und ein weiteres Arztzimmer. Ferner enthielt die Baracke R I mit ihrem unterkellerten Teil Massageräume, eingeschlossen [solche] für Höhensonne [...], Dusch- und Wannenbäder, die Apotheke und Nebenräume. 260 261 262 263 264 265 266

Christel (1987), S. 176–177. Weiss-Rüthel (1946), S. 136. Vgl. Hrdlicka (1992), S. 102. Vgl. Gabriel (2000b), S. 43. Vgl. Bock et al. (1945), AS LAG II. Vgl. Gabriel (2000b), S. 45. Ebd., S. 125.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen In der Baracke R II waren untergebracht die innere Abteilung des Krankenreviers, die Isolierabteilung und eine Sonderabteilung für schwere Tuberkulosefälle. In den Kellerräumen von R II befand sich das Laboratorium, die Friseurstube des Lazaretts und einige Abstellräume. [...] In der kleineren Baracke R III a waren die septischen Operationsfälle untergebracht, R III b stellte meiner Erinnerung nach die erweiterte innere Abteilung dar. Die quer dazu gelegene Baracke R IV (später R V) war zunächst mit Rekonvaleszenten belegt. In Verlängerung der Baracke R I befand sich ein weiteres kleines Gebäude, in dem die Pathologie mit dem Leichenkeller untergebracht war. [...] Im Zuge der Erweiterungsbauten wurde auf dem Gelände zwischen den Revieren R III a und R IV a eine Liegehalle für an Tuberkulose erkrankte Häftlinge errichtet. [...] Für die Tuberkulösen wurden die Baracken IV a und IV b mit Zwischenraum und Liegehalle vom übrigen Revierbereich getrennt, um so der Infektionsgefahr zu begegnen. Dass offene und geschlossene Tuberkulöse getrennt untergebacht wurden, versteht sich.“267

In seiner Aussage hob Baumkötter die Versorgung der Tuberkulosekranken besonders hervor. Franz Ballhorn, Pfleger in der Inneren Abteilung, erinnerte sich, dass um 1943 etwa drei Viertel der Häftlinge, die als Patienten im Sachsenhausener Krankenrevier waren, an Skrofulose und Tuberkulose litten.268 Zur Anzahl der Patienten in dieser Zeit gibt es verschiedene Angaben. Von Emilio Büge sind uns einige Zahlen zur Belegstärke von Lager und Revier bekannt. Die Zahl der Häftlinge im Krankenrevier schwankte stark. Sie betrug nach Büges Aufzeichnungen 1942/43 im Durchschnitt etwa 1.000 bis 1.500 Häftlinge.269 Zu den stationär aufgenommenen Kranken müssen die ambulant versorgten Häftlinge hinzugezählt werden. Die Zahl der ambulanten Fälle wurde von ehemaligen Häftlingspflegern unterschiedlich angegeben. Es können an manchen Tagen ebenso viele gewesen sein wie die der stationären. Die Angaben, die Wilhelm Thierhoff, Revierältester von Anfang des Jahres 1942 bis Juli 1943, in einer Aussage im Baumkötter-Verfahren machte, decken sich weitgehend mit denen Büges:270 Im Revier befanden sich zu seiner Zeit als Revierältester etwa 1.500 kranke Häftlinge. Die Durchschnittsbelegung lag bei etwa 1.200 bis 1.300 Bettlägerigen. Die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten gestatteten jedoch nur die Versorgung von etwa 800 Häftlingspatienten. Außerdem wurden täglich etwa 700 bis 800 Häftlinge ambulant behandelt.271 3.3.3. Funktionshäftlinge im Krankenrevier Die Funktionshäftlinge bildeten die so genannte „Häftlingsselbstverwaltung“ des Lagers. Diese wurde von der SS zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager 267 Vgl. Heinrich Baumkötter, Aussage vom 20. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 74–75. 268 Vgl. Ballhorn (1946), S. 98. 269 Büge, Bericht, S. 195. 270 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 29. November 1956, StA Münster Nr. 390, Band 12, Bl. 125. 271 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 5. Juni 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 69–79, hier Bl. 73.

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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eingerichtet und mit bestimmten Aufgaben der internen Lagerorganisation betraut. Der Begriff „Selbstverwaltung“ ist jedoch unzutreffend, da es sich nicht um eine eigenverantwortliche Tätigkeit von Häftlingen gehandelt hat. Mit Hilfe der Häftlingsverwaltung konnte die SS „das Lager durch die Ausübung der negativen Sanktionsmacht regieren und brauchte sich nicht um die innere Daseinsfürsorge, Konfliktregelung und um die fachliche Anleitung der auszuführenden Arbeiten zu kümmern.“272 Die Funktionshäftlinge unterlagen den Befehlen der SS. Alle Häftlinge wurden in ihre Funktionen durch die SS eingesetzt. Sie bildeten eine Zwischenschicht, eine „intermediäre Instanz“ wie Sofsky sie nennt, zwischen der SS und der Masse der Häftlinge.273 In Zeitzeugenberichten Überlebender werden Funktionshäftlinge sehr unterschiedlich geschildert. Einige werden als rettende Helfer beschrieben, andere als grausame Sadisten.274 Die Häftlinge, die wichtige Funktionen bekleideten, konnten Vorschläge unterbreiten oder sich „Mitarbeiter“ aussuchen und diese von der SS bewilligen lassen. Um Funktionshäftling zu werden, musste man eine gewisse intellektuelle Befähigung besitzen sowie Kenntnis der Mentalität der SS und des Lageralltags haben, weshalb in höheren Funktionen vor allem politische Häftlinge dominierten.275 Die Angehörigen der Häftlingsverwaltung waren Lager-, Block- und Stubenälteste, Rapport- und Blockschreiber sowie Kapos (Vorarbeiter der Arbeitskommandos). Andere Häftlingsfunktionen waren beispielsweise die der Lagerläufer, Kalfaktoren im Zellenbau und in den Gebäuden der Kommandantur, Häftlingspfleger und – seit 1943 – Ärzte im Krankenrevier. Die Funktionshäftlinge an der Spitze der Häftlingsverwaltung wurden gelegentlich als „Bindenträger“ bezeichnet. Eine Armbinde, auf die diese Bezeichnung zurückgeht, trugen die Lagerältesten, die Blockältesten und die Kapos.276 Sie waren als solche äußerlich zu erkennen: sie waren verhältnismäßig gut ernährt, schliefen meist in getrennten Räumen, trugen saubere, ordentliche Kleidung und Schuhe, keine Holzpantinen.277 Wurden sie degradiert und mussten wieder 272 Niethammer (1994), S. 29. 273 Sofsky (1997), S. 153. 274 So schrieb beispielsweise Primo Levi, ein überlebender jüdischer Häftling aus Auschwitz, zu der Frage „Wer wurde Kapo?“: „[...] Zunächst erst einmal wurden es die, denen die Möglichkeit dazu angeboten wurde, das heißt, es waren Menschen, in denen der Lagerkommandant oder seine Beauftragten [...] einen potentiellen Kollaborateur vermuteten: gewöhnliche Straffällige, die aus den Gefängnissen geholt wurden und denen die Karriere eines Kerkermeisters eine hervorragende Alternative zu ihrem eigenen Gefangenendasein bot; politische Häftlinge, die durch fünf oder zehn Jahre Leiden erschöpft oder auf sonst irgendeine Weise moralisch geschwächt worden waren; [...]. Viele aber strebten, wie bereits angedeutet, aus freien Stücken nach der Macht.“ Vgl. Levi (1990), S. 45. 275 Vgl. Obenaus (1998), S. 842. 276 Vgl. Langbein (1980), S. 31. Die Bezeichnungen „Kapo“ und „Bindenträger“ stammten ursprünglich aus Auschwitz, wurden aber später auch in den Erinnerungsberichten von Überlebenden anderer Lager verwendet. 277 Vgl. Obenaus (1998), S. 842.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

mit den normalen Häftlingen zusammenarbeiten, hatten sie oft Rache und Tod zu fürchten.278 Funktionshäftlinge kamen aus den unterschiedlichen, im Lager inhaftierten Häftlingsgruppen, die mit verschieden farbigen Winkeln gekennzeichnet waren: Politische rot, Häftlinge in so genannter „befristeter Vorbeugehaft“ und „Sicherungverwahrte“, die auch als „Kriminelle“ bezeichnet wurden, grün, „Asoziale“ schwarz und Zeugen Jehovas lila.279 Homosexuelle und jüdische Häftlinge bildeten in der Hierarchie der Häftlingsgruppe die unterste Stufe und waren in der Regel von Funktionen ausgeschlossen. Die bis zum Jahre 1943 im Krankenrevier arbeitenden Häftlinge waren ausschließlich medizinische Laien. In den ersten Jahren wurde streng darauf geachtet, dass keine medizinisch Ausgebildeten, also Krankenpfleger, Medizinstudenten oder Ärzte ihre Mithäftlinge pflegen konnten. Ab 1942 durften auch Häftlingsärzte im Krankenrevier arbeiten, da aufgrund der knapper werdenden Arbeitskräfte in Deutschland der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Häftlinge ein höherer Stellenwert beigemessen wurde. Wie sich die Häftlinge in den Jahren zwischen 1936 und 1942 behalfen, wurde in Häftlingsberichten selten beschrieben. Einige der Häftlinge, die unter den ausgesprochen widrigen Umständen des Krankenreviers versuchten, Menschenleben zu retten, äußerten sich jedoch gelegentlich recht selbstbewusst. Einer von ihnen war Ludwig Eisermann. In dem bereits zitierten Bericht findet sich eine interessante Beschreibung der ersten Fortbildungsversuche der zumeist handwerklich ausgebildeten Arbeiter: „Die Sechsergruppe [...] überlegte sich die Beschaffung [...] medizinischer Literatur. Es ging uns darum, bei der Hilfe für die Genossen einwandfreie wissenschaftliche Methoden anzuwenden. Darum wurde gelernt, gelernt und nochmals gelernt, jeder auf seinem Gebiet [sic!]. Es wurde über alles mögliche, besonders aber über komplizierte Fälle der inneren Medizin, der Chirurgie, der Diagnostik, der Laborarbeit lange Gespräche geführt.“280

278 In einer Rede vor Generälen der Wehrmacht beschrieb Heinrich Himmler das System der Kapos folgendermaßen: „Diese rund 40.000 deutschen politischen und Berufsverbrecher [die Kapos, d. Verf.] [...] sind mein ‚Unteroffizierskorps' für diese ganze Gesellschaft. Wir haben hier [...] sogenannte Capos eingesetzt. Also einen verantwortlichen Aufseher [...] über 30, 40, über 100 andere Häftlinge. [...] In dem Moment, wo er [der Häftling] Capo ist, schläft er nicht mehr bei denen. Er ist verantwortlich, daß die Arbeitsleistung erreicht wird, daß bei keinem eine Sabotage vorkommt, daß sie sauber sind, daß die Betten gut gebaut sind. [...] Er muß also seine Männer antreiben. In dem Moment, wo wir mit ihm nicht zufrieden sind, ist er nicht mehr Capo, schläft er wieder bei seinen Männern. Daß er dann von denen in der ersten Nacht totgeschlagen wird, daß weiß er.“ Heinrich Himmler, Sonthofener Rede vom 21.06.1944, IfZ München, MA 315 Bl. 3949F, zitiert nach Langbein (1980), S. 32. 279 Vgl. Friedlander (1998). Zur „befristeten Vorbeugehaft“ vgl. Terhorst (1985), Wagner (1988), Wagner (1991), Wagner (1996), Wagner (1998) sowie Orth (2000b). 280 Ludwig Eisermann, Sachsenhausen, AS R 55/10.S. 3. Der für die Röntgenaufnahmen zuständige Häftling Franz Cyranek war von Beruf Elektriker, Fritz Bringmann war Klempner und Installateur, Ludwig Eisermann Drogist. Vgl. Kuß (1995), S. 71.

3.3. Der Ort der Versuche: Das Krankenrevier

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Ähnliches beschreibt Bringmann: „Wie schwer es oft war, die richtige Diagnose zu erkennen und die Behandlung darauf einzustellen, kann man nachträglich kaum abschätzen. Eine Fehldiagnose mußte notgedrungen auch zu einer falschen Behandlung führen. Aber unsere Kameraden drückten sich nicht vor der Verantwortung. In Zweifelsfällen wurde mit mehreren Kameraden über die Symptome beraten, um so zu einer zweifelsfreien Diagnose zu gelangen. Sofern Häftlingsärzte im Lager waren, wurden diese ebenfalls konsultiert.“281

Bringmann selbst half schon bald nachdem er als Läufer im Revier seine Arbeit begonnen hatte „unter Anleitung erfahrener Sanitäter bei der Wundbehandlung.“ Er hatte eine „intensive praktische Ausbildung“. Die theoretischen Grundlagen eignete er sich während der Nachtwache an.282 Die dazu nötige Fachliteratur konnten die Häftlinge durch den SS-Arzt Ludwig Ehrsam beschaffen lassen, der sich dafür bezahlen ließ.283 Auch in anderen Lagern standen die Häftlingspfleger vor den gleichen Problemen. Hellmuth Röder, der Häftlingssanitäter in Buchenwald war, berichtete detailliert über seine medizinische „Ausbildung“, u.a. über das Erlernen von komplizierten Operationstechniken. Die Häftlingspfleger nahmen dazu Fachärzte als Patienten ins Revier auf, die ihnen theoretisch erklärten, wie die Operation durchgeführt wurden und gelegentlich auch selbst halfen.284 Bei der Behandlung der Häftlinge unterliefen Fehler, doch bemühten sich die Häftlingspfleger in aller Regel nach Kräften um Leben und Gesundheit ihrer Mithäftlinge. Da sie vor der Entscheidung standen, die Patienten, wenn keiner der SS-Ärzte zum Eingreifen gewillt war, unversorgt zu lassen, behandelten sie sie, so gut sie es vermochten, und verdienten unter ihren Mithäftlingen dafür große Anerkennung. Allerdings sind auch Fälle von Missbrauch der Funktion und Misshandlung von Häftlingen durch Häftlingspfleger überliefert. Gerade in der Zeit als Wilhelm Thierhoff Revierältester war, gelangten einige „Asoziale“ und „Kriminelle“, die von Thierhoff protegiert wurden, in wichtige Positionen. Unter ihnen war der BVer (Befristeter Vorbeugehäftling) Curt Otto Reuter, der als Operationsschreiber und -helfer fungierte. Nach verpfuschten Operationen wurde er aus dem Revier entfernt.285 Einen schlechten Ruf hatte bei den Häftlingen auch der Vorarbeiter der Ambulanz, August Born, ein so genannter Asozialer.286

281 282 283 284

Bringmann, Bericht, S. 9. Bringmann in Naujoks (1987), S. 107. Kuß (1995), S. 70. Augenzeugenberichte über die ärztliche Versorgung der Häftlinge im KZ Buchenwald: Hellmuth Röder erzählt, in: Bromberger et al. (1990), S. 253–254. 285 Vgl. Naujoks, BArch Dahlwitz-Hoppegarten, By V 279/75; sowie Wolters (2001), S. 87–88. 286 Vgl. Zegarski (1984), S. 41–42; Wolters (2001), S. 89.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

3.3.4. Die Aufgaben des Revierältesten Der Krankenrevierälteste war der Vorarbeiter des Krankenbaus. Er wurde auch als Oberpfleger oder Revierkapo bezeichnet. Ihm unterstanden alle Häftlinge, die im Krankenrevier Dienst taten. Gleichzeitig oblag ihm die Aufsicht über die Häftlingspatienten. Der Revierälteste beaufsichtigte also als Kapo die arbeitenden Häftlinge und als Vorgesetzter der Blockältesten das Krankenrevier als Teil des Schutzhaftlagers. Er war der ranghöchste und einflussreichste Funktionshäftling des Reviers. Eine Beschreibung von Ernst Busse, dem Kapo des Reviers in Buchenwald, zeigt, wie ein Funktionshäftling leben konnte, der es verstand, die ihm gegebene Macht rücksichtslos zu seinem Vorteil zu nutzen: „[...] den Kapo des Buchenwalder Krankenbaus darf man sich nicht als hungerleidenden Tragenschlepper im Sträflingszebra vorstellen, sondern – und das gilt in den Jahren seit 1942 zunehmend – eher als Dienstleistungsfunktion eines Verwaltungsdirektors eines ständig überforderten Krankenhauses. Für ihn gilt die Lagerordnung nicht; er und die seinen müssen nicht zum Appell, sondern führen die Zählung intern durch. Er hat ein Zimmer für sich, arbeitet auf einem Louis-Seize-Stuhl, er trägt einen guten Anzug oder im Dienst einen Arztkittel; er muß und kann sich sauberhalten. Im Krankenbau gibt es natürlich ein WC. Die Revierküche versorgt ihn mit – ihm amtlich zustehenden – Sonderrationen, unter denen Butter und Weißbrot nicht fehlen. Er beaufsichtigt ein Personal von Dutzenden von anderen Häftlingen, von Häftlingsärzten abwärts über zig Pfleger und das Personal der reviereigenen Küche bis zu einem persönliche Laufburschen, obwohl er auch Telefon hat, und scheint ziemlich freie Hand darin zu haben, dieses Personal auszuwählen und einzustellen. Mit anderen Häftlingen zusammen plant er Neubauten des Reviers und organisiert deren Ausstattung“.287

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Funktion des Kapos des Krankenreviers in allen großen Konzentrationslagern in gleichen Zeiträumen ähnliche Aufgaben umfasst hat. Auch der Kapo des Sachsenhausener Reviers war, seit der Erweiterung des Reviers, ein „Verwaltungsdirektor“, der die Arbeit einer großen Zahl von Funktionshäftlingen zu koordinieren hatte. In der Voruntersuchung zum Baumkötter-Verfahren, in dem er sich als „Lagerältester des Krankenbaus“ bezeichnete, berichtete Wilhelm Thierhoff über seine Tätigkeit in dieser Funktion. Er habe die „Arbeit der einzelnen Häftlingsärzte und Häftlingspfleger eingeteilt“, die „Arbeiten eines Hausmeisters“ versehen und den „Papierkrieg geführt“.288 In der Schreibstube – ihm stand kein eigenes Büro zu – habe er die „Verordnungsblätter der Reichsführung der SS“ gelesen und sich bei dieser Gelegenheit ausführlich über die Personalangelegenheiten anderer Konzentrationslager informiert.289 Überliefert ist aber auch, dass Thierhoff De-

287 Niethammer (1994), S. 116. 288 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 29. November 1956, StA Münster, Nr. 390, Band 12, Bl. 126. 289 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 5. Juni 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 69–79, hier Bl. 73.

3.4. Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung

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portationslisten im Rahmen der Häftlings-„Euthanasie“ zusammenstellte und bei Überfüllung des Krankenreviers den Lagerärzten Häftlinge zur Tötung meldete.291 Ehemalige Häftlinge berichteten von Thierhoff, dass er stets ordentlich und sauber gekleidet war, entweder in Hemd und Anzug oder im weißen Kittel eines Arztes. Durch seine Funktion kam er „in den Genuß eines separaten Wohn- und Schlafzimmers“, ein Raum neben den Krankensälen in der Baracke 2a.292 3.4. ZAHN IN SACHSENHAUSEN: DIE VERSUCHSDURCHFÜHRUNG 3.4.1. SS-Ärzte im KZ Sachsenhausen Ein großer Teil derjenigen, die von Seiten der SS auf verschiedenen Hierarchieebenen an den Menschenversuchen beteiligt waren, besaß eine ärztliche Approbation. Die Ärzte, die sich direkt und aktiv in Ausübung ihres ärztlichen Berufes an den Versuchen in den Konzentrationslagern beteiligten, waren die KZ-Ärzte. Bei ihnen drängt sich am stärksten die Frage danach auf, was für eine Forschungsethik SS-Ärzte hatten und ob die SS speziell Einfluss auf deren Entwicklung genommen hatte. Die „Richtlinien für neuartige Heilbehandlungen und die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“, die der Reichsgesundheitsrat auch in Folge der Lübecker Impfkatastrophe am 28. Februar 1931 erließ, waren zur Zeit des Nationalsozialismus und damit auch für die SS-Ärzte in den Konzentrationslagern die Rechtsgrundlage für die Durchführung von Versuchen am Menschen.293 Fortschrittliche Gesundheitspolitiker und Ärzte der Weimarer Republik waren bestrebt gewesen, die positive Entwicklung ärztlicher Ethik in einen festen gesetzlichen Rahmen zu überführen. Doch diesen Bemühungen stand die Art und Weise der Vermittlung einer neuen Versuchsethik im Wege. Ärztliche Ethik wurde nicht als Unterrichtsfach an den Universitäten unterrichtet, sondern in erster Linie vom akademischen Lehrer auf den Schüler, den angehenden Arzt, weitergegeben. Wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren in den 1930er Jahren noch viele Ärzte der Meinung, dass zum medizinischen Fortschritt Versuche an Patienten nötig waren, und dass deren Aufklärung und Einwilligung entweder nicht notwendig war oder die Zahl der möglichen Probanden nur sinnlos verkleinert würde. Die Vorstellung von den Rechten des Individuums in der Gesellschaft veränderte sich im Nationalsozialsozialismus mehr und mehr dahingehend, dass jeder seinen Beitrag zum „Volksganzen“, zum Wohle der vermeintlichen „Volksgemeinschaft“ zu leisten habe. Dies betraf auch die Kranken, die in der nationalsozialistischen 291 Horst Weidler, Aussage vom 19. Oktober 1964, HStA Düsseldorf, Kalkum, Rep. Ger. 118, Nr. 2328, Bl. 122; Heinrich Lienau, Schreiben vom 20. August 1947 an das AG Flensburg, StA Münster, Nr. 390, Band 35, Bl. 47; Wolters (2001), S. 74–83. 292 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 5. Juni 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 69–79, hier Bl. 73. 293 Vgl. Hahn (1995), Eckart/Reuland (2006).

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Ideologie zunehmend eine Last für die Gesunden darstellten. Sie zu Versuchen heranzuziehen, erschien daher wieder legitim. Keine andere Berufsgruppe, mit Ausnahme der Juristen, war in der SS so stark vertreten wie die Ärzte. Sie waren im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung um das siebenfache überrepräsentiert.294 Ärzte waren auch in der frühen NSDAP überdurchschnittlich häufig Mitglieder geworden. Kudlien vermutete als Gründe für den großen Zulauf das Vorhandensein bestimmter „Kanäle“, über die der Zugang zu nationalsozialistischen Kreisen begünstigt wurde. Dazu gehörten Freikorps, rechte Parteien wie die DNVP und andere radikale, völkische Gruppierungen.295 Dieses Argument wird durch die Betrachtung der Biografien wichtiger Akteure der SS, der KZ-Medizin und der Gesundheitspolitik im Nationalsozialismus zweifellos gestützt: so waren beispielsweise Himmler selbst, Grawitz, Gebhardt, Wolff, Kranefuß, Dermietzel, aber auch Gerhard Wagner Freikorpskämpfer; Gütt und Conti waren Mitglieder völkisch-national ausgerichteter Organisationen. Unter den Ärzten, die sich in der nationalsozialistischen „Bewegung“ engagierten, waren außerdem sehr viele so genannte Grenz- und Auslandsdeutsche, die sich aufgrund der Gebietsverluste des Reiches nach dem Ersten Weltkrieg in ihrer ursprünglichen Heimat bedrängt sahen oder unter dem Prestigeverlust Deutschlands im Ausland litten.296 Dies gilt beispielsweise für die aus dem Elsaß stammenden Ärzte Karl Brandt und Walter Sonntag.297 Eines der wichtigsten Motive der Ärzte für dieses politische Engagement sieht Kudlien jedoch in dem „hochemotionalen, irrationalen ‚Idealismus‘“ der NS-Bewegung, von dem sich gerade Ärzte angezogen fühlten.298 Kater sieht die große Anziehungskraft insbesondere der SS für Ärzte darin, dass sie dort „Entscheidungsbefugnisse“ erhalten hätten, die ihnen „andere Menschen auf Gnade und Ungnade“ ausgeliefert hätten. In Anlehnung an Lifton geht er davon aus, dass Ärzte „regelmäßig an der Grenze zwischen Leben und Tod“ arbeiteten. Der Tod habe eine große Bedeutung in einer Organisation gehabt, „die sich mit einem Totenkopf als Symbol schmückte.“299 Kater übersieht dabei, dass nur ein kleiner Teil der Ärzte der SS je in den Konzentrationslagern arbeitete. Gerade die Älteren waren meist nur in der Allgemeinen SS und behielten ihre zivile Beschäftigung im Krankenhaus oder in der eigenen Arztpraxis bei. Diese Ärzte waren, entgegen der von Kater übernommenen Annahme Liftons, nicht ständig von Sterbenden umgeben, sondern behandelten Erkrankungen wie sie im Alltag auch üblicherweise vorkamen.300 Die Tätigkeit bei der Waffen-SS betraf nur die jüngeren unter den SS-Ärzten, denn die Altersbegrenzung für die Zugehörigkeit zur Waffen-SS im aktiven Dienst betrug 45 Jahre. Diese Ärzte 294 295 296 297 298 299 300

Kater (2000), S. 128. Vgl. Kudlien (1982), S. 29–32. Vgl. Kudlien (1985), S. 37. Vgl. Stoll (2002a), S. 38 sowie Schmidt (2007), S. 27. Vgl. Stoll (2002a), S. 39. Kater (2000), S. 129. Vgl. Lifton, zitiert nach ebd. Kritisch zu Liftons Auffassung: Sedghi (1993) sowie Kohut (1987).

3.4. Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung

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waren nach Kriegsbeginn, ähnlich den Militärärzten der Wehrmacht, in den Lazaretten mit der Versorgung der Verwundeten befasst. Ihre Mitgliedschaft in der Waffen-SS bedeutete im Rahmen der Militärmedizin in der täglichen Arbeit keinen signifikanten Unterschied. In der SS herrschte, trotz des überproportionalen Anteils, ein Mangel an Ärzten. Es wurden verschiedene Wege eingeschlagen, deren Zahl zu erhöhen. In renommierten Fachzeitschriften wurde unter approbierten Ärzten für den Eintritt in die SS geworben. An den medizinischen Fakultäten der Universitäten umwarb die SS Medizinstudenten und bildete so genannte „Studiengemeinschaften“, die der „weltanschaulichen Schulung“ der Bewerber dienten.301 Es ist davon auszugehen, dass gezielt diejenigen angesprochen wurden, die von vorneherein für die SS als geeignet angesehen wurden. Wer sich werben ließ, wird mit den nationalsozialistischen Vorstellungen von Medizin und Gesundheitspolitik sympathisiert und sich als zukünftiger „Gesundheitsoffizier“ gesehen haben.302 Seit 1934 begann die SS eigenes Führungspersonal auszubilden. Die Übernahme von ehemaligen Reichswehr- und Wehrmachtsoffizieren schien nicht mehr ausreichend, um ein einheitliches, geschlossenes Führungskorps zu bilden. Im Selbstverständnis der SS war ein SS-Führer etwas anderes als ein Offizier. Ausgehend von ihrem Elitegedanken, war der entscheidende Schritt „in die soziale Exklusivität“ bereits die Aufnahme in die SS und nicht erst der Aufstieg bzw. Eintritt in das Führerkorps. Die Möglichkeit SS-Führer zu werden, stand auch jenen offen, die aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage waren, eine traditionelle Offizierslaufbahn beim Militär einzuschlagen.303 Seit der Eröffnung der SS-ärztlichen Junkerschule in Berlin im Jahr 1936, ab 1940 als SS-ärztliche Akademie in Graz weitergeführt, bot die SS eine eigene medizinische Ausbildung zum „SS-Führer und Arzt“ an. Die Bewerber der Junkerschulen benötigten bemerkenswerter Weise kein Abitur oder einen vergleichbaren qualifizierenden Schulabschluss. Lediglich diejenigen, die ein Medizinstudium anstrebten, sollten ein Reifezeugnis vorweisen.304 Sie traten als Anwärter in die SS ein und mussten eine sechsmonatige Waffenausbildung bei der Truppe absolvieren, gefolgt von dem zwölf Monate dauernden Führerlehrgang an einer der beiden SS-Junkerschulen in Braunschweig oder Bad Tölz. Die wichtigsten Lehrinhalte waren Taktik, Geländekunde, Heerwesen und Waffenkunde, Deutschunterricht sowie Leibesübungen. Breiten Raum nahm das Fach „Weltanschauliche Erziehung“ ein, in dem die Kernthemen der SS-Ideologie vermittelt wurden. Die Ausbildung endete mit der Beförderung zum SS-Untersturmführer. Danach konnte die Bewerbung zum Medizinstudium erfolgen.305 Die im Jahre 1936 veränderte Prüfungsordnung für Ärzte an allen Universitäten des Deutschen 301 302 303 304 305

Vgl. Pyschik (1998), S. 57. Vgl. Schmiedebach (1987). Vgl. Wegner (2006), S. 17. Vgl. Fischer (1984), Band 3, S. 2205. Absolventen eines so genannten „Verwaltungsführer-Lehrgangs“ sollten zu juristischen, staats- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen zugelassen werden. Vgl. Wegner (2006), S. 140, S. 147–148 und S. 160.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Reichs trug den Anforderungen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik an zukünftige Ärzte dahingehend Rechung, dass „Rassenhygiene“ als Prüfungsfach vorgeschrieben wurde. Seit 1933 waren zahlreiche Lehrstühle für Rassenhygiene eingerichtet worden. Den ersten dieser Art hatte Fritz Lenz in Berlin inne.306 Der einflussreichste deutsche Medizinhistoriker während des Nationalsozialismus, Paul Diepgen, Professor und Leiter des Berliner Instituts für Geschichte der Medizin, war bemüht, eine „völkische“ Medizingeschichtsschreibung zu etablieren, in deren Mittelpunkt eine „deutsche nationalsozialistische Weltanschauung für die Medizin“ stehen sollte. Diepgens Schüler, der SS-Arzt Bernward Josef Gottlieb, war dafür vorgesehen, dessen Nachfolge als Lehrstuhlinhaber in Berlin anzutreten. Dazu kam es jedoch nie, denn Gottlieb unterrichtete ab Januar 1943 Medizingeschichte an der SS-Ärztlichen Akademie in Graz. Zu seinen Aufgaben gehörte die Vermittlung des „deutschen Soldaten- und Ärztetums“ und des „germanisch-nordischen Geistes der Heilkunde“.307 Eine Auseinandersetzung mit dem Thema Forschungsethik ist nicht erkennbar. Auch Gottliebs Kollege Rudolf Ramm, Verfasser eines Lehrbuchs zur ärztlichen Rechts- und Standeskunde, der umfassend die Arbeit des Arztes im Nationalsozialismus in all ihren Facetten darlegte, vermied es, Fragen der Ethik in Wissenschaft und Forschung anzusprechen.308 Es ist festzustellen, dass es in der ärztlichen Ausbildung im Nationalsozialismus, auch an der SS-ärztlichen Akademie, keine spezifischen Lehrinhalte zu einer nationalsozialistischen Forschungsethik gab. Die Hälfte der 40.000 bis 60.000 Ärzte, die zwischen 1933 und 1945 praktizierte, war niedergelassen, ein weiteres Viertel arbeitete in Krankenhäusern. Kudlien geht davon aus, dass die überwiegende Mehrheit dieser Ärzte ihre Patienten „in traditioneller Weise“, also nicht nach den rigorosen Forderungen nationalsozialistischer Gesundheitspolitiker, behandelte. Sie hatten entweder dieselben traditionellen Vorstellungen von ärztlicher Ethik wie ihre Patienten, oder die Patienten erwarteten sie von ihnen und setzten ihre Forderungen mittels der freien Arztwahl durch. Mit anderen Worten: auch im Nationalsozialismus wollte die überwiegende Mehrheit der Menschen menschlich behandelt werden und die meisten Ärzte kamen dem nach.309 Einschränkend muss allerdings hinzugefügt werden, dass es sich bei diesen Patienten um den Teil der Gesellschaft handelte, der den „gesunden, arischen Volkskörper“ bildete. Nicht dazu gehörten, neben vielen Tuberkulosekranken, psychisch Kranke und körperlich bzw. geistig Behinderte, aus rassischen Gründen Verfolgte, auch die bereits emigrierten jüdischen Deutschen, Menschen mit nicht erwünschten Lebensentwürfen, Homosexuelle und viele andere Menschen.

306 Lilienthal (1979), Kater (1985c), S. 84, Kater (2000), S. 190–197 sowie Schmuhl (2008), S. 236–238. 307 Vgl. Frewer/Bruns (2003); Bruns/Frewer (2005), Bruns (2007), S. 53–54 und S. 68 sowie Frewer (2008), S. 90–94. Als Diepgen-Nachfolger war auch der Göttinger Internist Georg B. Gruber im Gespräch. Vgl. Mattulat (2007). 308 Vgl. Bruns (2007), S. 129. Vgl. auch Kater (1985c), S. 84–85. 309 Vgl. Kudlien (1991), S. 109.

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Wie die etwa 2.000 Ärzte, die in der Allgemeinen SS organisiert waren, mit ihren Patienten umgingen, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Allen SS-Ärzten gemein war, dass sie sich für den Eintritt in eine Organisation entschieden hatten, die einen Ordensgedanken propagierte, deren Mitglieder sich als Teil einer neuen, modernen gesellschaftlichen Elite fühlten und deren ideologische Vorstellungen teilten.310 Damit stellten sie sich bewusst den Aufgaben, die von der SS vorgegeben wurden: Der SS-Arzt sollte Arzt der Truppe und Hausarzt der Familienangehörigen sein, als Erbarzt fungieren (bei Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Heiratsbefehl), u.a. als Arzt in Napolas eingesetzt, als „SS- und Polizeiarzt und als Arzt in Konzentrationslagern [...] zu kriminalbiologischen Aufgaben herangezogen“ 311 und mit der „Bearbeitung besonders vom Reichsführer-SS gestellten wissenschaftlichen Aufgaben“312 beauftragt werden können. In einer Anzeige in „Ziel und Weg“ aus dem Jahr 1941 hieß es: „Möglichkeiten zur klinischen und wissenschaftlichen Betätigung bieten sich ihm [dem SSArzt] in den Lazaretten, Kur- und Genesungsheimen der Schutzstaffel. Für Forschungsarbeit stehen die SS-eigenen wissenschaftlichen Institute zur Verfügung. Bei der Lösung der großen bevölkerungspolitischen Aufgaben ist er in vorderster Front eingesetzt.“313

Die detaillierte Festlegung einer Forschungsethik wurde vor diesem Hintergrund nicht für nötig befunden. So formulierte Himmler: „Jeder SS-Arzt [...] faßt seine Entschlüsse und trifft seine Maßnahmen in voller eigener Verantwortlichkeit. [...] Die Verantwortung für die von ihm notwendig erachteten Maßnahmen kann ihm von niemandem abgenommen werden, zumal [...] der SS-Arzt [...] stets unter dem übergeordneten Gedankengut des Nationalsozialismus steht.“314

In Bezug auf die Durchführung von Menschenversuchen in Konzentrationslagern funktionierte dieses Prinzip der Einbettung einer Forschungsethik in einen größeren ideologischen und rassenhygienischen Rahmen, quasi deren Vermittlung als Teil eines Gesamtkonzepts. Der brutale Umgang mit den Opfern von Versuchen ließ sich von den SS-Ärzten, die daran beteiligt waren, offensichtlich problemlos in ihre allgemeinen Vorstellungen von ärztlicher Ethik eingliedern. SS-Ärzte, die in den Konzentrationslagern eingesetzt waren, gehörten zum überwiegenden Teil den Geburtsjahrgängen ab 1900 an. Sie waren damit Angehörige der so genannten „Kriegsjugendgeneration“ (geboren zwischen 1900 und 1910), der sogenannten „Generation der Sachlichkeit“, sowie der nach 1910 Geborenen, der sogenannten „Nachkriegsgeneration“.315 310 Vgl. Wegner (2006), S. 55. 311 „Dich ruft die SS“, zitiert nach: Fischer (1984), S. 2205. Für den Hinweis darauf danke ich Florian Bruns. 312 Fischer (1984), S. 2171. Im Bereich der Konzentrationslager besaß der SS-Standortarzt die Befugnisse eines Amtsarztes. Vgl. Hirte/Stein (2003), S. 361. 313 Die Ärzte der SS, in: Ziel und Weg (1941), Heft 7, S. 278–279. 314 Verfügung des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 28. Juli 1941, betr. Durchführung SS- und Polizeiärztlicher Anordnungen, zitiert nach: Fischer (1984), S. 2183. 315 Vgl. Herbert (1991), S. 116–117 und S. 137.

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Bei der „Kriegsjugendgeneration“ handelte es sich um eine Generation von Männern, die in ihrer Jugend tief vom Ersten Weltkrieg geprägt worden waren, die die Kriegsbegeisterung 1914 bewusst miterlebten, aber auch Hunger, Entbehrung und schließlich den Zusammenbruch der Monarchie und die Niederlage Deutschlands, ohne dass sie, wie sie glaubten, ihren persönlichen Beitrag zur Rettung Deutschlands hätten leisten können. Sie wurden die Studenten der ersten Hälfte der 1920er-Jahre. Ihre politische Einstellung war häufig von völkisch-radikalen Ideen geprägt: die fundamentale Absage an Republik und Demokratie und der rassenbiologisch motivierte Antisemitismus.316 Die Angehörigen der „Nachkriegsgeneration“ erlebten in frühester Kindheit den Ersten Weltkrieg mit der schwierigen Ernährungslage der zweiten Kriegshälfte, die Novemberrevolution und die wirtschaftliche und politische Instabilität der Weimarer Republik. Sie gingen in den 1920er Jahren zur Schule. Ihre Studienzeit, und damit auch der Beginn ihrer beruflichen Sozialisation fiel meist in die Zeit nach der Machtergreifung.317 Für Sachsenhausen ist feststellbar, dass die Lagerärzte, deren Alter bis dahin etwa bei 35 Jahren gelegen hatte, mit dem Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion zur truppenärztlichen Versorgung an die Front versetzt wurden und ihr Platz von Jüngeren eingenommen wurde. Seit Ende des Jahres 1940 übten zunächst SS-Ärzte die Funktion des Ersten Lagerarztes im Konzentrationslager Sachsenhausen aus, die der „Kriegsjugendgeneration“ entstammten: Heinz Schmick (*1909), Gustav Litschel (*1903) und Gustav Ortmann (*1904). Der 1876 geborene Richard Krieger318 war zu dieser Zeit bereits 65 Jahre alt und bildete eine Ausnahme. Ab Winter 1941 wurden diese Ärzte schrittweise durch eine Gruppe Jüngerer ersetzt, von denen insbesondere drei an den Tuberkulose-Versuchen beteiligt waren: Emil Christian Schmitz (*1914), Ernst Frowein (*1916) und Heinrich Baumkötter (*1912). Sie wurden bei der Durchführung der Versuche von Ärzten unterstützt, die wenige Jahre älter waren, jedoch mehr Berufserfahrung besaßen: von Walter Sonntag (*1907), der zuvor in Sachsenhausen und Ravensbrück an Häftlingen experimentiert hatte, und von dem Lungenfacharzt August Loderhose (*1908), Chefarzt des SS-Lazaretts in Mölln. Im Winter 1941 wurde der 1912 geborene Josef Hattler Erster Lagerarzt. Er wurde im Winter 1942 an die Ostfront versetzt und fiel 1944. Im März 1942 übernahm der aus Aschaffenburg stammende SS-Hauptsturmführer Julius Muthig 316 Ebd. Vgl. auch Kater (1975) und (1985a). 317 Gemeint ist mit diesem Begriff der „Generation“ eine „auf altersspezifische Erlebnisschichtung basierende Gemeinschaft“, deren „individuelle und kollektive Wahrnehmungsund Deutungsmuster zu spezifischen und gesellschaftlich relevanten Handlungen führen“. Jureit /Wildt (2005), S. 9. Vgl auch Wildt (2002), S. 23–26 sowie Jureit (2006). 318 RICHARD KRIEGER (*1876) war bereits seit Januar 1934 SS-Untersturmführer und seit 1941 SS-Sturmbannführer der Reserve. Im Frühjahr 1943 war Krieger Lagerarzt in Natzweiler, wo er an Phosgenversuchen beteiligt war. In Sachsenhausen gab es verschiedene Versuchsreihen zur Erprobung von Lost. Erste Experimente fanden von Oktober bis Dezember 1939 unter Mitwirkung von Walter Sonntag statt. Vgl. DAL der Waffen-SS (1944), S. 156; Schmaltz (2005), S. 534; Baader (2001), S. 12.

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diese Funktion. Muthig erinnerte sich, seinerzeit der Älteste unter den SS-Ärzten in Sachsenhausen gewesen zu sein. Er wurde im Frühjahr 1942 34 Jahre alt und war vorher bereits Erster Lagerarzt im Konzentrationslager Dachau gewesen. Frowein war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt, Schmitz 27 Jahre. Unter den vier bis fünf Lagerärzten war es Schmitz, der mit der Vertretung Muthigs betraut wurde, als Muthig seinerseits vertretungshalber die Aufgaben des Chefs des Sanitätswesens im Amt D III des WVHA übernahm. Diese Vertretungszeit dauerte vom 28. April bis zum 5. Juli 1942.319 Muthig überließ auch sonst die Arbeit im Krankenrevier weitgehend den ihm unterstellten SS-Ärzten, wusste allerdings davon, dass diese auf eigene Initiative medizinische Versuche an Häftlingen durchführten. Er beschrieb Schmitz jovial „als einen recht ‚harmlosen‘ Menschen“, dessen Versuche „harmloser Natur waren“. „Er war bestimmt nicht ein Mensch, den man als brutal bezeichnen könnte“, so Muthig.320 Muthigs Dienst in Sachsenhausen endete am 31. Juli 1942. Er wurde zur SS-Division „Das Reich“ versetzt. Ab 1. August 1942 wurde Schmitz Erster Lagerarzt.321 Emil Christian Schmitz wurde 1914 in Remscheid als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er wurde 1932, 18jährig, Mitglied der SS und trat am 1. Mai 1933 der NSDAP bei.322 1934 legte er das Abitur ab und trat in das Infanterie-Regiment 18 der Reichswehr in Münster ein. Im Oktober 1935 wurde er als Sanitäts-Reserveoffiziersanwärter der Wehrmacht entlassen. Er war an Tuberkulose erkrankt und nicht mehr truppendiensttauglich. Schmitz begann nun ein Medizinstudium in Bonn, wechselte nach dem Physikum nach Marburg und später nach München. Seit Januar 1940 studierte er an der Medizinischen Akademie Düsseldorf und legte dort im Oktober 1940 sein Staatsexamen ab. Er blieb als Assistenzarzt an der Akademie Düsseldorf, bildete sich auf dem Gebiet der Inneren Medizin weiter und wurde 1941 promoviert.323 Ende 1941 wurde Schmitz zur Verfügungstruppe eingezogen. Der Dienst in der Verfügungstruppe wurde als Wehrdienst im Sinne des Wehrgesetzes anerkannt, die Interessenten mussten sich jedoch explizit für den Dienst in der Verfügungstruppe bewerben,324 so dass Schmitz’ Aussage, er habe sich, auch durch Mithilfe des Rektors, dem Dienst bei der SS entziehen wollen, unglaubwürdig ist. Schmitz kam kurz nach Dienstantritt, Anfang 1942, als Lagerarzt in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er für die Innere Abteilung zuständig war, zu der

319 BArchB, ehemals BDC, SSO Lolling, Enno. 320 Julius Muthig, Vernehmung vom 14. Juni 1960, BArchL, B 162/ AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 1486–1489. 321 Vgl. Abschlussbericht zum Ermittlungsverfahren gegen Emil Christian Schmitz, BArchL, B 162/AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 1492–1501. 322 BArchB, ehemals BDC, SSO Schmitz, Emil Christian. 323 Vgl. Emil Christian Schmitz, Vernehmungen vom 27. Februar 1959 und vom 5. Januar 1960, BArchL, B 162/AR-Z 14/59, Band 1, Bl. 46 und Band 4, Bl. 1234–1236. Schmitz (1941). 324 Vgl. Buchheim (1994), S. 166.

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die Infektionsabteilung und die Tuberkulose-Abteilung gehörten. Die Innere Abteilung umfasste etwa 60 Betten.325 Schmitz betrieb, so erinnerten sich mehrere Häftlinge, die systematische Ermordung kranker Häftlinge im Rahmen der so genannten „Häftlingseuthanasie“ 14f13. Bereits unter Hattler war es zu zahlreichen „Euthanasie“-Aktionen gekommen. Anfang der organisierten „Häftlingseuthanasie“ war der Besuch des T4Psychiaters Friedrich Mennecke Anfang April 1941 in Sachsenhausen, der mit dem Direktor der Pfafferoder Landesheilanstalt, Theo Steinmeyer, etwa 400 Häftlinge in den Tod schickte.326 Für die Zeit vom 4. bis 7. Juni 1941 lassen sich größere Transporte in die „Euthanasie“-Anstalt Sonnenstein bei Pirna in Sachsen belegen.327 Es handelte sich größtenteils um Arm- und Beinamputierte. Die Ermordung dieser Häftlinge wurde in Sachsenhausen besonders wahrgenommen, weil die Prothesen der Opfer wieder ins Lager zurückgeschickt wurden. Auch nach dem offiziellen „Euthanasie-Stopp“ vom 24. August 1941 wurden die Selektionen unvermindert fortgesetzt. Bei „Überfüllung des Reviers“ stellte Schmitz im Sommer 1942 Transporte mit kranken, schwachen und nicht mehr arbeitsfähigen Häftlingen zusammen. Die Opfer wurden u.a. nach Dachau gebracht.328 Schmitz soll, wie zuvor auch Hattler, den Häftlingen vor dem Transport Spritzen verabreicht haben. Den Opfern wurde gesagt, sie erhielten eine „Stärkungsspritze“, um den Transport besser zu überstehen. Manche der körperlich Schwachen starben daran bereits vor dem Abtransport.329 Schmitz führte, auch wenn er dies später vehement bestritt, verschiedene medizinische Versuche an Häftlingen durch. Seine medizinischen Experimente zu Gasbrandphlegmonen an gesunden Häftlingen, die im Sommer 1942 stattfanden, stechen durch besondere Grausamkeit ins Auge. Wladimir Raska, tschechischer Radiologe und damals Medizinstudent, erinnerte sich später an die schrecklichen Operationen, bei denen Schmitz den Opfern ohne Narkose Schnitte in den Unterschenkel beibrachte, die u.a. durch Einbringen von verschmutztem Stroh in die Wunde infiziert wurden. Die Versuchspersonen wurden mit Echinacil und Prontosil behandelt.330 Zwanzig von ihnen starben qualvoll in Folge der Versuche. 325 Vgl. Emil Christian Schmitz, Vernehmung vom 15. Juni 1959, BArchL, B 162/AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 780–790. 326 Vgl. Friedrich Mennecke, Brief an seine Frau vom 7. April 1941, zitiert nach: Hamburger Institut für Sozialforschung (1987), S. 195–196. Mennecke schrieb: „Soeben bin ich fertig geworden mit der statistischen Zusammenstellung der von mir untersuchten Häftlinge, bis jetzt 109 an der Zahl. Morgen kommen noch ca. 25–30 weitere als letzte Arbeit dazu. Ich lege gerade auf diese Unterlagen besonderen Wert für eventuelle spätere wissenschaftliche Verwertung, weil es sich ausschließlich um ‚Antisoziale‘ – und zwar in höchster Potenz – handelt.“ 327 Vgl. Sachsenhausen (1986), S. 46. 328 Vgl. Heinrich Lienau, Schreiben an AG Flensburg vom 20. August 1947, StA Münster, Nr. 390, Band 35, Bl. 47. 329 Vgl. Klaus Pieper, Aussage vom 12. Juni 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 94–98, hier Bl. 95. 330 Vgl. Wladimir Raska, Zeugenvernehmung vom 16. Juni 1959, BArchL, B 162/ AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 793–795.

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Schmitz verbreitete unter den Häftlingen durch seine Art, mit ihnen umzugehen, Panik, wie Harry Naujoks später aussagte. Die Häftlinge seien für Schmitz „willkommene Objekte zur Fortsetzung seiner medizinischen Ausbildung“ gewesen. Diese Haltung habe dazu geführt, dass auch bestimmte Häftlingspfleger dazu übergingen, an ihren Mithäftlingen eigenmächtig medizinische Eingriffe vorzunehmen, so Naujoks.331 Die Phlegmone-Versuche waren Teil einer groß angelegten Serie von kriegschirurgischen Experimenten, die an Häftlingen mehrerer Konzentrationslager, u.a. in Ravensbrück und Dachau, unternommen wurden.332 In der Art und Weise des Vorgehens, der Beibringung tiefer Wunden an den Unterschenkeln zum Zwecke der Infektion mit Gasbrandbakterien und die nachfolgende Behandlung ausgewählter Häftlinge mit Sulfonamiden, gleichen die Versuche von Schmitz den Ravensbrücker Sulfonamid-Versuchen bis ins Detail. In Ravensbrück wurden am 20. Juli 1942 die ersten Versuchspersonen operiert, nach übereinstimmenden Aussagen von Karl Gebhardt und Fritz Fischer, zwanzig männliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen.333 Im Oktober 1942 erkrankte Schmitz an Diphtherie. Nach längeren Lazarettaufenthalten wurde er im März 1944 als dienstunfähig entlassen. Bis Kriegsende war er Assistent von Paul Martini334 an der Medizinischen Universitätsklinik in Bonn.335 Von 1950 bis zu seiner Festnahme im Jahr 1959 war Schmitz Mitarbeiter der Firma Boehringer Ingelheim. Ein von der Staatsanwaltschaft Mainz beantragtes Verfahren wurde 1960 eingestellt.336 Die Stelle von Schmitz als Lagerarzt im KZ Sachsenhausen nahm Ernst Frowein ein, auch er ein Absolvent der Medizinischen Akademie Düsseldorf. Frowein wurde 1916 in Iserlohn geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Realgymnasiums legte er Ostern 1936 das Abitur ab und begann im Herbst 1936 in Marburg das Medizinstudium. Von Anfang April bis Ende September leistete er seinen Arbeitsdienst. Am 1. Mai 1937 wurde Frowein Mitglied der NSDAP. Nach einigen Semestern des Medizinstudiums in Kiel und Jena kam er im Wintersemester 1940 nach Düsseldorf, wo er sein Staatsexamen ablegte, an der Hautklinik bei Theodor Schreus arbeitete und von diesem noch im gleichen Jahr promo331 Harry Naujoks, Zeugenvernehmung vom 8. Juni 1959, BArchL, B 162/ AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 755–760, hier Bl. 759. HARRY NAUJOKS (1901–1983), Kesselschmied, KPD-Funktionär, 1933–1945 aus politischen Gründen inhaftiert, seit 1936 im KZ Sachsenhausen, seit 1939 Erster Lagerältester, im November 1942 nach Flossenbürg deportiert. 332 Vgl. Ebbinghaus/Roth (2001), S. 200–201. 333 Vgl. Mitscherlich/Mielke (1995), S. 175–179; Martin (1994a), S. 105–108; Martin (1994b), S. 116–122; Ebbinghaus/Roth (2001), S. 201; Schmidt (2005), S. 30–34. 334 PAUL MARTINI (1889–1964), Internist, seit 1932 Ordinarius und Direktor der Medizinischen Klinik in Bonn. Martini beschäftigte sich intensiv mit Arzneimittelprüfungen und formulierte in seiner „Methodenlehre der therapeutischen Untersuchungen“ Kriterien für die Durchführung klinisch-therapeutischer Studien. Zur klinischen Forschung und Ethik bei Paul Martini vgl. Martini (1932) sowie Stoll (2003). 335 Vgl. Emil Christian Schmitz, Vernehmung vom 15. Juni 1959, BArchL, B 162/AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 780–790 336 Ley/Morsch (2007), S. 186–187.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

viert wurde.337 Nach Schmitz, der ebenfalls in diesem Jahr dort sein Examen machte, und der Ravensbrücker Lagerärztin Herta Oberheuser, die bei Schreus 1940 ihre Facharztausbildung abschloss, war Frowein ein weiterer Arzt, der kurze Zeit später im Konzentrationslager an Menschen experimentierte.338 Von Oberheuser ist bekannt, dass auch nach ihrem Wechsel ins Konzentrationslager eine enge Verbindung zu ihrem akademischen Lehrer Schreus bestand. Schreus war führend auf dem Gebiet der Sulfonamid-Forschung und einer der „Experten des Gasbrandes“ in Deutschland. Er war 1924 als „junger, vielversprechender Privatdozent“ an der Medizinischen Akademie Düsseldorf Oberarzt und außerdem Leiter der Röntgenabteilung geworden.339 1927 wurde Schreus zum Professor ernannt, 1930 erhielt er den Lehrstuhl für Dermatologie und Syphilidologie.340 Schreus wurde 1940 Beratender Dermatologe der Wehrmacht. Oberheuser soll Schreus mehrmals in Düsseldorf besucht und ihm Unterlagen aus den Versuchen vorgelegt haben.341 Ob Frowein, wie Oberheuser, als KZ-Arzt Kontakt zu Schreus hielt, ist nicht bekannt, ebenso wenig, ob Frowein, Schmitz und Oberheuser sich untereinander über ihre Versuche austauschten. Frowein trat am 22. Juli 1941 der Waffen-SS bei. Er wurde am 9. November 1941 SS-Untersturmführer und am 9. November 1942 zum SS-Obersturmführer befördert. Er wurde am 3. Juni 1942 nach Sachsenhausen versetzt. Nach Schmitz‘ krankheitsbedingtem Ausscheiden in Sachsenhausen übernahm er die Stelle als Erster Lagerarzt und hatte diese bis zur Ankunft Baumkötters Anfang 1943 inne. Er blieb als stellvertretender Lagerarzt und Mitarbeiter Baumkötters bis zum Juli 1943 in Sachsenhausen. Heinrich Baumkötter wurde am 7. November 1912 in Burgsteinfurt geboren und katholisch erzogen. Nach dem Abitur begann er ein Medizinstudium an der Universität Münster und wurde dort im September 1939 notapprobiert. Trotz seiner katholischen Erziehung wurde er am 10. Januar 1935 Mitglied der Allgemeinen SS. Er wurde dem Sanitätszug eines SS-Sturms in Münster zugeteilt. Sein Dienst bestand, so erinnerte er sich später, vor allem darin, an abendlichen Zusammenkünften teilzunehmen und Vorträge über medizinische Themen zu halten. Zu Kriegsbeginn wurde er zur SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ (LAH) in BerlinLichterfelde, einer der Einheiten der SS-Verfügungstruppe, einberufen und alsbald zur SS-Standarte „Deutschland“ überstellt, deren Standort sich ab 1939 in 337 Vgl. Frowein (1940), Lebenslauf. 338 Vgl. HERTHA OBERHEUSER (*1911), Ärztin, Promotion in Bonn 1938, Lagerärztin in Ravensbrück, Assistenzärztin in Hohenlychen, im Nürnberger Ärzteprozess zu 20 Jahren Haft verurteilt, 1952 entlassen, Anstellung im Krankenhaus in Plön, 1956 Strafverfahren wegen in Nürnberg nicht abgeurteilter Straftaten; 1960 Entzug der ärztlichen Approbation und Schließung der Privatpraxis. Vgl. Frewer et al. (1999), S. 41 und 54–55; Ebbinghaus (1987b), Ebbinghaus/Dörner (2001), S. 637. 339 Schadewaldt (1973b), S. 64. Schadewaldt bezeichnet Schreus in diesem Zusammenhang auch als „hervorragenden Gelehrten“. 340 Vgl. Schadewaldt (1966), S. 118. 341 Vgl. Mergenthal (1997), S. 193–194.

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München-Freimann befand. Er nahm dort an einem Lehrgang für SS-Ärzte, Zahnärzte und Apotheker teil, dessen Teilnehmer sowohl für den Dienst in den Konzentrationslagern als auch für den Einsatz an der Front ausgebildet wurden. Nach Beendigung dieser Grundausbildung wurde Baumkötter zum SS-Oberscharführer befördert und nahm mit der Standarte „Deutschland“ an der Besetzung Polens teil, wo er in Warschau als Truppenarzt arbeitete. Als nach dem Polenfeldzug aus den Standarten „Deutschland“, „Germania“ und „Der Führer“ die Division „Das Reich“ gebildet und nach Belgien verlegt wurde, blieb Baumkötter weiterhin Truppenarzt. Er wurde zum SS-Hauptscharführer und am 20. April 1940 zum SS-Untersturmführer befördert. Anschließend war Baumkötter bis zum November 1941 an der Ostfront, wo seine Division am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt war. Baumkötter wurde zur Inspektion der Konzentrationslager versetzt und zunächst in Mauthausen stationiert. Dort war er, nach eigenen Angaben, jedoch nur als Truppenarzt der Wachverbände eingesetzt. Nach einer Fleckfiebererkrankung und der Beförderung zum SS-Obersturmführer wurde Baumkötter Lagerarzt im Konzentrationslager Natzweiler und in Niedernhagen, einem nahe der Wewelsburg gelegenen Konzentrationslager. Hier hatte er erstmals dienstlich Kontakt mit Konzentrationslagerhäftlingen. Seit August 1942 war Baumkötter, ebenso wie zuvor in Mauthausen, als einer der Standortärzte der Wachverbände in Oranienburg eingesetzt. Im Dezember 1942 wurde er am Hygienischen Institut der Universität Münster mit einer Arbeit zur Trinkwasserqualität promoviert.342 Die Hygiene gehörte zu den wichtigsten medizinischen Forschungsgebieten im Nationalsozialismus und wurde innerhalb der SS sowohl im Zusammenhang mit der Versorgung im Kriegseinsatz als auch mit der Seuchenbekämpfung in Konzentrationslagern eine große Rolle.343 Maßgeblichen Anteil daran hatte das Hygieneinstitut der Waffen-SS unter der Leitung von Joachim Mrugowsky, dessen Schriften zur Wasserhygiene Baumkötter in seiner Dissertation rezipierte. Anfang 1943 folgte Baumkötter Schmitz offiziell in der Funktion des Ersten Lagerarztes und Standortarztes des Konzentrationslagers Sachsenhausen nach.344 Neben den regulär in Sachsenhausen arbeitenden SS-Ärzten wurden zur Versorgung der schulmedizinisch zu behandelnden Versuchspersonen der Tuberkulose-Versuche weitere SS-Ärzte eingesetzt. Sie hatten in der Regel einige Jahre Berufserfahrung. Es handelte sich bei diesen Ärzten um den schon zuvor als Lagerarzt in Sachsenhausen tätigen Walter Sonntag und um die Lungenärzte Erich Jaekel und August Loderhose. Loderhose war Chefarzt des SS-Lazaretts Mölln,

342 Baumkötter (1942). Baumkötters akademischer Lehrer und Doktorvater war der Hygieniker Karl Wilhelm Jötten (*1886), der sich u.a. der Tuberkuloseforschung widmete. Jötten war neben Kißkalt und Uhlenhuth Mitherausgeber des Archivs für Hygiene. 343 Vgl. Weindling (2000), S. 252–254 344 Vgl. Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 15, Bl. 71–73; BArchB, ehemals BDC, SSO Baumkötter, Heinrich und RÄK, sowie Justiz und NSVerbrechen, Urteil.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

der einzigen Klinik der SS speziell für die Behandlung von Lungenkrankheiten.345 Ergänzt wurde die Gruppe um den Apotheker Herbert Siggelkow, der als Mitarbeiter Blumenreuters und Lollings die Aufgabe hatte, die Versorgung von Menschenversuchen mit Medikamenten und Apparaten sicherzustellen und dabei direkten Kontakt zu den Experimentatoren und den Häftlingen hatte. Walter Sonntag wurde 1907 in Metz in Lothringen geboren. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs musste seine Familie Lothringen verlassen und zog nach Saarbrücken. Sonntag studierte seit 1928 Zahnheilkunde in München und Kiel, wo er zum Dr. med. dent. promoviert wurde.346 Nach einer zweijährigen Tätigkeit als Assistent an der Universitäts-Zahnklinik in Kiel ließ er sich 1934 mit eigener Praxis nieder, studierte Humanmedizin und erhielt 1939 die ärztliche Approbation. 1933 war Sonntag Mitglied der NSDAP und der SS geworden.347 Im August 1939 wurde er KZ-Arzt, zunächst in Sachsenhausen, dann ab Mai 1940 in Ravensbrück. In Ravensbrück lernte Sonntag seine Ehefrau, die KZ-Ärztin Gerda Weyand, kennen. Beide heirateten im Juli 1941. In Ravensbrück beteiligte sich Sonntag an der Ermordung kranker Häftlinge im Zusammenhang mit „14f13“ und zwangssterilisierte Frauen auf Grund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, aber auch nach eigenem Gutdünken.348 Sonntags Tätigkeit im Zusammenhang mit den Tuberkuloseversuchen blieb auf die Anfangsphase beschränkt, denn Ende 1941 wurde er, angeblich auf mehrfachen eigenen Wunsch, zur Front abkommandiert, wo er als Chirurg eingesetzt wurde. Eine besondere Qualifikation auf dem Gebiet der Lungenheilkunde besaß er nicht. Während einer längeren Herzerkrankung fertigte Sonntag 1942/1943 eine medizinische Dissertation zur Medizinalgesetzgebung nach 1933 an.349 Loderhose, geboren 1908 in Frankenberg/Eder als Sohn eines Landwirts, legte 1928 das Abitur ab und studierte Medizin in Marburg und Berlin. Nach dem Staatsexamen, das er 1934 ablegte, folgte ein Praktisches Jahr als Volontärassistent an der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses Frankfurt am Main. Danach war er über zwei Jahre Assistent und später Oberarzt der Klinischen Lungenheilanstalt Sanatorium Birkenhaag in Berlin-Lichtenrade, wo er sich zum Facharzt für Lungenkrankheiten qualifizierte. Aus dieser Zeit stammt auch einer der wenigen Artikel, die Loderhose in einer Fachzeitschrift publizierte.350 Ab 1939 war er für einige Zeit an der III. Medizinischen Universitäts-Poliklinik in Berlin bei Walter Unverricht tätig, der ihn mit einer Arbeit zur Lungentuberkulose promovierte.351 345 ERICH JAEKEL (*1901), Dr. med., SS-Nr. 297 237, SS-Obersturmbannführer der Reserve seit 20. April 1944, SS-Lazarett Starkenbach, DAL der Waffen-SS 1944, S. 151; BArchZwADH, ZM 1607, A1, Blatt 271; Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 25. Oktober 1968, HStA Düsseldorf, Kalkum, Gerichte Rep. 11 Nr. 2328, Bl. 164. 346 Vgl. Sonntag (1933). 347 BArchB, ehemals BDC, SSO Sonntag, Walter; vgl. auch Stoll (2002a). 348 Vgl. Strebel (2003), S. 61–64, S. 98, S. 248, S. 259, S. 322–327. 349 Vgl. Sonntag (1943). 350 Vgl. Loderhose (1937). 351 Vgl. Loderhose (1940).

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Im August 1940 meldete er sich zur Waffen-SS und wurde Leitender Arzt im SS-Lazarett in Berlin, wenig später Chefarzt des SS-Lazaretts in Mölln. Von dort wurde er zur SS-Division „Wiking“ versetzt. Von längeren, teilweise durch Verwundungen bedingten Unterbrechungen abgesehen, nahm er bis 1944 am Russlandfeldzug teil. Nebenamtlich arbeitete Loderhose außerdem als Lungenfürsorgearzt für das Gesundheitsamt Berlin-Schöneberg. Loderhose war seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP und seit 29. Juni 1933 der SS. Er wurde 1939 zum Untersturmführer, 1940 zum Obersturmführer und 1941 zum Hauptsturmführer befördert. Eine weitere Beförderung verzögerte sich, weil er sich wiederholt schwere Disziplinverstöße zuschulden kommen ließ. Die Lebensläufe dieser SS-Ärzte zeigen zahlreiche gemeinsame Merkmale: Sie waren schon als junge Ärzte erfolgreich und übernahmen bald nach dem Abschluss des Studiums Führungsaufgaben bei der SS. Sie waren überzeugte Nationalsozialisten. Drei der Ärzte, Schmitz, Frowein und Loderhose, studierten an der Medizinischen Fakultät der Universität Marburg, einer Hochburg des Nationalsozialismus.352 Sonntag war jahrelang der Medizinischen Fakultät der „Stoßtrupp“Universität Kiel verbunden.353 Bei mehreren KZ-Ärzte liegt nahe, dass ihre akademischen Lehrer großen Einfluss auf ihre ethischen Überzeugungen genommen und sie in der universitären Ausbildung an den Missbrauch von Patienten in der medizinischen Forschung herangeführt hatten, ähnlich wie im bereits beschriebenen Fall Bessau-HenselCatel. So waren Schmitz, Frowein und Oberheuser Schüler von Schreus. Ein weiteres Beispiel ist Fritz Fischer, der in Ravensbrück Sulfonamid-Versuche durchführte. Bevor er KZ-Arzt wurde, arbeitete er für den Neuropathologen Berthold Ostertag.354 Ostertag obduzierte mindestens 106 Opfer der Kinder-„Euthana352 92% der Hochschullehrer der Medizinischen Fakultät in Marburg waren in irgendeiner Form institutionell an das Regime gebunden, sei es durch Mitgliedschaft und Engagement in NSDAP, SS, SA oder den Standesorganisationen. Besonders auffallend ist die hohe Affinität von Hochschullehrern zur SA. Vgl. Grundmann (2001), S. 199. Unter den SS-Mitgliedern fällt durch seine Position besonders der Ordinarius für Hygiene, Pfannenstiel ins Auge. WILHELM PFANNENSTIEL (1890–1982) hatte einen erfolgreichen Aufstieg als Arzt im Sanitätswesen der Allgemeinen SS hinter sich. Er war seit 1933 Mitglied der SS und wurde 1937 SS-Oberabschnittsarzt für Fulda-Werra. Seit 1939 war er Beratender Hygieniker der SS und besichtigte u.a. die Vergasung von Juden in Belzec sowie mit Himmler die Rascher-Versuche in Dachau. Als Hochschullehrer betreute er eine Anzahl von rassenhygienischen und antisemistischen Dissertationen. Vgl. Aumüller et al. (2001), S. 291–300. 353 Lohff zeigt, dass die Kieler Studentenschaft schon vor 1933 stark nationalsozialistisch eingestellt war. Unter den Hochschullehrern befanden sich einige bekannte Nationalsozialisten wie Hermann Dold, Ernst Holzlöhner und Josef Vonkennel, die der SS sehr verbunden waren. So erfolgte die politisch-ideologische Machtangleichung nach 1933 bemerkenswert reibungslos. Vgl. Lohff (2005), S. 232–233. 354 BERTHOLD OSTERTAG (1895–1975), Pathologe, Studienbeginn vor Kriegsausbruch, 1914-1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg. 1920 approbiert und promoviert, Freikorpskämpfer, seit 1925 Prosektor in Berlin-Buch. Mitglied der SA und der NSDAP, seit 1935 Direktor der Pathologie des Virchow-Krankenhauses in Berlin, seit 1950 Leiter der Neuropathologie der Universität Tübingen und damit Nachfolger von Villinger und Kretzschmer, Emeritierung 1964. Vgl. Peiffer (1997), S. 73–75.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

sie“ aus der „Kinderfachabteilung“ Wiesengrund der Wittenauer Heilstätten, möglicherweise auch aus eigenem Forschungsinteresse. Er beschäftigte sich in einem großangelegten Forschungsprojekt mit „Missgeburten, insbesondere Spaltenbildung der Wirbelsäule“, um festzustellen, „ob diese auf Missbildungen auf erblicher Grundlage beruhen oder auf Störungen des Entwicklungsganges bei der Geburt“.355 Fischer hatte in Bonn, Berlin und Leipzig studiert und war 1938 in Hamburg zum Dr. med. promoviert worden. Nach Approbation und Promotion kam er als Assistenzarzt zu Ostertag und blieb dort bis zum 1. November 1939, dem Tag seines Dienstantritts in Ravensbrück. Es entstand ein „enger Kontakt“ zwischen Fischer und Ostertag, der sogar noch nach Fischers Haftentlassung 1954 fortbestand.356 Diese Beziehung bezeichnet Ulf Schmidt mit Blick auf Ostertags Verbindung zur „Euthanasie“ und seine daraus resultierende Forschungsethik als „ersten Hinweis auf Fischers potentielle Verstrickung in nationalsozialistische Medizinverbrechen“.357 Eine wichtige Rolle bei den Tuberkulose-Versuchen spielte der Apotheker Herbert Siggelkow. Er wurde 1906 in Schleswig geboren, legte 1923 das Abitur ab und ließ sich zum Apotheker ausbilden. Seit 1931 arbeitete in diesem Beruf. Von 1938 bis 1940 studierte er an der Technischen Hochschule Braunschweig Pharmazie und bestand dort im Dezember 1940 das pharmazeutische Staatsexamen. Er trat am 1. Februar 1932 in die NSDAP ein und wurde gleichzeitig Mitglied der SS. Als Unterscharführer wechselte er am 6. Juni 1941 zur SS-Verfügungstruppe, wo er zuletzt SS-Hauptsturmführer war. Im Juni 1941 war Siggelkow zunächst dem Sanitäts-Ersatzbatallion in Oranienburg zugeteilt. Von dort wurde er ins SS-Hauptsanitätslager nach Berlin-Lichtenberg versetzt, wo er als Apotheker beschäftigt war. Nach einem Führeranwärter-Lehrgang im Februar 1942 wurde Siggelkow im März 1942 Leiter der Lagerapotheke im Konzentrationslager Dachau. Er blieb in dieser Stellung etwa ein Jahr bis zum 28. März 1943. Als Leiter der Lagerapotheke hatte er dafür zu sorgen, dass genügend Medikamente und notwendige medizinische Geräte zur Verfügung standen. Diese Aufgabe bezog sich auch auf die an Häftlingen durchgeführten medizinischen Versuche. So will Siggelkow für die Versuche zur Rettung aus großen Höhen, die der SS-Arzt Sigmund Rascher im Konzentrationslager Dachau durchführte, Kaffee und Cognac sowie „Reagenzien, [...] die sonst schwer zu beschaffen waren und bei der Reichsstelle Chemie beantragt werden mussten“,358 besorgt haben.359 Für die Malaria- Versuche von Carl Claus Schilling organisierte er nach eigenen Angaben Pyramidon und Plasmochin. Möglicherweise war Siggelkow auch in die Bestellung und Lieferung von Neosalvarsan, Chinin und Atebrin sowie Pyrifer, Stimolol und B 2516 der Firma Boehringer involviert, die teilweise erst einer kli355 Leonardo Conti an Rudolf Mentzel, Schreiben vom 26. April 1937, zitiert nach: Peiffer (1997), S. 87–88; vgl. Peiffer (2005), S. 12 sowie Peiffer (1999), S. 346. 356 Vgl. Peiffer (1997), S. 89. 357 Schmidt (2001), S. 385. 358 Herbert Siggelkow, Eidesstattliche Erklärung vom 23. Januar 1947, IfZ, NO 1579. 359 Vgl. Roth (2001).

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nischen Prüfung unterzogen werden sollten.360 Das in der Aussage von Siggelkow erwähnte Mikroskop, das Schilling von ihm für die Versuche forderte, wurde, wie neuere Forschungsergebnisse zeigen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt.361 Von April 1943 bis 31. Dezember 1944 leitete Siggelkow die Lagerapotheke im Konzentrationslager Sachsenhausen. Wie er 1947 erklärte, lernte er Gualtherus Zahn im Zusammenhang mit seiner Arbeit kennen. Unklar ist jedoch, ob bereits in seiner Stellung als Mitarbeiter des SS-Hauptsanitätsamtes in der Zeit 1941/1942 oder, was wahrscheinlicher ist, erst in seiner Eigenschaft als Lagerapotheker in Sachsenhausen. Ab 1. Januar 1945 war Siggelkow Mitarbeiter von Lolling im Amt D III des WVHA, wo seine Aufgabe, darin bestand, Lolling zu beraten und die aus den Apotheken der einzelnen Konzentrationslager eingehenden Medikamenten-Bestellungen zu überprüfen. Nach Siggelkows Angaben gab es, neben Sachsenhausen, nur in den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen, Buchenwald, Ravensbrück und Auschwitz eigene Lagerapotheker der SS. Zu Kriegsende wechselte Siggelkow nochmals die Stelle. Er wurde zurück in das Hauptsanitätslager nach Berlin-Lichtenberg versetzt.362 Nach 1945 war Siggelkow Apotheker in Hamburg. 3.4.2. „Vergleichskur“: Die Durchführung der Versuche Innerhalb weniger Tage nach der Unterredung zwischen Himmler, Kersten und den Brüdern Zahn vom 24. Januar 1941 wurden diverse Stellen des SS-Machtapparates aktiviert, um die passenden Voraussetzungen für die Versuche zu schaffen: Richard Glücks wurde angewiesen, Zahn zu unterstützen. Bei der Kasse des Persönlichen Stabes ging die Anweisung zur Auszahlung von monatlich 1.000 Reichsmark an Zahn ein. Anfang Februar bestellte Zahn bei Grawitz erste Instrumente für die Versuche.363 Am 13. Februar 1941 erschien Zahn bei Rudolf Brandt. Beide sprachen u.a. über ein „Ozonpräparat“, die „Versuche in Oranienburg“ und eine „Wohnung in Birkenwerder“.364 Eine entsprechende Wohnung schien bald gefunden worden zu sein, denn am 19. Februar 1941 erhielt Lolling die Mitteilung, dass er Zahn einen Wagen für seinen Umzug zu beschaffen hätte.365 Die Wohnung befand sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Stadt Birkenwerder, einer benachbarten Kleinstadt, sondern in Oranienburg, möglicherweise in unmittelbarer Nähe des Lagergeländes selbst. Rudolf Brandt hatte den SD über die Brüder Zahn und deren Versuchsprojekt informiert, und dieser hatte daraufhin 360 Vgl. Vondra (1989a), S. 122 sowie Vondra (1989b). Zur Entwicklung der synthetischen Malariamittel in Deutschland und zur Toxizität der Präparate vgl. Weß (1993), S. 13–31. 361 Vgl. Hulverscheidt (2006), S. 228. 362 Vgl. Herbert Siggelkow, Eidesstattliche Erklärung vom 23. Januar 1947, IfZ, NO 1579. 363 BArchB NS 19/4027, Bl. 236, 236R. 364 BArchB NS 19/3957, Bl. 44. 365 BArchB NS 19/4027, Bl. 236R.

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angeordnet, dass die Zahns überwacht werden müssten. Überlebende Häftlinge erinnerten sich, dass die Brüder Zahn täglich im Lager waren. Sie waren gut an ihren auffallenden Hüten erkennbar, wenn sie während des Mittagsappells vom Tor zum Krankenrevier gingen.366 Mit bürokratischer Gründlichkeit prüfte das zuständige Arbeitsamt Osthavelland, ob Zahn überhaupt eine Arbeitsgenehmigung besäße. Himmler und Brandt ließen die Anfrage abwehren mit der Begründung, Zahn befinde „sich im K. L. Sachsenhausen zur Besserung“.367 Dieser erklärte im Entnazifizierungsverfahren, er habe „außerhalb des Lagers geschlafen, durfte jedoch [...] Oranienburg nicht verlassen.“ Ein Indiz für eine Unterbringung in nächster Nähe des Lagers ist auch ein Briefumschlag, der sich im Sommer 1945 im Besitz des Politieken Opsporingsdienst (Politischen Nachrichtendienstes) des Districtes Hilversum in Weesp befand. Darauf stand als Absender: „H[erman] Zahn, Konzentrationslager Oranienburg.“368 Herman Zahn selbst erzählte nach seiner Rückkehr aus Deutschland im Jahre 1944, er habe sein Essen während der Zeit als er in Oranienburg gearbeitet habe, aus der SS-Kantine bekommen.369 Bereits am 27. Februar 1941 schickte Grawitz einen ersten schriftlichen Bericht über den Stand der Vorbereitungen.370 Am 18. März 1941 erstattete Grawitz zunächst nur Brandt gegenüber Bericht über die Zahn‘schen Versuche. Anschließend gingen Brandt und Grawitz zu Himmler, um ihn u.a. über die „Versuche Dr. Zahn“ zu informieren.371 Neben den üblichen Geräten benötigte Zahn für die Anwendung seines Medikaments Inhalationsapparate, so genannte „Isozon-Apparate“ aus der Schweiz, die er von einem Ingenieur namens Ronzi bauen lassen wollte. Die Apparate erregten die Aufmerksamkeit des deutschen Geheimdienstes, der Zahn schon von Anfang an mit Argwohn zu beobachten schien. Unterlagen über die acht Geräte wurden darüber hinaus Karl Gebhardt zur Begutachtung vorgelegt. Schließlich erhielt Zahn wahrscheinlich zunächst zwei Apparate. Im Juni durfte auch der Schweizer Ingenieur Ronzi nach Deutschland kommen.372 Mitte Juni 1941 sprach Zahn bei Brandt vor, um mit ihm die „Bezahlung der Schweizer Apparate“ zu klären.373 Unterlagen zur Konstruktion der Geräte erhielt Karl Gebhardt, der sie für gut befand, so dass Ende 1941 schließlich der Bau von zwölf Geräten in Deutschland in Auftrag gegeben werden konnte. Durch die lange Vorbereitungszeit verzögerte sich der Beginn der eigentlichen Versuche bis zum Herbst 1941. Auch Himmlers Interesse an den Sachsenhausener Tuberkulose-Versuchen schien weniger groß als zu Beginn. In der zweiten Jahreshälfte 1941 sind keine Gespräche mit oder 366 Johann E. A. Post Uiterweer, Den Haag, Schreiben an die Verfasserin vom 24. Januar 2000; Jan van Kuik, Dinxperloo, Schreiben an die Verfasserin vom 4. Februar 2000. 367 BArchB, NS 19/4028, Bl. 260R. 368 Entnazifizierungsverfahren Gualtherus Zahn. 369 Entnazifizierungsverfahren Herman Zahn. 370 BArchB NS 19/4027, Bl. 236, 236R. 371 Vgl. Dienstkalender Himmler, S. 134. 372 BArchB NS 19/4027, Bl. 236, 236R. 373 BArch NS 19/3957, Bl. 168.

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über Zahn vermerkt. Erst am 16. Februar 1942 ließ sich Himmler von Grawitz über verschiedene Versuchsreihen in Konzentrationslagern berichten. Bei diesem Treffen waren die Zahn‘schen Versuche nur eine von mehreren Versuchsreihen, über die gesprochen wurde. In Rudolf Brandts Dienstkalender heißt es: „Dr. Grawitz (Dr. Honegger,374 Herr von Weihern [sic],375 Fahrenkamp,376 Gebrüder Zahn)“. Letzte Einträge zu Zahn finden sich am 7. und 8. April 1942. An beiden Tagen fanden Gespräche mit Felix Kersten statt, in denen es jeweils um „Nievenhein,377 Dr. Zahn“ ging. August Meine jedoch erinnerte sich in Nürnberg, Gualtherus und Herman Zahn hätten Himmler bei verschiedensten Gelegenheiten aufsuchen wollen. Sie seien mit den „deutschen Verhältnissen nicht vertraut“ gewesen, hätten „auch ein gewisses Geltungsbedürfnis gehabt“ und seien „immer sehr stolz [darauf gewesen], von Himmler unmittelbar abzuhängen“. Sie hätten, so Meine weiter, mit Himmler sogar wegen „menschlicher Einzelheiten“ wie „ihren Lebensmittelmarken in Deutschland“ sprechen wollen.378 Die Frage der Lebensmittelzuteilung für die Versuche, die Meine als banale „Lebensmittelmarken“ abtat, hatte eine wichtige Bewandtnis für die Versuchspersonen. Zahn bemühte sich Anfang Juni 1941 bei Himmler um zusätzliche Lebensmittel für alle Versuchspersonen, die ihm am 23. Juni gewährt wurden. Die Versuche wurden von manchen Häftlingen durch374 HEINRICH HONEGGER (*1900), Arzt, Approbation 1925, Praxis für Homöopathie und Naturheilkunde in Heidelberg. Mitglied der NSDAP seit 1931. BArch (ehemals BDC) RÄK und PK. Zu Honegger gibt es im Posteingangsbuch von Himmler im Juli 1941 Einträge, die darauf verweisen, dass er ein „ein neues Heilverfahren“ erproben wolle, „das bei der Waffen-SS durchgeführt werden müßte“. Himmler ließ Grawitz antworten, dass „das Heilverfahren in Häftlingslagern durchgeführt werden“ solle. Sowohl Gebhardt als auch Fahrenkamp erhielten Kenntnis der Angelegenheit. Grawitz führte mit Honegger dazu ein vorbereitendes Gespräch. BArchB NS 19/4027, Bl. 91. Honegger nochmals Bl. 93. 375 Karl Hann von Weyhern führte etwa zu dieser Zeit Tuberkuloseversuche mit homöopathischen Mitteln an Häftlingen des KZ Dachau durch. Er war der Leiter der naturheilkundlichen Abteilung der Tuberkulose-Versuchsabteilung. Zu Hann von Weyhern vgl. das Kapitel „Parallele Versuche“. 376 KARL FAHRENKAMP (1889–1945), Dr. med., Internist, Approbation in Heidelberg 1913, Assistent bei Ludolf Krehl, Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Oberarzt. Seit 1923 betrieb er eine Praxis in Stuttgart, später in München. Er soll Hausarzt von Himmlers Mutter gewesen sein. Mitglied der SS, Standortarzt in Dachau. Dort leitete er ein so genanntes „Institut für Herz-Kreislauf-Forschung“ („Abteilung F“ des „Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung“ des „Ahnenerbes“), in dem er Menschenversuche an Häftlingen durchführte. Selbstmord. Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Fahrenkamp, Karl; BArchB, ehemals BDC, RÄK sowie RKK; Kater (1974), S. 260; Müller-Hill (1984), S. 144–145. 377 Bei der erwähnten Person handelt es sich wohl um NICOLAAS VAN NIEUWENHUIJSEN (*1889). Er stammte aus Utrecht und studierte Medizin. Von September 1941 bis März 1942 war er Lagerarzt im Polizeilichen Durchgangslager Amersfoort. Anschließend wurde er zum Chef-Chirurgen der so genannten „Niederländischen Ambulanz“ ernannt, die u.a. in Russland eingesetzt wurde. Himmler soll wiederholt versucht haben, die „Niederländische Ambulanz“ in die Waffen-SS einzugliedern. Mitteilung von Hans de Vries, Nederlands Instituut for Oorlogsdocumentatie, Amsterdam an die Verfasserin vom 14. März 2000. 378 August Meine, Verhör vom 21. und 24. März 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/04895– 04931, hier Bl. 2/04928.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

aus als positiv beurteilt, weil die Probanden für KZ-Verhältnisse überdurchschnittlich gut verpflegt wurden. Sie erhielten Milch, Zucker und Butter sowie Milchsuppen.379 Unter den Häftlingen, die sich aus diesem Grunde bemühten, in die Versuchsreihe aufgenommen zu werden, war der Niederländer Johann E. A. Post Uiterweer. Uiterweer (1917–2002) wurde aus politischen Gründen als so genannter „Engelandvaarder“ inhaftiert. Es handelte sich dabei um Menschen, die versuchten, aus den besetzten Niederlanden nach England zu kommen, um sich dort den alliierten Streitkräften anzuschließen. Einige dienten in der „Prinses Irene Brigade“ und wurden bei der Befreiung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande eingesetzt. Viele scheiterten allerdings, wurden auf dem Weg von der Gestapo gefaßt und in Konzentrationslager eingewiesen. Uiterweer kam im Mai 1942 ins Krankenrevier, wo er Kalfaktor wurde, da es sich bei seiner vermeintlichen Lungentuberkulose um eine nicht vollständig ausgeheilte Rippenfellentzündung handelte. Er hatte als Leichtkranker Reinigungsarbeiten auf der Tbc-Station zu erledigen und konnte so mehrere Monate die Tuberkulose-Versuche beobachten. Dort ergab sich ein Gespräch mit Gualtherus Zahn. Dieser gab unumwunden zu, ein überzeugter Nationalsozialist zu sein, hatte aber auch viele Fragen zu den Lebensbedingungen der Häftlinge im Lager und der Zahl der Toten. Sowohl die Lagerärzte als auch die Politische Abteilung des Lagers bemühten sich, solche Kontakte zu unterbinden. Uiterweer wurde verhört und im Oktober 1942 mit einem Transport tuberkulosekranker Häftlinge nach Dachau geschickt. Dort wurde er als Versuchsperson bei den Unterkühlungsversuchen von Sigmund Rascher herangezogen. Im Laufe des Jahres 1941, spätestens im November, wurde am Ende der R III ein kleines Gebäude errichtet, das als „Tbc-Versuchsanstalt“ bezeichnet wurde und in dem Zahn seine Apparate aufbauen ließ. Diese wurden an der Wand aufgehängt und dienten der Inhalation des Medikaments. Außerdem gab es zwei Krankenzimmer mit jeweils etwa zehn Betten für Versuchspersonen. Zur Betreuung der Versuchspersonen in diesen Räumen gab es einen Häftlingspfleger.380 Der Versuchsaufbau lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Unter den Häftlingen wurden solche ausgesucht, die an offener Lungentuberkulose erkrankt waren.381 Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Jede Versuchsperson der einen Gruppe erhielt einen „Partner“ aus der anderen Gruppe, der ihm in körperlichen Merkmalen wie Alter, Größe und Gewicht glich. Beide Versuchspersonen sollten darüber hinaus auch in der Schwere der Erkrankung und ihrem Stadium ähnlich 379 BArchB NS 19/4027, Bl. 238R; Harry Dubinsky, Homburg v. d. H., Interviews mit der Verfasserin vom 26. Januar 2000, vom 14. und 15. April 2000, vom 11. November 2000, vom 8. Februar 2001, vom 4. Februar 2002, vom 15. August 2003 und vom 2. Januar 2004 sowie Johann E. A. Post Uiterweer, Den Haag, Schreiben an die Verfasserin vom 24. Januar 2000; Horst Weidler, Aussage vom 19. Oktober 1964, HStA Düsseldorf, Kalkum, Ger. Rep. 118, Nr. 2328, Bl. 122. 380 J. E. A. Post Uiterweer, Den Haag, Schreiben von an die Verfasserin vom 24. Januar 2000. 381 Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129– 130.

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sein. Abgeleitet vom Versuchsaufbau und wegen der für Lagerverhältnisse guten Verpflegung der Probanden, entstand unter den Häftlingen des Lagers der Name für die Tuberkulose-Versuche: „Vergleichskur“.382 Er wurde auch später von ehemaligen Häftlingen in ihren Berichten und Interviews benutzt und weist auf ein generelles Problem von Berichten Überlebender hin. Die Ereignisse sind aus der Perspektive des Erzählers gesehen, der in seine Erzählung damals erlebte Gefühle ebenso einbezieht wie seine momentanen Gefühle und Einschätzungen.383 Die Probanden litten an einer Erkrankung, die unter den schlechten Haftbedingungen zum Tode führte. Sie wurden für die Versuche nicht erst infiziert, so dass die ethische Dimension der Versuche in den Hintergrund trat, sowohl zur Zeit der Haft als auch in der retrospektiven Wahrnehmung. Die euphemistische Bezeichnung „Kur“ für einen Menschenversuch widerspiegelt auch, dass keiner der Beteiligten die Tuberkulose-Versuche, meist auch in Aussagen von Überlebenden in den 1950er und 1960er Jahren, als strafbare Handlung anzusehen schien. Franz-Josef Ballhorn,384 Blockältester der R II b, in der die Ruhrkranken untergebracht waren, sagte aus, dass es im Frühjahr und Sommer 1942 einen Raum gegeben hat, in dem „ein Zivilarzt [Zahn] in der Tbc.Abt. des KL. – Baracke R IV – Experimente an Häftlingen vorgenommen hat. [...] Es soll sich dabei um relativ harmlose Versuche gehandelt haben.“385 Ballhorn erinnerte sich außerdem, dass die Häftlinge, an denen Schmitz die PhlegmoneVersuche vornahm, in einem gesonderten „für Experimentierzwecke besonders eingerichteten Raum lagen“. Da sich Ballhorn allerdings nicht darauf festlegen wollte, dass es sich um die Phlegmone-Opfer handelte, wohl aber, dass Schmitz sich dort aufhielt, gab Schmitz die Existenz eines Sonderraums in der Tbc-Abteilung und seine Beteiligung an den Versuchen zu:386

382 Dubinsky, Interviews. 383 Jureit (1995), S. 99–100, Jureit (2006). 384 FRANZ-JOSEF BALLHORN (*1908), katholischer Jugendführer in Westfalen und Gründer einer studentischen Widerstandsgruppe, die 1934 verraten wurde. Er floh nach England und ging dann in die Niederlande, wo er Redakteur beim Internationalen Katholischen Pressedienst wurde. 1940 wurde er verhaftet und 1941 nach Sachsenhausen gebracht, wo er bis zur Befreiung des Lager 1945 blieb. Nach dem Krieg wurde er Amtsdirektor in Nottuln und war einer der Mitbegründer der CDU in Münster. Vgl. Buchstab et al. (o. J.), S. 91 sowie Jakobi (1995). 385 Franz-Josef Ballhorn, Zeugenvernehmung vom 19. April 1960, BArchL, B 162/ AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 1423–1425. Im Abschlussbericht zum Ermittlungsverfahren gegen Baumkötter heißt es: „Versuch an Tbc-Kranken: Nach dem Ermittlungsergebnis waren keine Todesfälle oder gesundheitsschädliche Folgen zu verzeichnen. Auch dieser Vorwurf bietet daher keinen Anhaltspunkt, den Haftbefehl gegen den Angeschuldigten aufrecht zu erhalten.“ StA Münster, Nr. 390, Band 20. 386 Franz Ballhorn, Zeugenvernehmung vom 19. April 1960, BArchL, B 162/ AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 1423–1425.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen „Gelegentlich habe ich auch bei tuberkulosen Patienten, die in der Behandlung einem zivilen Lungenfacharzt unterstanden, Pneumothorax-Füllungen durchgeführt, die von diesem Lungenfacharzt angeordnet waren.“387

Die Zahl der Versuchspersonen schwankt in den Angaben von Überlebenden zwischen 50 und 60, die gleichzeitig behandelt wurden. Verstorbene ersetzte man durch neue Probanden.388 Die Hälfte der Versuchspersonen wurde von Gualtherus Zahn mit seinem Inhalat, das er später unter dem Namen „Inhalat Dr. med. Zahn“ vermarktete, behandelt. Die andere Versuchsgruppe wurde den nach dem damaligen Stand der Forschung bestmöglichen Therapien unterzogen. Neben Operationen wurden Edelmetallinjektionen und Pneumothoraxbehandlungen vorgenommen.389 Dazu Baumkötter: „[...] für meine Reihe, die sogenannte Reihe des Lagerarztes, stand ein eigener Lungenfacharzt zur Verfügung, der wöchentlich kam und die Kranken durchleuchtete und so behandelte, wie es bei uns normalerweise im freien Leben möglich war.“390

Die Versuchspersonen waren, soweit bei der schwierigen Quellenlage noch feststellbar, männliche deutsche, polnische und niederländische Häftlinge.391 Einer von ihnen, Harry Dubinsky, geboren 1921 in Berlin, kam 1939 nach Sachsenhausen. Seine Mutter arbeitete bei AEG und war als Gewerkschafterin aktiv. Nach ihrer Verhaftung 1933 wurde Dubinsky zwangsweise im Heim untergebracht und fiel als Jugendlicher durch widerständiges Verhalten und die Verweigerung des Arbeitsdienstes auf. Im Februar 1939 wurde auch er verhaftet und über das Polizeipräsidium Alexanderplatz nach Sachsenhausen gebracht, wo er in verschiedenen Arbeitskommandos arbeitete, u.a. als Leichenträger, Tischler, im Klinkerwerk und in der Gärtnerei. In der zweiten Jahreshälfte 1942 wurde Dubinsky der Schreibstube des Lagerarztes zugeteilt. Es war seine Aufgabe, Meldungen, beispielsweise die Totenmeldungen, zu schreiben und sie zur Häftlingsschreibstube zu bringen. Nach einiger Zeit wurde bei ihm eine Lungentuberkulose festgestellt. Er wurde der Gruppe der schulmedizinisch zu behandelnden Versuchspersonen, der „Reihe des Lagerarztes“392 zugeteilt. Während der neun Monate dauernden Behandlung wurde er in die Tbc-Abteilung verlegt. Diese Versuchsstation befand sich in der Baracke R II b. Dort waren insgesamt etwa 50 Versuchspersonen aus beiden Gruppen. Dubinsky wurde mit einem Pneu-

387 Vgl. Emil Christian Schmitz, Vernehmung vom 15. Juni 1959, BArchL, B 162/AR-Z 14/59, Band 4, Bl. 780–790. 388 Dubinsky, Interviews; Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 25. Oktober 1968, HStA Düsseldorf, Kalkum, Ger. Rep. 118, Nr. 2328, Bl. 162–172, hier Bl. 165. 389 Heinrich Baumkötter, Vernehmung am 15. Juni 1946, USHMM Archives, RG 006.25*26, 1854 (Kopie AS). 390 Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129– 130. 391 J. E. A. Post Uiterweer, Den Haag, Schreiben an die Verfasserin vom 24. Januar 2000 sowie Interviews mit Harry Dubinsky. 392 Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129– 130.

3.4. Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung

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mothorax beidseitig behandelt, der ein bis zweimal wöchentlich vom SS-Arzt Walter Sonntag nachgefüllt wurde. Die Versuche wurden mindestens bis Ende des Jahres 1943 fortgesetzt.393 Über 100 von Zahn behandelte Häftlinge sollen gestorben sein. Horst Weidler, der als Schreiber des Lagerarztes eingesetzt war, schätzte die Zahl der Toten auf etwa ein Drittel der Versuchspersonen. Viele der Versuchspersonen seien an Blutstürzen gestorben, da das Zahn‘sche Inhalat als Expektorans wirkte, eine Aussage, die in Anbetracht der Zusammensetzung des Medikaments plausibel erscheint.394 Im Beipackzettel heißt es dazu: „Der Expektoration fördernde, spezifisch auf Pneumokokken wirkende, kreislauffördernde, das Atmungszentrum anregende Campher, das stark antiseptisch wirkende Menthol, das haemostypisch wirkende Tannin, die in dieser Verbindung besonders bedeutsamen Drogenextrakte.“395

Umso bemerkenswerter ist eine Aussage Baumkötters, der in der letzten Phase die Versuche vornahm, zur Sterblichkeit der Versuchspersonen, lässt sie doch den Schluss zu, dass auch unter Baumkötters Probanden sehr viele verstarben: „Wir stellten letzten Endes dabei fest, daß die Sterblichkeit auf beiden Seiten fast die gleiche war, jedenfalls der Holländer mit seinem Mittel keinerlei günstige Ergebnisse zeitigte und wir berichteten darüber und wir brachten es auch schließlich fertig, daß er dann aus diesem Lagerbereich entfernt wurde, weil es ein reiner Pfuscher war.“396

Bei den Ereignissen, die zur Beendigung der Versuche führten, spielte ein so genannter „krimineller“ Häftling, der als Vorarbeiter des Krankenreviers fungierte, eine zentrale Rolle: Wilhelm Thierhoff. 3.4.3. Wilhelm Thierhoff und das Ende der Versuche397 Neben politischen Gegnern wurden nach 1936 im Zuge des „Übergang von der Gegnerbekämpfung zur ‚rassischen Generalprävention‘“398 zunehmend Menschen in die Lager gebracht, die als unangepasst angesehen wurden. Es handelte sich dabei oftmals um Menschen, die Lebensauffassungen vertraten, die nicht mit dem nationalsozialistischen Menschenbild konform gingen und die daher als so genannte „Gemeinschaftsfremde“ nicht in die „Volksgemeinschaft“ integriert wer393 Heinrich Baumkötter, Vernehmung am 15. Juni 1946, USHMM Archives, RG 006.25*26, 1854 (Kopie AS); Jan van Kuik, Mitteilung an die Verfasserin vom 4. Februar 2000. 394 Wilhelm Thierhoff, Aussage vom 25. Oktober 1968, HStA Düsseldorf, Kalkum, Ger. Rep. 118, Nr. 2328, Bl. 162–172, Horst Weidler, Aussage vom 19. Oktober 1964, HStA Düsseldorf, Kalkum, Ger. Rep. 118, Nr. 2328, Bl. 119–125; Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129–130. 395 Beipackzettel des „Inhalat Dr. med. Zahn“, BArchB 96 II, Band 22, Bl. 294. Vgl. Abbildungen 9 und 10. 396 Heinrich Baumkötter, Aussage vom 19. Mai 1959, StA Münster, Nr. 390, Band 9, Bl. 129– 130. 397 Vgl. Wolters (2001). 398 Herbert (1998) und (1992).

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

den sollten. Viele von ihnen waren bis dahin von der KZ-Haft verschont geblieben. Am 14. Dezember 1937 trat der Erlass des Reichs- und preußischen Innenministers Wilhelm Frick in Kraft, der der Inhaftierung und Verbringung von „Asozialen“ und „Kriminellen“ in die Konzentrationslager zugrunde lag. Er ergänzte das so genannte „Sicherheitsverwahrungsgesetz“399 und blieb bis 1945 die Grundlage für die „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“. In ihm wurde definiert, wer „Berufsverbrecher“ („wer das Verbrechen zu seinem Gewerbe gemacht hat und aus dem Erlös seiner Straftaten ganz oder teilweise lebt oder gelebt hat“) und wer „Gewohnheitsverbrecher“ war („wer aus verbrecherischen Trieben oder Neigungen wiederholt in gleicher oder ähnlicher Weise straffällig geworden ist“). Die Begriffe „Berufs- bzw. Gewohnheitsverbrecher“400 wurden nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt.401 Neu war jedoch die Maßnahme der polizeilichen Vorbeugehaft, die unter bestimmten Bedingungen gegen „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ verhängt werden konnte. Polizeiliche Vorbeugehaft drohte ebenso dem, der „ohne Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet“. Daraus leitete sich der Begriff „Befristeter Vorbeugehäftling“ (abgekürzt „BVer“) für diese Häftlingsgruppe ab. Bei den BVern handelte es sich um Menschen, die bereits mehrmals wegen krimineller Delikte eine Haftstrafe verbüßt hatten. Sie waren anschließend an die Verbüßung einer Gefängnis- oder Zuchthausstrafe wegen verschiedener Delikte von den Justizhaftanstalten direkt in ein Konzentrationslager eingewiesen worden. „Grüne“402 Funktionshäftlinge werden von Überlebenden meist als Egoisten beschrieben. „Jede Kontrolle, besonders aber eine solche von innerhalb des Lagers, war ihnen unerträglich.“403 Sie handelten nicht nach dem Prinzip der Solidarität mit allen Häftlingen oder mit einer bestimmten Gruppe, über deren Zugehörigkeit ihre Weltanschauung entschied, sondern sahen in erster Linie das eigene Wohlergehen als Maßstab für ihr Handeln. Sie waren, und darüber gibt es zahllose Äußerungen ehemaliger Mithäftlinge, oft grausam und brutal in der Durchsetzung ihrer individuellen Interessen. Sie lebten im Lager jedoch nicht als Einzelgänger und ausschließlich auf sich bezogen, was ihnen ein Überleben nahezu unmöglich gemacht hätte. Wie am Beispiel Thierhoffs zu sehen ist, pflegten BVer Freundschaften, bauten Netzwerke auf und begünstigten einander. Ihre Beziehungen waren bestimmt von Sympathie oder Antipathie und von Nutzenerwägungen für das eigene Überleben, nicht aber das einer Gruppe.

399 Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933. 400 Vgl. Liszt (1911), S. 76–79. 401 Zur Entwicklung von kriminalbiologischen Ansätzen und Konzeptionen der Kriminalpolizei zur Bekämpfung von Gewohnheitsverbrechern vgl. Wagner (1996); sowie Simon (1999), Rothmaler (1999). 402 Der Begriff „Grüner“ bezog sich auf die Farbe des Winkels zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit zur Gruppe der BVer. 403 Bericht von Eugen Kogon u.a. vom 10. Mai 1945, zitiert nach Niethammer (1994), S. 201.

3.4. Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung

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Die von Niethammer404 und Obenaus405 für die Funktionshäftlinge allgemein als charakteristisch beschriebene „Klientelbildung“ und „klientelische Strukturen“ werden hier besonders sichtbar. Mit dieser Einstellung standen die BVer in der Häftlingsgesellschaft nicht allein. Sie dürfte die übliche gewesen sein, denn unter den Bedingungen des KZ-Alltags konnte jede Handlung existenzielle Auswirkungen haben. Wie der einzelne Häftling sich entschied, hing von seiner Persönlichkeit, seinen intellektuellen und sozialen Fähigkeiten ab. Für diese Eigenschaften, beispielsweise die Fähigkeit, Wissen vorzutäuschen, „Geschäftsbeziehungen“ aufzubauen, Freunde zu unterstützen und Gegner durch gezielte Anschuldigungen bei den Mithäftlingen und der SS in Verruf zu bringen, prägte Pingel den Begriff der „vorkonzentrationären Prägung“. Diese „vorkonzentrationäre Prägung“ definierte er als „Vorbelastung“, mit der die Häftlinge ins Lager kamen, die sich aus ihrer individuellen Lebensgeschichte und den objektiven historischen Prozessen ergab.406 Sie habe, so Pingels These, wesentlich das Verhalten im Lager bestimmt. Verfügte ein Häftling bereits über Fähigkeiten, wie sie im Lager verlangt wurden, beispielsweise, jemanden bestechen zu können, seien seine Überlebenschancen gestiegen. Ein Häftling musste bereits zu Beginn der Haft erkennen können, welche Verhaltensweisen das Überleben ermöglichten und damit übernommen werden mussten. Dabei konnte er „nicht aus direkter eigener Betroffenheit, sondern aus den Erfahrungen anderer lernen“,407 da wiederum falsches Verhalten unbedingt vermieden werden musste, um zu überleben. Thierhoff verfügte aufgrund seiner Lebensgeschichte über eine solche „vorkonzentrationäre Prägung“, die ihn befähigte zu überleben und gleichzeitig seine Persönlichkeit, seine Wertvorstellungen und sein Sozialverhalten mit den Gegebenheiten im Lager in Einklang zu bringen. Er wurde am 22. November 1903 in Stiepel bei Bochum (heute Bochum-Stiepel) geboren. Sein Vater besaß ein Kolonialwaren- bzw. Lebensmittelgeschäft in der Varenholtstraße, betrieb nebenher noch eine bäuerliche Wirtschaft und war Ortsvorsteher. Wilhelm Thierhoff besuchte das Gymnasium in Hattingen, das er bereits 1921, im Jahr vor dem Abitur, verließ. Ob zwischen seiner Schulentlassung und einem Verstoß gegen die Schulordnung, den sich Thierhoff zuschulden hatte kommen lassen, ein Zusammenhang besteht, kann nicht mehr festgestellt werden. In einem im Stadtarchiv in Hattingen befindlichen Protokollbuch des Realgymnasiums wird berichtet, dass der Schüler Thierhoff das Klassenbuch gefälscht hatte. Er hatte den Unterricht versäumt und sich selbst eine Entschuldigung eingetragen.408 Nach Verlassen des Gymnasiums begann Thierhoff eine kaufmännische Lehre bei einem seiner Brüder. Vor Abschluss der Lehre überwarf sich Thierhoff mit seinem Bruder, brach die Ausbildung und den Kontakt zur Familie ab und versuchte sich seinen Lebensunterhalt als Journalist zu verdienen. Seit 1925 saß er 404 405 406 407 408

Vgl. Niethammer (1994), S. 157. Vgl. Obenaus (1998), S. 846. Vgl. Pingel (1978), S. 12. Ebd. Protokollbücher und Zeugnislisten des ehemaligen Realgymnasiums Hattingen 1920, Stadtarchiv Hattingen.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

immer wieder in verschiedenen Haftanstalten ein. Innerhalb von zehn Jahren wurde er insgesamt 20mal wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt. Das letzte dieser Urteile lautete auf zwei Jahre und zwei Monate Zuchthaus, die er am 6. August 1937 verbüßt hatte. Er wurde über das Polizeigefängnis Bielefeld in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt.409 Dort wurden die neuen Häftlinge zu dieser Zeit einer medizinischen Aufnahmeprozedur unterzogen. Der Buchenwalder Häftling Walter Poller beschreibt dies akribisch: „Der Arzt ist ein älterer, hagerer Mensch, mit zerfurchtem, strengen Gesichtszügen, markanter Hakennase, schmalen Lippen, verbissener Mundpartie. Er trägt einen Kittel, ist aber auch kahlgeschoren. Er scheint sein Handwerk zu verstehen. Seine Sprache ist gewählt, langsam, würdevoll, akzentuiert. Er stellte präzise Fragen nach durchgemachten Krankheiten, horcht zuweilen mit einem Hörrohr Herz und Lunge ab, diktiert Krankheitsbefunde, ändert die Angaben der Häftlinge ins fachmännische ab, sieht sich Geschwüre, Hautausschläge, Wunden und Narben genauer an usw. Wenn ein Häftling sich ungeschickt benimmt oder unklare Angaben macht, fährt er mit einem energischen Donnerwetter drein und weiß in seinem ganzen Gehabe seine unbedingte Autorität zu wahren. Mit einem Satz: Er repräsentiert die ganze Würde eines strengen Medizinalrates! [...] Am Nachmittag frage ich [..], ob das der Lagerarzt gewesen wäre. Nein, das wäre ein Häftling, der im Revier beschäftigt sei. [...] Der Lagerarzt kümmere sich nicht um die Aufnahmeuntersuchungen und habe sie diesem Häftling übertragen. Der ‚Herr Medizinalrat‘ war Hans Rösler, ein wiederholt wegen Unterschlagung und Hochstapelei vorbestrafter krimineller Häftling, der sich seine medizinischen Kenntnisse im Lager angeeignet hatte und sein frappierendes Hochstaplertalent benutzte, um unter den Häftlingen den ehemaligen Medizinalrat zu spielen.“410

Mit zwei weiteren Häftlingen wurde Thierhoff, der vorgab, an Tuberkulose erkrankt zu sein, am 9. Juni 1938 in einem Wäscheauto nach Sachsenhausen gebracht. Als Tbc-Verdächtiger wurde er sofort ins Revier aufgenommen. Einige Monate später, im Oktober 1938, wurde Thierhoff Hilfspfleger in der Tbc-Abteilung. Unter dem Blockältesten Karl Strübing erhielt er, nachdem einer der Pfleger durch die Amnestie am 20. April 1939 entlassen worden war, die Funktion eines Pflegers, dann eines Blockschreibers und wurde schließlich Strübings Stellvertreter. Der Erste Lagerälteste Harry Naujoks lernte Thierhoff im Sommer 1939 kennen. Er beschrieb ihn als „intelligenten Mann und eine schillernde Figur“, „geistig rege, aber unerhört ehrgeizig“, und fügte hinzu: „Da die politischen Häftlinge im Lager den entscheidenden Einfluss hatten, versuchte er, in enger Verbindung mit den Politischen zu bleiben, solange er eine untergeordnete Rolle spielte.“411 Etwa Mitte des Jahres 1941 wurde Thierhoff Hauptpfleger der Tbc-Abteilung. Er übernahm damit die Funktion Karl Strübings, der angeblich in Zusammenhang mit Schiebungen aus seiner Funktion entfernt worden war. Die Übernahme dieser wichtigen Funktion im Krankenrevier ermöglichte es Thierhoff, mehr Einfluss auf die anderen Funktionshäftlinge auszuüben und seine als Teil der „vorkonzentrationären Prägung“ erworbenen Fähigkeiten besser zu nutzen. Er organisierte die 409 StA Münster, Nr. 885. 410 Poller (1946), S. 58–59. 411 Harry Naujoks, Aussage vom 6. März.1946, BArch ZA Dahlwitz-Hoppegarten, By V279/75.

3.4. Zahn in Sachsenhausen: Die Versuchsdurchführung

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Arbeit anderer Häftlinge nach den Wünschen der SS. Durch seine sprachliche Gewandtheit beeindruckte Thierhoff die Ärzte. Er begann, mit seinen Mitteln „Politik“ unter den Häftlingen und SS-Ärzten zu machen. Anfang des Jahres 1942 gelang es Thierhoff, den Kommunisten Ernst Eggert aus Bielefeld als Revierältesten zu verdrängen und dessen Funktion einzunehmen. Thierhoff verstand es stets, die Ärzte für sich einzunehmen. Dies geschah etwa folgendermaßen: „Jeder neue Arzt wurde bei seiner Ankunft von Thierhoff sofort bearbeitet. Da Thierhoff ein redegewandter Mann mit guter Allgemeinbildung war, machte er auf die Ärzte einen guten Eindruck und gewann so ihr Vertrauen. Nach einigen Wochen organisierte er für die Ärzte Medikamente, Gemüse, Lebensmittel, Schuhe, Stiefel usw. und hatte sie so fest in der Hand. [...] Außerdem hatte sich Thierhoff einige medizinische Kenntnisse angeeignet, mit denen er ebenfalls Eindruck machte.“412

Als Baumkötter Erster Lagerarzt wurde, beschloss er, sich Zahns zu entledigen. Dazu sollte Thierhoff das Vertrauen Zahns erschleichen und ihm die Rezeptur des Inhalats entwenden.413 Max Reimann, ein politischer Häftling, erklärte 1946 in einem Ermittlungsverfahren gegen Thierhoff: „Die Mittel, die dieser Professor [Zahn] anwandte, waren sein Geheimnis[,] und es war allgemein bekannt, daß diese Behandlung durch den Professor Erfolge zeigte [sic]. Den Ärzten, welche alle junge Leute waren, war sehr daran gelegen, dieses Mittel in ihre Finger zu bekommen. Hierbei mußten sie einen Häftling haben, der an diese Mittel herankam. Thierhoff war derjenige, der auf Grund seiner Redegewandtheit den Professor täuschte. Und eines Tages nach langer Vorbereitung wurde diesem Professor der Herstellungsschlüssel für die Zusammensetzung der Medikamente [...] durch Thierhoff gestohlen.“414

Zahn war darüber offenbar sehr empört. Die Häftlinge vermuteten, „der Professor“ sei „selbst in ein Konzentrationslager überführt“ worden.415 Das Zahn‘sche Inhalat wurde von der SS keineswegs so negativ beurteilt, wie Baumkötter annahm. Ein von Grawitz bei Karl Gebhardt in Auftrag gegebenes Gutachten schien positiv zu sein, so dass die SS Zahn zur Gründung einer eigenen Firma zur Produktion des Inhalats verhalf.416 Wichtigster Abnehmer wurde die SS selbst. Die Versuche liefen nach Zahns Weggang aus Sachsenhausen noch bis Ende 1943, beliefert mit dem Inhalat seiner eigenen Firma.417 Der niederländische Häftling Jan van Kuik, ein Überlebender der Experimente, berichtete vom Ende der Versuche. Die Versuchspersonen, die nicht von 412 Harry Naujoks, Aussage vom 6. März 1946, BArch ZA Dahlwitz-Hoppegarten, By V279/75 (4/25/3). 413 Werner Rudolph, Aussage vom 26. Januar 1948, StA Münster, Nr. 7409, Band 2, Bl. 41; Willi Bonnemann, Aussage vom 5. Mai 1947, StA Münster, Nr. 7409, Band 2, Bl. 105. 414 Max Reimann, Aussage vom 12. April 1946, StA Münster, Nr. 7409, Band 2, Bl. 25. 415 Ebenda. 416 Friedrich Hey an Amtsgericht Bückeburg, Schreiben vom 28. Oktober 1943, StABü Dep. 9D Nr. 99. 417 Bestellschein des HSL der Waffen-SS vom 6. April 1943 über die Lieferung von monatlich 150 kg des „Inhalats Dr. Zahn“ für die Tbc-Station Sachsenhausen [sic], zu liefern ab Juli 1943, unterzeichnet von Carl Blumenreuter. Vgl. Abbildung 10.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

der Lungentuberkulose geheilt wurden, unter ihnen viele Niederländer, deportierte die SS im Februar und März 1944 nach Majdanek, um sie zu ermorden.418 Das Konzentrationslager Majdanek in der Nähe der Stadt Lublin war 1941 als Kriegsgefangenenlager sowie als Konzentrationslager für die jüdische Bevölkerung des „Generalgouvernements“ konzipiert worden und sollte als Arbeitskräftereservoir zur Umsetzung der deutschen Siedlungspläne dienen. Von Frühjahr bis Herbst 1943 diente es in erster Linie als Massenvernichtungslager. Höhepunkt der Massentötungen bildete die Aktion „Erntefest“, bei der etwa 42.000 Menschen ermordet wurden. Seit Dezember 1943 fungierte Majdanek nur noch als Sterbelager für nichtjüdische Häftlinge, die aus anderen Konzentrationslagern deportiert wurden.419 Van Kuik gehörte zu einem der letzten Transporte aus Sachsenhausen und verdankt sein Überleben dem Vorrücken der Roten Armee auf Lublin. Er hatte zuvor fünf Tage vor und in der Gaskammer zugebracht, konnte jedoch bei einem Panzerangriff entkommen und versteckte sich im Häftlingslager in einer leeren Baracke bis zur Befreiung des Lagers im Juli 1944. Heinrich Baumkötter blieb bis zur Befreiung Erster Lagerarzt. Er wurde für seine Verbrechen im Berliner Sachsenhausen-Prozess im Oktober 1947 von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Workuta am Polarmeer deportiert. Infolge der Bemühungen Adenauers um die Repatriierung der deutschen Kriegsgefangenen wurde Baumkötter 1956 entlassen und kam in die Bundesrepublik. In einem Verfahren vor dem Landgericht Münster wurde er 1961 zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt, die durch die Haft in der Sowjetunion als verbüßt galten.420 Ernst Frowein wurde am 11. Juli 1943 zur SS-Panzergrenadier-Division „Totenkopf“ versetzt.421 Zuletzt war er SS-Sturmbannführer und Adjutant von Ernst Robert Grawitz. Er wurde von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und am 7. Januar 1947 hingerichtet.422 Wilhelm Thierhoff sicherte sich nach dem Entwenden der Zusammensetzung des Zahn‘schen Inhalats weiterhin durch eine systematische Zusammenarbeit mit der SS deren Gunst, u.a. durch eine von ihm herbeigeführte Auseinandersetzung mit der von Kommunisten besetzten Häftlingsschreibstube und dem Lagerältesten, Harry Naujoks. Deren Denunziation durch Thierhoff bot der SS eine Handhabe, die Spitze der Häftlingsverwaltung auszuwechseln und die 18 kommunistischen Häftlinge nach Flossenbürg zu deportieren.423 Er wurde am 3. Juli 1943 aus Sachsenhausen entlassen. Im Herbst 1946 wurde Thierhoff von den britischen Besatzungsbehörden interniert und nach einem Entnazifizierungsverfahren am 5. März 1947 wieder auf 418 Jan van Kuik-Dinxperloo, Schreiben an die Verfasserin vom 4. Februar 2000. 419 Schwindt (2005), S. 59, S. 283 und S. 290–291, Mailänder Koslov (2005), S. 74, Mailänder Koslov (2007), S. 40–55. 420 Meyer (1997), S. 174 und 177–178. 421 Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Frowein, Ernst. 422 Ley/Morsch (2007), S. 185. 423 Vgl. Wolters (2001), S. 100–108.

3.5. Die Firma „Dr. med. Zahn & Co.“ in Bückeburg und die Produktion des Inhalats

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freien Fuß gesetzt. Ehemalige Häftlinge zeigten ihn 1946 bei der Staatsanwaltschaft in Bochum wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Mord an. Die Voruntersuchung wurde 1949 mangels Beweisen eingestellt. In den späten 1950er Jahren lebte offensichtlich das gute Verhältnis zu den ehemaligen Lagerärzten Schmitz und Baumkötter wieder auf. Beruflich versuchte Thierhoff einen Neuanfang als Journalist. Er schrieb u.a. für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und für „Die Welt“. Wie vor seiner KZ-Haft kam er jedoch wegen Betrugsdelikten wiederholt mit der Justiz in Konflikt. Im September 1950 wurde er von der Polizei festgenommen, weil er sich unter falschem Namen als Fahndungsbeamter ausgegeben hatte. Er verstarb am 29. März 1993 im Alter von 93 Jahren in Hagen.423 3.5. DIE FIRMA „DR. MED. ZAHN & CO.“ IN BÜCKEBURG UND DIE PRODUKTION DES INHALATS 3.5.1. Die „Dr. med. Friedrich Hey KG“ in Bückeburg und ihre koloniale Tradition Nach der „erfolgreichen“ Erprobung des Zahn‘schen Inhalats im Konzentrationslager Sachsenhausen stellte sich für Gualtherus Zahn die Frage der wirtschaftlichen Verwertung des Medikaments. Gemeinsam mit Friedrich Hey, dem Sohn eines Pharmafabrikanten aus Bückeburg in Schaumburg-Lippe, gründete er eine Firma zur Herstellung des Inhalats. Zahn brachte seine Erfindung und den Kontakt zum Sanitätswesen der SS und Hey die Produktionsmöglichkeiten in Form der väterlichen Firma in die Geschäftsbeziehung ein. In Bückeburg nahm an der Geschichte des Inhalats niemand Anstoß. Ein Blick in die Firmengeschichte soll verdeutlichen, dass gerade dieses Unternehmen gut geeignet war, die Vermarktung des im Konzentrationslager erprobten Mittels zu unterstützen.424 Die „Dr. med. Friedrich Hey KG“ war ein Familienunternehmen. Sie wurde 1920 durch Friedrich Hey sen. gegründet. Seit 1923 war sein ältester Sohn, Friedrich Hans Hey, Teilhaber des Unternehmens.425 Im Jahre 1900 in HickoryBonaberi im deutschen Schutzgebiet Kamerun geboren, hatte Friedrich Hey jun. nach Abschluss der Schule 1918 am Ersten Weltkrieg teilgenommen.426 Danach erhielt er in der väterlichen Firma eine kaufmännische Ausbildung. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Friedrich Hey jun. für einige Zeit bei der Wehrmacht. Der Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem aktiven Dienst ist unklar. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Hey jun. etwa seit dieser Zeit auch in die Leitung des Familienunternehmens involviert war. 423 Vgl. Wolters (2001), S. 108–115; Bundeskriminalamt Wiesbaden an den Oberstaatsanwalt beim LG Münster vom 23. August 1956, StA Münster, Nr. 390, Band 17, Bl. 68. 424 Zur Geschichte der Dr. Friedrich Hey KG Bückeburg und ihrem Gründer, Friedrich Hey, ausführlich: Wolters (2004). 425 StABü, L 121a Nr. 733, unpaginiert. 426 ABaM, B.V. 1261 (Personalakte Friedrich Hey), I 10, unpaginiert.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Die Persönlichkeit von Friedrich Hey sen. blieb auch während der Kriegsjahre prägend für die Firma Hey. Daher sollen in diesem Zusammenhang zwei Aspekte von Heys Weltanschauung näher erläutert werden: sein Rassismus, der sich bereits während seiner Tätigkeit als Missionsarzt in Afrika nachweisen lässt, den er später weiterentwickelte und in populären Gesundheitsratgebern verbreitete sowie die Vorstellung von der Legitimität und Machbarkeit von Menschenversuchen. Der 1864 geborene Friedrich Hey sen. trat 1888 in die Schule der Evangelischen Mission in Basel ein,427 „wo er als einer der ersten Ärzte für die Missionsarbeit in Afrika vorgesehen wurde.“428 Er immatrikulierte sich zur medizinischen Ausbildung am 26. Oktober 1891 an der Universität Basel.429 Dort wurde er Schüler des Anatomen und Rassenanthropologen Julius Kollmann.430 Kollmann nutzte die „Ausgestellten“ der Völkerschauen im Zoologischen Garten in Basel zu rassenanatomischen Untersuchungen. Hey, der noch Jahre später großen Wert darauf legte, Schüler Kollmanns gewesen zu sein, hatte dabei möglicherweise mehrmals Gelegenheit, seinem akademischen Lehrer zu assistieren und dessen rassistische Ideen und herablassendes Verhalten gegenüber Menschen aus nichteuropäischen Ländern näher kennenzulernen. Hey wurde im März 1895 erstmals als Missionsarzt nach Afrika entsandt. Er lebte zunächst in Aburi nahe Accra in einem Missionsgebiet im heutigen Ghana, einer damals britischen Kolonie.431 Er versorgte dort Missionsbrüder, andere Europäer und Afrikaner. Das unweit gelegene Togo war deutsches Schutzgebiet. Hier beschäftigten sich deutsche Ärzte mit der Erforschung von Tropenkrankheiten wie Pocken, Lepra und Schlafkrankheit. Zur Erprobung neuer Impfstoffe und Medikamente wurden an der indigenen Bevölkerung medizinische Versuche vorgenommen. Kranke wurden von der Polizei festgenommen, und – um sie besser kontrollieren zu können – in so genannte „Konzentrationslager“ gesperrt.432 Die Versuche und die in diesem Zusammenhang gegen die einheimische Bevölkerung eingeleiteten Zwangsmaßnahmen waren unter dort lebenden Europäern allgemein bekannt und wurden als wissenschaftlich notwendig erachtet. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Friedrich Hey von diesen Versuchen wusste, zumal er selbst zur Behandlung von Patienten in Togo herumreiste.433 427 ABaM, B.V. 1261, I 10. 428 Schlatter (1916), S. 377. Zur Ausbildung von Missionaren der Basler Mission vgl. auch Eiselen (1986). 429 Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Universitätsarchiv, Examensdossier X 4,5. 430 JULIUS KOLLMANN (1834–1918) studierte Medizin in München, Berlin, Paris und London. 1862 wurde er in München habilitiert, wo er ab 1870 außerordentlicher Professor war. Von 1878 bis 1913 war er Professor für Anatomie der Universität Basel. Vgl. Staehelin (1993), S. 116–120. 431 ABaM, D–1, 63, 21 und 24. 432 Vgl. hierzu grundlegend: Eckart (1997), Eckart (1989a) und Eckart (1989b); Eckart/Cordes (1995). 433 Vgl. ABaM, H. Göring, Dr. med. Hey‘s Pflanzenmittel insbesondere zu Erleichterung der Geburt und Muttermilchbeförderung in ihrem Werte für die Volksgesundheit und Sittlichkeit, Typoskript, o.O. 1911, S. 11. Der Stil des Textes und die Auswahl der wiedergegebenen Episoden aus dem Leben Friedrich Heys legen nahe, dass Hey selbst der Verfasser ist bzw. maßgeblich daran mitgewirkt hat.

3.5. Die Firma „Dr. med. Zahn & Co.“ in Bückeburg und die Produktion des Inhalats

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Er experimentierte auch selbst gerne, um neue Medikamente herzustellen. So schrieb er unbefangen über sich selbst: „Von besonderer Wichtigkeit sind seine Präparate ‚Frauenwohl‘ (zur Erleichterung der Geburt) etc., welche er während seiner afrikanischen Praxis nach vielen zeitraubenden und gründlichen Studien und Experimenten zusammenstellte.“434

In einer als Gutachten getarnten Werbebroschüre heißt es (daher in der dritten Person), er habe sich sogar durch „Versuche an Europäerinnen“ von der Wirksamkeit eines Saftes namens „Lactoferin Hey“ überzeugen können. „Nachdem er durch zahlreiche Versuche festgestellt hatte, dass dieser gegorene Saft dieselbe Wirkung der Muttermilchförderung hat, führte er ihn in Deutschland ein.“435 Der Saft sei „innerlich genommen, ohne jede nachteilige Wirkung vertragen“ worden. Um seine Erkenntnisse zu untermauern, habe Hey „Proben an die Geburtsabteilungen aller deutschen Universitäten, mit der Bitte, Versuche anzustellen [gesandt], aber sonderbarer Weise verhallte seine Bitte resultatlos. Einige Geburtshelfer schrieben ihm, dass sie keine Gelegenheit zu Versuchen hätten, da die Frauen bald nach der Geburt die Klinik verliessen. Andere antworteten überhaupt nicht. Einige Vorsteher von Entbindungsanstalten erklärten sich bereit, Versuche zu machen, was aber trotzdem unterblieb.“436

Hey experimentierte offensichtlich nicht nur mit diesem einen Präparat. Er habe, so an anderer Stelle, „unaufhörlich Versuche angestellt, um die Wirkung afrikanischer und europäischer Pflanzen zu erproben.“437 Bereits in Berichten und Briefen aus Kamerun, wo Hey seit 1900 als Arzt der Missionsstation Bonaberi eingesetzt war, klangen rassistische Vorstellungen an.438 Zunächst handelte es sich noch um primitive Äußerungen, so als afrikanische Patienten seinen ärztlichen Verordnungen nicht folgten bzw. Medikamente ablehnten: „Das wollen die Neger nicht[,] und ich kann mich nicht entschließen[,] in dem bisher gehandhabten Lotter-System weiter zu fahren. So & auf ähnliche Weise geht es mir mit den kreuzdummen, aber dennoch hochmütigen & frechen Kamerun-Negern! [...] diese Kameruner sind ein ganz faules, dummes, aber dennoch verschlagenes Volk“.439

Hey war sich einer kulturellen Überlegenheit gewiss und hielt eine Übertragung protestantischer Arbeitsethik auf die indigene Bevölkerung für legitim und notwendig: „Im Ganzen habe ich den Eindruck, dass man mit mehr Zucht & nicht mit Vermahnung vorgehen sollte, denn meiner Ansicht genügt es nicht, wenn man nur Christen erziehen will, es aber vergisst dafür zu sorgen, dass diese Christen auch ‚Menschen‘ werden.“440

434 435 436 437 438 439 440

BArchB, R 86/1768, Curriculum Vitae. Göring (1911), S. 26. Ebd. Ebd., S. 24. Vgl. zu Heys Äußerungen auch Eckart (1997), S. 10 und S. 245–246. Friedrich Hey, Bericht aus Bonaku vom Dezember 1901, ABaM, E 2–14, 141. Friedrich Hey, Schreiben vom 26. Januar 1901, ABaM, B.V. 1261.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

Damit deckte sich Friedrich Heys Auffassung von der Erziehung der „Heiden“ zu „Menschen“ durchaus mit den in der Missionsbewegung in Deutschland weit verbreiteten Ansichten.441 In seinen späteren Schriften wie „Gesundheits-Quell“ und „Meine Heilmethoden“ griff Hey Rassismen auf, die kriminologischen Theorien des 19. Jahrhunderts wie denen Johann Christian August Heinroths oder Cesare Lombrosos entsprachen.442 Einen der „Typen“ seiner „Naturell-Lehre“ charakterisierte er folgendermaßen: „Das disharmonische Naturell ist unregelmäßig, verzerrt und unschön. Entweder sind die Beine zu lang oder zu kurz, oder der Oberkörper paßt nicht im Verhältnis zu den Beinen oder dem Kopf, oder aber die Nase, die Ohren nicht zum Gesicht; ja die eine Gesichtshälfte kann anders geformt sein als die andere. [...] Daß solche Menschen auch in ihrem Geistesleben disharmonisch sind, ist selbstverständlich, sie neigen zur Opposition, harter Kritik, bizarrem Handeln; huldigen irreführenden Ideen; halten das Gute auf und fördern das Böse. Stehen sie noch dazu unter schlechtem Einfluß, dann wird die Sache bedenklich, sie arten völlig zu Verbrechern aus.“443

Rassismen wie diese sind dem hygienischen444 bzw. dem Binnenrassismus zuzuordnen. Dieser zielte auf die Reinerhaltung der Rasse, war also eine Ausprägung der Rassenbiologie.445 Ähnliche Zuschreibungen fanden sich schon im 19. Jahrhundert in Bezug auf Juden.446 Im Zusammenhang mit Krankheitsvorstellungen propagierte Hey eine naturheilkundlich verbrämte Variante: „Die Naturheilkundigen [...] haben [...] gerade wieder die Natur in die Medizin gebracht, dass sie gesunde Körper und Seelen heranbilden, dass sie Volkserzieher zur Gesundheit werden und dass sie ihre, seit einem Menschenalter unumstössliche Forderung festhielten: Eheschließung unter gesunden Rassen und Individuen, Körperpflege durch Reinlichkeit und Abhärtung [...].“447

Von einer derartigen Geisteshaltung bestimmt, begrüßte Friedrich Hey sen. nicht erst 1933 den Nationalsozialismus. Bereits vor der Machtübernahme spendete er für eines der antisemitischen Zeitungsunternehmen des Leiters der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, die für die damalige Zeit überaus großzügige Summe von 10.000 Reichsmark sowie weitere kleinere Beträge.448 Ley war als erbitterter Antisemit bekannt und wurde in den letzten Jahren der Weimarer Republik wie441 Altena (2003), S. 144–190. 442 Hey (1916). „Meine Heilmethoden“ ist die gekürzte Fassung des „Gesundheits-Quell“, enthält jedoch im Kapitel „Naturell-Lehre“ die entsprechenden Abbildungen. Vgl. zur Kriminologie des 19. Jahrhunderts und Heinroth: Becker (2002) sowie zu Lombroso: Gadebusch Bondio (1995). 443 Hey (1933), S. 178. 444 Vgl. zum Begriff des hygienischen Rassismus: Wagner (1996), S. 8–9, Bock (1984), (1986), (1991) sowie (2004). 445 Vgl. Simon (1999), S. 232. 446 Vgl. Heintel (1980) sowie Ehmann (1993). 447 Göring (1911), S. 49. 448 StABü, Dep. 9 D, acc. 39/89 Nr. 206, Schreiben von Friedrich Hey an Albert Friehe vom 1. Dezember 1936.

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derholt in Gerichtsverfahren wegen seiner rassistischen Äußerungen verurteilt. Auch Prinz Friedrich-Christian zu Schaumburg-Lippe, der bereits in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sehr engagiert für den Nationalsozialismus eintrat, spendete Ley größere Summen Geldes zur Gründung des Westmark-Verlages und zum Ankauf mehrerer Tageszeitungen.449 Möglicherweise kam Heys Kontakt zu Robert Ley über den Prinzen zustande. Hey begrüßte die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Er sah in der nationalsozialistischen Politik eine Lösung der politischen Probleme der letzten Jahre der Weimarer Republik. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1935 würdigte Friedrich Hey Hitler als Bewahrer Deutschland vor dem Bolschewismus, der „mit Gewalt das Steuer herumriß“:450 „Es gibt jetzt nur von einer Stelle aus ein unbedingtes Bestimmungsrecht, während alle Volksgenossen, selbst Fürstlichkeit, hohe Offiziere, Beamte und Bürger aller Art, das Heer der Arbeiter und Arbeitslosen und die Menge begeisterter Jugend diesen Einen mit Stolz einfach als ihren ‚Führer‘ bezeichnet, dem sie sich im völligen Gehorsam mit Leib und Leben mit grenzenlosem Vertrauen die Erfüllung ihrer Wünsche erwartet.“

Nicht nur Friedrich Hey, auch andere Mitglieder der Familie unterstützen den Nationalsozialismus. Der zweitgeborene Sohn, Gotthold, studierte ab 1928 Medizin in Rostock, Heidelberg und Freiburg und wurde 1934 promoviert.451 Er ließ sich als praktischer Arzt in Bückeburg nieder und war „lange Jahre Sturmbannarzt der SA“.452 Thorwald Hey, geboren 1911, wurde 1937 zum Apotheker approbiert453 und trat im selben Jahr der NSDAP bei.454 Theophil Hey, geboren 1912, trat 20-jährig der NSDAP bei und, da er ein begeisterter Automobilsportler war, außerdem dem NSKK.455 Er hatte sich zuvor in der Hitler-Jugend und der SA engagiert. Schon im Alter von 17 Jahren sei er „sehr oft mit dem damaligen SA Sturm 22 zum Saalschutz und auf Propagandafahrten unterwegs gewesen, trotzdem er noch Schüler war“, bestätigte ihm der Bückeburger SASturmbannführer Rösener.456 Theophil Hey studierte ebenfalls Medizin, arbeitete nach seinem Examen 1938 als Medizinalpraktikant in der Universitätsnervenklinik in Göttingen und der Nervenheilanstalt in Bad Oeynhausen. 1941 wurde er promoviert457 und im selben Jahr zur Wehrmacht eingezogen, wo er bis 1945 als Stabsarzt Dienst tat. Familie und Firma besaßen gute Kontakte zu den örtlichen Funktionsträgern von NSDAP und Behörden. 1926 hatte Friedrich Hey einen alten Bekannten aus seiner Kolonialzeit, Hermann Gebbers, zum Direktor seiner expandierenden 449 Zur Spende Schaumburg-Lippes auch: Smelser (1989), S. 71–76 sowie Schaumburg-Lippe (1952) und (1966). 450 Friedrich Hey, Der Führergedanke. Für Diesseits- und Jenseits-Menschen, Manuskript, ABaM, B.V. 1261. 451 Hey (1934). 452 StABü, Dep. 9 D, Nr. 99. 453 Reichs-Apotheken-Register 1937, hrsg. von der Deutschen Apothekerschaft, Berlin 1937. 454 BArchB, ehemals BDC, PK Hey, Thorwald. 455 HStA Hannover, Nds. 171 Nr. 28911. 456 StABü, Dep. 9 D, Nr. 99. 457 Hey (1941).

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Firma bestellt. Gleichzeitig wurde Gebbers mit der Vertretung der Interessen der minderjährigen Söhne gegenüber dem Vater in geschäftlichen Angelegenheiten beauftragt.458 Gebbers, geboren 1879, studierte nach einer Banklehre im Magdeburger Bankhaus Zuckschwerdt & Beuchel am Orientalischen Seminar der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und an der Handelshochschule in Leipzig. Ab 1901 war er im Berliner Direktionsbüro und anschließend auf einer Kaffeeplantage der Firma Sakarre A.G. in Deutsch-Ostafrika als Pflanzungsleiter tätig. Vom Juli 1906 bis September 1907 arbeitete er im Reichskolonialamt in Berlin. Während eines weiteren Afrika-Aufenthaltes im Auftrag des Hamburger ReichardtWerkes lernte er als Fachmann für Kakaoanbau Friedrich Hey kennen. 1932 schied Gebbers, wie er angab, wegen der „Wirtschaftsdepression“ aus der Firma aus. Nur wenige Monate musste er sich als selbständiger Kaufmann durchschlagen. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 sicherte ihm eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Gebbers war am 1. September 1931 in die NSDAP eingetreten und im Februar 1932 Ortsgruppenleiter geworden. Bei der Wahl im Herbst 1931 zog er in den Stadtrat von Bückeburg ein und wurde Stellvertretender Bürgermeister.459 Am 1. Mai 1933 wurde er zum Landrat ernannt. In dieser Funktion blieb er, bis er durch „Verfügung der Militärregierung“460 im Mai 1945 entlassen wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelte sich die „Dr. med. Friedrich Hey K.G.“ seit Ende der 1920er-Jahre erfolgreich und konnte expandieren. Angeregt durch eine Werbeschrift Friedrich Heys hatte das Reichsgesundheitsamt im Jahre 1921 sein Geschäftsgebaren untersucht. Im Reichsgesundheitsamt war man offensichtlich verärgert über Heys aggressive Werbung in Tageszeitungen. Mit Werbeblättern und Broschüren wie „Krebs ist heilbar!“ oder „Ist Krebs, Flechte, Lupus heilbar?“. Das Mittel „Krebskur“, eine von „Hey‘s Kräuterkuren“, bewarb Friedrich Hey mit den Worten, es wohne ihm eine reinigende Kraft inne, dass es imstande sei, das Blut derart umzugestalten, dass durch das Blut alles Kranke abgestoßen werde.461 Das aufgrund des vermuteten hohen Gewinns der Firma ebenfalls eingeschaltete Reichsministerium der Finanzen drohte die Mittel als luxussteuerpflichtige Geheimmittel einzustufen.462 Diese Auseinandersetzungen zogen sich über Jahre hin, ohne dass der Firma Hey ernsthafte Probleme entstanden. Hey ging rechtlichen Konsequenzen dadurch aus dem Weg, dass er die Mittel, deren Vertrieb mit bestimmten Auflagen verbunden wurde, einfach aus dem Sortiment nahm. Kurze Zeit später lancierte er sie unter anderem Namen erneut.463 In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre beteiligte sich die „Vereinigung elektro-homöopathischer Ärzte Deutschlands und Deutschösterreichs“ an der Auseinandersetzung mit den Behörden, in dem sie die Fragen der fehlenden Approbation 458 459 460 461 462

StABü, L 121a Nr. 733, unpaginiert, sowie Dep. 9, R Nr. 383. Steinwascher/Seeliger (1986), S. 87. HStA Hannover, Nds. 171 Nr. 10084, unpaginiert. BArchB, R 86/1768, Vermerk zu I 5295/21, unpaginiert. Reichsminister der Finanzen an Friedrich Hey, Schreiben vom 12. August 1921, BArchB, R 86/1768, unpaginiert. 463 BArch, R 86/1768, unpaginiert, Abschrift aus der Niederschrift über die Beratung des Reichsgesundheitsrates vom 6. Juni 1928.

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Friedrich Heys und des möglicherweise unerlaubten Führens des Doktortitels in Deutschland wieder in die Diskussion brachte. Die Anerkennung einer solchen beruflichen Qualifikation war Angelegenheit der jeweiligen Länder. Doch schon 1930 hatte die Firma „15 Angestellte und einen Jahresumsatz von 350.000 [Reichsmark]“.464 1935 gelang es Friedrich Hey sogar, Geschäftsbeziehungen in die USA zu knüpfen.465 3.5.2. Heilmittel aus „germanischen Drogen“: Die Firma Hey nach 1933 Die Auseinandersetzung mit Behörden und Justiz ging nach 1933 weiter, wenn dies auch weder der Prosperität der Firma noch der Praxis Friedrich Heys schadete. Wegen des unberechtigten Tragens eines ärztlichen Titels wurde 1934 vom Amtsgericht Bückeburg ein Strafbefehl verhängt. Friedrich Hey musste 20 Reichsmark bezahlen. Der Hinweis auf den am Ort als Arzt praktizierenden Sohn schien zu bewirken, dass die Angelegenheit zu den Akten gelegt wurde. 1936 erkundigte sich jedoch die Deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen e.V. sowohl bei der Polizeiverwaltung Bückeburg als auch bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer in Hildesheim, was Hey „fabriziert“, welche Heilmittel er vertreibt und „ob Hey Dr. med ist oder bei welcher Fakultät er promoviert hat.“466 Der Bürgermeister Bückeburgs, Albert Friehe, antwortete auf das Schreiben der Zentralstelle, Hey betreibe in „eine[r] hochmodern eingerichteten Fabrik die Herstellung pharmazeutischer Präparate“. Insbesondere befasse er sich „mit dem Herstellen von Tee aus Kräutern aller Art, daneben werden aber auch noch von ihm Extrakte und Medikamente hergestellt.“ Weiter hieß es: „Dr. Friedrich Hey besitzt keine deutsche Aprobation [sic], sondern hat lediglich 1894 von der Universität Basel den medizinischen Doktortitel erworben, er hat aber nicht das schweizerische Staatsexamen gemacht. Hey steht hier sonst in gutem Rufe, er ist ein gewisser Sonderling.“467

Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn verfügte der Reichswirtschaftsminister die Stilllegung von Betrieben mit kriegswirtschaftlich nicht wichtigen Erzeugnissen. Von einem weiteren Runderlass am 3. Mai 1940 zum Zweck der „Freimachung von Arbeitskräften zur Steigerung der Wehrmachtsfertigung (Stillegungsaktion)“468 war auch die Firma Hey betroffen. Schon am 29. April 1940 setzte der Oberpräsident der Provinz Hannover, dem zugleich das Bezirkswirtschaftsamt für den entsprechenden Wehrwirtschaftsbezirk unterstand, Landrat Gebbers und Bürgermeister Friehe in einem vertraulichen Schreiben von der Stilllegung der Firma in Kenntnis.469 464 465 466 467

Friedrich Hey an die Basler Mission, Postkarte vom 28. Juli 1930, ABaM, B.V. 1261. StABü, Dep. 41, acc. 2001/029 Nr. 75. StABü, Dep. 9 D, acc. 39/89 Nr. 206. StABü, Dep. 9 D, acc. 39/89 Nr. 206, Schreiben von Albert Friehe an die Deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen e.V. vom 27. November 1936. 468 Runderlaß des Reichswirtschaftsministers Nr. 259/40 BWA vom 3. Mai 1940. 469 StABü, Dep 9 D, Nr. 99.

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In der nun folgenden Auseinandersetzung mit den zuständigen Behörden um den Erhalt der Firma erwies sich vor allem Albert Friehe als tatkräftiger Unterstützer Heys. Friehe wurde 1904 in Mölme bei Hildesheim geboren.470 Er trat 1925 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 18.097) und die SA ein. Schon während der ersten Semester seines Studiums war er Funktionär im NS-Studentenbund in Tübingen und München sowie Berichterstatter des Völkischen Beobachters. Ab Herbst 1929 studierte er vier Semester Biologie in Marburg, wo er politisch als Parteiredner und Bezirksorganisationsleiter der NSDAP hervortrat. Danach arbeitete er als Referent für den Reichsbauernführer und späteren Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Richard Walter Darré.471 Eine bei Hans F. K. Günther in Jena begonnene Dissertation beendete er aus gesundheitlichen Gründen nicht.472 Sowohl Darré als auch Günther beeinflussten Albert Friehes Vorstellungen nachhaltig. Als Bürgermeister Bückeburgs beschäftigte er sich intensiv mit der „aktiven Bekämpfung der Gemeinschaftsunfähigen“.473 Sowohl bei der Deportation der Bückeburger Juden als auch so genannter „Gemeinschaftsunfähiger“ spielte Friehe eine entscheidende Rolle. Er war, neben Hermann Gebbers, einer der wichtigsten und prominentesten Funktionsträger des Nationalsozialismus in Schaumburg. Vor allem ihm verdankte die Firma Hey in diesen Jahren ihr Weiterbestehen. Friedrich Hey jun. würdigte die Verdienste Friehes 1950: „Als die Rüstung angesagt war, hat sich Herr Friehe uns sehr nett zur Seite gestellt. [...] Mir ist bekannt, dass Herr Friehe sich für die jüdischen Frauen, die abtransportiert wurden, eingesetzt hat. Ich habe den festen Eindruck, dass Herr Friehe niemals etwas Unrechtes getan hat.“474

In einem Schreiben vom 14. Mai 1940 an das Wehrwirtschaftsamt in Hannover legte Friehe Beschwerde gegen die Stilllegungsverfügung ein. Den Leiter des zuständigen Arbeitsamtes in Stadthagen, Eichhorn, hatte er bereits vorher eingeschaltet. Zügig bot Eichhorn in seinem Antwortschreiben unter dem Betreff „Kriegsarbeitseinsatz“ an, er führe

470 BArchB, ehemals BDC, PK, Friehe, Albert. 471 RICHARD WALTHER DARRÉ (1895–1953), in Argentinien geboren, Weltkriegsteilnehmer, Studium der kolonialen Landwirtschaft u.a. in Halle, in den 1920er Jahren zeitweilig Regierungsaufträge, publizistische Tätigkeit, 1930 Eintritt in die NSDAP, 1932–1938 Chef des RuSHA, 1933–1942 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1934–1945 Reichsbauernführer, persönlicher Freund Himmlers. Vgl. Heinemann (2003), S. 612–613 sowie Corni (1999). 472 In dieser Zeit trat er jedoch publizistisch in Erscheinung, u.a. mit der Broschüre „Was muß der Nationalsozialist von der Vererbung wissen?“, die bis 1939 sieben Auflagen erlebte. 473 Wie er in einem Schreiben an den Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP 1942 mitteilte, sei er auf Grund seines „früheren allgemein biologischen wie erb- und rassekundlichen Studiums an der Erfassung und Bekämpfung der Asozialen persönlich besonders interessiert.“ BArchB, ehemals BDC, Friehe, Albert. 474 HStA Hannover, Nds. 171 Hannover Nr. 23157.

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„am 12.4.1940 für die Zeit von 3 bis 4 Wochen in das Generalgouvernement nach Polen, um bei der Anwerbung von Arbeitskräften für Niedersachsen tätig zu werden. [...] Deshalb bitte ich Sie, sich noch einige Wochen gedulden zu wollen.“475

Der Firma Hey wurden jedoch nach Rückkehr Eichhorns keine Zwangsarbeiter zugeteilt, obwohl das Schreiben Eichhorns dies vermuten lässt. Schließlich gab die Firma sogar fünf Arbeitskräfte ab und produzierte weiter. Am 30. Mai 1940 hob der Oberpräsident die Stilllegungsverfügung auf. Nur ein Jahr später, am 13. Juni 1941, folgte jedoch eine erneute Stilllegung zum 31. Oktober 1941, nun von der Reichsstelle Chemie in Berlin, die die Zwangsbewirtschaftung der Rohstoffe koordinierte. Hey jun. protestierte mit dem Argument, die zur Herstellung benötigten Pflanzen seien „germanische Drogen“, die „von der deutschen Jugend gesammelt“ würden.476 Da die Fürsprache Friehes nicht die gewünschte Wirkung erzielte und auch die Bemühungen des Landespräsidenten Karl Dreier keine Änderung der Lage herbeiführten, schlug Friedrich Hey sen. vor, sich an den Reichsstatthalter Gauleiter Alfred Meyer,477 mit dem Friehe bekannt war, zu wenden.478 Friehe fuhr im Dezember 1941, u.a. mit einem Gutachten des Wirtschaftsexperten Ulrich Grote-Mismahl479 ausgestattet, nach Berlin. Dort habe er „im Reichsgesundheitsamt sowohl mit dem Präsidenten Professor Reiter wie mit dem Sachbearbeiter Oberregierungsrat Dr. Kerbel [sic]480 eingehend über den Fall Rücksprache genommen“, berichtete Friehe nach seiner Rückkehr. Auch bei der Reichsstelle Chemie wurde er am 11. Dezember vorstellig und erwirkte eine Aufhebung des Fertigungsverbots für die Produkte „Uxorin“, „Krafttrunk“ und „Vitapulver“. 475 StABü, Dep. 9 D, Nr. 99. Hierbei handelte es sich eindeutig um die Verpflichtung von Zwangsarbeitern. 476 Hey schrieb: „Die zur Extraktion unserer Präparate sowie auch zur weiteren Herstellung derselben benötigten Drogen sind zum größten Teil germanische Drogen, die heute zu einem gut Teil von der deutschen Jugend gesammelt und den Drogengroßhandlungen, von denen wir beziehen, zugeführt werden. Die eigene Art des Betriebes bedingt, daß wir Drogen für ein Jahr auf Lager nehmen müssen. Diese Drogen sind von unseren Lieferanten, den Firmen Caesar & Loretz in Halle-Saale und M. Buddensieg in Greussen/Thür. nach unseren Vorschriften geschnitten und gleich nach unseren Mischungsvorschriften gemischt.“ Friedrich Hey an die Industrie- und Handelkammer in Hannover, Schreiben vom 24. Juni 1941, StABü, Dep. 9 D Nr. 99. 477 ALFRED MEYER (1891–1945), Teilnahme am Ersten Weltkrieg, danach Studium der Nationalökonomie, Mitglied der NSDAP seit 1928, 1930 MdR, Gauleiter von Westfalen-Nord, seit 1933 Reichsstatthalter von Schaumburg und Schaumburg-Lippe, Stellvertreter des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete und Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, beging Selbstmord. Vgl. Priamus (1998) sowie Hüttenberger (1969), S. 216. 478 Friedrich Hey sen. an Friehe, Schreiben von vom 18. Juli 1941, StABü, Dep. 9 D, Nr. 99. 479 Ulrich Grote-Mismahl war der Leiter des Schlesischen Instituts für Wirtschafts- und Konjunkturforschung in Breslau. 480 Es handelte sich bei diesem Sachbearbeiter um den damaligen Oberregierungsrat Gerhard Kärber, der im Reichsgesundheitsamt auch für die Bearbeitung der zur gleichen Zeit in Dachau durchgeführten Tuberkuloseversuche zuständig war. Vgl. 3.6. GERHARD KÄRBER (*1901), Arzt, Studium der Medizin in Leipzig, u.a. bei Georg Bessau und Walter Stoeckel. Promotion 1927, seit 1930 Mitarbeiter des Reichsgesundheitsamtes, seit 1934 Mitglied der NSDAP, Leiter der Abteilung Pharmakologie und Physiologie des Reichsgesundheitsamtes. Vgl. BArchB, ehemals BDC, PK Kärber, Gerhard sowie Kärber (1976).

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

3.5.3. Vom „Inhalat Dr. med Zahn“ zum „Zanicillin“ Da es der Firma Hey trotz der Produktion der drei Mittel wirtschaftlich zunehmend schlechter ging, beantragte Friedrich Hey sen., nun 78-jährig, die Wiedereröffnung seiner bereits aufgegebenen ärztlichen Praxis, jedoch ohne Erfolg. Die Geschäfte der Firma wurden zu dieser Zeit wahrscheinlich größtenteils von seinem Sohn Friedrich geführt, wenn auch beide, wie aus dem erhalten gebliebenen Schriftwechsel erkennbar ist, das Familienunternehmen nach außen hin vertreten haben. 1923 wurde Hey jun. Teilhaber der „Dr. med. Friedrich Hey K.G.“, blieb zunächst aber nicht in der väterlichen Firma beschäftigt, sondern eröffnete 1933 unter der Bezeichnung „Werbeberatung und Werbedurchführung“ einen Betrieb in der Scharnhorststraße 32 in Bückeburg. In den ersten Monaten des Jahres 1943 gründeten Friedrich Hey jun. und Dr. Gualtherus Zahn die Firma „Dr. med. Zahn & Co. Bückeburg“, deren wichtigstes Produkt das „Inhalat Dr. med. Zahn“ war. Hey wusste, dass das Medikament an Häftlingen des KZ Sachsenhausen erprobt worden war. Auch die Lebensbedingungen in diesem Lager dürften ihm, ebenso wie auch seinem Vater und anderen Bückeburger Bürgern zu dieser Zeit bekannt gewesen sein. Nach der „Reichskristallnacht“ im Jahr 1938 brachten jüdische Bürger das Wissen um die Zustände in den Konzentrationslagern mit nach Hause. Der Bückeburger Bürgermeister Otto Tegtmeyer schrieb 1947: „Was die Zustände in den Konzentrationslagern betraf, so konnte jeder, der es hören wollte, besonders schon in den vorgerückten Kriegsjahren mehr oder weniger erfahren, dass diese Lager sich zu einer Hölle ausgewachsen hatten. Dem Unterzeichneten selbst sind von den jüdischen Inhaftierten 1938 und Anfang 1939 verschiedene Vorgänge, die sie selbst erlebt hatten, bekannt geworden. Die Erzählungen waren so grausig, dass sich einem die Feder sträubt, diese Dinge wiederzugeben.“481

Gualtherus Zahn kehrte bald im Laufe des Jahres 1943 in die Niederlande zurück. Er gab vor, Rohstoffe für den Betrieb beschaffen zu wollen. Friedrich Hey jun. führte die Geschäfte in Bückeburg allein. Die Firmen Zahn und Hey nutzten die vorhandenen Maschinen in der Werkhalle in der Scharnhorststraße und das Büro gemeinsam. Friedrich Hey sen. soll die Gründung der Firma seines Sohnes und die Herstellung des „Zahnschen Inhalats“ in seiner Firma nicht gutgeheißen haben.482 In der zweiten Oktoberhälfte sprach Zahn erfolgreich bei Poppendick vor, um bürokratische Hürden beim Eintrag der Firma in das Handelsregister auszuräumen.483 Schon im ersten Jahr ihres Bestehens erwirtschaftete die Firma Zahn mit dem Inhalat „Dr. med. Zahn“ einen Umsatz von 90.000 Reichsmark.484 Nach dem guten wirtschaftlichen Start bemühte sich Friedrich Hey im Frühjahr 1944 den Vertrieb auch auf „den zivilen Sektor“ auszudehnen und beantragte beim Innen481 482 483 484

StABü, Dep. 9 acc. 42/89 Nr. 20, Bl. 18. Interview mit Herrn Siegfried Hey am 8. Juli 2003. Friedrich Hey an das Amtsgericht Bückeburg, Schreiben vom 28. Oktober 1943. Vor der Stilllegungsverfügung hatte die Firma Hey einen Jahresumsatz von über RM 200.000 (1938 RM 231.000 und 1939 RM 225.000).

3.5. Die Firma „Dr. med. Zahn & Co.“ in Bückeburg und die Produktion des Inhalats

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ministerium die offizielle Zulassung des Mittels. Dabei berief er sich ganz offen auf die im KZ Sachsenhausen durchgeführten Versuche: „Seit Beginn des Jahres 1941 wurde ein von unserem Herrn Dr. med. Zahn entwickeltes Tuberkulose-Präparat im persönlichen Stab des Reichsführers SS erprobt. Gegen Ende des Jahres 1943 wurden die diversen Versuchsreihen zum Abschluß gebracht. Die positiven Ergebnisse führten zur Gründung unserer Firma, die heute die SS mit dem Inhalt [!] beliefert. [...]“485

Auch beim Reichstuberkulose-Ausschuss unterstützte Poppendick Hey und teilte mit, dass die „Ergebnisse der angestellten Versuchsreihen mit dem Tuberkulose-Präparat des holländischen Arztes Dr. Zahn auf der hiesigen Dienststelle [der des Reichsarztes SS] jederzeit eingesehen werden können.“486

Zuspruch bekam Friedrich Hey ebenfalls vom Leiter der Fürstlichen Hofkammer in Schaumburg, Hofkammerrat Wolrad Schwertfeger.487 Schwertfeger war seit Frühjahr 1943 außerdem Geschäftsführer der Wirtschaftskammer SchaumburgLippe, einer Zweigstelle der Wirtschaftskammer Bielefeld sowie der Gauwirtschaftskammer Westfalen-Nord.488 Im Protokoll einer Betriebsbesichtigung durch Schwertfeger – auch er war gut informiert – hieß es: „Es wird das ‚Inhalat Dr. Zahn‘ hergestellt, ein Mittel gegen Tuberkulose, Bronchitis usw., das von dem holländischen Arzt Dr. Zahn erfunden und im Konzentrationslager Oranienburg erprobt ist und jetzt in den SS-Lazaretten praktische Anwendung findet. Alleiniger Besteller ist das SS-Zentralsanitätsamt Berlin, Knesebeckstr. [...] Dr. Zahn ist mit Genehmigung des Reichsführer SS jetzt in Amsterdam tätig und dort unabkömmlich. Auskunft über die Norwendigkeit des Mittels kann geben: Zeugmeister Brigadeführer SS Dr. Blumenreuther [sic] im SS-Zentralsanitätsamt Berlin.“489

Unter den in diesem Zusammenhang von Schwertfeger namentlich erwähnten Angestellten befand sich auch „Fräulein Schwendinger, [geboren] 1920“, „Studentin der Musik“. Niemand in der Firma wusste allerdings, dass es sich bei der jungen Büroangestellten um eine Jüdin handelte. Die aus Berlin stammende Ruth Lilien485 Friedrich Hey an Reichstuberkulose-Ausschuss, Schreiben vom 8. Mai 1944, BArchB, R 96 II, Band 22, Bl. 293. 486 Helmut Poppendick an Dr. Auersbach, Reichstuberkulose-Ausschuss, Berlin, Schreiben vom 27. Juli 1944, BArchB, R 96 II, Band 22, Bl. 288. 487 WOLRAD SCHWERTFEGER (1905–1992), Dr. jur., Geheimer Hofrat, wurde in Bückeburg als Sohn des Landesschulrates geboren, studierte von 1923 bis 1927 Jura und wurde 1927 in Göttingen promoviert. 1930 ließ er sich in Bückeburg als Rechtsanwalt nieder und wurde 1933 für die „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (Zusammenschluss von DNVP und „Stahlhelm“) in den Schaumburg-Lippischen Landtag gewählt. 1936 trat Schwertfeger in die Fürstliche Verwaltung ein, wurde 1937 Mitglied der NSDAP und Leiter der Fürstlichen Hofkammer. Er verblieb in dieser Stellung bis 1969. Seit 1946 war Schwertfeger Mitglied des Präsidiums des Landeskirchenamtes, später als dessen Präsident sowie Vizepräsident des Landeskirchenrates und hatte damit entscheidenden Anteil an der Leitung der Landeskirche. Er war Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse. HStA Hannover, Nds 171 Hannover Nr. 7762, Lebenslauf sowie Nachruf, Schaumburg-Lippische Landeszeitung vom 20. Juli 1992. 488 Albert Friehe, vertraulicher Aktenvermerk vom 14. April 1943, StABü, Dep. 9 D Nr. 90. 489 Vermerk über Besichtigung der Fa. Zahn/Hey, Bückeburg, undatiert, vermutlich Frühjahr 1944, StABü Dep. 41 acc. 2001/029/75.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

thal war 1942 untergetaucht, um der Deportation zu entgehen. Sie erkrankte an Diphtherie und konnte nicht arbeiten. Mit Hilfe von Johanna Mensching, der Tochter des Pfarrers Wilhelm Mensching aus Petzen bei Bückeburg, kam sie nach Schaumburg. Im Pfarrhaus lebte sie von Oktober 1943 bis März 1944 unerkannt, bevor sie unter dem Namen „Rose Schwendinger“ als Kontoristin bei Hey arbeitete. Sie schrieb über diese Zeit in der Firma: „Meine Kollegen waren (fast alle) freundliche und religiöse Menschen. Trotzdem war ich mir darüber klar, dass mich sicher einer von ihnen angezeigt hätte, wenn sie gewußt hätten, wer ich wirklich war. [...] Nach dem Ende des Krieges klappte ich ganz zusammen und hatte eine Herz-Attacke.“490

Schwertfeger sprach sich wenige Monate vor Ende des Krieges und der Besetzung Schaumburgs durch die Briten, für die Schließung der Firmen Hey und Zahn mit der Begründung aus, „es sei nicht zu verantworten, dass die beiden Firmen in der heutigen Zeit weiter belassen werden.“491 Er war sich offensichtlich dessen bewusst, dass das Bekanntwerden der Beteiligung der Firma Hey an Menschenversuchen im Konzentrationslager nach Kriegsende zu ernsthaften Konsequenzen für die darin verwickelten Personen führen würde. Nach Kriegsende bemühte sich Friedrich Hey sen. gemeinsam mit seinem ältesten Sohn Friedrich die Produktion seiner Präparate wieder aufzunehmen. Sein Sohn Theophil kehrte 1950 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück und ließ sich in Bückeburg als Arzt für Naturheilkunde nieder. Er übernahm die fachliche Leitung der Firma und entwickelte die Mittel seines Vaters weiter. Friedrich Hey sen. zog sich danach aus Altersgründen aus der Firma zurück. Gualtherus Zahn war seit April 1944 in Amsterdam. Dort wollte er ein „Sanatorium zur Tbc-Bekämpfung“ einrichten und mietete sich eine Arztpraxis in der Keizergracht. Assistentin wurde eine junge Krankenschwester, die für die Widerstandsgruppe „Vrij Nederlande“ („Freie Niederlande“) arbeitete und der sich Zahn anvertraute. Beide heirateten nach Ende der Besatzungszeit. Zahn ließ sich sein Präparat u.a. in den Niederlanden, der Schweiz und Spanien unter den Namen „Zanicilline“ bzw. „Sanicillin“ patentieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Zahn für die Roter Company in den USA, als Regierungsarzt in Venezuela und in Argentinien, bevor er nach Brasilien auswanderte.492 Dort erwarb er eine Kakaoplantage in Mato Grosso, wo er 1958 starb.

490 Ruth Lilienthal, Schreiben an die Verfasserin vom 14. Mai 2002. Am 16. Mai 2001 wurde Wilhelm Mensching auf Antrag der Geschichtswerkstatt der Herderschule Bückeburg in Yad VaShem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Für den Hinweis darauf danke ich Klaus Maiwald, Bückeburg. 491 Wolrad Schwertfeger, Antrag auf Schließung der Firmen Dr. med. Fr. Hey und Dr. med. Zahn & Co. vom 9. Oktober 1944, StABü Dep. 41 acc. 2001/029/75. 492 Stichting Toezicht Politieke Delinquenten (Behörde zur Überwachung politischer Straftäter), Schreiben vom 26. Juli 1947, Entnazifizierungsverfahren Gualtherus Zahn.

3.6. Parallele Experimente: Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau

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3.6. PARALLELE EXPERIMENTE TUBERKULOSE-VERSUCHE IN BUCHENWALD UND DACHAU 3.6.1. Menschenversuche als Dissertationsvorhaben In diesem Kapitel sollen zwei weitere Tuberkuloseversuchsreihen exemplarisch vorgestellt werden: die Versuche in KZ Buchenwald und im KZ Dachau. Die Versuche des SS-Arztes Waldemar Hoven in Buchenwald sind ein Beispiel für die ganz persönliche Initiative eines SS-Arztes, Menschenversuche im Konzentrationslager durchzuführen. Waldemar Hoven wurde 1903 in Freiburg im Breisgau geboren. Er hatte zwei ältere Brüder, besuchte die Mittelschule in Freiburg und verließ diese nach der Untertertia. Anschließend ging er nach Schweden, machte eine Ausbildung in der Landwirtschaft und arbeitete von 1921 bis 1925 in den USA. Sein vier Jahre älterer Bruder Erwin wurde ebenfalls Landwirt. Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete Hoven, wie er später angab, einige Zeit auf einem Gut, das den Eltern gehörte. Von 1931 bis 1934 lebte er als Journalist in Paris. Er hatte 1929 geheiratet und war Vater von vier Kindern. 1934 entschloss sich Hoven, 31jährig, zum Medizinstudium. Die Familie Hoven betrieb ein Sanatorium, das der Vater leitete, bis er 1930 verstarb. Anschließend ging es in die Hände von Waldemar Hovens sieben Jahre älteren Bruder Hans über, der 1934 ebenfalls starb. Waldemar Hoven wurde nun von der Mutter aus Paris zurückgeholt und gedrängt, das Abitur nachzuholen und Medizin zu studieren, was er auch bald tat. Zur gleichen Zeit trat er in die SS ein, 1937 in die NSDAP. Die Familie war schon in den 1920er Jahren den Nationalsozialisten eng verbunden und hatte, wie die Mutter Caroline Hoven im Sommer 1934 an den Freiburger Oberbürgermeister schrieb, „seinerzeit täglich an etwa 15 Volksgenossen Essen verabreicht. Mein Sohn Erwin hat wohl die Papiere geprüft und vielleicht Nationalsozialisten bevorzugt“.493 Erwin Hoven war ebenfalls Nationalsozialist. Er trat 1932 in die NSDAP und am 1. März 1933 in die SS ein. Der kurz zuvor verstorbene Hans Hoven war noch am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP geworden. 1935 legte Waldemar Hoven das Abitur ab und begann in Freiburg sein Studium. Bereits am 26. Oktober 1939 wurde er approbiert. Er erhielt eine Kriegsnotapprobation, von der 1947, während des Nürnberger Ärzteprozesses, niemand etwas wissen wollte, weder die Universität Freiburg noch die Universität München, deren Akten verbrannt sein sollen. Hovens Approbation in München, und nicht in Freiburg, wo er sein gesamtes Studium absolviert hatte, erfolgte vielleicht auch deshalb so zügig, weil er bereits seit dem 9. September 1939 Mitglied der Waffen-SS war. Möglich ist auch, dass Hoven über Beziehungen zu Himmler verfügte, worauf ein Schriftwechsel mit Rudolf Brandt hindeutet. Hoven hatte sich einige Monate zuvor in besonderer Weise bei Heinrich Himmler eingeführt. Er hatte Jahre zuvor in Paris eine Schiller-Handschrift erworben und sie Himmler geschenkt. 493 Carola Hoven, Schreiben vom 9. Juli 1934 an den Freiburger Oberbürgermeister Dr. Kerber, Stadtarchiv Freiburg C 4/X/18/10.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen „Ich bin der Ansicht, daß solche Dokumente nicht in Privatbesitz gehören, damit sie sich nicht, wie es hier der Fall war, im Ausland wiederfinden. Aus diesem Grunde bitte ich meinen Reichsführer SS über diesen Brief verfügen zu wollen. Heil Hitler! Waldemar Hoven“,

schrieb er im Sommer 1939 an Himmler.494 Dieser ließ den Schiller-Brief auf die Wewelsburg bringen, Hoven ein Buch als Geschenk schicken, „um ihm eine kleine Freude zu machen“ und ihm eine Mitarbeit in Aussicht stellen. 1941 wurde Waldemar Hoven, noch immer nicht promoviert, stellvertretender Lagerarzt und 1942 Standortarzt in Buchenwald. Er galt als einer der grausamsten der Buchenwalder SS-Ärzte. Dem Leben und Leiden der Häftlinge stand er völlig gleichgültig gegenüber. Eugen Kogon schrieb über ihn, er sei, „als er eine Reihe von Häftlingen durch Evipannatrium-Spritzen ‚umgelegt‘ hatte, eine Zigarette in der Hand, aus dem Operationssaal [gekommen], fröhlich die Melodie vor sich hin pfeifend: ‚Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende‘ [...]“.495

Hoven soll mindestens eintausend ihm unliebsame oder nicht mehr arbeitsfähige, kranke Häftlinge eigenhändig getötet und viele Hundert für den Transport in die Gaskammern der Anstalt Bernburg selektiert haben. Überlebende zeichneten von Hoven das Bild eines überaus bequemen, gelangweilten und Zerstreuung suchenden Menschen, der vor allem an seinen eigenen Vorteil dachte. Er habe gut mit den politischen Häftlingen der illegalen Lagerleitung zusammengearbeitet, so Kogon im Nürnberger Ärzteprozess, bzw. mit deren Vertrauensmännern im Krankenrevier, vor allem mit dem kommunistischen Kapo Ernst Busse. Für die Zusammenarbeit ließ Hoven sich mit Kleidern, Nahrungsmitteln und Schmuck beschenken.496 In der Fleckfieber-Versuchsbaracke soll er eine eigene Kürschnerei, Schneiderei und Schuhmacherwerkstatt gehabt haben. Er nahm den niederländischen Häftling Henry Pieck, einen Maler, in den Kreis seiner Bediensteten auf. Pieck war meist damit beschäftigt, Portraits von Hovens Kindern zu malen, von SS-Arzt Erwin Ding-Schuler497 im Kostüm eines Wallenstein sowie von Karl Genzken.498 Als Arzt war Hoven, nach Aussagen der überlebenden Häftlinge, unfähig. Der tschechische Chirurg Horn, einer der ersten Häftlingsärzte im Krankenrevier, sagte in Nürnberg aus: „Dr. Hoven hat uns offen gesagt, dass er zu wenig ärztliche Bildung hat. [...] Er hat mir auch eine gewisse Zeit assistiert, aber er hat nicht genug Zeit und auch nicht genug Geduld gehabt, um sich ausbilden zu lassen.“499 494 495 496 497

BArch Berlin, ehemals BDC, SSO Hoven, Waldemar. Kogon (1998), S. 166. Eugen Kogon, Aussage 6. Januar 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 01188–01200. ERWIN DING-SCHULER (1912–1945), seit 1932 Mitglied der NSDAP, seit 1933 der SS, Absolvent der SS-ärztlichen Akademie, 1938/39 Lagerarzt in Buchenwald, 1940 bei der SSÄrztlichen Akademie Graz, seit Herbst 1941 Mitarbeiter Mrugowskys bei Hygiene-Institut der Waffen-SS, in Buchenwald Leiter des Instituts für Fleckfieber- und Virusforschung in Buchenwald, führte an Häftlingen Menschenversuche zur Erprobung von Fleckfieber-Impfstoffen durch. Suizid. Vgl. Klee (2003), S. 111–112. 498 Henry C. Pieck, Aussage vom 20. März 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/04781–04816. 499 Videslaw Horn, Aussage vom 31. März 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/05307–05333.

3.6. Parallele Experimente: Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau

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Trotzdem hatte Hoven den Ehrgeiz zu promovieren und nutzte die ihm im Konzentrationslager zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Das Vorwort zu Waldemar Hovens Dissertation mit dem Titel „Versuche zur Behandlung der Lungentuberkulose durch Inhalation von Kohlekolloid“ beginnt in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: „Es ist nicht so, daß jeder wissenschaftlichen Arbeit schon bei der Wahl des Themas grundlegende theoretische Überlegungen vorausgegangen sein müssen [sic]. Sehr oft mag der Zufall dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben, und die Überlegung setzt erst nachher ein. Einer solchen zufälligen Beobachtung verdanke ich auch den Anstoß zu dieser Arbeit. Ich hatte vor etwa einem Jahr Gelegenheit, die Sektion eines durch einen Unfall getöteten Mannes vorzunehmen, der in den letzten Jahren dauernd in einem Kohlenschuppen gearbeitet hatte.“500

Der Verfasser der Arbeit war jedoch nicht Waldemar Hoven, sondern der Kapo der Buchenwalder Pathologie, der Ingenieur Gustav Wegerer, ein politischer Häftling, der Jahre zuvor sozialdemokratischer Abgeordneter in Österreich war. Am 15. April 1947 schrieb Wegerer an den Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg Hoven Dissertationsschrift betreffend, sie wurde „zum Großteil von mir, der restliche Teil unter Mitarbeit des bekannten Physikers Dr. Kurt Sitte, geschrieben. Die Idee, als auch die Anordnung und Ausführung der Versuche, sowie die textliche Formulierung stammt von mir.“501

Für die Dissertation wurden insgesamt drei Versuchsreihen durchgeführt. In der ersten inhalierten von 33 Häftlingen 23 Versuchspersonen vierzig Tage lang Kohlenruß. Die anderen zehn blieben gänzlich unbehandelt. „Die Inhalation wurde von den 23 Patienten während der ganzen Zeit anstandslos und ohne Beschwerden ertragen“, schrieb Wegerer dazu.502 Als Zeichen der Besserung wurde bei den Übrigen vor allem Gewichtszunahme angegeben. Die Versuchspersonen litten offensichtlich an Unterernährung: ein 25jähriger mit 52 kg (später 60 kg), ein 24jähriger mit 56 kg (er wurde sogar 70 Tage beobachtet und nahm 20 kg zu). Alle Häftlinge bekamen „eine Tbc.-Diät mit viel Kohlehydraten, Fett und Gemüse“.503 Es schlossen sich zwei weitere Reihen mit zwölf bzw. sechs Häftlingen an. Diese bekamen den Kohlenruß zum Teil als Injektion. Fünf der 23 starben bei den Versuchen wahrscheinlich an Tuberkulose, möglicherweise auch an den Folgen des Hungers. Die Leichen wurden seziert und diverse Abbildungen von Gewebeschnitten der Arbeit beigefügt. Im Frühjahr 1943 legte Hoven die Arbeit von insgesamt 112 Seiten an der Universität Freiburg vor. Am 27. Juli 1943 wurde er promoviert und erhielt die Note „sehr gut“. Hovens Doktorvater war Kurt Ziegler.504 Gutachter bzw. Prüfer

500 Hoven (1943), S. 1. 501 Gustav Wegerer an den Prodekan der Medizinischen Fakulität Freiburg, Prof. Hoffmann, Schreiben vom 15. April 1947, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 8/03055. 502 Hoven (1943), S. 31. 503 Ebd., S. 30. 504 KURT ZIEGLER, Leiter der Poliklinik der Medizinischen Fakulität der Universität Freiburg.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

waren Josef Kapfhammer505 und Hermann Dold, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene.506 Die Aufdeckung von Hovens Beteiligung an Korruptionsaffären des Buchenwalder Kommandanten Karl Otto Koch beendete schließlich seine Tätigkeit im Konzentrationslager. Im September 1943 wurde er verhaftet und vor ein SS-Gericht unter dem Vorsitz des SS-Richters Konrad Morgen gestellt. Bis zum April 1945 blieb er in Haft. Zur Zeit der Befreiung Buchenwalds soll er nochmals ins Lager zurückgekehrt sein. Er wurde von den Amerikanern inhaftiert und in Nürnberg vor allem wegen seiner Mitwirkung an der so genannten Häftlings-„Euthanasie“ 14f13 verurteilt und hingerichtet. 3.6.2. Menschenversuche als berufliche Qualifikation Im Konzentrationslager Dachau fanden von Anfang 1941 bis Anfang 1942 Versuche zur Behandlung der Lungentuberkulose statt.507 Es bestand eine große Ähnlichkeit zu den gleichzeitig im KZ Sachsenhausen durchgeführten Tbc-Versuchen. Initiiert und angeordnet wurden sie von Heinrich Himmler, der mit Grawitz unterschiedlicher Meinung über die Wirksamkeit homöopathischer Präparate bzw. naturheilkundlicher Methoden zur Therapie der Lungentuberkulose war. Himmler hoffte als Anhänger der Naturheilkunde durch die Versuche eine Bestätigung für die Richtigkeit seiner Vorstellung zu erhalten, dass sich Lungentuberkulose mit homöopathischen Mitteln heilen ließe.508 Eine erfolgreiche Behandlung von Tuberkulosekranken auf homöopathischem Wege wäre kostengünstig und praktikabel gewesen und hätte somit für Himmler einen großen Prestigegewinn bedeutet. Grawitz hingegen war daran interessiert, dass sich die Naturheilkunde als ungeeignet erwies. Himmler beauftragte mit der Betreuung der naturheilkundlich zu behandelnden Versuchspersonen den Münchener Heilpraktiker Karl Hann von Weyhern, dessen Patient er selbst seit einiger Zeit war.509 Hann von Weyhern betrieb seit Beginn der 1930er Jahre eine gut gehende homöopathische Privatpraxis in der Goethestraße in der Münchener Innenstadt. Nach einem wirtschaftlichen Misserfolg als Drogist und Apotheker war er am 1. Juli 1930 Mitglied der NSDAP geworden.510 In die SS trat er am 3. März 1940 ein, wahrscheinlich schon mit Blick auf die Mitwirkung an den Versuchen im KZ 505 JOSEF KAPFHAMMER (1888–1968), Biochemiker, war 1928–1956 Lehrstuhlinhaber. Vgl. Seidler (1991), S. 495. 506 HERMANN DOLD (1882–1967), Arzt, Studium in Tübingen und Berlin, 1912 Habilitation in Straßburg, während des Ersten Weltkriegs in Shanghai, 1928 Professur in Kiel, 1936 bis 1952 Professor in Freiburg und Nachfolger von Paul Uhlenhuth, seit 1940 Mitglied der Leopoldina. In Kiel tat er sich 1931 durch rassistische und republikfeindliche Äußerungen hervor. Vgl. Lohff (2005), S. 214 sowie Seidler (1991), S. 506. 507 Vgl. Wolters (2004b). 508 Vgl. Angetter (2005), S. 95. 509 Vgl. Ursula Hann von Weyhern-Gall, Gespräch mit der Verfasserin am 23. Oktober 2003 in München. 510 Vgl. Staatsarchiv München, Spruchkammerverfahren 2794, Karl Hann von Weyhern.

3.6. Parallele Experimente: Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau

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Dachau. Zum Betreten des Lagers erhielt er eine Legitimationskarte des WVHA, die ihn als SS-Oberführer auswies.511 Er war direkt dem SS-Sanitätsamt unterstellt. Hann von Weyhern war Spezialist für Irisdiagnostik. Er kam montags bis freitags täglich am Nachmittag, um Häftlinge zu untersuchen und Medikamente zu verordnen. Für die Zeit, die er dadurch seiner Praxis fernbleiben musste, erhielt er eine Aufwandsentschädigung von 600 RM monatlich aus der Kasse des Persönlichen Stabes des Reichsführers.512 Hann von Weyhern hatte großes Interesse am positiven Verlauf der Versuche. Der Staatssekretär im RMdI und Reichsgesundheitsführer, Leonardo Conti, hatte ihm die Leitung einer Klinik für Naturheilkunde, die in München eingerichtet werden sollte, in Aussicht gestellt. Conti besuchte im Laufe des Jahres 1941 zweimal die Tuberkulosestation in Dachau, um sich über den Fortgang der Versuche informieren zu lassen.513 Er verschob das Klinikprojekt jedoch, wohl beeinflusst durch die Versuche, obwohl Hann von Weyhern bereits beauftragt war, sich nach einer geeigneten Immobilie umzusehen.514 Außer für Himmler und Hann von Weyhern war der Ausgang der Versuche auch für die Berliner Pharmafirma Paul A. Meckel, chem. pharm. Spezialitäten, Berlin, von Interesse. Der Firma drohte 1941 der Entzug der Produktionsgenehmigung für das Medikament „Spenglersan”, falls es sich nicht bewähren würde. „Spenglersan” war ein zur damaligen Zeit bereits seit Jahrzehnten angewandtes Mittel, das der Schweizer Pulmologe Dr. Carl Spengler in Davos erfunden hatte und das später nach ihm benannt wurde.515 Hann von Weyhern verordnete nicht nur einer Gruppe von Häftlingen in Dachau ausschließlich „Spenglersan“, sondern auch Mitarbeitern des Persönlichen Stabs Himmlers. In diesem Zusammenhang besuchte der Münchener Rechtsanwalt Dr. Oscar Greiner516 im Auftrag der Firma Meckel ebenfalls die Versuchsstation des Dachauer Krankenreviers und wandte sich anschließend mit einem detaillierten Bericht über die Versuchsanordnung an das Reichsgesundheitsamt. In Greiners Schreiben vom 17. Oktober 1941 heißt es: 511 Vgl. BArchB Berlin, ehemals BDC, SSO Hann von Weyhern, Karl. 512 Vgl. Spruchkammerverfahren Hann von Weyhern. 513 Walter Neff, Aussage vom 17. Dezember 1946, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/00649 sowie Walter Neff, Recht oder Unrecht, unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o.J., Archiv der Gedenkstätte Dachau, DA 8207, S. 41–44. 514 Vgl. Ursula Hann von Weyhern-Gall Gespräch mit der Verfasserin am 23. Oktober 2003. 515 Vgl. Meckel-Spenglersan (1997); Rilling (1991). 516 OSCAR GREINER (1884–1945) wurde in Pirmasens als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er besuchte das Gymnasium in Zweibrücken und studierte anschließend Jura in München, Kiel und Erlangen. Nach der Absolvierung eines einjährigen Dienstes in der Königlich-Bayrischen Armee 1906/07 bereitete sich Greiner auf die Diplomatenlaufbahn vor. 1911 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Von 1914 bis 1918 nahm er, zuletzt als Oberleutnant, am Weltkrieg teil. Zu Beginn der 1920er Jahre wurde Greiner Direktor der Darmstädter- und Nationalbank in Pirmasens. 1928 ließ er sich als Rechtsanwalt in München nieder. Im gleichen Jahr trat er der NSDAP bei. Seit 1932 war Greiner Richter am Kreisgericht München IV der NSDAP, Vorsitzender Richter eines Partei-Sondergerichts sowie ab 1938 Beisitzer des Gauobergerichts Oberbayern. Er setzte sich vehement für die Verdrängung jüdischer und nicht systemkonformer Berufskollegen ein. Vgl. BArchB, ehemals BDC, OPG sowie PK, Greiner, Oscar.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen „Zur Eingabe der Firma Paul A. Meckel gestatte ich mir noch [Folgendes] mitzuteilen. Der Reichsführer SS Himmler lässt sich schon seit mehr als einem Jahr mit bestem Erfolg behandeln. Ebenso der Chefadjutant des RFSS, SS-Gruppenführer Wolff, der Stabsleiter des persönlichen Stabes des RFSS, SS-Oberführer Ullmann und andere hohe SS-Führer mehr. Die Behandlung geschieht laufend. In Dachau bei München laufen bei der SS zur Zeit Versuche zur Bekämpfung der Tuberkulose. In der TBC-Station A arbeitet der SS-Obersturmführer Dr. Brachtel nach Methoden der Schulmedizin, in der TBC-Station B arbeitet der SS-Obersturmführer von Weyhern ausschließlich mit Spenglersan. [...] Das Vorstehende weiß ich aus eigener Erfahrung und Kenntnisnahme. Die Versuche der SS sind noch nicht abgeschlossen, [...] Heil Hitler! Dr. Greiner“.517

Rudolf Adalbert Brachtel wurde am 22. April 1909 in Gaya in der Nähe von Brünn geboren.518 Er war so genannter Volksdeutscher und erhielt nach dem Münchener Abkommen die deutsche Staatsangehörigkeit. Brachtel studierte an den Universitäten Wien und Prag, wo er 1933 promoviert und approbiert wurde. Bis 1938 arbeitete er in verschiedenen Krankenhäusern, u.a. in Brünn und Aussig, und spezialisierte sich auf Innere Medizin. Am Virchow-Krankenhaus in Berlin erhielt er eine Zusatzausbildung zum Röntgenarzt. Brachtel heiratete 1936. Zwischen 1938 und 1943 wurden drei Kinder geboren. Am 1. November 1938 trat er der SS und der NSDAP bei.519 Im Frühjahr 1939 ließ er sich als Internist mit eigener Praxis in Asch nieder, 1940 wurde er Leitender Arzt des SS-Lungensanatoriums in Mölln. Nach einer kurzzeitigen Versetzung zur SS-Division „Wiking“ im Februar 1941 kam Brachtel am 15. April 1941 nach Dachau. Er wurde nicht SS-Standortarzt, wie ursprünglich vorgesehen, da diese Stelle bereits mit Kurt Plötner besetzt worden war. So übernahm Brachtel nur die Versuchsstation. Die Stellung eines SS-Standortarztes hätte ihm zusätzliche Befugnisse gegenüber anderen dort tätigen SS-Ärzten eingeräumt, die jedoch für die Durchführung von Versuchen nicht zwingend erforderlich waren. Brachtel war von Grawitz speziell zur Durchführung der Tuberkuloseversuche in Dachau ausgesucht worden. Grawitz war anlässlich eines Besuchs im SSLungensantatorium in Mölln, wo der in die Sachsenhausener Tuberkuloseversuche involvierte August Loderhose Chefarzt war. Grawitz war vermutlich durch Loderhoses Hinweis auf Brachtel aufmerksam geworden und hatte ihm die Arbeit im Konzentrationslager Dachau angeboten. Zu seiner Dienststellung in Dachau gab Brachtel an, er sei nur „for discipline and administrative matters“ dem Kommandanten des Konzentrationslagers unterstellt worden. Weisungsbefugnis in ärztlichen Angelegenheiten habe ihm gegenüber lediglich Otto Roßmann, der Chef des SS-Lazaretts Dachau gehabt. Für seine

517 Oscar Greiner, Schreiben an das Reichsgesundheitsamt vom 17. Oktober 1941, BArchB R 86/3931, Bl. 230. 518 Vgl. Rudolf Brachtel, Vernehmung vom 18. bis 21. August 1947, Military Government Court Case Nr. 000-50-2-103 gegen Karl Zimmermann und Rudolf Brachtel, Kopie im Archiv der Gedenkstätte Dachau. Im Folgenden zitiert als Brachtel-Prozess. 519 Vgl. BArchB (ehemals BDC) SSO, Brachtel, Rudolf, SS-Stammkarte.

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Tätigkeit bei den Versuchen sei er hingegen direkt Lolling bzw. Grawitz gegenüber verantwortlich gewesen.520 Bei seinem Eintreffen in Dachau hatten die Versuche in der Tbc-Versuchstation schon begonnen. Die schulmedizinische Behandlung der Versuchspersonen erfolgte bis zu Brachtels Ankunft durch Helmuth Musner. Brachtel schätzte die Zahl der Versuchspersonen zu der Zeit, als er die Versuche übernahm, auf 35 bis 38 Personen je Gruppe. Er nahm eigenständig weitere Häftlinge hinzu, um – wie er später behauptete – „ihnen die Kostzulage zu ermöglichen“.521 Letztlich ist schwer festzustellen, wie viele Patienten zu den Versuchspersonen zählten, da Brachtel insgesamt etwa 350 Tbc-Kranke behandelte.522 Die Tbc-Versuche in KZ Dachau wurden frühestens im September 1940 begonnen, wahrscheinlich jedoch erst im März 1941 (also zeitgleich mit den Versuchen im KZ Sachsenhausen) und endeten mit der Umwandlung der Tbc-Versuchsstation in eine Station für Malariaversuche bzw. so genannte biochemische Mittel im Februar 1942.523 Die Station befand sich in der Versuchsbaracke 5. Die Versuchspersonen wurden zunächst in zwei Gruppen eingeteilt, in der sich jeweils Häftlinge gleicher körperlicher Konstitution und gleichen Krankheitsstadiums befanden. Bei den von Beginn an bestehenden beiden Gruppen kann als gesichert angenommen werden, dass sie aus jeweils 48 Häftlingen bestanden. Von ihnen wurde eine Gruppe schulmedizinisch auf der „Station A“ behandelt, die andere Gruppe erhielt auf der „Station B“ „Spenglersan“. Eine später gebildete dritte Gruppe von Versuchspersonen erhielt von Hann von Weyhern so genannte „Spagyrische Essenzen nach Dr. Zimpel“, homöopathische Präparate, die von der Homöopathischen Zentral-Apotheke in Göppingen geliefert wurden.524 Eine vierte Gruppe von ebenfalls erkrankten Versuchspersonen wurde wahrscheinlich aufgenommen, als Rudolf Brachtel die Versuche übernahm. Die Häftlinge dieser so genannten „Kontrollgruppe“ ließ man unbehandelt. Stanislav Zámecník, Historiker und als ehemaliger Dachau-Häftling Zeitzeuge, berichtet davon, dass dieser „Kontrollgruppe“ außerdem gesunde Häftlinge zugewiesen wurden, „um auszuprobieren, wie ein gesunder Organismus auf bestimmte Medikamente oder operative Eingriffe reagierte.“525 Gemeint sind damit möglicherweise die von dem Chirurgen und SS-Arzt Helmut Müllmerstadt526 durchgeführten schwierigen Thoraxoperationen, die er zu Übungszwecken vornahm und in dessen Folge etwa 520 Vgl. Rudolf Brachtel, Aussage bei der Staatsanwaltschaft München am 25. Mai 1970, Kopie im Archiv der Gedenkstätte Dachau, DA 8005. 521 Vgl. ebenda. 522 „The TB station consisted of approximately 350 TB patients, but only 80 to 100 were at the so-called experimental station. The rest of them was treated by Dr. Brachtel, but only as a matter of form they belonged to the experimental station.” Walter Neff, Aussage vom 10. Februar 1947, Brachtel-Prozess. 523 Unter biochemischen Mitteln wurden von Himmler in erster Linie Homöopathika verstanden. Vgl. Zámecník (1988) sowie: Sepsis-Versuche, in: Klee (1997), S. 144–150. Die Versuche wurden von dem SS-Arzt Heinrich Schütz geleitet. 524 Vgl. Karl Tuhacek, Kreuzverhör vom 26. November 1947, Brachtel-Prozess. 525 Zámecník (2007), S. 165–166. 526 Vgl. Walter Neff, Aussage vom 10. Februar 1947, Brachtel-Prozess.

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3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen

zehn Häftlinge starben. Alle Versuchspersonen erhielten eine Essenszulage, die aus ½ Liter Milch pro Tag, 300527 bzw. 500g Weißbrot und 30g Butter bestand.528 Den Verlauf der ersten beiden Versuche beurteilte Oscar Greiner im Oktober 1941: „Beide Stationen arbeiten unter sonst gleichen Bedingungen: Gleiche Räume, gleiche Betten, gleiche Kost usw., monatlich Röntgenbild, 2 mal Sputum-, Blutsenkung und Blutbild-Nahme. Die Kranken der Stationen waren vorher alle mit positivem Befund 60 bis 120 Tage im Revier. Der Krankenbestand begann mit je 48 Köpfen. Erfolg nach 1 Jahr: Station A hat bis heute (1 Jahr) 1 Kranken entlassen ‚als ungeeignet für den Versuch‘. Station B (Spenglersan) hat nach ½ Jahr 27 Kranke, also 56%, als geheilt entlassen können. Alle 27 wurden als wieder arbeitsfähig im Lager unter Kontrolle beschäftigt. Sie haben wie alle Gefangenen bei jeder Witterung ohne Erkältungserscheinungen gearbeitet und sind heute, nach einem weiteren ½ Jahr, alle völlig negativ. Eine nicht einschlägige Ausnahme muss der Vollständigkeit halber angegeben werden: Ein wieder Arbeitsfähiger musste wegen schwerer Blasenerkrankung in die Innere Abteilung abgegeben werden. Die Abteilung B hat ihren Bestand wieder auffüllen und neue 21 Kranke in Behandlung nehmen können.“529

Die Behandlung der schulmedizinischen Gruppe oblag Rudolf Brachtel. Neben chirurgischen Maßnahmen wie der Entfernung befallener Teile der Lunge und dem Anlegen eines Pneumothorax, verabreichte Brachtel außerdem einige Medikamente sowie Calcium, Traubenzucker und Lebertran, die er direkt vom Zentralen SS-Sanitätsamt in Berlin-Lichtenberg erhielt.530 Gleichzeitig bestand seine Aufgabe darin, die mit Verdacht auf Lungentuberkulose neu im Revier aufgenommenen Häftlinge zu untersuchen, die Röntgenbefunde der Lunge auszuwerten und sie den Versuchen als Probanden zuzuteilen. In dieser übergeordneten Funktion hatte er die Möglichkeit, größeren Einfluss auf den Ablauf der Versuche insgesamt auszuüben als die übrigen Beteiligten. Brachtel hielt als überzeugter Schulmediziner wenig von den durch Hann von Weyhern angewandten Mitteln.531 Da er die Patienten der Station B nicht regel527 Die Menge von 300g bei Zámecník (2007), S. 166 leider ohne detaillierte Quellenangabe. 528 Vgl. Walter Neff, Aussage vom 10. Februar 1947, Brachtel-Prozess. 529 Oscar Greiner, Schreiben an Schreiben das Reichsgesundheitsamt, BArchB, R86/3931, Bl. 230. 530 Vgl. Karl Tuhacek, Kreuzverhör vom 26. November 1947, Brachtel-Prozess. 531 „Those cases which Mr. von Weyhern was to treat he would take into his station, and there was no reason at that time to do anything against that, but I must say that I from the beginning was opposed from the biological or homeopathic treatment of TB, that is why I studied the method of treatment in von Weyherns‘s station very closely. I was very interesed in the Iris diagnosis of Mr. von Weyhern, but I had to find out that those people who made Iris diagnosis had no idea about the real development of a disease in the human body. Concerning the medicines which were employed at the station of Mr. von Weyhern, I must say that I myself tried serveral of his remidies, I tried them out myself on various light cases, and I succeeded in having a beneficial influence on a synositis [sic], but I could not have any result with TB according to the nature of the disease. For that reason I decided to treat patients of Mr. von Weyhern myself and to give them the benefit of our remedies, even though it was against the orders of Berlin.” Rudolf Brachtel, Vernehmung vom 18. bis 21. August 1947, BrachtelProzess.

3.6. Parallele Experimente: Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau

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mäßig sah, ließ er sich von den dort tätigen Häftlingspflegern über den Zustand bestimmter Patienten unterrichten. In einigen Fällen ließ Brachtel Patienten der naturheilkundlich zu behandelnden Gruppen Medikamente verabreichen bzw. legte einen Pneumothorax an. Walter Neff, Häftling und Pfleger im Krankenrevier, berichtete im Nürnberger Ärzteprozess, Brachtel habe gewusst, dass er damit die Versuchsanordnung störte. Durch die monatlichen Berichte, die sowohl Brachtel als auch Hann von Weyhern zu erstatten hatten, erhielt Grawitz Kenntnis von diesem Vorgehen. Die „außerplanmäßig“ schulmedizinisch behandelten Versuchspersonen wurden daraufhin auf Brachtels Station verlegt. Bei einigen ignorierte man den Verstoß gegen die Versuchsanordnung einfach. Über die Intention der Versuche und die Veränderung des Versuchsablaufs wurden die Pfleger, wie Neffs Aussage in Nürnberg verdeutlicht, aufgeklärt und einbezogen: „Beide Abteilungen hatten gleichviel Patienten ungefähr mit gleichem Krankheitsbild und sollten nun unter Beweis stellen, welche von den beiden Arten schneller und besser zur Heilung der jeweiligen Kranken führt. [...] Ja, soviel ich gehört habe, war es die Aufgabe des Dr. Brachtel, zu beweisen, dass seine Methode, die der allgemeinen Medizin, weit eher geeignet war, als die des Herrn von Wyern [sic], eben Tuberkulose zu heilen. Ich habe damals von Pflegern erfahren, dass diese Heilmethoden nicht korrekt angewendet wurden. Ich habe erfahren, dass jeder dieser Herren versuchte zu beweisen, dass seine Methode die richtige war und ich glaube, aus dem, was ich hörte schließen zu können, dass die Herren sich gegenseitig betrogen haben. Ich habe damals gehört, dass vor allen Dingen auf der Abteilung, der Dr. Brachtel vorstand, die Toten sozusagen verschoben worden sind, um zu beweisen, dass man [unleserlich] keine Toten hat. Das heißt, die Patienten wurden kurz vor Eintritt des Todes verlagert, ausgetauscht mit Fällen gleicher Art, und logischerweise waren dann auf dieser Station nicht so viele Tote zu verzeichnen.“532

Diese Aussage zeigt, dass der Ausgang der Versuche manipuliert wurde. Brachtel hatte die Toten so erfolgreich und zahlreich auf die homöopathische Station geschoben, dass die von ihm angewandten Methoden von Lolling und einer mit Conti angereisten Ärztekommission besser beurteilt wurden, als die von Hann von Weyhern. Grawitz hatte möglicherweise schon vorher darüber entschieden, dass die Versuche die Überlegenheit einer schulmedizinischen Behandlung beweisen sollten. Dazu brauchte er einen ihm ergebenen Mitarbeiter, den er in Brachtel gefunden hatte. Rudolf Brachtel hatte diese Intention Grawitz‘ erkannt. Offenbar wurde von Grawitz‘ Seite großer Wert darauf gelegt, die Versuche korrekt erscheinen zu lassen. Brachtel erinnerte sich später an die Inspektion durch Lolling, an der auch Poppendick teilnahm: „Während meines Urlaubs Ende 1941 war gegen mich der Vorwurf erhoben worden, dass ich auch aus der Station von von Weyhern Patienten in meiner Station behandelt und auch im übrigen mich nicht genau an die mir von dem Reichsarzt-SS erteilten Weisungen gehalten [hätte] [sic]. Nach Rückkehr von meinem Urlaub Mitte November 1941 wurde ich deshalb zum Reichsarzt-SS Dr. Grawitz persönlich befohlen. Dort wurde mir eröffnet, dass zur Klärung der Vorwürfe eine Kommission noch in der gleichen Nacht nach Dachau entsandt werde. Mit dieser Kommission fuhr ich gemeinsam nach Dachau. Ihr gehörten an: Dr. Poppendick (Internist im Stabe des Reichsarztes SS), Dr. Lolling (Amtsgruppenchef [sic] im 532 Walter Neff, Aussage vom 17. Dezember 1946, Nürnberger Ärzteprozess, Bl. 2/00633.

200

3. Tuberkulose-Versuche im Konzentrationslager Sachsenhausen WVHA der SS) und noch ein dritter Herr, an dessen Namen ich mich nicht erinnere. Diese Kommission war zwei Tage alleine in meiner Station tätig, untersuchte sämtliche Krankenblätter, Temperaturkurven und Röntgenbilder.“533

Nach etwa 12 Monaten wurden die Tbc-Versuche eingestellt. 1970, als Zeuge von der Staatsanwaltschaft München vernommen, und nicht als Angeklagter, konstatierte Brachtel rückblickend ohne Scheu zu den Tbc-Versuchen: „Ende Jan. 1942 – um diese Zeit etwa waren die Versuche ausgelaufen – lernte ich Prof. Schilling kennen. Zur ‚Belohnung‘ für meine Arbeit auf der Tbc-Station (die Versuche waren im Sinne des Reichsarztes SS u. Polizei ausgegangen), es hatte sich nämlich die herkömmliche, allopathische Behandlungsweise als überlegen gezeigt, wurde ich von Dr. Grawitz der Malaria-Versuchsstation als Internist zugeteilt.“534

Grawitz schien mit Brachtels Arbeit zufrieden zu sein, denn in einem Gespräch, das Grawitz mit Brachtel in Berlin führte, bot er ihm an, auch nach der Beendigung der Tbc-Versuche in Dachau zu bleiben und an den Malaria-Versuchen von Prof. Carl Claus Schilling (1871–1946) mitzuarbeiten. Schilling war ein damals international anerkannter Tropenmediziner, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den deutschen Schutzgebieten Forschungen zu Tropenkrankheiten betrieben und bei dieser Gelegenheit Erfahrungen mit Menschenversuchen gesammelt hatte. Brachtel muss die Überzeugung gewonnen haben, er könne sich als Assistent Schillings wissenschaftliche Reputation erwerben. Es war, seiner Ansicht nach, eine Auszeichnung, mit Schilling zu arbeiten.535 Brachtel wurde zunächst ab Februar 1942 auf eigenen Wunsch hin wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stab des Reichsarztes-SS.536 Anfang März 1942 übernahm er für etwa drei Wochen die Position des SS-Standortarztes bis zur Ankunft von Waldemar Wolter.537 Der vorherige Standortarzt, Kurt Plötner, war nach Minsk versetzt worden.538 Dessen Nachfolger, Julius Muthig, blieb nur wenige Monate.539 Im April 1942 absolvierte Brachtel eine vierwöchige Weiterbildung in Frankfurt am Main, um das Punktieren der Leber zu erlernen. Die nötigen prakti533 Rudolf Brachtel, Aussage vom 16. März 1970 im Ermittlungsverfahren gegen Werner Heyde, BArchL B 162 AR 5 Gs 478/60, Bl. 17–27, hier Bl. 25. 534 Rudolf Brachtel, Aussage vom 25. Mai 1970 bei der Staatsanwaltschaft München. 535 Vgl. Vondra (1989b), S. 80–83; Vondra (1989a); Ost (1993), S. 174–189, Hulverscheidt (2006). 536 Vgl. BArchB, ehemals BDC, SSO Rudolf Brachtel. 537 WALDEMAR WOLTER (1908–1947), Dr. med., geboren in Würzburg. Wolter unterstützte als Standortarzt in Dachau die Durchführung von Menschenversuchen durch andere Ärzte und experimentierte auch eigenständig. Er wurde im Mauthausen Case zum Tode verurteilt und in Landsberg/Lech hingerichtet. Vgl. Klee (1997), S. 145 sowie Freund (1997). 538 KURT PLÖTNER (1905–1984), Arzt, wurde Chefarzt eines SS-Lazaretts in Minsk. Im Februar 1943 kehrte er nach Dachau zurück und wurde nach der abrupten Beendigung von Brachtels Beteiligung an den Malaria-Versuchen Assistent von Prof. Carl Claus Schilling von April 1943 bis Juli 1944. Vgl. Klee (1997), S. 121 und S. 354–355. 539 JULIUS MUTHIG (*1908), Arzt, geboren in Aschaffenburg, ab Juli 1940 Standortarzt in Neuengamme, danach ab April 1941 erster Lagerarzt in Dachau, ab Juli 1942 in Sachsenhausen.

3.6. Parallele Experimente: Tuberkulose-Versuche in Buchenwald und Dachau

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schen Fähigkeiten eignete er sich nach seiner Rückkehr nach Dachau an, wo er die Methode bei vielen Häftlingen anwandte, die zu dieser Zeit an Hepatitis epidemica erkrankten. Insgesamt nahm er mindestens 80 Leberpunktionen vor. Einige der Opfer starben an den dabei entstandenen Verletzungen. Die Zusammenarbeit mit Schilling bei den anschließenden Malariaversuchen verlief alles andere als reibungslos. Schilling war bereits über 70 Jahre alt und charakterlich schwierig. Seine wissenschaftliche Reputation nahm schweren Schaden, als sich herausgestellt hatte, dass die von ihm entwickelten Methode der Bekämpfung von Malaria durch Impfung mit theoretischen Fehlern behaftet war und in der praktischen Umsetzung keinerlei Erfolge versprach. Dennoch wurden Schilling für seine Versuche in Dachau Hunderte von Häftlingen zur Verfügung gestellt. Brachtel assistierte Schilling bei den Malariaversuchen, auch als ihm die fachlichen Defizite Schillings bekannt wurden, bis er wegen persönlicher Differenzen eine weitere Mitarbeit verweigerte.540 Als Brachtel in dem gegen ihn geführten Prozess in Dachau zu seiner Tätigkeiten bei den Versuchen befragt wurde, sagte er aus, es sei „in the interest of a human being to treat the men in a proper way“. Es gelang ihm glaubhaft zu machen, er habe nach diesem Grundsatz gehandelt. De facto erreichte Brachtel durch sein eigenmächtiges Handeln bei den Tbc-Versuchen aber vor allem, dass er als Wissenschaftler bei weiteren medizinischen Versuchen mitarbeiten konnte, wodurch er seine Qualifikation verbessern und seine Karriere fördern konnte. Gegen die Durchführung von Versuchen in Konzentrationslagern hat Brachtel sich hingegen zu keiner Zeit ausgesprochen. Er wurde, nachdem er in Dachau freigesprochen worden war, in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr strafrechtlich belangt und führte eine Arztpraxis in Beuern in der Nähe von Gießen, wo er am 21. Januar 1988 starb.541

540 Schilling wurde 1945 im Dachauer Prozess zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet. 541 Vgl. Klee (1997), S. 48 sowie Schreiben der Gemeinde Buseck an die Verfasserin vom 29. Oktober 2003 mit Auszug aus dem Melderegister.

4. MENSCHENVERSUCHE UND MEDIKAMENTENERPROBUNG IM NATIONALSOZIALISMUS In einem 2004 erschienen Aufsatz zur Forschung am Menschen im Nationalsozialismus betont Volker Roelcke, dass Ziele und Umsetzung medizinischer Forschung nur im Zusammenhang der jeweiligen Zeit mit ihren speziellen Herausforderungen und Möglichkeiten, ihren politischen Verhältnissen und ihren Werten angemessen beurteilt werden können.1 Sollen die medizinischen Versuche in den Konzentrationslagern, die zur Zeit des Nationalsozialismus durchgeführt wurden, einer historischen Bewertung unterzogen werden, ist es notwendig zu berücksichtigen, welchen Stand der Entwicklung die Forschungsethik in der Weimarer Republik erreicht hatte: Welche Kontrollmechanismen bestanden, wie wurden sie in der scientific community und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit wahrgenommen? Mit anderen Worten: was kann als ethische Rahmenbedingungen für die Durchführung von Versuchen am Menschen für die Zeit der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der frühen Bundesrepublik angenommen werden? Ein Überblick über zwei miteinander in engem Zusammenhang stehende Untersuchungsgegenstände, den der Regelungen zu Versuchen am Menschen sowie der Erprobung und Zulassung von Medikamenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verdeutlicht das Problem. Die Hinwendung zu den Methoden einer naturwissenschaftlich experimentell arbeitenden Wissenschaft brachte im 18. Jahrhundert den Versuch am Menschen in die medizinische Forschung. Nach Tierversuchen wurden erste klinische Experimente durchgeführt. So von James Lind, der als junger Schiffsarzt 1747 die Wirkung von Zitrusfrüchten gegen Skorbut erprobte. Mit den Erfolgen der Physiologie, der Pathologie und der Bakteriologie im 19. Jahrhundert wurden Menschenversuche gängige Praxis in der medizinischen Forschung. Ärzte experimentierten an sich selbst, ihren Assistenten und Patienten. Gleichzeitig wurden der Tierversuch und der physikalisch-chemische Versuch weiterentwickelt. Für die Versuche am Menschen entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts neue Kriterien: eine genügend große Anzahl von Versuchspersonen sollte einbezogen werden, möglichst identische Krankheitszustände waren zugrunde zu legen und mehrere Untersuchungsreihen zu vergleichen, Kontrollgruppen sollten aufgestellt, die Beobachtungen statistisch ausgewertet und die Ergebnisse kritisch beurteilt werden. Ethische Probleme wurden kaum thematisiert. Es lag in der Hand des Arztes zu wissen, was für seine Patienten gut war und was er ihnen zumuten konnte. Der Greifswalder Pharmakologe Hugo Paul Friedrich Schulz betonte als erster, dass die Freiwilligkeit der Versuchspersonen notwendig wäre, jedoch auch, dass diese über die zu erwartende Wirkung nicht aufgeklärt werden

1

Vgl. Roelcke (2004), S. 151.

4. Menschenversuche und Medikamentenerprobung im Nationalsozialismus

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sollten. Paul Martini führte erst 1930 den einfachen Blindversuch in die Forschung ein.2 Nach dem Skandal um die Versuche des Breslauer Dermatologen Albert Neisser,3 der Patientinnen ohne deren Zustimmung mit Syphilis impfen wollte und sie dabei ggf. mit der Erkrankung infiziert hatte, erließ das Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten am 29. Dezember 1900 eine „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“, in der Versuche an Minderjährigen verboten und die Aufklärung der Patienten sowie deren Einwilligung in den Versuch vorgeschrieben wurden.4 In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bildete sich die Auffassung heraus, dass ein ärztlicher Eingriff eine Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches sei und Juristen diskutierten, inwieweit die Einwilligung des Patienten die Unrechtmäßigkeit der Körperverletzung aufhebe.5 Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts setzte ein Umdenken in Bezug auf Humanversuche und Patientenrechte ein. Aufklärung und Einwilligung von Patienten in ärztliche Maßnahmen zur Heilung wie zu Versuchszwecken wurden zunehmend diskutiert.6 1929 kam es in Lübeck zu einem folgenschweren Zwischenfall. Bei der Impfung von 256 Kindern gegen Tuberkulose mit einem verunreinigten BCG-Impfstoff starben 77 der geimpften Kindern, 131 weitere erkrankten. Nicht nur, dass die BCG-Impfung daraufhin in Deutschland verboten wurde. Die Impfung galt als nicht genügend erprobt, wurde retrospektiv als Experiment wahrgenommen und als solches kontrovers diskutiert. Der sozialistische Reichstagsabgeordnete und Arzt Julius Moses setzte sich besonders für die Rechte der Patienten ein. Am 28. Februar 1931 erließ der Reichsgesundheitsrat die „Richtlinien für neuartige Heilbehandlungen und die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“.7 Die Richtlinien, die jedem Arzt zur Kenntnis zu geben waren, bildeten die rechtliche Grundlage für medizinische Versuche am Menschen auch während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie wurden in der Fachpresse rezipiert, so in der von Emil Abderhalden8 herausgegebenen Zeitschrift „Ethik“. Dort wurden in der Weimarer Republik Kernprobleme von Medizinethik und Gesundheitspolitik besprochen. Abderhalden war insofern als Herausgeber und Kommentator eine „Leitfigur für den medizinethischen Diskurs“. Er wandte sich 2 3

4 5 6 7 8

Vgl. Winau (1986), S. 87 und 99–100; Winau (1996), S. 15–19. ALBERT NEISSER (1855–1916), Dermatologe, Promotion zum Dr. med. 1877, entdeckte 1879 den Erreger der Gonorrhoe, Neisseria gonorrhoeae. Habilitation 1880 in Leipzig, 1880/1881 ermöglichte er durch die Entwicklung neuer Färbemethoden die Entdeckung des Lepraerregers durch Hansen. Seit 1882 war Neisser a. o. Professor und Direktor der Dermatologischen Klinik der Universität Breslau, seit 1907 o. Professor. 1886 wurde er Mitglied der Leopoldina. Vgl. Engelhardt (2002), S. 433. Vgl. Winau (1986), S. 102–103. Vgl. Elkeles (1985), (1989) und Elkeles (1996). Vgl. Sauerteig (2000), S. 304–305. Siehe Anhang. EMIL ABDERHALDEN (1877–1950), Schweizer Physiologe, 1911–1945 Professor für Physiologische Chemie in Halle, 1932–1950 Präsident der Leopoldina. Frewer (2000).

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bereits früh von der Individualethik hin zu Konzepten einer Kollektivmoral im Sinne einer „Volkskörperethik“.9 In der „Ethik“ erfolgte auch punktuell die Diskussion der Richtlinien von 1931. Eine weitere Rezeptionslinie stellt die Publikation des Internisten Carly Seyfarth dar.10 Mehrere Exemplare der Richtlinien, die auch allen niedergelassenen Ärzten bekannt gemacht wurden, so also eigentlich auch Friedrich Hey sen., befinden sich sogar unter den überlieferten Akten des Landratsamtes Schaumburg in Bückeburg, dem Hermann Gebbers, ehemaliger Geschäftsführer und Unterstützer der Firma Hey, vorstand.11 Inwieweit sie verbindliche Rechtsnorm für alle Ärzte und Forscher in Deutschland, auch für diejenigen, die in Konzentrationslagern Versuche durchführten, darstellten, ist in der historischen Forschung bis heute nicht abschließend geklärt.12 Unstrittig stellen – und stellten auch in der Zeit des Nationalsozialismus – die Versuche in den Konzentrationslagern allein unter strafrechtlichen, aber auch ethischen Gesichtspunkten Verbrechen dar, die nur durch die Entgrenzung staatlichen Handeln in dieser Zeit möglich waren.13 Etwa seit der Jahrhundertwende hatte sich jedoch für einige Ärzte eine gänzlich andere Möglichkeit zum Umgang mit dem Problem ergeben. In den deutschen „Schutzgebieten“ fanden Ärzte und Forscher der Tropenmedizin, wie übrigens auch Robert Koch, Probanden für ihre Versuche, deren Missbrauch nicht den Unwillen der Zeitgenossen erregte.14 Die „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“ aus dem Jahr 1900 hatte in den Schutzgebieten keine rechtlich bindende Wirkung.15 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Verlust der deutschen Kolonien von vielen deutschen Ärzten deshalb als sehr schmerzlich empfunden. Ohne Versuche am Menschen schien ein Fortkommen in der Forschung unmöglich. Die Suche nach neuen, ungeschützten Probanden war gewissermaßen schon vorherzusehen. So reiste der Arzt Friedrich Karl Kleine mit dem Bayer-Präparat „Germanin“ in den 1920er Jahren nach Afrika in die britischen Kolonien, um das Medikament zu testen.16 Nicht nur in der Tradition medizinischer Ausbildung, im Lehrer-Schüler-Verhältnis, kam es zur Weitergabe der Vorstellung, es gäbe Menschen, an denen man „ungestörter“ experimentieren könnte als an anderen. Es gibt zweifelsfreie Beispiele personeller Kontinuität, z.B. in der Person des Tropenmediziners Carl Claus Schilling. Er war ab 1899 als Regierungsarzt in Togo und Deutsch-Ostafrika forschte und in dieser Zeit bereits intensiv zu Malaria. 1905 wurde er Leiter der tropenmedizinischen Abteilung am Robert-Koch-Institut. Schilling führte in den 1930er Jahren an italienischen Psychiatriepatienten Malaria-Versuche durch 9 10 11 12 13

Vgl. Frewer (2000) und Frewer (2001) passim, hier Frewer (2000), S. 27 und S. 256. Vgl. Seyfarth (1935). Für den Hinweis auf Seyfarth danke ich Andreas Frewer. StABü, L 4 Band 5248. Vgl. Grodin (1992), S. 129; Winau (1998), S. 38. Vgl. Udo Schagens Bewertung der Forschung Hermann Stieves an Hingerichteten. Schagen (2007), S. 71-74 sowie Winkelmann (2008). 14 Vgl. Elkeles (1996), S. 229–330. 15 Vgl. Eckart (1989a), S. 93–95. 16 Eckart (1997), S. 510.

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und später im Konzentrationslager Dachau an Hunderten von Häftlingen. Für seine Verbrechen wurde er von einem alliierten Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.17 Gerhard Rose war Schillings Nachfolger als Leiter der Abteilung für Tropenmedizin. Er war im Konzentrationslager Buchenwald an FleckfieberVersuchen beteiligt. Rose konnte auf eine achtjährige Kolonialerfahrung in China zurückblicken.18 Er stand nach dem Krieg in Nürnberg vor Gericht. Die deutsche Tropenmedizin war unverhältnismäßig gut entwickelt, vergleicht man sie mit den tatsächlichen Anforderungen der Schutzgebiete. Sie hatte „in Wirklichkeit über weite Strecken als experimentierende Forschungsmedizin in ihrer Weise brutal die indigene Bevölkerung der Schutzgebiete ausgebeutet“.19 Da diese Schutzgebiete ab 1919 verloren waren, gab es in Teilen der deutschen Ärzteschaft, insbesondere der Tropenmediziner, den Wunsch, wieder politischen Einfluss auf Gebiete in Afrika zu erlangen. Der „koloniale Blick“, der Gedanke der Machbarkeit, der Legalität von Missbrauch, der einmal ausgelebte Rassismus blieb fest in den Köpfen verhaftet. Dies änderte sich auch in der Weimarer Republik nicht und erst recht nicht im Nationalsozialismus.20 Aber ohnehin hatte sich, im Grund unbeeinflusst von der Anweisung von 1900 und den Richtlinien von 1931 in Deutschland eine Einstellung zu medizinischen Versuchen am Menschen ausgeprägt, die vielerorts in Universitäten und Kliniken weitergegeben wurde.21 Es wurde „zum Nutzen der Wissenschaft“ überall dort experimentiert, wo es demjenigen, der darüber entschied, opportun erschien und sich die Möglichkeiten boten. Die Versuche wurden natürlich bevorzugt an Patienten durchgeführt, die als minderwertig galten, an Psychiatriepatienten und an Insassen von Konzentrationslagern. Aber auch ganz „normale“ Patienten wurden in Versuchen missbraucht, wie die Experimente Bessaus gezeigt haben. Die Möglichkeiten medizinischer Forschung am Menschen schienen im Nationalsozialismus geradezu unbegrenzt zu sein.22 Zur Durchführung von medizinischen Versuchen hat es im Nürnberger Ärzteprozess von mehreren angeklagten Ärzten Stellungsnahmen gegeben. Offensichtlich waren sich Täter wie Mrugowsky, der sich selbst mit medizinethischen Fragestellungen beschäftigte, und Blome, der Versuche im Bereich der Krebsforschung anregte, keiner Schuld bewusst, sondern zeigten, dass sie die verbrecherischen Vorstellungen von der uneingeschränkten Machbarkeit von Versuchen an aus der nationalsozialistischen Gesellschaft ausgegrenzten Menschen konfliktfrei verinnerlicht hatten.23 Neben der medizinischen Versuchsethik sind 17 18 19 20

Vondra (1989a), S. 91–138. Wolters (2009). Eckart (1997), S. 505. Vgl. Weß (1993); Ehmann (1993), S. 139–140. Ehmann nennt auch Eugen Fischer, Ernst Rodenwaldt, Otto Reche, Philalethes Kuhn und Theodor Mollison. Zu Kuhn vgl. auch Kranz (1937). Dass sich diese koloniale bzw. postkoloniale Perspektive auch in anderen Bereichen verfestigte, zeigt Zimmerer u. a. für Freikorpskämpfer und deren Beteiligung am Überfall auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Vgl. Zimmerer (2004). 21 Vgl. Katz (1998), S. 233–234. 22 Vgl. auch Schmuhl (2005a), S. 14. 23 Vgl. Bruns (2007), S. 157–177; Moser (2006), S. 218–220.

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der Umgang und die Bedingungen für die Erprobung von neuen Wirkstoffen und Medikamenten wichtig für die Einordnung der Arzneimittelerprobungen im Nationalsozialismus, speziell in den Konzentrationslagern. Die Entwicklung einer pharmazeutischen Industrie in Deutschland, also der gewerbsmäßigen Großherstellung pharmazeutischer Produkte, begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte drei Wurzeln: die Apotheken, den Drogengroßhandel und die Farbstoffindustrie.24 Viele pharmazeutische Unternehmen wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts als chemische Werke, die Farben, Roh- und Feinchemikalien herstellten, gegründet.25 Eng verbunden mit der pharmazeutischen Industrie war die Präparateindustrie, die die Wirkstoffe zu Fertigprodukten verarbeitete. Die Synthese neuer Arzneistoffe und Arzneistoffoptimierung sowie die Verbesserung der Galenik und die Anwendung neuer Arbeitsmethoden führten schrittweise zu einer spezifischen Arzneimitteltherapie. Dazu gehörte auch die Entwicklung der Tablettiermaschine in den 1870er und 1880erJahren. Die serienmäßige Fertigung von Ampullen, die zeitgleich die Apotheker Limousin in Paris und Friedländer in Berlin 1866 entwickelten, konnte in kleinen Apotheken technisch nicht bewältigt werden und blieb daher fast ausschließlich in pharmazeutischen Fabriken vorbehalten.26 Die Herstellung von Medikamenten war für große Pharmafirmen kostengünstiger. Der erwirtschaftete Gewinn ermöglichte die Finanzierung eigener großer Forschungslaboratorien. Bayer gründete 1890 sein erstes wissenschaftliches Laboratorium in Elberfeld, Schering 1888 und Hoechst 1909. Die pharmazeutische Chemie löste sich als eigene Disziplin von der Chemie.27 Die wichtigsten Ergebnisse der Grundlagenforschung durch die experimentelle Pharmakologie wurden im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts gewonnen. Eine Vielzahl neuer Medikamente wurde entwickelt und erreichte auch rasch den Markt. Der Pharmakologe Oswald Schmiedeberg sprach in diesem Zusammenhang gar von einer „Arzneimittelflut“.28 Auf dem 28. Kongreß für Innere Medizin in Wiesbaden 1911 wurde eine Kommission gegründet, die sich aus namhaften Pharmakologen und Klinikern zusammensetzte. Diese veröffentlichte 1912 erstmals die Arzneimittelliste des deutschen Kongresses für Innere Medizin, in der etwa 800 Medikamente aufgeführt waren und nach ihrer Wirksamkeit in Gruppen eingeteilt wurden.29 Zuvor existierten lediglich Pharmakopöen, also Arzneibücher, die die Grundlage der rechtlichen Regelungen zur staatlichen Arzneimittelaufsicht bildeten. Sie gaben eine wichtige Auswahl von Arzneimitteln vor, die von Apothekern vorzuhalten waren, beschrieben, wie diese beschaffen sein sollten und wie die Beschaffenheit geprüft werden konnte, dienten aber in erster Linie der Ausbildung von Apothekern. Im 19. Jahrhundert nahmen die Pharmakopöen zunehmend den Cha24 25 26 27 28 29

Vgl. Stapel (1988), S. 24–32. Vgl. Dengler (1996), S. 13. Vgl. Stapel (1988), S. 29–33. Vgl. Schneider (1972), S. 188. Schmiedeberg (1913), S. 10. Vgl. Dengler (1996), S. 18.

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rakter von Gesetzbüchern an. Mit der Pharmacopoea Germanica entstand 1872 erstmals ein einheitliches Arzneibuch für das Deutsche Reich. Als Verzeichnis ersetzte sie jedoch keinesfalls die Prüfung und Zulassung von Medikamenten. Dies erklärt auch die überaus lange Gültigkeit. Die 6. Ausgabe des Deutschen Arzneibuchs (DAB 6) erschien 1926 und war bis 1968 gültig.30 Eine Wirksamkeitsprüfung vor der Markteinführung zum Schutz der Konsumenten bzw. Patienten leitete sich daraus nicht ab. Gleichwohl entstand dadurch vor allem im Ausland der Eindruck, es habe eine effektive öffentliche und staatliche Kontrolle des Arzneimittelmarktes gegeben. Unterstützt wurde diese Wahrnehmung durch die strengen Regelungen, der bakteriologische Arzneimittel unterlagen. 1895 wurde das Institut für Serumforschung und Serumprüfung gegründet, dessen Leitung Paul Ehrlich übernahm. Dort wurden u. a. Diphtherie-Serum und Pockenimpfstoffe geprüft.31 Was also nach den Regeln der Wirtschaftlichkeit verkauft werden konnte, wurde auch angeboten. Die Verordnung betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln vom 22. Oktober 1901 enthielt zwei Verzeichnisse mit Zubereitungen bzw. Stoffen, die nur über Apotheken vertrieben werden durften, da sie als Medikamente galten. Über neue Wirkstoffe sagte das Gesetz nichts. Sukzessive wurde der Umgang mit einzelnen, neu hinzukommenden Stoffen per Verordnung festgelegt. Doch waren diese dann bereits als Medikamente etabliert. Viele der Neuentwicklungen dieser Jahre erwiesen sich als nicht erfolgreich und verschwanden wieder. Bemerkenswert war die Entdeckung fast aller wichtigen Hormone und aller Vitamine in den 1920er und 30er Jahren sowie einige chemotherapeutische Substanzen, die vor allem bei Tropenkrankheiten zum Einsatz kamen.32 Die Zahl der verfügbaren Medikamente blieb insgesamt bis zum Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ausgesprochen begrenzt. Erst danach setzten die großen Erfolge durch den Aufschwung in der modernen Großforschung ein. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs gründeten etwa 15 Firmen pharmakologische Abteilungen und Institute.33 Hatten zuvor einzelne Forscher an der Entwicklung von Medikamenten gearbeitet, waren es nun Forscherteams, die ganze Stoffgruppen einem Screening unterzogen und systematisch solche herausfanden, die als neue Wirkstoffe nutzbar gemacht werden konnten, so die Sulfonamide und die Antibiotika. Die Entdeckung eines wirksamen neuen Stoffes konnte, wie das Beispiel Flemings zeigt, noch von einem einzelnen Forscher geleistet werden, die Isolierung und Synthetisierung aber nur im Team bewältigt werden. Waksmans Entdeckung des Streptomycin war die Arbeit einer Forschergruppe, die systematisch 10.000 Bodenkulturen prüfte.34 Im Bayer-Labor wurde seit 1940 u. a. der Blutplasmaer-

30 31 32 33

Vgl. Schneider (1972), S. 189–192; Thoms (2005), S. 126–127. Vgl. Wimmer (1994), S. 327–370. Vgl. Weß (1993); Gausemeier (2005), S. 187–220; Urban (1926). Vgl. Neuhaus (1986), Sneader (1986), S. 1–16, Kästner (1994), S. 136 sowie Dengler (1996), S. 14. 34 Vgl. Krauch (1970), S. 74–80.

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4. Menschenversuche und Medikamentenerprobung im Nationalsozialismus

satz „Periston“ entwickelt und innerhalb kürzester Zeit an Soldaten verabreicht, allein im Afrikafeldzug an etwa 500.000 Verwundete.35 Ein solches Entwicklungstempo war nur möglich, weil keinerlei rechtliche Vorschriften existierten, die allerdings auch die Qualität der Medikamente hätte sichern können. Arzneimittelhersteller genossen Gewerbefreiheit. Die Arzneimittelherstellung war bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in Deutschland erlaubnisfrei. Jeder konnte die im Verzeichnis des Gesetzes genannten Arzneistoffe herstellen, weiterverarbeiten und diese, wenn es angeordnet war, über Apotheken, in Verkehr bringen. Eine Deklaration der Inhaltsstoffe wurde nicht verlangt. Medikamente waren, bis auf wenige Ausnahmen, frei verkäuflich. Sie durften wie jedes andere Produkt beworben werden. Als Medium dienten dabei auch als populärwissenschaftliche Vorträge verbrämte Werbeveranstaltungen sowie kleine Broschüren und Handzettel. Der Vertrieb erfolgte, vor allem bei Geheimmitteln, durch eigene Versandapotheken oder Vertreter an der Haustür. Die Spezialitäten können in drei Gruppen unterschieden werden: solche, deren Wirkung wissenschaftlich erwiesen und klinisch erprobt ist und die ausreichend deklariert sind, solche, die aufgrund praktisch-wissenschaftlicher Allgemeinerfahrung ohne komplizierte Methoden hergestellt werden können und solche, „bei denen auf Wissenschaftlichkeit keinerlei Wert gelegt wird oder die auf Nutznießung einer zur Zeit beliebten Laienheilrichtung berechnet sind.“36 Da in Deutschland kein Zwang zur Angabe der Bestandteile eines in verkaufsfertiger Packung in den Verkehr gebrachten Arzneimittels bestand, wies eine sehr große Zahl deutscher Arzneispezialitäten keine oder nur unzureichende Inhaltsangaben auf und wurde zu den so genannten Geheimmitteln gerechnet. Ein typischer Spezialitätenhersteller war Friedrich Hey, Bückeburg.37 Lediglich das Patentrecht bot einen gewissen Schutz und Sicherheit für die Qualität des Produkts. Unpatentierte Medikamente konnten ohne Qualitätsüberprüfung vertrieben werden. Viele Hersteller brachten neue Varianten der von ihnen patentierten Präparate auf den Markt, um der Rezept- oder Apothekenpflicht zu entgehen. Diese Praxis ließ die Zahl der auf dem Markt befindlichen Mittel zusätzlich anschwellen. Die einzelnen Länder des Deutschen Reiches versuchten dem Problem mit Ländervorschriften beizukommen. Als 1926 Carl Hamel das Amt des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes von Franz Bumm übernahm, unternahm dieser den Versuch, eine einheitliche Gesetzgebung zu schaffen.38 35 36 37 38

Vgl. Dengler (1996), S. 26–27 sowie Neumann (2005), S. 298–307. Adlung/Urdang (1935), S. 176. Vgl. Stapel (1988), S. 80–82; Wolters (2004a), S. 347–350. FRANZ BUMM (1861–1940), Verwaltungsjurist, kam 1892 aus dem bayerischen Staatsdienst in das Reichsamt des Innern, dort als Wirklicher Geheimer Rat zuständig für Fragen des Gesundheitswesens und der Medizinal- und Veterinärpolizei, während seiner Zeit entstand das Reichsseuchengesetz. Seit 1905 war er Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamts bis er aus Altersgründen 1926 ausschied. CARL HAMEL (1870–1949), Arzt und Medizinalbeamter, seit 1902 im Gesundheitsamt, 1918 Wechsel in das Reichsamt des Innern/ Reichsinnenministerium. Als Präsident des Reichsgesundheitsamts vertrat er Deutschland in vielen internationalen Organisationen, u. a. in der Hygiene-Sektion des Völkerbundes. 1933 wurde Hamel aus politischen Gründen abgelöst. Vgl. Stürzbecher (1976).

4. Menschenversuche und Medikamentenerprobung im Nationalsozialismus

209

1928 legte das Reichsgesundheitsamt einen ersten Entwurf für ein Arzneimittelgesetz vor, der durch politische Einflussnahme von pharmazeutischen Unternehmen und der Werbebranche zu Fall gebracht wurde. Bei einem erneuten Anlauf des Reichsgesundheitsamtes im Jahr 1933 passierte der Entwurf die Abstimmungen der Länder und Reichsministerien, wurde jedoch von Frick und anderen nationalsozialistischen Innen- und Gesundheitspolitikern, die darin einen Angriff auf „Volksmedizin“, Naturheilkunde und Phytotherapien sahen, gestoppt. Lediglich die Verschreibungspflicht für einige wichtige neue Präparate wurde eingeführt, so für Barbiturate, Oestrogene und Sulfonamide. Durch ein Urteil des Reichsgerichts, das die Produkthaftung betraf, konnten eine Hersteller von Arzneimitteln dazu verpflichtet werden „Vorsichtsmaßregeln anzuwenden, die ihm möglich und zumutbar sind, um Gefährdung durch seinen Gewerbebetrieb zu vermeiden“.39 Seit 1939 wurde die Volkswirtschaft in Deutschland zunehmend reglementiert. Rohstoffe für die Produktion wurden von den Behörden zugeteilt.40 1940 wurden Unternehmen geschlossen, sofern deren Produkte nicht für die Kriegswirtschaft oder die Versorgung der Bevölkerung notwendig waren. Der zu dieser Zeit einsetzende Arbeitskräftemangel bedeutete für viele, vor allem kleine Pharmafirmen wie die Friedrich Hey KG in Bückeburg, die Einstellung der Produktion.41 1941 wurden die Werbung für Arzneimittel stark eingeschränkt und die Geheimmittelvorschriften aufgehoben.42 Im Juli 1942 ernannte Hitler seinen Begleitarzt, Karl Brandt, zum Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen. Mit der Ernennung Brandts trat die Lenkung des Gesundheitswesens in eine neue Phase.43 Neue Medikamente durften nach Brandts Anordnung erstmals nur noch zugelassen werden, wenn ihre Wirksamkeit erwiesen war.44 Die Herstellung von Spezialitäten, also von Zube39 Urteil des Reichsgerichts 4 D 567/1938 vom 26. August 1938, Reichs-Gesundheitsblatt 48(1938), S. 917. Vgl. Kärber (1939), S. 343; Linz (1959); Fleischer (1984), S. 344 sowie Hickel (1981), S. 148. Die Beratungen zu „Verordnungen über die öffentliche Ankündigungen auf dem Gebiet des Heilwesens“ sind ausführlich überliefert. BayHStA, MInn Band 87159. Vgl. auch Kirk (1999), S. 21–22. 40 Verordnung über den Warenverkehr in der Fassung vom 18. August 1939, RGBl. Teil I, S. 1431–1434, Zweite Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über den Warenverkehr vom 18. August 1939, RGBl. I, S. 1429–1430. 41 Verordnung über Stillegung von Betrieben zur Freimachung von Arbeitskräften vom 21. März 1940, RGBl. Teil I, S. 544. 42 Polizeiverordnung über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens vom 29. September 1941, RGBl. I, S. 587; vgl. Kärber (1976), S. 16. 43 Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 28. Juli 1942, RGBl. Teil I, S. 515–516, ergänzt durch den Zweiten Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 5. September 1943, RGBl. Teil I, S. 533, vgl. Süß (2002), Süß (2003), S. 76–94, Schmidt (2007), S. 73–203. Zur Rolle von Sonderbevollmächtigten und Reichskommissaren im nationalsozialistischen Machtgefüge vgl. Hachtmann/Süß (2006b). 44 Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung über die Herstellung von Arzneifertigwaren vom 11. Februar 1943, RGBl. Teil I, S. 99. Die Verordnung wurde auch als „Arzneifertigwaren-Stopverordnung“ bezeichnet und behielt Gültigkeit bis das Bundesverfassungsgericht am 8. Januar 1959 dessen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellte. Vgl. Kirk (1999), S. 30–32.

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4. Menschenversuche und Medikamentenerprobung im Nationalsozialismus

reitungen ohne genauen Nachweis der Zusammensetzung, wurde verboten. Die Zahl der auf dem Markt befindlichen Medikamente sank von 37.000 auf 1.200. Plötzlich bekamen medizinische Versuche zu deren Erprobung eine neue Brisanz. Je umfangreicher die Versuche und je überzeugender mögliche Fürsprecher waren, desto erfolgreicher war das Zulassungsverfahren. Nur bei positiver Beurteilung der Wirksamkeit des Präparats durch das Reichsgesundheitsamt erhielt der Hersteller die Zuteilung der entsprechenden Rohstoffe durch die Reichsstelle Chemie, die dem Reichswirtschaftsministerium unterstellt war.45 Erst an dieser Stelle kam es zu einem Konflikt zwischen rechtlichen Regelungen zum Humanexperiment und der Medikamentenerprobung. Bis dahin waren klinische Versuche offiziell für ein Zulassungsverfahren gar nicht relevant gewesen. Es wurden in der Praxis zwar Versuche vorgenommen, diese waren jedoch nicht vorgeschrieben. Es gab keine Behörde, die die Versuche selbst überwachte sowie die Zulassung der Medikamente vornahm. Das Reichsgesundheitsamt hatte stets nur eine beratende Funktion. Diese Regelungen funktionierten in der Praxis jedoch keinerswegs problemlos, weshalb sich das Reichsgesundheitsamt zwei Jahrzehnte hindurch um eine einheitliche und umfassende Arzneimittelgesetzgebung bemühte. Immer wieder hatte es durch nicht beschriebene Nebenwirkungen schwere Unfälle mit Medikamenten gegeben, teilweise mit Todesfolge.46 In der DDR traten bereits 1949 gesetzliche Regelungen zur Arzneimittelherstellung in Kraft.47 Ein Jahr später begann die Gesundheitsabteilung des Bundesinnenministeriums mit Vorarbeiten für ein Arzneimittelgesetz. Die Vorbereitung des Gesetzes nahm letztendlich über zehn Jahre in Anspruch. Es wurde am 8. Februar 1961 im Bundestag verabschiedet.48 Parallel zu den gesetzlichen Regelungen zur Arzneimittelerprobung entwickelte sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs die medizinische Forschungs- und Versuchsethik entscheidend weiter. Als Ergebnis des Nürnberger Ärzteprozesses, in dem Karl Brandt als einer der wichtigsten Angeklagten vor Gericht stand, entstand der Nürnberger Kodex.49 Im Jahr vor dem Urteil von Nürnberg war der Weltärztebund (World Medical Association) gegründet worden. In den 1950er und 1960er Jahren berieten die Mitglieder des Weltärztebundes vielfach Regelungen zur Durchführung von Humanexperimenten und verabschiedeten 1964 die als Deklaration von Helsinki bekannt gewordenen Ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am

45 46 47 48 49

Vgl. Linz (1959), S. 18. Vgl. Kärber (1936), (1939) sowie Kärber (1976), S. 15–18. Vgl. Richter/Keune (1972), S. 6. Vgl. Kirk (1999), S. 23–34. Vgl. Deutsch (1997), Weindling (1996), Annas/Grodin (1998), Weindling (2004), Schmidt/ Frewer (2007b). Deutsch kritisiert, dass im Nürnberger Prozess keine Trennung zwischen „wissenschaftlich angelegten Versuchen“ und jenen Versuchen stattfand, denen „kein wissenschaftliches Konzept zugrundelag“, wie die „Tötung von Gefangenen im Wege der Unterkühlung durch Dr. Rascher“. Deutsch (1997), S. 108.

4. Menschenversuche und Medikamentenerprobung im Nationalsozialismus

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Menschen. Sie knüpft sowohl an die Richtlinien von 1931 als auch an den Nürnberger Kodex an.50 Als einer der „Väter“ des Nürnberger Kodex gilt neben dem amerikanischen Arzt und Medizinethiker Andrew Ivy und den Richtern im Ärzteprozess der österreichische Neurologe und Psychiater Leo Alexander. Alexander recherchierte seit Sommer 1945 Ergebnisse der medizinischen Forschung in Deutschland. In Vorbereitung des Nürnberger Ärzteprozesses widmete er sich besonders den von Ärzten verübten Verbrechen. Alexander hatte als Jude 1933 zwangsweise aus Deutschland emigrieren müssen. Nach einem Forschungsaufenthalt am Peking Union Medical College gelang ihm ein beruflicher Neuanfang in den USA.51 Aus der Zeit in Peking ist ein Foto überliefert. Ein kurioser Zufall: es zeigt ihn mit einem der Protagonisten der Sachsenhausener Tuberkuloseversuche, Herman Gerhard Zahn.52

50 Vgl. Lederer (2007), Schmidt/Frewer (2007c). 51 Vgl. Schmidt (2004), Schmidt (2001). 52 Siehe Abbildung 5.

5. ANHANG 5.1. RICHTLINIEN FÜR NEUARTIGE HEILBEHANDLUNGEN UND FÜR DIE VORNAHME WISSENSCHAFTLICHER VERSUCHE AM MENSCHEN Rundschreiben des Reichsministers des Innern vom 28. Februar 19311 Der Reichsgesundheitsrat hat besonderen Wert darauf gelegt, Vorsorge zu treffen, daß alle Ärzte von den nachstehenden Richtlinien Kenntnis erhalten, und nahm von diesem Gesichtspunkt aus einstimmig eine Entschließung an wonach alle in Anstalten der geschlossenen und offenen Krankenbehandlung oder Krankenfürsorge tätigen Ärzte bei ihrem Eintritt auf die Beachtung dieser Richtlinien unterschriftlich verpflichtet werden sollten. Endgültiger Entwurf [...] 1. Die ärztliche Wissenschaft kann, wenn sie nicht zum Stillstand kommen soll, nicht darauf verzichten, in geeigneten Fällen eine Heilbehandlung mit neuen, noch nicht ausreichend erprobten Mitteln und Verfahren einzuleiten. Ebensowenig kann sie wissenschaftliche Versuche am Menschen als solche völlig entbehren, da sonst Fortschritte in der Erkennung, der Heilung und der Verhütung von Erkrankungen gehemmt oder sogar ausgeschlossen werden würde. 2. Unter neuartiger Heilbehandlung im Sinne dieser Richtlinien sind Eingriffe und Behandlungsweisen am Menschen zu verstehen, die der Heilbehandlung dienen, also in einem bestimmten einzelnen Behandlungsfall zur Erkennung, Heilung oder Verhütung einer Krankheit oder eines Leidens oder zur Beseitigung eines körperlichen Mangels vorgenommen werden, obwohl ihre Auswirkungen und Folgen auf Grund der bisherigen Erfahrungen noch nicht ausreichend zu übersehen sind. 3. Unter wissenschaftlichen Versuchen im Sinne dieser Richtlinien sind Eingriffe und Behandlungsweisen am Menschen zu verstehen, die zu Forschungszwecken vorgenommen werden ohne der Heilbehandlung im einzelnen Falle zu dienen, und deren Auswirkungen und Folgen auf Grund der bisherigen Erfahrungen noch nicht ausreichend zu übersehen sind.

1

Reichsgesundheitsblatt 6 (1931), S. 174–175.

5.1. Richtlinien für wissenschaftliche Versuche von 1931

213

4. Jede neuartige Heilbehandlung muß in ihrer Begründung und in ihrer Durchführung mit den Grundsätzen der ärztlichen Ethik und den Regeln der ärztlichen Kunst und Wissenschaft im Einklang stehen. Stets ist sorgfältig zu prüfen und abzuwägen, ob die Schäden, die etwa entstehen können, zu dem zu erwartenden Nutzen im richtigen Verhältnis stehen. 5. Eine neuartige Heilbehandlung darf nur vorgenommen werden, nachdem die betreffende Person oder ihr gesetzlicher Vertreter auf Grund einer vorangegangenen zweckentsprechenden Belehrung sich in unzweideutiger Weise mit der Vornahme einverstanden erklärt hat. Fehlt die Einwilligung, so darf eine neuartige Heilbehandlung nur dann eingeleitet werden, wenn es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme zur Erhaltung des Lebens oder zur Verhütung schwerer Gesundheitsschädigungen handelt und eine vorherige Einholung der Einwilligung nach Lage der Verhältnisse nicht möglich war. 6. Die Frage der Anwendung einer neuartigen Heilbehandlung ist mit ganz besonderer Sorgfalt zu prüfen, wenn es sich um Kinder und jugendliche Personen unter 18 Jahren handelt. 7. Die ärztliche Ethik verwirft jede Ausnutzung der sozialen Notlagen für die Vornahme einer neuartigen Heilbehandlung. 8. Bei neuartiger Heilbehandlung mit lebenden Mikroorganismen, insbesondere mit lebenden Krankheitserregern, ist erhöhte Vorsicht geboten. Sie ist nur dann als zulässig zu erachten, wenn eine relative Unschädlichkeit des Verfahrens anzunehmen und auf andere Weise die Erzielung eines entsprechenden Nutzens unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu erwarten ist. 9. In Kliniken, in Polikliniken, in Krankenanstalten oder in sonstigen Anstalten zur Krankenbehandlung und Krankenfürsorge darf eine neuartige Heilbehandlung nur vom leitenden Arzt selbst oder in seinem ausdrücklichen Auftrag und unter seiner vollen Verantwortung von einem anderen Arzt ausgeführt werden. 10. Über jede neuartige Heilbehandlung ist eine Aufzeichnung zu fertigen, aus der der Zweck der Maßnahme, ihre Begründung und die Art ihrer Durchführung ersichtlich sind. Insbesondere muß auch ein Vermerk darüber vorhanden sein, daß die betreffende Person oder erforderlichenfalls ihr gesetzlicher Vertreter vorher entsprechend belehrt worden ist und die Zustimmung gegeben hat. Ist bei fehlender Einwilligung eine Heilbehandlung unter Voraussetzung von Nr. 5 Abs. 2 vorgenommen worden, so muß der Vermerk diese Voraussetzungen eingehend darlegen.

214

5. Anhang

11. Die Veröffentlichung der Ergebnisse einer neuartigen Heilbehandlung muß in einer Form erfolgen, die der gebotenen Achtung vor dem Kranken und den Geboten der Menschlichkeit in jeder Weise Rechung trägt. 12. Die Nummern 4 bis 11 dieser Richtlinien gelten entsprechend für wissenschaftliche Versuche (Nr. 3). Außerdem gilt für solche Versuche folgendes: a) Die Vornahme eines Versuchs ist bei fehlender Einwilligung unter allen Umständen unzulässig. b) Jeder Versuch am Menschen ist zu verwerfen, der durch den Versuch am Tier ersetzt werden kann. Ein Versuch am Menschen darf erst vorgenommen werden, wenn zuvor alle Unterlagen beschafft worden sind, die zu seiner Klärung und Sicherung mit den der medizinischen Wissenschaft zu Verfügung stehenden biologischen Methoden des Laboratoriumsversuchs und des Tierexperiments gewonnen werden können. Unter diesen Voraussetzungen verbietet sich jedes grund- oder planlose Experimentieren am Menschen von selbst. c) Versuche an Kindern oder jugendlichen Personen unter achtzehn Jahren sind unstatthaft, wenn sie das Kind oder den Jugendlichen auch nur im geringsten gefährden. d) Versuche an Sterbenden sind mit den Grundsätzen der ärztlichen Ethik unvereinbar und daher unzulässig. 13. Wenn man somit von der Ärzteschaft und insbesondere von den verantwortlichen Leitern der Krankenanstalten erwarten darf, daß sie sich von einem starken Verantwortungsgefühl gegenüber den ihnen anvertrauten Kranken leiten lassen, so wird man doch auch bei ihnen diejenige Verantwortungsfreudigkeit nicht entbehren wollen, die auf neuen Wegen den Kranken Erleichterung, Besserung Schutz und Heilung zu schaffen sucht, wenn die bisher bekannten Mittel nach ihrer ärztlichen Überzeugung zu versagen drohen. 14. Schon im akademischen Unterricht soll bei jeder geeigneten Gelegenheit auf die besonderen Pflichten hingewiesen werden, die dem Arzt bei Vornahme einer neuen Heilbehandlung oder eines wissenschaftlichen Versuchs sowie auch bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse obliegen.

5.2. Aufbau des Sanitätswesen der SS und Polizei 1943

215

5.2. AUFBAU DES SANITÄTSWESENS DER SS UND POLIZEI 1943 1.

An der Spitze des gesamten Sanitätswesens der SS und Polizei steht der Reichsarzt-SS und Polizei.2

2. Der Reichsarzt-SS und Polizei und seine Dienststelle unterstehen mir unmittelbar. Zum Stabe des Reichsarztes-SS und Polizei gehören: a) der Leiter des Persönliches Büros [des Reichsarztes SS-Standartenführer Helmut Poppendick] b) der Oberste Kliniker [der SS SS-Gruppenführer Karl Gebhardt] c) der Oberste Hygieniker [der SS und Leiter des Hygiene-Instituts der Waffen-SS Berlin SS-Oberführer Joachim Mrugowsky] d) der Oberste Zahnarzt [der SS Zahnärztliches Fortbildungsinstitut Berlin SS-Brigadeführer Hugo Blaschke] e) der Sanitätszeugmeister [der SS Leiter des Hauptsanitätslager der SS SS-Gruppenführer Carl Blumenreuter] f) der Leiter der Sanitäts-Statistik [SS-Obersturmbannführer Albert Bartels] 3. Der Dienststelle Reichsarzt-SS und Polizei unterstehen unmittelbar: a) Das Zentralsanitätslager bei Reichsarzt-SS und Polizei b) das Institut für Geschichte der Heilkunde c) das Hygienische Forschungsinstitut d) das pathologische Institut 2

Befehl für die Organisation des Sanitätswesens der SS und Polizei von Heinrich Himmler vom 31. August 1943. Die Angaben in eckigen Klammern sind Ergänzungen der Verfasserin.

216

5. Anhang

4. Dem Reichsarzt-SS und Polizei unterstehen sanitätsdienstlich: a) Der Chef des Sanitätswesens der Waffen-SS [= Amtsgruppe D des SS-Führungshauptamtes SS-Gruppenführer Karl Genzken Amt XIII: ärztlicher Dienst: Wilhelm Fehrensen,3 Wilhelm Berndt,4 Oskar Hock und Ludwig Bliess Amt XIV: zahnärztlicher Dienst: Hugo Blaschke Amt XV: pharmazeutischer Dienst: Carl Blumenreuter, Bernhard Rudolphi, Löhning Amt XVI: hygienischer Dienst: Joachim Mrugowsky] b) der Chef des Sanitätswesens der Ordnungspolizei [von Juni 1936 bis Dezember 1940 Sanitätsamt des Kommando-Amts der Ordnungspolizei, ab Dezember 1940 Amtsgruppe III Sanitätswesen geleitet von Wilhelm Kloster5 (Juni 1936 bis Feb. 1942); Ernst Wenzel6 (Feb. 1942 bis Sept. 1943), Oskar Hock7 (Sept. 1943 bis April 1944), Friedrich Becker8 (Mai bis Okt. 1944), Gustav Döderlein9 (Okt./Nov. 1944), Kurt Hoffmann10,11

3 4

5

6

7

8

WILHELM FEHRENSEN (1898–1945), Arzt, Promotion 1923, 20. April 1938 OStubF, bis März 1942 Chef des Amtes XIII des Sanitätswesens der Waffen-SS, gefallen. WILHELM BERNDT (1889–1945), Arzt, Studium in Berlin und Greifswald, 1914 Approbation, Weltkriegsteilnehmer von 1914 bis 1918, seit 1920 als praktischer Arzt in Hamburg niedergelassen, 1933 Eintritt in die SS, 1937 Eintritt in die NSDAP, 20. April 1937 UStF, 9. November 1938 StubF und Führer der 2. Sanitätsstaffel der SS-Totenkopfstandarte „Brandenburg“ in Oranienburg, danach Führer der Sanitätsstaffel der SS-VT und Standortarzt in Neuengamme, seit März 1942 Chef des Amtes XIII des Sanitätswesens der Waffen-SS, ab 1. Mai 1943 Leitender Arzt des SS-Hauptamtes und ab 1. Juli 1944 zugleich Chef des Amtes A II (Kassen und Besoldung) des SS-WVHA. Vgl. Schulz et al. (2005), S. 101–103. WILHELM KLOSTER (1891–1953), Dermatologe, 1910 Einjährig Freiwilliger, danach Studium der Medizin an der Kaiser-Wilhelm-Akademie, 1914 Feldunterarzt, 1916 Approbation, 1917 Promotion, 1919 Eintritt in den preußischen Polizeidienst, 1922 Medizinalrat, 1933 Leiter der Sanitätsabteilung der preußischen Polizei, 1936 bis 1942 Leiter des Sanitätswesens der Ordnungspolizei, 1942 Ruhestand, da er wegen ehemaliger Logenzugehörigkeit nicht in die SS aufgenommen werden konnte. Vgl. Schulz et al. (2005), S. 527–530. ERNST WENZEL (1891–1945), Internist und Pädiater, 1914 Approbation, 1919 Promotion, seit 1914 Assistenzarzt, 1916 Oberarzt, 1920 Stabsarzt und Oberstabsarzt, 1936 Oberfeldarzt, 1939 Oberstarzt, 1942 Generalarzt der Polizei, ab 1944 im Ruhestand, Selbstmord. Vgl. Neufeldt (1957b), S. 115. OSKAR HOCK (1891–1945), Arzt, 9. November 1937 OStubF, San. Abt. SS-VT., ab 1. September 1943 Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS und Chef des Sanitätswesens der Orpo, 10. April 1944 Rückversetzung ins SS-Führungshauptamt und Leiter des Amtes D XIII (Ärztlicher Dienst) der Waffen-SS, danach zurückversetzt in den Sanitätsdienst der Waffen-SS, Selbstmord. Vgl. DAL 1938 sowie Neufeldt (1957b), S. 111. FRIEDRICH BECKER (1891–1954), 1917 Approbation, 1919 Promotion, 1917 Assistenzarzt, 1919 Oberarzt, 1920 Stabsarzt, 1936 Oberfeldarzt, 1940 Oberstarzt, 1943 Generalarzt,

5.2. Aufbau des Sanitätswesen der SS und Polizei 1943

217

San 1: Organisation San 2: Polizeiamtsärztliche Fragen und Sonderdienst San 3: Freie Heilfürsorge, Haushalts- und Kassenwesen San 5: Hygiene und Seuchenbekämpfung San 6: Zahnärztlicher Gesundheitsdienst12] c) die Leiter des Sanitätswesens der übrigen Hauptämter [des WVHA Amt D III Sanitätswesen und Lagerhygiene: Enno Lolling Leitender Zahnarzt beim Chef des Amtes D III StubF Paul Reutter13 Apotheker bei Chef des Amtes D III: OStubF Herbert Siggelkow des SS-Hauptamt: ab 1943 Brigadeführer Wilhelm Berndt des Rasse- und Siedlungshauptamtes: StF Reil des Reichssicherheitshauptamtes: Werner Kirchert] d) die leitenden Ärzte bei den Höheren SS- und Polizeiführern und Oberabschnitten.

9 10

11 12 13

Mai bis Oktober Leiter des Sanitätswesens der Orpo. Vgl. Neufeldt (1957b), S. 106; ferner Schulz et al. (2005), S. 68. GUSTAV DÖDERLEIN (1893–1980), Gynäkologe, 1915 Approbation, 1916 Promotion, 1928 Privatdozent, 1933 a. o. Prof., 1933 Stabsarzt, 1937 Oberstabsarzt, 1938 Oberfeldarzt, 1944 Oberstfeldarzt. Vgl. Neufeldt (1957b), S. 108. KURT HOFFMANN (1899–1965), Internist, 1918/19 Militärkraftfahrer, Studium der Medizin 1919–1923, Promotion 1925, Polizeivertragsarzt, 1929 Medizinalrat, 1933 Stabsarzt der Polizei, 1934 Oberstabsarzt, 1. 1936 Oberfeldarzt, 1. Juli 1938 OStubF beim Stab SSHauptamt, 1941 Oberstarzt, 1. Juli 1941 Standartenführer, 1. November 1944 Generalarzt, 30. Januar 1945 SS-Oberführer. Vgl. DAL 1938 sowie Neufeldt (1957b), S. 110. Die Apotheke wurde von Oberstabsapotheker Dr. phil. Joachim Gutschmidt geleitet. Von April 1942 bis September 1943 war der Chef der Amtsgruppe III gleichzeitig Generalinspekteur für das Sanitätswesen. Vgl. Neufeldt (1957b), S. 53–56 und S. 90. PAUL REUTTER (*1911), Arzt, UStF seit 11. September 1938, Promotion 1938. Vgl. DAL 1938.

6. VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN AG AO

Amtsgericht Auslandsorganisation (der NSDAP)

BVer

Befristeter Vorbeugehäftling

DAL DFA DGfR Diss. DVFP DVO DNVP

Dienstaltersliste Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene Dissertation Deutschvölkische Freiheitspartei Durchführungsverordnung Deutschnationale Volkspartei

GStA PK GVG GzVeN

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses

HKB HSL HSSPF

Häftlingskrankenbau Hauptsanitätslager Höherer SS und Polizeiführer

IfZ IKL IPPNW

Institut für Zeitgeschichte München Inspektion der Konzentrationslager International Physicians for the Prevention of Nuclear War

KB KL KVD KWI

Krankenbau Konzentrationslager Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands Kaiser-Wilhelm-Institut

LG

Landgericht

MdR MdL

Mitglied des Reichtags Mitglied des Landtags

NSB NSDÄB NSDAP

Nationaal-Socialistische Beweging der Nederlande Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

6. Verzeichnis der Abkürzungen

NSDStB NSV NSFP

Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Nationalsozialistische Freiheitspartei

Orpo OStubF

Ordnungspolizei Obersturmbannführer

PrMdI

Preußisches Ministerium des Innern

RAM RF-SS RGBl. RKI RKK RMBl. RMBliV RMdI RTA RTR

Reichsarbeitsminister Reichsführer SS Reichsgesetzblatt Robert-Koch-Institut Reichskulturkammer Reichsministerialblatt Reichs- und Preußisches Ministerialblatt der inneren Verwaltung Reichsminister des Innern Reich-Tuberkulose-Ausschuss Reichstuberkulose-Rat

SA SD SDG SS SS-HSL StA StABü StF StubF

Sturmabteilung Sicherheitsdienst der SS Sanitätsdienstgrad (der SS) Schutzstaffel der NSDAP SS-Hauptsanitätslager Staatsanwaltschaft Staatsarchiv Bückeburg Standartenführer Sturmbannführer

TU

Technische Universität

UStF

Untersturmführer

VDA VOMI (Vomi) VR

Volksbund für das Deutschtum im Ausland Volksdeutsche Mittelstelle Volksdeutscher Rat

WVHA

SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt

z.b.V.

zur besonderen Verwendung

219

7. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 7.1. ARCHIVALISCHE QUELLEN Gespräche mit Zeitzeugen (Archiv der Medizinischen Hochschule Hannover): Gespräche mit Herrn Harry Dubinsky, Homburg v. d. H., vom 26. Januar 2000, 14. und 15. April 2000, 11. November 2000, 8. Februar 2001, 4. Februar 2002, 15. August 2003 und 2. Januar 2004 Gespräch mit Herrn Klaus Reichmuth, Rosdorf, am 21. August 2001 Gespräch mit Herrn Günter Wackernagel, Berlin, 12. September 1999 Gespräch mit Herrn Siegfried Hey, Würzburg/Bad Kissingen, 8. Juli 2003 Gespräch mit der Familie Zahn, Niederlande, 21. April 2003 und 9. August 2003 Gespräch mit Frau Ursula Hann von Weyhern-Gall am 23. Oktober 2003 Schriftwechsel (Archiv der Medizinischen Hochschule Hannover): Schreiben von Herrn J.E.A. Post Uiterweer, 'Gravenhage vom 24.01.2000 Schreiben von Herrn Jan van Kuik, Dinxperlo vom 09.02.2000 Schreiben von Frau Ruth Lilienthal, Bloomfield CT vom 14. Mai 2002 Archivalien: Archiefdienst voor Kennemerland: Bevolkingsregister Haarlem Archiv der Basler Mission, Basel (ABaM): Personalakte Friedrich Hey Archiv der Gedenkstätte Dachau: Military Government Court Case Nr. 000-50-2-103 gegen Karl Zimmermann und Rudolf Brachtel u.a. (Brachtel-Prozess) (Kopie) Archiv der Humboldt-Universität Berlin: Habilitationsakten Archiv des Museums und der Gedenkstätte Sachsenhausen: Bestände R, LAG Archives Cantonales Vaudoises : KXIII 371 Rectorat UNIL Archives de la Faculté de Médecine de l‘Université de Lausanne : Compte-rendu des exames

7.1 Archivalische Quellen

221

Bayrisches Hauptstaatsarchiv München: MInn (Bayrisches Ministerium des Innern) Bayrisches Staatsarchiv München: Entnazifizierungsverfahren Karl Hann von Weyhern Bundesarchiv Berlin (BArchB), Abt. R (Deutsches Reich 1495-1945): R 86 Reichsgesundheitsamt R 9208 Deutsche Botschaft in China R 96 II Reichstuberkuloseausschuss NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer SS Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC): SA SSO (SS-Officers) OPG (Oberstes Parteigericht) PK (Parteikanzlei) RuSHA (Rasse- und Siedlungshauptamt) Research RÄK (Reichsärztekammer) Bundesarchiv Ludwigsburg, ehemals Zentralstelle des Landesjustizverwaltungen (BArchL): Heidelberger Dokumente (Heidelberg War Crimes Group) Sachsenhausen Sammlung B 162 413 AR 1463/1965 [Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Dienststelle ReichsarztSS und Polizei] Bundesarchiv Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten (BArchZwADH): Personenbezogene Mischbestände Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt): Auskunft zu Friedrich und Theophil Hey Drenths Archief Assen: Bevolkingsregister Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAP): Rep. 335 Nürnberger Prozesse Fall 4, WVHA Institut für Zeitgeschichte, München: Nürnberger Dokumente Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf: Gerichte Rep. 118 Nr. 2328, Staatsanwaltschaft Köln [Verfahren gegen K. J. Fischer] Ministerie van Buitenlandse Zaken: Nederlandse diplomatieke vertegenwoordiging te Peking, Chungking en Nanking (China), (1862) 1872–1954

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

222

Nationaalarchief Den Haag: Centraal Archief Bijzondere Rechtspleging [Entnazifizierungsverfahren Gualtherus und Entnazifizierungsverfahren Herman Zahn] National Archives Washington: Einreiselisten Nederlandse Instituut for Oorlogsdocumentacie: Dossie Felix Kersten, Dossie Cornelis Warnadus Zahn Niedersächsisches Landesarchiv Hauptstaatsarchiv Hannover (HStA Hannover): Nds. 171, Nds. 721 Niedersächsisches Staatsarchiv Bückeburg (StABü): Dep. 9 D Dep. 41 L 121a Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster: Nr. 390 [Verfahren Baumkötter] Nr. 885, Nr. 7409 [Verfahren Thierhoff] Rijksarchief in Noord-Holland: Bevolkingsregister Alkmar Bevolkingsregister Groningen Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Universitätsarchiv: Examensdossier X 4,5. Stadtarchiv Freiburg: personenbezogene Akten zu Waldemar Hoven Stadtarchiv Hattingen: Protokollbücher und Zeugnislisten des ehemaligen Realgymnasiums Hattingen 1920. Universitätsarchiv Erlangen: Habilitationsakten

7.2. GEDRUCKTE QUELLEN 7.2.1. Reichsgesetze, Verordnungen, Erlässe (chronologisch) Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900, RGBl. I, 306. Verordnung, betreffend den Verkehr mit Arzneimittel vom 22. Oktober 1901, RGBl. I, S. 380. Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924, RGBl. Teil I, S. 100. Grundsätze über Voraussetzung, Art und Maß öffentlicher Fürsorgeleistungen vom 27. März 1924, RGBl. I 1924, S. 379. Gesetz über das Deutsche Arzneibuch, 6. Ausgabe 1926.

7.2. Gedruckte Quellen

223

Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, RGBl. I 1933, S. 83. Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, RGBl. I 1933, S. 529–531. Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 4. Oktober 1933, RGBl. I 1933, S. 723. Gesetz zur Bekämpfung der gefährlichen Gewohnheitsverbrecher und Maßregeln zur Sicherung und Besserung vom 24. November 1933, RGBl. I 1933, S. 995. Runderlaß des Ministers des Innern vom 21. März 1934: Jahresgesundheitsbericht, MBliV. 1934 Nr. 13, S. 545. Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934, RGBl. Teil I, S. 531. Runderlaß des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kultur und Bildung vom 31. August 1934: Tuberkulosefürsorge, MBliV. 1934 Nr. 37, Sp. 1135–1137. Verordnung über den Warenverkehr vom 4. September 1934, RGBl. I 1934, S. 816–818. Runderlaß des Ministers des Innern vom 16. Oktober 1934: Gesetz zur Bekämpfung der Tuberkulose, MBliV. 1934 Nr. 43, Sp. 1340c–1340d. Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 6. Februar 1935, RGBl. Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 22. Februar 1935 (Dienstordnung – Allgemeiner Teil), RGBl. I 1935, S. 177. Dritte Durchführungsverordnung zum Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 30. März 1935, RMBl. I 1935, S. 327. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 15. Juni 1935: Bakteriologische Untersuchungen durch Gesundheitsämter, MBliV. 1935, Nr. 26, Sp. 809. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 21. Juni 1935: Halten von Zeitschriften durch die Gesundheitsämter, MBliV. 1935, Nr. 26, Sp. 809–810. Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935, RGBl. I 1935, S. 1246. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 20. April 1936: Kosten der im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung erforderlichen Desinfektionen, RMBliV. 1936 Nr. 20, Sp. 573. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 4. Juli 1936: Fachärzte für Orthopädie und Tuberkulose als nebenamtliche Hilfskräfte an staatlichen Gesundheitsämtern, RMBliV. 1936 Nr. 31, Sp. 961–962. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 17. Juli 1936: Tuberkulosehilfswerk der NSV, RMBliV. 1936 Nr. 32, Sp. 997–998. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 3. Februar 1937: Untersuchung tuberkuloseverdächtiger Personen, RMBliV. 1937 Nr. 6, Sp. 237–238. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 16. Februar 1937: Ärztlicher Gutachtenvordruck für Tuberkuloseheilverfahren, RMBliV. 1937 Nr. 8, Sp. 307–308. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 22. Februar 1937: Unterbringung von Staatlichen Gesundheitsämtern, RMBliV. 1937 Nr. 9, Sp. 343–347. Runderlaß des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 25. März 1937, RMBliV. 1937 Nr. 14, Sp. 534. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 5. April 1937: Untersuchung der bei den Gesundheitsämtern beschäftigten Personen, RMBliV. 1937 Nr. 15, Sp. 571–573. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 14. Januar 1938: Grundsätze für die Gewährung von Notstandsbeihilfen, RMBliV. 1938 Nr. 3, Sp. 106. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern: Schnelleinweisung Tuberkulosekranker in Heilstätten vom 7. Februar 1938, RMBliV. 1938, Sp. 264. Urteil des Reichsgerichts 4 D 567/1938 vom 26. August 1938, Reichs-Gesundheitsblatt 48 (1938), S. 917. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 7. November 1938, RMBliV. 1938 Nr. 47, Sp. 1876–1878.

224

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

Verordnung zu Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 1. Dezember 1938, RGBl. I 1938, S. 1721–1724. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern: Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 12. Dezember 1938 (Ausführungsbestimmung zur Verordnung vom 1. Dezember 1938), RMBliV. 1938 Nr. 52, Sp. 2158–2160. Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939, RGBl. Teil I, S. 251. Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 18. Februar 1939, RGBl. Teil I, S. 259. Runderlaß der Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 4. Juli 1939: Verhalten von ansteckungsfähigen Tuberkulösen und Bazillenträgern bei Ausbildungsveranstaltungen und Übungen des Luftschutzes, RMBliV. 1939 Nr. 28, Sp. 1430. Verordnung über den Warenverkehr in der Fassung vom 18. August 1939, RGBl. Teil I, S. 1431– 1434. Zweite Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über den Warenverkehr vom 18. August 1939, RGBl. I, S. 1429–1430. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 16. November 1939: Tuberkulosebekämpfung, RMBliV. 1939 Nr. 47, Sp. 2355. Verordnung über Stillegung von Betrieben zur Freimachung von Arbeitskräften vom 21. März 1940, RGBl. Teil I, S. 544. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 15. Oktober 1940: Tuberkulosebekämpfung, RMBliV. 1940, Nr. 43, Sp. 1976. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 29. Oktober 1940: Anzeige der Aufnahme bzw. Entlassung von Tuberkulosekranken durch die Krankenhäuser, RMBliV. 1940, Nr. 45, Sp. 2031f. Runderlaß des Reichsministers des Innern und des Reichsarbeitsministers vom 5. März 1941: Einheitliche Lenkung der Tuberkulose-Röntgen-Reihenuntersuchungen, RMBliV. 1941, Nr. 11, Sp. 425–426. Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln, die der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegen vom 13. März 1941, RGBl. Teil I, S. 136. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 30. April 1941: Tuberkulosebekämpfung, RMBliV. 1941, Nr. 19, Sp. 816–817. Runderlaß des Reichsministers des Innern und des Reichsarbeitsministers vom 9. Juni 1941: Arbeitseinsatz von Tuberkulösen, RMBliV. 1941, Nr. 25, Sp. 1077–1078. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 1. Juli 1941: Einheitliche Lenkung der Tuberkulosebekämpfung, RMBliV. 1941, Nr. 28, Sp. 1243–1244. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 13. Juli 1942: Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verwaltung auf dem Gebiete des Gesundheitswesens, MBliV. 1942, Nr. 29, S. 1539. Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 28. Juli 1942, RGBl. Teil I, S. 515–516. Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, RGBl. Teil I, S. 549–550. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 9. September 1942 zur Durchführung der Verordnung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, MBliV. Sp. 1826–1832. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 16. September 1942: Tuberkulosebekämpfung, MBliV. 1942, Nr. 38, Sp. 1864. Runderlaß des Reichsministers des Innern und des Reichsarbeitsministers vom 26. September 1942, MBliV. 1942, Nr. 39, Sp. 1904–1905. Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung über die Herstellung von Arzneifertigwaren vom 11. Februar 1943, RGBl. Teil I, S. 99.

7.2. Gedruckte Quellen

225

Runderlaß des Reichsministers des Innern: Verfahren bei der Beantragung von Zusatzlebensmitteln für Tuberkulöse vom 1. März 1943, MBliV. 1943, Nr. 9, Sp. 363. 3. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 18. März 1943: Durchführung der Verordnung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, MBliV. 1943, Nr. 12, Sp. 493f. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 15. April 1943, MBliV. 1943, Nr. 16, Sp. 671f. Runderlaß des Reichsministers des Innern über das Verbot der Herstellung neuer Arzneiwaren vom 17. Mai 1943, RMBliV. 1943 Nr. 21, Sp. 865–868. Runderlaß des Reichsministers des Innern: Richtlinien für den Arbeitseinsatz Lungentuberkulöser vom 9. August 1943, MBliV. 1943, Nr. 33, Sp. 1327–1328. Erlaß des Führers über die Konzentration der Kriegswirtschaft vom 2. September 1943, RGBl. Teil I, S. 529–530. Zweiter Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen vom 5. September 1943, RGBl. Teil I, S. 533. Erste Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers über die Konzentration der Kriegswirtschaft vom 6. September 1943, RGBl. Teil I, S. 531–532. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 8. Oktober 1943: Richtlinien über die Absonderung ansteckend Tuberkulöser, MBliV. 1943, Nr. 41, Sp. 1580. 4. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 22. Dezember 1943: Durchführung der Verordnung über Tuberkulosehilfe vom 8. September 1942, MBliV. 1943, Nr. 52, Sp. 1973– 1976. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 31. Januar 1944: Tuberkulosebekämpfung; hier: Ausstattung und ärztliche Besetzung der Tuberkulosefürsorgestellen, MBliV. 1944, Nr. 7, Sp. 201f. Runderlaß des Reichsministers des Innern und des Reichsarbeitsministers vom 17. Februar 1944: Tuberkulosebekämpfung: Anstalts- und Bettenplanwirtschaft, MBliV. 1944, Nr. 8, Sp. 229– 231. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 15. Juli 1944: Tuberkulosebekämpfung: hier: Richtlinien für die Auswahl Tuberkulosekranker zur Anstaltsbehandlung, MBliV. 1944, Nr. 31, Sp. 743–748. Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 15. September 1944: Vereinfachung der Verwaltung; hier: Stillegung des Jahresgesundheitsberichts, MBliV. 1944, Nr. 38, Sp. 915. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 18. September 1944: Totaler Kriegseinsatz; hier: Tuberkulosebekämpfung – Einschränkung der Desinfektion, MBliV. 1944, Nr. 39, Sp. 959f. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 16. Oktober 1944: Betreuung nichteinsatzfähiger ausländischer Arbeitskräfte, MBliV. 1944, Nr. 42, Sp. 1023f. 5. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 25. Oktober 1944: Vereinfachung der Verwaltung; hier: Weitere Durchführung der Verordnung über Tuberkulosehilfe, MBliV. 1944, Nr. 44, Sp. 1065f. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 26. Oktober 1944: Tuberkulosebekämpfung; hier: Zusammenarbeit von Tuberkulose-Fürsorgestellen und Bezirksleitern des Reichs-Tuberkulose-Ausschusses bei der Einweisung in Tuberkulose-Anstalten, die dem übergebietlichen Bettenausgleich unterstehen, MBliV. 1944, Nr. 44, Sp. 1065–1067. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 19. Dezember 1944: Einheitliche Ausrichtung der Tuberkulosebekämpfung, MBliV. 1945, Nr. 1, Sp. 17. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 23. Dezember 1944: Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes bei Tuberkulosekranken, MBliV. 1945, Nr. 1, Sp. 18. Runderlaß des Reichsminister des Innern vom 15. Januar 1945: Tuberkulose-Schutzimpfung, MBliV. 1945, Nr. 4, Sp. 89–92.

226

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

7.2.2. Landesgesetze und Verordnungen Preußen: Regulativ über die sanitätspolizeilichen Vorschriften bei den am häufigsten vorkommenden ansteckenden Krankheiten vom 8. August 1835. Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten des Preußischen Ministeriums der geistlichen und der Unterrichtsangelegenheiten vom 29.12.1900. Gesetz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905. Gesetz zur Bekämpfung der Tuberkulose vom 4. August 1923. Thüringen: Ermächtigungsgesetz vom 29. März 1930, Gesetzessammlung für Thüringen S. 23. Verordnung zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 1. September 1930, Gesetzessammlung für Thüringen S. 225–228.

7.2.3. Quelleneditionen Der Arzt des öffentlichen Gesundheitsdienstes (1963): Das grüne Gehirn, hrsg. von Ludwig Federhen, Stuttgart. Ayaß, Wolfgang (1998): „Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933– 1945, Koblenz. Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47( 1999): Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, Quellen zum Umfeld. Deutsche Ausgabe, hrsg. von Klaus Dörner, Angelika Ebbinghaus und Karsten Linne, Mikrofiche-Edition und Erschließungsband, München. Der Buchenwald-Report (2002): Bericht über das Lager Buchenwald bei Weimar, hrsg. von David A. Hackett, München. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42 (1999): bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von Peter Witte, Michael Wildt u.a., Hamburg. Dienstaltersliste der Schutzstaffeln der NSDAP (SS) (1996), Stand vom 1. Dezember 1938 mit Berichtigungsheft: Stand vom 15. Juni 1939, bearbeitet von der SS-Personalkanzlei. Unveränderter Nachdruck der Ausgaben Berlin 1938 und 1939, hrsg. von Brün Meyer, Osnabrück . Dienstaltersliste der Waffen-SS (1987): SS-Obergruppenführer bis SS-Hauptsturmführer, Stand vom 1. Juli 1944, hrsg. von Brün Meyer, Osnabrück. Heiber, Helmut (1968): Reichsführer! ... Briefe an und von Himmler, Stuttgart. Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945 und andere Ansprachen (1974): hrsg. von Bradley F. Smith, Agnes F. Peterson mit einer Einführung von Joachim Fest, Frankfurt. Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.) (1987): Friedrich Mennecke. Innenansichten eines medizinischen Täters im Nationalsozialismus. Eine Edition seiner Briefe 1935–1947, bearbeitet von Peter Chroust, Hamburg. Justiz und NS-Verbrechen (1968): Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1999, Bände I – XXII, München. Mitscherlich, Alexander/Mielke, Fred (1960), (1995): Medizin ohne Menschlichkeit Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, 17Frankfurt am Main. Der deutsche Sanitätsdienst 1921–1945 (1984): Organisation, Dokumente und persönliche Erfahrungen, hrsg. von Hubert Fischer, Osnabrück. Walk, Joseph (1981), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg, Karlsruhe.

7.2. Gedruckte Quellen

227

7.2.4. Memoiren und Erinnerungsberichte Ackermann, Emil (1985): „Ich wurde als Hilfkraft beim Barackenbau eingesetzt“, in: 40 Jahre danach, hrsg. vom VVN. Verband der Antifaschisten, Berlin. Aretin, Erwein von (o.J.): Wittelsbacher im KZ, München. Ballhorn, Franz (1946): Die Kelter Gottes, Münster. Christel, Albert (1987): Apokalypse unserer Tage. Erinnerungen an das KZ Sachsenhausen, hrsg. von Manfred Ruppel und Lothar Wolfstetter, Frankfurt a. M. Damals in Sachsenhausen (1961): Solidarität und Widerstand im Konzentrationslager Sachsenhausen, hrsg. vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der Deutschen Demokratischen Republik, Autorenkollektiv, Berlin. International Auschwitz Committee (Hrsg.) (1986): Nazi Medicine. Doctors, Victims and Medicine in Auschwitz, bearbeitet von Howard Fertig, New York. Kärber, Gerhard (1976): Aus der Zeit des Reichsgesundheitsamts, Privatdruck, Berlin. Kersten, Felix (1952): Totenkopf und Treue, Heinrich Himmler ohne Uniform. Aus den Tagebuchblättern des finnischen Medizinalrates Felix Kersten, Hamburg. Klodzinski, Stanislaw (1986): Criminal Experiments With Tuberculosis Carried Out in Nazi Concentration Camps, in: International Auschwitz Committee (Hrsg.) (1986), S. 163–184. Kogon, Eugen (1946): Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München. Langbein, Hermann (1972): Menschen in Auschwitz, Wien. Langbein, Hermann (1980): ...nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern 1938–1945, Frankfurt am Main. Levi, Primo (1979): Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz, Frankfurt am Main. Levi, Primo (1990): Die Untergegangenen und die Geretteten, München. Meckel-Spenglersan (Hrsg.) (1997): Erfahrungsmedizin im Wandel der Zeiten. Die Spenglersan Ärztetagungen, mit einem Geleitwort von Prof. Dr. med. Gerhard Bundschuh, Heidelberg. Naujoks, Harry (1987): Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936–1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten, Köln. Niemand und nichts vergessen (1984): Häftlinge aus verschiedenen sozialistischen Ländern berichten über das KZ Sachsenhausen, hrsg. vom Sachsenhausenkomitee Westberlin und dem Arbeitskreis Sachsenhausenkomitee Berlin (West) in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Verband der Antifaschisten (VVN/VdA), Berlin. Oren-Hornfeld, Saul (2003): Die „11“ von Sachsenhausen, in: Sachse (2003), S. 94–100. Oren-Hornfeld, Saul (2005): Wie brennend Feuer. Ein Opfer medizinischer Experimente im Konzentrationslager Sachsenhausen erzählt, Berlin. Poller, Walter (1946): Arztschreiber in Buchenwald. Bericht des Häftlings 996 aus Block 39, Hamburg. Primus, Franz (1984): Meine Flucht aus dem KZ, in: Niemand und nichts vergessen, S. 129–133. Sachsenhausen (1986): Dokumente, Aussagen, Forschungsergebnisse und Erlebnisberichte über das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen, hrsg. von der Zentralleitung des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der Deutschen Demokratischen Republik, Lagerarbeitsgemeinschaft Sachsenhausen, 4Berlin. Schaumburg-Lippe, Friedrich Christian zu (1952): Zwischen Krone und Kerker, Wiesbaden. Schaumburg-Lippe, Friedrich Christian zu (1966): Verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Leoni. Schellenberg, Walter (1979): Aufzeichnungen. Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler, Wiesbaden München. Schirdewan, Karl (1998): Ein Jahrhundert Leben. Erinnerungen und Visionen, Berlin. Schmidt, Werner (2004): Leben an Grenzen. Autobiographischer Bericht eines Mediziners aus dunkler Zeit, Frankfurt am Main. Schuschnigg, Kurt von (1946): Ein Requiem in rot-weiss-rot. „Aufzeichnungen des Häftlings Dr. Auster“, Zürich.

228

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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7.3. ZEITGENÖSSISCHE LITERATUR Alquen, Gunter d‘ (1993): Die SS. Geschichte, Aufgabe und Organisation der Schutzstaffeln der NSDAP, Schriften der Hochschule für Politik Heft 33, Berlin. Amberson, J. Burns/McMahon, B. T./Pinner, Max (1931): A clinical trial of sanocrysin in pulmonary tuberculosis, in: American Review of Tuberculosis. Journal of the National Tuberculosis Association 24, S. 401–435. Aschaffenburg, Gustav (1922): Die Reformbedürftigkeit der Behandlung asozialer Personen vom Standpunkt der Kriminalpolitik und Sozialhygiene, in: Die Versorgung asozialer Personen. Gekürzter Bericht über die Tagung der Vorbereitenden Kommission zur Prüfung der Frage der Versorgung asozialer Personen am 7. und 8. Juli 1922 in Bielefeld, Frankfurt am Main. Aschenbrenner, Alfred (1936): Die Inzucht als bevölkerungspolitisches Problem, dargelegt an der Bevölkerung des fränkischen Dorfes Hartenstein, Diss. phil. Erlangen. Aschenbrenner, Alfred (1939): Die Berechnung des Inzuchtgrades, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie einschließlich Rassen- und Gesellschaftshygiene 33, S. 509. Aschenbrenner, Alfred (1940a): Inzucht und Erbgesundheit. Erbbiologische Untersuchungen in einem fränkischen Inzuchtgebiet, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie einschließlich Rassen- und Gesellschaftshygiene 34, S. 89. Aschenbrenner, Alfred (1940b): Die Wirkung der Zwangsasylierung auf asoziale Offentuberkulöse. Ein Bericht über 100 Katamnesen von entlassenen Zwangsasylierten, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 94, S. 635–641. Aschenbrenner, Alfred (1940c): Was kann der Geisteskrankenpfleger zur Erkennung der Lungentuberkulose in Heilanstalten beitragen? in: Geisteskrankenpflege 44, Heft 6. Aschenbrenner, Alfred (1940d): Insulintod und Menstruation, in: Der Nervenarzt 13, S. 58–60. Aschenbrenner, Alfred (1941a): Erfüllt die Zwangsabsonderung Offentuberkulöser ihren Zweck? in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst 6, Reihe A, S. 668–673. Aschenbrenner, Alfred (1941b) Die Zwangsbehandlung von gemeinschaftsschädlichen Kranken in Anstalten, in: Der deutsche Krankenpfleger 9, Heft 11, S. 1–3. Aschenbrenner, Alfred (1941c): Blutsenkungsreaktion und Lungentuberkulose in Heilanstalten, in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete 117, S. 284–286. Aschenbrenner, Alfred (1942a): Symptomatische Psychosen bei Lungentuberkulose, in: Der Nervenarzt 15, S. 381–388. Aschenbrenner, Alfred (1942b) Erfahrungen mit der Anstaltsunterbringung psychisch abnormer Rechtsbrecher, in: Der Nervenarzt 15, S. 191–204. Augstein, Erwin (1930): Die Tuberkulose der Asozialen, Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 75, 237–251. Baer, Gustav (1933): Vorschläge zur Tuberkulosebekämpfung im neuen Deutschland, Praktische Tuberkulose-Blätter 7, S. 145–150. Baer, Gustav (1935), Richtlinien für die Tuberkulosebekämpfung, in: Deutsches Ärzteblatt 65, S. 212–215 und S. 244–247.

7.3. Zeitgenössische Literatur

229

Baer, Gustav (1938): Vorschläge zur Arbeitsteilung bei der Versorgung Offentuberkulöser, in: Deutsches Tuberkulose-Blatt 12, S. 135–144. Baumkötter, Heinrich (1942): Geohydrologische Untersuchungen im Bereich der Meßtischblätter Osnabrück, Iburg, Borgholzhausen, Neuenkirchen, Diss. med. Münster. Baur, Erwin/Fischer, Eugen/Lenz, Fritz (1923): Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, Band I: Menschliche Erblichkeitslehre, Band II: Menschliche Auslese und Rassenhygiene, 2München. Blümel, Karl Heinz (Hrsg.) (1926a): Handbuch der Tuberkulosefürsorge, München. Blümel, Karl Heinz (1926b): Die Kritik an den bisherigen deutschen Tuberkulosegesetzen und ihre Auswertung, in: Blümel (1926a), S. 96–120. Blumenreuter, Carl (1911): Über Derivate des p-Dimethylindigos, Diss. phil. Rostock. Bochalli, Richard (1949): Wilhelm Roloff †, in: Zeitschrift für Tuberkulose 93, S. 322–325. Bochalli, Richard (1958): Die Entwicklung der Tuberkuloseforschung in der Zeit von 1878 bis 1958. Rückblick eines deutschen Tuberkulosearztes, Stuttgart. Braeuning, Hermann/Redeker, Franz (1931): Die haematogene Lungentuberkulose des Erwachsenen, Tuberkulose Bibliothek 38, Leipzig. Braeuning, Hermann (1937b): „Welche Mindestforderungen müssen heute an eine planmäßige Tuberkulosebekämpfung gestellt werden?“, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst 3, Reihe A, Heft 13, S. 469–478. Braeuning, Hermann (1941): Die Wohnungsnot der Offentuberkulösen, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst 7, Reihe B, S. 378–380. Brandt, Ernst (1940a): Der Tuberkulöse in der Arbeit, in: Zeitschrift für Tuberkulose 85, S. 24–29. Brandt, Ernst (1940b): Der arbeitende Tuberkulöse in der Großstadt, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst, Reihe A, S. 98–106. Brandt, Ernst (1942): Beitrag zur Epidemiologie der Tuberkulose in der Großstadt, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst Reihe B, S. 173–182. Brandt, Ernst (1944): Zur Bettenlage bei der Anstaltsunterbringung von Tuberkulösen, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst, Reihe B, S. 77–80. Brandt, Rudolf (1934): Das „droit moral“ als Faktor im künftigen deutschen Urheberrecht, Diss. jur. Jena 1933, Düsseldorf. Brauchle, Alfred (1949): Das große Experiment, in: Hippokrates. Zeitschrift für praktische Heilkunde. Organ für die Einheitsbestrebungen in der Medizin unter besonderer Berücksichtigung der naturgemäßen Heilmethoden, Heft 15/26, S. 401–403. Bühler, Karl/Sander, Erich (1939): Zur medikamentösen Behandlung der Lungentuberkulose (Versuche mit Silogran), in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 3, S. 87–90. Burkhardt, L. (1944): Zur Kenntnis der konstituionellen Disposition zur Tuberkulose. Nach pathologisch-anatomischen und anthropologisch-statistischen Untersuchungen, in: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre 28, S. 1–40. Creischer, Leo (1932): Ein neuer Beitrag zur Psychologie der Lungentuberkulose, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 80, S. 692–697. Czernay, W. (1944): Über die Verbreitung der Lungentuberkulose bei Polen, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst 10, Reihe B, S. 117–120. Deist, [...] (1954): Prof. Dr. med. Kurt Klare †, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 79 (1954), S. 1390. Deist, [...] (1959): Friedrich Kreuser zum 70. Geburtstag, in: Der Tuberkulosearzt 13 (1959), S. 375–376. Denker, Hans (1912): Die Schussverletzungen des Gehörorgans, Diss. med. Berlin. Denker, Hans (1933): Neuordnung der Tuberkulosebekämpfung in Deutschland, Deutsches Ärzteblatt 63 (1933), Heft 15, S. 427–428.

230

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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7.3. Zeitgenössische Literatur

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7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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7.3. Zeitgenössische Literatur

233

Kampf der Tuberkulose (1942): in: NSDAP, Gau Hamburg, Hauptamt für Volkswohlfahrt (Hrsg.) (1942): 10 Jahre NSV, Hamburg, S. 76–78. Karlbaum, Margarete (1941): Unter welchen Umständen kann Ehestandskandidaten mit ansteckender Lungentuberkulose Befreiung von den Vorschriften des Ehegesundheitsgesetzes vom 18.X.1935 gemäß § 6 zugebilligt werden?, in: Deutsches Tuberkulose-Blatt 15, S. 142– 143. Kattentidt, Balder (1926): Zur Frage der Belastungsstatistik der Durchschnittsbevölkerung. Die Erkrankungsverhältnisse in der Neffen- und Nichtenschaft von Paralytikerehegatten, Diss. med. München, auch in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 103, S. 288–306. Kattentidt, Balder (1936), Ceterum censeo, tuberculosem esse delendam, Zeitschrift für Tuberkulose 74, S. 251–254. Kayser-Petersen, Julius Emil (1929): Die Tuberkulose im Entwurf eines Thüringischen Landesseuchengesetzes. Unter Berücksichtigung der Anträge der Vereinigung der Lungenheilanstaltsärzte und der Gesellschaft Deutscher Tuberkulosefürsorgeärzte zum preußischen Tuberkulosegesetz, in: Zeitschrift für Tuberkulose 53, Heft 6, S. 481–489. Kayser-Petersen, Julius Emil (Hrsg.) (1933): Bericht über die 1. Jahresversammlung der Vereinigung Deutscher Tuberkuloseärzte am 22. September 1933 in Eisenach, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 83, S. 643–722. Kayser-Petersen, Julius Emil (1934): Eigennutz und Gemeinnutz in der Tuberkulosebekämpfung, in: Reichstuberkuloseblatt 21, S. 19–20. Kayser-Petersen, Julius Emil (1935): Felix Lommel zum 60. Geburtstag. Jahresbericht der Tuberkulose-Fürsorgestelle Jena für den Stadtkreis Jena, den Landkreis Stadtroda und die Kreisabteilung Camburg über das Jahr 1934, in: Zeitschrift für Tuberkulose 73, S. 331–334. Kayser-Petersen, Julius Emil (1937a): Diskussionsbeitrag bei der wissenschaftlichen Tagung der Tuberkulosegesellschaft, ref. in: Deutsches Ärzteblatt 67, S. 347. Kayser-Petersen, Julius Emil (1937b): Hie praktischer Arzt – hie Tuberkulosefürsorgearzt, Reinbek. Kayser-Petersen, Julius Emil (1939a): Angriff oder Verteidigung, in: Medizinische Klinik 35, S. 751–753. Kayser-Petersen, Julius Emil (1939b): Die Entwicklung der Tuberkulosefürsorge in Deutschland, in: Graß (1939), S. 109–127. Kayser-Petersen, Julius Emil (1941): Die Organisierung der Tuberkulosebekämpfung in Großdeutschland, in: Deutsches Ärzteblatt 71, S. 246. Kayser-Petersen, Julius Emil (1942): Zur Vereinheitlichung der Tuberkulosebekämpfung, in: Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung 97, S. 1–3. Kayser-Petersen, Julius Emil (1945): Totale Tuberkulosebekämpfung, in: Medizinische Zeitschrift [Kriegsgemeinschaftszeitschrift der Deutschen medizinischen Wochenschrift, Medizinischen Klinik, Medizinischen Welt und Münchner medizinischen Wochenschrift und Wiener medizinischen Wochenschrift] 4, S. 148–150. Kayser-Petersen, Julius Emil (1952): Alfred Hofbauer †, in: Zeitschrift für Tuberkulose 101, S. 200. Kayser-Petersen, Julius Emil (1953): Professor Dr. med. habil. Franz Ickert zum 70. Geburtstag, in: Zeitschrift für Tuberkulose 102, S. 330–333. Kieffer, Otto (1932): Tuberkulose und Sozialwirtschaft, in: Zeitschrift für Tuberkulose 65, S. 101– 117. Kirchner, Martin (1907): Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens. Festschrift dargeboten von dem Preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegenheiten, Jena. Klare, Kurt (1934): Rasse und Tuberkulose, in: Ziel und Weg 7, S. 249–251. Klare, Kurt (1938a): Konstitutionserfassung bei Tuberkulose (Schematische Darstellung), in: Zeitschrift für Tuberkulose 80, S. 65–70.

234

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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7.3. Zeitgenössische Literatur

235

Krutzsch, Günther (1941): „Kontroll-Reihen“ von „behandelten“ und „nicht behandelten“ Lungentuberkulosen, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst 7, Reihe A, S. 1381–385. Landau, Walter (1930): Die Frage der Zwangsabsonderung asozialer Tuberkulöser vom Standpunkt der Fürsorge- und Krankenbehandlung. Bemerkungen zur gleichnamigen Arbeit von Kreuser und Deuster in Band 54, Heft 2 dieser Zeitschrift, in: Zeitschrift für Tuberkulose 55, S. 508–510. Lange, Bruno (1931a): Untersuchungen zur Klärung der Ursachen der im Anschluß an die Calmette-Impfung aufgetretenen Säuglingserkrankungen in Lübeck, in: Zeitschrift für Tuberkulose 59, Heft 1, S. 1–18. Lange, Bruno (1931b): Weitere Untersuchungen zur Klärung der Ursachen der Unglücksfälle in Lübeck, in: Zeitschrift für Tuberkulose 62, Heft 5, S. 335–351. Lange, Bruno (1935a): Die Bedeutung exogener und endogener Faktoren für Entstehung und Verlauf der Tuberkulose, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 61, S. 1711–1716 und S. 1753–1757. Lange, Bruno (1935b): Die Bedeutung von Erbfaktoren für Entstehung und Verlauf der Tuberkulose, in: Zeitschrift für Tuberkulose 72, S. 241–262. Liebknecht, [...] (1959): Rolf Griesbach zum 60. Geburtstag, in: Der Tuberkulosearzt 13, S. 443– 444. Liek, Erwin (1936a): Der Arzt und seine Sendung. Gedanken eines Ketzers, 10München, EA 1926. Liek, Erwin (1936b): Gedanken zum Rudolf-Heß-Krankenhaus. Aus dem Nachlaß, in: Hippokrates 7, S. 101–102. Linden, Maria von (1917a): Erfahrungen der Kupferbehandlung bei der experimentellen Tuberkulose des Meerschweinchens und bei den verschiedenen Formen der Tuberkulose des Menschen, in: Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung Band 6, Berlin, S. 5–58. Linden, Maria von (1917b): Die bisherigen Ergebnisse der Kupferbehandlung bei Nematodenerkrankungen mit besonderer Berücksichtigung der Trichonose, in: Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung Band 6, Berlin, S. 61–87. Linz, Armin (1959): Die Entwicklung der Arzneimittelgesetzgebung bis 1947, Vortrag gehalten auf der Hauptversammlung der ABDA in Bremen am 5. Juli 1953, in: Materialien für ein Arzneimittelgesetz 1, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft der Berufsvertretungen Deutscher Apotheker, Frankfurt am Main. Liszt, Franz von (1911): Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Berlin. Loderhose, August (1937): Zur Goldbehandlung der Tuberkulose mit Auro-Detoxin, in: Deutsches Tuberkulose-Blatt 11, Heft 1, S. 293–299. Loderhose, August (1940): Über das Auftreten und die Bedeutung atelektatischer Vorgänge im Verlauf der Lungentuberkulose, Diss. med. Berlin. Löffler, W. (1958): Geschichte der Tuberkulose, in: Hein/Kleinschmidt/Uehlinger (1958), S. 1– 108. Lommel, Felix (1939): Behandlungszwang bei ansteckender Tuberkulose, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 65, Heft 41, S. 1550–1552. Luxenburger, Hans (1927): Tuberkulose als Todesursache in den Geschwisterschaften Schizophrener, Manisch-Depressiver und der Durchschnittsbevölkerung, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 109, S. 313–340. Luxenburger, Hans (1928): Vorläufiger Bericht über psychiatrische Serienuntersuchungen an Zwillingen, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 16, S. 297–326. Luxenburger, Hans (1929): Über weitere Untersuchungen zur Korrelation von schizophrener Anlage und Widerstandsschwäche gegen die tuberkulöse Infektion, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 122, S. 74–89. Lydtin, Kurt (1934): Zur Frage der Auslese bei der Tuberkulose, in: Der Erbarzt 1, S. 73–78.

236

7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1:

Georg Bessau, Direktor der Kinderklinik der Charité, an Hans Reiter, Direktor des Reichsgesundheitsamtes, Schreiben vom 3. Februar 1944, BArchB R 86/3992, Bl. 1660.

Abb. 2:

Aufsatz Georg Hensels über von ihm durchgeführte Versuche an Kindern mit Fotos von zwei unterernährten Säuglingen, veröffentlicht in den Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung [Hensel (1943)]

Abb. 3:

Gualtherus Zahn in Shanghai im März 1918 [Privatbesitz]

Abb. 4:

Gualtherus Zahn als leitender Angestellter in Mexiko 1922 [Privatbesitz]

Abb. 5:

Herman Zahn und Leopold Alexander am Peiping Union Medical College im Dezember 1933 [Privatbesitz]

Abb. 6:

Gualtherus Zahn im Hörsaal in Lausanne [Privatbesitz]

Abb. 7:

Gualtherus Zahn als Medizinstudent in Lausanne 1937 [Privatbesitz]

Abb. 8:

Heinrich Baumkötter in seinem Dienstzimmer im Konzentrationslager Sachsenhausen 1943 [Privatbesitz]

Abb. 9:

Ernst Frowein mit Besuchern im Krankenrevier Sachsenhausen 1943 [Privatbesitz]

Abb. 10:

Bestellschein der Waffen-SS [StABü, Dep. 41 acc. 2001/029/75, unpaginiert]

Abb. 11:

Beipackzettel des Inhalats „Dr. med. Zahn“ [BArchB, R 96 II, Band 22, Bl. 294]]

Abb. 12:

Beipackzettel des Inhalats „Dr. med. Zahn“, Rückseite [BArchB, R 96 II, Band 22, Bl. 294R]

Abb. 13:

Luftbildaufnahme des Konzentrationslagers Sachsenhausen vom 30. Mai 1944, Royal Air Force, 544. Staffel [StA Münster, Nr. 390, Band 4, unpaginiert]

8. Abbildungsverzeichnis

271

Abb. 14:

Schreiben von Friedrich Hey an den Reichstuberkulose-Ausschuss vom 8. Mai 1944 [BArchB, R 96/II, Band 22, Bl. 291]

Abb. 15:

Gebäude der Firma Hey in Bückeburg in den 1980er Jahren [Udo Hartmann, Bückeburg]

Abb. 16:

Gualtherus Zahn in Mato Grosso, Brasilien in den 1950er Jahren [Privatbesitz]

Abb. 17:

Beipackzettel des Medikaments Zanicilline T [Privatbesitz]

Abb. 18:

Beipackzettel des Medikaments Zanicilline A [Privatbesitz]

9. PERSONENVERZEICHNIS Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf biografische Informationen. Abderhalden, Emil 51, 203, 246 Ackermann, Emil 143, 227 Ackermann, Josef 16, 95, 239 Adenauer, Konrad 178 Adlung, Alfred 208, 239 Albrecht, Rosemarie 69 Alexander, Leopold 211, 261, 270 Alquen, Gunter d‘ 103, 228, 240 Altena, Thorsten 182, 239 Althaus, Hermann 230 Aly, Götz 13, 14, 68, 84, 85, 88, 91, 92, 239, 249, 254, 255, 257, 258, 261, 262, 267 Amberson, J. Burns 30, 228 Andree, Christian 40, 253 Angermund, Ralph 96, 239 Angetter, Daniela Claudia 194, 239 Annas, George J. 210, 239, 240, 247 Apelt, Willibalt 60, 240 Aretin, Erwein von 227 Aronson, Shlomo 16, 242 Asbek, Hans 249 Aschaffenburg, Gustav 70, 86, 228 Aschenbrenner, Alfred 5, 67–69, 87, 88, 228 Aschoff, Ludwig 40 Astel, Karl 65, 86 Aue, Uta von der 20, 240 Auersbach 189 Augstein, Erwin 66, 67, 228 Augustinovic, Werner 103, 240 Aumüller, Gerhard 165, 240, 266 Ayaß, Wolfgang 68, 226, 240, 266 Baader, Gerhard 20 Baer, Gustav 62, 71, 228, 229 Bajohr, Frank 240, 242, 249, 266 Ballhorn, Franz-Josef 148, 171, 227, 251 Baranowski, Hermann 145 Bar-On, Dan 18, 240 Bartels, Albert 215 Baur, Erwin 52, 48, 229 Baumkötter, Heinrich 9, 15, 18, 139, 142, 147, 148, 152, 158, 162, 163, 170–173, 177–179, 222, 229, 270 Bayertz, Kurt 267

Beckenbauer, Alfons 110, 241 Becker, Friedrich 216 Becker, Peter 182, 241 Beddies, Thomas 13, 24, 26, 241 Behring, Emil Adolf von 22, 23, 24, 28, 237, 254 Bennecker, W. L. 142 Benz, Wolfgang 97, 240, 241, 244, 246, 253, 256, 257, 259, 268, 269 Benze, Hans 49, 50, 232 Benzenhöfer, Udo 26 Berg, Ragnar 131 Berger, Gottlob 108 Berndt, Wilhelm 216, 217 Bernhardt, Heike 89, 241 Besgen, Achim 134–136, 241 Bessau, Georg 24, 26, 27, 29, 165, 187, 205, 270 Betke, Werner 230 Bier, August 134, 135, 268 Bindernagel, Franka 17, 100, 102, 142, 243 Bingel, Rudolf 101 Bingen, Hildegard von 96 Bircher-Benner, Maximilian-Oskar 131, 132 Birn, Ruth Bettina 15, 241 Bismarck, Otto von 34 Bläsing, Joachim 241 Blaschke, Hugo 108, 109, 111, 215, 216 Blasius, Dirk 12, 63, 241 Bleker, Johanna 241, 261 Bliess, Ludwig 216 Blokzijl, Max 129 Blom, J. C. H. 128, 241 Blome, Kurt 77, 92, 205 Blümel, Karl Heinz 60, 229 Blumenreuter, Carl 6, 16, 17, 105, 108, 109, 111–116, 164, 177, 215, 216, 229 Blumenreuter, Carl sen. 112 Blumenreuter, Ida 112 Blumenreuter, Charlotte, geb. L. 113 Boberach, Heinz 241, 252 Bochalli, Richard 13, 29, 49, 53, 58, 229 Bock, Gisela 182, 242 Bock, Hellmut 141, 147

9. Personenverzeichnis Bock, Hieronymus 96 Böhm-Ott, Stefan 36, 37, 259 Boening, Heinrich 68, 87, 232 Bohle, Ernst Wilhelm 127 Booms, Hans 241, 252 Bonnemann, Willi 177 Born, August 151 Borowy, Iris 242, 248 Bothe, Detlef 20, 130, 131, 242 Bracher, Karl Dietrich 239, 242, 262 Brachtel, Rudolf 196, 197–201, 220 Braeuning, Hermann 40, 54, 66, 67, 79 80, 229, 237 Brandt, Ernst 6, 79, 80, 81, 83, 84, 229, 239, 249 Brandt, Karl 154, 209, 210, 246, 261, 264 Brandt, Rudolf 16, 19, 92, 94, 97, 98, 99, 100, 110, 115, 116, 117, 120, 138, 167– 169, 191, 229 Brauchle, Alfred 6, 129, 130, 132, 133, 137, 229, 238, 243 Brauer, Ludolf 31, 40, 234 Brehmer, Hermann 21 Breitman, Richard 16, 95, 242 Bringmann, Fritz 140, 144, 145, 150, 151 Brinkmann, Manfred 242, 249, 268 Brock, Thomas D. 23, 242 Bröer, Ralf 240, 242 Bromberger, Barbara 102, 151, 242 Broszat, Martin 106, 118, 138, 242, 243 Browder, George C. 137, 242 Browning, Christopher R. 15, 242 Bruch, Rüdiger vom 242, 267 Bruns, Florian 109, 111, 156, 157, 205, 242, 246 Bryder, Linda 11, 242 Buchheim, Hans 105, 159, 242, 243 Buchner, Lydia 133, 243 Buchstab, Günter 171, 243 Büge, Emilio 141, 148 Bühler, Karl 30, 229 Bürger-Prinz, Hans 86 Bütefisch, Heinrich 101 Bütow, Tobias 17, 94, 100, 101, 102, 142, 243 Bumm, Franz 208 Bundschuh, Gerhard 227 Burkhardt, L. 229 Bussche, Hendrik van den 31, 243, 268 Busse, Ernst 152, 192 Butenandt, Adolf 260, 261, 265

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Caballero, Francisco Largo 142, 249 Calmette, Léon Charles Albert 24, 235 Cancic, Herbert 243, 268 Caregorodcev, Grenadij Ivanivic 250, 265 Carp, Johan Herman 128, 129 Castell-Rüdenhausen, Adelheid Gräfin zu 247, 253, 259, 267 Catel, Werner 27, 29, 165, 247, 262 Clauberg, Carl 115, 116, 248 Chochrane, Thomas 126 Christel, Albert 146, 147, 227 Chroust, Peter 226 Condrau, Flurin 11, 37, 38, 243 Conti, Leonardo 11, 50, 70, 76, 78, 79, 105, 117, 136, 154, 166, 195, 199, 252 Conze, Werner 252 Conzerzowa, Margarete 96 Cordes, Meike 180, 244 Corni, Gustavo 186, 243 Cranach, Michael 13, 26, 243 Creischer, Leo 67, 229 Cromm, Jürgen 236 Cyranek, Franz 150 Czernay, W. 91, 229 Dahl, Matthias 13, 26, 243 Daniel, Andreas 38, 243 Dankelmann, Otfried 243, 249 Danker, Uwe 243, 251 Darré, Richard Walther 86, 108, 111, 186, 243 Darwin, Charles 43 Debernitz, Ralf 63, 65, 70, 243 Deist 52, 229 Dengler, Hans 206–208, 243 Denikin 123 Denker, Hans 41, 62, 229, 230, 237 Dermietzel, Friedrich Karl 101, 105, 107, 154 Deuschl, Hans 94, 109, 110 Deuster, Hanna 61, 231, 234, 235 Deutsch, Erwin 20, 210, 244 Dieckmann, Christoph 250 Diehl, Karl 41, 49, 50, 77, 230, 239 Diehl, Paula 9, 244 Diehn, August 135, 136 Dietrich, Josef (Sepp) 105 Diepgen, Paul 156 Dinges, Martin 244, 261 Ding-Schuler, Erwin 192 Dirks, Christian 15, 117, 244 Distel, Barbara 241, 246, 257, 268, 269

274

9. Personenverzeichnis

Dlugoborski, Waclaw 244, 254, 264 Döderlein, Gustav 216, 217 Dörner, Bernward 134, 244 Dörner, Klaus 13, 15, 17, 77, 106, 110, 111, 118, 162, 226, 239, 242, 244, 258, 260– 262 Dold, Hermann 165, 194 Domagk, Gerhard 11, 31, 32, 244, 248 Dohnanyi, Hans von 256 Dorn, Erwin 46, 53, 230 Dreier, Karl 187 Drobisch, Klaus 17, 139, 143, 244 Dubinsky, Harry 9, 18, 170, 171, 172, 220 Dubos, René 11, 244 Dugge, Max 62, 230 Ebbinghaus, Angelika 13, 15, 17, 77, 106, 110, 111, 118, 161,162, 226, 239, 244, 258, 260–262, 268 Eckart, Wolfgang Uwe 17, 20, 22–24, 31, 40, 43, 44, 50, 52, 102, 130, 153, 180, 181, 204, 205, 244, 245, 251, 256 Eggert, Ernst 177 Eglau, Hans Otto 245 Ehaus, Heinz 73 Ehmann, Annegret 182, 205, 245 Ehrlich, Paul 22, 28, 207 Ehrsam, Ludwig 151 Eichhorn 186, 187 Eicke, Theodor 106, 113, 119, 138, 144, 264 Eickhoff, Clemens 245, 246 Eiselen, Tobias 180, 245 Eisermann, Ludwig 139, 145, 150 Elkeles, Barbara 20, 203, 204, 245 Ellinghaus, Carl 46, 53, 54, 230 Emge, Carl August 73 Engel, Hans 76 Engelhardt, Dietrich von 25, 29, 31, 33, 34, 40, 45, 46, 104, 203, 245 Engstrom, Eric J. 245, 265 Entress, Friedrich 14, 119, 120, 121 Esch, Michael G. 245, 256 Eyll, Klara van 263 Fahrenbach, Sabine 245 Fahrenkamp, Karl 94 Fassbender, Friedrich 12, 56, 230 Faulstich, Heinz 86, 87, 89, 245 Fauré, Felix 134 Federhen, Ludwig 226 Fehrensen, Wilhelm 216 Feldt, Adolf 29

Ferber, Christian von 264 Ferlinz, Rudolf 245 Fertig, Howard 227 Fest, Joachim 226 Fischer Prof. Dr. (RKI) 140 Fischer, Eugen 48, 49, 52, 205, 229, 254, 262 Fischer, Fritz 161, 165, 166, 261 Fischer, Gerfried 20, 245 Fischer, Horst 244 Fischer, Hubert 155, 157, 226 Fischer, Karl J. 221 Fischer, Wolfram 246, 264 Flatzeck(-Hofbauer), Alfred 39, 230 Fleischer, Arndt 209, 246 Fleming, Alexander 207 Forel, Auguste 43 Forlanini, Carlo 31 Fraenkel, Heinrich 16, 95, 246 Frankfurter, David 127 Franz, Michael 242, 249, 268 Frei, Norbert 246, 253, 256, 257, 265, 267 Freund, Florian 119, 200 Frewer, Andreas 13, 14, 20, 51, 90, 106, 109–111, 156, 162, 203, 204, 210, 211, 242, 245–247, 254, 259, 261, 267, 268 Freyeisen, Astrid 123, 246 Frick, Wilhelm 23, 64, 65, 78, 80, 174, 209, 257 Friedländer (Apotheke) 206 Friedlander, Henry 150, 246 Friedmann, Friedrich F. 25, 26, 267 Friedrich, Christoph 256 Friedrich II. von Preußen 122 Friehe, Albert 182, 185, 186, 189 Friemert, Hans 92 Frischauer, Willi 16, 246 Frowein, Ernst 18, 158, 161, 162, 165, 178, 230 Füllberg-Stolberg, Claus 246, 255 Funke, Manfred 242 Gabriel, Eberhard 240, 247 Gabriel, Ralph 17, 139, 144–147, 247, 268 Gadebusch Bondio, Mariacarla 182, 247 Galton, Francis 43 Gaupp, Robert Eugen 73 Gausemeier, Bernd 51, 207, 247 Gebbers, Hermann 183, 184, 185, 186, 204 Gebhardt, Karl 94, 110, 112, 154, 161, 168, 169, 177, 215, 241, 248 Geelkerken, Cornelis van 128

9. Personenverzeichnis Geißler, Max 139 Geißler, Oswald 52 Gentzen, M. 79, 230 Genzken, Karl 106, 107, 111, 113, 114, 116, 192, 216, 248 Georg, Enno 100, 247 George, Uta 90, 247 Georgii, Sigfrid 103 Gerken, Guido 20, 247 Gerlach, Christian 15, 247 Gerst, Thomas 13, 27, 247 Gildemeister 25, 230 Gilsenbach, Reimar 240 Glensk, Evelyn 247, 260 Glücks, Richard 119, 121, 167 Göckenjan, Gerd 11, 21 Göring, H. 180 Göring, Hermann 76, 81 Göhring, Martin 262 Goldschmidt, Dietrich 249 Goldschmidt, J. 44, 230, 236 Gorsboth, Thomas 23, 247 Goschler, Constantin 34 Gottlieb, Bernward Josef Gottstein, Adolf 34 Gradmann, Christoph 22, 23, 24, 31, 40, 43, 44, 50, 52 Grass, Heinrich Grawitz, Ernst sen. 103 Grawitz, Ernst Robert 16, 17, 94 , 102, 103– 105, 107, 108, 109–112, 114–118, 120, 130, 154, 167, 168, 196, 197, 199, 200, 245, 248 Grawitz, Ilse, geb. Taubert 104 Greiner, Oscar 195, 196, 198 Greiser, Arthur 92 Grewe, Annette 243 Griesbach, Hermann 71 Griesbach, Rolf 71, 72, 79, 81, 231, 235, 236 Griese, Kerstin 245 Grode, Walter 90, 247 Grodin, Michael A. 204, 210, 239, 240, 247, Groeben, Norbert 97, 248 Groenman 125, 126 Groh, Ludwig 231 Grosch, Helmut 116, 248 Grote, Louis Ruyter Radcliffe 131, 132, 133 Grote-Mismahl, Ulrich 187 Grotewohl, Otto 145 Grotjahn, Alfred 5, 33, 34, 38, 47, 231, 250, 257, 260, 266

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Gruber, Eckhard 56, 262 Gruber, Georg B. 156, 255 Grüner, Stefan 248 Grünewald, Paul 63 Grundmann, Ekkehard 32, 57, 248 Grundmann, Kornelia 165, 240 Gruner, Wolf D. 242, 248 Grunwald, Josef 136, 231 Günther, Hans F. K. („Rasse-Günther“) 53, 72, 186, 231, 250 Guérin, Camille 24 Güterbock, Robert 61, 231 Gütt, Arthur 57, 75, 76, 111, 154, 231 Gustloff, Wilhelm 127 Guth, Ekkehart 248, 254, 266 Gutschmidt, Joachim 217 Hachtmann, Rüdiger 10, 15, 48, 77, 209, 248 Hackett, David A. 226, 248 Hähner-Rombach, Sylvelyn 11, 22, 37, 39, 61, 62, 74, 84, 85, 248 Hahn, Judith 108, 239, 248, 249, 266 Hahn, Susanne 12, 25, 108, 153, 248, 249 Hallervorden, Julius 258 Hamann, Matthias 90, 91, 239, 249 Hamel, Carl 208 Hamburger, Franz 29, 35 Hamilton, Duke of 136 Handloser, Siegfried 77, 118 Hann von Weyhern, Karl 18, 169, 194–199, 221 Hann von Weyhern-Gall, Ursula 194, 195 220 Hansen, Eckhard 11, 12, 79, 249 Hansen, Friedrich 77, 249 Hansen, Gerhard 203 Hardy, Anne 21, 249 Harms, Ingo 13, 249 Harmsen, Hans 261 Harris, Bernhard 21, 249 Harsányi, Iván 142, 249 Hartewig, Karin 257 Hartmann, Egmont 57, 79, 231 Hartmann, Udo 271 Hartung, Ulrich 144, 249 Hasselbach, Friedrich 80, 231 Hattler, Josef 158, 160 Hauffe, Georg 132 Haug, Alfred 20, 110, 130–132, 249 Hauptmann, Carl 42 Hauptmann, Gerhart 42

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9. Personenverzeichnis

Hausser, Paul 103, 105 Hayek, Heinrich von 46, 231 Hayler, Franz 101 Hax, Iris 140, 249 Hecker, Ewald 101 Heesch, Eckhard 248, 249 Hefelmann, Hans 88 Hefter, Ernst 86 Heiber, Helmut 226 Heidemann 91, 231 Heidler, Mario 52, 53, 249 Heim, Susanne 14, 239 Hein, Joachim 231 Heinemann, Isabel 15, 55, 186, 249 Heinrich, Prinz der Niederlande 135 Heinroth, Johann Christian August 182 Heintel, Peter 182, 249 Heisig, Franz 5, 62, 63, 67, 68, 69, 70, 71, 87, 232, 234 Heißmeyer, August 103 Heißmeyer, Kurt 80 Helmchen, Hanfried 240, 249, 257, 268 Henke, Josef 104, 249 Henkys, Reinhard 104, 249 Hensel, Georg 26, 27, 165, 232, 262, 270 Herbert, Ulrich 15, 157, 173, 249, 250, 256, 257, 265, 266 Hess, Volker 245 Hesse, Hans 246, 250 Heß, Rudolf 6, 100, 134, 136, 137, 257, 261 Hey, Friedrich jun. 19, 177, 179, 186–188, 221 Hey, Friedrich sen. 179, 180, 181–185, 187– 190, 204, 208, 220, 232, 268, 271 Hey, Gotthold 183, 232 Hey, Siegfried 188, 220 Hey, Theophil 183, 221, 232 Hey, Thorwald 183 Heyde, Werner 106, 200 Heydrich, Reinhard 106, 108, 137, 138 Hickel, Erika 20, 209, 250, 262 Hierholzer, Klaus 246 Hildebrandt 108 Himmler, Gebhard 110 Himmler, Heinrich 6, 16, 17, 19, 20, 92, 94, 95, 96, 97–110, 112, 113, 115–118, 120, 133–138, 140, 150, 154, 157, 165, 167– 169, 186, 191, 192, 194–197, 215, 226, 227, 239, 241, 242, 246, 250–254, 257, 262, 263, 265, 266, 268 Himmler, Katrin 95, 96, 250 Himmler, Margarete, geb. Conzerzowa 96

Hindenburg, Paul von 101 Hippke, Erich 100, 118 Hirschfeld, Gerhard 15, 128, 129, 250 Hirte, Ronald 63, 157, 250 His, Wilhelm 111 Hitler, Adolf 62, 63, 80, 92, 94, 99–102, 104, 105, 111, 136, 137, 140, 183, 209, 227, 243, 245, 248, 252, 253, 259, 263, 265, 266 Hock, Oskar 216 Höhne, Heinz 17, 103, 250 Höing, Hubert 250, 268 Hoffmann 193 Hoffmann, Kurt 216, 217 Hofmann 108 Hoffs 91 Hohenberg, Ernst von 142 Hohendorf, Gerrit 248, 250 Hohmann, Joachim S. 228 Holfelder, Hans 77, 92 Holtkamp, Martin 73, 250 Holzhausen, H. G. 30, 232 Holzlöhner, Ernst 165 Hommel, Andrea 117, 250 Honegger, Heinrich 169 Horn, Lambert Horn, Videslaw 192 Hoßfeld, Uwe 53, 63, 73, 86, 250, 269 Houwink ten Cate, Johannes 241 Hoven, Caroline (Carola) 191 Hoven, Erwin 191 Hoven, Hans 191 Hoven, Waldemar 191, 192–194, 222, 232 Hrdlicka, Manuela R. 17, 147, 250 Hubenstorf, Michael 25, 34, 246, 250, 251, 265, 267 Huener, Jonathan 257 Hueppe, Ferdinand 44, 45, 232 Hüser, Karl 102, 251 Hüttenberger, Peter 187, 251 Hugenberg, Alfred 80 Hulverscheidt, Marion 167, 200, 251 Ickert, Franz 40, 49, 50, 54, 232, 233 Imhausen, Arthur 94 Issekutz, Bela 25, 30, 251 Jacobsen, Hans-Adolf 127, 128, 242, 243, 251 Jakobczyk, Mandy 90, 251 Jakobi, Paul 171, 251 Jaekel, Erich 163, 164

9. Personenverzeichnis Jansen, Christian 54, 251 Jensen 230 Jersak, Tobias 15, 250 Jötten, Karl Wilhelm 163 Johe, Werner 240 John, Jürgen 250 Johne, Albert 23, 232 Jung, Edwin 109 Junginger, Gabriele 28, 29, 251 Jureit, Ulrike 18, 158, 171, 251, 267 Kaderas, Brigitte 242, 267 Kähler, Gert 36, 37, 251, 252, 259 Kärber, Gerhard 187, 209, 210, 227, 232 Kästner, Ingrid 20, 95, 207, 251 Kaff, Brigitte 243 Kaienburg, Hermann 14, 17, 102, 106, 107, 142, 144, 251 Kaindl, Anton 142 Kalk, Heinz 62, 232 Kanovitch, Bernhard 251 Kapfhammer, Josef 194 Karlbaum, Margarete 58, 233 Kater, Michael Hermann 15, 17, 76, 96, 97, 100, 102, 154, 156, 158, 169, 251, 252 Kattentidt, Balder 55, 56, 233 Katz, Jay 205, 252 Kaufmann, Doris 15, 252, 256, 258 Kaufmann, Kurt 99 Kaufmann, Stefan H. E. 24, 25, 252 Kaup, Ignaz 34, 231 Kaupen-Haas, Heidrun 252, 260, 263 Kavcic, Silvia 248 Kayser-Petersen, Emil Julius 39, 41, 50, 58, 63, 65, 70, 75, 81, 232, 233 Kelting, Kristin 12, 59, 63, 84, 252 Kempner, Robert 23 Kent, George O. 242 Keppler, Wilhelm 94, 100 Kerber 191 Kersten, Felix 6, 96, 133, 134, 135, 136, 137, 167, 169, 222, 227, 241, 266 Kersten, Friedrich Ferdinand 134 Keune, Hans-Georg 210, 259 Kieffer, Otto 39, 230, 233 Kißkalt, Karl 163 Kihn, Berthold 68, 69 Kinder, Elisabeth 16, 97, 98, 102, 104, 252 Kirchert, Werner 117, 217 Kirchner, Martin 59–61, 233 Kirk, Beate 209, 210, 252 Kitasato, Shibasaburo 22

277

Klapp, Burghard F. 140, 254 Klare, Kurt 52, 53, 58, 229, 233, 234 Klasen, Eva-Maria 130, 252 Klebs, Edwin 44, 234 Klee, Ernst 14, 52, 68, 73, 77, 90, 92, 110, 111, 119, 192, 197, 200, 201, 252, 267 Klein, Franz 74 Kleine, Friedrich Karl 204 Kleinmann, Hans-Otto 243 Kleinmann, Wilhelm 101 Kleinschmidt, Hans 24, 231, 234, 235 Klipp, Karl Oskar 65 Klodzinski, Stanislaw 14, 227 Kloos, Gerhard 5, 62, 68, 69, 71, 80, 84, 86, 88, 89, 91, 234, 255 Kloster, Wilhelm 216 Kneipp, Sebastian 96 Ko 135 Körber, Ursula 240 Koch, Karl Otto 194 Koch, Robert 5, 11, 21, 22, 23, 28, 29, 33, 34, 40, 44, 45, 61, 129, 204, 234, 242, 247, 261, 263 Köbcke, Heinz 10 Köhler, Nils 243 Koester, Friedrich 53, 72, 80, 234 Kötschau, Karl 234 Kogon, Eugen 14, 174, 192, 227, 252 Kohli, Martin 252 Kohut, Thomas A. 154, 252 Kolb, Stephan 240, 252, 268 Kollmann, Julius 180 Koltschak 123 Konietzko, Nikolaus 241, 245, 252, 264, 266 Kopke, Christoph 140, 244, 245, 248, 252 Koppitz, Ulrich 34, 252 Kornemann, Rolf 37, 252 Krähwinkel, Esther 240 Krämer, B. 80, 234 Kraepelin, Emil 43, 86 Kraft, Herbert 127 Kranefuß, Fritz 100, 154 Kranz, Heinrich Wilhelm 205, 234 Krauch, Helmut 207, 252 Krause-Vilmar, Dietfrid 56, 253 Krausnick, Helmut 243 Krehl, Ludolf 169 Kretzschmer, Ernst 45, 46, 165, 234 Kreuser, Fritz 61, 229, 231, 234, 235 Krieger, Richard 158 Kröger, Marianne 253 Kroll, Jürgen 267

278

9. Personenverzeichnis

Krüger, Gerda 109 Krüger, Martina 253 Krutzsch, Günther 62, 65, 70, 234, 235 Kudlien, Fridolf 40, 154, 156, 240, 249, 252, 253, 268 Kühl, Stefan 42, 253 Kühle, Barbara 17, 253 Kühn, Rainer 17 Künsch, M. 49 Kuhn, Philaletes 205, 234 Kuik, Jan van 168, 173, 177, 178, 220 Kunitz, F. 253 Kuß, Irmtraudt 144, 150, 151, 253 Kwiet, Konrad 128, 253 L., Charlotte 113 Labisch, Alfons 11, 12, 22, 33, 34, 43, 44, 45, 50, 54, 60, 61, 72, 76, 77, 252, 253 Lachmann, Günter 127, 253 Lademacher 128, 253 Laks, Jona 14 Lammel, Hans-Uwe 251 Landau, Walter 61, 235 Lang, Hans-Joachim 13, 253 Lang, Jochen von 99, 253 Langbein, Hermann 149, 150, 227 Lange, Bruno 25, 27, 54, 235 Lange, Johannes 86 Lasik, Aleksander 142, 143, 254 Lauer, Hans 240 Lederer, E. Susan 211, 254 Lehmann, Jörgen 32 Lehmann, Julius Friedrich 53 Lehmann, Sebastian 243 Lemuth, Oliver 250 Lenarczyk, Wojciech 254, 258 Lenz, Fritz 48, 52, 86, 111, 156, 229, 259, 267 Lerner, Barron H. 58, 254 Leven, Karl-Heinz 23, 33, 254 Levi, Primo 149, 227 Ley, Astrid 14, 17, 138, 141, 144, 145, 161, 178, 254 Ley, Robert 182, 183, 263 Leyendecker, Brigitte 140, 254 Liebig, Justus von 33 Liebreich, Eugen Oskar 29 Liek, Erwin 131, 132, 235, 261 Lienau, Heinrich 153, 160 Lienert, Maria 130, 131, 133, 254 Lifton, Robert J. 97, 154, 252, 254, 263 Lilienthal, Georg 156, 254

Lilienthal, Ruth (Rose Schweninger) 190, 220 Limousin 206 Lind, James 202 Linden, Herbert 72, 73, 88, 231 Linden, Maria Gräfin von 28, 29, 235, 251 Lindner, Ulrike 11, 254 Linne, Karsten 17, 111, 226, 254 Linz, Armin 209 Liszt, Franz von 174, 235 Litschel, Gustav 158 Livron, Eduard de 134 Loddenkemper, Robert 252, 264 Loderhose, August 18, 158, 163, 164, 165, 196, 235 Loeffler, Friedrich 129 Löffler, W. 235 Löhning 216 Lösch, Niels C. 49, 51, 254 Lohalm, Uwe 240 Lohff, Brigitte 22, 53, 116, 132, 165, 194, 254, 266 Lolling, Enno 16, 117, 118, 119, 120, 159, 164, 167, 197, 199, 217 Lombroso, Cesare 182, 247 Lommel, Felix 63, 64, 233–235 Longerich 95, 254 Lüben, Elisabeth 134, 135 Lüben, Johanna 134 Lundgreen, Peter 254, 267 Luton, Alfred 28 Luxenburger, Hans 45, 46, 235 Lydtin, Kurt 58, 235, 236 Magull-Seltenreich, Achim 248, 250 Maier, Helmut 248, 254, 264 Mailänder Koslov, Elissa 15, 178, 247, 254 Maio, Giovanni 20, 246, 254, 255, 259, 267 Maitra, Robin T. 77, 255 Maiwald, Klaus 190 Mallmann, Klaus-Michael 15, 255, 257 Mann, Gunther 250, 255 Manvell, Roger 16, 95, 246 Markgraf, Erik 91, 236 Marsálek, Hans 255 Marszalek, Józef 14 Marti 30, 236 Martin, Dunja 13, 161, 255 Martini, Paul 161, 203, 236, 264 Maßfeller, Franz 72, 231 Massin, Benoit 49, 50, 54, 255 Masuhr, Friedrich 74, 236

9. Personenverzeichnis Masuhr, Karl Friedrich 68, 255 Mattulat, Martin 156, 255 Matz, Bernhard 45, 46, 255 Maurer, Friedrich 96 Maurer, Gerhard 16, 120, 121 Mausbach, Hans 102, 242 McFarlane, Neil 21, 255 McKeown, Thomas 21, 249, 255 McMahon, B. T. 30, 228 Mecklenburg, Adolf Friedrich Herzog von 135 Meine, August 97, 98, 168 Meinel, Christoph 243, 251, 255, 258, 265, 267, 269 Melzer, Ernst 67, 236 Mengele, Josef 14, 50, 51, 255, 256, 266 Mennecke, Friedrich 160, 226 Mensching, Johanna 190 Mensching, Wilhelm 190 Mentzel, Rudolf 166 Mergenthal, Frank 162, 256 Merk, Heidrun 248, 259 Metschnikow, Ilya Illich 22, 40 Meyer, Alfred 187, 258 Meyer, Brün 226 Meyer, Bruno 140 Meyer, Emil Heinrich 102 Meyer, Ulrich 256 Meyer, Winfried 17, 101, 141, 178, 256 Michel, Antje 143, 256 Michel, Karl Markus 247, 256 Mielke, Fred 10, 161, 226, 258 Mielke, Siegfried 17, 256, 263 Milch, Erhard 100 Mitscherlich, Alexander 10, 161, 226, 258 Mitchell, Allan 21, 256 Mittermaier, S. 44, 236 Mix, Andreas 254 Möllgaard, Holger 29, 30, 236 Moll, Martin 103, 240 Moller, Sabine 267 Mollison, Theodor 205 Monti 35 Mordasini, Ernesto Rubino 30, 32, 256 Morgen, Konrad 194 Morgenstern, E. 77, 236 Morsch, Günter 17, 141, 144, 145, 161, 178, 244, 249, 254, 256 Moser, Gabriele 54, 77, 205, 256 Moses, Julius 25, 203, 245, 257 Mosse, Max 35, 236

279

Mrugowsky, Joachim 111, 112, 116, 163, 192, 205, 215, 216, 236 Muckermann, Hermann 49, 51, 236 Müller, Heinrich 92, 136, 137 Müller, Joachim 17, 140, 256, 264 Müller, Jürgen 127, 128, 256 Müller, Reiner W. 236 Müller-Hill, Benno 51, 73, 74, 97, 169, 256 Müller-Jahncke, Wolf-Dieter 32, 256 Müllmerstadt, Helmut 197 Münch, Ragnhild 251, 256 Münter, Heinrich 5, 54, 55, 236 Musner, Helmuth 197 Mussert, Anton Adriaan 128 Muthesius, Hans 78, 236 Muthig, Julius 158, 159, 200 Nachtsheim, Hans 262 Nadav, Daniel 257 Naujoks, Harry 139, 141, 146, 151, 161, 176–178, 227 Nebytoff, Nathalie 124 Neff, Walter 195, 197–199 Nieuwenhuijsen, Nicolaas van 169 Neliba, Günter 64, 257 Neisser, Albert 203 Neufeldt, Hans-Joachim 217, 257 Neugebauer, Wolfgang 240, 247 Neuhaus, Günter A. 207, 257 Neuhofer, Monika 247 Neumann, Alexander 83, 95, 208, 257 Neumann, Josef N. 20, 246, 254 Neusüß-Hunkel, Ermenhild 17, 257 Nicosia, Francis R. 257 Nieberle, K. 24, 236 Niebuhr, Hermann 244 Nieland, Hans 127 Niethammer, Lutz 18, 149, 152, 174, 175, 257 Nitsche, Paul 86, 88 Noak, R. 62, 236 Novak, A. 123 Obenaus, Herbert 149, 175, 257 Oberheuser, Hertha 162, 165, 244 Oldenburg, Friedrich 62, 236 Olff-Nathan, Josiane 255, 257 Oosterveen, Arnold 122 Oosterveen, Francina Cornelia, geb. Zahn 122 Oppitz, Ulrich-Dieter 246 Oren-Hornfeld, Saul 140, 227

280

9. Personenverzeichnis

Orland, Barbara 24, 257 Orlow, Dietrich 136, 257 Orth, Karin 15, 107, 118, 138, 150, 250, 257 Ortmann, Gustav 158 Osnowski, Rainer 240, 257, 261 Ost, Eugène 200, 257 Osten-Sacken 77, 257 Ostertag, Berthold 165, 166, 258 Ostwald, Wilhelm 134 Ott, Katherine 38, 257 Otto, Gerhard 241 Oxenius, Richard 62, 236

Post Uiterweer, Johann E. A. 9, 168, 170, 172, 220 Preissler, Gerd 239 Priamus, Heinz-Jürgen 187, 258 Primus, Franz 227 Prinz, Michael 258, 262 Pross, Christian 240, 254, 257, 258, 261, 267 Pukrop, Marco 14, 140, 258 Pyschik, Martin 155, 258

Padfield, Peter 16, 95, 96, 110, 257 Pancke 108 Panse, Friedrich 86 Papen, Franz von 101 Pappworth, Maurice Henry 257 Paracelsus 96, 109 Paul, Gerhard 15, 255, 257 Paul, Norbert 254, 258 Peiffer, Jürgen 88, 165, 166, 239, 252, 258 Peitmann, A. L. 61, 237 Perz, Bertrand 17, 258 Peter, Jürgen 10, 55, 258 Peterson, Agnes F. 16, 98, 226, 263 Pettenkofer, Max von 33, 34 Peukert, Detlev 240 Pfäfflin, Friedemann 239 Pfaff, Wilhelm 12, 62, 237 Pfannenstiel, Wilhelm 116, 165 Pfundtner, Hans 76 Pieck, Henry C. 192 Pieper, Klaus 160 Pingel, Falk 142, 175, 258 Pinner, Max 30, 228 Piper, Franciszek 244, 254, 264 Pirquet, Clemens von 23, 35 Plötner, Kurt 196, 200 Ploetz, Alfred 42–44, 237 Ploetz, Pauline, geb. Rüdin 42 Pohl, Oswald 16, 17, 95, 101, 102, 106, 109, 110, 112, 118–120, 262 Pollak, Michael 18, 258 Poller, Walter 176 Pommerin, Reiner 254, 258 Pook, Hermann 117, 119 Poppendick, Helmut 109, 111, 188, 189, 199, 215 Possehl, Ingunn 22 Pottier, Joel 251, 258

Rabinowitsch-Kempner, Lydia 23, 24, 40 Rahe, Thomas 18, 259 Rall, Hans 259 Ramm, Rudolf 156 Rapoport, Mitja Samuel 244, 259, 265, 266 Rasche, Karl 101, 102 Rascher, Sigmund 116, 166, 170, 210, 241 Raska, Wladimir 160 Reche, Otto 205 Reckendrees, Alfred 17, 256 Redeker, Franz 5, 28, 29, 40, 41, 54, 55, 229 Reichenbach 30 Reichmuth, Klaus 220 Reil 217 Reimann, Max 177 Reinhardt, Friedrich 101 Reinicke, Peter 11, 74, 259 Reiter, Hans 27, 77, 187, 232, 237, 255, 257, 270 Reiter-Theil, Stella 244, 251, 265 Reitlinger, Gerald 17, 259 Remschmidt, Helmut 240 Renneberg, Monika 243, 255 Renner, Renate 87, 259 Reuland, Andreas 20, 25, 153, 245 Reulecke, Jürgen 247, 253, 259, 267 Reuter, Curt Otto 151 Reutter, Paul 217 Reynaud, Paul 248 Richter, Joachim 210, 259 Rieger, Else 247 Rilling, Siegfried 195, 259 Rindfleisch, Heinrich 140, 258 Rissom, Renate 52, 259 Robert, Günther 252 Rodenstein, Marianne 36, 37, 259 Rodenwaldt, Ernst 205 Röder, Hellmuth 151 Röhnert, Hellmuth 101

Quack, Sibylle 258, 268

9. Personenverzeichnis Roelcke, Volker 20, 202, 246, 259, 267 Rösener 183 Rösler, Hans 176 Roeßiger, Susanne 248, 259 Rössle, Robert 24, 237 Rössler, Alexander 63, 237 Roloff, Wilhelm 57, 58, 80, 229, 237 Romberg, Hans W. 261 Romijn, Peter 128, 259 Rose, Gerhard 118, 205, 268 Roseman, Mark 18, 259 Rosenkrantz, Barbara Gutmann 259 Rosenthal, Gabriele 18, 259 Roßmann, Otto 196 Rosterg, August 101, 135, 136 Roth, Karl Heinz 12, 13, 34, 47, 68, 74, 161, 166, 244, 259, 260 Rothmaler, Christiane 70, 174, 247, 260 Rudolph, Werner 177 Rudolphi, Bernhard 114, 216 Rüdiger, Helga 17, 260 Rüdin, Ernst 42, 43, 45, 46, 57, 231, 266 Rüdin, Pauline 42 Rühe 83 Rüthers, Bernd 96, 260 Rupnow 10, 260, 261 Ruppel, Manfred 227 Ruppert, Andreas 244 Ruttke, Falk 57, 72, 231, 237 Sachse, Carola 14, 15, 48, 227, 240, 247, 255, 260 Sachße, Christoph 12, 56, 79, 260 Sadowski, G. 57, 80, 237 Saller, Christian 252, 260, 263 Sander, Erich 30, 229 Sauckel, Fritz 118 Sauerbruch, Ferdinand 40, 77, 110, 133, 253 Sauerteig, Lutz 203, 260 Schadewaldt, Hans 162, 260 Schagen, Udo 10, 58, 204, 241, 246, 260– 262, 268 Schallmayer, Wilhelm 43, 44, 237 Schatz, Albert 31 Schaumburg-Lippe, Friedrich-Christian Prinz zu 183, 227 Schellenberg, Walter 99, 136, 137, 227, 242 Schenck, Ernst Günter 81, 238 Scherer, H. J. 258 Scherer, Klaus 240 Schieder, Wolfgang 15, 260, 261, 265 Schiedlausky, Gerhard 119

281

Schiff, Moritz 249 Schilling, Carl Claus 115, 116, 166, 167, 200, 201, 204 Schirdewan, Karl 139, 227 Schlatter, Wilhelm 180, 238 Schleiermacher, Sabine 10, 13, 20, 241, 246, 251, 262, 268 Schlevogt, Ernst 133, 238 Schlich, Thomas 22, 244, 254, 258, 261 Schloßmann, Arthur 231 Schmaltz, Florian 15 Schmick, Heinz 158 Schmidt-Metzler, Moritz 29 Schmid, Wolfgang 132, 261 Schmidt, P. G. 80, 238 Schmidt, Rainer F. 136, 261 Schmidt, Ulf 20, 119, 125, 154, 161, 166, 209–211, 246, 254, 259, 261 Schmidt, Werner 68, 211, 227 Schmiedebach, Heinz-Peter 13, 26, 132, 155, 241, 251, 261 Schmiedeberg, Oswald 206, 238 Schmitz, Emil Christian 18, 147, 158–161, 162, 163, 165, 171, 172, 179, 238 Schmitz-Berning, Cornelia 127, 261 Schmuhl, Hans-Walter 11, 13, 15, 43, 45, 48, 49, 50, 51, 66, 73, 77, 88, 91, 92, 156, 205, 255, 261, 262 Schneider, Kurt 86 Schneider, Wolfgang 206, 207, 250, 262 Schnitzler 101 Schönenberg, Franz 132 Scholz, Willibald 88 Schottky, Johannes 6, 84, 85, 86, 88, 238 Schrag, E. 56, 79, 238 Schreus, Theodor 161, 162, 165 Schröder, Gerald 20, 250, 262 Schröder, Kurt Freiherr von 101, 263 Schröder, Oskar 118 Schütz, Erhard 56, 262 Schütz, Heinrich 197 Schulin, Ernst 251, 262 Schulte, Jan Erik 15, 101, 107, 262 Schultz, Bruno Kurt 55, 238 Schultz, Gebhard 140, 252 Schultz, Ulrich 20, 27, 240, 262 Schulz, Andreas 104, 105, 107, 110, 217, 262 Schulz, Hugo Paul Friedrich 202 Schumacher, Martin 255 Schuschnigg, Kurt 227 Schwan, Bruno 36, 37, 238

282

9. Personenverzeichnis

Schwan, Heinz 16, 97, 262 Schwarberg, Günther 14, 262 Schwartz, Johannes 254 Schwertfeger, Wolrad 189, 190 Schweizer-Martinschek, Petra 13, 26, 27, 262 Schwerin, Alexander von 15, 46, 262 Schwichow, Walter von 145 Schwindt, Barbara 178, 263 Sedghi, Darjosh 154, 263 Seeliger, Matthias 184, 264 Seeliger, Wolfgang 11, 38, 263 Seidl, Alfred 112 Seidler, Eduard 130, 194, 263 Seidler, Franz 103, 104, 263 Seiffert, Ernst 41, 53, 57, 238 Seithe, Horst 252 Seldte, Franz 80 Sendtner, Kurt 263 Sereny, Gitta 15, 263 Seyfarth, Carly 27, 204, 238 Siedbürger, Günther 246, 247 Siemen, Hans-Ludwig 26, 243 Sievers, Wolfram 101, 116 Sievert, Lars Endrik 132, 133, 263 Siggelkow, Herbert 18, 119, 164, 166, 167, 217 Simon, Claus 27 Simon, Jürgen 174, 182, 263 Simon, K. 11, 263 Simon, Ute 76, 263 Sissle, Adolf 60, 238 Sitte, Kurt 193 Smelser, Ronald 183, 240, 242, 243, 257, 263–265 Smith, Bradley F. 16, 95, 98. 226, 263 Sneader, Walter 207, 263 Soénius, Ulrich S. 101, 102, 263 Sofsky, Wolfgang 149, 263 Sommer, Karl 121 Sonntag, Walter 18, 154, 158, 163, 164, 165, 173, 238, 264 Sonntag, Gerda, geb. Weyand 164 Sorger 89 Spaar, Horst 248, 265 Spamer, Wolfgang 10 Spaeth, Gertrud 125, 126 Sparing 245 Spatz, Hugo 88 Spengler, Carl 195 Spengler, Tilman 247, 256 Spieß, Gustav 29

Spree, Reinhard 11, 263 Springmann, Veronika 254 Staehelin, Balthasar 180, 263 Stahl, Maria 12, 263 Stange, Carmen 143, 263 Stangl, Franz 263 Stapel, Ute 206, 208, 263 Steger, Florian 264 Stein, G. 23, 238 Stein, Harry 63, 157, 250, 257 Steinbach, Peter 265, 266 Steinbacher, Sybille 246 Steinmeyer, Theodor 160 Steinwascher, Gerd 184, 264 Sternweiler, Andreas 17, 256, 264 Stieve, Hermann 97, 260, 268 Stöckel, Sigrid 10, 24, 39, 249, 251, 264, 266 Stoeckel, Walter 187 Stoll, Katrin 154, 164, 264 Stoll, Susanne 161, 264 Storch, Dietmar 241 Strebel, Bernhard 14, 17, 164, 264 Strübing, Karl 176 Strzelecka, Irena 14, 264 Stürzbecher, Manfred 77, 208, 264 Stumpfl, Franz 86 Stutz, Rüdiger 250 Suchanek, Willy 138 Sudrow, Anne 144, 264 Süß, Winfried 41, 63, 209, 248, 264 Sydnor, Charles 264 Syring, Enrico 240, 242, 263–265 Szreter, Simon 21, 264 Tashiro, Elke 264 Taubert, Ilse 104 Taubert, Siegfried 104 Tegtmeyer, Otto 188 Teleky, Ludwig 34, 35, 231, 238 Tennstedt 12, 38, 50, 54, 56, 60, 61, 72, 76, 77, 79, 253, 260, 264 Terhorst, Karl-Leo 150, 264 Teschner, M. 31, 264 Thamer, Hans-Ulrich 101, 264 Theile, Gert 262, 264 Thierhoff, Wilhelm 7, 139, 148, 151–153, 164, 172–174, 175, 176–179, 268 Thomann, Klaus-Dieter 242 Thom, Achim 89, 91, 117, 244, 245, 248, 250, 259, 265, 266 Thoms, Ulrike 207, 245, 265

9. Personenverzeichnis Thorbecke 125 Thyssen, Fritz 245 Tietze, Karl-Werner 85, 238 Torrione-Vouilloz, Dominique 124 Treue, Wilhelm 250, 265, 268 Tröhler, Ulrich 244, 251, 265 Trunk, Achim 15, 51, 260, 261, 265 Tschuggnall, Karoline 267 Tuchel, Johannes 15, 16, 95, 106, 118, 119, 121, 138, 142, 265 Tugendreich, Gustav 236 Tuhacek, Karl 197, 198 Ueberschär, Gerd R. 245, 265 Uehlinger, Erwin 49, 231, 235, 238 Uhlenhuth, Paul 29, 129, 163, 194 Umber, Friedrich 104 Unverricht, Walter 40, 164 Urban, Ernst 207, 238 Urdang, Georg 208, 239 Ustorf, Werner 245, 265 V., Annelies 125 Verg, Erik 11, 32, 266 Verschuer, Otmar Freiherr von 5, 46, 48, 49, 50–52, 54, 55, 77, 86, 230, 236–239, 260 Vetsch, Michael 54, 266 Vetter, Helmut 14 Villinger, Werner 73, 165, 250 Virchow, Rudolf 22, 33, 34, 44, 247 Vögele, Jörg 264, 268 Vögler, Eugen 102 Völklein, Ulrich 50, 266 Vogelsang, Reinhard 17, 101, 102, 136, 266 Voigt, Jürgen 11, 266 Vondra, Hana 13, 167, 200, 205, 266 Vonkennel, Josef 165 Vorländer, Herwart 17, 18, 266 Voswinckel, Peter 251, 255, 258, 265, 267, 269 Vossen, Johannes 11, 61, 65, 266 Vries, Hans de 169 Wackernagel, Günter 220 Wagenführ, Horst 69 Wagner, Bernd C. 246 Wagner, Bernhard 23, 247 Wagner, Erich 63 Wagner, Gerhard 65, 76, 131, 132, 154, 269 Wagner, Jens Christian 14, 17, 65, 76, 266 Wagner, Patrick 150, 174, 182, 240, 266

283

Waksman, Selman Abraham 11, 31, 207 Walk, Joseph 65, 226 Waller, John A. 135, 266 Walter, Otto 11, 12, 41, 75, 76, 79, 237, 239 Walter, Peter Th. 246 Wannemacher, Leonie 257 Warwas, Roman 53, 132, 266 Weber, Matthias M. 45, 46, 266 Weber, Jürgen 265, 266 Wegerer, Gustav 193 Wegmann, Günter 262 Wegner, Bernd 103, 105, 106, 107, 155, 157, 266 Wehle, Karl Heinrich 114 Weidler, Horst 153, 170, 173 Wein, Dorothee 141, 266 Weindling, Paul J. 15, 23, 33, 34, 42, 43, 44, 45, 56, 64, 116, 163, 210, 242, 266, 267 Weingart, Peter 44, 267 Weiss, Sheila F. 42, 43, 52, 267 Weiss-Rüthel, Arnold 142, 146, 147, 228 Weismann, August 48 Welti, Max 45, 239 Welzer, Harald 18, 263, 267 Wentzler, Ernst 241 Wenzel, Ernst 216 Werner, Frank 267, 268 Werner, Guenther 125 Werner, Petra 26, 252, 267 Weß, Ludger 167, 207, 267 Westenberg, Alexander 134 Westphal, Kurt 45, 239 Wickert, Christl 15, 142, 267 Widmann, Albert 140 Wiedersheim, Robert 48 Wieland, Günther 228 Wiesemann, Claudia 246, 267, 268 Wihan, Friedrich 56, 83, 239 Wildt, Michael 15, 19, 137, 158, 226, 267 Wilhelm V. von Oranien 122 Wilhelmina, Königin der Niederlande 135 Wilhelmine von Preußen 122 Wille, Ernst 108 Willing, Matthias 70, 268 Wimmer, Wolfgang 20, 207, 268 Winau, Rolf 20, 135, 140, 203, 204, 240, 246, 249, 250, 255, 257, 265, 268 Winkelmann, Andreas 97, 204, 268 Winter, Mathias 240 Wirsching, Andreas 262, 268 Witte, Peter 19, 226 Wittelsbach, Rupprecht von 263

284

9. Personenverzeichnis

Witzler, Beate 11, 21, 33, 37, 38, 268 Woelk, Wolfgang 248, 264, 268 Wolff, Karl 16, 97, 99, 100, 154, 196, 253 Wolfstetter, Lothar 227 Wolter, Waldemar 200 Wolters, Christine 14, 151, 153, 173, 178, 179, 194, 205, 208, 246, 268 Wulf, Josef 16, 95, 96, 98, 268 Wunderlich, Rudolf 140, 228 Wuttke(-Groneberg) 13, 20, 252, 268 Zabel, Werner 132 Zacharias, Kurt 80, 239 Zahn, Anna Maria, geb. van der Hoogt 122 Zahn, Cornelis Warnardus 129, 222 Zahn, Gerhard Paulus 129 Zahn, Gualtherus (Gualtherius) Hendrik 6, 7, 9, 10, 14, 18, 19, 122–124, 125, 126, 127–129, 130, 133, 136–138, 140, 147, 153, 167–173, 177, 179, 188–190, 239, 270, 271 Zahn, Gualtherus Hendrik sen. 122, 129 Zahn, Herman Gerhard 6, 18, 19, 122, 124– 126, 134, 137, 140, 147, 167–169, 211, 222, 270 Zahn, Hertha 18 Zahn, Johan Georg Weygand 122 Zahn, Johan Georg Wilhelm 123 Zahn, Wilhelmine 122 Zahn-Knuth, Hertha 124, 125 Zámecník, Stanislav 17, 100, 197, 198, 269 Zegarski, Withold 140, 151, 228 Zelnhefer, Siegfried 56, 269 Ziegler, Kurt 193 Zimmerer, Jürgen 205, 269 Zimmermann, Gerda 137 Zimmermann, Karl 196, 220 Zimmermann, Susanne 63, 269 Zimmermann, Thomas 63, 269 Zinke, Dieter 262 Zitelmann, Rainer 258, 262, 263 Zschimmer, Paul 76, 77 Zschuche, Martin 76, 239 Zunke, Peter 131, 269

10. DANKSAGUNG Die vorliegende Arbeit ist in zwei Phasen entstanden. Von 2002 bis 2005 wurde mein Forschungsprojekt von Professor Dr. Dr. Rolf Winau (1937–2006) an der Freien Universität Berlin betreut. Von ihm stammte nicht nur die Idee, die Tuberkuloseversuche im Konzentrationslager Sachsenhausen zu erforschen. Er hat mir auch in den ersten Jahren der nur mäßig erfolgreichen Recherche Mut gemacht, mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden und mich darin bestärkt, weiter nach Material zur Geschichte dieser Versuche zu suchen. Ich bedauere sehr, dass er die Fertigstellung dieser Arbeit nicht mehr hat erleben können. Professor Dr. Brigitte Lohff hat mich sehr ermutigt, die Arbeit weiterzuführen und zu Ende zu bringen. Ich danke ihr dafür sehr. Ein seit 2002 bestehender Lehrauftrag und eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin seit 2006 ermöglichten mir zudem eine enge Anbindung meines Forschungsprojekts an das Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizinischen Hochschule, die meiner Arbeit zugute kam. Viel Unterstützung und Anregung für meine Forschung habe ich von Professor Dr. Andreas Frewer erhalten, der meine Arbeit viele Jahre sehr interessiert und freundschaftlich begleitet hat. Dafür und für die Aufnahme in die Reihe „Geschichte und Philosophie der Medizin“ sei ihm ganz herzlich gedankt. Ich konnte Ergebnisse dieser Arbeit den Doktoranden des 10. Workshops zur Geschichte der Konzentrationslager 2003 in Ebensee, den Teilnehmern des Doktorandencolloquiums des Instituts für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin und den Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover vortragen. Für Diskussion und Kritik danke ich PD Dr. Sabine Schleiermacher, Tobias Eiselen und Professor Gerhard Baader. Für die Möglichkeit, meine Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit im Rahmen einer Ringvorlesung vorzustellen, danke ich Professor Dr. Mariacarla Gadebusch-Bondio, Greifswald. Archivare und Mitarbeiter zahlreicher Archive haben mich bei der Suche nach spannendem Quellenmaterial unterstützt. Wertvolle Hinweise gaben mir Dr. Hubert Höing, Staatsarchiv Bückeburg, Dr. Sven Mahmens, Hauptstaatsarchiv Hannover, Paul Jenkins, Archiv der Basler Mission, Basel, Matthias Meissner, Bundesarchiv, Berlin, Toontje Jolles-van Loo und Diederich Kortlang, Nationaalarchief, Den Haag sowie Liesbeth Geevers, Ministerie van de Buitenlandse Zaken, Den Haag. Karsten Wilke, Bielefeld, und Maika Leffers, Berlin, sei für die Übersetzungen aus dem Niederländischen gedankt. Harry und Uschi Dubinsky, Ursula Hann von Weyhern-Gall, Tilman Taube und der Familie Zahn danke ich, dass sie bereit waren, mit mir über ihr Leben und ihre Familiengeschichte zu sprechen. Meinen Freunden Dr. Sigrid Stöckel, Dr. Irene Hirschberg, Tobias Bütow, Dr. Elissa Mailänder Koslov, Dr. John Cramer und Ralph Gabriel danke ich für viele

286

anregende Gespräche. Es hat mir sehr geholfen, dass sie mein Interesse an der Geschichte der Medizin, des Nationalsozialismus und der Konzentrationslager geteilt haben. Andreas Siegwarth gilt mein besonderer Dank für die Erstellung des Personenregisters und der Druckvorlage, eine Aufgabe, die viel Engagement und Kreativität erfordert hat. Mein ganz herzlicher Dank gilt meinem Mann Sebastian Wolters. Dafür, dass er große Teile dieses Forschungsprojekts finanziert hat, stets bereit war, neue Thesen zu diskutieren und mein Interesse an Verwaltungsgeschichte geweckt hat. Sein größtes Verdienst ist jedoch, dass er immer daran geglaubt hat, dass ich diese Arbeit fertigstellen würde.

Abbildungen

Abb. 1: Georg Bessau, Direktor der Kinderklinik der Charité, an Hans Reiter, Direktor des Reichsgesundheitsamts, Schreiben vom 3. Februar 1944

Abb. 2: Aufsatz Georg Hensels über von ihm durchgeführte Versuche an Kindern mit Fotos von zwei unterernährten Säuglingen, veröffentlicht in „Beiträge zur Klinik der Tuberkulose und spezifischen Tuberkulose-Forschung“

Abb. 3: Gualtherus Zahn in Shanghai im März 1918

Abb. 4: Gualtherus Zahn als leitender Angestellter in Mexiko 1922

Abb. 5: Herman Zahn und Leopold Alexander am Peiping Union Medical College im Dezember 1933 (Zahn siebter von links, Alexander neunter von links)

Abb. 6: Gualtherus Zahn im Hörsaal in Lausanne (mittlere Reihe, dritter von rechts)

Abb. 7: Gualtherus Zahn als Medizinstudent in Lausanne 1937

Abb. 8: Heinrich Baumkötter in seinem Dienstzimmer im Konzentrationslager Sachsenhausen 1943

Abb. 9: Ernst Frowein mit Besuchern im Krankenrevier Sachsenhausen 1943

Abb. 10: Bestellschein der Waffen-SS

Abb. 11: Beipackzettel des Inhalats „Dr. med. Zahn“, Vorderseite

Abb. 12: Beipackzettel des Inhalats „Dr. med. Zahn“, Rückseite

Abb. 13: Luftbildaufnahme des Konzentrationslagers Sachsenhausen vom 30. Mai 1944, Royal Air Force, 544. Staffel

Abb. 14: Schreiben von Friedrich Hey an den Reichstuberkulose-Ausschuss vom 8. Mai 1944

Abb. 15: Gebäude der Firma Hey in Bückeburg in den 1980er Jahren

Abb. 16: Gualtherus Zahn in Mato Grosso, Brasilien in den 1950er Jahren

Abb. 17: Beipackzettel von Zanicilline T

Abb. 18: Beipackzettel von Zanicilline A